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SCHLESISCHE BERG WACHT
Nr. 3
6chmieiJe6erget t:;losself aus iJet�ugelfiJ3e;t
Nun sind die langen Abende da und die
Gedanken kreisen im freien Fluge über ver­
gangene schöne und schlechte Zeiten! Mit
dem Bilde der "Aala Gaake" (der Schnee­
koppe) vor mir an der Wand steht wieder
einmal die alte Heimat vor dem geistigen
Auge und die Erinnerung an längst Vergan­
genes wird wach und doppelt lebendig! Die
verflossene sommerliche Gartenarbeit im
Schrebergarten verdrängte alles und ein kla­
rer, schöner Herbsttag zaubert sozusagen ein
.'inneres Dia" von der sanft geschwunge­
nen Kammlinie des Riesengebirges von
Schmiedeberg aus gesehen. Der Film des
langen Lebens hat sich täglich gewandelt,
aber die Konturen des schönen Fleckchens
des Schmiedeberger Tales bleiben zeitlebens
in der Erinnerung haften!
Schauplatz der Handlungen ist, wie so oft
im Vorhergegangenen, mein Vaterhaus in
Schmiedeberg, unmittelbar an der Eglitz, mit
der Brücke, dem Nepomuk auf der Ufer­
mauer, gegenüber lag die katholische Kirche,
die m. W. auch den Krieg überdauerte. - Bei
uns Schuljungen mußte es immer "rund ge­
hen", und wenn im Hause, mal "nischte
nich " zu tun woar, durfte maa halt abissel
naus giehn uff de Strooaße, wobei der Ent­
fernung vom Hause aus keine Grenzen ge­
setzt waren. Was lag da z. B. näher als zum
Schützenfest am Schützenplatz, 5 Minuten
vom Elternhaus entfernt! Also nix wie hin!
Aber vorher mußten die Schulaufgaben er­
ledigt werden! Dann wurde vom Vater eine
"Anleihe" mit dem Ziele der (Nicht--!) Zu­
rück-Erstattung aufgenommen, fürs Karrus­
sel-Fahren l Viel sprang dabei nicht heraus,
an Biema oder höchstens zwee, das war un­
gefähr eine ganze Fahrt auf dem Holzpferde,
wie sie heute noch sind! Damit begnügte
man sieht nicht.
Ein richtiger Junge wußte sich damals
schon zu helfen! Beim Karusselbesitzer
.verdingte" man sich als .Schieber". Zu dem
Zwecke mußte man auf den Laufboden im
Innern des Gestänges gehen und "startete"
mit dem Klingelzeichen zur "Schiebung" auf
den Laufplanken, bis der ganze Apparat so
langsam .durchdrehte", und in Bewegung
kam. Meist waren wir mehrere Jungen, die
mit dem nötigen Allotria ihre "harte Frohn"
verrichteten. Dann gab es die heiß ersehn­
ten Freikarten, woraus zu ersehen ist, daß
auch damals keine Stunde geschenkt wor­
den ist! Hatte man seine 10 oder 20 Runden
im Schweiße seines Angesichts gedreht,
wußte man jedenfalls, was man getan hatte,
denn elektrischen Strom gab es an solchen
Erwerbsquellen noch nicht oder er war den
Wandergewerbetreibenden zu teuer. Wir
hatten jedenfalls unseren Spaß überhaupt
auf dem Schützenrummel! Und es war ein
gutes Freizeit-Training. Auf dem Platz stand
damals noch unsere Turnhalle, wo wir un­
sere Turnstunden für die Schule absolvier­
ten.
Ein paar Schritte weiter lag das Schüt­
zenhaus und dahinter waren die Felder vom
Hübscher-Pauer. Später, als ich 1911 dem
Heimatstädtchen Valet gesagt hatte, wur­
den hinter dem Schützenhaus am Wege zur
Tannenbaude Häuser gebaut und die ent­
standene Straße erhielt den Namen Claire­
Höhne-Straße zu Ehren unserer schlesi­
schen Dichterin. Der Weg führte dann
weiter zum Eisenbahner - Erholungs - Heim
über die Bahnlinie (nach Landeshut). Sie
wurde damals von Italienern gebaut. Weiter
ging es zum Kaffeegründel, einem idylli­
schen Fleckchen Erde am Beginn des Hoch­
waldrandes und weiter zur Tannen-, Forst­
Grenzbauden-Koppe.
