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                    MARX/ENGELS
GESAMTAUSGABE


TAFEL I: Titelseite der „Lage der arbeitenden Klasse in England“
MARX/ENGELS GESAMTAUSGABE GLIEDERUNG: ERSTE ABTEILUNG: SÄMTLICHE WERKE UND SCHRIFTEN MIT AUSNAHME DES «KAPITAL» ZWEITE ABTEILUNG: DAS «KAPITAL» MIT VORARBEITEN DRITTE ABTEILUNG: BRIEFWECHSEL VIERTE ABTEILUNG: GENERALREGISTER
MARX/ENGELS GESAMTAUSGABE ERSTE ABTEILUNG BAND 4 ENGELS: DIE LAGE DER ARBEITENDEN KLASSE IN ENGLAND UND ANDERE SCHRIFTEN VON AUGUST 1844 BIS JUNI 1846
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS HISTORISCH-KRITISCHE GESAMTAUSGABE WERKE / SCHRIFTEN / BRIEFE IM AUFTRAGE DES MARX-ENGELS-LENIN-INSTITUTS MOSKAU HERAUSGEGEBEN VON V. ADORATSKIJ MARX-ENGELS-VERLAG G. M. B. H. BERLIN
FRIEDRICH ENGELS DIE LAGE DER ARBEITENDEN KLASSE IN ENGLAND UND ANDERE SCHRIFTEN VON AUGUST 1844 BIS JUNI 1846 MARX/ENGELS GESAMTAUSGABE ERSTE ABTEILUNG BAND 4 MARX-ENGELS-VERLAG G. M. B. H. BERLIN 1932
Alle Rechte, auch das der Übersetzung, vorbehalten. Copyright 1932 by Marx-Engels-Verlag G. m. b. H., Berlin Printed in Germany Druck: J. B. Hirschfeld (Arno Pries) Leipzig Einband: L. Sieke & Co., Großbuchbinderei G. m. b. H., Leipzig
EINLEITUNG ZUM VIERTEN BANDE DER ERSTEN ABTEILUNG
EINLEITUNG Die Niederschrift der im vorliegenden Bande vereinigten Arbeiten von Friedrich Engels fällt in den Zeitraum zwischen der Begegnung Engels’ mit Marx in Paris, August 1844, und etwa der Mitte des Jah¬ res 1846. Einige der hier veröffentlichten Artikel stammen schon aus der Zeit, in der Marx und Engels gemeinsam an der „Deutschen Ideologie“ arbeiteten. Es handelt sich somit um Schriften vom Ende jener Periode, innerhalb welcher der ehemalige Linkshegelianer Engels, der von 1841 bis ungefähr 1844 begeistert zu Feuerbach stand, seinen endgültigen Übergang zum dialektischen Materialismus vollzog. Gemeinsam mit früheren Arbeiten, die in den zweiten Band unserer Gesamtausgabe ein¬ gingen, zeigen sie den selbständigen Entwicklungsweg des jungen Engels, sie geben zugleich Antwort auf die Frage, was ihn der materialistischen Geschichtsauffassung näherte und wie weit er in dieser Richtung gelangt war, als der Schaffensbund mit Marx zustande kam. In der Vorrede von 1883 zur Neuausgabe des Kommunistischen Manifests schrieb Engels, Marx und er hätten sich der materialistischen Auffassung der Geschichte „schon mehrere Jahre vor 1845 allmählich genähert“. Und er fügt hinzu: „Wie weit ich selbständig mich in dieser Richtung voranbewegt, zeigt meine ,Lage der arbeitenden Klasse in England‘.“ Unser Band schließt sich demnach unmittelbar an Band 2 der Gesamt¬ ausgabe an. Für das Studium der Entwicklung von Friedrich Engels’ theoretischem Denken sind die hier gesammelten Arbeiten ein ungemein aufschlu߬ reiches Material. Aber es wäre durchaus irrig, ihre Bedeutung darin er¬ schöpft zu sehen. Sie sind zugleich von höchstem wissenschaftlichen Inter¬ esse; und diese Einschätzung gilt in ganz besonderem Maße für die größte Arbeit des jungen Engels, „Die Lage der arbeitenden Klasse in Eng¬ land“. Marx und später Lenin haben diesem Werk außerordentlich hohen Wert beigemessen. In seinem Nekrolog auf Engels schrieb Lenin: „Auch vor Engels haben viele die Leiden des Proletariats dargestellt und auf die Notwendigkeit, ihm zu helfen, hingewiesen. Engels aber hat als erster gezeigt, daß das Proletariat nicht bloß eine leidende Klasse ist; daß gerade die schmachvolle ökonomische Lage, in der sich das Pro¬ letariat befindet, es unaufhaltsam vorwärtstreibt und es zwingt, um seine
X Einleitung endliche Befreiung zu kämpfen. Das kämpfende Proletariat jedoch hilft sich selbst. Die politische Bewegung der Arbeiterklasse wird die Arbeiter unausbleiblich zu der Einsicht führen, daß sie keinen anderen Ausweg haben als den Sozialismus. Andererseits wird der Sozialismus nicht eher zu einer Kraft werden, als bis er das Ziel des politischen Kampfes der Arbeiter klasse geworden ist. Dies sind die Grundgedan¬ ken des Engelsschen Buches über die Lage der Arbeiterklasse in England, Gedanken, die jetzt zum Gemeingut des gesamten denkenden und kämp¬ fenden Proletariats geworden sind, damals aber völlig neu waren. Diese Gedanken waren dargelegt in einem hinreißend geschriebenen Buche, voll der überzeugendsten und erschütterndsten Bilder vom Elend des eng¬ lischen Proletariats. Das Buch war eine schwere Anklage gegen den Kapitalismus und die Bourgeoisie. Der Eindruck, den es hervorrief, war ungemein stark. Überall begann man sich auf Engels’ Buch als das beste Bild von der Lage des zeitgenössischen Proletariats zu berufen. Und in der Tat, weder vor 1845 noch jemals nachher ist eine so scharf gezeich¬ nete und so wahrhafte Darstellung der Not der Arbeiterklasse erschie¬ nen“ 1). Engels hat im Vorwort zur zweiten Auflage des Buches (1892) selbst bemerkt, daß dieses Frühwerk noch gewisse Spuren der Abstraktheit auf- weise, — eines Erbstücks vom deutschen Idealismus her. „Es wird wohl kaum nötig sein zu bemerken, daß der allgemein theo¬ retische Standpunkt dieses Buchs — in philosophischer, ökonomischer und politischer Beziehung — sich keineswegs genau deckt mit meinem heutigen Standpunkt. Im Jahr 1844 existierte der moderne internationale Sozialismus noch nicht, der seitdem, vor allem und fast ausschließlich durch die Leistungen von Marx, zu einer Wissenschaft ausgebildet wor¬ den. Mein Buch repräsentiert nur eine der Phasen seiner embryonalen Entwicklung. Und wie der menschliche Embryo in seinen frühesten Ent¬ wicklungsstufen die Kiemenbögen unserer Vorfahren, der Fische, noch immer reproduziert, so verrät dies Buch überall die Spuren der Abstam¬ mung des modernen Sozialismus von einem seiner Vorfahren — der deutschen klassischen Philosophie. So wird großes Gewicht gelegt — namentlich am Schluß — auf die Behauptung, daß der Kommunismus nicht eine bloße Parteidoktrin der Arbeiterklasse ist, sondern eine Theo¬ rie, deren Endziel ist die Befreiung der gesamten Gesellschaft, mit Ein¬ schluß der Kapitalisten, aus den gegenwärtigen einengenden Verhält¬ nissen. Dies ist in abstraktem Sinn richtig, aber in der Praxis meist 1) Lenin, „Friedrich Engels“, — geschrieben im Herbst 1895, anonym er¬ schienen im Sammelband „Rabotnik“ Nr. 1—2. Vgl. Sočinenija (Werke). 2. Aus¬ gabe des Lenin-Instituts. Bd. I. Leningrad 1926. p. 412
Einleitung XI schlimmer als nutzlos. Solange die besitzenden Klassen nicht nur kein Bedürfnis verspüren nach Befreiung, sondern auch der Selbstbefreiung der Arbeiterklasse sich mit allen Kräften widersetzen, solange wird die Arbeiterklasse nun einmal genötigt sein, die soziale Umwälzung allein einzuleiten und durchzuführen. Die französischen Bourgeois von 1789 erklärten auch die Befreiung der Bourgeoisie für die Emanzipation des gesamten Menschengeschlechts; Adel und Geistlichkeit wollten das aber nicht einsehn; die Behauptung — obwohl damals, soweit der Feudalis¬ mus dabei in Betracht kam, eine unleugbare, abstrakte, historische Wahr¬ heit — artete bald aus in pure sentimentale Redensart und verduftete gänz¬ lich im Feuer des revolutionären Kampfs. Heutzutage gibt es auch Leute genug, die den Arbeitern von der Unparteilichkeit ihres höheren Stand¬ punkts einen über allen Klassengegensätzen und Klassenkämpfen erhabe¬ nen Sozialismus predigen. Aber sie sind entweder Neulinge, die noch massenhaft zu lernen haben, oder aber die schlimmsten Feinde der Arbei¬ ter, Wölfe im Schafspelz“ 1). In dem Buch begegnet man wirklich Spuren utopischer Vorstellun¬ gen, letzten Überresten, deren sich Engels Anfang 1845 noch nicht voll¬ kommen entledigt hatte und die noch stärker in den Elberfelder Reden nachwirken (vgl. S. 380). Daneben finden wir jedoch schon deutlich aus¬ geprägt das Verständnis für die geschichtliche Rolle des Proletariats und die Zurückweisung jeglicher Illusion über das Verhältnis zur Bourgeoi¬ sie. Ungeachtet der Spuren von Feuerbachschem „philosophischen“ Kommunismus unterscheidet sich Engels’ Standpunkt in der „Lage“ von allen Arten des utopischen Sozialismus grundsätzlich dadurch, daß er nicht von juristischen, ethisch-moralischen Prinzipien ausgeht, sondern von dem (im „Vorwort“) an die Spitze des Buches gestellten Satz, daß die Lage der arbeitenden Klasse „der tatsächliche Boden und Ausgangs¬ punkt aller sozialen Bewegungen der Gegenwart“ ist. Die „Lage“ ist schon vom theoretischen Gesichtspunkt des Materialismus aus geschrieben. So wurde diese Schrift im ganzen zu einer glänzenden und gewichtigen Kampf¬ schrift gegen den Utopismus, insbesondere gegen dessen deutsche Abart, den „wahren“ Sozialismus. Engels schrieb sein Werk — wie er im „Vor¬ wort“ berichtet — „einerseits, um den sozialistischen Theorien, andrer¬ seits, um den Urteilen über ihre Berechtigung einen festen Boden zu geben, um allen Schwärmereien und Phantastereien pro et contra ein Ende zu machen“. Daß Engels vor allem gegen die „wahren“ Sozialisten ins Feld zog, bezeugte er in späteren Jahren selbst in einem seiner Artikel „Zur Wohnungsfrage“ — geschrieben 1872 —, wo er sich darauf beruft, 1) Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Zweite durchge¬ sehene Auflage. Stuttgart 1892. S. XIII—XIV
XIV Einleitung weise 1870 aus Anlaß des Buches von N. Flerovskij — eine Studie über die Lage der arbeitenden Klasse in Rußland O: „Jedenfalls ist dies das wichtigste Buch, was seit Deiner Schrift über die „Lage der arbeitenden Klassen“ erschienen ist“ * 2). Unter diesen Umständen ist es nur selbstverständlich, daß Marx im „Kapital“ sich sehr oft auf Engels’ Buch beruft, besonders im achten und im dreizehnten Kapitel des ersten Bandes. Wenn Engels auch in der Bestimmung des Zeitpunktes der kommen¬ den proletarischen Revolution fehlging, so hinderte ihn dies keineswegs, ein sehr wahres Bild von der Lage der Arbeiterklasse im kapitalistischen System zu entwerfen, die Tendenzen der kapitalistischen Entwicklung durchaus richtig aufzuzeigen, vor allem die historische Berechtigung und Notwendigkeit der proletarischen Revolution mit aller Klarheit und Entschiedenheit auszusprechen, — Ergebnisse, zu denen Engels nur auf materialistischem Boden gelangen konnte, nur indem er sich vorbehalt¬ los auf die Seite des Proletariats stellte und dessen erkannte historische Rolle verwirklichen half. Nur in vereinzelten Momenten konnten noch Spuren, Überreste von seinem alten Idealismus hervortreten. Jetzt, seitdem fast sämtliche Jugendwerke Engels’ publiziert sind, läßt sich sein Entwicklungsgang in allen Einzelheiten verfolgen. Von seinem Hegelianertum befreite sich Engels hauptsächlich unter der Wir¬ kung seines Aufenthaltes in England, dank seinem Studium des ent¬ wickelten Kapitalismus und dank seinem Eintritt ins politische Leben, in den Klassenkampf, den er als Sozialist vollzog. Die Korrespondenzen und Aufsätze aus England lassen deutlich alle Etappen des Weges er¬ kennen, auf dem sich Engels damals vorwärtsbewegte. Der Zwanzigjährige, der aus dem noch krähwinkelhaften Deutschland nach England gekommen war und voll von hegelianistischem Idealismus steckte, voll von jenem „philosophischen Hochmut“, den er später selbst so gründlich verlachen sollte, schrieb in einer seiner Korrespondenzen von 1842: „Es ist eine Sache, die sich in Deutschland von selbst ver¬ steht, die aber dem verstockten Briten nicht beizubringen ist, daß die so¬ genannten materiellen Interessen niemals in der Geschichte als selbstän¬ dige, leitende Zwecke auftreten können, sondern daß sie stets, unbewußt oder bewußt, einem Prinzip dienen, das die Fäden des historischen Fort¬ schritts leitet“ 3). Aber die wirklichen Verhältnisse in der entwickelten kapitalistischen 21) N. Flerovskij, Polozenie raboöago klassa v Rossii. St. Petersburg, Verl. N. C. Poljakov, 1869 2) Abt. in, Bd. 4, S. 275 3) Rheinische Zeitung, Nr. 343, 9. XII. 1842: Die inneren Krisen. — In unserer Ausgabe Abt. I, Bd. 2, S. 351
Einleitung XV Gesellschaft Englands waren so offenbar, die Klassen und ihr gegen¬ seitiger Kampf traten so überzeugend in Erscheinung, die Tatsachen zeig¬ ten so anschaulich, wie die „Prinzipien“ vom Klassenkampf bestimmt werden, — daß Engels noch in demselben Aufsatz, worin er der ge¬ wohnten hegelianischen Begriffswelt Tribut zollt, schon volens nolens das Gebiet der Abstraktion verlaß, die nackte Prinzipienforschung preis¬ gibt und sich auf den festen Boden der Tatsachen stellt, auf den Boden des wirklichen Klassenkampfs, über den man in England nicht mehr hinwegsehen konnte. „Aber ich will das Feld der Prinzipien verlassen,“ schreibt er weiter. „In England, wenigstens unter den Parteien, die sich jetzt um die Herrschaft streiten, unter Whigs und Tories, kennt man keine Prinzipienkämpfe, man kennt nur Konflikte der materiellen Inter¬ essen. Es ist also billig, daß auch dieser Seite ihr Recht widerfahre“ Zum Schluß seiner nächsten Korrespondenz, in der folgenden Num¬ mer der Rheinischen Zeitung, zieht Engels aus den dargestellten Tat¬ sachen die Folgerung, daß „nur eine gewaltsame Umwälzung der be¬ stehenden unnatürlichen Verhältnisse, ein radikaler Sturz der adligen und industriellen Aristokratie die materielle Lage der Proletarier ver¬ bessern kann.“ Wenngleich die den Engländern eigentümliche Ehrfurcht vor dem Gesetz sie einstweilen von der Revolution noch zurückhalte, so müsse doch die verzweifelte Lage des Proletariats unausweichlich dazu führen, daß letzten Endes die Furcht vor dem Hungertod über die Furcht vor dem Gesetz siege. So gelangt Engels zu dem Endergebnis: „Diese Revolution ist eine unausbleibliche für England; aber wie in allem, was in England vorgeht, werden die Interessen, und nicht die Prinzipien, diese Revolution beginnen und durchführen; erst aus den Interessen können sich die Prinzipien entwickeln, d. h. die Revolution wird keine politische, sondern eine soziale sein“ 2). Dieser Gedankengang zeigt uns beispielhaft, wie Engels aus der Be¬ trachtung der Klassenlage und des Klassenkampfs der englischen Ar¬ beiter die Schlüsse ableitet, die ihn dann zur Aufdeckung der historischen Rolle des Proletariats und zur Formulierung der Grunderkenntnisse des wissenschaftlichen Kommunismus führen sollten. Im ersten seiner vier „Briefe aus London“, den der „Schweizerische Republikaner“ am 16. Mai 1843 abdruckte, schreibt Engels: „Der Sozialismus bildet keine geschlossene politische Partei, rekrutiert sich aber im ganzen aus der niedern Mittelklasse und den Proletariern. So zeigt England das merk¬ würdige Faktum, daß, je tiefer eine Klasse in der Gesellschaft steht, je ungebildeter‘ sie im gewöhnlichen Sinne des Wortes ist, desto näher 1) Ebenda, S. 352 2) Ebenda, S. 355
XVI Einleitung steht sie dem Fortschritt, desto mehr Zukunft hat sie. Im ganzen ist dies der Charakter jeder revolutionären Epoche, wie dies namentlich bei der religiösen Revolution, deren Produkt das Christentum war, sich zeigte: ,selig sind die Armen‘, ,die Weisheit der Welt ist zur Torheit geworden‘ usw. Aber so deutlich ausgeprägt, so scharf abgestuft, wie jetzt in England, erschien dies Vorzeichen einer großen Umwälzung wohl noch nie. In Deutschland geht die Bewegung von der nicht nur gebildeten, sondern sogar gelehrten Klasse aus; in England sind die Gebildeten und vollends die Gelehrten seit dreihundert Jahren taub und blind gegen die Zeichen der Zeit“ 1). Ähnliche Stellen, die von der reaktionären Entwicklung der Bour¬ geoisie und von der Arbeiterklasse als der einzigen Trägerin des ge¬ sellschaftlichen Fortschritts sprechen, finden sich in den Arbeiten des jungen Engels häufig 2). Der Kampf des Materialismus mit den über¬ lebten idealistischen Vorstellungen kennzeichnet fast alle seine Schrif¬ ten aus der Periode 1842—1844. Schritt für Schritt werden die hegeliani¬ schen Anschauungen verdrängt, einerseits durch die Menge der über¬ zeugenden Tatsachen aus dem kapitalistischen Leben des damaligen England, andrerseits durch die Entwicklung Deutschlands, die in das gleiche Fahrwasser einbog, — was sich auf ideologischem Gebiet be¬ sonders in der Abschwenkung zum Materialismus aussprach, die von der fortschrittlichen intellektuellen Jugend Deutschlands vollzogen wurde, in der Begeisterung für Feuerbach, die auch Engels teilte und von der er selbst in seinem „Ludwig Feuerbach“ berichtet. Diese Überwindung des Idealismus gelang bei weitem nicht im Hand¬ umdrehen. Sie war ein langwieriger Prozeß, der die Jahre 1843/44 ganz umfaßt. In der Artikelserie „Die Lage Englands“ z. B. begegnen wir noch einmal der idealistischen Geschichtsphilosophie. Im Eingang, wo Engels seinen Gesichtspunkt in bezug auf allgemeinhistorische Probleme auseinandersetzt, steht bei ihm noch alles hegelianisch auf dem Kopf. In seinen allgemeinen Erörterungen geht er noch vom idealistischen Grundprinzip aus. Die eine oder die andere Entwicklungsstufe des Be¬ wußtseins erscheint als Ursache des einen oder des anderen Gesellschafts¬ zustandes. „Das Altertum, das noch nichts von dem Rechte des Subjekts wußte, dessen ganze Weltanschauung wesentlich abstrakt, allgemein, substantiell war, konnte deshalb nicht ohne Sklaverei bestehen“ (S. 297). Eine ähnliche Begründung findet das Auftreten der Leibeigenschaft. Nach hegelianischem Brauch werden auch für die historische Ent¬ wicklung der Engländer Ursachen geistiger Natur gesucht. „Das Ge¬ 1) Ebenda, S. 365 f. 2) Vgl. in vorliegendem Bande S. 227
Einleitung XVII fühl des Widerspruchs ist die Quelle der Energie, aber der sich bloß entäußernden Energie, und dies Gefühl des Widerspruchs war die Quelle der Kolonisation, der Schiffahrt, der Industrie und überhaupt der unge¬ heuren praktischen Tätigkeit der Engländer“ (S. 294). Hier wird der gesamten Ökonomik Englands gewissermaßen eine ideelle Basis unter¬ geschoben. Aber daneben stehen in denselben Artikeln Ausführungen über die Klassen und ihre Kämpfe in England, über ihre konkrete Entwicklungs¬ geschichte, eine Beschreibung der industriellen Revolution (S. 301—306), worin die Ausgestaltung der maschinellen Produktion in der Textil¬ industrie, die Einführung der Dampfmaschine, die Entwicklung des Maschinenbaus, des Kohlen- und Erzbergbaus, der Ausbau der Verkehrs¬ wege, die Anfänge des Eisenbahnwesens usw. ausführlich und trefflich dargestellt werden. Der ganze gigantische Umschwung in der Ökonomik Englands gibt Engels Anlaß zu folgender durchaus materialistischer Schlußfolgerung: „Diese Revolutionisierung der englischen Industrie ist die Basis aller modernen englischen Verhältnisse, die treibende Kraft der ganzen sozialen Bewegung“ (S. 307). Der etwa zweijährige Aufenthalt in England (1842—1844) bot Engels Gelegenheit zu einem gründlichen Studium des Landes (s. S. 277), dessen Ergebnisse für die Entstehung der materialistischen Geschichts¬ auffassung grundlegend wurden. Engels schätzte die Klassenverhältnisse richtig ein und ermaß die ganze Tiefe des Abgrunds, der die Ausbeuter von den Ausgebeuteten scheidet. Er gelangte zu dem Schluß, „daß die arbeitende Klasse allmählich ein ganz andres Volk geworden ist als die englische Bourgeoisie. Die Bourgeoisie hat mit allen andern Nationen der Erde mehr Verwandtes als mit den Arbeitern, die dicht neben ihr wohnen. Die Arbeiter sprechen andre Dialekte, haben andre Ideen und Vorstellungen, andre Sitten und Sittenprinzipien, andre Religion und Politik als die Bourgeoisie. Es sind zwei ganz verschiedene Völker, so verschieden, wie sie der Unterschied der Rasse nur machen kann, und von denen wir bisher auf dem Kontinent nur das eine, die Bourgeoisie, gekannt haben. Und doch ist gerade das andre, aus den Proletariern bestehende Volk das für die Zukunft Englands bei weitem wichtigste“ (S. 122). An Hand sehr zahlreicher Stellen aus dem vorliegenden Bande läßt sich erweisen, daß Engels zu jener Zeit schon selbständig die Rolle des Proletariats aufgedeckt hatte: Indem er die Lage der Arbeiterklasse vor¬ führt, gelangt er zur Notwendigkeit der proletarischen Revolution als dem Endresultat, dessen Inhalt und Bedeutung er in ihrer ganzen Größe sieht. Genaue Kenntnis der ökonomischen Tatsachen gibt Engels die Möglichkeit zu wissenschaftlichen Voraussagen, deren Weitblick über¬
XVIII Einleitung rascht. So weist er schon 1844/45 nach, daß England in der Zukunft sein industrielles Monopol einbüßen würde, und bezeichnet als die kommen¬ den Konkurrenten Deutschland und die Vereinigten Staaten. Er sieht die Folgen der kapitalistischen Entwicklung zu einer Zeit voraus, als in den Vereinigten Staaten der Kapitalismus sich erst auf den Vorstufen seines Aufstiegs befindet und Deutschland in ökonomischer Hinsicht noch ein rückständiges Land ist (s. S. 278f.). Während der Niederschrift der „Lage“ beschäftigte sich Engels auch mit philosophischen Fragen, und zwar mit der Kritik Feuerbachs. Auch auf diesem Wege näherte er sich dem dialektischen Materialismus. In seinem Brief an Marx vom 19. November 1844 ist von der Arbeit an der „Lage“ und von der Feuerbach-Kritik die Rede, und sehr bezeichnender¬ weise schließt der Brief, in dem Engels der Genugtuung Ausdruck gibt, von allgemeinphilosophischen Betrachtungen zur Untersuchung konkre¬ ter Fragen der Entwicklungsgeschichte Englands übergegangen zu sein, mit dem Bedauern, daß „wir noch allein auf den Gebrauch der Schreib¬ feder angewiesen sind und unsre Gedanken nicht unmittelbar mit den Händen oder, wenn es sein muß, mit den Fäusten realisieren können“ 1). Wir finden hier sehr deutlich einen Gedanken ausgedrückt, der zu den eigensten und wichtigsten Zügen des dialektischen Materialismus ge¬ hört, den Gedanken der Einheit von Theorie und Praxis. Wir legen Wert auf die Hervorhebung dieser Momente, um zu zeigen, wie weit Engels selbst die Grundlagen des dialektischen Materialismus vorbereitet hat, denn es wäre, wie gesagt, historisch unrichtig, die eigene, selbständige Leistung Engels’ im Schatten zu lassen, zu verschweigen, daß Engels parallel mit Marx, und vor 1844 unabhängig von ihm, die meisten Grundelemente des historischen und des dialektischen Materia¬ lismus vorgebildet hat. Unter den übrigen Arbeiten, die in diesem Band gesammelt sind, ver¬ dienen besondere Erwähnung die für den chartistischen „Northern Star“ geschriebenen Korrespondenzen über Deutschland, verfaßt im Zeitraum von Oktober 1845 bis März 1846; diese populären Skizzen der histori¬ schen Entwicklung Deutschlands vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die 40er Jahre des 19. hinein behaupten dank ihren vorzüglichen, scharf umrissenen Charakteristiken ihren historiographischen Wert bis auf den heutigen Tag. Sie sind die unmittelbaren Vorläufer der historischen Artikel Engels’ von 1847, die wir im sechsten Band unterbringen. Ein Musterbeispiel, eine Anleitung, wie das Erbe des großen Uto¬ pisten Fourier, seine starke Seite, seine scharfe, auf realistischer Beob- 1) Abt.m, Bd. 1, S.7f.
Einleitung XIX achtung und Analyse beruhende Kritik des Kapitalismus, auch vom wissenschaftlichen Kommunismus zu verwerten ist, bietet das von Engels ins Deutsche übertragene „Fragment Fouriers über den Handel“. Im Vor- und im Nachwort wendet sich Engels mit polemischer Schärfe gegen die damalige deutsche sozialistische und kommunistische Literatur, gegen den philanthropisch und philosophisch schöngeistigen, seinem Wesen nach theoretisch wie praktisch reaktionären „wahren“ Sozialismus. Es ist das erste direkte, öffentliche Auftreten des proletarischen Kommunis¬ mus — Marxismus — gegen diese damals in Deutschland wie eine Epi¬ demie verbreitete „entnervende“ Richtung. In selbstkritischer Redlich¬ keit nimmt Engels von der Masse der zu verwerfenden Literatur auch seine „eigenen Arbeiten nicht aus“ (S. 410). Sollte er damit auch die „Lage der arbeitenden Klasse“ gemeint haben, so ging die Selbstkritik zu weit. Denn diesem Werk konnte gewiß niemand vorwerfen, sein Autor habe „die beste Seite — [der französischen und englischen utopistischen Literatur], die Kritik der bestehenden Gesellschaft, die wirkliche Grundlage, die Hauptaufgabe aller Beschäftigung mit so¬ zialen Fragen“, „ruhig beiseite geschoben“. Im Nachwort formuliert Engels zum erstenmal öffentlich als die Hauptaufgabe der Kommunisten: „Deutschland revolutionieren, das Proletariat in Bewegung setzen, die Massen denken und handeln machen“ (S. 451). In dem Artikel „Das Fest der Nationen in London“, geschrieben schon Ende 1845, tritt Engels als Vertreter der „extremen proletarischen Par¬ tei“ auf (S. 457) und hißt das Banner der „kommunistischen Demo¬ kratie“ (S. 460). Dieser Artikel ist geradezu der Schlüssel für das rich¬ tige Verständnis des Sinnes, den Marx und Engels in Schriften wie „Grundsätze des Kommunismus“ oder im „Kommunistischen Manifest dem Ausdruck „Demokratie“ beilegen. Engels beseitigt jeden Zweifel, daß die Demokratie, wie er sie versteht, „proletarisches Prinzip“ ist, „Prinzip der Massen“ (S. 459), keine „rein politische Demokratie“ mehr (S. 458), nicht die Demokratie der radikalen Bourgeoisie (S. 461), son¬ dern die kommunistische, unter deren Banner „die Proletarier aller Nationen“ in allen Ländern sich zu vereinigen und zu kämpfen be¬ ginnen (S. 460). Das Vor- und Nachwort zu Fourier und „Das Fest der Nationen“ leiten zu der umfassenden publizistisch-propagandistischen und organi¬ satorischen Tätigkeit über, die Marx und Engels zu entfalten begannen, sobald sie erst im Prozeß der Arbeit an der „Deutschen Ideologie“ „mit sich selbst ins reine“ gekommen waren (Engels im Aufsatz „Zur Ge¬ schichte des Bundes der Kommunisten“, 1885). Die wichtigsten Doku¬
XX Einleitung mente dieser Periode werden im sechsten Band unserer Ausgabe abge¬ druckt, der den Vorabend der Revolution von 1848 umfaßt. Etwa fünfundzwanzig Jahre nach dem durch vorliegende Arbeiten vergegenwärtigten Lebensabschnitt schrieb Engels in seinem Glück¬ wunschbrief zu Marxens fünfzigstem Geburtstag: „Lieber Mohr, ich gratuliere anyhow zu dem halben Saeculum, von dem ich übrigens auch nur um eine kurze Spanne Zeit mehr abstehe. Was wir doch vor 25 Jahren für jugendliche Enthusiasten waren, als wir uns rühmten, um diese Zeit längst geköpft zu sein“ 1). Echte revolutionäre Begeisterung spricht aus allen in diesem Bande vereinigten Schriften. Sie zeigen Engels auf der Schwelle zu seiner künf¬ tigen Tätigkeit als Führer und Theoretiker des Proletariats. In ihnen ist der Prozeß jener Verschmelzung des Sozialismus mit der Arbeiter¬ bewegung ausgedrückt, die den wissenschaftlichen Kommunismus Marxens und Engels’ hervorgebracht hat. An jene Frühzeit zurückdenkend, in der sich die Grundlagen seiner Weltanschauung endgültig festigten, erzählt Engels von seiner ersten Be¬ kanntschaft mit den Vertretern des revolutionären Proletariats (Karl Schapper, Heinrich Bauer und Josef Moll): „Ich lernte sie alle drei 1843 in London kennen; es waren die ersten revolutionären Proletarier, die ich sah; und so weit auch im einzelnen damals unsere Ansichten ausein¬ andergingen — denn ich trug ihrem bornierten Gleichheitskommunismus damals noch ein gut Stück ebenso bornierten philosophischen Hoch¬ muts entgegen —, so werde ich doch nie den imponierenden Eindruck vergessen, den diese drei wirklichen Männer auf mich machten, der ich damals eben erst ein Mann werden wollte“ 2). Es ist die Periode der Klärung, die unserem Band den Rahmen gibt. Engels vollendet die Grundlegung seiner Anschauungen und geht in engster Gemeinschaft mit Marx an die Schaffung des wissenschaftlichen Kommunismus, dem er von da an treugeblieben ist und für dessen Ver¬ wirklichung er sein ganzes Leben gekämpft hat. * Die Textherstellung und die Ausarbeitung der Register zu diesem Bande besorgte H. H u p p e rt unter Mitwirkung von Jane T a b r i s k y. Moskau, den 9. Oktober 1932 V. Adoratskij 1) Engels an Marx, 6. Mai 1868. In unserer Ausgabe Abt. III, Bd. 4, S. 51 2) „Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten“. Einleitung zu „Enthüllun¬ gen über den Kommunistenprozeß zu Köln“ von Karl Marx. Vierter Abdruck. Ber¬ lin 1914, S. 31
ERSTER TEIL: DIE LAGE DER ARBEITENDEN KLASSE IN ENGLAND
Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigner Anschauung und authentischen Quellen von Friedrich Engels. Leipzig, Verlag von Otto Wigand. 1845. [8°. 358 Seiten]
Das Werk ist nieder geschrieben von Mitte November 1844 bis Mitte März 1845 und etwa Anfang Juni bei Wigand, Leipzig, erschienen. Im Jahre 1848 gab derselbe Verlag die alte Ausgabe mit einem neuen Titelblatt als ,Zweite Ausgabe“ heraus. Eine von Engels autorisierte englische Ausgabe, in der Übersetzung von Florence Kelley Wischnewetzky, erschien 1887 mit einem Engelsschen „Appendix“ vom 25. Februar 1886 und einem Vorwort vom 26. Januar 1887 im Verlag John W. Lovell Company, New York, und wurde 1892 bei Swan Sonnenschein & Co., London, mit einem vom 11. Januar 1892 datierten Vorwort von Engels wiederabgedruckt. Eine „Zweite durchgesehene Auflage“ erschien im Verlag J. H. W. Dietz, Stuttgart, 1892; das Engelssche Vorwort hierzu trägt das Datum vom 21. Juli 1892. Die Textherstellung ist auf Grundlage der Erstausgabe besorgt. Doch haben wir diese mit den übrigen zu Engels’ Lebzeiten erschienenen Aus¬ gaben verglichen, offenbare Druckfehler und Irrtümer (mit Ausnahme einiger bedeutsameren) stillschweigend verbessert, die Rechtschreibung und Interpunktion tunlich modernisiert — wobei wir uns stellenweise an die 1892er Neuauflage anlehnten — und nennenswerte Abweichungen der amerikanischen Ausgabe („1887“), sowie der Stuttgarter („1892“) in Fußnoten vermerkt.
TO THE WORKING CLASSES OF GREAT-BRITAIN Working Men! To you I dedicate a work, in which I have tried to lay before my German Countrymen a faithful picture of your condition, of your sufferings and struggles, of your hopes and prospects. I have lived long enough amidst you to know something about your circumstances; I have devoted to their knowledge my most serious attention, I have studied the various official and non-official docu¬ ments as far as I was able to get hold of them — I have not been satisfied with this, I wanted more than a mere abstract knowledge of my subject, I wanted to see you in your own homes, to observe you in your every-day life, to chat with you on your condition and grievances, to witness your struggles against the social and political power of your oppressors. I have done so: I forsook the company and the dinner-parties, the port-wine and champaign of the middle-classes, and devoted my leisure-hours almost exclu¬ sively to the intercourse with plain Working Men; I am both glad and proud of having done so. Glad, because thus I was induced to spend many a happy hour in obtaining a knowledge of the realities of life — many an hour, which else would have been wasted in fashionable talk and tiresome etiquette; proud, because thus I got an opportunity of doing justice to an oppressed and calumniated class of men who with all their faults and under all the disadvan¬ tages of their situation, yet command the respect of every one but an English money-monger; proud, too, because thus I was placed in a position to save the English people from the growing contempt which on the Continent has been the necessary consequence of the brutally selfish policy and general behaviour of your ruling middle-class. Having, at the same time, ample opportunity to watch the middle-classes, your opponents, I soon came to the conclusion that you are right, perfectly right in expecting no support whatever from them. Their interest is diametrically opposed to yours, though they always will try to maintain the contrary and to make you 5 10 15 20 25 30 35
6 Widmung believe in their most hearty sympathy with your fates. Their doings give them the lie. I hope to have collected more than sufficient evidence of the fact, that — be their words what they please — the middle-classes intend in reality nothing else but to enrich them¬ selves by your labour while they can sell its produce, and to abandon you to starvation as soon as they cannot make a profit by this indirect trade in human flesh. What have they done to prove their professed good-will towards you? Have they ever paid any serious attention to your grievances? Have they done more than paying the expenses of half-a-dozen commissions of inquiry, whose voluminous reports are damned to everlasting slumber among heaps of waste paper on the shelves of the Home-office? Have they even done as much as to compile from those rotting blue- books a single readable book from which every body might easily get some information on the condition of the great majority of “free-born Britons”? Not they indeed, those are things they do not like to speak of — they have left it to a foreigner to inform the civilized world of the degrading situation you have to live in. A Foreigner to them, not to you, I hope. Though my English may not be pure, yet, I hope, you will find it plain English. No working man in England — nor in France either, by-the-bye — ever treated me as a foreigner. With the greatest pleasure I obser¬ ved you to be free from that blasting curse, national prejudice and national pride, which after all means nothing but wholesale selfishness — I observed you to sympathize with every one who earnestly applies his powers to human progress — may he be an Englishman or not — to admire every thing great and good, whether nursed on your native soil or not — I found you to be more than mere Englishmen, members of a single, isolated nation, I found you to be Men, members of the great and universal family of Mankind, who know their interest and that of all the human race to be the same. And as such, as members of this Family of “One and Indivisible” Mankind, as Human Beings in the most emphati¬ cal meaning of the word, as such I, and many others on the Con¬ tinent, hail your progress in every direction and wish you speedy success. — Go on then, as you have done hitherto. Much remains to be undergone; be firm, be undaunted — your success in certain, and no step you will have to take in your onward march, will be lost to our common cause, the cause of Humanity! Barmen (Rhenan Prussia) March 15th, 1845. FRIEDRICH ENGELS 5 10 15 20 25 30 35 40
TAFEL II: Briefstelle Engels an Marx, 19. November 1844, über die Arbeit an der „Lage*1 (vgl. Abt. III, Bd. 1, S.5f.)
Vorwort Die nachfolgenden Bogen behandeln einen Gegenstand, den ich anfangs nur als einzelnes Kapitel einer umfassenderen Arbeit über die soziale Geschichte Englands darstellen wollte, dessen Wichtig¬ keit mich jedoch bald nötigte, ihm eine selbstständige Bearbeitung zu geben. Die Lage der arbeitenden Klasse ist der tatsächliche Boden und Ausgangspunkt aller sozialen Bewegungen der Gegenwart, weil sie die höchste, unverhüllteste Spitze unsrer bestehenden sozialen Misere ist. Der französische und deutsche Arbeiterkommunismus sind direkt, der Fourierismus und der englische Sozialismus, so¬ wie der Kommunismus der deutschen gebildeten Bourgeoisie sind indirekt durch sie erzeugt. Einerseits, um den sozialistischen Theorien, andrerseits, um den Urteilen über ihre Berechtigung einen festen Boden zu geben, um allen Schwärmereien und Phan¬ tastereien pro et contra ein Ende zu machen, ist die Erkenntnis der proletarischen Zustände deshalb eine unumgängliche Notwendig¬ keit. Die proletarischen Zustände existieren aber in ihrer klas¬ sischen Form, in ihrer Vollendung nur im britischen Reich, namentlich im eigentlichen England; und zugleich ist nur in Eng¬ land das nötige Material so vollständig zusammengetragen und durch offizielle Untersuchungen konstatiert, als es zu einer irgend¬ wie erschöpfenden Darstellung des Gegenstandes nötig ist. Ich hatte während einundzwanzig Monaten Gelegenheit, das englische Proletariat, seine Bestrebungen, seine Leiden und Freu¬ den in der Nähe aus persönlicher Anschauung und persönlichem Verkehr kennen zu lernen, und zugleich meine Anschauung durch den Gebrauch der nötigen authentischen Quellen zu ergänzen. Was ich gesehen, gehört und gelesen habe, ist in vorliegender Schrift verarbeitet. Ich bin darauf vorbereitet, meinen Standpunkt nicht nur, sondern auch die gegebenen Tatsachen von vielen Seiten her angegriffen zu sehen, besonders wenn mein Buch in die Hände von Engländern gerät; ich weiß ebensogut, daß man mir hier und da eine unbedeutende Unrichtigkeit, wie sie bei dem umfassenden Gegenstande und seinen weitläufigen Voraussetzungen selbst von einem Engländer nicht zu vermeiden wäre, wird um so eher nach¬ weisen können, als selbst in England noch kein einziges Werk existiert, das wie das meinige alle Arbeiter behandelt; aber ich 10 15 20 25 30 35
8 Vorwort stehe keinen Augenblick an, die englische Bourgeoisie herauszu¬ fordern: mir auch nur bei einer einzigen Tatsache, die irgendwie von Bedeutung für den Standpunkt des Ganzen ist, eine Unrich¬ tigkeit nachzuweisen — nachzuweisen mit ebenso authentischen Belegen, wie ich sie angeführt habe. Für Deutschland insbesondere hat die Darstellung der klassi¬ schen Proletariatszustände des britischen Reichs — und nament¬ lich im gegenwärtigen Augenblick — große Bedeutung. Der deutsche Sozialismus und Kommunismus ist mehr als jeder andre von theoretischen Voraussetzungen ausgegangen; wir deutschen Theoretiker kannten von der wirklichen Welt noch viel zu wenig, als daß uns die wirklichen Verhältnisse unmittelbar zu Reformen dieser „schlechten Wirklichkeit“ hätten treiben sollen. Von den öffentlichen Vertretern solcher Reformen ist wenigstens fast kein einziger anders als durch die Feuerbachsche Auflösung der Hegel¬ sehen Spekulation zum Kommunismus gekommen. Die wirklichen Lebensumstände des Proletariats sind so wenig gekannt unter uns, daß selbst die wohlmeinenden „Vereine zur Hebung der arbeiten¬ den Klassen“, in denen jetzt unsre Bourgeoisie die soziale Frage mißhandelt, fortwährend von den lächerlichsten und abgeschmack¬ testen Meinungen über die Lage der Arbeiter ausgehen. Uns Deutschen vor allen tut eine Kenntnis der Tatsachen in dieser Frage not. Und wenn auch die proletarischen Zustände Deutsch¬ lands nicht zu der Klassizität ausgebildet sind wie die englischen, so haben wir doch im Grunde dieselbe soziale Ordnung, die über kurz oder lang auf dieselbe Spitze getrieben werden muß, welche sie jenseits der Nordsee bereits erlangt hat — falls nicht beizeiten die Einsicht der Nation Maßregeln zustande bringt, die dem gan¬ zen sozialen System eine neue Basis geben. Dieselben Grund¬ ursachen, welche in England das Elend und die Unterdrückung des Proletariats bewirkt haben, sind in Deutschland ebenfalls vor¬ handen und müssen auf die Dauer dieselben Resultate erzeugen. Einstweilen wird aber das konstatierte englische Elend uns einen Anlaß bieten, auch unser deutsches Elend zu konsta¬ tieren und einen Maßstab, woran wir seine Ausdehnung und die Größe der — in den schlesischen und böhmischen Unruhen zu Tage gekommenen — Gefahr messen können, welche von dieser Seite der unmittelbaren Ruhe Deutschlands droht. Schließlich habe ich noch zwei Bemerkungen zu machen. Erstens, daß ich das Wort Mittelklasse fortwährend im Sinne des englischen middle-class (oder wie fast immer gesagt wird: middle-classes) gebraucht habe, wo es gleich dem franzö¬ sischen bourgeoisie die besitzende Klasse, speziell die von der sogenannten Aristokratie unterschiedene besitzende Klasse bedeu¬ tet — die Klasse, welche in Frankreich und England direkt, und 5 10 15 20 25 30 35 40 45
Vorwort 9 in Deutschland als „öffentliche Meinung“ indirekt im Besitze der Staatsmacht ist. So habe ich auch die Ausdrücke: Arbeiter (wor¬ king men) und Proletarier, Arbeiterklasse, besitzlose Klasse und Proletariat fortwährend als gleichbedeutend gebraucht. — Zwei¬ tens, daß ich bei den meisten Zitaten die Partei meiner Gewährs¬ leute aus dem Grunde angeführt habe, weil fast durchgängig die Liberalen das Elend der Ackerbaudistrikte hervorzuheben, das der Fabrikdistrikte aber wegzuleugnen suchen, während umgekehrt die Konservativen die Not der Fabrikdistrikte anerkennen, aber von der der Ackerbaugegenden nichts wissen wollen. Aus dieser Ur¬ sache habe ich auch, wo mir offizielle Dokumente abgingen, in der Schilderung der Industrie-Arbeiter immer einen liberalen Beleg vorgezogen, um die liberale Bourgeoisie aus ihrem eignen Munde zu schlagen, und überhaupt mich nur dann auf Tories oder Chartisten berufen, wenn ich entweder die Richtigkeit der Sache aus eigner Anschauung kannte, oder von der Wahrheit der Aus¬ sage durch den persönlichen oder literarischen Charakter meiner Autoritäten überzeugt sein konnte. Barmen, den 15. März 1845. F. Engels. 5 10 15 20
Einleitung Die Geschichte der arbeitenden Klasse in England beginnt mit der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, mit der Erfindung der Dampfmaschine und der Maschinen zur Verarbeitung der Baum¬ wolle. Diese Erfindungen gaben bekanntlich den Anstoß zu einer industriellen Revolution, einer Revolution, die zugleich die ganze bürgerliche Gesellschaft umwandelte, und deren weltgeschicht¬ liche Bedeutung erst jetzt anfängt erkannt zu werden. England ist der klassische Boden dieser Umwälzung, die um so gewaltiger war, je geräuschloser sie vor sich ging, und England ist darum auch das klassische Land für die Entwicklung ihres hauptsäch¬ lichsten Resultates, des Proletariats. Das Proletariat kann nur in England in allen seinen Verhältnissen und nach allen Seiten hin studiert werden. Wir haben es hier einstweilen nicht mit der Geschichte dieser Revolution, nicht mit ihrer ungeheuren Bedeutung für die Gegen¬ wart und Zukunft zu tun. Diese Darstellung muß einer künftigen, umfassenderen Arbeit vorbehalten bleiben. Für den Augenblick müssen wir uns auf das Wenige beschränken, das zum Verständnis der nachfolgenden Tatsachen, zum Verständnis der gegenwärtigen Lage der englischen Proletarier notwendig ist. Vor der Einführung der Maschinen geschah die Verspinnung und Verwebung der Rohstoffe im Hause des Arbeiters. Frau und Töchter spannen das Garn, das der Mann verwebte oder das sie verkauften, wenn der Familienvater nicht selbst es verarbeitete. Diese Weberfamilien lebten meist auf dem Lande, in der Nähe der Städte, und konnten mit ihrem Lohn ganz gut auskommen, da der heimische Markt noch für die Nachfrage nach Stoffen entschei¬ dend, ja fast der einzige Markt war, und die mit der Eroberung fremder Märkte, mit der Ausdehnung des Handels später herein¬ brechende Übermacht der Konkurrenz noch nicht fühlbar auf den Arbeitslohn drückte. Dazu kam eine dauernde Steigerung der Nachfrage im heimischen Markt, die mit der langsamen Vermeh¬ rung der Bevölkerung Schritt hielt und also sämtliche Arbeiter be¬ schäftigte, und dann die Unmöglichkeit einer heftigen Konkurrenz der Arbeiter gegeneinander, die aus der ländlichen Vereinzelung ihrer Wohnungen entstand. So kam es, daß der Weber meist im¬ stande war, etwas zurückzulegen und sich ein kleines Grundstück 5 10 15 20 25 30 35
Vor der industriellen Revolution 11 zu pachten, das er in seinen Mußestunden — und deren hatte er so viele als er wollte, da er weben konnte, wann und wie lange er Lust verspürte — bearbeitete. Freilich war er ein schlechter Bauer und betrieb seine Ackerwirtschaft nachlässig und ohne viel reellen 5 Ertrag; aber er war doch wenigstens kein Proletarier, er hatte, wie die Engländer sagen, einen Pfahl in den Boden seines Vaterlandes eingeschlagen, er war ansässig und stand um eine Stufe höher in der Gesellschaft, als der jetzige englische Arbeiter. Auf diese Weise vegetierten die Arbeiter in einer ganz behag- 10 liehen Existenz und führten ein rechtschaffenes und geruhiges Leben in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit, ihre materielle Stel¬ lung war bei weitem besser als die ihrer Nachfolger; sie brauch¬ ten sich nicht zu überarbeiten, sie machten nicht mehr als sie Lust hatten und verdienten doch was sie brauchten, sie hatten 15 Muße für gesunde Arbeit in ihrem Garten oder Felde, eine Arbeit, die ihnen selbst schon Erholung war, und konnten außerdem noch an den Erholungen und Spielen ihrer Nachbarn teilnehmen; und alle diese Spiele, Kegel, Ballspiel usw. trugen zur Erhal¬ tung der Gesundheit und zur Kräftigung ihres Körpers bei. Sie 20 waren meist starke wohlgebaute Leute, in deren Körperbildung wenig oder gar kein Unterschied von ihren bäurischen Nachbarn zu entdecken war. Ihre Kinder wuchsen in der freien Landluft auf, und wenn sie ihren Eltern bei der Arbeit helfen konnten, so kam dies doch nur dann und wann vor, und von einer acht- oder 25 zwölf stündigen täglichen Arbeitszeit war keine Rede. Was der moralische und intellektuelle Charakter dieser Klasse war, läßt sich erraten. Abgeschlossen von den Städten, in die sie nie hineinkamen, da das Garn und Gewebe an reisende Agenten gegen Auszahlung des Lohns abgeliefert wurde; so abgeschlossen, 30 daß alte Leute, die ganz in der Nähe von Städten wohnten, doch nie hingingen, bis sie endlich durch die Maschinen ihres Erwerbs beraubt und gezwungen wurden, in den Städten sich nach Arbeit umzusehen, standen sie auf der moralischen und intellektuellen Stufe der Landleute, mit denen sie ohnehin noch durch ihre kleine 35 Pachtung meistens unmittelbar verknüpft waren. Sie sahen ihren Squire — den bedeutendsten Grundherrn der Gegend — für ihren natürlichen Vorgesetzten an, sie fragen ihn um Rat, legten ihm ihre kleinen Zwiste zur Entscheidung vor und gaben ihm alle Ehre, die dies patriarchalische Verhältnis mit sich brachte. Sie 40 waren „respektable“ Leute und gute Familienväter, lebten mora¬ lisch, weil sie keine Veranlassung hatten unmoralisch zu sein, da keine Schenken und liederlichen Häuser in ihrer Nähe waren, und weil der Wirt, bei dem sie dann und wann ihren Durst löschten, 1 Orig. Musestunden 15 Orig. Muse
12 Einleitung auch ein respektabler Mann und meist ein großer Pächter war, der auf gutes Bier, gute Ordnung und frühen Feierabend hielt. Sie hatten ihre Kinder den Tag über im Hause bei sich und erzogen sie im Gehorsam und der Gottesfurcht; das patriarchalische Fa¬ milienverhältnis blieb ungestört, so lange die Kinder noch nicht 5 selbst verheiratet waren; die jungen Leute wuchsen in idyllischer Einfalt und Vertraulichkeit mit ihren Gespielen heran, bis sie heirateten, und wenn auch geschlechtlicher Verkehr vor der Ehe fast durchgängig vorkam, geschah dies doch nur, wo die mora¬ lische Verpflichtung zur Ehe von beiden Seiten anerkannt war, 10 und die nachfolgende Heirat brachte alles wieder ins gleiche. Kurz, die damaligen englischen Industriearbeiter lebten und dach¬ ten auf dieselbe Weise, wie man es in Deutschland noch hie und da findet, in Abgeschlossenheit und Zurückgezogenheit, ohne gei¬ stige Tätigkeit und ohne gewaltsame Schwankungen in ihrer 15 Lebenslage. Sie konnten selten lesen und noch viel weniger schrei¬ ben, gingen regelmäßig in die Kirche, politisierten nicht, konspi¬ rierten nicht, dachten nicht, ergötzten sich an körperlichen Übun¬ gen, hörten die Bibel mit angestammter Andacht vorlesen, und vertrugen sich bei ihrer anspruchslosen Demut mit den ange- 20 seheneren Klassen der Gesellschaft ganz vortrefflich. Dafür aber waren sie auch geistig tot, lebten nur für ihre kleinlichen Privat¬ interessen, für ihren Webstuhl und ihr Gärtchen, und wußten nichts von der gewaltigen Bewegung, die draußen durch die Menschheit ging. Sie fühlten sich behaglich in ihrem stillen Pflanzenleben, 25 und wären ohne die industrielle Revolution nie herausgetreten aus dieser allerdings sehr romantisch-gemütlichen, aber doch eines Menschen unwürdigen Existenz. Sie waren eben keine Menschen, sondern bloß arbeitende Maschinen im Dienst der wenigen Aristo¬ kraten, die bis dahin die Geschichte geleitet hatten; die indu- 30 strielle Revolution hat auch nur die Konsequenz hiervon durch¬ gesetzt, indem sie die Arbeiter vollends zu bloßen Maschinen machte und ihnen den letzten Rest selbstständiger Tätigkeit unter den Händen wegnahm, sie aber eben dadurch zum Denken und zur Forderung einer menschlichen Stellung antrieb. Wie in Frank- 35 reich die Politik, so war es in England die Industrie und die Be¬ wegung der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt, die die letzten in der Apathie gegen allgemein menschliche Interessen versunke¬ nen Klassen in den Strudel der Geschichte hineinriß. Die erste Erfindung, die in der bisherigen Lage der englischen 40 Arbeiter eine durchgreifende Veränderung hervorbrachte, war die Jenny des Webers James Hargreaves zu Standhill bei Blackburn in Nord-Lancashire (1764). Diese Maschine war der rohe Anfang der späteren Mule und wurde mit der Hand in Be¬ wegung gesetzt, hatte aber statt einer Spindel, wie das gewöhnliche 45
Die Jenny / Entstehung des Proletariats 13 Handspinnrad, deren sechzehn bis achtzehn, die von einem ein¬ zigen Arbeiter getrieben wurden. Hierdurch wurde es möglich, bedeutend mehr Garn zu liefern als bisher; während früher, wo ein Weber immer drei Spinnerinnen beschäftigt hielt, nie genug 5 Garn da gewesen war und der Weber oft auf Garn hatte warten müssen, war jetzt mehr Garn da, als von den vorhandenen Arbei¬ tern verwebt werden konnte. Die Nachfrage nach gewebten Zeugen, die ohnehin im Zuwachs war, stieg noch mehr durch den billigeren Preis dieser Zeuge, der aus den durch die neue Maschine er- 10 niedrigten Produktionskosten des Gams folgte; es waren mehr Weber nötig, und der Weblohn sti^g. Jetzt, da der Weber mehr an seinem Stuhl verdienen konnte, ließ er seine Ackerbaubeschäfti¬ gung allmählich fallen und legte sich ganz aufs Weben. Um diese Zeit konnte eine Familie von vier Erwachsenen und zwei Kindern, 15 die zum Spulen angehalten wurden, bei täglich zehnstündiger Ar¬ beit vier Pfund Sterling — achtundzwanzig Taler Pr. Cour. — in der Woche verdienen, und oft noch mehr, wenn das Geschäft gut ging, und die Arbeit drängte; es kam oft genug vor, daß ein einzelner Weber an seinem Stuhl wöchentlich zwei Pfund ver- 20 diente. Nach und nach verschwand so die Klasse der ackerbauen¬ den Weber ganz und löste sich in die neuentstehende Klasse der bloßen Weber auf, die allein vom Arbeitslohn lebten, gar keinen Besitz, nicht einmal den Scheinbesitz einer Pachtung hatten und somit Proletarier (Working Men) wurden. Hierzu kam noch, 25 daß auch das alte Verhältnis des Spinners zum Weber aufgehoben wurde. Bisher war, soweit dies anging, unter einem Dach das Garn gesponnen und verwoben worden. Jetzt, wo die Jenny ebensogut wie der Webstuhl eine kräftige Hand erforderte, fingen auch Männer an zu spinnen, und ganze Familien lebten von ihr allein, so während andre wiederum das jetzt veraltete und überflügelte Spinnrad beiseitestellen, und wenn ihnen die Mittel zum Ankauf einer Jenny fehlten, allein von dem Webstuhl des Familienvaters leben mußten. Hiermit fing die in der späteren Industrie so unend¬ lich ausgebildete Teilung der Arbeit beim Weben und Spinnen an. 35 Während so schon mit der ersten noch sehr unvollkommnen Maschine das industrielle Proletariat sich entwickelte, gab dieselbe Maschine Anlaß zur Entstehung auch des Acker¬ bauproletariats. Bisher hatte es eine große Menge kleiner Grundeigentümer gegeben, die Yeomen genannt wurden und die 40 in derselben Stille und Gedankenlosigkeit hinvegetiert hatten wie ihre Nachbarn, die ackerbauenden Weber. Sie bebauten ihre Fleckchen Land ganz in der alten nachlässigen Weise ihrer Väter und widersetzten sich jeder Neuerung mit der Hartnäckigkeit, die 15 1887 with eight hours daily work
14 Einleitung solchen durch eine Reihe von Generationen stabil gebliebenen Gewohnheitsmenschen eigentümlich ist. Unter ihnen gab es auch viele kleine Pächter, aber nicht Pächter im heutigen Sinne des Worts, sondern Leute, die entweder durch vertragsmäßige Erb¬ pacht oder kraft alter Sitte ihr Fleckchen Land von ihren Vätern 5 und Großvätern überkommen und darauf bisher so fest gesessen hatten, als ob es ihnen eigentümlich gehöre. Jetzt wurden, da sich die Industriearbeiter vom Ackerbau zurückzogen, eine Menge Grundstücke frei, und auf ihnen nistete sich die neue Klasse der großen Pächter ein, die fünfzig, hundert, zweihundert und 10 mehr Morgen zusammen in Pacht nehmen, tenants-at-will waren, d. h. Pächter, deren Pacht jedes Jahr gekündigt werden konnte, und die nun durch besseren Ackerbau und großartigere Wirtschaft den Ertrag der Grundstücke zu steigern wußten. Sie konnten ihre Produkte wohlfeiler verkaufen als der kleine Yeoman, und die-15 sem blieb nun, da sein Grundstück ihn nicht mehr ernährte, nichts übrig, als es zu verkaufen und entweder eine Jenny oder einen Webstuhl anzuschaffen, oder sich als Tagelöhner, Ackerbauprole¬ tarier, bei dem großen Pächter zu verdingen. Seine angestammte Trägheit und die nachlässige Art der Bebauung seines Grundstücks, 20 die er von seinen Vorfahren überkommen hatte und über die er sich nicht erheben konnte, ließen ihm nichts andres übrig, als er in die Notwendigkeit versetzt wurde, gegen Leute zu konkurrieren, die ihre Pacht nach vernünftigeren Prinzipien und mit allen Vor¬ teilen betrieben, die eine große Wirtschaft und die Anlage von 25 Kapitalien in der Verbesserung des Bodens in die Hand geben. Die Bewegung der Industrie blieb indes hierbei nicht stehen. Einzelne Kapitalisten fingen an, Jenny’s in großen Gebäuden auf¬ zustellen und durch Wasserkraft zu treiben, wodurch sie in den Stand gesetzt wurden, die Arbeiterzahl zu verringern und ihr 30 Garn wohlfeiler zu verkaufen als die einzelnen Spinner, die bloß mit der Hand die Maschine bewegten. Es fielen fortwährende Verbesserungen der Jenny vor, so daß jeden Augenblick eine Ma¬ schine veraltet war und verändert oder gar beiseite geworfen wer¬ den mußte; und wenn der Kapitalist durch Anwendung der Was- 35 serkraft selbst mit älteren Maschinen noch bestehen konnte, so war dies dem einzelnen Spinner auf die Dauer unmöglich. Und wenn schon hierin der Anfang des Fabriksystems lag, so erhielt dies durch die Spinning-Throstle, die Richard Ark- wright, ein Barbier aus Preston in Nord-Lancashire 1767 40 erfand, eine neue Ausdehnung. Diese Maschine, im Deutschen gewöhnlich Kettenstuhl genannt, ist neben der Dampfmaschine die wichtigste mechanische Erfindung des achtzehnten Jahrhunderts. Sie ist von vornherein auf eine mechanische Triebkraft berechnet und auf ganz neuen Prinzipien basiert. Durch die Ver- 45
Die Throstle, die Mule, der mechan. Webstuhl, die Dampfmaschine 15 einigung der Eigentümlichkeiten der Jenny und des Kettenstuhls brachte Samuel Crompton aus Firwood (Lancashire) 1785 die Mule zustande, und da Arkwright um dieselbe Zeit die Kardier- und Vorspinnmaschinen erfand, so war hier- 5 durch für das Spinnen der Baumwolle das Fabriksystem zum al¬ lein herrschenden geworden. Allmählich fing man an, diese Ma¬ schinen durch einige unbedeutende Veränderungen auf das Spin¬ nen der Wolle und später (im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhun¬ derts) auch des Flachses anwendbar zu machen, und dadurch auch io hier die Handarbeit zu verdrängen. Aber auch hierbei blieb es nicht; in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte Dr. Cartwright, ein Landpfarrer, den mechanischen Web¬ stuhl erfunden und gegen 1804 so weit gebracht, daß er erfolg¬ reich gegen die Handweber konkurrieren konnte; und alle diese 25 Maschinen erhielten doppelte Wichtigkeit durch JamesWatt’s Dampfmaschine, die um 1764 erfunden und seit 1785 zur Betreibung von Spinnmaschinen angewandt worden war. Mit diesen Erfindungen, die seitdem noch jedes Jahr verbessert wurden, war der Sieg der Maschinenarbeit über die 20 Handarbeit in den Hauptzweigen der englischen Industrie entschieden, und die ganze Geschichte dieser letzteren berichtet von nun an nur, wie die Handarbeiter aus einer Position nach der andern durch die Maschinen vertrieben wurden. Die Folgen hier¬ von waren auf der einen Seite rasches Fallen der Preise aller 25 Manufakturwaren, Aufblühen des Handels und der Industrie, Er¬ oberung fast aller unbeschützten fremden Märkte, rasche Ver¬ mehrung der Kapitalien und des Nationalreichtums; auf der an¬ dern eine noch viel raschere Vermehrung des Proletariats, Zer¬ störung alles Besitzes, aller Sicherheit des Erwerbs für die arbei- 30 tende Klasse, Demoralisation, politische Aufregung und alle die den besitzenden Engländern so höchst widerwärtigen Tatsachen, die wir in den nachfolgenden Bogen zu betrachten haben werden. Haben wir schon oben gesehen, welche Umwälzung in den gesell¬ schaftlichen Verhältnissen der unteren Klassen eine einzige unbe- 35 holfene Maschine, wie die Jenny, hervorbrachte, so wird man sich nicht mehr über das wundem, was ein vollständig ineinander¬ greifendes System fein ausgearbeiteter Maschinerie bewirkt hat, welches das rohe Material von uns empfängt und uns fertiggeweb¬ ten Stoff zurückgibt. 40 Verfolgen wir indes die Entwicklung der englischen Indu¬ strie*) etwas genauer und fangen wir mit ihrem Hauptzweige, der *) Nach Porter’s Progress of the Nation, London, 1836 I vol., 1836 II vol., 1843 III vol. (aus offiziellen Angaben) und andern meist ebenfalls 8—9 7887 fehlt der Wolle .. auch 40 Orig. Verwicklung 1892 Entwicklung
16 Einleitung Baumwollenindustrie an. In den Jahren 1771—75 wur¬ den im Durchschnitt jährlich weniger als fünf Millionen Pfund roher Baumwolle importiert; im Jahre 1841 fünfhundert achtund¬ zwanzig Millionen, und die Einfuhr von 1844 wird mindestens sechshundert Millionen Pfund betragen. 1834 exportierte England s 556 Millionen Yards gewebter Baumwollenstoffe, 76V2 Millionen Pfund Baumwollengarn und für 1200000 Pf. St. baumwollne Strumpfwaren. In demselben Jahre arbeiteten über acht Millionen Mulespindeln, 110000 mechanische und 250000 Handwebstühle, ungerechnet die Kettenstuhlspindeln, im Dienst der Baumwollen- io Industrie, und nach MacCullochs Berechnung lebten damals direkt oder indirekt beinahe anderthalb Millionen Menschen in den drei Reichen von diesem Industriezweige, von denen 220000 allein in den Fabriken arbeiteten; die Kraft, die von diesen Fabriken ge¬ brauchtwurde, war 33000 Pferde Dampfkraft und 11000 Pferde is Wasserkraft. Jetzt reichen alle diese Zahlen bei weitem nicht mehr aus, und man wird ruhig annehmen können, daß im Jahre 1845 die Kraft und Zahl der Maschinen, sowie die Zahl der Ar¬ beiter um die Hälfte größer sein wird als 1834. Der Hauptsitz dieser Industrie ist Lancashire, von Wo sie auch ausging; sie 20 hat diese Grafschaft durch und durch revolutioniert, aus einem obskuren, schlecht bebauten Sumpf in eine belebte, arbeitsame Gegend umgeschaffen, ihre Bevölkerung in achtzig Jahren ver¬ zehnfacht und Riesenstädte, wie Liverpool und Man¬ chester, mit zusammen 700000 Einwohnern, und ihre Neben- 25 Städte Bolton (60000 Einw.), Rochdale (75000 Einw.), Oldham (50000 Einw.), Preston (60000 Einw.), Ashton und Stalybridge(40 000 Einw.) und eine ganze Masse andere Fabrikstädte wie mit einem Zauberschlage aus dem Boden wach¬ sen lassen. Die Geschichte von Südlancashire weiß von den groß- 30 ten Wundem der neueren Zeit, und doch spricht kein Mensch von ihr, und alle diese Wunder hat die Baumwollenindustrie zuwege gebracht. Außerdem bildet Glasgow ein zweites Zentrum für den Baumwollendistrikt Schottlands, Lanarkshire und Renfrewshire, und auch hier hat die Bevölkerung der Zen- 35 tralstadt sich seit der Einführung dieser Industrie von 30000 auf 300000 vermehrt. Die Strumpfwirkerei von Not¬ tingham und Derby erhielt durch die erniedrigten Garn¬ preise ebenfalls einen neuen Anstoß, und einen zweiten durch eine Verbesserung des Strumpf Stuhls, wodurch mit einem Stuhl zwei 40 offiziellen Quellen. — 1892 Die obige geschichtliche Skizze der indu¬ striellen Umwälzung ist in Einzelheiten ungenau; es lag aber 1843—44 kein besseres Quellenmaterial vor. 28 irrtümlich Nelybridge
Sieg der Maschinen / Entwicklung der industriellen Macht 17 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Strümpfe zu gleicher Zeit gewebt werden konnten; die Spitzen¬ fabrikation wurde seit 1777, in welchem Jahre die Lace- Maschine erfunden wurde, ebenfalls ein bedeutender Indu¬ striezweig; bald darauf erfand Lindley die Point-net-Ma- sch ine und 1809 Heathcote die Bobbin-net-Ma¬ schine, wodurch die Verfertigung von Spitzen unendlich ver¬ einfacht und der Verbrauch infolge der billigen Preise ebenso sehr gesteigert wurde, so daß jetzt mindestens 200000 Menschen von dieser Fabrikation sich ernähren. Sie hat ihre Hauptsitze in Nottingham, Leicester und dem Westen von England (Wiltshire, Devonshire etc.). Dieselbe Ausdehnung ha¬ ben die von der Baumwollenindustrie abhängigen Arbeitszweige, das Bleichen, Färben und Drucken erfahren. Die Bleicherei erhielt durch die Anwendung von Chlor statt des Sauerstoffs in der Schnellbleiche, die Färberei und Druckerei durch die rasche Entwicklung der Chemie, und die Druckerei durch eine Reihe der glänzendsten mechanischen Erfindungen außerdem noch einen Aufschwung, der neben der durch die Zunahme der Baum¬ wollenfabrikation bedingten Ausdehnung dieser Geschäftsbran¬ chen sie zu einer vorher nie gekannten Blüte erhob. Inder Verarbeitung der Wolle entwickelte sich die¬ selbe Tätigkeit. Sie war bisher der Hauptzweig der englischen In¬ dustrie gewesen, aber die Masse der Produktion in jenen Jahren ist nichts gegen das, was heute fabriziert wird. 1782 lag die ganze Wollemte der vorhergehenden drei Jahre aus Mangel an Arbei¬ tern noch unverarbeitet da, und hätte liegen bleiben müssen, wenn nicht die neuerfundne Maschinerie zu Hilfe gekommen wäre und sie versponnen hätte. Die Übertragung dieser Maschinen auf die Wollspinnerei wurde mit dem besten Erfolg durchgeführt. Jetzt trat in den Wollbezirken dieselbe rasche Entwicklung ein, die wir in den Baumwolldistrikten gesehen haben. 1738 waren im West- Ri d i n g von Yorkshire 75000 Stück wollne Tuche gemacht worden, 1817 wurden 490000 gemacht, und so rasch war die Ausdehnung der Wollenindustrie, daß 1834 schon 450000 Stück Tuche mehr ausgeführt wurden als 1825. — 1801 wurden 101 Millionen Pfund Wolle (wovon 7 Millionen importierte) verarbeitet, 1835 180 Millionen Pfund (wovon 42 Millionen im¬ portierte) . Der Hauptbezirk dieser Industrie ist das West-Riding von Yorkshire, wo in Bradford namentlich die lange eng¬ lische Wolle zu Strickgarnen etc., und in den übrigen Städten, Leeds, Halifax, Huddersfield etc. die kurze Wolle zu festgedrehten Garnen und zur Tuchweberei verarbeitet wird; dann der angrenzende Teil von Lancashire, die Gegend von Rochdale, wo neben der Baumwollverarbeitung viel Flanell gemacht wird, und der Westenvon England, der die fein- Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 2
18 Einleitung sten Tuche fabriziert. Der Zuwachs der Bevölkerung ist hier ebenfalls bemerkenswert: Bradford hatte 1801 29000 und 1831 77000 Ew. Halifax — 63000 99 110000 99 Huddersfield 99 — 15000 99 34000 99 Leeds 99 — 53000 99 123000 99 und das ganze West-Riding 99 — 564000 99 980000 99 eine Bevölkerung, die sich seit 1831 noch um mindestens 20— 25 Prozent vermehrt haben muß. Die Wollenspinnerei beschäf- io tigte 1835 in den drei Reichen 1313 Fabriken mit 71300 Arbei¬ tern — letztere sind übrigens nur ein kleiner Teil der Menge, die direkt und indirekt von der Verarbeitung der Wolle leben und schließen fast alle Weber aus. Der Fortschritt entwickelte sich in der Leinenindustrie is später, weil hier die natürliche Beschaffenheit des rohen Mate¬ rials die Anwendung der Spinnmaschine sehr erschwerte. Zwar wurden schon in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts in Schottland derartige Versuche gemacht, indes erst 1810 gelang es dem Franzosen Girard, die Flachsspinnerei auf eine 20 praktische Weise einzurichten, und selbst Girards Maschinen er¬ langten erst durch die Verbesserungen, die sie in England erfuh¬ ren und ihre allgemeine Anwendung in Leeds, Dundee und Belfast, auf britischem Boden die Bedeutung, die ihnen ge¬ bührte. Jetzt aber dehnte sich die englische Leinenindustrie rasch 25 aus. 1814 wurden nach Dundee 3000 Tons Flachs importiert*^ 1833 an 19000 Tons Flachs und 3400 Tons Hanf. Die Ausfuhr irischer Leinen nach Großbritannien stieg von 32 Millionen Yards (1800) auf 53 Millionen (1825), von denen ein großer Teil wieder exportiert wurde; die Ausfuhr englischer und schot- 30 tischer Leinengewebe stieg von 24 Millionen Yards (1820) auf 51 Millionen (1833). Die Zahl der Flachsspinnereien belief sich 1835 auf 347 mit 33000 Arbeitern; davon waren die Hälfte im südlichen Schottland, über sechzig im West-Riding von Yorkshire (Leeds und Umgegend), 25 in Belfast in Irland, und die übri- 35 gen in Dorsetshire und Lancashire. Die Weberei wird im süd¬ lichen Schottland und hier und da in England, besonders aber in Irland betrieben. Mit gleichem Erfolge legten sich die Engländer auf die Ver¬ arbeitung der Seide. Hier bekamen sie das Material aus 40 *> Das englische Ton ist ein Gewicht von 2240 Pfund englisch, 40 Pfd. engl. = 39 Pfd. preuß. 23 1892 und durch ihre 41—42 1892 fast 1000 Kilogramm statt 40 Pfd. engl. == 39 Pfd. preuß.
