Author: Rickards James   Pfeiffer Thomas   Schmid Sigrid   Schlatterer Heike  

Tags: politik   finanzen   weltwirtschaft  

ISBN: 978-3-89879-686-6

Year: 2012

Text
                    

WÄHRUNGS KRIEG Der Kampf um die monetäre Weltherrschaft JAmes RICKARDS
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar. Für Fragen und Anregungen: rickards@finanzbuchverlag.de 1. Auflage 2012 © 2012 FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH Nymphenburger Straße 86 D-80636 München Tel.: 089 651285-0 Fax: 089 652096 Original edition copyright © by James Rickards. All rights reserved. All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by arrangement with Portfolio, a member of Penguin Group (USA) Inc. Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »CURRENCY WARS« bei Portfolio, einem Verlag der Penguin Group (USA) Inc. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Übersetzung: Thomas Pfeiffer, Sigrid Schmid, Heike Schmidt Lektorat: Moritz Malsch, Buch-Concept Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling Druck: CPI Ebner & Spiegel, Ulm ISBN Print 978-3-89879-686-6 ISBN E-Book (PDF): 978-3-86248-262-7 Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter www.finanzbuchverlag.de Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.muenchner-verlagsgruppe.de
Für Ann, Scott, Ali, Will und Sally – mit Liebe und Dankbarkeit. Und zum Gedenken an meinen Vater, Richard H. Rickards, der im Zweiten Weltkrieg als Soldat im Pazifik eingesetzt wurde.
»Da nun das Geld gebrach im Lande Ägypten und Kanaan, kamen alle Ägypter zu Joseph und sprachen: Schaffe uns Brot! Warum lässt du uns sterben, darum daß wir ohne Geld sind?« 1. Buch Mose, 47.15
Inhalt Geleitwort zur deutschen Ausgabe von Daniel Eckert .. . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 11 Teil 1 K riegsspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2 – Der Finanzkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 19 36 T eil 2 Währungskriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter . . . . . . . . . 63 Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) . . . . . . . . . . . 89 Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) . . . . . . . . . 118 Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) .. . . . . . . . . . . . . . . 143 Kapitel 7 – Die G20-Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 T eil 3 Die nächste globale K rise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus . . . . . . . . . . . . Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft . . . . Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität . . . . . . . . . . . Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? . . . . . . . . . . . . 197 199 227 261 300 Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Danksagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Endnoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 341 345 357 364 7

Geleitwort zur deutschen Ausgabe von Daniel Eckert Als ich mich Ende 2009 daran machte, mein Buch »Weltkrieg der Währungen« zu schreiben, war die Vorstellung, dass Dollar, Euro und Yuan von den Regierungen als Kampfmittel genutzt werden, den meisten Bürgern noch fremd. US-Militärstrategen waren gedanklich schon einen guten Schritt weiter als die Öffentlichkeit: Zu der Zeit fragten die Verteidigungsexperten den Wall-Street-Berater James Rickards, ob er für sie eine geheime Simulation mitgestalten könne. In diesem Kriegsspiel waren die Vereinigten Staaten und vor allem der Dollar das Ziel eines großangelegten finanziellen Angriffs. Der alte Gegner Russland und vor allem China hatten es, so wurde darin simuliert, darauf abgesehen, die Leitwährung zu zerstören. Seine Erfahrungen in dem Planspiel Währungskrieg haben Rickards zu einem eigenen Buch inspiriert. Seiner Beschreibung der virtuellen Attacke auf den Dollar – er nennt es finanzielles Pearl Harbor – liest sich spannend wie ein Krimi und sei jedem Leser ans Herz gelegt. Der Ausgang des Kriegsspiels soll an dieser Stelle nicht verraten werden, nur so viel: Jeder von uns ist betroffen, jeder von uns wird dafür bezahlen – eine Diagnose, zu der auch ich in »Weltkrieg der Währungen« (FinanzBuch Verlag) komme, das jetzt in überarbeiteter und erweiterter Neuauflage vorliegt. Heute ist der Währungskrieg eine anerkannte Realität, so geschickt ihn die offiziellen Stellen auch zu verbergen suchen. Die Machtzentralen der führenden Wirtschaftsblöcke USA, Europa und China manipulieren ihre Zahlungsmittel, um sich ökonomische Vorteile zu verschaffen. Ebenso wie die wichtigen Nebenakteure Japan, Großbritannien, Russland und die Schweiz nehmen sie in Kauf, dass der Wert des Geldes zerrüttet wird. In diesem riskanten Spiel ums Welt-Geld scheinen die USA die Nase vorn zu haben. Washington ist es gelungen, seine Währung abzuwerten, den anderen »Wachstum zu stehlen« (wie Rickards es nennt), ohne Verwerfungen an den 9
Geleitwort zur deutschen Ausgabe von Daniel Eckert heimischen Kapitalmärkten zu provozieren. Europa hingegen hat sich unbedarft ins finanzielle Chaos stoßen lassen. Wegen der Schuldenkrise fällt der Euro als ernstzunehmende Alternative zum Dollar für geraume Zeit aus. Am geschicktesten nutzt China die Möglichkeiten des Finanzkriegs: Mit konfuzianischer Ausdauer baut es seinen Renminbi zur Weltwährung auf, obwohl der eigentlich keine starke Währung ist. Konflikte, die mit Zahlungsmitteln ausgetragen werden, sind in der Geschichte keine Seltenheit. Allein das 20. Jahrhundert brachte zwei davon hervor. Den ersten Weltkrieg der Währungen terminiert Rickards auf die Jahre 1921 bis 1936, den nächsten auf den Zwanzigjahreszeitraum von 1967 bis 1987. Der zweite brachte eine große Inflation und die Zerstörung von Millionen privater Vermögen. Der erste war in seiner Wirkung noch ­verheerender: Er zog die Große Depression nach sich und vergiftete das internationale Klima auf so extreme Weise, dass er dem Zweiten Weltkrieg den Boden bereitete. Heute liegt ein dritter Weltkrieg der Währungen in der Luft. Der Wohlstand der Welt steht auf dem Spiel. Daher kann es gar nicht genug intelligente Bücher über den Währungskrieg geben. Der Schlagabtausch, der sich im Verborgenen abspielt, muss an die Öffentlichkeit. Der US-Bürger Rickards beschreibt diesen Konflikt aus amerikanischer Perspektive. Ihn beschäftigt vor allem die Frage, wie dem Dollar angesichts der Mammutverschuldung der USA eine Hyperinflation erspart bleiben kann. Uns Europäern bietet dieses Buch gleichwohl viel Aufschlussreiches. Denn je mehr der Weltkrieg der Währungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln ausgeleuchtet wird, je mehr Menschen die Formationen der monetären Schlachtordnung kennen, desto besser. Auf diese Weise wird es den kriegstreibenden Parteien auch in Europa schwerer fallen, unser Geld für ihre Zwecke zu manipulieren und die Weltordnung ins Wanken zu bringen. Daniel Eckert, Autor von »Weltkrieg der Währung«, Berlin im März 2012 10
Vorwort Am 15. August 1971, einem ruhigen Sonntagabend, trat Präsident Nixon in der beliebtesten Fernsehshow des Landes vor die Kameras, um den Amerikanern seine New Economic Policy vorzustellen. Die Regierung ver­ hängte nationale Lohn- und Preiskontrollen, setzte einen Aufschlag auf ­Importe fest und hob die Dollarkonvertibilität zum Gold auf. Durch einen seit l­ängerem schwelenden Währungskrieg, der das Vertrauen in den US-Dollar erschüttert hatte, war das Land in eine Krise gestürzt und der ­Präsident zu dem Schluss gekommen, dass die Lage extreme Maßnahmen er­forderte. Heute sind wir in einen neuen Währungskrieg verstrickt und bahnt sich eine neuerliche Krise des Vertrauens in den Dollar an. Dieses Mal werden die Konsequenzen weitaus schlimmer sein als jene, mit denen Nixon sich seinerzeit konfrontiert sah. Die voranschreitende Globalisierung und das explosive Wachstum der Derivate und der Kreditfinanzierung in den vergangenen 40 Jahren haben dafür gesorgt, dass finanzielle Panikreaktionen und Epidemien praktisch nicht mehr begrenzt werden können. Die neue Krise wird aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Devisenmärkten beginnen und rasch auf die Aktien-, Anleihen- und Rohstoffmärkte übergreifen. Wenn der Dollar kollabiert, werden auch die in Dollar geführten Märkte kollabieren und die Panik sich rasch auf die gesamte Welt ausweiten. Folglich wird wieder einmal ein US-Präsident – vermutlich Barack Obama – im Fernsehen (und im Cyberspace) vor das amerikanische Volk treten und radikale Maßnahmen ankündigen, um den Dollar vor dem völligen Kollaps zu retten, und sich dabei auf eine ihm kraft seines Amtes zustehende Autorität berufen, die schon einmal von einem amerikanischen ­Präsidenten 11
Vorwort in Anspruch genommen worden war. Dieser neue Plan könnte sogar eine Rückkehr zum Goldstandard beinhalten. Falls Gold als Sicherheit verwendet wird, wird sein Preis gegenüber heute um ein Vielfaches höher festgesetzt werden, um die aufgeblähte Geldmenge mit der verfügbaren Quantität an Gold absichern zu können. Amerikaner, die in Gold investiert haben, werden eine »Spekulationssteuer« in Höhe von 90 Prozent auf ihren unver­ hofften Neureichtum entrichten müssen, verhängt im Namen der Gerechtigkeit. Das Gold, das die Europäer und Japaner derzeit in New York deponiert haben, wird konfisziert und in den Dienst der New Dollar ­Policy gestellt werden. Natürlich werden die Europäer und Japaner für ihr abhanden­ gekommenes Gold entsprechende Zertifikate erhalten, die sie dann zu ­neuen, höheren Kursen in »New Dollar« konvertieren können. Alternativ könnte der Präsident sich gegen eine Rückkehr zum Gold entscheiden und stattdessen mit einer Mischung aus Kapitalverkehrskontrollen sowie einer globalen Geldschöpfung durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) für frische Liquidität sorgen und die Situation stabilisieren. Diese weltweite Rettungsaktion durch den IWF wird nicht mit alten, nicht konvertierbaren US-Dollar geschehen, sondern in einer neu gedruckten ­globalen Währung namens SZR. Das Leben wird weitergehen, aber das internationale Währungssystem wird nicht mehr dasselbe sein. Das sind keine weit hergeholten Spekulationen. Das alles hat es schon einmal gegeben. Immer wieder sind Papierwährungen kollabiert, wurden Vermögenswerte eingefroren, Goldvorräte konfisziert und Kapitalverkehrskontrollen verhängt. Auch die Vereinigten Staaten waren davor nicht gefeit, im Gegenteil, sie haben von den 1770er- bis in die 1970er-Jahre durch Unabhängigkeitskrieg, Bürgerkrieg, Weltwirtschaftskrise und Hyperinflation in der Carter-Ära hindurch immer wieder aktiv die Abwertung des Dollars betrieben. Die Tatsache, dass die Währung nun schon seit einer Generation nicht mehr kollabiert ist, ist nur ein Indiz dafür, dass der nächste Crash überfällig ist. Das hat nichts mit Vermutungen zu tun – die Voraussetzungen dafür sind bereits erfüllt. 12
Vorwort Unter ihrem Vorsitzenden Ben Bernanke hat sich die US-Notenbank Federal Reserve auf die größte Wette in der Finanzgeschichte eingelassen. Ab 2007 kämpfte die Fed mithilfe einer Senkung der kurzfristigen Zinssätze und großzügiger Kreditvergabe gegen den drohenden ökonomischen Kollaps an. Irgendwann war der Zinssatz auf null gefallen, und es sah aus, als hätte die Fed keine Kugeln mehr im Magazin. Doch dann, 2008, fand die Fed eine neue Kugel: die quantitative Lockerung. Die Fed beschreibt das Programm zwar als eine Lockerung der finanziellen Rahmenbedingungen durch die Reduzierung der langfris­ tigen Zinssätze, tatsächlich aber handelt es sich um nichts anderes als das ­Drucken von frischem Geld mit dem Ziel, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Die US-Notenbank versucht, die Preise für Anlage- und Verbrauchsgüter sowie Rohstoffe aufzublähen, um so die auf einen Kollaps folgende natürliche Deflation auszugleichen. Im Prinzip kämpft sie in einem Tauziehen gegen die Deflation, die normalerweise mit einer Depression einhergeht. Wie üblich beim Tauziehen passiert zunächst nicht viel. Die Teams sind ähnlich stark besetzt, und eine ganze Weile bewegt sich nichts, nimmt nur die Spannung im Seil zu. Irgendwann aber lässt die Kraft auf der einen Seite nach, und sie wird vom Team auf der anderen Seite über die Mittellinie gezogen. Das ist das Spiel, das die Fed betreibt. Sie muss die Inflation anheizen, bevor es zur Deflation kommt. Sie muss das Tauziehen gewinnen. Beim Tauziehen ist das Seil das Medium, über das die Zugkräfte zwischen beiden Seiten übertragen werden. Um eben dieses Seil geht es in diesem Buch. In dem Wettstreit zwischen Inflation und Deflation ist der Dollar das Seil. Der Dollar trägt die ganze Belastung der einander entgegengesetzt wirkenden Kräfte und überträgt diese Belastung auf die gesamte Welt. Am Wert des Dollar lässt sich ablesen, wer bei diesem Kräftemessen den Sieg davonträgt. Bei diesem Tauziehen handelt es sich allerdings keineswegs um einen sportlichen Wettkampf, sondern um einen ausgewachsenen Währungskrieg 13
Vorwort und einen Angriff auf den Wert aller Aktien, Anleihen und Wirtschafts­güter auf der Welt. In der für die Fed besten allen möglichen Welten steigen die Vermögenswerte, werden die Banken gesünder, schmilzt die Staatsverschuldung, und keiner scheint etwas davon zu merken. Doch indem er in einem beispiellosen Maß frisches Geld drucken lässt, ist Bernanke zu einem Pangloss des 21. Jahrhunderts geworden, der auf das Beste hofft, ohne jedoch auf das Schlimmste vorbereitet zu sein. Es besteht die sehr reale Gefahr, dass die Gelddruckerei der US-Notenbank unvermittelt in eine Hyperinflation umschlägt. Selbst wenn die Inflation die Verbraucherpreise unberührt lässt, kann sie sich in den Vermögenspreisen niederschlagen und zu Blasen bei Aktien, Rohstoffen, Immobilien und anderen »harten« Vermögenswerten führen – Blasen, die wie die Internet­ blase 2000 oder die Immobilienblase 2007 früher oder später platzen werden. Die Fed behauptet zwar, über die Instrumente zu verfügen, um eben das zu verhindern, aber diese Instrumente sind bislang weder unter solchen ­Umständen noch in einem derart großen Maßstab angewendet worden. Die Heilmittel der Fed – höhere Zinssätze und knappes Geld – können auf ­direktem Wege in genau die Art von Abschwung führen, die zu vermeiden sich die Fed eigentlich auf die Fahne geschrieben hat. Die US-Wirtschaft ­balanciert auf Messers Schneide zwischen Rezession und Hyperinflation. Millionen von Investoren, Unternehmen und Arbeitnehmern in den USA fragen sich, wie lange die Fed die Balance noch halten kann. Schlimmer noch, nichts davon ereignet sich in einem Vakuum. Würden sich die geldpolitischen Manipulationen der Fed auf die US-Wirtschaft beschränken, wäre das eine Sache, aber das tun sie nicht. Wenn Dollar gedruckt werden, hat das globale Auswirkungen; mit ihrer Strategie der quantitativen Lockerung hat die amerikanische Notenbank im Prinzip dem Rest der Welt den Währungskrieg erklärt. Viele der befürchteten Auswirkungen des von der Fed gefahrenen Kurses auf die Vereinigten Staaten zeigen sich 14
Vorwort bereits heute im Ausland. Wenn die USA Dollar drucken, führt das zu einem Anstieg der Inflation in China, zu steigenden Nahrungsmittelpreisen in Ägypten und zu Aktienblasen in Brasilien. Mit dem Rückgriff auf die Notenpresse werten die USA ihre Schulden ab und werden ausländische Schuldner mit billigeren Dollar bedient. Die Abwertung der US-Währung verschärft in Entwicklungsländern die Arbeitslosigkeit, da ihre Exporte für Amerikaner teurer werden. Die daraus resultierende Inflation bewirkt zudem ein Anziehen der Preise für Rohstoffe wie Kupfer, Erdöl, Mais und Weizen, auf die die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer angewiesen sind. Kein Wunder, dass die ersten Länder schon dabei sind, sich mit Instrumenten wie Subventionen, Einfuhrzöllen und Kapitalverkehrsbeschränkungen gegen die von den USA exportierte Inflation zur Wehr zu setzen. Der Währungskrieg breitet sich rasch aus. Dass die Fed im Billionen-Maßstab Dollar drucken lässt, mag ein neues Phänomen sein, Währungskriege sind es nicht. Währungskriege gab es schon zuvor – allein im 20. Jahrhundert zwei –, und noch jedes Mal sind sie schlecht ausgegangen. Im besten Fall zeigen Währungskriege das traurige Spektakel von Ländern, die von ihren Handelspartnern Wachstum stehlen. Im schlimmsten Fall arten sie zu einem Wechselspiel aus Inflation, Rezession, Vergeltung und tatsächlicher Gewalt aus, wenn der Wettlauf um Ressourcen mit Invasionen und Kriegen endet. Die historischen Präzedenzfälle sind schon ernüchternd genug, aber die Risiken heute sind noch größer, exponentiell gesteigert durch das Ausmaß und die Komplexität der weltweiten finanziellen Vernetzung und Verflechtung. Rätselhaft für viele Beobachter ist das krasse Unvermögen der Ökonomen, die wirtschaftlichen Katastrophen der letzten Jahre vorherzusagen, geschweige denn zu verhindern. Ihre Theorien haben nicht nur das Unglück nicht abgewendet, sondern sie verschlimmern die Währungskriege sogar noch. Die neuesten Lösungsvorschläge der Ökonomen, wie die Einführung einer neuer globalen Währung namens SZR, bergen versteckte neue Gefahren, ohne dabei auch nur ein einziges der aktuellen Dilemmata zu lösen. 15
Vorwort Zu den neuen Gefahren zählen nicht nur Bedrohungen des wirtschaftlichen Wohlergehens der Vereinigten Staaten, sondern auch ihrer nationalen Sicherheit. Seit die nationalen Sicherheitsexperten traditionell dem Finanzministerium überlassene Währungsfragen unter die Lupe nehmen, rücken kontinuierlich neue Bedrohungen ins Visier, von heimlichen Goldkäufen der Chinesen bis hin zu den heimlichen Agenden großer Staatsfonds. Größer als irgendeine einzelne Bedrohung aber ist die Gefahr, dass am Ende ein Zusammenbruch der amerikanischen Währung steht. Wie hochrangige Militärs und Geheimdienstler inzwischen erkannt haben, können die Vereinigten Staaten ihre einzigartige militärische Vorherrschaft nur mithilfe einer ebenso dominanten Rolle des US-Dollar aufrechterhalten. Das Ende des Dollar würde auch das Ende der nationalen Sicherheit der USA bedeuten. Auch wenn der Ausgang des gegenwärtigen Währungskriegs noch offen ist: Falls die amerikanischen und globalen Wirtschaftsführer es versäumen, aus den Fehlern ihrer Vorgänger zu lernen, droht uns aller Wahrscheinlichkeit nach in der einen oder anderen Form das Worst-Case-Szenario. Dieses Buch untersucht den aktuellen Währungskrieg aus dem Blickwinkel der Wirtschaftspolitik, der nationalen Sicherheit und historischer Präzedenzfälle. Es entwirrt das Geflecht aus fehlerhaften Paradigmen, naiven Wunschvorstellungen und schlichter Arroganz, das die derzeitige Politik anleitet, und weist den Weg hin zu einem besser informierten und effektiveren Handeln. Am Ende wird der Leser verstehen, warum der neue Währungskrieg der heute weltweit wichtigste Konflikt ist – der Konflikt, dessen Ausgang über den Ausgang aller anderen Konflikte entscheiden wird. 16
Teil 1 K riegsspiele

Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen »Das gegenwärtige internationale Währungssystem ist ein Produkt der Vergangenheit.«1 Hu Jintao, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, 16. Januar 2011 Das Applied Physics Laboratory, auf gut 160 Hektar ehemaligem Ackerland halbwegs zwischen Baltimore und Washington D.C. gelegen, gehört zu den Kronjuwelen in dem von den USA unterhaltenen System streng geheimer Hightech-Laboratorien für angewandte Physik und Waffenforschung. Die Einrichtung arbeitet eng mit dem Verteidigungsministerium zusammen, und zu ihren Spezialgebieten gehören fortschrittliche Waffensysteme und Weltraumerkundung. Mitarbeiter des Labors erzählen Besuchern gerne mit Stolz, dass sich entweder auf der Oberfläche oder doch zumindest in unmittelbarer Nähe des Mondes und jedes einzelnen Planeten im Sonnensystem ein vom APL entwickeltes Gerät befindet. Das Applied Physics Laboratory wurde 1942 kurz nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour in aller Eile aufgebaut, um mithilfe angewandter Wissenschaft die Entwicklung neuer Waffen voranzutreiben. Ein Großteil der Waffen, die das US-Militär in der Anfangszeit des Zweiten Weltkriegs benutzte, war entweder veraltet oder wirkungslos. Das Labor war ursprünglich in einer ehemaligen Gebrauchtwagenhandlung an der Georgia Avenue in Silver Spring, Maryland, untergebracht, die das Kriegsministerium requiriert hatte. Von Anfang an unterlag das Labor der Geheimhaltung, auch wenn sich die Sicherheitsmaßnahmen im Gegensatz zu den hochempfindlichen Sensoren und mehrstufigen Sicherheitsbereichen, die das Labor heute 19
Teil 1 Kriegsspiele schützen, damals noch auf ein paar bewaffnete Wachposten beschränkten. Die erste Mission des APL bestand in der Entwicklung eines Annäherungszünders für die Flugabwehr, mit dem sich Kriegsschiffe wirksamer gegen Luftangriffe verteidigen konnten und der später neben der Atombombe und dem Radar als eine der drei für den Sieg der USA im Zweiten Weltkrieg wichtigsten technologischen Neuentwicklungen betrachtet werden sollte. Nicht zuletzt wegen dieser frühen Erfolge sind die Programme, das Budget und die Einrichtungen des Labors seitdem kontinuierlich ausgebaut worden. Zu den in den letzten Jahrzehnten am APL für das Verteidigungsministerium und die NASA entwickelten Waffen- und Weltraumsystemen zählen der Tomahawk-Marschflugkörper, das Aegis-Raketenabwehrsystem und als Unikate hergestellte Raumflugkörper. Über die Waffen- und Weltraumforschung hinaus hat die Tätigkeit des Applied Physics Laboratory für das amerikanische Militär immer schon auch eine ausgeprägte intellektuelle und strategische Komponente aufgewiesen. Eine herausragende Stellung unter diesen abstrakteren Funktionen des APL nimmt das Warfare Analysis Laboratory ein, eine der US-weit führenden Einrichtungen für Planspiele und strategische Planung. Dank seiner Nähe zu Washington D.C. wird das Labor gerne für Kriegführungs­simulationen verwendet. Im Laufe der Jahrzehnte sind dort zahlreiche Kriegsplan­spiele durchgeführt wurden. Eben aus diesem Grund, zur ­Durchführung eines vom Pentagon in Auftrag gegebenen Planspiels, kamen an e­ inem regnerischen Morgen im März 2009 rund 60 Experten aus Militär-, Nachrichtendienst- und Wissenschaftskreisen im APL zusammen.3 Dieses Planspiel jedoch sollte anders sein als jedes andere vom USMilitär bis dahin durchgeführte. Laut Einsatzregeln war die Verwendung von, wie das Militär ­dazu sagt, »kinetischen Mitteln« – sprich Dingen, die schießen oder explodieren – verboten. Keine amphibischen Invasionen, keine ­Special Forces, keine Zangenbewegungen von Panzerverbänden. Das Pentagon wollte einen globalen Finanzkrieg durchspielen, bei dem nicht Schiffe und Flugzeuge, sondern Währungen und Kapitalkonten zum Einsatz kommen. 20
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die militärische Dominanz der Vereinigten Staaten bei konventionellen und fortschrittlichen High-Tech-Waffensystemen sowie in dem, was die Militärs als 4CI bezeichnen – command, control, communications, computers und intelligence, also Kommando, Kontrolle, Kommunikation, Computer und Informationsbeschaffung –, so überragend, dass kein feindliches Land es wagen würde, sie offen herauszufordern. Das heißt nicht, dass Kriege damit unmöglich geworden wären. Ein Schurkenstaat wie Nordkorea könnte einen militärischen Zwischenfall zum Anlass für einen größeren Angriff nehmen, ohne Rücksicht auf die drohenden Konsequenzen. Und die USA könnten in einen Krieg zwischen Ländern wie etwa dem Iran und Israel hineingezogen werden, sollten sie ihre nationalen Interessen bedroht sehen. Abgesehen von solchen Sondersituationen aber erscheint eine konventionelle militärische Auseinandersetzung mit den USA wegen ihrer drückenden Überlegenheit höchst unwahrscheinlich. Infolgedessen haben rivalisierende Nationen und transnationale Akteure wie die Dschihadisten sich in zunehmendem Maße auf den Ausbau ihrer Fähigkeiten in der nichtkonventionellen Kriegsführung konzentriert, zu der Cyberwarfare, biologische und chemische Waffen, andere Massenvernichtungswaffen und eben in neuester Zeit auch finanzielle Waffen zählen. Das Finanzplanspiel war der erste Versuch des Pentagons, eine Vorstellung davon zu erlangen, wie sich ein tatsächlicher Finanzkrieg abspielen könnte und welche Lehren daraus zu ziehen sind. Die Vorbereitungen für das Planspiel zogen sich über mehrere Monate hin, und ich war an den Strategiesitzungen und dem Spielaufbau beteiligt, die der eigentlichen Simulation vorausgingen. Auch wenn ein gut gestaltetes Planspiel darauf angelegt ist, unerwartete Resultate zu liefern und die Unwägbarkeiten eines realen Krieges zu simulieren, erfordert es dennoch einen Ausgangspunkt und Regeln, wenn es nicht ins Chaos abgleiten soll. Die Simulationsplaner vom APL gehören weltweit zu den Besten des Faches, aber dieses Finanzspiel erforderte zum Teil völlig neue Ansätze und nicht zuletzt ein Wall-Street-Expertenwissen, das dem typischen Physiker oder Militärplaner abgeht. Diese Lücke zu füllen, war meine Aufgabe. 21
Teil 1 Kriegsspiele Meine Verbindung mit dem Labor reicht in den Dezember 2006 zurück, als ich in Omaha, Nebraska, an einem vom U.S. Strategic Command, kurz STRATCOM, ausgerichteten Strategieforum teilnahm. Ich hielt dort einen Vortrag über eine neue Methode namens »Market Intelligence« beziehungsweise, wie Informationsexperten dazu sagen, MARKINT, bei der es darum geht, Kapitalmärkte auf handlungsrelevante Informationen über die Absichten der Marktteilnehmer hin zu analysieren. Hedgefonds und Investmentbanken nutzen derartige Methoden seit vielen Jahren, um sich Informationsvorsprünge im Zusammenhang mit Unternehmensübernahmen und staatlichen Politikwechseln zu verschaffen. Zusammen mit meinen Partnern, Chris Ray, einem erfahrenen Optionshändler und Risikomanager, und Randy Tauss, der kurz zuvor nach 35 Jahren bei der CIA in Pension gegangen war, hatte ich neue Methoden erkundet, diese Verfahren im Bereich der nationalen Sicherheit einzusetzen, um potenzielle Terrorangriffe im Voraus identifizieren und Angriffe auf den US-Dollar frühzeitig erkennen zu können. An der Veranstaltung in Omaha hatten auch mehrere Mitglieder des APL Warfare Analysis Lab teilgenommen, die mich später kontaktierten und wissen wollten, ob wir uns vorstellen könnten, an einer Integration der MARKINT-Konzepte in ihre Forschungen mitzuarbeiten. So kam es nicht völlig überraschend, als ich im Sommer 2008 einen Anruf erhielt und zu einem vom Büro des Verteidigungsministers finanzierten und vom APL ausgerichteten Seminar zum globalen Finanzmarkt eingeladen wurde. Erklärtes Ziel des für September anberaumten Seminars war es, »die Auswirkungen globaler Finanzaktivitäten auf nationale Sicherheitsfragen zu untersuchen«. Dieses Seminar gehörte zu einer ganzen Seminarreihe, die das Büro des Verteidigungsministers für den Spätsommer und Herbst 2008 als Vorbereitung auf das eigentliche Finanzplanspiel anberaumt hatte. Die Leute vom Pentagon wollten wissen, ob ein solches Planspiel überhaupt möglich und sinnvoll war. Zum Beispiel mussten sie sich Gedanken über die passenden »Teams« machen. Sollten die Teams Länder sein, Staatsfonds, Banken oder eine Mischung aus allem? Außerdem mussten sie über unwahrscheinliche, aber dennoch plausible Szenarien nachdenken, die die 22
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen Spieler umsetzen konnten. Eine Liste mit Experten musste erstellt werden, die als Teilnehmer infrage kamen, wobei möglicherweise auch Leute rekrutiert werden mussten, die bislang noch keine Erfahrungen mit Planspielen hatten. Und schließlich mussten auch noch die Regeln für die eigentliche ­Simulation festgelegt werden. Zum Schutz der höchst sensiblen Arbeit, die in dem Labor stattfindet, sind die Sicherheitsprozeduren für Besucher dort ebenso streng wie in anderen von der US-Regierung betriebenen Militär- oder Geheimdiensteinrichtungen. Sie beginnen mit Vorabuntersuchungen und der Überprüfung des Hintergrunds. Unmittelbar nach der Ankunft werden die Besucher in zwei Kategorien unterteilt – »Keine Begleitung« oder »Begleitung erforderlich« – und erhalten je nachdem verschiedenfarbige Anstecker. In der Praxis macht sich der Unterschied zwar hauptsächlich bei Ausflügen zur Kaffeemaschine bemerkbar, aber die implizite Übereinkunft ist, dass die Träger der »KeineBegleitung«-Buttons eine aktuelle Sicherheitsfreigabe der höchsten Stufe von ihren jeweiligen Behörden oder Arbeitgebern besitzen müssen. Blackberrys, iPhones und andere digitale Geräte müssen im Sicherheitsbüro abgegeben werden, wo man sie beim Verlassen der Anlage wieder abholen kann. Röntgenscanner, Metalldetektoren, abgestufte Sicherheitszonen und bewaffnete Posten sind Routine. Hat man erst einmal alle Kontrollen durchlaufen, befindet man sich wahrhaftig im Inneren des militärisch-industriellen Komplexes. An dem Treffen im September nahmen insgesamt rund 40 Personen teil, darunter mehrere bekannte Wissenschaftler, Experten aus Denkfabriken, Geheimdienstbeamte und uniformierte Militärs. Ich war einer von fünf Teilnehmern, die gebeten worden waren, an diesem Tag eine Präsentation zu halten, und mein Thema waren Staatsfonds. Staatsfonds sind riesige Investmentfonds, die von Ländern eingerichtet werden, um überschüssige Reserven zu investieren, viele davon mehrere 100 Milliarden US-Dollar schwer. Bei diesen Reserven handelt es sich im Regelfall um Devisenüberschüsse, zumeist in US-Dollar, die Länder durch den Export natürlicher Ressour- 23
Teil 1 Kriegsspiele cen oder von Industrieerzeugnissen erwirtschaftet haben. Die größten Devisenreserven werden von Erdöl exportierenden Ländern wie Norwegen oder den arabischen Staaten sowie von industriellen Exportgroßmächten wie China oder Taiwan gehalten. Traditionell wurden diese Reserven von den Zentralbanken der jeweiligen Länder auf höchst konservative Weise gemanagt und Investitionen auf sichere, liquide Instrumente wie USSchatzwechsel beschränkt. Diese Strategie stellte zwar die Liquidität sicher, brachte aber keine hohen Renditen und begünstigte die Konzentration der Portfolios. Mit anderen Worten, die Überschussländer legten ihre Eier alle in einen Korb und erhielten dafür nicht allzu viel Gegenleistung. Aufgrund der in den 1990er-Jahren zum Teil infolge der Globalisierung einsetzenden rapiden Zunahme der Devisenreserven suchten die Überschussländer nach Mitteln und Wegen, wie sie höhere Renditen auf ihre Investitionen erhalten konnten. Eine Aufgabe, für die die Zentralbanken nicht sonderlich gut aufgestellt waren, da es ihnen an den Investmentexperten und Portfolio­ managern zur Auswahl der Aktien, Rohstoffe, Beteiligungsfonds, Immobilien und Hedgefonds mangelte, über die der Weg zu höheren Renditen führte. Deshalb wurden für diese Aufgabe eigene Staatsfonds eingerichtet; die ersten dieser, wie sie im Finanzjargon heißen, SWFs (für sovereign wealth funds) entstanden bereits vor einigen Jahrzehnten, die meisten aber sind erst in den letzten zehn Jahren gegründet und von ihren Regierungen mit gewaltigen Mitteln aus den Zentralbankreserven und dem Auftrag ausgestattet worden, rund um die Welt diversifizierte Portfolios und Investments aufzubauen. In ihrer grundlegenden Form sind Staatsfonds ökonomisch sinnvoll. Die meisten Mittel werden professionell und ohne geheime politische Agenda im Hintergrund investiert. Doch das ist nicht immer der Fall. Manche Investitionen sind eher von Eitelkeit motiviert, so etwa die Investitionen nahöstlicher Staatsfonds in Formel-1-Rennteams wie McLaren, Aston Martin und Ferrari, andere aber politisch und ökonomisch überaus einflussreich. In der ersten Hälfte der weltweiten Rezession, die 2007 einsetzte, wurden die Bankenrettungspläne hauptsächlich mit Mitteln aus Staatsfonds finanziert. En- 24
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen de 2007 und Anfang 2008 investierten Staatsfonds über 58 Milliarden USDollar in die Stützung der Großbanken Citigroup, Merril Lynch, UBS und Morgan Stanley. China trug sich Anfang 2008 mit dem Gedanken, nochmals eine Milliarde Dollar in die Investmentbank Bear Stearns zu investieren, nahm davon aber wieder Abstand, als sich die Bank Anfang März dem Kollaps näherte. Nachdem diese Investitionen in der Panik von 2008 stark reduziert wurden, musste die US-Regierung die Weiterführung der Rettungspläne mit Steuergeld finanzieren. Die Staatsfonds fuhren bei diesen frühen Investitionen zwar immense Verluste ein, aber die Unternehmensanteile und der damit erworbene Einfluss blieben. In meinem Vortrag konzentrierte ich mich auf die Schattenseiten der Staatsfondsinvestments, ihre Möglichkeit, mithilfe von Tarngesellschaften wie Trusts, Treuhandverwaltungen, Schweizer Privatbanken und Hedgefonds zu agieren. Diese erfüllen die gleiche Funktion wie das, was man im Geheimdienstjargon »Verbindungsoffizier« nennen würde. Im Schutze solcher Fassadengesellschaften können Staatsfonds dazu benutzt werden, missbräuchlichen Einfluss auf Zielunternehmen zu gewinnen, zum Beispiel, um Technologien zu stehlen, neue Projekte zu sabotieren, die Konkurrenz zu ersticken, Angebotsabsprachen zu treffen oder Märkte zu manipulieren. Ich behauptete nicht, dass derartige Aktivitäten weit verbreitet oder gar die Regel wären, nur dass sie möglich sind und die Vereinigten Staaten geeignete Maßnahmen zum Schutz ihrer nationalen Interessen ergreifen sollten. Über diese konkreten Bedrohungen hinaus warnte ich vor einer noch weit größeren potenziellen Gefahr: der Gefahr eines umfassenden Angriffs auf die westlichen Kapitalmärkte, um den Motor der kapitalistischen Gesellschaft lahmzulegen. Meine Präsentation enthielt Kennziffern und Systemspezifizierungen, anhand derer sich das Verhalten von Staatsfonds überwachen, hinter den Kulissen vorbereitete böswillige Aktionen erkennen und die Angriffspunkte des Finanzsystems – sozusagen die Suezkanäle und Straßen von Hormus des Informationszeitalters – identifizieren lassen, sodass man sie zur Verhinderung oder Abwehr künftiger Finanzattacken überwachen konnte. 25
Teil 1 Kriegsspiele Am Ende des zweitägigen Seminars waren die anwesenden Beamten des Verteidigungsministeriums überzeugt, dass das Labor einen soliden Stamm an Experten, Fragestellungen und Bedrohungsanalysen zusammengestellt hatte, auf dessen Grundlage sich das Planspiel eine Stufe weiter führen ließ. Einen Monat später, im Oktober, kam die Kerngruppe der Experten nochmals im Labor zusammen, um das Finanzplanspiel weiterzuentwickeln. Zusätzlich zu den Gastgebern vom APL und den Projektförderern vom Verteidigungsministerium waren diesmal auch Repräsentanten weiterer Ministerien, darunter des Handels- und Energieministeriums, mehrerer Universitäten, des Naval War College, mehrerer Denkfabriken einschließlich des Peterson Institute und der RAND Corporation sowie weiterer Forschungslabore und ein paar hochrangige Militärs vom Generalsstab anwesend. Allerdings fehlten, wie mir auffiel, Experten, die Erfahrungen mit den Kapitalmärkten hatten. Ich war der Einzige im Raum, dessen Lebenslauf eine längere Karriere an der Wall Street enthielt und der Zeit in Investmentbanken, Hedgefonds und an Börsen verbracht hatte. Wenn wir einen Finanzkrieg durchspielen wollten, brauchten wir Leute, die wussten, wie man Finanzwaffen einsetzt – wie Front Running, Insiderinformationen, Gerüchte, die Vortäuschung eines hohen Handelsvolumens durch Ringhandel, Short Squeezes und die ganzen anderen Tricks und Kniffe, mit denen an der Wall Street operiert wird. Wir brauchten Leute, die, um es mit den unsterblichen Worten der Bankerlegende John Gutfreund zu formulieren, bereit waren, »einem Bären in den Hintern zu beißen«, wenn es um den Handel mit Währungen, Aktien und Derivaten geht. An Testosteron mangelte es den im Raum versammelten uniformierten Militärs und Geheimdienstlern sicherlich nicht, aber darüber, wie man ein Land mit Credit Default Swaps (CDS) in den Ruin treibt, wussten sie ebenso wenig wie der durchschnittliche Börsenmakler über die Zündfolge von Interkontinentalraketen. Sollte dieses Projekt Erfolg haben, musste ich dem Verteidigungsministerium die Erlaubnis abringen, ein paar meiner Kollegen mit an Bord zu holen, um das Spiel realistischer und damit auch aussagekräftiger für sie zu machen. 26
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen Bei diesem Treffen hielt ich einen Vortrag über Futures und Derivate und erklärte, wie man mithilfe solcher Hebelinstrumente die ihnen zugrunde liegenden realwirtschaftlichen Märkte manipulieren kann, darunter auch solche für strategische Rohstoffe wie Öl, Uran, Kupfer und Gold. Ich legte auch dar, wie das Verbot der Regulierung von Derivaten im von Senator Phil Gramm eingebrachten und von Präsident Clinton 2000 unterzeichneten Gesetz zur Modernisierung von Warentermingeschäften, dem Commodity Futures Modernization Act, das Tor weit für ein exponentielles Wachstum des Umfangs und der Vielfalt dieser Instrumente aufstieß, die nun aus den Bilanzen der Großbanken verschwanden und damit praktisch nicht mehr zu überwachen waren. Zum Schluss skizzierte ich, wie Tarnfirmen, Staatsfonds und die Hebelwirkung von Derivaten kombiniert werden könnten, um ein finanzielles Pearl Harbour zu inszenieren, das die Vereinigten Staaten völlig unvorbereitet treffen würde. Die Vorbereitungsseminare begannen ihren Zweck zu erfüllen; die Militär-, Geheimdienst- und außenpolitischen Experten befanden sich jetzt auf derselben Wellenlänge wie die Finanzexperten, und die Gefahren, die von der finanziellen Kriegführung ausgingen, wurden immer deutlicher. Die dritte Planungssitzung unserer Gruppe fand Mitte November statt, und auch diesmal saßen ein paar neue Gesichter mit am Tisch, darunter hochrangige Beamte aus der Geheimdienstszene. Die Diskussionen drehten sich nun nicht mehr um die Machbarkeit eines Finanzplanspiels; zu diesem Zeitpunkt war der Startschuss schon gefallen, und wir befanden uns bereits in der Phase der Spielkonzeption. Ich stellte detaillierte finanzielle Kriegführungsszenarien vor und plädierte dafür, wegen der komplexen Dynamik der Kapitalmärkte unvorhersagbare, für Angreifer und Verteidiger gleichermaßen überraschende Ergebnisse in die Spielkonzeption aufzunehmen. Am Ende der Sitzung hatten das Verteidigungsministerium und das APL-Spielkonzeptionsteam ausreichend Input von den Experten erhalten, um den schlussendlichen Spielaufbau zu vervollständigen. Nun mussten nur noch die Teilnehmer ausgewählt und ein Termin festgelegt werden, und das Planspiel konnte beginnen. 27
Teil 1 Kriegsspiele Nach einigen Verzögerungen und der Ungewissheit in der Zeit der Stabübergabe im Weißen Haus gab die Regierung Obama schließlich grünes Licht, und Ende Januar 2009 wurden die offiziellen Einladungen verschickt. Das Planspiel sollte am 17. und 18. März über zwei Tage hinweg im Warfare Analysis Laboratory des APL stattfinden, und zwar in dem imposanten Lageraum, in dem schon so viele Simulationen durchgeführt worden waren. Alle Planspiele weisen bestimmte gemeinsame Elemente auf. Es treten zwei oder mehr Teams beziehungsweise Zellen gegeneinander an, die für gewöhnlich nach den beteiligten Ländern oder nach Farben benannt sind. Bei einem typischen Spiel kämpft zum Beispiel eine rote Zelle, üblicherweise die Bösen, gegen eine blaue Zelle, also die Guten, aber es gibt auch Spiele mit mehreren Parteien. Eine weitere kritische Zelle ist die sogenannte weiße Zelle, die aus dem Spielleiter und als Schiedsrichtern eingesetzten Teilnehmern besteht. Die weiße Zelle entscheidet, ob ein bestimmter Spielzug erlaubt ist und welche Partei die jeweilige Spielrunde gewonnen hat. Üblicherweise weisen die Spielentwickler den Zellen konkrete Ziele oder Aufgaben zu; danach wird von den Spielern erwartet, dass sie auf der Grundlage logischer Überlegungen Züge ausführen, die zur Erreichung dieser Ziele beitragen (und nicht etwa unerklärliche Bewegungen vollziehen). Mithilfe von Politikwissenschaftlern, Militärstrategen und anderen Analysten wird das Konzeptteam die alle Spieler betreffenden Ausgangsbedingungen beschreiben – mit anderen Worten, die Startlinie definieren. Schließlich werden noch Machtparameter definiert, anhand derer die relative Stärke jeder Zelle vor Beginn des Spiels festgelegt wird, so wie vor Ausbruch eines Kriegs manche Armeen größer sind als andere oder eine Volkswirtschaft ein größeres industrielles Potenzial hat als eine andere. Sobald das Spiel begonnen hat, führen die Teilnehmer Züge für jede Z ­ elle durch, während die weiße Zelle je nach ihrer Bewertung des Erfolgs und Misserfolgs eines Zugs den Zellen Punkte gutschreibt oder abzieht. Weitere Spielparameter, die festgelegt werden, sind die Anzahl der Tage, über die das Spiel läuft, und die Zahl der pro Tag erlaubten Züge. Das ist eine wichti- 28
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen ge praktische Beschränkung, da die wenigsten externen Experten ihre sonstigen beruflichen Pflichten länger als zwei oder drei Tage am Stück vernachlässigen können. Ich war zwar kein Kriegsplanspielexperte, aber als der ausgewiesene Fachmann in Sachen Wall Street arbeitete ich Seite an Seite mit den Spielkonzipierern zusammen, um die Welt, die ich kannte, in die Kategorien, Zeitpläne, Regeln und Budgets einzupassen, die sie in ihren Parametern festgelegt hatten. Eines meiner wichtigsten Anliegen dabei war sicherzustellen, dass der Spielaufbau auch unkonventionelle Szenarien zuließ. Schließlich wusste ich, dass bei einem realen Finanzangriff auf die Vereinigten Staaten kaum so offenkundige Züge wie der massive Verkauf von US-Schatzanleihen auf dem offenen Markt ausgeführt würden, da der amerikanische Präsident nahezu diktatorische Vollmachten besitzt, sämtliche Kapitalkonten einzufrieren, über die derartige Marktmanipulationen ausgeführt werden. Bei einem realen Angriff würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schwer zu identifizierende Deckfirmen und schwer zu überwachende Derivate zum Einsatz kommen. Vor allem würde ein solcher Finanzangriff aller Wahrscheinlichkeit nach auf den US-Dollar selbst abzielen. Das Vertrauen in den Dollar zu untergraben, wäre weitaus effektiver, als irgendein auf Dollar lautendes Instrument massenhaft auf den Markt zu werfen. Würde der Dollar kollabieren, so würden auch alle in Dollar geführten Märkte kollabieren, und die Macht des Präsidenten, Kapitalkonten einzufrieren, wäre hinfällig. Ich wollte sicherstellen, dass der Spielaufbau einen echten Währungskrieg zuließ, nicht nur einen mit Aktien, Anleihen und Rohstoffen geführten Krieg. Die letzten Puzzlestücke kamen zusammen. Das Team beschloss, dass wir auf jeden Fall mit einer US-Zelle, einer Russland-Zelle und einer China-Zelle spielen würden. Darüber hinaus sollte es eine Zelle für den Pazifischen Raum geben, der unter anderem Japan, Südkorea, Taiwan und Vietnam angehörten. Das war zwar nicht ideal, weil beispielsweise Südkorea und Taiwan als eigenständige Staaten je nachdem, worum es ging, höchst unterschiedliche Positionen einnehmen konnten, aber diese Art von Kompro- 29
Teil 1 Kriegsspiele missen war unumgänglich, wollten wir das Budget einhalten und das Spiel zum Laufen bringen. Außerdem sollte es noch eine graue Zelle geben, die den Rest der Welt repräsentierte. (Ich war mir nicht sicher, wie erfreut reale Europäer gewesen wären, hätten sie erfahren, dass sie keine eigene Zelle bekamen und sich ihre Plattform mit dem IWF, Hedgefonds und den Cayman Islands teilen mussten.) Schließlich gab es natürlich noch die allmächtige weiße Zelle, die den Kurs festlegte und das Spiel die ganze Zeit über unter Kontrolle hatte. Das Spiel sollte in drei Zügen über zwei Tage gespielt werden. Zwei Züge sollten am ersten Tag ausgeführt werden, der dritte am zweiten Tag, sodass noch Zeit für eine Nachbesprechung blieb. Jede Zelle sollte einen separaten Raum bekommen, der als »Hauptstadt« diente und in dem sie über ihre Züge beratschlagten, während für den Lageraum Plenarsitzungen vorgesehen waren, auf denen die Zellen ihre Züge ausführen und ihre Gegner reagieren würden. Die weiße Zelle sollte die Plenarsitzungen leiten und je nach Spielverlauf dem »nationalen Machtindex« der Zellen Punkte gutschreiben oder abziehen. Bei jedem Spielzug konnten die Zellen an festgelegten Plätzen bilaterale Gipfel abhalten oder Verhandlungen mit anderen Zellen führen. Faszinierenderweise sollte jede Zelle mehrere Joker erhalten, die Maßnahmen und Reaktionen ermöglichten, welche in den Eröffnungsszenarien für die einzelnen Züge nicht enthalten waren. Obwohl das zum ersten Mal und mit einem knappen Budget durchgeführt wurde und die Resultate bei Spielbeginn alles andere als absehbar waren, waren wir dank der Kombination aus Gipfeltreffen und Jokern zuversichtlich, dem Pentagon zeigen zu können, wie ein unkonventioneller Finanzkrieg in Realität ablaufen könnte. Als wir unser Konzept abschlossen, wies ich nochmals darauf hin, dass wir sehr einseitig mit Teilnehmern vom Militär, den Geheimdiensten und Denkfabriken besetzt waren, aber mit Ausnahme von mir niemanden von der Wall Street hatten. Ich wusste, wenn wir nur die üblichen Verdächtigen einluden, würden wir sehr vorhersagbare Aktions-/Reaktions-Funktionen erhal- 30
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen ten. Was Makroökonomie und Strategie angeht, sind diese Leute brillant, aber keiner von ihnen versteht wirklich, wie die Kapitalmärkte vor Ort, an der Front, funktionieren. Ich wiederholte meinen Wunsch, ein paar Investmentbanker und Hedgefondsmanager mit ins Boot zu holen. Und tatsächlich: Im Budget war noch Luft für zwei weitere Teilnehmer, und so erhielt ich die Erlaubnis, zwei qualifizierte Leute auszusuchen. Mein erster Kandidat war Steve Halliwell, ein erfahrener Banker und Kapitalinvestor, fit, elegant, lebhaft und mit seiner dickrandigen Brille und einem stets kahlrasierten Haupt unverwechselbar. Steve, der 1963, in der Zeit von Kennedy und Chruschtschow, vom Wesley College aus als einer der ersten amerikanischen Austauschstudenten nach Russland gegangen war, ist so etwas wie der Fleisch gewordene altgediente Russlandexperte. Später, nach seinem Abschluss an der Columbia University, arbeitete er lange Zeit bei der Citibank, unter anderem wirkte er am Aufbau der Moskauer CitibankNiederlassung mit, bevor er in den 1990er-Jahren einen der ersten amerikanisch-russischen Investmentfonds an den Start brachte. Sein Vorrat an russischen Anekdoten ist unerschöpflich, und er versteht jede einzelne davon in schillernden Farben und mit einem ausgeprägten Sinn für Humor zu erzählen. Er spricht Russisch wie ein Einheimischer und verfügt dank seiner Investment- und Bankaktivitäten über ein eng geknüpftes Netzwerk an Verbindungen im ganzen Land. Steve und ich hatten im Winter 2008 eine Woche mit Marktforschungen für mehrere meiner Hedgefonds-Kunden in Moskau verbracht. Neben dem Zauber des nächtlichen Schneefalls auf dem Roten Platz werde ich von dieser Reise auch die üppigen Mengen an Wodka und Kaviar wohl nicht so schnell vergessen, die wir mit unseren russischen Gastgebern konsumierten. Ich wusste, er wäre perfekt dafür geeignet, die russische Seite in diesem vom Pentagon inszenierten Finanzkriegspiel zu repräsentieren, und er sagte auch sofort zu. Nun musste ich noch einen zweiten Mitspieler anwerben. Da Steve hauptsächlich mit Aktienfonds zu tun hatte und ein eher langfristig orientierter Investor war, brauchte ich jetzt noch jemanden, der mehr mit dem Tages- 31
Teil 1 Kriegsspiele geschäft der Märkte zu tun hatte, jemand, der die markttechnischen Signale verstand, sprich die kurzfristigen Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage, die die Wertpapierkurse von ihren Fundamentaldaten abkoppeln und vermeintlich rationale Investoren auf dem falschen Fuß erwischen konnten. Ich brauchte jemand, der die gesamte Trickkiste im Umgang mit Orders der Größenordung beherrschte, die geeignet waren, einen Markt zu drehen und die Arglosen im Regen stehen zu lassen. Also griff ich zum Telefon und rief einen Freund an, der seit über dreißig Jahren an vorderster Front mit dabei war und auf der Street unter dem Kürzel »O.D.« firmierte. Ich kannte Bill O’Donnell seit Jahrzehnten, seit unserer gemeinsamen Zeit bei Greenwich Capital, dem wichtigsten Handelshaus für Staatsanleihen. Bill ist einer der smartesten Börsenhändler und hat immer ein Lächeln im Gesicht – außer er arbeitet an einer Order für einen Kunden. Er hat niemals schlechte Laune und verliert niemals die Beherrschung, was auf dem Börsenparkett eher die Ausnahme ist. Bill, silbergraues, gewelltes Haar, e­ dle Klamotten und attraktiv, hat eine unkomplizierte Art, die ihn zu einer der beliebtesten Personen im Anleihengeschäft macht, das ansonsten für seinen hohen Anteil an wenig einnehmenden Alphatieren bekannt ist. Er liebt das Geschäft und hat schon so gut wie alles miterlebt, vom Beginn der Hausse 1982 bis hin zu der sich ab 2002 aufblähenden Immobilienblase. Als ich ihn Anfang 2009 anrief, arbeitete er als Leiter der Abteilung für Zinsstrategie für die Schweizer Großbank UBS in deren nordamerikanischem Geschäftssitz in Stamford, Connecticut. Wie die meisten Wall-Street-Leute, die ich zur Unterstützung für die nationale Sicherheit betreffende Projekte angeworben hatte, erfasste er die Situation sofort und konnte sich gar nicht schnell genug als Freiwilliger anbieten. Nachdem er die Sache mit seinem Vorgesetzten bei der UBS durchgesprochen hatte, rief er mich ein paar Tage später zurück. »Ich bin dabei«, sagte er. »Sag mir einfach, wo ich hinkommen soll. Das wird großartig, die Generäle und Geheimdienstler aufzumischen. Ich kann es kaum erwarten.« Damit war das auch geklärt. 32
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen Steve wurde natürlich der russischen Zelle zugeteilt. O.D. kam zur grauen Zelle, die unter anderem Hedgefonds und Schweizer Banken repräsen­ tierte – also ebenfalls eine passende Besetzung. Ich wurde in die China-Zelle gesteckt, zusammen mit einem bekannten Harvard-Wissenschaftler, einem sehr intellektuellen Analysten der RAND Corporation und zwei weiteren Asienexperten. Bis zum Finanzkrieg waren es nur noch ein paar Wochen, und es war an der Zeit, ein paar Fallen aufzustellen – sprich das zu tun, was die Militärs »das Schlachtfeld vorbereiten« nennen. Ich wusste, dass Russland das Spiel mit deutlich weniger nationaler Stärke als die Vereinigten Staaten oder selbst China beginnen würde. Tatsächlich brachte es Russland laut seinem nationalem Machtindex nur auf zwei Drittel der Stärke der Vereinigten Staaten, während China irgendwo dazwischen lag. Was mich betraf, hieß das nur, dass Russland klüger und härter spielen und etwas Unerwartetes tun musste, um die Vereinigten Staaten aus dem Konzept zu bringen. Als Amerikaner, der sich Sorgen machte über den ökonomischen Kurs, den unser Land steuerte, und über unsere Verwundbarkeit gegenüber Finanzattacken wollte ich, dass die Vereinigten Staaten in der Spielumgebung einen Schock oder zumindest einen herben Rückschlag erlitten. Das schien mir der beste Weg, unserem Land einen Dienst zu erweisen und ein paar Leuten im Verteidigungsministerium und in der Geheimdienstszene die Augen zu öffnen, bevor es in der realen Welt zu einem ernsthaften Angriff kam. Die Tatsache, dass Steve, O.D. und ich nicht im US-Team spielten, eröffnete uns die Möglichkeit, für eben einen solchen Schock zu sorgen. Dass wir mit weniger nationaler Stärke an den Start gingen, bedeutete nur, dass wir kreativer sein – und heimlicher agieren – mussten. Das Ten Twenty Post ist ein beliebtes Bistro in Darien, Connecticut, unweit meines Zuhauses und auch nicht weit von Westchester County, New York, wo Steve wohnt. Darüber hinaus wird es gerne von den Investmentbankern frequentiert, die bei der RBS und UBS im benachbarten Stamford arbeiten. Mit seiner Mahagoni-Bar, den Messingverzierungen, den Kronleuchtern 33
Teil 1 Kriegsspiele und den weißen Tischdecken beschwört es von Erscheinen und Anmutung her den Eindruck eines französischen Originals herauf. Eine Woche vor Beginn des Planspiels schlug ich Steve vor, uns dort zum Essen zu treffen und gemeinsam eine Strategie auszuarbeiten, wie wir die Vereinigten Staaten in die Defensive drängen konnten. Bei Austern, Weißwein und Wodka, zu dem wir mit Na Sdarovje! anstießen, schwelgten wir zunächst ein bisschen in Erinnerungen an unsere Moskauer Abenteuer, machten uns dann aber zügig an die Arbeit. Ich gab Steve eine nachgemachte Presseerklärung der russischen Zentralbank, die ich schon vor einer Weile geschrieben und in ein paar Artikeln und Vorlesungen verwendet hatte. Darin wurde angekündigt, dass Russland seine gesamten Goldbestände in der Schweiz deponieren und parallel dazu in London eine neue Bank gründen werde. Die Bank sollte dann eine neue, goldgebundene und mit dem Gold in den Schweizer Tresoren besicherte Währung herausgeben. Zunächst würde Russland den Gesamtbestand der neuen Währung halten. Aber jedermann stünde es frei, Gold einzuzahlen und dafür entsprechende Noten in der neuen Währung zu erhalten. Nach der Erwähnung einiger technischer Voraussetzungen zur Realisierbarkeit des Plans wie Kreditgewährungs- und Clearingeinrichtungen folgte der eigentliche Clou: Ab sofort würden sämtliche russischen Erdöl- und Erdgasexporte in der ­neuen Währung bezahlt werden müssen. US-Dollar würden nicht mehr akzeptiert werden. »Jim, ich mache mir Sorgen um dich – du fängst ja an wie ein Russe zu denken«, sagte Steve. »Von dir ist das ein großes Lob«, erwiderte ich. »Warum gehst du über die Schweiz und London?« »Keiner traut den Russen, dass sie sich nicht doch mit dem Gold davonmachen«, antwortete ich. »Den Schweizern und den Briten dagegen traut man. 34
Kapitel 1 – Kriegsvorbereitungen Wenn man also die ganze Sache unter ihren Rechtssystemen abwickelt, werden die Leute keine Angst haben, ihr Gold dort zu deponieren.« »Richtig. Die Russen suchen seit Jahren nach einem Weg aus dem DollarSystem. Sie versuchen, nach unseren Regeln zu spielen, werden aber jedes Mal über den Tisch gezogen«, sagte Steve. »Das hier wäre perfekt für sie.« »Also, der Deal sieht folgendermaßen aus«, sagte ich und lehnte mich zu Steve vor. »Wenn du diesen Zug für Russland spielst, sorge ich dafür, dass China mitgeht. Wenn du es nicht schaffst, Russland zu diesem Zug zu bewegen, werde ich versuchen, die Idee von China aus zu zünden. So oder so werden wir sie ins Spiel bringen und versuchen, den Dollar abzuschießen. Das wird die US-Seite ziemlich schockieren. Das Pentagon gibt viel Geld aus, um aus dieser Sache etwas zu lernen. Geben wir ihnen etwas für ihr Geld.« Steve nahm das Blatt mit der getürkten Presseerklärung, faltete es und steckte es in seine Jackentasche, um es zu Hause nochmals im Detail durchzugehen. Wir kippten unseren Wodka hinunter und brachen auf, entschlossen, unseren heimlichen Angriff auf den Dollar in die Tat umzusetzen. Steve, O.D. und der Rest von uns waren bereit, den Krieg zu beginnen. In den zwei Tagen, die das Spiel dauerte, sollte es sehr schnell ein Eigenleben entwickeln und einer ganzen Menge Leute die Augen dafür öffnen, wie Märkte funktionieren und wie finanziell verwundbar Länder tatsächlich sind. 35
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg »Das vorrangige kurzfristige Sicherheitsproblem der Vereinigten ­Staaten sind die globale Wirtschaftskrise und ihre geopolitischen Implikationen … In der Tat bergen politische Maßnahmen … wie ein Wettlauf der Währungsabwertung … das Risiko, eine Welle des destruktiven Protektionismus auszulösen.« Dennis C. Blair, Direktor der nationalen Nachrichtendienste der USA, Februar 2009. Tag eins Das Erste, was mir auffiel, als wir an diesem regnerischen Märzmorgen zum Kriegsspiel ins Labor kamen, waren die gleich in mehreren Reihen auf dem Parkplatz abgestellten schweren Motorräder – Kawasakis, Suzukis und dergleichen mehr. Offensichtlich haben Physiker, die in der Waffenentwicklung arbeiten, auch eine wilde Seite. Wir waren auf dem Weg zu Gebäude 26, einem für uns neuen Ort. Wir parkten auf einem angrenzenden Parkplatz und begaben uns zum Haupteingang. Nachdem wir die Sicherheitskontrollen passiert, unsere Handys abgegeben und unsere Besucherausweise erhalten hatten, gingen wir nach oben. Nach Monaten, in denen wir uns in Seminarräumen und Büros getroffen hatten, durften wir nun zum ersten Mal den Lage­raum des Warfare Analysis Lab, den sogenannten War Room, betreten. Was ich sah, enttäuschte mich nicht. Aufgewachsen in den Zeiten des Kalten Kriegs, hatte ich meine Vorstellungen davon, wie die Kommandozentralen aussahen, von denen aus Atomkriege gefochten wurden, aus Filmklassikern wie Dr. Seltsam, oder wie ich lernte die Bombe zu lieben und Angriffsziel M ­ oskau. Nun betraten wir etwas, das ganz ähnlich aussah, 36
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg aber nicht, um mit B-52-Langstreckenbombern zu kämpfen, sondern mit ­Währungen. Der Lageraum des APL verfügt über elektronische Gefechtsstationen und Beobachtungsposten für etwa 100 Teilnehmer und Beobachter. Der recht­ eckige Raum ist mit vier wandhohen Bildschirmen an der Vorderseite und einer Phalanx von 50-Zoll-Plasmabildschirmen an beiden Seitenwänden ausgestattet, auf denen zusätzliche Teilnehmer von entfernten Standorten eingeblendet oder ergänzende Grafiken und Informationen präsentiert werden können. Auf der untersten Ebene direkt vor den wandhohen Bildschirmen steht ein zentraler trapezförmiger Tisch für zwölf Personen. Flankiert wird dieser Tisch von vier Reihen mit langen Tischen, zwei auf jeder S ­ eite, die auf einem leicht erhöhten Niveau stehen und fächerförmig zur Mitte hin angeordnet sind. Im rückwärtigen Teil des Raums, auf einem nochmals erhöhten Mezzanin, befinden sich mehrere Reihen zusätzlicher Beobachtungsstationen, die im rechten Winkel zu den Haupttischen auf der unteren Ebene ausgerichtet sind. Ganz hinten, an der rückwärtigen, den Bildschirmen gegen­überliegenden Wand fällt der Blick auf mehrere getönte Glasfenster, hinter denen sich ein separater Raum mit fünf zusätzlichen Gefechts­stationen und einigen Stehplätzen verbirgt. Wie ich später erfuhr, wurde dieser Raum von hochrangigen Militärbeobachtern genutzt, die den Spielverlauf mitverfolgen wollten, ohne dass die anderen Teilnehmer etwas davon merkten. Rechts von den Bildschirmen an der Stirnseite befand sich ein Podium mit einem Mikrofon, von wo aus die Sprecher der Zellen ihre Züge und ihre Antwort auf die Züge der anderen Zellen bekannt geben konnten. Jede Gefechtsstation war mit einem Laptop ausgerüstet, und diese waren über eine Groupware vernetzt, sodass jeder Spieler innerhalb seiner Gruppe kontinuierlich Kommentare zum Spielverlauf abgeben konnte, noch während die anderen ihre Züge und Motive beschrieben. An den Lageraum angrenzend befand sich ein Technikraum, von dem aus die Bildschirmprojektionen kontrolliert und die Groupware überwacht wurde, die den laufenden Kommentarmodus unterstützte. 37
Teil 1 Kriegsspiele Von dem zum Lageraum führenden Flur gingen Türen zu mehreren großen Besprechungsräumen ab, die als »Hauptstädte« der konkurrierenden Länder beziehungsweise Parteien dienten. Jeder dieser Räume war mit einem großen Wandbildschirm und Laptops ausgerüstet, die an die separate Groupware angeschlossen waren, auf die nur die Mitglieder der Zelle zugreifen konnten. Weitere Räume waren als Austragungsorte für Gipfelkonferenzen und bilaterale Verhandlungen reserviert worden, falls die Zellen zu vertraulichen Meetings außerhalb des Lageraums zusammenkommen wollten. Sämtliche Räume – der Lageraum, die Hauptstädte und die für Gipfel- und bilaterale Konferenzen vorgesehenen Zimmer – waren mit Workstations für die Mitarbeiter des Labors ausgestattet, die als Vermittler, Analysten und neutrale Beobachter der Abläufe fungierten. Obwohl wir autonome Akteure waren, konnten wir nur schwer den Eindruck abschütteln, zugleich Laborratten in einem vom APL durchgeführten größeren Experiment zu sein. Bei einem vom Labor bereitgestellten Frühstücksbüffet hatten wir Gelegenheit, uns mit den anderen Spielern bekannt zu machen. Anschließend begaben wir uns in den Lageraum und nahmen die uns zugewiesenen Plätze ein. Die Mitglieder der weißen Zelle, die Schiedsrichter, saßen an dem großen, trapezförmigen Tisch im Zentrum. Die fünf Teams, die russische, die amerikanische, die pazifische, die chinesische und die graue Zelle (die »Alle-anderen-Gruppe«) sowie einige Beobachter vom Pentagon und den Geheimdiensten saßen an den fächerartig um die weiße Zelle herum angeordneten Tischen. Über die gesicherte Website des Warfare Analysis Lab, Codename WALRUS, waren wir alle vorab mit ausführlichen Briefing-Unterlagen versorgt worden, die ausgedruckt ein beachtliches Gewicht auf die Waage brachten, darunter ein Spielüberblick, in dem die relative »nationale Stärke« der einzelnen Teams zusammen mit einer detaillierten Erklärung dafür angegeben war. Der Überblick enthielt auch die Anweisung, dass die »Spielerzellen Handlungen aus dem Spielmenü auswählen und / oder eigene Handlungen ›innovieren‹ können«. Innovieren, das war, worauf es mir ankam. 38
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg Außerdem hatten wir ein »Basisszenario« erhalten, in dem die Lage der globalen Wirtschaft im Jahr 2012 beschrieben wurde, das Jahr, in dem das Spiel stattfinden sollte, und ein »Technikbuch«, bei dem es sich im Prinzip um ein Regelbuch handelte. Ich erinnerte mich, wie meine Brüder und ich uns als Kinder immer leidenschaftlich über die Regeln von Risiko stritten und mehr als einmal das Regelheft aus der Parker-Brothers-Packung graben mussten, um unsere Differenzen beizulegen. Hier aber hatten wir es mit einem Regelbuch für ein Kriegsplanspiel zu tun, und da galten andere Vorgaben. Ich war fest entschlossen, so viele Regeln wie nötig zu brechen, um dem Pentagon zu einem Verständnis dafür zu verhelfen, wie die Kapitalmärkte im Zeitalter der Gier, der Deregulierung und böswilliger Absichten tatsächlich funktionierten. Die Wall Street ähnelt dem Wilden Westen zu seinen wildesten Zeiten, nur dass sie dank der Globalisierung und der staatlichen Unterstützung für die systemrelevanten Akteure noch weniger beherrschbar ist. Nach ein paar Stunden, die für Instruktionen, eine allgemeine Orientierung und eine rasche Einweisung in die Groupware notwendig waren, zogen sich die Teams in ihre jeweiligen Hauptstädte zurück, um am ersten Zug zu arbeiten. Dabei handelte es sich hauptsächlich um ein langfristiges Handelsabkommen zwischen Russland und Japan, das zu einem Rückgang des Angebots von russischem Öl und Erdgas auf dem Weltmarkt führen würde. Der Hauptgedanke dabei war, dass Russland seine natürlichen Ressourcen gezielt dazu einsetzen sollte, seine ausländischen Devisenreserven aufzustocken. Natürlich gab es keine Verbindung zwischen dem vom Labor entwickelten Szenario und dem Joker, den Steve und ich auszuspielen verabredet hatten, aber es passte uns gut ins Konzept. Russland konnte Japan von seinem Goldwährungsdeal ausnehmen und trotzdem China mit dem Angebot, an seinem Angriff auf den Dollar mitzuwirken, auf seine Seite ziehen. Ich saß in unserer simulierten chinesischen Hauptstadt und hörte meinen Harvardund RAND-Teamkollegen zu, die darüber diskutierten, wie Japan für den Verstoß gegen das im Washingtoner Konsens vereinbarte Freihandelsparadigma zu bestrafen sei, aber mit dem Kopf war ich nicht bei der Sache. Vielmehr wartete ich darauf, dass das Telefon klingelte. Ein paar Minuten später 39
Teil 1 Kriegsspiele informierten unsere Beobachter uns, dass Russland ein ­Kommuniqué geschickt und eine Gipfelkonferenz beantragt hatte. Das war eine gute Nachricht, denn es bedeutete, dass Steve seine Teamkollegen davon überzeugt hatte, ihn den Goldjoker spielen zu lassen. Bevor mein Team die Nachricht verdauen konnte, meldete ich mich zu Wort. »Hey, Leute. Mein Freund Stevie Halliwell gehört zur russischen Zelle, und ich vermute, dass er dahintersteckt. Ist es in Ordnung, wenn ich für unsere Seite zu der Gipfelkonferenz gehe?« Niemand hatte Einwände, und so machte ich mich auf den Weg den Flur hinunter bis zu einem der als Konferenzräume ausgewiesenen Zimmer, in dem Steve bereits wartete. Weil ein Vermittler vom Labor anwesend war, musste ich mich dumm stellen, obwohl ich wusste, was Steve gleich vorschlagen würde. »Jim, wir erwarten eine Vergeltung der USA wegen unseres Geschäfts mit Japan, und offen gesagt, wir sind es leid, dass die USA ihre dominante Position im dollarbasierten Welthandelssystem missbrauchen, um ihren Willen durchzusetzen. Deshalb haben wir uns etwas einfallen lassen. Weder Ihre noch unsere Währung ist stark genug, den Dollar zu ersetzen – das wissen Sie so gut wie ich. Aber Gold ist und wird immer eine sichere Anlage sein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Welt auf die eine oder andere Weise wieder zu einem Goldstandard zurückkehrt. Und wer dabei den ersten Zug macht, sichert sich einen gewaltigen Vorteil. Das Land, das als Erstes zum Gold wechselt, wird die Währung haben, die alle haben wollen. Hier ist unser Vorschlag.« Steve reichte mir eine überarbeitete Kopie der fiktiven Presseerklärung, die ich ihm vor einer Woche in dem Bistro in Darien in die Hand gedrückt hatte. Alles war da: die neue, mit Gold hinterlegte Währung, die Emissionsbank in London, die Möglichkeit, die Geldmenge durch die Einzahlung von Gold auszuweiten, die Absicherung durch das schweizerische und britische 40
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg Rechtssystem, Clearing- und Abrechnungsstellen und ein echter Marktpreis. Russland würde für seine Rohstoffexporte in Zukunft auf eine Bezahlung in der neuen Währung bestehen. Der Dollar würde ins Abseits gedrängt. »Wir können das alleine durchziehen«, fuhr Steve fort, »aber mit China und vielleicht noch ein paar anderen Ländern an Bord wird es viel einfacher. Je mehr Nationen sich uns anschließen, desto schwieriger wird es für die USA, etwas dagegen zu unternehmen. Sie könnten dasselbe, was wir mit unserem Öl und unserem Gas machen, mit Ihren Industrieerzeugnissen machen. Sind Sie mit dabei?« »Hören Sie, ich werde nach China zurückgehen und Sie über unsere Entscheidung informieren«, sagte ich. »Ich bin nicht befugt, hier irgendetwas zu vereinbaren. Ich bin nur gekommen, um die Botschaft abzuholen. Wir werden darüber sprechen und Ihnen dann unsere Antwort zukommen lassen.« In der Zwischenzeit hatten sich meine Teamkollegen in der chinesischen Hauptstadt intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie wir auf das uns präsentierte Szenario reagieren sollten – und sich darauf geeinigt, erst einmal gar nichts zu tun. Der Rohstoffdeal zwischen Russland und Japan betraf nicht nur diese beiden Parteien, sondern auch Europa, da das Abkommen zu einem Rückgang der russischen Erdgasexporte nach Europa führen könnte. Die Vereinigten Staaten würden die Gegenreaktion koordinieren müssen, da sie am ehesten in der Lage waren, Druck auf Japan auszuüben. China, so meinten sie, sollte einstweilen den Ball flach halten und die anderen die Arbeit machen lassen. Doch dann spielte ich die russische Wildcard aus und setzte meinen Teamkollegen Steves Vorschlag auseinander. Es fällt mir schwer, ihre Reaktion zu beschreiben. »Perplex« trifft es wohl am besten. Sie taten sich schwer, irgendein ökonomisches Szenario zu verarbeiten, in dem das Wort »Gold« vorkam. 41
Teil 1 Kriegsspiele »Das ist absurd«, meinte unser Harvard-Mann. »Abgesehen davon, dass es rein nichts mit dem vorgegebenen Szenario zu tun hat, ergibt es keinerlei Sinn. Gold ist irrelevant für den Handel und die internationale Geldpolitik. Ich halte das für eine dumme Idee und bloße Zeitverschwendung.« Der RAND-Analyst zeigte etwas mehr Interesse und stellte ein paar Fragen, war aber unverkennbar nicht bereit, sich auf das Spiel der Russen einzulassen. Sosehr ich meine Mitspieler auch bedrängte, auf das Angebot der Russen einzusteigen und die USA in die Schranken zu verweisen, sie ließen sich nicht überzeugen und widmeten sich bald wieder der Abfassung ihres unverbindlichen Kommuniqués zum ursprünglichen Problem. »In Ordnung«, sagte ich. »Ich muss den Russen unsere Antwort überbringen. Kann ich eine Konferenz einberufen?« »Machen Sie nur«, sagte Harvard. »Wir arbeiten am Szenario weiter.« Kurz darauf saßen Steve und ich wieder in dem Konferenzraum. »Steve, hören Sie, meine Jungs weigern sich momentan noch, mit einzusteigen. Ich werde in den nächsten paar Runden weiter daran arbeiten, aber im Moment stehen Sie alleine da. Ich kann es Ihnen nicht verübeln, wenn Sie die Sache jetzt abblasen. Ich war fest überzeugt, dass China die Vorteile erkennen und wir das gemeinsam durchziehen würden.« »Kein Problem«, erwiderte Steve. »Das russische Team ist von der Idee ziemlich angetan. Sie sind der Meinung, dass es an der Zeit ist, dass jemand aufsteht und der Welt zeigt, was für ein Betrug das Dollarsystem ist. Schade, dass China nicht dabei ist, aber wir werden trotzdem weitermachen. Wir werden ja sehen, was passiert.« Bei meiner Rückkehr hatte unser Team das Kommuniqué ausformuliert, das unseren Zug für diese Spielrunde repräsentierte. Es war die perfekte akade- 42
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg mische Lösung und würde dem Pentagon exakt gar nichts beibringen. Dann war es an der Zeit, in den Lageraum zu gehen und zusammen mit den anderen Zellen unseren Zug bekannt zu geben. Die Meetings im Lageraum waren als Plenarsitzungen organisiert, in Pentagonesisch auch »Briefbacks« genannt, zu denen sich alle Teams und Spielbeobachter versammelten. Der Reihe nach traten die Vertreter der einzelnen Zellen ans Podium, legten die Antwort ihrer Zelle und die Gründe dafür dar und beantworteten ein paar Fragen von den anderen Zellen. Die Mitarbeiter des Labors hatten den Zellen bei der Erstellung der Folien, Listen und ­anderen Illustrationen, die auf die Wandbildschirme projiziert wurden, ­geholfen. In den Groupware-Chats herrschte derweil Hochbetrieb, wurden 20 oder mehr simultane und sich zum Teil überschneidende Diskussionen geführt, die über die vor jedem Spieler stehenden Bildschirme liefen und von denen nur manche für alle offen waren. Es war wie Twitter ohne die Avatare und Hintergrundbilder. Wollte man eine Frage stellen oder war der Ansicht, dass jemand einen brillanten – oder hirnrissigen – Zug g­ emacht hatte, sagte man das einfach. Jeder Spieler konnte so viel oder so wenig beitragen, wie es ihm passte, während der gesamte über den Bildschirm flimmernde digitale Bewusstseinsstrom zur späteren Auswertung durch die Pentagon-Planer aufgezeichnet wurde. Angesichts der Neigungen meiner Teammitglieder und meiner Unfähigkeit, sie für eine goldgedeckte Währung zu begeistern, verlief das China-Briefing vorhersagbar langweilig. Ohne ein Wort des Protests akzeptierten wir den vorgegebenen russisch-japanischen Energiedeal, wiesen aber darauf hin, dass China seine Bemühungen zur Energiediversifikation verstärken würde. Nach uns war Russland an der Reihe. Das Briefing begann mit ein paar netten Worten bezüglich der weiteren Zusammenarbeit mit China an einem gemeinsamen Pipelineprojekt, um dann plötzlich in der Ankündigung zu gipfeln, dass Russland in Zukunft nur goldgedeckte Währungen zur Bezahlung seiner Energieexporte akzeptieren würde. In einer sehr viel später erstellten 43
Teil 1 Kriegsspiele offiziellen Zusammenfassung des Kriegsspiels wurde dieser Zug als »aggressiv« und »bedrohlich« charakterisiert, die unmittelbare Reaktion aber erinnerte mich sehr viel mehr an den absurden Stil von Dr. Seltsam. Der russische Vertreter hatte seine Präsentation kaum beendet, als die weiße Zelle auch schon eine kurze Beratungspause beantragte. Ein paar Minuten später verkündete der Sprecher der weißen Zelle, der russische Zug sei »illegal« und werde aus dem Spielprotokoll gestrichen. Steve und ich waren fassungslos, was auch für Steves russische Teamkollegen galt, die den Zug gebilligt hatten. »Was soll das heißen, ›illegal‹?«, verlangte Steve zu wissen. »Wir haben hier Krieg! Wie kann da irgendetwas illegal sein?« Genau das hatte ich befürchtet. Nachdem schon die Spielerauswahl nicht gerade einer Aufforderung zum Querdenken gleichkam, wurde nun auch, kaum dass ein unkonventioneller Zug ins Spiel gebracht wurde, Foul gepfiffen. Obwohl ich einer anderen Zelle angehörte, fühlte ich mich genötigt, Steve beizuspringen. »Wissen Sie«, fing ich von meinem Platz am China-Tisch aus an, »es ist ja nicht so, dass wir hier eine Genfer Konvention hätten. Der russische Zug ist gar nicht so weit hergeholt. Die Vereinigten Staaten waren bis 1971 auf einem Goldstandard, und viele Leute hier im Raum werden sich daran noch erinnern. Die Russen sind vielleicht etwas provokativ, aber das sind sie ja immer. Warum lassen wir ihnen nicht einfach ihren Willen und sehen uns an, was daraus wird?« Die weiße Zelle wirkte ein bisschen unsicher. Steve war wie ein Schlagmann beim Baseball, der bei einem engen Ball an der First Base »out« gerufen wird, und ich wie der Coach an der First Base, der nach Kräften versucht, seinen Spieler vor dem Aus zu bewahren. Im digitalen Chatroom brach ein wahrer Sturm der Entrüstung gegen die Unparteiischen los, und schließlich bat die weiße Zelle nochmals um Zeit für eine Beratung. Nach einer Weile 44
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg griff der Leiter der weißen Zelle zum Mikrofon, und an diesem Punkt erwartete ich halb, etwas in der Art von »Nach nochmaliger eingehender Überprüfung …« zu hören, doch dann begnügte er sich damit, in angemessen neutraler Bürokratensprache zu verkünden, dass der russische Zug zugelassen werde. Der Zug sei, stellte er klar, nicht »illegal«, aber »ill-advised«, unbedacht. Das war, wie ich wusste, ein höflicher Ausdruck dafür, dass Russland seiner Meinung nach etwas Dummes getan hatte, aber das störte mich nicht. Die Goldwährung war jetzt im Spiel, und wir würden in den kommenden zwei Tagen ja sehen, wie sich die Sache weiterentwickelte. Die restlichen Züge wurden in bester multilateraler Manier verlautbart. Die Vereinigten Staaten gaben ihr obligatorisches Bekenntnis zum freien Handel ab und betonten die Notwendigkeit, verstärkt über grüne Energiealternativen nachzudenken. Die pazifische Zelle gab bekannt, dass Japan bereit sei, jedem asiatischen Land unter die Arme zu greifen, das kurzfristig unter steigenden Energiekosten litt, und verpflichtete sich darüber hinaus zur Suche nach alternativen Energiequellen. Die graue Zelle mit der IWF-Mütze auf dem Kopf kündigte finanzielle Unterstützungen für alle ehemaligen Länder des Sowjetblocks an, die infolge des russisch-japanischen Abkommens in Not gerieten. Keines der Teams sagte auch nur ein Wort zu der neu ins Spiel gebrachten Goldwährung. Sie war einfach da, ein neugeborener, 800 Pfund schwerer Gorilla, der mitten im Lageraum saß und darauf wartete, dass jemand Notiz von ihm nahm. Am Ende des Zugs gab die weiße Zelle die Ergebnisse für die Runde bekannt. Die Vereinigten Staaten hatten ein wenig an Stärke verloren, weil Japan sich offenkundig etwas aus dem amerikanischen Orbit abgesetzt hatte und die USA eine wirksame Antwort darauf schuldig geblieben waren. China bekam dafür, dass es im Prinzip nichts getan hatte, einen kleinen Machtgewinn zugesprochen. Russland dagegen wurde für seinen nach Auffassung der weißen Zelle eindeutig feindseligen Zug, der eine mangelnde Kooperationsbereitschaft mit dem Rest der Welt offenbarte und dem Land keine unmittelbaren Vorteile brachte, empfindlich abgestraft. Damit hatten Steve 45
Teil 1 Kriegsspiele und ich unter dem Strich unseren beiden Teams am Ende der ersten Runde einen moderaten Machtverlust beschert. Allerdings spielten wir das, was russische Schachgroßmeister ein tiefes Spiel nennen. Es würde noch weitere Züge geben. Die zweite Spielrunde wurde eingeläutet. Das neue Basisszenario passte nicht mehr ganz so gut zu meinen Vorstellungen über Währungskriege wie das Szenario aus der ersten Runde. Diesmal ging es um den ökonomischen Zusammenbruch Nordkoreas und die globalen Reaktionen darauf, ein Szenario, das gleichermaßen auf geopolitische wie auf humanitäre Motive abhob. So plausibel dieses Szenario auch sein mochte, für ein Finanzkriegspiel war es eine eigenartige Wahl. Nordkorea war so wenig mit dem internationalen Finanzsystem verknüpft, wie das einem Land überhaupt nur möglich war, und zunächst hatte ich keine Ahnung, wie man das Gold- und Währungsthema in das nordkoreanische Szenario einarbeiten konnte. In unserer chinesischen Hauptstadt hörte ich meinen Teamkollegen zu, die ernsthaft darüber diskutierten, ob die Vereinigten Staaten sich weigern könnten, Nordkorea zu helfen, damit die Situation sich weiter zuspitzte und so der Weg zu einer koreanischen Wiedervereinigung frei wurde. Da mein Team risikoscheu war, vereinbarten sie ein humanitäres Hilfspaket für Nordkorea, verbunden mit dem Hinweis, dass China eine Wiedervereinigung zu einem späteren Zeitpunkt und unter weniger konfrontativen Bedingungen durchaus unterstützen könnte. Bei einer Gesprächspause wendete ich mich an Harvard. »Hören Sie, ich finde, wir sollten diese Sache mit der Goldwährung nochmals angehen. Wir könnten in einem Kommuniqué eine gewisse Sympathie für die russische Initiative anklingen lassen und die Absicht verkünden, sie genauer studieren und ihr möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt beitreten zu wollen.« So langsam verlor Harvard die Geduld. Er hatte angenommen, die Sache sei begraben und könnte getrost ignoriert werden. Sollte China sich dem rus- 46
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg sischen System anschließen, würde es seine Dollarreserven in physisches Gold umtauschen müssen, um die neue Währung zu unterstützen. Neben anderen Einwänden hielt Harvard den von den Russen angesetzten Preis für zu hoch. »Es reicht«, schnauzte er. »Diese ganze Sache ergibt doch keinen Sinn. Gold spielt im globalen Währungssystem keine Rolle mehr und wird es auch in Zukunft nicht tun, egal was die Russen anstellen. Die sind auf sich selbst gestellt. Sie wollen mit harten Devisen zu einem überhöhten Kurs Gold kaufen; ich würde eher die Dollar halten – die sind viel wertvoller.« Er sah mich an. »Können wir uns jetzt wieder um Nordkorea kümmern?« Als anerkannter Asienexperte war Harvard viel eher für eine Diskussion über komplizierte bilaterale ostasiatische Probleme zu begeistern als für ein seiner Meinung nach sinnloses Gespräch über Währungen und Gold. Doch ich hatte seit meinem Jurastudium nicht umsonst gelernt, für beide Seiten einer Sache zu argumentieren, ohne dazwischen auch nur Atem zu holen, und einfach um die Idee am Leben zu halten, nahm ich sein Argument auf und wendete es gegen ihn. »Sie sind also der Meinung, die Russen verlangen zu viel für ihr Gold?«, fragte ich. »Genau«, antwortete er. »Viel zu viel sogar.« »Nun, warum verkaufen wir unser Gold dann nicht an die Russen?« Das war nicht nur der Instinkt des Anwalts, sondern auch der des Händlers. Jeder Markt hat eine Nachfrageseite, auf der jemand bereit ist zu kaufen, und eine Angebotsseite, auf der jemand bereit ist, zu verkaufen. Market Making ist die Kunst der Preisfindung im Wechselspiel von Nachfrage und Angebot. Es kommt vor, dass man als Käufer an den Start geht, aber dann merkt, dass der geforderte Preis viel zu hoch ist, und deshalb postwendend als Verkäufer auftritt. Diese leidenschaftslose Eiswasser-in-den-Adern-Mentalität war charakteristisch für alle wirklich guten Händler, die mir je begeg- 47
Teil 1 Kriegsspiele net sind. Ich zwang Harvard, Farbe bekennen. Wenn der Preis zu hoch zum Kaufen war, dann sollten wir verkaufen. Ich war gespannt, ob er den Köder schlucken würde. »Perfekt«, sagte er. »Stoßen wir alles ab, verkaufen wir unser ganzes Gold gegen Euro und Dollar an die Russen und diversifizieren unsere Devisenposition.« Gut möglich, dass er das nur sagte, um mich zum Schweigen zu bringen, aber das war mir egal. Wir hatten gerade die Schlinge um den Hals des USDollars enger gezogen. Der Rest des Teams stimmte dem Plan zu, und so berief ich ein weiteres Gipfeltreffen mit Russland ein, um ihnen unser Angebot zu unterbreiten. Steve und ich trafen uns zum dritten Mal, und wie erwartet stieg Russland auf das Angebot ein, die gesamten chinesischen Goldvorräte – rund 1 000 Tonnen – zu kaufen und mit Devisen aus den russischen Währungsreserven zu bezahlen. Von der Warte der Russen aus gesehen war dieses Geschäft perfekt, weil es sich trotz seines gewaltigen Umfangs nur minimal auf die Märkte auswirken würde. Im normalen Goldhandel musste man schon einen Blockverkauf ab zehn Tonnen unter höchster Geheimhaltung arrangieren, um zu verhindern, dass der Marktpreis durch die Decke schoss. Aber jetzt hatte Russland den größten Goldkauf in der Geschichte eingefädelt, ohne dass das den Markt unmittelbar negativ beeinflussen würde. Dass China aus dem Goldspiel ausstieg, fand ich bedauerlich, aber umso mehr freute mich, dass Russland den Ball aggressiv nach vorne spielte. Wir kehrten zur dritten Plenarsitzung in den Lageraum zurück. Das übliche Prozedere folgte, und jede Zelle gab ihre Antwort auf das NordkoreaSzenario bekannt. Wie erwartet sagten die Vereinigten Staaten und die Pazifik-Länder humanitäre Hilfe zu, was auch China tat, das angesichts des offenkundig desolaten Zustands des nordkoreanischen Regimes in seiner Erklärung ein paar versöhnliche Töne im Hinblick auf eine mögliche Wiedervereinigung einflocht. Russland stimmte zwar in den Chor der Hilfswilligen ein, kündigte aber gleichzeitig die Schließung seiner Grenze zu 48
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg Nordkorea an. Dann, fast schon beiläufig, gab Russland bekannt, dass es die gesamten chinesischen Goldreserven aufgekauft hatte, um die eigenen Goldvorräte zur Unterstützung seiner neuen, goldgedeckten Währung aufzustocken. Die weiße Zelle war sichtlich beunruhigt. Russland spielte ein eigenes Spiel nach eigenen Regeln. Wenn man Steve und mich fragte, spielte Russland seit 1 000 Jahren nach seinen eigenen Regeln, und insofern war das hier ein typisch russisches Verhalten. Nun konnte der 800 Pfund schwere Gorilla nicht länger ignoriert werden, und das wurde auch postwendend anerkannt. Für China, die Vereinigten Staaten und die Pazifik-Gruppe brachte die zweite Runde kaum Veränderungen in ihrer nationalen Stärke. Das war auch völlig in Ordnung, denn Nordkorea war zwar höchst instabil und gefährlich, aber eben auch international isoliert, und deshalb würde auch niemand groß an relativer Stärke gewinnen oder verlieren, sollte Nordkorea vollends vor die Hunde gehen. Dann aber gab die weiße Zelle kleinlaut ihr Votum zu Russland bekannt: »Wie es aussieht, hat Russland konkrete Schritte zur Einführung einer glaubwürdigen Alternative zum US-Dollar im internationalen Handel unternommen. Obwohl die Erfolgsaussichten höchst ungewiss sind, haben wir beschlossen, Russland zusätzliche Punkte für seine währungsbezogenen Züge zu gewähren.« Steve und ich sahen uns quer durch den Lageraum an. Ein Freispruch war das zwar noch lange nicht, aber ein kleines Grinsen konnten wir uns dennoch nicht ganz verkneifen. Damit war der erste Tag zu Ende. Es war ein langer Tag gewesen, aber das Kriegsspiel hatte sich ganz gut entwickelt. Wir beschlossen, uns in der Gegend nach einem Restaurant umzusehen und nach einem guten Abendessen und ein paar gepflegten Drinks zeitig ins Hotel zurückzukehren, um uns über die Nachrichten des Tages zu informieren und uns auf Tag zwei vorzubereiten. Es gehört zu den Eigenheiten der Arbeit in einer gesicherten Umgebung, dass man keine Ahnung hat, was draußen in der Welt vor sich geht. Man kann sich in der Schaltzentrale der Geheimdienstanalyse oder Waffen- 49
Teil 1 Kriegsspiele entwicklung befinden und doch wegen des begrenzten Zugangs zu Mobiltelefonen, Nachrichten-Apps und den sonstigen Segnungen der vernetzten Welt des 21. Jahrhunderts der Letzte sein, der mitbekommt, dass die Börsen einbrechen. Als Marktteilnehmer und Nachrichtenjunkies hatten wir ebenso großen Hunger auf Informationen wie auf ein ordentliches Abendessen. Wir ließen uns den Weg zu einem nicht allzu schicken Restaurant in der Nähe von Fort Meade beschreiben, das ein paar Laborleute empfohlen hatten, und während Steve und O.D. an ihren Blackberrys hingen und chatteten und surften, setzte ich mich ans Steuer. Wir fanden das Restaurant ohne große Probleme, waren aber ziemlich überrascht, dass an einem Dienstag um 17.30 Uhr der Parkplatz voll belegt und der Balkon im ersten Stock des Restaurants dicht mit Leuten besetzt war. »Ach so, heute ist St. Patrick’s Day «, sagte O.D., der sich auf seine O’Donnell-Familienwurzeln besann und passend zum Anlass einen irischen Akzent anschlug. »Der Laden ist unter Garantie schon seit der Mittagszeit brechend voll.« Wir hatten uns so sehr auf unsere Mission konzentriert, das globale Finanzsystem bis in seine Grundfesten zu erschüttern, dass wir den guten St. Patrick ganz vergessen hatten. Als ein Thornton mütterlicherseits habe ich ebenfalls irische Wurzeln. Kraft unserer Ahnenlinien ernannten O.D. und ich Steve zum Iren ehrenhalber, nahmen die Außentreppe hinauf zum Balkon in Angriff, bahnten uns einen Weg durch die Menschenmassen und drängten uns durch den nicht weniger überfüllten Speisesaal, bis wir einen Tisch am Fenster mit einem netten Blick hinaus ins Grüne fanden. Wir setzten uns, bestellten drei Pints Guinness mitsamt diversen Vorspeisen und machten uns an unser, wie sie beim Pentagon sagen würden, ganz eigenes »Briefback«. »Wisst ihr, was das Problem bei diesem Spiel ist?«, fragte O.D. »Lass hören«, sagte ich. 50
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg »Das Problem ist, dass es keinen Markt gibt. Die weiße Zelle kann uns sagen, ob wir Boden gut gemacht oder verloren haben, aber es gibt kein Preissystem, anhand dessen wir die Auswirkungen unserer Züge messen könnten.« O.D. hatte Recht. Ein Trader kann die beste Trading-Idee aller Zeiten haben, aber ein Geldverlust bei einem Trade ist der Weg, wie die Wirklichkeit einem mitteilt, dass etwas schiefläuft. Seit jeher sind die besten Händler diejenigen, die wissen, wann es an der Zeit ist, aus einem schlechten Trade auszusteigen, die Verluste zu begrenzen und sich auf die Suche nach der nächsten guten Gelegenheit zu machen. Früher oder später kommt die Quittung so oder so. Schlechte Trader dagegen würden in der Annahme, dass der Markt einfach nicht kapiert, wie genial sie sind, irgendwelche Gründe für ihre Verluste vorschieben und die Einsätze so lange weiter erhöhen und mehr Geld verlieren, bis irgendein Risikomanager sie zur Aufgabe der Position zwingt. Egal welche Strategie man verfolgt, die Preissignale sind es, die Trader auf Spur halten und für das Feedback des Marktes sorgen, mit dem sie ihre Theorien überprüfen können. Trotzdem durften wir uns nicht allzu sehr über etwas ereifern, was wir nicht hatten. Immerhin war es das erste Mal, dass das Pentagon ein Finanzplanspiel zur Durchführung brachte, und das auch noch gegen interne Widerstände. Ich war schon froh, dass sie überhaupt etwas in der Richtung unternahmen. Zumindest gab man sich dort aufgeschlossen, und das war mehr, als ich von einigen zivilen Behörden behaupten konnte. Wann immer ich andere Regierungsmitarbeiter oder Beamte vor den Gefahren eines von Feinden der USA angezettelten Finanzkriegs gewarnt hatte, hatte ich unweigerlich etwas in der Art von »Oh, das würden die nie tun – das wäre viel zu teuer, und außerdem würden sie sich damit nur ins eigene Fleisch schneiden« zu hören bekommen. Sie taten so, als ob militärische Rüstungsgüter kein Geld kosten würden und Flugzeugträger umsonst zu haben seien. Dass die Kosten für einen Finanzkrieg weitaus geringer sein könnten als die für einen Rüstungswettlauf und er wahrscheinlich viel wirksamer darin wäre, die Macht der USA auszuhöhlen als eine offene militärische Konfrontation, 51