Durchs Kaffeegründel floß ein kleiner,
klarer Bach, an dessen Uferrande Brunnen­
kresse wuchs. Wenn der Frühling eingezo­
gen war, stand Vater morgens um 4 Uhr auf,
pflückte eine ordentliche Portion der Kres­
se und brachte sie, vom Tau noch feucht, in
einem Leinensäckchen mit nach Hause.
Für uns alle war das eine willkommene,
wohlschmeckende Zugabe zur "Quark­
schniete" zum 2. Frühstück! Manchmal bin
ich mitgegangen und beim schönen sonni-
gen Frühjahrsmorgen war es ein Genuß! Das
schwerste war allerdings das Aufstehen um
4 Uhr, aber noch heute denke ich gerne an
diese Wanderungen! Und auch die Brun­
nenkresse schmeckt noch! - Nun, wenn in
der Stadt Jahrmarkt war, war das für uns
Kinder natürlich auch ein Begebnis! Eine
Sensation waren damals die Bänkelsänger,
ein Schaustellergewerbe, das es auf den
Jahrmärkten heute gar nicht mehr gibt! Es
ist wohl überlebt, denn der fast tägliche
Krimi im Fernsehen hat ihm den Rang ab­
gelaufen. Bei den Bänkelsänger-Ständen
handelte es sich um große Stellagen oder
Holzgestelle, die mit Oldruck-Leinwandbil­
dern bespannt oder beklebt waren, Inhalt
der Darstellungen auf den Bildern: Meist
grusliger Natur, heute Krimi genannt. Ein
Mann oder auch eine Frau hielten mit einem
langen Zeigestock bewaffnet die "Vorträge"
oder Moritaten, auch manchmal in Form
von Gedichten oder Liedern vor ihren Gä­
sten. Meist floß bald bei jedem Bild sozu­
sagen das Blut die Treppe runter (bildlich ge­
sprochen!) Die künstlerische Ausführung der
Bilder war entsprechend und schon beim an­
schauen der Illustrationen konnte der Zu­
schauer eine Gänsehaut bekommen! Unser­
einer stand dabei und hielt Maulaffen feil,
bis der Sammelteller herumgereicht wurde.
Dann verdrückte man sich tunliehst. denn
väterliche und mütterliche Jahrmarktszula­
gen waren immer knapp.
Es wären noch die "Themen" der Vorträ­
ge zu erwähnen. Die Massenmörder Denke
und Haarmann waren aktuell damals und
gehörten mit ihren grausigen Taten zum
"Repertoir" jedes Bänkelsängers, auch
Schiffs- oder Eisenbahn-Katastrophen, Erd­
beben, aber auch gute Taten oder Schicksale
von Forschern pp. wurden einem verehrten
Publikum dargebracht. Zweck der Unterhal­
tung war das Entstehen mindestens einer
Gänsehaut oder ein Alptraum! Für "enga­
gierte" Gäste waren sogar Sitzplätze, Holz­
bänke, aufgestellt.
Nu zu einem weniger maloabron, eher er­
heiternden Thema! Mein Vater, der an der
Nepomukbrücke gegenüber der katholischen
Kirche an der Eglitz ein Kürschnergeschäft
besaß, stammte von dem Häusler und Hand­
weber Ehrenfried Opitz aus Bärndorf im Rie­
sen gebirge. (N. B.: Die Einwohner dieses
Dorfes sollen bei der Vertreibung unter Ab­
singen geistlicher Lieder Abschied von der
Heimat genommen haben! So wurde einmal
geschrieben!) - Vater ging dann nach der
Schulzeit nach Hirschberg zum Kürschner­
meister Grollmus am Ring in die Lehre und
anschließend, wie damals üblich, auf Wan­
derschaft. Später machte er sich in Schmie­
deberg selbständig. Im Jahre 1940 starb er
und liegt auf dem ev. Friedhof in allernäch­
ster Nähe des Glockenturmes begraben. Ob
sein Grab wohl noch erhalten ist? Mit Weh­
mut und Trauer denkt man an die Zeit im
Elternhause zurück und an die Kinderjahre.