Eisenproduktion / Kohlenbergwerke 19 Südeuropa und Asien fertig gesponnen und die Hauptarbeit war das Zusammendrehen der feinen Fäden (Tramieren). Bis 1824 hinderte der schwere Zoll auf Rohseide (4 Schill, pr. Pfund) die englische Seidenindustrie sehr, und nur der Markt Englands 5 und seiner Kolonien stand ihr durch Schutzzölle zu Gebote. Jetzt wurde der Eingangszoll auf einen Penny herabgesetzt und sogleich vermehrte sich die Zahl der Fabriken bedeutend; in einem Jahre stieg die Anzahl der Doublierspindeln von 780000 auf 1180000, und wenn auch die Handelskrisis von 1825 diesen Industriezweig io für einen Augenblick lähmte, so wurde doch schon 1827 mehr fabriziert als je, da das mechanische Geschick und die Erfahrung der Engländer ihren Tramiermaschinen den Vorrang vor den un¬ beholfenen Einrichtungen ihrer Konkurrenten sicherte. 1835 be¬ saß das britische Reich 263 Tramierfabriken mit 30000 Arbeitern, 15 die meistens in Cheshire, Macclesfield, Congletonund Umgegend, Manchester und Somersetshire angelegt waren. Außerdem gibt es noch viele Fabriken zur Bearbeitung des Seidenabfalls von den Kokons, aus denen ein eigner Artikel (Spunsilk) gemacht wird, und mit dem die Engländer selbst die 20 Pariser und Lyoner Webereien versorgen. Das Verweben der so tramierten und gesponnenen Seide geschieht besonders in Schott¬ land (Paisley etc.) und London (Spitalfields), dann aber auch in Manchester und anderswo. Aber der riesenhafte Aufschwung, den die englische Industrie 25 seit 1760 genommen hat, beschränkt sich nicht auf die Fabrika¬ tion der Kleidungsstoffe. Der Anstoß, der einmal gegeben war, verbreitete sich über alle Zweige der industriellen Tätigkeit, und eine Menge Erfindungen, die außer allem Zusammenhang mit den bisher erwähnten standen, erhielten durch ihre Gleichzeitigkeit mit 30 der allgemeinen Bewegung doppelte Wichtigkeit. Zugleich aber wurde mm, nachdem die unermeßliche Bedeutung der mechani¬ schen Kraft in der Industrie einmal praktisch erwiesen war, auch alles in Bewegung gesetzt, um diese Kraft nach allen Seiten hin auszubeuten und zum Vorteile der einzelnen Erfinder und Fabri- 35 kanten auszubeuten; und überdies setzte die Frage nach Maschi¬ nerie, Brenn- und Verarbeitungsmaterial schon direkt eine Masse Arbeiter und Gewerbe in verdoppelte Tätigkeit. Die Dampf¬ maschine gab den weiten Kohlenlagern Englands erst Be¬ deutung; die Maschinenfabrikation entstand erst jetzt und 40 mit ihr ein neues Interesse an den Eisenbergwerken, die das rohe Material für die Maschinen lieferten; die vermehrte Kon¬ sumtion der Wolle hob die englische Schafzucht, und die zu- 15 Orig, meisten 1892 meisten 15—16 1892 C h e s h i r e, (Macclesfield, Congleton und Umgegend), 34 1892 zu benutzen statt auszubeuten 2*
20 Einleitung nehmende Einfuhr von Wolle, Flachs und Seide rief eine Ver¬ größerung der englischen Handelsmarine hervor. Vor allem hob sich die Eisenproduktion. Die eisenreichen Berge Englands waren bisher wenig ausgebeutet worden; man hatte das Eisenerz stets mit Holzkohlen geschmolzen, die mit der besseren Bebauung 5 des Bodens und der Ausrottung der Wälder immer teurer und seltner wurden; im vorigen Jahrhundert erst fing man an, ge¬ schwefelte Steinkohlen (coke) hierzu anzuwenden, und seit 1780 entdeckte man eine neueMethode, das mitKoks geschmolzene Eisen, das bisher nur als Gußeisen zu gebrauchen gewesen war, auch in 10 brauchbares Schmiedeeisen zu verwandeln. Diese Methode, die in der Entziehung des im Schmelzen dem Eisen sich beimischenden Kohlenstoffs besteht, nennen die Engländer puddling, und durch sie wurde der englischen Eisenproduktion ein ganz neues Feld er¬ öffnet. Die Hochöfen wurden fünfzig Mal größer gemacht als 15 früher, man vereinfachte das Schmelzen des Erzes durch heiße Gebläse und konnte dadurch das Eisen so wohlfeil produzieren, daß eine Masse Dinge, die früher von Holz oder Stein gemacht worden waren, jetzt von Eisen angefertigt wurden. 1788 errichtete Thomas Paine, der bekannte Demokrat, in Yorkshire die 20 erste eiserne Brücke, der eine Unzahl folgten, so daß jetzt fast alle Brücken, namentlich auf Eisenbahnen, von Gußeisen gemacht werden, und in London sogar eine Brücke über die Themse, die Southwark-Brücke, von diesem Material konstruiert worden ist; eiserne Säulen, Gestelle der Maschinen etc., sind allgemein, und 25 seit der Einführung der Gasbeleuchtung und Eisenbahnen sind der englischen Eisengewinnung neue Abzugsquellen eröffnet. Nä¬ gel und Schrauben wurden allmählich auch mit Maschinen ge¬ macht; Huntsman, ein Sheffielder, fand 1760 eine Methode, um Stahl zu gießen, wodurch viele Arbeit überflüssig gemacht und 30 die Anfertigung ganz neuer, wohlfeiler Waren ermöglicht wurde; und durch die größere Reinheit des ihr zu Gebote stehenden Ma¬ terials, sowie durch vollkommnere Instrumente, neue Maschinerie und detailliertere Teilung der Arbeit wurde erst jetzt die Metall¬ warenfabrikation von England bedeutend. Die Bevölkerung von 35 Birmingham wuchs von 73000 (1801) auf 200000 (1844), die von Sheffield von 46000 (1801) auf 110000 (1844) und der Kohlenverbrauch der letzteren Stadt allein belief sich 1836 auf 515000 Tons. 1805 wurden 4300 Tons Eisenwaren und 4600 Tons Roheisen, 1834 16200 Tons Eisenwaren und 107000 40 Tons Roheisen exportiert, und die ganze Eisengewinnung, 1740 nur noch 17000 Tons betragend, stieg 1834 auf beinahe 700000 Tons. Die Schmelzung des Roheisens konsumiert allein jährlich über 3 Millionen Tons Kohlen, und welche Wichtigkeit überhaupt 16—17 1892 vereinfachte durch heiße Gebläse das Schmelzen des Erzes und
Töpfereien / Ackerbau / Kommunikationen 21 die Kohlenbergwerke im Laufe der letzten sechzig Jahre bekommen haben, davon kann man sich keine Vorstellung machen. Alle englischen und schottischen Kohlenlager werden jetzt ausge¬ beutet, und die Gruben von Northumberland und Durham 5 allein liefern jährlich über 5 Mill. Tons zur Verschiffung und beschäftigen 40—50000 Arbeiter. Nach dem „Durham Chro- nicle“ waren in den beiden genannten Grafschaften 1753 14 Kohlengruben 1800 40 „ „ 10 1836 76 „ und 1843 130 „ „ im Betrieb. Dabei werden alle Gruben jetzt mit viel mehr Tätig¬ keit ausgebeutet als früher. Eine ähnliche vermehrte Tätigkeit wurde in den Zinn-, Kupfer- und Bleibergwerken an- 15 gewendet, und neben der Ausdehnung der Glasfabrikation entstand ein neuer Industriezweig in der Anfertigung der Töp¬ ferwaren, die durch Josiah Wedgewood um 1763 Be¬ deutung erhielt. Dieser reduzierte die ganze Fabrikation des Steinguts auf wissenschaftliche Prinzipien, führte einen besseren 20 Geschmack ein und gründete die Töpfereien (potteries) von Nordstaffordshire, einen Bezirk von acht engl. Meilen im Quadrat, der, früher eine unfruchtbare Wüste, jetzt mit Fabriken und Wohnungen besät ist und über 60000 Menschen ernährt. In diesen allgemeinen Strudel der Bewegung wurde alles hin- 25 eingerissen. Der Ackerbau erlitt ebenfalls einen Umschwung. Und nicht nur, daß, wie wir oben sahen, das Grundeigentum in die Hände anderer Besitzer und Bebauer überging, sondern auch auf andre Weise noch wurde der Ackerbau affiziert. Die großen Pächter wandten Kapital an die Verbesserung des Bodens, rissen 30 unnötige Scheidewände nieder, legten trocken, düngten, wandten bessere Instrumente an und führten eine systematische Ab¬ wechselung der Bebauung (cropping by rotation) ein. Auch ihnen half der Fortschritt der Wissenschaften; Sir H. Davy wandte die Chemie mit Erfolg auf den Ackerbau an, und die Entwicklung der 35 Mechanik gab ihnen eine Menge Vorteile an die Hand. Dazu stieg infolge der vermehrten Bevölkerung die Nachfrage nach Acker¬ bauprodukten so sehr, daß von 1760 bis 1834 6840540 engl. Morgen wüstes Land urbar gemacht wurden und trotzdem Eng¬ land aus einem komausführenden Lande ein komeinführendes 40 wurde. Dieselbe Tätigkeit in der Herstellung der Kommunika¬ tion. Von 1818 bis 1829 wurden in England und Wales 1000 35 1892 Mechanik gab eine Menge 41—42 1892 Kommunikationen.
22 Einleitung engl. Meilen Chausseen von der gesetzlichen Breite von 60 Fuß an¬ gelegt, und fast alle alten nach MacAdams Prinzip erneuert. In Schottland legte die Behörde der öffentlichen Arbeiten seit 1803 an neunhundert Meilen Chaussee und über tausend Brücken an, wodurch in den Hochlanden das Volk mit einem Male in die 5 Nähe der Zivilisation gebracht wurde. Die Hochländer waren bis¬ her meist Wilddiebe und Schmuggler gewesen; jetzt wurden sie fleißige Ackerbauer und Handwerker, und obwohl gälische Schu¬ len zur Erhaltung der Sprache errichtet worden sind, verschwindet gälisch-keltische Sitte und Sprache rasch vor dem Anrücken der 10 englischen Zivilisation. Ebenso in Irland. Zwischen den Graf¬ schaften Cork, Limerick und Kerry lag bisher ein wüster Landstrich ohne alle fahrbaren Wege, der wegen seiner Unzu¬ gänglichkeit der Zufluchtsort aller Verbrecher und der Haupt¬ schutz der keltisch-irischen Nationalität in Süd-Irland war; man 15 durchschnitt ihn mit Landstraßen und eröffnete dadurch der Zivi¬ lisation Zugänge auch in diese wilde Gegend. Das ganze britische Reich, namentlich aber England, das vor sechzig Jahren ebenso schlechte Wege besaß wie damals Deutschland und Frankreich, ist jetzt mit einem Netze der schönsten Chausseen überzogen, und auch 20 diese sind, wie fast alles in England, das Werk der Privatindustrie, da der Staat wenig oder gar nichts dazu getan hat. Vor 1755 hatte England fast gar keine Kanäle. 1755 wurde in Lancashire der Kanal von Sankey Brook nach St. He¬ lens angelegt; und 1759 baute James Brindley den ersten 25 bedeutenden Kanal, den des Herzogs von Bridgewater, der von Manchester und den Kohlenbergwerken der Umgegend nach der Mündung des Mersey geht, und bei Barton in einem Aquädukt über den Fluß Irwell geführt wird. Von hier an datiert sich das englische Kanalwesen, dem erst Brindley Wich- 30 tigkeit gegeben hat. Jetzt wurden Kanäle nach allen Richtungen hin angelegt und Flüsse schiffbar gemacht. In England allein sind 2200 Meilen Kanal und 1800 Meilen schiffbarer Flüsse; in Schottland wurde der kaledonische Kanal, der das Land quer durchschneidet und in Irland ebenfalls verschiedene <35 Kanäle angelegt. Auch diese Anlagen sind, wie die Eisenbahnen und Chausseen, fast alle das Werk von Privatleuten und Kom¬ pagnien. Die Eisenbahnen sind erst in der neuesten Zeit angelegt. Die erste größere war die von Liverpool nach Manchester^ (1830 eröffnet); seitdem sind alle großen Städte miteinander durch Schienenwege verbunden worden. London mit Southampton, Brighton, Dover, Colchester, Cambridge, Exeter (über Bristol) und Birmingham; Birmingham mit Gloucester, Liverpool, Lan¬ caster (über Newton und Wigan, und über Manchester und Boi- 45
Entwicklung des Proletariats zu nationaler Bedeutung 23 ton), ferner mit Leeds (über Manchester und Halifax, und über Leicester, Derby und Sheffield); Leeds mit Hüll und Newcastle (über York). Dazu die vielen kleineren, die im Bau begriffenen und projektierten Linien, die es bald möglich machen werden, von .5 Edinburgh nach London in einem Tage zu reisen. Wie der Dampf die Kommunikation zu Lande revolutioniert hatte, so gab er auch der zu Wasser ein neues Ansehen. Das erste Dampfschiff fuhr 1807 auf dem Hudson in Nordamerika; das erste im britischen Reich 1811 auf dem Clyde. Seitdem sind über io sechshundert in England gebaut worden, und über fünfhundert waren 1836 in britischen Häfen in Tätigkeit. — Das ist in kurzem die Geschichte der englischen Industrie in den letzten sechzig Jahren, eine Geschichte, die ihresgleichen nicht hat in den Annalen der Menschheit. Vor sechzig, achtzig Jahren 15 ein Land wie alle andern, mit kleinen Städten, wenig und einfacher Industrie, und einer dünnen, aber verhältnismäßig großen Acker¬ baubevölkerung; und jetzt ein Land wie kein anderes, mit einer Hauptstadt von drittehalb Millionen Einwohnern, mit kolossalen Fabrikstädten, mit einer Industrie, die die ganze Welt versorgt 20 und die fast alles mit den kompliziertesten Maschinen macht, mit einer fleißigen, intelligenten, dichtgesäten Bevölkerung, von der zwei Drittel durch die Industrie in Anspruch genommen werden, und die aus ganz andern Klassen besteht, ja, die eine ganz andere Nation mit andern Sitten und andern Bedürfnissen bildet, als da¬ ss mals. Die industrielle Revolution hat für England dieselbe Bedeu¬ tung wie die politische Revolution für Frankreich und die philo¬ sophische für Deutschland, und der Abstand zwischen dem England von 1760 und dem von 1844 ist mindestens ebenso groß, wie der zwischen dem Frankreich des ancien regime und dem der Juli- 30 revolution. Die wichtigste Frucht aber dieser industriellen Um¬ wälzung ist das englische Proletariat. Wir haben oben gesehen, wie das Proletariat durch die Ein¬ führung der Maschinen ins Leben gerufen wurde. Die rasche Aus¬ dehnung der Industrie erforderte Hände; der Arbeitslohn stieg, 35 und infolgedessen wanderten Scharen von Arbeitern aus den Ackerbaubezirken nach den Städten. Die Bevölkerung vermehrte sich reißend, und fast aller Zuwachs kam auf die Klasse der Pro¬ letarier. Dazu war in Irland erst seit dem Anfänge des achtzehnten Jahrhunderts ein geordneter Zustand eingetreten; auch hier ver- /o mehrte sich die in den früheren Unruhen durch englische Barbarei mehr als dezimierte Bevölkerung schnell, besonders seitdem der Aufschwung der Industrie anfing, eine Menge Irländer nach Eng¬ land herüberzuziehen. So entstanden die großen Fabrik- und Han¬ delsstädte des britischen Reichs, in denen mindestens drei Viertel 45 der Bevölkerung der Arbeiterklasse angehören, und die kleine
24 Einleitung Bourgeoisie nur aus Krämern und sehr, sehr wenigen Handwerkern besteht. Denn wie die neue Industrie erst dadurch bedeutend wurde, daß sie die Werkzeuge in Maschinen, die Werkstätten in Fabriken — und dadurch die arbeitende Mittelklasse in arbeiten¬ des Proletariat, die bisherigen Großhändler in Fabrikanten ver- 5 wandelte; wie also schon hier die kleine Mittelklasse verdrängt und die Bevölkerung auf den Gegensatz von Arbeitern und Kapi¬ talisten reduziert wurde, so geschah dasselbe außer dem Gebiet der Industrie im engeren Sinne, in den Handwerken und selbst im Handel. An die Stelle der ehemaligen Meister und Gesellen traten 10 große Kapitalisten und Arbeiter, die nie Aussicht hatten, sich über ihre Klasse zu erheben; die Handwerke wurden fabrikmäßig be¬ trieben, die Teilung der Arbeit streng durchgeführt und die kleinen Meister, die gegen die großen Etablissements nicht konkurrieren konnten, in die Klasse der Proletarier herabgedrängt. Zu gleicher 15 Zeit aber wurde dem Arbeiter durch die Aufhebung des bisherigen Handwerksbetriebs, durch die Vernichtung der kleinen Bour¬ geoisie alle Möglichkeit genommen, selbst Bourgeois zu werden. Bisher hatte er immer die Aussicht gehabt, sich als ansässiger Meister irgendwo niederlassen, später vielleicht Gesellen an- 20 nehmen zu können; jetzt aber, wo die Meister selbst durch die Fabrikanten verdrängt, wo zum selbstständigen Betrieb einer Ar¬ beit große Kapitalien nötig wurden, wurde das Proletariat erst eine wirkliche, feste Klasse der Bevölkerung, während es früher oft nur ein Durchgang in die Bourgeoisie war. Wer jetzt als Ar- 25 beiter geboren wurde, hatte keine andere Aussicht, als lebenslang Proletarier zu bleiben. Jetzt also erst war das Proletariat im¬ stande, selbstständige Bewegungen vorzunehmen. Auf diese Weise wurde die ungeheure Masse von Arbeitern zu- sammengebracht, die jetzt das ganze britische Reich erfüllt, und 30 deren soziale Lage sich mit jedem Tage der Aufmerksamkeit der zivilisierten Welt mehr und mehr aufdrängt. Die Lage der arbeitenden Klasse, das heißt die Lage der un¬ geheuren Majorität des englischen Volks, die Frage: Was soll aus diesen besitzlosen Millionen werden, die heute das verzehren, was 35 sie gestern verdient haben, die mit ihren Erfindungen und ihrer Arbeit Englands Größe geschaffen haben, die täglich ihrer Macht sich mehr und mehr bewußt werden und täglich dringender ihren Anteil an den Vorteilen der gesellschaftlichen Einrichtungen ver¬ langen — diese Frage ist seit der Reformbill die nationale Frage 40 geworden. Alle einigermaßen wichtigen Parlamentsdebatten lassen sich auf sie reduzieren; und wenn auch die englische Mittelklasse es sich bis jetzt nicht gestehen will, wenn sie dieser großen Frage auch auszuweichen und sich ihre besondem Interessen als die wahrhaft nationalen hinzustellen sucht, so hilft ihr das doch gar 45
Ansicht der Bourgeoisie vom Proletariat 25 nichts. Mit jeder Parlamentssession gewinnt die arbeitende Klasse Terrain, verlieren die Interessen der Mittelklassen an Bedeutung, und obwohl die Mittelklasse die Hauptmacht, ja die einzige Macht des Parlaments ist, so war doch die letzte Session 1844 eine fort- 5 währende Debatte über Arbeiterverhältnisse (die Armenbill, die Fabrikenbill, die Bill über das Verhältnis von Herren und Die¬ nern) und Thomas Duncombe, der Vertreter der Arbeiterklasse im Unterhause, war der große Mann der Session; während die liberale Mittelklasse mit ihrer Motion wegen Abschaffung der io Komgesetze und die radikale Mittelklasse mit ihrem Antrag auf Steuerverweigerung eine jämmerliche Rolle spielten. Selbst die Debatten über Irland waren im Grunde nur Debatten über die Lage des irischen Proletariats und die Mittel, ihm aufzuhelfen. Es ist aber auch hohe Zeit, daß die englische Mittelklasse den iß nicht bittenden, sondern drohenden und fordernden Arbeitern Konzessionen macht, denn in kurzem möchte es zu spät sein. Aber bei alledem will die englische Mittelklasse und nament¬ lich die fabrizierende, die aus der Not der Arbeiter sich direkt bereichert, nichts von dieser Not wissen. Sie, die sich als die mäch- 20 tige, die Nation repräsentierende Klasse fühlt, schämt sich, den wunden Fleck Englands den Augen der Welt bloßzulegen; sie will es sich nicht gestehen, daß die Arbeiter elend sind, weil sie, die besitzende, industrielle Klasse, die moralische Verantwortlichkeit für dieses Elend tragen müßte. Daher das spöttische Gesicht, was 25 die gebildeten Engländer — und nur diese, das heißt die Mittel¬ klasse, kennt man auf dem Kontinent — was die gebildeten Eng¬ länder aufzusetzen pflegen, wenn man von der Lage der Arbeiter zu sprechen anfängt; daher die totale Unwissenheit über alles, was die Arbeiter angeht, bei der ganzen Mittelklasse; daher die lächer- 30 liehen Böcke, die diese Klasse in und außer dem Parlament schießt, wenn die Verhältnisse des Proletariats zur Sprache kom¬ men; daher die lächelnde Sorglosigkeit, in der sie auf einem Bo¬ den lebt, der unter ihren Füßen ausgehöhlt ist und jeden Tag ein¬ stürzen kann, und dessen baldiger Einsturz so sicher ist, wie irgend- 35 ein mathematisches oder mechanisches Gesetz; daher das Wunder, daß die Engländer noch kein einziges vollständiges Buch über die Lage ihrer Arbeiter besitzen, obwohl sie nun schon seit wer weiß wie vielen Jahren daran herum untersuchen und herumflicken. Daher aber auch der tiefe Groll der ganzen Arbeiterklasse von 40 Glasgow bis London gegen die Reichen, von denen sie systema¬ tisch ausgebeutet und dann gefühllos ihrem Schicksal überlassen wird — ein Groll, der über nicht gar zu lange — man kann sie fast berechnen — in einer Revolution ausbrechen muß, gegen die die erste französische und das Jahr 1794 ein Kinderspiel sein wird.
Das industrielle Proletariat Die Reihenfolge, nach der wir die verschiedenen Sektionen des Proletariats zu betrachten haben, ergibt sich von selbst aus der vorhergehenden Geschichte seiner Entstehung. Die ersten Prole¬ tarier gehörten der Industrie an und wurden direkt durch sie 5 erzeugt; die industriellen Arbeiter, diejenigen, die sich mit der Verarbeitung von Rohstoffen beschäftigen, werden also zunächst unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Die Er¬ zeugung des industriellen Materials, der Roh- und Brennstoffe selbst, wurde erst infolge des industriellen Umschwungs bedeu-10 tend, und konnte so ein neues Proletariat hervorbringen: die Arbeiter in den Kohlengruben und Metallberg¬ werken. In dritter Instanz wirkte die Industrie auf den Ackerbau und in vierter auf Irland zurück, und demgemäß ist auch den dahin gehörenden Fraktionen des Proletariats ihre 15 Stelle anzuweisen. Wir werden auch finden, daß, etwa mit Aus¬ nahme der Irländer, der Bildungsgrad der verschiedenen Arbeiter genau im Verhältnis zu ihrem Zusammenhänge mit der Industrie steht, und daß also die industriellen Arbeiter am meisten, die bergbauenden schon weniger, und die ackerbauenden noch fast 20 gar nicht über ihre Interessen aufgeklärt sind. Wir werden selbst unter den industriellen Proletariern diese Reihenfolge wieder¬ finden und sehen, wie die Fabrikarbeiter, diese ältesten Kinder der industriellen Revolution, von Anfang an bis jetzt der Kern der Arbeiterbewegung gewesen sind, und wie die übrigen ganz in dem- 25 selben Maße sich der Bewegung anschlossen, in welchem ihr Hand¬ werk von dem Umschwung der Industrie ergriffen wurde; wir werden so an dem Beispiele Englands, an dem gleichen Schritt, den die Arbeiterbewegung mit der industriellen Bewegung hielt, die geschichtliche Bedeutung der Industrie verstehen lernen. 30 Da aber in diesem Augenblick so ziemlich das ganze indu¬ strielle Proletariat von der Bewegung ergriffen ist und die Lage der einzelnen Sektionen, eben weil sie alle industriell sind, viel Gemeinsames hat, so werden wir dies vorweg durchzunehmen haben, damit wir später jede einzelne Verzweigung desto schärfer 35 in ihrer Eigentümlichkeit betrachten können. 20—21 1892 fast noch gar nicht
Zentralisation des Besitzes und der Bevölkerung 27 Schon oben wurde angedeutet, wie die Industrie den Besitz in den Händen weniger zentralisiert. Sie erfordert große Kapitalien, mit denen sie kolossale Etablissements errichtet und dadurch die kleine, handwerksmäßige Bourgeoisie ruiniert — und mit denen 5 sie sich die Naturkräfte dienstbar macht, um den einzelnen Hand¬ arbeiter aus dem Markte zu schlagen. Die Teilung der Arbeit, die Benutzung der Wasser- und besonders der Dampf kraft und der Mechanismus der Maschinerie — das sind die drei großen Hebel, mit denen die Industrie seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts 10 daran arbeitet, die Welt aus ihren Fugen zu heben. Die kleine Industrie schuf die Mittelklasse, die große schuf die Arbeiter¬ klasse und hob die wenigen Auserwählten der Mittelklasse auf den Thron, aber nur um sie einst desto sicherer zu stürzen. Einstweilen indes ist es ein nicht geleugnetes und leicht erklärbares Faktum, 15 daß die zahlreiche kleine Mittelklasse der „guten alten Zeit“ durch die Industrie zerstört und in reiche Kapitalisten auf der einen und arme Arbeiter auf der andern Seite aufgelöst ist.e) Die zentralisierende Tendenz der Industrie bleibt aber hierbei nicht stehen. Die Bevölkerung wird ebenso zentralisiert wie das 20 Kapital; ganz natürlich, denn in der Industrie wird der Mensch, der Arbeiter, nur als ein Stück Kapital angesehen, dem der Fabri¬ kant dafür, daß es ihm zur Benutzung sich hingibt, Zinsen, unter dem Namen Arbeitslohn erstattet. Das industrielle große Etablis¬ sement erfordert viele Arbeiter, die zusammen in einem Gebäude 25 arbeiten; sie müssen zusammen wohnen, sie bilden schon bei einer mäßigen Fabrik ein Dorf. Sie haben Bedürfnisse, und zur Be¬ friedigung derselben andere Leute nötig; Handwerker, Schneider, Schuster, Bäcker, Maurer und Schreiner ziehen sich hin. Die Be¬ wohner des Dorfs, namentlich die jüngere Generation, gewöhnt 30 sich an die Fabrikarbeit, wird mit ihr vertraut, und wenn die erste Fabrik, wie sich versteht, nicht alle beschäftigen kann, so fällt der Lohn, und die Ansiedlung neuer Fabrikanten ist die Folge davon. So wird aus dem Dorf eine kleine Stadt, aus der kleinen Stadt eine große. Je größer die Stadt, desto größer die Vorteile der An- 35 Siedlung. Man hat Eisenbahnen, Kanäle und Landstraßen; die Auswahl zwischen den erfahrnen Arbeitern wird immer größer; man kann neue Etablissements wegen der Konkurrenz unter den Bauleuten und Maschinen-Fabrikanten, die man gleich bei der Hand hat, billiger anlegen als in einer entferntem Gegend, wohin 40 Bauholz, Maschinerie, Bauleute und Fabrikarbeiter erst transpor- *) Vergl. hierüber meine „Umrisse einer Kritik der Nationalökono¬ mie“ in den deutsch-französischen Jahrbüchern. In diesem Aufsatz wird von der „freien Konkurrenz“ ausgegangen; aber die Industrie ist nur die Praxis der freien Konkurrenz und diese nur das Prinzip der Industrie. 39 1892 entfernten
28 Das industrielle Proletariat tiert werden müssen; man hat einen Markt, eine Börse, an der sich die Käufer drängen; man steht in direkter Verbindung mit den Märkten, die das rohe Material liefern oder die fertige Ware ab¬ nehmen. Daher die wunderbar schnelle Vermehrung der großen Fabrikstädte. — Allerdings hat das platte Land dagegen wieder 5 den Vorteil, daß dort gewöhnlich der Lohn billiger ist; das platte Land und die Fabrikstadt bleiben so in fortwährender Konkurrenz, und wenn heute der Vorteil auf Seite der Stadt ist, so sinkt mor¬ gen draußen der Lohn wieder soviel, daß neue Anlagen auf dem Lande sich vorteilhafter anbringen lassen. Aber dabei bleibt die 10 zentralisierende Tendenz der Industrie doch in voller Kraft, und jede neue Fabrik, die auf dem Lande angelegt wird, trägt den Keim zu einer Fabrikstadt in sich. Wäre es möglich, daß dies tolle Treiben der Industrie noch einhundert Jahre so voranginge, so würde jeder der industriellen Bezirke Englands eine einzige große 15 Fabrikstadt sein, und Manchester und Liverpool bei Warrington oder Newton sich begegnen; denn auch im Handel wirkt diese Zentralisation der Bevölkerung ganz auf dieselbe Weise, und darum monopolisieren ein paar große Häfen wie Liverpool, Bristol, Hüll und London fast ganz den Seehandel des britischen 20 Reichs. Da in diesen großen Städten die Industrie und der Handel am vollständigsten zu ihrer Entwicklung kommen, so treten also auch hier ihre Konsequenzen in Bezug auf das Proletariat am deut¬ lichsten und offensten hervor. Hier ist die Zentralisation des Be- 25 sitzes auf den höchsten Punkt gekommen; hier sind die Sitten und Verhältnisse der guten alten Zeit am gründlichsten vernichtet; hier ist man weit genug gekommen, um sich bei dem Namen Old merry England gar nichts mehr denken zu können, weil man das Old England selbst nicht einmal aus der Erinnerung und 30 den Erzählungen der Großeltern mehr kennt. Daher gibt es hier auch nur eine reiche und eine arme Klasse, denn die kleine Bourgeoisie verschwindet mit jedem Tage mehr. Sie, die stabilste Klasse früher, ist jetzt die beweglichste geworden; sie besteht nur noch aus den wenigen Trümmern einer vergangenen Zeit und 35 einer Anzahl von Leuten, die sich gern ein Vermögen machen wollen, kompletten Industrierittem und Spekulanten, von denen Einer reich wird, wo neunundneunzig Bankerott machen und wo von diesen neunundneunzig mehr als die Hälfte nur vom Banke¬ rottieren leben. 40 Die ungeheure Mehrzahl in diesen Städten bilden aber die Pro¬ letarier, und wie es diesen ergeht, welchen Einfluß die große Stadt auf sie ausübt, werden wir jetzt untersuchen. 19 1892 ein paar Häfen
Die großen Städte So eine Stadt wie London, wo man stundenlang wandern kann, ohne auch nur an den Anfang des Endes zu kommen, ohne dem ge¬ ringsten Zeichen zu begegnen, das auf die Nähe des platten Landes 5 schließen ließe, ist doch ein eigen Ding. Diese kolossale Zentrali¬ sation, diese Anhäufung von dritthalb Millionen Menschen auf einem Punkt hat die Kraft dieser dritthalb Millionen verhundert¬ facht; sie hat London zur kommerziellen Hauptstadt der Welt er¬ hoben, die riesenhaften Docks geschaffen und die Tausende von 10 Schiffen versammelt, die stets die Themse bedecken. Ich kenne nichts Imposanteres als den Anblick, den die Themse darbietet, wenn man von der See nach London-Bridge hinauf fährt. Die Häusermassen, die Werfte auf beiden Seiten, besonders von Wool¬ wich aufwärts, die zahllosen Schiffe an beiden Ufern entlang, die 15 sich immer dichter und dichter zusammenschließen und zuletzt nur einen schmalen Weg in der Mitte des Flusses freilassen, einen Weg, auf dem hundert Dampfschiffe aneinander vorüberschießen — das alles ist so großartig, so massenhaft, daß man gar nicht zur Besinnung kommt, und daß man vor der Größe Englands 20 staunt, noch ehe man englischen Boden betritt.*) Aber die Opfer, die alles das gekostet hat, entdeckt man erst später. Wenn man sich ein paar Tage lang auf dem Pflaster der Hauptstraßen herumgetrieben, sich mit Mühe und Not durch das Menschengewühl, die endlosen Reihen von Wagen und Karren 25 durchgeschlagen, wenn man die „schlechten Viertel“ der Welt¬ stadt besucht hat, dann merkt man erst, daß diese Londoner das beste Teil ihrer Menschheit aufopfern mußten, um alle die Wun¬ der der Zivilisation zu vollbringen, von denen ihre Stadt wimmelt, daß hundert Kräfte, die in ihnen schlummerten, untätig blieben 30 und unterdrückt wurden, damit einige wenige sich voller entwik- keln und durch die Vereinigung mit denen anderer multipliziert werden konnten. Schon das Straßengewühl hat etwas Widerliches, etwas, wogegen sich die menschliche Natur empört. Diese Hundert¬ tausende von allen Klassen und aus allen Ständen, die sich da 35 *) 1892 Das war vor beinahe 50 Jahren, zur Zeit der malerischen Segelschiffe. Diese liegen — soweit noch welche nach London kommen — jetzt in den Docks, die Themse ist bedeckt von rußigen häßlichen Dampfern.
30 Die großen Städte aneinander vorbeidrängen, sind sie nicht Alle Menschen, mit den¬ selben Eigenschaften und Fähigkeiten, und mit demselben Inter¬ esse, glücklich zu werden? und haben sie nicht Alle ihr Glück am Ende doch durch ein und dieselben Mittel und Wege zu erstreben? Und doch rennen sie aneinander vorüber, als ob sie gar nichts ge- s mein, gar nichts miteinander zu tun hätten, und doch ist die ein¬ zige Übereinkunft zwischen ihnen die stillschweigende, daß jeder sich auf der Seite des Trottoirs hält, die ihm rechts liegt, damit die beiden aneinander vorüberschießenden Strömungen des Gedränges sich nicht gegenseitig aufhalten; und doch fällt es keinem ein, die 10 andern auch nur eines Blickes zu würdigen. Die brutale Gleich¬ gültigkeit, die gefühllose Isolierung jedes Einzelnen auf seine Pri¬ vatinteressen tritt um so widerwärtiger und verletzender hervor, je mehr dieser Einzelnen auf den kleinen Raum zusammengedrängt sind; und wenn wir auch wissen, daß diese Isolierung des Einzel- is nen, diese bornierte Selbstsucht überall das Grundprinzip unserer heutigen Gesellschaft ist, so tritt sie doch nirgends so schamlos un¬ verhüllt, so selbstbewußt auf, als gerade hier in dem Gewühl der großen Stadt. Die Auflösung der Menschheit in Monaden, deren jede ein apartes Lebensprinzip und einen aparten Zweck hat, die 20 Welt der Atome ist hier auf ihre höchste Spitze getrieben. Daher kommt es denn auch, daß der soziale Krieg, der Krieg Aller gegen Alle, hier offen erklärt ist. Wie Freund Stimer, sehen die Leute einander nur für brauchbare Subjekte an; Jeder beutet den Andern aus, und es kommt dabei heraus, daß der Stärkere 25 den Schwächeren unter die Füße tritt, und daß die wenigen Star¬ ken, das heißt die Kapitalisten, alles an sich reißen, während den vielen Schwachen, den Armen, kaum das nackte Leben bleibt. Und was von London gilt, das gilt auch von Manchester, Bir¬ mingham und Leeds, das gilt von allen großen Städten. Überall 30 barbarische Gleichgültigkeit, egoistische Härte auf der einen und namenloses Elend auf der andern Seite, überall sozialer Krieg, das Haus jedes Einzelnen im Belagerungszustand, überall gegen¬ seitige Plünderung unter dem Schutz des Gesetzes, und das alles so unverschämt, so offenherzig, daß man vor den Konsequenzen 35 unseres gesellschaftlichen Zustandes, wie sie hier unverhüllt auf- treten, erschrickt und sich über nichts wundert, als darüber, daß das ganze tolle Treiben überhaupt noch zusammenhält. Da in diesem sozialen Kriege das Kapital, der direkte oder in¬ direkte Besitz der Lebensmittel und Produktionsmittel, die Waffe 40 ist, mit der gekämpft wird, so ist es einleuchtend, daß alle Nach¬ teile eines solchen Zustandes auf den Armen fallen. Kein Mensch kümmert sich um ihn; hineingestoßen in den wirren Strudel, muß er sich durchschlagen, so gut er kann. Wenn er so glücklich ist, Arbeit zu bekommen, d. h. wenn die Bourgeoisie ihm die Gnade 45
Sozialer Krieg und universelles Pliinderungssystem 31 antut, sich durch ihn zu bereichern, so wartet seiner ein Lohn, der kaum hinreicht, Leib und Seele zusammenzuhalten; bekommt er keine Arbeit, so kann er stehlen, falls er die Polizei nicht fürchtet, oder verhungern, und die Polizei wird auch hierbei Sorge tragen, 5 daß er auf eine stille, die Bourgeoisie nicht verletzende Weise ver¬ hungert. Während meiner Anwesenheit in England sind wenigstens zwanzig bis dreißig Menschen unter den empörendsten Umständen direkt Hungers gestorben, und bei der Totenschau fand sich sel¬ ten eine Jury, die den Mut hatte, dies geradezu auszusprechen. 10 Die Zeugenaussagen mochten noch so klar, noch so unzweideutig sein — die Bourgeoisie, aus der die Jury gewählt war, fand immer eine Hintertür, durch die sie dem schrecklichen Verdikt: Hungers gestorben, entgehen konnte. Die Bourgeoisie darf in diesen Fäl¬ len die Wahrheit aber nicht sagen, sie spräche ja ihr eigen Urteil 15 aus. Aber auch indirekt sind viele — noch vielmehr als direkt — Hungers gestorben, indem der anhaltende Mangel zureichender Lebensmittel tödliche Krankheiten hervorrief und so seine Opfer hinwegraffte; indem er sie so schwächte, daß gewisse Umstände, die sonst ganz glücklich abgelaufen wären, notwendig schwere 20 Krankheiten und den Tod herbeiführten. Die englischen Arbeiter nennen das sozialen Mord, und klagen die ganze Gesellschaft an, daß sie fortwährend dies Verbrechen begehe. Haben sie Unrecht? Allerdings verhungern immer nur einzelne — aber welche Ga¬ rantie hat der Arbeiter, daß er nicht morgen auch an die Reihe 25 kommt? Wer sichert ihm seine Stellung? Wer leistet ihm Gewähr, daß, wenn er morgen von seinem Brotherrn aus irgend einem Grunde oder Ungrund entlassen wird, er sich mit den Seinigen so lange durchschlägt, bis er einen andern findet, der ihm „Brot gibt66? Wer verbürgt dem Arbeiter, daß der gute Wille zur Arbeit 30 hinreichend ist,* um Arbeit zu bekommen, daß Ehrlichkeit, Fleiß, Sparsamkeit und wie die vielen von der weisen Bourgeoisie ihm empfohlenen Tugenden alle heißen, für ihn wirklich der Weg zum Glücke sind? Niemand. Er weiß, daß er heute etwas hat, und daß es nicht von ihm selbst abhängt, ob er morgen auch noch etwas hat; 35 er weiß, daß jeder Wind, jede Laune des Arbeitgebers, jede schlechte Handelskonjunktur ihn in den wilden Strudel zurück¬ stoßen kann, aus dem er sich temporär gerettet hat, und in dem es schwer, oft unmöglich ist, oben zu bleiben. Er weiß, daß, wenn er heute leben kann, es sehr ungewiß ist, ob er dies auch morgen 40 kann. Gehen wir indes zu einer detaillierteren Untersuchung des Zu¬ standes über, in den der soziale Krieg die besitzlose Klasse ver¬ setzt. Sehen wir, was für Lohn denn eigentlich die Gesellschaft dem Arbeiter für seine Arbeit in Wohnung, Kleidung und Nahrung 45 erstattet, welch eine Existenz sie denen gewährt, die das meiste zur
32 Die großen Städte Existenz der Gesellschaft beitragen; und nehmen wir zuerst die Wohnungen vor. Jede große Stadt hat ein oder mehrere „schlechte Viertel66, in denen sich die arbeitende Klasse zusammendrängt. Oft freilich wohnt die Armut in versteckten Gäßchen dicht neben den Palästen 5 der Reichen; aber im allgemeinen hat man ihr ein apartes Gebiet angewiesen, wo sie, aus den Augen der glücklicheren Klassen ver¬ bannt, sich mit sich selbst durchschlagen mag, so gut es geht. Diese schlechten Viertel sind in England in allen Städten ziemlich egal eingerichtet — die schlechtesten Häuser in der schlechtesten Ge-10 gend der Stadt; meist zweistöckige oder einstöckige Ziegelgebäude in langen Reihen, möglicherweise mit bewohnten Kellerräumen, und fast überall unregelmäßig angelegt. Diese Häuschen von drei bis vier Zimmern und einer Küche werden Cottages genannt und sind in ganz England — einige Teile von London ausgenommen — 15 die allgemeinen Wohnungen der arbeitenden Klasse. Die Straßen selbst sind gewöhnlich ungepflastert, höckerig, schmutzig, voll vege¬ tabilischen und animalischen Abfalls, ohne Abzugskanäle oder Rinnsteine, dafür aber mit stehenden, stinkenden Pfützen ver¬ sehen. Dazu wird die Ventilation durch die schlechte, verworrene 20 Bauart des ganzen Stadtviertels erschwert, und da hier viele Men¬ schen auf einem kleinen Raume leben, so kann man sich leicht vor¬ stellen, welche Luft in diesen Arbeiterbezirken herrscht. Die Stra¬ ßen dienen überdies bei schönem Wetter als Trockenplatz; es wer¬ den von Haus zu Haus Leinen quer herüber gespannt und mit nas- 25 ser Wäsche behangen. Nehmen wir einige dieser schlechten Viertel durch. Da ist zu¬ erst London*\ und in London die berühmte „Rabenheckerei66 (rookery), St.Giles, die jetzt endlich durch ein paar breite Straßen durchbrochen und so vernichtet werden soll. Dies St. Giles 30 liegt mitten im bevölkertsten Teile der Stadt, umgeben von glän¬ zenden, breiten Straßen, in denen die schöne Welt Londons sich herumtreibt — ganz in der Nähe von Oxford-Street und Regent- Street, von Trafalgar Square und dem Strand. Es ist eine unordent¬ liche Masse von hohen, drei- bis vierstöckigen Häusern, mit engen, 35 krummen und schmutzigen Straßen, auf denen wenigstens ebenso viel Leben ist wie auf den Hauptrouten durch die Stadt, nur daß man in St. Giles bloß Leute aus der arbeitenden Klasse sieht. Auf den Straßen wird Markt gehalten, Körbe mit Gemüse und Obst, *> Seitdem ich die nachfolgende Darstellung geschrieben, ist mir ein 40 Artikel über die Arbeiterdistrikte in London im „Illuminated Magazine“ (Oktober 1844) zu Gesicht gekommen, der mit meiner Schilderung — an vielen Stellen fast wörtlich, aber auch sonst der Sache nach überall vollständig übereinstimmt. Er ist überschrieben: The Dwellings of the Poor, from the note-book of an M. D. (Medicinae Doctor). 45
Die schlechten Viertel von London: St. Giles, Whitechapel 33 natürlich alles schlecht und kaum genießbar, verengen die Pas¬ sage noch mehr, und von ihnen wie von den Fleischerladen geht ein abscheulicher Geruch aus. Die Häuser sind bewohnt vom Keller bis hart unters Dach, schmutzig von außen und innen, und sehen 5 aus, daß kein Mensch drin wohnen möchte. Das ist aber noch alles nichts gegen die Wohnungen in den engen Höfen und Gäßchen zwischen den Straßen, in die man durch bedeckte Gänge zwischen den Häusern hineingeht, und in denen der Schmutz und die Bau¬ fälligkeit alle Vorstellung übertrifft — fast keine ganze Fenster- 10 scheibe ist zu sehen, die Mauern bröckelig, die Türpfosten und Fensterrahmen zerbrochen und lose, die Türen von alten Brettern zusammengenagelt oder gar nicht vorhanden — hier in diesem Diebesviertel sogar sind keine Türen nötig, weil nichts zu stehlen ist. Haufen von Schmutz und Asche liegen überall umher, und die 15 vor die Tür geschütteten schmutzigen Flüssigkeiten sammeln sich in stinkenden Pfützen. Hier wohnen die Ärmsten der Armen, die am schlechtesten bezahlten Arbeiter mit Dieben, Gaunern und Opfern der Prostitution bunt durcheinander — die meisten sind Irländer oder Abkömmlinge von Irländern, und diejenigen, die 20 selbst noch nicht in dem Strudel moralischer Verkommenheit, der sie umgibt, untergegangen sind, sinken doch täglich tiefer, ver¬ lieren täglich mehr und mehr die Kraft, den demoralisierenden Einflüssen der Not, des Schmutzes und der schlechten Umgebung zu widerstehen. — 25 Aber St. Giles ist nicht das einzige „schlechte Viertel66 Londons. In dem ungeheuren Straßenknäuel gibt es Hunderte und Tausende verborgener Gassen und Gäßchen, deren Häuser zu schlecht sind für alle, die noch etwas auf menschliche Wohnung verwenden kön¬ nen— oft dicht neben den glänzenden Häusern der Reichen findet 30 man solche Schlupfwinkel der bittersten Armut. So wurde vor kurzem, bei Gelegenheit einer Totenschau, eine Gegend dicht bei Portman Square, einem sehr anständigen öffentlichen Platze, als der Aufenthalt „einer Menge durch Schmutz und Armut demorali¬ sierter Irländer66 bezeichnet. So findet man in Straßen wie Long- 35 Acre usw., die zwar nicht fashionabel, aber doch anständig sind, eine Menge Kellerwohnungen, aus denen kränkliche Kinder¬ gestalten und halbverhungerte, zerlumpte Frauen ans Tageslicht steigen. In der unmittelbaren Nähe des Drury-Lane-Theaters — des zweiten von London — sind einige der schlechtesten Straßen 40 der ganzen Stadt — Ch ar les-, King-und Parker -Streets, deren Häusern ebenfalls von den Kellern an bis unters Dach von lauter armen Familien bewohnt sind. In den Pfarren St. John und St. Margaret in Westminster wohnten 1840 nach dem 42 * 42 1892 Pfarreien Marx-Engels-Geaamtausgabe, I. Abt.« Bd. 4 3
34 Die großen Städte Journal der statistischen Gesellschaft 5366 Arbeiterfamilien in 5294 „Wohnungen46 — wenn sie diesen Namen verdienen —, Män¬ ner, Weiber und Kinder, ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht zusammengeworfen, zusammen 26830 Individuen, und von der obigen Familienzahl hatten drei Viertel nur ein einziges Zimmer. 6 In der aristokratischen Pfarre St. Georg, Hanover Square, wohnten nach derselben Autorität 1465 Arbeiterfamilien, zusam¬ men an 6000 Personen, in gleichen Verhältnissen — auch hier über zwei Drittel der ganzen Anzahl auf je ein Zimmer für die Fa¬ milie zusammengedrängt. Und wie wird die Armut dieser Un- io glücklichen, bei denen selbst Diebe nichts mehr zu finden hoffen, von den besitzenden Klassen auf gesetzlichem Wege ausgebeutet! Die scheußlichen Wohnungen bei Drury-Lane, deren eben erwähnt wurde, bezahlen folgende Mieten: zwei Kellerwohnungen 3 Sh. (1 Tlr.), ein Zimmer parterre 4 Sh., eine Treppe hoch 4^ Sh., zwei Treppen hoch 4 Sh., Dachstuben 3 Sh. wöchentlich — so daß allein die ausgehungerten Bewohner der Charles-Street den Häuser¬ besitzern einen jährlichen Tribut von 2000 Pfd. St. (14000 Tlr.) und die erwähnten 5366 Familien in Westminster eine jährliche Miete von zusammen 40000 Pfd. St. (270000 Tlr.) bezahlen. 20 Der größte Arbeiterbezirk liegt indes östlich vom Tower — in Whitechapel und Bethnal-Green, wo die Hauptmasse der Arbeiter Londons konzentriert ist. Hören wir, was Hr. G. A1 - ston, der Prediger von St.Philip’s, Bethnal-Green, über den Zu¬ stand seiner Pfarre sagt: „Sie enthält 1400 Häuser, die von 25 2795 Familien oder ungefähr 12000 Personen bewohnt werden. Der Raum, auf dem diese große Bevölkerung wohnt, ist weniger als 400 Yards (1200 Fuß) im Quadrat, und bei solch einer Zu- sammendrängung ist es nichts Ungewöhnliches, daß ein Mann, seine Frau, vier bis fünf Kinder und zuweilen noch Großvater und 30 Großmutter in einem einzigen Zimmer von zehn bis zwölf Fuß im Quadrat gefunden werden, worin sie arbeiten, essen und schlafen. Ich glaube, daß, ehe der Bischof von London die öffentliche Auf¬ merksamkeit auf diese höchst arme Pfarre hinlenkte, man da am Westende der Stadt ebensowenig von ihr wußte wie von den 35 Wilden Australiens oder der Südsee-Inseln. Und wenn wir uns einmal mit den Leiden dieser Unglücklichen durch eigne Anschau¬ ung bekannt machen, wenn wir sie bei ihrem kargen Mahle belau¬ schen und sie von Krankheit oder Arbeitslosigkeit gebeugt sehen, so werden wir eine solche Masse von Hilflosigkeit und Elend fin- 40 den, daß eine Nation wie die unsrige über die Möglichkeit dersel¬ ben sich zu schämen hat. Ich war Pfarrer bei Huddersfield wäh¬ rend der drei Jahre, in denen die Fabriken am schlechtesten gin- 6, 26, 84 1892 Pfarrei
Das Innere der Proletarierwohnungen 35 gen; aber ich habe nie eine so gänzliche Hilflosigkeit der Armen gesehen, wie seitdem in Bethnal-Green. Nicht Ein Familienvater aus zehnen in der ganzen Nachbarschaft hat andere Kleider als sein Arbeitszeug, und das ist noch so schlecht und zerlumpt wie 5 möglich; ja viele haben außer diesen Lumpen keine andere Decke während der Nacht, und als Bette nichts als einen Sack mit Stroh und Hobelspänen/6 Wir sehen schon aus der obigen Beschreibung, wie es in diesen Wohnungen selbst auszusehen pflegt. Zum Überfluß wollen wir 10 den englischen Behörden, die zuweilen dahin geraten, noch in einige Proletarierwohnungen folgen. Bei Gelegenheit einer Totenschau, die Hr. Carter, Coroner für Surrey, über die Leiche der 45jährigen Ann Galway am 16. Nov. 1843 abhielt, erzählen die Journale folgendes von der Wohnung 15 der Verstorbenen: Sie hatte in Nr. 3, White-Lion-Court, Bermond¬ sey-Street, London, mit ihrem Mann und ihrem 19jährigen Sohne in einem kleinen Zimmer gewohnt, worin sich weder Bettstelle oder Bettzeug, noch sonstige Möbel befanden. Sie lag tot neben ihrem Sohn auf einem Haufen Federn, die über ihren fast nackten Kör- 20 per gestreut waren, denn es war weder Decke noch Bettuch vor¬ handen. Die Federn klebten so fest an ihr über den ganzen Kör¬ per, daß der Arzt die Leiche nicht untersuchen konnte, bevor sie gereinigt war, und dann fand er sie ganz abgemagert und über und über von Ungeziefer zerbissen. Ein Teil des Fußbodens im 25 Zimmer war aufgerissen, und das Loch wurde von der Familie als Abtritt benutzt. — Montag den 15. Januar 1844 wurden zwei Knaben vor das Poli¬ zeigericht von Worship-Street, London, gebracht, weil sie aus Hun¬ ger einen halbgekochten Kuhfuß von einem Laden gestohlen und 30 sogleich verzehrt hatten. Der Polizeirichter sah sich veranlaßt, wei¬ ter nachzuforschen, und erhielt von den Polizeidienem bald fol¬ gende Aufklärung: Die Mutter dieser Knaben war die Witwe eines alten Soldaten und späteren Polizeidieners, der es seit dem Tode ihres Mannes mit ihren neun Kindern sehr schlecht ergangen war. 35 Sie wohnte Nr. 2, Pool’s Place, Quaker-Street, Spitalfields, im größten Elende. Als der Polizeidiener zu ihr kam, fand er sie mit sechs ihrer Kinder in einem kleinen Hinterstübchen buchstäblich zusammengedrängt, ohne Möbel, ausgenommen zwei alte Binsen¬ stühle ohne Boden, einen kleinen Tisch mit zwei zerbrochenen Bei- 40 nen, eine zerbrochene Tasse und eine kleine Schüssel. Auf dem Herde kaum ein Funken Feuer, und in der Ecke so viel alte Lum¬ pen, als eine Frau in ihre Schürze nehmen konnte, die aber der ganzen Familie zum Bette dienten. Zur Decke hatten sie nichts als ihre ärmliche Kleidung. Die arme Frau erzählte ihm, daß sie vori- 45 ges Jahr ihr Bett habe verkaufen müssen, um Nahrung zu erhalten;
36 Die großen Städte ihre Bettücher habe sie dem Viktualienhändler als Unterpfand für einige Lebensmittel dagelassen, und sie habe überhaupt alles ver¬ kaufen müssen, um nur Brot zu bekommen. — Der Polizeirichter gab der Frau einen beträchtlichen Vorschuß aus der Armenbüchse. Im Februar 1844 wurde eine Witwe von sechzig Jahren, The- s resa Bishop, mit ihrer sechsundzwanzigjährigen kranken Tochter der Wohltätigkeit des Polizeirichters von Marlborough-Street empfohlen. Sie wohnte in Nr. 5, Brown-Street, Grosvenor-Square, in einem kleinen Hinterzimmer, nicht größer als ein Schrank, worin nicht ein einziges Stück Möbel war. In einer Ecke lagen 10 einige Lumpen, auf denen die beiden schliefen; eine Kiste diente als Tisch und Stuhl zugleich. Die Mutter verdiente etwas durch Stubenreinigen; sie hatten, wie der Wirt sagte, seit Mai 1843 in diesem Zustande gelebt, allmählich alles verkauft oder versetzt, was sie noch hatten, und dennoch nie die Miete bezahlt. — Der u Polizeirichter ließ ihnen ein Pfund aus der Armenbüchse zukom¬ men. — Es fällt mir nicht ein, zu behaupten, alle Londoner Arbeiter lebten in einem solchen Elend, wie die obigen drei Familien; ich weiß wohl, daß Zehn es besser haben, wo Einer so ganz und gar 20 von der Gesellschaft mit Füßen getreten wird — aber ich be¬ haupte, daß Tausende von fleißigen und braven Familien, viel braver, viel ehrenwerter als sämtliche Reichen von London, in die¬ ser eines Menschen unwürdigen Lage sich befinden, und daß jeder Proletarier, jeder ohne Ausnahme, ohne seine Schuld und trotz 25 allen seinen Anstrengungen, von gleichem Schicksal getroffen werden kann. — Aber bei alledem sind diejenigen noch glücklich, die nur noch ein Obdach irgend einer Art haben — glücklich gegen die ganz Obdachlosen. In London stehen jeden Morgen fünfzigtausend 30 Menschen auf, ohne zu wissen, wo sie für die nächste Nacht ihr Haupt hinlegen sollen. Die glücklichsten dieser Zahl, denen es ge¬ lingt, am Abend einen oder ein paar Pence zu erübrigen, gehen in ein sogenanntes Logierhaus (lodginghouse), deren es in allen gro¬ ßen Städten eine Menge gibt, und wo sie für ihr Geld ein Unter- 35 kommen finden. Aber welch ein Unterkommen! Das Haus ist von oben bis unten mit Betten angefüllt, vier, fünf, sechs Betten in einer Stube, soviel ihrer hineingehen. In jedes Bett werden vier, fünf, sechs Menschen gestopft, ebenfalls soviel ihrer hineingehen — Kranke und Gesunde, Alte und Junge, Männer und Weiber, 40 Trunkene und Nüchterne, wie es gerade kommt, alles bunt durch¬ einander. Da gibt es denn Streit, Schlägereien und Verwundun¬ gen — und wenn sich die Bettgenossen vertragen, so ist das noch schlimmer, es werden Diebstähle verabredet oder Dinge getrieben, deren Bestialität unsere menschlicher gewordenen Sprachen nicht 45
Obdachlose in den Parks 37 in Worten wiedergeben wollen. — Und diejenigen, die kein sol¬ ches Nachtlager bezahlen können? Nun, die schlafen, wo sie Platz finden, in Passagen, Arkaden, in irgend einem Winkel, wo die Poli¬ zei oder die Eigentümer sie ungestört schlafen lassen; einzelne 5 kommen wohl unter in den Zufluchtshäusem, die hier und dort von der Privatwohltätigkeit errichtet wurden — andere schlafen in den Parks auf den Bänken, dicht unter den Fenstern der Königin Viktoria, — hören wir, was die „Times66 vom Oktober 1843 sagen: „Aus unserm gestrigen Polizeibericht geht hervor, daß eine io Durchschnittsanzahl von fünfzig menschlichen Wesen jede Nacht in den Parks schlafen, ohne anderen Schutz gegen das Wetter als die Bäume und einige Höhlungen in den Dämmen. Die meisten der¬ selben sind junge Mädchen, die von Soldaten verführt, in die Hauptstadt gebracht und in die weite Welt hinausgestoßen sind, 15 hinaus in all die Verlassenheit der Not in einer fremden Stadt, in all die wilde Unbekümmertheit frühreifen Lasters. „Das ist in Wahrheit schrecklich. Arme muß es überall geben. Der Mangel wird überallhin seinen Weg finden und sich mit sei¬ ner ganzen Scheußlichkeit im Herzen einer großen und üppigen 20 Stadt niederlassen. In den tausend engen Gassen und Gäßchen einer volkreichen Metropole muß es immer, fürchten wir, viel Lei¬ den geben, viel, das das Auge beleidigt — viel, das nie ans Tages¬ licht kommt. „Aber daß im Kreise, den sich Reichtum, Fröhlichkeit und 25 Glanz gezogen haben, daß nahe an der königlichen Größe von St. James, hart am strahlenden Palast von Bayswater, wo das alte und das neue aristokratische Viertel sich begegnen, in einer Ge¬ gend, wo das vorsichtige Raffinement moderner Städtebaukunst sich gehütet hat, auch nur die kleinste Hütte für die Armut zu er- 30 richten, in einer Gegend, die den ausschließlichsten Genüssen des Reichtums geweiht zu sein scheint — daß d a Not und Hunger und Krankheit und Laster mit all ihren verwandten Schrecken einherziehen, verzehrend Leib auf Leib, Seele auf Seele! „Es ist in der Tat ein monströser Zustand. Die höchsten Ge- 35 nüsse, welche körperliche Gesundheit, geistige Anregung, unschul¬ digere Sinnenfreuden gewähren können, in unmittelbarer Berüh¬ rung mit dem härtesten Elend! Reichtum, von seinen glänzenden Salons herab lachend, mit brutaler Gedankenlosigkeit lachend bei den ungekannten Wunden des Mangels! Freude, unbewußt aber 40 grausam verhöhnend den Schmerz, der dort unten stöhnt! Alle Gegensätze im Kampf, alle im Widerstreit, nur nicht das Laster, das in Versuchung führt, und das Laster, das sich versuchen läßt Aber alle Menschen mögen deß gedenken: daß in dem 8 1892 sagt:
38 Die großen Städte glänzendsten Bezirk der reichsten Stadt auf dieser Erde, Nacht auf Nacht, Winter auf Winter, Weiber zu finden sind, Weiber — jung an Jahren, alt an Sünden und Leiden, Ausgestoßene der Gesell¬ schaft, verfaulend in Hunger, Schmutz und Krankheit. Mögen sie deß gedenken und lernen, nicht zu theoretisieren, sondern zu han- 5 dein. Gott weiß, es ist viel Raum da zum Handeln heutzutage!“ Ich sprach oben von Zufluchtshäusem für Obdachlose. Wie sehr diese überlaufen sind, mögen uns zwei Beispiele lehren. Ein neuerrichtetes „Refuge of the Houseless“ in Upper Ogle-Street, das jede Nacht 300 Personen beherbergen kann, nahm seit seiner 10 Eröffnung am 27. Januar bis zum 17. März 1844 2740 Personen für eine oder mehrere Nächte auf; und obwohl die Jahreszeit gün¬ stiger wurde, war die Zahl der Applikanten sowohl in diesem als in den Asylen von Whitecross-Street und Wapping stark im Zu¬ nehmen begriffen, und jede Nacht mußten eine Menge Obdachloser is aus Mangel an Raum zurückgewiesen werden. — In einem andern, dem Zentral-Asyl von Playhouse-Yard, wurden in den ersten drei Monaten des Jahres 1844 durchschnittlich jede Nacht 460 Nacht¬ lager gegeben, im ganzen 6681 Personen beherbergt und 96141 Rationen Brot verteilt. Dennoch erklärt das leitende Komitee, daß 20 auch diese Anstalt dem Andrange der Benötigten einigermaßen erst dann genügt habe, als auch das östliche Asyl der Aufnahme von Obdachlosen geöffnet worden sei. Verlassen wir London, um die übrigen großen Städte der drei Reiche der Reihe nach durchzugehen. Nehmen wir zunächst D u - 25 b 1 i n, eine Stadt, deren Einfahrt von der See aus ebenso reizend, wie die von London imposant ist; die Bai von Dublin ist die schönste des ganzen britischen Inselreichs und pflegt von den Ir¬ ländern wohl gar mit der von Neapel verglichen zu werden. Die Stadt selbst hat ebenfalls große Schönheiten, und die aristokrati- 30 sehen Teile derselben sind besser und geschmackvoller angelegt als die irgend einer andern britischen Stadt. Aber dafür gehören auch die ärmeren Bezirke von Dublin zu dem Widerlichsten und Häßlichsten, was man in der Welt sehen kann. Allerdings hat daran der irische Volkscharakter, der sich unter Umständen erst 35 im Schmutz behaglich fühlt, seinen Anteil; aber da wir in jeder großen Stadt Englands und Schottlands auch Tausende von Irlän¬ dern finden und jede arme Bevölkerung allmählich in dieselbe Un¬ reinlichkeit versinken muß, so ist das Elend in Dublin nichts Spe¬ zifisches, nichts der irischen Stadt allein Angehöriges mehr, son- 40 dem Etwas, das allen großen Städten der ganzen Welt gemeinsam ist. — Die armen Distrikte von Dublin sind überaus ausgedehnt, und der Schmutz, die Unbewohnbarkeit der Häuser, die Vemach- 30 2892 Schönheit,
Nachtasyle / Dublin / Edinburgh 39 lässigung der Straßen übersteigen alle Begriffe. Von der Art, wie die Armen hier zusammengedrängt sind, kann man sich eine Vor¬ stellung machen, wenn man hört, daß 1817 nach dem Bericht der Inspektoren des Arbeitshauses in Barrack-Street in 52 Häusern 5 mit 390 Zimmern 1318 Personen, und in Church-Street und der Umgegend in 71 Häusern mit 393 Zimmern 1997 Menschen wohn¬ ten; daß „in diesem und dem anstoßenden Distrikt eine Menge stinkender (foul) Gäßchen und Höfe sind, daß manche Keller ihr Licht nur durch die Türe empfangen, und in mehreren derselben io die Einwohner auf der nackten Erde schlafen, obwohl die Mehr¬ zahl derselben doch wenigstens Bettstellen besitzt — daß aber z. B. Nicholson’s Court in achtundzwanzig kleinen, elenden Stuben 151 Menschen in der größten Not enthält, so daß in dem ganzen Hof nur zwei Bettstellen und zwei Bettdecken zu finden waren.64 15 Die Armut ist so groß in Dublin, daß eine einzige wohltätige An¬ stalt, die der „Mendicity Association66, täglich 2500 Personen, also Ein Prozent der ganzen Bevölkerung — auf nimmt, den Tag über ernährt und abends wieder entläßt. Ein Gleiches erzählt uns Dr. Alison von Edinburgh — 20 wieder einer Stadt, deren prächtige Lage, die ihr den Namen des modernen Athen verschafft hat, und deren glänzendes aristokra¬ tisches Viertel in der Neustadt schroff mit dem stinkenden Elend der Armen in der Altstadt kontrastiert. Alison behauptet, dieser große Stadtteil sei ebenso unflätig und scheußlich wie die schlechte- 25 sten Distrikte von Dublin, und die „Mendicity Association66 würde in Edinburgh eine ebenso große Proportion Notleidender zu unter¬ stützen haben wie in der irischen Hauptstadt; ja er sagt, die Ar¬ men in Schottland, namentlich in Edinburgh und Glasgow, seien schlimmer daran, als in irgend einer andern Gegend des britischen 30 Reichs, und die elendesten seien nicht Irländer, sondern Schotten. Der Prediger der alten Kirche in Edinburgh, Dr. Lee, sagte 1836 vor der Commission of Religious Instruction aus: „Er habe solches Elend wie in seiner Pfarre nirgends zuvor gesehen. Die Leute seien ohne Möbel, ohne alles; häufig wohnten zwei Ehepaare in 35 Einem Zimmer. An Einem Tage sei er in sieben Häusern gewesen, in denen kein Bett — in einigen sogar kein Stroh gewesen sei; *) Zitiert in Dr. W. P. A 1 i s o n, F. R. S. E., fellow and late Presi¬ dent of the Royal College of Physicians etc. etc., Observations on the Management of the Poor in Scotland and its Effects on the Health of 40 Great Towns. Edinburgh 1840. — Der Verfasser ist religiöser Tory und Bruder des Historikers Arch. Alison. 4 irrtümlich Barrall-Street 33 1892 seiner Pfarrei
40 Die großen Städte achtzigjährige Leute hätten auf dem brettemen Boden geschlafen, fast alle brächten die Nacht in ihren Kleidern zu. In einem Keller¬ raum habe er zwei schottische Familien vom Lande gefunden; bald nach ihrer Ankunft in der Stadt seien zwei Kinder gestorben, das dritte sei zur Zeit seines Besuchs im Sterben gewesen — für 5 jede Familie habe ein schmutziger Strohhaufen in einem Winkel gelegen, und obendrein habe der Keller, der so dunkel gewesen sei, daß man bei Tage keinen Menschen darin habe erkennen kön¬ nen, noch einen Esel beherbergt. — Es müsse ein Herz von De¬ mant bluten machen, solches Elend in einem Lande, wie Schott-10 land, zu sehen.“ — Ähnliches berichtet Dr. Hennen im „Edinburgh Medical and Surgical Journal“.—AuseinemParlamentsberichte*) geht hervor, welche Unreinlichkeit — wie unter solchen Umstän¬ den wohl zu erwarten ist — in den Häusern der Edinburgher Ar¬ men herrscht. Auf den Bettpfosten halten Hühner ihr Nachtlager, 15 Hunde und sogar Pferde schlafen mit den Menschen in Einem Zimmer, und die natürliche Folge davon ist, daß ein entsetzlicher Schmutz und Gestank, sowie Heere von Ungeziefer aller Art in die¬ sen Wohnungen existieren. — Die Bauart Edinburghs begünstigt diesen scheußlichen Zustand so viel wie möglich. Die Altstadt ist 20 an beiden Abhängen eines Hügels gebaut, über dessen Rücken die Hochstraße (high-street) läuft. Von dieser aus laufen nach bei¬ den Seiten eine Menge schmaler krummer Gäßchen, von ihren vie¬ len Windungen wynds genannt, den Berg hinab, und diese bilden den proletarischen Stadtteil. Die Häuser der schottischen Städte 25 sind überhaupt hoch, fünf- und sechsstöckig, wie in Paris, und im Gegensatz zu England, wo soviel wie möglich jeder sein apartes Haus hat, von einer großen Anzahl verschiedener Familien be¬ wohnt; die Zusammendrängung vieler Menschen auf einer kleinen Fläche wird hierdurch noch vergrößert. „Diese Straßen,“ sagt ein so englisches Journal in einem Artikel über die Gesundheitsverhält¬ nisse der Arbeiter in Städten**) — „diese Straßen sind oft so eng, daß man aus dem Fenster des einen Hauses in das des gegenüber¬ stehenden steigen kann, und dabei sind die Häuser so hoch Stock auf Stock getürmt, daß das Licht kaum in den Hof oder die Gasse, 35 die dazwischen liegt, hineinzudringen vermag. In diesem Teile der Stadt sind weder Kloaken noch sonstige zu den Häusern ge- *) Report to the Home Secretary from the Poor-Law Commissioners, on an Inquiry into the Sanitäry condition of the labouring Classes of Great Britain. With Appendices. Presented to both Houses of Parliament 40 in July 1842. — 3 vols. in Folio. — Gesammelt und geordnet aus ärzt¬ lichen Berichten von Edwin Chadwick, Sekretär der Armengesetz-Kom¬ mission. **> „The Artisan“, 1843, Oktoberheft. — Eine Monatsschrift.