Teil 1 Kriegsspiele wollte diesen Leuten einfach nicht in den Kopf. Das Pentagon verdiente einen Haufen Anerkennung dafür, die ganze Sache überhaupt so weit vorangetrieben zu haben. Für ein verbessertes Drumherum würde später, in zukünftigen Planspielen, noch genug Zeit sein. Wir bestellten eine zweite Runde Guinness, ließen uns das Essen schmecken und kehrten dann zurück nach Columbia, Maryland, wo wir übernachteten. Es war ein langer Tag gewesen, und der Spielbeginn für die zweite Runde war auf 7.30 Uhr angesetzt. Wir verabredeten, uns am nächsten Morgen in der Lobby zu treffen, und gingen dann auf unsere Zimmer. Tag zwei Als ich um 6.30 Uhr aufwachte, fühlte ich mich von dem Guinness zwar noch etwas angeschlagen, aber das war nichts, was zwei Tassen Kaffee nicht kurieren konnten. Ich packte rasch meine Sachen zusammen und beschloss, noch kurz einen Blick auf die Online-Nachrichten zu werfen, bevor ich meinen Laptop verstaute. Für die vielen E-Mails, die jeden Morgen in meinem Posteingang warteten, blieb mir heute keine Zeit. Ein kurzer Abstecher auf die Homepage des Drudge Report und ein schneller Blick auf die Schlagzeilen des Tages mussten reichen. Nachdem ich am Vortag auf meine tägliche Dosis Nachrichten hatte verzichten müssen und das auch an diesem Tag nicht anders sein würde, war das die schnellste Methode, mich auf den neuesten Stand der Dinge in der Welt zu bringen. Ich klickte auf das Drudge-Lesezeichen in meinem Browser, wartete ein paar Sekunden, bis sich die Seite aufgebaut hatte – und wollte nicht glauben, was ich da sah. Typisch für den Drudge Report, prangte in der Seitenmitte die große Porträtaufnahme einer einzelnen Person. An diesem Morgen war es Wladimir Putin. Die Schlagzeile unter dem Bild verkündete, dass Russland dazu aufrief, den Dollar als Leitwährung abzulösen und nach einer alterna- 52
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg tiven Reservewährung suchte, einer Währung, die unter Umständen durch materielle Vermögenswerte wie Gold gedeckt sein könnte. Im vergangenen Jahr gehörten solche Schlagzeilen fast schon zur Tagesordnung, aber im März 2009 war das noch ein neuer Gedanke und zudem einer, der vielen Leuten bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal zu Ohren kam. Natürlich war es leicht, Putin als Chauvinist oder Schlagzeilensucher abzutun, aber ich wusste, dass man sich in Europa, China und beim IWF in der Tat schon Gedanken über Alternativen zum Dollar gemacht hatte. P ­ utin hatte lediglich vor allen anderen das Maul aufgerissen und die Welt von Russlands Unzufriedenheit mit der dollarbasierten Hegemonie in Kenntnis gesetzt, die die Vereinigten Staaten der Welt aufgezwungen hatten – eben das, worüber Steve und ich vor einer Woche bei Austern und Weißwein diskutiert hatten. Sogar wenn wir den Drudge-Artikel selbst verfasst hätten, eine bessere Bestätigung für unsere Spielzüge hätten wir nicht bekommen. Ich stopfte den Laptop in meine Aktentasche, rannte die Treppe zur Lobby hinunter und versuchte dabei, auf meinem Blackberry den Drudge Report aufzurufen. Steve und O.D. warteten bereits auf mich. »Hey Leute«, rief ich. »Habt ihr heute Morgen schon den Drudge Report gesehen? Ihr werdet es nicht glauben!« Ich drückte Steve den Blackberry in die Hand. Steve überflog die Seite, dann gab er ihn an O.D. weiter. »Unglaublich«, sagte Steve. »Die Leute im Lab werden glauben, wir hätten die ganze Sache geplant. Als ob wir Insiderinformationen hätten! Lasst uns rüberfahren und ihnen zeigen, was in der Welt los ist.« Im Labor angekommen, hetzten wir durch den Sicherheitscheck, rannten zu Gebäude 26 und hasteten die Stufen hinauf in den Lageraum. 53
Teil 1 Kriegsspiele Im Raum herrschte eine ruhige Atmosphäre, Leute saßen bei einem Kaffee zusammen und sprachen über die Ereignisse des letzten Tages. Ich war mir ziemlich sicher, dass die hier versammelten sehr ernsthaften Militärs und Akademiker morgens wichtigere Dinge zu tun hatten, als den Drudge Report zu lesen, also dürfte die Sache mit Putin noch nicht die Runde gemacht haben. Ich ging in den angrenzenden Technikraum. Dort gab es einen wandgroßen Monitor, über den die Monitore im Lageraum überwacht werden konnten und bei Problemen eingegriffen werden konnte. Ich bat den Videotechniker, das Internet auf den großen Schirm zu holen, und gab ihm die Webadresse des Drudge Report. Ein paar Sekunden später prangte ein überlebensgroßes Porträt unseres Freundes Putin auf dem Bildschirm, und nochmals ein paar Mausklicks auf dem Steuerpaneel später erschien das Drudge-Banner auch auf dem Hauptbildschirm im Lageraum. Gleichzeitig druckten die hilfsbereiten Laborleute die zu der Schlagzeile gehörende Story aus und sorgten dafür, dass in jeder Gefechtsstation eine Kopie davon neben die Regelbücher und Szenarien gelegt wurde. Harvard war nicht amüsiert. Er fand, dass Steve und ich uns lächerlich machten, und so ziemlich das Gleiche sagte er jetzt über Putin. Die meisten anderen Teilnehmer aber waren höflich genug, uns ein bisschen Ehre dafür zu gewähren, das Spiel in Richtung der nächsten großen Sache gelenkt zu haben, noch bevor sie sich ereignet hatte. Nachdem sich die Aufregung um die Sache mit Putin wieder gelegt hatte, ging es mit dem Planspiel und Zug drei weiter, dem letzten Zug des Spiels. Das Szenario sah unter anderem die Wahl eines für die Unabhängigkeit eintretenden Präsidentschaftskandidaten in Taiwan und Bemühungen zur Reduzierung der zunehmenden ökonomischen Integration der Insel mit Festlandchina vor. An der Goldwährungsfront blieb jetzt nicht mehr allzu viel zu machen. Russland hatte seinen Zug gemacht und China sich geweigert, mitzuspielen. Die Vereinigten Staaten verhielten sich indifferent, was allerdings seltsam war, da in der realen Welt jeder Schritt der Russen in Richtung einer Goldwährung auf eine weitaus robustere Reaktion der USA sto- 54
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg ßen würde. Andererseits war die US-Zelle ausschließlich mit Akademikern, Leuten aus Denkfabriken und uniformierten Militärs besetzt, mithin Leuten, die über keinerlei Markterfahrungen verfügten, und so musste ich davon ausgehen, dass sie einfach nicht kapierten, dass die Russen mit ihrem Zug den Dollar attackiert hatten. Wie die meisten Experten, mit denen ich gesprochen hatte, gingen sie einfach davon aus, dass der Dollar auf ewig die dominante Währung blieb, und dachten deshalb erst gar nicht groß über alternative Szenarien nach. Wir machten uns daran, unsere Reaktionen auf das vorgestellte Problem auszuarbeiten. China unterstrich seine »Ein-China«-Position und warnte alle Länder eindringlich davor, die taiwanesische Initiative zu unterstützen. Japan schlug eine asiatische Freihandelszone vor, der sowohl China wie auch Taiwan beitreten könnten, um auf diese Weise ihre Differenzen zu überbrücken. Die Vereinigten Staaten bekräftigten ihre militärische Kooperation mit Taiwan, wiesen aber darauf hin, dass sie diese Kooperation in Zukunft mit von Taiwans Bereitschaft abhängig machen würden, seine konfrontative Haltung zu mäßigen. Nur Russland spielte weiter seinen Goldwährungsjoker. Zum einen versuchte es, die OPEC-Mitglieder in der grauen Zelle für seinen Goldwährungsplan zu gewinnen, zum anderen wurde China signalisiert, dass man sehr viel eher bereit sei, sich in der TaiwanFrage auf die Seite Pekings zu schlagen, sollte China die neue Währung unterstützen. Eines musste ich Steve und seinen Teamkollegen lassen: Auch wenn niemand sonst ihnen große Aufmerksamkeit schenkte, sie verstanden es, ihr Blatt optimal auszureizen. Gerade als es so aussah, als würde das Spiel so langsam und gemächlich einem ruhigen Ende entgegensteuern, spielte O.D. seinerseits eine Wildcard aus. Als Sprecher der grauen Zelle ließ er verlauten, die japanische Küstenwache habe eine große Lieferung nahezu perfekt gefälschter Hundertdollarnoten, oder, wie das US-Finanzministerium dazu sagte, Superdollar, abgefangen. Diese Superdollar werden vom berüchtigten Büro 39 der nordkoreanischen Regierung produziert, eine geheime Einrichtung, die Kim Il 55
Teil 1 Kriegsspiele Sung bereits 1974 zum Zweck der Geldwäsche, der Geldfälschung, des Drogenhandels und anderer gemeinhin von kriminellen Organisationen begangener Taten aufgebaut hatte. O.D.s Manöver war ein netter historischer Verweis darauf, dass schon früher Länder eine Art finanzielle Kriegführung betrieben hatten, indem sie die Währung ihrer Feinde gefälscht und das Feindterritorium mit den gefälschten Banknoten überschwemmt hatten, um so das Vertrauen in die legitimen Banknoten zu erschüttern und zu einem ökonomischen Kollaps beizutragen. Dazu zählen übrigens auch die Vereinigten Staaten: Während des amerikanischen Bürgerkriegs hatte ein Parteigänger der Union und Schreibwarenhändler aus Philadelphia namens Samuel Upham über 15 Million Dollar in gefälschten Konföderationsnoten gedruckt, was ungefähr 3 Prozent der insgesamt in Umlauf befindlichen Menge an CSA-Dollar entsprach. Viele dieser Banknoten wurden von Unionssoldaten in den Süden gebracht, was das Vertrauen in die echte Währung der Konföderation untergrub. O.D. gab weiter bekannt, dass die Schweizer Banken Opfer umfangreicher betrügerischer Einzahlungen solcher Superdollar geworden seien, die aus allen Teilen der Welt ins Land zu strömen schienen. Die Verluste der Schweizer Banken und die große Menge der von den Japanern abgefangenen Superdollar waren genug, um Zweifel am Wert der im Ausland vorwiegend in Form von Hundertdollarnoten gehaltenen US-Währung zu schüren. Auf den Schwarzmärkten wurden, hieß es weiter, Hundertdollarnoten mit einem Abschlag gegenüber ihrem offiziellen Nennwert gehandelt. Da der Baranteil gegenüber den in elektronischer Form bei Banken gehaltenen Dollaranlagen vergleichsweise gering ist, hielten sich die Auswirkungen der Superdollarschwemme in Grenzen. Dennoch verpasste O.D. der US-Währung mit seinem boshaften Abschiedsgruß einen weiteren Treffer. Schlussendlich zeigte sich die weiße Zelle doch noch beeindruckt von Russlands Hartnäckigkeit in Sachen alternativer Währung, insbesondere von dem Angebot an die OPEC, und sprach dem Land zusätzliche Machtpunkte zu – eine völlige Kehrtwende gegenüber dem Spott, mit dem ihr Spre- 56
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg cher noch am Vortag Russlands Zug kommentiert hatte. China bekam ebenfalls Punkte zugesprochen, hauptsächlich dafür, dass es nichts getan hatte, eine Fallstudie dazu, wie man ein Nullsummenspiel gewinnt, indem man selbst den Ball flach hält und den anderen dabei zuschaut, wie sie einen Bock nach dem anderen schießen. Die Vereinigten Staaten verloren nationale Macht, zum Teil wegen des russischen Angriffs auf den Dollar, aber auch, weil Ostasien zu einem Block mit China und Japan im Zentrum zusammenrückte, dem auf lange Sicht der Großteil der Region angehören und der seine Schlüsselentscheidungen in Sachen Handel und Kapitalflüsse unter Ausschluss der USA treffen würde. Am Ende gewann China, das am wenigsten getan hatte, am meisten, während Russland und Ostasien jeweils leicht zulegten und die Vereinigten Staaten die größten Verluste hinnehmen ­mussten. Der Rest der Sitzung verging mit Nachbesprechungen. Nach der ganzen Arbeit, die in die Vorbereitung des Planspiels geflossen war, waren es zwei höchst faszinierende Tage gewesen. Die amerikanische nationale Sicherheit kann nur profitieren, wenn so viele Experten aus den unterschiedlichsten Disziplinen und mit den unterschiedlichsten Perspektiven unter einem Dach zusammenkommen, um Ideen auszutauschen und dem Militär neue Wege zum Verständnis potenzieller Bedrohungen aufzuzeigen. Wenn das Finanzministerium oder die Fed Szenarien erstellen, denken sie normalerweise an platzende Blasen und kollabierende Märkte, nicht an von Staaten betriebene Finanzkriege. Die Fed habe, sagte der ehemalige Fed-Vorsitzende Alan Greenspan immer gerne, keine Erfahrung darin, die Entstehung von Blasen zu verhindern, und ihre Ressourcen würden besser dazu verwendet, hinterher, nachdem eine Blase geplatzt sei, die Sauerei wieder aufzuräumen. Greenspans Empfehlung taugt allerdings nur für Sauereien bis zu einer bestimmten Größenordnung. Auf die wirklich großen Sauereien – solche, die mit sozialen Unruhen, Hungerrevolten, Plünderungen, Flüchtlingsströmen und allgemeinem gesellschaftlichen Kollaps einhergehen – hat eine Institution wie die Fed keine Antwort, sodass sich Gesellschaften auf der Suche nach Lösungen unweigerlich an das Militär wenden. Mit anderen Worten, 57
Teil 1 Kriegsspiele das Militär hat ein großes Interesse daran, das Risiko wirtschaftlicher Katastrophen einschätzen zu können, und wir hatten dem Pentagon zumindest eine gewisse Grundlage dafür gegeben, um weiter über ökonomische Überraschungsangriffe nachzudenken. Im Laufe der folgenden Wochen, das Finanzplanspiel noch frisch in Erinnerung, wurde ich mehr als sonst daran erinnert, dass in der realen Welt längst ein Währungskrieg ausgebrochen war und dieser Krieg rund um die Welt mit harten Bandagen geführt wurde. Im März 2009 sprach zwar noch niemand von einem »Währungskrieg« – das sollte erst später kommen –, aber die Anzeichen waren unverkennbar. Die Federal Reserve hatte im November 2008 ihr erstes Programm zur quantitativen Lockerung gestartet, mit dem kaum verhüllten Ziel, den Dollar auf den internationalen Devisenmärkten zu schwächen. Und die von der Fed betriebene Politik des billigen Geldes hatte die gewünschten Auswirkungen. In den zwei auf das Finanzplanspiel folgenden Jahren legten Aktien und Gold um über 85 Prozent an Wert zu. Anfangs zeigten sich einige Analysten erstaunt über die positive Korrelation in der Wertentwicklung von Aktien und Gold, aber nur, bis sie erkannten, dass es exakt dasselbe Phänomen schon einmal gegeben hatte, und zwar im April 1933, als Präsident Roosevelt im Rahmen der »Beggar-thy-neighbour«-Währungskriege der Weltwirtschaftskrise den Dollar gegenüber dem britischen Pfund abwertete. Die massiven zeitgleichen Kursanstiege bei Aktien und bei Gold 1933 und 2010 waren lediglich eine Folgeerscheinung der Dollarschwächung. Der intrinsische Wert der Anlagen war nicht gestiegen – man brauchte nur mehr Dollar, um sie zu kaufen, weil der Dollar weniger wert war. Den Dollar schwächen, das ist in der realen Welt, außerhalb des Lageraums, der einfache Teil. Der schwierige Teil ist, sich auszurechnen, was als Nächstes kommt, wenn Exportländer wie China, Russland und Saudi-Arabien versuchen, ihre Interessen zu schützen, indem sie die Preise erhöhen oder aus in US-Dollar notierten Wertpapieren flüchten. 58
Kapitel 2 – Der Finanzkrieg Dieser Punkt, an dem der Währungskrieg dann so richtig heißlaufen würde, war zum Zeitpunkt des Finanzplanspiels im März 2009 allerdings noch Zukunftsmusik. Eine Erkenntnis, die das Pentagon aus dem Planspiel ziehen konnte, war, dass die Vereinigten Staaten, selbst wenn der Dollar kollabieren würde, immer noch über sehr große Goldreserven verfügten, auf die sie zurückgreifen könnten. Interessanterweise sind nämlich fast die gesamten US-Goldbestände nicht in zivilen Banksafes untergebracht, sondern auf Militärbasen, genauer gesagt in Fort Knox, Kentucky, sowie in West Point am Ufer des Hudson River in New York – eine Tatsache, die einiges über die Verbindung zwischen nationalem Vermögen und nationaler Sicherheit aussagt. Auf die Währungsabwertungen in den 1930er-Jahren folgten schnell die japanischen Invasionen in Asien und der deutsche Überfall auf Europa. Auf die Abwertungsrunden in den 1970er-Jahren wiederum folgte rasch die schlimmste Inflation seit der Weltwirtschaftskrise. Die Vereinigten Staaten treten heute in eine Periode der finanziellen Bedrohung ein, vergleichbar ­jenen in den 1930er- und 1970er-Jahren. Das Pentagon war mit seinem Finanzplanspiel der Zeit zwar voraus, aber nicht sehr viel, und im Rückblick erscheint es Teil der Vorbereitung auf uns bevorstehende düsterere Tage gewesen zu sein – der Beginn und nicht das Ende einer neuen Welt der finanziellen Bedrohungen. 59

T eil 2 Währungskriege

Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter »Wir befinden uns mitten in einem internationalen Währungskrieg.«4 Guido Mantega, brasilianischer Finanzminister, 27. September 2010 »Ich mag diesen Ausdruck nicht … Währungskrieg.«5 Dominique Strauss-Kahn, (inzwischen zurückgetretener) Direktor des IWF, 18. November 2010 Ein Währungskrieg, den ein Land durch die wiederholte Abwertung seiner Währung gegenüber anderen Währungen führt, gehört zu den destruktivsten und am meisten gefürchteten Konflikten in der internationalen Ökonomie. Er weckt ungute Erinnerungen an die Weltwirtschaftskrise, als die großen Wirtschaftsnationen mit einer aggressiven Leistungsbilanzüberschusspolitik und Schutzzöllen den Welthandel zum Erliegen brachten. Er gemahnt an die 1970er-Jahre, als infolge der Bemühungen der USA, den Dollar durch die Abkehr von der Golddeckung zu schwächen, sich der Dollarpreis des Erdöls vervierfachte. Und nicht zuletzt kommen einem neben anderen Störungen die Krisen des britischen Pfund 1992, des mexikanischen Peso 1994 und des russischen Rubel 1998 in den Kopf. Unabhängig von ihrer Dauer und Schwere gehen solche Währungskrisen mit Stagnation, Inflation, Sparmaßnahmen, finanzieller Panik und anderen schmerzhaften wirtschaftlichen Folgen einher. Aus einem Währungskrieg entsteht nie irgendetwas Gutes. Entsprechend schockiert und verstört waren die globalen Finanzeliten, als Guido Mantega, seines Zeichens brasilianischer Finanzminister, Ende September 2010 rundheraus verkündete, ein neuer Währungskrieg habe begon- 63
Teil 2 Währungskriege nen. Natürlich waren die Ereignisse und Zusammenhänge, die Mantega zu seiner Äußerung veranlasst hatten, für die Finanzeliten weder neu noch unbekannt. Schon Ende 2007 hatten sich die internationalen Spannungen wegen der Wechselkurspolitik und damit einhergehend der Zins- und Fiskalpolitik mancher Länder verstärkt. Insbesondere China wurde von seinen wichtigsten Handelspartnern wiederholt beschuldigt, den Kurs seiner Währung, des Yuan, mit manipulativen Mitteln künstlich niedrig zu halten und dadurch gewaltige Bestände an amerikanischen Staatsanleihen anzuhäufen. Die Panik von 2008 allerdings ließ die Wechselkursstreitereien in einem neuen Licht erscheinen. Statt weiter zu wachsen, schrumpfte der ökonomische Kuchen mit einem Mal, und Länder, die bis dato zufrieden gewesen waren mit ihrem Stück vom Kuchen, fingen nun an, sich um die Krümel zu streiten. Ungeachtet des offenkundigen globalen Drucks an den Währungsmärkten, der sich 2010 aufgebaut hatte, galt es in den Kreisen der Finanzelite nach wie vor als Tabu, von einem Währungskrieg zu sprechen. Stattdessen griffen die internationalen Geldexperten zu Ausdrücken wie »Neujustierung« und »Anpassung« zur Beschreibung der Versuche, die Wechselkurse unter Kontrolle zu bringen, um gewisse Ziele zu erreichen, die manchen erstrebenswert schienen. Doch natürlich konnte die Verwendung von Euphemismen die Spannungen im System nicht auflösen. Im Zentrum von Währungskriegen steht ein Paradox: Sie werden zwar auf der internationalen Bühne ausgefochten, aber von inländischen Zwängen angetrieben. Üblicherweise beginnen Währungskriege in Zeiten ungenügenden Binnenwachstums. Die betroffenen Länder haben meist mit hoher Arbeitslosigkeit, einem schwachen oder negativen Wachstum, einem schwächelnden Bankensektor und sich verschlechternden öffentlichen Finanzen zu kämpfen. Unter solchen Umständen ist es schwierig, Wachstum allein durch Interventionen auf dem Binnenmarkt zu erzeugen, und bleibt als letztes Mittel zur Ankurbelung der Wirtschaft nur noch die Stimulation des Exports durch eine Abwertung der Währung. Um zu verstehen, warum dies so ist, ist es hilfreich, sich nochmals die vier Grundelemente des 64
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter Bruttoinlandsprodukts (BIP) vor Augen zu führen. Das BIP errechnet sich aus dem privaten Konsum (K), den Bruttoinvestitionen (I), den Konsumausgaben des Staates (S) und der Differenz zwischen Exporten (X) und Importen (M), dem sogenannten Nettoexport beziehungsweise Außenbeitrag. Ausgedrückt wird diese allgemeine Wachstumsdefinition in der folgenden ­Gleichung: BIP = K + I + S + (X – M) In einer in Not geratenen Volkswirtschaft stagniert oder schrumpft der Konsum (K) aufgrund von Arbeitslosigkeit, einer exzessiven Schuldenlast oder beidem. Die Investitionen (I) der Unternehmen in Anlagen und Ausrüstungen sowie (auch von Privaten) in Bauten werden zwar unabhängig vom Konsum gemessen, sind aber dennoch eng damit verknüpft. Kein Unternehmen wird in den Ausbau seiner Fertigungskapazitäten investieren, wenn es nicht erwartet, dass die Verbraucher die höhere Produktionsmenge sofort oder in naher Zukunft kaufen werden. Wenn also der Konsum einbricht, brechen in der Regel auch die Investitionen ein. Die Staatsausgaben dagegen können auch dann erhöht werden, wenn Konsum und Investitionen schwächeln. Eben das empfehlen die Verfechter einer keynesianischen Wirtschaftspolitik, um einer Volkswirtschaft selbst dann zu Wachstum zu verhelfen, wenn die Privatkonsumenten und die Unternehmen als Wachstumsmotoren ausfallen. Das Problem ist, dass Regierungen die Ausgabenerhöhungen in einer Rezession gemeinhin durch Steuern oder Neuverschuldung finanzieren, und beides stößt bei den Bürgern auf wenig Gegenliebe, zumal in Zeiten, in denen die Steuerlast sowieso schon hoch ist und sie die Gürtel enger schnallen müssen. Insbesondere in Demokratien unterliegt die Fähigkeit von Regierungen, die Staatsausgaben in Zeiten wirtschaftlicher Not zu erhöhen, erheblichen Einschränkungen, selbst wenn manche Ökonomen eben das empfehlen. Eine Volkswirtschaft, in der weder die Konsumausgaben noch die Unternehmen expandieren und der Erhöhung der Staatsausgaben Grenzen ge- 65
Teil 2 Währungskriege setzt sind, kann die Wirtschaft nur wachsen, wenn die Nettoexporte (X-M) erhöht werden, und die schnellste und einfachste Methode, dies zu erreichen, besteht in der Abwertung der eigenen Währung. Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels erklären: Angenommen, ein in Euro ausgezeichnetes deutsches Auto kostet 30 000 Euro. Bei einem Wechselkurs von 1,00 ­Euro = 1,40 Dollar liegt der Dollarpreis des deutschen Wagens bei 42 000 Dollar (30 000 Euro x 1,40 Dollar / 1,00 Dollar = 42 000 Dollar). Nehmen wir nun an, der Euro gibt nach auf 1,10 Dollar. Nun kostet derselbe 30 000 Euro t­ eure Wagen nur noch 33 000 Dollar (30 000 Euro x 1,10 Dollar / 1,00 Dollar = 33 000 Dollar). Aufgrund dieses Rückgangs des Dollarpreises von 42 000 auf 33 000 Dollar ist das Auto nun für amerikanische Käufer erheblich attraktiver, und so werden entsprechend mehr davon verkauft. Der deutsche Autohersteller nimmt in beiden Fällen gleich viel ein, nämlich 30 000 Euro. Mit anderen Worten, dank der Euroabwertung kann der deutsche Hersteller mehr Autos in Amerika verkaufen, ohne dass er den Europreis seiner Autos senken müsste. Das wiederum hat zur Folge, dass das deutsche BIP steigt und in Deutschland Arbeitsplätze entstehen, um die h­ öhere Nachfrage nach deutschen Autos in den USA zu befriedigen. Stellen Sie sich jetzt diese Dynamik nicht nur auf Deutschland angewendet vor, sondern auch auf Frankreich, Italien, Belgien und die ganzen anderen Länder, die den Euro eingeführt haben. Denken Sie an den Einfluss nicht nur auf Autos, sondern auch auf französischen Wein, italienische Mode und belgische Pralinen. Übertragen Sie das weiter nicht nur auf materielle G ­ üter, sondern auch auf immaterielle Dinge wie Computersoftware und Beratungsleistungen. Und bedenken Sie zu guter Letzt, dass davon nicht nur ins Ausland verkaufte Güter und Dienstleistungen betroffen sind, sondern gleichermaßen auch der Tourismus und Reiseverkehr. Gibt der Euro gegenüber dem Dollar von 1,40 auf 1,10 Dollar nach, verbilligt sich dadurch der Preis, sagen wir, eines 100 Euro teuren Dinners in Paris von 140 auf 110 Dollar, sodass US-Touristen es sich entsprechend eher leisten können. Wenn man nun die Auswirkungen eines Rückgangs des Dollarwertes des Euro in dieser Größenordnung auf alle materiellen und immateriellen 66
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter Handels­güter und Dienstleistungen sowie auf den Tourismus über die gesamte Eurozone hinweg berücksichtigt, beginnt man das Ausmaß zu begreifen, in dem eine Abwertung das Wirtschaftswachstum fördern, den Arbeits­ markt beleben und die Gewinne steigen lassen kann. Die Verlockung, in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld einfach die eigene Währung abzu­werten, kann in der Tat unwiderstehlich erscheinen. Allerdings stellen sich die Probleme und ungewollten Folgen eines derartigen Vorgehens fast ebenso schnell ein wie die erwünschten Effekte. Es fängt damit an, dass heutzutage nur sehr wenige Produkte von Anfang bis Ende in einem einzigen Land hergestellt werden. In unserer modernen, globalisierten Welt können in einem einzigen Produkt zum Beispiel amerikanische Technologie, italienisches Design, australische Rohstoffe, chinesische Fertigung, taiwanesische Komponenten und eine von der Schweiz aus gesteuerte globale Distribution stecken, bevor es die Verbraucher in Brasilien erreicht. Jeder Teil dieser Versorgungs-, Produktions- und Innovationskette erhält entsprechend seinem Beitrag zum Ganzen einen Teil des erwirtschafteten Gesamtgewinns. Der springende Punkt dabei ist, dass sich die Wechsel­ kursaspekte in einer globalisierten Wirtschaft nicht nur auf den abschließenden Verkauf beziehen, sondern auch auf die gesamten Währungen der Zwischenprodukte und Transaktionen entlang der Lieferkette. Ein Land, das seine Währung abwertet, verbilligt dadurch zwar seine ins Ausland gelieferten Produkte, kann sich damit aber auch ins eigene Fleisch schneiden, da es von seiner billigeren Währung mehr für den Import der verschiedenen, zu ihrer Herstellung benötigten Ausgangsprodukte benötigt. Im Falle eines Herstellungslands, das neben hohen Exportverkäufen auch in großem Maße auf Importe aus dem Ausland angewiesen ist, um sich Rohstoffe und Teile für den Bau der exportierten Güter zu beschaffen, kann die Währung im Vergleich zu anderen Faktoren wie Arbeitkosten, Steuerlast und Qualität der Infrastruktur nahezu irrelevant für die Nettoexporte sein. Höhere Einsatzkosten sind nicht der einzige Nachteil einer Abwertung. Eine größere und unmittelbarere Sorge könnte das Risiko sein, damit einen 67
Teil 2 Währungskriege Abwertungswettlauf nach dem Wie-du-mir-so-ich-dir-Prinzip auszulösen. Nehmen wir nochmals das Beispiel des 30 000 Euro teuren deutschen Autos, dessen Dollarpreis von 42 000 auf 33 000 Dollar zurückgeht, wenn der Euro von 1,40 auf 1,10 Dollar fällt. Kann der deutsche Hersteller darauf vertrauen, dass der Euro auf 1,10 Dollar bleibt? Die Vereinigten Staaten könnten versucht sein, ihre einheimische Autoindustrie zu schützen, indem sie den Dollar gegenüber dem Euro billiger machen und den Euro von 1,10 Dollar auf einen höheren Wechselkurs zwingen, womöglich sogar zurück bis auf 1,40 Dollar. Dazu müssen die Vereinigten Staaten nur ihre Zinssätze senken – wodurch der Dollar für internationale Investoren weniger attraktiv wird – oder die Druckerpresse anwerfen und damit den Dollar entwerten. Sie könnten aber auch direkt an den Devisenmärkten intervenieren und so lange Dollar verkaufen und Euro kaufen, bis der Euro wieder auf dem gewünschten Kurs steht. Kurz gesagt, die Abwertung des Euro könnte zwar einige unmittelbare und kurzfristige Vorteile erbringen, andererseits aber könnte dieser Nutzen schnell wieder verpuffen, wenn ein mächtiger Kontrahent wie zum Beispiel die Vereinigten Staaten beschließt, darauf seinerseits mit Abwertungsmaßnahmen zu reagieren. Wenn beide Seiten zwar abwechselnd kurzfristige Vorsprünge erringen können, aber keine der jeweils anderen einen dauerhaften Vorteil zugesteht, können solche Abwertungswettläufe unentschieden ausgehen. In solchen Fällen könnte zum Schutz der heimischen Hersteller der Griff zu einem offeneren Instrument notwendig sein. Dieses Instrument ist der Protektionismus, der zumeist die Form von Zöllen, Einfuhrembargos und anderen Beschränkungen des freien Handels annimmt. Um nochmals das Autobeispiel zu bemühen: Die USA könnten einfach einen Zoll in Höhe von 9 000 Dollar auf jeden importierten Wagen aus Deutschland erheben und damit den USPreis des Autos von 33 000 zurück auf 42 000 Dollar zwingen. Im Prinzip würden die USA den Vorteil der Euroabwertung für die Deutschen durch eine Einfuhrsteuer ungefähr in Höhe des Dollarwertes dieses Vorteils aufheben und damit den Konkurrenzvorteil des Euro auf dem US-Markt eliminieren. Von der Warte eines amerikanischen Automobilarbeiters aus betrachtet 68
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter dürfte das die beste Gegenmaßnahme sein, da sie die einheimische Industrie schützt und dem Automobilarbeiter gleichzeitig erlaubt, einen kostengünstigen Urlaub in Europa zu verbringen. Das Instrumentarium des Protektionismus beschränkt sich aber beileibe nicht auf die Erhebung von Zöllen und kann auch radikalere Handelssanktionen bis hin zu Embargos umfassen. Ein bemerkenswerter Fall aus jüngerer Zeit, an dem China und Japan beteiligt waren, lieferte schon so etwas wie einen Vorgeschmack auf einen Währungskrieg. Als bei Weitem größte Fördernation kontrolliert China fast den gesamten Markt der sogenannten Seltenen Erden – exotische, nur mit großem Aufwand abbaubare Metalle, die von entscheidender Bedeutung für elektronische Produkte, HybridAutomo­bile, Hightech-Anwendungen und viele grüne Technologien sind. Gleichzeitig ist Japan als Hersteller von Hightech-Elektronik und Automobilen in hohem Maße vom Import Seltener Erden abhängig. Als nun China im Juli 2010 eine Einschränkung der Ausfuhren Seltener Erden um 72 Prozent ankündigte, verlangsamte sich die industrielle Produktion in Japan und anderen Ländern, die für die Versorgung mit Seltenen Erden auf China angewiesen sind. Am 7. September 2010 dann stieß ein chinesischer Fischkutter bei einer abgelegenen Inselgruppe im Ostchinesischen Meer, die China wie Japan für sich beanspruchen, mit einem japanischen Patrouillenboot zusammen. Die Japaner nahmen den Kapitän des Fischkutters fest, woraufhin ein wütend protestierendes China von den Japanern die sofortige Freilassung des Mannes und eine umfassende Entschuldigung forderte. Als Japan nicht sofort auf die Forderungen einging, verhängte China über die Ausfuhrbeschränkungen vom Juli hinaus ein komplettes Exportverbot Seltener Erden nach Japan, was die japanischen Hersteller schwer traf. Am 24. September 2010 ging Japan mit einer überraschenden Abwertung des Yen an den internationalen Währungsmärkten zum Gegenangriff über. Binnen drei Tagen verlor der Yen ungefähr 3 Prozent gegenüber dem chinesischen Yuan. Eine Fortsetzung des japanischen Abwertungskurses hätte China beim Export nach 69
Teil 2 Währungskriege Japan im Vergleich zu kostengünstigeren Produzenten wie Indonesien und Vietnam Marktanteile kosten können. Wegen ein paar abgelegener und unbewohnter Felseninseln und eines inhaftierten Fischkutterkapitäns hatte China Japan mit einem Lieferembargo angegriffen und Japan mit einer Abwertung seiner Währung zurückgeschlagen. Im Laufe der folgenden Wochen glätteten sich die Wogen wieder, der Kapitän wurde freigelassen, Japan gab eine Pro-forma-Entschuldigung ab, der Kurs des Yen stieg und China nahm die Ausfuhr von Seltenen Erden nach Japan wieder auf. Damit war zwar ein weitaus schlimmeres Ende verhindert worden, aber beide Seiten hatten ihre Lektionen gelernt und die Messer für die nächste Auseinandersetzung geschärft. Ein potenzieller Währungskrieger bekommt es unweigerlich mit dem Gesetz der unbeabsichtigten Folgen zu tun. Angenommen, eine Währungsabwertung, beispielsweise durch die Europäer, erfüllt ihren a­ ngestrebten Zweck, sprich europäische Waren werden auf dem Weltmarkt billiger, und der Exportboom stimuliert das Wachstum in der Eurozone signifikant. Das mag zwar erfreulich für Europa sein, aber im Laufe der Zeit könnten die Produktionssektoren in anderen Ländern unter den wegbrechenden Marktanteilen leiden und es könnte dort zu Entlassungen, Fabrikschließungen, Bankrotten und einer Rezession kommen. Diese umfassendere Rezession wiederum könnte zu einem Rückgang der europäischen Exporte führen, aber nicht wegen des Wechselkurses, sondern weil die Verbraucher im Ausland sich die europäischen Produkte ungeachtet ihres niedrigeren Preises nicht mehr leisten können. Dieser weltweit die Konjunktur lähmende Effekt von Währungskriegen mag etwas länger benötigen, bis er spürbar wird, doch könnte er von allen negativen Folgen solcher Konflikte der schädlichste überhaupt sein. Abwertungen zur Stimulation der Exporte sind mithin eine schwierige Angelegenheit. Sie können, und zwar eher früher als später, in steigende Einkaufskosten, Abwertungswettläufe, höhere Zölle, Embargos und eine 70
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter weltweite Rezession münden. In Anbetracht dieser unbeabsichtigten Konsequenzen und ungünstigen Resultate stellt sich die Frage, warum es überhaupt zu Währungskriegen kommt. Nicht nur sind sie, solange sie andauern, destruktiv für alle kriegführenden Parteien, sie können am Ende auch gar nicht gewonnen werden. Wie immer ist auch in dieser Frage der Blick in die Geschichte lehrreich. Im 20. Jahrhundert gab es zwei große Währungskriege. Der, wie ich ihn nenne, Erste Währungskrieg, dauerte von 1921 bis 1936, umfasste also fast die gesamte Periode zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg und damit auch die Große Depression, mit der er eng zusammenhängt. Der Zweite Währungskrieg dauerte von 1967 bis 1987 und wurde schließlich mit zwei internationalen Vereinbarungen, dem Plaza-Abkommen von 1985 und dem Louvre-Abkommen von 1987, beigelegt, ohne in einen militärischen Konflikt zu eskalieren. Währungskriege ähneln normalen Kriegen in dem Sinne, dass sie erkennbare Vorbedingungen haben. Die drei wichtigsten Vorbedingungen des Ersten Währungskriegs waren der klassische Goldstandard von 1870 bis 1914, der Aufbau des Federal Reserve Systems in den USA zwischen 1907 und 1913 und der Erste Weltkrieg mit dem Versailler Vertrag von 1914 bis 1919. Ein kurzer Abriss dieser drei Perioden hilft beim Verständnis der wirtschaftlichen Konflikte, die darauf folgten. Der klassische Goldstandard – 1870 bis 1914 Mindestens seit der Herrschaft des lydischen Königs Krösus im sechsten Jahrhundert vor Christus in der heutigen Westtürkei hat Gold immer wieder als internationale Währung gedient. In neuerer Zeit schuf England 1717 eine zu einem fixen Wechselkurs goldbasierte Papierwährung, die in unterschiedlichen Formen und mit zwischenzeitlichen Unterbrechungen 71
Teil 2 Währungskriege in Kriegszeiten bis 1931 fortbestand. Auch wenn man diese und andere Währungsregime unter der Bezeichnung »Goldstandard« zusammenfassen kann, gibt es keine einheitliche Definition des Begriffs. Mit Goldstandard kann alles von tatsächlichen Goldmünzen bis hin zu in unterschiedlichen Mengen mit Gold hinterlegtem Papiergeld gemeint sein. Historisch betrachtet hat der Grad der Golddeckung für Papiergeld zwischen 20 und 100 Prozent variiert (in den wenigen Fällen, in denen der Wert der Goldreserven den Nennwert der ausgegebenen Geldmenge überstieg, waren es sogar mehr). Der klassische Goldstandard von 1870 bis 1914 nimmt in der Geschichte von Gold als Geld eine einzigartige Stellung ein. Es war eine Periode fast gänzlich ohne Inflation, und in der Tat herrschte in den fortschrittlicheren Volkswirtschaften sogar eine günstige Deflation infolge der technologischen Innovation, die die Produktivität steigerte und den Lebensstandard verbesserte, ohne dabei die Arbeitslosigkeit zu verschärfen. Man begreift dieses knappe halbe Jahrhundert vielleicht am besten als das erste Zeitalter der Globalisierung, und es weist viele Parallelen zu unserem neueren, zweiten Zeitalter der Globalisierung auf, das 1989 mit dem Ende des Kalten Kriegs anbrach. Das erste Zeitalter der Globalisierung war geprägt von technologischen Fortschritten im Kommunikations- und Transportwesen, sodass nun ein Bankier in New York per Telefon mit seinen Partnern in London sprechen konnte und sich die Reisezeiten zwischen den beiden Finanzzentren auf nur noch sieben Tage verkürzten. Diese Verbesserungen mögen eng begrenzt gewesen sein, aber sie erleichterten den globalen Handel und das globale Bankwesen. In Argentinien aufgelegte Anleihen etwa, die in London emittiert und in New York gekauft wurden, erzeugten ein dichtes Netz miteinander verwobener Kapitalanlagen und Verbindlichkeiten einer Art, die auch heutigen Bankern sehr vertraut ist. Hinter diesem internationalen Wachstum und Handel stand Gold. 72
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter Anders als seine Nachfolger im 20. Jahrhundert wurde der klassische Goldstandard nicht auf einer internationalen Konferenz ausgehandelt oder von einer multilateralen Organisation per Dekret auferlegt.6 Vielmehr handelte es sich dabei um eine Art Club, dem die Nationen freiwillig beitreten konnten. Einmal dem Club beigetreten, richteten die Mitglieder ihr Verhalten an allseits bekannten Spielregeln aus, obwohl diese nirgendwo schriftlich festgehalten waren. Nicht alle großen Länder traten dem Club bei, aber die meisten taten es, und zwischen denen, die ihm angehörten, waren die Kapitalmärkte offen, herrschte ein freies Spiel der Marktkräfte, beschränkten sich die staatlichen Interventionen auf ein Minimum und waren die Wechselkurse stabil. Einige Länder hatten ihre Währungen schon lange vor 1870 ans Gold gekoppelt, so zum Beispiel England im Jahr 1717 und die Niederlande 1818, aber erst in der Zeit nach 1870 schloss sich eine Vielzahl anderer Länder ihrem Vorbild an, sodass der Goldclub seine charakteristische Gestalt annahm. Zu diesen neuen Mitgliedern gehörten Deutschland und Japan, die 1871 zum Goldstandard wechselten, gefolgt von Frankreich und Spanien 1876, Österreich 1879, Argentinien 1881, Russland 1893 und Indien 1898. Die Vereinigten Staaten befanden sich de facto zwar schon seit 1832 auf dem Goldstandard, als sie anfingen, Goldmünzen mit einem Gewicht von einer Feinunze zu prägen, die zu der Zeit rund 20 Dollar wert waren. Aber bis zum Gold Standard Act von 1900 verzichteten sie darauf, einen gesetzlichen Goldstandard für den Umtausch von Papiergeld festzulegen, und waren damit eine der letzten großen Nationen, die dem klassischen Goldsystem beitraten. Die Ökonomen verweisen nahezu einstimmig auf die günstigen wirtschaftlichen Resultate dieser Periode. Giulio M. Gallarotti, der führende Theoretiker und Wirtschaftshistoriker der Ära des klassischen Goldstandards, fasst das in seinem Standardwerk The Anatomy of an International M ­ onetary ­Regime gut zusammen: 73
Teil 2 Währungskriege Innerhalb dieser Gruppe von Nationen, die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhundert schließlich auf Goldstandards zubewegten (also des Goldclubs), kam es kaum zu abnormalen Kapitalbewegungen (d.h. spekulativen internationalen Geldflüssen), waren Währungsmanipulationen aus Wettbewerbsgründen die Ausnahme, wuchs der internationale Handel mit Rekordraten, gab es kaum Zahlungsbilanzprobleme, war die Kapitalmobilität hoch (wie auch die Mobilität von Produktionsfaktoren und Personen), setzten nur wenige Mitgliedsländer jemals die Goldkonvertibilität ihrer Währung aus (und von denen, die das taten, kehrten die wichtigsten wieder zurück), blieben die Wechselkurse innerhalb ihrer jeweiligen Goldpunkte (d.h. sie waren extrem stabil), gab es kaum wirtschaftspolitische Konflikte zwischen Nationen, wirkte die Spekulation stabilisierend (d.h. das Verhalten der Investoren neigte dazu, die Währungen zurück ins Gleichgewicht zu bringen, wenn sie davon abgerückt waren), erfolgten Anpassungen rasch, war Liquidität im Überfluss vorhanden und das öffentliche und private Vertrauen in das internationale Währungssystem groß, genossen die Nationen langfristige Preisstabilität (Vorhersagbarkeit) bei geringen Inflationsraten, waren die langfristigen Trends der industriellen Produktion und des Einkommenswachstums günstig und blieb die Arbeitslosigkeit vergleichsweise gering.7 Diese in hohem Maße positive Bewertung Gallarottis klingt auch in einer von der Federal Reserve Bank of St. Louis veröffentlichten Studie an, deren Fazit lautet: »In der Zeit des klassischen Goldstandards war die Wirtschaftsentwicklung in den Vereinigten Staaten und Großbritannien besser als in der Zeit des nachfolgenden Teilreservesystems.«8 Die Periode von 1870 bis 1914 war ein wahrhaft »Goldenes« Zeitalter, in dem nichtinfla­ tionäres Wachstum mit zunehmendem Reichtum und steigender Produktivität in der industrialisierten und der Rohstoff erzeugenden Welt einherging. Ein Großteil der Attraktivität des klassischen Goldstandards rührte von seiner Einfachheit her. Zentralbanken konnten zwar bestimmte Funktionen ausüben, aber das System an sich funktionierte auch ohne Zentralbanken; die Vereinigten Staaten zum Beispiel hatten in der gesamten Zeit des klas­sischen Goldstandards keine Zentralbank. Um dem Club beizu­treten, musste ein Land lediglich bekannt geben, dass seine Papierwährung ­eine be­ 74
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter stimmte Menge Gold wert war und es bereit stand, die Währung von den anderen Mitgliedern jederzeit und in jedem Umfang zu dem festgesetzten Kurs gegen Gold zurückzukaufen. Der Vorgang des Kaufs und Verkaufs von Gold im Bereich eines Zielpreises mit dem Zweck, diesen Preis aufrechtzuerhalten, wird heute als Offenmarktgeschäft bezeichnet. Solche Geschäfte können von einer Zentralbank ausgeführt werden, aber das ist nicht zwingend notwendig; genauso gut können sie von einem Staat durchgeführt werden, der direkt oder indirekt durch Anleihetreuhänder wie Banken oder Händler aktiv wird. Dabei benötigt jeder autorisierte Händler Zugang zu einer angemessenen Menge Gold, verbunden mit der stillschweigenden Annahme, dass im Falle einer Panik problemlos mehr Gold beschafft werden kann. Zwar liegt hier eine staatliche Intervention vor, aber diese erfolgt transparent und kann eher als Stabilisierung denn als Manipulation betrachtet werden. Der Vorzug dieses Prinzips im internationalen Finanzsystem liegt darin, dass zwei Währungen, deren Wert im Verhältnis zu einer bestimmten Menge Gold fixiert wird, damit auch im Verhältnis zueinander fixiert sind. Diese Art der Verankerung bedarf keiner Vermittlung durch Institutionen wie den IWF oder die G20. In der Ära des klassischen Goldstandards kam die Welt in den Genuss der gesamten Vorzüge der Währungs- und Preisstabilität, ohne dafür die Kosten für multilaterale Aufsichtsorgane und Steuerungsmaßnahmen der Zentralbanken tragen zu müssen. Ein weiterer Vorteil des klassischen Goldstandards war seine selbstregulierende Natur nicht nur im Hinblick auf die alltäglichen Offenmarktgeschäfte, sondern auch in Bezug auf größere Ereignisse wie Umschwünge in der Goldproduktion. In Zeiten, in denen die Goldmenge schneller stieg als die Produktivität, wie es beispielsweise nach den spektakulären Funden in Südafrika, Australien und am Yukon zwischen 1886 und 1896 geschah, führte das zu einem allgemeinen Anstieg der Preise. Dieser Preisanstieg wiederum bedingte höhere Kosten für die Golderzeuger, was mit der Zeit zu einem Rückgang der Produktion und damit einer Rückkehr zum langfristigen Trend der Preisstabilität führte. Im umgekehrten Fall, wenn die ökonomi- 75
Teil 2 Währungskriege sche Produktivität infolge technologischer Fortschritte schneller wuchs als die Goldmenge, führte das zu einem Rückgang des Preisniveaus, was wiederum die Kaufkraft des Geldes steigen ließ. Das bewog mehr Leute zum Verkauf ihres Goldschmucks und führte zu höheren Investitionen in den Goldbergbau, was mit der Zeit zu einer Ausweitung des Goldangebots und einer Wiederherstellung der Preisstabilität führte. In beiden Fällen bedingten die temporären Angebots- beziehungsweise Nachfrageschocks bei Gold Verhaltensänderungen der Akteure, die zu einer Wiederherstellung der langfristigen Preisstabilität führten. Im internationalen Handel glichen sich derartige Angebots- und Nach­ fragefaktoren auf dieselbe Weise aus. Ein Land, dessen Austauschverhältnisse (Verhältnis des Preisniveaus der Exporte im Verhältnis zum Preisniveau der Importe) sich verbesserten, erwirtschaftete einen Außenhandelsüberschuss. Diesem Überschuss stand ein Defizit in einem anderen Land gegenüber, dessen Austauschverhältnisse weniger vorteilhaft waren. Das Defizitland beglich die Differenz durch Zahlungen in Gold. Dadurch schrumpfte die Geldmenge in der Defizitnation, während die Geldmenge in der Überschussnation zunahm. Dort kam es aufgrund der sich ausweitenden Geldmenge zur Inflation, während das Defizitland wegen der schrumpfenden Geldmenge eine Deflation erlebte. Inflation hier und Deflation da bewirkten alsbald eine Umkehrung der ursprünglichen Austauschverhältnisse zwischen den Handelspartnern. Ausfuhren aus der ursprünglichen Überschussnation verteuerten sich, während sich diejenigen der anfänglichen Defizitnation verbilligten. Da dies dazu führte, dass das bisherige Defizitland nun Überschüsse erwirtschaftete, während beim Überschussland Defizite aufliefen, kehrten sich die Verhältnisse um, und es floss Gold zurück in das Land, das es ursprünglich verloren hatte. Ökonomen sprachen in diesem Zusammenhang vom Goldautomatismus beziehungsweise Price-Specie-Flow-Mechanismus. Dieser Ausgleichsmechanismus funktionierte automatisch, auch ohne Interventionen seitens der Zentralbanken. Angetrieben wurde er durch Ar- 76
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter bitragehändler, die »billiges« Gold in einem Land kauften und als »teures« Gold in einem anderen Land verkauften, natürlich unter Berücksichtigung der Wechselkurse, des Zeitwerts des Geldes, der Transportkosten und der Scheidekosten des Goldes. Das geschah in Übereinstimmung mit den Spielregeln, bei denen es sich um allgemein anerkannte Gebräuche und Praktiken handelte, die auf dem wechselseitigen Vorteil, dem gesunden Menschenverstand und den Arbitragegewinnen basierten. Nicht jede Forderung musste unmittelbar in Gold beglichen werden. Der internationale Handel wurde in großen Teilen durch kurzfristige Handelswechsel und Akkreditive finanziert, die sich automatisch liquidierten, wenn die eingeführten Waren vom Käufer in Empfang genommen und ohne Goldtransfers gegen Bargeld weiterverkauft wurden. Gold war der Anker beziehungsweise das Fundament für das gesamte System und nicht etwa ausschließliches Tauschmittel. Und es war ein höchst effektiver Anker, weil sich dadurch Währungssicherungsmaßnahmen erübrigten und die Händler mehr Gewissheit bezüglich des schlussendlichen Werts ihrer Transaktionen hatten. Der klassische Goldstandard steht für die Periode des Wachstums und Wohlstands bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914. Der darauf folgende und viel geschmähte Gold-Devisen-Standard der 1920er-Jahre war in den Augen vieler Zeitgenossen ein Versuch, die Vorkriegszustände wiederherzustellen. Die in den 1920er-Jahren unternommenen Versuche, zur Goldparität der Vorkriegszeit zurückkehren, waren wegen der wachsenden Schuldenberge und der schwerwiegenden politischen Fehler, die den GoldDevisen-Standard in einen deflationären Moloch verwandelten, zum Scheitern verurteilt. Seit 1914 hat die Welt keinen reinen Goldstandard mehr ­gesehen. 77
Teil 2 Währungskriege Der Aufbau der Federal Reserve – 1907 bis 1913 Die zweite Vorbedingung des Währungskriegs war die Gründung des USamerikanischen Federal Reserve System 1913, ein Ereignis, das seinerseits eine Vorgeschichte hat, für die man den Blick noch weiter zurück wenden muss, bis zur Panik von 1907 an der Wall Street. Ausgelöst wurde die Panik durch den gescheiterten Versuch mehrerer New Yorker Banken, darunter die Knickerbocker Trust Company, eine der damals größten Banken der Stadt, den Kupfermarkt unter ihre Kontrolle zu bekommen.9 Als die Beteiligung von Knickerbocker an dem Übernahmeversuch ruchbar wurde, kam es zu einem klassischen Ansturm auf die Bank. Wären die Enthüllungen in einem ruhigeren Marktumfeld geschehen, hätten sie wohl kaum eine derartige Panikreaktion ausgelöst, aber nach den durch das Erdbeben von San Fransisco 1906 verursachten massiven Verlusten war der Markt sowieso schon nervös und sehr volatil. Die Schließung der Knickerbocker Trust Company war der Auftakt zu einem massiven Vertrauensverlust, der in einem weiteren Börsenkrach, noch mehr Bankenanstürmen und schließlich einer ausgewachsenen Liquiditätskrise mündete, die die Stabilität des Finanzsystems insgesamt zu untergraben drohte. Abgewendet werden konnte diese Gefahr nur durch eine gemeinsame Aktion der führenden Bankiers der damaligen Zeit, die sich zu einer von J. P. Morgan organisierten privaten finanziellen Rettungsaktion zusammenfanden. In einer der denkwürdigsten Episoden der amerikanischen Finanzgeschichte trommelte Morgan die Finanziers in seinem Stadthaus im Viertel Murray Hill in Manhattan zusammen und eröffnete ihnen, dass er sie nicht gehen lassen würde, bis sie einen Rettungsplan ausgearbeitet hätten, der konkrete finanzielle Zusagen der Anwesenden zur Beruhigung der Märkte umfasste. Der Plan funktionierte, aber nur um den Preis erheblicher finanzieller Verluste und Verwerfungen. Als ein unmittelbares Resultat der Panik von 1907 gelangten die an der Rettungsaktion beteiligten Bankiers zu der Überzeugung, dass die Vereinigten 78
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter Staaten eine Zentralbank benötigten – eine von der Regierung eingesetzte Bank mit der Fähigkeit, durch die Ausgabe von neuem Kapital das private Bankensystem zu retten, sollte sich die Notwendigkeit dazu ergeben. Mit anderen Worten wollten die Bankiers eine vom Staat getragene Bank, die ihnen im Notfall gegen unterschiedliche Sicherheiten unbegrenzte Summen an Bargeld leihen konnte. J.P. Morgan, so viel war den Bankiers klar, würde nicht auf ewig unter ihnen weilen und die Führung übernehmen können, und abgesehen davon war denkbar, dass irgendeine zukünftige Panik nach Lösungen rief, die selbst die Ressourcen und das Geschick eines J.P. Morgan überstiegen. Was sie brauchten, war eine Zentralbank, die als unbeschränkter »lender of last resort«, als Bank der Banken agierte, bevor die nächste Panik ausbrach. Die Abneigung gegen Zentralbanken hatte in Amerika eine lange Geschichte. Vor 1913 gab es in der US-Geschichte zwei Versuche, so etwas wie eine Zentralbank einzurichten. Der erste davon, die Bank of the United States, wurde 1791 auf Drängen von Alexander Hamilton vom Kongress konzessioniert. 1811 aber lief die Konzession unter der Präsidentschaft von James Madison fristgemäß aus, und ein Gesetz zur Verlängerung der Bankkonzession scheiterte im Kongress um eine Stimme. Fünf Jahre später manövrierte Madison die Konzessionierung der Second Bank of the United States durch den Kongress. Doch auch diese zweite Konzession war auf 20 Jahre beschränkt und musste 1836 vom Kongress verlängert werden. Als sich der Zeitpunkt für die Verlängerung näherte, stieß die Second Bank nicht nur im Kongress, sondern auch im Weißen Haus auf Widerstand. Präsident Andrew Jackson hatte sich 1832 im Wahlkampf um den Wiedereinzug ins Weiße Haus explizit für die Auflösung der Bank ausgesprochen. Nach einer hitzigen landesweiten Debatte, in deren Verlauf Jackson sämtliche Einlagen der Bundesregierung aus der Second Bank abzog und in einzelstaatlich konzessionierten Banken deponierte, stimmte der Kongress für die Verlängerung der Konzession. Aber Jackson legte sein Veto ein, und die Konzession wurde nicht erneuert. 79
Teil 2 Währungskriege Der politische Widerstand gegen beide Nationalbanken beruhte auf einem generellen Misstrauen gegen jede Konzentration finanzieller Macht und auf der Überzeugung, dass die Ausgabe von nationalen Banknoten zu den Vermögensblasen beigetragen hatte, die durch die leicht verfügbaren Bankkredite aufgebläht wurden. Von 1836 bis 1913, in einer fast 80 Jahre währenden Periode der beispiellosen Prosperität und Innovation und des starken wirtschaftlichen Wachstums, hatten die Vereinigten Staaten keine Zentralbank. Nun, sprichwörtlich inmitten der Trümmer des Erdbebens von 1906 in San Fransisco und denen der Börsenpanik von 1907, wurde ein weiterer konzertierter Versuch zur Schaffung einer neuen Zentralbank in Angriff genommen.10 In Anbetracht der weit verbreiteten Abneigung gegen das Zentralbankkonzept war den von Repräsentanten von J. P. Morgan, John D. Rockefeller Jr. und Jacob H. Schiff von der Investmentbank Kuhn, Loeb & Company angeführten Fürsprechern der Bank klar, dass es einer Aufklärungskampagne bedurfte, um öffentliche Unterstützung für die Idee zu gewinnen. Ihr politischer Patron Nelson W. Aldrich, republikanischer Senator aus Rhode Island und Vorsitzender des Senate Finance Committee, des Finanzausschusses im Senat, brachte 1908 ein Gesetz ein, mit dem die National Monetary Commission gegründet wurde. Im Laufe der folgenden Jahre bildete diese National Monetary Commission die Plattform für zahllose Studien, Veranstaltungen, Reden und Kooperationen mit prestigeträchtigen Berufsverbänden von Ökonomen und Politikwissenschaftlern, Aktivitäten, die allesamt der Werbung für das Konzept einer starken Zentralbank ­dienten. Im September 1909 forderte Präsident William H. Taft die Amerikaner öffentlich dazu auf, die Gründung einer Zentralbank zu unterstützen. Im selben Monat startete das Wall Street Journal unter der Überschrift » A Central Bank of Issue« eine Serie von Meinungsbeiträgen, in denen für eine Zentralbank geworben wurde. Bis zum Sommer des folgenden Jahres waren die öffentlichen und politischen Grundlagen geschaffen und die Zeit reif, 80
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter sich an die Ausarbeitung eines konkreten Plans für die neue Bank zu machen. Was folgte, war eine der bizarrsten Episoden in der Finanzgeschichte. Senator Aldrich sollte die Gesetzesvorlage zur Gründung der Bank federführend einbringen, aber natürlich musste sichergestellt werden, dass das Gesetz den Vorstellungen der New Yorker Banken entsprach, denen immer noch die Panik von 1907 in den Knochen steckte und die nach wie vor nach einem Kreditgeber in letzter Instanz suchten, der ihnen bei der nächsten ­Panik an den Finanzmärkten aus der Bredouille helfen würde. Also w ­ urde beschlossen, dass eine mit hochkarätigen Bankiers besetzte Kommission den Plan für die neue Zentralbank entwerfen sollte. Im November 1910 berief Aldrich eine Zusammenkunft ein, an der neben ihm selbst mehrere Wall-Street-Bankiers teilnahmen sowie Abram Piatt Andrew, der erst kurz zuvor zum stellvertretenden Finanzminister berufen worden war. Zu den Bankiers gehörten Paul Warburg von Kuhn, Loeb and Company, Frank A. Vanderlip von der von Rockefeller kontrollierten National City Bank of New York, Charles D. Norton von der von Morgan kontrollierten First National Bank of New York sowie Henry P. Davison, der nach Morgan selbst mächtigste Partner bei J. P. Morgan & Company. Andrew war ein Harvard-Ökonom, der als technischer Berater für diese sorgfältig mit Vertretern des Morgan- und des Rockefeller-Lagers ausbalancierte Gruppe fungieren sollte. Aldrich wies die Männer an, sich im Schutze der Dunkelheit an einem abgelegenen Anschlussgleis in Hoboken, New York, einzufinden, wo ein privater Eisenbahnwaggon auf sie warten würde. Sie sollten, wurde ihnen eingeschärft, einzeln kommen und unbedingt dafür Sorge tragen, dass ihnen keine Reporter folgten. Nach Betreten des Zugs sollten sie sich nur mit Vornamen ansprechen, damit das Personal sie nicht später gegenüber Freunden oder der Presse identifizieren konnte. Einige der Männer legten sich aus Gründen der Sicherheit eigens Decknamen zu. Nach zweitägiger Fahrt trafen sie in Brunswick, Georgia, ein, auf halbem Wege zwischen Savannah und Jacksonville, Florida, an der Atlantikküste gelegen. Von Brunswick 81
Teil 2 Währungskriege aus fuhren sie mit der Fähre nach Jekyll Island, wo sie im exklusiven Jekyll ­Island Club abstiegen, zu dessen Mitbesitzern J.P. Morgan gehörte. Über ­eine ­Woche lang saß die Gruppe zusammen, bis sie Aldrichs Gesetzesvor­ lage ausgearbeitet hatten, die zur Blaupause für das Federal Reserve System werden sollte. Bis zur Verabschiedung des Federal Reserve Act, so die offizielle Bezeichnung des auf Jekyll Island ausgetüftelten und von Aldrich eingebrachten Gesetzes, vergingen aber nochmals drei Jahre. Am 23. Dezember 1913 schließlich wurde das Zentralbankgesetz von beiden Kammern des Kongresses mit großer Mehrheit angenommen, und im November 1914 schließlich trat es in Kraft. Der Federal Reserve Act von 1913 griff viele der von Aldrich und Warburg vorgeschlagenen Maßnahmen auf, die dazu gedacht waren, die tief verwurzelte Abneigung der Amerikaner gegen eine Zentralbank zu überwinden. Zunächst sollte die zu gründende Einrichtung nicht den Namen Zentralbank tragen, sondern als Federal Reserve System bezeichnet werden. Darüber hinaus sollte sie keine Einzelinstitution sein, sondern vielmehr ein Zusammenschluss regionaler Notenbanken, der sogenannten Reserve Banks, angeleitet von einem Direktorium, dem Federal Reserve Board, dessen Mitglieder nicht von den Banken ausgewählt, sondern vom Präsidenten ernannt und zudem vom Senat bestätigt werden sollten. Nach außen hin erweckte das alles den Anschein, als sei das System dezentral organisiert und unterstünde der Kontrolle demokratisch gewählter Amtsträger. Bei genauerer Betrachtung aber zeigte sich, dass der Plan einen Mechanismus enthielt, der sehr viel mehr den Interessen der illustren Gruppe entsprach, die Aldrich auf Jekyell Island um sich geschart hatte. Die eigentliche, durch Offenmarktgeschäfte getätigte Geldpolitik würde nämlich von der Federal Reserve Bank of New York dominiert werden, da New York City der Sitz der großen Banken und Handelshäuser war, mit denen die Fed Geschäfte machen würde. Der Federal Reserve Bank of New York allerdings 82
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter standen ein Verwaltungsrat sowie ein Gouverneur vor, die nicht von der Politik, sondern von ihren Anteilseignern bestimmt wurden – sprich den großen New Yorker Banken. Die Folge war eine »Fed innerhalb der Fed«, die von den New Yorker Banken dominiert wurde und entsprechend willfährig ihren Wünschen gegenüber war, darunter der unkomplizierte Zugang zu Krediten für notwendige Rettungsaktionen. Einige dieser Regelungen wurden durch den Banking Act von 1935 geändert, mit dem dem Direktorium der Federal Reserve in Washington D.C. umfangreichere Kontrollrechte zugewiesen wurden, die er bis heute innehat. Seit einiger Zeit wird das Fed-Direktorium nicht mehr von Bankiers, sondern von Wirtschaftswissenschaftlern und Anwälten dominiert, die Bankensanierungen und einer Politik des billigen Geldes ironischerweise aber noch wohlgesonnener zu sein scheinen als die Bankiers selbst. Doch zumindest in den 1920er-Jahren wurde das Federal Reserve System von der New Yorker Fed dominiert, regiert mit fester Hand von ihrem ersten Gouverneur Benjamin Strong von 1914 bis zu seinem Tod 1928. Mit Strong, einem Protegé des Morgan-Partners Henry Davidson sowie J.P. Morgans selbst, war Morgans Einfluss auf die neue Zentralbank der Vereinigten Staaten um­fassend. Die Geschichte wiederholt sich vielleicht nicht, aber sie hallt nach. Jahrzehnte nach dem Geheimtreffen auf Jekyll Island schlossen sich Frank Vanderlips National City Bank und Charles Nortons First National Bank zur First National City Bank of New York zusammen, die sich später kurz und bündig in Cititbank umtaufte. 2008 kam die Citibank in den Genuss des größten Bankrettungsplans in der Geschichte, durchgeführt von der Federal Reserve. Die Grundlagen, die Vanderlip und Norton und ihre Mitstreiter 1910 auf Jekyll Island gelegt hatten, hatten sich als dauerhaft genug ­erwiesen, um ihre Banken noch fast ein Jahrhundert später wie vorgesehen zu retten. 83
Teil 2 Währungskriege Der Erste Weltkrieg und der Vertrag von Versailles 1914 bis 1919 Die letzte Vorbedingung des Ersten Währungskriegs war der Erste Weltkrieg mit der anschließenden Pariser Friedenskonferenz und dem Versailler Vertrag. Der Erste Weltkrieg ging nicht mit einer Kapitulation, sondern mit einem Waffenstillstand zu Ende, einer Vereinbarung, sämtliche Kampfhandlungen einzustellen. Ein Waffenstillstand wird in der Erwartung geschlossen, dass die Einstellung der Feindseligkeiten den Kriegsparteien die Möglichkeit gibt, einen Friedensvertrag auszuhandeln, in manchen Fällen aber scheitern die Verhandlungen auch und werden die Kampfhandlungen wieder aufgenommen. Ziel der Pariser Friedenskonferenz von 1919 war die Aushandlung eines dauerhaften Friedens. Großbritannien und Frankreich waren sich deutlich bewusst, dass ihnen in naher Zukunft die finanzielle Rechnung für den Krieg präsentiert werden würde, und sahen in der Pariser Konferenz eine Gelegenheit, diese Kosten den besiegten Deutschen und Österreichern aufzuerlegen. Allerdings war ein erfolgreicher Ausgang der Verhandlungen in Paris keineswegs garantiert.11 Obwohl die deutsche Armee und Marine im November 1918 eindeutig besiegt worden waren, war bis zum Frühjahr 1919 kein Friedensvertrag geschlossen und erschien es zusehends unwahrscheinlich, dass die Alliierten in der Lage oder auch nur willens gewesen wären, den Krieg fortzusetzen. Mit anderen Worten waren die Verhandlungen über eventuelle Reparationszahlungen genau dies: Verhandlungen. Die Fähigkeit der Alliierten, die Friedensbedingungen zu diktieren, war in dem knappen halben Jahr von November 1918 bis März 1919 drastisch geschwunden. Nun würde man die Deutschen irgendwie dazu bringen müssen, den von den Alliierten noch auszuarbeitenden Friedensbedingungen zuzustimmen. Umfang und Art der von den Deutschen zu leistenden Reparationen gehörten mit zu den schwierigsten Fragen, die auf der Pariser Friedenskonferenz 84
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter zu klären waren. Einerseits würde man Deutschland auffordern, bestimmte Territorien und in gewissem Umfang industrielle Kapazitäten herauszugeben. Andererseits, je mehr man den Deutschen wegnahm, umso weniger wären sie in der Lage, die finanziellen Reparationen zu leisten, die man gleichfalls von ihnen forderte. Frankreich hatte ein Auge auf die deutschen Goldreserven geworfen, die sich 1915 auf 876 Tonnen belaufen hatten, womit das Deutsche Reich vor dem Krieg über die weltweit viertgrößten Goldvorräte nach den Vereinigten Staaten, Russland und Frankreich verfügt ­hatte. Auch wenn die Frage der Reparationen häufig allein unter dem Gesichtspunkt betrachtet wurde, wie viel Deutschland den Alliierten zu zahlen in der Lage war, verhielt sich die Sache in Wahrheit deutlich komplizierter, da nicht nur die Verlierer, sondern auch die Sieger verschuldet waren. Wie Margaret MacMillan in ihrem Buch Paris, 1919 schreibt, hatten sowohl Großbritannien als auch Frankreich gewaltige Summen an Russland verliehen, das seit der Oktoberrevolution säumig war. Andere Schuldner wie zum Beispiel Italien waren zahlungsunfähig. Gleichzeitig stand Großbritannien mit 4,7 Milliarden Dollar bei den Vereinigten Staaten in der Kreide, während Frankreich den Vereinigten Staaten 4 Milliarden Dollar und Großbritannien weitere 3 Milliarden Dollar schuldete. Praktisch kein Schuldnerland sah sich in der Lage, seine Schulden zu bedienen. Der gesamte Kreditund Handelsmechanismus war eingefroren.12 Zur Debatte standen also nicht nur die deutschen Wiedergutmachungsleistungen an die Alliierten, sondern auch das komplexe Geflecht der Kredite, die sich die Alliierten untereinander gewährt hatten. Irgendwie musste die Pumpe wieder angeworfen und mussten Finanzen, Industrie und Handel wieder zum Laufen gebracht werden. Idealerweise hätte die stärkste Finanzmacht, die Vereinigten Staaten, mit frischen Darlehen und über die bereits geleisteten Kredite hinausgehenden Garantien die Initialzündung für den Prozess geliefert. Im Verein mit einer Freihandelszone hätte diese neue Liquidität möglicherweise für das Wachstum gesorgt, das erforderlich gewe- 85
Teil 2 Währungskriege sen wäre, um sich an das Abtragen der Schuldenberge machen zu können. Ein zweiter Ansatz, für den ebenfalls sehr viel sprach, wäre gewesen, die gesamten Schulden zu streichen und das Spiel von vorne zu beginnen. So schwer es Frankreich auch gefallen wäre, auf deutsche Reparationszahlungen zu verzichten, so sehr hätte es von einem Erlass seiner Schulden durch die Vereinigten Staaten profitiert. Für Paris wäre der Nettoeffekt wohl positiv gewesen, denn die USA waren als Kreditgeber beharrlicher, als Deutschland als Schuldner verlässlich war. Doch es sollte anders kommen. Die Stärkeren, angeführt von Großbritannien und Frankreich, setzten sich gegen die Schwächeren, vor allem Deutschland, mit der Forderung durch, dass diese zur Wiedergutmachung Reparationen in Bargeld, Sachleistungen und Gold zu leisten hätten. Die Berechnung der Höhe der Reparationen und die Einigung auf einen Mechanismus, mittels dessen die Reparationen zu leisten waren, erwiesen sich als nahezu unlösbare Aufgaben. Frankreich, Belgien und Großbritannien forderten, die Reparationen nach den tatsächlichen Kriegsschäden zu ermitteln, die Vereinigten Staaten dagegen waren eher geneigt, die Zahlungs­ fähigkeit der Deutschen mit zu berücksichtigen. Allerdings befanden sich die deutschen Statistiken in einem so erbärmlichen Zustand, dass eine zuverlässige Kalkulation der Zahlungsfähigkeit nicht möglich war. Aber auch an eine Berechnung der Kriegsschäden war in der gegebenen Zeit unmöglich zu denken. Viele Gebiete waren kaum zugänglich und schon gar nicht in einem Zustand, in dem man halbwegs zuverlässige Schätzungen über die erforderlichen Wiederaufbauleistungen hätte anstellen können. Die Alliierten stritten untereinander ebenso viel wie mit den deutschen Gesandten darüber, ob die Reparationen auf die tatsächlichen Kriegsschäden begrenzt werden sollten, was Frankreich und Belgien bevorzugt hätte, oder ob sie auch rein finanzielle Kosten wie die Pensionen und den Sold der Soldaten umfassen sollten, was für England besser gewesen wäre. Am Ende verzichtete man im Versailler Vertrag darauf, die Höhe der Reparationen exakt festzulegen, was ebenso sehr der technischen Unmöglichkeit geschuldet 86
Kapitel 3 – Reflektionen über ein Goldenes Zeitalter war, eine konkrete Summe zu ermitteln, wie der politischen Unmöglichkeit, sich auf eine solche zu einigen. Jeder Betrag, der hoch genug gewesen wäre, um zu Hause in Großbritannien und Frankreich akzeptiert zu werden, wäre den Deutschen zu hoch gewesen und umgekehrt. Das amerikanische Drängen auf Mäßigung und Praktikabilität blieb weitgehend fruchtlos, innenpolitische Interessen triumphierten über weltwirtschaftliche Belange. Statt sich also auf eine Summe festzulegen, wurden Expertenausschüsse mit dem Auftrag eingesetzt, die Frage weiter zu untersuchen und in den kommenden Jahren konkrete Ergebnisse vorzulegen, die dann die Grundlage für die tatsächlich zu leistenden Reparationen bilden sollten. Damit hatte man zwar Zeit gewonnen, aber zugleich die eigentliche Frage nach der Höhe der Reparationen aufgeschoben – mit der Folge, dass sie in den 1920er-Jahren mit in die Diskussionen um den Gold-Devisen-Standard und die Bemühungen um die Wiederbelebung des internationalen Währungssystems hineingezogen wurde. Und so waren die Reparationen während der folgenden 15 Jahre ein Klotz am Bein des internationalen Finanzsystems. Fazit 1921 war die Bühne bereit für den ersten modernen Währungskrieg. Der klassische Goldstandard wirkte wie ein intellektueller Magnet, ein monetärer Polarstern, der in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die Debatte darüber anleitete, welches System am besten geeignet sei, die internationalen Kapitalströme und den Welthandel wieder in Gang zu bringen. Der Erste Weltkrieg und der Friedensvertrag von Versailles führten ein neues Element in die Gleichung ein, ein Element, das zu Zeiten des alten Goldstandards kein auch nur annähernd so großes Gewicht gehabt hatte, nämlich die gewaltigen, miteinander verzahnten und praktisch nicht bedienbaren Staatsschulden, die sich als ein unüberwindliches Hindernis auf dem Weg zur Normalisierung der Kapitalströme erweisen sollten. Der Aufbau des Zentralbankensystems in den USA und insbesondere die dominante Rolle der 87
Teil 2 Währungskriege New Yorker Fed bereiteten den Eintritt der Vereinigten Staaten in den internationalen Währungsmarkt vor, und zwar nicht als ein Teilnehmer von vielen, sondern als der dominante Akteur. Die Möglichkeit der Fed, dem System durch das Anwerfen der Notenpresse zu neuer Liquidität zu verhelfen, kam den Leuten gerade erst richtig zu Bewusstsein. Anfang der 1920er-Jahre bedingten die nostalgische Sehnsucht nach dem klassischen Goldstandard der Vorkriegszeit, die internationalen Spannungen über unbezahlbare Reparationen und die Unsicherheit über die geldpolitische Macht des amerikanischen Federal Reserve Systems zusammengenommen die Ausgestaltung des neuen internationalen Währungssystems und den Verlauf des ­Ersten Währungskriegs. 88
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) »Es gibt in den Vereinigten Staaten kaum einen Landesteil, der nicht ­wüßte, daß Sonderinteressen und Sonderabsichten die Regierung führen.«13 Woodrow Wilson, US-Präsident, 1914 Der Erste Währungskrieg nahm 1921 im Schatten des Ersten Weltkriegs auf spektakuläre Weise seinen Anfang und lief 1936 zu einem unentschiedenen Ende aus. Er wurde in zahlreichen Runden und auf fünf Kontinenten ausgefochten und sollte weitreichende Auswirkungen auf das 21. Jahrhundert haben. Den ersten Zug machte Deutschland 1921 mit einer Inflation, die anfangs nur dazu gedacht war, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu verbessern, dann aber absurd weit getrieben wurde, in eine Hyperinflation umschlug und der unter der Last der Kriegsreparationen ächzenden deutschen Volkswirtschaft den Todesstoß versetzte. Frankreich machte 1925 den nächsten Zug, indem es vor seiner Rückkehr zum Goldstandard den Franc abwertete und sich dadurch einen Außenhandelsvorteil gegenüber Großbritannien und den Vereinigten Staaten sicherte, die die Vorkriegsparität zum Goldstandard wiederhergestellt hatten. Großbritannien löste sich 1931 vom Goldstandard und machte damit den gegenüber Frankreich verlorenen Boden gut. 1931 wurde Deutschland nachhaltig gestärkt, als der amerikanische Präsident Herbert Hoover ein Moratorium für die deutschen Reparationszahlungen verkündete, bevor auf der Konferenz von Lausanne 1932 das Ende der Reparationszahlungen vereinbart wurde. Nach 1933 und dem Aufstieg Hitlers beschritt Deutschland zunehmend eigene Wege, zog sich aus dem Welthandel zurück und schickte sich an, eine autarkere Volkswirtschaft zu werden, wenn auch mit Verbindungen nach Ös- 89
Teil 2 Währungskriege terreich und Osteuropa. Als die Vereinigten Staaten schließlich 1933 den Dollar gegenüber dem Gold abwerteten und damit zumindest teilweise den 1931 gegenüber Großbritannien erlittenen Verlust an internationaler Konkurrenzfähigkeit wieder wettmachten, war es an Frankreich und Großbritannien, die nächste Abwertungsrunde einzuläuten. 1936 löste sich Frankreich vom Goldstandard, womit es das letzte der großen Länder war, das sich aus den Fängen der Weltwirtschaftskrise befreite, während Großbritannien das Pfund erneut abwertete, um den nach Roosevelts Dollarabwertung 1933 verlorenen Boden wiedergutzumachen. Abwertungsrunde um Abwertungsrunde lieferten sich die großen Volkswirtschaften einen ruinösen Wettlauf, der mit massiven Unterbrechungen des internationalen Handels, einem Rückgang der Industrieproduktion und der Vernichtung von Vermögen einherging. Die volatile und kontraproduktive Natur des internationalen Währungssystems in dieser Periode macht den Ersten Währungskrieg zum ultimativen Menetekel für unsere heutige Zeit, in der die Welt einmal mehr vor der Herausforderung gewaltiger und nicht rückzahlbarer Schulden steht. Der Erste Währungskrieg nahm seinen Anfang 1921 im Deutschland der Weimarer Republik, als sich die deutsche Reichsbank daran machte, den Wert der Mark durch das Anwerfen der Notenpresse und die daraus resultierende Inflation zu zerstören. Unter der Präsidentschaft von Rudolf Havenstein, einem preußischen Anwalt, der ins Bankfach gewechselt hatte, wurde die Inflation vor allem durch den Ankauf kurzfristiger Staatsanleihen angeheizt, mit denen sich die Reichsregierung das zur Finanzierung der Haushaltsdefizite und Staatsausgaben benötigte Geld beschaffte. Dabei handelte es sich um eine der umfassendsten und zerstörerischsten Geldentwertungen, zu denen es je in einer großen entwickelten Volkswirtschaft gekommen ist. Einem sich seitdem hartnäckig haltenden Mythos zufolge soll Deutschland seine Währung gezielt vernichtet haben, um sich der drückenden Last der von Frankreich und Großbritannien im Versailler Vertrag geforderten Reparationen zu entledigen. Tatsächlich aber lauteten die Repa- 90
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) rationen in Goldmark, definiert als eine bestimmte Goldmenge oder ihren Gegenwert in einer nichtdeutschen Währung, und die nachfolgenden Zusatzprotokolle zu dem Vertrag basierten auf einem bestimmten Prozentsatz der deutschen Exporterlöse, unabhängig vom Wert der Papierwährung. Diese auf Gold und Exporte bezogenen Forderungen konnten nicht weginflationiert werden. Allerdings sah die Reichsbank durchaus eine Chance, durch die Abwertung der Währung und die daraus folgende Verbilligung deutscher Produkte im Ausland nicht nur die deutschen Exporte zu stimulieren, was ein typischer Grund für derartige Abwertungen ist, sondern darüber hinaus auch noch den Tourismus und die Auslandsinvestitionen in Deutschland zu beleben. Diese Maßnahmen reduzierten zwar nicht unmittelbar den Umfang der Reparationen, aber sie halfen Deutschland, die zu ihrer Begleichung erforderlichen Devisen zu erwirtschaften. Als die Inflation Ende 1921 an Fahrt gewann, sahen die Menschen darin zunächst keine Bedrohung.14 Die Deutschen erkannten, dass die Preise stiegen, zogen daraus aber nicht automatisch die Schlussfolgerung, dass ihre Währung am Kollabieren war. Die Verbindlichkeiten der deutschen Banken entsprachen in etwa ihren Vermögenswerten und waren somit weitgehend abgesichert. Viele Unternehmen besaßen Sachwerte wie Immobilien, Anlagen, Ausrüstungen und Lagerbestände, die nominal in dem Maße an Wert gewannen, wie die Inflation voranschritt, und somit ebenfalls abgesichert waren. Manche dieser Unternehmen hatten Schulden, die sich quasi verflüchtigten, da die geschuldeten Summen rapide an Wert verloren, und wurden durch die Inflation sogar noch reicher. Viele deutsche Großunternehmen, die Vorläufer der heutigen Industriegiganten, hatten ausländische Töchter und Beteiligungen, die Devisen erwirtschafteten und ihre Muttergesellschaften so noch zusätzlich vor den schlimmsten Folgen des Zusammenbruchs der Mark schützten. Eine der traditionellen Reaktionen auf den Kollaps einer Währung ist die Kapitalflucht. Diejenigen, die Papiermark in Schweizer Franken, Gold oder andere sichere Werte umtauschen konnten, taten das und brachten ihre Er- 91
Teil 2 Währungskriege sparnisse ins Ausland. Aber selbst die deutsche Bourgeoisie zeigte sich zunächst nicht sonderlich beunruhigt, weil der Wertverlust der Mark durch Börsengewinne ausgeglichen wurde. Der Umstand, dass diese Gewinne auf eine beständig an Wert verlierende Währung lauteten, war vielen noch nicht aufgegangen. Schließlich waren auch diejenigen, die beim Staat oder in gewerkschaftlich organisierten Betrieben arbeiteten, zunächst geschützt, weil die Regierung einfach an die Inflation angepasste Lohnerhöhungen ge­ währte. Natürlich hatte nicht jeder einen Job beim Staat, war gewerkschaftlich organisiert oder besaß ein Aktienportfolio, reale Vermögenswerte oder ausländische Tochtergesellschaften, die ihn vor den Folgen der Inflation geschützt hätten. Am stärksten betroffen waren die Rentner aus der Mittelschicht, deren Renten nicht mehr erhöht wurden, und Sparer, die ihre Ersparnisse bei Banken eingezahlt und nicht in Aktien angelegt hatten. Diese Gruppen wurden finanziell komplett ruiniert. Viele sahen sich gezwungen, ihre Möbel zu verkaufen, um ein paar Mark für Lebensmittel, Brennstoff und Strom zu verdienen. Klaviere waren besonders gefragt und entwickelten sich sogar zu einer Art eigener Währung. Nicht selten gingen ältere Paare, die ihre gesamten Ersparnisse verloren hatten, in ihrer Verzweiflung in die Küche, legten die Köpfe in den Backofen und drehten das Gas auf, bis sie erstickt waren. Die Zahl der Eigentumsdelikte nahm explosionsartig zu, und gegen Ende waren auch Krawalle und Plünderungen an der Tagesordnung. Als die Reichsbank 1922 den Versuch aufgab, die Situation irgendwie noch unter Kontrolle zu halten, und die Notenpressen auf Hochdruck laufen ließ, um die Lohnforderungen der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Staatsbediensteten erfüllen zu können, schlug die Inflation um in eine Hyperinflation. Ein US-Dollar war bald so viel wert, dass amerikanische Besucher ihn nicht ausgeben konnten, weil die Händler gar nicht so viele Millionen Mark auftreiben konnten, um ihnen darauf herauszugeben. Restaurantbesucher bezahlten im Voraus, weil der Preis für die Mahlzeit erheblich höher sein würde, wenn sie mit dem Essen fertig waren. Der Bedarf an 92
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) Banknoten war so groß, dass die Reichsbank reihenweise private Druckereien beauftragte und spezielle Logistikeinheiten einrichtete, die für die Beschaffung von Papier und Tinte zuständig waren, damit die Notenpressen weiterlaufen konnten. Um Farbe zu sparen, wurden die Noten ab 1923 nur noch auf einer Seite bedruckt. Das wirtschaftliche Chaos in Deutschland veranlasste Frankreich und Belgien aus Sorge um die ihnen zustehenden Reparationen 1923 dazu, im Ruhrgebiet einzumarschieren. Die Besetzung der Industrieregion erlaubte ihnen, sich durch Lieferungen von Sachleistungen wie Industriegütern und Kohle schadlos zu halten. Die deutschen Arbeiter im Ruhrgebiet antworteten darauf mit Bummelstreiks, Ausständen und Sabotage. Die Reichsbank unterstützte die Arbeiter in ihrem Widerstand und half ihnen, indem sie zusätzlich Geld für höhere Löhne und Arbeitslosenleistungen drucken ließ. Im November 1923 schließlich versuchte Deutschland, der Hyperinflation mit der Einführung einer neuen Währung, der sogenannten Rentenmark, zu begegnen, die parallel zur Papiermark zirkulierte. Abgesichert wurde die Rentenmark durch Hypotheken und die Möglichkeit, die zugrunde liegenden Immobilien zu besteuern. Ausgabe und Umlauf der neuen Währung wurden vom neu ernannten Reichswährungskommissar Hjalmar Schacht, einem erfahrenen Privatbanker, der wenig später Havenstein als Präsident der Reichsbank ablösen sollte, akribisch vorbereitet und gesteuert. Als kurz nach Einführung der Rentenmark die Mark endgültig zusammenbrach, war eine Rentenmark rund eine Billion Mark wert. Allerdings war die Rentenmark (die bis 1948 gültig blieb) kein gesetzliches Zahlungsmittel und wurde kurz darauf durch die neu eingeführte Reichsmark ergänzt, die wieder direkt durch Gold besichert war. Die alten Papiermarknoten mit ihren abstrus hohen Nennwerten wurden im wahrsten Sinne des Wortes weggefegt und landeten in Mülleimern, Straßenrinnen und Abwasserkanälen. Wirtschaftshistoriker betrachten die Hyperinflation in der Weimarer Republik von 1921 bis 1924 gemeinhin getrennt von dem mit Währungsabwer- 93
Teil 2 Währungskriege tungen geführten weltweiten und eskalierenden Wettlauf um Außenhandelsvorteile in der Zeit von 1931 bis 1936, doch diese Sichtweise ignoriert die Kontinuität der wechselseitigen Abwertungen in der Zwischenkriegszeit. Durch die Weimarer Hyperinflation wurden zudem mehrere wichtige politische Ziele erreicht, ein Umstand, der die gesamten 1920er- und 1930erJahre hindurch nachhallen sollte. Die Hyperinflation vereinte das deutsche Volk im Widerstand gegen »ausländische Spekulanten« und zwang Frankreich zur offenen Intervention im Ruhrgebiet, was einen Vorwand für die deutsche Wiederaufrüstung lieferte. Gleichzeitig weckte die Hyperinflation in Großbritannien und den USA ein gewisses Mitleid für die notleidenden Deutschen und stärkte die Neigung, die Reparationsforderungen aus dem Versailler Vertrag zumindest etwas abzuschwächen. Der Zusammenbruch der Mark stand zwar in keiner direkten Verbindung zum Wert der Reparationszahlungen, aber Deutschland konnte zumindest argumentieren, dass seine Wirtschaft wegen der Hyperinflation zusammengebrochen sei und dies eine gewisse Reduzierung der Reparationsbelastungen rechtfertige. Darüber hinaus stärkte der Währungskollaps die Position der deutschen Industriellen mit ihrem Sachvermögen gegenüber denjenigen, die hauptsächlich finanzielle Vermögenswerte kontrollierten. Weil sie harte Währungen im Ausland horten und im Inland bankrott gegangene Unternehmen billig aufkaufen konnten, gingen diese Industriellen aus der Hyperinflation stärker denn je hervor. Schließlich lieferte die Hyperinflation den Beweis, dass Länder, was Papierwährungen anging, durchaus mit dem Feuer spielen konnten, da sich durch eine einfache Rückkehr zum Goldstandard oder zu anderen materiellen Vermögenswerten wie zum Beispiel Grundbesitz die Ordnung rasch wiederherstellen ließ, wenn die Bedingungen dafür opportun schienen – wie das Deutschland ab Herbst 1923 mit der Einführung zunächst der Renten- und dann der Reichsmark vorexerziert hatte. Damit soll nicht gesagt werden, die deutsche Hyperinflation ab 1922 sei ein sorgfältig durchdachter Plan gewesen, nur, dass sich eine Hyperinflation als Instrument zur Durchsetzung politischer Ziele gebrauchen lässt. Da die Gewinner und Verlierer von Hy- 94
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) perinflationen recht zuverlässig vorhergesagt werden können und Hyperinflationen zudem bestimmte Verhaltensweisen auslösen, können sie von der Politik benutzt werden, um die sozialen und ökonomischen Beziehungen zwischen Schuldnern und Gläubigern, Arbeit und Kapital neu zu arrangieren, während man Gold in der Hinterhand hält, um das Chaos hinterher wieder aufzuräumen. Natürlich waren die Kosten der Hyperinflation enorm. Das Vertrauen in die staatlichen deutschen Behörden löste sich in nichts auf, und zahllose Existenzen wurden vernichtet. Dennoch bewies die Episode, dass ein Land, das über ausreichend natürliche Ressourcen, eine ausgebildete Arbeiterschaft, Sachvermögen und Gold als Reservoir an Reichtum verfügte, relativ intakt aus einer Hyperinflation hervorgehen konnte. In den fünf Jahren, die unmittelbar auf die Hyperinflation folgten, von 1924 bis 1929, wuchs die deutsche Industrieproduktion schneller als die jeder anderen großen Volkswirtschaft, einschließlich der der Vereinigten Staaten. Zuvor hatten sich Nationen in Kriegszeiten vom Goldstandard gelöst, so zum Beispiel England, das während und unmittelbar nach den Napoleonischen Kriegen die Goldkonvertibilität des Pfund ausgesetzt hatte. Nun hatte Deutschland die Verbindung zum Gold in einer Zeit des Friedens gebrochen, wenn auch eines von den harten Bedingungen des Versailler Vertrags diktierten Friedens. Die Reichsbank hatte gezeigt, dass in einer modernen Volkswirtschaft eine Papierwährung ohne Bindung an Gold allein im Interesse bestimmter politischer Ziele abgewertet und diese Ziele damit auch erreicht werden konnten, was natürlich von den anderen großen Industrienationen sehr aufmerksam registriert wurde. Im Frühjahr 1922, eben zu der Zeit, als die Inflation in Weimar außer Kontrolle geriet, kamen die großen Industrienationen zu der Konferenz von Genua zusammen, um erstmals seit Ende des Ersten Weltkriegs über eine Rückkehr zum Goldstandard zu verhandeln.15 Vor 1914 hatte es in den meisten wichtigen Volkswirtschaften einen echten Goldstandard gegeben, bei dem der Wert der Papiernoten im Verhältnis zum Gold festgeschrie- 95
Teil 2 Währungskriege ben war, was bedeutete, dass Papiergeld und Goldmünzen parallel in Umlauf waren, weil sie jederzeit frei ineinander konvertierbar waren. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs jedoch, als die Notwendigkeit übermächtig wurde, zur Finanzierung des Kriegs frisches Geld zu drucken, hatten sich praktisch alle Länder vom alten Goldstandard losgesagt. Nun, 1922, nachdem der Vertrag von Versailles unterzeichnet war und man sich – wenn auch auf einem brüchigen Fundament – über die Kriegsreparationen verständigt hatte, rückte der Goldstandard als Anker des internationalen Währungssystems wieder in den Fokus. Doch seit der Blütezeit des klassischen Goldstandards hatten sich weit reichende Veränderungen vollzogen. Die Vereinigten Staaten hatten 1913 mit dem Federal Reserve System eine neue Zentralbank gegründet, die über beispiellose Kompetenzen bei der Regulierung der Zinssätze und der Geldmenge gebot. Die Wechselwirkungen zwischen Goldvorräten und Fed-Geld waren in den 1920er-Jahren noch Gegenstand von Experimenten. So, wie sich die Länder in den Kriegsjahren von 1914 bis 1918 an die Bequemlichkeit gewöhnt hatten, ganz nach Bedarf frisches Papiergeld drucken zu können, hatten sich auch die Menschen daran gewöhnt, das Papiergeld zu akzeptieren, nachdem die Goldmünzen aus dem Umlauf genommen worden waren. Die Großmächte kamen mit der Absicht nach Genua, auf einer flexibleren Basis zum Goldstandard zurückzukehren und diesen der direkteren Kontrolle der Zentralbanken zu unterstellen. Aus der Konferenz von Genua ging der neue Gold-Devisen-Standard hervor, der erhebliche Unterschiede zum klassischen Goldstandard aufwies. Die teilnehmenden Länder kamen überein, dass Zentralbankreserven nicht nur in Gold, sondern auch in den (gegen Gold einlösbaren) Währungen anderer teilnehmender Länder gehalten werden konnten; der Ausdruck »Devisen« in »Gold-Devisen-Standard« bedeutete schlicht, dass bestimmte Devisenbestände für Reservezwecke wie Gold behandelt wurden. Damit wurde die Aufgabe, einen echten Goldstandard aufrechtzuerhalten, auf diejenigen Länder ausgelagert, die wie beispielsweise die Vereinigten Staaten über gro- 96
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) ße Goldbestände verfügten. Den Vereinigten Staaten wurde die Verantwortung übertragen, den Goldwert des US-Dollar bei 20,67 Dollar pro Feinunze zu halten, während andere Länder Dollar anstelle von Gold als Sicherheit für ihre Währungen halten konnten. Nach diesem neuen Standard wurden die internationalen Zahlungsbilanzdifferenzen zwar immer noch in Gold ausgeglichen, aber nun konnte ein Land große Devisenüberschüsse erwirtschaften, bevor es diese Überschüsse in Goldbarren umtauschte. Zudem wurde die freie Zirkulation von Goldmünzen und -barren im Vergleich zur Vorkriegszeit stark eingeschränkt. Die Länder boten zwar nach wie vor den Umtausch von Papiernoten in Gold an, üblicherweise aber nur noch zu großen Mindestmengen wie beispielsweise 400-Unzen-Barren, die zu der Zeit 8 226 Dollar wert waren (oder über 110 000 Dollar in heutigem Geld). Das bedeutete, dass Barrengold nur noch von Zentralbanken, Geschäftsbanken und den Reichen genutzt wurde, während die anderen auf Papiernoten angewiesen waren, abgesichert mit dem Versprechen des ausgebenden Landes, ihren Gegenwert in Gold zu aufrechtzuerhalten. Papiergeld war damit immer noch »so gut wie Gold«, aber das Gold selbst nun dazu bestimmt, in den Tresoren der Zentralbanken zu verschwinden. Zur Unterstützung des neuen Gold-Devisen-Standards brachte Großbritannien diese Vorschriften im Gold Standard Act von 1925 in Gesetzesform. Ungeachtet der 1922 in Genua vereinbarten Rückkehr zu einem modifizierten Goldstandard setzte sich der Währungskrieg fort und gewann sogar noch an Dynamik. 1923 brach der französische Franc ein, wenn auch nicht annähernd so katastrophal wie zuvor die Mark. Nebenbei bemerkt war es dieser Absturz des Franc, der das Goldene Zeitalter der amerikanischen Künstler und Möchtegernkünstler im Paris der 1920er-Jahre einläutete, zu denen auch Scott und Zelda Fitzgerald sowie Ernest Hemingway gehörten, der für den Toronto Star über die Auswirkungen des Kursverfalls des Franc auf den Alltag der Franzosen berichtete. Weil sie für ihre Dollars deutlich mehr Francs bekamen, konnten sich die Amerikaner im Paris der 1920erJahre einen gehobenen Lebensstandard leisten. 97