Die heute dort zwangsweise angesiedelten
Leute, die Polen, geben ja wohl allem, was
einst deutsch war, ein fremdes Gesicht!? Ein
rauhes Schicksal hat unserer Schläsing übel
mitgespielt.
Vom Vater wollte ich noch ein Geschicht­
chen erzählen! Damit diese Zeilen einen hei­
teren Abschluß erhalten! Vater, Träger ei­
nes Vollbartes, saß tagsüber in seiner Werk­
statt am Arbeitstisch. Was Wunder, wenn er
in seiner Freizeit gern Spaziergänge in die
schöne Umgebung der Stadt machte. Manch­
mal durfte ich mitgehen, Mutter mußte dann
"im Laden bleiben!" Wenn dabei die Son­
ne recht kräftig schien und Vater gute Lau­
ne hatte, blieb er öfter mal unvermittelt ste­
hen, .peilte" die Sonnenscheibe an und ni­
vellierte mit dem Kopf so lange gegen das
Tagesgestirn, bis die Strahlen in die Nasen­
löcher fielen und dabei auf den Schleimhäu­
ten ein Juckreiz hervorgerufen wurde; die­
ses Kitzeln endete meist mit einem oder
mehreren kräftigen "Happschies", was mir
und meinem Vater Spaß und dem Vater see­
lische Erleichterung extra verschaffte! Noch
heute führe ich dieses Experiment selbst mit
Erfolg durch! Probieren Sie es auch mal, lie­
be Leserin und lieber Leser! Zur Gesundheit!
Zum Schluß möchte ich Frau Margot
Harmsen für ihren Artikel in Nr. 22/76 der
Bergwacht danken für die Schilderung ihrer
Eindrücke in Schmiedeberg. Für heute mag
es wieder mal genug sein bis zum nächsten
Mal. Labt ock schien gesund an lußt's Euch
gutt giehn und viele schiene Grüsse oa oalle
an au oa inser Bergwächtern!
Der Opitz Willem
Mitteilung
Zwei junge Landsleute aus der Zunft
der "Bäcker" wurden ausgezeichnet
Es sind die Brüder Hans-Georg und Klaus­
Peter R e u ß , die inzwischen den väterlichen
Betrieb in WolfenbüUel übernommen haben
und außerdem in der Harzstraße eine Ver­
kaufs filiale errichteten, führen unter dem Na­
men Gebrüder Reuß den von ihrem Vater be­
gonnenen Betrieb fort. Es ist nicht einmalig,
daß sowohl Handwerkskammer oder auch
die Handelskammer jungen, nachgewachse­
nen Schlesiern Sonderauszeichnungen verlie­
hen. Das ist Beweis für Zielstrebigkeit,
Zähigkeit, Fleiß und Verantwortung, die sich
immer wieder bei jungen Menschen unserer
schlesischen Heimat besonders ausgeprägt
bewähren.
Die Prämie von je 5000 Mark ist für die
beiden jungen Handwerker eine schöne
Starthilfe zu weiterem Erfolg, zu dem aber
bereits jetzt die ausgezeichneten Qualitäts­
waren des Betriebes eine gute Hilfe gewesen
sind. Nicht unerwähnt darf bleiben, daß drei
Ehepaare R e u ß in diesem reinen Familien­
betrieb gute Voraussetzungen zum Erfolg
sind.
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Die "Gebrüder Reuß ", die als Meisterprüf­
linge von der Handwerkskammer in Braun­
schweig je 5000,- DM Prämie für "hervor­
ragende Leistung" erhielten.
ScM.heuc/.undtze
im Bec9-waed daM.eUn
Seit Tagen plaudert es im Wald,
Schmelzwasser gurgelnd springen.
Wo Kiesel sich an Kiesel reibt,
hörst du ein zartes Klingen.
Wie schmale Bänder durch das Moos
die Wasser talwärts gleiten,
bis einen Fächer nadel braun
sie müd' im Graben breiten.
Du wanderst den vertrauten Weg.
Dort durch die hohen Fichten
siehst du den Himmel frühlingsblau
sich hell und fröhlich lichten.
Otto Nisch