Liverpool / Bristol / Nottingham 41 hörende Abzüge oder Abtritte; und daher wird aller Unrat, Abfall und Exkremente von wenigstens 50000 Personen jede Nacht in die Rinnsteine geworfen, so daß trotz alles Straßenkehrens eine Masse auf getrockneten Kots und ein stinkender Dunst entsteht, und da- 5 durch nicht nur Auge und Geruch beleidigt, sondern auch die Ge¬ sundheit der Bewohner aufs höchste gefährdet wird. Ist es zu ver¬ wundern, daß in solchen Lokalitäten alle Rücksichten auf Gesund¬ heit, Sitten und selbst den gewöhnlichsten Anstand gänzlich ver¬ nachlässigt werden? Im Gegenteil, alle, die den Zustand der Be- io wohner näher kennen, werden Zeugnis geben, welchen hohen Grad Krankheit, Elend und Demoralisation hier erreicht haben. Die Ge¬ sellschaft ist in diesen Gegenden zu einer unbeschreiblich nie¬ drigen und elenden Stufe herabgesunken. Die Wohnungen der ärmeren Klasse sind im allgemeinen sehr schmutzig und 15 augenscheinlich nie auf irgend eine Weise gereinigt; sie bestehen in den meisten Fällen aus einem einzigen Zimmer, das, bei der schlechtesten Ventilation, dennoch wegen zerbrochener, schlecht passender Fenster kalt ist — zuweilen feucht und teilweise unter der Erde, immer schlecht möbliert und durchaus unwohnlich, so 20 daß ein Strohhaufen oft einer ganzen Familie zum Bette dient, auf dem Männer und Weiber, Junge und Alte in empörender Ver¬ wirrung durcheinander liegen. Wasser ist nur bei den öffentlichen Pumpen zu haben, und die Mühe, mit der es herbeigeholt werden muß, begünstigt natürlich alle möglichen Unflätereien.“ — 25 In anderen großen Hafenstädten sieht es nicht besser aus. Liverpool mit all seinem Handel, Glanz und Reichtum be¬ handelt dennoch seine Arbeiter mit derselben Barbarei. Ein volles Fünftel der Bevölkerung — also über 45000 Menschen, wohnen in engen, dunklen, feuchten und schlecht ventilierten Kellern, 30 deren es 7862 in der Stadt gibt. Dazu kommen noch 2270 Höfe (courts), d. h. kleine Plätze, die nach allen vier Seiten zugebaut sind und nur einen schmalen, meist überwölbten Zugang haben, die also gar keine Ventilation zulassen, meist sehr schmutzig und fast ausschließlich von Proletariern bewohnt sind. Von sol- 35 chen Höfen werden wir mehr zu sprechen haben, wenn wir zu Man¬ chester kommen. In Bristol wurden bei einer Gelegenheit 2800 Arbeiterfamilien besucht, und von diesen hatten sechsundvierzig Prozent nur ein einziges Zimmer. Ganz dasselbe finden wir in den Fabrikstädten. In Notting- 40 ham sind im ganzen 11000 Häuser, von denen zwischen 7000 und 8000 mit der Rückwand aneinander gebaut sind, so daß keine durchgehende Ventilation möglich ist; dazu ist meistens nur ein gemeinsamer Abtritt für mehrere Häuser vorhanden. Bei einer vor kurzem gehaltenen Inspektion fand man viele Reihen Häuser 45 über seichte Abzugsgräben gebaut, die mit nichts weiter als den
42 Die großen Städte Brettern des Fußbodens bedeckt waren. In Leicester, Derby und Sheffield sieht es nicht anders aus. Von Birmingham berichtet der oben zitierte Artikel des „Artisan“: „In den älteren Teilen der Stadt sind viele schlechte Gegenden, schmutzig und vernachlässigt, voll stehender Pfützen und Haufen Abfalls. Die Höfe sind in Bir- 5 mingham sehr zahlreich, über zweitausend, und enthalten die größte Zahl der Arbeiterklasse. Sie sind meist eng, kotig, schlecht ventiliert und mit schlechten Abzügen, enthalten von acht bis zu zwanzig Häusern, die meist nur nach einer Seite hin zu lüften sind, weil sie die Rückwand mit einem andern Gebäude gemein haben, 10 und im Hintergründe des Hofs liegt ziemlich allgemein ein Aschenloch oder dergleichen, dessen Schmutz sich nicht beschrei¬ ben läßt. Es muß indes bemerkt werden, daß die neueren Höfe verständiger angelegt und anständiger gehalten sind; und selbst in den Höfen sind die Cottages viel weniger gedrängt als in Man-15 ehester und Liverpool, weshalb denn auch Birmingham während der Herrschaft epidemischer Krankheiten viel weniger Sterbefälle hatte als z. B. Wolverhampton, Dudley und Bilston, die nur einige Meilen davon liegen. Kellerwohnungen sind in Birmingham eben¬ falls unbekannt, obwohl einige Kellerlokale ungeeigneter Weise 20 zu Werkstätten benutzt werden. Die Logierhäuser für Proletarier sind etwas zahlreich (über 400), hauptsächlich in Höfen im Mit¬ telpunkte der Stadt; sie sind fast alle ekelhaft schmutzig und dumpfig, die Zufluchtsörter von Bettlern, Landstreichern (tram- pers — über die nähere Bedeutung dieses Wortes später), Dieben 25 und Huren, die hier ohne alle Rücksicht auf Anstand oder Kom¬ fort essen, trinken, rauchen und schlafen, in einer nur diesen de¬ gradierten Menschen erträglichen Atmosphäre.“ — Glasgow hat in vieler Beziehung Ähnlichkeit mit Edinburgh — dieselben Wynds, dieselben hohen Häuser. Über diese Stadt 30 bemerkt der „Artisan“: „Die arbeitende Klasse macht hier etwa 78 Prozent der ganzen Bevölkerung (an 300000) aus und wohnt in Stadtteilen, welche in Elend und Scheußlichkeit die niedrigsten Schlupfwinkel von St. Giles und Whitechapel, die Liberties von Dublin, die Wynds von Edinburgh übertreffen. Solche Gegenden 35 gibt es in Menge im Herzen der Stadt — südlich vom Trongate, westlich vom Salzmarkt, im Calton, seitwärts von der Hochstraße usw. — endlose Labyrinthe enger Gassen oder Wynds, in welche fast bei jedem Schritt Höfe oder Sackgassen münden, die von alten, schlecht ventilierten, hochgetürmten, wasserlosen und ver- 40 fallenden Häusern gebildet werden. Diese Häuser sind förmlich vollgedrängt von Einwohnern; sie enthalten drei oder vier Fami¬ lien — vielleicht zwanzig Personen — auf jedem Stockwerke, und zuweilen ist jedes Stockwerk in Schlafstellen vermietet, so daß fünfzehn bis zwanzig Personen in einem einzigen Zimmer auf- 45
Birmingham / Glasgow 43 einander gepackt, wir mögen nicht sagen, untergebracht sind. Diese Distrikte beherbergen die ärmsten, depraviertesten und wertlosesten Mitglieder der Bevölkerung und sind als die Quel¬ len jener furchtbaren Fieberepidemien zu betrachten, die von hier 5 aus Verwüstung über ganz Glasgow verbreiten.“ — Hören wir, wie J. C. S y m o n s, Regierungskommissär bei der Untersuchung über die Lage der Handweber, diese Stadtteile beschreibt : „Ich habe das Elend in einigen seiner schlimmsten Phasen, sowohl hier als auf dem Kontinente, gesehen, aber ehe ich die Wynds von 10 Glasgow besuchte, glaubte ich nicht, daß in irgend einem zivili¬ siertem Lande soviel Verbrechen, Elend und Krankheit existieren könne. In den niedrigeren Logierhäusem schlafen zehn, zwölf, ja zuweilen zwanzig Personen von beiden Geschlechtern und jedem Alter in verschiedenen Abstufungen der Nacktheit auf dem Fuß- 16 boden durcheinander. Diese Wohnstätten sind gewöhnlich (gene- rally) so schmutzig, feucht und verfallen, daß kein Mensch sein Pferd darin unterbringen möchte.“ Und an einer andern Stelle: „Die Wynds von Glasgow enthalten eine fluktuierende Bevölke¬ rung von fünfzehn- bis dreißigtausend Menschen. Dies Viertel be- 20 steht aus lauter engen Gassen und viereckigen Höfen, in deren Mitte jedesmal ein Misthaufen liegt. So empörend das äußere An¬ sehen dieser Orte war, so war ich doch noch wenig vorbereitet auf den Schmutz und das Elend drinnen. In einigen dieser Schlaf¬ stuben, die wir (der Polizeisuperintendent Hauptmann Miller und 26 Symons) bei Nacht besuchten, fanden wir eine vollständige Schicht menschlicher Wesen auf dem Fußboden ausgestreckt, oft fünfzehn bis zwanzig, einige bekleidet, andre nackt, Männer und Weiber durcheinander. Ihr Bett war eine Lage modriges Stroh mit einigen Lumpen vermengt. Wenig oder keine Möbel waren da, und das so einzige, was diesen Löchern etwas wohnlichen Anschein gab, war ein Feuer im Kamin. Diebstahl und Prostitution machen die Haupt¬ erwerbsquellen dieser Bevölkerung aus. Niemand schien sich die Mühe zu geben, diesen Augiasstall, dies Pandämonium, diesen Knäuel von Verbrechen, Schmutz und Pestilenz im Zentrum der 36 zweiten Stadt des Reichs zu fegen. Eine ausgedehnte Besichtigung der niedrigsten Bezirke andrer Städte zeigte mir nie etwas, das halb so schlecht gewesen wäre, weder an Intensität moralischer und physischer Verpestung, noch an verhältnismäßiger Dichtig¬ keit der Bevölkerung. — In diesem Viertel sind die meisten Häuser 40 durch den Court of Guild als verfallen und unbewohnbar bezeich- *) Arts and Artisans at Home and Abroad. By /. C. Symons. Edinb. 1839. — Der Verfasser, wie es scheint, selbst ein Schotte, ist ein Liberaler und folglich fanatisch gegen jede selbständige Arbeiterbewegung ein¬ genommen. Die oben zitierten Stellen finden sich p. 116 u. folg.
44 Die großen Städte net — aber gerade diese sind am meisten bewohnt, weil von ihnen nach dem Gesetz keine Miete gefordert werden kann.“ — Der große Industriebezirk in der Mitte der britischen Insel, der dichtbevölkerte Strich von West-Yorkshire und Süd- Lancashire gibt mit seinen vielen Fabrikstädten den übrigen 5 großen Städten nichts nach. Der Wollenbezirk des West-Riding von Yorkshire ist eine reizende Gegend, ein schönes grünes Hügel¬ land, dessen Erhöhungen nach Westen zu immer steiler werden, bis sie in dem schroffen Kamm von Blackstone Edge — der Was¬ serscheide zwischen dem irischen und deutschen Meere — ihre 10 höchste Spitze erreichen. Die Täler des Aire, an dem Leeds liegt, und des Calder, durch welches die Manchester-Leeds Eisenbahn läuft, gehören zu den anmutigsten Englands und sind überall mit Fabriken, Dörfern und Städten besäet; die bruchsteinemen, grauen Häuser sehen so nett und reinlich aus gegen die geschwärz-15 ten Ziegelgebäude von Lancashire, daß es eine Lust ist. Aber wenn man in die Städte selbst kommt, findet man wenig Erfreuliches. Leeds liegt, wie der „Artisan“ (a. a. 0.) es schildert und wie ich es bestätigt fand, „an einem sanften Abhange, der in das Tal des Aire hinabläuft. Dieser Fluß durchschlängelt die Stadt auf einer 20 Länge von ungefähr anderthalb Meilen *\ und ist während des Tauwetters oder heftiger Regengüsse starken Überschwemmungen ausgesetzt. Die höher gelegenen, westlichen Stadtteile sind für eine so große Stadt reinlich, aber die niedrigeren Gegenden um den Fluß und seine tributären Bäche (becks) sind schmutzig, eng, und 25 schon an und für sich hinreichend, um das Leben der Einwohner — besonders kleiner Kinder — zu verkürzen; hierzu noch ge¬ rechnet den ekelhaften Zustand der Arbeiterbezirke um Kirkgate, March-Lane, Cross-Street und Richmond-Road, der sich hauptsäch¬ lich von ungepflasterten und abflußlosen Straßen, unregelmäßiger 30 Bauart, den vielen Höfen und Sackgassen und der gänzlichen Ab¬ wesenheit auch der gewöhnlichsten Reinlichkeitsmittel herschreibt — das alles zusammengenommen, und wir haben Ursachen genug, um uns die übergroße Sterblichkeit in diesen unglücklichen Re¬ gionen des schmutzigsten Elends zu erklären. — Infolge der Über- 35 schwemmungen des Aire“ (der, wie hinzugefügt werden muß, gleich allen der Industrie dienstbaren Flüssen am einen Ende klar und durchsichtig in die Stadt hinein, und am andern dick, schwarz und stinkend von allem möglichen Unrat wieder herausfließt) „werden die Wohnhäuser und Keller häufig so voll Wasser, daß 40 dies auf die Straße hinausgepumpt werden muß; und zu solchen *) Überall, wo von Meilen ohne nähere Bezeichnung die Rede ist, sind englische Meilen gemeint, deren 6972 auf den Grad des Äquators und also etwa fünf auf die deutsche Meile gehen.
Leeds / Bradford 45 Zeiten steigt das Wasser, selbst wo Kloaken sind, aus denselben in die Keller erzeugt miasmatische, stark mit Schwefelwasser¬ stoffgas vermischte Ausdünstungen und hinterläßt einen ekel¬ haften, der Gesundheit höchst nachteiligen Rückstand. Während 5 der Frühjahrsüberschwemmung von 1839 waren die Wirkungen einer solchen Verstopfung der Kloaken so nachteilig, daß nach dem Bericht des Zivilstandsregistrators in diesem Stadtteil, wäh¬ rend des Quartals auf zwei Geburten drei Todesfälle kamen, wo in demselben Quartal alle andren Stadtteile drei Geburten auf zwei io Todesfälle hatten.66 — „Andre dicht bevölkerte Bezirke sind ohne alle Abzüge oder so schlecht damit versehen, daß sie keinen Vor¬ teil davon haben. In einigen Häuserreihen sind die Keller selten trocken; in andern Bezirken sind mehrere Straßen mit fußtiefem, weichem Kot bedeckt. Die Einwohner haben sich vergebens be- 15 müht, diese Straßen von Zeit zu Zeit mit Schaufeln Asche zu re¬ parieren; aber trotzdem stehen Mistjauche und aus den Häusern weggeschüttetes, schmutziges Wasser in allen Löchern, bis Wind und Sonne es vertrocknet haben66 (vergl. Bericht des Stadtrats im Statistical Journal vol. 2 p. 404). — „Eine gewöhnliche Cottage 20 in Leeds bedeckt nicht mehr Grundfläche als fünf Yards im Quadrat, und besteht gewöhnlich aus einem Keller, einem Wohn¬ zimmer und einer Schlafstube. Diese engen, Tag und Nacht von Menschen gefüllten Wohnungen sind ein anderer, der Sittlichkeit wie dem Gesundheitszustände der Einwohner gefährlicher Punkt.46 25 Und wie sehr diese Wohnungen gedrängt sind, erzählt der oben zitierte Bericht über den Gesundheitszustand der arbeitenden Klasse: „In Leeds fanden wir Brüder und Schwestern, und Kost¬ gänger beider Geschlechter, die dasselbe Schlafzimmer mit den Eltern teilten; daraus entstehen denn Folgen, vor deren Betrach- 30 tung das menschliche Gefühl zurückschaudert.44 Ebenso Bradford, das nur sieben Meilen von Leeds, im Mittelpunkte mehrerer zusammenstoßenden Täler an einem klei¬ nen, pechschwarzen, stinkenden Flusse liegt. Die Stadt bietet an einem schönen Sonntage, denn an Werktagen wird sie von einer 35 grauen Wolke Kohlenrauch verhüllt — von den umliegenden Höfen einen prächtigen Anblick dar; aber drinnen herrscht der¬ selbe Schmutz und dieselbe Unwohnlichkeit wie in Leeds. Die älteren Stadtteile sind an steilen Abhängen eng und unregelmäßig gebaut; in den Gassen, Sackgassen und Höfen liegt Schmutz und 40 Schutt angehäuft; die Häuser sind verfallen, unsauber und un¬ wohnlich, und in der unmittelbaren Nähe des Flusses und der Tal¬ sohle fand ich manche, deren unteres, halb in den Bergabhang *) Man vergesse nicht, daß diese „Keller“ keine Rumpelkammern, sondern Wohnungen für Menschen sind.
46 Die großen Städte hinein vergrabenes Stockwerk ganz imbewohnbar war. Überhaupt sind die Stellen der Talsohle, an denen sich Arbeiterwohnungen zwischen die hohen Fabriken gedrängt haben, die am schlechtesten gebauten und unreinlichsten der ganzen Stadt. In den neueren Gegenden dieser wie jeder andern Fabrikstadt sind die Cottages 5 regelmäßiger, in Reihen angelegt, teilen aber auch hier alle Übel¬ stände, die mit der hergebrachten Art, die Arbeiter unterzubringen, verknüpft sind, und von denen wir bei Gelegenheit von Man¬ chester näher sprechen werden. — Ein Gleiches gilt von den übrigen Städten des West-Riding, namentlich Barns ley, H a-10 lifax und Huddersfield. Letzteres, bei seiner reizenden Lage und modernen Bauart bei weitem die schönste aller Fabrik¬ städte von Yorkshire und Lancashire, hat dennoch auch seine schlechten Bezirke; denn ein von einer Bürgerversammlung zur Besichtigung der Stadt ernanntes Komitee berichtete am 5. Aug. 15 1844: „es sei notorisch, daß in Huddersfield ganze Straßen und viele Gassen und Höfe weder gepflastert noch mit Kloaken oder sonstigen Abzügen versehen seien; daß hier Abfall, Unrat und Schmutz jeder Art auf gehäuft liege, in Gärung und Fäulnis über¬ gehe, und fast überall stehendes Wasser in Pfützen sich ansammle, 20 daß infolgedessen die anschießenden Wohnungen notwendig schlecht und schmutzig seien, so daß an solchen Orten Krankheiten sich erzeugten und die Gesundheit der ganzen Stadt bedrohten.64 Gehen wir über, oder mit der Eisenbahn mitten durch Black- stone-Edge, so kommen wir auf den klassischen Boden, auf dem 25 die englische Industrie ihr Meisterwerk vollbracht hat und von dem alle Bewegungen der Arbeiter ausgehen, nach Südlanca- shire mit seiner Zentralstadt Manchester. Wieder haben wir ein schönes Hügelland, das sich von der Wasserscheide westwärts nach dem irischen Meere zu sanft abdacht, mit den reizenden 30 grünen Tälern des Ribble, Irwell und Mersey und ihrer Neben¬ flüsse; ein Land, das vor hundert Jahren noch zum größten Teile bloßer Sumpf und wenig bevölkert, jetzt mit Städten und Dörfern übersäet und der bevölkertste Landstrich von England ist. In Lan¬ cashire, und namentlich in Manchester, findet die Industrie des 35 britischen Reichs, wie ihren Ausgangspunkt, so ihr Zentrum; die Börse von Manchester ist das Thermometer für alle Schwankungen des industriellen Verkehrs, die moderne Kunst der Fabrikation hat in Manchester ihre Vollendung erreicht. In der Baumwollen-In- dustrie von Süd-Lancashire erscheint die Benutzung der Elemen- 40 tarkräfte, die Verdrängung der Handarbeit durch Maschinerie (besonders im mechanischen Webstuhl und der Self-Actor-Mule) und die Teilung der Arbeit auf ihrer höchsten Spitze, und wenn wir in diesen drei Elementen das Charakteristische der modernen Industrie erkannten, so müssen wir gestehen, daß auch in ihnen 45
Huddersfield / Bolton 47 die Baumwollenverarbeitung allen übrigen Industriezweigen von Anfang an bis jetzt voraus geblieben ist. Zu gleicher Zeit indes mußten hier auch die Folgen der modernen Industrie für die arbei¬ tende Klasse sich am vollständigsten und reinsten entwickeln, und 5 das industrielle Proletariat in seiner vollsten Klassizität zur Er¬ scheinung kommen; die Erniedrigung, in welche der Arbeiter durch die Anwendung von Dampfkraft, Maschinerie und Arbeits¬ teilung versetzt wird, und die Versuche des Proletariats, sich aus dieser entwürdigenden Lage zu erheben, mußten hier ebenfalls auf 10 die höchste Spitze getrieben werden und am klarsten zum Bewußt¬ sein kommen. Deshalb also, weil Manchester der klassische Typus der modernen Industriestadt ist, und dann auch, weil ich es so genau wie meine eigne Vaterstadt — genauer als die meisten Ein¬ wohner — kenne, werden wir uns hier etwas länger aufzuhalten 15 haben. Die Städte um Manchester herum weichen in Beziehung auf die Arbeitsbezirke wenig von der Zentralstadt ab — nur daß in ihnen die Arbeiter womöglich einen noch größeren Teil der Be¬ völkerung bilden als dort. Diese Orte nämlich sind rein industriell 20 und lassen alle kommerziellen Geschäfte in und durch Manchester besorgen; sie hängen in jeder Beziehung von Manchester ab, und sind daher nur von Arbeitern, Fabrikanten und untergeordneten Krämern bewohnt — während Manchester doch noch eine sehr be¬ deutende kommerzielle Bevölkerung, namentlich Kommissions- 25 und angesehene Detailhäuser besitzt. Daher sind Bolton, Pres¬ ton, Wigan, Bury, Rochdale, Middleton, Hey¬ wood, Oldham, Ashton, Stalybridge, Stockport usw. — obwohl fast alles Städte von dreißig-, fünfzig-, siebzig- bis neunzigtausend Einwohnern, fast lauter große Arbeiterviertel, 30 nur von Fabriken und einigen Hauptstraßen, deren Fronten von Läden gebildet werden, unterbrochen, und mit einigen Chaussee¬ zugängen versehen, an denen die Gärten und Häuser der Fabrikan¬ ten wie Villen angebaut sind. Die Städte selbst sind schlecht und unregelmäßig gebaut, mit schmutzigen Höfen, Gassen und Hinter- 35 gäßchen, voll Kohlenrauch, und haben ein besonders unwohnliches Aussehen von dem ursprünglich hochroten, mit der Zeit aber schwarz gerauchten Ziegel, der hier das allgemeine Baumaterial ist. Kellerwohnungen sind hier allgemein; wo es irgend angeht, werden diese unterirdischen Löcher angelegt, und ein sehr be- 40 deutender Teil der Bevölkerung wohnt in ihnen. Zu den schlechtesten dieser Städte gehört nächst Preston und Oldham Bolton, elf Meilen nordwestlich von Manchester ge¬ legen. Es hat, soviel ich bei meiner mehrmaligen Anwesenheit be- 17 1892 Arbeiterbezirke
48 Die großen Städte merken konnte, nur eine und noch dazu ziemlich schmutzige Hauptstraße, Deansgate, die zugleich als Markt dient, und ist bei dem schönsten Wetter immer noch ein finsteres, unansehnliches Loch, trotzdem, daß es außer den Fabriken nur ein- und zwei¬ stöckige niedrige Häuser hat. Wie überall, ist der ältere Teil der s Stadt besonders verfallen und unwohnlich. Ein schwarzes Wasser, von dem man zweifelt, ob es ein Bach oder eine lange Reihe stin¬ kender Pfützen ist, fließt hindurch und trägt das Seinige dazu bei, die ohnehin nicht reine Luft vollends zu verpesten. Da ist ferner Stockport, das zwar auf der Cheshire-Seite 10 des Mersey liegt, aber doch zum industriellen Bezirk von Man¬ chester gehört. Es liegt in einem engen Tal den Mersey entlang, so daß auf der einen Seite die Straße steil bergab und auf der andern eben so steil wieder bergauf führt, und die Eisenbahn von Manchester nach Birmingham auf einem hohen Viadukt über die 15 Stadt und das ganze Tal hinweggeht. Stockport ist im ganzen Be¬ zirk als eins der finstersten und räucherigsten Nester bekannt, und sieht in der Tat, besonders vom Viadukt herab, äußerst unfreund¬ lich aus. Aber noch viel unfreundlicher sehen die Cottages und Kellerwohnungen der Proletarier aus, die in langen Reihen sich 20 durch alle Teile der Stadt, von der Talsohle bis auf die Krone der Hügel hinziehen. Ich erinnere mich nicht, in irgend einer andern Stadt dieses Bezirks verhältnismäßig so viele bewohnte Keller ge¬ sehen zu haben. Wenige Meilen nordöstlich von Stockport liegt A s h t o n - 25 under-Lyne, einer der neuesten Fabrikorte der Gegend. Es liegt am Abhange eines Hügels, an dessen Fuß der Kanal und der Fluß Tarne sich hinziehen, und ist im allgemeinen nach dem neueren, regelmäßigeren System gebaut. Fünf oder sechs lange Parallelstraßen ziehen sich quer den Hügel entlang und werden so rechtwinklig von andern, ins Tal hinabführenden Straßen durch¬ schnitten. Die Fabriken werden durch diese Bauart alle aus der eigentlichen Stadt heraus verdrängt, auch wenn nicht die Nähe des Wassers und der Wasserstraße sie sämtlich unten ins Tal hinab¬ gezogen hätte, wo sie dicht zusammengedrängt stehen und aus 35 ihren Schornsteinen dicken Rauch ergießen. Dadurch bekommt Ashton ein viel freundlicheres Aussehen als die meisten andern Fabrikstädte; die Straßen sind breit und reinlicher, die Cottages sehen neu, frischrot und wohnlich aus. Aber das neue System, Cot¬ tages für die Arbeiter zu bauen, hat auch seine schlechten Seiten; 40 jede Straße hat ihre versteckte Hintergasse, zu der ein enger Seitenweg führt, und die dafür desto schmutziger ist. Und auch in Ashton — obwohl ich kein Gebäude, außer einigen am Eingänge, gesehen habe, das mehr als fünfzig Jahre alt sein könnte — auch in Ashton gibt es Straßen, in denen die Cottages schlecht und alt 45
Stockport / Ashton-under-Lyne / Stalybridge 49 werden, in deren Mauerecken die Ziegel nicht mehr halten wollen und sich verschieben, in denen die Wände rissig werden und den inwendig aufgeweißten Kalk abbröckeln lassen; Straßen, deren unreinliches und schwarzgeräuchertes Aussehen den übrigen 5 Städten des Bezirks nichts nachgibt — nur daß dies in Ashton Ausnahme und nicht Regel ist. Eine Meile weiter östlich liegt Stalybridge, ebenfalls am Tarne. Wenn man von Ashton über den Berg kommt, hat man oben auf der Spitze rechts und links schöne, große Gärten mit villen- 10 artigen, prächtigen Häusern in der Mitte — meist im „elisabethe- ischen“ Stil gebaut, der sich zum gotischen genau so verhält, wie die apostolische römisch-katholische Religion zur protestantisch¬ anglikanischen. Einhundert Schritte weiter, und Stalybridge zeigt sich im Tal — aber ein schroffer Gegensatz gegen die prächtigen 15 Landsitze, schroff sogar noch gegen die bescheidenen Cottages von Ashton! Stalybridge liegt in einer engen, gewundenen Talschlucht, noch viel enger als das Tal bei Stockport, deren beide Abhänge mit einem unordentlichen Gewirre von Cottages, Häusern und Fa¬ briken besetzt sind. Wenn man hineingeht, so sind gleich die ersten 20 Cottages eng, räucherig, alt und verfallen, und wie die ersten Häuser, so die ganze Stadt. Wenige Straßen liegen in der schmalen Talsohle; die meisten laufen kreuz und quer durcheinander, berg¬ auf und bergab, fast in allen Häusern ist wegen dieser abschüs¬ sigen Lage das Erdgeschoß halb in die Erde vergraben, und welche 25 Massen von Höfen, Hintergassen und abgelegenen Winkeln aus dieser konfusen Bauart entstehen, kann man von den Bergen sehen, von denen aus man die Stadt hier und da fast in der Vogelperspek¬ tive unter sich hat. Dazu den entsetzlichen Schmutz gerechnet — und man begreift den widerlichen Eindruck, den Stalybridge trotz 30 seiner hübschen Umgebung macht. Doch genug über diese kleineren Städte. Sie haben alle ihr Apartes, aber im ganzen leben die Arbeiter in ihnen gerade wie in Manchester; darum habe ich auch nur ihre eigentümliche Bauart besonders geschildert, und bemerke nur, daß alle allgemeineren 35 Bemerkungen über den Zustand der Arbeiterwohnungen in Man¬ chester auch auf die umliegenden Städte ihre volle Anwendung finden. Gehen wir nun zur Zentralstadt selbst über. Manchester liegt am Fuße des südlichen Abhangs einer Hügelkette, die sich von Oldham her zwischen die Täler des Irwell 40 und des Medlock drängt, und deren letzte Spitze K e r s a 11 - Moor, die Rennbahn und zugleich der Mons sacer von Man¬ chester, bildet. Das eigentliche Manchester liegt auf dem linken Ufer des Irwell, zwischen diesem Flusse und den beiden klei- 12—13 1892 die protestantisch-anglikanische Religion zur apostolisch-römisch-katholi¬ schen. Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 4
50 Die großen Städte neren, Irk und Medlock, die sich hier in den Irwell ergießen. Auf dem rechten Irwellufer und eingefaßt von einer starken Biegung dieses Flusses, liegt Salford, weiter westlich Pendleton; nörd¬ lich vom Irwell liegen Higher und Lower Broughton, nördlich vom Irk Cheetham H ill; südlich vom Medlock liegt Hulme, 5 weiter östlich Chorlton-on-Medlock, noch weiter, ziem¬ lich im Osten von Manchester, Ardwick. Der ganze Häuser¬ komplex wird im gewöhnlichen Leben Manchester genannt und faßt eher über als unter viermalhunderttausend Menschen. Die Stadt selbst ist eigentümlich gebaut, so daß man jahrelang in ihr 10 wohnen und täglich hinein- und herausgehen kann, ohne je in ein Arbeiterviertel oder nur mit Arbeitern in Berührung zu kommen — so lange man nämlich eben nur seinen Geschäften nach oder spazieren geht. Das kommt aber hauptsächlich daher, daß durch unbewußte, stillschweigende Übereinkunft, wie durch bewußte, 15 ausgesprochene Absicht, die Arbeiterbezirke von den der Mittel¬ klasse überlassenen Stadtteilen aufs schärfste getrennt oder, wo dies nicht geht, mit dem Mantel der Liebe verhüllt werden. Man¬ chester enthält in seinem Zentrum einen ziemlich ausgedehnten kommerziellen Bezirk, etwa eine halbe Meile lang und eben so 20 breit, der fast nur aus Comptoiren und Warenlagern (ware- houses) besteht. Fast der ganze Bezirk ist unbewohnt und während der Nacht einsam und öde — nur wachthabende Polizeidiener streichen mit ihren Blendlaternen durch die engen, dunkeln Gas¬ sen. Diese Gegend wird von einigen Hauptstraßen durchschnitten, 25 auf denen sich der ungeheure Verkehr drängt, und in denen die Erdgeschosse mit brillanten Läden besetzt sind; in diesen Straßen finden sich hier und da bewohnte Oberräume, und hier ist auch bis spät abends ziemlich viel Leben auf der Straße. Mit Ausnahme dieses kommerziellen Distrikts ist das ganze eigentliche Man- 30 ehester, ganz Salford und Hulme, ein bedeutender Teil von Pendleton und Chorlton, zwei Drittel von Ardwick, und einzelne Striche von Cheetham Hill und Broughton — alles lauter Arbeiter¬ bezirk, der sich wie ein durchschnittlich anderthalb Meilen breiter Gürtel um das kommerzielle Viertel zieht. Draußen, jenseits die- 35 ses Gürtels, wohnt die höhere und mittlere Bourgeoisie — die mitt¬ lere in regelmäßigen Straßen in der Nähe der Arbeiterviertel, namentlich in Chorlton und den tiefer liegenden Gegenden von Cheetham Hill, die höhere in den entfernteren villenartigen Gar¬ tenhäusern von Chorlton und Ardwick, oder auf den luftigen 40 Höhen von Cheetham Hill, Broughton und Pendleton — in einer freien, gesunden Landluft, in prächtigen, bequemen Wohnungen, an denen halbstündlich oder viertelstündlich die nach der Stadt fahrenden Omnibusse vorbeikommen. Und das Schönste bei der Sache ist, daß diese reichen Geldaristokraten mitten durch die 45
Manchester: allgemeine Bauart 51 sämtlichen Arbeiterviertel auf dem nächsten Wege nach ihren Ge¬ schäftslokalen in der Mitte der Stadt kommen können, ohne auch nur zu merken, daß sie in die Nähe des schmutzigsten Elends ge¬ raten, das rechts und links zu finden ist. Die Hauptstraßen näm- 5 lieh, die von der Börse nach allen Richtungen aus der Stadt hinaus¬ führen, sind an beiden Seiten mit einer fast ununterbrochenen Reihe von Läden besetzt, und so in den Händen der mittleren und kleineren Bourgeoisie, die schon um ihres Vorteils willen auf an¬ ständigeres und reinliches Aussehen hält und halten kann. Aller- 10 dings haben diese Läden immerhin einige Verwandtschaft mit den Distrikten, die hinter ihnen liegen, sind also im kommerziellen Viertel und der Nähe der Bourgeoisiebezirke eleganter als da, wo sie schmutzige Arbeitercottages verdecken; aber sie sind immerhin hinreichend, um vor den Augen der reichen Herren und Damen 15 mit starkem Magen und schwachen Nerven das Elend und den Schmutz zu verbergen, die das ergänzende Moment zu ihrem Reichtum und Luxus bilden. So ist z. B. Deansgate, das von der alten Kirche in gerader Richtung nach Süden führt, anfangs mit Warenlagern und Fabriken, dann mit Läden zweiten Ranges und 20 einigen Bierhäusern, weiter südlich, wo es das kommerzielle Vier¬ tel verläßt, mit unansehnlicheren Läden, die, je weiter man kommt, desto schmutziger und mehr und mehr von Schenken und Schnaps¬ häusern unterbrochen werden, bebaut, bis am südlichen Ende das Aussehen der Läden keinen Zweifel darüber läßt, daß die Ar- 25 beiter und nur Arbeiter ihre Kunden sind. So Market-Street, von der Börse südöstlich laufend; anfangs brillante Läden ersten Ran¬ ges, und in den höheren Stockwerken Comptoire und Warenlager; weiterhin in der Fortsetzung (Piccadilly) kolossale Hotels und Warenlager; in der weiteren Fortsetzung (London Road) in der 30 Gegend des Medlock Fabriken, Schenken, Läden für niedere Bour¬ geoisie und Arbeiter, dann an Ardwick Green Wohnungen für höhere und mittlere Bourgeoisie, und von da an große Gärten und Landhäuser für die reicheren Fabrikanten und Kaufleute. Auf diese Weise kann man wohl, wenn man Manchester kennt, von den 35 Hauptstraßen aus auf die anschießenden Bezirke schließen, aber man ist sehr selten imstande, von ihnen aus die wirklichen Arbeiterbezirke selbst zu Gesicht zu bekommen. — Ich weiß sehr wohl, daß diese heuchlerische Bauart mehr oder weniger allen großen Städten gemein ist; ich weiß ebenfalls, daß die Detail- 40 händler schon wegen der Natur ihres Geschäfts die großen durch¬ führenden Straßen für sich in Beschlag nehmen müssen; ich weiß, daß man überall an solchen Straßen mehr gute als schlechte Häuser hat, und daß in ihrer Nähe der Grundwert höher ist als in abgelegenen Gegenden; aber ich habe zugleich eine so syste- 45 matische Absperrung der Arbeiterklasse von den Hauptstraßen, 4*
52 Die großen Städte eine so zartfühlende Verhüllung alles dessen, was das Auge und die Nerven der Bourgeoisie beleidigen könnte, nirgends gefunden als in Manchester. Und doch ist gerade Manchester sonst weniger planmäßig oder nach Polizeivorschriften und dagegen mehr durch den Zufall gebaut als irgend eine andre Stadt; und wenn ich die 5 eifrigen Beteuerungen der Mittelklasse, daß es den Arbeitern ganz vortrefflich gehe, dabei erwäge, so will es mich doch dünken, als seien die liberalen Fabrikanten, die „big Wigs“ von Manchester, nicht so ganz unschuldig an dieser schamhaften Bauart. — Ich erwähne noch eben, daß die Fabrikanlagen sich fast alle 10 dem Lauf der drei Flüsse oder der verschiedenen Kanäle, die sich durch die Stadt verzweigen, anschließen, und gehe dann zur Schil¬ derung der Arbeiterbezirke selbst über. Da ist zuerst die Altstadt von Manchester, die zwischen der Nordgrenze des kommerziellen Viertels und dem Irk liegt. Hier sind die Straßen, selbst die bes-15 seren, eng und krumm — wie Todd-Street, Long-Millgate, Withy- Grove und Shude-Hill, — die Häuser schmutzig, alt und baufällig, und die Bauart der Nebenstraßen vollends abscheulich. Wenn man von der alten Kirche in Long-Millgate hineingeht, so hat man gleich rechts eine Reihe altmodischer Häuser, an denen keine ein- 20 zige Frontmauer senkrecht geblieben ist; es sind die Reste des alten, vorindustriellen Manchester, deren frühere Einwohner sich mit ihren Nachkommen in besser gebaute Bezirke gezogen, und die Häuser, die ihnen zu schlecht waren, einer stark mit irischem Blut vermischten Arbeiterrasse überlassen haben. Man ist hier 25 wirklich in einem fast unverhüllten Arbeiterviertel, denn selbst die Läden und Kneipen der Straße nehmen sich nicht die Mühe, etwas reinlich auszusehen. Aber das ist all noch nichts gegen die Gassen und Höfe, die dahinter liegen, und zu denen man nur durch enge, überbaute Zugänge gelangt, in denen keine zwei Men- 30 sehen an einander vorbei können. Von der unordentlichen, aller vernünftigen Baukunst hohnsprechenden Zusammenwürfelung der Häuser, von der Gedrängtheit, mit der sie hier förmlich an¬ einander gepackt sind, kann man sich keine Vorstellung machen. Und es sind nicht nur die aus der alten Zeit Manchesters hinter- 35 lassenen Gebäude, die die Schuld davon tragen; die Verwirrung ist in neuerer Zeit erst auf die Spitze getrieben worden, indem überall, wo die ganze Bauart der früheren Epoche noch ein Fleck¬ chen Raum ließ, später nachgebaut und angeflickt wurde, bis end¬ lich zwischen den Häusern kein Zoll breit Platz blieb, der sich 40 noch hätte verbauen lassen. Zur Bestätigung zeichne ich ein kleines Fleckchen aus dem Plane von Manchester hier ab — es ist nicht das schlimmste Stück und nicht der zehnte Teil der ganzen Alt¬ stadt. 8 Orig, „big Whigs“
Die Altstadt 53 Diese Zeichnung wird hinreichen, um die wahnsinnige Bauart des ganzen Bezirks, namentlich des in der Nähe des Irk, zu cha¬ rakterisieren. DasUfer desIrk ist 5 hier auf der Südseite sehr steil und zwischen fünfzehn und drei¬ ßig Fuß hoch; an diese abschüs¬ sige Bergwand sind meist noch drei Reihen Häuser hingepflanzt, 10 deren niedrigste sich unmittelbar aus dem Flusse erhebt, während die Vorderwand der höchsten auf dem Niveau der Hügelkrone in Long-Millgate steht. Dazwischen stehen noch Fabriken am Flusse 15 — kurz die Bauart ist hier ebenso eng und unordentlich wie im unteren Teil von Long-Millgate. Rechts und links führen eine Menge überbauter Zugänge von der Hauptstraße in die vielen Höfe ab, und wenn man hineingeht, so gerät man in einen Schmutz und eine ekelhafte Unsauberkeit, die ihresgleichen nicht hat — 20 namentlich in den Höfen, die nach dem Irk hinabführen, und die unbedingt die scheußlichsten Wohnungen enthalten, welche mir bis jetzt vorgekommen sind. In einem dieser Höfe steht gleich am Eingänge, wo der bedeckte Gang aufhört, ein Abtritt, der keine Tür hat und so schmutzig ist, daß die Einwohner nur durch eine 25 stagnierende Pfütze von faulem Urin und Exkrementen, die ihn umgibt, in den Hof oder heraus können; es ist der erste Hof am Irk oberhalb Ducie Bridge, wenn jemand Lust haben sollte, nach¬ zusehen; unten am Flusse stehen mehrere Gerbereien, die die ganze Umgegend mit animalischem Verwesungsgeruch erfüllen. 30 In die Höfe unterhalb Ducie Bridge steigt man meist auf engen, schmutzigen Treppen hinab und gelangt nur über Haufen von Schutt und Unrat an die Häuser. Der erste Hof unterhalb Ducie Bridge heißt Allen’s Court, und war zur Cholerazeit in einem solchen Zustande, daß die Gesundheitspolizei ihn ausräumen, 35 fegen und mit Chlor ausräuchem ließ; Dr. Kay gibt in einer Bro¬ schüre eine schreckenerregende Beschreibung von der damaligen Lage dieses Hofes. Seitdem scheint er teilweise abgebrochen und neu erbaut worden zu sein — von Ducie Bridge herab sieht man wenigstens noch mehrere Mauerruinen und hohe Schutthaufen 40 neben einigen Häusern neueren Baues. Die Aussicht von dieser Brücke — zartfühlenderweise von einer mannshohen gemauerten •) The Moral and Physical Condition of the Working Classes, em- ployed in the Cotton Manufacture in Manchester. By James Ph. Kay, Dr. Med. 2nd edit. 1832. — Verwechselt die Arbeiterklasse im allgemei- 46 nen mit der Fabrikarbeiterklasse, sonst vortrefflich. —
54 Die großen Städte Brustwehr den kleineren Sterblichen verhüllt — ist überhaupt charakteristisch für den ganzen Bezirk. In der Tiefe fließt oder vielmehr stagniert der Irk, ein schmaler, pechschwarzer, stinken¬ den Fluß, voll Unrat und Abfall, den er ans rechte, flachere Ufer anspült; bei trocknem Wetter bleibt an diesem Ufer eine lange 3 Reihe der ekelhaftesten schwarzgrünen Schlammpfützen stehen, aus deren Tiefe fortwährend Blasen miasmatischer Gase auf¬ steigen und einen Geruch entwickeln, der selbst oben auf der Brücke, vierzig oder fünfzig Fuß über dem Wasserspiegel, noch unerträglich ist. Der Fluß selbst wird dazu noch alle fingerlang 10 durch hohe Wehre auf gehalten, hinter denen sich der Schlamm und Abfall in dicken Massen absetzt und verfault. Oberhalb der Brücke stehen hohe Gerbereien, weiter hinauf Färbereien, Knochen¬ mühlen und Gaswerke, deren Abflüsse und Abfälle samt und son¬ ders in den Irk wandern, der außerdem noch den Inhalt der an- 25 schießenden Kloaken und Abtritte aufnimmt. Man kann sich also denken, welcher Beschaffenheit die Residuen sind, die der Fluß hinterläßt. Unterhalb der Brücke sieht man in die Schutthaufen, den Unrat, Schmutz und Verfall der Höfe auf dem linken, steilen Ufer; ein Haus steht immer dicht hinter dem andern, und wegen 20 der Steigerung des Ufers sieht man von jedem ein Stück — alle schwarzgeraucht, bröckelig, alt, mit zerbrochnen Fensterscheiben und Fensterrahmen. Den Hintergrund bilden kasernenartige, alte Fabrikgebäude. — Auf dem rechten, flacheren Ufer steht eine lange Reihe Häuser und Fabriken — gleich das zweite Haus ist 25 eine Ruine ohne Dach, mit Schutt angefüllt, und das dritte steht so niedrig, daß das unterste Stockwerk imbewohnbar und infolge¬ dessen ohne Fenster und Türen ist. Den Hintergrund bildet hier der Armenkirchhof, die Bahnhöfe der Liverpooler und Leedser Eisenbahnen, und dahinter das Arbeitshaus, die „Armengesetz- 30 Bastille“ von Manchester, das wie eine Zitadelle von einem Hügel hinter hohen Mauern und Zinnen drohend auf das gegenüber¬ liegende Arbeiterviertel herabschaut. Oberhalb Ducie Bridge wird das linke Ufer flacher und das rechte dagegen steiler, der Zustand der Wohnungen auf beiden 35 Seiten des Irk indessen eher schlimmer als besser. Wenn man hier von der Hauptstraße — noch immer Long-Millgate — links ab¬ geht, so ist man verloren; man gerät aus einem Hof in den andern, das geht um lauter Ecken, durch lauter enge, schmutzige Winkel und Gänge, bis man nach wenig Minuten alle Richtung verloren 40 hat und gar nicht mehr weiß, wohin man sich wenden soll. Überall halb oder ganz verfallene Gebäude — einzelne sind wirklich un¬ bewohnt, und das will hier viel heißen — in den Häusern selten ein brettemer oder steinerner Fußboden, dagegen fast immer zer¬ brochene, schlecht passende Fenster und Türen, und ein Schmutz! 45
Die Altstadt 55 — Schutthaufen, Abfall und Unflat überall; stehende Pfützen statt der Rinnsteine, und ein Geruch, der es allein jedem einiger¬ maßen zivilisierten Menschen unerträglich machen würde, in einem solchen Distrikt zu wohnen. Die neuerbaute Verlängerung 5 der Leedser Eisenbahn, welche hier den Irk überschreitet, hat einen Teil dieser Höfe und Gäßchen weggefegt, dagegen andre wieder erst recht dem Blicke offen gelegt. So ist immittelbar unter¬ halb der Eisenbahnbrücke ein Hof, der an Schmutz und Scheu߬ lichkeit alle andern weit übertrifft, eben weil er bisher so abge- 10 schlossen, so zurückgezogen war, daß man nur mit Mühe hinein gelangen konnte; ich selbst hätte ihn ohne die durch den Eisen¬ bahnviadukt geschaffne Lücke nie gefunden, obwohl ich diese ganze Gegend genau zu kennen glaubte. Man gelangt über ein holpriges Ufer, zwischen Pfählen und Waschleinen hindurch in 15 dies Chaos kleiner, einstöckiger und einstubiger Hütten, von denen die meisten ohne allen künstlichen Fußboden sind — Küche, Wohn- und Schlafzimmer, alles vereinigt. In einem solchen Loche, das kaum sechs Fuß lang und fünf breit war, sah ich zwei Betten — und was für Bettstellen und Betten — die nebst einer Treppe 20 und einem Herd gerade hinreichten, um das ganze Zimmer zu füllen. In mehreren andern sah ich gar nichts, obwohl die Tür weit offen stand und die Einwohner an ihr lehnten. Vor den Türen überall Schutt und Unrat; daß eine Art von Pflaster dar¬ unter sei, war nicht zu sehen, sondern bloß hie und da mit den 25 Füßen herauszufühlen. Der ganze Haufen menschenbewohnter Viehställe war auf zwei Seiten von Häusern und einer Fabrik, auf der dritten vom Fluß begrenzt, und außer dem schmalen Ufersteig führte nur noch ein enger Torweg hinaus — in ein andres, fast ebenso schlecht gebautes und gehaltenes Labyrinth von Woh- 30 nungen. Genug davon! In dieser Weise ist die ganze Irkseite bebaut, ein planlos zusammengewürfeltes Chaos von Häusern, die der Un¬ bewohnbarkeit mehr oder weniger nahe stehen, und deren unrein¬ liches Innere der unflätigen Umgebung vollkommen entspricht. 35 Wie sollen die Leute auch reinlich sein! Nicht einmal für die Be¬ friedigung der allernatürlichsten und alltäglichsten Bedürfnisse gibt es geeignete Gelegenheit. Die Abtritte sind hier so rar, daß sie entweder alle Tage voll werden oder den meisten zu entlegen sind. Wie sollten sich die Leute waschen, wo sie nur das schmutzige 40 Irkwasser nahebei haben, und Wasserleitungen und Pumpen erst in honetten Stadtteilen vorkommen! Wahrhaftig, man kann es diesen Heloten der modernen Gesellschaft nicht zurechnen, wenn ihre Wohnungen nicht reinlicher sind als die Schweineställe, die hier und da mitten dazwischen stehen! Schämen sich doch die Haus- 45 besitzer nicht, Wohnungen zu vermieten, wie die sechs oder sieben