Teil 2 Währungskriege Praktisch sofort nach seiner Einführung kamen die im Gold-Devisen-Standard angelegten schwerwiegenden Fehler zum Vorschein. Seine offenkundigste Schwäche war die Instabilität, die daraus resultierte, dass die Überschussländer große Mengen an Devisen anhäufen und diese dann bei den Defizitländern auf einen Schlag gegen Gold eintauschen konnten. Darüber hinaus fehlte es Deutschland, der potenziell größten Volkswirtschaft Europas, an ausreichenden Goldreserven, um eine Geldmenge zu unterstützen, die groß genug gewesen wäre, um den Außenhandel des Landes zu stimulieren und die deutsche Wirtschaft wieder auf den Wachstumspfad zu führen. Eben um diesen Fehler zu beheben, wurde 1924 der Dawes-Plan aufgelegt, benannt nach dem US-Bankier und späteren amerikanischen Vizepräsidenten Charles Dawes, der den Plan federführend entworfen hatte. Unterstützt wurde der Dawes-Plan von einem internationalen Währungsausschuss, der einberufen worden war, um das anhaltende Problem der im Versailler V ­ ertrag festgesetzten Reparationen zu lösen. Unter dem Dawes-Plan wurden die deutschen Reparationszahlungen reduziert und Deutschland neue Darlehen gewährt, damit es die zur Unterstützung seiner Wirtschaft be­nötigten Gold- und Devisenreserven anlegen konnte. Die Konferenz von Genua 1922, die Einführung der neuen und stabilen Rentenmark 1924 und der Dawes-Plan von 1924 bewirkten zusammen schlussendlich eine Stabilisierung der deutschen Finanzen und ermöglichten dem Land eine Ausweitung seiner industriellen und landwirtschaftlichen Basis ohne Inflation. Das System der festen Wechselkurse, das von 1925 bis 1931 bestand, hatte zur Folge, dass der Währungskrieg vorläufig nicht über Wechselkurse, sondern über Goldkonten und Zinssätze ausgefochten wurde. Das reibungslose Funktionieren des Gold-Devisen-Standards in dieser Periode hing entscheidend von der Einhaltung der sogenannten »Spielregeln« ab. Diese sahen vor, dass Länder mit einem starken Goldzustrom die Geldmenge erhöhten, unter anderem durch eine Senkung der Zinssätze, damit ihre Volkswirtschaft expandieren konnte. Umgekehrt sollten die Länder, die Goldabflüsse verzeichneten, ihr Geld durch die Anhebung der Zins- 98
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) sätze verteuern und damit eine Kontraktion der Wirtschaft auslösen. Mit der Zeit würden in dem Land mit der schrumpfenden Wirtschaft dann die Preise und Löhne so weit fallen, dass seine Produkte billiger und damit international konkurrenzfähiger wären, während im Land mit der expandierenden Wirtschaft das Gegenteil eintreten würde. An diesem Punkt würden sich die Austauschbeziehungen anfangen umzukehren, und das Land, aus dem bisher Gold abgeflossen war, würde einen Goldzufluss erleben, da es dank s­ einer billigeren Produkte nun einen Handelsbilanzüberschuss erwirtschaftet. Umgekehrt würde das Land mit der expandierenden Wirtschaft in ein Handelsbilanzdefizit hineinrutschen, und es würde zu Goldabflüssen ­kommen. Der Gold-Devisen-Standard war ein sich selbst ausgleichendes System mit einem entscheidenden Schwachpunkt. Beim klassischen, also reinen Goldstandard, stellte der Goldbestand die Geldbasis dar und bewirkte die ökonomische Expansion beziehungsweise Kontraktion. Beim Gold-DevisenStandard dagegen spielten auch die Devisenreserven eine Rolle – mit der Folge, dass die Zentralbanken durch Zins- und andere geldpolitische Entscheidungen, die die Währungsreserven betrafen, auf die Anpassungsprozesse einwirken konnten. Eben durch diese durch Geldpolitik bewirkten Anpassungen und weniger durch die Goldbindung an sich fing das System mit der Zeit an auseinanderzubrechen. Eine der Eigenarten von Papiergeld besteht darin, dass es zugleich ein Vermögenswert (nämlich des Wirtschaftssubjekts, in dessen Besitz es sich befindet) wie auch eine Verbindlichkeit (nämlich der es ausgebenden Bank) ist. Gold dagegen ist im Regelfall nur ein Vermögenswert, außer wenn es – was in den 1920er-Jahren höchst selten vorkam – von einer Bank an eine andere verliehen wird. Anpassungstransaktionen in Gold sind deshalb normalerweise Nullsummenspiele. Angenommen, Gold fließt von Großbritannien nach Frankreich ab, so reduziert sich die Geldmenge in Großbritannien entsprechend der abfließenden Menge an Gold und weitet sich die Geldmenge in Frankreich analog dazu aus. 99
Teil 2 Währungskriege Das System konnte zur allgemeinen Zufriedenheit funktionieren, solange Frankreich bereit war, für seine Exporte nach Großbritannien Pfund ­Sterling zu akzeptieren und diese Pfund wieder in britischen Banken zu ­deponieren, sodass die Geldmenge in Großbritannien nicht vermindert wurde. Sollte die Banque du France diese Einlagen aber plötzlich abziehen und von der Bank of England im Austausch dafür Gold verlangen, würde die Geldmenge in Großbritannien schlagartig schrumpfen. Statt reibungsloser, schrittweiser Anpassungen, wie sie für den klassischen Goldstandard ­charakteristisch waren, war das neue System anfällig für scharfe, desta­bilisierende Ausschläge, die sich rasch in eine Panik auswachsen konnten. Einem Land, das unter dem Gold-Devisen-Standard Defizite anhäufte, konnte es ergehen wie einem Mieter, dessen Vermieter ein Jahr lang ­keine Miete kassiert und dann auf einen Schlag die gesamte Miete für das zurückliegende eine Jahr einfordert. Der eine oder andere Mieter wird Rück­ lagen für den unausweichlichen Zahltag angespart haben, aber die wenigsten dürften den Verlockungen des unverhofften Kredits widerstanden haben, und nun, da es ihnen an ausreichend Mitteln zur Begleichung der Forderung fehlt, vor einer Zwangsräumung stehen. In eine gleichermaßen unangenehme Lage konnte ein Land geraten, dessen Handelspartner nach l­ängerer Zeit anklopfte, um seine Devisenüberschüsse in Gold umzutauschen. Eigentlich sollte der Gold-Devisen-Standard in sich die besten Eigenschaften des Gold- und des Papiergeldsystems vereinen. Tatsächlich aber erwies er sich als eine Kombination einiger ihrer unerfreulichsten Charakteristika, wozu insbesondere die dem System immanente potenzielle Instabilität zählte, die aus der unerwarteten Einlösung von Devisen gegen Gold r­ esultierte. Nachdem bis 1927 in großem Stil Gold und Devisen von Großbritannien nach Frankreich abgeflossen waren, war es gemäß den Spielregeln nun an Großbritannien, die Zinssätze heraufzusetzen und so eine ökonomische Kontraktion zu erzwingen, die im Laufe der Zeit die Konkurrenzfähigkeit 100
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) der britischen Wirtschaft verbessert hätte. Aber Montagu Norman, Vorsitzender der Bank of England, weigerte sich, die Zinsen anzuheben, zum Teil, weil er eine heftige politische Opposition dagegen voraussah, vor allem aber, weil er den Zustrom französischer Waren nach Großbritannien auf einen absichtlich unterbewerteten Franc zurückführte. Die Franzosen ihrerseits versperrten sich im Moment zwar einer Aufwertung des Franc, schlossen eine solche Maßnahme für später jedoch nicht aus, womit sie die Unsicherheit nur noch vergrößerten und die Spekulationen auf das Pfund wie auch auf den Franc anheizten. Unabhängig davon hatten die Vereinigten Staaten, nachdem sie 1927 noch die Zinsen gesenkt hatten, 1928 eine Reihe von Zinsanhebungen vorgenommen, die sich stark kontrahierend auf die US-Wirtschaft auswirkten und das genaue Gegenteil dessen waren, was das Land den Spielregeln zufolge in Anbetracht seiner dominanten Goldposition und des anhaltenden Goldzustroms hätte tun müssen.16 Doch ebenso wie innenpolitische Erwägungen Großbritannien 1927 von einer Zinserhöhung abgehalten hatten, beruhte ein Jahr später die Entscheidung der Fed, die Zinsen zu erhöhen, als sie sie hätte senken sollen, auf dem Hintergrund innenpolitischer Sorgen, insbesondere der Angst vor einer Blase am amerikanischen Aktienmarkt. Kurz gesagt, indem die Teilnehmer des Gold-Devisen-Standards innenpolitischen Interessen Vorrang vor den Spielregeln einräumten, setzten sie das Funktionieren des Systems insgesamt aufs Spiel. Der Gold-Devisen-Standard wies aber noch einen weiteren Konstruktionsfehler auf, einen, der tiefer reichte als die mangelnde Kooperation der Zentralbanken Großbritanniens, der USA, Frankreichs und Deutschlands. Dieser Fehler betraf den Preis, zu dem Gold gegenüber dem Dollar fixiert worden war, um so den neuen Standard zu verankern. Den Ersten Weltkrieg hindurch hatten die kriegführenden Länder zur Deckung der Kriegskosten enorme Mengen an Papiergeld gedruckt, die Goldbestände dagegen waren kaum gewachsen. Dazu kam, dass das vorhandene Gold nicht an Ort und Stelle verblieb, sondern in steigendem Maße in die Vereinigten Staa- 101
Teil 2 Währungskriege ten abfloss und im Gegenzug die Goldreserven in Europa schwanden. Eines der größten Probleme nach 1919 bestand darin, das Verhältnis von Gold zu Papiergeld der Nachkriegszeit und dem Goldpreis der Vorkriegszeit in Einklang zu bringen. Eine Möglichkeit bestand darin, die Papiergeld­menge so weit zu reduzieren, bis der Goldpreis der Vorkriegszeit wiederhergestellt war. Dieses Vorgehen aber würde höchst deflationär wirken und einen starken Verfall des Preisniveaus insgesamt auslösen. Die andere Option lautete, Gold aufzuwerten, bis der Kurs dem durch das Geldmengenwachstum bedingten neuen Preisniveau entsprach, was auf eine dauerhafte Abwertung der Papierwährungen hinauslief. Kurz gesagt, zur Wahl standen die Alternativen Deflation oder Abwertung. Es ist eine Sache, wenn das Preisniveau im Laufe der Zeit aufgrund von Innovation, Skaleneffekten und anderen Effizienzvorteilen nachgibt. Diese, man könnte sagen, »gute« Deflation dürfte jedem zeitgenössischen Verbraucher vertraut sein, der den Preisverfall von Computern oder Flachbildfernsehern mitverfolgt hat. Eine ganz andere Sache ist es, wenn die Preise infolge von Geldmengenschrumpfung, Kreditbeschränkungen, Schuldenabbau, Unternehmenszusammenbrüchen, Konkursen und Massenarbeitslosigkeit nach unten gedrückt werden. Und eben diese »schlechte« Deflation war erforderlich, um die wichtigsten Währungen auf ihre Vorkriegsparität zum Gold zurückzuführen. Im Vergleich zu den europäischen Mächten standen die Vereinigten Staaten deutlich besser da. Zwar hatten auch sie während des Ersten Weltkriegs die Geldmenge stark ausgeweitet, gleichzeitig aber hatte Amerika hohe Handelsbilanzüberschüsse erzielt und infolge davon seine Goldreserven stark ausgeweitet. Im Vergleich zum Vorkriegsniveau hatte sich der Golddeckungsgrad des Dollar nicht so dramatisch verschlechtert, wie das beim Pfund oder dem Franc der Fall war. Bis 1923 hatten sich sowohl Frankreich als auch Deutschland dem Problem der Kriegsinflation stellen müssen und ihre Währungen abgewertet. Von 102
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) den drei großen europäischen Mächten entschloss sich nur Großbritannien dazu, die Geldmenge einzuschränken und auf diese Weise die Vorkriegsparität des Pfundes zum Gold wiederherzustellen. Treibende Kraft hinter dieser Entscheidung war der frisch ins Amt berufene britische Schatzkanzler Winston Churchill, für den die Rückkehr des Pfunds zum Goldstandard zur alten Parität gleichermaßen eine Frage der Ehre wie eine willkommene Gelegenheit darstellte, die britischen Finanzen auf Herz und Nieren zu prüfen. Die Auswirkungen auf die britische Wirtschaft allerdings waren verheerend; das Preisniveau stürzte um über 50 Prozent ab, die Zahl der Unternehmensinsolvenzen explodierte, und Millionen Menschen verloren ihre Arbeit. Churchill sollte später selbst sagen, die Entscheidung, zur Goldparität der Vorkriegszeit zurückzukehren, sei einer der größten Fehler seiner politischen Laufbahn gewesen. Als die USA 1930 von massiver Deflation und Arbeitslosigkeit heimgesucht wurden, hatten die Briten bereits den Großteil des Jahrzehnts unter eben diesen Bedingungen gelitten. Die 1920er-Jahre waren für die Vereinigten Staaten eine Zeit der Prosperität, und von 1924 bis 1929 wuchs auch in Frankreich und Deutschland die Wirtschaft stark. Nur Großbritannien hinkte hinterher. Hätte sich das Land bis 1928 aus dem Zangengriff der Deflation und Arbeitslosigkeit befreien können, wer weiß, vielleicht wäre die gesamte Welt in eine Phase des nachhaltigen globalen Wachstums eingetreten, wie es sie seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr erlebt hatte. Stattdessen aber wurden die globalen Finanzmärkte kurz darauf in einen verheerenden Abwärtsstrudel gerissen. Der Beginn der Großen Depression wird von Ökonomen gemeinhin auf den 28. Oktober 1929 datiert, den »schwarzen Montag«, an dem der Dow Jones Industrial Average um 12,8 Prozent abstürzte. Allerdings war Deutschland bereits im Vorjahr in die Rezession gerutscht, und Großbritannien hatte sich niemals ganz von der Wirtschaftskrise 1920/1921 erholt. Der schwarze Montag markierte das Platzen einer besonders großen amerikanischen Spekulationsblase in einer Welt, die sowieso schon mit den Folgen der Deflation zu kämpfen hatte. 103
Teil 2 Währungskriege Die unmittelbar auf den US-Börsencrash von 1929 folgenden Jahre waren verheerend, was Arbeitslosigkeit, Rückgang der Produktion, Unternehmenspleiten und menschliches Leid anging. Aus der Perspektive des globalen Finanzsystems allerdings waren Frühjahr und Sommer 1931 die gefährlichste Phase. Die Finanzpanik von 1931, die auf einen weltweiten Bankenansturm hinauslief, begann im Mai, als die Österreichische Creditanstalt in Wien horrende Verluste bekannt gab und ihre Zahlungsunfähigkeit erklärte. In den darauffolgenden Wochen wurde Europa von einer Bankenpanik erfasst, und in Österreich, Deutschland, Polen, der Tschechoslowakei sowie Jugoslawien wurden Bankfeiertage verhängt. Deutschland setzte die Bedienung seiner Auslandsschulden aus und verhängte Kapitalverkehrskontrollen, was von seiner Wirkung her der Abkehr vom GoldDevisen-Standard gleichkam, da ausländische Gläubiger ihre Forderungen gegen deutsche Banken nicht länger in Gold konvertieren konnten, die deutsche Regierung aber offiziell weiterhin behauptete, den Wert der Reichsmark gegenüber dem Gold unverändert zu halten. Die Panik breitete sich rasch nach Großbritannien aus, wo es ab Juli 1931 zu massiven Goldabflüssen kam. Führende britische Banken hatten in großem Stil gehebelte Investitionen in illiquide Vermögenswerte vorgenommen und diese mit kurzfristigen Darlehen finanziert, eben die Sorte Investitionen, die 2008 die Investmentbank Lehman Brothers in den Abgrund riss. Als diese Darlehen fällig wurden, konvertierten die ausländischen Gläubiger ihre Pfund-Forderungen in Gold, das postwendend in die Vereinigten Staaten, nach Frankreich oder in eine andere Goldmacht transferiert wurde, die von der Krise noch nicht mit voller Wucht erfasst worden war. Als der Goldabfluss kritische Ausmaße annahm und der Druck des Bankenansturms selbst große Banken in der Londoner City in den Abgrund zu reißen drohte, verkündete Großbritannien am 21. September 1931 den Abschied vom Goldstandard. Fast sofort stürzte das Pfund gegenüber dem Dollar ab und verlor binnen weniger Monate über 30 Prozent seines Wertes. In der Folgezeit lösten viele andere Länder, darunter Japan, die skandinavischen Nationen und zahlreiche Mitglieder des British Commonwealth, ebenfalls ihre Bindung an 104
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) den Gold-Devisen-Standard und ernteten kurzfristige Abwertungsvorteile. Die Leidtragenden waren der französische Franc und die Währungen der anderen Goldblockländer, darunter Belgien, Luxemburg, die Niederlande und Italien, die am Gold-Devisen-Standard festhielten. In Europa entspannte sich die Lage am Bankenmarkt zwar wieder, nachdem sich Großbritannien vom Goldstandard verabschiedet hatte, nun aber gerieten die Vereinigten Staaten unter Druck. Die US-Wirtschaft schrumpfte zwar schon seit 1929, doch nach der Abwertung des Pfund und anderer Währungen gegenüber dem Dollar 1931 bekamen die Vereinigten Staaten die Wucht der weltweiten Deflation und Wirtschaftskrise unmittelbarer zu spüren. 1932 war in den USA denn auch das schlimmste Jahr der Weltwirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 20 Prozent, und Investitions-, Produktions- und Preisniveau rangierten um zweistellige Prozentsätze unter ihrem Vorkrisenniveau. Im November 1932 wurde Franklin D. Roosevelt zum Präsident der Vereinigten Staaten gewählt und folgte damit auf Herbert Hoover, dessen Amtszeit von der Blase am Aktienmarkt, dem Börsenkrach und schließlich der Großen Depression dominiert worden war. Allerdings wurde Roosevelt erst im März 1933 als Präsident vereidigt, und in den vier Monaten, die dazwischenlagen, spitzte sich die Situation, begleitet von verbreiteten Banken­ anstürmen und Bankpleiten, immer mehr zu.17 Millionen von Amerikanern hoben ihr Geld von den Banken ab und stopften es in Matratzen oder Schubladen, unzählige andere, die zu lange gewartet hatten, verloren ihre gesamten Ersparnisse. Bis zu Roosevelts Amtseinführung hatten die Amerikaner den Glauben an so viele Institutionen verloren, dass ihnen Roosevelt selbst das Wenige, was ihnen noch an Hoffnung geblieben war, zu verkörpern schien. Am 6. März 1933, zwei Tage nach seiner Amtseinführung, verfügte Roosevelt kraft seiner Notstandsbefugnisse die vorübergehende Schließung aller Banken in den Vereinigten Staaten. Laut ursprünglicher Anweisung sollte 105
Teil 2 Währungskriege der Bankfeiertag bis zum 9. März dauern, wurde dann aber auf unbestimmte Zeit verlängert. Roosevelt erklärte, die Ruhepause werde zur Überprüfung aller Banken genutzt, und nur Banken, die auf gesunden Füßen stünden, würden ihre Geschäfte wiederaufnehmen dürfen. Als die Bankferien am 13. März endeten, öffneten einige Banken wieder die Schalter, während andere geschlossen blieben. Tatsächlich handelte es sich bei der ganzen S ­ ache aber mehr um eine vertrauensbildende Maßnahme als um gute Banken­praxis, und in den acht Tagen, die die Schalter geschlossen blieben, hatte die Regierung keineswegs die Bücher aller Banken geprüft. Was die Wiederherstellung des Vertrauens in die Banken anging, war die Verabschiedung des Emergency Banking Act am 9. März 1933 von weitaus größerer Bedeutung als die Bankeninspektionen. Mit dem Gesetz konnte die Fed den Banken Darlehen über 100 Prozent des Nennwerts der von ihnen gehaltenen Staatsanleihen sowie über 90 Prozent des Nominalwerts aller Schecks und sonstigen liquiden kurzfristigen Papiere gewähren. Darüber hinaus erhielt die Fed das Recht, jeder Bank, die dem Federal Reserve System angehörte, unbesicherte Darlehen zu geben. In der Praxis bedeutete dies, dass die Banken sich im Falle eines Bankenansturms unbegrenzt Bargeld bei der Fed beschaffen konnten. Das war zwar noch nicht ganz die Einlagenversicherung, die später im selben Jahr folgen sollte, aber es war ein funktionales Äquivalent, da die Sparer nun keine Angst mehr haben mussten, den Banken könnte das Geld ausgehen. Interessanterweise hatte Roosevelt sich bei der vorübergehenden Schließung der Banken Anfang März zunächst auf die ihm unter dem Trading with the Enemy Act von 1917 gewährte gesetzliche Vollmacht berufen. Das während des Ersten Weltkriegs verabschiedete Gesetz gegen den Handel mit dem Feind räumte dem Präsidenten umfassende Notstandsbefugnisse zum Schutz der nationalen Sicherheit ein. Für den Fall, dass die Gerichte später Zweifel an der Kompetenz des Präsidenten bekunden sollten, nach diesem Gesetz von 1917 landesweite Bankferien zu verhängen, wurde die befristete Bankenschließung im Emergency Banking Act nachträglich rati- 106
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) fiziert, der darüber hinaus dem Präsidenten die explizite statt nur implizite Befugnis zur Schließung der Banken übertrug. Als die Banken am 13. März 1933 wieder öffneten, standen die Menschen vielerorts in langen Schlangen an, aber nicht, um ihre Ersparnisse abzuheben, sondern um das Geld einzuzahlen, das sie in der Panik der vorangegangenen Monate in Kaffeekannen und Matratzen gehortet hatten. Obwohl sich in den Bilanzen der Banken kaum etwas verändert hatte, hatte der bloße Anschein einer gründlichen Säuberungsaktion während der Bankenschließung im Verein mit der neuen Autorität der Fed zur unbegrenzten Vergabe von Notkrediten das Vertrauen in die Banken wiederhergestellt. Nachdem das getan war, musste Roosevelt ein Problem angehen, das noch weitaus gefährlicher war als ein Bankenansturm – die Deflation, die die Vereinigten Staaten nun über die Wechselkurse aus aller Welt importierten. Der Erste Währungskrieg war auf den Stufen des Weißen Hauses angekommen. Als sich Großbritannien und zahlreiche andere Länder 1931 vom Goldstandard trennten, sanken die Kosten ihrer Exporte im Vergleich zu denen konkurrierender Nationen. Das bedeutete, dass die Wettbewerber, wollten sie auf den Weltmärkten mithalten, Mittel und Wege finden mussten, ihre Kosten ebenfalls zu senken. Mitunter wurde die Kostenreduzierung durch Lohnkürzungen oder Entlassungen erreicht, was jedoch das Problem der Arbeitslosigkeit verschlimmerte. Tatsächlich exportierten die Länder, die durch die Abkehr vom Gold abgewertet hatten, die Deflation ins Ausland und verstärkten damit den globalen deflationären Trend. Als Gegengift für Deflation bot sich Inflation an, aber die Frage war, wie man, nachdem ein Teufelskreis aus sinkenden Ausgaben, höheren Schuldenlasten, steigender Arbeitslosigkeit, Geldhortung und weiteren Ausgabensenkungen eingesetzt hatte, Inflation hervorrufen konnte. Inflation und Abwertung sind im Hinblick auf ihre ökonomischen Auswirkungen im Prinzip ein und dieselbe Sache: Beide reduzieren das inländische Kosten­gefüge, verteuern Importe und verbilligen die eigenen Exporte in andere Länder 107
Teil 2 Währungskriege und tragen somit zur Schaffung von Arbeitsplätzen im Inland bei. Großbritannien, die Länder des Commonwealth und Japan hatten sich 1931 mit einigem Erfolg für diesen Weg entschieden. Die Vereinigten Staaten hätten nun ihrerseits einfach gegen das Pfund und andere Währungen abwerten können. Allerdings barg das die Gefahr weiterer Abwertungen gegen Dollar, ohne dass dann etwas gewonnen wäre. Die Fortsetzung des Papierwährungskriegs nach dem Prinzip »wie du mir, so ich dir« war als langfristige Lösung also nicht geeignet. Statt gegen andere Papierwährungen abzuwerten, beschloss Roosevelt deshalb, den Dollar gegen die ultimative Währung abzuwerten – Gold. Doch damit ging in den Vereinigten Staaten ein besonderes Problem einher. Neben den offiziellen Goldvorräten in den Banken des Federal Reserve Systems befand sich Gold nämlich auch in privatem Umlauf, und zwar in Form von Goldmünzen, die als gesetzliches Zahlungsmittel genutzt wurden, sowie in Form von Münzen oder Barren, die in Bankschließfächern oder an anderen sicheren Orten aufbewahrt wurden. Bei diesem Gold handelte es sich eigentlich um nichts anderes als Geld, aber eben Geld, das gehortet und nicht ausgegeben oder auf sonstige Weise in Umlauf gebracht wurde. Der einfachste Weg, den Dollar gegenüber dem Gold abzuwerten, bestand darin, den Dollarpreis des Goldes zu erhöhen, was Roosevelt mit seinen Notstandsbefugnissen auch tun konnte. Er hätte einfach verkünden müssen, dass Gold ab sofort zu einem Kurs von 25 oder 30 Dollar pro Feinunze konvertiert wird anstatt zum Goldstandardpreis von 20,67 Dollar pro Fein­ unze. Das Problem dabei war, dass die Erhöhung des Goldpreises zu großen Teilen den privaten Goldbesitzern zugutegekommen wäre, aber wenig dazu beigetragen hätte, die privaten Goldbestände zu entfesseln und wieder in Umlauf zu bringen. Im Gegenteil, in der Hoffnung auf ein weiteres Anziehen des Goldpreises könnten sogar noch mehr Leute Papierdollar in physisches Gold umtauschen, und diejenigen, die bereits Gold besaßen, könnten sich bestätigt fühlen und weiter Gold horten. Roosevelt musste a­ lso dafür sorgen, dass die Gewinne aus der Aufwertung des Goldes an den Staat und nicht an die privaten Goldbesitzer gingen. Wenn man den Privaten das Gold aus den 108
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) Händen nahm, was bedeutete, dass die Bürger keine Alternative mehr zum Papiergeld hatten, und ihnen zugleich die Erwartung weiterer Abwertungen ihres Papiergelds einimpfte, konnten sie anfangen, ihr Geld auszugeben, statt an einem so schwindsüchtigen Vermögenswert festzu­halten. Ein Verbot des Hortens oder Besitzes von Gold war damit eine Grundvoraussetzung für den Plan, den Dollar gegenüber dem Gold abzuwerten und die Leute wieder zum Geldausgeben zu animieren. Und genau das tat Roosevelt auch. Am 5. April 1933 erließ der amerikanische Präsident die Exekutivanordnung 6102, einer der außergewöhnlichsten Präsidentenerlasse in der Geschichte der USA. Die unverblümte Wortwahl des Textes, unter dem Franklin D. Roosevelts Signatur prangt, spricht für sich selbst: [Hiermit] erkläre ich, Franklin D. Roosevelt, als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, dass nach wie vor ein nationaler Notstand existiert, und … verbiete das Horten von Goldmünzen, Goldbarren und Goldzertifikaten durch Personen, Gesellschaften, Vereinigungen und Firmen innerhalb der Vereinigten Staaten. … Alle Personen unterliegen der Verpflichtung, am oder vor dem 1.Mai 1933 der Federal Reserve Bank … oder einem Mitglied des Federal Reserve Systems alle Goldmünzen, Goldbarren und Goldzertifikate auszuhändigen, welche in ihrem Besitz sind. … Wer vorsätzlich gegen diese Durchführungsverordnung oder gegen eine der in dieser Verordnung aufgeführten Regeln verstößt, kann mit einer Geldstrafe von bis zu 10 000 Dollar oder … bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden.18 Den Bürgern der Vereinigten Staaten wurde befohlen, ihr Gold an den Staat auszuhändigen und dafür Papiergeld zu einem Wechselkurs von 20,67 Dollar pro Feinunze zu akzeptieren. Für Zahnärzte, Goldschmiede und andere Personen, die für industrielle, künstlerische, handwerkliche oder andere »legitime und übliche« Zwecke Gold benötigen, wurden ein paar geringfügige Ausnahmen erlaubt. Ansonsten durfte jeder Amerikaner Gold bis zu einem Wert von 100 Dollar behalten, umgerechnet also knapp fünf Feinunzen, sowie Goldmünzen, die als historische Sammlerstücke anerkannt waren. Die 10 000 Dollar Geldstrafe (beziehungsweise 165 000 Dollar in 109
Teil 2 Währungskriege heutigem Geld), die denjenigen drohten, die entgegen der Verordnung des Präsidenten weiter Gold horteten, stellten einen ganz außerordentlich hohen Strafbetrag dar. Das begonnene Werk setzte Roosevelt mit einer Reihe ergänzender Anordnungen fort, darunter die Exekutivanordnung 6111 vom 20. April 1933, mit der die Ausfuhr von Gold aus den Vereinigten Staaten ohne Genehmigung des Finanzministers verboten wurde, sowie die Exekutivanordnung 6261 vom 29. August desselben Jahres, mit der alle Goldminen in den Vereinigten Staaten angewiesen wurden, ihre Produktion zu einem vom Finanz­ ministerium festzusetzenden Preis an den Staat zu verkaufen, was praktisch einer Verstaatlichung der Goldminen gleichkam. In einer raschen Abfolge von Schritten hatte der US-Präsident die privaten Goldvorräte der Amerikaner konfisziert, die Ausfuhr von Gold verboten und die inländische Goldförderung verstaatlicht – mit dem Resultat, dass die offiziellen Goldreserven der USA sprunghaft anwuchsen. Zeitgenössischen Schätzungen zufolge übergaben die Amerikaner dem Finanzministerium 1933 insgesamt über 500 Tonnen Gold. Das Goldlager in Fort Knox wurde 1937 eigens zur sicheren Verwahrung des von den US-Bürgern konfiszierten Goldes errichtet. Das Kellergeschoss des Finanzministeriums bot nicht mehr ausreichend Platz für das viele Gold. So schwer es einem fällt, sich eine Neuauflage dieses Szenarios in heutigen Zeiten vorzustellen – die gesetzliche Vollmacht des US-Präsidenten, das private Gold der Amerikaner einzuziehen, besteht noch heute. Dass wir uns mit dieser Vorstellung so schwertun, rührt nicht etwa daher, dass eine vergleichbare Krise heute nicht möglich wäre, sondern vielmehr von dem politischen Rückschlag, den eine solche Anordnung im Zeitalter des allgegenwärtigen Talkradios, der boomenden sozialen Medien, der forschen Nachrichtenmoderatoren und des dramatisch geschwundenen Vertrauens der US-Bürger in ihre Regierung provozieren würde. Dabei dürfte der Vertrauensverlust von all diesen Faktoren der bei Weitem wichtigste sein. 110
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) Schließlich hatte auch Roosevelt seine Widersacher an den Radiomikrofonen, namentlich Father Charles Caughlin, dessen Zuhörerschaft in den 1930er-Jahren Schätzungen zufolge größer als war die von Rush Limbaugh heute. Und auch wenn so etwas wie Facebook oder Twitter damals nicht existierte, gab es genügend andere soziale Medien einschließlich Zeitungen und insbesondere die Mundpropaganda, die in dem dichten Gewebe von Familien, Kirchen, sozialen Vereinen und ethnischen Bindungen prächtig funktionierte. Mit anderen Worten, eine starke öffentliche Opposition gegen Roosevelts Goldkonfiskationen hätte damals leicht entstehen können, aber sie tat es nicht. Die Menschen waren verzweifelt und vertrauten Roosevelt, dass er das Richtige tat, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, und wenn dazu das Ende des privaten Goldhortens notwendig erschien, nun, dann waren die Leute bereit, auf die Aufforderung hin ihre Goldmünzen, -barren und zertifikate abzuliefern. Die heutigen elektronischen sozialen Medien haben zweifelsohne einen beachtlichen verstärkenden Effekt auf die öffentliche Meinung, aber es ist immer noch die Meinung, die zählt. Vom Vertrauen in die politische Führung und die offizielle Wirtschaftspolitik ist Anfang des 21. Jahrhunderts nicht mehr viel übrig geblieben. Dass früher oder später ein Kollaps des Dollar eine Beschlagnahme der Goldvorräte der US-Bürger ratsam erscheinen lassen könnte, ist gut vorstellbar. Dass die Amerikaner der Anordnung heute ebenso folgsam nachkommen würden wie 1933, dagegen kaum. Unbeantwortet war aber immer noch die Frage danach, welchen Wert der Dollar relativ zum Gold für die Zwecke des internationalen Handels und Zahlungsausgleichs haben würde. Nachdem Roosevelt das Gold der Amerikaner zum offiziellen Preis von 20,67 Dollar pro Feinunze konfisziert hatte, ließ er ab Oktober 1933 zusätzlich Gold auf dem offenen Markt aufkaufen. Da das den Goldpreis langsam in die Höhe trieb, kam es einer Abwertung des Dollar gegenüber dem Gold gleich. Der Wirtschaftswissenschaftler und Historiker Alan Meltzer beschreibt anschaulich, wie Roosevelt gelegentlich im Schlafanzug im Bett liegend einen neuen Goldpreis festsetzte, wobei er 111
Teil 2 Währungskriege dem Finanzministerium einmal die Anweisung gab, den Preis um 21 USCent nach oben zu drücken, weil das seine Glückszahl Sieben mal drei war. Die Geschichte wäre zum Lachen, würde sie nicht einen Diebstahl am amerikanischen Volk beschreiben; die Gewinne aus dem steigenden Goldwert fielen nun allein dem Staat zu und nicht den Bürgern, denen das Gold zuvor gehört hatte. Im Laufe der folgenden Monate trieb Roosevelt den Goldpreis nach und nach bis auf 35 Dollar die Feinunze hoch. Damit war der Dollar alles in allem gegenüber dem Gold um rund 70 Prozent abgewertet worden. Zur Krönung des Ganzen verabschiedete der Kongress 1934 den Gold Reserve Act, mit dem der neue Kurs von 35 Dollar pro Feinunze Gold ratifiziert und alle sogenannten Goldklauseln in Verträgen annulliert wurden. Bei diesen Goldklauseln handelte es sich um vertragliche Wertsicherungsvereinbarungen, die beide Vertragsparteien gegen die Unwägbarkeiten von Inflation oder Deflation absicherten. Eine klassische Variante war etwa die Vereinbarung, dass im Falle einer Veränderung des Dollarpreises von Gold die vertraglich vereinbarten Dollarzahlungen so anzupassen sind, dass gemessen an einem konstanten Goldgewicht der Wert der neuen Dollarforderung dem der ursprünglichen Dollarforderung entspricht. Roosevelts Frontalangriff auf die Goldklauseln war höchst umstritten und wurde schlussendlich 1935 vom Obersten Gerichtshof der USA im Fall Norman gegen Baltimore & Ohio Railroad Co mit einer knappen 5-zu-4-Entscheidung bestätigt, wobei der Vorsitzende Richter Charles Evans Hughes das Gutachten der Mehrheitsmeinung verfasste. Erst 1977 erlaubte der Kongress wieder die Verwendung von Goldklauseln in Verträgen. Schließlich wurde mit dem Gold Reserve Act von 1934 auch der Währungsstabilisierungsfonds des Finanzministeriums aus der Taufe gehoben, über den das Ministerium nach eigenem Belieben für Devisenmarktinterventionen und andere Offenmarktgeschäfte verfügen konnte. Der Währungsstabilisierungsfonds wird gelegentlich auch als der Reptilienfonds des Finanzministeriums bezeichnet, weil die Mittel nicht im Rahmen des üblichen 112
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) Budgetierungsprozesses vom Kongress genehmigt werden müssen. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde der Fonds, als nach dem Kollaps des mexikanischen Peso im Dezember 1994 der damalige US-Finanzminister Robert Rubin mit Mitteln aus dem Fonds den mexikanischen Geldmarkt stabilisierte. Bis dahin war der Fonds kaum eingesetzt worden, und man hatte selbst in Washingtoner Politikkreisen kaum von seiner Existenz gewusst. Die Kongressmitglieder, die 1934 für den Gold Reserve Act stimmten, hätten sich wohl kaum träumen lassen, dass mithilfe dieses Gesetzes 60 Jahre später Mexiko vor dem Bankrott gerettet werden würde. Beide Maßnahmen, die Abkehr der Briten vom Goldstandard 1931 und die Abwertung des Dollar gegen Gold 1933, hatten den gewünschten Effekt. Sowohl die britische wie auch die amerikanische Volkswirtschaft reagierten unmittelbar positiv auf die Abwertungen. Hier wie dort hörten die Preise auf zu fallen, die Geldmenge wuchs, eine Kreditexpansion setzte ein, die Industrieproduktion nahm zu, und die Arbeitslosigkeit ging zurück. Die »Große Depression« war zwar noch lange nicht vorüber, und diese Anzeichen einer Verbesserung spielten sich vor einem derart niedrigen Grundniveau ab, dass Unternehmen und Menschen weiterhin große Entbehrungen ertragen mussten. Aber die Talsohle war durchschritten, zumindest in denjenigen Ländern, die ihre Währung gegen Gold und gegen andere Währungen abgewertet hatten. Nun gerieten die Länder des Goldblocks, die in den 1920er-Jahren noch von der ersten Abwertungsrunde profitiert hatten, ihrerseits in den Sog der von den Vereinigten Staaten und Großbritannien exportierten Deflation. Das führte schließlich zum Dreimächteabkommen von 1936, einem weiteren Schritt in dieser scheinbar endlosen Abfolge von internationalen Währungskonferenzen und -vereinbarungen, die mit dem Versailler Vertrag 1919 begonnen hatte. Bei der Dreiervereinbarung handelte es sich um ein informelles Abkommen zwischen Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Frankreich, das bei den Verhandlungen für sich selbst und für den Goldblock insgesamt sprach. Laut der offiziellen, am 25. September 1936 113
Teil 2 Währungskriege von Finanzminister Henry Morgenthau veröffentlichten Erklärung der USA bestand das Ziel des Abkommens »in der Förderung solcher Bedingungen, die den Frieden sichern und zur Wiederherstellung der Ordnung in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen beitragen«. Kern des Abkommens war die Erlaubnis an Frankreich, den Franc etwas abzuwerten. »Die Vereinigten Staaten«, hieß es darin im Hinblick auf die französische Abwertung, »erklären ihre Absicht, weiterhin alle angemessenen verfügbaren Ressourcen einzusetzen, um … jegliche Störung der Grundlagen der internationalen Beziehungen zu vermeiden, die aus der vorgeschlagenen Neuanpassung resultieren sollten.« Dies stellte ein Versprechen der Vereinigten Staaten dar, Vergeltungsaktionen zu vermeiden – ein weiteres Indiz, dass der Währungskrieg für dieses Mal zu Ende gegangen war. Alle drei Seiten verpflichteten sich, den Wert ihrer Währungen auf der neu vereinbarten Parität zum Gold und somit auch untereinander stabil zu halten – ausgenommen zum Zwecke der Förderung des Binnenwachstums. Die Ausnahme, die für das binnenwirtschaftliche Wachstum gemacht wurde, war politisch höchst bedeutend und ein weiterer Beleg dafür, dass Währungskriege vielleicht auf der internationalen Bühne ausgetragen, aber von innenpolitischen Erwägungen angetrieben werden. Konkret hieß es dazu in Morgenthaus Erklärung: »Natürlich muss die Regierung der Vereinigten Staaten in ihrer Politik in Bezug auf die internationalen Währungsbeziehungen umfassend Rücksicht auf die Erfordernisse der inneren Prosperität nehmen.« Die Erklärungen der Briten und Franzosen über das Abkommen, das in Form von drei separaten Kommuniqués und nicht in einem gemeinsamen Vertragsdokument veröffentlicht wurde, ließen in dieser Sache ebenso wenig an Deutlichkeit vermissen. Dieser Verweis auf die »innere Prosperität« war durchaus ernst gemeint, schließlich litten alle drei Länder nach wie vor unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise. Man durfte getrost davon ausgehen, dass sie das Abkommen kündigen würden, sollte die Deflation zurückkehren oder die Arbeitslosigkeit wieder in einem Maße in die Höhe schnellen, sodass zusätzliche inflationäre Stimuli durch den Wechselkursmechanismus oder eine Abwertung gegen Gold unerlässlich erschie- 114
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) nen. Auch wenn das Dreimächteabkommen genau betrachtet ein zahnloser Tiger war, da für alle Beteiligten das Binnenwachstum stets Vorrang vor internationalen Erwägungen haben würde, markierte es doch eine Art Waffenstillstand im Währungskrieg. Im Gefolge von Frankreich traten auch die Schweiz, die Niederlande und Belgien dem Abkommen bei. Damit hatten die konkurrierenden Währungsabwertungen, die in den 1920er-Jahren mit Deutschland, Frankreich und dem Rest des Goldblocks begonnen, sich 1931 in Großbritannien fortgesetzt und 1933 mit den Vereinigten Staaten ihren Höhepunkt gefunden hatten, 1936 sozusagen einen vollen Kreis durchlaufen und waren in die Goldblock-Länder zurückgekehrt. Das nur kurzfristig heilsame Mittel der Währungsabwertung war wie eine Feldflasche, die sich dürstende Soldaten teilen, von Land zu Land weitergereicht worden. Aber auch das längerfristig wirksame Mittel der Abwertung ihrer Währung gegen Gold, um so eine Inflation der Warenpreise anzuheizen und der Deflation zu entkommen, war nun von allen Ländern probiert worden. Eine positive Folge der Abwertung des Franc und der Verpflichtung auf stabile Wechselkurse im Dreimächteabkommen war die Wiederaufnahme der Goldlieferungen zwischen den Handelsnationen. Nach der Eiszeit der Gold­export­verbote und der Gold hortenden Zentralbanken setzte nun Tauwetter ein. In einer gesonderten Erklärung nicht einmal drei Wochen nach Verkündigung des Dreierabkommens erklärte das US-Finanzministerium: »Der Finanzminister gibt bekannt, dass … die Vereinigten Staaten denjenigen Ländern Gold für die unmittelbare Ausfuhr verkaufen oder zur Verrechnung mit ihren Wechselkursausgleichs- oder Währungsstabilisierungsfonds bereitstellen werden, die gleichermaßen bereit sind, Gold an die Vereinigten Staaten zu verkaufen.« Mit anderen Worten, die USA waren bereit, das Exportverbot von Gold in diejenigen Länder aufzuheben, die umgekehrt dasselbe zu tun bereit waren. Der neue Goldpreis für internationale Transaktionen wurde auf 35 Dollar pro Feinunze festgesetzt, ein Kurs, der bis 1971 Bestand haben sollte. 115
Teil 2 Währungskriege Diese Kombination aus einer letzten Abwertungsrunde, den wechselseitigen Zusicherungen, die neuen Paritäten zu bewahren, und der W ­ iederaufnahme des Goldhandels hätte zusammengenommen den Beginn einer neuen Ära der monetären Stabilität auf der Grundlage von Gold m ­ arkieren können – aber die Maßnahmen waren zu wenig und kamen zu spät. In Deutschland hatten die durch die Versailler Reparationen und die Hyperinflation bedingten wirtschaftlichen Verheerungen den Boden für den Aufstieg der korporatistischen und rassistischen Nationalsozialistischen Partei bereitet, die 1933 schließlich an die Macht kam. In Japan hatte eine Clique von Militärs, die eine moderne Version des feudalistischen Bushido-Kodex propagierten, die Kontrolle über die Regierung übernommen und in Ost­asien eine ganze Kette von militärischen Invasionen und Eroberungsfeldzügen gestartet. 1939 brach der Zweite Weltkrieg aus, und 1942 tobte in großen Teilen der Welt ein existenzieller Kampf zwischen den Alliierten und den Achsenmächten um die Vorherrschaft. Abwertungen und Auseinandersetzungen über Kriegsschulden und Reparationen aus dem Ersten Weltkrieg waren vergessen. 1944, als zum nächsten Mal ernsthaft über internationale Währungs­ fragen diskutiert werden sollte, hatte die Welt sich von Grund auf geändert. Schlussendlich erwiesen sich die konstruktionsbedingten Mängel des GoldDevisen-Standards von 1925 und die Versäumnisse in der amerikanischen Geldpolitik in den Jahren 1928 bis 1931 als eine zu große Belastung für das internationale Währungssystem. Abwertende Länder wie Frankreich und Deutschland verschafften sich Außenhandelsvorteile gegenüber den Ländern, die nicht abwerteten. Länder wie Großbritannien, die versuchten, zum Goldstandard der Vorkriegszeit zurückzukehren, wurden von grassierender Arbeitslosigkeit und Deflation heimgesucht; Länder wie die Vereinigten Staaten, die massive Goldzuflüsse verzeichneten, wurden ihrer internationalen Verantwortung nicht gerecht und verschärften die Kreditbedingungen noch, statt sie, wie eigentlich erforderlich, zu lockern. Darüber, wie weit diese Ungleichgewichte und fehlgeleiteten Maßnahmen zur Großen Depression und zur Weltwirtschaftskrise beigetragen ha- 116
Kapitel 4 – Der Erste Währungskrieg (1921–1936) ben, wird seitdem heftig debattiert. Auf jeden Fall aber hat das Versagen des Gold-Devisen-Standards dazu geführt, dass viele moderne Ökonomen der Verwendung von Gold im internationalen Finanz- und Währungssystem generell mit großem Misstrauen begegnen. Fairerweise aber müsste man wenigstens fragen, ob Gold selbst das Problem war oder ob es in Wahrheit nicht vielmehr der Goldpreis, der auf einer nostalgischen Sehnsucht nach der Vorkriegsparität basierte, die unterbewerteten Währungen und die fehlgeleitete Zinspolitik waren, die das System zum Untergang verurteilten. Womöglich hätten 1925 eine reinere Form des Goldstandards anstelle des ­hybriden Gold-Devisen-Standards und ein realistischerer Goldpreis im Bereich von 50 Dollar weniger deflationär gewirkt und sich als stabiler erwiesen. Wir werden es nie erfahren. Was nach 1936 tatsächlich passierte, wissen wir dagegen nur zu gut: Statt eines Währungskriegs stürzte die Welt in den blutigsten realen Krieg ihrer Geschichte. 117
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) »Der Dollar ist unsere Währung, aber Ihr Problem.« US-Finanzminister John Connally gegenüber ausländischen Finanzministern, 1971 »Die italienische Lira interessiert mich einen Scheißdreck.« US-Präsident Richard M. Nixon, 1972 Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs machten sich die großen alliierten Wirtschaftsmächte, angeführt von den USA und Großbritannien, an die Planung einer neuen monetären Weltordnung, mit der die Fehler von Versailles und der Zwischenkriegszeit vermieden werden sollten. Ihre endgültige Gestalt erhielten diese Pläne im Juli 1944 auf der Konferenz von Bretton Woods im US-Bundesstaat New Hampshire. Das Ergebnis war eine Reihe von Regeln, Normen und Institutionen, die das internationale Währungssystem für die nächsten drei Jahrzehnte prägen sollten. Die Bretton-Woods-Ära von 1944 bis 1973 war, wenn auch unterbrochen von mehreren Rezessionen, insgesamt eine Periode stabiler Wechselkurse, niedriger Arbeitslosigkeit, starken wirtschaftlichen Wachstums und steigender Realeinkommen. Die Periode war in nahezu jeder Hinsicht das Gegenteil der Zeit des Ersten Währungskriegs von 1921 bis 1936. Mit dem Bretton-Woods-System wurde das internationale Währungssystem wieder im Gold verankert, und zwar durch den US-Dollar, der zu einem fixen Kurs von 35 Dollar pro Feinunze gegen Gold eingetauscht werden konnte, während die anderen Währungen über einen festen Wechselkurs zum US-Dollar indirekt ans Gold gebunden waren. Für die Vergabe kurzfristiger Darlehen an einzelne Länder im Falle von Handelsdefiziten war der neu 118
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) gegrün­dete Internationale Währungsfonds (IWF) zuständig. Länder konnten ihre Währung ausschließlich mit Zustimmung des IWF abwerten und auch nur, wenn sie unter dauerhaften Handelsdefiziten in Kombination mit einer hohen Inflation litten. Obwohl das System von Bretton Woods formal ein breit angelegtes internationales Abkommen war, wurde seine Struktur fast im Alleingang von den Vereinigten Staaten diktiert, die zu der Zeit auf der internationalen Bühne militärisch und wirtschaftlich so dominant waren wie später erst wieder nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991. Zwar hatte das System von Bretton Woods bis in die 1970er-Jahre hinein Bestand, aber die Saat für den Zweiten Währungskrieg wurde bereits Mitte bis Ende der 1960-Jahre ausgebracht. Man könnte den Beginn des Zweiten Währungskriegs auf das Jahr 1967 datieren, und der triumphale Sieg Lyndon B. Johnsons mit seiner »Kanonen-und-Butter«-Plattform bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen 1964 war die Grundlage hierfür. Mit Kanonen war der Krieg in Vietnam gemeint, mit Butter die sozialen Leistungen von Johnsons Great-Society-Programm, zu denen auch der Krieg gegen die Armut gehörte. Die Vereinigten Staaten unterhielten zwar seit 1950 eine militärische Präsenz in Vietnam, Kampftruppen in großem Umfang entsandten sie aber erst 1965, was die Kosten des Krieges in die Höhe trieb. Nach dem erdrutschartigen Sieg der Demokraten 1964 trat im Januar 1965 ein neuer, von den Demokraten dominierter Kongress zusammen, und mit seiner Rede zur Lage der Nation, die Johnson im selben Monat hielt, läutete er die Umsetzung seiner Great-Society-Agenda ein. Das Zusammenfallen der ausufernden Ausgaben in Vietnam mit den Kosten für die Finanzierung des Traums von der Great Society Anfang 1965 markierte die eigentliche Abkehr von der bis dato so erfolgreichen amerikanischen Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit. Allerdings sollte es noch mehrere Jahre dauern, bis diese Kosten wirklich offenkundig wurden. Die USA 119
Teil 2 Währungskriege hatten einen Vorrat an ökonomischer Stärke im Inland und politischem Wohlwollen im Ausland aufgebaut, ein Reservoir, das nun langsam anfing sich zu leeren. Zunächst sah es so aus, als könnten die Vereinigten Staaten sich beides leisten, Kanonen und Butter. Kennedys Steuersenkungen, von Johnson kurz nach John F. Kennedys Ermordung 1963 unterzeichnet, hatten der Wirtschaft einen kräftigen Wachstumsschub versetzt. Im ersten Jahr nach den Steuersenkungen wuchs das Bruttoinlandsprodukt um über 5 Prozent, und insgesamt erreichte es im Durchschnitt der Regierungszeiten von Kennedy und Johnson ein Wachstum von 4,8 Prozent pro Jahr.19 Doch fast von Beginn an beschleunigte sich durch das von Johnsons Politik verursachte Doppeldefizit in Haushalt und Handelsbilanz die Inflation. Aufs Jahr gemessen stieg die Inflation in den USA nach noch akzeptablen 1,9 Prozent 1965 auf deutlich bedrohlichere 3,6 Prozent 1966, um dann in den Folgejahren außer Kontrolle zu geraten.20 Erst 1986 kehrte die Preissteigerungsrate in den USA auf ein Niveau von knapp über einem Prozent zurück. Allein in den fünf schlimmsten Jahren, von 1977 bis 1981, betrug die Inflation in den USA zusammengerechnet über 50 Prozent: Ende 1981 war der US-Dollar nur noch halb so viel wert wie Anfang 1977. Die Amerikaner fielen in dieser Periode auf denselben analytischen Fehler herein wie schon die Deutschen 1921 in der Weimarer Republik. Ihr erster Eindruck war zwar, dass die Preise stiegen; tatsächlich aber brach ihre Währung gerade ein. Steigende Preise sind ein Symptom, nicht die Ursache eines Währungskollapses. Der Verlauf des Zweiten Währungskriegs folgte genau dem Verlauf der Inflation in den USA und dem Niedergang des Dollar. Ungeachtet der zentralen Bedeutung der amerikanischen Politik und der US-Inflation für den Fortgang des Zweiten Währungskriegs fielen die ersten Schüsse des Kriegs nicht in den USA, sondern in Großbritannien, wo 120
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) seit 1964 eine Pfundkrise schwelte, die 1967 mit der ersten größeren Abwertung einer Währung aufflammte. Im Bretton-Woods-System war das britische Pfund zwar weniger bedeutend als der Dollar, dennoch war es eine wichtige Reserve- und Handelswährung. 1945 hatte das britische Pfund noch einen größeren Anteil an den globalen Währungsreserven – sprich den von den Zentralbanken weltweit gehaltenen Devisenbeständen – ausgemacht als der US-Dollar. In der Folgezeit aber war die Position der britischen Währung stetig schwächer geworden, und 1965 lauteten nur noch 26 Prozent der globalen Währungsreserven auf Pfund Sterling. Und die britische Zahlungsbilanz, die sich seit Anfang der 1960er-Jahre verschlechtert hatte, drehte Ende 1964 scharf ins Minus.21 Für die Instabilität des britischen Pfund waren nicht nur kurzfristige Handelsbilanzungleichgewichte verantwortlich, sondern auch das globale Ungleichgewicht zwischen den gesamten außerhalb Großbritanniens in Pfund gehaltenen Reserven und den in Großbritannien zur Begleichung der Außenhandelsdefizite verfügbaren Gold- und Dollarreserven. Mitte der 1960er-Jahre übertrafen die ausländischen Forderungen in Pfund Sterling die britischen Binnenreserven um rund das Vierfache. Diese Situation war höchst instabil und machte Großbritannien anfällig für einen Bankenansturm, sollten die ausländischen Besitzer von Pfundbeständen versuchen, diese im großen Stil gegen Gold oder Dollar einzutauschen. Um das Pfund zu stützen und die Sterling-Bären außen vor zu halten, wurde eine Reihe von koordinierten Maßnahmen ergriffen – von internationalen Kreditlinien über Swap-Linien bei der New Yorker Fed bis hin zu einem von der britischen Regierung verkündeten Sparpaket und überraschenden Interventionen am Devisenmarkt. Doch das Problem blieb bestehen. Im Zeitraum von 1964 bis 1966 kam es zu drei kleineren Pfundkrisen, die aber abgewendet werden konnten. Erst die vierte Pfundkrise, die Mitte 1967 ausbrach, sollte sich als tödlich für die alte Pfund-Parität erweisen. Für den Zeitpunkt der Krise waren zahlreiche Faktoren verantwortlich, darunter die Schließung des Suezkanals während des Sechstagekriegs 121
Teil 2 Währungskriege zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn und die Erwartung, London werde im Interesse einer Aufnahme in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft das Pfund abwerten müssen. Die Inflationsrate nahm nun in Großbritannien ebenso zu, wie sie das in den Vereinigten Staaten tat. Die Briten redeten sich ein, die Inflation sei zur Bekämpfung der wachsenden Arbeitslosigkeit notwendig, doch die Auswirkungen auf die britische ­Währung w ­ aren verheerend. Nach einem erfolglosen Versuch, den anhaltenden Verkaufsdruck abzuwehren, wurde das Pfund am 18. November 1967 offiziell von 2,80 Dollar auf 2,40 Dollar abgewertet, eine Abwertung um 14,3 Prozent. Nachdem das Bretton-Woods-Abkommen über 20 Jahre hinweg feste Wechselkurse und stabile Preise garantiert hatte, taten sich nun erste ernsthafte Risse in der Fassade auf. Wenn die Briten abwerten konnten, dann konnten das auch andere Länder. Aus Furcht, als nächste Währung nach dem Pfund könnte der Dollar unter Druck geraten, hatten die USA sich mit Kräften gegen eine Abwertung der britischen Währung gestemmt. Die Befürchtung sollte sich alsbald bewahrheiten. Die Vereinigten Staaten hatten mit derselben Kombination von Handelsdefiziten und Inflation zu kämpfen, die das Pfund aus den Angeln gehoben hatte, doch mit einem entscheidenden Unterschied. Im Bretton-Woods-System war der Wert des Dollar nicht an andere Währungen gebunden, sondern ans Gold. Eine Abwertung des Dollar war damit gleichbedeutend mit einer entsprechenden Erhöhung des Dollarpreises von Gold. Für jemanden, der von einer Dollarabwertung ausging, lag es demnach auf der Hand, Gold zu kaufen, und so richtete sich das Augenmerk der Spekulanten auf den Londoner Goldmarkt. Seit 1961 betrieben die Zentralbanken der Vereinigten Staaten und anderer führender Wirtschaftsmächte den Londoner Goldpool. Bei diesem Goldpool handelte es sich im Prinzip um eine Offenmarktoperation zur Fixierung des Goldpreises. Die Teilnehmer setzten ihre Gold- und Dollarreserven dafür ein, den Goldpreis auf seiner Bretton-Woods-Parität von 35 Dollar die Feinunze zu halten. Dem Goldpool gehörten die Vereinigten Staaten, Groß- 122
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) britannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und die Schweiz an. Die USA stellten 50 Prozent der Ressourcen, den Rest teilten sich die anderen sieben Mitgliedsstaaten. Der Pool war zum Teil in Reaktion auf einen panikartigen Run auf Gold gegründet worden, der 1960 den Marktpreis des gelben Metalls zeitweise auf 40 Dollar pro Feinunze in die Höhe gejagt hatte. Der Goldpool trat als Käufer und als Verkäufer auf; gab der Preis nach, kaufte er Gold, zog er an, verkaufte er Gold, bis jeweils die Parität von 35 Dollar pro Feinunze wiederhergestellt war. Ab 1965 allerdings trat der Goldpool fast ausschließlich als Verkäufer auf. Das Ende von Bretton Woods Der erste öffentliche Angriff auf das Bretton-Woods-System, das auf einem dominanten und ans Gold gebundenen Dollar basierte, erfolgte aber bereits vor der Pfundabwertung von 1967. Im Februar 1965 hielt der französische Präsident Charles de Gaulle eine aufwieglerische Rede, in der er behauptete, der Dollar habe als Leitwährung im internationalen Währungssystem ausgedient, und zur Rückkehr zum klassischen Goldstandard aufrief.22 Diesen hielt der französische Präsident für eine »unanfechtbare Grundlage, welche nicht den Stempel irgendeiner speziellen Nation trägt. Im Grunde ist kein anderer Standard außer Gold denkbar.« Und de Gaulle beließ es nicht bei bloßen Worten. Nachdem Frankreich bereits im Januar des Jahres bei den USA Devisenreserven in Höhe von 150 Millionen Dollar gegen Gold eingelöst hatte, gab de Gaulle bekannt, in Kürze nochmals denselben Betrag in Gold zu konvertieren. Spanien folgte Frankreichs Beispiel und wechselte aus seinen Reserven 60 Millionen Dollar in Gold. Legt man diesen Transfers den Goldpreis vom Juni 2011 zugrunde und nicht den damaligen Kurs von 35 Dollar pro Feinunze, so summierten sich die Goldeinlösungen durch Frankreich auf rund 12,8 Milliarden Dollar und die durch Spanien auf 2,6 Milliarden Dollar, was damals einer signifikanten Reduzierung der amerikanischen Goldreserven gleichkam. De Gaulle bot den USA freund- 123
Teil 2 Währungskriege licherweise die Hilfe der französischen Marine für den Rücktransport des Goldes nach Frankreich an. Diese Einlösungen von Dollarreserven in Gold erfolgten zu einer Zeit, in der amerikanische Unternehmen mit stark überbewerteten Dollars in Europa auf Einkaufstour gingen und ihre Geschäfte auf dem Kontinent massiv ausbauten, was de Gaulle von »Enteignung« sprechen ließ. Würden die Vereinigten Staaten, so de Gaulles Kalkül, mit Gold statt mit Papiergeld arbeiten müssen, so würde das diesen Raubzügen ein Ende bereiten. Allerdings stießen de Gaulles Träume von einem Goldstandard Ende der 1960er-Jahre auf heftigen Widerstand, da ein solcher Schritt wie bereits in den 1930erJahren eine Abwertung des Dollar und anderer Währungen gegenüber dem Gold erforderlich gemacht hätte. Die hauptsächlichen Nutznießer eines Anstiegs des Dollarpreises von Gold wären die großen Goldförderländer gewesen, darunter das unmenschliche Apartheidregime in Südafrika und das feindselige kommunistische Regime in der UdSSR – geopolitische Faktoren, die die Begeisterung für eine Neuauflage des klassischen Goldstandards kräftig dämpften. Ungeachtet der scharfen Kritik aus Frankreich konnten die Vereinigten Staaten auf einen absolut verlässlichen Verbündeten im Goldpool zählen – Deutschland. Das war entscheidend, da Deutschland permanent große ­Handelsbilanzüberschüsse erzielte und durch Goldkäufe sowohl vom IWF im Rahmen der Stützungsoperationen für das britische Pfund wie auch innerhalb des Goldpools selbst immer größere Goldreserven anhäufte. Hätte nun auch Deutschland mit einem Mal von den USA Gold im Austausch für seine Dollarreserven verlangt, so hätte die daraus resultierende Dollarkrise die Pfundkrise weit in den Schatten gestellt. Doch die Deutschen versicherten den USA insgeheim, dass sie nicht daran dächten, Dollar in Gold umzutauschen, wie einem Brief des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Karl Blessing, an William McChesney, den Vorsitzenden des Fed-Direktoriums, zu entnehmen ist. Datiert auf den 30. März 1967, steht in dem sogenannten »Blessing-Brief«: 124
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) Sehr geehrter Mr. Martin, In den USA wurden gelegentlich Bedenken geäußert, dass die … ­Kosten für die Präsenz amerikanischer Truppen [in Deutschland] zu einem ­Abfluss amerikanischen Staatsgolds führen [könnten] … Sie wissen natürlich, dass die Bundesbank in den vergangenen Jahren ­keine Dollar in Gold des US-Schatzamts umgetauscht hat … Sie können versichert sein, dass die Bundesbank auch weiterhin beabsichtigt, diese Politik fortzusetzen und ihren vollen Beitrag zur internationalen monetären Kooperation zu leisten.23 Diese geheime Zusicherung der Deutschen war für Washington überaus beruhigend. Im Gegenzug würden die USA auch weiterhin die Kosten für die Verteidigung Deutschlands gegen die sowjetischen Truppen und Panzer übernehmen, die in den Wäldern rund um West-Berlin und in ganz Osteuropa stationiert waren. Doch Deutschland war nicht das einzige Land mit potenziellen Goldforderungen gegen den Dollar, und im Kielwasser der Pfundabwertung von 1967 mussten die Vereinigten Staaten zur Stützung der Dollar-Gold-Parität über 800 Tonnen Gold verkaufen. Nachdem es nur ein Jahr zuvor aus der NATO ausgetreten war, verabschiedete sich Frankreich im Juni 1967 auch aus dem Goldpool. Die anderen Mitglieder führten den Pool fort, doch es war eine vergebliche Mühe: Die Goldrückforderungen ausländischer Dollarinhaber hatten längst epidemische Ausmaße angenommen. Im März 1968 erreichte der Goldabfluss aus dem Pool eine Rate von 30 Tonnen – pro Stunde. Um den Abfluss zu stoppen, wurde der Londoner Goldmarkt am 15. März 1968 geschlossen und blieb das auch die folgenden zwei Wochen hindurch, was nicht wenige an die Bankferien in den USA von 1933 erinnerte. Ein paar Tage nach der Schließung des Goldmarkts hob der US-Kongress die Verpflichtung zur Absicherung der US-Währung durch Goldreserven auf, womit die USA nun ihre gesamten Goldbestände zum Preis von 35 Dollar die Feinunze verkaufen konnten, sollte sich das als notwendig erweisen. Doch auch das erwies sich als nutzlos. Noch vor Ende des Monats stellte 125
Teil 2 Währungskriege der Londoner Goldpool seine Interventionen auf dem freien Markt ein. Ab diesem Zeitpunkt sollte Gold einem zweigleisigen System unterliegen, einmal dem Marktpreis, der am Goldmarkt in London bestimmt wurde, zum anderen dem alten Kurs von 35 Dollar die Feinunze für den internationalen Zahlungsverkehr nach dem Bretton-Woods-System. Das sich daraus ergebende »Goldfenster« bezeichnete die Möglichkeit einzelner Länder, Gold zum Preis von 35 Dollar einzulösen und auf dem offenen Markt für 40 Dollar oder mehr zu verkaufen. Das zweigleisige System lenkte den spekulativen Druck auf den offenen Markt, während der Bretton-Woods-Preis von 35 Dollar den Zentralbanken vorbehalten blieb. In einer neuen, informellen Vereinbarung kamen die Verbündeten der USA überein, das Goldfenster nicht auszunutzen, indem sie Gold zum günstigeren offiziellen Preis erwarben. Auch wenn das Ende des Goldpools, die Einrichtung des neuen, zweigleisigen Systems und eine Reihe kurzfristiger Sparmaßnahmen in den Vereinigten Staaten und Großbritannien Ende 1968 und 1969 einstweilen zur Stabilisierung des internationalen Währungssystems beitrugen, war unverkennbar, dass das System von Bretton Woods seinem Ende entgegenstrebte. Am 29. November 1968, nicht lange nach dem Zusammenbruch des Londoner Goldpools, erschien in der Zeitschrift Time ein Bericht, demzufolge zu den Problemen des internationalen Währungssystems der Umstand gehörte, dass »das Volumen des Welthandels weitaus schneller wächst als das globale Goldangebot«.24 Aussagen wie diese sind ein gutes Beispiel für einen der großen Irrtümer bezüglich der Rolle des Goldes. Die Behauptung, es gäbe nicht ausreichend Gold, um den Welthandel zu unterstützen, ist irreführend, weil es niemals nur eine Frage der Quantität ist, sondern immer auch eine des Preises. War die Goldmenge bei einem Preis von 35 Dollar pro Feinunze zu gering, so würde dieselbe Menge an Gold zu einem Kurs von 100 Dollar oder mehr leicht ausreichen, um den Welthandel zu stützen. Das Problem, auf das der Artikel in der Time tatsächlich verwies, war, dass der Goldpreis mit 35 Dollar pro Feinunze künstlich niedrig gehalten ­wurde, 126
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) ein Punkt, in dem die Zeitschrift völlig richtiglag. Wenn der Goldpreis zu niedrig war, war das Problem nicht eine Knappheit an Gold, sondern ein Überschuss an Papiergeld im Verhältnis zu den vorhandenen Goldreserven, ein Überschuss, der sich auch in der steigenden Inflation in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich niederschlug. 1969 nahm sich der IWF des Problems der »Goldknappheit« an und schuf ein neuartiges internationales Reservemittel, die sogenannten Sonderziehungsrechte, kurz SZR. Diese Sonderziehungsrechte wurden vom IWF ohne materielle Hinterlegung quasi aus dem Nichts erschaffen und in Abhängigkeit der jeweiligen IWF-Quoten unter den Mitgliedern verteilt. Die SZR erhielten prompt den Spitznamen »Papiergold«, weil sie einen Vermögenswert darstellten, den die Länder wie Gold oder reguläre Reservewährungen zum Ausgleich von Zahlungsbilanzdefiziten verwenden konnten. Die Sonderziehungsrechte stellten eine zur damaligen Zeit wenig verstandene Innovation dar. Im Zeitraum von 1970 bis 1972 gab es mehrere kleine Emissionen und dann 1981 in Reaktion auf den Ölpreisschock und die weltweite Inflation eine weitere. Danach gab der IWF fast drei Jahrzehnte lang keine neuen Sonderziehungsrechte mehr heraus. Erst 2009, inmitten der Rezession, die 2007 begonnen hatte, wurde eine neue und sehr viel größere Emission von SZR vorgenommen und an die IWF-Mitglieder verteilt. Die erste Ausgabe von SZR 1970 war auf jeden Fall ein Zeichen für das massive Ungleichgewicht im Verhältnis von Papiergeld zu Gold und für das Ausmaß der Verzweiflung, mit der die Vereinigten Staaten und andere Länder an der alten Goldparität von 35 Dollar pro Feinunze festhielten, obwohl dieser Preis längst nicht mehr der Realität entsprach. Die gesamte Periode von 1967 bis 1971 lässt sich am besten als eine Zeit der Verwirrung und Unsicherheit im internationalen Währungssystem beschreiben. Die Abwertung des britischen Pfund 1967 war ein gewisser Schock gewesen, obwohl die Instabilität des Pfund von den Zentralbanken schon Jahre zuvor diagnostiziert worden war. Die Folgejahre jedoch wurden geprägt 127
Teil 2 Währungskriege durch wiederholte Abwertungen und Aufwertungen, eine steigende Inflation, den Kollaps des Londoner Goldpools, die Einführung der SZR, Währungs­ swaps, IWF-Kredite, einen zweigleisigen Goldpreis und andere Ad-hoc-Lösungen. In derselben Periode durchlebten die führenden Volkswirtschaften der Welt eine Phase der inneren Erschütterung durch Studentenunruhen, Arbeiterproteste, Antikriegsdemonstrationen, sexuelle Revolution und eine sich weiter ausbreitende Gegenkultur, nicht zu vergessen Ereignisse wie der Prager Frühling und die Kulturrevolution in China. Das alles spielte sich ab vor dem Hintergrund eines rapiden technologischen Wandels, verkörpert und zusammengefasst in der rasanten Verbreitung der Computer, der Angst vor einem thermonuklearen Weltkrieg und der schieren Ehrfurcht angesichts der Landung eines Menschen auf dem Mond. Die Fundamente der Welt insgesamt schienen plötzlich auf eine Art und Weise ins Schwanken geraten zu sein, wie man das vielleicht seit 1938 nicht mehr erlebt hatte. Doch durch all das hindurch gab es eine Sache, die unumstößlich schien: Der Wert des US-Dollar war bei 35 Dollar pro Feinunze fixiert, und die Vereinigten Staaten waren bereit, diese Parität zu verteidigen, ungeachtet der massiven Zunahme der Dollarmenge und der Tatsache, dass die Konvertibilität auf eine kleine Zahl von Zentralbanken begrenzt war, die sich in einem Gentleman’s Agreement darauf verpflichtet hatten, es mit dem Umtausch von Dollar in Gold nicht zu übertreiben. Aber dann verschwand auch dieser letzte Fixstern vom Firmament. Am 15. August 1971 verhinderte der amerikanische Präsident Richard Nixon die Ausstrahlung der damals beliebtesten US-Fernsehserie Bonanza, indem er live vor die Kameras trat, um der Nation seine, wie er es nannte, New Economic Policy zu verkünden, zu der neben sofortigen Lohn- und Preiskontrollen und einem zehnprozentigen Steuerzuschlag auf Importe die Schließung des Goldfensters gehörte. Von nun an würde der Dollar auch für ausländische Zentralbanken nicht mehr in Gold umtauschbar sein, ein Privileg, das für alle anderen Dollarinhaber schon Jahre zuvor abgeschafft ­worden war. »Ich bin fest entschlossen«, verlieh Nixon dem Schritt einen 128
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) zutiefst patriotischen Anstrich, »den Dollar niemals wieder zur Geisel in den Händen internationaler Spekulanten werden zu lassen.«25 Natürlich waren es das US-Defizit und die lockere Geldpolitik und nicht irgendwelche internationalen Spekulanten gewesen, die den Dollar so weit gebracht hatten, aber wie vor ihm schon Franklin D. Roosevelt ließ sich auch Nixon von den Fakten nicht beirren. Damit war auch das letzte Vermächtnis des 1944 in Bretton Woods beschlossenen Goldstandards und des Gold-Devisen-Standards von Genua 1922 Geschichte. Nixons New Economic Policy war immens populär. Die überwältigende Mehrheit der Berichte in der amerikanischen Presse war positiv, und am ersten Handelstag nach der Rede verbuchte der Dow Jones Industrial Average seinen bis dato größten Tagesgewinn. Dass sich im Zusammenhang mit dieser Ankündigung der Ausdruck »Nixon-Schock« eingebürgert hat, liegt daran, dass der Schritt heimlich vorbereitet sowie unilateral und ohne jede Konsultation mit dem Internationalen Währungsfonds oder anderen wichtigen Teilnehmern des Bretton-Woods-Systems verkündet wurde. Von ihrer Substanz her jedenfalls konnte die neue Politik kaum ein sonderlich großer Schock für die Handelspartner der USA gewesen sein – die De-facto-Abwertung des Dollar zum Gold, auf die Nixons New Economic Policy hinauslief, hatte sich schon lange abgezeichnet, und in den Wochen vor der Rede war der Druck auf den Dollar nochmals drastisch gestiegen. So hatte die Schweiz noch im Juli 1971 Papierdollar gegen über 40 Tonnen Gold eingetauscht. Und Frankreich war durch die Dollarkonvertierung in Gold gar zur weltweit drittgrößten Goldmacht hinter den USA und Deutschland aufgestiegen – und ist das bis heute geblieben. Was die Europäer und Japaner an Nixons neuer Wirtschaftspolitik denn auch vor allem schockierte, war nicht die Abwertung des Dollar, sondern der zehnprozentige Einfuhrzoll auf alle in die Vereinigten Staaten importierten Waren. Die Abkehr vom Goldstandard für sich genommen hatte keine unmittelbaren Auswirkungen auf den relativen Wert der Währungen – das Pfund, der Franc und der Yen standen in festen Paritäten zum Dollar, 129
Teil 2 Währungskriege während die D-Mark und der kanadische Dollar zum Zeitpunkt von Nixons ­Rede gegenüber der US-Währung bereits frei flottierten. Worauf es N ­ ixon aber vor allem ankam, war, den Dollar sofort gegenüber allen wichtigen Währungen abzuwerten und ihn dann – noch besser – nach unten schwanken zu lassen, sodass der Dollar auf den internationalen Devisenmärkten kontinuierlich an Wert verlieren konnte. Das zu formalisieren, würde aller­dings Zeit und Verhandlungen in Anspruch nehmen, und Nixon wollte nicht warten. Die 10 Prozent Einfuhrzoll, die er verhängte, wirkten sich ökonomisch ebenso unmittelbar aus wie eine Abwertung des Dollar um 10 Prozent. Mit dem Einfuhrzoll setzte er den Handelspartnern der USA praktisch die Pistole auf die Brust. Sobald Nixon die gewünschten Abwertungen bekommen hatte, würde er den Einfuhrzoll wieder aufheben, und die Auf­gabe, diese Abwertungen auszuhandeln, delegierte er an John Connally, seinen extra­ vaganten Finanzminister aus Texas. Die Antworten auf Nixons Schachzug ließen nicht lange auf sich warten. Ende August 1971 gab Japan den Wechselkurs des Yen gegenüber dem Dollar frei. Dass der Yen daraufhin sofort um 7 Prozent gegenüber dem Dollar zulegte, überraschte niemanden. In Kombination mit dem zehnprozentigen Einfuhrzoll summierte sich das zu einem Anstieg des Dollarpreises der japanischen Importe in die Vereinigten Staaten von 17 Prozent, sehr zur Freude insbesondere der amerikanischen Automobilbauer und Stahlproduzenten. Die Schweiz erfand »negative Zinsen« in Form von Gebühren auf Bankeinlagen in Schweizer Franken, um die Kapitalzuflüsse in die Schweiz zu begrenzen und den Dollar zu stützen. Ende September 1971 trat der Rat des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) zusammen, um darüber zu befinden, ob Nixons Einfuhrzoll einen Verstoß gegen die Freihandelsregeln darstellte. Sachlich gesehen gab es keinerlei Rechtfertigung für den Zoll, und Nathaniel Samuels, Unterstaatssekretär im Außenministerium, gab sich auch so gut wie keine Mühe, die Maßnahme zu rechtfertigen, abgesehen von dem Hinweis darauf, dass man den Einfuhrzoll wieder aufheben werde, sobald sich die US-Zah- 130
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) lungsbilanz verbessert habe. Unter den GATT-Regeln wären Vergeltungsmaßnahmen gegen die USA aller Wahrscheinlichkeit nach gerechtfertigt gewesen, aber einen Handelskrieg riskieren wollte keiner der Handelspartner der Amerikaner. Die Erinnerungen an die 1930er-Jahre waren noch zu frisch, und die Rolle der Vereinigten Staaten als ausgleichende Supermacht gegenüber der Sowjetunion und militärische Schutzmacht für Japan und Westeuropa war zu wichtig, als dass man es auf eine ernsthafte Konfrontation wegen Handelsfragen ankommen lassen wollte. Japan und Westeuropa würden schlicht einen schwächeren Dollar ertragen müssen; die Frage war nur, in welchem Ausmaß und zu wessen Bedingungen. Ende September wurde in London eine internationale Konferenz unter der Schirmherrschaft der sogenannten G10, der Gruppe der zehn, einberufen. Dabei handelte es sich um einen Zusammenschluss der damals zehn reichsten Länder der Welt, dem auch die Schweiz angehörte, obwohl die Eidgenossenschaft zu der Zeit kein IWF-Mitglied war. Auf der Konferenz legte Connally einen Auftritt hin, mit dem er dem raubeinigen Ruf der Texaner ­alle Ehre machte. Die Vereinigten Staaten, ließ er die Delegierten wissen, verlangten einen sofortigen Umschwung ihrer Handelsbilanz im Umfang von 13 Milliarden Dollar, von einem Defizit von 5 Milliarden zu einem Überschuss von 8 Milliarden Dollar, und diese Bedingung sei nicht verhandelbar. Anschließend verweigerte er die Teilnahme an den Gesprächen darüber, wie das erreicht werden könnte; es sei, beschied er den Delegierten der anderen Länder, ihre Sache, sich auf einen entsprechenden Plan zu einigen; er würde ihnen nach eingehender Prüfung des Plans dann mitteilen, ob sie ihre Arbeit gut gemacht hätten. Damit ließ er die neun anderen G10-Mitglieder zurück, damit sie sich über Connallys Arroganz echauffieren und anschließend darüber nachdenken konnten, ob und wenn ja wie sie einen entsprechenden ­Umschwung in der US-Handelsbilanz bewerkstelligen könnten. Zwei Wochen später trafen die wichtigsten Akteure auf der Jahrestagung des IWF Anfang Oktober in Washington ein weiteres Mal zusammen. Seit der Londoner Konferenz waren in der Sache zwar kaum Fortschritte erzielt wor- 131
Teil 2 Währungskriege den, aber die Handelspartner der USA hatten genug Zeit gehabt, sich die potenziellen Folgen von Nixons zehnprozentigem Importzoll auszumalen, so zum Beispiel der kanadische Handelsminister Jean-Luc Pépin, der ausrechnete, dass in Kanada wegen des Einfuhrzolls binnen Jahresfrist 90 000 Arbeitsplätze verloren gehen würden. Zwar war es, nachdem weitere Länder den Wechselkurs ihrer Währungen zum Dollar freigegeben und postwendend Kursgewinne von drei bis neun Prozent verzeichnet hatten, an den Devisenmärkten bereits zu Dollarabwertungen gekommen. Aber Nixon und Connally strebten eine Abwertung im Bereich von 12 bis 15 Prozent an. Außerdem bestanden sie auf Zusicherungen, dass die neuen Wechselkurse beibehalten und nicht bei nächster Gelegenheit von den Märkten wieder rückgängig gemacht würden. Der IWF schlug eine Reihe von – in Anbetracht seines stark akademisch geprägten Mitarbeiterstabs – recht technischen Lösungen vor, darunter die Festlegung größerer »Bandbreiten«, innerhalb derer die Kurse der einzelnen Währungen schwanken konnten, bevor eine formelle Abwertung notwendig würde, die stärkere Nutzung von SZR und die Schaffung einer Weltzentralbank. Connally jedoch interessierte das alles herzlich wenig. Er wollte eine unmittelbare Antwort auf ein unmittelbares Problem und würde den Einfuhrzollknüppel so lange schwingen, bis er seinen Willen bekam. Immerhin ließ er sich bei der IWF-Tagung dazu bewegen, Andeutungen der Art zu machen, dass der Einfuhrzoll auch vor Erreichen seiner eigentlichen Ziele aufgehoben werden könnte, sollte sich die US-Handelsbilanz in die richtige Richtung entwickeln. Auch in einem weiteren Punkt schienen die USA eine gewisse Bereitschaft zur Flexibilität erkennen zu lassen, und dazu in einem, der den Europäern sehr am Herzen lag. Die Vereinigten Staaten hatten zwar verkündet, keine Dollars gegen Gold mehr einzulösen, die Gold-Dollar-Parität aber offiziell nicht verändert; nach wie vor galt, dass ein Dollar 1/35 einer Feinunze Gold wert war, selbst in seinem nichtkonvertierbaren Zustand. Würde der Goldpreis erhöht, liefe das ebenso auf eine Abwertung des Dollar hinaus wie auf eine Aufwertung der anderen Währungen. Eine Heraufsetzung des Goldpreises war für die Europäer von symbolischer Bedeutung und würde von 132
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) ihnen ungeachtet der amerikanischen Indifferenz in dieser Sache als eine Niederlage der USA im Währungskrieg ausgelegt werden können. Außerdem würden die Deutschen und Franzosen davon profitieren, da sie große Goldvorräte hielten und ein Anstieg des Dollarpreises von Gold automatisch den Dollarwert ihrer Goldreserven erhöhen würde. Nixon und Connally schien das nicht sonderlich zu interessieren; nun, da das Goldfenster geschlossen war, kam ihnen der Goldpreis eher irrelevant vor, und die Abwertung des Dollar war unabhängig von der verwendeten Methode schließlich nur Mittel zum Zweck. Zum Ende der IWF-Tagung hin sah es ganz so aus, als könnte die Mischung aus einer fortgesetzten Aufwertung der meisten Währungen gegenüber dem Dollar an den internationalen Devisenmärkten, einer gewissen zeitlichen Flexibilität Washingtons bei der Reduzierung des amerikanischen Handelsdefizits und der Bereitschaft der USA, den Dollarpreis des Goldes zu erhöhen, die Grundlage für eine dauerhafte Neufestsetzung der Währungen bilden, die mit Nixons Zielen vereinbar war. Mit einem weiteren G10-Treffen Anfang Dezember im prachtvollen Palazzo Corsini in Rom wurde das Endspiel eingeläutet. Dieses Mal war Connally zum Verhandeln gekommen. Er schlug eine durchschnittliche Aufwertung der anderen Währungen um 11 Prozent und eine Abwertung des Dollar gegenüber dem Gold um 10 Prozent vor. Beides zusammengenommen bedeutete eine effektive Zunahme des Dollarpreises ausländischer Exporte in die Vereinigten Staaten von über 20 Prozent. Im Austausch dafür würden die USA den zehnprozentigen Einfuhrzoll streichen. Die Europäer und Japaner waren geschockt. Eine Gesamtabwertung in Höhe von 12 bis möglicherweise 15 Prozent wäre vielleicht noch akzeptabel gewesen, aber 20 Prozent auf einen Schlag, das war zu viel. Mehr noch, innerhalb der G10 taten sich Risse auf. Eine effektive Aufwertung gegen den Dollar um 20 Prozent wäre eine Sache, solange das alle Länder betraf, aber wenn Großbritannien nur um 15 Prozent, Deutschland dagegen um die vol- 133
Teil 2 Währungskriege len 20 Prozent aufwerten würde, sähe sich Deutschland gegenüber den Vereinigten Staaten und Großbritannien benachteiligt. Frankreich wollte die Höhe der Dollarabwertung gegen Gold begrenzen, was die Anpassung stärker auf eine Aufwertung der D-Mark verschieben würde, an der Frankreich nicht voll teilhaben würde. Und so kam es. Inzwischen wurde praktisch rund um die Uhr verhandelt. Ein paar Tage nach dem Treffen in Rom kamen auf den Azoren Nixon und der französische Präsident Georges Pompidou zu einem Gespräch unter vier Augen zusammen, bei dem sich Pompidou nachdrücklich für eine Erhöhung des Dollarpreises von Gold als Bestandteil des Gesamtpakets stark machte. Nixon, der den Großteil der Nacht wach geblieben war, um die Liveübertragung eines Footballspiels der Washington Redskins zu verfolgen, führte die Verhandlungen im Zustand des akuten Schlafmangels. Am Ende gab er dem Drängen der Franzosen nach, und Pompidou wurde bei seiner Rückkehr nach Frankreich als Held gefeiert, weil er die Amerikaner in der delikaten Frage von Dollar und Gold gedemütigt hatte. Aber Nixon kehrte keineswegs mit leeren Händen nach Hause zurück, hatte er Pompidou doch die Zusicherung abgerungen, auf deutliche Verringerungen der hohen Zölle zu drängen, die auf US-Importe in den europäischen Binnenmarkt aufgeschlagen wurden. Die vorläufigen Vereinbarungen, auf die man sich im Palazzo Corsini und kurz darauf auf den Azoren verständigt hatte, wurden zwei Wochen später bei einem weiteren G10-Treffen im historischen roten Sandsteinschloss des Smithsonian Institute an der Washingtoner National Mall ratifiziert. In dem – nach dem Ort der Veranstaltung benannten – Smithsonian-Abkommen wurde vereinbart, den Dollar gegenüber dem Gold um 9 Prozent abund die anderen Währungen gegenüber dem Dollar um 3 bis 8 Prozent aufzuwerten – unter dem Strich eine Anpassung von je nach Währung zwischen 11 und 17 Prozent. Noch vor den Deutschen traf es die Japaner mit einer effektiven Aufwertung des Yen zum Dollar von 17 Prozent am härtesten, aber angesichts eines japanischen Wirtschaftswachstums von über 5 Prozent pro 134
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) Jahr hatte Connally für sie am wenigsten Sympathie übrig. Die G10-Länder einigten sich darauf, diese neuen Paritäten innerhalb einer Bandbreite von 2,25 Prozent nach oben oder unten – also 4,5 Prozent insgesamt – aufrechtzuerhalten, während die USA im Gegenzug die Aufhebung des verhassten zehnprozentigen Einfuhrzolls zusagten. Eine Rückkehr zur Goldkonvertibilität des Dollars wurde nicht vereinbart, obgleich rein technisch betrachtet die Dollar-Einlösbarkeit in Gold weiterhin bestand. Mit anderen Worten würde das US-Finanzministerium, wie ein Finanzexperte damals spottete, »statt kein Gold für 35 Dollar die Feinunze zu verkaufen, […] in Zukunft eben kein Gold für 38 Dollar die Feinunze verkaufen«. Wie der Nixon-Schock vier Monate zuvor stieß auch das Smithsonian-Abkommen in den USA auf begeisterte Zustimmung und ließ die Börsenkurse steil steigen, weil die Investoren höhere Dollargewinne in der Stahl-, Automobil-, Flugzeug- und Filmindustrie sowie in anderen Sektoren erwarteten, die von den stärkeren Exporten beziehungsweise den sinkenden Importen oder von beidem profitieren würden. Der Berater des Präsidenten Peter G. Peterson schätzte, dass die Dollarabwertung in den folgenden zwei Jahren mindestens eine halbe Million neue Jobs schaffen würde. Unglücklicherweise sollten diese euphorischen Hoffnungen nur allzu bald platzen. Nicht einmal zwei Jahre später steckten die Vereinigten Staaten in der schlimmsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg, geprägt von einem einbrechenden BIP, in die Höhe schnellenden Arbeitslosenzahlen, einer Ölkrise, einem kollabierenden Aktienmarkt und einer galoppierenden Inflation. Dass sich eine Nation nicht in den Wohlstand abwerten kann, verstanden Nixon, Connally, Peterson und die Aktienmärkte Ende 1971 ebenso wenig wie ihre Vorgänger zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise. Offenkundig handelt es sich hierbei um eine besonders schwer zu verstehende Lektion. Wie im Falle der großen internationalen Währungskonferenzen in den 1920er- und 1930er-Jahren erwiesen sich die Vorzüge des Smithsonian-Abkommens, soweit es diese gab, als sehr kurzlebig. Das britische Pfund wer- 135
Teil 2 Währungskriege tete am 23. Juni 1972 ein weiteres Mal ab, dieses Mal in Form einer Emission anstelle der Einhaltung der Smithsonian-Paritäten. Das Pfund verlor sofort 6 Prozent und bis Ende des Jahres insgesamt 10 Prozent. Die Furcht vor einer ansteckenden Wirkung der Pfundabwertung war groß, insbesondere was die italienische Lira anging. Nixon, von seinem Stabsleiter über die neue europäische Währungskrise informiert, quittierte das mit dem unsterblich gewordenen (und auf Band aufgenommenen) Kommentar: »Das ist mir egal. Es gibt nichts, was wir deswegen tun könnten … Die italienische Lira interessiert mich einen Scheißdreck.« In der Absicht, D-Mark-Panikkäufe zu unterbinden, verhängte Deutschland am 29. Juni 1972 Kapitalverkehrskontrollen, und bis zum 3. Juli hatten auch der Schweizer Franken und der kanadische Dollar abgewertet. Was als Pfundabwertung begonnen hatte, hatte sich, da die Anleger die relative Sicherheit der D-Mark und des Schweizer Franken suchten, in eine wilde Flucht aus dem Dollar ausgewachsen. George P. Shultz, der nach Connallys Rücktritt im Juni 1972 diesem als Finanzminister nachfolgte, musste praktisch vom ersten Moment im Amt an gegen diese sich entfaltende Dollarkrise ankämpfen. Mithilfe von Paul Volcker, der ebenfalls im Finanzministerium tätig war, und dem Fed-Vorsitzenden Arthur Burns konnte Shultz Swap-Linien – im Prinzip kurzfristige Devisenkreditfazilitäten – zwischen der Fed und den europäischen Notenbanken aktivieren, während er gleichzeitig mit Interventionen an den Märkten die Dollarpanik in den Griff zu bekommen versuchte. Nachdem all die »Bandbreiten«, »unsauberen ­Emissionen«, »kontrollierten Abwertungen« und anderen Mechanismen versagt hatten, die ausgetüftelt worden waren, um wenigstens einen Anschein des Bretton-Woods-Systems aufrechtzuerhalten, blieb keine andere Lösung mehr, als die großen Währungen in ein System der freien Wechselkurse zu überführen. Schließlich, 1973, erklärte der IWF das Bretton-Woods-System für tot, beendete offiziell die Rolle des Goldes als internationale Reservewährung und ließ den Wert der Währungen frei gegeneinander zu jedem Kurs schwanken, den die Regierungen oder Märkte für angemessen hielten. Damit war zwar eine Währungsära zu Ende gegan- 136
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) gen und eine neue eingeläutet worden, doch der Zweite Währungskrieg war noch längst nicht vorbei. Die Ära der frei schwankenden Wechselkurse, die 1973 begann, bewirkte zusammen mit der Abkoppelung des Dollar vom Gold ein zeitweiliges Ende der Abwertungsdramen, die seit den 1920er-Jahren die internationalen Währungsbeziehungen geprägt hatten. Von nun an musste sich kein Zentralbankier oder Finanzminister mehr wegen des Verstoßes gegen festgelegte Paritäten oder der Abkehr vom Gold graue Haare wachsen lassen. Nun waren es die Märkte, die alltäglich die Wechselkurse nach oben oder unten bewegten. Natürlich intervenierten die Staaten nach wie vor von Zeit zu Zeit, um exzessive Marktbewegungen oder ihrer Meinung nach marktverzerrende Bedingungen auszugleichen, doch hatten diese üblicherweise nur einen begrenzten und temporären Einfluss. Die Rückkehr von König Dollar In Reaktion auf den schrittweisen Niedergang des Systems von Bretton Woods brachen die großen westeuropäischen Nationen zu einer 30 Jahre währenden Odyssee der Währungskonvergenz auf, die sie zur Europäischen Union und schlussendlich 1999 zum Euro führte. Während Europa mal langsamer, mal schneller in Richtung Währungsstabilität voranschritt, war den beiden vormaligen Ankern des globalen Währungssystems so etwas wie Stabilität nicht beschieden. Ungeachtet der Hoffnungen auf wirtschaftliches Wachstum und steigende Beschäftigungsquoten im Zuge der Dollarabwertungen durchlitten die Vereinigten Staaten in der Zeit von 1973 bis 1981 drei Rezessionen. Allein von 1977 bis 1981 ging die Kaufkraft des US-Dollar um volle 50 Prozent zurück. In der Rezession von 1973 bis 1975 vervierfachte sich der Ölpreis, um sich dann 1979 von diesem neuen, höheren Niveau aus nochmals zu verdoppeln. Der Goldpreis stieg von 1971 bis 1980 im Jahresdurchschnitt von 40,80 Dollar auf 612,56 Dollar pro Fein- 137
Teil 2 Währungskriege unze, wobei er im Januar 1980 kurzzeitig sogar den absoluten Rekordwert von 850 Dollar erreichte. Es war in den Augen vieler eine Welt, die dem Wahnsinn anheimgefallen war. Ein neuer Begriff, »Stagflation«, wurde zur Beschreibung der bis dato beispiellosen Kombination einer hohen Inflation und eines stagnierenden Wirtschaftswachstums, die die Vereinigten Staaten erfasst hatte, geprägt. Der ökonomische Alptraum, der von 1973 bis 1981 währte, war das exakte Gegenteil des exportgetriebenen Wachstums, das mit der Dollarabwertung eigentlich hatte erreicht werden sollen. Die Verfechter der Abwertungs­ strategie hätten sich nicht schlimmer irren können. Angesichts eines Vertrauens in den Dollar, das sich dem Nullpunkt näherte, waren eine neue Führung und neue Maßnahmen dringend geboten. Mit der Ernennung von Paul Volcker zum Vorsitzenden des Direktoriums der Federal Reserve durch Präsident Jimmy Carter im August 1979 und der Wahl Ronald Reagans zum neuen Präsidenten im November 1980 bekamen die Vereinigten Staaten beides. Als Staatssekretär im Finanzministerium war Volcker von 1969 bis 1974 eng in die Entscheidungen eingebunden gewesen, zuerst die Goldbindung zu kappen und schließlich den Dollar freizugeben. Nun musste er sich mit den Folgen dieser Entscheidungen herumschlagen, aber dank seiner Erfahrungen war er bestens darauf vorbereitet, die Dollarkrise mithilfe von Leitzinsen, Offenmarktinterventionen und Swap-Linien in den Griff zu bekommen, genau wie er es zusammen mit Arthur Burns bereits 1972 im Falle der Pfundkrise getan hatte. Was die Inflation betraf, legte Volcker eine Aderpresse an und zog sie gnadenlos zusammen. Bis Juni 1981 jagte er den Leitzins auf 20 Prozent hinauf, eine Schocktherapie, die den gewünschten Effekt hatte. Zum Teil dank Volcker sank die Inflationsrate von 12,5 Prozent 1980 auf nur noch 1,1 Prozent 1986. Der Goldpreis nahm sich daran ein Beispiel und fiel von 1980 138
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) bis 1985 von 612,56 Dollar auf 317,26 Dollar pro Feinunze. Die Inflation war besiegt und das Gold in die Schranken gewiesen worden. Der König Dollar war zurück. So heldenhaft Volckers Maßnahmen auch gewesen sein mochten, sie w ­ aren nicht der einzige Grund für den Rückgang der Inflation und das Wiedererstarken des Dollar. Ebenso wichtig war die von Ronald Reagan betriebene Politik der niedrigen Steuern und der Deregulierung der Wirtschaft. Als Reagan im Januar 1981 ins Weiße Haus einzog, war das ökonomische Selbstvertrauen der Amerikaner durch die Rezessionen, die Inflation und die Ölkrisen der Jahre unter Nixon, Ford und Carter am Boden. Obwohl die Fed unabhängig vom Weißen Haus war, führten Volcker und Reagan zusammen den Dollar zu alter Stärke zurück, setzten eine Steuersenkungspolitik um, die sich als Lebenselixier für die US-Wirtschaft erwies, und läuteten eine der wachstumsstärksten Phasen in der US-Geschichte ein. Im Verein mit Reagans Steuersenkungen ließ Volckers Politik des knappen Geldes das Bruttoinlandsprodukt in dem Dreijahreszeitraum von 1983 bis 1985 kumuliert um 16,6 Prozent wachsen. Nie wieder hat die US-Wirtschaft seither eine ähnlich wachstumsstarke Dreijahresperiode erlebt. Der starke Dollar schadete dem Wachstum überhaupt nicht, und in Kombination mit anderen wachstumsstimulierenden Maßnahmen förderte er das Wirtschaftswachstum sogar. Allerdings verharrte die Arbeitslosigkeit noch Jahre, nachdem 1982 die letzte der drei Rezessionen überwunden war, auf einem hohen Niveau. Die Handelsbilanzdefizite mit Deutschland und Japan vergrößerten sich in dem Maße, in dem der starke Dollar die Amerikaner in Massen zum Kauf von deutschen Automobilen, japanischen Elektronikgeräten und anderen Dingen verlockte. Doch schon Anfang 1985 ließen der Druck der vielen US-Unternehmen, die Schutz vor der ausländischen Konkurrenz suchten, und der vielen USBürger, die nach Jobs suchten, wieder die üblichen Forderungen von Gewerkschaften und von Politikern aus industrielastigen Bundesstaaten nach 139