56 Die großen Städte Keller am Kai, gleich unterhalb Scotland Bridge, deren Fu߬ boden mindestens zwei Fuß unter dem Wasserspiegel — bei nie¬ drigem Wasser — des nicht sechs Fuß davon fließenden Irk liegt — oder wie das obere Stock im Eckhaus auf dem entgegengesetz¬ ten Ufer gleich oberhalb der Brücke, dessen Erdgeschoß unbe- s wohnbar, ohne alle Ausfüllung für Tür- und Fensterlöcher — doch das ist ja ein Fall, der in dieser ganzen Gegend nicht selten vor¬ kommt, wobei dann gewöhnlich dies offene untere Stockwerk von der ganzen Nachbarschaft aus Mangel an andern Lokalitäten als Abtritt benutzt wird! 10 Verlassen wir den Irk, tun auf der entgegengesetzten Seite von Long-Millgate wieder in die Mitte der Arbeiterwohnungen zu drin¬ gen, so kommen wir in ein etwas neueres Viertel, das sich von der St. Michaelis Kirche bis Withy-Grove und Shude-Hill erstreckt. Hier ist wenigstens etwas mehr Ordnung; statt der chaotischen is Bauart finden wir hier wenigstens lange, gerade Gassen und Sack¬ gassen oder absichtlich gebaute, meist viereckige Höfe; aber wenn früher jedes einzelne Haus, so ist hier wenigstens jede Gasse und jeder Hof willkürlich und ohne alle Rücksicht auf die Lage der übrigen angebaut. Bald läuft eine Gasse in dieser, bald in jener 20 Richtung, alle fingerlang gerät man in einen Sack oder um eine zugebaute Ecke, die gerade wieder dahin führt, von wo man aus¬ gegangen ist — wer nicht in diesem Labyrinth eine gute Zeitlang gewohnt hat, findet sich gewiß nicht hindurch. Die Ventilation der Straßen — wenn ich das Wort von diesem Distrikt gebrauchen darf 25 — und Höfe wird dadurch ebenso unvollkommen, wie die der Irkgegend — und wenn dennoch dieser Bezirk etwas vor dem Irk- tale voraus haben sollte — die Häuser sind allerdings neuer, die Straßen haben wenigstens zuweilen Rinnsteine — so hat er da¬ gegen auch wieder fast unter jedem Hause eine Kellerwohnung, 30 was sich im Irktale eben wegen des größeren Alters und der nach¬ lässigeren Bauart der Häuser selten findet. Im übrigen ist der Schmutz, die Schutt- und Aschenhaufen, die Pfützen auf den Stra¬ ßen beiden Vierteln gemeinsam, und in dem Distrikt, von dem wir jetzt reden, finden wir außerdem noch einen andern Umstand, der 35 für die Reinlichkeit der Einwohner sehr nachteilig ist, nämlich die Masse Schweine, die hier überall auf den Gassen umherspazie¬ ren, den Unrat durchschnüffeln oder in den Höfen in kleinen Stäl¬ len eingesperrt sind. Die Schweinemäster mieten sich hier, wie in den meisten Arbeitsbezirken von Manchester, die Höfe und setzen 40 Schweineställe hinein; fast in jedem Hofe ist ein solcher abge¬ sperrter Winkel oder gar mehrere, in welche die Bewohner des Hofs allen Abfall und Unrat hineinwerfen — dabei werden die Schweine fett, und die ohnehin in diesen nach allen vier Seiten verbauten Höfen eingesperrte Luft vollends schlecht von den ver- 43
Die Altstadt 57 wesenden vegetabilischen und animalischen Stoffen. Man hat durch diesen Bezirk eine breite, ziemlich honette Straße — Mil¬ lers-Street — gebrochen und den Hintergrund mit ziemlichem Er¬ folge verdeckt; wenn man sich aber von der Neugier in einen der 5 zahlreichen Gänge, die in die Höfe führen, verleiten läßt, so kann man diese buchstäbliche Schweinerei alle zwanzig Schritt wieder¬ holt sehen. Das ist die Altstadt von Manchester — und wenn ich meine Schilderung noch einmal durchlese, so muß ich bekennen, daß sie, 10 statt übertrieben zu sein, noch lange nicht grell genug ist, um den Schmutz, die Verkommenheit und Unwohnlichkeit, die allen Rück¬ sichten auf Reinlichkeit, Ventilation und Gesundheit hohnspre¬ chende Bauart dieses mindestens zwanzig- bis dreißigtausend Ein¬ wohner fassenden Bezirks anschaulich zu machen. Und ein solches 15 Viertel existiert im Zentrum der zweiten Stadt Englands, der ersten Fabrikstadt der Welt! Wenn man sehen will, wie wenig Raum der Mensch zum Bewegen, wie wenig Luft — und welche Luft! — er zum Atmen im Notfall zu haben braucht, mit wie wenig Zivilisation er existieren kann, dann hat man nur hieher 20 zu kommen. Es ist freilich die Altstadt — und darauf berufen sich die Leute hier, wenn man ihnen von dem scheußlichen Zu¬ stande dieser Hölle auf Erden spricht — aber was will das sagen? Alles, was unsren Abscheu und unsre Indignation hier am heftigsten erregt, ist neueren Ursprungs, gehört der industriel- 25 len Epoche an. Die paar hundert Häuser, die dem alten Man¬ chester angehören, sind von ihren ursprünglichen Bewohnern längst verlassen; nur die Industrie hat sie mit den Scharen von Arbeitern vollgepfropft, die jetzt in ihnen beherbergt werden; nur die Industrie hat jedes Fleckchen zwischen diesen alten Häusern zo verbaut, um Obdach zu gewinnen für die Massen, die sie sich aus den Ackerbaugegenden und aus Irland verschrieb; nur die Indu¬ strie gestattet es den Besitzern dieser Viehställe, sie an Menschen für hohe Miete zur Wohnung zu überlassen, die Armut der Arbei¬ ter auszubeuten, die Gesundheit von Tausenden zu untergraben, 35 damit nur sie sich bereichern; nur die Industrie hat es möglich gemacht, daß der kaum aus der Leibeigenschaft befreite Arbeiter wieder als ein bloßes Material, als Sache gebraucht werden konnte, daß er sich in eine Wohnung sperren lassen muß, die jedem andern zu schlecht, und die er mm für sein teures Geld das Recht 40 hat, vollends verfallen zu lassen. Das hat nur die Industrie getan, die ohne diese Arbeiter, ohne die Armut und Knechtschaft dieser Arbeiter nicht hätte leben können. Es ist wahr, die ursprüngliche Anlage dieses Viertels war schlecht, man konnte nicht viel Gutes daraus machen — aber haben die Grundbesitzer, hat die Verwal- 45 tung etwas getan, um das beim Nachbau zu verbessern? Im Gegen-
58 Die großen Städte teil, wo noch ein Winkelchen frei war, ist ein Haus hingesetzt, wo noch ein überflüssiger Ausgang, ist er zugebaut worden; der Grundwert stieg mit dem Aufblühen der Industrie, und je mehr er stieg, desto toller wurde darauf los gebaut, ohne Rücksicht auf die Gesundheit und Bequemlichkeit der Einwohner — es ist keine 5 Baracke so schlecht, es findet sich immer ein Ar¬ mer, der keine bessere bezahlen kann — nur mit Rücksicht auf den größtmöglichen Gewinn. Doch es ist einmal die Altstadt, und damit beruhigt sich die Bourgeoisie; sehen wir denn, wie die Neustadt (the new town) sich anläßt. 10 Die Neustadt, auch die Irische Stadt (the Irish Town) ge¬ nannt, zieht sich jenseits der Altstadt einen Lehmhügel zwischen dem Irk und St. George’s Road hinauf. Hier hört alles städtische Aussehen auf; einzelne Reihen Häuser oder Straßenkomplexe ste¬ hen wie kleine Dörfer hier und da auf dem nackten, nicht einmal 15 mit Gras bewachsenen Lehmboden; die Häuser oder vielmehr Cot¬ tages sind in schlechtem Zustande, nie repariert, schmutzig, mit feuchten und unreinen Kellerwohnungen versehen; die Gassen sind weder gepflastert, noch haben sie Abzüge, dagegen zahlreiche Ko¬ lonien von Schweinen, die in kleinen Höfen und Ställen abgesperrt 20 sind oder ungeniert an der Halde spazieren gehen. Der Kot auf den Wegen ist hier so groß, daß man nur bei äußerst trocknem Wetter Aussicht hat, durchzukommen, ohne bei jedem Schritt bis über die Knöchel zu versinken. In der Nähe von St. George’s Road schließen sich die einzelnen bebauten Flecken dichter aneinander, 25 man gerät in eine fortlaufende Reihe Gassen, Sackgassen, Hinter¬ gassen und Höfe, die je gedrängter und unordentlicher werden, je näher man dem Zentrum der Stadt kommt. Dafür sind sie freilich auch öfter gepflastert oder wenigstens mit gepflasterten Fußwegen und Rinnsteinen versehen; der Schmutz, die schlechte Beschaffen- 30 heit der Häuser, und besonders der Keller bleibt aber derselbe. Es wird am Orte sein, hier einige allgemeine Bemerkungen über die in Manchester übliche Bauart der Arbeiterviertel zu ma¬ chen. Wir haben gesehen, wie in der Altstadt meist der reine Zu¬ fall über die Gruppierung der Häuser verfügte. Jedes Haus ist 35 ohne Rücksicht auf die übrigen gebaut, und die winkligen Zwi¬ schenräume der einzelnen Wohnungen werden in Ermangelung eines andern Namens Höfe (courts) genannt. In den etwas neueren Teilen desselben Viertels und in andren Arbeitsvierteln, die aus den ersten Zeiten der aufblühenden Industrie herrühren, finden 40 wir ein etwas planmäßigeres Arrangement. Der Zwischenraum zwischen zwei Straßen wird in regelmäßigere, meist viereckige Höfe geteilt, etwa so: 39 1892 Arbeitervierteln
Die Neustadt / Bauart der Arbeiterviertel 59 Strasse Strasse die von vornherein so angelegt wurden und zu denen verdeckte Gänge von den Straßen führen. Wenn die ganz planlose Bauart der Gesundheit der Bewohner durch Verhinderung der Ventila¬ tion schon sehr nachteilig war, so ist es diese Art, die Arbeiter in 5 Höfe einzusperren, die nach allen Seiten von Gebäuden umschlos¬ sen sind, noch viel mehr. Die Luft kann hier platterdings nicht heraus; die Schornsteine der Häuser selbst sind, solange Feuer angehalten wird, die einzigen Abzüge für die eingesperrte Luft des Hofes.*) ** Dazu kommt noch, daß die Häuser um solche Höfe 10 meist doppelt, je zwei mit der Rückwand zusammengebaut sind, und schon das ist hinreichend, um alle gute, durchgehende Venti¬ lation zu verhindern. Und da die Straßenpolizei sich nicht um den Zustand dieser Höfe bekümmert, da alles ruhig liegen bleibt, was hineingeworfen wird, so darf man sich nicht über den Schmutz io und die Haufen von Asche und Unrat wundern, die man hier fin¬ det. Bin ich doch in Höfen gewesen — sie liegen an Millers- Street — die mindestens einen halben Fuß tiefer lagen als die Hauptstraße, und die auch nicht den mindesten Abfluß für das bei Regenwetter sich in ihnen ansammelnde Wasser hatten! — In spä- 20 terer Zeit hat man eine andre Bauart angefangen, die jetzt die all¬ gemeine ist. Die Arbeitercottages werden jetzt nämlich fast nie einzeln, sondern immer dutzend-, ja schockweise gebaut — ein einziger Unternehmer baut gleich eine oder ein paar Straßen. Diese werden dann auf folgende Weise angelegt: Die eine Front 25 — vergl. die Zeichnung unten — bilden Cottages ersten Ranges, die so glücklich sind, eine Hintertür und einen kleinen Hof zu besit¬ zen, und die die höchste Miete bringen. Hinter den Hofmauem dieser Cottages ist eine schmale Gasse, die Hintergasse (back- street), die an beiden Enden zugebaut ist, und in die entweder ein so schmaler Weg oder ein bedeckter Gang von der Seite her führt. Die Cottages, die auf diese Gasse führen, bezahlen am wenigsten *) Und doch behauptet einmal ein weiser englischer Liberaler — im Bericht der Children’s Empl. Comm. — diese Höfe seien das Meisterstück der Städtebaukunst, weil sie, gleich einer Anzahl kleiner öffentlicher 35 Plätze, die Ventilation und den Luftzug verbesserten! Freilich, wenn jeder Hof zwei oder vier breite, oben offene, gegenüberstehende Zugänge hätte, wodurch die Luft streichen könnte — aber sie haben nie zwei, sehr selten einen, und fast alle nur schmale, überbaute Einlässe. 38 1892 selten einen offnen, und
60 Die großen Städte Miete und sind überhaupt am meisten vernachlässigt. Sie haben die Rückwand gemeinsam mit der dritten Reihe Cottages, die nach der entgegengesetzten Seite hin auf die Straße gehen und weniger Miete als die erste, dagegen mehr als die zweite Reihe tragen. Die Anlage der Straßen ist also etwa so: s Durch diese Bauart wird zwar für die erste Reihe Cottages eine ziemlich gute Ventilation gewonnen, und die der dritten Reihe wenigstens nicht gegen die der entsprechenden in der früheren Bauart verschlechtert; dagegen ist die Mittelreihe mindestens eben so schlecht ventiliert, wie die Häuser in den Höfen, und die 10 Hintergasse selbst stets in demselben schmutzigen und unansehn¬ lichen Zustande wie jene. Die Unternehmer ziehen diese Bauart vor, weil sie ihnen Raum spart und Gelegenheit gibt, die besser bezahlten Arbeiter durch höhere Miete in den Cottages der ersten und dritten Reihe desto erfolgreicher auszubeuten. — Diese dreier- lei Formen des Cottagebaues findet man in ganz Manchester, ja in ganz Lancashire und Yorkshire wieder, oft vermengt, aber meist hinreichend geschieden, um hieraus schon auf das verhältnis¬ mäßige Alter der einzelnen Stadtteile schließen zu können. Das dritte System, das der Hintergassen, ist das in dem großen Ar- 20 beiterbezirk östlich von St. George’s Road, zu beiden Seiten von Oldham-Road und Great Ancoats-Street, entschieden vorherr¬ schende und findet sich auch in den übrigen Arbeiterbezirken von Manchester und seinen Vorstädten am häufigsten. In dem erwähnten großen Bezirk, den man unter dem Namen 25 Ancoats begreift, sind die meisten und größten Fabriken von Man¬ chester an den Kanälen angelegt — kolossale sechs- bis sieben¬ stöckige Gebäude, die mit ihren schlanken Rauchfängen hoch über die niedrigen Arbeitercottages emporragen. Die Bevölkerung des Bezirks sind daher hauptsächlich Fabrikarbeiter und in den 30 schlechtesten Straßen Handweber. Die Straßen, die dem Zentrum der Stadt am nächsten liegen, sind die ältesten und daher die schlechtesten, doch sind sie gepflastert und mit Abzügen versehen; ich rechne hierzu die nächsten Parallelstraßen von Oldham-Road und Great Ancoats-Street. Weiterhin nach Nordosten findet man 35 manche neugebaute Straße; hier sehen die Cottages nett und rein¬ lich aus, die Türen und Fenster sind neu und frisch angestrichen, Dritte Reihe Cottages Mittelreihe — Erste Reihe mit Höfen
Höfe und Hintergassen 61 die inneren Räume rein geweißt; die Straßen selbst sind luftiger, die leeren Bauplätze zwischen ihnen größer und häufiger. Aber das läßt sich nur von der kleineren Zahl der Wohnungen sagen; dazu kommt dann noch, daß Kellerwohnungen fast unter jeder Cot- 6 tage eingerichtet, daß viele Straßen ungepflastert und ohne Abzüge sind, und vor allem, daß dieses nette Aussehen doch nur Schein ist, Schein, der nach den ersten zehn Jahren schon verschwunden ist. Die Bauart der einzelnen Cottages selbst ist nämlich nicht weniger verwerflich als die Anlage der Straßen. Solche Cottages sehen alle 10 anfangs nett und solide aus, die massiven Ziegelmauem bestechen das Auge, und wenn man durch eine neugebaute Arbeiter¬ straße geht, ohne sich um die Hintergassen oder die Bauart der Häuser selbst näher zu bekümmern, so stimmt man in die Behaup¬ tung der liberalen Fabrikanten ein, daß nirgends die Arbeiter so io gut wohnen wie in England. Aber wenn man näher zusieht, so findet man, daß die Mauern dieser Cottages so dünn sind wie es nur möglich ist, sie zu machen. Die äußeren Mauern, die das Kellerstockwerk, das Erdgeschoß und das Dach tragen, sind höch¬ stens einen ganzen Ziegel dick — so daß in jeder wagerechten 20 Schicht die_Ziegel mit der langen Seite aneinander gefugt wer¬ den (IT Illi); ich habe aber manche Cottage von derselben Höhe — einige sogar noch im Bau — gesehen, bei denen die äußern Mauern nur einen halben Ziegel dick waren, und die Zie¬ gel also nicht der Breite, sondern der Länge nach gelegt waren, so 25 daß sie mit der schmalen Seite aneinander stießen (i—i~i—ro). Dies geschieht teilweise, um Material zu sparen, teilweise aber auch, weil die Bauunternehmer nie die Eigentümer des Bodens sind, sondern ihn nach englischer Sitte nur auf zwanzig, dreißig, vierzig, fünfzig oder neunundneunzig Jahre gemietet haben, nach 30 welcher Zeit er mit allem, was darauf ist, dem ursprünglichen Be¬ sitzer wieder zufällt, ohne daß dieser für gemachte Anlagen etwas zu vergüten hätte. Die Anlagen werden also vom Pächter darauf berechnet, daß sie nach Ablauf der kontraktlichen Zeit so wertlos wie möglich sind; und da solche Cottages oft nur zwanzig oder 35 dreißig Jahre vor diesem Zeitpunkte errichtet werden, so ist es leicht zu begreifen, daß die Unternehmer nicht zuviel darauf ver¬ wenden werden. Dazu kommt noch, daß diese Unternehmer, meist Maurer und Zimmerleute oder Fabrikanten, teils um den Miet¬ ertrag nicht zu verringern, teils wegen herannahenden Rückfalls 40 des Bauplatzes, wenig oder gar nichts auf Reparaturen verwenden, daß wegen Handelskrisen und der darauf folgenden Brotlosigkeit oft ganze Straßen leer stehen, und daß infolge hiervon die Cotta¬ ges sehr rasch verfallen und in unbewohnbaren Zustand geraten. Man rechnet wirklich allgemein, daß Arbeiterwohnungen durch- 45 schnittlich nur vierzig Jahre bewohnbar bleiben; das klingt wun¬
62 Die großen Städte derbar genug, wenn man die schönen, massiven Mauern neuerbau¬ ter Cottages dabei sieht, die eine Dauer von ein paar Jahrhunder¬ ten zu versprechen scheinen — aber es ist dennoch so, die Knik- kerei der ursprünglichen Anlage, die Vernachlässigung aller Re¬ paraturen, das häufige Leerstehen, der fortwährende schnelle 5 Wechsel der Bewohner und dazu die Verwüstungen, die die Ein¬ wohner während der letzten zehn Jahre der Bewohnbarkeit, meist Irländer, anrichten, indem sie das Holzwerk oft genug aufbrechen und zur Heizung gebrauchen — alles das macht diese Cottages nach vierzig Jahren zu Ruinen. Daher kommt es denn auch, daß 10 der Distrikt von Ancoats, der erst seit dem Aufblühen der Indu¬ strie, ja meist erst in diesem Jahrhundert erbaut wurde, dennoch eine Menge alter und verfallender Häuser zählt, ja daß die grö¬ ßere Zahl der Häuser schon jetzt in dem letzten Stadium der Be¬ wohnbarkeit sich befindet. Ich will nicht davon reden, wie viel Ka-15 pital auf diese Weise verschwendet wird, mit wie wenig mehr ursprünglicher Anlage und späterer Reparatur dieser ganze Be¬ zirk lange Jahre hindurch reinlich, anständig und wohnlich gehal¬ ten werden könnte — mich geht hier nur die Lage der Häuser und ihrer Bewohner an, und da muß allerdings gesagt werden, daß es 20 kein schädlicheres und demoralisierenderes System, die Arbeiter unterzubringen, gibt, als gerade dieses. Der Arbeiter ist gezwun¬ gen, solche verkommene Cottages zu bewohnen, weil er keine bes¬ seren bezahlen kann, oder weil keine besseren in der Nähe seiner Fabrik liegen, vielleicht auch gar, weil sie dem Fabrikanten ge- 25 hören, und dieser ihn nur dann in Arbeit nimmt, wenn er eine solche Wohnung bezieht. Natürlich wird es mit den vierzig Jahren so genau nicht gehalten, denn wenn die Wohnungen in einem stark bebauten Stadtteil liegen, und also bei teurer Grundpacht viel Aussicht da ist, stets Mieter für jene zu finden, tun die Unterneh- 30 mer auch wohl etwas, um sie über vierzig Jahre hinaus einiger¬ maßen in bewohnbarem Zustande zu erhalten; aber auch gewiß nicht mehr als das allemötigste, und diese reparierten Wohnun¬ gen sind dann gerade die aller schlechtesten. Zuweilen, bei dro¬ henden Epidemien, wird das sonst sehr schläfrige Gewissen der 35 Gesundheitspolizei etwas aufgeregt, und dann unternimmt sie Streifzüge in die Arbeiterdistrikte, schließt ganze Reihen von Kel¬ lern und Cottages, wie dies z. B. mit mehreren Gassen in der Nähe von Oldham Road geschehen ist; aber das dauert nicht lange, die geächteten Wohnungen finden bald wieder Insassen, und die Eigen- 40 tümer stehen sich besser dabei, wenn sie sich wieder Mieter suchen — man weiß ja, daß die Gesundheitspolizei sobald nicht wieder kommt! Diese östliche und nordöstliche Seite von Manchester ist die einzige, an welcher sich die Bourgeoisie nicht angebaut hat — aus 45
Ancoats / Klein-Irland 63 dem Grunde, weil der hier zehn oder elf Monate im Jahr herr¬ schende West- und Südwestwind den Rauch aller Fabriken — und der ist nicht gering — stets nach dieser Seite hinüber treibt. Den können die Arbeiter allein einatmen. 5 Südlich von Great Ancoats-Street liegt ein großer halbbebauter Arbeiterbezirk — ein hügeliger, nackter Strich Landes, mit ein¬ zelnen unordentlich angelegten Häuserreihen oder Carres besetzt. Dazwischen leere Bauplätze, uneben, lehmig, ohne Gras und daher bei feuchtem Wetter kaum zu passieren. Die Cottages sind alle 10 schmutzig und alt, liegen oft in tiefen Löchern und erinnern über¬ haupt an die Neustadt. Die von der Birminghamer Eisenbahn durchschnittene Strecke ist die am dichtesten bebaute, also auch die schlechteste. Hier fließt in unzähligen Krümmungen der Med¬ lock durch ein Tal, das stellenweise mit dem des Irk auf gleicher 15 Stufe steht. Zu beiden Seiten des wieder pechschwarzen, stagnie¬ renden und stinkenden Flusses, von seinem Eintritt in die Stadt bis zu seiner Vereinigung mit dem Irwell, zieht sich ein breiter Gürtel von Fabriken und Arbeiterwohnungen, welche letzteren alle in dem schlechtesten Zustande sind. Das Ufer ist meist abschüssig 20 und bis in den Fluß hinein bebaut, gerade wie wir es am Irk ge¬ sehen haben, und die Anlage der Häuser und Straßen ist gleich schlecht, ob sie auf der Seite von Manchester oder der von Ard- wick, Chorlton oder Hulme angelegt sind. Der abscheulichste Fleck — wenn ich alle die einzelnen Flecke detaillieren wollte, 25 würde ich nicht zu Ende kommen — liegt aber auf der Manchester- Seite, gleich südwestlich von Oxf ord-Road und heißt Klein-Irland (Little Ireland). In einem ziemlich tiefen Loche, das in einem Halbkreis vom Medlock und an allen vier Seiten von hohen Fa¬ briken, hohen bebauten Ufern oder Aufschüttungen umgeben ist, 30 liegen in zwei Gruppen etwa 200 Cottages, meist mit gemeinschaft¬ lichen Rückwänden für je zwei Wohnungen, worin zusammen an 4000 Menschen, fast lauter Irländer, wohnen. Die Cottages sind alt, schmutzig und von der kleinsten Sorte, die Straßen uneben, holperig und zum Teil ungepflastert und ohne Abflüsse; eine Un- 35 mässe Unrat, Abfall und ekelhafter Kot liegt zwischen stehenden Lachen überall herum, die Atmosphäre ist durch die Ausdünstun¬ gen derselben verpestet und durch den Rauch von einem Dutzend Fabrikschomsteinen verfinstert und schwer gemacht — eine Menge zerlumpter Kinder und Weiber treibt sich hier umher, ebenso 40 schmutzig wie die Schweine, die sich auf den Aschenhaufen und in den Pfützen wohl sein lassen — kurz, das ganze Nest gewährt einen so unangenehmen, so zurückstoßenden Anblick wie kaum die schlechtesten Höfe am Irk. Das Geschlecht, das in diesen ver¬ fallenden Cottages, hinter den zerbrochenen und mit Ölleinwand 45 verklebten Fenstern, den rissigen Türen und abfaulenden Pfosten
64 Die großen Städte oder gar in den finstern nassen Kellern, zwischen diesem grenzen¬ losen Schmutz und Gestank in dieser wie absichtlich eingesperr¬ ten Atmosphäre lebt — das Geschlecht muß wirklich auf der nie¬ drigsten Stufe der Menschheit stehen — das ist der Eindruck und die Schlußfolgerung, die einem bloß die Außenseite dieses Be- 5 zirks auf drängt. Aber was soll man sagen, wenn man hört*\ daß in jedem dieser Häuschen, das allerhöchstens zwei Zimmer und den Dachraum, vielleicht noch einen Keller hat, durchschnittlich zwanzig Menschen wohnen, daß in dem ganzen Bezirk nur auf etwa 120 Menschen ein — natürlich meist ganz unzugänglicher —10 Abtritt kommt, und daß trotz alles Predigens der Ärzte, trotz der Aufregung, in die zur Cholerazeit die Gesundheitspolizei über den Zustand von Klein-Irland geriet, dennoch alles heute im Jahr der Gnade 1844 fast in demselben Zustande ist wie 1831? — Dr. Kay erzählt, daß nicht nur die Keller, sondern sogar die Erdgeschosse 15 aller Häuser in diesem Bezirk feucht seien; daß früher eine An¬ zahl Keller mit Erde aufgefüllt worden, allmählich aber wieder ausgeleert und jetzt von Irländern bewohnt würden — daß in einem Keller das Wasser — da der Boden des Kellers tiefer lag als der Fluß — fortwährend aus einem mit Lehm verstopften Ver- 20 senkloch herausgequollen sei, so daß der Bewohner, ein Hand¬ weber, jeden Morgen seinen Keller habe trocken schöpfen und das Wasser auf die Straße gießen müssen!! Weiter abwärts liegt auf der linken Seite des Medlock Hulme, das eigentlich nur ein großes Arbeiterviertel ist, und dessen Zu- 25 stand fast ganz mit dem des Bezirks von Ancoats übereinstimmt. Die dichter bebauten Bezirke meist schlecht und dem Verfall nahend, die weniger bevölkerten von neuerer Bauart, luftiger, aber meist im Kot versunken. Feuchte Lage der Cottages allgemein, ebenso die Bauart mit Hintergassen und Kellerwohnungen. — Auf 30 der gegenüberliegenden Seite des Medlock, im eigentlichen Man¬ chester, liegt ein zweiter großer Arbeiterdistrikt, der sich zu bei¬ den Seiten von Deansgate bis an das kommerzielle Viertel er¬ streckt und teilweise der Altstadt nichts nachgibt. Namentlich in der unmittelbaren Nähe des kommerziellen Viertels, zwischen 35 Bridge-Street und Quay-Street, Princess-Street und Peter-Street, übertrifft die Gedrängtheit der Bauart stellenweise die engsten Höfe der Altstadt. Hier findet man lange schmale Gassen, zwi¬ schen denen enge, winklige Höfe und Passagen sich befinden, deren Aus- und Eingänge so unordentlich angelegt sind, daß man 40 in diesem Labyrinth alle Augenblicke in einem Sack festrennt oder an der ganz verkehrten Stelle herauskommt, wenn man nicht jede Passage und jeden Hof genau kennt. In diesen engen, verfal- *) Dr. Kay, a. a. 0.
Hulme / Salford 65 lenen und schmutzigen Gegenden wohnt nach Dr. Kay die demora- lisierteste Klasse von ganz Manchester, deren Handwerk Diebstahl oder Prostitution ist, und allem Anscheine nach hat er auch jetzt noch darin recht. Als auch hier die Gesundheitspolizei 1831 ihren 5 Streifzug machte, fand sie in diesem Bezirk die Unreinlichkeit ebenso groß wie am Irk oder in LittleJreland (daß es damit jetzt noch nicht viel besser steht, kann ich bezeugen), und unter ande¬ rem in Parliament-Street für dreihundertundachtzig Menschen und in Parliament-Passage für dreißig starkbevölkerte Häuser io nur einen einzigen Abtritt. Gehen wir über den Irwell nach Salford, so finden wir auf einer von diesem Flusse gebildeten Halbinsel eine Stadt, die achtzigtau¬ send Einwohner zählt, und eigentlich nur ein großer, von einer ein¬ zigen breiten Straße durchschnittener Arbeiterbezirk ist. Salford, 15 früher bedeutender als Manchester, war damals der Hauptort des umliegenden Distrikts und gibt ihm noch den Namen (Salford Hundred). Daher kommt es, daß sich auch hier ein ziemlich alter und folglich jetzt sehr ungesunder, schmutziger und verfallener Bezirk vorfindet, der der alten Kirche von Manchester gegenüber 20 liegt und in ebenso schlechtem Zustande ist wie die Altstadt auf der andern Seite des Irwell. Weiter vom Flusse ab liegt ein neuerer Distrikt, der aber ebenfalls schon über vierzig Jahre und daher baufällig genug ist. Ganz Salford ist in Höfen oder schmalen Gas¬ sen gebaut, die so eng sind, daß sie mich an die engsten erinnerten, 25 die ich gesehen habe, nämlich an die schmalen Gäßchen von Ge¬ nua. In dieser Beziehung ist die durchschnittliche Bauart von Sal¬ ford noch bedeutend schlechter als die von Manchester, und ebenso ist es mit der Reinlichkeit. Wenn in Manchester die Polizei wenig¬ stens von Zeit zu Zeit — alle sechs bis zehn Jahre einmal — sich in 30 die Arbeiterbezirke begab, die schlechtesten Wohnungen schloß, die schmutzigsten Stellen dieses Augiasstalles fegen ließ, so scheint sie in Salford gar nichts getan zu haben. Die engen Seitengassen und Höfe von Chapel-Street, Greengate und Gravel-Lane sind ge¬ wiß seit ihrer Erbauung nicht gereinigt worden — jetzt geht die 35 Liverpooler Eisenbahn auf einem hohen Viadukt mitten dadurch und hat manchen der schmutzigsten Winkel weggenommen, aber was hilft das? Wenn man über diesen Viadukt fährt, so sieht man noch Schmutz und Elend genug von oben herab, und wenn man sich die Mühe nimmt, diese Gäßchen zu durchstreichen, durch die 40 offenen Türen und Fenster in die Keller und Häuser hineinzu¬ blicken, so kann man sich jeden Augenblick überzeugen, daß die Arbeiter von Salford in Wohnungen leben, in denen Reinlichkeit und Bequemlichkeit unmöglich sind. Ganz dasselbe finden wir in den entfernter gelegenen Strichen von Salford, in Islington, an Re- 45 gent-Road und hinter der Boltoner Eisenbahn. Die Arbeiterwoh- Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 5
66 Die großen Städte nungen zwischen Oldfield-Road und Cross-Lane, wo sich zu beiden Seiten von Hope-Street eine Menge von Höfen und Gassen im schlechtesten Zustande finden, wetteifern an Schmutz und gedräng¬ ter Einwohnerschaft mit der Altstadt von Manchester; in dieser Gegend fand ich einen Mann, der dem Aussehen nach sechzig Jahre 5 alt war, in einem Kuhstall wohnend — er hatte sich den fenster¬ losen, weder gedielten noch gepflasterten viereckigen Kasten mit einer Art Rauchfang versehen, eine Bettstelle hineingebracht und wohnte darin, obwohl der Regen durch das schlechte, verfallene Dach troff. Der Mann war zu alt und zu schwach zur regelmäßigen 10 Arbeit und ernährte sich durch Mistfahren usw. mit seiner Schub¬ karre; die Mistpfütze stieß dicht an seinen Stall. Das sind die verschiedenen Arbeiterbezirke von Manchester, wie ich sie selbst während zwanzig Monaten zu beobachten Ge¬ legenheit hatte. Fassen wir das Resultat unsrer Wanderung durch r> diese Gegenden zusammen, so müssen wir sagen, daß dreihundert¬ fünfzigtausend Arbeiter von Manchester und seinen Vorstädten fast alle in schlechten, feuchten und schmutzigen Cottages wohnen, daß die Straßen, die sie einnehmen, meist in dem schlechtesten und unreinsten Zustande sich befinden und ohne alle Rücksicht auf 20 Ventilation, bloß mit Rücksicht auf den dem Erbauer zufließen¬ den Gewinn angelegt worden sind — mit einem Wort, daß in den Arbeiterwohnungen von Manchester keine Reinlichkeit, keine Be¬ quemlichkeit, also auch keine Häuslichkeit möglich ist; daß in diesen Wohnungen nur eine entmenschte, degradierte, intellektuell 25 und moralisch zur Bestialität herabgewürdigte, körperlich kränk¬ liche Rasse sich behaglich und heimisch fühlen kann. Und ich bin nicht der einzige, der das behauptet; wir haben gesehen, daß Dr. Kay ganz dieselbe Beschreibung gibt, und zum Überfluß will ich noch die Worte eines Liberalen, einer anerkannten und sehr 30 geschätzten Autorität der Fabrikanten, eines fanatischen Gegners aller selbständigen Arbeiterbewegungen, die Worte des Hrn. Se¬ nior hersetzen *>: „Als ich durch die Wohnungen der Fabrik¬ arbeiter in der irischen Stadt, Ancoats und Klein-Irland ging, er¬ staunte ich nur darüber, daß es möglich sei, in solchen Wohnun- 35 gen eine erträgliche Gesundheit zu bewahren. Diese Städte — denn das sind sie in Ausdehnung und Einwohnerzahl — sind errichtet worden mit der äußersten Rücksichtslosigkeit gegen alles, aus¬ genommen unmittelbaren Nutzen für die spekulierenden Erbauer. Ein Zimmermann und ein Maurer vereinigen sich, eine Reihe 40 Bauplätze zu kaufen“ (d. h. auf eine Anzahl Jahre zu mieten) *) Nassau W. Senior, Leiters on the Factory Act to the Rt. Hon. the President of the Board of Trade (Chas. Poulett Thomson Esq.). London 1837. — p. 24.
Gedrängtheit der Bevölkerung / Kellerwohnungen 67 „und diese mit sogenannten Häusern zu bedecken; an einer Stelle fanden wir eine ganze Straße, die dem Laufe eines Grabens folgte, damit man ohne die Kosten der Ausgrabung tiefere Keller be¬ kam — Keller, nicht zu Rumpelkammern und Niederlagen, son- 5 dern zu Wohnungen für Menschen. Kein einziges Haus in dieser Straße entging der Cholera. Und im allgemei¬ nen sind die Straßen in diesen Vorstädten ungepflastert, mit einem Düngerhaufen oder einer Lache in der Mitte, die Häuser mit der Rückwand zusammengebaut und ohne Ventilation oder Trocken- 10 legung, und ganze Familien sind auf den Winkel eines Kellers oder einer Dachstube beschränkt.“ Ich erwähnte schon oben einer ungewöhnlichen Tätigkeit, die die Gesundheitspolizei zur Cholerazeit in Manchester entwickelte. Als nämlich diese Epidemie herannahte, befiel ein allgemeiner 15 Schrecken die Bourgeoisie dieser Stadt; man erinnerte sich auf einmal der ungesunden Wohnungen der Armut, und zitterte bei der Gewißheit, daß jedes dieser schlechten Viertel ein Zentrum für die Seuche bilden würde, von wo aus sie ihre Verwüstungen nach allen Richtungen in die Wohnsitze der besitzenden Klasse 20 ausbreite. Sogleich wurde eine Gesundheitskommission ernannt, um diese Bezirke zu untersuchen und über ihren Zustand genau an den Stadtrat zu berichten. Dr. Kay, selbst Mitglied der Kom¬ mission, die jeden einzelnen Polizeidistrikt, mit Ausnahme des elften, speziell besichtigte, gibt aus ihrem Bericht einzelne Aus- 25 züge. Es wurden im ganzen 6951 Häuser — natürlich nur im eigentlichen Manchester, mit Ausschluß von Salford und den übrigen Vorstädten — inspiziert; davon hatten 2565 dringend einen inneren Kalkanstrich nötig, an 960 waren notwendige Repa¬ raturen vernachlässigt (were out of repair), 939 waren ohne hin- 30 reichende Abflüsse, 1435 waren feucht, 452 schlecht ventiliert, 2221 ohne Abtritte. Von den inspizierten 687 Straßen waren 248 ungepflastert, 53 nur teilweise gepflastert, 112 schlecht ventiliert, 352 enthielten stehende Pfützen, Haufen von Unrat, Abfall u. dgl. — Natürlich einen solchen Augiasstall vor der Ankunft 35 der Cholera zu fegen, war platterdings unmöglich; daher begnügte man sich mit der Reinigung einiger der schlechtesten Winkel, und ließ sonst alles beim alten — es versteht sich, daß an den ge¬ reinigten Stellen, wie Klein-Irland beweist, nach ein paar Mona¬ ten die alte Unfläterei wiederhergestellt war. Und über den inne- 40 ren Zustand dieser Wohnungen berichtet dieselbe Kommission Ähnliches, wie wir von London, Edinburgh und anderen Städten hörten: „Oft ist eine ganze irische Familie in Einem Bett zusam¬ mengedrängt; oft verbirgt ein Haufen schmutziges Stroh und 16 1892 Wohnsitze der Armut 19 1892 in die Wohnungen 5*
68 Die großen Städte Decken von altem Sackleinen alle in einem ununterscheidbaren Haufen, wo jeder durch Mangel, Stumpfsinn und Liederlichkeit gleich erniedrigt ist. Oft fanden die Inspektoren in einem Hause mit zwei Zimmern zwei Familien; in dem einen Zimmer schliefen sie alle, das andere war gemeinsames Eßzimmer und Küche; und 5 oft wohnte mehr als eine Familie in einem einstubigen feuchten Keller, in dessen pestilenzialischer Atmosphäre zwölf bis sech¬ zehn Menschen zusammengedrängt waren; zu diesen und anderen Quellen von Krankheiten kamen noch, daß Schweine darin gehal¬ ten wurden und andere Ekelhaftigkeiten der empörendsten Art 10 sich vorfanden.“*) Wir müssen hinzufügen, daß viele Familien, die selbst nur ein Zimmer haben, darin Kostgänger und Schlaf- genossen für eine Entschädigung aufnehmen, daß solche Kost¬ gänger von beiden Geschlechtern nicht selten sogar mit dem Ehe¬ paar in einem und demselben Bette schlafen, und daß z. B. der 15 einzige Fall, daß ein Mann, seine Frau und seine erwachsene Schwiegerin in Einem Bette schliefen, nach dem „Bericht über den Gesundheitszustand der Arbeiterklasse“, in Manchester sechs- oder mehrmal vorgefunden wurde. Die gemeinen Logierhäuser sind auch hier sehr zahlreich; Dr. Kay gibt ihre Zahl 1831 auf 267 im 20 eigentlichen Manchester an, und seitdem muß sie sich sehr ver¬ mehrt haben. Diese nehmen jedes zwischen zwanzig und dreißig Gäste auf und beherbergen also zusammen jede Nacht zwischen fünf- und siebentausend Menschen; der Charakter der Häuser und ihrer Kunden ist derselbe, wie in den andern Städten. Fünf bis 25 sieben Betten liegen in jedem Zimmer ohne Bettstellen auf der Erde, und darauf werden soviel Menschen gelegt, wie sich finden, und alles durcheinander. Welche physische und moralische Atmo¬ sphäre in diesen Höhlen des Lasters herrscht, brauche ich wohl nicht zu sagen. Jedes dieser Häuser ist ein Focus des Verbrechens 30 und der Schauplatz von Handlungen, die die Menschlichkeit em¬ pören, und vielleicht ohne diese gewaltsame Zentralisation der Un¬ sittlichkeit nie zur Ausführung gekommen wären. — Die Anzahl der in Kellerwohnungen lebenden Individuen gibt Gaskell**) für *) Kay, a. a. 0. p. 32. .3.5 **) P. Gaskell, The Manufacturing Population of England, its Moral, Social and Physical Condition, and the changes, which have arisen from the Use of Steam-Machinery. With an Examination of Infant Labour. „Fiat Justitia66. 1833. — Hauptsächlich die Lage der Arbeiter in Lanca¬ shire schildernd. Der Verfasser ist ein Liberaler, schrieb aber zu einer 40 Zeit, wo es noch nicht zum Liberalismus gehörte, das „Glück66 der Arbei¬ ter zu preisen. Daher ist er noch unbefangen und darf noch Augen haben für die Übel des jetzigen Zustandes, und namentlich des Fabriksystems. Dafür schrieb er aber auch vor der Factories Inquiry Commission, und 15—16 1892 der eine Fall
Kleidung der Arbeiter 69 das eigentliche Manchester auf 20000 an. Das „Weekly Dis¬ patch“ gibt die Anzahl „nach offiziellen Berichten“ auf 12 Pro¬ zent der Arbeiterklasse an, was damit stimmen würde — die An¬ zahl der Arbeiter zu 175000 angenommen, sind 12% gleich 5 21000. Die Kellerwohnungen in den Vorstädten sind minde¬ stens ebenso zahlreich, und so wird die Zahl der in Manchester im weiteren Sinne in Kellern wohnenden Personen nicht unter 40—50000 betragen. Soviel über die Wohnungen der Arbeiter in den großen Städten. Die Befriedigung des Bedürfnisses für Ob- 10 dach wird einen Maßstab abgeben für die Art, in welcher alle übrigen Bedürfnisse befriedigt werden. Daß in diesen schmutzi¬ gen Löchern nur eine zerlumpte, schlecht genährte Einwohner¬ schaft sich aufhalten kann, läßt sich schon schließen. Und so ist es auch. Die Kleidung der Arbeiter ist bei der ungeheuren Majori- 15 tät in sehr schlechtem Zustande. Schon die Stoffe, die dazu ge¬ nommen werden, sind nicht die geeignetsten; Leinen und Wolle sind aus der Garderobe beider Geschlechter fast verschwunden und an ihre Stelle ist Baumwolle getreten. Die Hemden sind von gebleichtem oder buntem Kattun, ebenso die Kleider der Frauen- 20 zimmer meist gedruckter Kattun, wollene Unterröcke sieht man ebenfalls selten auf den Waschleinen. Die Männer haben meist Beinkleider von Baumwollensamt oder anderen schweren baum¬ wollenen Stoffen, und Röcke oder Jacken von demselben Zeuge. Der Baumwollensamt (fustian) ist sogar sprichwörtlich die Tracht 25 der Arbeiter geworden — fustian-jackets, so werden die Arbeiter genannt und nennen sich selbst so im Gegensatz zu den Herren in wollenem Tuch (broad cloth), welches letztere ebenfalls als Be¬ zeichnung für die Mittelklasse gebraucht wird. Als Feargus O’Con- nor, der Chartistenchef, während der Insurrektion von 42 nach 30 Manchester kam, erschien er unter dem rasendsten Beifall der Arbeiter in einem baumwollensamtnen Anzuge. — Hüte sind in England die allgemeine Tracht auch der Arbeiter, Hüte der ver¬ schiedensten Formen, runde, kegelförmige oder zylindrische, breitrandig, schmalrandig oder randlos — nur jüngere Leute tra- 35 gen in den Fabrikstädten Mützen. Wer keinen Hut hat, faltet sich von Papier eine niedrige, viereckige Kappe. — Die ganze Beklei¬ dung der Arbeiter — auch vorausgesetzt, daß sie in gutem Zu¬ stande ist — ist wenig in Einklang mit dem Klima. Die feuchte entnimmt aus zweideutigen Quellen manche, später durch den Kommis- 40 sionsbericht widerlegte Behauptung. Das Werk, obwohl im ganzen gut, ist daher, und weil er wie Kay die Arbeiterklasse überhaupt mit der Fabrikarbeiterklasse im besonderen verwechselt, in Einzelheiten nur mit Vorsicht zu gebrauchen. — Die in der Einleitung gegebene Entwicklungs¬ geschichte des Proletariats ist hauptsächlich aus diesem Werke genom- 45 men. —
70 Die großen Städte Luft Englands, die mit ihren schnellen Witterungswechseln mehr als jede andere Erkältungen hervorruft, nötigt fast die ganze Mit¬ telklasse, Flanell auf der bloßen Haut des Oberkörpers zu tra¬ gen; flanellne Halsbinden, Jacken und Leibbinden sind fast all¬ gemein im Gebrauch. Die arbeitende Klasse entbehrt nicht nur 5 dieser Vorsorge, sondern ist auch fast nie imstande, überhaupt einen Faden Wolle zur Kleidung zu verwenden. Die schweren Baumwollenzeuge aber, obwohl dicker, steifer und schwerer als wollenes Tuch, halten dennoch Kälte und Nässe viel weniger ab als dieses, bleiben wegen ihrer Dicke und wegen der Natur des 10 Materials länger feucht, und haben überhaupt nicht die Dichtig¬ keit des gewalkten Wollentuchs. Und wenn der Arbeiter sich ein¬ mal einen wollenen Rock für den Sonntag anschaffen kann, so muß er in einen der „billigen Läden66 gehen, wo er schlechtes, so¬ genanntes „devil’s dust66-Tuch bekommt, das „nur aufs Verkaufen, n nicht aufs Tragen66 gemacht ist und nach vierzehn Tagen reißt oder fadenscheinig wird — oder er muß sich beim Trödler einen halbverschlissenen alten Rock kaufen, dessen beste Zeit vorüber ist, und der ihm nur für wenige Wochen gute Dienste leistet. Dazu kommt aber noch bei den meisten der schlechte Zustand ihrer Gar- 20 derobe und von Zeit zu Zeit die Notwendigkeit, die besseren Klei¬ dungsstücke ins Pfandhaus zu tragen. Bei einer sehr, sehr großen Anzahl aber, besonders denen irischen Bluts, sind die Kleider wahre Lumpen, die oft gar nicht mehr flickfähig sind, oder bei denen man vor lauter Flicken die ursprüngliche Farbe gar nicht 25 mehr erkennt. Die Engländer oder die Anglo-Iren flicken doch noch und haben es in dieser Kunst merkwürdig weit gebracht — Wolle oder Sackleinen auf Baumwollensamt oder umgekehrt, das macht ihnen gar nichts aus — aber die echten, eingewanderten Irländer flicken fast nie, nur im höchsten Notfälle, wenn das Kleid 30 sonst in zwei Stücke reißt; gewöhnlich hangen die Lumpen des Hemdes durch die Risse des Rocks oder der Hosen heraus; sie tragen, wie Thomas Carlyle sagt, „einen Anzug von Fetzen, die aus- und anzuziehen eine der schwierigsten Operationen ist, und nur an Festtagen und zu besonders günstigen Zeiten vorgenom- 35 men wird.66 Die Irländer haben auch das früher in England un¬ bekannte Barfußgehen mit herübergebracht. Jetzt sieht man in allen Fabriktsädten eine Menge Leute, namentlich Kinder und Weiber, barfuß umhergehen, und dies findet allmählich auch bei den ärmeren Engländern Eingang. 40 Wie mit der Kleidung, so mit der Nahrung. Die Arbeiter be¬ kommen das, was der besitzenden Klasse zu schlecht ist. In den *) Thomas Carlyle, Chartism. London 1840. — p. 28. — Über Thomas Carlyle siehe unten.
Nahrung / Schlechtes Fleisch 71 großen Städten Englands kann man alles aufs beste haben, aber es kostet teures Geld; der Arbeiter, der mit seinen paar Groschen haushalten muß, kann so viel nicht anlegen. Dazu bekommt er seinen Lohn meist erst Samstag abends ausgezahlt — man hat an- 5 gefangen, schon Freitag zu bezahlen, aber diese sehr gute Ein¬ richtung ist noch lange nicht allgemein — und so kommt er Samstag abends um vier, fünf oder sieben Uhr erst auf den Markt, von dem während des Vormittags schon die Mittelklasse sich das Beste ausgesucht hat. Des Morgens strotzt der Markt von den 10 besten Sachen, aber wenn die Arbeiter kommen, ist das Beste fort, und wenn es auch noch da wäre, so würden sie es wahrscheinlich nicht kaufen können. Die Kartoffeln, die der Arbeiter kauft, sind meist schlecht, die Gemüse verwelkt, der Käse alt und von geringer Qualität, der Speck ranzig, das Fleisch mager, alt, zäh, von alten, 15 oft kranken oder verreckten Tieren — oft schon halb faul. Die Verkäufer sind meistens kleine Höker, die schlechtes Zeug zusam¬ menkaufen und es eben wegen seiner Schlechtigkeit so billig wie¬ der verkaufen können. Die ärmsten Arbeiter müssen noch einen andern Kunstgriff gebrauchen, um mit ihrem wenigen Gelde selbst 20 bei der schlechtesten Qualität der einzukaufenden Artikel auszu¬ kommen. Da nämlich um zwölf Uhr am Sonnabend abend alle Läden geschlossen werden müssen und am Sonntag nichts ver¬ kauft werden darf, so werden zwischen zehn und zwölf Uhr die¬ jenigen Waren, die bis zum Montag morgen verderben würden, 25 zu Spottpreisen losgeschlagen. Was aber um zehn Uhr noch liegen geblieben ist, davon sind neun Zehntel am Sonntag morgen nicht mehr genießbar, und gerade diese Waren bilden den Sonntagstisch der ärmsten Klasse. Das Fleisch, was die Arbeiter bekommen, ist sehr häufig ungenießbar — weil sie’s aber einmal gekauft haben, 30 so müssen sie es essen. Am 6. Januar (wenn ich nicht sehr irre) 1844 war Marktgericht (court leet) in Manchester, wobei elf Fleischverkäufer gestraft wurden, weil sie ungenießbares Fleisch verkauft hatten. Jeder derselben hatte ein ganzes Rind oder Schwein, oder mehrere Schafe, oder 50—60 Pfund Fleisch, die 35 alle in diesem Zustande konfisziert worden waren. Bei einem der¬ selben wurden 64 gefüllte Weihnachtsgänse mit Beschlag belegt, die zu Liverpool nicht verkauft und infolgedessen nach Man¬ chester transportiert worden waren, wo sie faul und stinkend auf den Markt kamen. Die ganze Geschichte mit Namen und Straf- 40 betrag wurde damals im „Manchester Guardian66 erzählt. In den sechs Wochen vom 1. Juli bis 14. August berichtet dasselbe Blatt drei Fälle derselben Art; nach der Nummer vom 3. Juli wurde zu Heywood ein Schwein von 200 Pfund, das tot und faul gefunden, bei einem Schlächter zerhackt und zum Verkauf ausgestellt war, 45 konfisziert; nach der vom 31. Juli wurden zwei Schlächter zu Wi¬
72 Die großen Städte gan, deren einer schon früher sich desselben Vergehens schuldig gemacht hatte, wegen Ausstellung von ungenießbarem Fleisch in 2 Pfd. St. und 4 Pfd. St. Strafe genommen, und laut Nummer vom 10. August bei einem Krämer zu Bolton 26 ungenießbare Schin¬ ken mit Beschlag belegt, öffentlich verbrannt und der Krämer im 5 Betrage von 20 Sh. gestraft. Das sind aber lange noch nicht alle Fälle, noch nicht einmal ein Durchschnitt für die Zeit von sechs Wochen, wonach der Jahresdurchschnitt zu berechnen wäre — es kommen oft Zeiten, wo jede Nummer des zweimal wöchentlich er¬ scheinenden „Guardian46 einen solchen Fall aus Manchester oder 10 dem umliegenden Fabrikdistrikt bringt — und wenn man be¬ denkt, wie viele Fälle bei den ausgedehnten Märkten, die sich an allen Hauptstraßenfronten entlang ziehen, und bei der wenigen Aufsicht den Marktinspektoren entgehen müssen — wie ist sonst auch die Frechheit erklärlich, mit der ganze Stücke Vieh zum Ver-15 kauf gebracht werden? — wenn man bedenkt, wie groß die Ver¬ suchung bei den oben angegebenen imbegreiflich niedrigen Straf- beträgen sein muß — wenn man bedenkt, in welchem Zustande ein Stück Fleisch schon sein muß, um von den Inspektoren als total ungenießbar konfisziert werden zu können, so kann man unmög- 20 lieh glauben, daß die Arbeiter im Durchschnitt gutes und nahr¬ haftes Fleisch bekommen. Aber sie werden auch auf noch andere Weise von der Geldgier der Mittelklasse geprellt. Die Krämer und Fabrikanten verfälschen alle Nahrungsmittel auf eine unverant¬ wortliche Weise und mit der größten Rücksichtslosigkeit gegen 25 die Gesundheit derer, die sie verzehren sollen. Wir ließen oben den „Manchester Guardian66 sprechen, hören wir jetzt ein anderes Blatt der Mittelklasse — ich liebe es, meine Gegner zu Zeugen zu nehmen — hören wir den „Liverpool Mercury66: „Ge¬ salzene Butter wird für frische verkauft, entweder indem die 30 Klumpen mit einem Überzüge von frischer Butter bedeckt, oder indem ein frisches Pfund zum Schmecken oben hingelegt und nach dieser Probe die gesalzenen Pfunde verkauft werden, oder indem das Salz ausgewaschen und die Butter dann für frische verkauft wird. — Unter den Zucker wird gestoßener Reis oder andere wohl- 35 feile Sachen gemischt und zum vollen Preise verkauft. Der Abfall der Seifensiedereien wird ebenfalls mit andern Stoffen vermischt und als Zucker verkauft. Unter gemahlnen Kaffee wird Zichorie oder anderes wohlfeiles Zeug gemischt, ja sogar unter ungemahl- nen, wobei die Mischung in die Form von Kaffeebohnen gebracht 40 wird. — Kakao wird sehr häufig mit feiner brauner Erde versetzt, die mit Hammelfett gerieben ist und sich dann mit dem echten Kakao leichter vermischt. — Tee wird mit Schlehenblättem und anderem Unrat vermischt oder ausgebrauchte Teeblätter werden getrocknet, auf kupfernen heißen Platten geröstet, damit sie wie- 45
Warenfälschungen / Falsche Maße etc. 73 der Farbe bekommen, und so für frisch verkauft. Pfeffer wird mit Staub von Hülsen usw. verfälscht; Portwein wird geradezu fabri¬ ziert (aus Farbstoffen, Alkohol etc.), da es notorisch ist, daß in England allein mehr davon getrunken wird als in ganz Portugal 5 wächst, und Tabak wird mit ekelhaften Stoffen aller Art vermischt in allen möglichen Formen, die diesem Artikel gegeben werden.66 (Ich kann hinzusetzen, daß wegen der allgemeinen Tabakverfäl¬ schung mehrere der angesehensten Tabakhändler von Manchester im vorigen Sommer öffentlich erklärten, kein derartiges Geschäft 10 könne ohne Verfälschung bestehen, und daß keine einzige Zigarre, die weniger als 3 Pence kostet, ganz aus Tabak besteht.) Natürlich bleibt es nicht bei den Betrügereien in Nahrungsmitteln, deren ich noch ein Dutzend — unter andern die Niederträchtigkeit, Gips oder Kreide unter das Mehl zu mischen — anführen könnte; in 15 allen Artikeln wird betrogen, Flanell, Strümpfe etc. werden ge¬ reckt, um größer zu erscheinen, und laufen nach der ersten Wäsche ein, schmales Tuch wird für anderthalb oder drei Zoll breiteres verkauft. Steingut wird so dünn glasiert, daß die Glasur so gut wie keine ist und gleich springt, und hundert andere Schändlich¬ st keiten. — Tout comme chez nous — aber wer die üblen Folgen der Betrügerei am meisten zu tragen hat, das sind die Arbeiter. Der Reiche wird nicht betrogen, weil er die teuren Preise der großen Läden bezahlen kann, die auf guten Ruf halten müssen und sich selbst am meisten schaden würden, wenn sie schlechte, 25 verfälschte Ware hielten; der Reiche ist verwöhnt durch gute Kost und merkt den Betrug leichter mit seiner feinen Zunge. Aber der Arme, der Arbeiter, bei dem ein paar Pfennige viel ausmachen, der für wenig Geld viel Waren haben muß, der auf die Qualität so genau nicht sehen darf und kann, weil er nie Gelegenheit hatte, 30 seinen Geschmackssinn zu verfeinern, der bekommt all die ver¬ fälschte, ja oft vergiftete Ware; er muß zu kleinen Krämern gehen, muß vielleicht sogar auf Kredit kaufen, und diese Krämer, die wegen ihres kleinen Kapitals und der größeren Geschäftsunkosten bei gleicher Qualität gar nicht einmal so wohlfeil verkaufen können 35 wie die bedeutenden Detaillisten, müssen schon um der von ihnen verlangten niedrigeren Preise und um der Konkurrenz der übrigen willen verfälschte Ware wissentlich oder unwissentlich anschaf¬ fen. Dazu, wenn ein bedeutender Detaillist, der großes Kapital in seinem Geschäft stecken hat, bei einem entdeckten Betrug durch 40 seinen ruinierten Kredit mit ruiniert ist — was verschlägt es einem Winkelkrämer, der eine einzige Straße mit Waren versorgt, ob man ihm Betrügereien nachweist? Traut man ihm in Ancoats nicht mehr, so zieht er nach Chorlton oder Hulme, wo ihn niemand kennt und wo er wieder von vom anfängt zu betrügen; und gesetzliche 45 Strafen stehen auf den wenigsten Verfälschungen, es sei denn,
74 Die großen Städte daß sie zugleich einen Akzise-Unterschleif involvierten. — Aber nicht nur in der Qualität, sondern auch in der Quantität der Waren wird der englische Arbeiter betrogen; die kleinen Krämer haben großenteils falsche Maße und Gewichte, und eine unglaubliche Menge Straf fälle wegen solcher Vergehen sind täglich in den Po- 5 lizeiberichten zu lesen. Wie allgemein diese Art Betrügerei in den Fabrikdistrikten ist, mögen ein paar Auszüge aus dem „Manches¬ ter Guardian66 lehren; sie erstrecken sich nur über einen kurzen Zeitraum, und selbst hier liegen nicht alle Nummern vor: Guard. 16. Juni 1844. Rochdaler Sessionen — vier Krä-10 mer wegen zu leichter Gewichte in 5 bis 10 Sh. gestraft. — Stock¬ porter Sessionen 2 Krämer mit 1 Sh. bestraft — einer davon hatte sieben leichte Gewichte und eine falsche Wagschale, und beide waren vorher gewarnt. Guard. 19. Juni. Rochdaler Sessionen — ein Krämer mit 15 5 und zwei Bauern mit 10 Sh. Strafe belegt. Guard. 22. Juni. Manchester Friedensgericht — 19 Krä¬ mer von 2% Sh. bis 2 Pfd. gestraft. Guard. 26. Juni. Ashtoner Sessionen — 14 Krämer und Bauern von 2 1/2 Sh. bis 1 Pfd. St. bestraft. — Hyder kleine Ses- 20 sion — 9 Bauern und Krämer in die Kosten und 5 Sh. Strafe verurteilt. Guard. 6. Juli. Manchester, 16 Krämer verurteilt in die Kosten und Strafen bis zu 10 Sh. Guard. 13. Juli. Manchester, 9 Krämer von 2% bis 20 Sh. 25 bestraft. Guard. 24. Juli. Rochdaler, 4 Krämer von 10 bis 20 Sh. bestraft. Guard. 27. Juli. Bolton, 12 Krämer und Wirte verurteilt in die Kosten. 30 Guard. 3. Aug. Bolton, drei desgleichen zu 2 1/2 bis 5 Sh. Strafe. Guard. 10. Aug. Bolton, einer desgleichen zu 5 Sh. Strafe. Und aus denselben Gründen, aus denen der Betrug in der Qualität der Waren hauptsächlich auf die Arbeiter fiel, aus den- 35 selben fällt auch der quantitative Betrug auf sie. Die gewöhnliche Nahrung der einzelnen Arbeiter selbst ist na¬ türlich nach dem Arbeitslohn verschieden. Die besserbezahlten Arbeiter, besonders solche Fabrikarbeiter, bei denen jedes Fa¬ milienglied imstande ist, etwas zu verdienen, haben, solange das 40 dauert, gute Nahrung, täglich Fleisch und abends Speck und Käse. Wo weniger verdient wird, findet man nur Sonntags oder zwei- bis dreimal wöchentlich Fleisch, dafür mehr Kartoffeln und Brot; 1 1892 involvieren. —
Zusammenfassung 75 gehen wir allmählich tiefer, so finden wir die animalische Nah¬ rung auf ein wenig unter die Kartoffeln geschnittenen Speck redu¬ ziert — noch tiefer verschwindet auch dieses, es bleibt nur Käse, Brot, Hafermehlbrei (porridge) und Kartoffeln, bis auf der tief¬ sten Stufe, bei den Irländern, nur Kartoffeln die Nahrung bilden. Dazu wird allgemein ein dünner Tee, vielleicht mit etwas Zucker, Milch oder Branntwein vermischt, getrunken; der Tee gilt in Eng¬ land und selbst in Irland für ein ebenso notwendiges und unerlä߬ liches Getränk wie bei uns der Kaffee, und wo kein Tee mehr ge- 10 trunken wird, da herrscht immer die bitterste Armut. — Alles das aber unter der Voraussetzung, daß der Arbeiter beschäftigt ist; wenn er keine Arbeit hat, so ist er ganz dem Zufall überlassen, und ißt, was er geschenkt bekommt, sich zusammenbettelt oder — stiehlt; und wenn er nichts bekommt, so verhungert er eben, wie 15 wir vorhin gesehen haben. Es versteht sich überhaupt, daß die Quantität der Nahrung sich wie die Qualität nach dem Lohne richtet, und daß bei den schlechter bezahlten Arbeitern, wenn sie noch gar eine starke Familie haben, auch während voller Beschäf¬ tigung Hungersnot herrscht; und die Zahl dieser schlechter bezahl¬ st ten Arbeiter ist sehr groß. Namentlich in London, wo die Konkur¬ renz der Arbeiter in demselben Maße steigt wie die Bevölkerung, ist diese Klasse sehr zahlreich, aber auch in allen andern Städten finden wir sie. Da werden denn allerlei Auskunftsmittel gesucht, Kartoffelschalen, Gemüseabfall, faulende Vegetabilien*) aus Man- 25 gel an anderer Nahrung gegessen und alles begierig herbeigeholt, was vielleicht noch ein Atom Nahrungsstoff enthalten könnte. Und wenn der Wochenlohn vor dem Ende der Woche verzehrt ist, so kommt es oft genug vor, daß die Familie in den letzten Tagen derselben gar nichts oder nur soviel Nahrung bekommt, als drin¬ ge gend nötig ist, sie vor dem Verhungern zu schützen. Eine solche Lebensweise kann natürlich nur Krankheiten in Masse erzeugen, und wenn diese eintreten, wenn vollends der Mann, von dessen Arbeit die Familie hauptsächlich lebt und dessen angestrengte Tätigkeit am meisten Nahrung erfordert, der also auch am ersten 35 unterliegt — wenn dieser vollends krank wird, so ist die Not erst groß, so tritt die Brutalität, mit der die Gesellschaft ihre Mitglie¬ der gerade dann verläßt, wenn sie ihrer Unterstützung am meisten bedürfen, erst recht grell hervor. Fassen wir nun zum Schluß die angeführten Tatsachen noch- 40 mals kurz zusammen: Die großen Städte sind hauptsächlich von *) Weekly Dispatch, April oder Mai 1844, nach einem Be¬ richte des Dr. Southwood Smith über die Lage der Armen in London. 16 1892 Nahrung wie die Qualität sich 35 1892 — wenn vollends dieser
76 Die großen Städte Arbeitern bewohnt, da im günstigsten Falle ein Bourgeois auf zwei, oft auch drei, hier und da uuf vier Arbeiter kommt; diese Arbeiter haben selbst durchaus kein Eigentum und leben von dem Arbeitslohn, der fast immer aus der Hand in den Mund geht; die in lauter Atome aufgelöste Gesellschaft kümmert sich nicht um s sie, überläßt es ihnen, für sich und ihre Familien zu sorgen, und gibt ihnen dennoch nicht die Mittel an die Hand, dies auf eine wirksame und dauernde Weise tun zu können; jeder Arbeiter, auch der beste, ist daher stets der Brotlosigkeit, das heißt dem Hungertode ausgesetzt und viele erliegen ihm; die Wohnungen 10 der Arbeiter sind durchgehends schlecht gruppiert, schlecht ge¬ baut, in schlechtem Zustande gehalten, schlecht ventiliert, feucht und ungesund; die Einwohner sind auf den kleinsten Raum be¬ schränkt, und in den meisten Fällen schläft wenigstens Eine Fa¬ milie in Einem Zimmer; die innere Einrichtung der Wohnungen 15 ist ärmlich in verschiedenen Abstufungen bis zum gänzlichen Man¬ gel auch der notwendigsten Möbel; die Kleidung der Arbeiter ist ebenfalls durchschnittlich kärglich und bei einer großen Menge zerlumpt; die Nahrung im allgemeinen schlecht, oft fast unge¬ nießbar, und in vielen Fällen wenigstens zeitweise in unzureichen- 20 der Quantität, so daß im äußersten Falle Hungertod eintritt. — Die Arbeiterklasse der großen Städte bietet uns so eine Stufen¬ leiter verschiedener Lebenslagen dar — im günstigsten Falle eine temporär erträgliche Existenz, für angestrengte Arbeit guten Lohn, gute Wohnung und gerade keine schlechte Nahrung — alles 25 natürlich vom Arbeiterstandpunkt aus gut und erträglich — im schlimmsten bitteres Elend, das sich bis zur Obdachlosigkeit und dem Hungertode steigern kann; der Durchschnitt liegt aber dem schlimmsten Falle weit näher als dem besten. Und diese Stufen¬ leiter teilt sich nicht etwa bloß in fixe Klassen, so daß man sagen 30 könnte: dieser Fraktion der Arbeiter geht es gut, jener schlecht, und so bleibt es und so ist es schon von jeher gewesen; sondern, wenn das auch hier und da der Fall ist, wenn einzelne Arbeits¬ zweige im ganzen einen Vorzug vor andern genießen, so schwankt doch auch die Lage der Arbeiter in jeder Branche so sehr, daß 35 ein jeder einzelne Arbeiter in den Fall kommen kann, die ganze Stufenleiter zwischen verhältnismäßigem Komfort und dem äußer¬ sten Mangel, ja dem Hungertode durchzumachen — wie denn auch fast jeder englische Proletarier von bedeutenden Glückswechseln zu erzählen weiß. Die Ursachen davon wollen wir jetzt etwas näher 40 betrachten.
Die Konkurrenz Wir haben in der Einleitung gesehen, wie die Konkurrenz gleich im Anfänge der industriellen Bewegung das Proletariat schuf, in¬ dem sie bei vermehrter Nachfrage nach gewebten Stoffen den 5 Weblohn steigerte und dadurch die webenden Bauern veranlaßte, ihre Ackerwirtschaft dran zu geben, um am Webstuhl desto mehr verdienen zu können; wir haben gesehen, wie sie die kleinen Bauern durch das System der Bewirtschaftung im großen ver¬ drängte, sie zu Proletariern herabsetzte und dann teilweise in die 10 Städte zog; wie sie ferner die kleine Bourgeoisie zum größten Teil ruinierte und ebenfalls zu Proletariern herabdrückte, wie sie das Kapital in den Händen Weniger und die Bevölkerung in den großen Städten zentralisierte. Das sind die verschiedenen Wege und Mittel, durch welche die Konkurrenz, wie sie in der 15 modernen Industrie zur vollen Erscheinung und zur freien Ent¬ wicklung ihrer Konsequenzen kam, das Proletariat schuf und aus¬ dehnte. Wir werden jetzt ihren Einfluß auf das schon bestehende Proletariat zu betrachten haben. Und hier haben wir zuerst die Konkurrenz der einzelnen Arbeiter unter sich in ihren Folgen zu 20 entwickeln. — Die Konkurrenz ist der vollkommenste Ausdruck des in der modernen bürgerlichen Gesellschaft herrschenden Kriegs Aller gegen Alle. Dieser Krieg, ein Krieg um das Leben, um die Exi¬ stenz, um Alles, also auch im Notfälle ein Krieg auf Leben und 25 Tod, besteht nicht nur zwischen den verschiedenen Klassen der Gesellschaft, sondern auch zwischen den einzelnen Mitgliedern dieser Klassen; jeder ist dem andern im Wege, und jeder sucht daher auch alle, die ihm im Wege sind, zu verdrängen und sich an ihre Stelle zu setzen. Die Arbeiter konkurrieren unter sich, wie 30 die Bourgeois unter sich konkurrieren. Der mechanische Weber konkurriert gegen den Handweber, der unbeschäftigte oder schlecht bezahlte Handweber gegen den beschäftigten oder besser bezahlten, und sucht ihn zu verdrängen. Diese Konkurrenz der Arbeiter gegeneinander ist aber die schlimmste Seite der jetzigen 35 Verhältnisse für den Arbeiter, die schärfste Waffe gegen das Proletariat in den Händen der Bourgeoisie. Daher das Streben der Arbeiter, diese Konkurrenz durch Assoziationen aufzuheben, da¬ her die Wut der Bourgeoisie gegen diese Assoziationen und ihr Triumph über jede diesen beigebrachte Schlappe. 40 Der Proletarier ist hilflos; er kann für sich selbst nicht einen
78 Die Konkurrenz einzigen Tag leben. Die Bourgeoisie hat sich das Monopol aller Lebensmittel im weitesten Sinne des Worts angemaßt. Was der Proletarier braucht, kann er nur von dieser Bourgeoisie, die durch die Staatsgewalt in ihrem Monopol geschützt wird, erhalten. Der Proletarier ist also rechtlich und tatsächlich der Sklave der Bour- 5 geoisie; sie kann über sein Leben und seinen Tod verfügen. Sie bietet ihm ihre Lebensmittel an, aber für ein „Äquivalent“, für seine Arbeit; sie läßt ihm sogar noch den Schein, als ob er aus freiem Willen handelte, mit freier, zwangloser Einwilligung, als mündiger Mensch einen Vertrag mit ihr abschlösse. Schöne Frei-10 heit, wo dem Proletarier keine andere Wahl bleibt, als die Be¬ dingungen, die ihm die Bourgeoisie stellt, zu unterschreiben oder — zu verhungern, zu erfrieren, sich nackt bei den Tieren des Waldes zu betten! Schönes „Äquivalent“, dessen Betrag ganz im Belieben der Bourgeoisie steht! — Und ist der Proletarier ein 15 solcher Narr, lieber verhungern zu wollen, als sich in die „bil¬ ligen“ Vorschläge der Bourgeois, seiner „natürlichen Vor¬ gesetzte n“*\ zu fügen — je nun, es findet sich leicht ein an¬ derer, es gibt Proletarier genug in der Welt, und nicht alle sind so verrückt, nicht alle ziehen den Tod dem Leben vor. 20 Da haben wir die Konkurrenz der Proletarier untereinander. Wenn alle Proletarier nur den Willen aussprächen, lieber ver¬ hungern als für die Bourgeoisie arbeiten zu wollen, so würde diese schon von ihrem Monopol abstehen müssen; aber das ist nicht der Fall, das ist sogar ein ziemlich unmöglicher Fall, und daher ist 25 die Bourgeoisie noch immer guter Dinge. Nur Eine Schranke hat diese Konkurrenz der Arbeiter — kein Arbeiter wird für weniger arbeiten wollen, als er zu seiner Existenz nötig hat; wenn er ein¬ mal verhungern soll, so wird er lieber faul, als arbeitend ver¬ hungern wollen. Freilich ist diese Schranke relativ; der eine 30 braucht mehr als der andere, der eine ist an mehr Bequemlich¬ keit gewöhnt als der andere — der Engländer, der noch etwas zivilisiert ist, braucht mehr als der Irländer, der in Lumpen geht, Kartoffeln ißt und in einem Schweinestall schläft. Aber das hin¬ dert den Irländer nicht, gegen den Engländer zu konkurrieren und 35 allmählich den Lohn und mit ihm den Zivilisationsgrad des eng¬ lischen Arbeiters auf das Niveau des irischen herabzudrücken. Gewisse Arbeiten erfordern einen bestimmten Zivilisationsgrad, und dahin gehören fast alle industriellen; daher muß der Lohn hier schon im Interesse der Bourgeoisie selbst so hoch sein, daß er 40 dem Arbeiter möglich macht, sich in dieser Sphäre zu erhalten. Der frischeingewanderte, im ersten besten Stalle kampierende Ir¬ länder, der selbst in einer erträglichen Wohnung jede Woche auf *) Lieblingsausdruck der englischen Fabrikanten. —
Konkurrenz der Arbeiter / Maximum und Minimum des Lohns 79 die Straße gesetzt wird, weil er alles versäuft und die Miete nicht bezahlen kann, der würde ein schlechter Fabrikarbeiter sein; da¬ her muß den Fabrikarbeitern soviel gegeben werden, daß sie ihre Kinder zu regelmäßiger Arbeit erziehen können— aber auch nicht 5 mehr, damit sie nicht den Lohn ihrer Kinder entbehren können und sie etwas anderes werden lassen als bloße Arbeiter. Auch hier ist die Schranke, das Minimum des Lohnes, relativ; wo jeder in der Familie arbeitet, braucht der Einzelne um soviel weniger zu erhalten, und die Bourgeoisie hat die Gelegenheit zur Beschäf- 10 tigung und Rentbarmachung der Weiber und Kinder, die ihr in der Maschinenarbeit gegeben wurde, zur Herabdrückung des Lohns weidlich benutzt. Natürlich ist nicht in jeder Familie jeder arbeitsfähig, und eine solche Familie würde sich schlecht stehen, wenn sie zu dem auf eine ganz arbeitsfähige Familie berechneten 15 Minimum des Lohns arbeiten wollte; daher stellt sich der Lohn hier auf einen Durchschnitt, bei dem es der ganz arbeitsfähigen Familie ziemlich gut, der wenig arbeitsfähige Mitglieder zählen¬ den ziemlich schlecht geht. Aber im schlimmsten Falle wird jeder Arbeiter lieber das bißchen Luxus oder Zivilisation aufgeben, an 20 das er gewöhnt war, um nur die nackte Existenz zu fristen; er wird lieber einen Schweinestall als gar kein Obdach, lieber Lum¬ pen als gar keine Kleider, lieber nur Kartoffeln haben wollen als verhungern. Er wird lieber, in Aussicht auf bessere Zeiten, mit halbem Lohn zufrieden sein, als sich still auf die Straße setzen 25 und vor den Augen der Welt sterben, wie so mancher Brotlose es getan hat. Dies Bißchen also, dies Etwas mehr als Nichts, ist das Minimum des Lohns. Und wenn mehr Arbeiter da sind, als die Bourgeoisie zu beschäftigen für gut hält, wenn also am Ende des Konkurrenzkampfes doch noch eine Zahl übrig bleibt, die keine 30 Arbeit findet, so muß diese Zahl eben verhungern; denn der Bour¬ geois wird ihnen doch wahrscheinlich keine Arbeit geben, wenn er die Produkte ihrer Arbeit nicht mit Nutzen verkaufen kann. Wir sehen hieraus, was das Minimum des Lohns ist. Das Maxi¬ mum wird durch die Konkurrenz der Bourgeois gegeneinander 35 festgestellt, denn wir sahen, wie auch diese konkurrieren. Der Bourgeois kann sein Kapital nur durch Handel oder Industrie ver¬ größern, und zu beiden Zwecken braucht er Arbeiter. Selbst wenn er sein Kapital auf Zinsen legt, braucht er sie indirekt, denn ohne Handel und Industrie würde ihm niemand Zinsen dafür geben, 40 würde niemand es benutzen können. So braucht allerdings der Bourgeois den Proletarier, aber nicht zum unmittelbaren Leben — er könnte ja von seinem Kapitale zehren — sondern wie man einen Handelsartikel oder ein Lasttier braucht, zur Bereicherung. Der Proletarier verarbeitet dem Bourgeois die Waren, die dieser 45 mit Nutzen verkauft. Wenn also die Nachfrage nach diesen Waren
80 Die Konkurrenz wächst, so daß die gegeneinander konkurrierenden Arbeiter alle beschäftigt werden, vielleicht einige zu wenig da sind, so fällt die Konkurrenz der Arbeiter weg, und die Bourgeois fangen an, gegen¬ einander zu konkurrieren. Der Arbeiter suchende Kapitalist weiß sehr wohl, daß er bei den infolge der vermehrten Nachfrage stei- 5 genden Preisen größeren Gewinn macht, also auch lieber etwas mehr Lohn bezahlt, als sich den ganzen Gewinn entgehen läßt; er wirft mit der Wurst nach dem Schinken, und wenn er nur diesen bekommt, gönnt er dem Proletarier gern die Wurst. So jagt ein Kapitalist dem andern die Arbeiter ab, und der Lohn steigt. Aber w nur so hoch, wie die steigende Nachfrage erlaubt. Wenn der Ka¬ pitalist, der wohl von seinem außerordentlichen Gewinn etwas auf opferte, auch von seinem ordentlichen, d. h. Durchschnitts¬ gewinn etwas opfern sollte, so hütet er sich wohl, höheren als Durchschnittslohn zu zahlen. 15 Hieraus können wir den Durchschnittslohn bestimmen. Unter Durchschnittsverhältnissen, d. h. wenn weder Arbeiter noch Kapi¬ talisten Grund haben, besonders gegeneinander zu konkurrieren, wenn gerade soviel Arbeiter da sind, als beschäftigt wer¬ den können, um die gerade verlangten Waren zu verfertigen, wird 20 der Lohn etwas mehr als das Minimum betragen. Wie sehr er das Minimum übersteigen wird, wird von den Durchschnittsbedürf¬ nissen und dem Zivilisationsgrad der Arbeiter abhängen. Wenn die Arbeiter gewohnt sind, wöchentlich mehrere Male Fleisch zu essen, so werden sich die Kapitalisten bequemen müssen, den Ar- beitem soviel Lohn zu bezahlen, daß diesen eine solche Nahrung erschwinglich wird. Nicht weniger, weil die Arbeiter nicht unter sich konkurrieren, also auch keine Ursache haben, mit weniger vorlieb zu nehmen; nicht mehr, weil der Mangel der Konkurrenz unter den Kapitalisten diesen keine Veranlassung gibt, die Arbei- 30 ter durch außerordentliche Begünstigungen an sich zu ziehen. Dies Maß der durchschnittlichen Bedürfnisse und der durch¬ schnittlichen Zivilisation der Arbeiter ist durch die komplizierten Verhältnisse der heutigen englischen Industrie ein sehr verwickel¬ tes und für verschiedene Arbeiterklassen verschiedenes geworden, 35 wie schon oben angedeutet wurde. Die meisten industriellen Ar¬ beiten erfordern indes eine gewisse Geschicklichkeit und Regel¬ mäßigkeit, und für diese, die dann auch einen gewissen Zivilisa¬ tionsgrad erfordern, muß dann auch der Durchschnittslohn so sein, daß er den Arbeiter veranlaßt, sich diese Geschicklichkeit anzu- 40 eignen und dieser Regelmäßigkeit der Arbeit sich zu unterwerfen. Daher kommt es, daß der Lohn der Industriearbeiter durchschnitt¬ lich höher ist als der der bloßen Lastträger, Tagelöhner usw., namentlich höher als der der Arbeiter auf dem Lande, wozu frei¬ lich noch die Verteurung der Lebensmittel in den Städten ihr Teil 45
Der Arbeiter, Sklave der Bourgeoisie 81 beiträgt. — Oder deutsch gesprochen: der Arbeiter ist rechtlich und faktisch Sklave der besitzenden Klasse, der Bourgeoisie, so sehr ihr Sklave, daß er wie eine Ware verkauft wird, wie eine Ware im Preise steigt und fällt. Steigt die Nachfrage nach Ar- 3 beitern, so steigen die Arbeiter im Preise: fällt sie, so fallen sie im Preise; fällt sie so sehr, daß eine Anzahl Arbeiter nicht ver¬ käuflich sind, „auf Lager bleiben,* 35 * * * * 40 * * * * 45 46 so bleiben sie eben liegen, und da sie vom bloßen Liegen nicht leben können, so sterben sie Hungers. Denn, um in der Sprache der Nationalökonomen zu 10 sprechen, die auf ihren Unterhalt verwendeten Kosten würden sich nicht „reproduzieren,46 würden weggeworfnes Geld sein, und dazu gibt kein Mensch sein Kapital her. Und soweit hat Herr Malthus mit seiner Populationstheorie vollkommen recht. Der ganze Unter¬ schied gegen die alte, offenherzige Sklaverei ist nur der, daß der 15 heutige Arbeiter frei zu sein scheint, weil er nicht auf einmal verkauft wird, sondern stückweise, pro Tag, pro Woche, pro Jahr, und weil nicht ein Eigentümer ihn dem andern verkauft, sondern er sich selbst auf diese Weise verkaufen muß, da er ja nicht der Sklave eines Einzelnen, sondern der ganzen besitzenden Klasse ist. 20 Für ihn bleibt die Sache im Grunde dieselbe, und wenn dieser Schein der Freiheit ihm auch einerseits einige wirkliche Frei¬ heit geben muß, so hat er auf der andern Seite auch den Nachteil, daß ihm kein Mensch seinen Unterhalt garantiert, daß er von seinem Herrn, der Bourgeoisie, jeden Augenblick zurückgestoßen 25 und dem Hungertode überlassen werden kann, wenn die Bour¬ geoisie kein Interesse mehr an seiner Beschäftigung, an seiner Existenz hat. — Die Bourgeoisie dagegen steht sich bei dieser Einrichtung viel besser als bei der alten Sklaverei — sie kann ihre Leute abdanken, wenn sie Lust hat, ohne daß sie dadurch ein 30 angelegtes Kapital verlöre, und bekommt überhaupt die Arbeit viel wohlfeiler getan, als es sich durch Sklaven tun läßt, wie dies Adam Smith*) ihr zu Tröste vorrechnet. *) „Man hat gesagt, daß der Verschleiß eines Sklaven auf Kosten sei¬ nes Herrn vor sich gehe, während der eines freien Arbeiters für Rechnung 35 dieses Arbeiters geschehe. Aber der Verschleiß des letzteren ist ebenfalls für Rechnung des Herrn. Der den Tagelöhnern, Dienern usw. von jeg¬ licher Art bezahlte Lohn muß so hoch sein, daß er diese in den Stand setzt, die Rasse der Tagelöhner und Diener in der Weise fortzupflanzen, wie es die zunehmende, stationäre oder abnehmende Nachfrage der Ge- 40 Seilschaft nach solchen Leuten gerade verlangt. Aber obgleich der Ver¬ schleiß eines freien Arbeiters ebenfalls auf Kosten des Herrn vor sich geht, so kostet er ihm doch in der Regel viel weniger als der eines Skla¬ ven. Der Fonds, der dazu bestimmt ist, den Verschleiß eines Sklaven zu reparieren oder zu ersetzen, wird gewöhnlich von einem nachlässigen 45 Herrn oder unaufmerksamen Aufseher verwaltet etc.“ — A. Smith, Wealth of Nations, I, 8, p. 133 der MacCulloch’schen vierbändigen Ausg. Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 6
82 Die Konkurrenz Hieraus folgt denn auch, daß Adam Smith ganz recht hat, wenn er (a.a.O.) den Satz aufstellt: „daß die Nachfrage nach Arbeitern, gerade wie die Nachfrage nach irgend einem andern Ar¬ tikel, die Produktion von Arbeitern, die Quantität der erzeugten Menschen reguliert, diese Produktion beschleunigt, wenn sie zu 5 langsam geht, sie aufhält, wenn sie zu rasch fortschreitet.“ Ganz wie mit jedem andern Handelsartikel — ist zu wenig da, so steigen die Preise, d. h. der Lohn, es geht den Arbeitern besser, die Heiraten vermehren sich, es werden mehr Menschen erzeugt, es wachsen mehr Kinder heran, bis genug Arbeiter produ-10 ziert sind; ist zu viel da, so fallen die Preise, es tritt Brotlosigkeit, Elend, Hungersnot und infolge davon Seuchen ein, und raffen die „überflüssige Bevölkerung“ weg. Und Malthus, der obigen Smith- schen Satz weiter ausführt, hat ebenfalls in seiner Weise recht, wenn er behauptet, es sei stets überflüssige Bevölkerung da, es 15 seien immer zu viel Menschen in der Welt; er hat nur dann un¬ recht, wenn er behauptet, es seien mehr Menschen da, als von den vorhandenen Lebensmitteln ernährt werden könnten. Die über¬ flüssige Bevölkerung wird vielmehr durch die Konkurrenz der Ar¬ beiter unter sich erzeugt, die jeden einzelnen Arbeiter zwingt, täg- 20 lieh soviel zu arbeiten, als seine Kräfte ihm nur eben gestatten. Wenn ein Fabrikant täglich zehn Arbeiter neun Stunden lang be¬ schäftigen kann, so kann er, wenn die Arbeiter zehn Stunden täg¬ lich arbeiten, nur neun beschäftigen, und der zehnte wird brotlos. Und wenn der Fabrikant zu einer Zeit, wo die Nachfrage nach Ar- 25 beitem nicht sehr groß ist, die neun Arbeiter durch die Drohung, sie zu entlassen, zwingen kann, für denselben Lohn täglich eine Stunde mehr, also zehn Stunden zu arbeiten, so entläßt er den zehnten und spart dessen Lohn. Wie hier im kleinen, so geht es bei einer Nation im großen. Die durch die Konkurrenz der Ar- 30 beiter unter sich auf ihr Maximum gesteigerten Leistungen jedes einzelnen, die Teilung der Arbeit, die Einführung von Maschi¬ nerie, die Benutzung der Elementarkräfte werfen eine Menge Ar¬ beiter außer Brot. Diese brotlosen Arbeiter kommen aber aus dem Markte; sie können nichts mehr kaufen, also die früher von 35 ihnen verlangte Quantität Handelswaren wird jetzt nicht mehr ver¬ langt, braucht also nicht mehr angefertigt zu werden, die früher mit deren Verfertigung beschäftigten Arbeiter werden also wieder brotlos, treten vom Markte ebenfalls ab, und so geht es immer weiter, immer denselben Kreislauf durch — oder vielmehr, so 40 würde es gehen, wenn nicht andre Umstände dazwischen träten. Die Einführung der oben angeführten industriellen Mittel, die Produktion zu vermehren, führt nämlich auf die Dauer niedrigere 15—17 1887 fehlt es sei stets .. behauptet,
Überflüssige Bevölkerung / Handelskrisen 83 Preise der produzierten Artikel und infolge davon einen vermehr¬ ten Konsum herbei, so daß ein großer Teil der außer Brot gesetz¬ ten Arbeiter in neuen Arbeitszweigen und freilich nach langen Leiden endlich doch wieder unterkommt. Tritt hierzu noch, wie es 5 in England während der letzten sechzig Jahre geschah, die Erobe¬ rung fremder Märkte, so daß die Nachfrage nach Manufaktur- waren fortwährend und rasch steigt, so steigt auch die Nachfrage nach Arbeitern und mit ihr die Bevölkerung in demselben Ver¬ hältnisse. Statt also abzunehmen, hat sich die Einwohnerzahl des 10 britischen Reichs reißend schnell vermehrt, vermehrt sich noch fortwährend — und bei all der steigenden Ausdehnung der Indu¬ strie, bei all der im ganzen und großen steigenden Nachfrage nach Arbeitern hat England, nach dem Geständnisse der offiziellen Par¬ teien (d. h. der Tories, Whigs und Radikalen) dennoch fortwäh- 15 rend überzählige und überflüssige Bevölkerung, ist dennoch fort¬ während im ganzen die Konkurrenz unter den Arbeitern grö¬ ßer als die Konkurrenz u m Arbeiter. Woher kommt dieser Widerspruch? Aus dem Wesen der In¬ dustrie und Konkurrenz und den darin begründeten Handelskrisen. 20 Bei der heutigen regellosen Produktion und Verteilung der Lebens¬ mittel, die nicht um der unmittelbaren Befriedigung der Bedürf¬ nisse, sondern um des Geldgewinns willen unternommen wird, bei dem System, wonach jeder auf eigne Faust arbeitet und sich bereichert, muß alle Augenblicke eine Stockung entstehen. Eng- 25 land z. B. versorgt eine Menge Länder mit den verschiedensten Waren. Wenn nun auch der Fabrikant weiß, wie viel von jedem Artikel in jedem einzelnen Lande jährlich gebraucht wird, so weiß er doch nicht, wie viel zu jeder Zeit die Vorräte dort betragen, und noch viel weniger, wie viel seine Konkurrenten dorthin schicken. 30 Er kann nur aus den ewig schwankenden Preisen einen unsichem Schluß auf den Stand der Vorräte und der Bedürfnisse machen, er muß aufs Geratewohl seine Waren hinausschicken; alles ge¬ schieht blindlings ins Blaue hinein, mehr oder weniger nur unter der Ägide des Zufalls. Auf die geringsten günstigen Berichte hin 35 schickt jeder was er kann — und nicht lange, so ist ein solcher Markt überfüllt mit Waren, der Verkauf stockt, die Kapitalien bleiben aus, die Preise fallen, und die englische Industrie hat keine Beschäftigung für ihre Arbeiter mehr. Im Anfänge der in¬ dustriellen Entwicklung beschränkten sich diese Stockungen auf 40 einzelne Fabrikationszweige und einzelne Märkte; aber durch die zentralisierende Wirkung der Konkurrenz, die die Arbeiter, die in einem Arbeitszweige brotlos werden, auf die am leichtesten er¬ lernbaren aus den übrigen, und die in einem Markte nicht mehr 36—37 1892 die Rückflüsse bleiben aus 6*
84 Die Konkurrenz unterzubringenden Waren auf die übrigen Märkte wirft, und da¬ durch allmählich die einzelnen kleinen Krisen näher zusammen¬ rückt, sind diese nach und nach in eine einzige Reihe von perio¬ disch wiederkehrenden Krisen vereinigt worden. Eine solche Kri¬ sis pflegt alle fünf Jahre auf eine kurze Periode der Blüte und des 5 allgemeinen Wohlbefindens zu folgen; der heimische Markt, wie alle fremden Märkte, liegen voll englischer Fabrikate und können diese letzteren nur langsam konsumieren; die industrielle Be¬ wegung stockt in fast allen Zweigen; die kleineren Fabrikanten und Kaufleute, die das Ausbleiben ihrer Kapitalien nicht über-10 stehen können, fallieren, die größeren hören während der Dauer der schlimmsten Epoche auf, Geschäfte zu machen, setzen ihre Maschinen still oder lassen nur „kurze Zeit“ arbeiten, d. h. etwa nur halbe Tage; der Lohn fällt durch die Konkurrenz der Brot¬ losen, die Verringerung der Arbeitszeit und den Mangel an ge-15 winnbringenden Warenverkäufen; allgemeines Elend verbreitet sich unter den Arbeitern, die etwaigen kleinen Ersparnisse Einzel¬ ner sind rasch verzehrt, die wohltätigen Anstalten werden über¬ laufen, die Armensteuer verdoppelt, verdreifacht sich und reicht doch nicht aus, die Zahl der Verhungernden vermehrt sich, und 20 auf einmal tritt die ganze Menge der „überflüssigen“ Bevölkerung in schreckenerregender Anzahl hervor. Das dauert dann eine Zeit- lang; die „Überflüssigen“ schlagen sich durch, so gut es geht, oder schlagen sich auch nicht durch; die Wohltätigkeit und die Armen¬ gesetze helfen vielen zu einer mühsamen Fristung ihrer Existenz; 25 andre finden hier und da in solchen Arbeitszweigen, die der Kon¬ kurrenz weniger offengelegt worden sind, die der Industrie ferner¬ stehen, eine kümmerliche Lebenserhaltung — und mit wie weni¬ gem kann der Mensch sich nicht für eine Zeitlang durchschlagen! — Allmählich wird der Stand der Dinge günstiger; die aufgehäuf- 30 ten Warenvorräte werden konsumiert, die allgemeine Nieder¬ geschlagenheit der Handels- und Industriemänner hindert ein zu rasches Auffüllen der Lücken, bis endlich steigende Preise und günstige Berichte von allen Seiten die Tätigkeit wiederherstellen. Die Märkte liegen meist weit entfernt; bis die ersten neuen Zu- 35 fuhren hingelangen können, steigt die Nachfrage fortwährend und mit ihr die Preise; man reißt sich um die zuerst ankommenden Waren, die ersten Verkäufe beleben den Verkehr noch mehr, die noch erwarteten Zufuhren versprechen noch höhere Preise, man fängt in Erwartung eines ferneren Aufschlags an, auf Spekulation 40 zu kaufen, und so die für den Konsum bestimmten Waren gerade zur nötigsten Zeit dem Konsum zu entziehen — die Spekulation steigert die Preise noch mehr, da sie andre zum Kaufen ermutigt und neue Zufuhren vorwegnimmt — alles das wird nach England berichtet, die Fabrikanten fangen wieder flott an zu arbeiten, neue 45
Reserve von Arbeitern 85 Fabriken werden errichtet, alle Mittel aufgeboten, um die günstige Epoche auszubeuten; die Spekulation tritt auch hier ein, ganz mit derselben Wirkung wie auf den fremden Märkten, die Preise stei¬ gernd, die Waren dem Konsum wegnehmend, durch beides die 5 industrielle Produktion zur höchsten Kraftanstrengung treibend — dann kommen die „unsoliden“ Spekulanten, die mit fiktivem Ka¬ pital arbeiten, vom Kredit leben, die ruiniert sind, wenn sie nicht gleich flott verkaufen können, und stürzen sich in dies allgemeine, unordentliche Wettrennen nach Geldgewinn, vermehren die Un- 10 ordnung und Hast durch ihre eigne zügellose Leidenschaft, welche Preise und Produktion bis zum Wahnsinn steigert — es ist ein tolles Treiben, das auch den Ruhigsten und Erfahrensten ergreift, es wird gehämmert, gesponnen, gewoben, als gälte es, die ganze Menschheit neu zu equipieren, als wären ein paar tausend Mil¬ ls lionen neuer Konsumenten auf dem Monde entdeckt worden. Auf einmal fangen drüben die unsoliden Spekulanten, die Geld haben müssen, zu verkaufen an — unter dem Marktpreise, versteht sich, denn die Sache hat Eile — dem einen Verkauf folgen mehrere, die Preise wanken, die Spekulanten werfen erschreckt ihre Waren in 20 den Markt, der Markt ist in Unordnung, der Kredit ist erschüttert, ein Haus nach dem andern stellt die Zahlungen ein, Bankerott folgt auf Bankerott, und man findet, daß drei Mal mehr Ware am Platze und unterwegs ist, als der Konsum erfordern würde. Die Nachrichten kommen nach England, wo in der Zwischenzeit noch 25 immer mit aller Gewalt fabriziert worden — ein panischer Schrecken ergreift auch hier die Gemüter, die Fallissements von drüben ziehen andre in England nach sich, die Stockung stürzt da¬ zu noch eine Menge Häuser, in der Angst werden auch hier alle Vorräte gleich an den Markt gebracht, und der Schrecken dadurch 30 noch übertrieben. Das ist der Anfang der Krisis, die dann wieder genau denselben Verlauf nimmt wie die vorige und später wieder in eine Periode der Blüte umschlägt. So geht es in einem fort, Blüte, Krisis, Blüte, Krisis, und dieser ewige Kreislauf, in dem sich die englische Industrie bewegt, pflegt sich, wie gesagt, in je 35 fünf oder sechs Jahren zu vollenden. Hieraus geht hervor, daß zu allen Zeiten, ausgenommen in den kurzen Perioden höchster Blüte, die englische Industrie eine unbe¬ schäftigte Reserve von Arbeitern haben muß, um eben während der am meisten belebten Monate die im Markte verlangten Massen 40 von Waren produzieren zu können. Diese Reserve ist mehr oder minder zahlreich, je nachdem die Lage des Marktes minder oder mehr die Beschäftigung eines Teiles derselben veranlaßt. Und wenn auch bei dem höchsten Blütenstande des Marktes wenigstens zeitweise die Ackerbaudistrikte, Irland und die weniger von dem 45 Aufschwung ergriffenen Arbeitszweige eine Anzahl Arbeiter lie¬
86 Die Konkurrenz fern können, so bilden diese einerseits doch eine Minderzahl, und gehören andrerseits ebenfalls zur Reserve, nur mit dem Unter¬ schiede, daß der jedesmalige Aufschwung es erst zeigt, daß sie dazu gehören. Man schränkt sich, wenn sie zu den belebteren Arbeitszweigen übertreten, daheim ein, um den Ausfall weniger a zu merken, arbeitet länger, beschäftigt Weiber und jüngere Leute, und wenn sie beim Eintritt der Krisis entlassen zurückkommen, finden sie, daß ihre Stellen besetzt und sie überflüssig sind — wenigstens großenteils. Diese Reserve, zu der während der Krisis eine ungeheure Menge, und während der Zeitabschnitte, die man 10 als Durchschnitt von Blüte und Krisis annehmen kann, noch immer eine gute Anzahl gehören — das ist die „überzählige Bevölke¬ rung66 Englands, die durch Betteln und Stehlen, durch Straßen¬ kehren, Einsammeln von Pferdemist, Fahren mit Schubkarren oder Eseln, Herumhökern oder einzelne gelegentliche kleine Ar- in beiten eine kümmerliche Existenz fristet. Man sieht in allen großen Städten eine Menge solcher Leute, die so durch kleine gelegent¬ liche Verdienste „Leib und Seele Zusammenhalten66, wie die Eng¬ länder sagen. Es ist merkwürdig, zu welchen Erwerbszweigen diese „überflüssige Bevölkerung66 ihre Zuflucht nimmt. Die Londoner 20 Straßenkehrer (cross sweeps) sind weltbekannt; bisher wurden aber nicht nur diese Kreuzwege, sondern auch in andern großen Städten die Hauptstraßen von Arbeitslosen gekehrt, die von der Armen- oder Straßenverwaltung dazu angenommen wurden — jetzt hat man eine Maschine, die täglich durch die Straßen rasselt 25 und den Arbeitslosen diesen Erwerbszweig verdorben hat. Auf den großen Routen, die in die Städte führen, und auf denen viel Wagen verkehr ist, sieht man eine Menge Leute mit kleinen Karren, die den frischgefallnen Pferdemist mit Lebensgefahr zwischen den vorbeirollenden Kutschen und Omnibussen wegscharren und zum 30 Verkauf einsammeln — dafür müssen sie oft noch wöchentlich ein paar Schillinge an die Straßenverwaltung bezahlen, und an vielen Orten ist es ganz verboten, weil sonst die Straß en Verwaltung ihren zusammengekehrten Kot, der nicht den gehörigen Anteil Pferdemist enthielt, nicht als Dünger verkaufen konnte. Glücklich 35 sind diejenigen „Überflüssigen66, die sich eine Schubkarre ver¬ schaffen und damit Fuhren tun können, noch glücklicher die¬ jenigen, denen es gelingt, Geld für einen Esel nebst Karre zu be¬ kommen — der Esel muß sich sein Futter selbst suchen oder er¬ hält ein wenig zusammengesuchten Abfall, und kann doch einiges 40 Geld einbringen. — Die meisten „Überflüssigen66 werfen sich aufs Hökern. Namentlich Samstag abends, wenn die ganze Arbeiter¬ bevölkerung auf den Straßen ist, sieht man die Menge zusammen, die davon lebt. Schnürriemen, Hosenträger, Litzen, Orangen, Kuchen, kurz alle möglichen Artikel werden von zahllosen Män- 45
Reserve von Arbeitern 87 nern, Frauen und Kindern ausgeboten — und auch sonst sieht man alle Augenblicke solche Höker mit Orangen, Kuchen, Ginger- beer oder Nettle-beer*) in den Straßen stehen oder umherziehen. Zündhölzchen und derartige Dinge, Siegellack, Patent-Komposi- 5 tionen zum Feueranzünden usw. bilden ebenfalls Handelsartikel für diese Leute. Andre — sogenannte Jobbers — gehen in den Straßen umher und sehen sich nach gelegentlichen kleinen Ar¬ beiten um; manchem derselben gelingt es, sich ein Tagewerk zu verschaffen, viele sind nicht so glücklich. „An den Toren aller 10 Londoner Docks66, erzählt der Revd. W. Champneys, Prediger im östlichen Distrikt von London, „erscheinen jeden Morgen im Win¬ ter schon vor Tagesanbruch Hunderte von Armen, die in der Hoff¬ nung, ein Tagewerk zu erlangen, auf die Eröffnung der Tore warten, und wenn die jüngsten und stärksten und die am meisten 15 bekannten engagiert worden sind, gehen noch Hunderte nieder¬ geschlagen von getäuschter Hoffnung zu ihren ärmlichen Woh¬ nungen zurück.66 Was bleibt diesen Leuten, wenn sie keine Arbeit finden und sich nicht gegen die Gesellschaft auflehnen wollen, anders übrig als zu betteln? Und da kann man sich nicht über 20 die Menge von Bettlern, die meist arbeitsfähige Männer sind, wun¬ dern, mit denen die Polizei fortwährend zu kämpfen hat. Die Bettelei dieser Männer hat aber einen eigentümlichen Charakter. Solch ein Mann pflegt mit seiner Familie umherzuziehen, in den Straßen ein bittendes Lied zu singen oder in einem Vortrage die 25 Mildtätigkeit der Nachbarn anzusprechen. Und es ist auffallend, daß man diese Bettler fast nur in Arbeiterbezirken findet, daß es fast nur Gaben von Arbeitern sind, von denen sie sich erhalten. Oder die Familie stellt sich schweigend an eine belebte Straße und läßt, ohne ein Wort zu sagen, den bloßen Anblick der Hilf- 30 losigkeit wirken. Auch hier rechnen sie nur auf die Teilnahme der Arbeiter, die aus Erfahrung wissen, wie der Hunger tut, und jeden Augenblick in die gleiche Lage kommen können; denn man findet diese stumme, und doch so höchst ergreifende Ansprache fast nur an solchen Straßen, die von Arbeitern frequentiert, und zu solchen 35 Stunden, in denen sie von Arbeitern passiert werden; namentlich aber Sonnabend abends, wo überhaupt die „Geheimnisse66 der Ar¬ beiterbezirke in den Hauptstraßen sich enthüllen, und die Mittel¬ klasse sich von diesen so verunreinigten Gegenden so viel wie mög¬ lich zurückzieht. Und wer von den Überflüssigen Mut und Leiden- 4o schäft genug hat, sich der Gesellschaft offen zu widersetzen und *) Zwei kühlende und moussierende Getränke, das erste von Wasser, Zucker und etwas Ingwer, das andre von Wasser, Zucker und Nesseln be¬ reitet, und bei den Arbeitern, namentlich Mäßigkeitsmännern, beliebt. 36 1892 Samstag abends
88 Die Konkurrenz auf den versteckten Krieg, den die Bourgeoisie gegen ihn führt, mit dem offnen Krieg gegen die Bourgeoisie zu ant¬ worten, der geht hin, stiehlt und raubt und mordet. Dieser Überflüssigen gibt es nach den Berichten der Armen¬ gesetzkommissäre durchschnittlich anderthalb Millionen in Eng- 5 land und Wales, in Schottland läßt sich die Zahl wegen Mangel an Armengesetzen nicht bestimmen, und von Irland werden wir speziell zu sprechen haben. Diese anderthalb Millionen schließen übrigens nur diejenigen ein, die wirklich die Armenverwaltung um Hilfe ansprechen; die große Menge, die sich, ohne dies letzte, 10 so sehr gescheute Auskunftsmittel anzuwenden, forthilft, ist darin nicht eingeschlossen; dafür fällt aber auch ein guter Teil der obigen Zahl auf die Ackerbaudistrikte und kommt hier also nicht in Betracht. Während einer Krisis vermehrt sich diese Zahl natür¬ lich um ein bedeutendes, und die Not steigt auf den höchsten Grad. 15 Nehmen wir z. B. die Krisis von 1842, die, weil die letzte, auch die heftigste war — denn die Intensität der Krisen wächst mit jeder Wiederholung, und die nächste, die wohl 1847 spätestens eintreten wird, wird allem Anscheine nach noch heftiger und dauernder sein. Während dieser Krisis stieg die Armensteuer in 20 allen Städten auf einen nie gekannten Höhenpunkt. Unter andern mußten in Stockport von jedem Pfund, das an Hausmiete bezahlt wurde, acht Shill. Armensteuer bezahlt werden, so daß die Steuer allein 40 Prozent vom Mietbetrage der ganzen Stadt ausmachte; dazu standen ganze Straßen leer, so daß mindestens 20000 Ein- 25 wohner weniger als gewöhnlich da waren und man an die Türen der leerstehenden Häuser geschrieben fand: Stockport to let — Stockport zu vermieten. In Bolton, wo in gewöhnlichen Jahren der Armensteuer zahlende Mietertrag durchschnittlich 86000 Pfd. St. betrug, sank er auf 36000 Pfd. St.; dagegen stieg die Anzahl der 30 zu unterstützenden Armen auf 14000, also über 20 Prozent der ganzen Einwohnerzahl. In Leeds hatte die Armenverwaltung einen Reservefonds von 10000 Pfd. St. — dieser, sowie eine Kollekte von 7000 Pfd. St. wurde schon, ehe die Krisis ihren Höhepunkt erreichte, vollständig erschöpft. So war es überall; ein Bericht, 35 den ein Komitee der Anti-Komgesetz-Ligue im Januar 1843 über den Zustand der Industriebezirke im Jahre 1842 erstattete, und der auf ausführlichen Angaben der Fabrikanten beruhte, sagt aus, daß die Armensteuer durchschnittlich doppelt so hoch gewesen sei als 1839, und die Zahl der Unterstützungsbedürftigen sich seit 40 jener Zeit verdreifacht, ja verfünffacht habe; daß eine Menge Applikanten einer Klasse angehörten, die bis jetzt nie um Unter¬ stützung angehalten hätten usw.; daß die arbeitende Klasse über 18—19 1887 Fußnote: And it came in 1847.
Die Schicksale dieser Reserve in der Krisis von 1842 89 zwei Drittel weniger Lebensmittel zu verfügen habe als 1834/36; daß die Konsumtion von Fleisch bedeutend geringer gewesen sei — an einigen Orten 20 Prozent, an andern bis zu 60 Prozent; daß selbst die gewöhnlichen Handwerker, Schmiede, Maurer usw., 5 die sonst in den gedrücktesten Perioden noch volle Beschäftigung hatten, ebenfalls viel an Mangel an Arbeit und Lohnherabsetzung gelitten hätten — und daß selbst jetzt, im Januar 1843, der Lohn noch fortwährend im Fallen sei. Und das sind Berichte von Fa¬ brikanten!— Die brotlosen Arbeiter, deren Fabriken Stillständen, io deren Brotherren ihnen keine Arbeit geben konnten, standen über¬ all auf den Straßen, bettelten einzeln oder in Haufen, belagerten scharenweise die Chausseen und sprachen die Vorüberkommenden um Unterstützung an — sie baten aber nicht kriechend, wie ge¬ wöhnliche Bettler, sondern drohend durch ihre Zahl, ihre Ge¬ is bärden und Worte. So sah es in allen Industriebezirken aus, von Leicester bis Leeds und von Manchester bis Birmingham. Hier und da brachen einzelne Unruhen aus, so im Juli in den Töpfereien von Nord-Staffordshire; die fürchterlichste Gärung herrschte unter den Arbeitern, bis sie endlich im August in der allgemeinen In¬ sa surrektion der Fabrikdistrikte zum Ausbruche kam. Als ich Ende November 1842 nach Manchester kam, standen noch überall eine Menge Arbeitsloser an den Straßenecken, und viele Fabriken standen noch still; in den nächsten Monaten bis Mitte 1843 ver¬ loren sich die unfreiwilligen Eckensteher allmählich, und die Fa- 25 briken kamen wieder in Betrieb. Was hier für eine Masse von Elend und Not unter diesen Ar¬ beitslosen während einer solchen Krisis herrscht, brauche ich wohl nicht erst zu sagen. Die Armensteuer reicht nicht aus — bei weitem nicht; die Wohltätigkeit der Reichen ist ein Schlag ins Wasser, 30 dessen Wirkung in einem Augenblick verschwunden ist; die Bet¬ telei kam, wo so viele sind, nur wenigen helfen. Wenn nicht die kleinen Krämer den Arbeitern zu solchen Zeiten auf Kredit ver¬ kauften, solange sie können — sie lassen sich freilich auch tüchtig dafür nachzahlen — und wenn nicht die Arbeiter unter sich ein- 35 ander unterstützten, solange sie können, so würde jede Krisis aller¬ dings Massen von „Überflüssigen66 durch Hungersnot wegraffen. So aber, da die gedrückteste Epoche doch nur kurz ist, ein Jahr, höchstens zwei oder dritthalb Jahre dauert, kommen die meisten doch noch mit dem nackten Leben und schweren Entbehrungen da- 40 von. Daß indirekt, durch Krankheiten usw. jeder Krisis eine Menge Opfer fallen, werden wir sehen. Einstweilen wenden wir uns zu einer andern Ursache der Erniedrigung, der die englischen Arbeiter anheimgegeben sind, einer Ursache, die noch fortwäh¬ rend daran arbeitet, jene Klasse immer tiefer und tiefer herab- 45 zudrücken.
Die irische Einwanderung Wir erwähnten schon mehrere Male gelegentlich der Irländer, die sich nach England hinübergesiedelt haben, und werden die Ursachen und Wirkungen dieser Einwanderung jetzt näher zu er¬ örtern haben. «5 Die rasche Ausdehnung der englischen Industrie hätte nicht stattfinden können, wenn England nicht an der zahlreichen und armen Bevölkerung von Irland eine Reserve gehabt hätte, über die es verfügen konnte. Der Irländer hatte daheim nichts zu verlieren, in England viel zu gewinnen, und seit der Zeit, daß es in Irland 10 bekannt wurde, auf der Ostseite des Georgskanals sei sichre Arbeit und guter Lohn für starke Arme zu finden, sind jedes Jahr Scharen von Irländern herübergekommen. Man rechnet, daß bis jetzt über eine Million auf diese Weise eingewandert sind, und jährlich noch an fünfzigtausend einwandern, die sich fast alle auf die Industrie- 15 bezirke, namentlich die großen Städte werfen und dort die nie¬ drigste Klasse der Bevölkerung bilden. So sind in London 120000, in Manchester 40000, in Liverpool 34000, Bristol 24000, Glas¬ gow 40000, Edinburgh 29000 arme Irländer.*) Diese Leute, fast ohne alle Zivilisation aufgewachsen, an Entbehrungen aller Art 20 von Jugend auf gewöhnt, roh, trunksüchtig, unbekümmert um die Zukunft, kommen so herüber und bringen alle ihre brutalen Sitten mit herüber in eine Klasse der englischen Bevölkerung, die wahr¬ lich wenig Reiz zur Bildung und Moralität hat. Lassen wir Thomas Carlyle**) sprechen: „Die wilden milesischen Gesichter***), die 25 nach falscher Schlauheit, Schlechtigkeit, Unvernunft, Elend und Spötterei aussehen, grüßen Euch an allen unsren Haupt- und Nebenstraßen. Der englische Kutscher, wie er vorbeirollt, schlägt mit der Peitsche nach dem Milesier; dieser verflucht ihn mit seiner Zunge, hält den Hut hin und bettelt. Er ist das schlimmste Übel, 30 mit dem dies Land zu kämpfen hat. Mit seinen Lumpen und seinem verwilderten Lachen ist er bei der Hand, alle Arbeit zu tim, die nur starke Arme und einen starken Rücken erfordert — für einen Lohn, der ihm Kartoffeln kauft. Er braucht nur Salz zur Würze; er schläft ganz vergnügt im ersten besten Schweinestall oder 35 *) Archibald Alison, High Sheriff of Lanarkshire, The Principles of Population, and their Connection with Human Happiness. 2 vols. 1840. — Dieser Alison ist der Geschichtsschreiber der französischen Revolution, und wie sein Bruder, der Dr. W. P. Alison, religiöser Tory. — **) Chartism, p. 28, 31 usw. 40 ***) Miles ist der Name der alten keltischen Könige von Irland.
Ursachen und Anzahl / Schilderung nach Carlyle 91 Hundestall, nistet sich in Scheunen ein und trägt einen Anzug von Fetzen, die aus- und anzuziehen eine der schwierigsten Operationen ist, die nur an Festtagen und zu besonders günstigen Zeiten vor¬ genommen wird. Der sächsische Mann, der auf solche Bedingungen 5 nicht arbeiten kann, wird brotlos. Der unzivilisierte Irländer, nicht durch seine Kraft, sondern durch das Gegenteil davon, treibt den sächsischen Eingebomen aus und nimmt von seiner Stelle Besitz. Da wohnt er in seinem Schmutz und seiner Unbekümmertheit, in seiner betrunkenen Gewaltsamkeit und Falschheit, der fertige 10 Nukleus von Degradation und Unordnung. Wer sich noch zu schwimmen, noch an der Oberfläche sich zu halten abmüht, der kann hier ein Beispiel sehen, wie der Mensch existieren kann, nicht schwimmend, sondern untergesunken. Daß die Lage der niedrigen Masse der englischen Arbeiter immer näher kommt der 15 der irischen, die mit ihnen in allen Märkten konkurrieren; daß alle Arbeit, die mit bloßer Körperstärke ohne viel Geschicklich¬ keit abgetan werden kann, nicht für englischen Lohn getan wird, sondern für eine Annäherung an irischen Lohn, d. h. für etwas mehr als ,halbsatt von Kartoffeln schlechtester Sorte für dreißig so Wochen im Jahr6 — für etwas mehr, aber mit der Ankunft jedes neuen Dampfboots von Irland diesem Endziel näherrückend — wer sieht das nicht?66 Carlyle hat hierin — wenn wir die übertriebene und einseitige Verwerfung des irischen Nationalcharakters ausnehmen — voll- 25 kommen recht. Diese irischen Arbeiter, die für vier Pence (ßVs Sgr.) nach England herüberfahren — auf dem Verdeck der Dampfschiffe, wo sie oft so gedrängt stehen wie Vieh — nisten sich überall ein. Die schlechtesten Wohnungen sind übrigens gut genug für sie; ihre Kleider machen ihnen wenig Müh, solange 30 sie nur noch mit einem Faden Zusammenhalten, Schuhe kennen sie nicht; ihre Nahrung sind Kartoffeln und nur Kartoffeln — was sie drüber verdienen, vertrinken sie, was braucht ein solches Ge¬ schlecht viel Lohn? Die schlechtesten Viertel aller großen Städte sind von Irländern bewohnt; überall, wo ein Bezirk sich durch be- 35 sondern Schmutz und besondem Verfall auszeichnet, kann man darauf rechnen, vorzugsweise diese keltischen Gesichter anzutref¬ fen, die man auf den ersten Blick von den sächsischen Physiogno¬ mien der Eingeborenen unterscheidet, und die singende, aspirierte irische Brogue zu hören, die der echte Irländer nie verlernt. Zu- 40 weilen habe ich sogar irisch-keltisch in den dichtestbevölkerten Teilen von Manchester sprechen hören. Die Mehrzahl der Fami¬ lien, die in Kellern wohnen, sind fast überall irischen Ursprungs. Kurz, die Irländer haben es herausgefunden, wie Dr. Kay sagt, was das Minimum der Lebensbedürfnisse ist, und lehren es nun 45 den englischen Arbeitern. Auch den Schmutz und die Trunksucht
92 Die irische Einwanderung haben sie mitgebracht. Diese Unreinlichkeit, die auf dem Lande, wo die Bevölkerung zerstreut lebt, nicht so viel schadet, die aber dem Irländer zur andern Natur geworden ist, wird hier in den großen Städten durch ihre Konzentration erst schreckenerregend und gefahrbringend. Wie es der Milesier zu Hause gewohnt war, 5 schüttet er auch hier allen Unrat und Abfall vor die Haustüre und bringt dadurch die Pfützen und Kothaufen zusammen, die die Ar¬ beiterviertel verunzieren und ihre Luft verpesten. Wie zu Hause, baut er sich seinen Schweinestall ans Haus, und wenn er das nicht kann, so läßt er sein Schwein bei sich im Zimmer schlafen. Diese 10 neue abnorme Art von Viehzucht in den großen Städten ist ganz irischen Ursprungs; der Irländer hängt an seinem Schwein wie der Araber an seinem Pferd, nur daß er’s verkauft, wenn es zum Schlachten fett genug ist — sonst aber ißt er mit ihm und schläft mit ihm, seine Kinder spielen mit ihm, und reiten darauf und wäl-15 zen sich mit ihm im Kot, wie man das in allen großen Städten Englands Tausende von Malen sehen kann. Und was dabei für ein Schmutz, für eine Unwohnlichkeit in den Häusern selbst herrscht, davon kann man sich keine Vorstellung machen. Möbel ist der Ir¬ länder nicht gewohnt — ein Haufen Stroh, ein paar Lumpen, die 20 zu Kleidern total verdorben sind, das ist genug für sein Nacht¬ lager. Ein Stück Holz, ein zerbrochner Stuhl, eine alte Kiste statt des Tisches, mehr braucht er nicht; ein Teekessel, einige Töpfe und Scherben, das reicht hin, um seine Küche, die zugleich Schlaf- und Wohnzimmer ist, auszurüsten. Und wenn es ihm an Feuerung 25 mangelt, so wandert alles Brennbare in seinem Bereich, Stühle, Türpfosten, Gesimse, Dielen, wenn sie ja da sein sollten, in den Kamin. Dazu — was braucht er viel Raum? Drüben, in seiner Lehmhütte, war nur ein innerer Raum für alle häuslichen Zwecke; mehr als ein Zimmer braucht die Familie auch in England nicht, 30 So ist auch diese Zusammendrängung vieler in einem einzigen Zimmer, die jetzt so allgemein sich findet, hauptsächlich durch die irische Einwanderung hereingebracht. Und da der arme Teufel doch Einen Genuß haben muß, und von allen andern ihn die Ge¬ sellschaft ausgeschlossen hat — so geht er hin und trinkt Brannt- 35 wein. Der Branntwein ist das einzige, was dem Irländer das Leben der Mühe wert macht — der Branntwein und allenfalls sein sorgloses, heiteres Temperament, und daher schwelgt er auch im Branntwein bis zur brutalsten Betrunkenheit. Der südliche, leicht¬ sinnige Charakter des Irländers, seine Roheit, die ihn wenig über 40 einen Wilden stellt, seine Verachtung aller menschlicheren Ge¬ nüsse, deren er eben wegen dieser Roheit unfähig ist, sein Schmutz und seine Armut, alles das begünstigt bei ihm die Trunksucht — die Versuchung ist zu groß, er kann ihr nicht widerstehen, und so¬ wie er Geld bekommt, muß er’s durch die Kehle jagen. Wie sollte 4s
Wirkung der irischen Konkurrenz auf den englischen Arbeiter 93 er auch anders? Wie will die Gesellschaft, die ihn in eine Lage versetzt, in der er fast notwendig ein Säufer werden muß, die ihn in allem vernachlässigt und verwildern läßt — wie will sie ihn hernach verklagen, wenn er wirklich ein Trunkenbold wird? 5 Mit einem solchen Konkurrenten hat der englische Arbeiter zu kämpfen — mit einem Konkurrenten, der auf der niedrigsten Stufe steht, die in einem zivilisierten Lande überhaupt möglich ist, und der deshalb auch weniger Lohn braucht als irgend ein andrer. Daher ist es gar nicht anders möglich, als daß, wie Carlyle 10 sagt, der Lohn des englischen Arbeiters in allen Zweigen, in denen der Irländer mit ihm konkurrieren kann, immer tiefer und tiefer herabgedrückt wird. Und dieser Arbeitszweige sind viele. Alle die¬ jenigen, die wenig oder gar keine Geschicklichkeit erfordern, ste¬ hen dem Irländer offen. Freilich für Arbeiten, die eine lange Lehr- 15 zeit oder regelmäßig anhaltende Tätigkeit erfordern, steht der lie¬ derliche, wankelmütige und versoffene Irländer zu tief. Um Me¬ chaniker (mechanic ist im Englischen jeder zur Verfertigung von Maschinerie gebrauchter Arbeiter), um Fabrikarbeiter zu wer¬ den, müßte er erst englische Zivilisation und englische Sitten an- 20 nehmen, kurz, erst der Sache nach Engländer werden. Aber wo es eine einfache, weniger exakte Arbeit gilt, wo es mehr auf Stärke als auf Geschicklichkeit ankommt, da ist der Irländer ebenso gut wie der Engländer. Daher sind auch diese Arbeitszweige vor allen von Irländern überlaufen; die Handweber, Maurergesellen, Last- 25 träger und Jobbers u. dergl. zählen Massen von Irländern, und die Eindrängung dieser Nation hat hier sehr viel zur Erniedrigung des Lohnes und der Arbeiterklasse selbst beigetragen. Und wenn auch die in andre Arbeitszweige eingedrungenen Irländer zivilisierter werden mußten, so blieb doch immer noch genug von der alten so Wirtschaft hängen, um auch hier — neben dem Einflüsse, den die Umgebung von Irländern überhaupt hervorbringen mußte — degradierend auf die englischen Arbeitsgenossen einzuwirken. Denn wenn fast in jeder großen Stadt ein Fünftel oder ein Viertel der Arbeiter Irländer oder in irischem Schmutz auf gewachsene 35 Kinder von Irländern sind, so wird man sich nicht darüber wun¬ dern, daß das Leben der ganzen Arbeiterklasse, ihre Sitten, ihre intellektuelle und moralische Stellung, ihr ganzer Charakter einen bedeutenden Teil von diesem irischen Wesen angenommen hat, so wird man begreifen können, wie die schon durch die moderne In- 40 dustrie und ihre nächsten Folgen hervorgerufene indignierende Lage der englischen Arbeiter auf eine hohe Stufe der Entwürdi¬ gung gesteigert werden konnte. 40—42 1892 indignierende Lage der englischen Arbeiter noch entwürdigender gemacht werden konnte.