Teil 2 Währungskriege einer Dollarabwertung laut werden, um einerseits die Exporte zu stimulieren und andererseits Importe zu verteuern. Der Umstand, dass eben diese Strategie 1973 so spektakulär gescheitert war, konnte die Fans eines schwachen Dollar nicht schrecken. Die Aussicht auf eine Patentlösung für Industrien, die im Sterben begriffen sind oder unter strukturellen Schwächen leiden, war politisch allzu verlockend. So kam es, dass die Vereinigten Staaten unter Anleitung eines weiteren Finanzministers aus Texas und würdigen Nachfolgers John Connallys namens James A. Baker die Welt einmal mehr mit der Forderung nach einem billigen Dollar konfrontierten. Diesmal war die Methode der Abwertung eine andere. Feste Wechselkurse oder Umtauschkurse in Gold, die man brechen konnte, gab es nicht mehr. Die Währungen wurden frei gegeneinander gehandelt und die Wechselkurse an den Devisenmärkten festgelegt, an denen vor allem große internationale Banken und ihre Kunden agierten. Die Dollarstärke in den frühen 1980erJahren war unter anderem darauf zurückzuführen, dass die USA wegen des starken Wirtschaftswachstums attraktiv für ausländische Investoren waren. Der starke Dollar war ein Vertrauensbeweis in die Vereinigten Staaten und kein Problem, das behoben werden musste. Doch die Innenpolitik diktierte ein anderes Schicksal für den Dollar – ein in allen Währungskriegen wiederkehrendes Motiv. Da der Dollar am Markt nach oben tendierte, brauchte es schon sehr massive staatliche Interventionen an den Devisenmärkten, um den Dollar abzuwerten – so massiv, dass die Zustimmung und Kooperation aller betroffenen großen Länder vonnöten war. Westeuropa und Japan hatten kein Interesse an einer Dollarabwertung – dazu waren die Erinnerungen an den Nixon-Schock noch zu lebendig. Ferner konnte sich niemand sicher sein, dass Baker nicht als letztes Mittel Einfuhrzölle erheben würde, so wie es Connally im Jahr 1971 getan hatte. Außerdem waren Westeuropa und Japan, was ihre nationale Sicherheit und den Schutz vor dem kommunistischen Block anging, Mitte der 1980erJahre noch ebenso sehr von den USA abhängig wie ein Jahrzehnt zuvor. Unter dem Strich erschien es ihnen klüger, mit den USA über eine Dollar­ 140
Kapitel 5 – Der Zweite Währungskrieg (1967–1987) abwertung zu verhandeln, als nochmals Opfer einer bösen Überraschung zu werden. Die internationalen Bemühungen zur Abwertung des Dollar kulminierten schließlich im Plaza-Abkommen vom 22. September 1985. Die Finanzminister von Westdeutschland, Japan, Frankreich und Großbritannien trafen sich mit dem amerikanischen Finanzminister im Plaza Hotel in New York, um gemeinsam einen Plan zur Abwertung des Dollar insbesondere gegenüber dem japanischen Yen und der D-Mark auszuarbeiten. Zu diesem Zweck stellten die Zentralbanken über 10 Milliarden Dollar zur Ver­ fügung, die wie vereinbart über mehrere Jahre eingesetzt wurden – mit dem Ergebnis, dass der Dollar von 1985 bis 1988 um über 40 Prozent gegenüber dem französischen Franc, 50 Prozent gegenüber dem japanischen Yen und 20 Prozent gegenüber der deutschen Mark nachgab. Rein im Hinblick auf seine abwertende Wirkung war das Plaza-Abkommen ein Erfolg, die ökonomischen Resultate hingegen waren enttäuschend. Die Arbeitslosigkeit in den USA verharrte mit 7,0 Prozent 1986 weiter auf einem hohen Niveau, während das Wirtschaftswachstum 1987 sogar zurückging, und zwar beträchtlich auf nur noch 3,2 Prozent. Einmal mehr hatte sich die vermeintliche Patentlösung als Chimäre erwiesen, und einmal mehr musste dafür ein hoher Preis in Gestalt von Inflation bezahlt werden, die mit einer gewissen Verzögerung nach dem Plaza-Abkommen wieder ansprang und bis 1990 wieder auf 6,1 Prozent schnellte. Abwertungen und Währungskriege erzeugen niemals das Wirtschaftswachstum oder die Arbeitsplätze, die man sich von ihnen verspricht. Nur eines erzeugen sie mit großer Zuverlässigkeit: Inflation. Selbst für den Geschmack der Vertragsparteien war das Plaza-Abkommen zu erfolgreich, was sie ein letztes Mal zum Eingreifen veranlasste, um den rapiden Abstieg des Dollar gegenüber seinem Niveau von 1985 etwas abzubremsen. Anfang 1987 kam im Pariser Louvre die G7-Gruppe zusammen, die aus den fünf Vertragsparteien des Plaza-Abkommens sowie Kanada und 141
Teil 2 Währungskriege Italien bestand, und unterzeichnete das Louvre-Abkommen, mit dem der Dollar auf seinem neuen, niedrigeren Niveau stabilisiert werden sollte. Zugleich endete mit dem Louvre-Abkommen der Zweite Währungskrieg; nach 20 Jahren des Aufruhrs hatten die G7-Finanzminister beschlossen, dass genug genug war. 1987 spielte Gold im globalen Finanzwesen keine Rolle mehr, der Dollar war abgewertet worden, der Yen und die D-Mark befanden sich im Aufstieg, das britische Pfund war in Bedeutungslosigkeit versunken, am Hori­ zont zeichnete sich der Euro ab, und China hatte noch nicht seinen Platz auf der internationalen Bühne eingenommen. Für den Augenblick herrschte ­relativer Friede in der internationalen Finanzwelt, aber dieser Friede beruhte auf nicht viel mehr als dem Glauben an den Dollar als verlässlichen Wertspeicher, und dafür wiederum waren eine wachsende US-Wirtschaft und eine stabile Geldpolitik der Fed unerlässlich – Bedingungen, wie sie ungeachtet zweier milder Rezessionen denn auch die 1990er-Jahre hindurch und bis ins frühe 21. Jahrhundert hinein vorherrschten. Die Währungskrisen, zu denen es in dieser Zeit kam, waren Nichtdollarkrisen, etwa die Pfund­krise von 1992, die Pesokrise in Mexiko 1994 und die asiatisch-russische Finanzkrise von 1997 bis 1998. Keine dieser Krisen bedrohte den Dollar – im Gegenteil, in jeder dieser Krisen galt der Dollar als sicherer Hafen. Um die Vorherrschaft des Dollar herauszufordern, brauchte es, wie es schien, schon einen massiven Einbruch des amerikanischen Wirtschaftswachstums oder den Aufstieg einer konkurrierenden Wirtschaftssupermacht – oder beides. Als diese beiden Faktoren schließlich im Jahr 2010 gegeben waren, brach über den Weltwährungsmarkt ein veritabler Finanz-Tsunami herein. 142
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) »Es ist nicht unser Ziel, den Dollarkurs zu drücken. Wir führen keinen Währungskrieg.«26 Janet Yellen, Vizepräsidentin der Federal Reserve, über die quantitative Lockerung, 16. November 2010 »Quantitative Lockerung funktioniert auch über Wechselkurse … Die Fed könnte eine deutlich aggressivere quantitative Lockerung betreiben …, um … den Dollarwert weiter zu senken.«27 Christina D. Romer, ehemalige Vorsitzende des Council of Economic Advisers, 27. Februar 2011 Drei Superwährungen – der Dollar, der Euro und der Yuan –, ausgegeben von den drei größten Wirtschaftsmächten der Welt: den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und der Volksrepublik China –, sind die Supermächte eines neuen, des Dritten Währungskrieges, der 2010 als Folge der Wirtschaftskrise von 2007 ausbrach und dessen Ausmaß und Auswirkungen erst jetzt deutlich werden. Zweifellos spielen auch andere Währungen eine wichtige Rolle im g­ lobalen Finanzsystem, wie zum Beispiel der japanische Yen, das britische Pfund, der Schweizer Franken und die Währungen der übrigen BRICS-Staaten: der brasilianische Real, der russische Rubel, die indische Rupie, der chinesische Renmimbi und der südafrikanische Rand. Die Bedeutung dieser Währungen beruht auf der Größe der Volkswirtschaften, die sie ausgeben, sowie dem Handelsvolumen und dem Umfang an finanziellen Transaktionen in diesen Ländern. Nach diesen Maßgaben belegen auch die landes­ eigenen Dollars von Australien, Neuseeland, Kanada, Singapur, Hongkong 143
Teil 2 Währungskriege und ­Taiwan sowie die norwegische K ­ rone, der südkoreanische Won und der Dirham der Vereinigten Arabischen Emirate vordere Ränge. Aber das kombinierte BIP der USA, der EU und Chinas – zusammen fast 60 Prozent des globalen BIP – stellt ein wirtschaftliches Schwergewicht dar, gegen das alle anderen Volkswirtschaften und Währungen verblassen. Jeder Krieg hat seine Hauptfrontlinien sowie exotische, und oftmals blutige Nebenschauplätze. Der Zweite Weltkrieg war der größte und teuerste militärische Konflikt der Geschichte. Die US-Amerikaner unterscheiden im Zweiten Weltkrieg zwischen einem europäischen und einem pazifischen Kriegsschauplatz, während es für die Japaner um ein Kaiserreich ging, das sich von Burma bis Pearl Harbor erstreckte. Die Engländer kämpften, wie es scheint, überall gleichzeitig. Ähnlich ist es auch bei den Währungskriegen. Die Hauptfronten verlaufen quer durch den Pazifik, Atlantik und durch Eurasien: Dollar gegen Yuan, Dollar gegen Euro und Euro gegen Yuan. Diese Schlachten sind real, auch wenn die geografischen Zuordnungen metaphorisch sind. Tatsächlich werden Währungskriege überall auf der Welt, in allen wichtigen Finanz­zentren gleichzeitig und rund um die Uhr von Bankern, Händlern, Politikern und automatisierten Systemen ausgetragen – und auf dem Spiel steht das Schicksal der Volkswirtschaften und der dort lebenden Bürger. Die Teilnahme an einem Währungskrieg ist heute nicht mehr nur den Emittenten der Währungen in den einzelnen Ländern und ihren Zentralbanken vorbehalten. Inzwischen sind auch multilaterale und globale Institutionen, wie der IWF, die Weltbank, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und die UN, sowie private Einrichtungen, wie beispielsweise Hedgefonds, Weltkonzerne und Family Offices der Superreichen, beteiligt. Über Spekulationen, Absicherungsgeschäfte und Manipulationen haben diese privaten Institutionen ebenso viel Einfluss auf das Schicksal einer Währung wie das Ausgeberland. Der beste Beweis dafür, dass sich die Gefechtslinien über den ganzen Globus ziehen und nicht auf Nationalstaaten begrenzt sind, ist 144
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) die bekannte Geschichte von George Soros, der mit seinem Hedgefonds bei einer gewaltigen Währungswette die Bank of England in die Knie zwang. Heute gibt es sehr viel mehr Hedgefonds mit sehr viel mehr Billionen Dollar an Fremdfinanzierung, mehr als Soros es sich vor 20 Jahren hätte vorstellen können. Die Kämpfe auf den pazifischen, atlantischen und eurasischen Schlachtfeldern des Dritten Währungskriegs haben begonnen, und es gibt wichtige Nebenschauplätze in Brasilien, Russland, dem Nahen Osten und in weiten ­Teilen Asiens. Im Dritten Währungskrieg wird jedoch nicht um den Real oder den Rubel gekämpft. Es geht dabei um die Relativwerte von Euro, Dollar und Yuan, die über das Schicksal der Ausgeberländer und das von deren Handelspartnern entscheiden. Die Welt steht nun vor dem dritten Währungskrieg innerhalb eines Jahrhunderts. Ob er ähnlich tragisch endet wie der erste oder so glimpflich wie der zweite, muss sich erst noch erweisen. Nur eines ist angesichts des Wirtschaftswachstums in den einzelnen Ländern seit den 1980er-Jahren, des vermehrten Gelddruckens und der größeren Hebelung durch Derivate klar: Dieser Währungskrieg wird wirklich weltweit ausgefochten werden, und er wird deutlich größere Ausmaße annehmen als alle vorherigen. Im Dritten Währungskrieg wird es öffentliche und private Kriegsparteien geben. Diese Zunahme an Größe, geografischer Ausdehnung und Teilnehmerzahl erhöht das Risiko eines Zusammenbruchs exponentiell. Heute besteht das Risiko nicht nur in der Abwertung einer Währung gegenüber einer anderen oder einem Anstieg des Goldpreises. Heute besteht das Risiko im Zusammenbruch des Währungssystems an sich – dem Vertrauensverlust der Papierwährungen und einer Massenflucht in harte Vermögenswerte. Angesichts des drohenden totalen Zusammenbruchs des Systems könnte der Dritten Währungskrieg auch der letzte sein – oder frei nach Woodrow ­Wilson, der Währungskrieg, der allen Währungskriegen ein Ende setzt. 145
Teil 2 Währungskriege Der Kriegsschauplatz im Pazifik Der Kampf zwischen China und den USA, zwischen dem Yuan und dem Dollar, steht heute im Zentrum der Weltfinanzwirtschaft und stellt die Hauptfront im Dritten Währungskrieg dar. Der Konflikt begann damit, dass China ein Vierteljahrhundert, das von wirtschaftlicher Isolation, sozialem Chaos und der doktrinären Unterdrückung des freien Marktes durch das kommunistische Regime geprägt war, hinter sich lassen wollte. Das heutige chinesische Wirtschaftswunder begann im Januar 1975 mit der Verkündigung des Programms der »Vier Modernisierungen« durch Premier Zhou Enlai, das Landwirtschaft, Industrie, Verteidigung sowie Wissenschaft und Technik umfasste. Die Umsetzung verzögerte sich allerdings durch Zhous Tod im Januar 1976, den Tod des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Mao Zedong im September desselben Jahres sowie die Verhaftung der radikalen Viererbande um Maos Ehefrau nach nur einem Monat an der Macht. Maos designierter Nachfolger Hua Guofeng griff Zhous Vision wieder auf und brach beim Parteitag der Kommunistischen Partei im Dezember 1978 endgültig mit der maoistischen Vergangenheit. Unterstützt wurde er dabei von dem kurz zuvor rehabilitierten und bald dominierenden Deng Xiaoping. Die wirklichen Veränderungen begannen im darauffolgenden Jahr mit einer Reihe von Experimenten und Pilotprogrammen, die eine Aus­ weitung der Entscheidungsspielräume in landwirtschaftlichen Betrieben und Fabriken zum Ziel hatten. Im Jahr 1979 traf China die weitreichende Entscheidung, vier Sonderwirtschaftszonen mit günstigen Arbeitsricht­ linien, weniger ­ Reglementierungen und Steuervorteilen einzurichten, durch die ausländische Investoren, insbesondere in den Bereichen Produktion und Montage sowie der Textilindustrie, angelockt werden sollten. Die Sonder­wirtschaftszonen waren Vorboten eines deutlich umfangreicheren Programms von Wirtschaftsentwicklungszonen, das 1984 gestartet wurde und einen Großteil der großen Küstenstädte im Osten Chinas ein- 146
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) schloss. Chinas Wachstumsrate war Mitte der 1980er-Jahre prozentual sehr hoch, allerdings bei sehr niedrigen Ausgangswerten. Weder die chinesische Währung noch die bilateralen Handelsbeziehungen des Landes zu wichtigen Partnerländern wie den USA oder Deutschland gaben Anlass zur ­Besorgnis. Im aktuellen Währungskrieg wird oft die Unterbewertung der chinesischen Währung beklagt, aber noch 1983 war der Yuan mit 2,80 Yuan pro Dollar massiv überbewertet.28 Damals machten Exporte einen relativ kleinen Teil des chinesischen BIP aus, und der Führung des Landes waren billige Importe für den Aufbau der Infrastruktur wichtiger. Als der Exportanteil wuchs, führte China sechs Abwertungen in zehn Jahren durch, sodass der Wert des Yuan im Jahr 1993 auf 5,32 Yuan für einen Dollar gesunken war. Am 1. Januar 1994 kündigte China schließlich eine Reform des Devisenhandels an und wertete den Yuan mit einem Schlag auf 8,70 Yuan pro Dollar ab. Das US-Finanzministerium war schockiert und stufte China als »Währungsmanipulator« gemäß dem US-Handelsgesetz von 1988 ein, demzufolge das Finanzministerium Länder anprangern muss, die sich über Wechselkurse einen unlauteren Vorteil im internationalen Handel verschaffen wollen. Es war das letzte Mal, dass das US-Finanzministerium den Manipulationsvorwurf gegen China vorbrachte, auch wenn es indirekt immer wieder damit drohte. Die Folge war eine Reihe gemäßigter Aufwertungen, sodass der Yuan 1997 die Marke von 8,28 Yuan pro Dollar erreichte und danach bis 2004 praktisch unverändert blieb. In den späten 1980er-Jahren erlebte China einen deutlichen Inflationsschub, der allgemeine Unzufriedenheit und eine konservative Gegenreaktion unter Führung der alten Kommunistengarde gegen die wirtschaftlichen Reformen und die Öffnungsprogramme Dengs zur Folge hatte. Unabhängig davon verstärkte eine liberale Protestbewegung, die von Studenten und Intellektuellen mit dem Wunsch nach demokratischen Reformen angeführt wurde, die politischen Unruhen noch. Die konservative und die liberale Bewegung prallten auf gewalttätige und tragische Weise bei dem Massaker auf 147
Teil 2 Währungskriege dem Tiananmen-Platz am 4. Juni 1989 aufeinander. Damals vertrieb die Volksbefreiungsarmee auf Befehl der Führung der kommunistischen Partei mit scharfer Munition und Panzern Demonstranten für Menschenrechte und Demokratie von dem Platz im Zentrum Beijings, der ganz in der Nähe der Verbotenen Stadt der alten Kaiser liegt. Hunderte wurden getötet. Nach 1989 erlebte die chinesische Wirtschaft eine Flaute, die teilweise auf die Maßnahmen zur Eindämmung der Inflation und teilweise auf die Reaktionen des Auslands auf das Massaker am Tiananmen-Platz zurückzuführen war. Diese Wachstumspause währte jedoch nur kurz. In den 1990ern zerbrach schließlich die »eiserne Reisschüssel«, die Sozialpolitik, die dem chinesischen Volk bisher Nahrung und einige Sozialleistungen auf Kosten des Wirtschaftswachstums und der Effizienz garantiert hatte. Es bildete sich eine Art Marktwirtschaft heraus, in der chinesische Arbeiter zwar die Chance hatten, ihre Lebenssituation zu verbessern, aber kein Auffangnetz, falls sie es nicht schafften. Die Erinnerung an den Tiananmen-Platz war noch frisch, und durch die Erfahrungen des vergangenen, chaotischen Jahrhunderts war der Führung klar, dass der Fortbestand der Kommunistischen Partei und die Fortdauer politischer Stabilität von der Schaffung neuer Arbeitsplätze abhingen. Diesem einen Ziel sollte die gesamte chinesische Politik untergeordnet werden. Der beste Weg zur schnellen und umfangreichen Schaffung neuer Arbeitsplätze war, zu einer Exportmacht zu werden. Die Währungsbindung sollte zu diesem Ziel führen. Für die Kommunistische Partei Chinas war die Anbindung des Yuan an den Dollar eine ökonomische Schutzmaßnahme gegen einen weiteren Vorfall wie am Tiananmen-Platz. 1992 drängten reaktionäre Gegner der Reformen erneut auf den Abbau von Dengs Sonderwirtschaftszonen und anderer Programme. Als Reaktion darauf brach ein angeschlagener Deng Xiaoping, der sich offiziell von der politischen Bühne zurückgezogen hatte, zu seiner berühmten Neujahrsreise durch Südchina auf. Sein persönlicher Besuch großer Industriestädte wie Shanghai brachte ihm die Unterstützung zur Fortsetzung der wirtschaftli- 148
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) chen Entwicklung ein und schwächte die reaktionären politischen Kräfte entscheidend. Die Reise durch den Süden 1992 markierte den Beginn des zweiten Wachstumsschubs der chinesischen Wirtschaft, durch den sich das reale BIP zwischen 1992 und 2000 mehr als verdoppelte. Die Auswirkungen dieses atemberaubenden Wachstums der 1990er auf die amerikanischchinesischen Wirtschaftsbeziehungen wurden jedoch durch die anhaltenden Reaktionen der USA auf das Massaker vom Tiananmen-Platz gedämpft, zu denen Wirtschaftssanktionen und Zurückhaltung von US-Firmen bei direkten Investitionen in China gehörten. Eine Reihe von Fauxpas und Fehleinschätzungen, darunter der Abschuss eines NATO-Marschflugkörpers auf die chinesische Botschaft in Belgrad im Jahr 1999, verstärkten die Spannungen weiter. Der Zusammenstoß eines chinesischen Kampfjets mit einem Aufklärungsflugzeug der USA im April 2001, bei dem der chinesische Pilot getötet und die Besatzung des US-Flugzeugs nach einer Notlandung auf chinesischem Gebiet vorübergehend verhaftet wurde, sorgte dafür, dass die Wirtschaftsbeziehungen schlecht blieben. Paradoxerweise führten ausgerechnet die Anschläge der Al Kaida vom 11. September 2001 und Chinas darauffolgende entschiedene Unterstützung der USA im globalen Krieg gegen den Terror dazu, dass das Eis schließlich gebrochen wurde und sich die amerikanisch-chinesischen Beziehungen normalisierten. Chinas Wirtschaft hatte in den 25 Jahren seit 1976 bereits erhebliche Fortschritte zu verzeichnen, aber erst 2002 gewann die Koabhängigkeit der USA und Chinas von bilateralem Handel und Investitionen richtig an Fahrt. In eben jenem Jahr 2002 startete der US-Notenbankchef Alan Greenspan sein Experiment mit dauerhaft extrem niedrigen Zinsen. Greenspan hatte im Sommer 2000, nach dem Platzen der Hightech-Blase, erste Zinssenkungen vorgenommen. Die Senkung des Leitzinses der US-Notenbank um mehr als 4,75 Prozent zwischen Juli 2000 und Juli 2002 kann noch als konjunkturbedingte Maßnahme angesehen werden, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.29 Darauf folgten jedoch zwei weitere, ungewöhn- 149
Teil 2 Währungskriege liche Jahre, in denen der Leitzins der Fed 1,8 Prozent nie überschritt. Im ­Dezember 2003 fiel er gar auf 1,0 Prozent. Erst im Oktober 2004 stand der Leitzins wieder bei 1,75 Prozent und war damit fast genauso hoch wie im ­Juli 2002. Diese Niedrigzinspolitik wurde zunächst als Reaktion auf das Platzen der Hightech-Blase im Jahr 2000, die Rezession von 2001, die Anschläge vom 11. September und Greenspans Angst vor einer Deflation gerechtfertigt. Doch Greenspan hielt hauptsächlich wegen dieser Angst deutlich länger an den niedrigen Zinsen fest, als bei einer leichten Rezession angemessen gewesen wäre. Der konstante Nachschub an billigen Arbeitskräften war mit dafür verantwortlich, dass China seine Deflation inzwischen in alle Welt exportierte. Greenspans Niedrigzinspolitik, mit der die Auswirkungen der chinesischen Deflation in den USA kompensiert werden sollten, bereitete den Boden für den ausgewachsenen Währungskrieg, der noch im selben Jahrzehnt ausbrach. Greenspans niedrige Zinssätze waren nicht nur eine konjunkturpolitische Reaktion auf eine mögliche Deflation, sondern sie wirkten auch wie eine intravenöse Droge auf die Wall Street. Der Offenmarktausschuss, das für die Festsetzung des US-Leitzinses zuständige Gremium, übernahm nun die Rolle eines Drogenlabors für hyperaktive Handelsjunkies an der US-Börse. Durch die niedrigen Zinssätze wirkten alle Arten von zweifelhaften oder riskanten Geschäften lohnend, weil sich jetzt scheinbar auch Grenzkreditnehmer eine Finanzierung leisten konnten. Bei niedrigen Zinsen mussten sich außerdem institutionelle Investoren auf die Suche nach höheren Renditen machen, als mit risikofreien Staatsanleihen oder Anleihen mit höchster Bonitätsbewertung erzielt werden konnten. An den Märkten für Subprime-Wohnhypotheken und Gewerbeimmobilien explodierte aufgrund von Greenspans Niedrigzinspolitik die Anzahl der Kreditvergaben, der Zustrom an Neugeschäften, die Verbriefungen und die Preise für die hinterlegten Vermögenswerte. Die große Immobilienblase von 2002 bis 2007 war geboren. 150
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) Als im September 2002 die Niedrigzins-Politik gerade auf den Weg gebracht war, fand Greenspan in Ben Bernanke, einem neu ernannten Mitglied des Fed-Direktoriums, einen Verbündeten. Bernankes tief sitzende Angst vor Deflation war sogar noch größer als die Greenspans. Bernanke begründete seinen Ruf als Kämpfer gegen Deflation durch eine Rede vor dem National Economists Club in Washington, D.C., nur zwei Monate nach seiner Berufung ins Direktorium. Die Rede mit dem Titel »Deflation: Making Sure ›It‹ Doesn’t Happen Here« (»Deflation: Wie wir sicherstellen, dass ›es‹ hier nicht passiert«)30 erregte besondere Aufmerksamkeit durch den Verweis auf Milton Friedmans Vorschlag, man solle notfalls frisch gedruckte Banknoten aus Helikoptern abwerfen, um eine Deflation zu verhindern. Dies brachte Bernanke den Spitznamen »Helikopter-Ben« ein. Bernankes Rede von 2002 lieferte die Blaupause für die Rettungsaktionen von 2008 und die Strategie der quantitativen Lockerung von 2009. Bernanke sprach mit klaren Worten darüber, wie die Fed mit neu gedrucktem Geld Haushaltsdefizite finanzieren könnte, egal ob diese von Steuerkürzungen oder einer Erhöhung der Ausgaben herrührten. Er sagte: Breit angelegte Steuerkürzungen …, finanziert durch Offenmarktgeschäfte …, würden den Konsum … mit hoher Wahrscheinlichkeit wirksam ankurbeln. … Geldfinanzierte Steuerkürzungen entsprechen im Wesentlichen Milton Friedmans berühmtem »Geldabwurf per Helikopter«. Natürlich könnte die Regierung … auch Immobilien oder Finanzanlagen erwerben. Wenn … die Fed dann mit frisch geschöpftem Geld Staatsanleihen im selben Wert erwirbt, entspräche der Vorgang aus ökonomischer Sicht einem Offenmarkthandel mit privaten Vermögenswerten.31 Bernanke erklärte also, wie der Fiskus Schulden aufnehmen konnte, um damit Beteiligungen an Privatunternehmen zu kaufen. Die Fed finanzierte dann die Schulden, indem sie Geld druckte. Nichts anderes geschah, als der US-Fiskus AIG, GM und die Citibank übernahm und unter anderem Goldman Sachs rettete. Mehrere Jahre vorher hatte Bernanke das alles bereits ­detailliert dargelegt. 151
Teil 2 Währungskriege Mit Bernanke hatte Greenspan einen Seelenverwandten und, wenn die Zeit gekommen war, den perfekten Nachfolger für seinen Kreuzzug gegen die Deflation im Direktorium sitzen. Die Angst von Greenspan und Bernanke vor einer Deflation zieht sich als einziger roter Faden durch die gesamte Zeit von 2002 bis 2011. Für sie war die Deflation der Feind, und China war, aufgrund der niedrigen Löhne und Produktionskosten – ermöglicht durch fehlende Sicherheits- und Umweltschutzvorschriften – einer der Hauptverursacher. Trotz seines Wirtschaftswunders wies China noch bis 2004 insgesamt ein Außenhandelsdefizit aus. Das ist für die frühen Stadien einer sich entwickelnden Volkswirtschaft nicht ungewöhnlich, da zunächst die notwendigen Importe von Infrastrukturkomponenten, Industrieanlagen, Rohstoffen und Technologie zwangsläufig die Erfolge im Außenhandel schmälern. Im Handel mit den USA verzeichnete China jedoch einen Überschuss, der zunächst keinen Grund zur Sorge darstellte. Für das Jahr 1997 betrug das Handelsdefizit der USA gegenüber China weniger als 50 Milliarden Dollar. Danach wuchs das Defizit stetig an und explodierte innerhalb von drei Jahren, zwischen 2003 und 2006, von 124 auf 234 Milliarden Dollar. Von 2003 an gab es erstmals Bedenken wegen der Handelsbeziehung zwischen den USA und China und der Rolle, die der Wechselkurs von Dollar und Yuan in dieser Beziehung spielte. Im Jahr 2006 bezeichnete der New Yorker Senator Charles E. Schumer das US-Handelsdefizit als »einen schleichenden Aderlass der US-Wirtschaft« und verwies auf China als Hauptverursacher.32 Chinas interne Deflation wird über den Wechselkurs in die USA exportiert und erhöht dort die Gefahr einer Deflation. Am Anfang steht die strategische Entscheidung Chinas für eine Dollarbindung des Yuan. Der Yuan wird nicht wie Dollar, Euro, Sterling, Yen oder andere konvertierbare Währungen auf dem internationalen Währungsmarkt frei gehandelt. Die Verwendung des Yuan und seine Verfügbarkeit für die Abwicklung von Geschäften werden von der Chinesischen Volksbank (People’s Bank of China, PBOC), der Zentralbank des Landes, streng kontrolliert. 152
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) Wenn ein chinesischer Exporteur durch eine Warenlieferung ins Ausland Dollar oder Euro verdient, muss er diese Devisen bei der PBOC abliefern und bekommt dafür Yuan nach einem von der Bank festgesetzten Wechselkurs. Braucht ein Exporteur Dollar oder Euro, um Rohstoffe oder andere Waren im Ausland zu kaufen, dann bekommt er sie, aber die PBOC stellt nur den Betrag an Dollar oder Euro zur Verfügung, um die Importe zu bezahlen, nicht mehr. Der Rest verbleibt bei der Bank. Die Absorption des Dollarüberschusses, den China erwirtschaftete, sorgte, besonders nach 2002, für unbeabsichtigte Folgen. Zum einen zog die PBOC die überschüssigen Dollar nicht einfach ein, sondern kaufte sie mit frisch gedruckten Yuan. Das hatte zur Folge, dass für jeden Dollar, den die Fed druckte und der durch einen Warenverkauf in China landete, die PBOC Yuan drucken musste, um den Überschuss aufzunehmen. Damit hatte China seine Geldpolitik faktisch an die Fed ausgelagert, und wenn die Fed mehr Geld druckte, druckte auch die PBOC mehr Geld, um den Währungskurs zu halten. Zum anderen stellte sich die Frage, was man mit den neu erworbenen Dollar anfangen sollte. Die PBOC musste ihre Reserven irgendwo investieren, und zwar mit einer ordentlichen Rendite. Zentralbanken sind in ihrer Anlagepolitik traditionell extrem konservativ, und die PBOC bildet dabei keine Ausnahme. Ihre bevorzugte Anlageform sind US-Staatsanleihen. Infolgedessen erwarben die Chinesen riesige Mengen an US-Schatzbriefen während ihr Handelsüberschuss mit den USA anhaltend wuchs. Anfang 2011 schätzte Reuters die chinesischen Devisenreserven in allen Währungen auf einen Wert von insgesamt 2,85 Billionen Dollar, von denen 950 Milliarden Dollar in US-Schuldverschreibungen angelegt waren. Die USA und China waren gemeinsam an ein Billionen Dollar schweres finanzielles Pulverfass gekettet, das von beiden Seiten zur Explosion gebracht werden konnte, wenn der Währungskrieg außer Kontrolle geriet. Die USA drängten China verzweifelt, den Yuan aufzuwerten, um das weiter wachsende US-Handelsdefizit gegenüber China und die gewaltige Anhäu- 153
Teil 2 Währungskriege fung von US-Dollarbeständen der PBOC zu verlangsamen. Die Bitten stießen auf weitgehend taube Ohren. Von 2004 bis Mitte 2005 hielt sich der Yuan bei 8,28 pro Dollar, also etwa auf dem Stand von 1997. Innerhalb von zwei Tagen Ende Juli 2005 stieg der Wechselkurs des Yuan um fast 3 Prozent von 8,28 auf 8,11 pro Dollar. Nach dieser unerwarteten Aufwertung stieg der Yuan in den folgenden drei Jahren stetig, bis er Mitte Juli 2008 schließlich einen Wert von 6,82 Yuan pro Dollar erreichte. Dann trat die PBOC auf die Bremse und hielt den Yuan in den folgenden beiden Jahren konstant bei einem Wert von 6,83. Im Juni 2010 begann eine zweite Aufwertungsrunde, durch die der Yuan bis August 2011 nach einem kontinuierlichen Anstieg 6,40 Yuan pro Dollar erreichte. Der Wertzuwachs des Dollar gegenüber dem Yuan verlief nicht reibungslos und wurde immer von scharfen Auseinandersetzungen begleitet. Die rhetorischen und politischen Kämpfe zwischen China und den USA von 2004 bis 2011 wegen des Wechselkurses dominierten die amerikanisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen, obwohl es eine Vielzahl anderer wichtiger bilateraler Themen gab, etwa Iran und Nordkorea. Interessant ist die Überlegung, wie sich ein Ungleichgewicht wie das USHandelsdefizit gegenüber China und Chinas gewaltige Anhäufung von USStaatstiteln im Bretton-Woods-System entwickelt hätte. Am Anfang wäre die Anhäufung von US-Schuldtiteln durch China genau gleich verlaufen, und China wäre immer bestrebt gewesen, aus Gründen der Diversifizierung und des Liquiditätsmanagements im Besitz einiger US-Staatsanleihen zu sein. Aber irgendwann hätte China sich einen Teil seiner US-Staatsanleihen in Gold aus der Reserve auszahlen lassen, wie es das Bretton-Woods-System vorsah. Eine relativ kleine Auszahlung, zum Beispiel über 100 Milliarden Dollar, zu Anfang des Jahres 2008, als der Goldpreis bei 1 000 Dollar pro Feinunze stand, hätte einer Menge von 100 Millionen Feinunzen oder rund 2 840 Tonnen Gold entsprochen. Das entspricht 35 Prozent des gesamten offiziellen Goldvorrats der USA. Die vollständige Einlösung aller Staatsanleihen durch China hätte den US-amerikanischen Goldvorrat komplett aus- 154
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) gelöscht. Die USA hätten kein Gold mehr gehabt, und China wäre der stolze Besitzer von über 9 000 Tonnen Gold gewesen. Die chinesische Marine wäre im Hafen von New York eingelaufen. Ein schwer bewaffneter Konvoi der US-Army hätte sich von West Point über den Palisades Interstate Parkway südwärts den Schiffen genähert, auf die das Gold dann für den Transport in die neu errichteten Schatzkammern in Shanghai verladen worden wäre. Ein solches Schauspiel wäre ein Schock für die amerikanische Bevölkerung gewesen, aber dieses schockierende Bild illustriert etwas sehr viel Wichtigeres: Nach den alten Spielregeln haben die USA aufgrund ihres Handelsdefizits genügend Schulden angehäuft, um ihren gesamten Goldvorrat auszulöschen. Doch der Zweck des Goldstandards war nicht, dass Länder ihren Goldvorrat erschöpfen, sondern sie dazu zu zwingen, ihre Finanzen lange vorher in Ordnung zu bringen. Ohne einen Goldstandard und die damit verbundenen zeitnahen Anpassungen ist den Amerikanern anscheinend nicht bewusst, wie schlecht es um die US-Finanzen inzwischen steht. Dieses Beispiel mag extrem wirken, aber bis vor 40 Jahren funktionierte das Weltfinanzsystem so. Im Jahr 1950 besaßen die USA einen Goldvorrat von über 20 000 Tonnen.33 Durch anhaltend große Handelsdefizite, zu der Zeit noch gegenüber Europa und Japan statt China, hatten sich die US-Goldreserven auf knapp 9 000 Tonnen verringert, als Nixon das Goldfenster 1971 schloss. Die USA verloren die 11 000 Tonnen in den 21 Jahren zwischen 1950 und 1971 überwiegend an eine kleine Zahl von Exportmächten. In derselben Zeit erhöhten sich die deutschen Goldreserven von null auf über 3 600 Tonnen. Italiens Goldbesitz stieg von 227 Tonnen auf über 2 500 Tonnen. Frankreichs Vorrat erhöhte sich von 588 Tonnen auf über 3 100 Tonnen. Die Niederlande, eine weitere aufstrebende Goldmacht, erhöhte ihren Anteil von 280 Tonnen auf knapp 1 700 Tonnen. Nur ein Teil dieser Goldzuwächse kam aus den USA. Die Reserven einer weiteren Goldnation, Großbritannien, verringerten sich von 2 500 Tonnen im Jahr 1950 auf nur noch 690 Tonnen im Jahr 1971. Der hauptsächliche Goldfluss verlief jedoch im Rahmen der vom Bretton-Woods-System vorgesehenen automatischen Umschichtung von den USA zu ihren Handelspartnern. 155
Teil 2 Währungskriege Chinas Aufstieg zur Exportmacht war im Goldenen Zeitalter der 1950er und 1960er noch Zukunftsmusik. Er begann erst im 21. Jahrhundert r­ ichtig, als Forderungen durch Schuldscheine aus Papier oder ihre elektronische Entsprechung beglichen wurden. Daher zahlten sich Chinas Handelserfolge nicht in echtem Gold aus. Durch die Umstellung hatten die USA prinzipiell die Möglichkeit, unbegrenzt Geld zu drucken und damit über ihre finanziellen Möglichkeiten hinaus Geld leihen und weiterhin ausgeben zu können. Dieser Kredit- und Kaufrausch wurde durch die Politik der ultraniedrigen Zinssätze von Greenspan und Bernanke noch zusätzlich befeuert. Durch das Fehlen eines Goldstandards oder irgendeiner anderen finanzwirtschaftlichen Beschränkung rasten China und die USA ohne Kompass oder Navigationshilfe für den Umgang mit Forderungen auf Papierbasis in unvorhergesehener Höhe auf den Dritten Währungskrieg zu. Der Hauptvorwurf der USA gegenüber China, der in der Presse mehrfach diskutiert, aber seit 1994 vom Weißen Haus nicht mehr formal erhoben worden war, bestand darin, China manipuliere seine Währung, um die Preise chinesischer Exporte für Käufer aus dem Ausland niedrig zu halten. Aber Chinas Exportmaschine war kein reiner Selbstzweck. Das eigentliche Ziel der chinesischen Politik ist Politikern überall vertraut – Arbeitsplätze. In Chinas Fabriken, Montagewerke und Verkehrsknoten an der Küste strömen Menschen aus den ländlichen Provinzen im Zentrum und im Süden des Landes, Millionen überwiegend junger Arbeiter auf der Suche nach fester Arbeit für ein Zehntel dessen, was ein Arbeiter für dieselbe Arbeit in den USA verdienen würde. Die Neuankömmlinge leben in überfüllten Wohnheimen, arbeiten 70 Stunden die Woche, benutzen öffentliche Verkehrsmittel, essen Nudeln und Reis und haben kaum Vergnügen oder Hobbys. Das Wenige, das sie übrig haben, schicken sie in ihr Heimatdorf oder zum elterlichen Bauernhof, um Eltern oder andere Familienangehörige, die nicht sozial abgesichert sind, zu unterstützen. Doch aus der Sicht eines Chinesen vom Land ist das der chinesische Traum, das Äquivalent des 21. Jahrhunderts zum aufwändigeren Ame- 156
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) rican Dream des 20. Jahrhunderts, zu dem ein Haus, ein Auto und eine gute Ausbildung sowie ein fester Job gehörte. Natürlich müssen sich die ländlichen Einwanderer nur einmal umsehen, um die Mercedes, Cadillacs und die Hochhäuser mit den Luxusapartments von Chinas Neureichen zu sehen und zu erkennen, dass es etwas Besseres gibt als das Wohnheim und den öffentlichen Nahverkehr. Die Kommunistische Partei Chinas weiß genau, was passieren würde, wenn diese Arbeitsplätze nicht zur Verfügung stünden. Die chinesische Geschichte besteht aus einer Folge von Zusammenbrüchen. Insbesondere in den 140 Jahren zwischen 1839 und 1979 befand sich das Land konstant in Aufruhr. Es begann mit den Opiumkriegen (1839–1860), setzte sich mit der Taiping-Revolution (1850–1864) fort, gefolgt vom Boxeraufstand (1899– 1901), dem Sturz der Qing-Dynastie im Jahr 1912, der Zeit der Warlords und Gangster in den 1920ern, dem Bürgerkrieg zwischen Nationalisten und Kommunisten in den frühen 1930ern, der japanischen Invasion und dem Zweiten Weltkrieg (1931–1945), der Machtergreifung der Kommunisten 1949, dem »Großen Sprung nach vorn« (1958–1961), der Kulturrevolution (1966–1976) und schließlich dem Tod Maos und dem Sturz der Viererbande im Jahr 1976. Diese Ereignisse stehen nicht nur für Eckdaten der Landesgeschichte, sondern zogen immer auch Kriege, Bürgerkriege, flächendeckende Hungersnöte, Massenvergewaltigungen, Terror, riesige Flüchtlingsströme, Korruption, Ermordungen, Enteignungen, politisch motivierte Säuberungsaktionen und das Fehlen einer durchsetzungsfähigen Regierung oder eines Rechtsstaates nach sich. In den späten 1970er-Jahren war die chinesische Kultur und Zivilisation politisch, moralisch und physisch am Ende, und die Menschen sehnten sich, wie auch die Kommunistische Partei, nach Stabilität und wirtschaftlichem Wachstum. Eine freiheitliche Demokratie und Bürgerrechte konnten warten. Aus diesem Grund empfanden die chinesischen Führer die Demonstrationen am Tiananmen-Platz 1989 als ebenso beunruhigend, wie deren gewaltsame Unterdrückung für den Westen schockierend war. Aus Sicht der 157
Teil 2 Währungskriege chinesischen Führung führten die Demonstrationen China nach nur zehn Jahren Wachstum und Stabilität wieder an den Rand des Chaos. Der Führung der Kommunistischen Partei Chinas war bewusst, dass die TaipingRevolution im 19. Jahrhundert mit einem einzigen enttäuschten Studenten begonnen hatte und kurze Zeit später die südliche Hälfte des Kaiserreichs in einen Bürgerkrieg verwickelt hatte, der 20 Millionen Todesopfer forderte. Die chinesische Geschichte ist der Beweis dafür, dass man für ein soziales Netzwerk kein Internet braucht, sondern dass Mundpropaganda und dazibao (chinesische Wandzeitungen) genauso gut funktionieren. Der chinesischen Führung war außerdem bewusst, dass die Proteste am TiananmenPlatz nicht nur vom Wunsch nach Demokratie getragen wurden, sondern auch vom Unmut der Studenten und Arbeiter über steigende Lebensmittelpreise und das verlangsamte Wachstum des Arbeitsmarkts. Diese wurden durch die Bemühungen der politischen Führung des Landes verursacht, das Wirtschaftswachstum zu bremsen und damit die Inflation zu bekämpfen, die seit den späten 1980er-Jahren immer mehr zunahm. Natürlich war auch den USA die Schaffung neuer Arbeitsplätze wichtig. Die Rezession von 2001 hatte statistisch nur geringe Auswirkungen auf das BIP und die Industrieproduktion, aber die Arbeitslosenzahl stieg von Ende 2000 bis Ende 2001 sprunghaft an von 5,6 Millionen auf 8,2 Millionen. Trotz einer Erholung auf dem Papier im Jahr 2002 stieg die Zahl der Arbeitslosen weiter und lag Ende des Jahres bei über 8,6 Millionen. Danach sank die Zahl sehr langsam, sodass Ende 2005 noch immer über 7,2 Millionen Menschen arbeitslos waren. Zu Beginn der Rezession von 2007 war die Zahl der Arbeitslosen immer noch hoch und explodierte bis Oktober 2009 weiter bis auf über 15,6 Millionen. Berücksichtigt man alle Teilzeitbeschäftigten, die eine Vollbeschäftigung anstrebten, und diejenigen, die nicht arbeitslos gemeldet waren, aber eine Arbeit suchten, gab es Ende 2009 mehr als 25 Millionen Männer und Frauen in den USA, die arbeitslos oder unterbeschäftigt waren. Jeder einzelne dieser 25 Millionen Amerikaner hat ein Gesicht, einen Namen und eine Familie. Im Zeitalter der Statistik benutzen Volkswirte in diesem Zusammenhang gerne Prozentwerte und reden 158
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) von 6,0 Prozent Arbeitslosigkeit zum Jahresende 2002 und 9,9 Prozent im Jahr 2009. Aber erst die tatsächliche Zahl betroffener Menschen – über 25 Millionen – verdeutlicht die Tragweite des Arbeitslosenproblems. Amerika musste unbedingt neue Jobs schaffen. Eine Zeit lang wurde diese menschliche Tragödie durch die Politik des billigen Geldes von Greenspan und Bernanke noch kaschiert, die einen Kaufrausch per Kreditkarte, steigende Immobilienpreise, steigende Aktienkurse und die großzügige Vergabe großer Kredite ohne Anzahlung zur Folge hatte. Es gab in den Jahren 2004 und 2005 zwar einige Klagen über chinesische Währungsmanipulationen und den Verlust von amerikanischen Arbeitsplätzen, aber sie waren eher verhalten angesichts des deutlich sichtbaren, wenn auch letztendlich nicht nachhaltigen Wohlstands dieser Jahre infolge der Niedrigzinspolitik. Als 2007 das Ende der Fahnenstange erreicht war und die USA in die Panik von 2008 schlitterten, konnten sich die politischen Entscheidungsträger in China nicht länger verstecken. Jetzt schimpften US-Politiker, allen voran Senator Charles Schumer, öffentlich über die Dollarbindung des Yuan und machten die Chinesen für den Verlust von Arbeitsplätzen in den USA verantwortlich. Senatoren beider Parteien, unter ihnen Schumer, schrieben 2008 einen Brief an Präsident Bush: »Der ungerechtfertigte Preisvorteil für chinesische Firmen durch die Unterbewertung [der chinesischen Währung] zwingt viele amerikanische Firmen ins Insolvenzverfahren oder sogar zur Geschäftsaufgabe, was unseren Arbeitern, Familien und der Mittelschicht Schaden zufügt.«34 Senator Schumer und Konsorten ließen sich nicht dadurch beeindrucken, dass es keine ausreichenden Beweise für einen Zusammenhang zwischen Arbeitsplätzen und Wechselkursen gab. Der typische Arbeiter in einer Möbelfabrik in North Carolina würde wohl kaum für 118 Dollar im Monat arbeiten wie sein chinesischer Kollege. Selbst wenn sich der Wert des Yuan verdoppelte, verdiente der chinesische Arbeiter nur den Gegenwert von 236 Dollar im Monat – ein Lohn, mit dem der US-Kollege immer noch nicht konkurrieren könnte. Aber das kümmerte die Dollar-Demagogen nicht. Für sie war 159
Teil 2 Währungskriege die chinesische Währungspolitik eindeutig verantwortlich, und sie erwarteten, dass die Chinesen ihrer Forderung nach einer Aufwertung nachkamen. Die Regierung von George W. Bush nahm die Beschwerdeflut durchaus zur Kenntnis, aber sie legte bei einer Reihe von Fragen großen Wert auf gute Beziehungen zu China. China war der Hauptabnehmer für iranische Ölexporte und hatte dadurch die Möglichkeit, den Iran im Konflikt mit den USA wegen der Entwicklung nuklearer Waffen zu beeinflussen. China war eine unverzichtbare ökonomische Lebensader für seinen direkten Nachbarn, das hermetisch abgeriegelte Nordkorea, und konnte den USA daher auch bei ihren strategischen Zielen auf der koreanischen Halbinsel behilflich sein. Große US-Unternehmen beäugten den chinesischen Markt neidisch und versuchten durch Expansion, Übernahmen oder Joint Ventures mit chinesischen Partnern, die alle von der chinesischen Regierung genehmigt werden mussten, einen direkten Zugang zu diesem Markt zu bekommen. 2005 hatte China einen Gesichtsverlust erlitten. Damals hatte die China National Offshore Oil Corporation ein Übernahmeangebot für die US-Firma Unocal Oil zurückgezogen, nachdem das US-Repräsentantenhaus mit 398 zu 15 Stimmen Präsident Bush dazu aufgefordert hatte, eine Annahme des Angebots aus Gründen der nationalen Sicherheit noch einmal zu überprüfen. Eine solche Zurückweisung konnte schnell dazu führen, dass China im Gegenzug Firmenübernahmen durch US-Firmen in China verhinderte. Unter dem Strich brachte eine Konfrontation mit China für Amerika keine signifikanten Vorteile, und ein fortgesetzter Dialog auf Expertenebene schien die vielversprechendere Vorgehensweise. Präsident Bush trug der Notwendigkeit, die amerikanisch-chinesischen Währungsspannungen unter Kontrolle zu halten, Rechnung, indem er 2006 den »China-US Strategic Economic Dialogue« ins Leben rief. Die Gespräche wurden unter der Obama-Regierung ausgebaut und in »Strategic and Economic Dialogue« (S&ED) umbenannt, als Zeichen für die Einbeziehung der US-Außenministerin und eines für Außenpolitik zuständigen Mitglieds des chinesischen Staatsrats. Dass jetzt neben Wirtschaftsexperten 160
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) auch Außenpolitiker an den Gesprächen teilnahmen, war eine eindeutige Anerkennung der Vernetzung geopolitischer und finanzwirtschaftlicher Aspekte der nationalen Politik im 21. Jahrhundert. Der S&ED war eines von mehreren bi- und multilateralen Foren, mit denen einem drohenden neuen Währungskrieg begegnet werden sollte. Die Gespräche trugen dazu bei, eine Eskalation der Spannungen über die Vorwürfe der Währungsmanipulation zu vermeiden, aber nicht zur Beseitigung des Problems an sich. Eine Reihe bilateraler Gipfeltreffen zwischen Chinas Präsident Hu und Obama fand auch statt, aber weder der S&ED noch die bilateralen Gipfeltreffen erbrachten signifikante Fortschritte. Die USA haben die G20 als neuen Hauptschauplatz für ihre Versuche gewählt, China zu einer Aufwertung zu drängen, weil sie so die Unterstützung anderer Nationen für ihr Anliegen bekommen können und weil die Chinesen einem globalen Anliegen eher Gehör schenken als einem rein USamerikanischen. Die aktuellen Aufwertungen des Yuan wurden nicht im Zusammenhang mit einem Treffen im Rahmen des S&ED oder eines Gipfeltreffens erreicht, sondern gingen G20-Treffen voraus. So ging beispielsweise eine kleine, aber bemerkenswerte Aufwertung des Yuan von 6,83 am 15. Juni 2010 auf 6,79 am 25. Juni 2010 unmittelbar dem G20-Gipfel in ­Toronto voraus. Eine weitere Aufwertung des Yuan von 6,69 am 1. November 2010 auf 6,62 am 11. November 2010 fiel zeitlich mit dem G20-Gipfel in Seoul zusammen. Offensichtlich haben die G20 einen Einfluss auf die Chinesen, den andere Foren nicht haben. Im Frühjahr 2011 schwiegen auf dem pazifischen Schlachtfeld des Währungskrieges die Waffen. Doch auf die zentralen Fragen gibt es weiterhin keine Antworten. Probleme auf dem Arbeitsmarkt in China oder den USA könnten jederzeit wieder zu neuen Spannungen führen. Ein Wechsel in der chinesischen Führung im Jahr 2012 und die Präsidentschaftswahlen in den USA im selben Jahr könnten ein weiteres Mal dazu führen, dass innenpolitische Kräfte internationale Konfrontationen auslösen. 161
Teil 2 Währungskriege Der Kriegsschauplatz im Atlantik Die Situation auf dem atlantischen Kriegsschauplatz von Dollar und Euro ist eher die einer Koabhängigkeit denn einer Konfrontation. Das liegt an der umfangreicheren und stärkeren Vernetzung der Finanzmärkte und des Bankensystems in den USA und Europa im Vergleich zu jedem anderen Paar von Wirtschaftsräumen weltweit. Diese Koabhängigkeit zeigte sich besonders deutlich an den unmittelbaren Auswirkungen der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008. Auch wenn die Insolvenz nach einem fehlgeschlagenen Rettungsversuch bei einem US-Bundesgericht beantragt wurde, waren unter den am schlimmsten betroffenen Opfern einige europäische Hedgefonds, die mit Over-the-Counter-Swaps gehandelt oder ein Clearing-Konto bei der Lehman-Filiale in London besessen hatten. Dieses transatlantische Fiasko, über das damals ausgiebig berichtet wurde, verstärkte sich im Dezember 2010 noch, als die Fed, als Reaktion auf die neuen Veröffentlichungsvorschriften durch den Dodd-Frank Act, umfangreiche Details über ihre Notkredite und Rettungsversuche für Europa während der Finanzkrise von 2008 veröffentlichte. Der Wechselkurs von Euro und Dollar war Anfang 2011 auf fast genau demselben Stand wie 2007. Ein Euro kostete Anfang Januar 2007 1,30 Dollar und wurde vier Jahre später für etwa 1,30 Dollar gehandelt. Trotz dieser Zahlen konnte von Stabilität keine Rede sein. Tatsächlich war das Verhältnis zwischen Euro und Dollar höchst volatil. So wurde der Euro auf seinem Höchststand im Juli 2008 mit 1,59 Dollar gehandelt und bei seinem Tiefststand im Juni 2010 mit 1,10 Dollar. Euro und Dollar sind wie zwei Passagiere auf demselben Schiff. Manchmal befindet sich der eine Passagier auf einem höheren Deck als der andere. Sie können die Plätze wechseln und sich im Verhältnis zueinander höher oder tiefer bewegen, aber letztendlich sitzen sie im selben Boot und bewegen sich mit derselben Geschwindigkeit auf dasselbe Ziel zu. Die täglichen Schwankungen spiegeln technische Einflüsse wider, das kurzfristige Verhältnis von 162
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) Angebot und Nachfrage, Ängste vor dem Ende oder Zerfall des Euro, und dann wieder die Erleichterung über die neueste Erfolgsmeldung oder das neueste Rettungspaket. Doch die ganze Zeit über reist das Euro-Dollar-Paar gemeinsam, nie weiter voneinander getrennt, als es die Abmessungen ihres Segelschiffes zulassen. Für die USA gibt es an der atlantischen Front des Währungskrieges dennoch allerhand zu tun. Sie versuchen nicht, den Euro übermäßig zu stärken, sondern sie sind damit beschäftigt zu verhindern, dass er vollends auseinanderfällt. Der Euro ist an sich schon ein kleines Wunder moderner Währungsschöpfung. Er entstand nach dreißigjährigen Verhandlungen der EUStaaten und nach zehn Jahren intensiver Fachstudien und Planung. Er war der krönende Abschluss eines europäischen Projekts, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann und der Friedenssicherung dienen sollte. Seit dem Ende der Renaissance Mitte des 16. Jahrhunderts war Europa 400 Jahre lang von Kriegen erschüttert worden: der Reformation und der Gegenreformation, dem Dreißigjährigen Krieg, dem englischen Bürgerkrieg, den Kriegszügen Ludwig XIV., dem Siebenjährigen Krieg, der Französischen Revolution, den Napoleonischen Kriegen, dem Deutsch-Französischen Krieg, dem Ersten Weltkrieg, dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust, dem Kalten Krieg mit eisernem Vorhang und nuklearer Bedrohung. Im späten 20. Jahrhundert standen die Europäer nationalistischen Forderungen und den Möglichkeiten militärischer Überlegenheit höchst skeptisch gegenüber. Die alten ethnischen, nationalen und religiösen Differenzen bestanden nach wie vor. Eine vereinigende Kraft wurde gebraucht – etwas, das die Volkswirtschaften so dicht miteinander verband, dass ein Krieg undenkbar, wenn nicht sogar unmöglich wurde. Alles begann 1951 mit dem Zusammenschluss sechs europäischer Länder zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Danach durchlief Europa verschiedene Stadien von Freihandelszonen, gemeinsamen Märkten und Finanzsystemen. Der Vertrag von Maastricht, benannt nach der nie- 163
Teil 2 Währungskriege derländischen Stadt, in der er ausgehandelt und unterzeichnet wurde, bildete 1992 den Rahmen für die Bildung einer politischen Einheit, der Europäischen Union, und führte schließlich zur Einführung des Euro 1999. Er wurde von der Europäischen Zentralbank emittiert und wurde 2011 von 17 Mitgliedsstaaten verwendet. Von Anfang an jedoch warnten Analysten, eine von einer einzigen Zentralbank gestützte gemeinsame Währung sei inkompatibel mit der uneinheitlichen Fiskalpolitik der verschiedenen Euro-Länder. Länder, die traditionell eher verschwenderisch sind und in deren Geschichte es zu Schuldenausfällen und Währungsabwertungen kam wie Griechenland und Spanien, seien keine idealen Bündnispartner für finanzpolitisch umsichtige Länder wie Deutschland. Es dauerte zehn Jahre, bis alle Schwächen dieses Großvorhabens voll zum Tragen kamen, aber sie waren von Anfang an da. Eine fatale Kombination aus korrupten Regierungsbeamten, verantwortungslosen Börsenhändlern, die durch Betrug mit Derivaten schnell viel Geld verdienen wollten, und Brüsseler EU-Beamten, die absichtlich wegschauten, erlaubte es Ländern wie Griechenland, Schulden aufzuhäufen, sich Geld weit über die im Maastricht-Vertrag vorgesehene Grenze hinaus zu leihen und die Kosten dafür in zukünftigen Haushaltsjahren und Schattenhaushalten zu verstecken. Inzwischen finanzierten Investoren fröhlich in Staatschulden von Ländern wie Griechenland, Portugal, Spanien, Irland und anderen Euro-Mitgliedern zu Zinsen, die nur geringfügig höher waren als die solider Schuldner wie Deutschland. Das geschah aufgrund hoher Ratings durch inkompetente Ratingagenturen, aufgrund irreführender Angaben von Regierungsbehörden und aufgrund des Wunschdenkens von Investoren, dass es bei einem Euro-Mitgliedsstaat nicht zu Schuldenausfällen kommen konnte. Die europäische Staatsschuldenkrise von 2010 war zum Teil ein Ergebnis einer neuen Übereinkunft zwischen Banken, Kreditnehmern und Bürokraten. Die Banken kauften europäische Staatsanleihen und verbuchten 164
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) die erwarteten Gewinne als sicher in der Annahme, dass der Bankrott eines Einzelstaates verhindert werden würde. Die Staaten gaben fröhlich Staatsanleihen aus, um ihre überzogenen Ausgaben zu finanzieren, die überwiegend dem öffentlichen Dienst zugutekamen. Die Agenda der Bürokraten in Brüssel war wohl die perfideste. Wenn sich die europäische Staatsschuldenkrise von selbst erledigte, würden alle ein Loblied auf den Erfolg des Euro-Projekts singen. Wurden einzelne europäische Staaten zahlungsunfähig, läge die Lösung der Bürokraten in noch mehr Integration und noch mehr Aufsicht durch Brüssel, nicht weniger. Indem man das gedankenlose Verhalten geflissentlich übersah, entstand für Brüssel eine Win-win-Situation. Hatte der Euro Erfolg, gewann Brüssel an Prestige, und wenn der Euro in Schwierigkeiten geriet, gewann Brüssel an Macht. Die Schwierigkeiten ließen nicht lange auf sich warten. Die europäischen Banken verschlangen nicht nur die Staatsschulden der Euroländer gierig, sondern auch von Fannie Mae ausgegebene Schuldtitel und die volle Bandbreite zweifelhafter Finanzprodukte der Wall Street wie zum Beispiel Kreditverbriefungen (collateralized debt obligations, CDOs). Diese Schuldtitel wurden von unerfahrenen Lokalbankiers in den gesamten USA verbrieft und dann von Firmen wie Lehman Brothers, vor ihrem Zusammenbruch, in Bündel von mehreren Milliarden Dollar verpackt. Die europäischen Banken waren die eigentlichen Schwachstellen im globalen Finanzsystem, noch anfälliger als Citigroup, Goldman Sachs und die anderen Ikonen der US-amerikanischen Finanzwelt, die staatliche Unterstützung brauchten. Im Jahr 2010 bildeten die europäischen Staatsfinanzen ein komplexes Geflecht gegenseitiger Schuldverschreibungen. Griechenlands Schulden von 236 Milliarden Dollar verteilten sich mit 15 Milliarden Dollar auf britische Gläubiger, mit 75 Milliarden Dollar auf französische und 45 Milliarden Dollar auf deutsche Geldgeber. Irlands Schulden von 867 Milliarden Dollar stammten zu 75 Millionen von französischen Einrichtungen, 188 Milliarden Dollar von britischen und 184 Milliarden Dollar von deutschen Gläu- 165
Teil 2 Währungskriege bigern. Die 1,1 Billionen Dollar spanischer Schulden verteilten sich mit 114 Milliarden Dollar auf britische, mit 220 Milliarden Dollar auf französische und mit 238 Milliarden Dollar auf deutsche Geldgeber. In Italien, Portugal und anderen hochverschuldeten Mitgliedern des Euro-Raums sah es nicht anders aus. Die Mutter aller innereuropäischen Schulden war allerdings der Berg von 511 Milliarden Dollar, die Italien Frankreich schuldete.35 Die Gläubiger setzten sich aus verschiedenen Institutionen zusammen, darunter Pensionskassen und Stiftungen, doch der Großteil des Geldes stammte von den Banken der anderen Länder. Aus diesem Grund startete die Fed 2008 ihre geheime Rettungsaktion in Europa und versuchte mit allen Mitteln, die Einzelheiten unter Verschluss zu halten, bis Teile davon durch den Dodd-Frank Act 2010 herauskamen. Aus diesem Grund machten die Anleiheninhaber von Fannie Mae und Freddie Mac auch keine Verluste, als die beiden Firmen 2008 mit US-Steuergeldern gerettet wurden. Deswegen waren auch die führenden Staaten, Deutschland und Frankreich, so schnell bereit, Schuldnerländer an der Peripherie wie Griechenland, Irland und Portugal zu stützen, als die Krise der Eurostaaten 2010 einen kritischen Punkt erreichte. Als Impetus hinter allen drei Rettungsaktionen stand die Abwendung der Insolvenz des europäischen Bankensystems. Die Subventionierung griechischer Rentner und irischer Banken war ein geringer Preis dafür, das morsche Gebilde vor dem kompletten Zusammenbruch zu bewahren. Doch Europa stand in der europäischen Staatsschuldenkrise nicht allein da. Sowohl die USA als auch China unterstützten die europäischen Rettungsmaßnahmen aus unterschiedlichen, aber letztendlich eigennützigen Motiven. Europa ist ein riesiger Exportmarkt für die USA. Ein starker Euro erhält den Appetit der Europäer für Maschinen, Flugzeuge, Medikamente, Software, Agrarprodukte, Bildung und einige andere Waren und Dienstleistungen aus den USA aufrecht. Ein Zusammenbruch des Euro hätte den Zusammenbruch des Handels zwischen den beiden Giganten der weltweiten Wirtschaftsleistung zur Folge. Der Zusammenbruch eines europäischen Staates konnte die europäischen Banken und den Euro mitreißen, 166
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) wenn Investoren eine plötzliche Abneigung gegen alle in Euro ausgestellten Schuldverschreibungen entwickelten und sich von den europäischen Banken zurückzogen. Die Folgen eines europäischen Staatsbankrotts für USExporteure nach Europa wären immens gewesen. Der ganze Kontinent war einfach zu groß zum Scheitern. Die US-Rettungsversuche, Swap-Linien und die Unterstützung für Emittenten wie Fannie Mae waren Teil einer vielschichtigen, mehrjährigen Anstrengung, den Euro zu stützen. Auch China war an einer Stabilisierung des Euro interessiert, aber die Bemühungen der Chinesen waren politisch motiviert. Wie für die USA stellt Europa auch für China einen riesigen Exportmarkt dar, und in dieser Hinsicht haben China und die USA dieselben Interessen. Aber Chinas Banken sind nicht einmal annähernd so stark mit den europäischen Banken verwoben wie die amerikanischen. Dadurch hat China mehr Entscheidungsfreiheit dabei, wann und wo es hilft. Die europäische Staatsschuldenkrise lieferte China die Gelegenheit, seine Reserven und Wertpapierdepots zu diversifizieren, weg vom Dollar und hin zum Euro, Spitzentechnologien einzukaufen, die ihnen die USA vorenthielten, und Brückenköpfe für den Technologietransfer ins Mutterland aufzubauen. Deutschland begrüßte die Unterstützung des Euro durch die USA und China. Als Exportland hätte Deutschland eigentlich aus demselben Grund einen schwachen Euro bevorzugen können, aus dem die USA einen schwachen Dollar bevorzugen und China einen schwachen Yuan: um durch eine schwache Währung die Exporte zu fördern und sich so einen Vorteil in den Währungskriegen zu verschaffen. Deutschland exportierte jedoch nicht nur in Länder außerhalb der EU, sondern auch an Mitglieder der EU. Bei diesen Exporten in den EU-Binnenmarkt spielten Währungsüberlegungen keine Rolle, da sowohl der Ex- als auch der Importeur, zum Beispiel Deutschland und Spanien, dieselbe Währung hatten, den Euro. Wenn der Euro zusammenbrach oder Mitglieder die Eurozone verließen und zu ihrer alten, abgewerteten Währung zurückkehrten, gingen diese Märkte voraussichtlich ­verloren. 167
Teil 2 Währungskriege Der Eindruck entstand, dass sich Deutschland nur schwer zu einer Unterstützung Griechenlands, Irlands und anderer gefährdeter Eurostaaten durchrang. In Wirklichkeit gab es für Deutschland keine sinnvolle Alternative. Die Kosten eines Zusammenbruchs des Euro überstiegen die Kosten gezielter Rettungspakete bei Weitem. Deutschland profitierte sogar von der europäischen Staatsschuldenkrise. Durch das Fortbestehen des Euro nahm Deutschland eine beherrschende Stellung innerhalb Europas ein, während ein geschwächter Euro für einen Zugewinn an Marktanteilen im Rest der Welt sorgte. Ideal für Deutschland war ein Euro, der schwach genug war, um Exporte in die USA und nach China zu fördern, aber nicht so schwach, dass er zusammenbrach. Deutschland erreichte diesen idealen Punkt im Lauf des Jahres 2010, während der Euro selbst stürmische Zeiten erlebte. Da es den Eigeninteressen der USA, Chinas und Deutschlands entsprach, stand das Überleben des Euro zunächst einmal außer Frage. Dass die Banken vor faulen Anlagen überquollen, dass die Peripheriestaaten eine un­ finanzierbare Fiskalpolitik betrieben und dass die Menschen in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien Einsparungen hinnehmen mussten, um die Fließbänder in Seattle und Shanghai am Laufen zu halten, darum konnte man sich auch im nächsten Jahr noch kümmern. Der Kern war erst einmal stabil. Der Kriegsschauplatz in Eurasien Wenn man die Beziehung zwischen Euro und Dollar am ehesten als Koabhängigkeit beschreiben kann, so besteht zwischen Euro und Yuan eine einfache Abhängigkeit. China tritt durch seine Bereitschaft, mitten in der europäischen Staatsschuldenkrise Staatsanleihen bestimmter europäischer Peripheriestaaten wie Griechenland, Portugal und Spanien zu kaufen, zunehmend als Retter dieser Staaten auf. Doch Chinas Absichten gegenüber Europa sind von Eigeninteresse und kalter Berechnung bestimmt. 168
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) China hat ein vitales Interesse an einem starken Euro. Die EU ist der wichtigste Handelspartner Chinas, noch vor den USA. Sollten die europäischen Turbulenzen dazu führen, dass Staaten wie Griechenland oder Irland den Euro verlassen, so würden diese Länder zu ihren vorherigen Währungen zurückkehren, die gegenüber dem Yuan jedoch deutlich abgewertet würden. Das würde Chinas Exporten nach Europa sehr schaden. China ist an einer Stützung des Euro mindestens ebenso stark interessiert wie an der stabilen Dollarbindung des Yuan. Durch sein Engagement in Europa will China seine Reserveposition im Eurobereich weiter ausbauen, sich den Respekt und die Freundschaft der europäischen Länder verdienen, denen es durch direkte Anleihenkäufe hilft, und sich in Verbindung mit diesen Käufen eine Gegenleistung sichern. ­Diese Gegenleistung kann unterschiedlich aussehen, beispielsweise in Form direkter ausländischer Investitionen in wichtige Infrastrukturprojekte wie Häfen und Kraftwerke. Oder durch den Zugang zu europäischen Schlüsseltechnologien die es China ermöglichen, hoch entwickelte Waffensysteme zu erwerben, die sonst nur den NATO-Verbündeten und befreundeten Staaten wie Israel vorbehalten sind. Chinas Interesse an einer Stützung des Euro unterscheidet sich nicht sehr von dem Deutschlands, auch wenn die beiden Länder scharfe Konkurrenten auf dem globalen Exportmarkt sind. Durch den Ankauf von Staatsanleihen periphererer europäischer Staaten hilft China Deutschland dabei, die Kosten für die europäischen Rettungsversuche zu stemmen. Indem es den Euro stützt, verhindert China die Verluste für Deutschland, die bei einem Zusammenbruch des Euro entstünden und die deutschen Banken katastrophale Schäden zufügen würden. Für China ist dies eine Win-win-Situation, die gleichzeitig Chinas eurasische Flanke sichert, während es sich in den Kampf mit den USA stürzt. Chinas Hauptgegner im Währungskrieg sind die USA, und bisher konnte es ein Aufflammen der Kämpfe an der eurasischen Front vermeiden. Der Grund dafür sind sowohl die Schwäche Europas als auch die Schläue Chinas. 169
Teil 2 Währungskriege Die USA unterstützen den Euro ebenfalls und aus demselben Grund wie China: Ein totaler Zusammenbruch des Euro würde zu einer Abwertung gegenüber dem Dollar führen und den US-Exporten schaden, die mit europäischen Exporten auf den Märkten des Nahen Ostens, Lateinamerikas und Südasiens konkurrieren. China und die USA sind nicht nur an einem Überleben des Euro interessiert. Sie wollen, dass er gegenüber dem Dollar und dem Yuan an Wert gewinnt, um ihre eigene Exportwirtschaft zu stärken. Es liegt im gemeinsamen Interesse Europas, Chinas und der USA, einen Zusammenbruch des Euro zu vermeiden, trotz ihrer unterschiedlichen Motive und obwohl sie sich auf anderen Gebieten als Gegner gegenüberstehen. Diese Einmütigkeit wird wahrscheinlich dazu führen, dass der Euro die gegenwärtige Krise noch einmal mit Ach und Krach übersteht und in ab­ sehbarer Zukunft stabil bleibt, trotz möglicher Neustrukturierungen des Anleihenmarkts und trotz Sparplänen. Ob dieser Balanceakt Zukunft hat und ob Chinas Charmeoffensive in Europa von Dauer ist, wird sich erweisen müssen. Falls der Euro doch noch kollabiert, könnte das für China zu massiven Verlusten durch seine Anleihen, eine Aufwertung des Yuan und Einbußen im Exportbereich gleichzeitig führen. In verschiedenen Streitpunkten könnte es zwar doch noch zu einer Konfrontation zwischen China und Europa kommen, aber derzeit gibt es für China im Westen nichts Neues. Nebenschauplätze Abgesehen von den drei großen Kriegsschauplätzen im Währungskrieg – dem pazifischen (Dollar-Yuan), dem atlantischen (Euro-Dollar) und dem eurasischen (Euro-Yuan) – gibt es zahlreiche weitere Fronten, Nebenschauplätze und Scharmützel auf der ganzen Welt. Der bedeutendste Nebenschauplatz im Währungskrieg ist Brasilien. 170
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) Noch bis 1994 hielt Brasilien an einer Dollarbildung seiner Währung, des Real, fest.36 Die globalen Auswirkungen der mexikanischen »Tequila-Krise« setzten den Real unter Druck und zwangen Brasilien, seine Währung zu verteidigen. Das Ergebnis war der Real-Plan, nach dem Brasilien eine Reihe kontrollierter Abwertungen des Real gegenüber dem Dollar vornahm. Der Real wurde zwischen 1995 und 1997 um etwa 30 Prozent abgewertet. Kaum war der Dollarwert des Real auf ein stabiles Niveau gebracht worden, bekam Brasilien die Auswirkungen einer weiteren Krise zu spüren, die diesmal nicht von Lateinamerika ausging, sondern von Ostasien. Die neue Finanzkrise brach 1997 aus und griff auf die ganze Welt über, von Thailand nach Indonesien, Südkorea und Russland, und kam schließlich in Brasilien zum Stillstand, wo der IWF mit Rettungsgeldern einen finanziellen Schutzwall errichtet hatte, während die Fed panisch den US-Leitzins senkte, um die globale Liquidität sicherzustellen. Als das finanzielle Unwetter abflaute, gab Brasilien nach einer Aufforderung des IWF den Wechselkurs seiner Währung frei und liberalisierte den Kapitalverkehr. Dennoch erlebte das Land immer wieder Zahlungsbilanzkrisen und musste 2002 ein weiteres Mal die Unterstützung des IWF in Anspruch nehmen. Brasiliens Lage besserte sich durch die Wahl von Luiz Inácio Lula da Silva, bekannt als Lula, zum Präsidenten. Während seiner Amtszeit von 2003 bis 2010 steigerte Brasilien seine Rohstoffexporte erheblich und baute seine Technologie- und Produktionsstandorte deutlich aus. Der brasilianische Flugzeugbauer Embraer stieg in die Weltklasse auf und machte Brasilien zum drittgrößten Produzenten von Flugzeugen weltweit. Der riesige Binnenmarkt des Landes wurde zum Magneten für internationale Kapitalströme auf der Suche nach höheren Renditen, insbesondere als die Gewinne in den USA und an den europäischen Märkten nach der Finanzkrise von 2008 wegbrachen. 2009 und 2010 erholte sich der Real und stieg von 2,40 auf 1,69 Real pro Dollar. Diese 40-prozentige Aufwertung des Real gegenüber dem Dollar in knapp zwei Jahren schadete der brasilianischen Exportwirtschaft enorm. 171
Teil 2 Währungskriege Brasiliens Handelsbilanz mit den USA schlug im selben Zeitraum von einem 15-Milliarden-Dollar-Überschuss in ein 6-Millarden-Dollar-Defizit um. Dieser Zusammenbruch der Handelsbilanz mit den USA veranlasste den brasilianischen Finanzminister Guido Mantega Ende September 2010 zu der Erklärung, ein weltweiter Währungskrieg habe begonnen. Da China an der Dollarbindung des Yuan festhielt, bedeutete eine 40-prozentige Aufwertung des Real gegenüber dem Dollar auch eine 40-prozentige Aufwertung gegenüber dem Yuan. Brasiliens Exporte bekamen das nicht nur am oberen Ende der Preisskala gegenüber der US-Technologie zu spüren, sondern auch am unteren Ende im Bereich Montage und Textilien gegenüber China. Brasilien wehrte sich mit einer Währungsintervention seiner Zentralbank, durch eine Erhöhung der Mindestreserveanforderungen für lokale Banken, die auf einen Wertverlust des Dollar setzten, und weitere Kontrollen des Kapitalverkehrs. Gegen Ende 2010 versprach Lulas Nachfolgerin im Präsidentenamt, Dilma Rousseff, bei den G20 und dem IWF auf Regelungen zu drängen, durch die Währungsmanipulatoren identifiziert werden konnten – was wohl sowohl auf China als auch auf die USA gemünzt war –, um den Aufwärtsdruck auf den Real zu verringern. Brasiliens Bemühungen, die Aufwertung des Real zu begrenzen, zeitigten Ende 2010 einige kurzfristige Erfolge, verstärkten aber ein anderes Problem – die Inflation. Durch die Versuche, den Real gegenüber dem Dollar stabil zu halten, während die Fed in riesigen Mengen Geld druckte, importierte Brasilien jetzt die Inflation aus den USA. Brasilien steckte nun im selben Dilemma wie China und stand vor der Wahl zwischen Inflation und Aufwertung. Wenn die USA Dollar drucken und ein anderes Land seine Währung an den Dollar bindet, muss dieses Land schließlich eigenes Geld drucken, um den Wechselkurs zu halten, wodurch dann eine örtliche Inflation entsteht. Als Folge strömte das sogenannte »Hot Money«, Geld von Investoren, die hohen Renditen rund um die Welt nachjagten, aus den USA nach Brasilien. Die Situation verschlechterte sich so 172
Kapitel 6 – Der Dritte Währungskrieg (2010 – ) sehr, dass Brasilien in einem Untersuchungsbericht von Nomura Global Economics zum größten Verlierer des Währungskriegs erklärt wurde. Das war in Bezug auf die Aufwertung des Reals zutreffend. Im April 2011, so stand in einer Analyse im Wall Street Journal zu lesen, »hisste [Brasilien] im Währungskrieg die weiße Flagge«. Brasilien schien sich mit dem höheren Wert des Real abgefunden zu haben, nachdem Währungskontrollen, Steuern auf ausländische Investitionen und andere Maßnahmen die Aufwertung nicht hatten verhindern können. Da es nicht über dieselben Reserven und Überschüsse verfügte wie China, konnte Brasilien die Dollarbindung nicht dadurch halten, dass es einfach alle ankommenden Dollar aufkaufte. Brasilien hatte nur die Wahl zwischen Pest, in Form einer Währungsaufwertung, und Cholera, also Inflation. Wie auch die USA und die Europäer hoffte Brasilien zunehmend auf die Hilfe der G20 im Währungskrieg, wenn auch aus anderen Gründen. Der Fall Brasiliens ist wegen der geografischen, demografischen und ökonomischen Ausmaße des Landes wichtig, aber es ist bei Weitem nicht das einzige Land, das ins Kreuzfeuer eines Währungskriegs zwischen Dollar, Euro und Yuan geriet. Zu den anderen Ländern, die Kontrollen des Kapitalverkehrs eingeführt haben oder solche Kontrollen in Erwägung ziehen, um den Zufluss von Hot Money, besonders Dollars, aufzuhalten, zählen Indien, Indonesien, Südkorea, Malaysia, Singapur, Südafrika, Taiwan und Thailand. Jedes Mal steht dahinter die Angst, dass durch die Politik des billigen Geldes der Fed und die daraus resultierende Dollarflut, die auf der Suche nach hohen Renditen und höheren Wachstumsraten die Welt überschwemmt, die eigene Währung überbewertet wird und die Exporte darunter leiden. Die Kontrollen des Kapitalverkehrs unterschieden sich je nach den Präferenzen der Zentralbanken und Finanzminister, die sie einführten. Indonesien und Taiwan schränkten 2010 die Emission kurzfristiger Anleihen ein, wodurch Hot-Money-Anleger gezwungen waren, längerfristig zu investieren. Südkorea und Thailand führten für ausländische Investoren eine Ab- 173
Teil 2 Währungskriege schlagsteuer auf die Zinserträge von Staatsanleihen ein, um diese Investitionen unattraktiver zu machen und den Aufwärtsdruck auf ihre Währungen zu verringern. Ironischerweise hatte die Finanzkrise von 1997 bis 1998 in Thailand ihren Anfang genommen. Damals hatten Investoren panisch versucht, ihr Geld aus Thailand herauszuschaffen, und das Land hatte versucht, seine Währung zu stützen. Im Jahr 2011 versuchten Investoren, ihr Geld ins Land hineinzubringen, und das Land versuchte, seine Währung niedrig zu halten. Es könnte kein besseres Beispiel für die Verschiebung der Finanzkraft von Industrieländern wie den USA in Schwellenländer wie Thailand in den letzten zehn Jahren geben. Keiner dieser überwiegend asiatischen Peripheriestaaten, die darum kämpften, ihre Währung niedrig zu halten, ist Ausgeberland einer allgemein anerkannten Reservewährung; keiner davon ist ein wirtschaftliches Schwergewicht wie die USA, China oder die Eurozone, und dadurch hat keiner von ihnen die Möglichkeit, durch direkte Marktintervention in einen Währungskrieg einzugreifen. Auch diese Länder bräuchten ein multilaterales Forum, in dem Lösungen für die Belastungen durch den Dritten Währungskrieg gefunden werden könnten. Der IWF stellte traditionell eine solche Gesprächsplattform dar, aber die großen Handelsnationen gestehen, unabhängig davon, ob sie in den G20 vertreten waren, zunehmend den G20 die Führungsrolle zu. Sie erwarten von den G20 die Aufstellung neuer Spielregeln, um eine Eskalation der Währungskriege und irreparable Schäden für sich und die Welt zu verhindern. 174
Kapitel 7 – Die G20-Lösung »Ich muss ganz einfach sagen: Diesbezüglich mag es einen Widerspruch zwischen den Interessen der Finanzwelt und den Interessen der Politik geben. Wir können … unseren Bürgerinnen und Bürgern aber auf Dauer nicht erklären, warum der Steuerzahler für bestimmte Risiken eintreten muss und nicht diejenigen, die durch das Eingehen von Risiken viel Geld verdienen.«37 Bundeskanzlerin Angela Merkel beim G20-Gipfel in Seoul, 11. November 2010 Die Gruppe der zwanzig, bekannt als G20, ist eine informelle, sehr mäch­ tige Organisation, die mangels einer echten Weltregierung aus der Notwendigkeit heraus entstand, Lösungen für globale Probleme zu finden. Der Name G20 steht für die 20 Mitglieder. Sie setzen sich aus den ehemals sieben größten Industrienationen zusammen, den USA, Kanada, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien und Japan, die sich zur G7 zusammengeschlossen hatten, sowie einigen aufstrebenden Schwellenländern wie Brasilien, China, Südkorea, Mexiko, Indien und Indonesien. Andere Länder wurden eher wegen ihrer Rohstoffvorkommen oder aus geopolitischen Gründen aufgenommen und nicht wegen der Dynamik ihrer Volkswirtschaften. Beispiele hierfür sind Russland und Saudi-Arabien. Wieder andere kamen aus Gründen des geografischen Gleichgewichts dazu, darunter Australien, Südafrika, die Türkei und Argentinien. Zusätzlich nahm man noch die EU auf, die zwar kein Land ist, deren Zentralbank aber eine der weltweit wichtigsten Reservewährungen ausgibt. Ein paar ökonomische Schwergewichte wie Spanien, die Niederlande und Norwegen, wurden offiziell außen vor gelassen, werden aber manchmal wegen ihrer ökonomischen Bedeutung trotzdem zur Teilnahme an den G20-Treffen eingeladen. Daher wäre »G20 und Freunde« wohl die treffendere Bezeichnung. 175
Teil 2 Währungskriege Die G20 arbeiten auf mehreren Ebenen. Die Finanzminister und Notenbankchefs treffen sich mehrmals pro Jahr, um Fachfragen zu diskutieren und sich auf spezifische Ziele und deren Umsetzung zu einigen. Von zentraler Bedeutung sind jedoch die in größeren Abständen stattfindenden Gipfeltreffen, bei denen Präsidenten, Premierminister und Könige globale Finanzfragen besprechen. Bei diesen Gesprächen geht es überwiegend um die Struktur des internationalen Währungssystems und die Notwendigkeit, Währungskriege einzudämmen. Bei diesen Gipfeltreffen, sowohl den formellen Sitzungen als auch den informellen Gesprächen am Rande, werden die eigentlichen Vereinbarungen getroffen, die das globale Finanzsystem prägen. Unter die Präsidenten und Premierminister mischt sich bei diesen Treffen eine einzigartige Spezies internationaler Bürokraten, die als »Sherpas« bekannt sind. Sherpas sind Experten der internationalen Finanzwirtschaft, die die Staats- und Regierungschefs bei der Terminplanung, Recherche und dem Abfassen der unverständlichen Kommuniqués nach jeder Besprechung unterstützen. Alles deutet darauf hin, dass für eine Lösung der bevorstehenden Währungskriege die G20 die am besten geeignete Plattform darstellen. Die G20 sind eine gute Möglichkeit zur Einbeziehung der Chinesen. China verweigert sich bei bilateralen Gesprächen oft Kompromissen, betrachtet eine Aufforderung zu Zugeständnissen als Schikane und eine Zustimmung als Gesichtsverlust. Bei G20-Treffen ist das weniger ein Problem, da dort mehrere Agenden gleichzeitig umgesetzt werden. Kleinere Teilnehmerstaaten, die selbst nicht die Finanzkraft haben, um die Märkte zu beeinflussen, haben durch die G20 die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. Die USA haben Verbündete im Saal sitzen und vermeiden dadurch den Vorwurf, im Alleingang zu handeln. Offensichtlich profitieren alle Parteien von den G20. US-Präsident George W. Bush und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy waren maßgeblich für den Umbau der G20-Treffen von einem reinen Treffen der Finanzminister, das sie seit ihrer Einführung 1999 gewesen waren, zu einem Treffen der Staats- und Regierungschefs, das sie seit 2008 sind, 176
Kapitel 7 – Die G20-Lösung verantwortlich. Direkt nach den Zusammenbrüchen von Lehman Brothers und AIG im September 2008 richteten sich die Erwartungen auf ein langfristig geplantes G20-Treffen der Finanzminister im November. Die Finanzkrise von 2008 war eine der größten Finanzkatastrophen der Geschichte, und die Bedeutung Chinas als einer der größten Investoren der Welt und potenzielle Quelle von Rettungsgeldern war nicht zu leugnen. Damals waren noch die G7 die wichtigste Plattform für wirtschaftliche Zusammenarbeit, aber China war nicht Teil der G7. Letztendlich spielten Sarkozy und Bush die Szene aus »Der weiße Hai« nach, in der Roy Scheider, nachdem er den Hai zum ersten Mal gesehen hatte, zu Robert Shaw sagt: »Wir werden ein größeres Boot brauchen.« In politischer und finanzieller Hinsicht sind die G20 ein sehr viel größeres Boot als die G7. Im November 2008 berief US-Präsident Bush den Weltfinanzgipfel ein, an dem jeder Präsident, Premierminister, Kanzler oder König der Mitgliedsländer teilnahm. In kürzester Zeit entwickelten sich die G20-Treffen von einer Fachsitzung der Finanzminister zu einer Versammlung der mächtigsten Staats- und Regierungschefs der Welt. Im Gegensatz zu verschiedenen regionalen Gipfeltreffen war jeder Teil der Erde dabei vertreten, und im Gegensatz zur UN-Generalversammlung befanden sie sich alle zur selben Zeit im selben Raum. Wegen der Dringlichkeit der Finanzkrise und der ehrgeizigen Agenda, die beim G20-Gipfel im November 2008 vorgelegt wurde, gab es in den Jahren 2009 und 2010 vier weitere Gipfeltreffen. Für 2011 beschlossen die Führer der G20 ein einziges Treffen im November im französischen Cannes. Mit dieser Reihe von Gipfeltreffen kam die Welt einem globalen Aufsichtsrat so nah wie nie zuvor, und dieser schien zu einer dauerhaften Einrichtung zu werden. Die G20 passen perfekt zum Modus Operandi von US-Finanzminister Timothy Geithner, den er als »Versammlungsmacht« bezeichnet, also die Macht, alle maßgeblichen Leute an einem Tisch zusammenzubringen. 177
Teil 2 Währungskriege ­ avid Rothkopf brachte dieses Konzept in einem äußerst aufschlussreichen D Interview ans Licht, das er mit Geithner für sein Buch Die Super-Klasse über die Gepflogenheiten der globalen Machtelite geführt hatte.38 Als Chef der New Yorker Notenbank erzählte Geithner Rothkopf: Unabhängig von unserer formellen Autorität als Institution haben wir die Versammlungsmacht, Leute an einen Tisch zu holen … Ich glaube, die Grundvoraussetzung ist die vorbehaltlose Zusammenarbeit. Das muss gar nicht allumfassend sein, man braucht … nur eine kritische Masse der Hauptakteure. Es ist eine recht überschaubare Welt. Wenn man sich auf die 10, 20 großen Institutionen konzentriert, die über eine gewisse globale Reichweite verfügen, kann man eine Menge erreichen.39 Geithners Versammlungsmacht sieht vor, dass sich bei einer Krise die Hauptakteure kurzfristig versammeln können, um das Problem zu besprechen. Sie geben die Richtung vor, verteilen Aufgaben, teilen Mitarbeiter ein und treffen sich nach angemessener Zeit, die je nach Dringlichkeit einen Tag oder einen Monat lang sein kann, erneut. Nach einem Zwischenbericht werden neue Ziele festgelegt ohne das übliche Beiwerk eingefahrener Bürokratien oder rigider Staatsführung. Geithner lernte diesen Prozess am Tiefpunkt der asiatischen Finanzkrise 1997 kennen. Er war 1998 Zeuge eines weiteren erfolgreichen Einsatzes bei der Rettung des Hedgefonds Long-Term Capital Management (LTCM). In dieser Krise setzten sich die Chefs der »14 Familien«, die damals wichtigsten Banken, gemeinsam an einen Tisch, wofür es allenfalls in der Finanzpanik von 1907 ein Vorbild gab, stellten innerhalb von 72 Stunden ein Rettungspaket von 3,6 Milliarden Dollar in bar auf die Beine und bewahrten die Kapitalmärkte so vor dem Zusammenbruch. 2008 griff Geithner als Präsident der New Yorker Fed selbst auf den Einsatz der Versammlungsmacht zurück, als die Regierung mit Ad-hoc-Lösungen die Pleiten von Bear Stearns, Fannie Mae und Freddie Mac abfing. Als die Finanzkrise im September 2008 richtig zuschlug, waren die Hauptakteure in der Ausübung der Versammlungsmacht bereits gut geübt. Das erste G20-Gipfeltreffen im No- 178
Kapitel 7 – Die G20-Lösung vember 2008 könnte man als nächste Stufe von Geithners Versammlungsmacht bezeichnen. Unter den G20 warben die USA für ihren Plan eines großen globalen Tauschhandels, den Geithner als »Neustrukturierung« anpries. Um zu verstehen, was es mit dieser Neustrukturierung auf sich hatte und warum sie so wichtig für das Wirtschaftswachstum in den USA war, muss man sich nur die Komponenten in Erinnerung rufen, aus denen das Bruttoinlandsprodukt besteht. Das BIP der USA erreichte Anfang 2011 rund 14,9 Billionen Dollar, die sich folgendermaßen zusammensetzten: 71 Prozent Konsum, 12 Prozent Investitionen, 20 Prozent Staatsausgaben und minus 3 Prozent Netto­exporte. Der Wert lag nur knapp über dem, den die US-Wirtschaft vor der Rezession von 2007 erreicht hatte. Die Wirtschaft wuchs nicht einmal annähernd schnell genug, um die Rekordzahl an Arbeitslosen von Anfang 2009 merklich zu reduzieren. Traditionell war das Heilmittel für eine schwache US-Konjunktur immer schon der Verbraucher gewesen. Staatsausgaben und gewerbliche Investitionen spielten durchaus eine Rolle, aber der amerikanische Konsument war mit 70 Prozent Anteil am BIP schon immer entscheidend für eine ­wirtschaftliche Erholung. Eine Kombination aus niedrigen Zinsen, günstigen Hypotheken, Vermögenseffekten durch steigende Aktienkurse und Kreditkarten hatte bisher immer ausgereicht, um die Konsumenten die Spen­dierhosen anziehen zu lassen und die Wirtschaft wieder in Gang zu ­bringen. Doch diesmal versagten die Tricks aus dem Wirtschaftslehrbuch. Die Verbraucher waren überschuldet und die Kreditrahmen ausgereizt. Von Vermögensbildung durch Eigenheime konnte keine Rede mehr sein. Bei vielen Amerikanern überstiegen die Hypotheken den Wert ihrer Häuser. Der Verbraucher war überbeansprucht durch die hohe Arbeitslosigkeit, private Alters­vorsorge und hohe Ausbildungskosten der Kinder. Und das würde sich in den nächsten Jahren kaum ändern. 179
Teil 2 Währungskriege Theoretisch konnte der Bereich der gewerblichen Investitionen selbstständig wachsen, aber es war nur begrenzt sinnvoll, in Produktionsstätten und -einrichtungen zu investieren, wenn es für die angebotenen Produkte und Dienstleistungen keine Abnehmer gab. Außerdem zogen es viele Unter­nehmen wegen der hohen Körperschaftssteuern in den USA vor, ihre Er­träge im Ausland zu erwirtschaften, sodass viele Neuinvestitionen außerhalb der USA getätigt wurden und nicht zum BIP der USA beitrugen. Die Investitionen blieben auf niedrigem Niveau, und daran würde sich auch nichts ändern, solange die Verbraucher ihre Winterstarre nicht über­ wanden. Weil der Verbraucher außer Gefecht gesetzt war und die Investitionen schwächelten, versuchten die Keynesianer in den Regierungen von Bush und Obama nun, die Wirtschaft durch Staatsausgaben anzukurbeln. Aber nachdem durch vier Konjunkturprogramme zwischen 2008 und 2010 unter dem Strich keine neuen Jobs entstanden waren, zeichnete sich eine Ablehnung weiterer Ausgaben ab. Unterstützt wurde diese Ablehnung durch die Tea-Party-Bewegung, Drohungen von Ratingagenturen, die Kreditwürdigkeit der USA herabzustufen, und den Siegeszug der Republikaner bei den Zwischenwahlen von 2010. Offensichtlich wollten die Amerikaner die Staatsausgaben gedeckelt sehen. Es blieb abzuwarten, wie viele Ausgabenkürzungen umgesetzt werden konnten, aber eine Erhöhung der Staatsausgaben war eindeutig vom Tisch. Konsum, Investitionen und Staatsausgaben schieden als Optionen also aus, und nach dem Ausschlussverfahren gab es für die Obama-Regierung nur noch eine Möglichkeit, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen: mithilfe der Nettoexporte. In seiner Ansprache zur Lage der Nation am 27. Januar 2010 verkündete US-Präsident Obama eine »Nationale Exportinitiative«, durch die sich die US-Exporte innerhalb von fünf Jahren verdoppeln sollten. Gelang dies, so hätte es tiefgreifende Auswirkungen. Eine Verdopplung der Exporte konnte einen Zuwachs zum BIP von 1,3 Prozent bedeuten. Dadurch würde sich das Wirtschaftswachstum von verhaltenen 2,6 Prozent auf 180
Kapitel 7 – Die G20-Lösung stabile 3,9 Prozent erhöhen, möglicherweise genug, um die Senkung der Arbeitslosenzahlen voranzutreiben. Eine Verdopplung der Exporte war sehr erstrebenswert, aber war sie auch möglich? Falls ja, welche Auswirkungen hätte das auf die Handelspartner der USA und das empfindliche wirtschaftliche Gleichgewicht der Welt? Die US-Wirtschaftspolitik stürzte sich hier kopfüber in den Währungskrieg. Der übliche und schnellste Weg, um die Exporte zu steigern, war eine Abwertung der Währung, wie sie Montagu Norman 1931 in England und Richard Nixon 1971 in den USA vorgenommen hatte. Amerika und die Welt waren diesen Weg schon einmal gegangen, mit katastrophalen Auswirkungen weltweit. Wieder einmal hatte man sich für die Taktik des billigen Dollars entschieden, und wieder einmal war die Welt Zeuge, wie sich eine Katastrophe anbahnte. Die Zusammensetzung von Chinas BIP war in gewisser Hinsicht das Spiegelbild der USA. Statt der alles beherrschenden 70 Prozent in den USA hatte der Konsum nur einen Anteil von 38 Prozent an der chinesischen Wirtschaft. Bei den Nettoexporten war es umgekehrt: Wo die US-Wirtschaft negative 3 Prozent mit sich herumschleppte, trugen die Exporte in China sogar noch 3,6 Prozent zur Gesamtsumme bei. Chinas Wachstum stammte zum Großteil aus Investitionen, die 48 Prozent des BIP ausmachten, im Vergleich zu 12 Prozent in den USA. Angesichts dieser spiegelbildlichen Wirtschaftsdaten schien eine simple Umverteilung angebracht. Wenn China den Binnenkonsum steigerte, indem es beispielsweise Waren und Dienstleistungen aus den USA wie Software, Videospiele und Hollywoodfilme einkaufte, wäre ein Wachstum in beiden Ländern die Folge. Es musste sich nur das jeweilige Verhältnis von Konsum und Export ändern. China musste den Konsum hoch- und die Nettoexporte herunterfahren, während die USA das Umgekehrte taten. Durch die zusätzlichen Exporterlöse in China entstünden in den USA neue Jobs. Über Wechselkurse allein war das nicht zu erreichen. Aber Geithner betonte wiederholt, dass eine Aufwertung des Yuan ein wichtiger Teil dieses Ansatzes sei. 181