Resultate Wenn wir jetzt die Verhältnisse, unter denen die englische Ar¬ beiterklasse der Städte lebt, in ziemlicher Ausführlichkeit betrach¬ tet haben, so wird es nun an der Zeit sein, aus diesen Tatsachen weitere Schlüsse zu ziehen und diese wiederum mit dem Tat- 5 bestände zu vergleichen. Sehen wir denn zu, was unter solchen Umständen aus den Arbeitern selbst geworden ist, was für Leute wir an ihnen haben, wie ihr körperlicher, intellektueller und mora¬ lischer Zustand beschaffen ist. Wenn ein einzelner einem andern körperlichen Schaden tut, 10 und zwar solchen Schaden, der dem Beschädigten den Tod zuzieht, so nennen wir das Totschlag; wenn der Täter im voraus wußte, daß der Schaden tödlich sein würde, so nennen wir seine Tat einen Mord. Wenn aber die GesellschaftHunderte von Proletariern in eine solche Lage versetzt, daß sie notwendig einem vorzeitigen, 15 unnatürlichen Tode verfallen, einem Tode, der ebenso gewaltsam ist wie der Tod durchs Schwert oder die Kugel; wenn sie Tausen¬ den die nötigen Lebensbedingungen entzieht, sie in Verhältnisse stellt, in welchen sie nicht leben können, wenn sie sie durch den starken Arm des Gesetzes zwingt, in diesen Verhältnissen zu 20 bleiben, bis der Tod eintritt, der die Folge dieser Verhältnisse sein muß; wenn sie weiß, nur zu gut weiß, daß diese Tausende solchen Bedingungen zum Opfer fallen müssen, und doch diese Bedingun- *) Wenn ich in dem Sinne, wie hier und anderwärts, von der Gesell¬ schaft als einer verantwortlichen Gesamtheit spreche, die ihre Rechte und 25 Pflichten hat, so versteht es sich, daß ich damit die Macht der Ge¬ sellschaft meine, diejenige Klasse also, die gegenwärtig die poli¬ tische und soziale Herrschaft besitzt, und damit zugleich auch die Verant¬ wortlichkeit für die Lage derer trägt, denen sie keinen Teil an der Herr¬ schaft gibt. Diese herrschende Klasse ist in England wie in allen andern 30 zivilisierten Ländern die Bourgeoisie. Daß aber die Gesellschaft und spe¬ ziell die Bourgeoisie die Pflicht hat, jedes Gesellschaftsglied mindestens in seinem Leben zu schützen, dafür z. B. zu sorgen, daß niemand ver¬ hungert — diesen Satz brauch’ ich meinen deutschen Lesern nicht erst zu beweisen. Schrieb’ ich für die englische Bourgeoisie, da wäre das 35 freilich anders. — 1887 Zusatz von Engels: And so it is now in Germany. Our German capitalists are fully up to the English level, in this respect at least, in the year of grace, 1886. — 1892 Wie hat sich das alles seit 50 Jahren geändert! Heute gibt es englische Bourgeois, die Verpflich¬ tungen der Gesellschaft gegen die einzelnen Gesellschaftsglieder aner- 40 kennen; aber deutsche?!?
Einfluß der großen Städte 95 gen bestehen läßt — so ist das ebensogut Mord wie die Tat des einzelnen, nur versteckter, heimtückischer Mord, ein Mord, gegen den sich niemand wehren kann, der kein Mord zu sein scheint, weil man den Mörder nicht sieht, weil alle und doch wieder nie- 5 mand dieser Mörder ist, weil der Tod des Schlachtopfers wie ein natürlicher aussieht, und weil er weniger eine Begehungssünde als eine Unterlassungssünde ist. Aber er bleibt Mord. Ich werde mm zu beweisen haben, daß die Gesellschaft in England diesen von den englischen Arbeiterzeitungen mit vollem Rechte als solchen 10 bezeichneten sozialen Mord täglich und stündlich begeht; daß sie die Arbeiter in eine Lage versetzt hat, in der diese nicht ge¬ sund bleiben und nicht lange leben können, daß sie so das Leben dieser Arbeiter stückweise, allmählich untergräbt und sie so vor der Zeit ins Grab bringt; ich werde ferner beweisen müssen, daß die 15 Gesellschaft weiß, wie schädlich eine solche Lage der Gesund¬ heit und dem Leben der Arbeiter ist, und daß sie doch nichts tut, um diese Lage zu verbessern. Daß sie um die Folgen ihrer Ein¬ richtungen weiß, daß ihre Handlungsweise also nicht bloßer Tot¬ schlag, sondern Mord ist, habe ich schon bewiesen, wenn ich offi- 20 zielle Dokumente, Parlaments- und Regierungsberichte als Autori¬ tät für das Faktum des Totschlags anführen kann. — Daß eine Klasse, welche in den oben geschilderten Verhältnis¬ sen lebt und so schlecht mit den allemotwendigsten Lebensbedürf¬ nissen versehen ist, nicht gesund sein und kein hohes Alter er- 25 reichen kann, versteht sich von vornherein von selbst. Gehen wir indes die einzelnen Umstände nochmals und in spezieller Be¬ ziehung auf den Gesundheitszustand der Arbeiter durch. Schon die Zentralisation der Bevölkerung in großen Städten äußert un¬ günstigen Einfluß; die Atmosphäre von London kann nie so rein, 30 so sauerstoffhaltig sein wie die eines Landdistrikts; drittehalb Millionen Lungen und drittehalb hunderttausend Feuer auf drei bis vier geographischen Quadratmeilen zusammengedrängt, ver¬ brauchen eine ungeheure Menge Sauerstoff, der sich nur mit Schwierigkeit wieder ersetzt, da die städtische Bauart an und für 35 sich die Ventilation erschwert. Das durch Atmen und Brennen er¬ zeugte kohlensaure Gas bleibt vermöge seiner spezifischen Schwere in den Straßen, und der Hauptzug des Windes streicht über den Dächern der Häuser hinweg. Die Lungen der Einwohner erhalten nicht das volle Quantum Sauerstoff, und die Folge davon ist kör- 40 perliche und geistige Erschlaffung und Niederhaltung der Lebens¬ kraft. Aus diesem Grunde sind die Einwohner großer Städte zwar den akuten, besonders entzündlichen Krankheiten weit weniger ausgesetzt als die Landleute, die in einer freien, normalen Atmo¬ sphäre leben, leiden aber dafür desto mehr an chronischen Übeln. 45 Und wenn schon das Leben in großen Städten an und für sich der
96 Resultate Gesundheit nicht zuträglich ist, wie groß muß dieser nachteilige Einfluß einer abnormen Atmosphäre erst in den Arbeiterbezirken derselben sein, wo, wie wir sahen, alles vereinigt ist, was die Atmosphäre verschlechtern kann. Auf dem Lande mag es unschäd¬ lich genug sein, dicht neben dem Hause eine Mistpfütze zu haben, 5 weil hier die Luft von allen Seiten freien Zutritt hat; aber mitten in einer großen Stadt, zwischen verbauten, allem Luftzuge abge¬ schnittenen Gassen und Höfen, ist es ganz etwas anderes. Aller verfaulende animalische und vegetabilische Stoff entwickelt Gase, die der Gesundheit entschieden schädlich sind, und wenn diese 10 Gase keinen freien Abzug haben, so müssen sie die Atmosphäre verpesten. Der Unrat und die stehenden Pfützen in den Arbeiter¬ vierteln der großen Städte sind daher von den schlimmsten Folgen für die öffentliche Gesundheit, weil sie gerade die krankheit¬ erzeugenden Gase hervorbringen; ebenso die Ausdünstungen der verunreinigten Flüsse. Aber das ist noch lange nicht alles. Es ist wirklich empörend, wie die große Menge der Armen von der heutigen Gesellschaft behandelt wird. Man zieht sie in die großen Städte, wo sie eine schlechtere Atmosphäre als in ihrer ländlichen Heimat einatmen. Man verweist sie in Bezirke, die nach ihrer Bau- 20 art schlechter ventiliert sind als alle übrigen. Man entzieht ihnen alle Mittel zur Reinlichkeit, man entzieht ihnen das Wasser, indem man nur gegen Bezahlung Röhren legt und die Flüsse so verun¬ reinigt, daß sie zu Reinlichkeitszwecken nicht mehr taugen; man zwingt sie, allen Abfall und Kehricht, alles schmutzige Wasser, ja 25 oft allen ekelhaften Unrat und Dünger auf die Straße zu schütten, indem man ihnen alle Mittel nimmt, sich seiner sonst zu entledigen; man zwingt sie dadurch, ihre eignen Distrikte zu verpesten. Damit noch nicht genug. Alle möglichen Übel werden auf das Haupt der Armen gehäuft. Ist die Bevölkerung der Stadt überhaupt schon 30 zu dicht, so werden s i e erst recht auf einen kleinen Raum zu¬ sammengedrängt. Nicht damit zufrieden, die Atmosphäre in der Straße verdorben zu haben, sperrt man sie dutzendweise in ein einziges Zimmer, so daß die Luft, die sie nachts atmen, vollends zum Ersticken wird. Man gibt ihnen feuchte Wohnungen, Keller- 55 löcher, die von unten, oder Dachkammern, die von oben nicht wasserdicht sind. Man baut ihre Häuser so, daß die dumpfige Luft nicht abziehen kann. Man gibt ihnen schlechte, zerlumpte oder zerlumpende Kleider und schlechte, verfälschte und schwer ver¬ dauliche Nahrungsmittel. Man setzt sie den aufregendsten Stirn- 40 mungswechseln, den heftigsten Schwankungen von Angst und Hoff¬ nung aus — man hetzt sie ab wie das Wild und läßt sie nicht zur Ruhe und zum ruhigen Lebensgenuß kommen. Man entzieht ihnen alle Genüsse außer dem Geschlechtsgenuß und dem Trunk, ar¬ beitet sie dagegen täglich bis zur gänzlichen Abspannung aller 45
Schwindsucht / Typhus 97 geistigen und physischen Kräfte ab, und reizt sie dadurch fort¬ während zum tollsten Übermaß in den beiden einzigen Genüssen, die ihnen zu Gebote stehen. Und wenn das alles nicht hilft, wenn sie das alles überstehen, so fallen sie der Brotlosigkeit einer Krisis 5 zum Opfer, in der ihnen auch das wenige entzogen wird, was man ihnen bisher noch gelassen hatte. Wie ist es möglich, daß unter solchen Umständen die ärmere Klasse gesund sein und lange leben kann? Was läßt sich da anderes erwarten als eine übermäßige Proportion von Sterbe- 10 fällen, eine fortwährende Existenz von Epidemien, eine sicher fortschreitende körperliche Schwächung der arbeitenden Genera¬ tion? Sehen wir zu, wie die Tatsachen stehen. Daß die Wohnungen der Arbeiter in den schlechten Stadt¬ teilen, vereinigt mit der sonstigen Lebenslage dieser Klasse, eine 15 Menge Krankheiten hervorrufen, wird uns von allen Seiten her bezeugt. Der oben zitierte Artikel des „Artisan66 behauptet mit vol¬ lem Recht, daß Lungenkrankheiten die notwendige Folge von sol¬ chen Einrichtungen sein müßten und wirklich besonders häufig unter den Arbeitern vorkämen. Daß die schlechte Atmosphäre 20 Londons und besonders der Arbeitergegenden die Ausbildung der Schwindsucht im höchsten Grade begünstigt, zeigt das hektische Aussehen so vieler Leute, denen man auf der Straße begegnet. Wenn man morgens früh um die Zeit, wo alles an die Arbeit geht, ein wenig durch die Straßen streicht, so erstaunt man über die 25 Menge halb oder ganz schwindsüchtig aussehender Leute, denen man begegnet. Selbst in Manchester sehen die Menschen s o nicht aus; diese bleichen, hochaufgeschossenen, engbrüstigen und hohl¬ äugigen Gespenster, an denen man jeden Augenblick vorüber¬ kommt, diese schlaffen, kraftlosen, aller Energie unfähigen Ge- 30 siebter hab’ ich nur in London in so auffallender Menge gesehen — obwohl auch in den Fabrikstädten des Nordens die Schwind¬ sucht eine Menge Opfer jährlich hinwegrafft. Mit der Schwind¬ sucht konkurriert noch, außer anderen Lungenkrankheiten und dem Scharlachfieber, vor allem die Krankheit, die die fürchter- 35 liebsten Verwüstungen unter den Arbeitern anrichtet—derTyphus. Dies allgemein verbreitete Übel wird von dem offiziellen Bericht über den Gesundheitszustand der Arbeiterklasse direkt aus dem schlechten Zustande der Wohnungen in Beziehung auf Ventilation, Trockenlegung und Reinlichkeit abgeleitet. Dieser Bericht — der, 40 nicht zu vergessen, von den ersten Medizinern Englands auf die Angaben von anderen Medizinern hin ausgearbeitet ist — dieser Bericht behauptet, daß ein einziger schlechtventilierter Hof, eine 19 1892 Arbeitern vorkommen. Marx-Engels-Geeamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 7
98 Resultate einzige Sackgasse ohne Abzüge, besonders wenn die Bewohner ge¬ drängt wohnen und organische Stoffe in der Nähe sich zersetzen, imstande ist, Fieber zu erzeugen, und es fast immer erzeugt. Dies Fieber hat fast überall denselben Charakter und entwickelt sich beinahe in allen Fällen zum ausgebildeten Typhus. In den Ar- 5 beiterbezirken aller großen Städte, selbst in einzelnen schlecht ge¬ bauten und gehaltenen Straßen kleinerer Orte findet es sich, und seine größte Verbreitung erhält es in den schlechten Vierteln, ob¬ wohl es natürlich auch in den besseren Bezirken einzelne Opfer auf sucht. In London hat es seit geraumer Zeit geherrscht; seine 10 außerordentliche Heftigkeit im Jahre 1837 veranlaßte den er¬ wähnten offiziellen Bericht. Nach dem Jahresbericht des Dr. Southwood Smith über das Londoner Fieberhospital im Jahre 1843 war die Zahl der verpflegten Kranken 1462, um 418 höher als in irgendeinem früheren Jahr. In den feuchten und is schmutzigen Gegenden des Ost-, Nord- und Süddistrikts von Lon¬ don hatte diese Krankheit außerordentlich heftig gewütet. Viele der Patienten waren eingewanderte Arbeiter vom Lande, die unter¬ wegs und nach ihrer Ankunft die härtesten Entbehrungen aus¬ gestanden, an den Straßen halbnackt und halbverhungert geschla- 20 fen, keine Arbeit gefunden hatten und so dem Fieber verfallen waren. Diese Leute wurden so schwach ins Hospital geliefert, daß eine ungewöhnlich große Quantität von Wein, Kognak, Ammo¬ niumpräparaten und anderen stimulierenden Mitteln angewandt werden mußte. Von sämtlichen Kranken starben I6V2 Prozent. 25 Auch in Manchester ist dies bösartige Fieber zu finden; in den schlechteren Arbeitervierteln der Altstadt, Ancoats, Little Ireland usw. ist es fast nie exstinkt, doch herrscht es hier, wie überhaupt in den englischen Städten, nicht in der Ausdehnung, die man erwarten sollte. In Schottland und Irland dagegen grassiert der 30 Typhus mit einer Heftigkeit, die alle Begriffe übersteigt; in Edin¬ burgh und Glasgow trat er 1817 nach der Teurung, 1826 und 1837 nach den Handelskrisen mit besonderer Wut auf und ließ jedesmal, nachdem er etwa drei Jahre lang gewütet, für eine Zeit- lang etwas nach; in Edinburgh waren während der Epidemie von 35 1817 an 6000, in der von 1837 an 10000 Personen vom Fieber ergriffen worden, und nicht nur die Zahl der Kranken, sondern auch die Heftigkeit der Krankheit und die Proportion der Sterbe¬ fälle vermehrte sich mit jeder neuen Wiederholung der Epi¬ demie.*) Aber die Wut der Krankheit scheint in allen früheren 40 Perioden ein Kinderspiel gegen ihr Auftreten nach der Krisis von 1842 gewesen zu sein. Ein Sechstel aller Armen in ganz Schottland ') Dr. Alison, Management of the Poor in Scotland.
Typhus, besonders in London, Schottland und Irland 99 wurde vom Fieber ergriffen und das Übel durch wandernde Bettler mit reißender Schnelligkeit von einem Ort zum andern getragen; es erreichte die mittleren und höheren Klassen der Gesellschaft nicht — in zwei Monaten waren mehr Fieberkranke als in zwölf Jahren 5 vorher. In Glasgow erkrankten im Jahre 1843 zwölf Prozent der Bevölkerung, 32000 Menschen, am Fieber, von denen 32 Prozent starben, während die Sterblichkeit in Manchester und Liverpool gewöhnlich nur acht Prozent beträgt. Die Krankheit hatte ihre Krisen am siebenten und fünfzehnten Tage; an diesem letzteren io wurde der Patient gewöhnlich gelb, was unsere Autorität für einen Beweis hält, daß die Ursache des Übels auch in geistiger Auf¬ regung und Angst zu suchen sei.*) — In Irland sind diese epide¬ mischen Fieber ebenfalls heimisch. Während 21 Monaten der Jahre 1817—18 gingen 39000 Fieberkranke, und in einem späte- 15 ren Jahr nach Sheriff Alison (im zweiten Bande der „Principles of Population“) sogar 60000 Fieberkranke durch das Dubliner Hospital. In Cork hatte das Fieberspital 1817—18 den siebenten Teil der Bevölkerung aufzunehmen, in Limerick war zu derselben Zeit ein Viertel und im schlechten Viertel von Waterford 20 neunzehn Zwanzigstel der Einwohner fieberkrank.*^ Wenn man sich die Umstände ins Gedächtnis zurückruft, unter denen die Arbeiter leben, wenn man bedenkt, wie gedrängt ihre Wohnungen sind, wie vollgepfropft jeder Winkel von Menschen ist, wie Kranke und Gesunde in Einem Zimmer, auf Einem Lager 25 schlafen, so wird man sich noch wundern, daß eine ansteckende Krankheit wie dies Fieber, sich nicht noch mehr verbreitet. Und wenn man bedenkt, wie wenig medizinische Hilfe den Erkrankten zu Gebote steht, wie viele von allem ärztlichen Rat verlassen und mit den gewöhnlichsten diätarischen Vorschriften unbekannt blei- 30 ben, so erscheint die Sterblichkeit noch gering. Dr. Alison, der diese Krankheit genau kennt, führt sie geradezu auf die Not und die elende Lage der Armen zurück, wie der zitierte Bericht; er be¬ hauptet, daß Entbehrungen und ungenügende Befriedigung der Lebensbedürfnisse den Körper für die Ansteckung zugänglich und 35 überhaupt die Epidemie erst furchtbar mache und rasch ver¬ breite. Er beweist, daß jedesmal eine Periode der Entbehrung — eine Handelskrisis oder eine Mißernte — in Schottland wie in Irland das epidemische Auftreten des Typhus hervorgebracht hat, und daß die Wut der Krankheit fast ausschließlich auf die * •*) 40 *) Dr. Alison, in einem Artikel, vorgelesen vor der British Asso¬ ciation for the Advancement of Science in York. Oktober 1844. •*) Dr. Alison, Management of the Poor in Scotland. 20 1892 diätetischen 7*
100 Resultate arbeitende Klasse gefallen ist. Es ist bemerkenswert, daß nach seiner Aussage die Mehrzahl der dem Typhus erliegenden Indi¬ viduen Familienväter sind, also gerade diejenigen, welche von den Ihrigen am wenigsten entbehrt werden können; dasselbe sagen mehrere von ihm zitierte irische Ärzte aus. s Eine andere Reihe von Krankheiten hat weniger in der Woh¬ nung als in der Nahrung der Arbeiter ihre unmittelbare Ursache. Die an und für sich schon schwerverdauliche Kost der Arbeiter ist vollends für kleine Kinder ungeeignet; und doch fehlen dem Arbeiter die Mittel und die Zeit, seinen Kindern passendere Nah-10 rung zu verschaffen. Dazu kommt noch die sehr verbreitete Sitte, den Kindern Branntwein oder gar Opium zu geben, und aus alle¬ dem entstehen unter Mitwirkung der übrigen für die körperliche Entwicklung schädlichen Lebensverhältnisse die verschiedensten Krankheiten der Verdauungsorgane, die ihre Spuren für das ganze w Leben zurücklassen. Fast alle Arbeiter haben einen mehr oder weniger schwachen Magen und sind trotzdem gezwungen, fort¬ während bei der Diät zu bleiben, die die Ursache ihres Übels war. Wie sollten sie’s auch wissen, was daran schuld ist — und wenn sie’s wüßten, wie sollten sie eine passendere Diät halten können, 20 solange sie nicht in eine andere Lebenslage versetzt und anders gebildet werden? — Aber aus dieser schlechten Verdauung ent¬ wickeln sich schon während der Kindheit neue Krankheiten. Skro¬ feln sind fast allgemein unter den Arbeitern verbreitet, und skrofulöse Eltern haben skrofulöse Kinder, besonders wenn 25 die ursprüngliche Ursache der Krankheit wiederum auf die ge¬ erbte skrofulöse Anlage dieser letzteren wirkt. Eine zweite Folge dieser ungenügenden Ernährung des Körpers während der Ent¬ wicklung ist Rachitis (englische Krankheit, knotige Auswüchse an den Gelenken), die sich ebenfalls sehr häufig an den Kindern 30 der Arbeiter findet. Die Verhärtung der Knochen wird verzögert, der Knochenbau überhaupt in seiner Ausbildung gehemmt, und neben den gewöhnlichen rachitischen Affektionen findet man oft genug Verkrümmung der Beine und des Rückgrats. Wie sehr alle diese Übel durch die Wechselfälle verschlimmert werden, denen 35 die Arbeiter durch die Schwankungen des Handels, die Brotlosig¬ keit und den knappen Lohn der Krisen ausgesetzt sind, brauch’ ich wohl nicht erst zu sagen. Der temporäre Mangel an zureichen¬ der Nahrung, dem fast jeder Arbeiter wenigstens ein Mal in seinem Leben eine Zeitlang ausgesetzt wird, trägt nur dazu bei, die Folgen 40 der schlechten, aber doch zureichenden Nahrung zu verschlim¬ mern. Kinder, die gerade zu der Zeit, wo sie die Nahrung am nötigsten hätten, nur halbsatt zu essen bekommen — und wie viele gibt es deren während jeder Krisis, ja noch in den besten Perioden des Verkehrs — solche Kinder müssen notwendig schwach, skro- «
Folgen der Trunksucht 101 fulös und rachitisch in hohem Grade werden. Und daß sie’s werden, zeigt der Augenschein. Die Vernachlässigung, zu der die große Masse der Arbeiterkinder verurteilt wird, hinterläßt unver¬ tilgbare Spuren und hat die Schwächung der ganzen arbeitenden 5 Generation zur Folge. Dazu noch die ungeeignete Kleidung dieser Klasse und die hier gesteigerte Unmöglichkeit, sich vor Erkältun¬ gen zu schützen, dann die Notwendigkeit, zu arbeiten, solange die Unpäßlichkeit eben erlaubt, die im Krankheitsfall gesteigerte Not der Familie, die nur zu gewöhnliche Entbehrung alles ärzt- 10 liehen Beistandes gerechnet — so wird man sich ungefähr vor¬ stellen können, was der Gesundheitszustand der englischen Ar¬ beiter ist. Die schädlichen Folgen, welche einzelnen Arbeits¬ zweigen, wie sie jetzt betrieben werden, eigen sind, will ich hier noch gar nicht erwähnen. 15 Dazu kommen noch andere Einflüsse, die die Gesundheit einer großen Zahl von Arbeitern schwächen. Vor allem der Trunk. Alle Lockungen, alle möglichen Versuchungen vereinigen sich, um die Arbeiter zur Trunksucht zu bringen. Der Branntwein ist ihnen fast die einzige Freudenquelle, und alles vereinigt sich, um sie ihnen 20 recht nahe zu legen. Der Arbeiter kommt müde und erschlafft von seiner Arbeit heim; er findet eine Wohnung ohne alle Wohn¬ lichkeit, feucht, unfreundlich und schmutzig; er bedarf dringend einer Aufheiterung, er muß etwas haben, das ihm die Arbeit der Mühe wert, die Aussicht auf den nächsten sauren Tag erträg- 25 lieh macht; seine abgespannte, unbehagliche und hypochondrische Stimmung, die schon aus seinem ungesunden Zustande, nament¬ lich aus der Indigestion entsteht, wird durch seine übrige Lebens¬ lage, durch die Unsicherheit seiner Existenz, durch seine Abhän¬ gigkeit von allen möglichen Zufällen und sein Unvermögen, selbst 30 etwas zur Sicherstellung seiner Lage zu tun, bis zur Unerträglich¬ keit gesteigert; sein geschwächter Körper, geschwächt durch schlechte Luft und schlechte Nahrung, verlangt mit Gewalt nach einem Stimulus von außen her; sein geselliges Bedürfnis kann nur in einem Wirtshause befriedigt werden, er hat durchaus 35 keinen andern Ort, wo er seine Freunde treffen könnte — und bei alledem sollte der Arbeiter nicht die stärkste Versuchung zur Trunksucht haben, sollte imstande sein, den Lockungen des Trunks zu widerstehen? Im Gegenteil, es ist die moralische und physische Notwendigkeit vorhanden, daß unter diesen Umständen eine sehr 40 große Menge der Arbeiter dem Trunk verfallen muß. Und ab¬ gesehen von den mehr physischen Einflüssen, die den Arbeiter zum Trunk antreiben, wirkt das Beispiel der großen Menge, die 5 1892 noch gerechnet die ungeeignete 10 1892 Beistands — so
102 Resultate vernachlässigte Erziehung, die Unmöglichkeit, die jüngeren Leute vor der Versuchung zu schützen, in vielen Fällen der direkte Ein¬ fluß trunksüchtiger Eltern, die ihren Kindern selbst Branntwein geben, die Gewißheit, im Rausch wenigstens für ein paar Stunden die Not und den Druck des Lebens zu vergessen, und hundert 5 andere Umstände so stark, daß man den Arbeitern ihre Vorliebe für den Branntwein wahrlich nicht verdenken kann. Die Trunk¬ sucht hat hier aufgehört, ein Laster zu sein, für das man den Lasterhaften verantwortlich machen kann, sie wird ein Phänomen, die notwendige, unvermeidliche Folge gewisser Bedingungen auf 10 ein, wenigstens diesen Bedingungen gegenüber, willenloses Ob¬ jekt. Diejenigen, die den Arbeiter zum bloßen Objekt gemacht haben, mögen die Verantwortlichkeit tragen. Aber mit derselben Notwendigkeit, mit der eine große Menge der Arbeiter dem Trunk verfallen, mit derselben Notwendigkeit äußert der Trunk seine 15 zerstörenden Wirkungen auf Geist uiyl Körper seiner Opfer. Alle Krankheitsanlagen, die aus den Lebensverhältnissen der Arbeiter entspringen, werden durch ihn gefördert, die Entwicklung von Lungen- und Unterleibskrankheiten, sowie die Entstehung und Verbreitung des Typhus werden im höchsten Grade durch ihn 20 begünstigt. Eine andere Ursache körperlicher Übel liegt für die arbeitende Klasse in der Unmöglichkeit, sich in Krankheitsfällen den Bei¬ stand geschickter Ärzte zu verschaffen. Es ist wahr, daß eine Menge wohltätiger Anstalten diesem Mangel abzuhelfen suchen, 25 daß z. B. das Krankenhaus in Manchester jährlich an 22000 Kranke teils aufnimmt, teils mit ärztlichem Rat und Arznei unter¬ stützt — aber was ist das alles in einer Stadt, wo nach Gaskeils Berechnung*) drei Viertel der Einwohner jährlich ärztlicher Hilfe bedürfen? Die englischen Ärzte rechnen hohe Gebühren, 30 und die Arbeiter sind nicht imstande, diese zu bezahlen. Sie können also entweder gar nichts tun, oder sie sind gezwungen, wohlfeile Quacksalber und Quackarzneien zu gebrauchen, mit denen sie sich auf die Dauer mehr schaden als nützen. Eine über¬ aus große Anzahl solcher Quacksalber treiben ihr Wesen in allen 35 englischen Städten und verschaffen sich durch Annoncen, Mauer¬ anschläge und sonstige Kniffe eine Kundschaft aus den ärmeren Klassen. Außerdem aber werden noch eine Menge sogenannter Patent-Arzneien (patent medicines) für alle möglichen und un¬ möglichen Übel verkauft, Morrisons Pillen, Parrs Lebenspillen, 40 Dr. Mainwarings Pillen und tausend andere Pillen, Essenzen und *) Manufacturing Population of England, c. 8. 25 1892 abzuhelfen sucht,
Quacksalber / „Godfrey’s Cordial' 103 Balsame, die alle die Eigenschaft haben, sämtliche Krankheiten in der Welt zu kurieren. Diese Arzneien enthalten zwar selten geradezu schädliche Dinge, wirken aber doch sehr häufig, wenn oft und viel genossen, auf den Körper nachteilig, und da den un- 5 kundigen Arbeitern in allen Annoncen vorgepredigt wird, man könne nicht zu viel davon nehmen, so darf man sich nicht wun¬ dem, wenn diese fortwährend, mit und ohne sonstige Veranlas¬ sung, große Quantitäten verschlucken. Es ist nichts Ungewöhn¬ liches, daß der Verfertiger der Parr’schen Lebenspillen in einer 10 Woche 20 bis 25000 Schachteln von diesen heilsamen Pillen ver¬ kauft — und sie werden eingenommen, von diesem gegen Ver¬ stopfung, von jenem gegen Diarrhöe, gegen Fieber, Schwäche und alle möglichen Übel. Wie unsere deutschen Bauern zu gewissen Jahreszeiten sich schröpfen oder zur Ader ließen, so nehmen jetzt 15 die englischen Arbeiter ihre Patentmedizin, um sich selbst da¬ durch zu schaden und dem Fabrikanten derselben ihr Geld in die Tasche zu jagen. Eins der schädlichsten von diesen Patentmitteln ist ein Trank, der von Opiaten, besonders Laudanum, bereitet und unter dem Namen „Godfrey’s Cordial“ verkauft wird. Frauen, 20 die zu Hause arbeiten und eigne oder fremde Kinder zu verwahren haben, geben ihnen diesen Trank, damit sie ruhig sein und, wie viele meinen, kräftiger werden sollen. Sie fangen oft schon gleich nach der Geburt an und medizinieren, ohne die schädlichen Fol¬ gen dieser „Herzstärkung“ zu kennen, so lange, bis die Kinder 25 sterben. Je stumpfer der Organismus des Kindes gegen die Wir¬ kungen des Opiums wird, desto größere Quantitäten werden ihm davon gegeben. Wenn das Cordial nicht mehr zieht, wird auch wohl unvermischtes Laudanum gereicht, oft 15 bis 20 Tropfen auf einmal. Der Coroner von Nottingham bezeugte einer Regie- so rungskommisson*\ daß Ein Apotheker nach eigner Aussage dreizehn Zentner Syrup in einem Jahre zu „Godfrey’s Cordial“ verarbeitet habe. Man kann sich leicht denken, was die Folgen für die so behandelten Kinder sind. Sie werden blaß, welk und *) Report of Commission of Inquiry into the Employment of Children 35 and Young Persons in Mines and Collieries and in the Trades and Manu- factures in which Numbers of them work together, not being included under the terms of the Facto ries’ Regulation Act. First and Second Re¬ ports. Grainger’s Rept., second Rept. Gewöhnlich als „Children’s Em¬ ployment Commission’s Rept.“ zitiert — einer der besten offiziellen Be- 40 richte, der eine Unmasse der wertvollsten, aber auch der schrecken¬ erregendsten Tatsachen enthält. Der erste Bericht kam 1841, der zweite zwei Jahre später heraus. — 31 1887 thirteen hundredweight of laudanum
104 Resultate schwach, und sterben meist, ehe sie zwei Jahre alt sind. Die An¬ wendung dieser Medizin ist in allen großen Städten und Industrie¬ bezirken des Reichs sehr verbreitet. Die Folge von allen diesen Einflüssen ist eine allgemeine Schwächung des Körpers bei den Arbeitern. Man findet wenig 5 starke, wohlgebaute und gesunde Leute unter ihnen — wenigstens unter den Industriearbeitern, die meist in geschlossenen Räumen arbeiten, und von diesen nur ist hier die Rede. Sie sind fast alle schwächlich, von eckigem, aber nicht kräftigem Knochenbau, mager, bleich und mit Ausnahme der bei ihrer Arbeit beson-10 ders angestrengten Muskel schlaff von Fiber. Fast alle leiden an schlechter Verdauung und sind infolgedessen mehr oder weniger hypochondrisch und von trüber, unbehaglicher Gemütsstimmung. Ihr geschwächter Körper ist nicht imstande, einer Krankheit Widerstand zu leisten, und wird daher bei jeder Gelegenheit da-15 von ergriffen. Daher altern sie früh und sterben jung. Die Sterb¬ lichkeitstabellen liefern dafür einen unwidersprechlichen Beweis. Nach dem Berichte des General-Registrators G. Graham ist die Sterblichkeit von ganz England und Wales jährlich etwas unter 214 Prozent, d. h. aus 45 Menschen stirbt jedes Jahr Einer.*) 20 Wenigstens war dies der Durchschnitt der Jahre 1839/40 — im nächsten Jahre nahm die Sterblichkeit etwas ab und war nur einer aus 46. In den großen Städten aber stellt sich das Verhältnis ganz anders. Mir liegen (im „Manchester Guardian66, 31. Juli 1844) offizielle Sterblichkeitstabellen vor, nach denen sich die Sterblich- 25 keit einiger großen Städte so berechnet: In Manchester, inklusive Salford und Chorlton, laus 32,72 und exklusive Salford und Chorl¬ ton 1 aus 30,75; in Liverpool inklusive West-Derby (Vorstadt) 31,90 und exklusive West-Derby 29,90, während der Durchschnitt sämtlicher angegebenen Distrikte von Cheshire, Lancashire und 30 Yorkshire—und diese schließen eine Menge ganz oder halb länd¬ licher Distrikte ein, dazu viele kleine Städte — mit einer Bevölke¬ rung von 2172506 Menschen eine Sterblichkeit von 1 aus 39,80 er¬ gibt. Wie ungünstig die Arbeiter in den Städten gestellt sind, zeigt die Sterblichkeit von Prescott in Lancashire — einem von Kohlen- 35 grubenarbeitem bewohnten und, da die Arbeit in den Gruben keine sehr gesunde ist, an Gesundheit noch unter den Ackerbau¬ bezirken stehenden Distrikt. Aber die Arbeiter wohnen auf dem Lande, und die Sterblichkeit stellt sich auf 1 in 47,54, also bei¬ nahe 2Y2 vorteilhafter als der Durchschnitt von ganz England. 40 Sämtliche Angaben beruhen auf den Sterblichkeitstabellen von 1843. Noch höher ist das Verhältnis der Sterblichkeit in den ) Fifth Annual Report of Reg. Gen. of Births, Deaths and Marriages.
Sterblichkeit im Proletariat 105 schottischen Städten; in Edinburgh 1838/39 1 aus 29, ja 1831 in der Altstadt allein 1 aus 22; in Glasgow nach Dr. Cowan (Vital Statistics of Glasgow) durchschnittlich seit 1830 1 aus 30, in ein¬ zelnen Jahren laus 22 bis 24. — Daß diese enorme Verkürzung 5 der durchschnittlichen Lebensdauer hauptsächlich auf die arbei¬ tende Klasse fällt, ja daß der Durchschnitt aller Klassen durch die geringere Sterblichkeit der höheren und mittleren Klassen noch verbessert wird, wird uns von allen Seiten bezeugt. Eins der neuesten Zeugnisse ist das des Arztes P. H. Holland in Man¬ io ehester, der in offiziellem Auftragedie Vorstadt von Manchester, Chorlton-on-Medlock, untersuchte. Er klassifiziert Häuser und Straßen in je drei Klassen und fand folgende Unterschiede der Sterblichkeit: Erste Straßenklasse: Häuser I. Klasse, Sterblichkeit 1 aus 51 15 99 99 II. 99 99 1 99 45 99 99 99 III. 99 99 1 99 36 Zweite Straßenklasse: Häuser I. 99 99 1 99 55 99 99 99 11. 99 99 1 99 38 99 99 99 III. 99 99 1 99 35 20 Dritte Straßenklasse: Häuser I. 99 fehlen 99 99 99 II. 99 Sterblichkeit 1 99 35 99 99 99 III. 99 *9 1 99 25 Aus mehreren andern von Holland gegebenen Tabellen geht her¬ vor, daß die Sterblichkeit in den Straßen zweiter Klasse 25 18 Prozent und dritter Klasse 68 Prozent größer ist als in denen erster Klasse; daß die Sterblichkeit in den Häusern zweiter Klasse 31 Prozent und dritter Klasse 78 Prozent größer ist als in denen erster Klasse; daß die Sterblichkeit in den schlechten Stra¬ ßen, die verbessert wurden, sich um 25 Prozent vermindert hat. 30 Er schließt mit der für einen englischen Bourgeois sehr offenen Bemerkung: „Wenn wir finden, daß die Sterblichkeit in einigen Straßen viermal so hoch ist als in anderen und in ganzen Straßen¬ klassen doppelt so hoch ist als in andern Klassen, wenn wir ferner finden, daß sie so gut wie unveränderlich hoch ist in den Straßen, 35 die in schlechtem Zustande sind, und so gut wie unveränderlich niedrig in gutkonditionierten Straßen, so können wir dem Schluß *) Vgl. Report of Commission of Inquiry into the State of large towns and populous Districts, first Report, 1844, Appendix.
106 Resultate nicht widerstehen, daß Massen unserer Mitmenschen, Hunderte unserer nächsten Nachbarn jährlich getötet (destroyed) werden aus Mangel an den allergewöhnlichsten Vorsichtsmaßregeln.66 — Der Bericht über den Gesundheitszustand der arbeitenden Klas¬ sen enthält eine Angabe, die dasselbe Faktum beweist. In Liver- 5 pool war 1840 die durchschnittliche Lebensdauer der höheren Klassen (gentry, professional men etc.) 35, der Geschäftsleute und bessergestellten Handwerker 22 Jahre, der Arbeiter, Tage¬ löhner und der dienenden Klasse überhaupt nur 15 Jahre. Die Parlamentsberichte enthalten noch eine Menge ähnlicher Tat-10 Sachen. — Die Sterblichkeitslisten werden hauptsächlich durch die vielen Todesfälle unter den kleinen Kindern der Arbeiterklasse so hoch gesteigert. Der zarte Körper eines Kindes widersteht den ungün¬ stigen Einflüssen einer niedrigen Lebenslage am wenigstens; die 15 Vernachlässigung, der es oft ausgesetzt ist, wenn beide Eltern arbeiten oder einer von beiden tot ist, rächt sich sehr bald, und so darf man sich nicht wundem, wenn z. B. in Manchester, laut dem letzterwähnten Bericht, über 57 Prozent der Arbeiterkinder vor dem fünften Jahre sterben, während von den Kindern der 20 höheren Klassen nur 20 Prozent und im Durchschnitt aller Klas¬ sen in Landdistrikten von allen Kindern unter dem fünften Jahre nicht volle 32 Prozentsterben. Der mehrerwähnte Artikel des „Artisan66 gibt uns hierüber genauere Nachweisungen, indem er die Proportionen der Sterbefälle bei einzelnen Kinderkrankheiten 25 in den Städten denen auf dem Lande gegenüberstellt und so be¬ weist, daß Epidemien im allgemeinen in Manchester und Liver¬ pool dreimal tödlicher sind als in Landdistrikten; daß Krank¬ heiten des Nervensystems in den Städten verfünffacht und Magenübel mehr als verdoppelt werden, während die Todesfälle 30 infolge von Lungenkrankheiten in Städten sich zu denen auf dem Lande verhalten wie 2% zu 1. Todesfälle von kleinen Kindern infolge von Pocken, Masern, Stickhusten und Scharlachfieber ver¬ vierfachen sich; die infolge von Wasser im Gehirn verdreifachen, und infolge von Krämpfen verzehnfachen sich in Städten. — Um 35 noch eine schlagende Autorität aufzuführen, gebe ich hier eine Tabelle, die Dr. Wade in seiner „History of the Middle and Working Classes66 (London, 1835, 3rd edit.) nach dem Bericht des parlamentarischen Fabrikkomitees vom Jahre 1832 gibt. Von 10000 Menschen sterben 40 *) Factories Inquiry Commission’s Report, 3rd vol. Report of Dr. Hawkins on Lancashire, wo Dr. Roberton, „die Hauptautorität für die Statistik in Manchester“, als Gewährsmann angeführt wird.
Unt. 5 J. 5—19 20—39 40—59 60—69 70—79 80—89 90—99 100 u. drüber In der Grafschaft Rutland— gesun¬ der Agrikulturdi¬ strikt 2865 891 1275 1299 1189 1428 938 112 3 Der Grafschaft Es¬ sex — marschiger Agrikulturdistrikt 3159 1110 1526 1413 1 963 1019 630 77 3 Der Stadt Carlisle 1779—87, vor Ein¬ führung der Fabri¬ ken .... 4408 911 1006 1201 940 826 533 153 22 Der Stadt Carlisle nach Einführung der Fabriken . . . 4738 930 1261 1134 677 727 452 80 1 Der Stadt Preston, Fabrikstadt . . . 4947 1136 1379 1114 553 532 298 38 3 Der Stadt Leeds, Fabrikstadt . . . 5286 927 1228 1198 593 512 225 29 2 Sterblichkeit im Proletariat
108 Resultate Außer diesen verschiedenen Krankheiten, die die notwendige Folge der jetzigen Vernachlässigung und Unterdrückung der ärmeren Klasse sind, gibt es aber noch andere Einflüsse, die zur Vermehrung der Sterblichkeit unter kleinen Kindern beitragen. In vielen Familien arbeitet die Frau so gut wie der Mann außer dem 5 Hause, und die Folge davon ist die gänzliche Vernachlässigung der Kinder, die entweder eingeschlossen oder zum Verwahren aus¬ gemietet werden. Da ist es denn kein Wunder, wenn Hunderte von solchen Kindern durch allerlei Unglücksfälle das Leben ver¬ lieren. Nirgends werden so viel Kinder überfahren und über-10 ritten, nirgends fallen so viele zu Tode, ertrinken oder verbrennen, als in den großen Städten Englands. Namentlich sind Todesfälle infolge von Brandwunden oder Übergießung mit heißem Wasser häufig — in Manchester während der Wintermonate fast jede Woche ein Mal, in London ebenfalls häufig, doch sieht man dort 15 selten etwas davon in den Blättern; mir ist nur eine Angabe im „Weekly Dispatch66 vom 15. Dezember 1844 zur Hand, wonach in der Woche vom 1.—7. Dezember sechs derartige Fälle vorge¬ kommen waren. Diese armen Kinder, die auf eine so fürchter¬ liche Weise ums Leben kommen, sind rein die Opfer unserer ge- 20 sellschaftlichen Unordnung und der bei der Erhaltung dieser Unordnung interessierten besitzenden Klasse — und doch weiß man nicht, ob nicht selbst dieser schreckliche, qualvolle Tod eine Wohltat für die Kinder war, indem er sie vor einem langen Leben voll Mühe und Elend, reich an Leiden und arm an Genüssen, be- 25 wahrte. So weit ist es gekommen in England — und die Bour¬ geoisie liest das alles täglich in den Zeitungen und kümmert sich nicht drum. Sie wird sich aber auch nicht beklagen können, wenn ich sie nach den angeführten offiziellen und nicht-offiziellen Zeug¬ nissen, die sie kennen muß, geradezu des sozialen Mordes be- 30 schuldige. Entweder sorge sie dafür, daß diesem entsetzlichen Zustande abgeholfen werde — oder sie trete die Verwaltung der allgemeinen Interessen an die arbeitende Klasse ab. Und zu letzterem hat sie keine Lust, während sie zu ersterem — solange sie Bourgeoisie und in Bourgeoisievorurteilen befangen bleibt — 35 nicht die Kraft besitzt; denn wenn sie jetzt endlich, nachdem Hunderttausende von Schlachtopfem gefallen sind, einige klein¬ liche Vorsorge für die Zukunft trifft, einen „Metropolitan Buil¬ dings Act66 erläßt, wonach wenigstens die rücksichtsloseste Zu- sammendrängung von Wohnungen etwas beschränkt wird — wenn 40 sie mit Maßregeln prunkt, die, weit entfernt, auf die Wurzel des Übels einzugehen, noch lange nicht an die Anordnungen der aller¬ gewöhnlichsten Gesundheitspolizei reichen, so wird sie sich da¬ durch doch nicht von der Anklage reinigen können. Die englische Bourgeoisie hat nur die Wahl, entweder mit der unwiderlegbaren 45
Anklage des sozialen Mordes gegen die Bourgeoisie 109 Anklage des Mordes auf ihren Schultern und trotz dieser An¬ klage fortzuregieren — oder zu Gunsten der Arbeiterklasse abzu¬ danken. Bis jetzt hat sie das erstere vorgezogen. Gehen wir von der physischen auf die geistige Lage der Ar- 5 beiter über. Wenn die Bourgeoisie ihnen vom Leben soviel läßt als eben nötig ist, so dürfen wir uns nicht wundem, wenn sie ihnen auch nur soviel Bildung gibt, als im Interesse der Bourgeoisie liegt. Und das ist so viel wahrlich nicht. Die Bildungsmittel sind in England unverhältnismäßig gering gegen die Volkszahl. Die 10 wenigen der arbeitenden Klasse zu Gebote stehenden Wochen¬ schulen können nur von den wenigsten besucht werden und sind außerdem schlecht, die Lehrer — ausgediente Arbeiter und son¬ stige untaugliche Leute, die nur, um leben zu können, Schulmeister wurden — sind großenteils selbst in den notdürftigsten Elementar¬ es kenntnissen unerfahren, ohne die dem Lehrer so nötige sittliche Bildung und ohne alle öffentliche Kontrolle. Auch hier herrscht die freie Konkurrenz, und wie immer haben die Reichen den Nutzen und die Armen, für die die Konkurrenz eben nicht frei ist, die nicht die gehörigen Kenntnisse haben, um urteilen zu 20 können, haben den Schaden. Ein Schulzwang existiert nirgends; in den eigentlichen Fabriken, wie wir sehen werden, nur dem Namen nach, und als in der Session von 1843 die Regierung die¬ sen scheinbaren Schulzwang in Kraft treten lassen wollte, oppo¬ nierte die fabrizierende Bourgeoisie aus Leibeskräften, obwohl 25 die Arbeiter sich entschieden für den Schulzwang aussprachen. Ohnehin arbeitet eine große Menge Kinder die ganze Woche über in Fabriken und zu Hause und kann deshalb die Schule nicht besuchen. Denn die Abendschulen, wohin diejenigen gehen sollen, die des Tages beschäftigt sind, werden fast gar nicht und 30 ohne Nutzen besucht. Es wäre auch wirklich gar zu viel verlangt, wenn junge Arbeiter, die sich zwölf Stunden lang abgeplagt haben, nun noch von acht bis zehn Uhr in die Schule gehen sollten. Und diejenigen, die es tun, schlafen dort meistens ein, wie durch den Children’s Empl. Rept. in Hunderten von Aussagen konsta- 35 tiert ist. Allerdings hat man Sonntagsschulen eingerichtet, die aber ebenfalls höchst mangelhaft mit Lehrern besetzt sind und nur denen, die schon in der Wochenschule etwas gelernt haben, nützen können. Der Zeitraum von einem Sonntage zum andern ist zu lang, als daß ein ganz ungebildetes Kind in der zweiten 40 Lektion das nicht wieder vergessen haben sollte, was es in der ersten acht Tage früher gelernt hat. Der Bericht der Children’s Employment Commission liefert Tausende von Beweisen, und die Kommission selbst spricht sich aufs entschiedenste dahin aus, daß 29 1892 Tags
110 Resultate weder die Wochen- noch die Sonntagsschulen dem Bedürfnis der Nation auch nur im entferntesten entsprechen. Dieser Bericht lie¬ fert Beweise von Unwissenheit unter der arbeitenden Klasse Eng¬ lands, die man nicht aus einem Lande wie Spanien und Italien erwarten sollte. Es kann aber nicht anders sein; die Bourgeoisie 5 hat wenig zu hoffen, aber manches zu fürchten von der Bildung der Arbeiter; die Regierung hat in ihrem ganzen kolossalen Budget von 55000000 Pfd. St. nur einen einzigen winzigen Posten von 40000 Pfd. St. für öffentlichen Unterricht; und wenn nicht der Fanatismus der religiösen Sekten wäre, der wenigstens 10 ebensoviel verdirbt als er hier und da bessert, so würden die Unterrichtsmittel noch viel elender sein. Aber so errichtet die Hochkirche ihre National Schools und jede Sekte ihre Schulen, einzig in der Absicht, die Kinder ihrer Glaubensgenossen in ihrem Schoß zu behalten und womöglich hier und da den andern Sekten 15 eine arme Kinderseele abzujagen. Die Folge davon ist, daß die Religion und gerade die unfruchtbarste Seite der Religion, die Polemik zum vorzüglichsten Unterrichtsgegenstande erhoben und das Gedächtnis der Kinder mit unverständlichen Dogmen und theologischen Distinktionen vollgepfropft, daß der Sektenhaß und 20 die fanatische Bigotterie so früh wie möglich geweckt und alle vernünftige, geistige und sittliche Bildung schändlich vernach¬ lässigt wird. Die Arbeiter haben oft genug eine rein weltliche öffentliche Erziehung, die Religion den Geistlichen jeder Sekte überlassend, vom Parlament gefordert — sie haben bis jetzt noch 25 kein Ministerium gefunden, das ihnen etwas Ähnliches bewilligt hätte. Natürlich. Der Minister ist der gehorsame Knecht der Bour¬ geoisie, und diese teilt sich in zahllose Sekten; jede Sekte aber gönnt dem Arbeiter nur dann die sonst gefährliche Erziehung, wenn er das Gegengift der speziell dieser Sekte angehörigen 30 Dogmen mit in den Kauf nehmen muß. Und da sich diese Sekten noch bis heute um die Oberherrschaft zanken, so bleibt die Ar¬ beiterklasse einstweilen ohne Bildung. Zwar rühmen sich die Fa¬ brikanten, der großen Mehrzahl das Lesen beigebracht zu haben, aber es ist auch ein Lesen danach — wie der Bericht der Chil- 35 dren’s Employment Commission zeigt. Wer das Alphabet kennt, sagt, er könne lesen, und dabei beruhigen sich die Fabrikanten. Und wenn man die konfuse englische Orthographie bedenkt, bei der das Lesen eine wahre Kunst ist und nur nach langem Unterricht ge¬ lernt werden kann, so findet man diese Unwissenheit begreiflich. 40 Schreiben vollends können sehr wenige — orthographisch schrei¬ ben selbst sehr viele „Gebildete66 nicht. Die Sonntagsschulen der Hochkirche, der Quäker und ich glaube noch mehrerer andern 36—37 Orig, kennt, sagt er, könne
Folgen für die intellektuelle und moralische Lage 111 Sekten lehren gar kein Schreiben, „weil dies eine zu weltliche Be¬ schäftigung für den Sonntag sei.66 Wie es sonst mit der Bildung, die den Arbeitern geboten wird, steht, sollen ein paar Beispiele zeigen. Sie sind aus dem Ch. Empl.-Commiss.-Bericht, der sich 5 leider nicht auf die eigentliche Fabrikindustrie ausdehnt. In Birmingham, sagt Kommissär Grainger, sind die von mir geprüften Kinder in ihrer Gesamtheit gänzlich ohne alles, was auch nur im entferntesten eine nützliche Erziehung genannt wer¬ den könnte. Obwohl fast in allen Schulen nur Religionsunter- 10 richt gegeben wird, zeigten sie doch im allgemeinen auch hier¬ über die gröbste Unwissenheit. — In Wolverhampton, erzählt Kommissär Horne, fand ich unter andern folgende Beispiele: Ein Mädchen, 11 Jahre, war in einer Wochen- und Sonntagsschule ge¬ wesen, „hatte nie von einer andern Welt, vom Himmel oder einem 15 andern Leben gehört.66 Ein andrer, 17 Jahre alt, wußte nicht, wie¬ viel zwei mal zwei machten, wie viel Farthings (% Penny) in 2 Pence seien, selbst als man das Geld ihm in die Hand legte. Einige Knaben hatten nie von London oder selbst von Willenhall gehört, obwohl letzteres nur eine Stunde von ihrem Wohnort ent- 20 fernt liegt und fortwährend in Kommunikation mit Wolver¬ hampton steht. Einige hatten nie den Namen der Königin oder Namen wie Nelson, Wellington, Bonaparte gehört. Aber es war bemerkenswert, daß diejenigen, die selbst von Sankt Paulus, Mo¬ ses oder Salomon nie gehört hatten, über Leben, Taten und Cha- 25 rakter Dick Turpins, des Straßenräubers, und besonders Jack Sheppard, des Diebs und Gefängnisbrechers, sehr wohl unterrichtet waren. — Ein Junge, 16 Jahre alt, wußte nicht, wieviel zwei mal zwei machten, oder wieviel vier Farthings machten — ein Junge von 17* Jahren behauptete, zehn Farthings seien zehn halbe Pence, 30 und ein Dritter, 17 Jahre alt, antwortete kurz auf einige sehr ein¬ fache Fragen: „er wisse nichts von gar nichts (he was ne judge o’ nothin’)66 (Home, Rept., App. Part II, Q. 18, No. 216, 217, 226, 233 etc.). Diese Kinder, die vier bis fünf Jahre hindurch mit reli¬ giösen Dogmen geplagt werden, wissen am Ende soviel wie vor- 35 her. Ein Kind „ist fünf Jahre lang regelmäßig zur Sonntags¬ schule gegangen; weiß nicht, wer Jesus Christus war, hat den Namen aber gehört; hat nie von den zwölf Aposteln, Simson, Mo¬ ses, Aaron etc. gehört66 (ibid. Evid. p. 9. 39, I. 33). Ein andres „sechs Jahre regelmäßig zur Sonntagsschule gegangen. Weiß, wer 40 Jesus Christus war, er starb am Kreuz, sein Blut zu vergießen, um unsern Erlöser zu erlösen; hat nie von St. Petrus oder Paulus ge¬ hört66 (ibid. p. 9. 36, I. 46). Ein Drittes: „sieben Jahre in ver- schiednen Sonntagsschulen gewesen, kann nur in den dünnen 22 Orig. Buonaparte
112 Resultate Büchern lesen, leichte einsilbige Wörter; hat von den Aposteln gehört, weiß nicht, ob St. Peter einer war oder St. Johann, es müßte denn Sankt Johann Wesley (Stifter der Methodisten) sein etc.“ (ibid. p. 9. 34,1. 58), auf die Frage, wer Jesus Christus sei, erhielt Horne u.a. noch folgende Antworten: „er war Adam“; 5 „er war ein Apostel“; „er war der Sohn des Herrn des Erlösers (he was the Saviour’s Lord’s Son)“, und von einem sechzehn¬ jährigen Jungen: „er war ein König von London vor langer, langer Zeit“. — In Sheffield ließ Kommissär Symons die Sonntagsschüler lesen; sie waren nicht imstande zu sagen, was sie gelesen hatten, io oder was für Leute die Apostel gewesen seien, von denen sie soeben gelesen hatten. Nachdem er sie alle nach der Reihe wegen der Apostel befragt hatte, ohne eine richtige Antwort zu erhalten, rief ein kleiner schlau aussehender Junge mit großer Zuversicht aus: „Ich weiß es, Herr, es waren die Aussätzigen!“ (Symon’s Rept. 15 Part. I, pp. E22 sqq.) Aus den Töpfereibezirken und aus Lanca¬ shire wird Ähnliches berichtet. Man sieht, was die Bourgeoisie und der Staat für die Erziehung und Ausbildung der arbeitenden Klasse getan haben. Glücklicher¬ weise sind die Verhältnisse, in denen diese Klasse lebt, derart, 20 daß sie ihr eine praktische Bildung geben, welche nicht nur den Schulkram ersetzt, sondern auch die mit ihm verbundenen ver¬ worrenen religiösen Vorstellungen unschädlich macht und die Ar¬ beiter sogar an die Spitze der nationalen Bewegung Englands stellt. Not lehrt beten und, was mehr heißen will, denken und handeln. 25 Der englische Arbeiter, der kaum lesen und noch weniger schreiben kann, weiß dennoch sehr gut, was sein eignes Interesse und das der ganzen Nation ist — er weiß auch, was das spezielle Interesse der Bourgeoisie ist, und was er von dieser Bourgeoisie zu erwarten hat. Kann er nicht schreiben, so kann er doch sprechen, öffentlich 30 sprechen; kann er nicht rechnen, so kann er doch mit national¬ ökonomischen Begriffen soviel kalkulieren, als dazu gehört, einen korngesetzabschafifenden Bourgeois zu durchschauen und zu widerlegen; bleiben ihm trotz aller Mühe der Pfaffen die himm¬ lischen Fragen sehr unklar, so weiß er desto besser Bescheid in 35 irdischen, politischen und sozialen Fragen. Wir werden davon noch weiter zu reden haben, und gehen jetzt zur sittlichen Charak¬ terisierung unserer Arbeiter über. Daß der Moralunterricht, der in allen Schulen Englands mit dem religiösen vereinigt ist, von keiner besseren Wirkung sein kann als dieser, ist ziemlich klar. Die einfachen Prinzipien, welche für den Menschen das Verhältnis des Menschen zum Menschen regulieren, Prinzipien, die schon durch den sozialen Zu¬ stand, den Krieg Aller gegen Alle, in die greulichste Verwirrung geraten, müssen dem ungebildeten Arbeiter vollends unklar und 45
Unwissenheit / Mangel an Bildungsmitteln 113 fremd bleiben, wenn sie mit religiösen, unverständlichen Lehrsätzen vermischt und in der religiösen Form eines willkürlichen, unbe¬ gründeten Befehls vorgetragen werden. Die Schulen tragen nach dem Geständnis aller Autoritäten, namentlich der Child. Empl. 5 Comm., zur Sittlichkeit der arbeitenden Klasse fast gar nichts bei. So rücksichtslos, so dumm borniert ist die englische Bourgeoisie in ihrem Egoismus, daß sie sich nicht einmal die Mühe gibt, den Arbeitern die heutige Moral einzuprägen, eine Moral, welche die Bourgeoisie sich doch in ihrem eignen Interesse und zu ihrem 10 eignen Schutz zusammengestümpert hat! Selbst diese Sorge für sich selbst macht der schlaff werdenden, trägen Bourgeoisie zu viel Mühe, selbst das scheint ihr überflüssig. Die Zeit wird freilich kommen, wo sie ihre Versäumnis zu spät bereuen wird. Aber be¬ klagen darf sie sich nicht, wenn die Arbeiter von dieser Moral 15 nichts wissen und sich nicht nach ihr richten. So sind die Arbeiter, wie körperlich und intellektuell, auch mo¬ ralisch von der machthabenden Klasse ausgestoßen und vernach¬ lässigt. Die einzige Rücksicht, die man noch für sie hat, ist das Ge¬ setz, das sich an sie anklammert, sobald sie der Bourgeoisie zu 20 nahe treten — wie gegen die unvemünftigenTiere wendet man nur Ein Bildungsmittel auf sie an — die Peitsche, die brutale, nicht überzeugende, nur einschüchtemde Gewalt. Es ist also auch nicht zu verwundern, wenn die so wie Tiere behandelten Arbeiter ent¬ weder wirklich zu Tieren werden, oder sich nur durch den glühend- 25 sten Haß, durch fortwährende innere Empörung gegen die macht¬ habende Bourgeoisie das Bewußtsein und Gefühl ihrer Mensch¬ heit bewahren können. Sie sind nur Menschen, solange sie den Zorn gegen die herrschende Klasse fühlen; sie werden Tiere, so¬ bald sie sich geduldig in ihr Joch fügen, und sich nur das Leben 30 im Joch angenehm zu machen suchen, ohne das Joch selbst brechen zu wollen. Das ist also alles, was die Bourgeoisie zur Bildung der arbei¬ tenden Klasse getan hat — und wenn wir die übrigen Umstände erwägen, in denen diese letztere lebt, so werden wir ihr den In- 35 grimm, den sie gegen die herrschende Klasse hegt, vollends nicht verübeln können. — Die sittliche Bildung, die dem Arbeiter in der Schule nicht gereicht wird, wird ihm auch in seinen sonstigen Lebensverhältnissen nicht geboten — wenigstens die sittliche Bildung nicht, die in den Augen der Bourgeoisie etwas gilt. Seine 40 ganze Stellung und Umgebung enthält die stärksten Neigungen zur Immoralität. Er ist arm, das Leben hat keinen Reiz für ihn, fast alle Genüsse sind ihm versagt, die Strafen des Gesetzes haben nichts Fürchterliches mehr für ihn — was soll er sich also in seinen Gelüsten genieren, weshalb soll er den Reichen im Genuß 21 1892 ein Bildungsmittel Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 8
114 Resultate seiner Güter lassen, statt sich selbst einen Teil davon anzueignen? Was für Gründe hat der Proletarier, nicht zu stehlen? Es ist all recht schön und klingt den Bourgeois angenehm genug ins Ohr, wenn man von der „Heiligkeit des Eigentums64 spricht — aber für den, der kein Eigentum hat, hört die Heiligkeit des Eigentums s von selber auf. Das Geld ist der Gott dieser Welt. Der Bourgeois nimmt dem Proletarier sein Geld und macht ihn dadurch zum praktischen Atheisten. Kein Wunder also, wenn der Proletarier seinen Atheismus bewährt und die Heiligkeit und die Macht des irdischen Gottes nicht mehr respektiert. Und wenn die Armut des 10 Proletariers bis zum wirklichen Mangel der nötigsten Lebens¬ bedürfnisse, bis zum Elend und zur Brotlosigkeit gesteigert wird, so steigt der Reiz zur Nichtachtung aller gesellschaftlichen Ord¬ nung noch mehr. Das wissen auch die Bourgeois großenteils selbst. Symons bemerkt*\ daß die Armut dieselbe zerrüttende Wir-15 kung auf den Geist ausübe wie die Trunksucht auf den Körper, und vollends Sheriff Alison erzählt den Besitzenden ganz genau, was die Folgen der sozialen Unterdrückung für die Arbeiter sein müssen.**) Das Elend läßt dem Arbeiter nur die Wahl, langsam zu verhungern, sich rasch zu töten, oder sich zu nehmen, was er 20 nötig hat, wo er es findet, auf Deutsch, zu stehlen. Und da werden wir uns nicht wundern dürfen, wenn die meisten den Diebstahl dem Hungertode oder dem Selbstmorde vorziehen. Es gibt freilich auch unter den Arbeitern eine Anzahl, die moralisch genug sind, um nicht zu stehlen, selbst wenn sie aufs äußerste gebracht wer- 25 den, und diese verhungern oder töten sich. Der Selbstmord, der sonst das beneidenswerte Privilegium der höheren Klassen war, ist in England auch unter den Proletariern Mode geworden, und eine Menge armer Leute töten sich, um dem Elend zu entgehen, aus dem sie sich sonst nicht zu retten wissen. 30 Aber noch viel demoralisierender als die Armut wirkt auf die englischen Arbeiter die Unsicherheit der Lebensstellung, die Not¬ wendigkeit, vom Lohn aus der Hand in den Mund zu leben, kurz das, was sie zu Proletariern macht. Unsre kleinen Bauern in Deutschland sind großenteils auch arm und leiden oft Mangel, 35 aber sie sind weniger abhängig vom Zufall, sie haben wenigstens etwas Festes. Aber der Proletarier, der gar nichts hat als seine beiden Hände, der heute verzehrt, was er gestern verdiente, der von allen möglichen Zufällen abhängt, der nicht die geringste Garantie für seine Fähigkeit, sich die nötigsten Lebensbedürfnisse 40 zu erwerben, besitzt — jede Krisis, jede Laune seines Meisters *) Arts and Artisans. **) Prine, of Popul. vol. II, p. 196,197. 40—41 1892 Fähigkeit besitzt, sich die nötigsten Lebensbedürfnisse zu erwerben, — jede
Sittliche Vernachlässigung der Arbeiter 115 kann ihn brotlos machen — der Proletarier ist in die empörendste, unmenschlichste Lage versetzt, die ein Mensch sich denken kann. Dem Sklaven ist wenigstens seine Existenz durch den Eigennutz seines Herrn gesichert, der Leibeigne hat doch ein Stück Land, 5 wovon er lebt, sie haben wenigstens für das nackte Leben eine Garantie — aber der Proletarier ist allein auf sich selbst ange¬ wiesen und doch zugleich außerstand gesetzt, seine Kräfte so anzuwenden, daß er auf sie rechnen kann. Alles, was der Prole¬ tarier zur Verbesserung seiner Lage selbst tun kann, verschwindet 10 wie ein Tropfen am Eimer gegen die Fluten von Wechselfällen, denen er ausgesetzt ist, und über die er nicht die geringste Macht hat. Er ist das willenlose Objekt aller möglichen Kombinationen von Umständen und kann vom Glück noch sagen, wenn er nur auf kurze Zeit das nackte Leben rettet. Und wie sich das von selbst 15 versteht, richtet sich sein Charakter und seine Lebensweise wieder nach diesen Umständen. Entweder sucht er sich in diesem Strudel oben zu halten, seine Menschheit zu retten, und das kann er wieder nur in der Empörung *) gegen die Klasse, die ihn so schonungslos ausbeutet und dann seinem Schicksal überläßt, die ihn zu zwingen 20 sucht, in dieser, eines Menschen unwürdigen Lage zu bleiben, gegen die Bourgeoisie — oder er gibt den Kampf gegen seine Lage als fruchtlos auf und sucht, soviel er kann, von den günstigen Momenten zu profitieren. Sparen nützt ihm zu nichts, denn er kann sich höchstens soviel sammeln, als er braucht, um sich ein 25 paar Wochen lang zu ernähren — und wird er einmal brotlos, so bleibt es nicht bei ein paar Wochen. Sich auf die Dauer Eigentum erwerben kann er nicht, und könnte er’s, so müßte er dann ja auf- hören, Arbeiter zu sein, und ein andrer träte an seine Stelle. Was kann er also besseres tun, wenn er guten Lohn bekommt, als gut 50 davon leben? Der englische Bourgeois wundert und skandalisiert sich aufs höchste über das flotte Leben der Arbeiter während der Zeit, daß der Lohn hoch ist — und doch ist es nicht nur ganz natür¬ lich, sondern sogar ganz vernünftig von den Leuten, daß sie das Leben genießen, wenn sie können, statt Schätze zu sammeln, die 35 ihnen nichts nützen und die am Ende doch wieder die Motten und der Rost, d.h. die Bourgeois fressen. Aber solch ein Leben ist demoralisierend wie kein andres. Was Carlyle von den Baum¬ wollspinnern sagt, gilt von allen englischen Industriearbeitern: „Bei ihnen ist das Geschäft heute blühend, morgen welk — ein 40 fortwährendes Hasardspiel, und so leben sie auch wie Spieler, heute im Luxus, morgen im Hunger. Schwarze meuterische Un- •) Wir werden später sehen, wie die Empörung des Proletariats gegen die Bourgeoisie in England durch das Recht der freien Assoziation gesetz¬ lich legitimiert ist. — 8*
116 Resultate Zufriedenheit verzehrt sie, das elendeste Gefühl, das in des Men¬ schen Brust wohnen kann. Der englische Handel mit seinen welt¬ weiten Konvulsionen und Schwankungen, mit seinem unerme߬ lichen Dampfproteus hat alle Pfade für sie unsicher gemacht, wie ein Zauberbann; Nüchternheit, Festigkeit, ruhige Dauer, die s ersten Segnungen des Menschen sind ihnen fremd. Diese Welt ist für sie kein heimatlich Haus, sondern ein dumpfiges Ge¬ fängnis voll toller, fruchtloser Plage, Rebellion, Groll, Ingrimm gegen sich selbst und alle Menschen. Ist es eine grüne, blumige Welt, gemacht und regiert von einem Gott — oder ist es ein düster-10 brodelndes Tophet voll Vitriolrauch, Baumwollstaub, Schnaps¬ lärm, Wut und Arbeitsqual, gemacht und regiert von einem Teufel?“*) Und weiter p.40: „Wenn Ungerechtigkeit, Untreue gegen Wahrheit, Tatsache und Ordnung der Natur das einzige Übel unter der Sonne ist, und das Bewußtsein, Unrecht, Ungerech- 15 tigkeit zu ertragen, das einzige unerträglich schmerzliche Gefühl, so wäre unsre große Frage wegen der Lage der Arbeiter diese: Ist dies gerecht? Und vor allem: Was halten sie selbst von der Gerechtigkeit der Sache? — Ihre Worte sind Antwort genug, ihre Taten noch mehr. Empörung, plötzlicher rachelustiger Trieb 20 zur Empörung gegen die höheren Klassen, abnehmende Achtung gegen die Befehle ihrer weltlichen Obern, abnehmender Glaube gegen die Lehren ihrer geistlichen Obern wird mehr und mehr die allgemeine Stimmung der niederen Klassen. Diese Stimmung mag getadelt, mag bestraft werden, aber alle müssen sie als dort wirk- 25 lieh existierend anerkennen, müssen wissen, daß es traurig ist und, wo nicht geändert, unheilbringend sein wird.“ — Carlyle hat in den Tatsachen ganz recht, und nur darin un¬ recht, daß er die wilde Leidenschaft der Arbeiter gegen die höheren Klassen tadelt. Diese Leidenschaft, dieser Zorn ist viel- 30 mehr der Beweis, daß die Arbeiter das Unmenschliche ihrer Lage fühlen, daß sie sich nicht zum Tier herabdrängen lassen wollen, und daß sie dereinst sich aus der Knechtschaft der Bourgeoisie befreien werden. Wir sehen es ja an denen, die diesen Zorn nicht teilen — entweder unterwerfen sie sich in Demut dem Geschick, 35 das sie trifft, leben als ehrliche Privatleute so gut es geht, küm¬ mern sich nicht um den Gang der Welt, helfen der Bourgeoisie, die Ketten der Arbeiter fester zu schmieden, und stehen auf dem geistig-toten Standpunkte der vorindustriellen Periode — oder sie lassen sich vom Schicksal werfen und spielen mit ihm, ver- *) Chartism, p. 34 ff. 16 Orig, unerträgliche 20 plötzlicher bei Carlyle sollen. Vermutlich für sudden gelesen 38 1892 fester schmieden,
Einfluß der Verdammung zur Zwangsarbeit 117 lieren auch innerlich den festen Halt, den sie schon äußerlich ver¬ loren haben, leben in den Tag hinein, trinken Schnaps und laufen den Mädeln nach — in beiden Fällen sind sie Tiere. Diese letz¬ teren tragen denn auch hauptsächlich zu der „schnellen Vermeh- 5 rung des Lasters“ bei, über die die sentimentale Bourgeoisie so entsetzt ist, nachdem sie selbst die Ursachen derselben in Bewegung gesetzt hat. Eine andre Quelle der Demoralisation unter den Arbeitern ist die Verdammung zur Arbeit. Wenn die freiwillige produktive 10 Tätigkeit der höchste Genuß ist, den wir kennen, so ist die Zwangs¬ arbeit die härteste, entwürdigendste Qual. Nichts ist fürchterlicher, als alle Tage von morgens bis abends etwas tun zu müssen, was einem widerstrebt. Und je menschlicher der Arbeiter fühlt, desto mehr muß ihm seine Arbeit verhaßt sein, weil er den Zwang, die 15 Zwecklosigkeit für ihn selbst fühlt, die in ihr liegen. Weshalb arbeitet er denn? Aus Lust am Schaffen? Aus Naturtrieb? Keines¬ wegs. Er arbeitet um des Geldes, um einer Sache willen, die mit der Arbeit selbst gar nichts zu schaffen hat, er arbeitet, weil er muß, und arbeitet noch dazu so lange und so ununterbrochen ein- 20 förmig, daß schon aus diesem Grunde allein ihm die Arbeit in den ersten Wochen zur Qual werden muß, wenn er noch irgend mensch¬ lich fühlt. Die Teilung der Arbeit hat die vertierenden Wirkun¬ gen der Zwangsarbeit überhaupt noch vervielfacht. In den meisten Arbeitszweigen ist die Tätigkeit des Arbeiters auf eine kleinliche, 25 rein mechanische Manipulation beschränkt, die sich Minute für Minute wiederholt und jahraus, jahrein dieselbe bleibt.*) Wer von Kindesbeinen an jeden Tag zwölf Stunden und drüber Nadel¬ knöpfe gemacht oder Kammräder abgefeilt und außerdem in den Verhältnissen eines englischen Proletariers gelebt hat, wieviel 30 menschliche Gefühle und Fähigkeiten mag der in sein dreißigstes Jahr hinüberretten? Dasselbe ist’s mit der Einführung der Dampf - kraft und der Maschinen. Die Tätigkeit des Arbeiters wird leicht, die Anstrengung der Muskel wird gespart, und die Arbeit selbst unbedeutend, aber eintönig im höchsten Grade. Sie gewährt ihm 35 kein Feld für geistige Tätigkeit und nimmt doch seine Aufmerk¬ samkeit gerade soviel in Anspruch, daß er, um sie gut zu be¬ sorgen, an nichts andres denken darf. Und eine Verurteilung zu einer solchen Arbeit — einer Arbeit, die alle disponible Zeit des Arbeiters in Anspruch nimmt, ihm kaum Zeit zum Essen und 40 Schlafen, nicht einmal zu körperlicher Bewegung in freier Luft, *) Soll ich auch hier Bourgeoisiezeugnisse für mich sprechen lassen? Ich wähle nur eins, das jeder nachlesen kann, in Adam Smith’s Wealth of Nations, (zitierte Ausg.) vol. 3, book 5, cap. 8, pag. 297. 41 1892 Bourgeoiszeugnisse
118 Resultate zum Genuß der Natur, geschweige zu geistiger Tätigkeit läßt — eine solche Verurteilung soll den Menschen nicht zum Tier herab¬ würdigen! Der Arbeiter hat wieder nur die Alternative, sich in sein Schicksal zu ergeben, ein „guter Arbeiter66 zu werden, das Interesse des Bourgeois „treulich66 wahrzunehmen — und dann 5 vertiert er ganz gewiß — oder sich zu sträuben, für seine Mensch¬ heit zu kämpfen, solange es geht, und das kann er nur im Kampf gegen die Bourgeoisie. Und wenn alle diese Ursachen eine Masse von Demoralisation unter der arbeitenden Klasse erzeugt haben, dann tritt eine neue 10 Ursache hinzu, um diese Demoralisation weiter zu verbreiten und auf den höchsten Gipfel zu treiben — die Zentralisation der Be¬ völkerung. Die englischen Schriftsteller der Bourgeoisie schreien Zeter über die entsittlichenden Wirkungen der großen Städte — diese umgekehrten Jeremiasse weinen Klagelieder nicht über die 15 Zerstörung, sondern über den Flor derselben. Sheriff Alison schiebt fast alles, und Dr. Vaughan, Verfasser eines Buches: „The Age of great Cities66, noch viel mehr auf diese Ursache. Natürlich. Bei den übrigen Ursachen, die auf Körper und Geist der Arbeiter zer¬ störend wirken, kommt das Interesse der besitzenden Klasse zu 20 direkt ins Spiel. Sagten sie: die Armut, die Unsicherheit der Stel¬ lung, die Überarbeitung und Zwangsarbeit sei die Hauptursache — so würde jeder, so würden sie sich selbst antworten müssen: also geben wir den Armen Eigentum, garantieren wir ihnen ihre Exi¬ stenz, erlassen wir Gesetze gegen Überarbeitung — und das darf 25 die Bourgeoisie nicht zugeben. Aber die großen Städte sind so ganz von selbst herangewachsen, die Leute sind ganz freiwillig hineingezogen, und der Schluß, daß einzig die Industrie und die von ihr profitierende Mittelklasse diese großen Städte geschaffen habe, liegt so fern, daß es der herrschenden Klasse gar zu leicht 30 einfallen muß, alles Unheil auf diese anscheinend unvermeidliche Ursache zu wälzen — wo doch die großen Städte nur dem wenig¬ stens im Keime schon existierenden Unheil eine schnellere und reifere Entwicklung geben können. Alison ist wenigstens noch so human, daß er dies anerkennt — er ist kein vollständig ausgebil- 35 deter, industrieller und liberaler, sondern nur ein halbentwickel¬ ter, torystischer Bourgeois und hat deshalb hie und da offne Augen, wo die wahren Bourgeois stockblind sind. Ihn wollen wir hier reden lassen: „Es ist in den großen Städten, daß das Laster seine Versuchungen, die Wollust ihre Netze ausbreiten, daß die 40 Schuld durch die Hoffnung der Straflosigkeit, und die Trägheit durch häufiges Beispiel angespomt wird. Hieher zu diesen gro¬ ßen Stapelplätzen menschlicher Verdorbenheit fliehen die Schlech¬ ten und Liederlichen von der Einfachheit des Landlebens, hier fin¬ den sie Opfer für ihre Schlechtigkeit und Gewinn als Lohn für die 45
Einfluß der Zentralisation der Bevölkerung 119 Gefahren, in die sie sich begeben. Die Tugend wird in Dunkel¬ heit gehüllt und unterdrückt, die Schuld reift in der Schwierig¬ keit der Entdeckung, Ausschweifungen werden durch unverzüg¬ lichen Genuß belohnt. Wer bei Nacht durch St. Giles, durch die 5 engen gedrängten Gäßchen von Dublin, die ärmeren Viertel von Glasgow geht, wird dies bestätigt finden, wird sich nicht wundem, daß so viel, sondern daß so wenigVerbrechen in der Welt ist. Die große Ursache der Verderbtheit der großen Städte ist die an¬ steckende Natur des bösen Beispiels und die Schwierigkeit, der 10 Verführung des Lasters aus dem Wege zu gehen, wenn sie in nahe und tägliche Berührung mit der heranwachsenden Generation ge¬ bracht werden. Die Reichen sind eo ipso nicht besser, auch sie können in derselben Lage der Versuchung nicht widerstehen; das besondre Unglück der Armen ist, daß sie überall den verlocken- 15 den Gestalten des Lasters und den Verführungen verbotner Ge¬ nüsse begegnen müssen. Die erwiesene Unmöglichkeit, die Reize des Lasters vor dem jüngeren Teile der Armen in gro¬ ßen Städten zu verbergen, ist die Ursache der Demoralisation.66 Nach einer längeren Sittenschilderung fährt unser Autor fort: 20 „Alles das kommt nicht von außerordentlicher Depravation des Charakters, sondern von der fast unwiderstehlichen Natur der Versuchungen, denen die Armen ausgesetzt sind. Die Reichen, die das Betragen der Armen tadeln, würden dem Einfluß ähnlicher Ursachen wohl ebenso rasch nachgeben. Es gibt einen Grad des 25 Elends, ein Sich-Aufdrängen der Sünde, denen entgegenzutreten die Tugend selten fähig ist, und der besonders die Jugend gewöhn¬ lich nicht widerstehen kann. Der Fortschritt des Lasters in solchen Umständen ist fast so gewiß und oft ebenso rasch, wie der der physischen Ansteckung.66 Und an einer späteren Stelle: „Wenn 30 die höheren Klassen die Arbeiter für ihren Vorteil in großen Mas¬ sen auf einen engen Raum zusammengezogen haben, wird die An¬ steckung des Verbrechens reißend schnell und unvermeidlich. Die niederen Klassen, wie sie jetzt in Beziehung auf religiösen und moralischen Unterricht gestellt sind, sind häufig kaum mehr dafür 35 zu tadeln, daß sie den auf sie eindringenden Versuchungen nach¬ geben, als dafür, daß sie dem Typhus zum Opfer fal¬ len.66^— Genug! Der Halbbourgeois Alison verrät uns, wenn auch in bornierter Ausdrucksweise, die schlimmen Folgen der gro- 40 ßen Städte für die sittliche Entwicklung der Arbeiter. Ein ande¬ rer, ganzer Bourgeois, ein Mann nach dem Herzen der Antikom- *) Prine, of Population, vol. II, p. 77 ff. p. 135. — 22 irrtümlich Versuchung, denen
120 Resultate gesetzligue, der Doktor Andrew Ure*\ verrät uns die andre Seite. Er erzählt uns, daß das Leben in großen Städten Kabalen unter den Arbeitern erleichtere und dem Plebs Macht gebe. Wenn hier die Arbeiter nicht erzogen (d. h. zum Gehorsam gegen die Bourgeoisie erzogen) seien, so würden sie die Dinge einseitig, s vom Standpunkt einer sinistren Selbstsucht ansehen und sich leicht von schlauen Demagogen verführen lassen — ja, sie seien kapa- bel, ihren besten Wohltäter, den frugalen und unterneh¬ menden Kapitalisten, mit einem eifersüchtigen und feindseligen Auge anzusehen. Hier könne nur gute Erziehung helfen, sonst 10 müsse Nationalbankerott und andre Schrecken folgen, da eine Revolution der Arbeiter sonst nicht ausbleiben könne. Und unser Bourgeois hat ganz recht mit • seinen Befürchtungen. Wenn die Zentralisation der Bevölkerung schon auf die besitzenden Klassen anregend und entwickelnd wirkt, so treibt sie die Entwicklung der 15 Arbeiter noch weit rascher vorwärts. Die Arbeiter fangen an, sich als Klasse in ihrer Gesamtheit zu fühlen, sie werden gewahr, daß sie, obwohl einzeln schwach, doch zusammen eine Macht sind; die Trennung von der Bourgeoisie, die Ausbildung den Arbeitemund ihrer Lebensstellung eigentümlicher Anschauungen und Ideen 20 wird befördert, das Bewußtsein, unterdrückt zu werden, stellt sich ein, und die Arbeiter bekommen soziale und politische Bedeutung. Die großen Städte sind der Herd der Arbeiterbewegung, in ihnen haben die Arbeiter zuerst angefangen, über ihre Lage nachzuden¬ ken und gegen sie anzukämpfen, in ihnen kam der Gegensatz zwi- 25 sehen Proletariat und Bourgeoisie zuerst zur Erscheinung, von ihnen sind Arbeiterverbindungen, Chartismus und Sozialismus ausgegangen. Die großen Städte haben die Krankheit des sozia¬ len Körpers, die auf dem Lande in chronischer Form auf tritt, in eine akute verwandelt, und dadurch das eigentliche Wesen der- 30 selben und zugleich die rechte Art, sie zu heilen, an den Tag ge¬ bracht. Ohne die großen Städte und ihren treibenden Einfluß auf die Entwicklung der öffentlichen Intelligenz wären die Arbeiter lange nicht so weit, als sie jetzt sind. Dazu haben sie die letzte Spur des patriarchalischen Verhältnisses zwischen den Arbeitern 35 und den Brotherren zerstört, wozu auch die große Industrie durch Vervielfachung der von einem einzigen Bourgeois abhängigen Ar¬ beiter beitrug. Die Bourgeoisie jammert freilich darüber, und sie hat recht — denn unter diesem Verhältnis war der Bourgeois ziem¬ lich sicher vor einer Auflehnung der Arbeiter. Er konnte sie nach 40 Herzenslust ausbeuten und dominieren, und erhielt noch Gehor- *) Philosophy of Manufactures. London, 1835. — Wir werden von diesem säubern Buche noch mehr zu sprechen haben. Die angeführten Stellen stehen p. 406 ff.
Einfluß der irischen Einwanderung 121 sam, Dank und Zuneigung in den Kauf von dem dummen Volke, wenn er ihm außer dem Lohn etwas Freundlichkeit, die ihm nichts kostete, und vielleicht einige kleine Vorteile zukommen ließ — alles zusammen anscheinend aus purer überflüssiger, auf- 5 opfernder Herzensgüte, und doch noch lange nicht den zehnten Teil seiner Schuldigkeit. Als einzelner Bourgeois, der in Verhält¬ nisse gestellt war, die er selbst nicht geschaffen hatte, tat er aller¬ dings seine Schuldigkeit wenigstens teilweise, aber als Mitglied der regierenden Klasse, die schon dadurch, daß sie regiert, 10 für die Lage der ganzen Nation verantwortlich ist und die Wah¬ rung des allgemeinen Interesses übernimmt, tat er gar nichts von dem, was er mit seiner Stellung übernahm, sondern beutete noch obendrein die ganze Nation zu seinem eignen Privatvorteil aus. In dem patriarchalischen Verhältnis, das die Sklaverei der Ar- 15 beiter heuchlerisch verdeckte, mußte der Arbeiter geistig tot, über seine eignen Interessen total unwissend, ein bloßer Privat¬ mensch bleiben. Erst als er seinem Brotherrn entfremdet, als es offenbar wurde, daß er mit diesem nur durch das Privatinteresse, nur durch den Geldgewinn Zusammenhänge, als die scheinbare 20 Zuneigung, die nicht die geringste Probe aushielt, gänzlich weg¬ fiel, erst da fing der Arbeiter an, seine Stellung und seine Inter¬ essen zu erkennen und sich selbstständig zu entwickeln; erst da hörte er auf, auch in seinen Gedanken, Gefühlen und Willens¬ äußerungen der Sklave der Bourgeoisie zu sein. Und dazu hat 25 hauptsächlich die Industrie im großen Maßstabe und die großen Städte gewirkt. Ein anderes Moment, das von bedeutendem Einfluß auf den Charakter der englischen Arbeiter war, bildet die irische Einwan¬ derung, von der auch schon in diesem Sinn die Rede war. Sie hat 30 allerdings, wie wir sehen, einerseits die englischen Arbeiter de¬ gradiert, sie der Zivilisation entrissen und ihre Lage verschlim¬ mert — aber auch andrerseits dadurch zur Austiefung der Kluft zwischen Arbeitern und Bourgeoisie, und so zur Beschleunigung der herannahenden Krisis beigetragen. — Denn der Verlauf der 35 sozialen Krankheit, an der England leidet, ist derselbe wie der einer physischen Krankheit; sie entwickelt sich nach gewissen Ge¬ setzen und hat ihre Krisen, deren letzte und heftigste über das Schicksal des Kranken entscheidet. Und da die englische Nation bei dieser letzten Krisis doch nicht untergehen kann, sondern er- 40 neut und wiedergeboren aus ihr hervorgehen muß, so kann man sich nur über alles freuen, was die Krankheit auf die Spitze treibt. Und dazu trägt die irische Einwanderung außerdem noch bei durch das leidenschaftliche, lebendige irische Wesen, welches 10—11 1887 fehlt und .. übernimmt 30 1892 sahen,
122 Resultate sie in England einbürgert und in die englische Arbeiterklasse bringt. Irländer und Engländer verhalten sich in vielen Beziehun¬ gen wie Franzosen und Deutsche, und die Mischung des leichte¬ ren, erregbaren, heißen irischen Temperaments mit dem ruhigen, ausdauernden, verständigen englischen kann auf die Dauer nur 5 für beide Teile günstig sein. Der schroffe Egoismus der englischen Bourgeoisie würde weit mehr in der Arbeiterklasse sitzen geblie¬ ben sein, wenn nicht das bis zur Wegwerfung großmütige, vorwie¬ gend vom Gefühl beherrschte irische Wesen hinzugekommen, und einerseits durch Stammverschmelzung, andrerseits durch den ge-10 wohnlichen Verkehr den rein verständigen, kalten englischen Cha¬ rakter gemildert hätte. — Wir werden uns nach alledem nicht mehr darüber wundern, daß die arbeitende Klasse allmählich ein ganz andres Volk gewor¬ den ist als die englische Bourgeoisie. Die Bourgeoisie hat mit 15 allen andern Nationen der Erde mehr Verwandtes als mit den Ar¬ beitern, die dicht neben ihr wohnen. Die Arbeiter sprechen andre Dialekte, haben andre Ideen und Vorstellungen, andre Sitten und Sittenprinzipien, andre Religion und Politik als die Bourgeoisie. Es sind zwei ganz verschiedene Völker, so verschieden, wie sie der 20 Unterschied der Rasse nur machen kann, und von denen wir bisher auf dem Kontinent nur das eine, die Bourgeoisie, gekannt haben. Und doch ist gerade das andre, aus den Proletariern bestehende Volk, das für die Zukunft Englands bei weitem wichtigste.#) Von dem öffentlichen Charakter der englischen Arbeiter, wie 25 er sich in Assoziationen und politischen Prinzipien ausspricht, wer¬ den wir noch weiter zu sprechen haben — hier wollen wir nur die Resultate der eben zusammengestellten Ursachen erwähnen, in¬ sofern diese auf den Privatcharakter der Arbeiter wirken. — Der Arbeiter ist bei weitem humaner im gewöhnlichen Leben als der 30 Bourgeois. Ich erwähnte schon oben, daß die Bettler fast nur an Arbeiter zu appellieren pflegen, und überhaupt mehr von Seiten der Arbeiter für die Erhaltung der Armen getan wird, als von Sei¬ ten der Bourgeoisie. Diese Tatsache — man kann sie übrigens alle Tage bestätigt sehen — bestätigt u. a. auch Hr. Parkinson, Kano- 35 nikus von Manchester: „Die Armen geben einander mehr, als die Reichen den Armen geben. Ich kann meine Versicherung durch das Zeugnis eines unserer ältesten, geschicktesten, beobachtend- sten und humansten Ärzte, des Dr. Bardsley, bestätigen. Dieser hat oft öffentlich erklärt, daß die Gesamtsumme, welche die Ar- 40 *) 1892 Dieselbe Auffassung, daß die große Industrie die Engländer in zwei verschiedene Nationen gespalten hat, ist bekanntlich, ungefähr gleichzeitig, auch von Disraeli ausgeführt worden in seinem Roman: „Sybil, or the Two Nations46.
Charakter des Bourgeois und des Proletariers 123 men jährlich einander geben, diejenige übertrifft, welche die Rei¬ chen in derselben Zeit beisteuem.“*) — Auch sonst tritt die Hu¬ manität der Arbeiter überall erfreulich hervor. Sie haben selbst harte Schicksale erfahren und können daher für diejenigen Mit- 5 gefühl hegen, denen es schlecht geht; für sie ist jeder Mensch ein Mensch, während der Arbeiter dem Bourgeois weniger als ein Mensch ist; daher sind sie umgänglicher, freundlicher, und ob¬ wohl sie das Geld nötiger haben als die Besitzenden, dennoch we¬ niger darauf erpicht, weil ihnen das Geld nur um dessentwillen 10 Wert hat, was sie dafür kaufen, während es für den Bourgeois einen besondern, inhärenten Wert, den Wert eines Gottes hat und den Bourgeois so zum gemeinen, schmutzigen „Geldmenschen“ macht. Der Arbeiter, der dies Gefühl der Ehrfurcht vor dem Gelde nicht kennt, ist daher nicht so habgierig wie der Bourgeois, 15 der alles nur tut, um Geld zu verdienen, der seinen Lebenszweck im Anhäufen von Geldsäcken sieht. Darum ist der Arbeiter auch viel unbefangener, hat viel offnere Augen für Tatsachen als der Bourgeois und sieht nicht alles durch die Brille des Eigennutzes an. Vor religiösen Vorurteilen schützt ihn seine mangelhafte Er- 20 ziehung; er versteht nichts davon und plagt sich nicht damit her¬ um, er kennt den Fanatismus nicht, der die Bourgeoisie befangen hält, und wenn er ja etwas Religion haben sollte, so ist sie nur no¬ minell, nicht einmal theoretisch — praktisch lebt er nur für diese Welt, und sucht sich in ihr einzubürgem. Alle Schriftsteller der 25 Bourgeoisie stimmen darin überein, daß die Arbeiter keine Religion haben und die Kirche nicht besuchen. Allenfalls die Irländer sind auszunehmen und einige ältere Leute, dann die Halbbour¬ geois, die Aufseher, Werkmeister und dergl. Aber unter der Masse findet man fast überall eine gänzliche Indifferenz gegen die 30 Religion, und wenn es hoch kommt, ein bißchen Deismus, das zu unentwickelt ist, um zu etwas mehr als zu Redensarten dienen zu können, oder etwas mehr als einen vagen Schrecken vor Ausdrük- ken wie: infidel (Ungläubiger) und atheist hervorzurufen. Die Geistlichkeit aller Sekten steht sehr schlecht bei den Arbeitern 35 angeschrieben, obwohl sie ihren Einfluß auf diese erst in der letz¬ ten Zeit verloren hat; jetzt steht sie aber so, daß der bloße Ruf: he is a parson — er ist ein Pfaff! oft genug imstande ist, einen Geistlichen von der Tribüne öffentlicher Versammlungen zu ver¬ jagen. Und wie schon die Lebenslage überhaupt, so trägt auch der 40 *) On the present Condition of the Labouring Poor in Manchester etc. by the Rev. Rd. Parkinson, Canon of Manchester. 3rd edit. London and Manchester, 1841. Pamphlet. — 5—7 1887 fehlt für sie .. Mensch ist 30—31 1892 Deismus, zu unentwickelt, um
124 Resultate Mangel an religiöser und sonstiger Bildung dazu bei, die Arbei¬ ter unbefangener, freier von überkommenen stabilen Grundsätzen und vorgefaßten Meinungen zu halten, als der Bourgeois dies ist. Dieser sitzt in seinen Klassen vorurteilen, in den ihm von Jugend auf eingetrichterten Prinzipien bis über die Ohren eingerammt; 5 mit ihm ist nichts anzufangen, er ist wesentlich, wenn auch in liberaler Form, konservativ, sein Interesse mit dem Bestehenden verwachsen, er ist aller Bewegung abgestorben. Er tritt ab von der Spitze der historischen Entwicklung, die Arbeiter treten erst rechtlich und dereinst auch faktisch an seine Stelle. 10 Dies und die daraus folgende öffentliche Tätigkeit der Arbei¬ ter, die wir später erledigen werden, sind die günstigen Seiten des Charakters dieser Klasse; die ungünstigen sind ebenso rasch zu¬ sammengefaßt und folgen ebenso natürlich aus den angegebenen Ursachen. Trunksucht, Regellosigkeit des geschlechtlichen Ver-15 kehrs, Roheit und Mangel an Achtung für das Eigentum sind die Hauptpunkte, die der Bourgeois ihr vorwirft. Daß die Arbeiter stark trinken, ist nicht anders zu erwarten. Sheriff Alison be¬ hauptet, daß in Glasgow jeden Sonnabend abend an dreißigtau¬ send Arbeiter berauscht sind, und die Zahl ist gewiß nicht zu ge- 20 ring; daß in dieser Stadt 1830 auf zwölf Häuser, und 1840 auf je zehn Häuser eine Branntweinschenke kam, daß in Schottland 1823 für 2300000 Gallonen, 1837 für 6620000 Gall., und in Eng¬ land 1823 für 1976000 Gall., 1837 für 7875000 Gall. Brannt¬ wein Akziseabgabe bezahlt wurde.*) Die Bierakte von 1830,25 welche die Errichtung von Bierhäusern, sogenannten Jerry-Shops erleichterte — deren Besitzer zum Verkauf von Bier, to be drunk on the premises (das im Hause selbst getrunken werden darf), konzessioniert ist — diese Akte erleichterte auch die Ausbreitung der Trunksucht, indem sie jedem die Schenke fast vor die Türe 30 brachte. Fast in jeder Straße findet man mehrere dieser Bierhäu¬ ser, und wo auf dem Lande zwei oder drei Häuser zusammen stehen, so ist ganz gewiß ein Jerry-Shop darunter. Außerdem gibt es noch Hush-Shops, d. h. heimliche Schenken, die nicht konzessioniert sind, in Menge, und ebensoviele Branntweinbrenne- 35 reien, die mitten in den großen Städten, in abgelegenen, von der Polizei selten besuchten Vierteln große Quantitäten dieses Ge¬ tränks produzieren. Gaskell (a. a. O.) schlägt die Zahl dieser letzteren in Manchester allein auf über hundert und ihre jähr¬ liche Produktion auf mindestens 156000 Gallonen an. In Man- 40 ehester sind außerdem über tausend Schenken, also im Verhältnis zur Häuserzahl wenigstens ebensoviele als in Glasgow. In allen *) Prine, of Popul., passim. 7 mit dem Bestehenden 1887 with that of the property-holding dass
Nachteilige Seiten des proletarischen Charakters 125 andern großen Städten sieht es ebenso aus. Und wenn man nun noch außer den gewöhnlichen Folgen der Trunksucht bedenkt, daß Männer und Weiber von jedem Alter, selbst Kinder, oft Müt¬ ter mit ihren Kleinen auf dem Arme, hier mit den am tiefsten ge- 5 sunkenen Opfern des Bourgeoisieregimes, mit Dieben, Betrügern und prostituierten Mädchen zusammenkommen, wenn man be¬ denkt, daß manche Mutter dem Säugling, den sie auf den Armen trägt, Branntwein zu trinken gibt, so wird man die demoralisie¬ rende Wirkung des Besuchs solcher Orte allerdings zugeben. 10 Namentlich Samstag abends, wenn der Lohn ausbezahlt ist und etwas früher als gewöhnlich Feierabend gemacht wird, wenn die ganze arbeitende Klasse aus ihren schlechten Vierteln sich in die Hauptstraßen ergießt, kann man die Trunkenheit in ihrer ganzen Brutalität sehen. Ich bin selten an einem solchen Abend aus Man¬ is ehester herausgekommen, ohne einer Menge schwankender oder in den Rinnsteinen liegender Betrunkener zu begegnen. Am Sonn¬ tag abend pflegt sich dieselbe Szene, nur weniger lärmend, zu wiederholen. Und wenn das Geld auf ist, so gehen die Trinker zum ersten besten Pfandhaus, deren in jeder großen Stadt eine 20 Menge sind — in Manchester über sechzig und in einer einzigen Straße von Salford (Chapel-Street) zehn bis zwölf — und ver¬ setzen, was sie noch haben. Möbel, Sonntagskleider, wo sie exi¬ stieren, Geschirre werden jeden Sonnabend abend in Massen aus den Pfandhäusern abgeholt, um fast immer vor dem nächsten 25 Mittwoch wieder hineinzuwandem, bis zuletzt irgend ein Zufall die Einlösung immöglich macht und ein Stück nach dem andern dem Wucherer verfällt, oder bis dieser auf die verschlissene und ausgenutzte Ware keinen Heller mehr vorschießen will. Wenn man die Verbreitung der Trunksucht unter den Arbeitern in Eng- so land selbst gesehen hat, so glaubt man gern der Behauptung Lord Ashley’s*\ daß diese Klasse jährlich an fünfundzwanzig Millio¬ nen Pfund Sterling für geistige Getränke ausgibt, und welche Ver¬ schlechterung der äußeren Lage, welche furchtbare Zerrüttung der geistigen und körperlichen Gesundheit, welche Zerstörung aller 35 häuslichen Verhältnisse daraus entsteht, kann sich jeder leicht denken. Die Mäßigkeitsvereine haben allerdings viel getan, aber was verschlagen ein paar tausend „Teetotaller s“ auf die Millio¬ nen Arbeiter? Wenn Father Mathew, der irische Mäßigkeitsapo¬ stel, durch die englischen Städte reist, so nehmen oft dreißig 4o bis sechzigtausend Arbeiter die „pledge“ (das Gelübde), aber nach vier Wochen ist das bei den meisten wieder vergessen. Wenn man z. B. die Massen zusammenzählt, die in den letzten drei bis *) Unterhaussitzung vom 28. Febr. 1843. 23 1892 Sonnabend in
126 Resultate vier Jahren in Manchester das Mäßigkeitsgelübde abgelegt haben, so kommen mehr Leute heraus, als überhaupt in der Stadt woh¬ nen — und doch merkt man nicht, daß der Trunk abnimmt. Neben der Zügellosigkeit im Genuß geistiger Getränke bildet die Zügellosigkeit des geschlechtlichen Verkehrs eine Haupt- 5 Untugend vieler englischen Arbeiter. Auch diese folgt mit eiserner Konsequenz, mit unumgänglicher Notwendigkeit aus der Lage einer Klasse, die sich selbst überlassen wird, ohne die Mittel zu besitzen, von dieser Freiheit geeigneten Gebrauch zu machen. Die Bourgeoisie hat ihr nur diese beiden Genüsse gelassen, während 10 sie ihr eine Menge von Mühen und Leiden auf erlegt hat, und die Folge davon ist, daß die Arbeiter, um doch etwas vom Leben zu haben, alle Leidenschaft auf diese beiden Genüsse konzentrie¬ ren und sich ihnen im Übermaß und auf die regelloseste Weise ergeben. Wenn man die Leute in eine Lage versetzt, die nur dem 15 Tier zusagen kann, so bleibt ihnen nichts übrig, als sich zu em¬ pören oder in der Bestialität unterzugehen. Und wenn obendrein noch die Bourgeoisie selbst ihr redlich Teil zur direkten Hebung der Prostitution beiträgt — wie viele von den 40000 Freuden¬ mädchen, die jeden Abend die Straßen von London füllen leben 20 von der tugendhaften Bourgeoisie? — wie viele von ihnen haben es der Verführung eines Bourgeois zu danken, daß sie ihren Kör¬ per den Vorübergehenden feilbieten müssen, um zu leben? — so hat sie wahrlich am wenigsten das Recht, den Arbeitern ihre sexuale Brutalität vorzuwerfen. 25 Die Fehler der Arbeiter lassen sich überhaupt alle auf Zügel¬ losigkeit der Genußsucht, Mangel an Vorhersicht und an Fügsam¬ keit in die soziale Ordnung, überhaupt auf die Unfähigkeit, den augenblicklichen Genuß dem entfernteren Vorteil aufzuopfem, zurückführen. Aber wie ist das zu verwundern? Eine Klasse, 30 die wenig und nur die sinnlichsten Genüsse sich für saure Arbeit erkaufen kann, muß sich die nicht toll und blind auf diese Genüsse werfen? Eine Klasse, um deren Bildung sich niemand kümmert, die allen möglichen Zufällen unterworfen ist, die gar keine Sicher¬ heit der Lebenslage kennt, was für Gründe, was für ein Interesse 33 hat die, Vorhersicht zu üben, ein „solides66 Leben zu führen und, statt von der Gunst des Augenblicks zu profitieren, auf einen ent¬ fernteren Genuß zu denken, der gerade für sie und ihre ewig schwankende, sich Überschlagende Stellung noch sehr ungewiß ist? Eine Klasse, die alle Nachteile der sozialen Ordnung zu tragen hat, /a ohne ihre Vorteile zu genießen, eine Klasse, der diese soziale Ord- *) Sheriff Alison, Prine, of Popul. vol. II. 25 1892 sexuelle
Auflösung der Familie 127 nung nur feindselig erscheint, von der verlangt man noch, daß sie diese soziale Ordnung respektieren soll? Das ist wahrlich zu viel. Aber die Arbeiterklasse kann der sozialen Ordnung, solange diese besteht, nicht entrinnen, und wenn der einzelne Arbeiter gegen sie 5 auf steht, so fällt der größte Schaden auf ihn. So macht die soziale Ordnung dem Arbeiter das Familienleben fast immöglich; ein un¬ wohnliches schmutziges Haus, das kaum zum nächtlichen Obdach gut genug, schlecht möbliert und oft nicht regendicht und nicht geheizt ist, eine dumpfige Atmosphäre im menschengefüllten Zim- 10 mer erlaubt keine Häuslichkeit; der Mann arbeitet den ganzen Tag, vielleicht auch die Frau und die älteren Kinder, alle an ver¬ schiedenen Orten, sehen sich nur morgens und abends — dazu die stete Versuchung zum Branntweintrinken; wo kann dabei das Fa¬ milienleben existieren? Dennoch kann der Arbeiter der Familie 15 nicht entrinnen, er muß in der Familie leben, und die Folge davon sind fortwährende Familienzerrüttungen und häusliche Zwiste, die sowohl auf die Eheleute wie namentlich auf die Kinder im höch¬ sten Grade demoralisierend wirken. Vernachlässigung aller häus¬ lichen Pflichten, Vernachlässigung besonders der Kinder ist nur 20 zu häufig unter den englischen Arbeitern und wird nur zu sehr durch die bestehenden Einrichtungen der Gesellschaft hervor¬ gebracht. Und Kinder, die auf diese Weise wild, in der demorali- sierendsten Umgebung, zu der oft genug die Eltern selbst gehören, heranwachsen, die sollen nachher noch fein moralisch werden? 25 Es ist wirklich zu naiv, welche Forderungen der selbstzufriedene Bourgeois an den Arbeiter stellt. Die Nichtachtung der sozialen Ordnung tritt am deutlichsten in ihrem Extrem, im Verbrechen auf. Wirken die Ursachen, die den Arbeiter demoralisieren, stärker, konzentrierter als gewöhn- 30 lieh, so wird er mit derselben Gewißheit Verbrecher, mit der das Wasser bei 80 Grad Reaumur aus dem tropfbaren in den luftför¬ migen Aggregatzustand übergeht. Der Arbeiter wird durch die bru¬ tale und brutalisierende Behandlung der Bourgeoisie gerade ein so willenloses Ding wie das Wasser und ist gerade mit derselben 35 Notwendigkeit den Gesetzen der Natur unterworfen — bei ihm hört auf einem gewissen Punkte alle Freiheit auf. Mit der Aus¬ dehnung des Proletariats hat daher auch das Verbrechen in Eng¬ land zugenommen, und die britische Nation ist die verbrecherisch¬ ste der Welt geworden. Aus den jährlich veröffentlichten „Krimi¬ bö nal-Tabellen“ des Ministeriums des Innern geht hervor, daß in England die Vermehrung des Verbrechens mit imbegreiflicher Schnelligkeit vor sich gegangen ist. Die Anzahl der Verhaftungen für Kriminal verbrechen betrug 23 1887 fehlt zu der .. gehören
128 Resultate im Jahre 1805 — 4605 „ „ 1810— 5146 „ „ 1815— 7818 „ „ 1820 — 13710 „ „ 1825 — 14437 5 „ „ 1830—18107 „ „ 1835 — 20731 „ „ 1840 — 27187 „ „ 1841 — 27760 „ „ 1842 — 31309 io in England und Wales allein; also versiebenfachten sich die Ver¬ haftungen in 37 Jahren. Von diesen Verhaftungen kommen allein auf Lancashire im Jahre 1842 — 4497, also über 14%, und auf Middlesex (einschließlich London) 4094, also über 13 %. So sehen wir, daß zwei Distrikte, die große Städte mit viel Proletariat is einschließen, allein über den vierten Teil des gesamten Verbre¬ chens hervorbringen, obgleich ihre Gesamtbevölkerung lange nicht den vierten Teil der des ganzen Landes ausmacht. Die Kriminal¬ tabellen beweisen auch noch direkt, daß fast alles Verbrechen auf das Proletariat fällt, denn 1842 konnten von jeden 100 Verbre- 20 ehern durchschnittlich 32,35 nicht lesen und schreiben, 58,32 un¬ vollkommen lesen und schreiben, 6,77 gut lesen und schreiben, 0,22 hatten noch höhere Bildung genossen, und von 2,34 konnte die Bildung nicht angegeben werden. In Schottland hat das Ver¬ brechen noch viel schneller zugenommen. Hier waren 1819 nur 25 89 und 1837 schon 3176, 1842 sogar 4189 Kriminialverhaftun- gen vorgekommen. In Lanarkshire, wo Sheriff Alison selbst den offiziellen Bericht abfaßte, hat sich die Bevölkerung in 30 Jahren, das Verbrechen alle 5% Jahre verdoppelt, also sechsmal rascher als die Bevölkerung zugenommen. — Die Verbrechen selbst sind, 30 wie in allen zivilisierten Ländern, bei weitem der Mehrzahl nach Verbrechen gegen das Eigentum, also solche, die in Mangel dieser oder jener Art ihren Grund haben, denn was einer hat, stiehlt er nicht. Das Verhältnis der Verbrechen gegen Eigentum zur Volks¬ zahl, das sich in den Niederlanden wie 1 :7140, in Frankreich 35 wie 1 :1804 stellt, stand zur Zeit, als Gaskeil schrieb, in England wie 1 :799; das der Verbrechen gegen Personen zur Volkszahl in den Niederlanden wie 1:28904, in Frankreich wie 1:17573, in England wie 1:23395; das des Verbrechens überhaupt zur Volkszahl in Ackerbaudistrikten wie 1 :1043, in Fabrikdistrikten 40 wie 1 :840*>; in ganz England stellt sich dies jetzt kaum auf •) Manuf. Popul. of Engl. chapt. 10. —
Nichtachtung der sozialen Ordnung, sozialer Krieg 129 l:660*\ und es sind kaum zehn Jahre, seit Gaskeils Buch er¬ schien! Diese Tatsachen sind wahrlich mehr als hinreichend, um jeden, selbst einen Bourgeois, zur Besinnung und zum Nachdenken über 5 die Folgen eines solchen Zustandes zu bringen. Wenn sich die De¬ moralisation und die Verbrechen noch zwanzig Jahre lang in die¬ sem Maße vermehren — und wenn die englische Industrie in die¬ sen zwanzig Jahren weniger glücklich ist als bisher, so muß die Progression des Verbrechens sich nur noch beschleunigen — was 10 wird dann das Resultat sein? Wir sehen schon jetzt die Gesell¬ schaft in voller Auflösung begriffen, wir können keine Zeitung in die Hand nehmen, ohne in den schlagendsten Tatsachen die Locke¬ rung aller sozialen Bande lesen zu müssen. Ich greife aufs Gerate¬ wohl in den Haufen englischer Zeitungen, die vor mir liegen; da 15 ist ein „Manchester Guardian“ (30. Okt. 1844), der über dreiTage berichtet; er gibt sich gar nicht mehr die Mühe, über Manchester genaue Nachrichten zu geben und erzählt bloß die interessantesten Fälle, daß in einer Fabrik die Arbeiter, um höheren Lohn zu er¬ langen, die Arbeit eingestellt hätten und vom Friedensrichter zu 20 ihrer Wiederaufnahme gezwungen seien; daß in Salford ein paar Knaben Diebstähle verübt und ein bankerotter Kaufmann seine Gläubiger habe betrügen wollen. Ausführlicher sind die Nachrich¬ ten aus den Nebenorten: in Ashton zwei Diebstähle, ein Einbruch, ein Selbstmord, in Bury ein Diebstahl, in Bolton zwei Diebstähle, 25 ein Akzisebetrug, in Leigh ein Diebstahl, in Oldham Arbeitsein¬ stellung wegen Lohn, ein Diebstahl, eine Schlägerei zwischen Ir¬ länderinnen, ein nicht zur Arbeiterverbindung gehörender Hut¬ macher von den Mitgliedern der Verbindung mißhandelt, eine Mutter von ihrem Sohn geschlagen, in Rochdale eine Reihe Schlä- 30 gereien, ein Angriff auf die Polizei, ein Kirchenraub, in Stockport Unzufriedenheit der Arbeiter mit dem Lohn, ein Diebstahl, ein Be¬ trug, Schlägerei, ein Mann, der seine Frau mißhandelt, in War¬ rington ein Diebstahl und eine Schlägerei, in Wigan ein Diebstahl und ein Kirchenraub. Die Berichte der Londoner Zeitungen sind 35 noch viel schlimmer; Betrügereien, Diebstähle, Raubanfälle, Fa¬ milienzerwürfnisse drängen eins das andere; mir fällt gerade eine „Times“ (12. September 1844), die nur die Vorfälle eines Tages berichtet, in die Hand, die von einem Diebstahl, einem Angriff auf die Polizei, einem Alimentationsurteil gegen den Vater eines un- 40 ehelichen Kindes, der Aussetzung eines Kindes durch seine Eltern und der Vergiftung eines Mannes durch seine Frau erzählt. Ähn¬ liches ist in allen englischen Zeitungen zu finden. In diesem Lande *) Die Zahl der überführten Verbrecher (22 733) dividiert in die Volkszahl (zirka 15 Millionen). Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 9
130 Resultate ist der soziale Krieg vollständig ausgebrochen; jeder steht für sich selbst und kämpft für sich selbst gegen alle andern, und ob er allen andern, die seine erklärten Feinde sind, Schaden zufügen soll oder nicht, hängt nur von einer selbstsüchtigen Berechnung über das ab, was ihm am vorteilhaftesten ist. Es fällt keinem mehr ein, sich s auf friedlichem Wege mit seinen Nebenmenschen zu verständigen; alle Differenzen werden durch Drohungen, Selbsthilfe oder die Gerichte abgemacht. Kurz, jeder sieht im andern einen Feind, den er aus dem Wege zu räumen, oder höchstens ein Mittel, das er zu seinen Zwecken auszubeuten hat. Und dieser Krieg wird, wie 10 die Kriminaltabellen beweisen, von Jahr zu Jahr heftiger, leiden¬ schaftlicher, unversöhnlicher; die Feindschaft teilt sich allmählich in zwei große Lager, die gegeneinander streiten; die Bourgeoisie hier und das Proletariat dort. Dieser Krieg Aller gegen Alle und des Proletariats gegen die Bourgeoisie darf uns nicht wundem, 15 denn er ist nur die konsequente Durchführung des schon in der freien Konkurrenz enthaltenen Prinzips; aber wohl darf es uns wundem, daß die Bourgeoisie, gegen die sich tagtäglich neue und drohende Gewitterwolken zusammenziehen, bei alledem so ruhig und gelassen bleibt, wie sie diese Sachen täglich in den Zeitungen 20 lesen kann, ohne, wir wollen nicht sagen Indignation über den so¬ zialen Zustand, sondern nur Furcht vor seinen Folgen, vor einem allgemeinen Ausbruch dessen, was im Verbrechen einzeln zutage kommt, zu empfinden. Aber dafür ist sie gerade Bourgeoisie und kann von ihrem Standpunkte aus nicht einmal die Tatsachen, ge- 25 schweige ihre Konsequenzen, wahmehmen. Nur das ist staunens¬ wert, daß Klassen vorurteile und eingetrommelte vorgefaßte Mei¬ nungen eine ganze Menschenklasse mit einem so hohen, ich möchte sagen so wahnsinnigen Grade von Blindheit schlagen können. Die Entwicklung der Nation geht indes ihren Gang, die Bourgeois 30 mögen Augen für sie haben oder nicht, und wird eines schönen Morgens die besitzende Klasse mit Dingen überraschen, von denen sich ihre Weisheit nichts träumen läßt.
Die einzelnen Arbeitszweige Die Fabrikarbeiter im engeren Sinne Wenn wir jetzt auf die einzelnen wichtigeren Zweige des eng¬ lischen Industrieproletariats näher eingehen sollen, so werden 5 wir, dem oben (S. 26) aufgestellten Prinzip zufolge, mit den Fa¬ brikarbeitern, d. h. denen, die unter dem Fabrikakt stehen, anzu¬ fangen haben. Dies Gesetz reguliert die Arbeitszeit der Fabriken, in denen Wolle, Seide, Baumwolle und Flachs mit Hilfe von Was¬ ser- oder Dampfkraft gesponnen oder gewoben wird, und erstreckt 10 sich deshalb auf die bedeutendsten Zweige der englischen Indu¬ strie. Die von ihnen lebende Klasse ist die zahlreichste, älteste, intelligenteste und energischste, daher aber auch die unruhigste und der Bourgeoisie am meisten verhaßte von allen englischen Ar¬ beitern; sie steht, und speziell die Baumwollfabrikarbeiter stehen 15 an der Spitze der Arbeiterbewegung, wie ihre Brotherren, die Fa¬ brikanten, namentlich von Lancashire, an der Spitze der Bour¬ geoisie-Agitation. Wir sahen schon in der Einleitung, wie die in den genannten Artikeln arbeitende Bevölkerung auch zuerst durch neue Maschi- 20 nen aus ihren bisherigen Verhältnissen gerissen wurde. Es darf uns daher nicht wundem, wenn der Fortschritt der mechanischen Erfindung auch in späteren Jahren gerade sie am meisten und an¬ haltendsten berührte. Die Geschichte der Baumwollenfabrikation, wie wir sie bei Ure*), Baines**) u. a. lesen, weiß auf jeder Seite 25 von neuen Verbesserungen zu erzählen, und in den übrigen der ge¬ nannten Industriezweige sind die meisten derselben ebenfalls ein¬ gebürgert worden. Fast überall ist die Handarbeit durch Maschi¬ nenarbeit ersetzt, fast alle Manipulationen werden durch die Kraft des Wassers oder Dampfs getan, und noch jedes Jahr bringt neue 30 Verbesserungen. In einem geordneten sozialen Zustande wären solche Verbesse¬ rungen nur erfreulich; im Zustande des Kriegs Aller gegen Alle *) The Cotton Manufacture of Great Britain. By Dr. A.Ure. 1836. **) History of the Cotton Manufacture of Great Britain. By E. Baines, 35 Esq. 16—17 1892 Bourgeois-Agitation. 9*
132 Die einzelnen Arbeitszweige reißen einzelne den Vorteil an sich und bringen dadurch die mei¬ sten um die Mittel der Existenz. Jede Verbesserung der Maschi¬ nerie wirft Arbeiter außer Brot, und je bedeutender die Verbesse¬ rung, desto zahlreicher die arbeitslos gewordene Klasse; jede bringt demnach auf eine Anzahl Arbeiter die Wirkung einer Han- 5 delskrisis hervor, erzeugt Not, Elend und Verbrechen. Nehmen wir einige Beispiele. Da gleich die erste Erfindung, die Jenny (s. oben), von Einem Arbeiter getrieben, wenigstens das Sechs¬ fache von dem lieferte, was das Spinnrad in gleicher Zeit machen konnte, so wurden durch jede neue Jenny fünf Spinner brotlos. 10 DieThrostle, die wiederum bedeutend mehr lieferte als die Jenny und ebenfalls nur einen Arbeiter brauchte, machte noch mehr brotlos. Die Mule, die wieder weniger Arbeiter im Verhältnis zum Produkt nötig hatte, hatte dieselbe Wirkung, und jede Ver¬ besserung der Mule, d. h. jede Vermehrung der Spindelzahl an 15 der Mule, verminderte wiederum die Zahl der benötigten Arbei¬ ter. Diese Vermehrung der Spindelzahl an der Mule ist aber so bedeutend, daß dadurch ganze Scharen von Arbeitern brotlos ge¬ worden sind; denn wenn früher ein „Spinner“ mit ein paar Kin¬ dern (piecers) 600 Spindeln in Bewegung setzte, so konnte er nun 20 1400 bis 2000 Spindeln auf zwei Mules beaufsichtigen — zwei erwachsene Spinner und ein Teil der von ihnen beschäftigten Pie- cer wurden dadurch brotlos. Und seitdem bei einem sehr bedeu¬ tenden Teile der Mulespinnereien die self-actors eingeführt sind, fällt die Rolle des Spinners ganz weg und wird von der Maschine 25 getan. Mir liegt ein Buch vor*\ das von dem anerkannten Führer der Chartisten in Manchester, James Leach, herrührt. Der Mann hat in verschiedenen Industriezweigen, in Fabriken und Kohlen¬ bergwerken jahrelang gearbeitet und ist mir persönlich als brav, zuverlässig und tüchtig bekannt. Ihm standen, seiner Parteistel- 30 lung zufolge, die ausgedehntesten Details über die verschiedenen Fabriken, die von den Arbeitern selbst gesammelt wurden, zu Ge¬ bote, und er gibt nun Tabellen, aus denen hervorgeht, daß 1829 in 35 Fabriken 1083 Mulespinner mehr angestellt waren als 1841, obwohl die Anzahl der Spindeln in diesen 35 Fabriken sich um 35 99429 vermehrt hat. Er führt 5 Fabriken auf, in denen gar keine Spinner mehr sind, da diese Fabriken nur self-actors besitzen. Während die Zahl der Spindeln sich um 10 Prozent vermehrte, nahm die der Spinner um mehr als 60 Prozent ab. — Und, fügt Leach hinzu, seit 1841 sind so viele Verbesserungen durch Ver- 40 dopplung der Spindelreihen (double decking) und sonst ein- *) Stubborn Facts from the Factories, by a Manchester Operative. Published and dedicated to the Working Classes, by Wm. Rashleigh, M. P. London, Ollivier, 1844. p. 28 ff.