Teil 2 Währungskriege Ein Grund für den niedrigen Konsum der Chinesen war die Schwäche ihres sozialen Netzes, das den Einzelnen zu extremen Sparmaßnahmen für die eigene Alters- und Gesundheitsversorgung zwang. Auch die jahrtausendealte konfuzianische Kultur, nach der eine prahlerische Zurschaustellung von Wohlstand unangebracht ist, dämpfte den chinesischen Konsum. Doch die politischen Entscheidungsträger in den USA wollten keine Kulturrevolution zugunsten einer höheren Konsumfreude anzetteln, sie würden sich mit etwas Bescheidenerem zufriedengeben. Schon wenige Prozentpunkte mehr Konsum in China zugunsten von US-Exporten konnten in den USA eine selbsttragende wirtschaftliche Erholung anstoßen. Dies sollte eine Neujustierung ganz eigener Art werden, denn die Erhöhung von chinesischem Konsum und US-Nettoexporten gingen vollständig zu Lasten Chinas. China musste alle Anpassungen vornehmen in Bezug auf Währung, soziales Netz und 25 Jahrhunderte konfuzianischer Kultur, während die USA nichts tun mussten, außer die Vorteile erhöhter Netto­ exporte an einen schnell wachsenden chinesischen Binnenmarkt einzu­ streichen. Für die USA war dies eine äußerst bequeme Lösung. Von ihrer Seite w ­ aren keine konkreten Maßnahmen nötig, weder eine Senkung der Körperschaftssteuer und Deregulierung, um das Wirtschaftsklima zu verbessern, noch mussten sie für Währungsstabilität sorgen oder Sparmaßnahmen und Investitionen durchsetzen. Ein solches Vorgehen brachte auch Vorteile für China, aber insgesamt mussten die Chinesen den Eindruck bekommen, man dränge sie zu Maßnahmen, die vor allem den USA nutzten. Im Sprachgebrauch der G20 bedeutete »Neujustierung« zu tun, was die USA wollten. Den internationalen Finanzexperten war schon vor der Rede zur Lage der Nation im Januar 2010 klar, worauf der US-Vorschlag zur Neujustierung hinauslief. Die Vorstellung erhöhter US-Exporte und einer damit verbundenen Aufwertung des Yuan war bereits beim G20-Gipfel in Pittsburgh im September 2009 ins Gespräch gebracht worden. Die ersten beiden G20Gipfel, in Washington und London, hatten sich mit der unmittelbaren Re- 182
Kapitel 7 – Die G20-Lösung aktion auf die Finanzkrise von 2008 beschäftigt und der Aufforderung an den IWF, neue Möglichkeiten für die Sicherstellung der Liquidität aufzuzeigen. Diese ersten G20-Gipfel beschäftigten sich auch mit der Frage, wie man die Banken und ihre auf Geldgier basierenden Vergütungsstrukturen in die Schranken weisen konnte, die für kurzfristige Gewinne absurde Provisionen vorsahen und gleichzeitig auf lange Sicht Billionen Dollar weltweit vernichteten. Beim G20-Gipfel in Pittsburgh Ende 2009 befanden die Staats- und Regierungschefs, es gebe zwar noch letzte Schwachstellen, doch die Lage sei stabil genug, um an die Zeit nach der aktuellen Krise denken und nach Wegen suchen zu können, wie die Weltwirtschaft wieder in Gang gebracht werden konnte. Pittsburgh war der letzte G20-Gipfel vor Obamas Rede zur Lage der Nation 2010. Wenn die USA Unterstützung bei der Umsetzung ihres Plans zur Neujustierung wollten, dann mussten sie sich jetzt darum bemühen. Am Ende des G20-Gipfels in Pittsburgh stand ein erstes Konzept für eine Neujustierung des Wirtschaftswachstums in Geithners Sinn. Der Plan wurde in die Erklärung der Staats- und Regierungschefs als »Rahmen für robustes, nachhaltiges und ausgewogenes Wachstum« aufgenommen.40 Wie genau diese Neujustierung erreicht werden sollte, wurde nicht ganz klar. Wie alle Fachberichte großer multilateraler Institutionen wurde auch diese Erklärung in der Sprache der politischen Weltelite verfasst, die sich vor allem durch Unverständlichkeit für alle anderen auszeichnet. In Abschnitt 20 des Rahmens versteckt findet man folgende Passage: Unsere gemeinsame Reaktion auf die Krise hat … die Notwendigkeit eines besser legitimierten und effektiveren IWF unterstrichen. Der Fonds muss eine entscheidende Rolle bei der Förderung der weltweiten Finanzmarktstabilität und der Neujustierung des Wachstums spielen.41 Den Teilnehmern war klar, dass Neujustierung eine Steigerung des Konsums durch China und eine Steigerung der Exporte durch die USA bedeutete. Der IWF wurde jetzt dazu abgestellt, den Streifenpolizisten zu geben 183
Teil 2 Währungskriege und aufzupassen, dass die G20-Mitglieder ihren Verpflichtungen in diesem Zusammenhang auch nachkamen. Damit wurde in Pittsburgh der Weg für Obamas Nationale Export-Initiative bereitet, die er zwei Monate später verkündete. Die Nutzung des IWF durch die G20 als externes Sekretariat, Forschungsabteilung, Statistikbehörde und politisches Schiedsgericht hatte für beide Organisationen große Vorteile. Die G20 bekamen so Zugang zu einem enormen Fachwissen, ohne selbst einen Mitarbeiterstab aus Experten aufbauen und erhalten zu müssen. Für den IWF bedeutete die Zusammenarbeit eine Gnadenfrist. Noch 2006 hatten viele Finanzexperten weltweit die Existenzberechtigung des IWF infrage gestellt. In den 1950er- und 1960erJahren hatte der IWF Länder bei kurzfristigen Zahlungs­schwierigkeiten mit Brückenkrediten versorgt, damit sie ihre Währungsbindung zum Dollar halten konnten. In den 1980er und 1990er-Jahren hatte der IWF Ent­ wicklungsländer in Währungskrisen unterstützt, indem er unter Spar­ auf­lagen, die ausländische Banken und Investoren schützen sollten, eine Finanzierung bereitstellte. Nach der Abkehr vom Gold hin zu frei schwankenden Wechselkursen und der Anhäufung riesiger Überschüsse in Entwicklungsländern stand der IWF zu Beginn des 21. Jahrhunderts ohne erkennbare Aufgabe da. Mit einem Schlag erweckten die G20 den IWF zu neuem Leben, indem sie ihn als Bank der G20 und Vorläufer einer Weltzentralbank in Stellung brachten. Der damalige ehrgeizige IWF-Chef, ­Dominique Strauss-Kahn, war mit diesem Arrangement sehr glücklich und stürzte sich mit Feuereifer in die Arbeit als Schiedsrichter für alle Richt­ linien der G20. Trotz dieser vielversprechenden ersten Schritte hin zu einer globalen Neustrukturierung und trotz des persönlichen Engagements von US-Präsident Obama gab es bei den beiden folgenden G20-Gipfeln im Jahr 2010 im Zusammenhang mit den Zielen keine nennenswerten Fortschritte, was verpflichtende Erklärungen der Mitgliedsländer betraf. Der IWF überprüfte die Praktiken der einzelnen Länder im Rahmen einer »gegenseitigen Bewer- 184
Kapitel 7 – Die G20-Lösung tung«, in den Kommuniqués der G20 wurde weiter an der Rahmenvereinbarung festgehalten, aber die ehrgeizigen Zielsetzungen der Neujustierung wurden weitgehend ignoriert, vor allem von China. Geithner kritisierte die Chinesen offen für ihre Weigerung, eine weitere Aufwertung des Yuan zuzulassen. Auf die Frage des Wall Street Journal im September 2010, ob die Chinesen genug getan hätten, antwortete er: »Selbstverständlich nicht … sie haben sehr, sehr wenig getan.« Die US-Exporte erholten sich 2010, aber hauptsächlich wegen relativ hoher Wachstumsraten in den Schwellenländern und einer höheren Nachfrage nach Hightech-Produkten aus den USA, nicht so sehr aufgrund der Wechselkurse. Die Chinesen ließen zu, dass der Yuan leicht an Wert gewann, hauptsächlich um dem Vorwurf des US-Finanzministeriums zu entgehen, sie manipulierten ihre Währung, was zu einer Verhängung von Handelssanktionen durch das US-Repräsentantenhaus führen konnte. Aber keine dieser Entwicklungen entsprach Geithners Forderungen auch nur annähernd. Auch ein bilaterales Gipfeltreffen im Januar 2011 von Präsident Hu und Präsident Obama, den sogenannten G2, führte nur zu gegenseitigen Freundschaftsbekundungen und Fotos zweier lächelnder Präsidenten. Es sah aus, als müssten die USA auf eigene Faust aktiv werden, wenn sie einen billigeren Dollar haben wollten. Die Erwartungen der Welt an die G20 ­waren bisher enttäuscht worden. Im Juni 2011 jedoch traten die USA als Sieger aus dem Währungskrieg hervor. Wie in vielen Kriegen hatte auch hier eine Geheimwaffe den Ausschlag für den Sieg gegeben. Diese Finanzwaffe trug den sperrigen Namen »quantitative Lockerung« (»quantitative easing«, QE) und stand im Wesentlichen für eine Erhöhung der Geldmenge, um eine Preisinflation herbeizuführen. Wie schon 1971 ergriffen die USA einseitig Maßnahmen, um den Dollar durch Inflation zu schwächen. QE schlug als geldpolitische Bombe in die Weltwirtschaft des Jahres 2009 ein, und ihr Nachfolger, als QE2 bezeichnet, wurde Ende 2010 abgeworfen. Die Auswirkungen auf das globale Finanzsystem waren unmittelbar und durchschlagend. Durch die quantitative Lo- 185
Teil 2 Währungskriege ckerung generierten die USA eine Inflation im Ausland und erhöhten so die Kosten nahezu jedes großen Exportlandes und jedes schnell wachsenden Schwellenlandes der Welt auf einmal. Quantitative Lockerung in ihrer einfachsten Form bedeutet nichts anderes, als Geld zu drucken. Um aus dem Nichts Geld zu schöpfen, kauft die Fed Staatsanleihen von einigen ausgewählten Banken, den sogenannten Primärhändlern. Zum weltweiten Kundenstamm der Primärhändler zählen staatliche Investmentfonds, andere Notenbanken, Pensionskassen und institutionelle Anleger sowie vermögende Privatpersonen. Die Händler fungieren als Vermittler zwischen der Fed und dem Finanzmarkt, indem sie Auktionen neu emittierter Staatsanleihen durchführen und mit vorhandenen ­Anleihen handeln. Will die Fed die Geldmenge reduzieren, verkauft sie den Primärhändlern Staatsanleihen. Die Händler erhalten die Anleihen, und das Geld, das die Fed dafür bekommt, verschwindet einfach. Wenn die Fed jedoch die Geldmenge erhöhen will, kaufen sie Staatsanleihen von den Händlern. Die Fed erhält die Anleihen und bezahlt die Händler mit frisch gedrucktem Geld. Das Geld landet auf den Konten der Händler und kann dann für weitere Geldschöpfung durch das Bankensystem eingesetzt werden. Dieser Handel mit Staatsanleihen zwischen Fed und Primärhändlern macht den Löwenanteil der Offenmarktgeschäfte aus. Üblicherweise werden Offenmarktgeschäfte für die Kontrolle kurzfristiger Zinssätze eingesetzt. Die Fed kauft oder verkauft dazu in der Regel Staatsanleihen mit sehr kurzen Laufzeiten, meist nur 30 Tage. Aber was geschieht, wenn die Zinssätze bei den ganz kurzen Laufzeiten bereits bei null liegen und die Fed ihre Geldmarktpolitik noch weiter lockern will? In diesem Fall kann die Fed anstelle von Anleihen mit sehr kurzen Laufzeiten Staatsanleihen mit mittleren Laufzeiten von fünf, sieben oder zehn Jahren aufkaufen. Besonders zehnjährige Staatsanleihen stellen einen Referenzwert für die Zinsfestlegung bei Hypotheken und Firmenkrediten dar. Der Einkauf mittelfristiger Anleihen durch die Fed hätte niedrigere Zinssätze für Käufer von Eigenheimen und bei der Kreditver- 186
Kapitel 7 – Die G20-Lösung gabe an Firmen zur Folge, was wiederum der Konjunktur zugutekommen würde. Zumindest der gängigen Theorie zufolge. In einer globalisierten Welt jedoch sorgen die Wechselkurse dafür, dass sich die Folgen veränderter Zinssätze so schnell fortpflanzen wie Schall in Wasser. Durch quantitative Lockerung konnte die Fed die finanzielle Lage in den USA verbessern, aber auch die in China. Sie war die perfekte Waffe für einen Währungskrieg, und die Fed wusste es. Die quantitative Lockerung funktionierte, weil die Chinesische Volksbank an der Dollarbindung des Yuan festhielt. Ein Großteil des Geldes, das die Fed im Rahmen ihres QE-Programms druckte, landete in China, entweder durch Handelsüberschüsse oder in Form von Hot Money auf der Suche nach höheren Profiten als den in den USA möglichen. In China angekommen, wurden die Dollar von der Zentralbank im Austausch gegen frisch gedruckte Yuan einkassiert. Je mehr Geld die Fed druckte, umso mehr Geld musste China drucken, um den Währungskurs zu halten. China hatte den Yuan an den Dollar gebunden in der fälschlichen Annahme und der vergeblichen Hoffnung, dass die Fed ihr Vorrecht des Gelddrucks nicht missbräuchlich einsetzen würde. Jetzt druckte die Fed, was die Maschinen hergaben. Aber es gab einen entscheidenden Unterschied zwischen den USA und China. Die USA steckten gerade in einer Konjunkturflaute, sodass die Gefahr einer Inflation in absehbarer Zeit gering war. Chinas Wirtschaft befand sich im Aufschwung und hatte sich von der Finanzkrise 2008 wieder gut erholt. Daher gab es in China weniger überschüssige Kapazitäten, die das zusätzliche Geld ohne inflationären Effekt aufnehmen konnten. Das zusätzlich gedruckte Geld führte in China schnell zu Preissteigerungen. China importierte nun die Inflation über die Währungsbindung aus den USA genauso, wie es zuvor seine Deflation in die USA exportiert hatte. Der Yuan gewann Ende 2010 und Anfang 2011 nur langsam an Wert, während die Jahresinflation in China bald 5 Prozent überstieg. China hatte sich geweigert, den Yuan aufzuwerten, und bekam dafür Inflation. Die USA wa- 187
Teil 2 Währungskriege ren auf jeden Fall zufrieden, denn sowohl eine Währungsaufwertung als auch eine Inflation erhöhten die Kosten für chinesische Exporte und erhöhten die Wettbewerbsfähigkeit der USA. Zwischen Juni 2010 und Januar 2011 hatte der Yuan aufs Jahr umgerechnet 4 Prozent zugelegt, und die Jahresrate der Inflation in China lag bei 5 Prozent, sodass die relativen Kosten für die Chinesen um insgesamt 9 Prozent gestiegen waren. Auf mehrere Jahre hochgerechnet bedeutete dies, dass der Dollar bei den Exportpreisen relativ zum Yuan mehr als 20 Prozent an Wert verlieren würde. Genau das hatten Senator Chuck Schumer und andere Kritiker in den USA gefordert. China hatte nur noch die Wahl zwischen gleich schlechten Alternativen. Wenn es an der Währungsbindung festhielt, würde die Fed einfach weiter Geld drucken, und die Inflation in China geriete außer Kontrolle. Wenn China aufwertete, konnte es die Inflation vielleicht kontrollieren, aber die relativen Kosten im Vergleich zu anderen Währungen würden steigen. So oder so hatten die Fed und die USA gewonnen. Auch wenn eine Währungsaufwertung und Inflation aus wirtschaftlicher Sicht dieselbe preissteigernde Wirkung hatten, gab es doch einen wichtigen Unterschied zwischen ihnen: Eine Währungsaufwertung konnte bis zu einem gewissen Grad kontrolliert werden, denn die Chinesen konnten b­estimmen, wann sie den Wechselkurs jeweils anpassten, auch wenn die Fed die generelle Richtung vorgab. Inflation hingegen war im Wesentlichen nicht k­ ontrollierbar. Sie konnte erst in einem Warenbereich wie Lebens­mittel oder Energie auftreten und sich dann über die Wertschöpfungs­kette rasant und unvorhersehbar ausbreiten. Inflation konnte das Verhalten der Menschen enorm beeinflussen und sich so selbst immer weiter ver­stärken, wenn zum Beispiel Groß- und Einzelhändler in Erwartung von Preiserhöhungen der anderen ihre Preise selbst vorsorglich hochsetzten. Inflation war einer der Katalysatoren für die Proteste am Tiananmen-Platz 1989 gewesen, die in einem Massaker endeten. Konservative Chinesen hatten sich auf einen festen Wechselkurs ihrer eigenen Währung gegenüber 188
Kapitel 7 – Die G20-Lösung dem Dollar und damit auf den stabilen Wert ihrer riesigen Bestände an US-Staatsanleihen verlassen, wie es auch in Europa zu Zeiten des BrettonWoods-Systems der Fall gewesen war. Ihr Vertrauen war enttäuscht worden – die Fed zwang sie zum Handeln. Angesichts der möglichen Alternativen – unkontrollierte Inflation mit unvorhersehbaren Konsequenzen oder kontrollierte Aufwertung des Yuan – entschied China sich für eine gleichmäßige Aufwertung, die im Juni 2010 begann und sich bis Mitte 2011 drastisch verstärkt hatte. Die USA hatten die erste Runde im Währungskrieg für sich entschieden. Wenn es um einen Schwergewichtsboxkampf zwischen den USA und China gegangen wäre, dann wäre es die erste Runde in einem Kampf gewesen, der aussah, als könne er gut über 15 Runden gehen. Beide Boxer waren noch auf den Beinen. Die USA hatten die Runde nach Punkten gewonnen, nicht durch K.O. Die Fed stand als Ringarzt in der Ecke der USA bereit, um alle Verletzungen zu versorgen. Auch China hatte Unterstützung in seiner Ecke – die anderen Opfer der QE weltweit. Die zweite Runde konnte jeden Moment eingeläutet werden. Wenn die Hauptgegner eines Krieges ihre Waffen gegeneinander einsetzen, gibt es schnell Kollateralschäden bei Unbeteiligten. Das ist bei einem Währungskrieg nicht anders. Die Inflation, die die USA in ihrer Verzweiflung ausgelöst hatten, erreichte nicht nur China, sondern alle Schwellenländer. Durch eine Kombination von Handelsüberschüssen und einströmendem Hot Money auf der Suche nach höheren Renditen trat die von den USA per Gelddruckmaschine ausgelöste Inflation bald in Südkorea, Brasilien, ­Indonesien, Thailand, Vietnam und anderen Ländern auf. Fed-Chef Bernanke machte kurzerhand die Opfer selbst dafür verantwortlich, weil sie sich geweigert hatten, ihre Währungen gegenüber dem Dollar aufzuwerten, so ihre Überschüsse abzubauen und den Zufluss von Hot Money zu verlang­ samen. In der einschläfernden Ausdrucksweise der Notenbanker verkündete ­Bernanke: 189
Teil 2 Währungskriege Den politischen Entscheidungsträgern in den Schwellenländern steht eine Palette schlagkräftiger Werkzeuge zur Verfügung, durch die sie ihre Wirtschaft lenken und eine Überhitzung verhindern können, wie zum Beispiel eine Anpassung der Wechselkurse … [D]ie wieder auflebende Nachfrage in den Schwellenländern [hat] entschieden zu der aktuellen sprunghaften Preissteigerung im globalen Warenhandel beigetragen. Überhaupt hat das Festhalten einiger Länder an unterbewerteten Währungen zu einer globalen Ausgabenstruktur beigetragen, die unausgeglichen und nicht haltbar ist.42 Völlig unberücksichtigt bleibt dabei die Tatsache, dass die Preise für viele Waren, die von Einwohnern dieser Länder nachgefragt werden, wie Weizen, Mais, Öl, Sojabohnen, Bauholz, Kaffee und Zucker auf dem Weltmarkt festgelegt werden, nicht vor Ort. Als Verbraucher in einzelnen Märkten die Preise in Reaktion auf den Gelddruck der Fed in die Höhe trieben, stiegen die Preise nicht nur auf diesen lokalen Märkten, sondern auch weltweit. Die Auswirkungen des Gelddruckens durch die Fed waren nicht nur in den relativ erfolgreichen Schwellenländern Ostasiens und Lateinamerikas spürbar, sondern auch in den ärmeren Teilen Afrikas und des Nahen Ostens. Für einen Fabrikarbeiter mit 12 000 Dollar im Jahr sind Preiserhöhungen für Lebensmittel unangenehm. Für einen Bauern mit 3 000 Dollar im Jahr können teurere Lebensmittel den Unterschied zwischen Essen und Hungern bedeuten, zwischen Leben und Tod. Die Unruhen, Ausschreitungen und Aufstände, die Anfang 2011 in Tunesien ausbrachen und schnell auf Ägypten, Jordanien, Jemen, Marokko und Libyen übergriffen, richteten sich nicht nur gegen Diktaturen und das Fehlen demokratischer Strukturen, sondern auch gegen steigende Lebensmittel- und Energiekosten sowie sinkende Lebens­standards. Verschiedene Länder im Nahen Osten gingen an die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten, indem sie Grundnahrungsmittel wie Brot subventionierten und so die schwersten Auswirkungen der Inflation dämpften. Dadurch wurde aus dem Problem der Inflation ein Problem der Staatsfinanzen, insbesondere in Ägypten, wo die Steuereintreibung immer chaotischer wurde und die Tourismuseinnahmen als Folge des arabi- 190
Kapitel 7 – Die G20-Lösung schen Frühlings versiegten. Die Situation verschlechterte sich so weit, dass die G8 bei ihrem Treffen in Deauville, Frankreich, im Mai 2011 hastig ein finanzielles Hilfspaket in Höhe von 20 Milliarden Dollar für Ägypten und Tunesien arrangierten. Bernanke hatte bereits den Kontakt zu den Durchschnittsamerikanern und ihren Alltagssorgen verloren, jetzt verlor er auch noch zunehmend den Kontakt zum Rest der Welt. Es musste sich aber erst noch herausstellen, ob die G20 die USA von ihrer außer Kontrolle geratenen Finanz- und Währungspolitik abbringen konnten, die die Welt mit Dollar überschwemmte und eine weltweite Inflation bei Lebensmittel- und Energiepreisen auslöste. Die USA suchten unter den G20 ihrerseits Verbündete wie Frankreich und Brasilien, um die Chinesen unter Druck zu setzen und zu einer Währungsaufwertung zu drängen. Nach Meinung der USA wäre es für Exporte und Wirtschaftswachstum aller – Europa, Nordamerika und Lateinamerika – vorteilhaft, wenn die Chinesen den Yuan aufwerteten und ihren Binnenkonsum steigerten. Theoretisch mag das zutreffen, aber inzwischen richtete die Strategie der USA, die Welt mit Dollar zu überschwemmen, großen Schaden an. China und die USA standen sich in einem globalen Feiglingsspiel gegenüber: China rückte nicht von seinem Exportmodell ab, und die USA versuchten, Chinas Kostenvorteil bei den Exporten wegzuinflationieren. Aber die Inflation war nicht auf China allein begrenzt, und die ganze Welt begann, sich ernsthaft Sorgen wegen der Folgen zu machen. Die G20 waren als Koordinationsplattform für die Weltfinanzpolitik konzipiert, aber inzwischen machten sie mehr den Eindruck eines Kinderspielplatzes, auf dem zwei Rabauken von allen verlangten, sich für eine Seite zu entscheiden. Im Vorfeld des G20-Gipfels in Seoul im November 2010 versuchte Geithner, China in die Enge zu treiben, indem er die Festsetzung einer prozentualen Obergrenze für aus globaler Sicht vertretbare Handelsüberschüsse vorschlug. Grundsätzlich sollte die Währung eines Landes mit einem jährlichen Handelsüberschuss von mehr als 4 Prozent des BIP aufgewertet werden, um die Handelsbedingungen zugunsten der Länder mit Handelsdefi- 191
Teil 2 Währungskriege ziten wie den USA anzupassen. Unter dem klassischen Goldstandard war dies automatisch geschehen, heute setzte es eine Währungsmanipulation durch die Notenbanken voraus. Geithners Vorschlag verlief im Sand. Er hatte damit China treffen wollen, aber leider geriet bei seinem Vorschlag auch Deutschland ins Visier, denn der deutsche Handelsüberschuss entsprach in Prozent des BIP ausgedrückt dem chinesischen. Nach Geithners System musste auch die Währung der Deutschen, der Euro, aufgewertet werden. Das war jedoch das letzte, was Deutschland und der Rest Europas angesichts der prekären wirtschaftlichen Lage, der strukturellen Schwächen ihres Bankensystems und der Bedeutung deutscher Exporte für den europäischen Arbeitsmarkt wollten. Nachdem er weder aus Europa noch aus Asien Unterstützung bekam, ließ Geithner die Idee kurzerhand fallen. Statt konkrete Ziele festzulegen, erbrachte der G20-Gipfel in Seoul den Vorschlag, anhand »indikativer Leitlinien« festzustellen, wann Handelsüberschüsse ein untragbares Niveau erreichten.43 Die Details dieser Leitlinien sollten bei einem nachfolgenden Treffen der Finanzminister und Zentralbankgouverneure ausgearbeitet werden. Im Februar 2011 trafen sich die Minister und Gouverneure in Paris und einigten sich grundsätzlich darauf, welche Faktoren als »Indikatoren« anerkannt werden sollten, doch konnten keine Grenzwerte für die einzelnen Faktoren festgelegt werden. Die Bestimmung dieser Grenzwerte wurde auf ein nachfolgendes Treffen im April verschoben, und das Gesamtergebnis sollte den Staats- und Regierungschefs der G20 bei ihrem Jahrestreffen in Cannes im November 2011 zur Absegnung vorgelegt werden. Inzwischen machte die Einsetzung des IWF als Wachhund der G20 rasche Fortschritte. Bei einer Konferenz in Nanjing in China im März 2011, an der Experten und Wirtschaftswissenschaftler teilnahmen, sagte der Präsident der G20, Nicolas Sarkozy, in Bezug auf die Zahlungsbilanzen: »Eine stärkere Überwachung durch den IWF ist unverzichtbar.« 192
Kapitel 7 – Die G20-Lösung Zu sagen, der G20-Prozess schreite im Schneckentempo voran, wäre noch milde ausgedrückt. Aber für eine globale Lösung gab es bei 20 Staats- und Regierungschefs und ebenso vielen unterschiedlichen Agenden keine offenkundige Alternative. Das ist der Nachteil von Geithners Versammlungsmacht. Verhandlungen auf Augenhöhe können effizient sein, wenn es sich um ein Treffen von Gleichgesinnten handelt oder wenn eine Partei die anderen in der Hand hat, wie es der Fall gewesen war, als die Fed mit den 14 Familien über die Rettung des LTCM verhandelt hatte. Wenn die Beteiligten stark unterschiedliche Ziele verfolgen und unterschiedliche Ansichten darüber haben, wie sie diese Ziele erreichen wollen, dann können bei einer Verhandlung auf Augenhöhe bestenfalls winzige Veränderungen erreicht werden. 2011 waren die Veränderungen so winzig und so langsam, dass man sie für Stillstand halten konnte. Die G20 waren bei Weitem keine perfekte Institution, aber die Welt hatte nur sie. Das G7-Modell war gestorben, und die Vereinten Nationen hatten nichts Vergleichbares anzubieten. Der IWF war in der Lage, eine gute fachliche Analyse zu liefern, und war als Schiedsrichter für die von den G20 aufgestellten Richtlinien gut geeignet. Er stand jedoch unter dem starken Einfluss der alten Troika aus Nordamerika, Japan und Westeuropa, und seinem Einfluss begegnete man in den führenden Schwellenländern – China, Indien, Brasilien und Indonesien – mit Misstrauen. Der IWF war nützlich, aber auch dort musste es Veränderungen, musste es Anpassungen an die neuen globalen Verhältnisse geben. Ende 2008 und Anfang 2009 waren die G20 entscheidungsfähig gewesen, weil die Mitglieder von derselben Angst umgetrieben wurden. Der katastrophale Zusammenbruch der Finanzmärkte, des Welthandels, der Industrieproduktion und des Arbeitsmarktes hatte Kompromisse bei Rettungspaketen, Konjunkturanreizen und neuen Regulierungen der Banken ermöglicht. 2011 schien das Schlimmste überstanden, und die Mitglieder der G20 kehrten zu ihren alten Agenden zurück – ungebrochen große Handelsüber- 193
Teil 2 Währungskriege schüsse für China und Deutschland und ein ungebrochenes Streben der USA nach einem schwachen Dollar, um die US-Exporte zu fördern und selbst Handelsüberschüsse zu erwirtschaften. Was den USA jedoch fehlte, war ein Richard Nixon mit einem präventiven Aktionsplan oder jemand mit der Kaltschnäuzigkeit eines John Connally. Die USA hatten an Einfluss verloren. Es brauchte erst eine weitere Krise, um die G20 zu einem gemeinsamen Handeln zu bringen. Dank des taktischen Gelddruckens der USA und dessen inflationären Nebenwirkungen weltweit ließ die nächste Krise nicht lange auf sich warten. Diese Krise traf die Welt am Nachmittag des 11. März 2011 wie ein Blitz aus heiterem Himmel unweit der Stadt Sendai in Japan. Ein Erdbeben der Stärke 9,0, dicht gefolgt von einem zehn Meter hohen Tsunami zerstörte die nordöstliche Küstenregion Japans, tötete Tausende, überflutete ganze Städte und Dörfer und zerstörte jede Infrastruktur – Häfen, Fischereiflotten, Bauernhöfe, Brücken, Straßen und Kommunikationsverbindungen. Innerhalb weniger Tage nahm die größte nukleare Katastrophe seit Tschernobyl in einem Kernkraftwerk bei Sendai ihren Lauf. Durch die Kernschmelze der nuklearen Brennstäbe gingen riesige Mengen an Radioaktivität auf die lokale Bevölkerung nieder. Während die Welt noch mit den Folgen kämpfte, entwickelte sich eine neue Front im Währungskrieg. Der japanische Yen erreichte innerhalb kürzester Zeit einen Rekordwert gegenüber dem Dollar, gestützt von der Erwartung einer massiven Währungsrückführung des Yen durch japanische Investoren, um den Wiederaufbau zu finanzieren. Japan hatte 2 Billionen Dollar im Ausland angelegt, vor allem in den USA, und war im Besitz von Rücklagen in der US-Währung im Wert von über 850 Milliarden Dollar. Einige davon würden gegen Dollar verkauft, die Erträge in Yen umgetauscht und nach Japan geschafft werden müssen, um den Wiederaufbau zu bezahlen. Dieser massive Handel von Dollar gegen Yen führte zum Höhenflug des Yen. Der Kursanstieg des Yen gegenüber dem Dollar passte perfekt ins Programm der USA, doch Japan bevorzugte das Gegenteil. Die japanische Wirtschaft 194
Kapitel 7 – Die G20-Lösung war mit einer Katastrophe konfrontiert, und ein billiger Yen half japanischen Exporten und konnte der japanischen Wirtschaft wieder auf die Beine helfen. Das Ausmaß der Katastrophe in Japan war einfach zu groß – das Interesse der USA an einem billigen Dollar musste erst einmal hinter der Notwendigkeit eines billigen Yen zurückstehen. Japan musste auf jeden Fall seine Dollaranlagen verkaufen, um den Wiederaufbau zu finanzieren, und diese Aussicht trieb den Kurs des Yen in die Höhe. Nur durch eine koordinierte Intervention der Zentralbanken konnte der Flut an Yen, die nach Japan zurückströmten, entgegengewirkt werden. Das Verhältnis von Yen und Dollar war zu spezifisch für eine G20-Aktion, und ohnehin war in naher Zukunft kein G20-Treffen angesetzt. Die großen drei – die USA, Japan und die Europäische Zentralbank – mussten das Problem allein lösen. Im Namen der G7 rief die französische Finanzministerin Christine Lagarde am 17. März 2011 US-Finanzminister Geithner an und schlug einen koordinierten Angriff auf den Yen vor. Nachdem die für die eigentliche Intervention verantwortlichen Chefs der Zentralbanken darüber beraten hatten und US-Präsident Obama informiert worden war, wurde der Angriff auf den Yen am Morgen des 18. März 2011 bei Handelsbeginn in Japan eröffnet. Der Angriff bestand aus massiven Yen-Verkäufen durch die Zentralbanken und dem Kauf von Dollar, Euro, Schweizer Franken und anderen Währungen in entsprechender Höhe. Der Angriff wurde über die ganze Welt und alle Zeitzonen hinweg fortgesetzt, als die Handelsplätze in Europa und New York ihre Tore öffneten. Die Intervention der Zentralbanken war erfolgreich. Bis zum Abend des 18. März war der Yen von den Rekordwerten gegenüber dem Dollar gefallen und wurde wieder zu einem normaleren Kurs gehandelt. Lagardes geschicktes Vorgehen bei der Yen-Intervention zementierte ihren guten Ruf als Krisenmanagerin, den sie sich während der Finanzkrise 2008 und der ersten Phase der Euro-Staatsschuldenkrise 2010 erworben hatte. Im Juni 2011 kam fast nur sie als Nachfolgerin des in Ungnade gefallenen IWF-Chefs Dominque Strauss-Kahn infrage. 195
Teil 2 Währungskriege Konnte man die G20 am ehesten mit einer riesigen Armee vergleichen, so hatten die G7 bewiesen, dass sie immer noch die Rolle einer Sondereinsatztruppe übernehmen konnten, die schnell und ohne viel Aufsehen ein eng gestecktes Ziel erreicht. Die G7 hatten zumindest vorübergehend das Blatt gewendet. Doch die unaufhaltsame Rückführung von Yen nach Japan fand unverändert statt, und auch die Spekulanten, die davon profitieren wollten, waren immer noch am Werk. Eine Zeit lang schien es, als seien die schlechten alten Zeiten der 1970er- und 1980er-Jahre zurückgekehrt, als ­eine k­ leine Gruppe von Banken gegen Spekulanten und die Naturgewalt der Währungsaufwertung ankämpfte. Insgesamt bedeutete Japans dringender Bedarf an billigen Yen einen Rückschlag für die Bemühungen der USA um einen billigen Dollar. Der klassische Frontverlauf im Kampf um die billigste Währung hatte sich plötzlich verändert. Jetzt wollten nicht mehr wie bisher nur China, die USA und Europa ihre Währung schwächen. Japan, das den Forderungen der USA nach einem starken Yen bisher bereitwillig nachgekommen war, fand sich plötzlich im Lager der Kämpfer um eine schwache Währung wieder. Aber es konnten nicht alle gleichzeitig eine billige Währung haben, das Problem der Quadratur des Kreises war nach wie vor ungelöst. Schließlich wurde der Kampf von Dollar gegen Yen zum Kampf Dollar gegen Yuan auf der Agenda der G20 hinzugefügt, während die Welt weiter nach einer umfassenden Lösung für ihre Währungsprobleme suchte. 196
T eil 3 Die nächste globale K rise

Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus »Es ist im Kriege eine Regel, daß man nie annehmen soll, ein Feind würde nie kommen, sondern man muß jederzeit bereit sein, ihn zu treffen. Man darf nie annehmen, daß er nicht angreifen wird, sondern man sollte sich immer in eine Position bringen, in der man unschlagbar ist.«44 Sun Tsu, Über die Kriegs-Kunst, spätes 5. Jahrhundert v. Chr. Traditionell bedeutet ein Währungskrieg, dass zwei Länder darin wetteifern, ihre Währungen abzuwerten, um ihre relativen Kosten zu senken, ihre Exporte zu steigern, Jobs zu schaffen und ihre Wirtschaft auf Kosten ihrer Handelspartner anzukurbeln. Doch ein Währungskrieg kann auch anders aussehen. In einem deutlich perfideren Szenario werden Währungen als Waffen eingesetzt, nicht im übertragenen Sinn, sondern auf sehr reale Weise, um Konkurrenten wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Schon die Androhung einer solchen Aktion kann ausreichen, um Konkurrenten zu Zugeständnissen zu zwingen auf dem geopolitischen Schlachtfeld. Derartige Angriffe können nicht nur von Staaten ausgehen, sondern auch von Terroristen, Verbrecherbanden und anderen Bösewichten, die mit­ hilfe von Staatsfonds, Spezialkräften, Spionage, Cyberattacken, Sabotage oder Geheimoperationen tätig werden. Derartige Finanzmanöver gehören nicht zu den Themen, über die bei G20-Treffen normalerweise gesprochen wird. Der Wert seiner Währung ist die Achillesferse eines Landes. Wenn die Währung kollabiert, reißt sie alles andere mit sich in den Abgrund. Die heutigen Märkte sind durch komplexe Handelsstrategien miteinander verbun- 199
Teil 3 Die nächste globale Krise den, doch die meisten sind zumindest bis zu einem gewissen Grad noch eigenständig. Der Aktienmarkt kann einbrechen, während sich der Anleihenmarkt gleichzeitig erholt. Der Anleihenmarkt kann einbrechen, während andere Warenmärkte, für Gold und Öl zum Beispiel, zu neuen Höhenflügen ansetzen. Es besteht immer die Möglichkeit, an einem Markt Geld zu verdienen, während ein anderer Markt ins Bodenlose stürzt. Aber alle Anlageformen, Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Derivate und andere Kapitalanlagen, sind in der Landeswährung ausgezeichnet. Ruiniert man eine Währung, dann ruiniert man alle Märkte und das Land selbst. Aus diesem Grund ist die Währung das ultimative Ziel in jedem Finanzkrieg. Leider wird dieser Bedrohung durch die nationalen Sicherheitsbehörden der USA nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet. Bill Gertz schrieb in der Washington Times: »US-Beamte und externe Analysten äußerten die Ansicht, das Pentagon, das Finanzministerium und die US-Nachrichtendienste beschäftigten sich nicht intensiv genug mit der Bedrohung der USA durch ökonomische Kriegsführung und Finanzterrorismus. ›An das Thema will keiner ran‹, sagte ein Beamter.«45 Ein Überblick über die Kräfte der Globalisierung sowie des Staatskapitalismus, der eine Neuauflage des frühneuzeitlichen Merkantilismus darstellt und bei dem Unternehmen die verlängerten Arme der Staatsmacht sind, kann zum Verständnis der ernsten Gefahren für die heutige Weltwirtschaft beitragen. Die Bedrohungen durch finanzwirtschaftliche Kriegsführung sind nur vor dem Hintergrund der heutigen finanzwirtschaftlichen Realitäten zu erfassen. Die Welt ist geprägt durch den Siegeszug der Globalisierung, den aufkommenden Staatskapitalismus und die anhaltende Terrorgefahr. In der finanzwirtschaftlichen Kriegsführung gibt es keine Regeln und keine Grenzen. Sie ist die bevorzugte Art der Kriegsführung für alle, die an Waffengewalt unterlegen, aber raffinierter sind als ihre Gegner. 200
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus Globalisierung Die Globalisierung begann in den 1960er-Jahren, bekam aber ihren Namen und die breite Aufmerksamkeit erst in den 1990ern, kurz nach dem Fall der Berliner Mauer. Multinationale Unternehmen hatte es schon seit Jahrzehnten gegeben, aber die neuen globalen Unternehmen waren anders. Ein multinationales Unternehmen hat seine Wurzeln und führt den Großteil seiner Geschäfte in einem Land, agiert aber über Dependancen und Tochterfirmen auch sehr viel im Ausland. Es kann in vielen Ländern vertreten sein, aber tendenziell ist das Herkunftsland eines multinationalen Unternehmens immer noch erkennbar, egal wo es vertreten ist. Die neuen globalen Unternehmen sind eben – global. Sie unterdrücken ihre nationale Identität so weit wie möglich und stilisieren sich als Weltmarke ohne erkennbare nationale Charakteristiken. Entscheidungen über neue Fabrikationsstandorte und Verteilungszentren oder die Emission von Aktien oder Anleihen in unterschiedlichen Währungen werden aus Kosten-, Profitoder logistischen Gründen getroffen, ohne dass ein formelles Herkunftsland besonders berücksichtigt würde. Die Globalisierung ist nicht das Produkt neuer Rahmenbedingungen, sondern entwickelte sich durch die Abschaffung vieler alter Rahmenbedingungen. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Ende des Kalten Krieges wurde die Welt durch den Eisernen Vorhang nicht nur in zwei Hälften, eine kommunistische und eine kapitalistische Wirtschaftszone, geteilt, sondern durch Beschränkungen, die sich kapitalistische Staaten selbst auferlegten, weiter zersplittert. Zu diesen Beschränkungen zählten Kontrollen des Kapitalverkehrs, die ausländische Investitionen erschwerten, und die Erhebung von Steuern auf grenzüberschreitende Gewinnausschüttungen. Aktienbörsen beschränkten die Notierungen auf lokale Firmen, und die meisten ­Banken durften nicht in ausländischem Besitz sein. Richter und Politiker bevorzugten einheimische Unternehmen, und das Recht auf geistiges Eigentum wurde bestenfalls sporadisch durchgesetzt. Die hohe Fragmentie- 201
Teil 3 Die nächste globale Krise rung der Welt bedeutete Nachteile und hohe Kosten für Firmen mit internationalen Ambitionen. In den späten 1990er-Jahren waren diese Kostenpunkte und Hindernisse weitgehend beseitigt. Steuern waren aufgrund von Verträgen reduziert oder abgeschafft worden. Die Kapitalverkehrskontrollen waren gelockert worden, und inzwischen konnten Gelder einfach in einzelne Märkte hineingebracht oder aus ihnen abgezogen werden. Die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt verbesserte sich, und die Durchsetzung von Rechtsansprüchen wurde besser geregelt. Aktienbörsen lockerten ihre Vorschriften und fusionierten über Grenzen hinweg zu weltweit agierenden Superbörsen. Durch die politische und wirtschaftliche Expansion der EU entstand die größte Freihandelszone der Welt, und mit dem Start des Euro entfielen zahlreiche Währungsumrechnungen und die damit verbundenen Kosten. Russland und China stiegen zu protokapitalistischen Staaten auf und übernahmen bereitwillig viele neue Normen, die sich in westlichen Staaten herausgebildet hatten. Wirtschaftliche und politische Mauern fielen, während neue Technologien gleichzeitig die Kommunikationsmöglichkeiten und die Produktivität verbesserten. Aus Sicht der Finanzwirtschaft gab es auf der Welt keine Grenzen mehr, und die Welt stand vor dem, was der legendäre Bankier Walter Wriston als Staatendämmerung (twilight of sovereignty) bezeichnet hatte. Als Folge der neuen Welt ohne Grenzen entstanden für die Finanzwirtschaft aber auch grenzenlose Risiken. Durch die Globalisierung erreichte die Finanzwirtschaft eine Reichweite und eine Vernetzung ungekannten Ausmaßes. Die Emission von Anleihen war bisher durch den Zweck begrenzt, auf den die Emittenten die Erlöse verwenden wollten. Bei Derivaten gibt es eine solche natürliche Grenze nicht. Sie konnten in unendlicher Anzahl geschaffen werden, allein durch die Referenz auf den zugrunde gelegten Basiswert. Die Möglichkeit, Subprime-Hypotheken aus Nevada an deutsche Regionalbanken zu verkaufen, nachdem diese Hypotheken gebündelt, ­gestückelt, neu verpackt und mit einem wertlosen AAA-Rating versehen worden w ­ aren, war eine der wundersamen Errungenschaften dieser Zeit. 202
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus In der globalisierten Welt wurde aus Alt wieder Neu. Das erste Zeitalter der Globalisierung dauerte von 1880 bis 1914 und fiel damit zeitlich etwa mit dem klassischen Goldstandard zusammen. Die Periode von 1989 bis 2007 war eigentlich das zweite Zeitalter der Globalisierung. Während der ersten Periode waren nicht das Internet und Düsenjets die entscheidenden Errungenschaften, sondern das Radio, Telefone und Dampfschiffe. Das britische Weltreich umfasste einen Binnenmarkt und einen einheitlichen Währungsraum von der Größe der Europäischen Union. Im Jahr 1900 öffnete sich China, wenn auch widerstrebend, für Handel und Investitionen, Russland hatte endlich begonnen, sich von seinem Feudalsystem zu trennen und seine Industrie und Landwirtschaft zu modernisieren, während das Deutsche Reich zu einer industriellen Großmacht aufstieg. Die Auswirkungen derartiger Entwicklungen unterschieden sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht sehr von denen am Beginn des 21. Jahrhunderts. Anleihen konnten von Argentinien emittiert, in London gezeichnet und in New York gekauft werden. Öl konnte in Kalifornien raffiniert und dann mithilfe von Krediten von Banken in Shanghai per Schiff nach Japan transportiert werden. Der frisch erfundene Börsenticker übertrug nahezu in Echtzeit Informationen an angeschlossene Maklerbüros in Kansas City oder Denver. Es kam immer wieder zu Finanzkrisen mit globalen Auswirkungen. Eine der bedeutendsten war die Finanzkrise von 1890, bei der es in Südamerika zu Kreditausfällen kam und die führende Bank in London, Baring Brothers, gerettet werden musste. Das erste Zeitalter der Globalisierung war eine Phase des Wohlstands, der Innovationen, des expandierenden Handels und der finanzwirtschaftlichen Integration. Im August 1914 brach das alles in sich zusammen. Ein Londoner Bankier, der im Frühsommer aus dem Fenster seines Gentlemen’s Club sah und über die Geschwindigkeit des Fortschritts zu jener Zeit nachdachte, hätte sich wohl kaum vorstellen können, welche Tragödien sich in den folgenden 75 Jahren abspielen würden. Die Welt würde zwei Weltkriege, zwei Währungskriege, den Untergang von Weltreichen, die Große Depression, den 203
Teil 3 Die nächste globale Krise Holocaust und den Kalten Krieg erleben, bevor ein neues Zeitalter der Globalisierung anbrach. Im Jahr 2011 ist die globalisierte Finanzwirtschaft allgegenwärtig. Ob sie die Zeiten überdauern wird, muss sich erst noch erweisen. Die Geschichte hat gezeigt, dass die Zivilisation und die mit ihr verbundene Globalisierung nur ein dünner Deckmantel über den scharfen Klippen des Chaos sind. Staatskapitalismus Die Globalisierung war nicht das einzige geopolitische Phänomen, das sich am Ende des 20. Jahrhunderts entwickelte; ein weiteres war der Staatskapitalismus. Staatskapitalismus ist die aktuelle Bezeichnung für eine Neuauflage des Merkantilismus, der vorherrschenden Wirtschaftsform des 17. bis 19. Jahrhunderts. Merkantilismus ist das genaue Gegenteil von Globalisierung. Seine Anhänger stützen sich auf geschlossene Märkte und ein ­abgeschottetes Währungssystem, um ihren Wohlstand auf Kosten anderer zu mehren. Der klassische Merkantilismus beruht auf Gesetzen, die heute befremdlich wirken. Die größte Bedeutung haben konkrete Vermögenswerte wie Grundbesitz, Handelswaren und Gold. Der Erwerb von Vermögen ist ein Nullsummenspiel, bei dem ein Land Vermögen auf Kosten eines anderen erwirbt. Zum internationalen Wirtschaftsgebaren gehört es, die nationale Industrie zu bevorzugen und Waren aus dem Ausland mit Einfuhrzöllen zu belegen. Handel findet mit befreundeten Partnern und unter Ausschluss der Konkurrenten statt. Staatliche Zuschüsse und ungleiche Behandlung sind legitime Hilfsmittel zur Durchsetzung wirtschaftlicher Ziele. Die glühendsten Verfechter des Merkantilismus betrachten den Handel als Krieg. Erfolg wurde im Merkantilismus daran gemessen, wie viel Gold angehäuft wurde. 204
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus Die Wurzeln des Merkantilismus reichen bis zum Hundertjährigen Krieg des 14. und 15. Jahrhunderts zurück, doch mit der Gründung der Britischen Ostindienkompanie im Jahr 1600 und der Niederländischen Ostindienkompanie 1602 erlebte er eine neue Blüte. Offiziell handelte es sich bei den Ostindienkompanien um private Aktiengesellschaften, denen jedoch eine weitgehend monopolistische Stellung eingeräumt wurde. Darüber hinaus waren sie ermächtigt, Armeen aufzustellen, Verträge auszuhandeln, Münzen zu prägen, Kolonien zu gründen und in Asien, Afrika sowie Nord-, Süd- und Mittelamerika im Namen der Regierung zu handeln.46 Der Schwerpunkt der Forschung lag bisher auf den privaten Merkmalen dieser Unternehmen wie Aktienbesitz, Dividenden und Direktorien. Doch angesichts ihrer gleichsam hoheitsrechtlichen Befugnisse glichen sie mehr einem verlängerten Arm des Herrschers mit privaten Eigentümern und Geschäftsführern. Damit sind sie den Federal-Reserve-Banken in den USA nicht unähnlich, die sich in Privatbesitz befinden und als finanzwirtschaftliches ­Organ der Regierung auftreten. Erst im späten 18. Jahrhundert kam durch die industrielle Revolution und die Veröffentlichung von Adam Smiths Der Wohlstand der Nationen der moderne Laissez-faire-Kapitalismus mit Privatbesitz und Banken auf. Doch trotz des Erfolges der Privatwirtschaft herrschten im 20. Jahrhundert in Ländern, die von Kommunisten, Faschisten, Oligarchen und anderen ­antidemokratischen Kräften regiert wurden, noch immer staatlich kontrollierte Firmen vor. Das für uns heute ganz selbstverständliche finanzwirtschaftliche Paradigma, die freie kapitalistische Marktwirtschaft und privates Unternehmertum, war zu den meisten Zeiten und in den meisten Ländern die Ausnahme. Privates Unternehmertum mag in Hinblick auf Effizienz und Vermögensbildung führend sein, aber dies sind keine universellen Werte. Der Anspruch des Kapitalismus auf zukünftige Dominanz im Welthandel, im Finanzwesen und in der Technologie ist aus historischer Sicht nicht größer als der Anspruch der Monarchie, des Imperialismus oder des Kommunismus zu ihrer jeweiligen Zeit. 205
Teil 3 Die nächste globale Krise Scheinbare Privatfirmen, hinter denen jedoch fast unerschöpfliche staatliche Ressourcen stehen, wie die China Petroleum & Chemical Corporation (besser bekannt als Sinopec) können ohne Rücksicht auf kurzfristige finanzielle Auswirkungen auf Rohstoffe bieten, Konkurrenzfirmen aufkaufen und in Anlagen investieren. Sie können Marktanteile hinzugewinnen, indem sie Waren unter dem Selbstkostenpreis verkaufen. Sie kommen auch bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten immer an frisches Kapital heran. Derartige Einrichtungen müssen auch keine Kontrollen durch die eigene Regierung befürchten, wenn sie mit Bestechungsgeldern dafür sorgen, dass ihre Interessen von Diktatoren oder deren Truppen geschützt werden. Bei diesem Neomerkantilismus handelt es sich um Staatsmacht, die als modernes Unternehmen daherkommt: alter Wein in neuen Schläuchen. Musterbeispiele dieser neuen Unternehmensart sind staatliche Investmentfonds und Ölfirmen sowie andere Unternehmen im Staatsbesitz. Es gibt zahlreiche derartige Einrichtungen in Russland, China, Brasilien, Mexiko und anderen Schwellenländern. Auch in Westeuropa gibt es Großkonzerne im Staatsbesitz. Aktien von EADS, dem europäischen Großunternehmen für Verteidigung, Luft- und Raumfahrt, werden öffentlich gehandelt, aber die Mehrheit der Aktien wird von einem Konsortium gehalten, zu dem Holdinggesellschaften der französischen und der spanischen Regierung gehören sowie eine staatlich kontrollierte russische Bank und die Dubai Holding. Die italienische Ölfirma Eni, die zu 30 Prozent in Staatsbesitz ist, ist ein weiteres Beispiel – eines von vielen. Amerikaner zeigen gern mit dem Finger auf diese staatseigenen Einrichtungen und beklagen die Wettbewerbsverzerrung, bis man sie daran erinnert, dass die US-Regierung 2008 die Citibank, GE und Goldman Sachs mit Staatsgeldern gerettet hat. Die USA haben i­ hre eigenen halbstaatlichen Unternehmen und unterscheiden sich darin nicht grundsätzlich von anderen Ländern. Aus Sicht der USA sind Globalisierung und Staatskapitalismus nur schwer zu verstehen. US-Geheimdienstanalysten sind darauf trainiert, das sogenannte »Mirror-Imaging« zu vermeiden, also die Tendenz zu glauben, dass 206
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus andere die Welt genauso sehen wie man selbst. Bei der Einschätzung eines Gegners kann Mirror-Imaging zu fatalen Fehlern führen. Für eine Bedrohungsanalyse müssen sich die Analysten in Russen, Chinesen, Araber und andere hineinversetzen, um nicht nur die Unterschiede in Sprache, Kultur und Geschichte zu begreifen, sondern auch die unterschiedlichen Beweggründe und Absichten. Im Erdgas sehen russische Führungs­kräfte nicht nur Exporterlöse, sondern auch Macht über die europäische Industrie. Chinesischen Strategen ist klar, dass der chinesische Bestand an USStaatsanleihen eine Waffe darstellt, die entweder die US-Wirtschaft zer­ stören oder aber auch nach hinten losgehen kann. Arabische Herrscher, die erste Modernisierungsschritte unternehmen, wissen genau, dass sie sich ­damit in ein reaktionäres und religiöses Minenfeld begeben. Mit der folgenden Rundreise durch Dubai, Moskau und Peking möchte ich aufzeigen, wie Milliarden von Arabern, Asiaten und Russen die USA sehen, und deutlich machen, dass das Schicksal des Dollar nicht allein in amerikanischer Hand liegt. Dubai Würde der Film Casablanca heute gedreht, hieße er Dubai. Zentraler Schauplatz des Filmklassikers ist Rick’s Café Américain, dessen Besitzer, gespielt von Humphrey Bogart, Getränke, Musik und Glücksspiel mit ein paar Intrigen als Beilage anbietet. Die Handlung findet vor dem exotischen Hintergrund Marokkos während des Zweiten Weltkriegs statt. ­Casablanca war geprägt durch seine Neutralität, ein Ort, an dem Feinde ganz entspannt miteinander in Kontakt treten konnten. Nazis, Flüchtlinge und Waffenschmuggler saßen an benachbarten Tischen, tranken Champagner und sangen »As Time Goes By«. Ähnlich ist es heute in Dubai, einer Insel relativer Ruhe umgeben von Kriegen in Afghanistan und Libyen, krisenanfälligen Ländern wie Irak und 207
Teil 3 Die nächste globale Krise ­ ibanon, Ländern in einer Übergangsphase wie Tunesien und Ägypten L und erbitterten Feinden wie Israel und Iran. Eine ausgesprochen schlechte Nachbarschaft. Die Stelle von Rick’s Café nimmt hier das Atlantis ein, eine protzige Hotelanlage auf einer künstlichen, aus dem Meeresboden gestampften Insel in Form einer riesigen Palme, die man sogar vom Weltraum aus sehen kann. Im Atlantis befinden sich die besten Restaurants der Stadt, wo israelische Agenten und iranische Provokateure, russische Auftragskiller, saudische Waffenhändler und einheimische Schmuggler in Begleitung langbeiniger Blondinen, die in der Wüste eindeutig deplatziert wirken, einträchtig nebeneinander sitzen. In Dubai finden sie vor, was Ricks Gäste in Casablanca vorfanden: neutralen Boden, wo sie einander treffen, rekrutieren und verraten können, ohne Gefahr zu laufen, direkt verhaftet zu werden. Dubai ist ein gutes Pflaster für internationale Machenschaften. Das Wetter ist von Oktober bis März fantastisch. Dubai befindet sich mitten in einer Gefahrenzone, umgeben von Mumbai, Lahore, Teheran, Istanbul, Kairo, Khartum und den Piraten­ nestern in Somalia. Es gibt hervorragende Luftverkehrs- und Telekommunikationsverbindungen zum Rest der Welt. Dubai ist berühmt für seine ­Gebäude – dort steht das höchste Gebäude der Welt und viel postmoderner Prunk, um Besucher aus traditionelleren und repressiveren Gesellschaften zu beeindrucken. Zu all dem Glamour und den Intrigen kommt auch noch Gewalt à la Hollywood. Im März 2009 wurde im Nobelviertel Marina, ganz in der Nähe der besten Strände und Hotels der Stadt, ein russischer Warlord erschossen. Zwei Verdächtige, ein Tadschike und ein Iraner, wurden verhaftet, und in ihren Geständnissen beschuldigten sie ein Mitglied der russischen ­Duma, auf Befehl des starken Manns in Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, zu ­handeln. In einer Szene, die direkt Ian Flemings Der Mann mit dem g­ oldenen Colt entlehnt sein könnte, wurde das Opfer mit einer ver­ goldeten Pistole erschossen, die ein russischer Diplomat eingeschmuggelt hatte. 208
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus Ein noch spektakulärerer Mord ereignete sich im Januar 2010, als israelische Kundschafter und Auftragskiller – die in Teams arbeiteten, mit gefälschten Pässen reisten, in Verkleidung auftraten und hoch verschlüsselte Handys benutzten – Mahmud al-Mabhuh, einen hochrangigen Agenten der Hamas, in seinem Hotelzimmer in Dubai ermordeten, wo er vorhatte, einen Waffendeal mit seinen iranischen Lieferanten abzuschließen. Die Kriminalitätsrate in Dubai ist niedrig, doch für Terroristen mit Feinden ist nicht einmal die Wüste ein sicherer Ort. Früher war Dubai vorwiegend in zwei Wirtschaftszweigen erfolgreich: Perlentauchen und Schmuggel. Heute spielt Perlentauchen nur noch eine untergeordnete Rolle und wird hauptsächlich als Touristenattraktion betrieben. Schmuggel hingegen spielt eine größere Rolle als jemals zuvor. An der Hafenkante des Dubai Creek in der Altstadt von Dubai stapeln sich Elektrogeräte, Ersatzteile und andere Waren mit dem Bestimmungsort Iran. Wie viel Gold oder Zahlungsmittel in den Kisten mit den aufgedruckten Logos von Sony oder HP versteckt sind, kann man nur vermuten. Jenseits der Baniyas Road, die sich am Ufer entlangzieht, befinden sich die Niederlassungen iranischer Banken, wo man sofort ein Akkreditiv eröffnen kann, um eine Warenlieferung zu finanzieren – ohne sich Gedanken um US-Handelssanktionen machen zu müssen. Auf dem Creek sieht man die Daus – breite hölzerne Segelschiffe mit hohem Vordersteven und großen Lateinersegeln –, die für die Reise über den Persischen Golf nach Bandar Abbas und zu anderen Häfen an der iranischen Küste bereit sind. In Dubai gilt Schmuggel keineswegs als unehrbar; Schmuggeln gilt als eine Lebensweise. Dubai ist ein internationales Finanzzentrum und Steuerparadies, und an den Pracht- und Seitenstraßen reiht sich eine internationale Bank an die nächste. Dubai ist das wichtigste Bankenzentrum des Iran im Ausland. Die großen Banken von Dubai wirken als Vermittler für iranische Banken bei der Anbahnung von Zahlungen und Devisengeschäften mit dem Rest der Welt. Dazu gehören auch der Umtausch iranischer Reserven in Euro und Gold sowie der Verkauf von Dollar. Dubai fungiert außerdem als Banken- 209
Teil 3 Die nächste globale Krise zentrum für die somalischen Piraten. Während sich im Arabischen Meer Piraten, Besatzungen in Geiselhaft und patrouillierende Marineschiffe in einem Patt gegenüberstehen, drehen Verbindungsleute der Piraten in Dubai ihre Runden, verhandeln über Lösegeld und geben Anweisungen für die schließlichen Zahlungen weiter. Für die handfesten Reichtümer gibt es den Gold-Souk, einen der größten Märkte der Welt, wo es Gold in jeder Form – Schmuck, Münzen und ­Barren – zu kaufen gibt, das dann in Aktenkoffern in private Schatzkammern auf der ganzen Welt transportiert wird, ohne dass jemand Fragen stellt. In Dubai gibt es ein Rohstoffhandelszentrum in gläsernen Wolkenkratzern, die jeweils nach den arabischen Wörtern für Gold, Silber und Diamanten benannt sind. Unter diesen Türmen befindet sich einer der größten und bestgesichertsten Tresorräume der Welt, der von Brink’s gemanagt wird. Das Schweizer Bankgeheimnis ist unter Beschuss, und die Oligarchen sind in Russland massiver Kritik ausgesetzt. Da ist es eine gute Idee, sein Geld in anonymes Gold umzutauschen und dieses in der Wüste zu ­lagern. Das Gold, das im Souk den Besitzer wechselt, stellt nur einen Bruchteil der Reichtümer dar, die Dubai passieren. Papierwährungen werden von der Prägeanstalt beziehungsweise Druckerei an die Zentralbanken weitergereicht und von dort an die Kunden. Ein erheblicher Teil davon kursiert außerhalb des Heimatlandes. Dubai ist der größte Umschlagsplatz für die Papierwährungen der Welt. In gesicherten Lagerstätten, nahe dem Flughafen von Dubai, sind riesige Mengen an Banknoten deponiert und warten auf die Rückkehr zu den Emissionsbanken. Spionage, Mordanschläge, Gold, Geld und eine internationale Mischung von Akteuren am Knotenpunkt der Welt machen Dubai zum neuen Casablanca. Dubai ist, wie Casablanca, ein Spiegel seiner Zeit und seiner geografischen Lage. Ohne die Korruption und Dysfunktionen im Rest der Welt gäbe es keine Kundschaft für Dubai. In jedem Krieg braucht es einen neutralen Ort, und 210
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus für die Währungskriege erfüllt Dubai diese Rolle. Es gibt keine Währung, die in Dubai nicht ihr Geld wert wäre – es ist nur eine Frage des Preises. Moskau Für die Besucher Moskaus sind die sogenannten Sieben Schwestern schnell ein vertrauter Anblick. Dabei handelt es sich um eine Gruppe grauer Hochhäuser aus der Sowjetzeit, jedes etwa 150 Meter hoch, die von Stalin in Auftrag gegeben und in den späten 1940er-Jahren in einem neogotischen, totalitären Stil gebaut wurden, mit der Symmetrie, der Wuchtigkeit und den nach dem Himmel greifenden Turmspitzen, die Bürokraten weltweit lieben. Die Hochhäuser sind in einem riesigen Ring über das Stadtgebiet Moskaus verteilt, sodass in jeder Richtung eines von ihnen das Stadtbild dominiert. Sie unterscheiden sich im Detail, doch ihre Form ist ähnlich genug, um ein Déjà-vu-Gefühl hervorzurufen. Ein Besucher kann eine der Schwestern verlassen, zum Beispiel die Staatliche Universität Moskau, die ganze Stadt durchqueren und dort ein Ebenbild antreffen, etwa das frühere Leningradskaya-Hotel. Seit Kurzem existiert auf einer offenen Fläche ein Stück von der Nametkina-Straße zurückgesetzt, außerhalb des inneren Straßenrings, der das Zentrum von Moskau umgibt, eine achte Schwester. Sie ist ähnlich wuchtig und etwa genauso hoch wie die ursprünglichen sieben, mit einem pyramidenförmigen Dach, das an die Turmspitzen der Schwestern erinnert. Aber hier endet die Ähnlichkeit. Die neue, 1995 fertiggestellte Schwester hat eine glänzende, postmoderne Fassade aus blauem Glas, Stahl und Beton. Passend zu diesem zeitgemäßen Look hat das Gebäude auch eine zeitgemäße Funktion: Es ist die Firmenzentrale von Gazprom, dem größten Unternehmen Russlands, dem weltgrößten Erdgasproduzenten und der Hauptstütze der auf Rohstoffen basierenden russischen Wirtschaft. Gazprom und der russische Staat ziehen bei der Ausbeutung der Erdgasvorkommen an einem Strang. 211
Teil 3 Die nächste globale Krise Sie nennen den Rohstoff wegen seiner sauberen Verbrennungseigenschaften, die an der blauen Flamme erkennbar sind, den »blauen Brennstoff«. Selbst in einer Zeit, in der Regierungen Rettungspakete für ganze Industrien schnüren, fällt es jemandem aus dem Westen schwer, den Umfang der Transaktionen von Gazprom und seiner Verbindungen zur russischen Regierung zu erfassen. Man stelle sich vor, Exxon Mobil, J. P. Morgan und Time Warner wären ein Unternehmen mit Bill Clinton als Geschäftsführer. Der Jahresumsatz von Gazprom macht etwa 10 Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts aus. Gazprom produziert etwa 85 Prozent des russischen Erdgases und ist für über 20 Prozent der weltweiten Versorgung ­verantwortlich. Die Firma kontrolliert fast 20 Prozent der globalen und 60 Prozent der russischen Gasreserven. Sie ist vollständig vertikal integriert und umfasst Exploration, Produktion, Transport, Aufbereitung, Vermarktung und Lieferung. Zusätzlich zur Energiesparte ist Gazprom auch noch in den Bereichen Medien, Banken und Versicherungen stark engagiert und betreibt eine interne Investmentfirma. Dmitri Medwedew, seit 2008 russischer Präsident, war zweimal Aufsichtsratsvorsitzender bei Gazprom. Der aktuelle Vorsitzende Wiktor Subkow ist Vizepremierminister von Russland und damit die rechte Hand von Premierminister Wladimir Putin. Der Geschäftsführer, Alexej Miller, ist ein alter Freund Putins aus seiner Zeit in St. Petersburg in den 1990ern. Die Aktien des Unternehmens werden an verschiedenen Börsen gehandelt, doch kontrolliert wird es vom russischen Staat. Gazproms langfristige Planungen gleichen mehr einer taktischen Kriegsplanung denn einer Unternehmensstrategie. Es ist darin die Rede vom chinesischen Vektor, der Erschließung der Jamal-Halbinsel und der Errichtung von Basen in der Arktis. Die Parallelen zum Militär beschränken sich nicht auf das rein Metaphorische. Im Jahr 2007 erteilte die russische Duma Gazprom die Genehmigung, eigene Sicherheitskräfte zu unterhalten, die deutlich mehr Befugnisse haben als normale Sicherheitsfirmen. Faktisch handelt 212
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus es sich um eine firmeneigene Armee, vergleichbar denen der Handelskompanien des merkantilistischen Zeitalters. Gazprom hat außerdem einen strategischen Feind, den die Firma unbedingt zur Strecke bringen will. Der Name dieses Feindes lautet Nabucco. Nabucco ist ein Konsortium aus Mitgliedern der EU und der USA für den Bau einer Erdgas-Pipeline, über die Europa Zugang zu Erdgas bekommen soll, das nicht von Russland kontrolliert wird. Dieses Vorhaben stellt eine direkte Bedrohung von Gazproms nahezu monopolistischer Stellung auf dem europäischen Erdgasmarkt über die Pipelines durch die Ukraine und Weißrussland dar. Nabucco ist der Versuch, diese Pipelines auf eine Weise zu umgehen, die weder russisches Gas involviert noch über russisches Territorium führt. Nabucco soll zunächst Erdgasquellen in Aserbaidschan erschließen und später in Kasachstan und im Irak. Auf dem Weg nach Europa wird die Pipeline die Türkei durchqueren. Ein kritischer Abschnitt in der Nabucco-Streckenführung ist die Südkaukasus-Pipeline, die durch Georgien führt. Mit der Invasion Georgiens im August 2008 bedrohten bewaffnete russische Einheiten Nabucco und stärkten Gazproms dominante Stellung. Die Invasion fand statt, als die Rettungsaktion der USA für Fannie Mae gerade ihren Höhepunkt erreicht hatte, und Russland war zu der Zeit einer der Haupteigentümer von Fannie-MaeSchuldtiteln. Durch die Rettung von Fannie Mae schützte die Bush-Administration Russlands finanzielle Interessen mit US-Steuergeldern, während Russland gleichzeitig US-Interessen im Energiebereich bedrohte. Ein Paradebeispiel für das Netz geopolitischer Verflechtungen, in dem die Währungskriege ausgetragen werden. Russland versucht nicht nur, Nabucco lahmzulegen, sondern es fördert darüber hinaus auch zwei alternative Pipelines, die Gas aus Zentralasien nach Europa liefern sollen, aber von Gazprom kontrolliert werden und über russisches Gebiet verlaufen. Europas Gasversorgung ist ein Hauptdruckmittel Russlands, und Russland will die Kontrolle darüber nicht aufzugeben. 213
Teil 3 Die nächste globale Krise Russland droht nicht nur mit dem Einsatz des Erdgases als geopolitische Waffe. Es hat diese Waffe auch schon verschiedentlich eingesetzt. Am 1. Januar 2006 stellte Gazprom die Lieferung von Erdgas an die Ukraine ein. Die Auswirkungen waren nicht auf die Ukraine beschränkt, sondern in ganz Europa spürbar. Als offizielle Begründung wurden Abrechnungsstreitigkeiten angegeben. Die Ukraine bezahlte Russland für ihren Gasverbrauch, und umgekehrt bezahlte Russland die Ukraine für das Recht, ihr Gebiet zu durchqueren, um den Rest Europas mit Gas zu beliefern. Russland konnte die Transitgebühren in Naturalien begleichen, indem es der Ukraine einfach einen Teil des ukrainischen Gasverbrauchs nicht in Rechnung stellte. Keine dieser Zahlungen wurde nach üblichen Marktpreisen berechnet, sondern sie wurden über Mittelsmänner ausgehandelt, die vermutlich die Gelder auf Konten von russischen und ukrainischen Beamten im Ausland umleiteten. Diese Mischung aus nichtöffentlichen Verhandlungen, Mittelsmännern, Bezahlung in Naturalien und Geschäften außerhalb des Marktes führte zwangsläufig dazu, dass sich die beteiligten Parteien konstant darüber stritten, wer wem wie viel schuldete. Die Ukraine nutzte diese Verwirrung, um ihren chronischen Mangel an harter Währung und ihre Zahlungsverzüge zu verschleiern. Mit der Zeit machte Russland die Erfahrung, dass es dieselben Unklarheiten für eigene Zwecke nutzen konnte – indem es seine Streitigkeiten mit der Ukraine vorschob, um die Lieferungen nach Europa zu unterbrechen, und die Ukraine für den Ausfall verantwortlich machte. Russland konnte sich als geschädigter Gläubiger in Szene setzen und gleichzeitig Europa die Konsequenzen seiner Energieabhängigkeit aufzeigen. Ab dem 1. Januar 2009 stoppte Russland seine Lieferungen an die Ukraine ein weiteres Mal, und diesmal mit schwerwiegenderen Folgen: umfassende Fabrikschließungen in Osteuropa und ungeheizte Wohnungen mitten im Winter. Am 7. Januar eskalierte der Gaskrieg, und die direkten Lieferungen an die Ukraine wurden vollständig eingestellt. Doch die Ukraine zweigte Teile der Transitmengen für den eigenen Gebrauch ab, was zu Engpässen 214
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus in ganz Osteuropa und ernsten Folgen in Ungarn, Polen und anderen Staaten führte. Russland benutzte die Ukraine als Geisel, aber die Ukraine ihrerseits benutzte den Rest Europas als Geisel, um sich zu schützen – eine Reaktion, die für Russland durchaus absehbar hätte sein können. Schließlich erbrachten Verhandlungen auf oberster Ebene zwischen Putin und der damaligen ukrainischen Premierministerin Julija Tymoschenko, die eine ganze Nacht dauerten, neue Preisvereinbarungen, und Russland nahm die Lieferungen wieder auf. Damit sind die Gaskriege aber mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht beendet. Dafür spricht Putins Vorschlag, der Rest Europas solle der Ukraine bei ihren Zahlungsschwierigkeiten unter die Arme greifen, um sich selbst vor den Folgen künftiger Lieferstopps zu schützen. Dieser Vorschlag regionalisiert das Problem und zeigt, dass Russland bereit ist, Gas- und Währungswaffen in Kombination und aggressiv einzusetzen. Im Mai 2009 veröffentlichte Russland die offizielle »Strategie der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation bis zum Jahr 2020«.47 Dabei handelt es sich um einen Überblick über die globalen und strategischen Chancen und Herausforderungen, vor denen Russland steht. Neben der üblichen Analyse der Waffensysteme und Bündnisse wird in dem Strategiepapier eine Verbindung zwischen Energie und Landesverteidigung hergestellt und es bezieht die Weltfinanzkrise, Währungskriege, Störungen in den Versorgungsketten und Streitigkeiten um andere natürliche Ressourcen wie Wasser in die Überlegungen ein. Die Strategie schließt den Einsatz militärischer Mittel zur Lösung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit Finanzen oder Rohstoffen nicht aus. Russland perfektioniert den Einsatz von Erdgas als Waffe mitten in einer globalen Finanzkrise. Dadurch erzielt es einen Multiplikatoreffekt – eine Verstärkung der Offensivkraft über das normale Maß hinaus. Russlands Lieferstopps für Erdgas sind zu jeder Zeit verheerend. Aber mitten in einer europäischen Staatsschuldenkrise und einem Zusammenbruch des Immo- 215
Teil 3 Die nächste globale Krise bilienmarktes könnte der nächste Erdgaslieferstopp katastrophale Auswirkungen haben. Natürlich gibt es für die Opfer des Krieges um den blauen Brennstoff Abhilfe. Sie können sich im Austausch für sichere und verlässliche Energie zu vernünftigen Preisen von der NATO, dem Euro, dem Dollar und dem Westen abwenden und sich wieder in die russische Einflusssphäre begeben. Dabei ist es aus russischer Sicht gar nicht notwendig, dass die neuen Vasallen wieder das totalitäre politische System der sowjetischen Vergangenheit annehmen. Sie müssen sich nur in geopolitischen Fragen als verlässliche Verbündete erweisen und einer Rubel-Währungszone beitreten, während sie wie Russland selbst eine demokratische Fassade aufrechterhalten. Russland spricht auch offen davon, den Dollar als dominante Reservewährung vom Thron stürzen zu wollen. Der Rubel kann den Dollar bei internationalen Reserven nicht ersetzen, aber er könnte zu einer regionalen Reserve- und Handelswährung für russische und zentralasiatische Gaslieferanten und osteuropäische Gaskunden werden und somit den Dollar zumindest in diesem Bereich verdrängen. Einen deutlicheren Hinweis auf kommende Kämpfe um den blauen Rohstoff hätte Russland nicht geben können, als es mit Worten und Taten bereits geschehen ist. Energie ist der Bolzen, mit dem ein regionaler Wirtschaftsblock mit dem Rubel als regionaler Reservewährung zusammengeschweißt wird. Der Dollar bleibt dabei außen vor. Peking Besonders auffallend an der chinesischen Geschichte ist der häufige und abrupte Wechsel zwischen Ordnung und Chaos im Lauf der Jahrtausende. Trotz der augenscheinlichen wirtschaftlichen Dynamik des heutigen China ist ein plötzlicher Zusammenbruch jederzeit möglich und könnte durch Inflation, Zunahme der Arbeitslosigkeit, ethnische Spannungen oder eine ge- 216
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus platzte Immobilienblase verursacht werden. Anhaltende und verbreitete Arbeitslosigkeit ist in China eine größere Gefahr für die Stabilität als in stärker industrialisierten Ländern, insbesondere wenn mit steigender Arbeitslosigkeit die sozialen Aufstiegschancen für dutzende Millionen Einwohner verloren gehen. Zusätzlich zum normalen Bevölkerungsdruck sitzt China auf einem demografischen Pulverfass in Form eines »Männerüberschusses« in der Größenordnung von 24 Millionen – ein Ergebnis der Tötung neugeborener Mädchen durch Säuglingsmord und geschlechtsselektive Abtreibungen als Folge der chinesischen Ein-Kind-Politik. Viele dieser Männer sind jetzt ­etwa A ­ nfang 20. Es ist eine traurige Tatsache, dass alleinstehende, arbeits­ lose Männer Anfang 20 häufig mit antisozialen Verhaltensweisen wie Bandenkriminalität, Mord, Drogen und Alkohol zu tun haben. Interne soziale Instabilität, ausgelöst durch einen Überschuss an alleinstehenden Männern in Verbindung mit einer Inflation der Lebensmittelpreise und Massenarbeitslosigkeit stellt in den Augen der chinesischen Regierung eine weitaus größere Bedrohung dar als das US-Militär. Das Problem der Instabilität kann teilweise durch Investitionen in Infrastruktur, durch die Arbeitsplätze entstehen, entschärft werden. Doch um diese Investitionen zu finanzieren, ist China auf seine Währungsreserven angewiesen. Was geschieht, wenn die USA diese Reserven durch Inflation entwerten? Inflation mag für die politische Führung in den USA sinnvoll erscheinen, aber der daraus resultierende Vermögenstransfer von China an die USA stellt für die Chinesen eine existenzielle Bedrohung dar. Die Kaufkraft seiner Reserven zu erhalten, ist für China von entscheidender Bedeutung, um die soziale Kontrolle im Land zu gewährleisten. Die Chinesen warnen die USA, dass sie eine Inflation des Dollars nicht hinnehmen und Gegenmaßnahmen ergreifen werden, um einen Vermögensverlust zu verhindern. Der Währungskrieg zwischen den USA und China steht erst am Anfang, und die quantitative Lockerung der Fed kann man durchaus als ersten Schuss deuten, der von den USA abgefeuert wurde. 217
Teil 3 Die nächste globale Krise Die anschaulichste Darstellung der chinesischen Denkweise zum Thema finanzwirtschaftliche Kriegsführung findet sich in einem Essay, der in englischer Übersetzung unter dem Titel »The War God’s Face Has Become Indistinct« in einem Buch über uneingeschränkte Kriegsführung erschienen ist, das 1999 von den Obersten der Volksbefreiungsarmee Qiao Liang und Wang Xiangsui geschrieben wurde. Eine Passage verdient es, ausführlich ­zitiert zu werden: Finanzwirtschaftliche Kriegsführung ist nun offiziell in den Mittelpunkt der Kriegskunst gerückt – eine Position, die über Tausende von Jahren durch Soldaten und Waffen eingenommen wurde … Wir sind der Ansicht, dass »finanzwirtschaftliche Kriegsführung« bald Eingang in die … Wörterbücher für den offiziellen Militärjargon finden wird. Wenn die Geschichtsbücher über die Kriegsführung im 20. Jahrhundert … überarbeitet werden, wird der Abschnitt über finanzwirtschaftliche Kriegsführung die besondere Aufmerksamkeit der Leser auf sich ziehen … Heute sind nukleare Waffen bereits zu schauerlichen Staubfängern auf dem Kaminsims verkommen, die … an operativem Nutzen verlieren, und der Finanzkrieg wurde zu einer »hyperstrategischen« Waffe. Diese Waffe erregt die Aufmerksamkeit der Welt, weil sie leicht manipulierbar ist, verdeckte Aktionen erlaubt und eine hohe Zerstörungskraft besitzt.48 Eine nähere Betrachtung dieser Militärdoktrin führt zu dem Schluss, dass die zukünftige Geopolitik weniger dem wohlwollenden multilateralen Ethos eines »Davos Man« folgen wird, sondern eher einer düsteren Schreckensvision gleichkommen wird, geprägt von Rohstoffknappheit, dem Zusammenbruch der Infrastruktur, Merkantilismus und Bankrott. Chinas Ruf nach einer Ablösung des US-Dollar als Weltreservewährung, der von bornierten Welteliten regelmäßig zurückgewiesen wird, würde vielleicht ernster genommen, wenn diese Eliten mit der chinesischen Strategie der finanzwirtschaftlichen Kriegsführung genauso vertraut wären wie mit keynesianischer Theorie. Der Markt für US-Staatsanleihen ist die Hauptverbindung Chinas mit dem Weltfinanzsystem. China ist zwar die älteste Zivilisation der Geschichte und eine aufstrebende Supermacht, aber an der Wall Street ist es vor allem der 218
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus beste Kunde der Welt. Chinas Käufe und Verkäufe an US-Staatsanleihen für seine Reserven werden über das Netzwerk der Primärhändler abgewickelt. Großkunden wie China ziehen den Handel mit den Primärhändlern vor, weil diese durch ihre privilegierte Beziehung zur Fed über die besten Informationen verfügen, was die Marktbedingungen betrifft. Beziehungen sind unverzichtbar für einen guten Überblick über die Märkte, und China bedient sich dieser Beziehungen. Wenn China bei einer Bank anruft, meldet sich niemals der Anrufbeantworter. Es wurden Direktleitungen von Chinas Zentralbank und Staatsfonds zu den gigantischen Handelsabteilungen von UBS, J. P. Morgan, Goldman Sachs und anderen großen Banken eingerichtet. Ein Händler weiß, dass China in der Leitung ist, bevor er den Hörer abnimmt. Es werden Codenamen verwendet, damit Verkäufer und Händler beim Market Making nicht belauscht werden können. Wenn China mit US-Anleihen handeln will, ruft es im Normalfall mehrere Händler gleichzeitig an und macht sich die Konkurrenz unter den Händlern zunutze. China erwartet – und bekommt – aufgrund des riesigen Umfangs der Geschäfte, die es tätigt, die höchsten Gebote für die Anleihen, die es abstoßen will. Verlässliche Zahlen über Chinas Erwerbungen von US-Staatsanleihen gibt es kaum, da China sich, was seine Bestände betrifft, bedeckt hält. Nicht alle Anleihen in Dollar werden von der US-Regierung ausgegeben, und nicht jede Staatsanleihe vom Finanzministerium. Viele US-Staatsanleihen werden von Fannie Mae, Freddie Mac und anderen Agenturen emittiert. China ist im Besitz einiger Anleihen in Dollar, die von Banken und anderen Einrichtungen ausgegeben wurden, die nicht der US-Regierung unterstehen. Zweifellos besteht der überwiegende Teil von Chinas Dollarbesitz aus Anleihen des US-Finanzministeriums in jeder Form. Offizielle Schätzungen der USA beziffern den chinesischen Bestand an US-Staatsanleihen des Finanzministeriums auf über eine Billion Dollar. Berücksichtigt man zusätzlich die Anleihen von Regierungsagenturen wie Fannie Mae und Freddie Mac, dann liegt der Gesamtwert an US-Staatsanleihen deutlich höher. 219
Teil 3 Die nächste globale Krise Chinas größte Angst ist, dass die USA ihre Währung durch Inflation abwerten und den Wert der chinesischen Anlagen in Schuldtitel der USA zerstören. Es wurde viel spekuliert, China könne als Vergeltung für eine US-Inflation die eine Billion Dollar an Staatsanleihen in seinem Besitz bei einem Panikverkauf auf einmal abstoßen, wodurch der US-Zinssatz in die Höhe schießen und der Dollar auf den Devisenmärkten einbrechen würde. Die Folgen wären höhere Kosten für Hypotheken und niedrigere Immobilienpreise in den USA sowie weitere finanzwirtschaftliche Verwerfungen. Es gibt außerdem Befürchtungen, China könne dieses finanzielle Druckmittel benutzen, um die US-Politik bei Themen wie Taiwan, Nordkorea oder der quantitativen Lockerung zu beeinflussen. Die meisten Beobachter halten diese Befürchtungen für unbegründet. Sie sind der Meinung, China würde schon allein deswegen seine US-Staatsanleihen niemals auf einen Schlag abstoßen, weil es ganz einfach zu viele davon besitzt. Der Anleihenmarkt ist zwar tief, aber doch nicht so tief, und der Preis für US-Staatsanleihen würde bereits kollabieren, wenn China erst einen kleinen Teil seiner Anleihen verkauft hätte. Den Löwenanteil der daraus entstehenden Verluste hätten die Chinesen selbst zu tragen. Ein massenweiser Verkauf von US-Staatsanleihen käme für die Chinesen einem ökonomischen Selbstmord gleich. Dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass die Chinesen den USA auch noch auf andere, weit weniger kostspielige Art ebenso großen Schaden zufügen können. Staatsanleihen werden mit unterschiedlichen Laufzeiten gehandelt, die von 30 Tagen bis 30 Jahren reichen können. Die Chinesen könnten in ihrem Anlagenmix den Anteil der Anleihen mit langen Laufzeiten zugunsten von Anleihen mit kurzen Laufzeiten verringern, ohne dass sich die Gesamtsumme ihrer Investitionen verändert. Die Anleihen mit kürzeren Laufzeiten sind weniger volatil, wodurch die Chinesen besser vor einem Marktschock geschützt wären. Nach einer solchen Umschichtung wäre das chinesische Portfolio auch disponibler, wodurch ein vollständiger Ausstieg der Chinesen aus Finanzanlagen in US-Staatsanleihen sehr viel ein- 220
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus facher würde. Es wären keine Massenverkäufe notwendig. Die Chinesen müssten nur das Ende der Laufzeiten der neuen Anleihen abwarten, die unter Umständen nur sechs Monate betragen. Das hätte den Effekt eines kürzer eingestellten Zeitzünders. Außerdem diversifizieren die Chinesen ihre Barreserven auf breiter Front weg von allen Anlageformen in Dollar. Auch das führt nicht zu massenhaften Verkäufen und Re-Investitionen, sondern bedeutet nur, dass neue Reserven in anderen Bereichen angelegt werden. Die Chinesen erzielen jedes Jahr Erlöse aus ihrem Handelsüberschuss in Höhe von mehreren hundert Milliarden Dollar. Das sind riesige Geldbeträge, die zusätzlich zu den bereits bestehenden Reserven angelegt werden müssen. Existierende Reserven können weiter in US-Staatsanleihen bestehen bleiben, während die neuen Reserven auf jede andere Art verwendet werden können, die den Chinesen sinnvoll erscheint. Die Investitionsmöglichkeiten in anderen Währungen sind jedoch begrenzt. Die Chinesen können Anleihen in Yen, Euro und Sterling erwerben, die von Regierungen und Banken außerhalb der USA emittiert werden, aber die Auswahlmöglichkeiten sind gering – es gibt ganz einfach nicht genügend davon. Kein anderer Markt hat die Tiefe oder die Qualität des Marktes für US-Staatsanleihen. Aber Chinas Wahlmöglichkeiten sind nicht auf den Anleihenmarkt begrenzt. Die andere führende – und von den Chinesen inzwischen bevorzugte – Anlagemöglichkeit sind börsengehandelte Rohstoffe. Zu den börsengehandelten Rohstoffen zählen nicht nur Gold, Öl, Kupfer und dergleichen, sondern auch Aktien von Bergbauunternehmen, die Rohstoffe besitzen – über die man indirekt Besitzer der eigentlichen Rohstoffe wird –, und Agrarflächen, auf denen Rohstoffe wie Weizen, Mais, Zucker und Kaffee angebaut werden können. Außerdem gehört noch der wertvollste aller Rohstoffe dazu: Wasser. Es gibt inzwischen Spezialfonds für den Einkauf von Rechten an Süßwasser aus tiefen Seen und Gletschern in Pa- 221
Teil 3 Die nächste globale Krise tagonien. Die Chinesen können in diese Fonds investieren oder direkt Süßwasserquellen aufkaufen. Diese Investitionsprogramme für Rohstoffe sind bereits in vollem Gang. So verdoppelte China zwischen 2004 und 2009 insgeheim seine Goldreserven. China führte über einen seiner Staatsfonds, die Staatliche Chinesische Devisenbehörde (SAFE), verdeckte Goldkäufe bei Händlern auf der ganzen Welt durch. Da SAFE nicht zur chinesischen Zentralbank gehört, hatte die Zentralbank offiziell nichts mit diesen Geschäften zu tun. In einer einzigen Transaktion transferierte SAFE 2009 seine gesamte Position über 500 Tonnen Gold durch einen einfachen Buchhaltungsvorgang an die Zentralbank. Die Welt erfuhr davon erst im Nachhinein.49 China argumentiert, die Geheimhaltung sei notwendig gewesen, um einen Anstieg des Goldpreises zu vermeiden, der als Reaktion des Marktes auf die Aktivitäten eines einzelnen Großeinkäufers entsteht. Das ist ein weit verbreitetes Problem, das von Ländern normalerweise vermieden wird, indem sie Erwerbspläne langfristig ankündigen und sich bei der zeitlichen Planung nicht genau festlegen, damit der Markt das Auftreten eines Käufers nicht ausnutzen kann. In diesem Fall ging China über eine flexible zeitliche Planung hinaus und führte seine Transaktionen heimlich durch. Welche finanziellen Transaktionen finden wohl derzeit im Verborgenen statt? Während die Chinesen an mehreren Fronten vorrücken, halten die USA die Vormachtstellung des Dollar weiterhin für unangreifbar. ­Chinas Haltung gegenüber dem US-Dollar wird vermutlich aggressiver werden, je mehr die Diversifizierung seiner Reserven voranschreitet. Chinas aktuelle Umorientierung hin zu Sachwerten verkürzt die voraussichtliche Überlebens­zeit des Dollar weiter. 222
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus Der Zusammenbruch Nach dieser Städtetour durch die Hotspots der Finanzwirtschaft bleibt noch die Frage nach der wahrscheinlich größten aller Gefahren: Korrelation. Im Zusammenhang mit globaler finanzwirtschaftlicher Kriegsführung steht Korrelation für mindestens zwei Bedrohungen aus dem Ausland, die gleichzeitig ihre schädliche Wirkung entfalten, entweder durch Koordination oder weil die eine Gefahr die andere auslöst. Wenn Russland einen Angriff auf den Westen durch einen Lieferstopp für Erdgas durchführte, könnte es für China durchaus sinnvoll sein, seine Anstrengungen bei der Diversifizierung weg von Finanzvermögen hin zu Sachwerten zu verstärken, da durch Russlands Aktionen Preisspitzen zu erwarten wären. Wenn China seinerseits eine neue Reservewährung auf Basis von Rohstoffen ausriefe, könnte es für Russland Sinn ergeben, Zahlungen für Öl- und Erdgasexporte nicht mehr oder erst wieder nach einer empfindlichen Abwertung gegenüber der neuen Währung in Dollar zu akzeptieren. China und Russland könnten auch auf die Idee kommen, ihre Rohstoffund Währungsattacken insgeheim zeitlich zu koordinieren, damit sie sich gegenseitig verstärken. Sie könnten im Vorfeld ihrer Aktionen mithilfe von Hebeleffekten und Derivaten große Positionen aufbauen. Neben dem eigentlichen Angriff könnten die beiden Länder durch im Vorfeld durchgeführte Insidergeschäfte zusätzliche Profite aus ihrem Vorgehen ziehen. Iraner mit Zugang zu Banken in Dubai, die diese Entwicklungen beobachten, könnten sich zu einem Krieg gegen Saudi-Arabien oder zu einem Terror­ anschlag entschließen, nicht notwendigerweise in Absprache mit den Russen oder Chinesen, sondern weil der finanzielle Multiplikator-Effekt eines Angriffs so viel stärker wäre. Bei einer nahezu synchronen Kombination aus einer russischen Rohstoffattacke, einer chinesischen Währungsattacke und einer militärischen Attacke des Iran gegen die USA und ihre Interessen wären die Auswirkungen auf die angespannten Kapitalmärkte vorhersehbar. Die Folge für die ­Märkte ­wäre 223
Teil 3 Die nächste globale Krise das finanzwirtschaftliche Äquivalent eines Schlaganfalls. Die Märkte würden nicht einfach zusammenbrechen. Sie würden vielleicht ihre Funktionsfähigkeit vollständig einbüßen. Die ersten Vorläufer einer solchen Bedrohung machen sich bereits be­ merkbar. Diese Bedrohung ist keine abstrakte Annahme des ungünstigsten Falls, sondern die Fortschreibung von aktuellen Ereignissen wie den ­folgenden: – 28. Oktober 2008: Interfax berichtet, der russische Premierminister Wladimir Putin habe dem chinesischen Premier Wen Jiabao geraten, den Dollar als Handels- und Reservewährung aufzugeben. – 15. November 2008: Associated Press berichtet, der Iran habe seine ­Finanzreserven auf Gold umgestellt. – 19. November 2008: Dow Jones berichtet, China erwäge eine Zielvor­ gabe für seine offiziellen Goldreserven von 4 000 Tonnen, um durch ­eine Diversifizierung das Risiko durch Dollaranlagen zu verringern. – 9. Februar 2009: Die Financial Times berichtet, der Handel mit Goldbarren habe einen neuen Höchststand erreicht. – 18. März 2009: Reuters berichtet, die Vereinten Nationen unterstützten Rufe nach einer Abkehr vom US-Dollar als Weltreservewährung. – 30. März 2009: Agence France Press berichtet, Russland und China ­kooperierten bei der Schaffung einer neuen Weltreservewährung. – 31. März 2009: Die Financial Times berichtet, China und Argentinien hätten einen Währungsswap vereinbart, der Argentinien erlaube, chinesische Yuan anstelle von US-Dollar zu verwenden. 224
Kapitel 8 – Globalisierung und Staatskapitalismus – 26. April 2009: Agence France Press berichtet, China verlange eine Reform des Weltwährungssystems und die Ablösung des US-Dollar als führende Reservewährung. – 18. Mai 2009: Die Financial Times berichtet, Brasilien und China hätten sich auf die Untersuchung der Möglichkeit eines bilateralen Handels ohne Dollar geeinigt. – 16. Juni 2009: Reuters berichtet, Brasilien, Russland, Indien und China hätten bei einem Treffen der BRIC-Staaten ein »breiter aufgestelltes, stabileres und berechenbareres Währungssystem« gefordert. – 3. November 2009: Bloomberg berichtet, Indien habe IWF-Gold im Wert von 6,7 Milliarden Dollar erworben und sich aufgrund der Schwäche des Dollars von Vermögensanlagen in Dollar getrennt. – 7. November 2010: Der Präsident der Weltbank Robert Zoellick schlägt vor, die G20 sollten »darüber nachdenken, Gold als internationalen Referenzpunkt für die Markterwartungen in Bezug auf Inflation, Deflation und zukünftige Währungskurse zu verwenden«. – 13. Dezember 2010: Der französische Präsident Nicolas Sarkozy ruft dazu auf, eine größere Rolle der SZR im Weltwährungssystem zu erwägen. – 15. Dezember 2010: Businessweek berichtet, China und Russland hätten gemeinsam gefordert, die Rolle des Dollar im Welthandel einzuschränken, und verkündet, sie hätten einen Mechanismus zur Währungsverrechnung im Handel zwischen Yuan und Rubel eingeführt. Dies ist nur eine Auswahl vieler Berichte, die darauf hindeuten, dass China, Russland, Brasilien und andere Länder nach einer Alternative für den Dollar als Weltreservewährung suchen. Häufig werden auch Rohstoffe als Basis für eine neue Währung ins Gespräch gebracht. 225
Teil 3 Die nächste globale Krise Das sind besorgniserregende Entwicklungen, die schwierige Entscheidungen erfordern. Eine Wahrung der nationalen Sicherheitsinteressen der USA erfordert die Kenntnis des Kräftespiels auf den globalen Kapitalmärkten. Die Abhängigkeit der USA von traditionellen Rivalen für ihre Schulden­ finanzierung schränkt nicht nur die Fiskalpolitik ein, sondern auch die natio­ nale Sicherheit und die militärischen Möglichkeiten des Landes. Die geopolitischen Dominosteine fallen bereits in Pakistan, Somalia, Thailand, Island, Ägypten, Libyen, Tunesien und Jordanien. Deutlich größere Domino­steine wackeln schon, zum Beispiel in Osteuropa, Spanien, Mexiko, Iran und Saudi-Arabien. Die Herausforderungen für die USA werden größer, während der Dollar immer schwächer wird. Von den großen drei der Weltpolitik, den USA, Russland und China, sind die USA am besten gegen finanzwirtschaftliche Angriffe aus dem Ausland abgesichert, doch scheinen sie entschlossen, sich selbst durch die Abwertung des Dollar zu schwächen. Russland ist sichtlich geschwächt, doch seine Schwäche könnte zu seiner Stärke werden – es hat sich in seiner Geschichte schon mehrmals von der Welt abgewendet und autark gelebt. China macht einen widerstandsfähigen Eindruck, aber es hat sich in der Vergangenheit als anfällig erwiesen. In den vergangenen 5 000 Jahren bestand es abwechselnd als zentral geführtes Kaiserreich und als Ansammlung sich bekriegender Kleinstaaten. Es ist schwer einzuschätzen, wie groß die Angst der chinesischen Führung vor den kleinsten Anzeichen von Unruhen durch Arbeitslose, die Landbevölkerung, Falun Gong, die Tibeter, die Uiguren, nordkoreanische Flüchtlinge oder viele weitere potenziell zerstörerische Kräfte ist. Eine Weltwirtschaftskrise könnte durch ihre komplizierte Dynamik 60 Jahre Regierung durch die Kommunistische Partei Chinas zunichtemachen. Hinter den Kulissen steht der Iran bereit, der die wirtschaftliche Schwäche der USA als ultimativen Multiplikatoreffekt betrachtet, der dem Iran im Falle eines Angriffs auf seine Nachbarstaaten im Nahen Osten helfen würde. Wir sind bereits in den Sog dieses Strudels geraten. Die Verbindung aus ungezügeltem globalem Kapital und instabiler Geopolitik gleicht einem Raubtier, das anfängt, seine Krallen zu zeigen. 226
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft »Wir wollen uns lediglich erinnern, daß menschliche Entscheidungen, welche die Zukunft beeinflussen … sich nicht auf strenge mathematische Erwartung stützen können, weil die Grundlage für solche Berechnungen nicht besteht; und daß es unser angeborener Drang zur Tätigkeit ist, der die Räder in Bewegung setzt, wobei unser vernünftiges Ich nach bestem Können seine Wahl trifft … aber oft für seine Beweggründe zurückfallend auf Laune, Gefühl oder Zufall.« John Maynard Keynes, 1935 Ende der 1940er-Jahre löste sich die Wirtschaftswissenschaft von ihren ehemaligen Verbündeten in der Politikwissenschaft, Philosophie und Rechtswissenschaft und suchte eine neue Allianz mit den exakten Wissenschaften der Mathematik und Physik. Ironischerweise wandte sich die Wirtschaftswissenschaft ausgerechnet zu einem Zeitpunkt der klassischen Physik und der Kausalitätstheorie zu, als man sich in der Physik immer mehr mit Relativität und Komplexität befasste. Die Stiftung eines Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften 1968, 67 Jahre nach der ersten Verleihung des Nobelpreises für Physik, bestätigte die akademische Metamorphose. Die Wirtschaftswissenschaftler wurden die neuen Hohepriester für einen großen Teil des menschlichen Handelns – Vermögensaufbau, Arbeitsplätze, Sparen und Investieren – und waren mit Gleichungen, Modellen und ­Computern bestens zur Ausübung ihrer priesterlichen Funktionen ausgestattet. Seit den Anfängen des Laissez-faire-Kapitalismus bricht in Wirtschaftssystemen immer wieder Chaos aus. Spekulationsblasen, Paniken, Zusammenbrüche und Rezessionen kommen und gehen mit der Häufigkeit von Überschwemmungen und Wirbelstürmen. Das mag nicht sonderlich über- 227
Teil 3 Die nächste globale Krise raschen, weil die Wirtschaftswissenschaften in der menschlichen Natur wurzeln und diese Dynamik immer am Werk ist. Doch die neuen, naturwissenschaftlich ausgerichteten Wirtschaftswissenschaften verhießen etwas Besseres. Die Wirtschaftswissenschaftler versprachen, dass die Schwankungen des Marktes durch die Feinabstimmung der Steuer- und Geldpolitik, durch den Ausgleich der Handelsbilanzen und die Verteilung der Risiken bei Derivaten ausgeglichen werden könnten und dass das Wachstum alles übersteigen würde, was in der Vergangenheit möglich gewesen war. Die Wirtschaftswissenschaftler versprachen auch, dass durch die Abschaffung des Goldstandards das für ein anhaltendes Wachstum nötige Geld zur Verfügung stehen würde und dass durch die Derivate das Risiko in den Händen derjenigen liege, die am besten damit umgehen könnten. Doch die Finanzkrise 2008 zeigte, dass es sich um leere Versprechungen gehandelt hatte. Nur massive staatliche Interventionen in Form von Kapitalgarantien für die Banken, Kapital für Interbankkredite, Geldmarktgarantien, Kreditgarantien, Einlagensicherungen und vieler anderer Hilfen verhinderten einen Kollaps der Kapitalmärkte und der Wirtschaft. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen hatten die Makroökonomen, Politiker und Risikomanager den Zusammenbruch nicht vorhergesehen und wussten sich nicht anders zu helfen, als den Markt mit billigem Geld zu überschwemmen. Will man mehr über die Gründe erfahren, ist ein Blick ins Jahr 1947 hilfreich, dem Jahr, in dem Paul Samuelsons Buch Foundations of Economic Analysis erschien. Dieses Jahr könnte man als Übergang zwischen den Wirtschaftswissenschaften als Sozialwissenschaft und dem neuen Zeitalter der Wirtschaftswissenschaften als Naturwissenschaft betrachten. Es zeigt sich, dass sich das Marktverhalten vorher und nachher ähnelt. Der Zusammenbruch des Hedgefonds Long-Term Capital Management 1998 weist Paralle­ len zur Pleite des Knickerbocker Trust und der Panik von 1907 auf, denn in allen Fällen kam es zu einer ansteckenden Dynamik, bis schließlich die Banken eingriffen, die am meisten zu verlieren hatten. Der Kurssturz vom 19. Oktober 1987, als der Dow Jones an einem einzigen Tag um 22,61 Pro- 228
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft zent einbrach, erinnert an den zweitägigen Kurseinbruch von 23,05 Prozent am 28. und 29. Oktober 1929. Die Arbeitslosigkeit im Jahr 2011 in den USA ist mit den Arbeitslosenzahlen zu Zeiten der Großen Depression vergleichbar, wenn man für beide Zeiträume die gleichen Bemessungsmethoden in Bezug auf Arbeitslose, die entmutigt sind und keine Arbeit mehr suchen, verwendet. Kurz gesagt, deutet nichts darauf hin, dass die sogenannte »harte« Wirtschaftswissenschaft seit 1947 die klassischen Probleme des Konjunkturzyklus dank moderner Methoden erfolgreich bekämpft hat. Im Gegenteil, die moderne ökonomische Praxis hat eher dafür gesorgt, dass es der Gesellschaft schlechter geht, wenn man an die hohen Staatsausgaben, die wachsende Staatsverschuldung, die immer größere Schere zwischen Arm und Reich und die steigende Zahl der Langzeitarbeitslosen denkt. Aufgrund der aktuellen Krisen und Versäumnisse gelten Wirtschaftswissenschaftler auch beim normalen Bürger nicht mehr als unfehlbar. Was in der Wirtschaftswissenschaft funktioniert und was nicht, ist kein rein akademisches Problem mehr, wenn 44 Millionen Amerikaner von Lebensmittelmarken leben müssen. Die Behauptungen von Wirtschaftstheoretikern über Multiplikatoren, Rationalität, Effizienz, Korrelation und die Normalverteilung beim Risiko sind nicht mehr nur bloße Abstraktion. Sie sind zur Bedrohung für das Wohlergehen der Nation geworden. Gravierende Fehleinschätzungen der Wirtschaftswissenschaftler treten in der Politik der Federal Reserve zutage, im Keynesianismus, Monetarismus und der Finanzmarkttheorie. Wenn man diese Fehleinschätzungen erkennt, versteht man auch, warum das Wachstum stagniert und es zu Währungskriegen kommen kann. Die Federal Reserve Das amerikanische Federal Reserve System ist die mächtigste Zentralbank, die es je gab, und die beherrschende Kraft in der amerikanischen Wirtschaft von heute. Die Federal Reserve hat die Aufgabe, für Preisstabilität zu sorgen 229
Teil 3 Die nächste globale Krise und die Arbeitslosigkeit zu verringern. Außerdem gilt sie bei einer Finanzkrise als »Lender of the Last Resort«, als Kreditgeber der letzten Zuflucht, der in Not geratene Banken mit Geld versorgt. Eine weitere Aufgabe ist die Regulierung der Banken, vor allem jener, die als »too big to fail« gelten, also als zu groß, um sie bankrottgehen zu lassen. Die Fed vertritt die USA bei multilateralen Zentralbankkonferenzen etwa im Rahmen der G20 oder der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und führt Transaktionen in Zusammenhang mit den staatlichen Goldreserven durch. Darüber hinaus hat die Fed durch den Dodd-Frank-Act, ein Gesetz zur Reform der Finanzmärkte von 2010, weitere Aufgaben erhalten. Doch dieses »duale« Mandat erinnert eher an eine Hydra mit vielen Köpfen. Seit ihrer Gründung 1913 besteht die wichtigste Aufgabe der Fed darin, die Kaufkraft des Dollar zu erhalten, dennoch hat der Dollar bislang über 95 Prozent seines Wertes eingebüßt. Das heißt, dass man heute 20 Dollar benötigt, um etwas zu kaufen, für das 1913 ein einziger Dollar genügte. Stellen Sie sich einen Investmentberater vor, der 95 Prozent des ihm anvertrauten Vermögens verliert, dann haben Sie eine Ahnung davon, wie wirksam die Fed ihrer Hauptaufgabe nachgekommen ist. Die Leistungsbilanz der Fed hinsichtlich der Preisstabilität des Dollar fällt im Vergleich zur Römischen Republik sehr blass aus, denn der Silber­denar bewahrte über 200 Jahre lang 100 Prozent seiner ursprünglichen Kaufkraft, bis Kaiser Augustus Ende des 1. Jahrhunderts vor Christus mit seiner Abwertung begann. Der goldene Solidus des Byzantinischen Reichs hat eine noch beeindruckendere Bilanz, seine Kaufkraft blieb praktisch über 500 Jahre lang unverändert, von der Geldreform im Jahr 498 nach Christus bis zur Abwertung 1030. Zur Verteidigung der Fed könnte man anführen, dass der Dollar zwar 95 Prozent seines Wertes verloren hat, die Löhne jedoch um einen Faktor über 20 gestiegen sind und damit die verminderte Kaufkraft ausgleichen. Die Vorstellung, dass sich Preise und Löhne parallel bewegen, ohne dass Schaden 230
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft entsteht, bezeichnet man als Neutralität des Geldes. Allerdings ignoriert diese Theorie, dass Löhne und Preise zwar zusammen gestiegen sind, aber nicht einheitlich in allen Bereichen. Dadurch gibt es unverdiente Gewinner und Verlierer. Verlierer sind normalerweise die Amerikaner, die umsichtig gespart haben, und Ruheständler, deren feste Einkünfte durch die Inflation gemindert werden. Gewinner sind diejenigen, die die Hebelwirkung nutzen, über bessere Kenntnisse zur Inflation verfügen und sich entsprechend mit harten Vermögenswerten wie Gold, Land und Kunst abgesichert haben. Dadurch wird die Entscheidungsfindung bei Investitionen verzerrt, es kommt zur Fehlverteilung von Kapital, zu Spekulationsblasen und einer Verschärfung der Einkommensungleichheit. Die wahren Kosten einer fehlenden Preisstabilität sind Ineffizienz und Ungerechtigkeit. Eine weitere Aufgabe der Fed ist die Bereitstellung von Kapital und Krediten in ihrer Funktion als Lender of the Last Resort. In der klassischen Formulierung des im 19. Jahrhundert lebenden britischen Ökonomen Walter Bagehot heißt das, dass im Falle einer Panik, bei der alle Sparer sofort ihr Geld abheben wollen, die Zentralbank solventen Banken zu einem hohen Zinssatz »unbehindert Kredit gewährt auf alle guten Banksicherheiten«, damit die Banken ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden nachkommen können.50 Diese Form des Kredits gilt nicht als Rettungsaktion, sondern als Möglichkeit, gute Vermögenswerte in Bargeld umzuwandeln, wenn es für die Vermögenswerte gerade keinen anderen Markt gibt. Sobald sich die Panik legt und das Vertrauen wiederhergestellt ist, können die Banken die Kredite an die Zentralbank zurückzahlen und erhalten ihre Sicherheiten wieder. Doch in der Weltwirtschaftskrise, als diese Funktion dringend nötig gewesen wäre, scheiterte die Fed kläglich. Über 10 000 amerikanische Banken wurden entweder geschlossen oder übernommen; die Vermögenswerte im Bankensystem gingen um fast 30 Prozent zurück. Das Geld war so knapp, dass viele Amerikaner zum Tauschhandel zurückkehrten und Eier gegen Zucker oder Kaffee tauschten. In dieser Zeit gab es auch 5-Cent-Stücke aus 231
Teil 3 Die nächste globale Krise Holz, eine selbstgemachte Ersatzwährung, die vom lokalen Kaufmann als Wechselgeld für die Kunden verwendet und von den Geschäften im näheren Umkreis als Zahlungsmittel akzeptiert wurde. Der nächste Fall, bei dem die Funktion des Kreditgebers der letzten Zuflucht von ähnlich entscheidender Bedeutung wie während der Weltwirtschaftskrise gewesen wäre, war die Panik 2008. Die Fed handelte 2008, als ob es sich um eine Liquiditätskrise handeln würde, obwohl es doch eine Solvenzund Kreditkrise war. Kurzfristige Kredite können zur Überbrückung einer Liquiditätskrise funktionieren, jedoch keine Solvenzkrise beheben, bei der die Sicherheiten dauerhaft beeinträchtigt sind. Die Lösung für eine Solvenz­ krise ist die Schließung oder Verstaatlichung der insolventen Banken unter Zuhilfenahme von Notverordnungen, wobei die schlechten Vermögenswerte unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt werden und die so entstandene neue, solvente Bank über den Verkauf der Anteile an neue Anteilseigner reprivatisiert wird. Dadurch ist die neue Bank in der Lage, wieder Kredit zu bekommen. Der Vorteil, die schlechten Vermögenswerte unter staatliche Kontrolle zu stellen, besteht darin, dass sie zu niedrigen Kosten ohne Kapital und ohne eine Neubewertung der Verluste zum aktuellen Marktpreis finanziert werden können. Die Anteilseigner und Anleiheinhaber der insolventen Bank und des Einlagensicherungsfonds FDIC übernehmen die Verluste aus den schlechten Vermögenswerten, und die Steuerzahler müssen nur für zusätzliche Verluste aufkommen. Doch wieder einmal schätzte die Fed die Situation völlig falsch ein. Anstatt die insolventen Banken zu schließen, griffen ihnen die Fed und das Finanzministerium mit dem TARP-Rettungspaket und anderen Hilfsmitteln unter die Arme, damit die Anteilseigner und das Bankmanagement weiter Zinsen, Gewinne und Bonusleistungen auf Kosten der Steuerzahler einstreichen konnten. Das entsprach durchaus dem Mandat der Federal Reserve, das 1910 auf Jekyll Island festgelegt worden war – die Banker sollten vor sich selbst geschützt werden. Allerdings ignorierte die Fed Bagehots Prinzipien fast gänzlich. Sie verlieh das Geld großzügig, wie Bagehot es empfahl, aber 232
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft gegen schwache Sicherheiten, die größtenteils immer noch die Bilanzen der Fed belasten. Die Fed verlangte so gut wie keine Zinsen anstelle der hohen Sätze, die man normalerweise von einem Kreditnehmer in Bedrängnis fordert. Und sie lieh das Geld nicht nur an solvente Banken, die es wert waren, gerettet zu werden, sondern auch an insolvente Banken. Für die Wirtschaft bedeutet das, dass sich die schlechten Vermögenswerte immer noch im System befinden, dass kaum Kredite vergeben werden, weil die Banken Kapital bilden müssen, und dass die Wirtschaft weiterhin große Probleme hat, zu einem selbsttragenden Wachstum zurückzukehren. In beiden Fällen, in denen die Federal Reserve als Kreditgeber der letzten Zuflucht dringend gebraucht worden wäre, versagte sie kläglich. Zuerst 1929 bis 1933, als sie die Banken mit Liquidität versorgen sollte und es nicht tat. Und dann in den Jahren 2007 bis 2009, als die Fed insolvente Banken hätte schließen müssen, sie aber stattdessen liquide hielt. Beide Episoden zeigen, so seltsam das klingen mag, dass die Fed relativ wenig über die klassischen Funktionen einer Zentralbank weiß. Zu diesen Funktionen kam 1978 noch eine weitere hinzu. Der HumphreyHawkins-Act für Vollbeschäftigung, der unter Präsident Carter verabschiedet wurde, machte auch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zur Sache der Federal Reserve. Das Gesetz ist ein typisches Beispiel für die keynesianische Wirtschaftspolitik und verpflichtete die Fed und die Exekutive zur Zusammenarbeit mit dem Ziel, Vollbeschäftigung, Wachstum, Preisstabilität und ein ausgeglichenes Budget zu erreichen. Sogar ein konkretes Ziel wurde festgelegt; bis 1983 sollte die Arbeitslosigkeit auf 3 Prozent sinken und danach auf diesem niedrigen Stand gehalten werden. Aber in der Folgezeit erreichte die Arbeitslosigkeit immer wieder zyklische Spitzen: 1983 mit 10,4 Prozent, 7,8 Prozent 1992, 6,3 Prozent 2003 und 10,1 Prozent 2009. Die Erwartung, dass die Fed sämtliche Ziele des Humphrey-Hawkins-Act sofort erreichen würde, war natürlich unrealistisch, auch wenn sich FedMitarbeiter in ihren Aussagen vor dem Kongress immer noch dazu bekennen. Tatsächlich hat die Fed ihre Aufgabe, für Vollbeschäftigung zu sorgen, 233
Teil 3 Die nächste globale Krise nicht erreicht. 2011 ist die Vollbeschäftigung in ihrer herkömmlichen Definition nach den Schätzungen der Fed immer noch fünf Jahre entfernt. Zum Versagen bei der Preisstabilität, als Kreditgeber der letzten Zuflucht und bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit kommt noch der größte Misserfolg überhaupt: die Bankenregulierung. Die vom Kongress 2009 ernannte Kommission zur Untersuchung der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise befragte über 700 Zeugen, prüfte Millionen Seiten von Dokumenten und hielt ausführliche Anhörungen ab, um die Verantwortlichen der Finanzkrise zu finden. Sie kam zu dem Schluss, dass ein Versagen der Regulierungsbehörden eine der Hauptursachen der Krise sei und dass dieses Versagen der Federal Reserve anzulasten sei. Im offiziellen Bericht heißt es: Wir kommen zu dem Schluss, dass die Krise vermeidbar gewesen wäre. Die Krise war das Resultat menschlicher Tätigkeit und Untätigkeit … Bestes Beispiel ist das Scheitern der Federal Reserve, die Flut toxischer Hypothekenpapiere einzudämmen, obwohl das durch die Festlegung umsichtiger Standards für die Hypothekenvergabe möglich gewesen wäre. Die Federal Reserve war die Einrichtung, die dazu die Möglichkeiten hatte, aber nichts unternahm … Wir kommen zu dem Schluss, dass sich großangelegte Versäumnisse bei der Regulierung und Aufsicht als verheerend für die Stabilität der nationalen Finanzmärkte erwiesen haben. Die Wachen waren nicht auf Posten … Die Position, dass den Regulierungsbehörden die Macht fehlte, das Finanzsystem zu schützen, wird von uns nicht akzeptiert. Die Regulierungsbehörden hatten in vielen Bereichen ausreichende Befugnisse, machten aber keinen Gebrauch davon … Die Federal Reserve Bank von New York und andere Regulierungsbehörden hätten gegen die Exzesse der Citigroup im Vorfeld der Krise scharf vorgehen können. Das taten sie jedoch nicht … All diese Fälle zeigen, dass die Regulierungsbehörden die Einrichtungen und Unternehmen, die sie beaufsichtigen sollten, trotz zunehmender Probleme als sicher und ­solide einstuften.51 Der Bericht analysiert detailliert auf über 500 Seiten die Versäumnisse der Federal Reserve als Regulierungsbehörde. Wie bereits im obigen Auszug vermerkt, wären alle Fehler vermeidbar gewesen. 234
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft Ein letzter Test zur Kompetenz der Fed betrifft den Umgang mit ihrer eigenen Bilanz. Die Fed mag zwar eine Zentralbank sein, ist aber trotzdem eine Bank mit einer Bilanz und einem Reinvermögen. Eine Bilanz hat zwei Seiten: die Aktiva, also das Vermögen, das man besitzt, und die Passiva, die man anderen schuldet. Das Reinvermögen, auch Kapital genannt, entspricht den Aktiva abzüglich der Passiva. Das Vermögen der Fed besteht hauptsächlich aus Staatsanleihen, die sie kauft, und bei den Schulden handelt es sich in erster Linie um das Geld, das sie für solche Käufe druckt. Im April 2011 betrug das Nettovermögen der Fed etwa 60 Milliarden Dollar, die Vermögenswerte lagen bei fast 3 Billionen Dollar. Wenn die Vermögenswerte der Fed um 2 Prozent an Wert verlieren würden, was auf einem volatilen Markt ein relativ unspektakulärer Vorgang ist, wäre das bei einem Vermögen von 3 Billionen Dollar ein Verlust von 60 Milliarden Dollar – genug, um das Kapital der Fed zu vernichten. Die Fed wäre dann insolvent. Kann so etwas passieren? Es ist bereits geschehen, doch die Fed meldet dies nicht, weil sie nicht verpflichtet ist, ihre Vermögenswerte zum Marktkurs zu bewerten. Die Situation wird sich weiter zuspitzen, wenn es an der Zeit ist, das Programm der quantitativen Lockerung durch den Verkauf von Anleihen zu beenden. Die Fed kann vielleicht kurzfristig die Marktwertverluste ignorieren, doch beim Verkauf der Anleihen müssen die Verluste in den Büchern ausgewiesen werden. Bei der Federal Reserve ist man sich des Problems durchaus bewusst. 2008 sprachen Fed-Mitarbeiter mit Kongressabgeordneten über die Möglichkeit, die Bilanzen durch die Emission eigener Anleihen aufzubessern, wie es das Finanzministerium heute tut. Bei einer Rede 2009 in New York wandte sich Janet Yellen, Präsidentin der Federal Reserve Bank von San Francisco, mit dieser Bitte an die Öffentlichkeit. Zu den neuen Fed-Anleihen sagte sie: »Ich wäre glücklicher, wenn wir sie jetzt schon hätten« und »Es wäre sicher sehr gut, sie zu haben«.52 Yellen schien sehr bestrebt, das Projekt auf den Weg zu bringen, und das mit gutem Grund. Die drohende Insolvenz der Federal Reserve zeichnete sich von Tag zu Tag deutlicher ab, je mehr der Fremdkapi- 235
Teil 3 Die nächste globale Krise talanteil erhöht wurde. Durch die Genehmigung des Kongresses, Fed-Anleihen aufzulegen, könnte die Federal Reserve die quantitative Lockerung beenden, ohne dass sie die bereits vorhandenen Anleihen verkaufen müsste. Anstelle der alten US-Schatzbriefe sollten die neuen Fed-Anleihen verkauft werden, um die im Umlauf befindliche Geldmenge zu reduzieren. Durch diesen Ersatz wäre der Verlust bei den alten Schatzanleihen weiterhin verborgen geblieben. Doch der Anleihe-Trick wurde auf dem Kapitolshügel gekippt, und nach dessen Scheitern im Kongress benötigte die Fed schnell eine andere Lösung. Die Zeit wurde allmählich knapp, denn irgendwann musste die quantitative Lockerung aufgehoben werden. Die Lösung war schließlich eine Absprache zwischen dem Finanzministerium und der Federal Reserve, die keine Genehmigung des Kongresses benötigte. Mit den Zinsen auf die sich in ihrem Besitz befindlichen Staatsanleihen macht die Fed jedes Jahr hohe Gewinne. Normalerweise gehen diese Gewinne ans Finanzministerium. 2010 kamen die Fed und das Ministerium überein, dass die Fed die Zahlungen für unbestimmte Zeit einstellen konnte. Die Fed behält das Geld, und die Summe, die normalerweise ans Finanzministerium gehen würde, wird als Passivkonto geführt – im Grunde also als Verbindlichkeiten. Ein noch nie dagewesener Vorgang, der zeigt, wie verzweifelt die Situation der Fed ist. Obwohl die Fed bei den anstehenden Anleiheverkäufen mit Verlusten rechnen muss, reduziert sie nicht das Kapital, wie man es normalerweise erwarten würde. Stattdessen erhöht sie die Summe ihrer Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzministerium. Die Fed stellt also private Schuldscheine an das Finanzministerium aus und nutzt das dadurch eingenommene Geld, um nicht den Anschein einer Insolvenz zu erwecken. Solange die Fed diese Schuldscheine ausstellen kann, wird ihr Kapital nicht von den Verlusten bei den Anleihen aufgezehrt. Auf dem Papier sind damit die Probleme der Fed gelöst, doch tatsächlich erhöht sie ihren Fremdkapitalanteil und parkt ihre 236
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft Verluste beim Finanzministerium. Wer in der freien Wirtschaft derart die Bilanzen frisiert, landet im Gefängnis. Immerhin ist das Finanzministerium eine staatliche Einrichtung, während die Federal Reserve eine private Einrichtung der Banken ist, daher ist dieser Bilanzierungstrick ein weiteres Beispiel dafür, wie dem Steuerzahler zugunsten der Banken Mittel entzogen werden. Die USA haben derzeit ein System, bei dem das Finanzministerium ein nicht abzubauendes Defizit anhäuft und Staatsanleihen verkauft, um nicht pleite zu gehen. Die Federal Reserve druckt Geld, um diese Anleihen zu kaufen, und macht durch deren Besitz Verlust. Dann nimmt das Finanzministerium Schuldscheine von der Fed, damit die Fed nicht bankrottgeht. Ein ziemlicher Drahtseilakt, den man nur staunend betrachten kann. Das Finanzministerium und die Federal Reserve erinnern an zwei Betrunkene, die sich gegenseitig stützen, um nicht umzufallen. Mit einem Fremdkapitalanteil von 50 zu 1 und ihren Investitionen in schwankungsanfällige mittelfristige Anleihen wirkt die Federal Reserve heute eher wie ein schlecht geführter Hedgefonds und nicht wie eine Zentralbank. Ed Koch, der Bürgermeister von New York in den 1980er-Jahren, war berühmt dafür, dass er durch die Stadt spazierte und Passanten mit seinem typischen New Yorker Akzent fragte: »Wie mache ich mich?«, um Feedback für seine Verwaltungsarbeit zu bekommen. Wenn die Fed das fragen würde, bekäme sie zur Antwort, dass sie es seit ihrer Gründung 1913 nicht geschafft hat, die Preisstabilität zu gewährleisten, als Kreditgeber der letzten Zuflucht gescheitert ist, keine Vollbeschäftigung erreicht und bei der Bankenaufsicht versagt hat und auch keine ausgeglichene Bilanz vorweisen kann. Der einzig bemerkenswerte Erfolg der Fed besteht darin, dass der Wert der amerikanischen Goldreserven unter ihrer Obhut von 11 Milliarden Dollar gleich nach dem Nixon-Schock 1971 auf über 400 Milliarden Dollar stieg. Natürlich ist die Wertsteigerung beim Gold nur die Kehrseite des Wertverlusts beim Dollar, den die Fed ebenfalls zu verantworten hat. Insgesamt fällt einem kaum eine andere staatliche Einrichtung ein, die bei ihren wichtigsten Aufgaben so durchgängig versagt hat. 237
Teil 3 Die nächste globale Krise Der Monetarismus Der Monetarismus ist eine Wirtschaftstheorie, die vor allem mit Milton Friedman in Verbindung gebracht wird, dem 1976 der Nobelpreis für Wirtschaft verliehen wurde. Sein wichtigster Grundsatz lautet, dass Ver­ änderungen der Geldmenge die Hauptursache für Veränderungen beim Bruttoinlandsprodukt sind. Diese Veränderungen können, gemessen in Dollar, in zwei Bestandteile aufgegliedert werden: eine »reale« Kompo­ nente, die tatsächliche Gewinne hervorbringt, und eine »inflationäre« Kompo­nente, die illusorisch ist. Die reale Komponente plus die inflationäre Komponente ­bilden zusammen den nominellen Zuwachs, gemessen in Dollar. Friedmans Beitrag bestand darin zu zeigen, dass die Erhöhung der Geldmenge zur Steigerung des Outputs nur bis zu einem bestimmten Punkt funktioniert; darüber hinaus sind sämtliche nominellen Gewinne infla­ tionär und daher nicht real. Die Fed könnte also die Geldmenge erhöhen, um ein nominales Wachstum zu kreieren, doch das reale Wachstum wäre begrenzt. Friedman vermutete außerdem, dass die inflationären Aus­ wirkungen bei der Erhöhung der Geldmenge verzögert auftreten und es ­daher vorübergehend zu einem Anstieg des realen BIP kommen kann, später würde jedoch die Inflation den ursprünglichen Zuwachs zunichte­ machen. Friedmans Idee ist in einer Gleichung zusammengefasst, die als Quantitätstheorie des Geldes bekannt ist. Die Variablen sind M = Geldmenge, V = Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, P = Preisniveau und Y = reales BIP: MxV=PxY Das heißt : Die Geldmenge (M) multipliziert mit der Umlaufgeschwindigkeit (V) ergibt das nominale BIP, das zerlegt werden kann in seine Komponenten Preisveränderungen (P) und reales Wachstum (Y). 238
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft Die Geldmenge (M) wird von der Federal Reserve kontrolliert. Die Fed erhöht die Geldmenge, indem sie Staatsanleihen mit dem von ihr gedruckten Geld kauft. Verringert wird die Geldmenge, indem sie die Anleihen gegen Geld verkauft, das dann aus dem Verkehr gezogen wird. Die Umlaufgeschwindigkeit (V) ist einfach das Maß dafür, wie schnell das Geld den Besitzer wechselt. Wenn jemand einen Dollar ausgibt, und der Empfänger gibt ihn ebenfalls aus, dann hat dieser Dollar eine Geschwindigkeit von 2, weil er zweimal ausgegeben wurde. Wenn der Dollar stattdessen zur Bank gebracht wird, hat er eine Geschwindigkeit von 0, weil er überhaupt nicht ausgegeben wurde. Auf der anderen Seite der Gleichung hat das nominale BIP-Wachstum eine reale Komponente (Y) und eine inflationäre Komponente (P). Jahrzehntelang fragte man sich in Zusammenhang mit dieser Gleichung, ob es eine natürliche Begrenzung für das Wachstum der realen Wirtschaft gibt, bevor es zur Inflation kommt. Das reale Wachstum in der Wirtschaft ist durch die Zahl der Arbeitskräfte und die Produktivität dieser Arbeitskräfte beschränkt. In den USA wächst die Bevölkerung um etwa 1,5 Prozent im Jahr. Die Produktivitätssteigerungen schwanken, aber 2 bis 2,5 Prozent sind eine vernünftige Schätzung. Die Kombination von Bevölkerung und Produktivität bedeutet, dass die amerikanische Wirtschaft real um 3,5 bis 4 Prozent pro Jahr wachsen kann. Das ist die Obergrenze für ein langfristiges reales Wachstum, also das Y in unserer Gleichung. Ein Monetarist, der die Währungspolitik der Fed besser abstimmen will, würde sagen, wenn Y nur mit 4 Prozent wachsen kann, dann sähe eine ideale Politik so aus, dass die Geldmenge um 4 Prozent steigt, die Geschwindigkeit konstant ist und das Preisniveau ebenfalls konstant bleibt. Das wäre eine Welt mit einem nahezu maximalen realen Wachstum und einer Inflation, die fast bei null liegt. Wenn es nur darum ginge, die Geldmenge in begrenztem Umfang zu erhöhen, dann wäre die Arbeit der Federal Reserve der einfachste Job der Welt. Tatsächlich schlug Milton Friedman sogar vor, dass ein entsprechend pro- 239
Teil 3 Die nächste globale Krise grammierter Computer die Geldmenge regulieren könnte und ein Eingreifen der Federal Reserve gar nicht mehr nötig sei. Man muss einfach mit einer guten Schätzung der natürlichen realen Wachstumsrate für die Wirtschaft beginnen und die Geldmenge um dieselbe Prozentzahl erhöhen, schon kann man sich zurücklehnen und zusehen, wie die Wirtschaft ohne Inflation wächst. Vielleicht muss man manchmal bei der Wachstumsprognose aufgrund von Zeitverzögerungen und produktivitätsbedingten Veränderungen ein bisschen nachjustieren, aber alles ist relativ einfach, solange die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes konstant bleibt. Aber was ist, wenn die Geschwindigkeit nicht konstant bleibt? Wie sich herausstellt, ist die Geldgeschwindigkeit der Joker; ein Faktor, den niemand kontrollieren kann, die Variable, die sich nicht steuern lässt. Die Geschwindigkeit ist psychologisch bedingt: Alles hängt davon ab, wie der Einzelne seine wirtschaftlichen Aussichten einschätzt beziehungsweise wie sich alle Verbraucher in der Summe fühlen. Die Geschwindigkeit kann nicht durch die Druckerpresse der Fed oder Produktivitätssteigerungen gesteuert werden. Sie ist verhaltensbedingt und gerade deshalb ein ganz entscheidender Faktor. Stellen Sie sich die Wirtschaft als ein Fahrrad mit Zehn-Gang-Schaltung vor. Die Geldmenge steht für die Gänge, die Umlaufgeschwindigkeit für die Bremsen und der Radfahrer für den Verbraucher. Indem die Federal Re­ serve hoch- oder herunterschaltet, kann sie dem Radfahrer helfen, wenn er beschleunigen will oder bergauf fahren muss. Aber wenn der Radfahrer stark bremst, wird das Fahrrad langsamer, egal welchen Gang die Fed einlegt. Wenn das Rad zu schnell wird und der Radfahrer zu stark bremst, kann das Fahrrad ins Schleudern geraten oder der Fahrer vom Rad fallen. Das ist kurz zusammengefasst genau die Dynamik, die die amerikanische Wirtschaft zehn Jahre lang prägte. Seit dem Höchststand von 1997, als die Geldumlaufgeschwindigkeit die Zahl 2,12 erreichte, geht es massiv bergab. 240
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft Die Panik von 2008 sorgte für einen weiteren deutlichen Einbruch auf eine Geschwindigkeit von 1,80 im Jahr 2008 und eine Geschwindigkeit von 1,67 im Jahr 2009 – ein Rückgang um 7 Prozent innerhalb eines Jahres. Das ist ein Beispiel dafür, wie die Verbraucher auf die Bremse drücken. 2010 pendelte sich die Geschwindigkeit bei 1,71 ein. Wenn die Verbraucher ihre Schulden abzahlen und sparen, anstatt Geld auszugeben, sinkt die Geldumlaufgeschwindigkeit ebenso wie das BIP, es sei denn, die Fed erhöht die Geldmenge. Daher hat die Fed wie verrückt Geld gedruckt, um angesichts der nachlassenden Umlaufgeschwindigkeit das nominale BIP wenigstens zu halten. Zusätzlich zum Verhalten der Konsumenten und der nicht ganz so leicht zu kontrollierenden Natur der Geldumlaufgeschwindigkeit hat die Fed ein weiteres Problem. Die Geldmenge, die die Fed durch Drucken steuert, die sogenannte Geldbasis, macht nur einen kleinen Teil der Gesamtgeldmenge aus, laut aktuellen Daten sind es etwa 20 Prozent. Die anderen 80 Prozent entstehen durch die Geldschöpfung der Geschäftsbanken, wenn diese Kredite vergeben oder andere Formen der Wertpapierschöpfung unterstützen wie beispielsweise Geldmarktfonds und Geldmarktpapiere. Während sich die Geldbasis vom Januar 2008 bis Januar 2011 um 242 Prozent erhöhte, wuchs die allgemeine Geldmenge nur um 34 Prozent. Das liegt daran, dass die Banken zögern, neue Kredite zu vergeben, und immer noch mit den toxischen Anleihen in ihren Bilanzen zu kämpfen haben. Außerdem scheuen sich Verbraucher und Unternehmen, Kredite bei den Banken aufzunehmen, weil sie entweder ohnehin schon zu viele Schulden haben oder weil ihnen die wirtschaftliche Situation zu unsicher ist und sie nicht wissen, ob sie den Kredit zurückzahlen können. Der Übertragungsmechanismus vom Basisgeld zur Gesamtgeldmenge ist daher unterbrochen. Die Gleichung M x V = P x Y ist entscheidend für das Verständnis der dynamischen Kräfte, die in der Wirtschaft aktiv sind. Wenn der Mechanismus zur Erhöhung der Geldmenge (M) unterbrochen ist, weil die Banken kein Geld verleihen, und die Geschwindigkeit (V) niedrig ist oder abnimmt, weil 241
Teil 3 Die nächste globale Krise die Verbraucher Angst haben und sich zurückhalten, ist es schwierig zu erkennen, wo ein Wirtschaftswachstum (PY) herkommen soll. Damit sind wir beim entscheidenden Punkt angelangt. Die Interventionsmöglichkeiten der Federal Reserve wirken nicht schnell genug, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Arbeitslosigkeit zu senken. Die Faktoren, die die Fed beschleunigen müsste, sind die Kreditvergabe der Banken und die Geldumlaufgeschwindigkeit, denn sie bewirken einen verstärkten Konsum und mehr Investitionen. Der Konsum ist jedoch abhängig von der Stimmung und vom Verhalten der Geldgeber, Kreditnehmer und Konsumenten. Um die Wirtschaft anzukurbeln, muss die Fed daher Einfluss auf das Verhalten der Menschen nehmen, was unweigerlich Täuschungsmanöver, Manipulation und Propaganda erfordert. Zur Erhöhung der Geldumlaufgeschwindigkeit kann die Fed in der Öffentlichkeit entweder für Euphorie mithilfe des Wohlstandseffekts sorgen oder die Angst vor einer Inflation schüren. Beim Wohlstandseffekt geben die Verbraucher großzügig Geld aus, weil sie sich wohlhabend fühlen. Der bevorzugte Weg zum Wohlstandseffekt ist eine Steigerung bei den Wertanlagen. Die von der Fed für diesen Zweck gewählten Anlageformen sind ­Aktienkurse und Immobilienpreise, da diese allgemein bekannt sind und aufmerksam beobachtet werden. Nachdem die Immobilienpreise Mitte 2006 einen Höchststand erreicht hatten und danach eingebrochen waren, stabilisierten sie sich Ende 2009 wieder und stiegen Anfang 2010 aufgrund der Steuererleichterungen für Erstimmobilienkäufer sogar leicht. Ende 2010 wurde das Programm eingestellt, und die Immobilienpreise sanken wieder. Anfang 2011 waren die Preise landesweit wieder auf dem Stand von Mitte 2003 und zeigten eine fallende Tendenz. Allem Anschein nach ließ sich über die Immobilienpreise diesmal kein Wohlstandseffekt er­ zeugen. Beim Stützen des Aktienmarktes hatte die Fed mehr Erfolg. Der Dow Jones stieg von März 2009 bis April 2011 um fast 90 Prozent. Aufgrund der Null- 242
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft zinspolitik der Fed blieben den Anlegern wenig Möglichkeiten, wenn sie höhere Renditen wollten. Allerdings erzeugte auch der Boom am Aktienmarkt nicht den gewünschten Wohlstandseffekt. Einige Anleger verdienten Geld, doch viele ließen die Finger von den Aktien, weil sie durch die Krise 2008 das Vertrauen in den Markt verloren hatten. Da der Wohlstandseffekt ausblieb, griff die Fed zum einzigen anderen Mittel zur Beeinflussung des Verhaltens – sie schürte bei den Verbrauchern die Angst vor einer Inflation. Damit sie sich auf die Kreditvergabe und Umlaufgeschwindigkeit des Geldes auswirkte, musste die Fed drei Faktoren auf einmal manipulieren: den Nominalzins, den Realzins und die Inflationserwartungen. Die Idee war, den Nominalzins niedrig zu halten und die Inflationserwartungen zu schüren, um so einen negativen Realzinssatz zu schaffen – die Differenz zwischen Nominalzins und der erwarteten Inflationsrate. Wenn man beispielsweise mit einer Inflationsrate von 4 Prozent rechnet und der Nominalzinssatz bei 2 Prozent liegt, ergibt das einen Realzins von minus 2 Prozent. Wenn der Realzins negativ ist, wird die Kreditaufnahme interessant, und die Ausgaben und Investitionen steigen. Nach der Formel des Monetarismus kurbelt diese wirksame Kombination aus mehr Krediten, die die Geldmenge erhöhen, und mehr Ausgaben, die die Umlaufgeschwindigkeit erhöhen, die Wirtschaft an. Der negative Realzins in Kombination mit der Inflationsangst war die letzte Hoffnung der Fed, eine selbsttragende Erholung der Wirtschaft zu erreichen. Negative Zinssätze schaffen eine Situation, in der man sich Geld leiht und später aufgrund der Inflation mit billigerem Geld zurückzahlt. Das ist so ähnlich, wie wenn man ein Auto mit vollem Tank mietet und später mit halbleerem Tank zurückgibt, ohne etwas dafür bezahlen zu müssen. Verbraucher und Unternehmen können dem nur schwer widerstehen. Die Fed hatte vor, die Kreditaufnahme durch negative Zinsen und den Konsum mittels der Inflationsangst anzukurbeln. Die Kombination aus günstigem Fremdkapital und Inflationserwartungen sollte die Geldmenge und 243
Teil 3 Die nächste globale Krise die Umlaufgeschwindigkeit erhöhen und dadurch auch das BIP. Das könnte funktionieren – aber wie schürt man die Inflationsangst? Ben Bernanke und Paul Krugman hatten Ende der 1990er-Jahre eine ähnliche Entwicklung in Japan, das sogenannte »verlorene Jahrzehnt« untersucht und ausführlich darüber geschrieben. Der schwedische Wirtschaftswissenschaftler Lars Svensson erarbeitete 2003 daraus eine Zusammenfassung. Svensson war ein Kollege von Bernanke und Krugman in Princeton und ist seit 2007 stellvertretender Vorsitzender der schwedischen Zentralbank. Seine Arbeit gilt als Stein von Rosetta zum Thema Währungskriege, weil sie die Verbindung zwischen einer Währungsabwertung und negativem Realzinssatz als Möglichkeit zur Ankurbelung der Wirtschaft auf Kosten anderer Länder aufzeigt. Über die Vorteile eines Währungskriegs schreibt Svensson: Selbst wenn … der Zinssatz null beträgt, bietet eine Währungsabwertung eine starke Möglichkeit zur Ankurbelung der Wirtschaft … Eine Abwertung stimuliert die Wirtschaft direkt, indem sie einen Boom beim Export bewirkt. Noch wichtiger … eine Abwertung der Währung in Kombination mit einer Festlegung auf eine weitere Abwertung wäre ein offenes Bekenntnis zu einem höheren Preisniveau in der Zukunft.53 Svensson beschreibt die Schwierigkeiten, die Öffentlichkeit bei der Um­ setzung dieser Maßnahmen zu manipulieren: Wenn die Zentralbank die Meinung im privaten Sektor manipulieren könnte, würde sie den privaten Sektor an die Inflation glauben lassen; der Realzins würde sinken, und die Wirtschaft würde sich schon bald von der Rezession erholen … Das Problem ist nur, dass sich die Meinung des privaten Sektors nicht so leicht beeinflussen lässt.54 Da haben wir also eine komplette Gebrauchsanweisung für Bernanke – die Zinsen bei null halten, den Dollar durch quantitative Lockerung abwerten und die öffentliche Meinung manipulieren, um die Angst vor einer 244
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft Inflation zu schüren. Bernankes Politik der Nullzinssätze und der quantitativen ­Lockerung lieferten den Treibstoff für die Inflation. Ironischerweise ­leisteten Bernankes größte Kritiker dem Plan unabsichtlich Vorschub, weil sie un­ermüdlich vor einer Inflation warnten; sie schürten die Inflationsängste mit Begriffen, die ein Notenbankchef niemals in den Mund nehmen würde. Hier zeigte sich das wahre Gesicht einer Zentralbank. Das waren keine kühlen, rational und wissenschaftlich handelnden Wirtschaftsexperten, die im Marmortempel der Federal Reserve in Washington residierten. Die FedMitarbeiter tricksten und täuschten und hofften auf das Beste. Als 2011 die Preise für Öl, Silber, Gold und andere Rohstoffe massiv anstiegen, gab sich Bernanke in der Öffentlichkeit unbeeindruckt und machte deutlich, dass die Zinsen niedrig bleiben würden. Tatsächlich war die wachsende Inflationsangst, die aus allen Teilen der Welt gemeldet wurde, in Verbindung mit den weiterhin niedrigen Zinssätzen genau das, was die Theorien empfahlen, denen Bernanke, Krugman und Svensson anhingen. Amerika war zum Versuchskaninchen in einem breit angelegten Geldexperiment geworden, ersonnen in der Petrischale der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften in Princeton. Die Theorie von Bernanke, Krugman und Svensson macht deutlich, dass die öffentlichen Beteuerungen der Fed, sie würde klar zwischen Geldpolitik und Währungskrieg trennen, unaufrichtig sind. Günstiges Geld und die Abwertung des Dollar sind zwei Seiten derselben Medaille, und der Währungskrieg ist Teil dieses Plans. Das billige Geld und die Dollarabwertung sollen die Inflationsängste schüren und für eine Inflation sorgen, während gleichzeitig die Zinsen niedrig gehalten werden, damit die Maschine der Kreditvergabe und -aufnahme wieder in Gang kommt. Die Chinesen, Araber und andere Schwellenländer in Asien und Lateinamerika wissen das, sie haben sich auch schon lautstark über die Dollarpolitik der Fed beklagt. Die Frage ist nur, ob auch die amerikanische Bevölkerung vom Zusammenbruch des Dollar weiß. 245
Teil 3 Die nächste globale Krise Im Grunde ist der Monetarismus als Maßnahme unzureichend – nicht, weil er mit den falschen Variablen arbeitet, sondern weil die Variablen zu schwer zu kontrollieren sind. Die Umlaufgeschwindigkeit ist abhängig vom Vertrauen der Verbraucher oder ihren Ängsten und kann sehr schwankungsanfällig sein. Der Übertragungsmechanismus bei der Geldmenge vom Basisgeld zur Kreditvergabe der Banken kann durch Verunsicherung und das mangelnde Vertrauen der Kreditgeber und Kreditnehmer unterbrochen werden. Es besteht die Gefahr, dass die Fed die Grenzen der Steuerungsmechanismen beim Verhalten nicht akzeptiert und versucht, die Bevölkerung trotzdem über Propagandamaßnahmen, Kommunikations- und Täuschungsmanöver zu kontrollieren. Schlimmer noch, wenn die Öffentlichkeit erkennt, dass sie getäuscht wird, ist das Vertrauen zerstört und dann wird selbst die Wahrheit, wenn man sie denn ausspricht, nicht mehr geglaubt. Die USA sind diesem Punkt bereits gefährlich nahe. Der Keynesianismus John Maynard Keynes starb 1946 und erlebte daher nicht mehr die Fehler, die in seinem Namen gemacht wurden. Ein Jahr später erschien Paul Samuelsons Buch Foundations of Economic Analysis, das die intellektuelle Grundlage für die sogenannte neokeynesianische Schule bildete. Keynes selbst verwendete in seinen Schriften nur wenige Formeln, bot jedoch eine ausführliche Analyse in klarer Sprache. Die meisten Modelle und Schaubilder, die man heute mit keynesianischer Wirtschaftstheorie in Verbindung bringt, entstanden erst Ende der 1940er- und in den 1950er-Jahren. Hier entstanden die Denkfehler, die unter dem Namen »keynesianisch« zusammengeführt wurden; man kann nur spekulieren, wie Keynes darüber gedacht hätte, wenn er noch am Leben gewesen wäre. Gegen Ende seines Lebens befürwortete Keynes eine neue Währung, die er Bancor nannte und deren Wert an einen Währungskorb gekoppelt war, 246
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft der auch Gold enthielt. Keynes war natürlich ein erbitterter Kritiker des Goldstandards der 1920er-Jahre, aber pragmatisch genug, um einzusehen, dass Währungen an etwas gekoppelt werden müssen. Aus diesem Grund be­vorzugte er einen Währungskorb als Standard anstelle des goldgedeckten Dollar als Leitwährung, der 1944 in Bretton Woods beschlossen worden war. Wir wollen hier nicht die keynesianische Wirtschaftstheorie im Ganzen analysieren, sondern uns auf die Schwachstelle konzentrieren, die für die Währungskriege besonders relevant ist. Im Fall des Monetarismus lag der Fehler bei der Schwankungsanfälligkeit der Umlaufgeschwindigkeit aufgrund des Verbraucherverhaltens. Im Keynesianismus ist der berühmte »Multiplikator« die Schwachstelle. Die keynesianische Multiplikatortheorie basiert auf der Annahme, dass ein Dollar beim staatlichen Deficit Spending mehr als einen Dollar an wirtschaftlicher Gesamtleistung auslöst, wenn man alle Sekundäreffekte berücksichtigt. Der Multiplikator ist der Yeti der Wirtschaftswissenschaften – etwas, von dem viele annehmen, dass es existiert, das aber nur selten – wenn überhaupt – gesehen wird. Die Grundlage der keynesianischen Wirtschafts­ politik ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, also die Summe aller inländi­ schen Ausgaben und Investitionen in einer Volkswirtschaft. Wenn beispielsweise ein Arbeiter entlassen wird, verliert er nicht nur sein Einkommen, sondern schränkt auch seine Ausgaben ein, was wiederum zu Einkom­ menseinbußen bei anderen führt. Das verlorene Einkommen und die entgangenen Ausgaben verursachen einen Rückgang bei der Gesamtnachfrage, der sich weiter fortsetzt, weshalb weitere Unternehmen Mitarbeiter entlassen müssen, die ebenfalls weniger ausgeben – ein Teufelskreis, der immer weiter um sich greift. Nach der keynesianischen Theorie kann der Staat intervenieren und das Geld ausgeben, das der Einzelne nicht ausgeben will oder kann, und so die Gesamtnachfrage wieder steigern. Die staatlichen Ausgaben können die Entwicklung umkehren und zu einem erneuten Wirtschaftswachstum beitragen. 247
Teil 3 Die nächste globale Krise Das Problem an der Theorie, dass Staatsausgaben die Gesamtnachfrage ankurbeln, besteht darin, dass Regierungen kein eigenes Geld haben. Sie müssen das Geld drucken, in Form von Steuern erheben oder es von ihren Bürgern oder anderweitig leihen. Mit der Erhöhung der Geldmenge kann man ein nominales Wachstum erreichen, aber auch eine Inflation auslösen, sodass das reale Wachstum langfristig betrachtet unverändert bleibt. Über Steuern und Kredite ist die Regierung vielleicht in der Lage, mehr auszugeben, das bedeutet aber auch, dass im privaten Sektor weniger Geld zur Verfügung steht, das sonst ausgegeben oder investiert werden würde, es ist also nicht klar, wie sich die Gesamtnachfrage erhöht. Hier kommt angeblich der Multiplikator ins Spiel. Die Idee dahinter ist, dass ein Dollar an staatlichen Ausgaben andere zu weiteren Ausgaben anregt, weshalb mehr als ein Dollar an Wirtschaftsleistung entsteht. So rechtfertigt man auch, dass man dem privaten Sektor diesen Dollar entzieht. Wie viel mehr wird durch einen Dollar, den der Staat ausgibt, erzielt? Anders ausgedrückt, wie groß ist dieser Multiplikator? In einer berühmten Studie, die kurz vor Obamas Amtsantritt verfasst wurde, untersuchten zwei Berater Obamas, Christina Romer und Jared Bernstein, den Multiplikator in Verbindung mit dem für 2009 vorgeschlagenen Programm zur Stimulierung der Wirtschaft.55 Romer und Bernstein schätzten den Multiplikator auf etwa 1,54, sobald das neue Programm in Gang gekommen sei. Das bedeutet, dass Romer und Bernstein beispielsweise erwarteten, dass 100 Milliarden Dollar, die im Rahmen des Programms ausgegeben wurden, einer Wirtschaftsleistung von 154 Milliarden Dollar entsprechen würden. Da sich das gesamte Programm Obamas auf 787 Milliarden belief, läge die »zusätzliche« Leistung des Konjunkturprogramms bei 425 Milliarden Dollar – der größte Gratiseffekt in der Geschichte. Ziel des Konjunkturprogramms war es, die Auswirkungen der Depression auszugleichen, die Ende 2007 eingesetzt hatte, und Arbeitsplätze zu retten. Die Obama-Regierung häufte im Steuerjahr 2009 ein Defizit von über 1,4 Billionen Dollar und im Jahr 2010 ein Defizit von 1,2 Billionen Dollar 248
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft an. Das angekündigte Defizit für 2011 beträgt 1,6, das für 2012 1,1 Billionen Dollar – was die beeindruckende Summe von fast 5,4 Billionen Dollar in nur vier Jahren ergibt. Um angesichts solcher Haushaltsdefizite das Konjunkturpaket in Höhe von 787 Milliarden Dollar für 2009 zu rechtfertigen, musste man zeigen, dass Amerika ohne Ausgabenprogramm noch schlechter dran wäre. Die Beweise für den keynesianischen Multiplikator mussten hieb- und stichfest sein. Es dauerte nicht lange, bis die Ergebnisse vorlagen. Einen Monat nach dem Erscheinen der Studie von Romer und Bernstein wurde eine Untersuchung von John B. Taylor und John F. Cogan von der Stanford University und anderen Kollegen veröffentlicht, die dasselbe Programm nach weit strengeren Maßstäben bewerteten.56 Taylor und Cogan kamen zu dem Schluss, dass ­alle Multiplikatoren kleiner als eins sind, dass also mit jedem Dollar zur »Stimulierung« der Konjunktur die Summe der Güter und Dienstleistungen im privaten Sektor zurückgeht. Taylor und Cogan verwendeten ein aktuelleres Multiplikatoren-Modell, das bei Wirtschaftswissenschaftlern mehr Anerkennung genießt und auf realistischeren Annahmen zur Entwicklung der Zinsen und steuerlichen Belastungen basiert. Ihre Studie erkannte zu Beginn des Konjunkturprogramms einen Multiplikatoreneffekt von 0,96, zeigte aber, dass der Multiplikator rasch kleiner wurde und Ende 2009 nur noch bei 0,67 lag und zum Jahresende 2010 sogar bei nur 0,48. Die Studie verdeutlichte, dass 2011 durch jeden Dollar, der zur Ankurbelung der Konjunktur ausgegeben wurde, die Wirtschaftsleistung des privaten Sektors um fast 60 Cent zurückging. Obamas Konjunkturprogramm schadete dem privaten Sektor und behinderte dadurch sogar die Entstehung neuer Arbeitsplätze. Die Untersuchung von Taylor und Cogan war nicht die einzige Studie, die zu dem Schluss kam, dass die keynesianischen Multiplikatoren kleiner als eins sind und staatliche Konjunkturprogramme die Leistung des privaten Sektors mindern. John Taylor war in einer separaten Studie bereits 1993 zu ähnlichen Ergebnissen gelangt. Empirische Belege für keynesianische 249
Teil 3 Die nächste globale Krise Multiplikatoren, die unter bestimmten Bedingungen kleiner sind als eins, wurden in getrennten Studien unter anderem auch von Michael Woodford von der Columbia University, Robert Barro von der Harvard University und Michael Kumhof von der Stanford University gefunden.57 Eine Durchsicht der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur ergibt, dass die von Romer und Bernstein angewandten Methoden bei der Untersuchung von Obamas Konjunkturprogramm nicht der gängigen Lehrmeinung entsprechen und nur schwer zu rechtfertigen sind, es sei denn aus ideologischen ­Gründen. Keynes’ Theorie, dass vermehrte staatliche Ausgaben die Gesamtnachfrage stimulieren können, gilt nur unter bestimmten Bedingungen. Damit gehört sie eher zu den Sonderfällen und ist entgegen seiner Behauptungen nicht allgemein anwendbar. Konjunkturprogramme funktionieren auf kurze Sicht besser als langfristig. Konjunkturelle Anreize wirken in einer Liquiditätskrise besser als in einer Solvenzkrise, bei einer leichten Rezession besser als bei einer gravierenden. Außerdem funktionieren sie besser in Volkswirtschaften, die mit einer relativ niedrigen Verschuldung in eine Rezession geraten sind. Der Wirtschaftswissenschaftler Carl F. Christ stellte in seinen bahnbrechenden, wenn auch unterschätzten Arbeiten zur Ökonometrie in den 1960er-Jahren die These auf, dass die keynesianischen und monetaristischen Instrumente am besten in Volkswirtschaften funktionieren, die zu Beginn einer Krise einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen können. Christ war der erste, der von der »öffentlichen Ausgabenbeschränkung« sprach, einem Konzept, das mittlerweile offenbar in Vergessenheit geraten ist. Christ schrieb: »Aus den Ergebnissen geht eindeutig hervor, dass sowohl die Vertreter einer extremen Fiskalpolitik als auch die Anhänger des extremen Monetarismus unrecht haben: Fiskalische Variablen beeinflussen stark die Auswirkung einer gegebenen Veränderung der … Geldmenge, und Offenmarktoperationen beeinflussen die Auswirkungen vorhandener Veränderungen bei den staatlichen Ausgaben und der Besteuerung.« Christ meinte damit, dass die Wirkung der keynesianischen Konjunkturanreize nicht unabhängig von der Höhe des Defizits beurteilt werden kann.58 250
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft Keine der für keynesianische Konjunkturanreize günstigen Bedingungen war Anfang 2009 in den USA gegeben. Das Land war stark verschuldet, hatte hohe Defizite angehäuft und litt unter einer schweren Solvenzkrise, die allem Anschein nach noch viele Jahre anhalten würde – genau die falschen Voraussetzungen für ein Konjunkturprogramm nach Keynes. Die Ausgaben dafür würden das Defizit noch erhöhen und wertvolle Ressourcen verschwenden, ansonsten aber nicht viel bewirken. Zwei Jahre nach der Untersuchung von Romer und Bernstein lagen die wirtschaftlichen Resultate vor und widerlegten die These der beiden deutlich. Romer und Bernstein hatten geschätzt, dass die Zahl der Beschäftigten Ende 2010 bei über 137 Millionen liegen würde. Tatsächlich waren es jedoch nur 130 Millionen. Das BIP-Wachstum sollte laut ihrer Prognose bis Ende 2010 auf 3,7 Prozent steigen; es war jedoch so gut wie gar nicht gestiegen. Außerdem waren die beiden davon ausgegangen, dass die rezessionsbedingte Arbeitslosigkeit einen Höchststand von 8 Prozent erreichen würde; leider waren es im Oktober 2009 jedoch 10,1 Prozent. Die Wirtschaft lieferte in jeder Hinsicht deutlich schlechtere Zahlen, als Romer und Bernstein unter Verwendung ihrer Version des keynesianischen Multiplikators errechnet hatten. Obamas Konjunkturanreize waren von Anfang an nicht viel mehr als ein ideologischer Wunschzettel, der bestimmte Ausgaben­programme und Partikularinteressen bediente und in die akademische ­Robe des John ­Maynard Keynes gehüllt wurde. Der Romer-Bernstein-Plan rettete sicher einige Arbeitsplätze im gewerkschaftlich organisierten öffentlichen Sektor. Das Argument lautete ja auch nicht, dass das Konjunkturprogramm keine Jobs schaffen würde, sondern nur, dass die versteckten Kosten zu hoch seien. Die Kombination aus D ­ eficit Spending, quantitativer Lockerung und der Rettung von Banken gab der Wirtschaft kurzfristig Auftrieb. Das Problem war nur, dass die Erholung künstlich war und sich nicht selbst trug, weil sie auf staatlichen P ­ rogrammen und billigem Geld basierte und nicht auf privatem Konsum und Investitionen. Dies führte zu einer politischen Gegenbe­wegung 251
Teil 3 Die nächste globale Krise gegen weitere Maßnahmen mit Defizitfinanzierungen und quantitativer ­Lockerung. Die starke Verschuldung aufgrund der gescheiterten keynesianischen Konjunkturanreize wurde zu einer Cause célèbre in der Geschichte der Währungskriege. Bei diesen ging es in erster Linie um die Abwertung einer Währung, was einem Zahlungsausfall gleichkommt. Wenn die Zahlungs­ ansprüche ausländischer Geldgeber durch die Abwertung plötzlich weniger wert sind, so ist diese eine Form des Zahlungsausfalls. Gegenüber der eigenen Bevölkerung stellen Inflation und höhere Preise für Importwaren einen Zahlungsausfall dar. Da die Schulden gegenüber ausländischen Geldgebern ungekannte Höhen erreichten, waren die internationalen Auswirkungen ­einer Abwertung viel weitreichender, und daher sollte der Währungskrieg so erbittert ausgetragen werden. Da die Verschuldung und das Haushaltsdefizit so hoch sind, sitzen die USA praktisch auf dem Trockenen. Wenn Amerika von einer weiteren Finanzkrise oder einer Naturkatastrophe vom Ausmaß des Wirbelsturms Katrina getroffen wird, verfügt das Land nicht mehr über die nötigen Mittel, um einzugreifen. Wenn die USA heute mit einem größeren Krieg im Nahen Osten oder in Asien konfrontiert werden würden, besäßen sie nicht das nötige Geld für eine ähnliche Kriegsanstrengung wie im Zweiten Weltkrieg. Die USA sind aufgrund ihrer Abhängigkeit von ausländischen Geldgebern verwundbar geworden. Bei einer Krise – einer Finanzkrise, Naturkatastrophe oder im Falle eines Krieges – wären die USA gezwungen, auf Notverordnungen zurückzugreifen – wie Franklin D. Roosevelt 1933 und Nixon 1971. Die Schließung von Banken, Beschlagnahmung von Gold, die Erhebung von Einfuhrzöllen und Kapitalkontrollen wären dann mögliche Maßnahmen. Amerikas Vernarrtheit in die keynesianische Illusion hat dazu ­geführt, dass auch die Macht der USA nur noch Illusion ist. Die Amerikaner können nur hoffen, dass nichts Schlimmes passiert. Doch angesichts der Situation in der Welt ist das ein dünner Strohhalm, an den wir uns klammern. 252
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft Finanzmarkttheorie Etwa zur gleichen Zeit, als Paul Samuelson und seine Kollegen ihre keynesianischen Theorien entwickelten, arbeitete eine andere Gruppe von Wissenschaftlern an ihrer eigenen Theorie der Kapitalmärkte. An den Fakultäten in Yale, am MIT und der University of Chicago entstanden zahlreiche fundierte Arbeiten zukünftiger Nobelpreisträger wie Harry Markowitz, ­ ­Merton Miller, William Sharpe und James Tobin. Sie argumentierten in ­ihren in den 1950er- und 1960er-Jahren erschienenen Aufsätzen, dass ­An­leger nicht dauerhaft den Markt schlagen können und dass ein breit gestreutes Portfolio über einen längeren Zeitraum die besten Ergebnisse bringt. Ein Jahrzehnt später präsentierte eine jüngere Generation von Akade­mikern, darunter Myron Scholes, Robert C. Merton (Sohn des berühmten Soziologen Robert K. Merton) und Fischer Black, neue Theorien zur Bewertung von Optionen und legte damit den Grundstein für das explosionsartige Wachstum der Börsen-Terminkontrakte und anderer Derivate. Die Arbeit dieser und anderer Ökonomen bildet einen Zweig der Wirtschaftswissenschaften, der unter der Bezeichnung Finanzmarkttheorie bekannt ist. Biologen, die an der Universität an infektiösen Viren forschen, verfügen über abgeschottete Laboratorien, um sicherzustellen, dass ihre Forschungsobjekte nicht entkommen und die ganze Bevölkerung infizieren. Leider gibt es für wirtschaftswissenschaftliche Fakultäten keine derartigen Sicherheitsvorkehrungen. Auf jede brillante Erkenntnis kommen mehrere gefährliche Fehleinschätzungen, die den Blutkreislauf der Finanzwelt infizieren und unberechenbare Schäden anrichten. Und keine Idee hat mehr Schaden angerichtet als das der Finanzmarkttheorie entsprungene Gift der »effizienten Märkte« und der »Normalverteilung von Risiken«. Die Idee hinter der Vorstellung vom effizienten Markt ist die, dass Anleger nur daran interessiert sind, ihren Reichtum zu vergrößern, und daher auf Kurssignale und neue Informationen stets rational reagieren. Die Theorie 253
Teil 3 Die nächste globale Krise geht davon aus, dass neue Informationen sofort nach ihrem Bekanntwerden einkalkuliert werden, sodass sich Kurse und Preise sanft von einem Niveau zum anderen bewegen. Da die Märkte sämtliche neue Informationen sofort effizient verarbeiten, kann kein Anleger den Markt schlagen, es sei denn, er hat einfach Glück, denn jede Information, auf deren Grundlage ein Investor eine Anlageentscheidung trifft, spiegelt sich bereits im Marktpreis. Und da man Informationen nicht kennen kann, bevor sie entstehen, sind zukünftige Preisbewegungen unvorhersehbar. Die Vorstellung von der Normalverteilung des Risikos bezieht sich darauf, dass zukünftige Preisentwicklungen willkürlich sind und damit auch die Schwere und Häufigkeit der Kursschwankungen dem Zufall unterliegen, ähnlich wie beim Münzwurf oder Würfeln. Kleine Ereignisse kommen häufig, extreme Ereignisse selten vor. Erfasst man die häufigen kleinen und die seltenen extremen Ereignisse in einem Schaubild, erhält man die berühmte Gauß-Verteilung oder Glockenkurve. Die große Mehrheit der Ereignisse häuft sich im Bereich der Vorfälle mit geringem Schweregrad, wohingegen die Zahl der Ereignisse mit hohem Schweregrad deutlich niedriger ist. Da die Kurve steil abfällt, sind äußerst extreme Ereignisse so selten, dass sie fast unmöglich sind. In Schaubild 1 zeigt die Höhe der Kurve die Häufigkeit der Ereignisse und die Breite ihren Schweregrad im positiven wie im negativen Sinn. Das Gebiet um null zeigt die unspektakulären Ereignisse, die häufig vorkommen. Betrachten Sie nun die Kurvenbereiche jenseits von +3 und –3. Sie zeigen Ereignisse von viel größerer Tragweite, etwa einen Börsenkrach oder das Platzen einer Immobilienblase. Doch laut der Glockenkurve treten der­ artige Ereignisse so gut wie nie ein. Das erkennt man daran, dass die Kurve fast die x-Achse berührt, und die x-Achse steht für Ereignisse, die nie eintreten. 254
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft Abbildung 1: Glockenkurve mit Normalverteilung des Risikos Das Problem bei diesen Theorien auf Grundlage der Glockenkurve (für die es den Nobelpreis gab) besteht darin, dass es empirische Beweise gibt, die diese Theorien widerlegen, das heißt, dass die Theorien nicht der Realität der Märkte und des menschlichen Verhaltens entsprechen. Ergebnisse aus der Statistik und den Sozialwissenschaften belegen in großer Zahl, dass Märkte nicht effizient sind, dass sich Preise nicht willkürlich verhalten und dass das Risiko nicht normal verteilt ist. Der akademische Gegenangriff auf die Grundlagen der Finanzmarkttheorie erfolgte aus zwei Richtungen. Aus den Bereichen Psychologie, Soziologie und Biologie kam eine Flut von Studien, die zeigten, dass sich Anleger irrational verhalten, zumindest was die Gewinnmaximierung angeht. Vom unkonventionellen Mathematikgenie Benoît Mandelbrot stammt die Erkenntnis, dass sich zukünftige Preise nicht unabhängig von der Vergangenheit entwickeln – der Markt hat eine Art »Gedächtnis«, das ihn veranlasst, inkonsequent zu reagieren oder überzureagieren und so Konjunkturschwankungen zu verursachen. Daniel Kahneman und sein Kollege Amos Tversky zeigten in einer Reihe einfacher, aber genial konstruierter Experimente, dass jeder Mensch zu ir- 255
Teil 3 Die nächste globale Krise rationalen Handlungen neigt. Die Versuchspersonen waren viel mehr darauf bedacht, einen Verlust zu vermeiden, als Gewinn zu machen, obwohl ein Wirtschaftswissenschaftler sagen würde, dass beide Ereignisse genau denselben Stellenwert haben müssten. Diese Eigenschaft, die sogenannte Risiko­ aversion, erklärt, warum Anleger Aktien in Panik abstoßen, aber nur z­ ögernd wieder in den Aktienmarkt einsteigen, wenn sich das Blatt gewendet hat. Als Wirtschaftswissenschaftler auf den Kapitalmärkten nach Daten Ausschau hielten, die die von Kahneman und Tversky ermittelte Irrationalität belegten, mussten sie nicht lange suchen. Unter den Anomalien, die entdeckt wurden, fand sich auch die, dass Trends, wenn sie erst einmal in Gang sind, eher dazu neigen, sich fortzusetzen, anstatt sich umzukehren – die Grundlage der »Momentum-Strategie«. Außerdem schneiden kleinere Unternehmen oft besser ab als Unternehmen mit hoher Börsenkapitalisierung. Und dann gibt es noch den sogenannten Januareffekt, laut dem Aktien im Januar besser abschneiden als in allen anderen Monaten. Keine dieser Erkenntnisse deckt sich mit der Effizienzmarkt- oder der Random-Walk-Theorie der zufälligen Kursentwicklung. Die Debatte zwischen den Anhängern der Effizienzmarkthypothese und den Sozialwissenschaftlern wäre nur eine weitere obskure akademische Auseinandersetzung, wenn es nicht einen entscheidenden Unterschied gäbe. Die Effizienzmarkttheorie und ihre Begleiter, die Random-Walk- und die Normalverteilungstheorie des Risikos waren aus dem Labor entwischt und hatten die gesamte Wall Street und das moderne Bankensystem infiziert. Die Umsetzung der fehlerhaften Theorien auf den Kapitalmärkten trug zum Börsenkrach von 1987 bei, zur Pleite des Hedgefonds Long-Term Capital Mangement und zur größten Katastrophe überhaupt – der Panik von 2008. Ein ansteckendes Virus, das eine Krankheit namens Value at Risk verbreitete, kurz VaR. Value at Risk ist die Methode, die an der Wall Street im Jahrzehnt vor der Panik von 2008 zur Risikobewertung verwendet wurde und auch heute 256
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft noch weit verbreitet ist. Mit ihr kann man das Risiko eines Portfolios ermitteln – bestimmte Risikopositionen werden gegen andere Positionen aufgerechnet, um das Risiko zu senken. Angeblich kann man das Verlustrisiko mit der VaR-Methode berechnen. Beispielsweise könnte eine Long-Position bei US-Schatzanweisungen mit zehnjähriger Laufzeit gegen eine Short-Position bei Schatzanweisungen mit fünfjähriger Laufzeit verrechnet werden, sodass das Risiko laut VaR viel geringer ist als die separaten Risiken bei den jeweiligen Schatzanweisungen. Die Zahl der komplizierten Kombinationen und Gegenrechnungen ist praktisch unbegrenzt. Von den Berechnungen kann einem schnell schwindlig werden, denn neben den eindeutigen Beziehungen wie Käufer- und Verkäufer-Positionen bei der gleichen Anleihe gibt es auch unzählige Beziehungen zwischen den unterschiedlichsten Papieren in einem Portfolio. Die Value-at-Risk-Methode ist die mathematische Krönung von 50 Jahren Finanzmarkttheorie. Sie geht davon aus, dass zukünftige Relationen zwischen Kursen denen der Vergangenheit ähneln, Kursschwankungen zufällig sind und dass das Risiko in den Nettopositionen – long minus short – und nicht in den Bruttopositionen liegt. Die VaR trägt den intellektuellen Ballast der Effizienzmarkthypothese und der Normalverteilung in die Welt des Risikomanagements. Obwohl die VaR-Methode bei der Panik von 2008 eine große Rolle spielte, wurde sie nie gründlich untersucht.59 Die vom Kongress ernannte Kommission zur Untersuchung der Finanzkrise FCIC zog die Risikomodelle im Börsenhandel kaum in Betracht. Die zwiespältige Rolle der Hypothekenmakler, Investmentbanker und Ratingagenturen wurde dagegen ausgiebig untersucht. Dabei war die VaR-Methode in vielerlei Hinsicht der unsichtbare rote Faden, der sich durch all die Exzesse zog, die schließlich zum Kollaps führten. Wie kamen Banken, Ratingagenturen und Anleger zu der Annahme, dass ihre Positionen sicher waren? Warum glaubten die Federal Reserve und die Börsenaufsicht, dass die Banken und Börsenmakler über ausreichend Kapital verfügten? Warum versicherten die Risikomanager der 257
Teil 3 Die nächste globale Krise Banken ihren CEOs und Verwaltungsräten ständig, sie hätten alles unter Kontrolle? Die Antwort hat immer etwas mit der Value-at-Risk-Methode oder verwandten Modellen zu tun. Aufgrund der VaR-Modelle kam es zu einer erhöhten Fremdkapitalaufnahme und zum verstärkten Handel mit derivativen Finanzinstrumenten. Da sich die Regulierungsbehörden mit der VaR-Methode nicht so gut auskannten wie die Banken, konnten sie die Risikobewertung auch nicht infrage stellen. Wenn es um Risiken und Fremdkapital ging, überließen die Regulierungsbehörden den Banken die Regulierung. Das wäre so, wie wenn die für die Sicherheit von Kernkraftwerken zuständige US Nuclear Regulatory Commission den Betreibern von Atomkraftwerken erlauben würde, ihre eigenen Sicherheitsvorschriften ohne unabhängige Überprüfung zu ­erlassen. Viele Wissenschaftler und Fachleute waren sich der Fehler und Einschränkungen der VaR-Methode bewusst. Tatsächlich waren die Mängel allgemein bekannt und wurden sowohl an den Universitäten als auch an der Wall Street seit über einem Jahrzehnt diskutiert. Die Banken verwendeten die VaR-Methode nicht, weil sie so gut funktionierte, sondern weil sie den Anschein von Sicherheit erweckte und sie dadurch erhebliche Fremdmittel aufnehmen und höhere Gewinne machen konnten. Und falls etwas schieflief, würden ihnen die Steuerzahler unter die Arme greifen. Die Risikobewertung mit der VaR-Methode ist ähnlich, wie wenn man mit dem Auto 160 Stundenkilometer fährt und den Tacho so manipuliert hat, dass er die ganze Zeit eine Geschwindigkeit von 80 Stundenkilometern zeigt. Die Regulierer hinten auf dem Rücksitz schauen auf den Tacho, sehen die 80 Stundenkilometer und nicken wieder ein. Währenddessen schlingert das Auto heftig, ähnlich wie in einer Szene von Mad Max. Die destruktiven Auswirkungen der Finanzmarkttheorie mit ihren falschen Annahmen zur Zufälligkeit, Effizienz und Normalverteilung des Risikos sind schwer abzuschätzen, doch 60 Billionen Dollar an vernichtetem Vermögen in den Monaten nach der Panik von 2008 bieten eine ganz gute Ori- 258
Kapitel 9 – Der Missbrauch der Wirtschaftswissenschaft entierung. Mit den Derivaten ging das Risiko nicht in starke Hände über, sondern konzentrierte sich bei denjenigen, die »too big to fail« waren, also zu groß, um sie bankrottgehen zu lassen. Die VaR-Methode war keine Methode zur Risikobewertung, sondern versteckte die Risiken in einem Wust aus Gleichungen, der die Regulierungsbehörden, die es eigentlich besser hätten wissen müssen, einschüchterte. Die Natur des Menschen und all seine Launen wurden von den Banken und Regulierungsbehörden geflissentlich ignoriert. Als die Finanzwirtschaft am Boden lag und ihre Fähigkeit, den Handel zu stützen, vollständig zerstört war, schaltete der Wachstumsmotor in den niedrigsten Gang und ist seitdem dort geblieben. Washington und die Wall Street – die Zwillingstürme der Täuschung Zu Beginn des neuen Währungskriegs 2010 basierte die Arbeit der Zentralbanken nicht auf den Prinzipien einer soliden Geldpolitik, sondern auf ihrer Fähigkeit, die Bürger über ihre wahren Absichten zu täuschen. Der Monetarismus stützte sich auf die instabile Beziehung zwischen Umlaufgeschwindigkeit und Geld, weshalb er sich nicht als Mittel der Geldpolitik eignete. Der Keynesianismus wurde rücksichtslos unter Berufung auf den mysteriösen Multiplikator angewandt, der angeblich Vermögen schuf, es in Wirklichkeit aber vernichtete. Die Finanzmarkttheorie war ein Wolkenkratzer, errichtet im Treibsand der Effizienzmarkttheorie und der Theorie der Normalverteilung des Risikos, die beide keinen Bezug zum realen Verhalten der Marktteilnehmer hatten. Das gesamte System der Fiskalpolitik, Geldpolitik, der Bankenaufsicht und Risikoverwaltung war intellektuell korrupt und unehrlich, und die Fehler bestehen auch heute noch weiter. In jüngster Zeit sind neue und bessere ökonomische Paradigmen entstanden. Allerdings haben sowohl die Regierung in Washington als auch die Wall Street großes Interesse daran, dass die fehlerhaften Modelle der Vergangenheit weiter verwendet werden. Für Washington ist der Keynesianis- 259
Teil 3 Die nächste globale Krise mus ein Vorwand für erhöhte Staatsausgaben und der Monetarismus ein Vorwand für die Machtkonzentration der Federal Reserve. Der Wall Street liefern die Theorien der Finanzmarkttheorie den Deckmantel für einen hohen Fremdkapitalanteil und betrügerische Verkaufspraktiken beim außerbilanziellen Derivatehandel. Für die Wall Street steht der Profit an erster Stelle, die Wissenschaftlichkeit rangiert weit hinten. Wenn eine Theorie, so fehlerhaft oder veraltet sie auch sein mag, in entsprechend akademischer Aufmachung als Begründung für das Eingehen von Risiken angeführt werden kann, so kommt das wie gerufen. Und wenn Politiker und Regulierungsbehörden noch weniger Bescheid wissen als die Wall Street, dann ist das auch gut. Solange an der Wall Street weiter das Geld fließt, wird niemand unbequeme Fragen stellen, geschweige denn beantworten. 260
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität Die Schwierigkeit liegt nicht in den neuen Ideen, sondern darin, den ­alten zu entkommen. John Maynard Keynes,1935 Trotz der theoretischen und praktischen Unzulänglichkeiten des keynesianischen Multiplikators und des monetaristischen quantitativen Ansatzes sind beide im Fall eines nachlassenden Wirtschaftswachstums immer noch die bevorzugten Mittel der Politik. Man muss nur Obamas Konjunkturpaket oder Bernankes Politik der quantitativen Lockerung betrachten, schon sieht man John Maynard Keynes oder Milton Friedman am Werk. Die Hartnäckigkeit der alten Theorien ist aufgrund der wachsenden Staatsverschuldung auch eine treibende Kraft im neuen Währungskrieg. Die Schulden können nur mithilfe von Inflation und Währungsabwertung bezahlt werden. Wenn das Wirtschaftswachstum ins Stocken gerät, kann man der Versuchung schwer widerstehen, die eigene Währung abzuwerten und so die Wirtschaft auf Kosten anderer Länder wieder in Schwung zu bringen. Doch wir brauchen deutlich bessere Lösungen. Zum Glück hat sich in den Wirtschaftswissenschaften einiges getan. In den vergangenen 20 Jahren wurde unter Beteiligung verschiedener Denk­ schulen, unter anderem der Verhaltensökonomik und der Komplexitätstheorie, ein neues Paradigma entwickelt. Dieses neue Denken verfügt über eine gesunde Portion Bescheidenheit – in vielen Fällen kennt man die ­Grenzen einer Theorie und begnügt sich mit dem, was möglich ist. Die neuen S ­ chulen triumphieren nicht wie Keynes, sie hätten eine »allgemeine T ­ heorie« ­entwickelt, und behaupten auch nicht wie Friedman, einer 261
Teil 3 Die nächste globale Krise I­nflation sei »immer und überall« mit der Steuerung der Geldmenge beizukommen. Der vielversprechendste neue Ansatz ist die Komplexitätstheorie. Trotz des Namens basiert die Komplexitätstheorie auf einfachen Annahmen. Die erste lautet, dass komplexe Systeme nicht von oben nach unten organisiert sind. Sie gestalten sich selbst durch Entwicklung oder die Interaktion unzähliger autonomer Teile. Das zweite Prinzip besagt, dass komplexe Systeme über »emergente« Eigenschaften verfügen, was eine technische Ausdrucksweise dafür ist, dass das Ganze größer ist als die Summe seiner Teile – das Verhalten des gesamtes Systems lässt sich nicht aus der Betrachtung der einzelnen Teile ableiten. Das dritte Prinzip lautet, dass komplexe Systeme auf exponentiell größere Energiemengen angewiesen sind. Diese Energie kann viele Formen haben, entscheidend ist jedoch, dass der Energiebedarf, wenn man das System um den Faktor 10 vergrößert, um den Faktor 1 000 steigt und so weiter. Und nach dem vierten Prinzip neigen komplexe Systeme zum katastrophalen Zusammenbruch. Das dritte und vierte Prinzip hängen miteinander zusammen. Wenn das System ein bestimmtes Ausmaß erreicht, versiegt die Energiezufuhr, weil aufgrund des exponentiellen Verhältnisses von Größe und Energiebedarf einfach nicht mehr genügend Ressourcen zur Verfügung stehen. Kurz zusammengefasst: Komplexe Systeme entstehen spontan, verhalten sich unvorhersehbar, erschöpfen Ressourcen und brechen katastrophal zusammen. Überträgt man dieses Paradigma auf die Finanzwelt, begreift man, wohin der Währungskrieg steuert. Die Komplexitätstheorie hat eine solide empirische Grundlage und wird auf eine Vielzahl von natürlichen und vom Menschen geschaffenen Systemen angewandt, etwa das Klima, die Seismologie oder das Internet. Mit der Anwendung der Komplexitätstheorie auf den Kapital- und Geldmarkt wurden große Fortschritte erzielt. Allerdings ergibt sich in Hinblick auf die Interaktion von menschlichem Verhalten und Marktdynamik ein Problem. Die Komplexität der menschlichen Natur wirkt wie ein Turbolader auf die Komplexität der Märkte. Die Natur des Menschen ist ebenso ein komplexes Sys- 262
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität tem wie ein Markt oder eine Zivilisation, und sie alle passen ineinander wie russische Matrjoschka-Puppen. Eine Einführung in die Verhaltensökonomik bietet uns daher einen Einstieg in die allgemeine Komplexitätstheorie und die Frage, wie die Dynamik der komplexen Systeme das Schicksal des Dollar und den Ausgang des Währungskriegs bestimmen wird. Verhaltensökonomik und Komplexität Die moderne Verhaltensökonomik hat ihre Wurzeln in den Sozialwissenschaften Mitte des 20. Jahrhunderts. Bedeutende Soziologen wie Stanley Milgram und Robert K. Merton führten weitreichende Experimente durch und analysierten Daten, um neue Einblicke ins menschliche Verhalten zu gewinnen. Robert K. Mertons bekannteste Leistung besteht darin, dass er die Idee der selbsterfüllenden Prophezeiung formalisierte.60 Dahinter steht der Gedanke, dass eine Äußerung, die als wahr angenommen wird, wahr werden kann, selbst wenn sie anfänglich falsch war, weil die Äußerung das Verhalten der Betroffenen so verändert, dass die falsche Prämisse schließlich eintrifft. Faszinierenderweise verwendete Merton dafür das Beispiel eines Bankenansturms vor den Zeiten der Einlagenversicherung. Eine Bank kann den Tag mit einer soliden Grundlage und ausreichend Kapital beginnen. Doch ein Gerücht, dass die Bank in Schwierigkeiten steckt, so unbegründet es auch sein mag, löst einen Ansturm von Sparern aus, die alle auf einmal versuchen, ihr Geld abzuheben. Selbst die besten Banken haben nicht 100 Prozent ihres Kapitals in bar zur Verfügung; ein solcher Ansturm kann eine Bank daher zwingen, die Türen vor den Sparern und ihren Forderungen zu verschließen. Am Ende des Tages ist die Bank zahlungsunfähig und bestätigt so das ursprünglich falsche Gerücht. Die Interaktion zwischen dem Gerücht, dem daraus resultierenden Verhalten und der Pleite der Bank ist ein Beispiel für eine positive Rückkopplung zwischen Information und Verhalten. 263
Teil 3 Die nächste globale Krise Merton und andere bedeutende Soziologen waren keine Wirtschaftswissenschaftler. In gewisser Weise waren sie es aber doch, denn letztendlich geht es bei den Wirtschaftswissenschaften um das Studium der menschlichen Entscheidungsfindung in Hinblick auf knappe Güter. Die Soziologen f­anden einiges über diese Entscheidungsprozesse heraus. Alan Schwartz, der ehemalige CEO von Bear Stearns, kann die Kraft von Mertons selbsterfüllender Prophezeiung sicher bestätigen. Am 12. März 2008 sagte Schwartz bei CNBC: »Wir sehen nicht, dass unsere Liquidität unter Druck wäre, und von einer Liquiditätskrise kann gar keine Rede sein.« 48 Stunden später war Bear Stearns auf dem besten Weg in die Pleite, nachdem aufgeschreckte Wall-Street-Banken Milliarden Dollar an Krediten zurückgezogen hatten. Für ­Bear Stearns war das die Anwendung von Mertons Gedankenexperiment auf das wahre Leben. Einen Durchbruch für den Einfluss der Sozialpsychologie auf die Wirtschaft erzielten die Arbeiten von Daniel Kahneman, Amos Tversky, Paul Slovic und anderen, die in den 1950er- und 1960er-Jahren eine Reihe von Experimenten durchführten.61 Beim berühmtesten Versuch zeigten Kahneman und Tversky, dass sich ihre Versuchspersonen, wenn sie zwischen zwei finanziellen Situationen wählen mussten, für die Variante entschieden, die am ­meisten Sicherheit versprach, auch wenn sie nicht den höchsten zu erwartenden Gewinn bedeutete. Bei einem solchen Experiment wird die Versuchsperson normalerweise vor die Wahl zwischen zwei Gewinnen gestellt: a) 4 000 Dollar mit einer Gewinnwahrscheinlichkeit von 80 Prozent oder b) 3 000 Dollar mit einer Gewinnwahrscheinlichkeit von 100 Prozent. Anhänger der Effizienzmarkthypothese müssen da nicht lange überlegen: 4 000 Dollar mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent zu gewinnen, ergibt einen Erwartungswert von 3 200 Dollar (4 000 Dollar x 0,80). Da 3 200 Dollar mehr sind als die 3 000 Dollar von Variante b würde ein rationaler Teilnehmer, der stets die Gewinnmaximierung im Blick hat, die Variante a wählen. Doch bei einem tatsächlich durchgeführten Experiment entschieden sich 80 Prozent der Teilnehmer für b. Sie gingen lieber auf »Nummer sicher«, selbst wenn der theoretische Wert niedriger lag. In ge- 264
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität wisser Weise ist das nur eine offizielle statistische Version des alten Sprichworts: »Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach.« Dennoch waren die Resultate revolutionär, denn sie bedeuteten einen direkten Angriff auf einen der Eckpfeiler der Finanzmarkttheorie. Mit einer Reihe weiterer elegant gestalteter und verblüffend einfach wirkender Experimente zeigten Kahneman und seine Kollegen, dass die Versuchspersonen bei einer entsprechenden Präsentation eindeutig bestimmte Varianten bevorzugten, selbst wenn die Alternative genau dasselbe Ergebnis hervorbrachte. Diese Experimente machten die Wirtschaftswissenschaftler mit einem völlig neuen Vokabular vertraut, darunter die Begriffe Sicherheit (der Wunsch, Verluste zu vermeiden, auch Risikoaversion genannt), Ankern (der unverhältnismäßige Effekt, den frühere Resultate auf eine Entscheidung haben), Isolation (das unverhältnismäßige Gewicht einzigartiger Eigenschaften gegenüber gemeinsamen Eigenschaften), Framing-Effekt (unterschiedliche Formulierungen einer Botschaft beeinflussen bei gleichem Inhalt das Verhalten des Empfängers auf unterschiedliche Weise) und Heuristik (Faustregeln). Die Ergebnisse auf diesem Gebiet wurden unter der Bezeichnung »Prospect Theory« oder »neue Erwartungstheorie« zusammengefasst und stellten die Erwartungsnutzentheorie der Finanzmarkttheorie erheblich infrage. Leider wurde die Verhaltensökonomik von der Politik vereinnahmt und mehr zur Manipulation als zur Erklärung benutzt, weil sich die Entscheidungsträger für schlauer halten als die Bevölkerung. Bernankes Kampagne, »Inflationserwartungen« zu schüren, indem er die Geldmenge erhöhte, den Dollar abwertete und gleichzeitig die Zinsen niedrig hielt, ist eine besonders dreiste Version derartiger Manipulationen, es gibt jedoch noch andere. Zu den gezielten Propagandamaßnahmen gehören Hintergrundgespräche von CEOs mit Wirtschaftsjournalisten, bei denen darum gebeten wird, den Nachrichten über das Unternehmen einen positiveren Klang zu geben. Solche Manipulationsversuche können auch ins Absurde abgleiten, etwa mit der Formulierung von den »ersten grünen Trieben«, die von den Nachrich- 265
Teil 3 Die nächste globale Krise tensprechern im Fernsehen, die mittlerweile eher Cheerleaderfunktion haben, im Frühjahr 2009 bis zum Überdruss wiederholt wurde, obwohl zu der Zeit Millionen Amerikaner arbeitslos wurden. Tim Geithners selbst erklärter »Sommer der wirtschaftlichen Erholung« 2010 ist ein weiteres Beispiel – für die 44 Millionen Amerikaner, die von Lebensmittelmarken leben müssen, kam und ging der Sommer ohne das geringste Anzeichen einer Erholung. All das sind Belege für das von Kahneman als »Framing« bezeichnete Bemühen, ein Thema mithilfe bestimmter Formulierungen in Richtung auf ein bestimmtes Resultat zu gestalten. Bernanke, Geithner und weitere Anhänger der Verhaltensökonomik in leitenden Positionen übersehen etwas, was Merton wahrscheinlich sofort erkannt hätte – den Rückkopplungseffekt, der entsteht, wenn man beim Framing Inhalte ohne jegliche Substanz verbreitet. Wenn es der Wirtschaft wirklich gut geht, braucht die Botschaft kein Framing, weil die Fakten für sich sprechen, wenn auch mit einer gewissen Verzögerung. Wenn die Realität dagegen nur kollabierende Währungen, Pleitebanken und insolvente Staaten zu bieten hat, zeigt das Gerede über erste Anzeichen einer Erholung im besten Fall eine begrenzte und vorübergehende Wirkung. Der langfristige Effekt ist der, dass die Bürger komplett das Vertrauen verlieren. Wenn die Framing-Karte oft genug erfolglos gespielt wurde, misstrauen die Bürger instinktiv allem, was offiziell über das Wirtschaftswachstum verkündet wird, und bleiben auch dann noch vorsichtig, wenn sich die Situation tatsächlich verbessert. Das hat nichts mit einem Versagen der Verhaltensökonomik zu tun, sondern viel mehr mit ihrem Missbrauch durch die Politik. Die Verhaltensökonomik verfügt über einflussreiche Instrumente und kann trotz gelegentlichen Missbrauchs aufschlussreiche Erkenntnisse liefern. Am besten ist sie dann, wenn man sie zur Beantwortung von Fragen nutzt, anstatt Ergebnisse zu erzwingen. Die Untersuchung des Keynesianismus mit all seinen Widersprüchen ist ein ergiebiges Forschungsgebiet der Verhaltens­ ökonomik und hätte das Potenzial, die Währungskriege abzuschwächen. Der Keynesianismus sollte eigentlich dazu beitragen, das Sparparadoxon 266
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität zu überwinden. Keynes wies darauf hin, dass der Einzelne auf wirtschaftliche Krisen mit Konsumverzicht und verstärktem Sparen reagiert. Wenn allerdings alle so handeln, verschärft sich die Krise noch, weil die Gesamtnachfrage einbricht, was wiederum zur Folge hat, dass Unternehmen schließen müssen und die Arbeitslosigkeit steigt. Dieser Rückgang beim privaten Konsum sollte gemäß der keynesianischen Theorie durch vermehrte staatliche Ausgaben ausgeglichen werden. Doch die heutigen Staatsausgaben sind so hoch und die Staatsverschuldung ist so massiv, dass die Bürger zu Recht davon ausgehen, dass eine Kombination aus Inflation, höheren Steuern und Zahlungsausfall erforderlich sein wird, um die Schuldenlast abzubauen. Staatliche Programme schaffen keine Konsumanreize, sondern erhöhen nur die Schuldenlast und verstärken dadurch womöglich die Neigung des Einzelnen, sein Geld zu horten. Eine komplizierte Situation, für deren Untersuchung die Verhaltensökonomik die geeigneten Mittel bietet. Vielleicht stellt sich dann heraus, dass eine kurzfristige Sparsamkeit seitens des Staates die wirtschaftlichen Aussichten langfristig verbessert, weil dadurch die Zuversicht der Bürger wächst und entsprechend der Konsum wieder steigt. Die Komplexitätstheorie Unsere Definition komplexer Systeme beinhaltet folgende Aspekte: spontane Organisation, Unvorhersehbarkeit, einen exponentiell zunehmenden Energiebedarf und das Potenzial zum katastrophalen Zusammenbruch. Eine andere Möglichkeit, Komplexität besser zu verstehen, ist der Vergleich mit etwas, das nicht komplex, sondern nur kompliziert ist. Eine Schweizer Uhr ist vielleicht kompliziert, aber nicht komplex. Die vielen Zahnräder, Antriebsfedern, Edelsteine, Schräubchen und anderen Bauteile gehören zu einer komplizierten Mechanik. Trotzdem kommunizieren die einzelnen Teile nicht miteinander. Sie wirken zusammen, interagieren aber nicht. Ein Zahnrad wird nicht größer, weil die anderen Zahnräder das für eine gute Idee halten. Die Federn organisieren sich nicht spontan selbst zu einer metallischen 267
Teil 3 Die nächste globale Krise Flüssigkeit. Die Uhr ist kompliziert; doch komplex bedeutet viel mehr als kompliziert. Komplexe Systeme bestehen aus individuellen Komponenten, die man autonome Agenten nennt, weil sie Entscheidungen treffen und Ergebnisse innerhalb des Systems produzieren. Diese Agenten können Meerestiere in der Nahrungskette des Ozeans sein oder einzelne Anleger auf dem Devisenmarkt; die Dynamik ist dieselbe. Um komplex zu sein, benötigt ein System in erster Linie verschiedene Arten von Agenten. Wenn sich die Agenten gleichen, wird nichts Interessantes passieren. Wenn sie verschieden sind, reagieren sie unterschiedlich auf Reize und erzeugen eine größere Bandbreite an Resultaten.62 Das zweite Element ist die Verbundenheit. Das bedeutet, dass die Agenten über eine Art Kanal miteinander vernetzt sind. Das können Stromleitungen im Fall eines Stromnetzes sein oder Twitter Feeds bei einem sozialen Netzwerk, auf jeden Fall müssen die Agenten über eine Möglichkeit verfügen, miteinander in Kontakt zu treten. Das dritte Element ist die Interdependenz, das heißt, die Agenten beeinflussen einander gegenseitig. Wenn jemand nicht weiß, wie kalt es draußen ist, und deshalb aus dem Fenster schaut und sieht, dass die Passanten warme Mäntel tragen, entscheidet er sich wahrscheinlich dafür, auch einen Mantel anzuziehen. Diese Entscheidung erfolgt nicht automatisch – er könnte auch nur einen Pullover anziehen –, doch in diesem Fall ist die Entscheidung, ­einen warmen Mantel zu tragen, zum Teil von den Entscheidungen der anderen abhängig. Das letzte Element ist die Anpassung oder Adaption. In komplexen Systemen heißt Anpassung nicht nur Veränderung, sondern bezieht sich speziell auf die Lernfähigkeit. Anleger, die an der Wall Street mit Anlagestrategien wie »Buy and Hold« (»kaufen und halten«) wiederholt Geld verlieren, lernen mit der Zeit, dass sie auch andere Strategien berücksichtigen soll- 268
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität ten. Dieses Lernen kann kollektiv erfolgen, wenn die Lektion auch anderen vermittelt wird, ohne dass diese selbst eigene Erfahrungen machen müssen. Agenten, die unterschiedlich, miteinander verbunden, interdependent und anpassungsfähig sind, bilden die Grundlage eines komplexen Systems. Um zu erfassen, wie ein komplexes System funktioniert, muss man die Stärke der einzelnen vier Elemente verstehen. Stellen Sie sich vor, jedes Element hätte einen Regler, den man von eins bis zehn einstellen kann. Bei der Einstellung eins ist das System uninteressant. Es weist vielleicht die Merkmale der Komplexität auf, aber es tut sich nicht viel. Der Grad der Verschiedenheit ist gering, die Verbundenheit und Interdependenz sind schwach, und es findet so gut wie kein Lern- oder Anpassungsprozess statt. Bei der Einstellung zehn ist das System chaotisch. Die Agenten erhalten aus zu vielen Quellen zu viele Informationen und sind in ihrem Entscheidungsprozess durch widersprüchliche und zu viele Signale behindert. Besonders faszinierend ist die Komplexität beim, wie Scott Page von der University of Michigan es nennt, »interessanten Dazwischen«. Das heißt, die Regler sind irgendwo zwischen drei und sieben eingestellt, jeder einzelne bei einer anderen Zahl. Das ermöglicht den Austausch von reichlich Informationen, außerdem zahlreiche Interaktionen und Lernvorgänge zwischen den verschiedenen Agenten, aber nicht in dem Ausmaß, dass es chaotisch wird. Das ist das, was Komplexität ausmacht – ein System, das kontinuierlich überraschende Ergebnisse produziert, ohne zusammenzubrechen. Zwei weitere Aspekte komplexer Systeme sind von größter Bedeutung für die von uns angedachte Anwendung auf die Devisenmärkte und den D ­ ollar. Es handelt sich dabei um die emergenten Eigenschaften und die Phasenübergänge. Wenn man sagt, ein System habe emergente Eigenschaften, heißt das, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Der Verzehr eines köstli- 269
Teil 3 Die nächste globale Krise chen, warmen Apfelkuchens ist interessanter als Teig, Zucker, Äpfel, Butter und die anderen Zutaten zu betrachten, aus denen er gemacht wurde. Bei hochkomplexen Systemen sind die emergenten Eigenschaften besonders ausgeprägt und zeigen unerwartete Folgen. Das Klima ist eins der komplexesten Systeme, die wir kennen. Es lässt sich nur schwer in Modellen erfassen, und verlässliche Wettervorhersagen können nur etwa vier Tage im Voraus erstellt werden. Tropische Wirbelstürme zählen zu den emergenten Eigenschaften des Klimas. Ihre Merkmale wie beispielsweise niedriger Luftdruck, warmes Wasser, Konvektion und so weiter lassen sich leicht beobachten, doch wann und wo genau ein Hurrikan entsteht, kann man unmöglich vorhersagen. Wir erkennen ihn, wenn er da ist. Das beste Beispiel für Emergenz ist wahrscheinlich das menschliche Bewusstsein. Der Körper des Menschen besteht aus Sauerstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff, dazu kommen noch Spuren von Kupfer und Zink. Wenn man diese Zutaten in einem Behälter mischen würde, könnte man noch so sorgfältig rühren oder die Mischung sogar unter Strom setzen, es würde nichts passieren. Doch dieselben Zutaten ergeben kombiniert in unserer DNA einen Menschen. In einem Kohlenstoffmolekül deutet nichts auf das menschliche Denken hin, und in einem Sauerstoffmolekül nichts auf die Fähigkeit zu sprechen oder zu schreiben. Und doch entstehen mittels der Komplexität aus genau diesen Zutaten diese Fähigkeiten. Das Denken entsteht im menschlichen Geist auf dieselbe komplexe, dynamische Art wie ein Hurrikan aus dem Klima. Die Phasenübergänge sind eine Möglichkeit zu beschreiben, was passiert, wenn ein komplexes System seinen Zustand ändert. Wenn ein Vulkan ausbricht, wechselt er vom inaktiven Zustand in den aktiven. Wenn die Kurse am Aktienmarkt an einem Tag um 20 Prozent fallen, wechselt der Markt von stabil zu chaotisch. Wenn sich der Preis für Gold innerhalb einer Woche verdoppelte, würde der Zustand des Dollar von stabil in den freien Fall wechseln. All das sind Beispiele für Phasenübergänge bei komplexen ­Systemen. 270
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität Nicht jedes komplexe System neigt indes zu Phasenübergängen – das System muss sich in einem »kritischen Zustand« befinden. Das bedeutet, die Agenten des Systems sind so gruppiert, dass die Aktionen eines Agenten eine Aktion bei einem anderen auslösen, bis sich das ganze System radikal verändert. Ein gutes Beispiel für einen Phasenübergang in einem kritischen Zustand ist eine Lawine. Ein normales Schneefeld auf einer flachen Oberfläche ist ziemlich stabil, doch die gleiche Menge Schnee an einem steilen Hang könnte einen kritischen Zustand erreichen. Eine Weile kann weiterer Neuschnee hinzukommen, aber irgendwann wird eine Schneeflocke ein paar andere Schneekristalle stören. Diese werden wieder die umliegenden Schneeflocken stören, bis der Schnee leicht ins Rutschen gerät und weiteren Schnee mit sich nimmt. Unterwegs wird es immer mehr Schnee, bis sich schließlich der gesamte Hang löst. Man könnte der einzelnen Schneeflocke die Schuld geben, richtiger wäre es jedoch, die Ursache für die Lawine im instabilen Zustand des Schnees am gesamten Hang zu suchen. Das Schneefeld war in einem kritischen Zustand – es wäre früher oder später ins Rutschen geraten, und wenn die eine Schneeflocke nicht die Lawine ausgelöst hätte, dann wäre es eben die nächste gewesen. Der gleiche Vorgang lässt sich bei einem Börsenkrach beobachten. Kaufund Verkaufsaufträge gehen ständig ein, ähnlich wie Schneeflocken auf einen Berghang fallen. Manchmal sind die Käufer und Verkäufer sehr instabil an­geordnet, sodass ein Verkaufsauftrag ein paar weitere nach sich zieht, die dann bei Bekanntwerden weitere Verkaufsaufträge nervöser Anleger ­aus­lösen. Schon bald gerät die Lawine außer Kontrolle, und weitere Verkaufsaufträge werden mithilfe von Stop-Loss-Programmen automatisch durch­geführt. Ein Dominoeffekt. Manchmal kommt der Vorgang auch zum Erliegen; auch im Schnee gibt es viele kleine Störungen, die kaum Schaden anrichten. Manchmal wächst der Vorgang exponentiell, bis etwas außerhalb des Systems dazwischenkommt. Diese Intervention kann in einer Aussetzung des Handels oder gar der Schließung der Börse bestehen oder darin, dass Konsortien versuchen, sich gegen den Strom zu stemmen. Wenn die Verkaufswelle zum Halten kommt, kann das komplexe System wieder 271
Teil 3 Die nächste globale Krise in ­einen stabilen, nicht­kritischen Zustand zurückkehren – bis zur nächsten Ketten­reaktion. Die Atomkatastrophe im Kraftwerk Fukushima in der Nähe von Sendai in Japan ist ein perfektes Beispiel für Phasenübergänge in Natur und Gesellschaft sowie dafür, wie ein Zusammenbruch von einem System auf das andere übergreift, wenn sich alle Systeme an einem kritischen Punkt befinden. Plattentektonik, Uranatome und die Börse sind separate komplexe Systeme. Sie können jedoch so interagieren, dass es zu einer Art systemübergreifendem Zusammenbruch kommt. Am 11. März 2011 verschob sich die Pazifische Platte vor der Ostküste Japans und löste ein heftiges Erdbeben der Stärke 9,0 aus. Bei den Erdstößen auf dem Meeresboden wurde Energie vom einen System, der Erdkruste, auf ein anderes System, den Ozean, übertragen, wodurch sich eine bis zu 16 Meter hohe Tsunami-Flutwelle bildete. Der Tsunami brandete gegen mehrere Atomreaktoren, wodurch wieder Energie übertragen und eine weitere Katastrophe verursacht wurde, diesmal eine Kernschmelze bei den im Kraftwerk verwendeten Uran- und Plutoniumbrennstäben. Die durch die Kernschmelze verursachte Panik führte zu einer weiteren Panik an der Börse in Tokio, wo die Kurse innerhalb von zwei Tagen um 20 Prozent einbrachen. Das Erdbeben und der Tsunami sind natürliche Systeme. Der Reaktor barg eine Mischung aus einem natürlichen System (Uran) und einem von Menschenhand errichteten System, die Börse dagegen ist komplett von Menschen geschaffen. Dennoch folgten alle derselben Dynamik des kritischen Zustands in einem komplexen System. Phasenübergänge können selbst bei geringen Auslösern katastrophale Auswirkungen haben – eine einzelne Schneeflocke kann durch eine Lawine ein ganzes Dorf zerstören. Das ist eines der Geheimnisse der sogenannten »schwarzen Schwäne«. Nassim Nicholas Taleb machte den Begriff »schwarzer Schwan« mit seinem Buch Der schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse bekannt. Darin demontiert er zu Recht die Normalverteilung – die Glockenkurve – als geeignete Möglichkeit zum Verständnis von Risiken. Allerdings widerlegt er zwar das eine Modell, bietet 272
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität aber keine Alternative an. Taleb belässt es bei einem philosophischen Ansatz und äußert sich eher verächtlich über mathematische Modelle im Allgemeinen. Unwahrscheinliche katastrophale Ereignisse werden von ihm als »schwarze Schwäne« bezeichnet, als ob er sagen wollte: So etwas passiert eben. Der Begriff wird gern von Analysten und Politikern verwendet, die zwar verstehen, dass so etwas vorkommt, die aber nicht die Dynamik des kritischen Zustands und die Komplexität dahinter durchschauen. Denn man kann mehr tun, als nur bedauernd die Hände zu ringen. Ein Waldbrand, der durch einen Blitzeinschlag ausgelöst wurde, ist dafür ein im wahrsten Sinne des Wortes erhellendes Beispiel. Egal, ob ein Feuer einen einzelnen Baum oder Tausende Hektar vernichtet, es wurde von einem einzigen Blitzschlag verursacht. Man könnte meinen, dass große Blitze große Brände auslösen und kleine Blitze kleine Brände, aber das stimmt nicht. Ein- und derselbe Blitzeinschlag kann überhaupt kein Feuer oder einen verheerenden Brand auslösen, das hängt vom kritischen Zustand ab. Das ist einer der Gründe, warum uns schwarze Schwäne überraschen. Es handelt sich um extreme Ereignisse, aber eigentlich wäre es zutreffender, wenn man von extremen Resultaten sprechen würde, die von alltäglichen Ereignissen ausgelöst werden. Extreme Resultate kommen mit einer gewissen Häufigkeit vor; es sind alltägliche Ereignisse, die sie auslösen, und wir sehen sie nicht kommen, weil sie eben so alltäglich sind. Betrachtet man das System genauer, erkennt man, wie sich das alltägliche Ereignis in einen schwarzen Schwan verwandelt. Wie im Fall der Lawine kommt es nicht wirklich auf die einzelne Schneeflocke an, sondern auf den Schnee insgesamt. Um unser Verständnis der Komplexitätstheorie zu vervollständigen, sind zwei weitere Modelle nötig. Das erste bezieht sich auf die Häufigkeit extremer Ereignisse im Verhältnis zu den glimpflichen Ereignissen in einem komplexen System und ihre Verteilung. Das zweite ist der Begriff des Ausmaßes. Die Glockenkurve der Normalverteilung, die in der Finanzwirtschaft verwendet wird, besagt, dass glimpfliche Ereignisse ständig passieren, sehr ex- 273
Teil 3 Die nächste globale Krise treme Ereignisse dagegen so gut wie nie. Doch die Glockenkurve ist nur eine Form der Wahrscheinlichkeitsverteilung; es gibt noch viele andere. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung, die viele Ereignisse in komplexen Systemen beschreibt, bezeichnet man als Potenzgesetz. Ein Schaubild, das einem Potenzgesetz entspricht, ist in Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 2: Die Wahrscheinlichkeitsverteilung bei einem Potenzgesetz Bei dieser Wahrscheinlichkeitsverteilung ist die Häufigkeit der Ereignisse auf der y-Achse eingetragen und der Schweregrad der Ereignisse auf der x-Achse. Wie bei der Glockenkurve sind extreme Ereignisse seltener als glimpflich verlaufende Ereignisse. Deshalb verläuft die Kurve nach unten (weniger häufige Ereignisse), je weiter man auf der x-Achse nach rechts geht (extremere Ereignisse). Allerdings gibt es einige gravierende Unterschiede zwischen dem Potenzgesetz und der Glockenkurve. Zum einen ist die Glockenkurve (Abbildung 1) im Bereich der y-Achse »dicker«. Das bedeutet, dass die glimpflichen Ereignisse in der Verteilung nach der Glockenkurve häufiger auftreten als beim Potenzgesetz. Die Kurve beim Potenzgesetz kommt der x-Achse nie so nahe wie die Glockenkurve. Der »Schwanz« der 274
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität Kurve zieht sich lange nach rechts und bleibt dabei immer oberhalb der xAchse. Das ist der berühmte »lange Schwanz«, der anders als die Glockenkurve scheinbar nie die x-Achse berührt. Das bedeutet, dass bei der Verteilung nach dem Potenzgesetz extreme Ereignisse häufiger vorkommen als bei der Glockenkurve. Im Fernsehen und Internet wird lebhaft über den »Long Tail«, den langen Schwanz, diskutiert, auch wenn der Begriff häufiger als Klischee verwendet wird und weniger aus mathematischem Verständnis. Noch weniger verstanden wird die Bedeutung des Ausmaßes. Die Kurve in Abbildung 2 ­endet aus praktischen Gründen irgendwann. Doch theoretisch könnte sie sich ewig entlang der x-Achse erstrecken, ohne diese je zu berühren. Diese Fortsetzung würde das Ausmaß möglicher Katastrophen in unvorstellbare Be­reiche führen, etwa ein Erdbeben von der Stärke 10,0, das noch nie ge­ messen wurde. Ist die Länge des Schwanzes begrenzt? Ja, an einem bestimmten Punkt fällt die Kurve senkrecht ab und schneidet die horizontal verlaufende xAchse. Dieser Abbruch markiert die Grenze des Systems. Das Ausmaß der ­größten Katastrophe in einem System ist durch das Ausmaß des Systems an sich ­begrenzt. Ein Beispiel dafür wäre ein aktiver Vulkan auf einer einsamen ­Insel. Der Vulkan und die Insel bilden ein komplexes dynamisches System in einem kritischen Zustand. Im Lauf der Jahrhunderte kann es i­mmer ­wieder zu Ausbrüchen kommen, die unterschiedlich schwere ­Schäden a­ nrichten. Schließlich explodiert der Vulkan komplett, und die ­Insel versinkt im Meer, sodass nichts mehr von ihr bleibt. Das wäre ein extremes Ereignis, das durch das Ausmaß des Systems – die Insel – begrenzt ist. Die Katastrophe kann nicht größer sein als das System, in dem sie auftritt. Das war die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass vom Menschen geschaffene Systeme ständig wachsen. Stromnetze werden immer größer und sind stärker untereinander verbunden; Straßennetze werden er- 275
Teil 3 Die nächste globale Krise weitert, das Internet erhält immer mehr Netzwerkknoten und Verteiler. Und es gibt eine noch schlechtere Nachricht: Das Verhältnis zwischen Katastrophenrisiko und Ausmaß des Systems ist exponentiell. Das heißt, wenn sich das System in der Größe verdoppelt, verdoppelt sich das Risiko nicht nur – sondern steigt um den Faktor 10. Verdoppelt sich das System erneut, wächst das Risiko um den Faktor 100. Bei einer erneuten Verdopplung des Systems steigt das Risiko um den Faktor 1 000 und so weiter. Finanzmärkte sind komplexe Systeme par excellence mit Millionen Händlern, Anlegern und Spekulanten als autonomen Agenten. Diese Agenten sind ganz unterschiedlich, was ihre Ressourcen, Vorlieben und Risikoneigungen betrifft. Es gibt optimistische Bullen und pessimistische Bären, Käufer und Verkäufer. Manche riskieren Milliarden, andere nur ein paar hundert Dollar. Die Agenten sind eng vernetzt. Sie handeln und investieren in einem Netzwerk der Börsen, Broker, automatischen Handelssysteme und Informationsströme. Die Interdependenz ist ein weiteres Kennzeichen von Märkten. Als die Subprime-Hypothekenkrise Anfang August 2007 zuschlug, brachen die Aktienkurse in Tokio massiv ein. Anfangs waren einige japanische Analysten verblüfft, warum sich eine Hypothekenkrise in den USA auf die japanischen Aktienkurse auswirken sollte. Der Grund war, dass es sich bei den japanischen Aktien um liquide Aktien handelte, also um Titel, die häufig gehandelt wurden und die man daher verkaufen konnte, um Geld für die Nachschussaufforderungen bei den amerikanischen Hypothekenpapieren aufzutreiben. Diese Form der Ansteckung im Wertpapierhandel ist eine gewaltige Interdependenz. Börsenmakler und Anleger sind überaus anpassungsfähig. Sie beobachten Handelsströme und Gruppenreaktionen, halten sich ständig über Informationsdienste, Fernsehen, Kurse, Chatrooms, soziale Netzwerke und im direkten Gespräch über die aktuelle Entwicklung auf dem Laufenden und reagieren entsprechend. 276
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität Kapital- und Devisenmärkte weisen noch andere Merkmale eines komplexen Systems auf. Emergente Eigenschaften zeigen sich in den wieder­ kehrenden Kursmustern, die man bei der Chartanalyse so liebt. Die Kurs­spitzen und -täler, die »Double-Tops«, »Schulter-Kopf-Schulter-Formationen« und anderen technischen Chartmuster sind Beispiele für Emergenz in einem komplexen Gesamtsystem. Phasenübergänge – r­apide, extreme Veränderungen – gibt es in Form von Spekulationsblasen und Kurs­ einbrüchen. Ein Großteil der Arbeiten über Kapitalmärkte als komplexe Systeme ist noch theoretisch. Es liegen jedoch auch empirische Belege vor, über die Benoît Mandelbrot als einer der ersten berichtete. Umfang und Häufigkeit bestimmter Kurse ergeben die Verteilungskurve eines Potenzgesetzes. Mandelbrot zeigte anhand einer Kurve des zeitlichen Verlaufs, dass die Kursbewegungen eine sogenannte »fraktale Dimension« aufweisen.63 Eine fraktale Dimension ist nicht ganzzahlig, das bedeutet zum Beispiel, dass sie größer als eins und kleiner als zwei ist, was in einem Bruch als 1½ ausgedrückt wird; »fraktal« leitet sich vom lateinischen »fractus« ab, was »gebrochen« heißt. In der Geometrie ist eine Linie eindimensional (Länge) und eine Fläche zweidimensional (Länge und Breite). Eine fraktale Dimension von 1½ liegt irgendwo dazwischen. Ein bekanntes Beispiel ist die allgegenwärtige Aktienkurve, die man täglich in der Zeitung oder auf Finanzwebsites sieht. Das Schaubild besteht aus mehr als einer Kurve (es sind Hunderte), füllt aber nicht das gesamte Quadrat zwischen den beiden Achsen aus, sondern ist kleiner als das Quadrat. Daher hat es eine fraktale Dimension zwischen eins und zwei. Das unregelmäßige Muster beim Auf und Ab der Kurse ist eine emergente Eigenschaft, ein massiver Einbruch wäre ein Phasenübergang. Ein ähnliches fraktales Muster entsteht, wenn das Schaubild vergrößert wird, um Stunden, Tage, Monate oder Jahre abzubilden, und ähnliche Resultate ergeben sich, wenn man andere Schaubilder für Devisen-, Anleihen- 277
Teil 3 Die nächste globale Krise oder Derivatemärkte betrachtet. Die Kurven zeigen Kursbewegungen und damit das Risiko, verteilt nach dem Potenzgesetz, und einen Verlauf mit einer fraktalen Dimension, die deutlich größer als 1,0 ist. Diese Eigenschaften stehen im Widerspruch zur normalen Risikoverteilung und decken sich mit der Wahrscheinlichkeitsverteilung von Ereignissen in komplexen Systemen. In diesem Bereich muss zwar noch geforscht werden, doch bislang spricht vieles dafür, dass Kapitalmärkte komplexe Systeme mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung nach dem Potenzgesetz sind. Das führt unsere Analyse zurück zur Frage der Größenordnung. Welches Ausmaß haben Devisen- und Kapitalmärkte und wie wirkt sich ihre Größe auf das Risiko aus? Wenn katastrophale Zusammenbrüche einer Exponentialfunktion folgen, dann hat jede Erweiterung des Ausmaßes eine massive Erhöhung des Risikos zur Folge. Kapitalmärkte legen beständig an Umfang zu, daher kommen die schwarzen Schwäne in größerer Zahl und mit höherer Intensität vor. Wenn man heute das Ausmaß von Kapitalmärkten einschätzen möchte, ist das so ähnlich, wie wenn man vor der Erfindung von Meter und Zentimeter, Fuß und Yard versuchen wollte, eine Fläche auszumessen. Es gibt kein allgemein gültiges Größenmaß für die Berechnung des Marktrisikos auf Grundlage der Komplexitätstheorie und der Dynamik des kritischen Zustands. Dieser fehlende Maßstab ist nicht ungewöhnlich. Erdbeben gibt es schon seit Menschengedenken, doch die Richter-Skala, mit der man die Intensität und Häufigkeit der Erdstöße misst, wurde erst 1935 entwickelt. Erdbeben sind Phasenübergänge im komplexen System der Plattentektonik, und ­ihre mit der Richter-Skala gemessene Häufigkeit und Intensität folgen ebenfalls einem Potenzgesetz. Die Ähnlichkeit zwischen Aktienkurven und seis­mografischen Aufzeichnungen (siehe Abbildung 3) ist kein Z ­ ufall. 278
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität Abbildung 3: Beispiel für eine seismografische Aufzeichnung Es wird eine Weile dauern, bis die empirische Arbeit zur theoretischen Forschung aufgeschlossen hat. Doch denjenigen, die geeignete Messgrößen entdecken und die Kurve genau berechnen, winkt sicher der Wirtschaftsnobelpreis. Man muss allerdings nicht auf diese Arbeiten warten, sondern kann schon jetzt konkrete Schlussfolgerungen ziehen. Die Errichtung von Gebäuden auf einer bekannten Verwerfungslinie war auch schon vor der Entwicklung der Richter-Skala eine schlechte Idee. Die Komplexität und die Potenzgesetze der Kapitalmärkte zu ignorieren, ist ebenfalls keine gute Idee, selbst wenn der endgültige empirische Beweis noch aussteht. Wenn man zu lange wartet, könnte in der Zwischenzeit das Gebäude des Kapitalismus einstürzen. Bereits jetzt lassen sich wertvolle Rückschlüsse auf die statistischen Eigenschaften des Risikos an den Kapital- und Devisenmärkten ziehen. Es steht außer Frage, dass das Ausmaß der Märkte, unabhängig davon, wie man es am besten misst, in den vergangenen zehn Jahren dramatisch gewachsen ist. Durch eine Reihe von Fusionen entstanden globale Megahandelsplätze. Seit 279
Teil 3 Die nächste globale Krise der Deregulierung fällt die Trennung zwischen Geschäftsbanken und Investmentbanken in den USA weg, beide dürfen nun sämtliche Bankdienstleistungen anbieten. Durch außerbilanzielle Aktivitäten und Zweckgesellschaften ist ein grauer Kapitalmarkt entstanden, der mindestens so groß wie das eigentliche System ist. Zwischen Juni 2000 und Juni 2007, also bis zum Beginn der Finanzkrise, stieg der Umsatz mit Devisen-Derivaten im außerbörslichen Handel, dem sogenannten »Over-the-Counter-Handel« (OTC) von 15,7 Billionen Dollar auf 57,6 Billionen Dollar, was eine Steigerung um 367 Prozent bedeutet. Im selben Zeitraum stieg der Umsatz mit Zinsderivaten im OTC-Handel von 64,7 Billionen Dollar auf 381,4 Billionen Dollar, eine Steigerung um 589 Prozent. Die Summe der Aktienderivate im OTCHandel wuchs in diesen sieben Jahren von 1,9 Billionen Dollar auf 9,5 Billionen an, was einer Zunahme von 503 Prozent entspricht. Hält man sich an die an der Wall Street üblichen Methoden zur Risikobewertung, so ist an diesen Zahlen nichts Beunruhigendes. Da es sich um Long- und Short-Positionen handelt, werden die Summen mit der VaR-Methode gegeneinander verrechnet. Für die Wall Street befindet sich das Risiko immer in der Nettoposition. Wenn man eine Kaufposition in Höhe von 1 Milliarde Dollar bei einem Wertpapier hat und eine Verkaufsposition in Höhe von 1 Milliarde Dollar bei einem ganz ähnlichen Wertpapier, wird bei Methoden wie der VaR-Technik die Verkaufsposition von der Kaufposition abgezogen. Entsprechend kommt man zu dem Schluss, dass das Risiko sehr niedrig ist und manchmal sogar fast bei null liegt. Die Komplexitätsanalyse basiert auf einer ganz anderen Sichtweise. Bei der Analyse komplexer Systeme werden die Short-Positionen nicht von den Long-Positionen abgezogen – sie werden addiert. Jeder Dollar an Nominalwert schafft Interdependenz. Wenn eine Partei zahlungsunfähig wird, wird aus der ursprünglichen Nettoposition für eine bestimmte Bank umgehend eine Bruttoposition, weil ihre »Absicherung« dahin ist. Das fundamentale Risiko liegt in der Brutto-, nicht in der Nettoposition. Wenn die Bruttopositionen um 500 Prozent steigen, erhöht sich das theoretische Risiko auf- 280
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität grund des exponentiellen Verhältnisses zwischen dem Ausmaß des Systems und der Größe der Katastrophe um 5 000 Prozent oder mehr. Deshalb brach das Finanzsystem 2008 auf so spektakuläre Weise zusammen. Die Subprime-Hypotheken waren wie die Schneeflocken, die eine Lawine ins Rollen bringen. Die tatsächlichen Verluste bei den Subprime-Hypotheken liegen immer noch unter 300 Milliarden Dollar, was im Vergleich zu den Gesamtverlusten durch die Panik ein relativ geringer Betrag ist. Als die Lawine erst einmal losgetreten war, wurde alles mitgerissen, und das gesamte Bankensystem war in Gefahr. Berücksichtigt man Derivate und andere Finanzinstrumente, liegt der Gesamtverlust bei über 6 Billionen Dollar und damit weit höher als bei den Hypotheken. Da Faktoren wie die Dynamik des kritischen Zustands und der Umfang unberücksichtigt blieben, ­sahen die Regulierungsbehörden die Katastrophe nicht kommen, und auch die Banker waren pausenlos »überrascht« vom Ausmaß des Problems. Regulierungsbehörden und Banken verwendeten die falschen Instrumente und Maßstäbe. Leider tun sie das immer noch. Wenn ein natürliches System den kritischen Punkt erreicht und bei einem Phasenübergang zusammenbricht, durchläuft es einen Vereinfachungsprozess, der in eine stark reduzierte Systemgröße mündet. Dadurch sinkt auch das Risiko für eine weitere Megakatastrophe. Allerdings gilt das nicht für alle von Menschenhand geschaffenen komplexen Systeme. Staatliche Interventionen in Form von Bankenrettungen oder Gelddrucken können die Pleitewelle vorübergehend stoppen. Doch das Risiko verschwindet dadurch nicht. Es bleibt bis zum nächsten destabilisierenden Ereignis im System verborgen. Eine ganz einfache Lösung zur Beseitigung oder Eindämmung der Risiken, die entstehen, wenn ein System zu groß wird, besteht darin, das System zu verkleinern. Deshalb werden in Skigebieten morgens, bevor der Betrieb beginnt, instabile Schneeflächen mit Dynamit gesprengt. Die Lawinengefahr wird durch die Reduzierung der Schneemasse verringert. Doch in der Fi- 281
Teil 3 Die nächste globale Krise nanzwelt von heute geschieht genau das Gegenteil. Die Pistenpatrouillen der Finanzwelt, die Zentralbanken, schaufeln immer mehr Schnee auf den Berg. Mittlerweile ist das Finanzsystem noch größer und stärker konzentriert als direkt vor dem Beginn der Krise 2007. Zusätzlich zur Verkleinerung gibt es noch eine weitere Lösung zur Eindämmung des Risikos bei komplexen Systemen. Dabei behält man die Größe bei, macht aber das System robuster, indem man darauf achtet, dass die einzelnen Bestandteile nicht zu groß werden. Für die Banken hieße das, dass es mehr Banken gibt, die aber kleiner sind. Das Vermögen, über das sie verfügen, bleibt dabei gleich. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit gab es anstelle der heutigen JPMorgan Chase vier separate Banken: J. P. Morgan, Chase Manhattan, Manufacturers Hanover und die Chemical Bank. Eine Entflechtung würde das Finanzsystem robuster machen. Aber stattdessen sind die amerikanischen Banken größer geworden, und auch der Derivatehandel ist viel umfangreicher als noch 2008. Dadurch ist ein erneuter Zusammenbruch, der noch heftiger ausfallen wird als 2008, nicht nur wahrscheinlich, sondern gewiss. Allerdings wird er das nächste Mal anders verlaufen. Denn gemäß der Theorie der exponentiellen Risikozunahme wird die Krise so umfassend sein, dass sie nicht vom Staat eingedämmt werden kann, weil er gar nicht über die erforderlichen Ressourcen verfügt. Gegen die zehn Meter hohe Hafenmauer wird eine zwanzig Meter hohe Tsunami-Flutwelle branden und die Mauer hinwegfegen. Komplexität, Energie und Geld Kombiniert man Instrumente aus der Verhaltensökonomik und der Komplexitätstheorie, so versteht man recht gut, wie sich der Währungskrieg entwickeln wird, wenn der Erhöhung der Geldmenge und der Staatsverschuldung nicht bald ein Ende bereitet wird. Im Verlauf des Währungskrieges wird es eine Reihe von Siegen für den Dollar geben, auf die jedoch eine ent- 282
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität scheidende Niederlage folgen wird. Die Siege (oder zumindest das, was die Federal Reserve als Sieg definiert) beruhen auf der Politik der quantitativen Lockerung und der daraus resultierenden Inflation, die andere Staaten zwingt, ihre Währungen neu zu bewerten. Die Folge wird ein stark abgewerteter Dollar sein – genau das, was die Fed will. Die Niederlage des Dollar wird durch einen globalen politischen Konsens eingeläutet, den Dollar als Reservewährung durch eine andere Währung zu ersetzen, und einen privaten Konsens, komplett auf ihn zu verzichten. Der Zusammenbruch des Dollar wird in zwei Phasen erfolgen – zuerst allmählich und dann plötzlich. Diese Formel, berühmt geworden durch Hemingway, der damit schildert, wie jemand bankrottgeht, ist die passende Beschreibung für die Dynamik in einem komplexen System, das einen ­kritischen Zustand erreicht hat. »Allmählich« beschreibt den Vorgang, wenn die Schneeflocke eine kleine Stelle im Schnee durcheinanderbringt, »plötzlich« bezieht sich auf die Lawine. Die Schneeflocke fällt zufällig, doch die Lawine ist unvermeidlich. Beide Vorstellungen sind leicht zu begreifen. Schwieriger zu verstehen ist der kritische Zustand, an dem das Ereignis eintritt. Im Fall des Währungskriegs handelt es sich beim komplexen System um das internationale Währungssystem, das im Prinzip auf dem Dollar basiert. Jeder andere Markt – Aktien, Anleihen, Derivate – basiert auf diesem System, weil die Vermögenswerte in Dollar angegeben sind. Wenn also der Dollar zusammenbricht, werden sämtliche finanziellen Aktivitäten mit ihm zusammenbrechen. Das Vertrauen in den Dollar kann bei den ausländischen Anlegern weiterbestehen, solange die US-Bürger selbst an ihre Währung glauben. Ein Vertrauensverlust bei den Amerikanern jedoch wird einen weltweiten Vertrauensverlust nach sich ziehen. Ein einfaches Beispiel zeigt, wie ein leichter Vertrauensverlust in den Dollar, was immer ihn ausgelöst haben mag, zu einem kompletten Vertrauensverlust führen kann. 283
Teil 3 Die nächste globale Krise In unserem Beispiel ist die Bevölkerung der USA das komplexe System. Aus Gründen der Einfachheit gehen wir von 311 001 000 Einwohnern aus, was nicht weit von der tatsächlichen Bevölkerungszahl entfernt ist. Die Bevölkerung wird anhand der kritischen Schwellenwerte des Einzelnen unterteilt, die wir in unserem Modell S-Werte nennen. Der kritische Schwellenwert S eines Einzelnen im System steht für die Zahl der anderen Personen, die das Vertrauen in den Dollar verlieren müssen, damit dieser Einzelne ebenfalls das Vertrauen verliert. Der Wert S ist ein Maß dafür, ob Personen auf das erste mögliche Anzeichen einer Veränderung reagieren oder warten, bis der Prozess weiter fortgeschritten ist. Es handelt sich dabei um einen individuellen Kipppunkt; jedoch haben verschiedene Akteure auch verschiedene kritische Schwellenwerte. Das ist so ähnlich, wie wenn man fragt, wie viele Personen aus einem vollen Kino fliehen müssen, bevor der nächste anfängt zu rennen. Manche Leute laufen schon beim ersten Anzeichen eines Problems los. Andere bleiben nervös sitzen und bewegen sich erst, wenn ein Großteil der Zuschauer bereits aufgestanden ist und das Kino verlassen hat. Und irgendjemand verlässt das Kino als Letzter. Es kann so viele kritische Schwellenwerte wie Beteiligte geben. Die S-Werte sind in fünf Bereiche unterteilt, um den potenziellen Einfluss von einer Gruppe auf die andere zu zeigen. Im ersten Fall, der in Tabelle 1 dargestellt ist, sind die Gruppen vom niedrigsten Schwellenwert zum höchsten angeordnet: Tabelle 1: Hypothetische kritische Schwellenwerte (S) für eine Ablehnung des Dollar in der US-Bevölkerung Für die ersten 1 000 Personen S = 500 Für die nächsten 1 Million Personen S = 10 000 Für die nächsten 10 Millionen Personen S = 100 000 Für die nächsten 100 Millionen Personen S = 10 000 000 Für die nächsten 200 Millionen Personen S = 50 000 000 284
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität Der Testfall beginnt mit der Frage, was passieren würde, wenn 100 Personen plötzlich den Dollar ablehnen würden. Ablehnung bedeutet, dass man die traditionellen Funktionen des Dollar als Zahlungsmittel, zur Wertaufbewahrung und als verlässlichen Wertmaßstab und Recheneinheit nicht mehr akzeptiert. Diese 100 Personen würden den Dollar nicht mehr behalten, sondern jeden Dollar, den sie bekommen, sofort in andere Vermögenswerte umtauschen, etwa in Edelmetalle, Grundbesitz, Immobilien und Kunstwerke. Sie würden sich nicht davon abhängig machen, dass sich diese Vermögenswerte in Zukunft wieder zu Dollar machen lassen, sondern würden nur auf den inneren Wert ihres Vermögens setzen. Auch in Dollar ausgewiesene Werte wie Aktien, Anleihen und Bankkonten würden sie meiden. In unserem Testfall, bei dem 100 Personen den Dollar ablehnen, würde nichts passieren. Das liegt daran, dass der niedrigste kritische Schwellenwert einer Gruppe im System bei T = 500 liegt. Das heißt, dass 500 Personen oder mehr den Dollar ablehnen müssen, damit die erste Gruppe ihn ebenfalls als Zahlungsmittel ablehnt. Da in unserem Beispiel aber nur 100 Personen den Dollar ablehnten, wurde die kritische Schwelle von T = 500 für die sensibelste Gruppe nicht erreicht, daher bleibt die Gruppe als Ganze vom Verhalten der 100 Personen unbeeindruckt. Und da alle anderen TWerte höher als 500 sind, bleibt auch das Verhalten dieser Gruppen unbeeinträchtigt. Die kritischen Schwellenwerte wurden alle nicht überschritten. Das ist ein Beispiel dafür, wie die Wirkung eines Zufallsereignisses im System verpufft. Es ist etwas passiert, aber das hat keine weiteren Folgen. Wenn die größte Gruppe, die anfänglich den Dollar ablehnt, aus 100 Personen und nicht mehr besteht, nennt man dieses System subkritisch, das heißt, es ist nicht anfällig für eine Kettenreaktion, bei der immer mehr Personen den Dollar ablehnen würden. Betrachten wir nun einen zweiten hypothetischen Fall, der in Tabelle 2 dargestellt ist. Die Gruppengrößen sind dieselben wie in Tabelle 1. Das System der kritischen Schwellen ist ebenfalls identisch mit dem System in Tabelle 1, allerdings mit zwei kleinen Unterschieden. Die kritische Schwelle 285
Teil 3 Die nächste globale Krise für die erste Gruppe wurde verändert, statt 500 Personen sind es nur noch 100 Personen. Und die kritische Schwelle für die zweite Gruppe ändert sich von S = 10 000 Personen zu S = 1 000 Personen. Die anderen Werte für S bei den verbleibenden drei Gruppen bleiben dagegen gleich. Anders ausgedrückt, wir haben die Reaktion von 0,3 Prozent der Bevölkerung verändert, die Reaktion von 99,7 Prozent der Bevölkerung blieb gleich. Und hier ist die neue Tabelle der Schwellenwerte mit den beiden kleinen Veränderungen, die fettgedruckt sind: Tabelle 2: Hypothetische kritische Schwellenwerte (S) für eine Ablehnung des Dollar in der US-Bevölkerung Für die ersten 1 000 Personen S = 100 Für die nächsten 1 Million Personen S = 1 000 Für die nächsten 10 Millionen Personen S = 100 000 Für die nächsten 100 Millionen Personen S = 10 000 000 Für die nächsten 200 Millionen Personen S = 50 000 000 Was passiert, wenn die gleichen 100 Bürger wie im ersten Beispiel den Dollar ablehnen? In unserem zweiten Beispiel erreicht die Ablehnung der 100 Bürger die kritische Schwelle bei 1 000 Personen, die nun ebenfalls den Dollar ablehnen. Um in unserem Bild von vorher zu bleiben: Aus dem Kinosaal fliehen mehr Leute. Diese neue Ablehnung durch 1 000 Personen erreicht nun den kritischen Schwellenwert bei einer Million Personen, die ebenfalls den Dollar ablehnen. Nun, da eine Million Menschen den Dollar nicht mehr akzeptiert, ist die nächste kritische Schwelle mit 100 000 Personen erreicht, woraufhin weitere 10 Millionen Menschen den Dollar ablehnen. Von da an ist der Zusammenbruch nicht mehr aufzuhalten. Wenn 10 Millionen Menschen den Dollar ablehnen, schließen sich ihnen bald weitere 100 Millionen an, und schon bald lehnen ihn auch die verbleibenden 200 Millionen ab – nun lehnt die komplette Bevölkerung den Dollar ab. Der Dollar ist national und international als Währung nicht mehr zu halten. Dieses zweite System mit dem katastrophalen Zusammenbruch bezeichnet man als superkritisch. 286
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität Dazu sollte man jedoch Folgendes bedenken: Die Schwellenwerte sind rein hypothetisch; die tatsächlichen Werte von S sind unbekannt und vermutlich auch nicht zu ermitteln. Die S-Werte wurden aus Gründen der Vereinfachung in fünf Gruppen unterteilt. In Wirklichkeit gäbe es Millionen verschiedener kritischer Schwellenwerte, die Realität ist also viel komplexer als unser Beispiel. Der Zusammenbruch muss auch nicht unmittelbar nach der Überschreitung eines Schwellenwerts erfolgen, sondern kann sich erst im Lauf der Zeit entwickeln, weil sich Informationen langsam verbreiten und die Reaktionszeiten variieren. Diese Einschränkungen beeinträchtigen allerdings nicht die Kernaussage, nämlich, dass winzig kleine Veränderungen der Ausgangsbedingungen völlig andere Ergebnisse mit katastrophalen Folgen haben können. Im ersten Beispiel gab es auf die anfängliche Ablehnung von 100 Personen keine Reaktion, im zweiten Beispiel brach das ganze System zusammen. Der Auslöser war derselbe, und auch die Reaktion von 99,7 Prozent der Bevölkerung hatte sich nicht verändert. Kleine Veränderungen bei der Reaktion von nur 0,3 Prozent der Bevölkerung genügten, um das Ergebnis komplett zu verändern; aus einem Nichtereignis wurde der totale Zusammenbruch. Aufgrund einer nichtigen Systemänderung schlug das System von subkritisch in superkritisch um. Ein ernüchternder Gedanke für Zentralbanker und die Anhänger des Deficit Spending. Politiker agieren oft auf der Grundlage von Modellen, die davon ausgehen, dass die Politik Schritt für Schritt vorgehen kann und es keine unvorhergesehenen nichtlinearen Zusammenbrüche gibt. Als Lösung für eine mangelnde gesamtwirtschaftliche Nachfrage gelten nach wie vor die Erhöhung der Geldmenge und eine Inflation. Die Anhäufung von Schulden wird als akzeptables Mittel betrachtet, wenn damit ein Konjunkturprogramm zur Stimulierung der Nachfrage finanziert wird. Das Gelddrucken und das Deficit Spending setzen sich Jahr für Jahr fort, als ob das System stets in einem subkritischen Zustand bliebe und die geballte Anwendung dieser immer gleichen Instrumente keine extremen Folgen hätte. Unser Mo- 287
Teil 3 Die nächste globale Krise dell zeigt, dass das nicht unbedingt stimmt. Ein Phasenübergang von der Stabilität zum Kollaps kann aufgrund winziger Veränderungen im Verhalten der Einzelnen kaum wahrnehmbar einsetzen und ist in Echtzeit fast unmöglich zu erkennen. Die Schwächen werden erst entdeckt, wenn das System zusammenbricht. Aber dann ist es zu spät. Nachdem wir Beispiele dafür kennengelernt haben, wie komplexe Systeme funktionieren und wie verwundbar der Dollar bei einem Vertrauensverlust sein kann, können wir nun einen Blick auf den Währungskrieg werfen und überlegen, welche Gestalt unsere theoretischen Modelle in der realen Welt annehmen könnten. Die Geschichte des Ersten und Zweiten Währungskrieges zeigt, dass ein Währungskrieg das letzte verzweifelte Mittel bei großen makroökonomischen Problemen ist. In den vergangenen 100 Jahren gehörte zu diesen Problemen immer eine exzessive Verschuldung, die sich nicht mehr zurückzahlen ließ. Und auch heute erstickt die Verschuldung zum dritten Mal innerhalb von 100 Jahren jegliches Wirtschaftswachstum und beschwört ­einen neuen Währungskrieg herauf. Das ist ein weltweites Problem. Die ­europäischen Staaten und Banken sind in einer noch schlimmeren Ver­fassung als die USA. Die Immobilienblasen in Irland, Spanien und anderen Ländern hatten ähnlich verheerende Folgen wie in Amerika. Selbst China, das in den letzten Jahren ein relativ starkes Wachstum und große Handelsüberschüsse vorweisen konnte, hat ein überschuldetes Schattenbanksystem, das von provinziellen Behörden geführt wird, eine massiv ansteigende Geldmenge und eine Immobilienblase, die jeden Augenblick platzen kann. Die Welt im 21. Jahrhundert mag sich in vielem von den 1920er- und 1970er-Jahren unterscheiden, doch die massive Anhäufung nicht zurückzahlbarer, untragbarer Schulden erzeugt dieselbe Dynamik. Der Privat­ sektor bemüht sich um Entschuldung und Deflation, während der Staat mit seiner Politik der Währungsabwertung für Inflation sorgt. Die Tat­sache, 288
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität dass genau diese Maßnahmen in der Vergangenheit in die Katastrophe führten, hält die Verantwortlichen nicht davon ab, sie erneut anzuwenden. Wie stehen die Chancen, diese negative Entwicklung abzuwenden? Wie könnte die globale Überschuldung zugunsten eines stärkeren Wirtschaftswachstums verringert werden? Einige Analysten sind der Meinung, dass die haushaltspolitischen Auseinandersetzungen der Politiker nur als Profilierungsversuche zu werten seien; wenn es wirklich ernst werde und die wichtigsten Wahlen vorüber seien, würden sich alle zusammensetzen und das Richtige tun. Andere verlassen sich auf sehr fragwürdige Wachstumsprognosen, auf eine günstige Entwicklung der Zinsen und Arbeitslosenzahlen und anderer Schlüsselfaktoren, die das Defizit wieder in geordnete Bahnen lenken würden. Es gibt jedoch gute Gründe für eine pessimistischere Sicht, die diese Prognosen anzweifelt. Das hat etwas mit der Dynamik der Gesellschaft selbst zu tun. So wie Währungskriege und Kapitalmärkte komplexe Systeme sind, so sind diese Systeme Teil größerer komplexer Systeme, mit denen sie interagieren. Die Struktur und Dynamik dieser Systeme sind identisch – sie sind nur größer, und damit ist natürlich auch ihr Kollaps-Potenzial noch größer. Eric J. Chaisson und Joseph A. Tainter, die sich beide intensiv mit der Komplexitätstheorie befassen, liefern uns die notwendigen Instrumente, damit wir verstehen können, warum eine stärkere Haushaltsdisziplin wahrscheinlich scheitern und es vermutlich zu einem Währungskrieg und einem Zusammenbruch des Dollar kommen wird. Der Astrophysiker Chaisson ist einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Komplexitätstheorie in der Entwicklung des Kosmos. Tainter ist Anthropologe und beschäftigt sich mit der Komplexitätstheorie im Zusammenhang mit dem Untergang von Kulturen. Nimmt man ihre Theorien zusammen und wendet sie auf die Kapitalmärkte und die aktuelle Wirtschaftspolitik an, gerät man sehr ins Grübeln. Chaisson betrachtet alle komplexen Systeme vom Kosmos bis zum subatomaren Teilchen und konzentriert sich dann auf das Leben im Allgemeinen 289
Teil 3 Die nächste globale Krise und den Menschen im Besonderen, da der Mensch seiner Meinung nach zu den komplexesten Systemen überhaupt gehört. In seinem Buch Cosmic Evolution schreibt er über den Energiebedarf bei wachsender Komplexität und vor allem über die »Energiedichte« eines Systems in Hinblick auf Zeit, Komplexität und Größe. Chaisson vertritt den Standpunkt, dass man das Universum am besten als konstanten Energiefluss zwischen Strahlung und Materie versteht.64 Durch diese Dynamik entsteht mehr Energie, als bei der Umwandlung gebraucht wird, wodurch »freie Energie« für die Komplexität zur Verfügung steht. Chaisson Beitrag war seine empirische Definition der Komplexität als Verhältnis zwischen freiem Energiefluss und der Dichte in einem System. Vereinfacht ausgedrückt, je komplexer ein System ist, desto mehr Energie benötigt es, um seine Größe und Ausdehnung zu erhalten. Chaissons Theorien sind fundiert; sie beginnen bei den Hauptsätzen der Thermodynamik und reichen bis zu aktuelleren Erkenntnissen zur Selbstorganisation und Komplexität des Universums. Es ist allgemein bekannt, dass die Sonne weit mehr Energie verbraucht als das menschliche Gehirn. Doch die Sonne hat auch viel mehr Masse. Berücksichtigt man diesen Unterschied, zeigt sich, dass das Gehirn 75 000 Mal mehr Energie verbraucht als die Sonne, gemessen in Chaissons S ­ tandardeinheiten. Chaisson hat aber auch ein System gefunden, das noch viel komplexer ist als das menschliche Gehirn: die Gesellschaft an sich in ihrer zivilisierten Form. Das überrascht nicht, denn eine Ge­ sellschaft, die quasi aus vielen menschlichen Gehirnen besteht, sollte etwas Komplexeres hervorbringen als die einzelnen Personen. Das deckt sich ­völlig mit der Komplexitätstheorie; die Gesellschaft ist eine emergente Eigenschaft der einzelnen Beteiligten, deren Ganzes größer ist als die Summe ihrer Teile. Chaissons wichtigste Erkenntnis ist die, dass die Gesellschaft heruntergerechnet auf ihre Dichte 250 000 Mal mehr Energie verbraucht als die Sonne und eine Million Mal mehr Energie als die Milchstraße. 290
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität Um diese Erkenntnis auf die Makroökonomie und Kapitalmärkte zu übertragen, stellen wir zunächst einmal fest, dass Geld gespeicherte Energie ist. Die klassische Definition des Geldes umfasst den Begriff »Wertaufbewahrungsmittel«, aber welcher Wert wird eigentlich aufbewahrt? Normalerweise ist Wert das Produkt von Arbeitskraft und Kapital, die beide sehr energieintensiv sind. Im einfachsten Fall stellt ein Bäcker ein Brot her und setzt dafür verschiedene Zutaten, Arbeitsmittel und seine eigene Arbeit ein. Sie alle benötigen Energie oder sind das Produkt anderer Formen von Energie. Wenn der Bäcker das Brot für Geld verkauft, verkörpert das Geld die gespeicherte Energie, die in die Herstellung des Brotes floss. Diese Energie kann freigesetzt werden, wenn der Bäcker andere Güter oder Dienstleistungen kauft, etwa wenn er sein Haus von einem Maler streichen lässt. Die Energie im Geld wird nun in Form von Zeit, Anstrengung, Ausrüstung und Mal­ utensilien freigesetzt. Das Geld funktioniert wie eine Batterie. Eine Batterie wird mit Energie geladen, speichert sie über einen bestimmten Zeitraum und gibt sie wieder frei, wenn sie gebraucht wird. Geld speichert Energie auf dieselbe Art und Weise. Die Vorstellung von Geld als Energieträger ist notwendig, um Chaissons Theorie auf Märkte und die Gesellschaft anzuwenden. Chaisson arbeitet auf der Makroebene, wenn er die Masse, Dichte und den Energiefluss in der Gesellschaft schätzt. Auf der Ebene der individuellen wirtschaftlichen Interaktionen innerhalb der Gesellschaft benötigt man eine praktische Einheit, um Chaissons freien Energiefluss zu messen. Diese Funktion übernimmt das Geld. Der Anthropologe Joseph A. Tainter denkt in die gleiche Richtung, indem er eine ähnliche, wenn auch subtilere Analyse erstellt, die ebenfalls auf der Komplexitätstheorie basiert. Auch Tainters Theorie ist leichter zu verstehen, wenn man das Modell vom Geld als Energiespeicher verwendet. Tainter befasst sich vor allem mit dem Zusammenbruch von Zivilisationen. Das Thema ist bei Historikern und Studenten schon seit Herodots Schilde- 291
Teil 3 Die nächste globale Krise rung vom Aufstieg und Untergang des Persischen Reichs im 5. Jahrhundert vor Christus beliebt. In seinem ehrgeizigen Werk The Collapse of Complex Societies analysiert Tainter den Zusammenbruch von 27 verschiedenen Gesellschaften aus einem Zeitraum von 4 500 Jahren, von der kaum bekannten Kachin-Kultur im Hochland von Burma bis zum berühmten Römischen Reich und dem Alten Ägypten.65 Dabei berücksichtigt er eine Vielzahl von Gründen für den Untergang, von der Ressourcenverknappung über Naturkatastrophen, Invasionen, wirtschaftliche Not und gesellschaftliche Probleme bis hin zu Religion und bürokratischem Unvermögen. Seine Arbeit ist eine Tour de Force quer durch die Geschichte, die vermuteten Ursachen und Abläufe beim Untergang von Zivilisationen. Tainter verfolgt ähnliche Ansätze wie Chaisson und Anhänger der Komplexitätstheorie allgemein, wenn er zeigt, dass Zivilisationen komplexe Systeme sind.66 Er legt dar, dass die Ressourcen, die eine Gesellschaft mit zunehmender Komplexität benötigt, um sich selbst zu erhalten, exponentiell anwachsen. Genau das quantifizierte Chaisson später für die Komplexität allgemein. Mit Ressourcen meint Tainter nicht ausdrücklich die Energieeinheiten, von denen bei Chaisson die Rede ist, sondern verschiedene Formen gespeicherter Energie wie Arbeit, Bewässerungsanlagen, Feldfrüchte und Rohstoffe, die alle in Geld umgewandelt werden können und bei verschiedenen Transaktionen zum Einsatz kommen. Tainter geht sogar noch einen Schritt weiter und zeigt, dass nicht nur der Bedarf an Ressourcen mit der Größe einer Zivilisation exponentiell zunimmt, sondern dass auch die Leistung der Gesellschaften und ihrer Regierungen pro eingesetzter Ressourcen-Einheit abnimmt, wenn man die öffentlichen Güter und Dienstleistungen als Maß nimmt. Dieses Phänomen ist jedem BWL-Studenten bereits im ersten Semester vertraut – man spricht dann vom Ertragsgesetz. Faktisch verlangt die Gesellschaft von ihren Mitgliedern, immer mehr Steuern zu bezahlen, obwohl sie dafür immer weniger an staatlichen Dienstleistungen bietet. Das Phänomen des Grenzertrags beschreibt einen Bogen, der anfangs kräftig steigt, dann 292
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität flacher wird und schließlich absinkt. Laut Tainters These kann man den bekannten Bogen des Ertragsgesetzes auch für den Aufstieg, Abstieg und Untergang einer Zivilisation verwenden. Tainter vertritt die Ansicht, dass sich das Verhältnis zwischen Mensch und Gesellschaft in Hinblick auf Nutzen und Anforderungen im Lauf der Zeit verändert. Debatten darüber, ob eine Regierung »gut« oder »schlecht« oder ob die Besteuerung zu »hoch« oder zu »niedrig« ist, lassen sich lösen, indem man die Gesellschaft auf der Ertragskurve verortet. Am Anfang einer Zivilisation sind die Erträge einer Investition in komplexere Strukturen, also etwa eine Regierung oder Verwaltung, extrem hoch. Eine relativ geringe Investition an Zeit und Anstrengung kann bei einem Bewässerungsprojekt enorme Erträge pro Bauer einbringen. Ein kurzer Militärdienst, der von der gesamten Bevölkerung geleistet werden muss, kann einen beträchtlichen Zugewinn an Frieden und Sicherheit bedeuten. Eine relativ schlanke Verwaltung zur Organisation der Bewässerung, der Verteidigung oder anderer Anstrengungen in dieser Form kann im Vergleich zu einer unkoordinierten Selbstorganisation sehr effizient sein. Zu Beginn der Menschheitsgeschichte lag das Forschungsbudget, das für die Zähmung des Feuers nötig war, bei null, und der Nutzen des Feuers war unermesslich. Vergleichen Sie das einmal mit den Entwicklungskosten für die nächste Generation eines Boeing-Flugzeugs unter Berücksichtigung der geringen Verbesserungen im Luftverkehr. Diese Dynamik hat enorme Auswirkungen auf die angeblichen Vorteile bei der Erhöhung der Staatsausgaben, sobald diese über einen niedrigen Basisbetrag hinausgehen. Im Lauf der Zeit flacht der Ertrag einer Investition mit zunehmender Komplexität ab und wendet sich schließlich ins Negative. Wenn die einfachen Bewässerungsprojekte fertiggestellt sind, nimmt die Gesellschaft immer größere Projekte in Angriff, bei denen umfangreichere Rohrsysteme zunehmend kleinere Wassermengen hervorbringen. Die Verwaltung war anfangs noch eine effiziente Organisation, entwickelt sich dann aber zum Hinder- 293
Teil 3 Die nächste globale Krise nis für Verbesserungen, weil sie mehr mit ihrem eigenen Fortbestehen beschäftigt ist als mit dem Dienst an der Gesellschaft. Eliten, die die Institutionen einer Gesellschaft lenken, interessieren sich mit der Zeit immer mehr für ihren eigenen Anteil am kleiner werdenden Kuchen als für das Wohlergehen der Gesellschaft an sich. Die Eliten führen die Gesellschaft nicht mehr, sondern saugen sie aus. Sie verhalten sich wie Parasiten und betreiben »Rentenökonomie«, wie Ökonomen sagen, also die Anhäufung von Reichtum durch nichtproduktive Mittel – ein Beispiel dafür wäre die postmoderne Finanzwelt. Im Jahr 2011 deutet vieles darauf hin, dass sich die USA auf dem absteigenden Teil der Ertragskurve befinden. Die Bürger müssen größere Anstrengungen unternehmen, um weniger für die Gesellschaft zu erreichen, während die Eliten den Großteil des steigenden Einkommens und Gewinns für sich beanspruchen. 25 Hedgefondsmanager haben 2010 über 22 Milliarden Dollar verdient, während 44 Millionen Amerikaner auf Lebensmittelmarken angewiesen sind. Die Vergütungen der CEOs stiegen 2010 um 27 Prozent gegenüber 2009, während über 20 Millionen Amerikaner entweder arbeitslos waren oder aus dem Erwerbsleben ausschieden, obwohl sie eigentlich weiterarbeiten wollten. Bei den Berufstätigen arbeiteten mehr Amerikaner für den Staat als auf dem Bau, in der Landwirtschaft, Fischerei, Forstwirtschaft, der verarbeitenden Industrie, im Bergbau und in Versorgungsunternehmen zusammen. Einer der besten Maßstäbe für eine von der Rentenökonomie geprägte Beziehung zwischen Eliten und Bürgern in einer stagnierenden Wirtschaft ist der Gini-Koeffizient, der die Ungleichverteilung von Vermögen und Einkommen bemisst. Ein höherer Koeffizient bedeutet eine höhere Einkommensungleichheit. 2006, kurz vor Einsetzen der aktuellen Rezession, erreichte der Gini-Koeffizient für die USA den Rekordwert von 47, ein deutlicher Kontrast zum Tiefstwert von 38,6 aus dem Jahr 1968, als die USA von zwei stabilen Jahrzehnten mit dem Gold-Devisen-Standard profitierten. Der Gini-Koeffizient tendierte 2007 wieder nach unten, erreichte 294
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität aber 2009 fast wieder seinen Rekordwert von 2006 und zeigte weitere Aufwärtstendenzen. Die USA haben nun fast einen ähnlichen Gini-Koeffizienten wie Mexiko, eine typische oligarchische Gesellschaft mit einer deutlichen Ungleichverteilung der Einkommen und einer Konzentration des Reichtums bei den Eliten. Ein weiterer Maßstab für die Rentenökonomie ist das Gesamteinkommen der obersten 20 Prozent der Bevölkerung im Verhältnis zum Einkommen derjenigen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. 1968 sank dieses Verhältnis in der amerikanischen Bevölkerung auf 7,7 zu 1, stieg danach aber wieder und erreichte 2010 den Höchststand von 14,5 zu 1. Der Trend beim Gini-Koeffizienten und beim Verhältnis von Reich zu Arm in den USA deckt sich mit Tainters These von einer Zivilisation, die kurz vor dem Zusammenbruch steht. Wenn der breiten Bevölkerung nur ein negativer Ertrag für ihren Beitrag geboten wird, wenden sich die Bürger von der Gesellschaft ab, was letztendlich sowohl für die breite Masse als auch die Eliten destabilisierend wirkt. Mit seiner Theorie des schwindenden Ertrags bietet Tainter eine Erklärung für den Zusammenbruch einer Gesellschaft. Traditionellere Historiker suchten die Erklärung bei Erdbeben, Dürren oder dem Einfall von Barbaren, doch Tainter zeigt, dass Kulturen, die schließlich den Barbaren unterlagen, die Invasoren zuvor oft besiegt hatten. Kulturen, die durch ein Erdbeben vernichtet wurden, hatten zuvor häufig den Wiederaufbau geschafft. Am Ende ist nicht die Invasion oder das Erdbeben ausschlaggebend, sondern die Reaktion darauf. Gesellschaften, die nicht von einer immensen Steuerlast oder sonstigen Anforderungen erdrückt werden, können auf eine Krise kraftvoll reagieren und nach einer Katastrophe alles wiederaufbauen, während die Gesellschaften, bei denen die Belastung zuvor schon zu hoch war, vielleicht einfach aufgeben. Als die Barbaren schließlich das Römische Reich eroberten, regte sich bei den Bauern kein Widerstand, im Gegenteil, die Eroberer wurden mit offenen Armen empfangen. Die Bauern hatten jahrhundertelang unter der römischen Politik der Geldentwertung 295
Teil 3 Die nächste globale Krise und der hohen Besteuerung gelitten, ohne eine nennenswerte Gegenleistung zu bekommen, daher konnte die Herrschaft der Barbaren ihrer Meinung nach auch nicht schlimmer werden als die römische. Da die Barbaren deutlich weniger komplex organisiert waren als das Römische Reich, boten sie den Bauern tatsächlich Schutz zu sehr geringen Kosten. Tainter macht eine Ergänzung, die für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts besonders wichtig ist. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Zusammenbruch einer Zivilisation und dem Zusammenbruch einzelner Gesellschaften oder Staaten innerhalb dieser Zivilisation. Der Untergang des Römischen Reichs war der Zusammenbruch einer Zivilisation, weil es keine unabhängige Gesellschaft gab, die Roms Platz eingenommen hätte. Entsprechend ging die europäische Zivilisation nach dem 6. Jahrhundert nie wieder unter, weil es für jeden untergehenden Staat einen anderen gab, der die Lücke füllte. Auf den Niedergang Spaniens oder Venedigs folgte der Aufstieg Englands oder der Niederlande. Folgt man der Komplexitätstheorie, gleicht die heutige stark vernetzte und globalisierte Welt eher den voneinander abhängigen Provinzen des Römischen Reichs als den autonomen Staaten im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa. Oder wie Tainter schreibt: »Ein Zusammenbruch, falls und wenn es wieder dazu kommen sollte, wäre diesmal global. Die globale Zivilisation würde als Ganzes untergehen.« Zusammengefasst zeigt Chaisson, dass hochkomplexe Systeme wie Zivilisationen für ihr Wachstum einen exponentiell höheren Energiebedarf haben. Tainter wiederum legt dar, dass diese Zivilisationen ab einem gewissen Punkt immer mehr benötigen und dafür immer weniger leisten, bis sie schließlich kollabieren. Geld lässt sich als Maß für Ressourcen und Leistung auf Chaissons Modell anwenden, weil Geld eine Form gespeicherter Energie ist. Kapital- und Devisenmärkte sind komplexe Systeme innerhalb des größeren Tainter-Modells der Zivilisation. Mit zunehmender Komplexität benötigt eine Gesellschaft zu ihrer Erhaltung eine exponentiell wachsende Geldmenge. Ab einem gewissen Punkt können Produktivität und Steuer- 296
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität einnahmen eine Gesellschaft nicht mehr länger erhalten, und die Eliten versuchen, den Ressourcenbedarf durch Kredite, Fremdkapital, Geldabwertung und andere Formen des Pseudogeldes zu manipulieren, die mehr ihren eigenen Interessen als der Produktivität dienen. Diese Methoden funktionieren über einen kurzen Zeitraum, bis die Illusion des Pseudowachstums auf Pump von der Realität des verlorenen Wohlstands und der wachsenden Einkommensungleichheit eingeholt wird. An einem bestimmten Punkt bleiben einer Gesellschaft drei Möglichkeiten: Vereinfachung, Eroberung oder Zusammenbruch. Vereinfachung bedeutet, dass man bewusst versucht, die gesellschaftlichen Einrichtungen kleiner und effizienter zu machen und das Verhältnis von Ressourcen und Leistung nachhaltiger und produktiver zu gestalten. Ein Beispiel für eine aktuelle systemische Vereinfachung wäre eine stärkere föderale Organisation der USA, bei der die politische Macht und die wirtschaftlichen Ressourcen von Washington auf die 50 Bundesstaaten übergehen würden. Eroberung heißt, dass man versucht, sich die Ressourcen der Nachbarn mit Gewalt anzueignen. Währungskriege sind eine Möglichkeit für eine gewaltfreie Eroberung. Ein Zusammenbruch ist die plötzliche, unfreiwillige und chaotische Form der Vereinfachung. Ist Washington das neue Rom? Hat die Regierung in Washington wie die Regierungen in einigen anderen Staaten die Besteuerung, Regulierung, Bürokratisierung und die Selbstsucht so weit getrieben, dass die gesellschaftlichen Leistungen negative Resultate bringen? Sind bestimmte Unternehmen, finanzielle und institutionelle Eliten so eng mit der Regierung verflochten, dass sie gemeinsame Sache machen und zu Lasten des gesellschaftlichen Nutzens in die eigene Tasche wirtschaften? Sind die sogenannten Märkte mittlerweile durch Manipulationen, Interventionen und Rettungspakete so verzerrt, dass sie keine verlässlichen Preissignale mehr für die Verteilung von Ressourcen bieten? Sind die Gruppierungen, die für die Verzerrung der Preissignale hauptsächlich verantwortlich sind, auch diejenigen, bei denen die fehlgeleiteten Ressourcen landen? Und wenn nächstes Mal die Barbaren 297
Teil 3 Die nächste globale Krise angreifen, in welcher Form auch immer, was haben die normalen Bürger davon, wenn sie Widerstand leisten? Oder sollten sie den Zusammenbruch zulassen und die Eliten für sich allein kämpfen lassen? Die Geschichte und die Komplexitätstheorie zeigen, dass das keine ideologisch geprägten Fragen sind. Vielmehr handelt es sich um analytische Fragen, deren Bedeutung anhand des Schicksals zahlreicher Zivilisationen über fünf Jahrtausende belegt wurde. Auch die Untersuchung der zunehmenden Komplexität in der Natur über einen Zeitraum von 10 Milliarden Jahren spricht dafür. Die Wissenschaft und die Geschichte bieten uns ein vollständiges Gerüst aus Energie, Geld und Komplexität, um die Risiken eines Zusammenbruchs des Dollar mitten in einem Währungskrieg zu verstehen. Besonders wichtig ist, dass es sich bei den Systemen, die von unmittelbarem Interesse sind – Währungen, Kapitalmärkte und Derivate – um gesellschaftliche Erfindungen handelt, die von der Gesellschaft auch wieder geändert werden können. Die Dynamik des Worst-Case-Szenarios ist beängstigend, aber dieser Fall muss nicht zwangsläufig eintreten. Auch wenn wir kurz vor einem Zusammenbruch stehen, ist es noch nicht zu spät, um das globale, auf den Dollar gestützte Währungssystem mit Sicherheitsvorkehrungen auszustatten. Leider finden vernünftige Lösungen wenig Anklang bei den Eliten, die das System kontrollieren und von der Komplexität leben. Sinkende Erträge sind schlecht für die Gesellschaft, aber gut für die wenigen, die trotzdem noch davon profitieren – zumindest solange die Beiträge fließen. Die finanziellen Beiträge, die eine Gesellschaft leisten muss und die dann an die Eliten weitergeleitet werden, erfolgen heute in Form von Steuern, Rettungspaketen, Hypothekenbetrug, Wucherzinsen und -gebühren, betrügerischen Derivaten und Bonuszahlungen. Während die Bürger immer mehr von dieser Abgabenlast erdrückt werden, wird ein Zusammenbruch zunehmend wahrscheinlicher. Die Finanzwelt muss wieder auf ihre alte Rolle beschränkt werden, den Handel zu erleichtern, anstatt einem grotesken Selbstzweck zu dienen. Die Komplexitätstheorie weist uns den richtigen Weg; unsere Ins- 298
Kapitel 10 – Währungen, Kapital und Komplexität titutionen müssen einfacher und kleiner werden. Doch so unglaublich das klingen mag: Finanzminister Geithner und das Weiße Haus arbeiten aktiv daran, den Bankensektor noch stärker zu konzentrieren, und fördern die Bildung von Großbanken einschließlich einer globalen Zentralbank mit Sitz beim Internationalen Währungsfonds. Jeglicher Erfolg dieser Bemühungen würde die Auflösung des Dollar nur beschleunigen. 299
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? »Ich möchte nur allen deutlich machen, dass wir schon bisher die Politik verfolgt haben und immer verfolgen werden, … dass ein starker Dollar im Interesse unseres Landes ist. Wir werden nie eine Strategie verfolgen, unsere Währung um eines wirtschaftlichen Vorteils willen abzuwerten, der auf Kosten unserer Handelspartner geht.« US-Finanzminister Timothy F. Geithner, 26. April 2011 »Nein, sie können mir des Münzens wegen nichts tun, ich bin der König selbst.« William Shakespeare, König Lear Nur wenige Ökonomen oder Entscheidungsträger beim IWF oder bei den Zentralbanken dieser Welt würden der These vom Geld als Energieträger auf Grundlage der Komplexitätstheorie zustimmen. Obwohl die Physik und die Verhaltenswissenschaft auf einer soliden fachlichen Grundlage stehen, stoßen interdisziplinäre Ansätze bei den meisten Wirtschaftswissenschaftlern auf Skepsis. In den Modellen der Zentralbankiers ist ein plötzlicher Zusammenbruch des Dollar nicht vorgesehen. Jedoch ist auch den durchschnitt­ lichen Ökonomen und Zentralbankiers gleichermaßen die Dollar-Schwäche und die Bedrohung der internationalen Währungsstabilität durch den neuen Währungskrieg durchaus bewusst. Unter Berücksichtigung verschiedener Ansichten, vom konventionellsten bis zum innovativsten Ansatz, lassen sich vier mögliche Entwicklungen für den Dollar ausmachen – man könnte sie auch die vier Reiter der Dollar-Apokalypse nennen. In der Reihen­ folge ihres Zerstörungspotenzials, von gering bis hoch, sind das: verschiedene Reservewährungen, Sonderziehungsrechte, Gold und Chaos. 300
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? Verschiedene Reservewährungen Die Reserven eines Staates sind so etwas wie das Sparkonto eines Bürgers. Man kann ein laufendes Einkommen aus seiner Arbeit beziehen und verschiedene Kredite abzahlen und trotzdem noch ein paar Ersparnisse für die Zukunft oder schlechte Zeiten haben. Diese Ersparnisse kann man in Aktien oder Anleihen anlegen oder einfach auf dem Konto lassen. Ein Staat hat mit seinen Reserven dieselben Möglichkeiten. Er kann über einen Staatsfonds in Aktien oder andere Anlageformen investieren oder einen Teil als liquide Mittel behalten oder in Gold anlegen. Die liquiden Mittel können Anleihen in verschiedenen Währungen sein, die als Reservewährung bezeichnet werden, weil Länder sie als Geldanlage und zur Streuung ihrer Reserven verwenden. Seit dem Abkommen von Bretton Woods 1944 fungiert der Dollar mit Abstand als die wichtigste Reservewährung, er war jedoch nie die einzige Reservewährung. Der IWF unterhält eine globale Datenbank, in der die Zusammensetzung der offiziellen Reserven erfasst wird, und vertreten sind US-Dollar, Euro, Pfund Sterling, Yen und Schweizer Franken. Aktuelle Daten zeigen, dass der US-Dollar nur etwas mehr als 61 Prozent der Reserven ausmacht, allerdings liegt die nächstgrößte Reservewährung, der Euro, nur bei 26 Prozent. Der IWF verzeichnet einen langsamen, aber stetigen Rückgang des Dollar in den vergangenen zehn Jahren; im Jahr 2000 machte der Dollar noch 71 Prozent der angegebenen Gesamtreserven aus. Dieser Rückgang erfolgte geordnet, nicht überstürzt, und deckt sich mit dem wachsenden Handelsaufkommen zwischen Europa und Asien und innerhalb Asiens. Die sinkende Bedeutung des Dollar im internationalen Handel und als Reservewährung wirft die Frage auf, was passieren wird, wenn der Dollar nicht mehr länger dominiert, sondern nur eine Reservewährung unter vielen ist. Wo liegt der Kipppunkt für die Dollardominanz? Sind es 49 Prozent der Gesamtreserven, oder tritt dieser Punkt erst ein, wenn der Anteil des Dollar dem Anteil der nächstgrößten Währung entspricht, also vermutlich dem Euro? 301
Teil 3 Die nächste globale Krise Barry Eichengreen ist der führende Wissenschaftler auf diesem Gebiet.67 Er vertritt die Ansicht, dass uns eine Welt verschiedener Reservewährungen erwartet. In mehreren akademischen Aufsätzen, populären Büchern und Artikeln haben Eichengreen und seine Kollegen gezeigt, dass der Dollar nicht 1944 plötzlich als Folge von Bretton Woods zur Leitwährung wurde, sondern bereits Mitte der 1920er-Jahre diese Funktion erfüllte. Eichengreen hat außerdem dargelegt, dass die Rolle der Leitwährung zwischen dem britischen Pfund Sterling und dem Dollar hin- und herwechselte. In den 1920er-Jahren verlor das Pfund diese Funktion, errang sie aber nach Franklin D. Roosevelts Dollarabwertung 1933 wieder zurück. Allgemeiner ausgedrückt, es deutet viel darauf hin, dass eine Welt mit mehreren Reservewährungen nicht nur möglich ist, sondern dass sie während des Ersten Währungskriegs bereits existierte. Seine Untersuchungen haben Eichengreen zu der plausiblen Schlussfolgerung geführt, dass es möglicherweise bald wieder verschiedene Reservewährungen ohne eine dominante Leitwährung geben könnte, wobei sich diesmal der Dollar und der Euro anstelle wie früher Dollar und Pfund die Ehre teilen würden. Diese Sichtweise öffnet weiteren Veränderungen die Tür, beispielsweise könnte sich im Laufe der Zeit der chinesische Yuan die Führung mit Dollar und Euro teilen. Eichengreens optimistische Interpretation lässt allerdings die Rolle eines Systemankers außer Acht, wie sie der Dollar oder das Gold innehatten. Als Dollar und Pfund in den 1920er- und 1930er-Jahren die Rollen tauschten, gab es keinen Zeitpunkt, an dem nicht mindestens eine der beiden Währungen an den Goldstandard gekoppelt war. Tatsächlich waren Dollar und Pfund austauschbar, weil beide in Gold einlösbar waren. Es gab zwar Abwertungen, doch nach jeder Abwertung wurde der Goldanker neu festgelegt. Nach Bretton Woods bestand dieser Anker aus Dollar und Gold, seit 1971 besteht der Anker allein aus dem Dollar als führender Reservewährung. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es also immer einen Referenzwert. Noch nie zuvor wurden mehrere Papier-Reservewährungen ohne einen 302
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? Anker verwendet. Folglich ist die Welt, die sich Eichengreen vorstellt, eine Welt mit Reservewährungen ohne festen Halt. Die Jagdsaison wäre eröffnet, und anstelle einer einzelnen Zentralbank wie der Federal Reserve würde es mehrere Zentralbanken geben, die alle gleichzeitig ihre Privilegien missbrauchen könnten. In diesem Szenario gäbe es keine Reservewährung, die ein sicherer Hafen wäre, und die Märkte wären schwankungsanfälliger und instabiler. Eine verstörende Variante von Eichengreens optimistischer Vision besteht aus regionalen Währungsblöcken mit einer lokalen Dominanz von Dollar, Euro und Yuan sowie vermutlich dem Rubel im russischen Einflussgebiet in Osteuropa und Zentralasien. Solche Blöcke können sich spontan bilden, wie wir von den Modellen der Selbstorganisation in komplexen Systemen wissen. Regionale Währungsblöcke könnten sich schnell zu regionalen Handelsblöcken entwickeln, was zu einem Rückgang des Welthandels führen würde – zweifellos genau das Gegenteil dessen, was die Anhänger verschiedener Reservewährungen wie etwa Eichengreen wünschen. Eichengreen erwartet einen, wie er es nennt, gesunden Wettbewerb zwischen den verschiedenen Reservewährungen. Einen ungesunden Wettbewerb oder Fehlfunktionen lässt er dabei außer Acht – die sogenannte »Abwärtsspirale« der Ökonomen, die entstehen kann, wenn führende Zentralbanken ihre regionale Dominanz durch Netzwerkeffekte untermauern und gleichzeitig den Status ihrer Währung als Reservewährung missbrauchen, indem sie Geld drucken. Den Anhängern des Modells der verschiedenen Reservewährungen kann man nur raten, vorsichtig zu sein, was sie sich wünschen. Ihr Modell ist in der Form – ohne Gold oder einen ähnlichen Anker in Gestalt einer einzelnen Währung – noch nicht erprobt und getestet. Das Problem des fehlenden Ankers könnte ein Grund dafür sein, warum der Dollar trotz seiner Probleme weiterhin die Leitwährung stellt. 303
Teil 3 Die nächste globale Krise Sonderziehungsrechte Vermutlich ist kein Element des internationalen Währungssystems für den Laien so mysteriös und verwirrend wie die Sonderziehungsrechte oder SZR. Das muss nicht sein, denn die Sonderziehungsrechte sind ein einfaches Instrument. Die SZR sind Weltgeld, eine Währungseinheit des IWF, gestützt durch nichts und nach Belieben gedruckt. Wenn der IWF Sonderziehungsrechte emittiert, liegen sie so bequem auf dem Reservenkonto des Empfängers wie jede andere Reservewährung. In der internationalen Finanzwelt fasst man die SZR am besten mit dem 1985 erschienenen Hit »Money for Nothing« von Dire Straits zusammen. Experten wenden sich im Hinblick auf die SZR gegen den Gebrauch des Begriffs »Geld«. Schließlich kann ein gewöhnlicher Bürger kein SZR bekommen, und wenn man in einen Weinladen geht und versucht, ein paar Flaschen mit SZR zu bezahlen, kommt man nicht sehr weit. Allerdings entsprechen SZR in vielerlei Hinsicht der traditionellen Definition des Geldes. SZR sind ein Wertaufbewahrungsmittel, weil Staaten einen Teil ihrer Reserven in SZR anlegen. Sie sind Zahlungsmittel, weil Staaten mit einem Handelsdefizit oder -überschuss in lokalen Währungen ihre Handelsbilanz gegenüber anderen Ländern mit SZR ausgleichen können. Und schließlich sind SZR eine Recheneinheit, weil der IWF seine Bücher und Konten, Vermögenswerte und Verpflichtungen in der Währungseinheit SZR führt. Der Unterschied zu anderen Währungen besteht darin, dass Bürger und Unternehmen die SZR noch nicht für private Transaktionen nutzen können. Es gibt jedoch bereits Pläne beim IWF zur Schaffung eines entsprechenden privaten Marktes. Ein weiterer Einwand dagegen, SZR als Geld zu betrachten, besteht darin, dass der Wechselkurs der SZR durch einen Währungskorb wichtiger Währungen wie Dollar und Euro definiert ist. Analysten argumentieren, dass SZR keinen Wert oder Zweck unabhängig von den Währungen im Korb haben und daher keine separate Form des Geldes sind. Das ist aus 304
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? zwei Gründen nicht korrekt. Zum einen ist die Erteilung von SZR nicht durch eine bestimmte Menge der zugrunde liegenden Währungen aus dem Korb begrenzt. Die Währungen im Korb werden zur Berechnung des Werts ver­wendet, nicht zur Mengenbegrenzung – SZR können in potenziell unbegrenzter Menge ausgestellt werden. Dadurch haben SZR eine Quantität oder einen »Umlauf«, der nicht an die Währungen im Korb gekoppelt ist. Zum anderen kann die Zusammensetzung des Korbs verändert werden. Tatsächlich plant der IWF derzeit, die Rolle des Dollar zu verringern und dem chinesischen Yuan einen höheren Stellenwert einzuräumen. Aufgrund dieser beiden Faktoren – der unbegrenzten Emission und des sich verändernden Währungskorbs – nehmen die SZR in der internationalen Finanz­ welt jederzeit eine vom zugrunde liegenden Währungskorb unabhängige Rolle als Geld ein. Der IWF führte die SZR 1969 in Zeiten internationaler währungspolitischer Probleme ein. Durch wiederkehrende Wechselkurskrisen, eine ausufernde Inflation und die Abwertung des Dollar kam es zu globalen Liquiditätsengpässen, wodurch die Reserven vieler IWF-Mitglieder unter Druck gerieten. Von 1969 bis 1981 wurden mehrfach SZR zugeteilt; die Summen blieben jedoch relativ niedrig und entsprachen insgesamt etwa 33,8 Milliarden Dollar (zum Wechselkurs vom April 2011). Nach 1981 wurden 28 Jahre lang keine SZR erteilt. Interessanterweise wurden die ersten SZR von 1969 ans Gold gebunden. Die Goldbindung wurde 1973 aufgegeben und durch Papier-SZR auf Grundlage eines Währungskorbs ersetzt, der noch heute in Gebrauch ist. 2009 kam es aufgrund der Verluste bei der Panik 2008 und des darauffolgenden Schuldenabbaus bei Finanzinstituten und Verbrauchern erneut zu extremen Liquiditätsengpässen. Die Welt brauchte schnell Geld, und die Führung des internationalen Währungssystems griff zur Problemlösung auf die Methoden der 1970er-Jahre zurück. Diesmal ging die Initiative nicht vom IWF aus, sondern von den G20, die den IWF als Werkzeug ihrer globalen Währungspolitik benutzten. Die Summen der SZR waren enorm, sie 305
Teil 3 Die nächste globale Krise entsprachen 289 Milliarden Dollar zum Wechselkurs vom April 2011. Die globale Notfallmaßnahme zur Erhöhung der Geldmenge blieb von der Finanzpresse fast unbemerkt, da diese mit dem Zusammenbruch der Aktienmärkte und Immobilienpreise beschäftigt war. Und doch war das der Beginn einer neuen gemeinsamen Anstrengung der G20 und des IWF, die Verwendung der SZR als globale Währungsreserve und Alternative zum Dollar zu fördern. Dollar, Euro und Yuan würden mit dem neuen Weltwährungsregime der SZR nicht verschwinden, sondern immer noch für inländische Transaktionen verwendet werden. Die Amerikaner würden ihre Milch oder ihr Benzin immer noch mit Dollar kaufen, ebenso wie die Syrer im eigenen Land ­ihre syrische Lira gebrauchen. Doch bei global bedeutenden Transaktionen wie etwa im internationalen Handel, für internationale Kreditkonsortien, Bankenrettungen oder zum Ausgleich der Zahlungsbilanz würden die SZR als neue Weltwährung fungieren. Dem Dollar würde nur noch eine untergeordnete Rolle zukommen, er sollte regelmäßig abgewertet und sein Anteil am Währungskorb gemäß den Vorstellungen der G20 reduziert werden. Zusätzlich zur direkten Erteilung von SZR hat der IWF seine Kreditkapazitäten mehr als verdoppelt. Entsprachen sie vor der Krise noch einem Wert von etwa 250 Milliarden Dollar, so waren es im März 2011 schon 580 Milliarden. Diese erweiterte Kreditkapazität wird durch Kredite der IWF-Mitglieder an den IWF erreicht, der dafür SZR ausstellt. Dadurch sollte der IWF in die Lage versetzt werden, in Not geratenen Mitgliedsstaaten Kredite zu gewähren. Nun kann der IWF die beiden wichtigsten Funktionen einer echten Zentralbank erfüllen – Geld schöpfen und als Kreditgeber der letzten Zuflucht fungieren –, indem er die SZR als seine Form der Währung verwendet und die G20 de facto als Direktorium fungieren. Die ursprüngliche Vision bei der Einrichtung der SZR 1969 kommt nun in einem viel größeren Ausmaß zum Tragen. Die Zeit einer globalen Zentralbank ist wirklich und wahrhaftig angebrochen. 306
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? Selbst mit diesen erweiterten Kapazitäten zur Geldschöpfung und Kreditvergabe sind die SZR noch bei Weitem nicht in der Lage, den Dollar als internationale Leitwährung zu ersetzen. Damit sich die SZR als Reservewährung durchsetzen, benötigen SZR-Inhaber einen großen Korb an Wertpapieren unterschiedlicher Fälligkeit, in die sie investieren können, um Rendite zu erwirtschaften und den Wert zu erhalten. Dafür wäre ein SZR-Anleihemarkt mit staatlichen und privaten Instrumenten erforderlich, außerdem ein Netzwerk an Wertpapierhändlern, das für Liquidität und Fremdkapital sorgt. Solche Märkte können sich schrittweise über einen langen Zeitraum entwickeln, doch die Zeit haben die G20 und der IWF nicht, weil andere Liquiditätsquellen versiegen. 2011 musste die Federal Reserve erkennen, dass ihre Fähigkeit, allein für eine globale Liquidität zu sorgen, begrenzt ist. Der chinesische Yuan ist noch nicht so weit, die Rolle einer Reservewährung zu übernehmen. Der Euro hat mit eigenen Problemen zu kämpfen, die von der Schuldenkrise in einigen Mitgliedsländern herrühren. Der IWF musste die erweiterten SZR so schnell wie möglich auf den Weg bringen. Dafür benötigte man eine Strategie, die der IWF am 7. Januar 2011 vorlegte. Unter dem Titel »Enhancing International Monetary Stability – a Role for the SDR?« (»Die Förderung internationaler Währungsstabilität – eine Rolle für die SZR?«) präsentierte der IWF einen Plan zur Schaffung eines liquiden SZR-Anleihemarkts, die Vorstufe zur Ablösung des Dollar als globaler Reservewährung. Der Plan nennt mögliche Emittenten der SZR-Anleihen, darunter die Weltbank und regionale Entwicklungsbanken, sowie potenzielle Käufer, etwa Staatsfonds und internationale Konzerne. Auch Empfehlungen für Laufzeitstrukturen und Preismechanismen werden aufgeführt, außerdem detaillierte Diagramme für die Verrechnung, Regulierung und Finanzierung solcher Anleihen. Es wird vorgeschlagen, den SZR-Korb im Lauf der Zeit zu verändern, dem chinesischen Yuan mehr Gewicht einzuräumen und den Anteil des Dollar zu verringern. Hinsichtlich der Umsetzung zeigt sich die IWF-Studie optimistisch: »Die Erfahrung … zeigt, dass die Umsetzung relativ schnell erfolgen könnte und 307
Teil 3 Die nächste globale Krise keiner bedeutenden öffentlichen Unterstützung bedarf«, heißt es. Der IWF gab sich keine große Mühe, seine Absichten zu verschleiern: »Diese Wertpapiere könnten die Keimzelle einer neuen Währung sein.« Es gibt auch einen Zeitplan für die Emission des SZR-Geldes mit der Überlegung, dass neue SZR im Wert von 200 Milliarden Dollar pro Jahr die globale Währung auf einen guten Weg bringen würden. Private Organisationen und Wissenschaftler haben ebenfalls ihren Beitrag zur Debatte geleistet. Eine Gruppe multinationaler Ökonomen und Zentralbankiers unter der Führung des Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz hat vorgeschlagen, dass SZR an IWF-Mitgliedsstaaten ausgestellt und dann wieder beim IWF zur Finanzierung seiner Kreditprogramme deponiert werden könnten. Das würde den Aufstieg des IWF zur neuen globalen Zentralbank noch stärker beschleunigen als die eigenen Vorschläge des Währungsfonds. Wenn zu den bereits vorhandenen Funktionen der Geldschöpfung und Kreditvergabe noch die Funktion einer Depotbank hinzukommt, wird der IWF zur globalen Zentralbank, der nur noch die entsprechende Bezeichnung fehlt. Mit der Entstehung einer globalen Zentralbank und einer Weltwährung wären der amerikanische Dollar und die Federal Reserve automatisch in einer untergeordneten Position. Hier haben wir nun in der vollen Pracht des technischen IWF-Kauderwelschs die Antwort der globalen Machtelite auf die Währungskriege und einen möglichen Dollar-Kollaps vorliegen. Damit wäre das Triffin-Dilemma ein für allemal gelöst, denn dann müsste keine einzelne Währung mehr für weltweite Liquidität garantieren. Von nun an könnte die Geldmenge global erhöht werden, unabhängig von der Handelsbilanz des Staates, der die Leitwährung emittiert. Und das Beste ist, zumindest aus Sicht des IWF, dass es keine demokratische Kontrolle bei der Geldschöpfung geben würde und der IWF damit auch niemandem zur Rechenschaft verpflichtet wäre. Noch während der IWF an seinen Plänen für eine globale SZR-Währung schmiedete, schlugen 308
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? seine Direktoren vor, die Stimmanteile Chinas auf Kosten demokratischer Mitglieder zu verdoppeln. Zu den Leidtragenden sollten unter anderem Frankreich, Großbritannien und die Niederlande gehören. Interessanterweise würde die Struktur des IWF im Hinblick auf seine wichtigsten 20 Mitglieder durch die neue Stimmverteilung stärker den G20 entsprechen. Die beiden Zwanzigergruppen sind zwar nicht identisch, werden sich aber immer ähnlicher. Aus seiner antidemokratischen Haltung macht der IWF keinen Hehl, spricht in diesem Zusammenhang aber von »politischen Abwägungen«. Der SZR-Plan sieht die Ernennung eines »Beirats bedeutender Experten« vor, die Richtlinien für die Geldmenge unter dem neuen SZR-System aussprechen sollen. Diese »bedeutenden Experten« werden womöglich unter denselben Ökonomen und Zentralbankchefs rekrutiert, die das internationale Währungssystem 2008 an den Rand des Abgrunds führten. Auf jeden Fall werden sie ohne die öffentlichen Anhörungen und eine kritische Betrachtung durch die Medien ausgesucht, die in demokratischen Gesellschaften üblich ist. Nach ihrer Ernennung können sie ihre Entscheidungen unbehelligt und ganz ungestört treffen. Von John Maynard Keynes stammt der berühmte Satz: »Es gibt kein feineres und kein sichereres Mittel, die bestehenden Grundlagen der Gesellschaft umzustürzen, als die Vernichtung der Währung. Dieser Vorgang stellt alle geheimen Kräfte der Wirtschaftsgesetze in den Dienst der Zerstörung, und zwar in einer Weise, die nicht einer unter Millionen richtig zu erkennen imstande ist.« Wenn nicht einer unter Millionen die Abwertung erkennt, versteht wohl auch nur einer von 10 Millionen die inneren Mechanismen des IWF. Wir sollten uns bemühen, einen besseren Einblick in das Innenleben des Währungsfonds zu bekommen, bevor der Plan in die Tat umgesetzt wird, den Dollar durch die SZR zu ersetzen. Letzten Endes ist der SZR-Plan des IWF nur eine Notmaßnahme, aber keine Lösung. Er setzt dem bevorstehenden Zusammenbruch des Systems des 309
Teil 3 Die nächste globale Krise von nationalen Zentralbanken emittierten Fiatgeldes ein neues System mit Fiatgeld entgegen. Dadurch werden die Probleme der Papierwährungen mit einer neuen Papierwährung übertapeziert. Der Plan weist zwei grundlegende Fehler auf, die seine Umsetzung be­ hindern könnten. Der erste ist der Zeitpunkt – kann die SZR-Lösung des IWF noch rechtzeitig vor der nächsten Finanzkrise umgesetzt werden? Die Schaffung einer neuen Währung, wie sie sich der IWF vorstellt, würde mindestens fünf Jahre dauern, vielleicht sogar länger. Angesichts der wachsenden Haushaltsdefizite in den USA, der ungelösten Schuldenkrise in Europa und der Spekulationsblasen in China bricht das Wäh­ rungssystem vielleicht zusammen, noch bevor die SZR allgemein verfügbar sind. Der zweite Fehler im Plan des IWF betrifft die Rolle der USA. Die USA verfügen beim IWF über ausreichend Stimmrechte, um das SZR-Vorhaben zu blockieren. Die Aufstockung der SZR-Geldschöpfung und der Kreditkapazitäten seit 2009 erfolgte mit der Zustimmung der USA, weil sie sich mit der Vorliebe der Obama-Regierung für multilaterale anstelle unilateraler Lösungen für globale Problemen deckt. Eine neue US-Regierung könnte ab 2012 eine andere Haltung vertreten, außerdem besteht die Möglichkeit, dass die IWF-Strategie zur Ablösung des Dollar in den USA zum Wahlkampfthema wird. Doch vorerst bleibt das SZR ein starker Konkurrent im Wettbewerb um eine globale Währung. Die Rückkehr zum Goldstandard Gold löst bei seinen Anhängern wie bei seinen Gegnern leidenschaftlichere Debatten aus als jedes andere Thema der internationalen Finanzen. Die Gegner des Goldstandards sind schnell mit dem alten Keynes-Zitat bei der Hand, dass Gold ein »barbarisches Relikt« sei. Der legendäre Investor War- 310
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? ren Buffett verweist darauf, dass alles Gold der Welt, wenn man es an einen Ort bringen würde, nur ein großer Block aus glänzendem Metall wäre, der keine Rendite bringt und keinerlei Potenzial zur Schaffung eines Einkommens hat. Der US-Politiker und Weltbankpräsident Robert Zoellick sorgte 2010 für Ohnmachtsanfälle bei den Finanzexperten, als er in einer Rede das Wort »Gold« auch nur erwähnte, obwohl er gar keine Rückkehr zum Goldstandard forderte. Bei den Eliten im Allgemeinen gilt die Begeisterung für Gold als Kennzeichen der Begriffsstutzigen und Einfältigen, die die Vorteile einer »flexiblen« und »expandierenden« Geldmenge in der modernen Finanzwelt nicht zu schätzen wissen. Die Anhänger des Goldes sind nicht weniger streng in ihrem Urteil und betrachten moderne Zentralbankiers als Zauberlehrlinge, die Geld aus dem Nichts erschaffen, um die Arbeiterklasse um ihre sauer verdienten Er­ sparnisse zu bringen. Man kann sich nur schwer ein anderes Finanzthema vorstellen, bei dem die beiden gegnerischen Seiten weniger gemeinsam ­haben. Leider versperren die festgefahrenen Positionen, egal ob dafür oder dagegen, den Blick auf die neue Rolle des Goldes im Währungssystem des 21. Jahrhunderts. Die Debatte ist so stark von Ideologie geprägt, dass es an Bereitschaft mangelt, nach Möglichkeiten zu suchen, die erwiesene Stabi­lität des Goldes mit dem notwendigen Freiraum beim Management der Geldmenge zu kombinieren und so auf Krisen zu reagieren und Fehler zu korrigieren. Dabei wäre eine Versöhnung längst überfällig. Gold ist kein Gebrauchsgut. Gold ist keine Investition. Gold ist Geld par excellence. Es ist wirklich knapp – sämtliches Gold, das in der Geschichte der Menschheit je gefördert wurde, würde in einen Würfel mit einer Kantenlänge von 20 Metern passen, was in etwa der Größe eines kleineren Bürogebäudes entspricht. Durch die weitere Förderung im Bergbau wächst die Goldmenge relativ langsam und stetig – um etwa 1,5 Prozent jährlich. Das ist bei Weitem zu langsam für eine Inflation; tatsächlich gäbe es wohl 311
Teil 3 Die nächste globale Krise eher eine leichte, dauerhafte Deflation, wenn wir den Goldstandard wieder einführen würden. Gold hat eine hohe Dichte; im Vergleich zu anderen M ­ etallen, die man als Geldbasis verwenden könnte, ist eine erhebliche Menge Gewicht auf relativ kleinem Raum komprimiert. Gold ist außerdem von einheitlicher Qualität, ein chemisches Element mit festen Eigenschaften und der Ordnungszahl 79 im Periodensystem. Rohstoffe wie Öl oder Weizen, die man ebenfalls der Geldmenge als Wert zugrunde legen könnte, treten in verschiedenen Qualitäten und Formen auf, was ihre Nutzung viel komplizierter macht. Gold rostet nicht, läuft nicht an und ist fast unzerstörbar, es sei denn mit speziellen Säuren oder durch eine Explosion. Gold ist formbar und lässt sich daher leicht in Münz- oder Barrenform bringen. Und schließlich hat es als Geld eine längere Geschichte als die Konkurrenz – über 5 000 Jahre –, was seinen Wert für viele Zivilisationen und K ­ ulturen belegt. Angesichts solcher Eigenschaften – Knappheit, Beständigkeit, Einheitlichkeit und so weiter – spricht vieles für die Verwendung von Gold als Geld. Dennoch nehmen die modernen Zentralbankchefs und Wirtschaftswissenschaftler Gold als Geld nicht ernst. Die Gründe reichen bis zum Ersten und Zweiten Währungskrieg zurück, zu den Ursachen der Weltwirtschaftskrise und der Auflösung des Abkommens von Bretton Woods. Ben Bernanke, der nicht nur US-Notenbankchef ist, sondern auch ein renommierter Experte für die Große Depression, ist einer der bekanntesten Gegner von Gold als Währungsstandard. Seine Argumente sollten von den Anhängern des Goldstandards berücksichtigt und eventuell widerlegt werden, damit die Debatte wieder in Gang kommt. Bernankes Arbeit zu Gold und der Großen Depression stützt sich in erster Linie auf die zahlreichen Werke von Peter Temin, einem führenden Experten für die Große Depression, Barry Eichengreen und anderen, die Verbindungen zwischen dem Goldstandard von 1924 bis 1936 und der Weltwirtschaft insgesamt aufzeigten. Bernanke fasst deren Standpunkte folgendermaßen zusammen: 312
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? Staaten, die vom Goldstandard abrückten, waren in der Lage, ihre Geldmenge und das Preisniveau wieder zu erhöhen, und taten das auch mit einer gewissen Verzögerung; die Länder dagegen, die am Goldstandard festhielten, wurden in eine weitere Deflation gezwungen. Die Belege zeigen in überwältigendem Ausmaß, dass sich Länder, die sich vom Goldstandard lösten, schneller von der Depression erholten als die Länder, die am Goldstandard festhielten. Tatsächlich verzeichnete kein Land eine deutliche wirtschaftliche Erholung, solange es am Goldstandard festhielt.68 Die empirischen Fakten stützen Bernankes Schlussfolgerung, doch sie sind nur ein Beispiel für die Beggar-thy-Neighbor-Dynamik, die jedem Währungskrieg zugrunde liegt. Das ist so, wie wenn man schreibt, ein Land, das ein anderes überfällt und ausplündert, wird dadurch reicher und das Opfer wird ärmer – das stimmt natürlich. Die Frage ist nur, ob das ein wünschenswertes Wirtschaftsmodell ist. Wenn Frankreich 1931 zur gleichen Zeit wie England vom Goldstandard abgewichen wäre, wäre Englands Vorteil gegenüber Frankreich nichtig gewesen. Doch Frankreich wartete mit der Abwertung bis 1936 und ließ damit zu, dass Englands Wirtschaft auf Kosten Frankreichs wuchs. An diesem Ergebnis ist nichts bemerkenswert – tatsächlich musste man sogar damit rechnen. Unter Bernankes Führung versuchen die USA heute das, was England 1931 tat – die Währung abzuwerten. Bernanke ist es gelungen, den Dollar auf absoluter Basis abzuwerten, was sich anhand des seit einigen Jahren anhaltenden Preisanstiegs beim Gold ablesen lässt. Doch seine Bemühungen, den Dollar gegenüber anderen Währungen abzuwerten, ziehen sich in die Länge. Der Dollar schwankt gegenüber anderen Währungen, hat aber im Vergleich zu ihnen insgesamt nicht erheblich und anhaltend an Wert eingebüßt. Stattdessen verlieren alle wichtigen Währungen gleichzeitig gegenüber Gold an Wert. Die Folge ist eine globale Inflation und ein Preisanstieg bei Rohstoffen und Konsumgütern. Die Beggar-thy-Neighbor-Politik wurde durch eine Beggar-the-World-Politik ersetzt. 313
Teil 3 Die nächste globale Krise Zur Stützung seiner These, dass Gold eine Ursache für die gravierende, lang anhaltende Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre sei, entwickelte Bernanke ein nützliches Sechs-Faktoren-Modell, das die Beziehungen der von der Zentralbank geschaffenen Geldbasis eines Landes zur größeren Geldmenge, die vom Bankensystem geschaffen wird, zu den Goldreserven, die nach Menge und Preis aufgeschlüsselt sind, und zu den Reserven in ausländischen Währungen aufzeigt.69 Bernankes Modell funktioniert wie eine umgekehrte Pyramide. Der schmale Sockel setzt sich aus Gold und Devisen zusammen, darüber befindet sich das von der Zentralbank geschaffene Geld und darüber wiederum die deutlich größere Geldmenge, die von den Banken geschaffen wird. Der Trick besteht darin, genügend Gold zu haben, damit die umgekehrte Pyramide nicht umkippt. Bis 1968 schrieb das amerikanische Gesetz eine Mindestmenge Gold am Fuß der Pyramide vor. Zur Zeit der Großen Depression musste der Wert des Goldes zu einem festen Preis mindestens 40 Prozent der Geldmenge der Federal Reserve entsprechen. Allerdings gab es keine Maximalbegrenzung. Das bedeutete, dass die Menge des von der Fed geschöpften Geldes abnehmen konnte, selbst wenn die Goldmenge zunahm. Das passierte, wenn Banken ihren Fremdkapitalanteil abbauten. Bernanke schreibt dazu: Bei der Geldmenge in Ländern mit Goldstandard – die bei Weitem nicht dem Wert an Währungsgold entspricht, wie man bei einer naiven Interpretation des Goldstandards vielleicht annehmen könnte – handelte es sich oft um ein Vielfaches des Wertes der Goldreserven. In den 1930er-Jahren stieg der Goldbestand weiter; der zu beobachtende deutliche Rückgang … bei der Geldmenge muss daher voll und ganz einem Rückgang beim Verhältnis von Geld zu Gold zugeschrieben werden. Bernanke nennt zwei Gründe für einen Rückgang der Geldmenge trotz ausreichender Goldbestände. Der erste Grund betrifft die geldpolitischen Entscheidungen der Zentralbanken, der zweite befasst sich mit dem Verhalten 314
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? der Anleger und Privatbanken als Reaktion auf eine Bankenpanik. Bernanke kommt zu dem Schluss, dass unter dem Goldstandard zwei Gleichgewichtszustände der Geldmenge existieren. Ein Gleichgewicht besteht, wenn das Vertrauen groß ist und der Fremdkapitalanteil erhöht wird. Der andere Gleichgewichtszustand besteht, wenn das Vertrauen gering ist und Fremdkapital abgebaut wird. Wenn mangelndes Vertrauen aufgrund der Entschuldung zu einer Verringerung der Geldmenge führt, kann das Vertrauen weiter sinken, was wiederum die Geldmenge aufgrund der Zurückhaltung der Banken schrumpfen lässt und einen weiteren Rückgang beim Konsum und bei den Investitionen nach sich zieht. Bernanke folgert daraus: »Im Hinblick auf die Anfälligkeit für sich selbst bestätigende Erwartungen weist der Goldstandard eine starke Ähnlichkeit zu einem … Bankensystem ohne Einlagensicherung auf.« Hier kommt also wieder Mertons selbsterfüllende Prophezeiung ins Spiel. Für Bernanke, Eichengreen, Krugman und eine ganze Generation von Wirtschaftswissenschaftlern, die in den 1980er-Jahren auf dem Höhepunkt ihres Schaffens standen, war das der entscheidende Beweis. Die Geldmenge basierte auf Gold; daher war Gold der einschränkende Faktor für die Erhöhung der Geldmenge, wenn mehr Geld benötigt wurde. Es gab analytische und historische Beweise, gestützt auf Eichengreens empirische Belege und Bernankes Modell: Gold hatte entscheidend zur Großen Depression beigetragen. Nach Ansicht dieser Wissenschaftler war damit belegt, dass Gold ein Faktor bei der Entstehung der Weltwirtschaftskrise gewesen war und sich die Länder, die zuerst den Goldstandard aufgaben, auch als erste wieder erholten. Seitdem ist Gold als monetäres Instrument in Verruf geraten, und der Fall gilt als abgeschlossen. Obwohl in dieser Hinsicht fast Einigkeit herrscht, weisen die Argumente gegen Gold einen gravierenden Fehler auf. Was gegen Gold spricht, hat nichts mit Gold an sich zu tun, sondern mit der Politik. Das zeigt sich, wenn man Bernankes Modell übernimmt und sich dann alternative Szenarien im Zusammenhang mit der Großen Depression überlegt. 315
Teil 3 Die nächste globale Krise Bernanke verweist beispielsweise auf das Verhältnis zwischen Basisgeld und den Gesamtreserven an Gold und Devisen, das manchmal auch Deckungsquote genannt wird. Als Anfang der 1930er-Jahre Gold in großen Mengen in die USA kam, hätte die Federal Reserve einen Anstieg der Basisgeldmenge auf den bis zu 2,5-fachen Wert der Goldmenge erlauben können. Doch die Fed verabsäumte dies, sondern sie senkte sogar die Geldmenge, unter anderem auch, um die expansiven Auswirkungen der Goldeinfuhren zu neutralisieren. Das war eine geldpolitische Entscheidung der Federal Reserve. Die Reduzierung der Geldmenge unter den üblichen Stand kann mit oder ohne Gold erreicht werden und ist eine geldpolitische Entscheidung, die unabhängig von der Goldmenge ist. Es ist daher historisch und analytisch falsch, Gold für die Reduzierung der Geldmenge verantwortlich zu machen. Bernanke verweist außerdem auf die Bankenpaniken Anfang der 1930erJahre und den Wunsch der Banken und Sparer, das Verhältnis der allgemeinen Geldmenge zur Geldbasis zu reduzieren. Die Banken ihrerseits zogen bei ihren Reserven Gold gegenüber Devisen vor. Beide Beobachtungen sind historisch korrekt, stehen aber nicht zwangsläufig in Zusammenhang mit Gold. Die allgemeine Geldmenge kann im Verhältnis zur Geldbasis jederzeit sinken, ohne dass Gold überhaupt mit im Spiel ist – wie sich nach der Panik von 2008 gezeigt hat. Dass die Zentralbanken Gold durch Devisen ersetzten, hat zwar etwas mit Gold zu tun, ist aber im Grunde eine weitere geldpolitische Entscheidung. Die Zentralbanken hätten sich auch für das Gegenteil entscheiden und ihre Goldreserven erhöhen können. Doch nicht nur Bernankes historische Analyse kann man infrage stellen. Die Zentralbanken in den 1930er-Jahren hätten auch eine Reihe von Maßnahmen ergreifen können, um unabhängig vom Gold etwas gegen die Ver­ knappung der Geldmenge zu unternehmen. Die Federal Reserve hätte mit neu gedruckten Dollarscheinen Devisen kaufen können, eine Maßnahme, die sich mit den Swap-Vereinbarungen der modernen Zentralbanken von heute vergleichen lässt, und dadurch sowohl die amerikanischen als auch die ausländischen Reservepositionen erweitern können, was wiederum ei- 316
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? ne weitere Geldschöpfung unterstützt hätte. Die SZR wurden Ende der 1960er-Jahre entwickelt, um genau das Problem der unzureichenden Reserven zu lösen, das man in den 1930er-Jahren hatte. Würde es heute noch einmal zu einer Liquiditätskrise im Stil der 1930er-Jahre kommen, könnte man mithilfe der SZR eine Devisenbasis schaffen, die sowohl die Geldschöpfung als auch die Finanzierung des Handels wieder in Gang bringen würde – genauso wie es 2009 geschah. Damit würde man einen Rückgang des Welthandels und eine weltweite Rezession verhindern. Noch einmal: Diese Form der Geldschöpfung kann ohne jeden Bezug zu Gold erfolgen. Wenn man versäumt, etwas zu unternehmen, liegt das nicht am Gold, sondern an der Politik. Die Zentralbanken der 1930er-Jahre, vor allem die Federal Reserve und die Banque de France, unterließen es, die Geldmenge so stark wie selbst unter dem Goldstandard möglich zu erhöhen. Das war eine der Hauptursachen für die Weltwirtschaftskrise; allerdings lag das Problem nicht beim Gold, sondern am mangelnden Weitblick und der begrenzten Vorstellungskraft der Zentralbanken. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Bernankes eigentlicher Einwand gegen Gold nichts damit zu tun hat, dass Gold die Erhöhung der Geldmenge in den 1930er-Jahren tatsächlich behindert hätte, sondern damit, dass das heute irgendwann der Fall sein könnte. Während der Großen Depression wurden die Kapazitäten zur Geldschöpfung nicht voll genutzt, allerdings war diese Kapazität beim Goldstandard auch nie unbegrenzt vorhanden. Vielleicht möchte Bernanke die Fähigkeit der Zentralbanken bewahren, potenziell unbegrenzte Geldmengen zu schaffen, was nur mit einem Verzicht auf den Goldstandard möglich ist. Seit 2009 können Bernanke und die Fed ihre Politik der unbegrenzten Geldschöpfung unter realen Bedingungen erproben. Wenn man Gold die Schuld an der Großen Depression gibt, ist das ähnlich, wie wenn man für einen Bankraub den Kassierer verantwortlich macht. Der 317
Teil 3 Die nächste globale Krise Kassierer war beim Bankraub vielleicht anwesend, hat aber das Verbrechen nicht begangen. Im Fall der Großen Depression wurde das Verbrechen der Geldverknappung nicht vom Gold begangen, sondern von den Zentralbanken, die eine lange Reihe vermeidbarer geldpolitischer Fehler machten. In der internationalen Finanzwelt ist Gold keine Maßnahme, sondern ein Instrument. Dem Goldstandard die Tragödie der Großen Depression anzulasten, kommt den Zentralbanken sehr gelegen, da sie über unbegrenzte Möglichkeiten zum Gelddrucken verfügen wollen. Die Zentralbanken, nicht das Gold, waren für die Große Depression verantwortlich, und Ökonomen, die weiter den Goldstandard als Ursache nennen, suchen nur eine Rechtfertigung für unbegrenztes Fiatgeld. Könnte der Goldstandard, wenn er von diesen falschen Anschuldigungen reingewaschen ist, heute eine konstruktive Rolle spielen? Wie würde ein Goldstandard für das 21. Jahrhundert aussehen? Manche eifrigen Befürworter eines Goldstandards in den allgegenwärtigen Blogs und Chatrooms sind nicht einmal in der Lage, genau zu erklären, was sie damit eigentlich meinen. Die allgemeine Vorstellung, dass Geld an etwas Greifbares gebunden wird und dass es Zentralbanken nicht erlaubt sein sollte, unbegrenzt Geld zu schöpfen, ist klar. Doch diese Stimmung in ein konkretes Währungssystem zu kleiden, das regelmäßig auftretenden Problemen wie etwa einer Panik oder Depression gewachsen ist, ist weitaus schwieriger. Bei der einfachsten Form des Goldstandards – nennen wir ihn den reinen Goldstandard – ist der Dollar über eine spezifische Goldmenge definiert, und die Einrichtung, die Dollar ausgibt, verfügt über ausreichende Goldmengen, damit man die im Umlauf befindlichen Dollar eins zu eins zum festgelegten Kurs gegen Gold eintauschen kann. Bei diesem System ist ein Dollar wirklich ein Gutschein für eine bestimmte Goldmenge, die für den Besitzer des Dollar aufbewahrt wird und jederzeit ausgezahlt werden kann. Unter dem reinen Goldstandard ist eine Erhöhung der Geldmenge nur möglich, wenn man auch die Goldmenge durch eine verstärkte Förderung 318
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? im Bergwerk oder durch Ankauf erhöht. Dieses System würde der Konjunktur eine leicht deflationäre Tendenz geben, da die globalen Goldvorkommen um etwa 1,5 Prozent im Jahr ansteigen, wohingegen die Wirtschaft unter idealen Bedingungen zu einem nachhaltigen Wachstum von 3,5 Prozent in der Lage ist. Entsprechend müssten, wenn alle übrigen Umstände gleich blieben, die Preise um etwa 2 Prozent pro Jahr fallen, um die 3,5 Prozent Realwachstum gegenüber dem 1,5-prozentigen Anstieg der Geldmenge auszugleichen, und diese Deflation könnte sich negativ auf die Kreditaufnahme auswirken. Der reine Goldstandard ermöglicht Kredite und Schulden durch den Austausch von Geld und Schuldscheinen, er erlaubt aber nicht, dass mehr Geld geschaffen wird, als durch die Goldreserven gedeckt ist. Solche Schuldeninstrumente könnten in der Wirtschaft als Geldersatz oder Quasi-Geld fungieren, sie wären jedoch kein Geld im engeren Sinn. Alle anderen Formen des Goldstandards beinhalten eine Form der Hebe­ lung des vorhandenen Goldbestands. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten. Bei der ersten wird mehr Geld emittiert, als Goldreserven vorhanden sind. Bei der zweiten ergänzt man den Goldbestand, auf dem das Geld basiert, durch einen Goldersatz, etwa Devisen oder SZR. Diese beiden Formen der Hebelung können separat oder zusammen angewandt werden. Bei diesem flexiblen Goldstandard muss man sich vorher einige Gedanken zur Ausgestaltung machen. Wie hoch muss der Mindestanteil der Goldmenge sein? Reichen 20 Prozent aus? Oder braucht man 40 Prozent, um Vertrauen zu schaffen? In der Vergangenheit hielt die Federal Reserve meist um die 40 Prozent der Geldbasis in Gold vor. Anfang April 2011 lag der Anteil immer noch bei etwa 17,5 Prozent. Die USA sind zwar offiziell schon l­ange vom Goldstandard abgerückt, doch eine Art Schattengoldstandard blieb im Verhältnis von Gold zu Basisgeld erhalten, selbst noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Eine andere Frage ist, was man zur Berechnung des Geld-Gold-Verhältnisses als »Geld« definiert. Im Bankensystem gibt es verschiedene Definitionen von »Geld«, abhängig von der Verfügbarkeit und Liquidität der Instrumen- 319
Teil 3 Die nächste globale Krise te, die berücksichtigt werden. Das sogenannte Basisgeld oder die Menge M0 besteht aus den Banknoten und Münzen, die sich im Umlauf befinden, dazu kommen noch die Reserven, die Banken bei der Federal Reserve deponieren. Eine allgemeinere Definition des Geldes ist M1, sie schließt auch Girokonten und Reiseschecks ein, berücksichtigt jedoch nicht die Reserven, die die Banken selbst halten. Die Fed berechnet außerdem M2, das ist die gleiche Definition wie M1, nur werden zusätzlich noch Sparkonten und manche Festgeldkonten hinzugezählt. Ähnliche Definitionen werden von ausländischen Zentralbanken verwendet. Im April 2011 betrug die M1 der USA etwa 1,9 Billionen Dollar, und die M2 lag bei 8,9 Billionen Dollar. Weil M2 so viel größer als M1 ist, hat die Entscheidung für eine bestimmte Definition des Begriffs »Geld« große Auswirkungen auf den Goldpreis, wenn man das Verhältnis von Gold zu Geld berechnet. Ähnliche Probleme ergeben sich bei der Frage, wie viel Gold in der Berechnung berücksichtigt werden sollte. Soll nur das staatliche Gold einberechnet werden, oder sollte man auch das Gold im Privatbesitz der Bürger dazuzählen? Sollte man die Rechnung nur in Bezug auf die USA durchführen, oder sollte man versuchen, einen allgemeinen Standard einzuführen, indem man die Goldreserven aller großen Volkswirtschaften berücksichtigt? Auch die rechtlichen Mechanismen zur verbindlichen Einführung eines neuen Goldstandards müssen berücksichtigt werden. Ein Gesetz könnte ausreichen, aber Gesetze kann man ändern. Besser wäre eine Ergänzung der amerikanischen Verfassung, denn dies würde mehr Vertrauen schaffen, weil sie sich nur schwer ändern lässt. Welchen Preis sollte Gold unter diesem neuen Standard haben? Der falsche Preis war der größte Fehler des Gold-Devisen-Standards der 1920er-Jahre. Der Preis von 20,67 Dollar pro Feinunze Gold, der 1925 verwendet wurde, hatte eine stark deflationäre Wirkung, weil er nicht die massive Erhöhung der Geldmenge in Europa während des Ersten Weltkriegs berücksichtigte. Ein Preis von etwa 50 Dollar pro Feinunze oder noch mehr hätte 1925 ver- 320
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? mutlich eine leicht inflationäre Wirkung gehabt und womöglich einige der schlimmsten Auswirkungen der Großen Depression verhindert. Berücksichtigt man die genannten Faktoren, kommt man zu einigen verblüffenden Ergebnissen. Ohne behaupten zu wollen, dass es ein konkretes »richtiges« Preisniveau gibt, implizieren die besagten Faktoren die folgenden Goldpreise: Flexible Goldstandardfaktoren (Stand April 2011) Impliziter Goldpreis US-Geldmenge M1 mit 40 Prozent Goldreserven 2 590 Dollar pro Feinunze US-Geldmenge M0 mit 40 Prozent Goldreserven 3 337 Dollar pro Feinunze US-Geldmenge M1 mit 100 Prozent Goldreserven 6 475 Dollar pro Feinunze Geldmenge M1 der USA, Chinas und der EZB mit 40 Prozent Goldreserven 6 993 Dollar pro Feinunze US-Geldmenge M0 mit 100 Prozent Goldreserven 8 342 Dollar pro Feinunze US-Geldmenge M2 mit 40 Prozent Goldreserven 12 347 Dollar pro Feinunze Geldmenge M2 der USA, Chinas und der EZB mit 100 Prozent Goldreserven 44 552 Dollar pro Feinunze Für mehr Disziplin im jeweiligen System könnte man einen freien Markt für Gold zulassen, der Seite an Seite mit dem offiziellen Preis existiert. Die Zentralbank müsste dann auf dem offenen Markt agieren, um den Marktpreis auf dem offiziellen Stand oder in dessen Nähe zu halten. Nehmen wir an, dass die gewählte Deckungsrate die der USA in den 1930erJahren ist, als die Fed 40 Prozent des Basisgeldes in Goldreserven bereithalten musste. Verwendet man Zahlen vom April 2011, so läge der Goldpreis bei diesem Standard bei 3 337 Dollar pro Feinunze. Die Fed könnte eine enge Preisspanne mit einer Abweichung von etwa 2,5 Prozent nach unten oder oben festlegen. Das bedeutet, wenn der Marktpreis um 2,5 Prozent sinkt, auf 3 254 Dollar pro Feinunze, müsste die Fed ins Marktgeschehen eingreifen und Gold aufkaufen, bis sich der Preis wieder um die 3 337 Dollar stabili- 321
Teil 3 Die nächste globale Krise siert hätte. Wenn der Preis umgekehrt um 2,5 Prozent auf 3 420 Dollar pro Feinunze steigen würde, müsste die Fed Gold verkaufen, bis der Preis wieder auf das Niveau von 3 337 Dollar pro Feinunze zurückkehren würde. Die Fed könnte sich den Freiraum bewahren, die Geldmenge anzupassen oder Zinsen zu erhöhen oder zu senken, wie sie es für nötig hält, vorausgesetzt, die Deckungsrate bliebe gewahrt, und der Goldpreis auf dem freien Markt bliebe stabil. Der letzte zu berücksichtigende Aspekt ist das Maß an Flexibilität, das den Zentralbanken eingeräumt werden sollte, um im Fall einer wirtschaftlichen Notlage von den strengen Deckungsraten abzuweichen. Es kommt zwar selten vor, doch es gibt Zeiten, in denen echte Liquiditätskrisen oder Deflationsspiralen auftreten und eine schnelle Geldschöpfung, die über die Deckungsrate von Gold zu Geld hinausgeht, erforderlich erscheint. Diese Ausnahmekapazität bezieht sich auf das Problem, das Bernanke in seinen Untersuchungen zur Währungspolitik während der Großen Depression im Zusammenhang mit Gold auszumachen glaubt. Das ist ein politisch extrem schwieriges Thema, weil es auf die Frage hinausläuft, wie sehr die Bürger den Zentralbanken vertrauen, die ihnen angeblich dienen. Die Geschichte der Zentralbanken ist eine Geschichte der gebrochenen Versprechen, wenn es um die Umtauschbarkeit von Geld in Gold geht, und die amerikanische Zentralbank zeichnete sich in ihrer Geschichte vor allem dadurch aus, die Interessen der Banken auf Kosten des Allgemeinwohls zu vertreten. Wie kann angesichts dieser Vergangenheit und der von Gegnerschaft geprägten Beziehung zwischen Zentralbank und Bürgern das erforderliche Vertrauen geschaffen werden? Zwei Elemente, die wesentlich dazu beitragen, das Vertrauen in ein goldgedecktes System zu erhöhen, wurden bereits erwähnt: eine starke rechtliche Verankerung und die Pflicht der Zentralbank, zur Stabilisierung der Preise auf dem offenen Markt aktiv zu werden. Sind diese beiden Säulen vorhanden, so können wir uns mit den Umständen befassen, unter denen man der Fed erlauben könnte, Papiergeld zu schöpfen und die Deckungsquote zu unterschreiten. 322
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? Ein Ansatz bestünde darin, dass die Fed nach öffentlicher Ankündigung auf eigene Initiative die Mindestgrenze für die Goldreserven unterschreiten darf. Vermutlich würde die Fed nur in Extremfällen so handeln, etwa bei einer deflationären Verknappung der Geldmenge in der Art, wie sie England in den 1920er-Jahren erlebte. Unter diesen Bedingungen wären die Offenmarktgeschäfte eine Art demokratisches Referendum auf Entscheidung der Fed hin. Wenn der Markt mit der Einschätzung der Fed übereinstimmt, sollte es keinen Ansturm auf Gold geben – tatsächlich müsste die Fed eventuell sogar Gold kaufen, um den Preis stabil zu halten. Wenn der Markt die Beurteilung der Fed jedoch infrage stellt, könnte es einen Ansturm geben, Papiergeld gegen Gold einzutauschen, was für die Fed ein deutliches Signal wäre, dass sie das ursprüngliche Verhältnis von Goldreserven zu Geld wiederherstellen müsste. Auf Grundlage der in der Verhaltensökonomik und Soziologie beobachteten »Weisheit der Vielen«, die sich in den Marktpreisen spiegelt, wäre dies ein zuverlässigerer Anhaltspunkt als die begrenzte Urteilsfähigkeit einiger Juristen und Ökonomen, die im Sitzungssaal der Fed zusammenkommen. Eine Variante dieses Ansatzes wäre es, wenn man der Fed erlauben würde, von der Golddeckungsrate abzuweichen, wenn zuvor der finanzielle Notstand durch eine gemeinsame Erklärung des amerikanischen Präsidenten und des Mehrheitsführers im Repräsentantenhaus ausgerufen worden wäre. Dadurch würde man einseitige Rettungsaktionen und Währungsexperimente seitens der Fed verhindern und die Bank einer demokratischen Aufsicht unterstellen, wenn sie die Geldmenge im Falle einer wirklichen Notlage erhöhen müsste. Dieses Verfahren wäre sogar doppelt demokratisch abgesichert, da gewählte Volksvertreter den Notstand erklären müssten und die Marktteilnehmer mit ihrem Portemonnaie über die Einschätzung der Fed abstimmen würden, indem sie Gold kaufen würden oder nicht. Auch mit den Auswirkungen eines neuen Goldstandards auf das internationale Währungssystem muss man sich intensiv beschäftigen. Die Geschichte des Ersten und Zweiten Währungskrieges zeigt, dass ein internationaler 323
Teil 3 Die nächste globale Krise Goldstandard nur so lange Bestand hat, bis ein Mitglied des Systems, normalerweise durch eine massive Verschuldung, wirtschaftlich so stark unter Druck gerät, dass es sich zu einer Abkehr vom Goldstandard und zur Abwertung seiner Währung entschließt. Die geschieht in der Hoffnung, von diesem einseitigen Vorteil gegenüber den Handelspartnern zu profitieren. Um einen einseitigen Ausstieg zu verhindern, könnte man eine goldgedeckte globale Währung schaffen, wie sie Keynes in Bretton Woods vorschlug. Vielleicht könnte sogar der Name übernommen werden, den sich Keynes ausdachte: Bancor. Der Bancor wäre kein in der Menge beliebig erweiterbares Fiatgeld wie die Sonderziehungsrechte von heute, sondern echtes Geld, das durch Gold gedeckt ist. Man könnte den Bancor als einzige Währung für den internationalen Handel und zur Begleichung der Zahlungsbilanzen zulassen. Alle Währungen wären an den Bancor gekoppelt und nur für den inländischen Zahlungsverkehr in Gebrauch. Gegenüber dem Bancor könnten sie nur mit Zustimmung des IWF abgewertet werden. Eine einseitige oder ungeordnete Abwertung und damit auch ein Währungskrieg wären so unmöglich. Eine Wiedereinführung des Goldstandards unter Berücksichtigung der modernen Praktiken einer Zentralbank, der ausreichend Flexibilität eingeräumt werden müsste, sollte nicht gleich verunglimpft, sondern intensiv untersucht werden. Ein Institut, das vom Weißen Haus und dem Kongress oder vielleicht auch von den G20 eingerichtet werden könnte, sollte sich mithilfe renommierter Experten mit der Entwicklung eines praktikablen Goldstandards befassen, der nach einem Zeitraum von fünf Jahren zum Einsatz kommen sollte. Das Institut würde sich mit genau den Fragen auseinandersetzen, die wir hier gestellt haben, und besonders auf die Festlegung eines angemessenen Goldpreises achten, um die Fehler der 1920er-Jahre zu vermeiden. Ausgehend von der Geldmenge der USA und den amerikanischen Goldvorräten käme man bei einer Deckungsrate von 40 Prozent auf einen Goldpreis von etwa 3 500 Dollar pro Feinunze. Angesichts des Vertrauensverlusts der 324
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? Bürger in die Zentralbanken und deren Politik der kontinuierlichen Abwertung erscheint es jedoch wahrscheinlich, dass eine allgemeinere Definition der Geldmenge und eine höhere Deckungsrate erforderlich sind, um das Vertrauen in den neuen Goldstandard herzustellen. Eine weltweite Einführung würde sogar noch höhere Preise erfordern, da große Volkswirtschaften wie China viel größere Mengen an Papiergeld und weitaus weniger Gold als die USA besitzen. Die Sache bedarf intensiver Untersuchung, doch wenn man davon ausgeht, dass das Vertrauen auf globaler Basis wiederhergestellt werden muss, erscheint ein Preis von 7 500 Dollar pro Feinunze wahrscheinlich. Einigen Beobachtern mag diese Veränderung beim Dollarwert zu hoch sein, doch im Grunde ist sie bereits in vollem Gang. Sie wurde nur von den Märkten, Zentralbanken und Ökonomen noch nicht erkannt. Die bloße Ankündigung eines solchen Vorhabens könnte schon einen positiven und stabilisierenden Effekt auf die Weltwirtschaft haben, denn die Märkte würden dann anfangen, die zukünftige Stabilität zu berücksichtigen, ähnlich wie die Märkte die europäische Währungsunion Jahre vor der Euroeinführung einkalkulierten. Sobald ein geeignetes Preisniveau festgelegt wäre, könnte es bekannt gegeben werden, und man könnte sofort mit den Offenmarktgeschäften zur Stabilisierung der Währungen zum neuen Goldwert beginnen. Schließlich könnten die Währungen selbst an den Goldwert gekoppelt werden, oder man könnte eine neue, goldgedeckte globale Währung einführen, an die die anderen Währungen gekoppelt wären. Dann könnte sich die Energie und Kreativität der Welt wieder der Technologie, der Verbesserung der Produktivität und anderen Innovationen zuwenden, anstatt sich weiter auf die Ausbeutung durch die Manipulation von Fiatgeld zu konzentrieren. Anstelle eines Reichtums, der nur auf dem Papier existiert, würde das globale Wachstum durch die Schaffung realen Reichtums beflügelt. 325
Teil 3 Die nächste globale Krise Chaos Der vielleicht wahrscheinlichste Ausgang der Währungskriege und der Dollarabwertung ist ein chaotischer, katastrophaler Vertrauensverlust, der Notfallmaßnahmen der Regierungen erforderlich macht, um wenigstens den Anschein zu wahren, dass das System aus Währungen, Handel und Investitionen weiter funktioniert. Der Kollaps wäre nicht beabsichtigt oder geplant, sondern würde einfach passieren; wie eine Lawine, die durch die letzte finanzielle Schneeflocke auf einem instabilen Berghang aus Schulden ins Rutschen kommt. Die Instabilität des Finanzsystems hat sich in den letzten Jahren durch die zunehmende Vielfalt und Vernetzung der Marktteilnehmer deutlich erhöht. Das Risiko ist durch die Vielzahl spekulativer Derivate und die Erhöhung der Hebelung bei den Banken, die »too big to fail« sind, massiv gestiegen. Den genauen Wert der kritischen Schwellen für alle Marktteilnehmer kann man nicht kennen, doch wie wir bereits festgestellt haben, ist das gesamte System dem kritischen Punkt näher als je zuvor. Zum Zusammenbruch fehlt nur noch ein geeigneter Auslöser für den niedrigsten kritischen Schwellenwert. Das muss gar kein spektakuläres Ereignis sein. Wir erinnern uns, dass der gleiche Blitzeinschlag ein kleines Feuer oder einen großen Waldbrand auslösen kann; was letztlich für einen Flächenbrand sorgt, ist nicht der Blitzschlag, sondern der Zustand des Waldes. Der Auslöser an sich kann durchaus auffällig sein, dennoch ist die Verbindung zwischen ihm und dem Kollaps möglicherweise nicht sofort ersichtlich. Im folgenden Szenario wird die Verkettung der Ereignisse bei einem solchen Zusammenbruch aufgezeigt. Der Auslöser erfolgt zu Beginn eines Handelstags in Europa. Eine Auktion spanischer Staatsanleihen scheitert unerwartet, und Spanien ist kurzzeitig nicht in der Lage, fällige Schuldzahlungen zu begleichen, trotz Zusagen der Europäischen Zentralbank und Chinas, den Markt für spanische Anlei- 326
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? hen zu stützen. Frankreich und Deutschland schnüren eilig ein Rettungspaket, doch das Vertrauen ist massiv erschüttert. Am gleichen Tag geht ein unbekannter, aber systemrelevanter Primärhändler für französische Staatspapiere in Konkurs. Normalerweise profitiert der Dollar von Schwierigkeiten in Europa, aber jetzt geraten Euro und Dollar unter Druck. Die geballten schlechten Nachrichten aus Spanien und Frankreich genügen, um mehrere niederländische Pensionsfonds, die sonst eisern am Dollar festhalten, davon zu überzeugen, ihr Vermögen lieber in Gold anzulegen. Obwohl sich die Niederländer sonst nicht an Devisenspekulationen beteiligen, klicken sie am Bildschirm auf das Feld »Verkaufen«. Einige Schneeflocken geraten ins Rutschen. In Genf wird bei einem Hedgefonds eine weitere kritische Schwelle für den Dollar erreicht, und auch dieser Fonds fängt an zu verkaufen. Jetzt ist die Erschütterung deutlich zu spüren, die Lawine ist losgetreten. Der Dollar rutscht schnell unter seine vorherige Trading-Range und erreicht immer neue Tiefstände. Händler mit zuvor festgelegten Stop-LossLimits müssen verkaufen, wenn diese Limits erreicht werden, und diese Stop-Loss-Automatik trägt zusätzlich zur allgemeinen Abwärtsbewegung des Dollar bei. Mit zunehmenden Verlusten beginnen Hedgefonds, die auf die falsche Seite gesetzt haben, ihre amerikanischen Aktien zu verkaufen, weil sie Bargeld für die Nachschussforderungen benötigen. Die Preise für Gold, Silber, Platin und Öl schnellen nach oben. Plötzlich wirken brasilianische, australische und chinesische Aktien wie ein sicherer Hafen. Als die Wertpapierhändler der Banken und die Hedgefonds erkennen, dass ein allgemeiner Dollarkollaps eingesetzt hat, kommt ihnen ein weiterer Gedanke. Wenn der Wert einer Sicherheit in Dollar ausgewiesen ist und der Dollar einbricht, dann bricht auch der Wert der Sicherheit ein. Daraufhin überträgt sich die Anspannung an den Devisenmärkten auf die auf dem Dollar basierenden amerikanischen Aktien-, Anleihe- und Derivatemärkte, ähnlich wie ein Erdbeben einen Tsunami auslöst. Der Vorgang ist nicht mehr rational, zum Überlegen bleibt keine Zeit mehr. Rufe wie »alles verkaufen!« hallen übers Börsenparkett. Die Märkte für den Dollar und für auf Dollar 327
Teil 3 Die nächste globale Krise ausgeschriebene Wertpapiere brechen ohne Unterschied ein, während die Kurse von Rohstoffen und nichtamerikanischen Aktien nach oben schnellen. Durch den massiven Verkauf der auf Dollar ausgeschriebenen Anleihen steigen auch die Zinsen massiv. Das alles passiert, noch bevor es in London Mittag ist. Die New Yorker Börsenmakler, die Mitarbeiter der Banken und Regulierungsbehörden werden durch panische Anrufe ihrer europäischen Kollegen aus dem Schlaf gerissen. Die Bildschirme zeigen nur noch rot unterlegte Verluste. Die Börsenmakler und Banker hetzen ins Büro. Im Vorortzug, wo es um 6 Uhr morgens normalerweise ganz gemächlich zugeht, gibt es nur noch Stehplätze; die sonst übliche Etikette, aufs Telefonieren zu verzichten, beachtet heute keiner. Der Zug ist quasi eine Börse auf Rädern. Als die Banker im Zentrum von Manhattan und an der Wall Street eintreffen, ist der Dollar-Index um 20 Prozent gefallen, und die Aktien-Futures sind um 1 000 Punkte eingebrochen. Gold liegt mit 200 Dollar pro Feinunze im Plus, da sich die Anleger in vermeintlich sichere Werte flüchten, um ihr Vermögen zu retten. Von Investoren, die gegen den Trend setzen, ist weit und breit nichts zu sehen; sie weigern sich, sich einem außer Kontrolle geratenen Zug entgegenzustellen. Manche Wertpapiere werden schon gar nicht mehr gehandelt, weil es zu keinem Preis Gebote gibt. Die Dollar-Panik ist in vollem Gang. Für bestimmte Märkte, vor allem Aktienbörsen, gibt es automatische Unterbrechungen, bei denen der Handel ausgesetzt wird, wenn die Verluste eine bestimmte Summe überschreiten. Andere Märkte wie beispielsweise Terminbörsen räumen offiziellen Stellen Sonderrechte ein, um bei außerordentlichen Kurseinbrüchen einzugreifen, etwa durch Margenerhöhungen und Positionslimits. Diese Regeln gelten nicht automatisch für Währungen oder Gold. Um eine Panik zu verhindern, müssen Zentralbanken und Regierungen direkt intervenieren und versuchen, die Flut der Verkäufe einzudämmen. In einer Paniksituation wie dieser zählen massive koordinierte Dollaraufkäufe und der Ankauf von US-Staatsanleihen durch die Zentralbanken zu den ersten Gegenmaßnahmen. 328
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? Die Federal Reserve, die EZB und die japanische Zentralbank organisieren eilends eine Telefonkonferenz für 10 Uhr morgens New Yorker Zeit, um den koordinierten Aufkauf amerikanischer Dollar und Staatsanleihen zu besprechen. Vor dem Gespräch beraten sich die Zentralbankvorsitzenden mit ihren Finanzministerien und holen sich die notwendigen Genehmigungen und Daten. Die offizielle Ankaufskampagne beginnt um 14 Uhr New Yorker Ortszeit; ab da überschwemmt die Fed die Handelsabteilungen der wichtigsten Banken mit Kaufanweisungen für den Dollar und USStaatsanleihen sowie Verkaufsanweisungen für Euro, Yen, Pfund-Sterling, kanadische Dollar und Schweizer Franken. Vor dieser Aufkaufaktion lässt die Fed gegenüber ihren Lieblingsjournalisten durchsickern, dass die Zentralbanken »alles, was erforderlich ist« zur Stützung des Dollar unternehmen würden. Bei der Beschreibung der Kaufkraft der Zentralbanken betont der Fed-Mitarbeiter vor allem den Begriff »unbegrenzt«. Die Nachricht verbreitet sich auf allen Kanälen und läuft an allen Börsen über die Bild­ schirme. Aus der Vergangenheit weiß man, dass sich private Anleger zurückziehen, wenn der Staat anfängt zu intervenieren. Private Anleger verfügen über weniger Ressourcen als Regierungen und folgen der zeitlosen Mahnung: »Leg dich nicht mit der Federal Reserve an.« Bei einer Panik geben sich die Anleger an diesem Punkt meistens damit zufrieden, ihre Gewinnpositionen aufzulösen, die Gewinne mitzunehmen und nach Hause zu gehen. Danach können die Zentralbanken auf Kosten der Steuerzahler die Scherben zusammenkehren und die Börsenmakler am nächsten Tag wieder wie gewohnt ihrem Geschäft nachgehen. Die Panik ebbt schnell wieder ab. Doch diesmal ist es anders. Mit dem Aufkauf der Anleihen gießt die Fed zusätzlich Öl ins Feuer, weil sie dadurch die Geldmenge erhöht – und genau das war der ursprüngliche Auslöser für die Unruhe an den Märkten. Außerdem hat die Fed bereits vor der Panik so viel Geld gedruckt und so viele Anleihen aufgekauft, dass der Markt zum ersten Mal das Durchhaltevermögen der Fed infrage stellt. Ausnahmsweise ist die Wucht der Panik größer 329
Teil 3 Die nächste globale Krise als die Kaufkraft der Fed. Die Verkäufer fürchten die Fed nicht und verkaufen, egal zu welchem Preis, Hauptsache, sie sind das Zeug los, und die Fed sitzt mit einem immer größeren Haufen Anleihen da. Die Verkäufer investieren den Erlös aus den Anleiheverkäufen sofort in kanadische und australische Dollar, in Schweizer Franken und den südkoreanischen Won und kaufen zusätzlich asiatische Aktien. Der Kursverfall des Dollar setzt sich fort, und die amerikanischen Zinssätze klettern höher und höher. Am Ende des ersten Tages löscht die Fed den Brand nicht mehr länger mit Wasser – sondern mit Benzin. Als in Asien der zweite Tag der Panik anbricht, ist noch keine Entlastung in Sicht. Selbst die Aktienmärkte in Ländern mit vermeintlich stärkeren Währungen wie Australien und China geraten unter Druck, weil die Anleger ihre Positionen verkaufen müssen, um ihre Verluste abzudecken, und weil andere Anleger mittlerweile jegliches Vertrauen in Aktien, Anleihen und Schatzbriefe verloren haben. Der Ansturm auf Gold, Silber und Agrarland entwickelt sich zu einer Hysterie, die durchaus mit der Verkaufspanik bei den Wertpapieren mithalten kann. Der Preis für Gold hat sich über Nacht verdoppelt. Die Behörden schließen nacheinander die asiatischen und europäischen Börsen, damit sich die Märkte beruhigen und die Anleger ihre Strategien überdenken können. Doch die Maßnahme hat den gegenteiligen Effekt. Die Anleger gelangen zu dem Schluss, dass die Börsen möglicherweise nie wieder öffnen und aus ihren Wertpapieren illiquide Beteiligungsinvestitionen werden. Einige Banken schließen, und mehrere große Hedgefonds lehnen eine Auszahlung ab. Viele Anleger können den Nachschussaufforderungen nicht mehr nachkommen, ihre Positionen werden von den Brokern geschlossen, doch dadurch verlagern sich die faulen Papiere nur auf die Konten der Händler, die nun selbst mit einer Insolvenz zu kämpfen haben. Während die Panik in Europa bereits den zweiten Tag grassiert, wenden sich alle Augen zum Weißen Haus. Ein Dollarkollaps ist gleichbedeutend mit einem Vertrauensverlust in die USA. Die Federal Reserve und das Finanzministerium sind überfordert, jetzt kann nur noch der Präsident der Vereinigten Staaten das Vertrauen wiederherstellen. 330
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? Im Militärjargon wimmelt es von Formulierungen wie »Nuklearoption«, »Weltvernichtungsmaschine«, die im Wortsinn wie auch im übertragenen Sinn verwendet werden. Für die internationale Finanzwelt verfügt der amerikanische Präsident über eine kaum bekannte Nuklearoption von immenser Wucht. Diese Option ist der sogenannte International Emergency Economic Powers Act von 1977, abgekürzt IEEPA, ein Ermächtigungsgesetz im Falle einer internationalen wirtschaftlichen Notlage, das von der Carter-Regierung als aktualisierte Version des Trading with the Enemy Act (»Gesetz gegen den Handel mit dem Feind«) von 1917 verabschiedet wurde. Präsident Franklin D. Roosevelt hatte das Gesetz 1933 dazu benutzt, Banken zu schließen und Gold zu beschlagnahmen. Ein neuer Präsident, der mit einer Krise von erheblicher Tragweite konfrontiert ist, würde nun die neue Version für ähnlich extreme Maßnahmen nutzen. Die Anwendung des IEEPA ist nur unter zwei Bedingungen möglich: Die nationale Sicherheit oder die Wirtschaft der USA muss bedroht sein, außerdem muss diese Bedrohung von außen kommen. Es gibt eine Art Pflicht, den Kongress zumindest im Nachhinein zu informieren, doch generell ­verfügt der Präsident über fast diktatorische Vollmachten, um im ­Falle ­eines natio­nalen Notstandes handeln zu können. Die Bedingungen in ­unserem S ­ zenario entsprechen dem IEEPA. Der Präsident trifft sich mit seinen ­Beratern für Wirtschaft und für nationale Sicherheit sowie seinen Reden­schreibern und bereitet die dramatischste Ansprache zur wirt­schaftlichen Lage seit dem Nixon-Schock von 1971 vor. Um 18 Uhr New Yorker Ortszeit am Tag zwei der globalen Dollar-Panik spricht der Präsident live vor einem angespannten Publikum weltweit und verkündet eine Verfügung, die folgende, sofort in Kraft tretende Maßnahmen umfasst: – Der Präsident wird eine parteiübergreifende Kommission aus erfahrenen Kapitalmarkt-Experten und »bedeutenden Wirtschaftswissenschaftlern« ernennen, die die Panik analysieren und innerhalb von 30 Tagen geeignete Reformvorschläge vorlegen. 331
Teil 3 Die nächste globale Krise – Sämtliche Goldbestände in Privatbesitz oder im Besitz ausländischer Staaten, die sich zur Aufbewahrung bei der Federal Reserve Bank of New York oder in den Tresorräumen der HSBC Bank oder der ­Scotiabank in New York befinden, gehen in den Besitz des ameri­ kanischen Finanzministeriums über und werden in das Goldlager in West Point abtransportiert. Die ehemaligen Eigentümer werden angemessen entschädigt, die Summe wird zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt. – Jeglicher Transfer von US-Staatsanleihen, die sich in ausländischem Besitz befinden und in elektronischer Form im Buchungssystem der Federal Reserve geführt werden, wird sofort ausgesetzt. Die Eigentümer erhalten die Zinszahlungen und den Nennwert wie vereinbart, ein Verkauf oder Transfer ist jedoch nicht mehr erlaubt. – Alle Finanzinstitute melden die US-Staatsanleihen in ihren Büchern zum Nominalwert. Die Wertpapiere werden bis zur Fälligkeit gehalten. – Finanzinstitute und Federal Reserve werden die Maßnahmen zum Kauf aller neu emittierten Staatsanleihen koordinieren, um eine reibungslose Finanzierung des amerikanischen Defizits und die Refinanzierung oder Begleichung ausstehender Verpflichtungen fortzusetzen. – Die Börsen werden sofort schließen, der Handel bleibt bis auf weiteres ausgesetzt. – Die Ausfuhr von Gold aus den USA ist verboten. Dieser Interimsplan würde den sofortigen Zusammenbruch des Staatsanleihenmarkts aufhalten, indem er die meisten Transaktionen einfriert und die Banken mit weiteren Ankäufen beauftragt. Er bietet keine dauerhafte Lösung und bringt im besten Fall eine Atempause von ein paar Wochen, in denen langfristigere Lösungen entwickelt werden müssen. 332
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? An diesem Punkt würden die Politiker verstehen, dass der Papier-Dollar in seiner derzeitigen Form nicht mehr länger von Nutzen ist. Er kann nicht mehr als Wertaufbewahrungsmittel fungieren, weil das Vertrauen in ihn zerstört ist. Dadurch entfallen auch seine anderen Funktionen als Zahlungsmittel und Wertmaßstab. Also benötigt man eine neue Währung. Mit einer ähnlichen Währung weiterzumachen, wäre inakzeptabel, daher müsste die neue Währung auf jeden Fall goldgedeckt sein. Nun käme die verborgene Stärke der amerikanischen Position zum Vorschein. Durch die Beschlagnahmung ausländischer und der meisten privaten Goldbestände auf amerikanischem Boden käme das US-Finanzministerium in den Besitz von über 17 000 Tonnen Gold, was 57 Prozent aller offiziellen Goldreserven weltweit entspricht. Damit wären die USA in einer ganz ähnlichen Position wie 1945 kurz nach Bretton Woods, als sie 63 Prozent aller offiziellen Goldvorräte kontrollierten. Mit einer derartigen Menge wären die USA in der Lage, das zu tun, was sie in Bretton Woods taten – sie könnten die Form des neuen globalen Finanzsystems diktieren. Die USA könnten einen »Neuen US-Dollar« schaffen, der dem Wert von 10 alten Dollar entsprechen würde. Der neue Dollar wäre in Gold konvertierbar – zum Preis von 1 000 neuen Dollar pro Feinunze, was 10 000 alten Dollar pro Feinunze nach dem früheren System entsprechen würde. Gemessen an den Marktpreisen für Gold vom April 2011 würde das eine Abwertung des Dollar um 85 Prozent bedeuten, was etwas mehr wäre als die 1933 von Franklin D. Roosevelt veranlasste Abwertung um 70 Prozent, aber noch keine andere Größenordnung darstellt. Es wäre deutlich weniger als die Abwertung um 95 Prozent gegenüber dem Goldwert, die Nixon, Ford und Carter in den Jahren 1971 bis 1980 vornahmen. Aufgrund der Golddeckung wäre der Neue US-Dollar die einzige begehrte Währung der Welt – der ultimative Sieger in den Währungskriegen. Die Fed wäre angewiesen, Offenmarktgeschäfte zu tätigen, um den neuen Goldpreis unter dem flexiblen Gold-Devisen-Standard zu halten. Alle privaten 333
Teil 3 Die nächste globale Krise ­ ewinne durch die Aufwertung des Goldpreises unterlägen einer SonderG gewinnsteuer von 90 Prozent. Die USA würden Europa und China großzügig Kredite zu Vorzugsbedingungen und Unterstützung gewähren, um Liquidität zu schaffen und den Welthandel wieder in Schwung zu bringen, ähnlich wie sie es mit dem Marshallplan getan hatten. Nach und nach würde man den Ländern, deren Gold beschlagnahmt wurde, meist europäischen Staaten, erlauben, ihr Gold zum neuen, deutlich höheren Preis zurückzukaufen. Zweifellos würden sie sich in Zukunft dafür entscheiden, ihr Gold lieber in Europa aufzubewahren. Das Vertrauen würde allmählich wiederhergestellt, die Börsen würden wieder öffnen, neue Preise für Güter und Dienstleistungen würden festgelegt, und das Leben würde weitergehen, mit einem neuen König Dollar im Zentrum des Finanzuniversums. Oder auch nicht. Das Szenario, in dem auf Chaos rasch der Aufstieg eines neuen, goldgedeckten Dollar folgt, der sich wie Phönix aus der Asche erhebt, ist nur eine Möglichkeit von vielen. Ein anderes Szenario wäre ein unaufhaltsamer Finanzkollaps, auf den der Zusammenbruch der öffent­lichen Ordnung und der Infrastruktur folgen würde. Solche Szenarien kennt man aus Büchern und Filmen, etwa aus Cormac McCarthys Die Straße. In solchen Geschichten geht es meist um das Überleben nach einer Katastrophe, in einer völlig zerstörten Welt nach einem Krieg, einer Naturkatastrophe oder der Invasion von Außerirdischen. Im Grunde könnte die Vernichtung von Wohlstand, Ersparnissen, Vertrauen und Zuversicht infolge eines ­Währungskriegs und Dollarkollapses ähnlich katastrophal werden wie die Invasion feindlicher Außerirdischer. Das Reinvermögen eines Menschen könnte dann nur noch aus dem bestehen, was er tragen kann. Eine andere mögliche Reaktion auf den Zusammenbruch der Währung wäre eine weit extremere Intervention der Regierung, die mit deutlich mehr Zwang verbunden wäre als die bereits beschriebenen Maßnahmen auf Grundlage des IEEPA. Solche Zwangsmaßnahmen wären wohl eher in 334
Kapitel 11 – Endspiel – Papier, Gold oder Chaos? ­ sien oder Russland wahrscheinlich und könnten die komplette Verstaat­ A lichung des Kapitals und geistigen Eigentums umfassen, die Schließung der Grenzen und die Konzentration der Produktionskapazitäten auf den hei­ mischen Bedarf anstelle des Exports. Es würden sich mehrere semiautarke Zonen bilden, und der Welthandel würde zusammenbrechen. Das Ergebnis wäre das Gegenteil der Globalisierung. Es wäre der Konsens von Peking, aller­dings würde hier kein Einzelner auf Kosten der anderen profitieren – weil es niemanden mehr geben würde, der profitieren könnte. 335
Schlussfolgerung Der Dollar ist nicht zukunftsfähig, daher wird es mit dem Dollar nicht so weitergehen können. Im Lauf der Zeit wird der Dollar vielleicht zu einer Reservewährung unter vielen, wird Sonderziehungsrechten untergeordnet, durch eine erneute Goldbindung verjüngt, oder er wird im Chaos versinken, was sowohl die Möglichkeit seiner Rettung als auch die seines Untergangs birgt. Von diesen vier möglichen Entwicklungen scheint die der verschiedenen Reservewährungen am unwahrscheinlichsten, weil sie die Probleme der Verschuldung und Defizite nicht löst, sondern in einem klassischen Währungskrieg nur von einem Land ins andere verlagert. Die Lösung mit den Sonderziehungsrechten wird von einigen globalen Eliten in den Finanzministerien der G20 und der Führungsetage des IWF propagiert, doch da sie einfach nationale Papierwährungen durch eine globale Papierwährung ersetzt, birgt sie das Risiko, dass auch sie mit der Zeit abgelehnt und instabil wird. Eine gut geplante, von Experten durchgeführte Rückkehr zum Goldstandard bietet die beste Aussicht auf Stabilität, genießt aber unter Akademikern so wenig Anerkennung, dass sie in den aktuellen Debatten kaum vorkommt. Somit bleibt mit einiger Wahrscheinlichkeit das Chaos als Möglichkeit übrig. Doch auch im Chaos besteht noch eine Chance für den Goldstandard, selbst wenn die Einführung dann plötzlich und ungeplant erfolgen würde. Und als letzte Möglichkeit gibt es das Chaos, auf das noch Schlimmeres folgt. Der Zusammenbruch des Dollar könnte allein auftreten oder als Teil eines viel umfassenderen Zusammenbruchs unserer Zivilisation. Er könnte einfach nur die Abkehr von der Papierwährung bedeuten oder ein Meilenstein auf dem Weg in den Untergang sein. Nichts muss zwangsläufig passieren, es ist aber alles möglich. 336
Schlussfolgerung Noch ist es nicht zu spät, noch können wir einen Schritt vom Abgrund des katastrophalen Zusammenbruchs zurücktreten. Die Komplexität ist anfangs ein Freund, wird dann aber zum Feind. Wenn wir erst einmal die Gefahren von Komplexität und Größe erkannt haben, bietet sich als Lösung eine Mischung aus Verkleinerung, Untergliederung in kleinere Bereiche und Vereinfachung an. Ein Schiff, dessen Rumpf in Schotten unterteilt ist, sinkt nicht so schnell wie ein Schiff mit einem durchgehenden Frachtraum. Aus dem gleichen Grund werden ausgedehnte Waldgebiete immer wieder von abgeholzten Feuerschneisen unterteilt. Jeder Schreiner arbeitet nach dem Prinzip »für jede Arbeit das richtige Werkzeug«. Wirtschaftswissenschaftler sollten bei der Wahl ihrer Werkzeuge nicht weniger sorgfältig sein als ein Schreiner. Übertragen auf die Kapital- und Devisenmärkte bedeutet dies, die großen Banken zu zerschlagen und ihre Aktivitäten auf die Einlagenverwaltung, private und gewerbliche Kredite, Handelsfinanzierung, Zahlungsabwicklung, Bankgarantien und ein paar andere nützliche Dienste zu beschränken. Der Eigenhandel, das Emissionsgeschäft und der Wertpapierhandel sollten für Banken verboten und auf Wertpapierhändler und Hedgefonds beschränkt werden. Die Vorstellung, dass man für große Geschäfte auch große Banken benötigt, ist Unsinn. Aus genau diesem Grund wurden Konsortien erfunden; bei ihnen ist das Risiko optimal verteilt. Derivate sollten verboten werden, eine Ausnahme wären nur börsengehandelte Standard-Futures mit täglicher Margin-Anpassung und Clearinghäusern, die mit ausreichend Kapital ausgestattet sind. Bei Derivaten wird das Risiko nicht verteilt, sondern vervielfacht und in einigen wenigen Händen konzentriert, die als »too big to fail« gelten. Derivate nützen nicht dem Kunden, sondern aufgrund der hohen Gebühren und der schwer durchschaubaren Bedingungen nur den Banken und Händlern. Die Risikomodelle für Derivate funktionieren nicht und werden auch nie funktionieren, weil der Fokus auf dem Nettorisiko anstatt auf dem Bruttorisiko liegt. 337
Schlussfolgerung Mit der Einführung eines flexiblen Goldstandards könnte man die Unsicherheit hinsichtlich der Inflationsgefahr, der Zinsen und Wechselkurse reduzieren. Mit mehr Sicherheit und einer größeren Preisstabilität könnten Unternehmen und Anleger bei Investitionen höhere Risiken eingehen. Im Unternehmensbereich gibt es auch ohne Inflations-, Deflations-, Zins- und Wechselkursrisiken genügend Unsicherheiten, die Innovationen behindern. In den 40 Jahren, seit die USA vom Goldstandard abgerückt sind, hat die amerikanische Wirtschaft unter Führung der Federal Reserve ständig Spekulationsblasen, Börsenkräche, Paniken und zyklische Konjunkturschwankungen erlebt. Es ist an der Zeit, die Rolle der Finanzwirtschaft zu reduzieren und sich wieder mehr auf den Handel zu konzentrieren. Gold sorgt für höchste Stabilität bei Preisen und Vermögenswerten und genießt daher hohes Ansehen bei den Anlegern. Als Leitlinie für die Geldpolitik sollte die Taylor-Regel dienen, die nach ihrem Erfinder, dem Ökonomen John B. Taylor benannt ist. Die Regel verwendet positive Rückkopplungen, indem sie die tatsächliche Inflation in die Gleichung einbezieht, und bietet Einfachheit und Transparenz. Sie ist nicht perfekt, aber, um mit Winston Churchill zu sprechen, besser als alle anderen. Die Kombination aus Taylor-Regel und einem flexiblen Goldstandard macht die Arbeit der Zentralbanken regelrecht langweilig, aber genau das ist der springende Punkt. Je weniger dramatisch sich das Geschäft der Zentralbanken gestaltet, desto mehr Sicherheit besteht für die Unternehmer, die die eigentliche Quelle für Arbeitsplätze und Wohlstand sind. Zu den weiteren Maßnahmen beim Abbau der Komplexität zählen die Abschaffung der Besteuerung von Unternehmensgewinnen, die Vereinfachung der Einkommenssteuer und die Verringerung der Staatsausgaben. Die Forderung nach einem schlankeren Staat erfolgt nicht aus ideologischen Gründen, sondern ist einfach klug. Wenn das Risiko eines Kollapses in der Größe selbst besteht, werden die Vorteile staatlicher Programme durch die unsichtbaren Kosten zunichte gemacht. Eine geringere Größe bringt mehr Sicherheit. 338
Schlussfolgerung Die obigen Empfehlungen haben eins gemeinsam: Alle verkleinern oder vereinfachen das Finanzsystem oder ziehen wie im Fall des Goldes ein Sicherheitsnetz zum Schutz vor einem Kollaps ein. Kritiker werden sagen, dass viele Vorschläge rückwärtsgerichtet sind und aus einer Zeit stammen, als die öffentliche Verwaltung noch kleiner und das Bankenwesen, die Steuer- und Geldpolitik weniger kompliziert waren. Sie haben recht, aber genau darum geht es. Wenn man den absteigenden Teil der Komplexitätskurve erreicht hat, ist es klug umzukehren, weil die Gesellschaft dann produktiver und ­robuster gegenüber einer Katastrophe ist. Wenn diese Abhilfemaßnahmen nicht angewandt werden und die Lage außer Kontrolle gerät, wird letzten Endes das Pentagon einschreiten müssen, um mit Mitteln, die dem Finanzministerium und der Federal Reserve nicht zur Verfügung stehen, die Ordnung wiederherzustellen. Die Bedrohungen, die das 2009 durchgeführte Finanzplanspiel des Verteidigungsministeriums aufzeigte, werden von Tag zu Tag realer. Verteidigungsminister Robert Gates erklärte zum Planspiel, es sei eine Erfahrung gewesen, die ihm »die Augen geöffnet« habe und die »Defizite bei der Befähigung und Bereitschaft verschiedener Teile der Regierung zur Informationsweiterleitung« deutlich mache. Gates nannte das Finanzministerium nicht direkt, doch meiner Erfahrung nach müssen Finanzministerium und Federal Reserve enger mit den Behörden für nationale Sicherheit zusammenarbeiten, damit sich das Land auf die zukünftige Entwicklung vorbereiten kann. Wie ich bereits zu Beginn des Buchs feststellte, ist ein Buch über Währungskriege unweigerlich auch ein Buch über den Dollar und sein Schicksal. Der Dollar ist trotz all seiner Fehler und Schwächen der Dreh- und Angelpunkt des globalen Systems an Währungen, Aktien, Anleihen, Derivaten und Investitionen aller Art. Obwohl Währungen schon per definitionem ein Wertaufbewahrungsmittel darstellen, ist der Dollar noch mehr als das. Er ist ein Mittel zur Aufbewahrung wirtschaftlichen Werts in einer Nation, deren moralische Werte historisch außergewöhnlich und daher ein leuchtendes Beispiel für die Welt sind. Eine Abwertung des Dollar zieht zwangsläufig ei- 339
Schlussfolgerung ne Abwertung dieser Werte und dieser Sonderstellung nach sich. Dieses Buch soll eine Warnung vor den zukünftigen Gefahren darstellen und bei der Kursänderung als Kompass dienen. In der Vergangenheit finden sich zahlreiche Beispiele für gesellschaftliche und finanzielle Zusammenbrüche, man kann sie jedoch auch leicht ignorieren und verdrängen. Aber die Geschichte vergisst nichts, und komplexe Systeme verhalten sich nun einmal so und nicht anders. Sie beginnen als harmloses Organisationsprinzip und enden damit, dass sie jede verfügbare Energie absorbieren und schließlich das ganze System zerstören. Kapital- und Devisenmärkte sind komplexe Systeme und werden irgendwann zusammenbrechen, es sei denn, sie werden entflochten, eingedämmt, aufgeteilt und verkleinert. In Währungskriegen geht es letztendlich immer um den Dollar, doch der Dollar von heute ist aufgrund von Derivaten, Hebelungen, der Erhöhung der Geldmenge und der Abweichung vom Goldstandard nur eine aufgeblasene Version seines früheren Selbst. Es ist noch nicht zu spät, ihn zu retten. Allerdings bleibt uns auch nicht mehr viel Zeit. 340
Danksagungen Mein aufrichtiger Dank an alle, die mir bei diesem Buch halfen, beginnt mit meiner Agentin Melissa Flashman, die entscheidend dazu beitrug, dass aus einem Konzept ein Projekt und schließlich ein Buch wurde. Ihre unentwegte Unterstützung war für mich in den langen Monaten der Recherche und des Schreibens ein großer Trost. Dank schulde ich auch Adrian Zackheim von Penguin/Portfolio, weil er mein Manuskript annahm und damit einem Neuling eine Chance gab. Wir hatten 2010 beide das Gefühl, dass die Währungskriege wieder in vollem Gang waren. Leider hatten wir recht. Meine Lektorin Courtney Young, der Lektoratsassistent Eric Meyers und alle anderen bei Penguin leisteten zur Entstehung des Buchs einen wichtigen Beitrag. Großer Dank gebührt auch meinem Korrektor Nicholas LoVecchio, dessen Genauigkeit und Sorgfalt die Stringenz und den Lesefluss des fertigen Buchs sehr förderten. Allen Mitarbeitern möchte ich für ihre Sachkenntnis und Geduld danken. Meinen Partnern bei Omnis in McLean, Virginia, gilt mein ganz besonderer Dank, weil sie es mir ermöglichten, die Wall Street mit der Welt der nationalen Sicherheit zu verbinden. Randy Tauss, Chris Ray, Joe Pesce und Charlie Duelfer sind stille Helden, die im Hintergrund agieren und daher nie besungen werden. Es ist ein Privileg, mit ihnen zu arbeiten. Unser Gedenken gilt unserem verstorbenen Partner Zack Warfield. Ich danke meinen Kollegen aus dem Bereich der nationalen Sicherheit, deren Namen ich nicht nennen kann. Sie wissen, wer gemeint ist. Die Amerikaner kennen vielleicht nicht Ihre Namen, können sich aber glücklich schätzen, dass Sie für sie arbeiten. 341
Danksagungen Auch den Leitern des Applied Physics Laboratory möchte ich danken, weil sie es mir ermöglicht haben, über den eigenen Tellerrand meines Fachgebiets zu schauen, während ich für sie arbeitete. Duncan Brown, Ted Smyth, Ron Luman und Peggy Harlow ruhen sich nie auf ihren Einschätzungen aus, sondern denken nach vorne und überlegen unermüdlich, wie man den Bedrohungen dieser Zeit begegnen könnte. Sie waren so freundlich, mich stets an ihrer Arbeit teilhaben zu lassen. Enormen Dank schulde ich auch meinen Rechtsberatern Tom Puccio, Phil Harris, Mel Immergut, Mary Whalen und Ivan Schlager, die mir seit vielen Jahren zur Seite stehen. Auch Rechtsanwälte brauchen manchmal einen Rechtsanwalt, und sie sind die besten. Ein großes Dankeschön auch an meine ökonomischen Berater John Makin, Greg »the Hawk« Hawkins, David Mullins Jr., Myron Scholes und Bob Barbera, die mir trotz meiner unorthodoxen Herangehensweise an ihr Fachgebiet zuhörten und ihre Ansichten und Gedanken mit mir teilten. Ich danke meinen Börsenmentoren Ted Knetzger, Bill Rainer, John Meriwether, Jim McEntee, Gordon Eberts, Chris Whalen, Peter Moran und Dave »Davos« Nolan. Davos und ich spekulierten 2005 mit Shortpositionen auf Fannie-Mae-Aktien, als der Kurs bei 45 Dollar pro Aktie stand, und verloren Geld, da er auf 65 Dollar stieg. Heute werden die Aktien für 39 Cent gehandelt. Es kommt eben immer auf das richtige Timing an. Da Washington mittlerweile nicht nur das politische, sondern auch das finanzielle Machtzentrum der Welt ist, wäre ein Buch wie dieses nicht möglich ohne die Unterstützung, Ermutigung und den Gedankenaustausch mit jenen, die den Mächtigen besonders nahestehen. Mein Dank geht an Taylor Griffin, Rob Saliterman, Blain Rethmeier, Tony Fratto, Tim Burger, Teddy Downey, Mike Allen, Jon Ward, Juan Zarate und Eamon Javers, die mich durch das Dickicht des neuen Rom geleitet haben. 342
Danksagungen Wenn es um die Sicht des Militärs geht, gibt es niemand besseren, an den man sich wenden kann, als Brigadegeneral Joe Shaefer und Konteradmiral Steve Baker. Vielen Dank. Als ich General Shaefer kennenlernte, war er der einzige General im aktiven Dienst, der eine Lizenz der Börsenaufsicht für den Optionshandel besaß. Ein Original. Ich danke außerdem Greg Burgess vom Verteidigungsministerium für seine Weitsicht und Hartnäckigkeit, das Finanzplanspiel zu unterstützen, das im ersten Kapitel beschrieben wird. Greg lud mich zum Mitspielen ein und nahm mich ins China-Team auf. Vielleicht können wir das Spiel wiederholen, wenn China mehr Goldreserven besitzt. Die Kapitel über Kriegsplanspiele wären ohne die Bemühungen der »WallStreet-Einzelkämpfer« nicht zustande gekommen, die ich rekrutierte, um mich beim globalen Finanzkriegsspiel zu unterstützen. Dank an Steve Halliwell und Bill O’Donnell für ihre Freundschaft, ihre Bereitschaft mitzumachen und die Erlaubnis, ihre Geschichte zu erzählen. Wir sehen uns im Ten Twenty Post, wo das Planspiel eigentlich seinen Anfang nahm. Ich danke außerdem Lori Ann LaRocco von CNBC, Amanda Lang von CBC und Eric King von King World News, die mich in ihre Sendungen einluden, um über die wirtschaftliche Analyse in meinem Buch zu sprechen. Wenn man sein Denken schärfen will, gibt es nichts Besseres als eine Livesendung im Fernsehen mit kompetenten Moderatoren. Dank an meine Freunde, die sich die Zeit nahmen, verschiedene Teile des Manuskripts in unterschiedlichen Phasen der Fertigstellung zu lesen, und mich mit ihren Fragen, ihrer Kritik und Ermutigung unterstützten. Sie lasen die Kapitel nicht als Wirtschaftswissenschaftler, sondern als besorgte Bürger mit Hypotheken, Kindern, Rechnungen, die bezahlt werden müssen, und mit dem Wunsch, eine Finanzwelt zu verstehen, die Kopf steht. Ihre Kommentare machten das Buch besser. Danke Joan, Glen und Diane. Es ist schlicht und ergreifend unmöglich, mit seinem Partner zusammen- 343
Danksagungen zuleben und ein Buch zu schreiben, ohne den Partner in den Entstehungsprozess einzubeziehen. Man diskutiert, debattiert und streitet, weil man das Buch lebt und atmet. Danke, Ann, für tausend Kleinigkeiten und die große Aufgabe, mir dabei zu helfen, ein besserer Autor zu werden. Danke von ganzem Herzen. Jon Faust vom Johns Hopkins Center for Financial Economics und Sebastian Mallaby vom Council on Foreign Relations schenkten mir großzügig ihre Zeit, lasen das Manuskript und versahen es mit fundierten Kommentaren. Selbstverständlich sind die im Buch vorgetragenen Ansichten meine eigenen und nicht zwangsläufig ihre. Dank an beide. Diesmal habe ich das Beste wirklich bis zum Schluss aufgehoben. Mein Dank und der größte Respekt gebühren Will Rickards, dem Stolz der University of Colorado und der Taft School, der als msein Rechercheassistent und Korrektor arbeitete. Klarheit und Kohärenz in diesem Buch sind seiner anspruchsvollen und wachsamen Obhut zu verdanken. Falls trotzdem noch Fehler verblieben sind, gehen sie allein auf mein Konto. 344
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Endnoten 1 »Q&A with Hu Jintao«, Wall Street Journal, 18. Januar 2011, http://online.wsj.com/article/SB 10001424052748703551604576085514147521334.html. 2 Die Angaben zur Geschichte und den Aktivitäten des Applied Physics Laboratory stammen von der Homepage der Labors auf www.jhuapl.edu. 3 Die Einzelheiten zu dem vom Office of the Secretary of Defense (OSD) finanzierten und am Warfare Analysis Laboratory des Applied Physics Laboratory durchgeführten Finanzplanspiels basieren auf den Erinnerungen und Notizen des Autors sowie auf den umfangreichen, vom Applied Physics Laboratory zur Verfügung gestellten Materialien, darunter Tagesordnungen, Sitzpläne, Einladungs-E-Mails und den folgenden Spielmaterialien: »Economic and Finance Game Player Book«, »Economic & Finance Game Mechanics«, »Economic & Finance Game Overview«, »Administrative Instructions – Global Economic Seminar 7–8 October 2008«, »Administrative Instructions – Global Economic & Finance Game Design Planning Seminar 18–19 November 2008«, »Economic and Financial Game Baseline Scenario – 17 March 2009«, »Global Economic Impacts on the DoD Final Report 31 March, 2010« sowie »Global Economic Study: Appendix D: Economic Game 17–18 March 2009«. 4 Jonathan Wheatly, »Brazil in ›Currency War‹ Alert«, Financial Times, 27. September 2010. 5 Interview mit Dominique Strauss-Kahn, abgedruckt im Stern, 18. November 2010, www.imf. org/external/np/vc/2010/111810.htm. 6 Diese ausführliche Diskussion des klassischen Goldstandards basiert auf Giulio M. Gallarotti, The Anatomy of an International Monetary Regime: The Classical Gold Standard, 1880– 1914, New York: Oxford University Press, 1995. 7 Gallarotti, op. cit. 8 Michael David Bordo, »The Classical Gold Standard: Some Lessons for Today«, Federal Reserve Bank of St. Louis, Mai 1981. 9 Diese Darstellung der Panik von 1907 basiert auf Robert F. Bruner und Sean D. Carr, Sturm an der Börse: die Panik von 1907. Weinheim: Wiley-VCH 2009. 10 Dieser Bericht über die Gründung des Federal Reserve System basiert auf Murray N. Rothbard, The Case Against the Fed, Auburn, Alabama: Ludwig von Mises Institute 1994. 11 Diese Darstellung der Verhandlungen über die Reparationen am Ende des Ersten Weltkriegs basieren auf Margaret MacMillan, Paris 1919: Six Months That Changed the World, New York: Random House 2001. 357
Endnoten 12 MacMillan, op. cit. 13 Wilson, Woodrow: Die neue Freiheit, ein Aufruf zur Befreiung der edlen Kräfte eines Volkes. Aus dem Englischen von Hans Winand. München: Georg Müller Verlag 1914, S. 179. 14 Diese Darstellung der Hyperinflation in der Weimarer Republik von 1921 bis 1923 und ihrer Auswirkungen auf die Menschen in Deutschland basiert auf Adam Fergusson, Am Ende des Geldes: Hyperinflation und ihre Folgen für die Menschen am Beispiel der Weimarer Republik. München: FinanzBuch Verlag 2011. 15 Diese Darstellung der »Beggar-thy-neighbor«-Abwertungen in der Zwischenkriegszeit und der internationalen Finanzkonferenzen, mit denen ihre Folgen gemindert werden sollten, basiert auf Liaquat Ahamed, Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben. München: FinanzBuch Verlag 2010. 16 Für Darstellungen der amerikanischen Währungspolitik in den Jahren vor der Weltwirtschaftskrise sowie zur Schlussfolgerung, dass die Geldpolitik der Federal Reserve unangemessen restriktiv war, siehe Milton Friedman und Anna Jacobson Schwartz, A Monetary History of the United States, 1867–1960, Princeton: Princeton University Press 1963. 17 Für eine Darstellung der ersten Jahre von Franklin D. Roosevelts Präsidentschaft und seiner Maßnahmen in Bezug auf Gold und das Bankensystem siehe Allan H. Meltzer, A History of the Federal Reserve, Volume 1: 1913–1951, Chicago: University of Chicago Press 2003. 18 Executive Order 6102, 5. April 1933, php?pid=14611&st=&st1=#axzz 1LXd02JEK. 19 Sämtliche Angaben zum Bruttoinlandsprodukt der Vereinigten Staaten nach United States Department of Commerce, Bureau of Economic Analysis, National Economic Accounts Data, www.bea.gov. 20 Sämtliche Angaben zu den Inflationsraten (Veränderung des Verbraucherpreisindex zum Vorjahr) in den Vereinigten Staaten nach United States Department of Labor, Bureau of Labor Statistics, http://data.bls.gov. 21 Richard Roberts, »Sterling and the End of Bretton Woods«, XIV. International Economic History Congress, Universität Helsinki, Finnland, 2006. 22 »Money: De Gaulle v. the Dollar«, Time, 12. Februar 1965. 23 Brief von Karl Blessing an William McChesney Martin, 30. März 1967, Lyndon Baines Johnson Library and Museum, Austin, Texas, www.lbjlibrary.org. Für den deutschen Wortlaut des Zitats siehe: http://www.mmnews.de/index.php/gold/7201-der-blessing-brief 24 »The Monetary System: What’s Wrong and What Might Be Done«, Time, 29. November 1968. 358 www.presidency.ucsb.edu/ws/index.
Endnoten 25 Richard M. Nixon, »Address to the Nation Outlining a New Economic Policy: ›The Challenge of Peace‹«, 5. August 1971, www.presidency.ucsb.edu/ws/index.php?pid=3115# axzz1LXd02JEK. 26 Jon Hilsenrath, »Fed’s Yellen Defends Bond-Purchase Plan«, in: Wall Street Journal vom 16. November 2010, http://online.wsj.com/article/SB100014240527487036700045756170007 74399856.html. 27 Christina D. Romer, »The Debate That’s Muting the Fed’s Response«, in: New York Times vom 26. Februar 2011, http://www.nytimes.com/2011/02/27/business/27view.html. 28 Eine ausführliche Erörterung und Geschichte der Veränderungen im Wechselkurs von Yuan und Dollar findet sich in: Xiaohe Zhang, »The Economic Impact of the Chinese Yuan Revolution«, Arbeitspapier für die 18. Jahrestagung der Association for Chinese Economic Studies, Australien, am 13. Juli 2006. 29 Die statistischen Angaben über die Entwicklung der US-Zinsen stammen von der Webseite des Board of Governors of the Federal Reserve System, Economic Research & Data, http:// www.federalreserve.gov/econresdata/statisticsdata.htm. 30 »Deflation: Making Sure ›It‹ Doesn’t Happen Here«, Rede von Ben S. Bernanke vor dem National Economists Club am 21. November 2002, http://www.federalreserve.gov/BOARDDOCS/SPEECHES/2002/20021121/default.htm. 31 Ebenda. 32 »Schumer: New Record Trade Deficit Indicates ›A Slow Bleeding At The Wrists For U.S. ­Economy‹, Shows Increasing Dependence On Countries Like China, Japan«, Pressemit­ teilung des Büros von United States Senator Charles E. Schumer vom 19. Februar 2006, ­http://schumer.senate.gov/new_website/record.cfm?id=259425. 33 Alle statistischen Angaben über die offiziellen Goldreserven stammen vom World Gold Council, Investment Statistics, Changes in World Gold Reserves, http://www.gold.org/ ­ government_affairs/gold_reserves. 34 »US and China agree to negotiate investment treaty«, Meldung der Associated Press vom 19. Juni 2008. 35 Die ausführliche Darstellung des Geflechts gegenseitiger Schuldverschreibungen euro­päischer Staatsfinanzen durch Banken stammt aus: »Europe’s Web of Debt«, in: New York Times vom 1. Mai 2010, http://www.nytimes.com/interactive/2010/05/02/weekinreview/02marsh.html. 36 Die ausführliche Erörterung der brasilianischen Währungskrisen und Entwicklungen basiert auf: Riordan Roett, The New Brazil, Washington, D.C, Brookings Institution 2010 359
Endnoten 37 Rede von Bundeskanzlerin Merkel beim G20-Business-Summit in Seoul am 11.November 2010, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2010/11/2011-11-11-bk-g20-business summitt.html. 38 David Rothkopf, Die Super-Klasse: Die Welt der internationalen Machtelite, München, Riemann 2008, deutsche Übersetzung von Richard Barth. 39 Ebenda, S. 277ff. 40 »Erklärung der Staats- und Regierungschefs: Rahmen für robustes, nachhaltiges und aus­ gewogenes Wachstum«, Gipfeltreffen in Pittsburgh, 24./25. September 2009, Arbeitsüber­ setzung: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/G8G20/Anlagen/ G20-erklaerung-pittsburgh-2009-de.pdf ?__blob=publicationFile. Englisches Original unter: www.cfr.org/world/g20-leaders-final-statement-pittsburgh-summit-framework-strong-sustainable-balanced-growth/p20299. 41 Ebenda. 42 »Global Imbalances: Links to Economic and Financial Stability«, Rede von Fed-Präsident Bernanke bei der Veranstaltung anlässlich der Vorlage des Finanzstabilitätsberichts der Banque de France, Paris, am 18. Februar 2011, www.federalreserve.gov/newsevents/speech/ bernanke20110218a.htm 43 »Erklärung der Staats- und Regierungschefs «, G20-Gipfeltreffen in Seoul, 11./12. November 2010, Arbeitsübersetzung: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Statische Seiten/Breg/G8G20/Anlagen/G20-seoul-gipfelerklaerung-de.pdf ?__blob=publicationFile. Englisches Original unter: www.g20.utoronto.ca/2010/g20seoul.pdf. 44 Sun Tsu, Über die Kriegs-Kunst, Karlsruhe: Info Verlagsgesellschaft 1989, Übersetzung aus dem Chinesischen von Klaus Leibnitz. 45 Bill Gertz, »Financial terrorism suspected in 2008 economic crash«, in: Washington Times vom 28. Februar 2011, http://www.washingtontimes.com/news/2011/feb/28/financial-terrorism-suspected-in-08-economic-crash/?page=all. 46 Angaben über den Merkantilismus und die Geschichte der Englischen und Niederländischen Ostindienkompanien stammen aus: Stephen R. Brown, Merchant Kings: When Companies Ruled the World, 1600–1900, New York: St Martin’s, 2009. 47 »Strategie der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation bis zum Jahr 2020«, bestätigt durch Erlass Nr. 537 des Präsidenten der Russischen Föderation vom 12. Mai 2009, DSS-Arbeitspapiere, Arbeitsübersetzung aus dem Russischen von Egbert Lemcke und Frank Preiß, http://www.sicherheitspolitik-dss.de/ap/ap096000.pdf. 48 Qiao Lang und Wang Xiangsui, Unrestricted Warfare, Panama City: Pan American Publishing, 2001. 360
Endnoten 49 Alfred Cang und Tom Miles, »China admits to building up stockpile of gold«, Reuters, 24. April 2009. 50 Alle Verweise auf Bagehots Prinzipien für die Arbeit einer Zentralbank stammen aus Walter Bagehot, Das Herz der Weltwirtschaft: Die Lombarden-Straße, Essen: Baedeker 1920, hier S. 125. 51 The Financial Crisis Inquiry Report: Final Report of the National Commission on the Causes of the Financial and Economic Crisis in the United States, New York: Public Affairs 2011, S. XVII. 52 »Fed Seeks Power to Issue Own Debt When Crisis Ebbs, Yellen Says«, Bloomberg, 26. März 2009. 53 Lars E. O. Svensson, »Escaping a Liquidity Trap and Deflation: The Foolproof Way and Others«, Working Paper Nr. 10195, National Bureau of Economic Research, Dezember 2003. 54 Ebenda. 55 Christina D. Romer und Jared Bernstein, »The Job Impact of the American Recovery and Reinvestment Plan«, Bericht des Council of Economic Advisors, 9. Januar 2009. 56 John F. Cogan, Tobias Cwik, John B. Taylor und Volker Wieland, »New Keynesian Versus Old Keynesian Government Spending Multipliers«, Working Paper Nr. 14782, National Bureau of Economic Research, Februar 2009, www.volkerwieland.com/docs/CCTW%20 Mar%202.pdf. 57 Siehe Charles Freedman, Michael Kumhof, Douglas Laxton, Dirk Muir und Susanna Mursula, »Global Effects of Fiscal Stimulus during the Crisis«, Internationaler Währungsfonds, 25. Februar 2010; Robert J. Barro und Charles J. Redlick, »Macroeconomic Effects from Government Purchases and Taxes«, Working Paper Nr. 10-22, Mercatus Center, George Mason University, Juli 2010; und Michael Woodford, »Simple Analytics of the Government Expenditure Multiplier«, Vortrag bei der Allied Social Sciences Association, 3. Januar 2010. 58 Carl F. Christ, »A Short-Run Aggregate-Demand Model of the Interdependence and Effects of Monetary and Fiscal Policies with Keynesian and Classical Interest Elasticities«, The American Economic Review 57, Nr. 2, Mai 1967. 59 Das Repräsentantenhaus hielt zu diesem Thema eine Anhörung ab, bei der unter anderem Nassim Nicholas Taleb, der Autor von Der Schwarze Schwan, der Bankanalyst Christopher Whalen und ich Aussagen unter Eid tätigten. Die Anhörung wurde vom Unterausschuss für Kontrolle und Aufsicht im Ausschuss für Wissenschaft, Raumfahrt und Technologie am 10. September 2009 abgehalten. Dass der Wissenschaftsausschuss zuständig war, liegt daran, dass die VaR-Methode quantitativ und damit naturwissenschaftlich vorgeht; ich habe jedoch erfahren, dass die eigentliche Initiative von Barney Frank ausging, dem Vorsitzenden des Ausschusses für Finanzdienstleistungen. Frank wollte sich über die VaR informieren, ohne 361
Endnoten dass Lobbyisten die Möglichkeit hatten, die Auswahl der Zeugen und Fragen im Ausschuss für Finanz­dienstleistungen zu beeinflussen. Die Zeugen stimmten darin überein, dass die VaR gravierende Mängel hat und erheblich zur Finanzkrise von 2007/2008 beitrug. Allerdings hatte die Anhörung wenig Einfluss auf die endgültige Form des Dodd-Frank-Act, da das Gesetz keine Beschränkungen für die Verwendung der VaR vorsieht. Das Protokoll der Anhörung ist einsehbar unter http://gop.science.house.gov/Hearings/Detail.aspx?ID=166. 60 Robert K. Merton, »The Self-Fulfilling Prophecy«, The Antioch Review 8, Nr. 2 (Sommer 1948), S. 193 – 210. 61 Diese Arbeiten bilden die Grundlage der Verhaltensökonomik und sind in zwei Büchern zusammengefasst: Daniel Kahneman und Amos Tversky (Hg.), Choices, Values, and Frames, Cambridge: Cambridge University Press 2000; und Daniel Kahneman u.a. (Hg.), Judgment Under Uncertainty: Heuristics and Biases, Cambridge: Cambridge University Press 1982. 62 Die folgende ausführliche Analyse unter Berücksichtigung der Elemente Vielfalt, Verbundenheit, Interdependenz und Anpassungsfähigkeit stützt sich auf eine Reihe von Vorlesungen mit dem Titel »Understanding Complexity«, die Professor Scott E. Page 2009 an der University of Michigan hielt. 63 Die Diskussion über die fraktale Dimension von Börsenkursen basiert auf Benoît Mandelbrot und Richard L. Hudson, The (Mis)Behavior of Markets: A Fractal View of Risk, Ruin, and Reward, New York: Basic Books 2004. 64 Die Diskussion von Chaissons Theorie der Leistungs- und Energiedichte stützt sich auf Eric J. Chaisson, Cosmic Evolution: The Rise of Complexity in Nature, Cambridge: Harvard University Press 2001. Chaisson nennt für die Energiedichte, also die in einem Körper umge­ setzte Energie, folgende Werte: Beispiele für die geschätzte Energiedichte Struktur Ungefähres Alter (109 Jahre) Durchschnittliche фm (ERG S –1 G–1) Galaxien (Milchstraße) 12 Sterne (Sonne) 10 2 Planeten (Erde) 5 75 Pflanzen (Biosphäre) 0,5 3 900 Tiere (menschlicher Körper) 10–2 20 000 Gehirn (menschlicher Schädel) 10–3 150 000 0 500 000 Gesellschaft (moderne Kultur) 362
Endnoten 65 Joseph A. Tainter, The Collapse of Complex Societies, Cambridge: Cambridge University Press 1988. 66 Tainter, ebenda. 67 Zu Eichengreens Meinung über die Aussichten mehrerer Reservewährungen siehe Barry Eichengreen, Exorbitant Privilege: The Rise and Fall of the Dollar and the Future of the International Monetary System, Oxford: Oxford University Press 2011; und Barry Eichengreen, »The Dollar Dilemma: The World’s Top Currency Faces Competition«, Foreign ­Affairs, ­September/Oktober 2009: S. 53 – 68. 68 Ben Bernanke, »The Macroeconomics of the Great Depression: A Comparative Approach«, Journal of Money, Credit and Banking 27 (1995), S. 1– 28. 69 Ebenda. Bernankes Modell sieht folgendermaßen aus: M1 = (M1/BASIS) x (BASIS/RES) x (RES/GOLD) x PGOLD x QGOLD M1 = Die Geldmenge M1 (die sich im Umlauf befindlichen Banknoten und Münzen plus die Einlagen der Geschäftsbanken) BASIS = Basisgeld (die sich im Umlauf befindlichen Banknoten und Münzen plus die Reserven der Geschäftsbanken) RES = internationale Reserven der Zentralbank (Devisen plus Goldreserven) im Wert der Landeswährung GOLD = Goldreserven der Zentralbank im Wert der Landeswährung = PGOLD x QGOLD PGOLD = offizieller Goldpreis in der Landeswährung QGOLD = physische Menge (zum Beispiel in Tonnen) der Goldreserven 363
Stichwortverzeichnis Chaisson, Eric J. 289 – 292, 296, 351, 363 Caughlin, Charles 111 China National Offshore Oil Company 160 Christ, Carl F. 250, 346, 362 Churchill, Winston 103, 338 Citibank 31, 83, 151, 206 Citigroup 25, 165, 234, 345 Clinton, Bill 27, 212 CNBC 264, 343 Cogan, John F. 249, 346, 362 A AIG 151, 177 Abwertungswettläufe 68, 70 Aegis-Raketenabwehrsystem 20 Aldrich, W. 80 ff. Andrew, Jackson 79 Andrew, Abraham Piatt 81 Argentinien 72 f., 175, 203, 224 Aussgleichsmechanismus 76 B Bagehot, Walter 231 f., 350, 362 Baker, James A. 140 Baker, Steve 343 Bank of England 100 f., 145 Bank of the United States 79 Bankenwesen 339 Bankrott 70, 94, 113, 165, 167, 218, 230, 350, 359 Banque du France 100, 317, 345, 350, 361 Barro, Robert 250, 345, 362 Basisgeld 241, 246, 316, 319 ff., 364 Bear Stearns 25, 178, 264 Beggar-the-World-Politik 313 Beggar-thy-Neighbor-Politik 58, 313, 359 Belgien 66, 86, 93, 105, 115 Bernanke, Ben 13 f., 151 f., 156, 159, 189, 191, 244 f., 261, 265 f., 312 – 317, 322, 345, 350, 360 f., 364 Bernstein, Jared 248 – 251, 349 f., 362 Black, Fischer 253 Blair, Dennis C. 36 Börse 150, 271 f., 328, 351, 358 Bretton Woods 118 f., 121 ff., 126, 129, 136 f., 154 f., 189, 247, 301 f., 312, 324, 333, 348, 351, 359 Bruttoinlandsprodukt 65, 120, 139, 179, 212, 238, 359 Buffett, Warren 311 Burns, Arthur 136, 138 Bush, George W. 159 f., 176 f., 180, 213 C Carter, Jimmy 12, 138 f., 233, 331, 333 CDS, Credit Default Swaps 26 D Davidson, Henry P. 83 Dawes, Charles 98 Dawes, Plan 98 de Gaulle, Charles 123 f., 348 Deflation 13, 72, 76, 102 f., 105, 107, 112 –116, 150 ff., 187, 225, 288, 312 f., 319, 345, 347, 360, 362 Deng Xiaoping 146, 148 Denkfabrik 23, 26, 30, 55 Depression 13, 248, 313, 318 Derivat 11, 27, 29, 145, 200, 228, 253, 281, 283, 298, 326, 337 Deutsche Bundesbank 124 Deutschland 66, 68, 73, 85 f., 89 ff., 93 ff., 98, 102 ff., 115 f., 123 ff., 129, 133 f., 136, 147, 164, 166 –169, 175, 192, 194, 327, 359 Devisenüberschüsse 23, 97, 100 Diversifizierung 154, 222 ff. Dollarkollaps 327, 330 E Eichengreen, Barry 302 f., 312, 315, 346, 351, 364 Einfuhrembargo 68 Einfuhrzölle 15, 140, 204, 252 Emissionsgeschäft 337 England 71, 73, 86, 95, 100 f., 144 f., 181, 296, 313, 323 Entwicklungsländer 15, 184 Erdgas 39, 207, 213 ff., 223 Erster Währungskrieg 7, 71, 89 ff., 93, 95, 97, 99, 101, 103, 105, 107, 109, 111, 113, 115, 117 Erster Weltkrieg 71, 84, 87 364
Stichwortverzeichnis Große Depression 10, 71, 113, 203, 312, 318 Gutfreund, John 26 Europa 9 f., 41, 53, 59, 69 f., 102, 104 f., 124, 137, 155, 162 f., 166 –170, 189, 191 f., 195 f., 213 f., 296, 310, 320, 326 f., 334, 357 Europäische Zentralbank 195 F Fannie Mae 165 ff., 178, 213, 219, 342 Federal Reserve Bank of New York 82, 332 Federal Reserve Bank of St. Louis 74, 345, 358 Federal Reserve, U. S. 13, 58, 71, 78, 82 f., 88, 138, 143, 229, 232 ff., 245, 257, 260, 283, 303, 307, 314, 316 f., 329 f., 332, 338 f., 345 Federal Reserve Act 82 First National Bank of New York 81 First National City Bank of New York 83 Fort Knox, Kenntucky 59, 110 Frankreich 66, 73, 84 – 87, 89 f., 93 f., 99 f., 102 ff., 113 –116, 123 ff., 127, 129, 134, 141, 166, 175, 191, 303, 313, 327, 345, 350 Freddie Mac 166, 178, 219 Friedman, Milton 352 G G20 7, 75, 161, 172 –179, 181–185, 187, 189, 191–196, 199, 225, 230, 305 ff., 309, 324, 336, 347, 361 Gallarotti, Giulio M. 73, 352, 358 Gates, Robert 339 Gazprom 211 ff. Geithner, Timothy 177 ff., 181, 185, 191 f., 195, 266, 299 f. Geldschöpfung 12, 186, 241, 307 f., 310, 317, 322 GE, General Electric 206 Gertz, Bill 200, 347, 361 Globalisierung 7, 11, 24, 39, 72, 199 – 207, 209, 211, 213, 215, 217, 219, 221, 223, 225, 335 GM, General Motors 151 Golddeckung 63, 72, 333 Gold-Devisen-Standard 77, 87, 96 f., 98 – 101, 104 f., 116 f., 129, 294, 320, 333 Goldenes Zeitalter 7, 63, 65, 67, 69, 71, 73, 75, 77, 79, 81, 83, 85, 87 Goldman Sachs 151, 165, 206, 219 Goldpreis 102, 111 f., 115, 117, 122 f., 126 ff., 132 f., 137 f., 154, 320 ff., 324, 333, 364 Goldreserven 49, 59, 72, 85, 98, 102, 110, 123 ff., 127, 133, 155, 222, 224, 230, 237, 314, 316, 319 ff., 232, 333, 343, 360, 364 Goldvorräte 12, 48 f., 85, 110 f., 133, 333 Gramm, Phil 27 Greenspan, Alan 57, 149 –152, 156, 159, 357 Griechenland 164, 166, 168 f. H Halliwell, Steve 31, 40, 343 Hamilton, Alexander 79, 352 Handelsblöcke 303 Handelspartner 100, 129, 131 f., 169, 181, 199, 300 Handelsüberschuss 153, 191 f., 221 Haushaltsdefizit 252 Hedgefonds 22, 24 ff., 30 f., 33, 144 f., 162, 178, 228, 237, 256, 327, 330, 337, 351, 354 Hemingway, Ernest 97, 283 Hightech-Blase 149 f. Hitler, Adolf 89 Hoover, Herbert 89, 105, 356 Hu Jintao 19, 358 Hua Guofeng 146 Hughes, Charles Evans 112 Hungersnöte 157 Hyperinflation 10, 12, 14, 89, 92 – 95, 116, 352, 359 I IEEPA, International Emergency Economic Powers Act 1977 331, 334 Indien 73, 173, 175, 193, 205, 225, 361 Indonesien 70, 171, 173, 175, 189, 193 Inflation 10, 13 ff., 59, 63, 72, 76, 89 – 92, 95, 98, 107, 112, 115, 119, 120, 122, 127 f., 135, 138 f., 141, 148, 158, 172 f., 185 –191, 216 f., 220, 225, 231, 238 ff., 242 – 245, 248, 252, 261 f., 267, 283, 287 f., 305, 311, 313, 338, 347 Investor 31, 254, 310 Iran 21, 154, 160, 208 f., 223 f., 226 Israel 21, 122, 169, 208, 353 Italien 66, 85, 105, 123, 142, 166, 175 J J.P. Morgan 78 – 83, 212, 219, 282 Jackson, Andrew 79 Johnson, Lyndon 119 f., 345, 353, 359 K Kanada 132, 141, 143, 175 Kadyrow, Ramsan 208 Kahneman, Daniel 255 f., 264 ff., 347, 353, 363 Kapitalverkehr 171 ff., 201 Kapitalverkehrskontrolle 12, 15, 104, 136, 171, 202 Kennedy, John F. 31, 120 365
Stichwortverzeichnis Keynes, John Maynard 227, 246 f., 250 f., 261, 267, 309 f., 324, 353 Koch, Ed 237 Konjunktur 70, 179, 187, 249, 319 Konsum 65, 151, 179 –182, 242 f., 251, 267, 315 Kräftemessen 13 Kreditfinanzierung 11 Kreditkapazität 306 Krugman, Paul 244 f., 315 Kuhn, Loeb & Company 80 f., 354 Kumhof, Michael 250, 347, 362 L Lagarde, Christine 195 Lehman Brothers 104, 162, 165, 177 Leistunsbilanzüberschusspolitik 63 Liang, Qiao 218, 354 Limbaugh, Rush 111 Lula da Silva, Luiz Inácio 171 M MacMillan, Margareth 85, 354, 358 Madison, James 79 Mandelbrot, Benoit 255, 277, 354, 363 Mantega, Guido 63 f., 72 Mao Zedong 146 Markowitz, Harry 253 Marktmanipulation 29 Martin, William McChesney 124, 345, 359 McCarthy, Cormac 334 Medwedew, Dmitry 212 Meltzer, Alan 111, 354, 359 Merkantilismus 200, 204 ff., 218, 361 Merkel, Angela 175, 361 Merril Lynch 25 Merton Robert K. 253, 263 Merton, Robert C. 253 Mexiko 113, 142, 175, 206, 226, 295 Miller, Alexey 212, 253 Miller, Merton 253 Mitgliedsstaaten 123, 164, 306, 308 Mittelsmänner 214 Modernisierungsschritte 207 Morgenthau, Hernry 114 N Nabucco 213 NASA 20 Naturkatastrophe 252, 292, 334 Nettoexporte 66 f., 179 –182 Niederlande 73, 105, 115, 123, 155, 175, 296, 309, 327 Niedrigzinspolitik 150, 159 Nixon, Richard 11, 118, 128 ff., 132 –136, 139 f., 155, 181, 194, 237, 252, 331, 333, 346, 348, 360 Nordkorea 21, 46 – 49, 55, 154, 160, 220, 226 Norton, Charles 81, 83, 355 f. O O’Donnell, Bill 32, 200, 212, 342 f., 346 f., 361 Obama, Barack 11, 28, 160 f., 180, 184 f., 195, 248, 310 ,346, 355 Öl 27, 39, 41, 190, 200, 203, 221, 223, 245, 312, 327, 329 OPEC 55 f. Österreich 73, 104 P Page, Scott 269, 361, 363 Panik 11, 25, 63 f., 75, 78 f., 81, 100, 104, 107, 159, 228, 231 f., 241, 256 ff., 281, 305, 316, 318, 328 f. Papierwährung, goldbasiert 71, 74, 91, 95, 310, 336 Pearl Harbor, finanziell 9, 144 Pentagon 20, 22, 31, 35, 38 f., 43, 50 ff., 58 f., 200, 339 Pépin, Jean-Luc 132 Periodensystem 312 Peterson, Peter 26, 135, 346 Planspiel 9, 20 ff., 26 f., 54, 59, 339, 343 Pompidou, Georges 134 Portfolio 4, 220, 253, 341 Preiskontrollen 11, 128 Produktivität 72, 74 f., 202, 239, 296 f., 325 Putin, Vladimir 52 ff., 212, 215, 224 R Ray, Chris 22, 341, 355 Reagan, Ronald 139 Refinanzierung 332 Reichsbank 90 – 93, 95 Reichsmark 93 f., 104 Reservewährung 53, 136, 174, 216, 223 ff., 283, 301– 304, 307, 336 Rettungsaktion 12, 78, 166, 213, 231 Rezession 14 f., 24, 65, 70 f., 103, 127, 135, 137, 150, 158, 179, 244, 250, 294, 317 Rockefeller, John D., Jr. 80 f. Rohstoffdeal 41 Rohstoffknappheit 218 Romer, Christina D. 143, 248 – 251, 349, 360, 362 Roosevelt, Franklin D. 58, 105 –112, 129, 252, 331, 333, 355 366
Stichwortverzeichnis Rothkopf, David 178, 355, 361 Rousseff, Dilma 172 Rubin, Robert 113 Russland-Zelle 29 S SAFE 222 Samuels, Nathaniel 130 Samuelson, Paul 253, 355 Sarkozy, Nicolas 176 f., 192, 225 Säuberungsaktionen 107 Schacht, Hjalmar 93 Schiff, Jacob H. 80 Scholes, Myron 253, 342 Schuldenkrise 10, 307, 310 Schumer, Charles E. 152, 159, 360 Schwartz, Alan 264, 352, 359 Schweizer Privatbanken 25 Selbstorganisation 290, 293, 303 Shakespeare, William 300 Shultz, George P. 136 Silber 210, 245, 327, 330 Slovic, Paul 264 Smith, Adam 205, 352, 359 Soros, George 145 Spanien 73, 123, 164, 167 f., 175, 226, 288, 326 f. Stagflation 138 Stiglitz, Joseph 308, 349 STRATCOM, U.S. Strategic Command 22 Strauss-Kahn, Dominque 63, 184, 195, 358 Strong, Benjamin 83, 347, 361 Südkorea 29, 171, 173, 175, 189 Sun Tzu 199, 361 SZR 12, 15, 127 f., 132, 225, 304 f. T Taft, William H. 80, 344 Tainter, Joseph A. 289, 291 ff., 295 f., 356, 364 Taiwan 24, 29, 54 f., 144, 173, 220 Taleb, Nassim Nicholas 272 f., 356, 362 Tarnfirmen 27 Tauss, Randy 22, 341 Taylor, John 249, 338, 342, 346, 349, 362 Taylor-Regel 338 Tobin, James 253 Tomahawk-Marschflugkörper 20 Transaktionen 67, 77, 115, 143, 212, 222, 230, 292, 304, 306, 332 Treuhandverwaltungen 25 Tversky, Amos 255 f., 264, 353 Tymoschenko, Julija U UBS 25, 32 f., 74, 129, 149, 219, 266 Unternehmertum 205 Upham, Samuel 56 US-Staatsanleihen 153 f., 189, 207, 219 ff., 235, 328 f., 332 V Vanderlip, Frank 81, 83 Verbindlichkeiten 72, 91, 236 Vereinte Nationen 193, 224 Verkaufsanweisungen 329 Vermögensbildung 179, 205 Volcker, Paul 136, 138 f. Volkswirtschaften 15, 72, 90, 95, 128, 143 f., 163, 175, 250, 320, 325 W Währungsabwertungen 59, 115, 164 Währungsfonds, IWF 12, 119, 129, 299, 308 f., 347 ff., 362 Währungskorb 246 f., 304 ff. Warburg, Paul 81 f. Wechselkursrisiken 338 Weltbank 144, 225, 307 Weltgeld 304 Welthandel 63, 87, 89, 126, 205, 225, 334 f. Weltwirtschaftskrise 12, 58 f., 63, 90, 105, 114, 116, 135, 226, 231 f., 312, 314 f., 317, 350, 353, 359 Wertaufbewahrungsmittel 291, 304, 333, 339 Wertpapierhändler 327, 337 Wilson, Woodrow 89, 145, 359 Woodford, Michael 250, 349, 362 Worst-Case-Szenario 16, 298 Wriston, Walter 202, 357 X Xiangsui, Wang 218, 354, 361 Y Yellen, Janet 143, 235, 347, 350, 360, 362 Z Zahlungsmittel 9, 93, 108, 209, 232, 285, 304, 333 Zahlungsverkehr 126, 324 Zentralbanken 24, 74 ff., 79, 96 f., 99, 101, 115, 121 f., 126 f., 128, 141, 144, 153, 173, 195, 210, 259, 282, 300, 303, 310, 314, 316 ff., 320, 322, 325, 328 f., 338 Zhou Enlai 146 Zoellick, Robert 225, 311 Zweite Weltkrieg 116, 144 367
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