Wirkung der Maschinerie 133 geführt worden, daß in einigen der genannten Fabriken seit 1841 wieder die Hälfte der Spinner entlassen worden sind; in einer Fabrik allein, wo vor kurzem 80 Spinner waren, sind noch 20, die übrigen sind weggeschickt oder müssen Kinderarbeit für Kinder- 5 lohn tun. Gleiches berichtet Leach aus Stockport, wo 1835 — 800 Spinner und 1843 nur 140 Spinner beschäftigt gewesen seien, obwohl die Industrie Stockports in den letzten 8—9 Jahren be¬ deutend zugenommen hat. In der Kardiermaschinerie sind jetzt ähnliche Verbesserungen gemacht, wodurch die Hälfte der Arbei- 10 ter brotlos wird. In einer Fabrik sind verbesserte Doublierstühle auf¬ gesetzt, die von acht Mädchen vier brotlos machten — außerdem setzte der Fabrikant den Lohn der übrigen vier von 8 auf 7 Sh. herab. Ähnlich ist es mit der Weberei gegangen. Der mechanische Web¬ stuhl hat einen Zweig der Handweberei nach dem andern in Be- 15 schlag genommen, und da er viel mehr produziert als der Band¬ webstuhl, und ein Arbeiter zwei mechanische Stühle beaufsich¬ tigen kann, so sind eine Menge Arbeiter auch hier brotlos gewor¬ den. Und in allen Arten der Fabrikation, in der Flachs- und Wol¬ lenspinnerei, beim Tramieren der Seide ist es ebenso; selbst der 20 mechanische Webstuhl fängt an, einzelne Zweige der Wollen-und Leinenweberei an sich zu reißen; in Rochdale allein sind mehr mechanische als Handwebstühle bei der Flanell- und sonstigen Wollenweberei beschäftigt. — Die Bourgeoisie pflegt hierauf zu antworten, daß Verbesserungen in den Maschinen, indem sie die 25 Produktionskosten verringerten, die fertige Ware zu einem niedri¬ geren Preise liefern, und daß durch diesen niedrigeren Preis eine solche Vermehrung der Konsumtion entsteht, daß die brotlos ge¬ wordenen Arbeiter bald wieder an den neuerstehenden Fabriken Beschäftigung vollauf fänden. Gewiß, die Bourgeoisie hat ganz 30 recht darin, daß unter gewissen, für die allgemeine industrielle Entwicklung vorteilhaften Verhältnissen jede Preisemiedrigung einer solchen Ware, bei der das rohe Material wenig kostet, die Konsumtion sehr steigert und neue Fabriken hervorruft; aber sonst ist jedes Wort ihrer Behauptung eine Lüge. Sie schlägt es 35 für nichts an, daß es jahrelang dauert, bis diese Folgen der Preis¬ erniedrigung eingetreten, bis die neuen Fabriken gebaut sind; sie verschweigt uns, daß alle Verbesserungen der Maschinen die eigentliche, anstrengende Arbeit mehr und mehr auf die Maschine werfen und so die Arbeit erwachsener Männer in eine bloße Auf- 40 sicht verwandeln, die ein schwaches Weib oder gar ein Kind eben¬ so gut tun kann und auch für halben oder Drittel-Lohn tut; daß also die erwachsenen Männer immer mehr aus der Industrie ver¬ drängt und durch die vermehrte Fabrikation nicht wieder be¬ schäftigt werden; sie verschweigt uns, daß ganze Arbeitszweige 6 1887 1840
134 Die einzelnen Arbeitszweige dadurch wegfallen oder so verändert werden, daß sie neu gelernt werden müssen, und hütet sich wohl, hier das zu gestehen, worauf sie sonst pocht, wenn die Arbeit kleiner Kinder verboten werden soll — nämlich daß Fabrikarbeit in der frühesten Jugend und vor dem zehnten Jahre gelernt werden müsse, um sie ordentlich zu 1er- & nen (vgl. z. B. Factories Inq. Comm. Rept. an verschiedenen Stel¬ len) ; sie sagt nicht dabei, daß der Prozeß der Maschinenverbesse¬ rung fortwährend vor sich geht, und dem Arbeiter, sobald er sich, wenn es einmal wirklich der Fall wäre, in einem neuen Arbeits¬ zweige eingebürgert hat, ihm auch dieser wieder genommen und 10 dadurch der letzte Rest von Sicherheit der Lebensstellung entris¬ sen wird, den er noch hatte. Aber die Bourgeoisie zieht den Vor¬ teil von der Verbesserung der Maschinerie, sie hat während der ersten Jahre, wo noch viele alte Maschinen arbeiten und die Ver¬ besserung noch nicht allgemein durchgeführt ist, die schönste Ge-15 legenheit zum Geldanhäufen, und es wäre zu viel verlangt, wenn sie auch für die Nachteile der verbesserten Maschinen Augen haben sollte. Daß die verbesserten Maschinen den Lohn herabdrücken, ist ebenfalls von der Bourgeoisie heftig bestritten worden, während 20 die Arbeiter es fort und fort behauptet haben. Die Bourgeoisie be¬ steht darauf, daß, obwohl mit der erleichterten Produktion der Stücklohn gefallen, dennoch der Wochenlohn im ganzen eher gestiegen als gefallen sei und die Lage der Arbeiter sich eher verbessert als verschlimmert habe. Es ist schwer, der Sache auf 25 den Grund zu kommen, da die Arbeiter sich meist auf den Fall des Stücklohns berufen; indessen ist soviel gewiß, daß auch der Wochenlohn in verschiedenen Arbeitszweigen durch die Ma¬ schinerie niedriger gestellt worden ist. Die sogenannten Feinspin¬ ner (die feines Mule-Gam spinnen) beziehen allerdings hohen 30 Lohn, 30 bis 40 Sh. wöchentlich, weil sie eine starke Assoziation zur Aufrechterhaltung des Spinngeldes haben und ihre Arbeit mühsam erlernt werden muß; die Grobspinner aber, welche gegen die für feines Garn nicht anwendbaren selbsttätigen Maschinen (self-actors) zu konkurrieren haben, und deren Assoziation durch 35 die Einführung dieser Maschinen entkräftet wurde, haben dagegen sehr niedrigen Lohn. Mir sagte ein Mulespinner, daß er nicht über 14 Sh. wöchentlich verdiene, und damit stimmen die Aussagen von Leach, daß in verschiedenen Fabriken die Grobspinner unter 16% Sh. wöchentlich verdienen, und daß ein Spinner, der vor 40 drei Jahren 30 Sh. verdiente, jetzt kaum 12% Sh. aufbringen könne und im letzten Jahre auch durchschnittlich nicht mehr verdient habe. Der Lohn für Weiber und Kinder mag allerdings weniger gefallen sein, aber auch nur deshalb, weil er von Anfang an nicht hoch gestellt war. Ich kenne mehrere Frauen, die Witwen sind «
Wirkung der Maschinerie 135 und Kinder haben, und mühsam genug acht bis neun Shillinge wöchentlich verdienen, und daß sie mit Familie davon nicht ordentlich leben können, wird mir jeder zugeben, der die Preise der nötigsten Lebensbedürfnisse in England kennt. Daß aber der 5 Lohn überhaupt durch die verbesserte Maschinerie gedrückt wor¬ den sei, ist die einstimmige Aussage aller Arbeiter; daß die Behauptung der fabrizierenden Bourgeoisie, als habe sich die Lage der arbeitenden Klassen durch die Maschinenfabrikation verbessert, von dieser Klasse selbst aufs lauteste Lügen gestraft 10 wird, kann man in jeder Arbeiterversammlung in den Fabrik¬ distrikten hören. Und selbst wenn es wahr wäre, daß nur der relative Lohn, der Stücklohn gefallen, und der absolute, die Summe des wöchentlich zu Erwerbenden stehen geblieben sei, was folgt daraus? Daß die Arbeiter es haben ruhig mit ansehen 15 müssen, wie die Herren Fabrikanten ihre Beutel füllten und von jeder Verbesserung Nutzen zogen, ohne ihnen auch nur den klein¬ sten Teil davon abzugeben. Die Bourgeoisie vergißt, wenn sie gegen die Arbeiter kämpft, auch die gewöhnlichsten Prinzipien ihrer eignen Nationalökonomie. Sie, die sonst auf Malthus 20 schwört, wirft in ihrer Angst den Arbeitern ein: Woher hätten ohne Maschinerie die vielen Millionen, um die sich Englands Volks¬ zahl vermehrt hat, Arbeit finden wollen? Dummheit, als ob die Bourgeoisie nicht selbst gut genug wüßte, daß ohne die Maschinen und den durch diese hervorgebrachten Industrieaufschwung diese 25 „Millionen“ gar nicht erzeugt und herangewachsen wären! Was die Maschinerie den Arbeitern genützt hat, ist einfach das, daß sie ihnen die Notwendigkeit einer sozialen Reform, durch die die Maschinen nicht mehr gegen, sondern für die Arbeiter arbei¬ ten, beigebracht hat. Die weisen Herren Bourgeois mögen einmal 30 die Leute fragen, die in Manchester und anderswo Straßen kehren (das ist freilich jetzt vorbei, da auch hierfür Maschinen erfunden und eingeführt sind) oder Salz, Zündhölzchen, Apfelsinen und Schnürriemen auf den Straßen verkaufen oder betteln gehen müssen, was sie früher gewesen seien — und bei wie vielen wird 35 die Antwort sein: durch Maschinerie brotlos gewordener Fabrik¬ arbeiter. Die Folgen der Maschinenverbesserungen für den Ar¬ beiter sind in den jetzigen sozialen Verhältnissen nur ungünstig und oft im äußersten Grade drückend; jede neue Maschine bringt Brotlosigkeit, Elend und Not hervor — und in einem Lande wie 40 England, wo ohnehin fast immer „überzählige Bevölkerung“, ist die Entlassung aus der Arbeit in den meisten Fällen das Schlimmste, was den Arbeiter betreffen kann. Und auch abge- •> So fragt z. B. Herr Symons in Arts and Artisans. 26 1892 dies, daß
136 Die einzelnen Arbeitszweige sehen davon, welch einen erschlaffenden, entnervenden Einfluß muß diese Ungewißheit der Lebensstellung, die aus dem unauf¬ hörlichen Fortschritt der Maschinerie und mit ihr der Brotlosig¬ keit hervorgeht, auf die ohnehin schon schwankend gestellten Ar¬ beiter ausüben! Um der Verzweiflung zu entgehen, stehen auch s hier dem Arbeiter nur zwei Wege offen: die innere und äußere Empörung gegen die Bourgeoisie — oder der Trunk, die Lieder¬ lichkeit überhaupt. Und zu beiden pflegen die englischen Arbeiter ihre Zuflucht zu nehmen. Die Geschichte des englischen Proleta¬ riats erzählt von Hunderten von Erneuten gegen die Maschinen 10 und die Bourgeoisie überhaupt, und von der Liederlichkeit haben wir schon gesprochen. Diese ist selbst freilich nur eine andere Art der Verzweiflung. Am gedrücktesten leben diejenigen Arbeiter, die gegen eine sich Bahn brechende Maschine zu konkurrieren haben. Der Preis 15 des von ihnen fabrizierten Artikels richtet sich nach dem des gleichen Maschinenfabrikats, und da die Maschine billiger ar¬ beitet, so hat der mit ihr konkurrierende Arbeiter den schlech¬ testen Lohn. Dies Verhältnis tritt ein bei jedem Arbeiter, der an einer alten, mit späteren, verbesserten Maschinen konkurrierenden 20 Maschine arbeitet. Natürlich, wer anders sollte den Schaden tra¬ gen? Der Fabrikant will seine Maschine nicht fortwerfen, er will auch den Schaden nicht tragen; an die tote Maschine hat er keinen Rekurs, also hält er sich an den lebenden Arbeiter, den allge¬ meinen Sündenbock der Gesellschaft. Von diesen mit Maschinen 25 konkurrierenden Arbeitern sind die am meisten mißhandelten die Handweber der Baumwollen-Industrie. Diese Leute bekommen den geringsten Lohn, und sind bei voller Arbeit nicht imstande, sich über 10 Sh. wöchentlich zu verdienen. Eine Gattung Weberei nach der andern wird ihnen von dem mechanischen Webstuhl 30 streitig gemacht, und außerdem ist die Handweberei die letzte Zuflucht aller in andern Branchen brotlos gewordenen Arbeiter, so daß sie stets überfüllt ist. Daher kommt es, daß in Durch¬ schnittsperioden der Handweber sich glücklich schätzt, wenn er 6 bis 7 Sh. wöchentlich verdienen kann, und selbst um diese 35 Summe zu erringen, muß er 14—18 Stunden täglich hinter seinem Webstuhl sitzen. Die meisten Gewebe erfordern ohnehin ein feuchtes Arbeitslokal, damit der Einschlagsfaden nicht jeden Augenblick reißt, und teils daher, teils wegen der Armut der Ar¬ beiter, die keine bessere Wohnung bezahlen können, sind die 40 Werkstätten der Handweber meist ohne brettemen oder gepflaster¬ ten Fußboden. Ich war in vielen Wohnungen von Handwebem — in abgelegenen, schlechten Höfen und Gassen, gewöhnlich in Kel¬ lern. Oft wohnten ein halb Dutzend dieser Handweber, von denen einige verheiratet waren, in einer Cottage, die ein oder zwei Ar- 45
Verdrängung von Männern 137 beitszimmer und ein großes Schlafzimmer für alle hatte, zusam¬ men. Ihre Nahrung besteht fast einzig aus Kartoffeln, vielleicht etwas Haferbrei, selten Milch und fast nie Fleisch; eine große Anzahl von ihnen sind Irländer oder irischer Abkunft. Und diese .5 armen, von jeder Krisis am ersten erreichten und am letzten ver¬ lassenen Handweber müssen der Bourgeoisie zur Handhabe dienen, um gegen die Angriffe auf das Fabriksystem standhalten zu können! Seht, ruft die Bourgeoisie triumphierend aus, seht, wie diese armen Weber darben müssen, während es den Fabrik- 10 arbeitem gut geht, und dann urteilt über das Fabriksystem! Als ob nicht gerade das Fabriksystem und die dazu gehörige Ma¬ schinerie die Handweber so schmählich tief herabgedrückt hätte — als ob die Bourgeoisie dies selbst nicht ebensogut wüßte wie wir! Aber die Bourgeoisie ist interessiert, und da kommt es ihr auf 15 ein paar Lügen und Heucheleien nicht an. Fassen wir die eine Tatsache, daß die Maschinerie die Arbeit des erwachsenen männlichen Arbeiters mehr und mehr verdrängt, etwas näher ins Auge. Die Arbeit an den Maschinen, sowohl beim Spinnen als Weben, besteht hauptsächlich im Zusammenknüpfen 20 gebrochener Fäden, da sonst die Maschine alles tut; diese Arbeit erfordert keine Kraft, aber größere Gelenkigkeit der Finger. Männer sind dazu also nicht nur unnötig, sondern wegen der stärkeren Muskel- und Knochenentwicklung ihrer Hände sogar weniger geeignet als Weiber und Kinder und so natürlicherweise 25 fast ganz von dieser Art Arbeit verdrängt. Je mehr also die Tätig¬ keit der Arme, die Kraftanstrengung, durch Einführung von Ma¬ schinen auf die Wasser- oder Dampf kraft geworfen wird, desto weniger Männer brauchen beschäftigt zu werden — und da Wei¬ ber und Kinder ohnehin billiger und, wie gesagt, in diesen Ar- 30 beitszweigen besser als Männer arbeiten, so werden sie beschäf¬ tigt. In den Spinnereien findet man bei den Throstles nur Weiber und Mädchen, bei den Mules einen Spinner, einen erwachsenen Mann (der bei den self-actors wegfällt) und mehrere Piecer zum Anknüpfen der Fäden, meist Kinder oder Weiber, zuweilen junge 35 Männer von 18—20 Jahren, hie und da einen alten, brotlos ge¬ wordenen Spinner.*) **) Bei den mechanischen Webstühlen arbeiten *) Z. B. Dr. U r e in der „Philos. of Manuf.“ ••) „Der Stand der Dinge in Beziehung auf Arbeitslohn ist augenblick¬ lich sehr verdreht in einigen Zweigen der Baumwollfabrikation in Lanca- 40 shire; es gibt Hunderte von jungen Männern, zwischen 20 und 30 Jahren, die als Piecer und sonst beschäftigt sind und nicht mehr als 8 oder 9 Schillinge wöchentlich erhalten, während unter demselben Dach Kinder von 13 Jahren 5 Sh. und junge Mädchen zwischen 16 und 20 Jahren 10 bis 12 Sh. wöchentlich verdienen.“ Bericht des Fabrikinspektors L. Horner, 45 Oktober 1844.
138 Die einzelnen Arbeitszweige meist Weiber von 15—20 Jahren und drüber, auch einige Män¬ ner, die aber selten über ihr einundzwanzigstes Jahr bei dieser Beschäftigung bleiben. An den Vorspinnmaschinen findet man ebenfalls nur Weiber, allenfalls einige Männer zum Schärfen und Reinigen der Kardiermaschinen. Außer allen diesen be- 5 schäftigen die Fabriken eine Anzahl Kinder zum Abnehmen und Auf setzen der Spulen (doffers) und einige erwachsene Männer als Aufseher in den Zimmern, einen Mechaniker und einen Ma¬ schinisten für die Dampfmaschine, auch wohl Schreiner, Portier etc. Die eigentliche Arbeit aber wird von Weibern und Kindern io getan. Die Fabrikanten leugnen auch dies, und haben im vorigen Jahre bedeutende Tabellen veröffentlicht, welche beweisen soll¬ ten, daß die Maschinen die Männer nicht verdrängten. Aus die¬ sen Tabellen geht hervor, daß von allen Fabrikarbeitern etwas über die Hälfte (52%) weiblichen und etwa 48% männlichen 15 Geschlechts, und daß von diesen Arbeitern mehr als die Hälfte über 18 Jahre alt waren. Soweit ganz gut. Die Herren Fabri¬ kanten hüteten sich aber wohl, uns zu sagen, wie viele der Er¬ wachsenen männlichen und wie viele weiblichen Geschlechts waren. Das ist aber eben der Punkt. Ohnehin haben sie offenbar 20 Mechaniker, Schreiner und alle erwachsenen Männer, die irgend¬ wie mit ihren Fabriken im Zusammenhänge standen, vielleicht gar Schreiber etc. mitgezählt, und doch haben sie nicht den Mut, den ganzen Tatbestand auszusprechen. Diese Angaben wimmeln überhaupt von Falschheiten und verdrehten, schiefen Auffassun- 25 gen, Durchschnittsberechnungen, die für den Unkundigen viel, für den Kundigen nichts beweisen, von Verheimlichungen gerade der wichtigsten Punkte, und beweisen nur die selbstsüchtige Ver¬ blendung und Unredlichkeit dieser Fabrikanten. Wir wollen der Rede, mit der Lord Ashley am 15. März 1844 im Unterhause die 30 Zehnstunden-Motion machte, einige Angaben über das Verhältnis der Alter und Geschlechter entnehmen, die von den Fabrikanten, deren Data sich ohnehin nur auf einen Teil der englischen Fabrik¬ industrie beziehen, nicht widerlegt worden sind. Von den 419590 Fabrikarbeitern des britischen Reichs (1839) waren 192887,35 also beinahe die Hälfte, unter 18 Jahren, und 242296 weiblichen Geschlechts, von denen 112192 unter 18 Jahren waren. Sonach bleiben 80695 männliche Arbeiter unter 18 Jahren und 96599 männliche erwachsene Arbeiter oder 23 Prozent, also kein volles Viertel der ganzen Zahl. In den Baumwollfabriken 40 waren 56%, in den Wollenfabriken 69 ¥2, Seidenfabriken 70%, Flachsspinnereien 70% Prozent sämtlicher Arbeiter weiblichen Geschlechts. Diese Zahlen reichen hin, um die Verdrängung männlicher erwachsener Arbeiter nachzuweisen. Man braucht aber auch nur in die erste beste Fabrik zu gehen, um dies be- 45
Arbeit der Weiber, Auflösung der Familie 139 stätigt zu sehen. Daraus folgt nun notwendig jene Umkehrung der bestehenden sozialen Ordnung, die eben, weil sie eine gezwun¬ gene ist, für die Arbeiter die verderblichsten Folgen hat. Die Arbeit der Weiber löst vor allen Dingen die Familie gänzlich auf; 5 denn wenn die Frau den Tag über 12—13 Stunden in der Fabrik zubringt, und der Mann ebendaselbst oder an einem andern Orte arbeitet, was soll da aus den Kindern werden? Sie wachsen wild auf wie Unkraut, sie werden zum Verwahren ausgemietet für einen oder anderthalb Shilling die Woche, und welch eine Behandlung io ihnen da wird, läßt sich denken. Daher vermehren sich auch in den Fabrikdistrikten die Unglücksfälle, denen kleine Kinder wegen Mangel an Aufsicht zum Opfer fallen, auf eine schrecken¬ erregende Weise. Die Listen des Totenschaubeamten von Man¬ chester hatten (laut Bericht des Fact. Inq. Comm., Rept. of Dr. 15 Hawkins, p. 3) in 9 Monaten 69 durch Verbrennung, 56 durch Ertrinken, 23 durch Fallen, 67 durch andere Unglücksfälle Ge¬ tötete, also im ganzen 215 Unglücksfälle aufzuweisen während in dem nichtfabrizierenden Liverpool während zwölf Monaten nur 146 tödliche Unglücksfälle vorkamen. Die Unglücksfälle in 20 den Kohlengruben sind bei beiden Städten ausgeschlossen, und es ist zu bedenken, daß der Coroner von Manchester keine Auto¬ rität in Salford hat, so daß die Bevölkerung der beiden Distrikte ziemlich gleich ist. — Der „Manchester Guardian“ berichtet fast in jeder Nummer von einer oder mehreren Verbrennungen. Daß die 25 allgemeine Sterblichkeit kleiner Kinder ebenfalls durch die Ar¬ beit der Mütter gehoben wird, versteht sich von selbst und ist durch Tatsachen außer allen Zweifel gesetzt. Die Frauen kommen oft schon drei bis vier Tage nach der Niederkunft wieder in die Fabrik und lassen ihren Säugling natürlich zurück; in den Frei- 30 stunden müssen sie eilig nach Hause laufen, um das Kind zu stillen und nebenbei selbst etwas zu genießen — was das für eine Stillung sein muß, ist klar. Lord Ashley gibt die Aussagen einiger Arbeiterinnen: „M. H., zwanzig Jahre alt, hat zwei Kinder, das jüngste ein Säugling, das von dem andern, etwas älteren, ver- 35 wahrt wird — sie geht morgens bald nach fünf Uhr in die Fabrik, und kommt um acht Uhr abends zurück; den Tag über fließt die Milch aus ihrer Brust, daß ihr die Kleider triefen. — H. W. hat drei Kinder, geht um fünf Uhr Montags von Hause und kommt erst Sonnabend abends um sieben wieder — hat dann so viel für 40 ihre Kinder zu besorgen, daß sie vor drei Uhr morgens nicht zu *> 1843 waren unter den Unglücksfällen, die dem Krankenhause in Manchester zugeführt wurden, 189, sage hundertneunundachtzig Verbren¬ nungen. Wie viele tödlich, wird nicht gesagt. — 26 gehoben wird, 1892 gesteigert wird,
140 Die einzelnen Arbeitszweige Bett gehen kann. Oft förmlich bis auf die Haut vom Regen durch¬ näßt, und genötigt, in dieser Lage zu arbeiten. „Meine Brüste haben mir die schrecklichsten Schmerzen gemacht, und ich bin triefend naß von Milch gewesen.“ Die Anwendung von narko¬ tischen Arzneien, um die Kinder ruhig zu halten, wird durch dies $ infame System nur begünstigt und ist wirklich in den Fabrik¬ distrikten auf einen hohen Grad der Verbreitung gestiegen; Dr. Johns, Oberregistrator des Manchester-Distrikts, ist der Meinung, daß diese Sitte die Hauptursache der häufigen Todesfälle durch Krämpfe sei. Die Beschäftigung der Frau in der Fabrik löst die 10 Familie notwendig gänzlich auf, und diese Auflösung hat in dem heutigen Zustande der Gesellschaft, der auf der Familie beruht, die demoralisierendsten Folgen, sowohl für die Eheleute wie für die Kinder. Eine Mutter, die nicht die Zeit hat, sich um ihr Kind zu bekümmern, ihm während der ersten Jahre die gewöhnlichsten 15 Liebesdienste zu erweisen, eine Mutter, die ihr Kind kaum zu sehen bekommt, kann diesem Kinde keine Mutter sein, sie muß notwendig gleichgültig dagegen werden, es ohne Liebe, ohne Für¬ sorge behandeln wie ein ganz fremdes Kind; und Kinder, die in solchen Verhältnissen aufgewachsen, sind später für die Familie 20 gänzlich verdorben, können nie in der Familie, die sie selber stiften, sich heimisch fühlen, weil sie nur ein isoliertes Leben kennen gelernt haben, und müssen deshalb zur ohnehin schon all¬ gemeinen Untergrabung der Familie bei den Arbeitern beitragen. Eine ähnliche Auflösung der Familie wird durch die Arbeit der 25 Kinder herbeigeführt. Wenn diese so weit sind, daß sie mehr ver¬ dienen, als ihren Eltern die Beköstigung zu stehen kommt, so fan¬ gen sie an, den Eltern ein Gewisses für Kost und Logis zu geben, und den Rest für sich selbst zu verbrauchen. Dies geschieht oft schon mit dem vierzehnten und fünfzehnten Jahr (Power, Rept. 30 on Leeds, passim, Tufnell, Rept. on Manchester p. 17 etc. im Fa¬ brikbericht). Mit einem Wort, die Kinder emanzipieren sich und betrachten das elterliche Haus als ein Kosthaus, das sie auch oft genug, wenn es ihnen nicht gefällt, mit einem andern ver¬ tauschen. 35 In vielen Fällen wird die Familie durch das Arbeiten der Frau nicht ganz aufgelöst, sondern auf den Kopf gestellt. Die Frau er¬ nährt die Familie, der Mann sitzt zu Hause, verwahrt die Kinder, kehrt die Stuben und kocht. Dieser Fall kommt sehr, sehr häufig vor; in Manchester allein ließe sich manches Hundert solcher 40 Männer, die zu häuslichen Arbeiten verdammt sind, zusammen¬ bringen. Man kann sich denken, welche gerechte Entrüstung diese tatsächliche Kastration bei den Arbeitern hervorruft, und welche 43 1887 fehlt tatsächliche .. und welche
Umkehrung aller Familienverhältnisse 141 Umkehrung aller Verhältnisse der Familie, während doch die übrigen gesellschaftlichen Verhältnisse dieselben bleiben, dadurch entsteht. Mir liegt ein Brief eines englischen Arbeiters, Robert Pounder, Baron’s Buildings, Woodhouse Moor-Side, in Leeds 5 (die Bourgeoisie mag ihn da auf suchen, um ihretwillen geb’ ich die genaue Adresse), vor, den dieser an Gastier richtete, und dessen Naivität ich nur halb wiedergeben kann; die Orthographie läßt sich allenfalls, der Yorkshirer Dialekt aber gar nicht im Deutschen nachmachen. Er erzählt darin, wie ein andrer Arbeiter 10 seiner Bekanntschaft einmal auf einer Wanderung, um Arbeit zu suchen, in St. Helens in Lancashire einen alten Freund getroffen habe. „Nun, Herr, er fand ihn, und als er zu seiner Baracke kam, was war es, denkt Ihr, nun ein feuchter niedriger Keller, die Be¬ schreibung, die er von den Möbeln gab, war wie folgt — zwei 15 alte Stühle, ein runder 3Beiniger tisch eine Kiste Kein bett aber ein Hauff en Altes Stro in einem Eck mit ein paar schmuttzige bet Tücher oben drauf un 2 stücke Holtz an das Kamien Und als mein Arme freund herein ging da sas der Arme jack Am feuer auff das Holz und Was taht Er denckt Ir? Er sas und Stoppfte 20 seiner frau Ire strümfe mit der Stopf Natel und sobalt Er Sein alten Freund an den TürPosten Sähe, Versugte Er es zu Ver¬ bergen Aber Joe so Heist Mein bekanter Hatte es Dog geseeen und Sachte jack Zum Teuffel was Magst Du doch wo Ist deine frau waß ist Daß deine Arbeid der Arme jack Schämde sig Und 25 Sagde nein Ig weis daß Ist nig Mein arbbeid abber mein arme FFrau Is in der fabrikk sie mus Um ¥26 ur gen Und Arbeid biß 8 ur Abentz und Sieh ist so Ab Das Sie Nigtz Duhn Can Wen sie nag Hauße Komd so Mus ig alLes Führ Ir Duhn Waß ich Can Den ig hab Kein arBeid und Kein Gehapd Zeit Meer alz 3 Jar 30 Und Ig krich Mein Leeben Kein meer, und Dan Weinette Er ein Dike trehne nein Joe Sagte er Es ist arbeid Gnucht vor weibsLeute Und kindern Hir Inn der Gegent Aber Kein vor mannsLeut du Kanst eer Hunderd Fundt Auff der strase Finden Altz arbeid aber Ig Hette nig Geglaubed Das du Oderr Sonst jemandt mir 35 Geseeen Hette Das ig Meiner frau Ire strümffe Stopde, Den es ist Schlegte arbeid Aber Sieh Can beiNa nig Meer auff Ire füse Steeen ig Bin Bange Sie wirt Gans Kranck Und Dan weis Ig nig Was sol Auß unz Werden Den sieh Ist schoon Lange Der man Im hauß Geweßen. Und ig Die frau es Ist Schlime Arbeid joe Und 40 weinde Biterlig Und Sagte es Ist nigt Imer soo Gewessen Nein Jack Sagte Joe Und Wen du Hast Kein arbeid Gehabt al Die zeid Wie hast du dir Am leben Erhalden ig wil dir Sagen Joe So gud 19 7892 that 24 7892 Arbeit
142 Die einzelnen Arbeitszweige alz Es gink Aber Es gink schlegt Gnucht du Weist alz Ig Hei¬ ratete Da Rate ig arbeid Gnucht Und du Weist ig Wahr Nicht Faul nein Daß wärest du Nigt. und Wihr Haten ein Gutes Meblir- tes Hauß Und Mary Braugte nicht zu arbeidn ig Konte Vor untz beiden Arbeidn aber Jetzd ist Die verKehrte weid Mary Muß n arbeidn Und ig Mus Hirbleibben Die kinder ferwaren Und Keren und Wasschen Baken Und fliken Den wen Die arme frau Nag hauße Komd am abent Dan Ist Sieh müde Und Kapput du Weist joe Daß Ist Hard vor einem Der Anders Gewond wahr joe Sagte. Ja junge Et is Hard Und Dan fienk Jack Wider ahn Zu weinen 10 Und Er Wolde er Hete ni GeHeirad Und were Ni GeBoren aber Er hete nig Gedagd Altz er Die Mary Heiratten Das es Ihm So Ergeen werde, ig Hab offt Gnugt Drüber GeHeult Sagde Der jack nun herr Altz Joe Daß Hörete Sagde Er Mich Das Er Hätte Verflugd Und verDamd Die fabriken Und die Fabrikkandn und is Die Regirung Mit allen flügen Die Er von jugent Auff in Der fabrikk Gelemd Hate.“ Kann man sich einen verrückteren, unsinnigeren Zustand den¬ ken, als den in diesem Brief geschilderten? Und doch ist dieser Zustand, der den Mann entmannt und dem Weibe seine Weiblich- 20 keit nimmt, ohne imstande zu sein, dem Manne wirkliche Weib¬ lichkeit und dem Weibe wirkliche Männlichkeit zu geben, dieser, beide Geschlechter und in ihnen die Menschheit aufs schändlichste entwürdigende Zustand die letzte Folge unserer hochgelobten Zivi¬ lisation, das letzte Resultat aller der Anstrengungen, die Hun- 25 derte von Generationen zur Verbesserung ihrer eignen Lage und der ihrer Nachkommen gemacht haben! Wir müssen entweder an der Menschheit und ihrem Wollen und Laufen geradezu verzwei¬ feln, wenn wir alle unsre Mühe und Arbeit in den Resultaten selbst so zum Kinderspott gemacht sehen, oder wir müssen zu- 30 geben, daß die menschliche Gesellschaft ihr Glück bisher auf einem falschen Wege gesucht hat; wir müssen zugeben, daß eine so totale Umkehrung der Stellung der Geschlechter nur daher kommen kann, daß die Geschlechter von Anfang an falsch gegen¬ einander gestellt worden sind. Ist die Herrschaft der Frau über 35 den Mann, wie sie durch das Fabriksystem notwendig hervorgeru¬ fen wird, unmenschlich, so muß auch die ursprüngliche Herr¬ schaft des Mannes über die Frau immenschlich sein. Kann jetzt die Frau, wie früher der Mann, seine Herrschaft darauf basieren, daß sie das meiste, ja alles in die Gütergemeinschaft der Familie 40 legt, so folgt notwendig, daß diese Gütergemeinschaft keine wahre, vernünftige ist, weil ein Familienglied noch auf den größeren Betrag der Einlage pocht. Wird die Familie der jetzigen 1 1892 schlecht 30 Orig, gesehen
Umkehrung aller Fanlilienverhältnisse 143 Gesellschaft aufgelöst, so zeigt sich eben in dieser Auflösung, daß im Grunde nicht die Familienliebe, sondern das in der verkehrten Gütergemeinschaft notwendig konservierte Privatinteresse das haltende Band der Familie war.*} Dasselbe Verhältnis findet auch 5 wohl bei den Kindern statt, die ihre arbeitslosen Eltern unterhal¬ ten, wenn sie nicht, wie oben erwähnt, den Eltern Kostgeld geben. Dr. Hawkins bezeugt im Fabrikbericht, daß dies Verhältnis oft genug vorkommt, und es ist in Manchester überhaupt notorisch. Wie die Frau, so sind in diesem Fall die Kinder die Herren im 10 Haus, wovon Lord Ashley in seiner Rede (Unterhaussitzung vom 15. März 1844) ein Beispiel gibt. Ein Mann schalt seine beiden Töchter aus, weil sie in einem Wirtshaus gewesen waren, und diese erklärten, sie seien das Regiertwerden leid: Damn you, we have you to keep, und wollten dann auch etwas von ihrer Arbeit haben; io sie zogen aus dem elterlichen Hause und überließen Vater und Mutter ihrem Schicksal. Die unverheirateten Frauenzimmer, die in Fabriken aufwach¬ sen, sind nicht besser dran als die verheirateten. Es versteht sich ganz von selbst, daß ein Mädchen, das seit dem neunten Jahre in 20 der Fabrik gearbeitet hat, nicht imstande war, sich mit häuslichen Arbeiten bekannt zu machen, und daher kommt es, daß alle Fa¬ brikarbeiterinnen darin gänzlich unerfahren und durchaus nicht zu Hausfrauen geeignet sind. Sie können nicht nähen und strik- ken, kochen oder waschen, sie sind mit den gewöhnlichsten Ver- 25 richtungen einer Hausfrau unbekannt, und wie sie mit kleinen Kindern umzugehen haben, davon wissen sie vollends gar nichts. Der Bericht der Fact. Inq. Comm. gibt Dutzende von Beispielen für diese Tatsache, und Dr. Hawkins, der Kommissär für Lancashire, spricht seine Ansicht folgendermaßen aüs (p. 4 des Berichts): 30 „Die Mädchen heiraten früh und unüberlegt, sie haben weder die Mittel, noch die Zeit, noch die Gelegenheit, die gewöhnlichen Pflichten des häuslichen Lebens zu lernen, und wenn sie alles das hätten, so würden sie in der Ehe keine Zeit zur Ausübung dieser Pflichten haben. Die Mutter ist von ihrem Kinde über zwölf Stun- 35 den täglich abwesend; das Kind wird von einem Mädchen oder einer alten Frau, der es vermietet wird, verwahrt; dazu ist nur zu oft die Wohnung der Fabrikleute kein heimatlich Haus (home), oft ein Keller, der kein Koch- oder Waschgerät, nichts zum Nähen ♦> Wie zahlreich die in Fabriken arbeitenden verheirateten Frauen 40 sind, geht aus einer von den Fabrikanten selbst gemachten Angabe her¬ vor: in 412 Fabriken in Lancashire arbeiteten ihrer 10721; von ihren Männern hatten nur 5314 gleichfalls in Fabriken Arbeit, 3927 waren sonst beschäftigt, 821 arbeitslos und über 659 fehlten die Notizen. Also auf jede Fabrik durchschnittlich zwei, wo nicht gar drei Männer, die von ihrer 45 Frauen Arbeit leben.
144 Die einzelnen Arbeitszweige und Ausbessem enthält, dem alles fehlt, was das Leben angenehm und zivilisiert und den heimischen Herd anziehend machen könnte. Ich kann nach diesen und andern Gründen, besonders um der größeren Lebenschancen für kleine Kinder willen, nur wün¬ schen und hoffen, daß eine Zeit kommen möge, in der die verhei- 5 rateten Frauen von den Fabriken ausgeschlossen sind.“ — Ein¬ zelne Beispiele und Aussagen vgl. Fact. Inq. Comm. Report, Co- well, evid. p. 37, 38, 39, 72, 77, 50. Tufnell, evid. p.9, 15, 45, 54 etc. Das ist alles, aber noch das wenigste. Die moralischen Folgen 10 der Arbeit von Weibern in Fabriken sind noch viel schlimmer. Die Vereinigung beider Geschlechter und aller Alter in einem Ar¬ beitssaale, die unvermeidliche Annäherung zwischen ihnen, die Anhäufung von Leuten, denen weder intellektuelle, noch sittliche Bildung gegeben worden ist, auf einem engen Raume ist eben nicht 15 geeignet, von günstigen Folgen für die Entwicklung des weiblichen Charakters zu sein. Der Fabrikant kann, selbst wenn er darauf sieht, nur dann einschreiten, wenn wirklich einmal etwas Skan¬ dalöses passiert; die dauernde, weniger auffallende Einwirkung lockerer Charaktere auf die moralischeren und namentlich die 20 jüngeren kann er nicht erfahren, also auch nicht verhüten. Diese Einwirkung ist aber gerade die schädlichste. Die Sprache, die in den Fabriken geführt wird, ist den Fabrikkommissären von 1833 von vielen Seiten als „unanständig“, „schlecht“, „schmutzig“ usw. geschildert worden (Cowell, evid. p. 35, 37, und an vielen 25 andern Stellen). Die Sache ist dieselbe im kleinen, wie wir sie in den großen Städten im großen sahen. Die Zentralisation der Bevölkerung hat dieselben Wirkungen auf dieselben Leute, mag sie nun auf diese in einer großen Stadt oder in einer kleineren Fa¬ brik wirken. Ist die Fabrik kleiner, so ist die Annäherung größer 30 und der Umgang unvermeidlicher. Die Folgen davon bleiben nicht aus. Ein Zeuge in Leicester sagt: er würde seine Tochter lieber betteln, als in die Fabrik gehen lassen — das seien wahre Höllen¬ löcher, die meisten Freudenmädchen in der Stadt hätten es den Fabriken zu verdanken (Power, evid. p. 8), ein andrer in Man- 35 ehester „hat keinen Anstand, zu behaupten, daß drei Viertel der jungen Fabrikarbeiterinnen von 14 bis 20 Jahren unkeusch seien“ (Cowell, evid. p. 57). Kommissär Cowell spricht sich überhaupt dahin aus, daß die Sittlichkeit der Fabrikarbeiter etwas unter dem Durchschnitt der arbeitenden Klasse stehe (p. 82), und Dr. Haw- 40 kins sagt (Rept. p. 4): „Eine Abschätzung der sexualen Sittlich¬ keit läßt sich nicht gut in Zahlen reduzieren, aber wenn ich meinen eignen Beobachtungen und der allgemeinen Ansicht derer, mit 10 1892 Das alles ist aber 41 1892 sexuellen
Moralische Folgen / Arbeit der Kinder 145 denen ich sprach, sowie der ganzen Haltung der mir abgelegten Zeugnisse trauen darf, so bietet sich eine höchst niederschlagende Ansicht von dem Einfluß des Fabriklebens auf die Sittlichkeit der weiblichen Jugend dar.66 Es versteht sich übrigens, daß die Fabrik- 5 dienstbarkeit wie jede andre, und noch mehr, dem Brotherrn das Jus primae noctis erteilt. Der Fabrikant ist auch in dieser Be¬ ziehung Herr über den Leib und die Reize seiner Arbeiterinnen. Die Entlassung ist Strafe genug, um in neun Fällen aus zehnen, wo nicht in neunundneunzig aus hundert, alles Widerstreben bei 10 Mädchen, die ohnehin keine große Veranlassung zur Keuschheit haben, niederzuschlagen. Ist der Fabrikant gemein genug — und der Kommissionsbericht erzählt von mehreren Fällen — so ist seine Fabrik zugleich sein Harem; und daß nicht alle Fabrikanten Gebrauch von ihrem Rechte machen, verändert die Sachlage in 15 Beziehung auf die Mädchen durchaus nicht. Im Anfänge der Fa¬ brikindustrie, wo die meisten Fabrikanten Emporkömmlinge ohne Bildung und ohne Rücksicht auf die gesellschaftliche Heuchelei waren, ließen sie sich auch durch nichts in der Ausübung ihres „wohlerworbenen66 Rechtes stören. 20 Um die Folgen der Fabrikarbeit auf den physischen Zustand des weiblichen Geschlechts richtig zu beurteilen, wird es nötig sein, vorher die Arbeit der Kinder und die Art der Arbeit selbst in Be¬ tracht zu ziehen. Von Anfang der neuen Industrie an wurden Kin¬ der in den Fabriken beschäftigt; anfangs wegen der Kleinheit 25 der — später vergrößerten — Maschinen fast ausschließlich, und zwar nahm man die Kinder aus den Armenhäusern, die scharen¬ weise als „Lehrlinge66 bei den Fabrikanten auf längere Jahre ver¬ mietet wurden. Sie wurden gemeinschaftlich logiert und beklei¬ det und waren natürlich die vollständigen Sklaven ihrer Brother- 30 ren, von denen sie mit der größten Rücksichtslosigkeit und Bar¬ barei behandelt wurden. Schon 1796 sprach sich der öffentliche Unwille über dies empörende System durch Dr. Percival und Sir R. Peel (Vater des jetzigen Ministers und selbst Baumwollfabri¬ kant) so energisch aus, daß das Parlament 1802 eine Appren- 35 tice-bill (Lehrlingsgesetz) passierte, wodurch die schreiendsten Mißbräuche abgestellt wurden. Allmählich trat die Konkurrenz freier Arbeiter ein und verdrängte das ganze Lehrlingssystem. Die Fabriken wurden allmählich mehr in den Städten errichtet, die Maschinen vergrößert und die Lokale luftiger und gesunder an- 40 gelegt; allmählich fand sich auch mehr Arbeit für Erwachsene und junge Leute, und so nahm die relative Zahl der arbeitenden Kinder etwas ab, und das Alter, in dem die Arbeit angefangen wurde, stieg etwas. Man beschäftigte wenig Kinder unter 8—9 Jah- 14 ihrem Rechte 1887 their power Marx-Engels-Gesamtausgabe, 1. Abt., Bd. 4 10
146 Die einzelnen Arbeitszweige ren mehr. Später trat, wie wir sehen werden, die gesetzgebende Gewalt noch mehrere Male zum Schutz der Kinder gegen die Geld¬ wut der Bourgeoisie auf. — Die große Sterblichkeit unter den Kindern der Arbeiter und speziell der Fabrikarbeiter ist Beweis genug von der Ungesund- 5 heit der Lage, in der sie ihre ersten Jahre verbringen. Diese Ur¬ sachen wirken auch auf diejenigen Kinder, welche am Leben blei¬ ben, nur natürlich nicht ganz so stark, wie auf die, welche ihnen zum Opfer fallen. Die Wirkung derselben ist also im gelindesten Fall eine Krankheitsanlage oder eine gehemmte Entwicklung, und 10 daher eine geringere Körperstärke als die normale. Das neun¬ jährige Kind eines Fabrikarbeiters, das unter Mangel, Entbehrung und wechselnden Verhältnissen, in Nässe, Kälte und ungenügen¬ der Kleidung und Wohnung aufgewachsen ist, hat bei weitem nicht die Arbeitsfähigkeit des in gesunderer Lebenslage erzogenen 15 Kindes. Mit dem neunten Jahre wird es in die Fabrik geschickt, arbeitet täglich 6V2 Stunden (früher 8, noch früher 12—14, ja 16 Stunden) bis zum dreizehnten Jahre, von da an bis zum acht¬ zehnten Jahre 12 Stunden. Die schwächenden Ursachen dauern fort, und die Arbeit tritt noch hinzu. Es ist allerdings nicht zu leug- 20 nen, daß ein neunjähriges Kind, allenfalls auch das eines Arbei¬ ters, eine tägliche Arbeit von 6V2 Stunden aushalten könne, ohne daß sichtlicher und offenbar hierauf zu reduzierender Scha¬ den an seiner Entwicklung geschehe; aber keinenfalls trägt der Aufenthalt in der dumpfigen, feuchten, oft feuchtheißen Fabrik- 25 atmosphäre zu seiner Gesundheit bei. Unverantwortlich aber bleibt es unter allen Umständen, die Zeit von Kindern, die rein der körperlichen und geistigen Entwicklung gewidmet sein sollte, der Habgier einer gefühllosen Bourgeoisie zu opfern, die Kinder der Schule und der freien Luft zu entziehen, um sie zum Vorteil 30 der Herren Fabrikanten auszubeuten. Allerdings sagt die Bour¬ geoisie: wenn wir die Kinder nicht in den Fabriken beschäftigen, so bleiben sie in Verhältnissen, die ihrer Entwicklung nicht gün¬ stig sind — und das ist im ganzen richtig — aber was heißt das, auf seinen wahren Wert reduziert, als: erst setzt die Bourgeoisie 35 die Arbeiterkinder in schlechte Verhältnisse und beutet dann diese schlechten Verhältnisse noch zu ihrem Vorteil aus — sie beruft sich auf etwas, was ebensowohl ihre Schuld ist wie das Fabrik¬ system, sie entschuldigt die Sünde, die sie heute tut durch die, welche sie gestern getan hat. Und wenn das Fabrikgesetz nicht 40 wenigstens einigermaßen ihnen die Hände fesselte, wie würden diese „wohlwollenden“, „humanen“ Bourgeois, die ihre Fabriken eigentlich nur zum Wohl der Arbeiter errichtet haben, die Inter¬ essen dieser Arbeiter wahmehmen! Hören wir, wie sie es getrie¬ ben haben, ehe ihnen der Fabrikinspektor auf den Fersen saß; ihr 45
Lange Arbeitszeit / Nachtarbeit 147 eignes anerkanntes Zeugnis, der Bericht der Fabrikkommission von 1833 soll sie schlagen. Der Bericht der Zentralkommission erzählt, daß die Fabrikan¬ ten Kinder selten mit fünf, häufig mit sechs, sehr oft mit sieben, 6 meist mit acht bis neun Jahren zu beschäftigen anfingen, daß die Arbeitszeit oft 14—16 Stunden (außer Freistunden zu Mahlzei¬ ten) täglich daure, daß die Fabrikanten es zuließen, daß die Auf¬ seher die Kinder schlugen und mißhandelten, ja oft selbst tätige Hand anlegten; ein Fall wird sogar erzählt, wo ein schottischer io Fabrikant einem entlaufenen sechzehnjährigen Arbeiter nachritt, ihn zwang, so rasch wie das Pferd trabte, vor ihm her zurück¬ zulaufen, und fortwährend mit einer langen Peitsche auf ihn los¬ hieb! (Stuart, evid. p. 35.) In den großen Städten, wo die Ar¬ beiter sich mehr widersetzten, fiel dergleichen allerdings weniger 15 nqx. — Aber selbst diese lange Arbeitszeit genügte der Habsucht der Kapitalisten nicht. Es galt, das in Gebäuden und Maschinen steckende Kapital mit allen möglichen Mitteln rentbar zu machen, es so stark wie möglich arbeiten zu lassen. Die Fabrikanten führ¬ ten daher das schändliche System des Nachtarbeitens ein; bei 20 einigen waren zwei stehende Klassen von Arbeitern, jede so stark, um die ganze Fabrik besetzen zu können, und die eine Klasse arbeitete die zwölf Tages-, die andre die zwölf Nachtstunden. Man kann sich leicht denken, welche Folgen eine solche dauernde Be¬ raubung der Nachtruhe, die durch keinen Tagesschlaf zu ersetzen 25 ist, auf die körperliche Lage, namentlich kleiner und größerer Kinder und selbst Erwachsener, haben mußte. Aufreizung des ganzen Nervensystems, verbunden mit allgemeiner Schwächung und Erschlaffung des ganzen Körpers, waren die notwendigen Re¬ sultate. Dazu die Beförderung und Aufreizung der Trunksucht, 30 des regellosen Geschlechtsverkehrs; ein Fabrikant bezeugt (Tuf¬ nell, evid. p. 91), daß während zwei Jahren, wo in seiner Fabrik nachts gearbeitet wurde, die doppelte Zahl unehelicher Kinder ge¬ boren und überhaupt eine solche Demoralisation produziert wurde, daß er das Nachtarbeiten habe auf geben müssen. — Andre Fabri- 35 kanten verfuhren noch barbarischer, ließen viele Arbeiter 30— 40 Stunden durcharbeiten, und das wöchentlich mehrere Male, indem ihre Ersatzmannschaft nicht vollzählig war, son¬ dern nur den Zweck hatte, immer einen Teil der Arbeiter zu er¬ setzen und ihm ein paar Stunden Schlaf zu erlauben. Die Berichte 40 der Kommission über diese Barbarei und ihre Folgen übertreffen alles, was mir sonst in diesem Fach bekannt ist. Solche Scheu߬ lichkeiten, wie hier erzählt werden, finden sich nirgends wieder — und wir werden sehen, daß die Bourgeoisie das Zeugnis der Kom¬ mission fortwährend als zu ihren Gunsten in Anspruch 45 nimmt. Die Folgen hiervon traten bald genug hervor: die Kom- 10*
148 Die einzelnen Arbeitszweige missäre erzählen von einer Menge Krüppel, die ihnen vorgekom¬ men seien, und die entschieden der langen Arbeitszeit ihre Ver¬ krüppelung zu verdanken hätten. Diese Verkrüppelung besteht gewöhnlich aus Verkrümmung des Rückgrats und der Beine, und wird von Francis Sharp, M. R. C. S. (Mitglied des königl. Kolle- s giums der Wundärzte) in Leeds folgendermaßen beschrieben: Ich sah die eigentümliche Verdrehung der untern Enden des Schen¬ kelknochens nie, bevor ich nach Leeds kam. Anfangs glaubte ich, es sei Rachitis, aber die Menge der sich im Spital präsentierenden Patienten und das Vorkommen der Krankheit in einem Alter 10 (8—14 Jahre), in welchem Kinder gewöhnlich nicht mehr der Rachitis unterworfen sind, sowie der Umstand, daß das Übel erst angefangen hatte, seitdem die Kinder in der Fabrik arbeiteten, bewogen mich bald, meine Meinung zu ändern. Ich habe bis jetzt ungefähr hundert solcher Fälle gesehen und kann aufs entschie- k denste aussprechen, daß sie die Folge von Überarbeitung sind; so¬ viel ich weiß, waren es alles Fabrikkinder, und sie selbst schrei¬ ben das Übel jener Ursache zu. — Die Anzahl der mir vorgekom¬ menen Fälle von verkrümmtem Rückgrat, offenbar der Folge von zu langem Aufrechtstehen, wird nicht geringer als dreihundert 20 sein (Dr. Loudon, evid. p. 12, 13). — Ebenso Dr. Hay in Leeds, 18 Jahre lang Arzt am Krankenhause: „Verbildungen des Rück¬ grats sehr häufig unter den Fabrikleuten. Einige die Folgen blo¬ ßer Überarbeitung, andere die Wirkung von langer Arbeit auf eine ursprünglich schwache oder durch schlechte Nahrung geschwächte 25 Konstitution. Verkrüppelungen schienen häufiger zu sein als diese Krankheiten; die Knie waren nach innen gebeugt, die Bänder der Knöchel sehr häufig aufgelockert und erschlafft, und die langen Knochen der Beine gebogen. Besonders waren die dicken Enden dieser langen Knochen verdreht und übermäßig ent- 30 wickelt, und diese Patienten kamen von den Fabriken, in welchen häufig sehr lange gearbeitet wurde“ (Dr. Loudon, evid. p. 16). Dasselbe sagen die Wundärzte Beaumont und Sharp von Bradford aus. Die Berichte der Kommissäre Drinkwater, Power und Dr. Loudon enthalten eine Menge, die von Tufnell und Dr. Sir David 35 Barry, die sich weniger auf diesen Punkt richten, einzelne Bei¬ spiele solcher Verkrümmungen (Drinkwater, evid. p. 69 zwei Brü¬ der, p. 72, 80, 146, 148, 150 zwei Brüder, 155 und viele andere; Power, evid. p. 63, 66, 67 zweimal, 68 dreimal, 69 zweimal; in Leeds p. 29, 31, 40, 43, 53ff.; Dr. Loudon, evid. p. 4, 7 viermal, 40 8 mehrere Male etc.; Sir D. Barry, p. 6, 8, 13, 21, 22, 44, 55 dreimal etc.; Tufnell, p. 5, 16 etc.). Die Kommissäre für Lanca¬ shire, Cowell, Tufnell und Dr. Hawkins, haben diese Seite der medizinischen Resultate des Fabriksystems fast ganz vernachläs¬ sigt, obwohl dieser Distrikt vollkommen mit Yorkshire in der An- 43
Verkrüppelung 149 zahl von Krüppeln wetteifern kann. Ich bin selten durch Man¬ chester gegangen, ohne drei bis vier Krüppeln zu begegnen, die gerade an denselben Verkrümmungen des Rückgrats und der Beine litten, wie die beschriebenen, und ich habe oft genug gerade 5 hierauf geachtet und achten können. Ich kenne selbst einen Krüp¬ pel, der genau der obigen Beschreibung von Dr. Kay entspricht, und der sich seinen Zustand in der Fabrik des Herrn Douglas in Pendleton, die überhaupt bei den Arbeitern wegen der früheren langen, Nächte hindurch fortgesetzten Arbeitszeit noch im schönsten 10 Rufe steht, geholt hat. Man sieht es auch dieser Art von Krüppeln gleich an, woher ihreVerbildung kommt, sie sehen alle ganz gleich aus, die Knie sind einwärts und rückwärts, die Füße einwärts ge¬ bogen, die Gelenke mißgestaltet und dick, und oft das Rückgrat vorwärts oder seitwärts gekrümmt. Am ärgsten aber scheinen es 15 die menschenfreundlichen Fabrikanten im Seidendistrikt von Macclesfield getrieben zu haben, was mit daher kommt, daß in die¬ sen Fabriken sehr junge Kinder, von fünf und sechs Jahren, arbei¬ teten. In den nachträglichen Zeugnissen des Kommissärs Tufnell finden wir die Aussagen eines Fabrikdirigenten Wright (p. 26), 20 dessen beide Schwestern aufs schändlichste verkrüppelt wurden, und der einmal die Anzahl von Krüppeln in mehreren Straßen, einige darunter die reinlichsten und nettesten von Macclesfield, gezählt hatte; er fand in Townleystreet zehn, Georgestreet fünf, Charlottestreet vier, Watercots fünfzehn, Bank Top drei, Lord- 25 Street sieben, Mill-Lane zwölf, Great George-Street zwei, im Armenhause zwei, Park-Green einen, Pickfordstreet zwei Krüppel, deren Familien alle einstimmig erklärten, daß diese durch über¬ mäßige Arbeit in den Seidentramierfabriken verwachsen seien. P. 27 wird ein Knabe vorgeführt, der so verwachsen war, daß er 30 keine Treppe hinaufkommen konnte, und Beispiele von Mädchen erwähnt, die in Rücken und Hüften verkrüppelt seien. Andere Verbildungen sind ebenfalls aus dieser Überarbeitung hervorgegangen, besonders Plattfüßigkeit, die dem Sir D. Barry häufig vorkam (z. B. p. 21 zweimal ff.) und ebenfalls von den 35 Ärzten und Wundärzten in Leeds (Loudon, p. 13, 16 etc.) als häufig vorkommend angegeben wird. In den Fällen, wo eine stär¬ kere Konstitution, eine bessere Nahrung und sonstige Umstände den jungen Arbeiter befähigen, diesen Einwirkungen einer barbari¬ schen Ausbeutung zu widerstehen, finden wir wenigstens Schmer- 40 zen in Rücken, Hüften und Beinen, geschwollene Knöchel, vari¬ köse Adem oder große, hartnäckige Geschwüre an den Schenkeln und Waden. Diese Übel sind fast allgemein bei den Arbeitern ge¬ funden worden; die Berichte Stuart’s, Mackintosh’s, Sir D. Bar- ry’s enthalten Hunderte von Beispielen, ja sie wissen fast von kei- 45 nem, der nicht an irgend einem dieser Übel litte; und in den übri¬
150 Die einzelnen Arbeitszweige gen Berichten wird das Vorkommen derselben Folgen wenigstens von vielen Ärzten bezeugt. Die Berichte über Schottland stellen es außer Zweifel durch zahllose Beispiele, daß dreizehnstündige Arbeit noch bei 18—22jährigen männlichen und weiblichen Ar¬ beitern wenigstens diese Folgen hervorbringt, und zwar sowohl 6 in den Flachsspinnereien von Dundee und Dunfermline, wie in den Baumwollfabriken von Glasgow und Lanark. Alle diese Übel erklären sich leicht aus der Natur der Fabrik¬ arbeit, die allerdings, wie die Fabrikanten sagen, sehr „leicht“ ist, aber eben wegen ihrer Leichtigkeit erschlaffender als irgend eine io andere. Die Arbeiter haben wenig zu tun, müssen aber die ganze Zeit stehen, ohne sich setzen zu können. Wer sich etwa auf eine Fensterbank oder einen Korb setzt, wird gestraft; und diese dauernde aufrechte Stellung, dieser fortwährende mechanische Druck des Oberkörpers auf Rückgrat, Hüften und Beine bringt is ganz notwendig die erwähnten Folgen hervor. Dies Stehen ist aller¬ dings nicht notwendig zur Arbeit, wie denn auch in Nottingham in den Doublierzimmem wenigstens Sitze eingeführt sind (die Folge davon war die Abwesenheit jener Übel und folglich die Willigkeit der Arbeiterinnen, lange Arbeitszeit mitzumachen), 20 aber in einer Fabrik, wo der Arbeiter nur für den Bourgeois ar¬ beitet und wenig Interesse daran hat, seine Arbeit gut zu tun, würde er allerdings wahrscheinlich mehr Gebrauch davon machen, als dem Fabrikanten angenehm und vorteilhaft wäre — und da¬ mit dem Bourgeois etwas weniger rohes Material verdorben wird, 25 müssen die Arbeiter die Gesundheit ihrer Glieder opfern.** Diese lang anhaltende aufrechte Stellung bringt aber außerdem noch in Verbindung mit der meist schlechten Atmosphäre der Fabriken eine bedeutende Erschlaffung aller Körperkräfte und in deren Ge¬ folge allerlei andere weniger lokale als generelle Übel hervor. 30 Die Atmosphäre der Fabriken ist gewöhnlich zu gleicher Zeit feucht und warm, meist wärmer als nötig ist, und bei nicht sehr guter Ventilation sehr unrein, dumpfig und von geringem Sauer¬ stoffgehalt, angefüllt mit Staub und dem Dunst des Maschinenöls, das fast überall den Boden beschmutzt, in ihn hereinzieht und 35 ranzig wird; die Arbeiter selbst sind schon wegen der Wärme nicht zu dicht bekleidet und würden sich daher bei Ungleich¬ mäßigkeit der Temperatur im Zimmer notwendig erkälten; der Luftzug ist ihnen in der Wärme unangenehm, die allmähliche Er¬ schlaffung, die über alle körperlichen Funktionen schleicht, ver- 40 ringert die animalische Wärme, die von außen her aufrecht er¬ halten werden muß, und so ist dem Arbeiter selbst nichts lieber, Auch im Spinnsaal einer Fabrik in Leeds waren Sitze eingeführt, Drinkwater evid. p. 85.
Allgemeine Schwächung der Konstitution 151 als wenn er bei gänzlich geschlossenen Fenstern in seiner warmen Fabrikluft bleiben kann. Hierzu tritt dann noch die Wirkung des häufigen plötzlichen Temperaturwechsels beim Herausgehen aus der heißen Fabrikatmosphäre in die frostkalte oder naßkalte freie 5 Luft, die Unfähigkeit der Arbeiter, sich genügend gegen Regen zu schützen oder die nassen Kleider mit trocknen zu vertauschen, alles Umstände, die fortwährend Erkältungen produzieren. — Und wenn man bedenkt, daß bei alledem fast kein einziger Mus¬ kel des Körpers wirklich angestrengt, wirklich in Tätigkeit gesetzt 10 wird, außer etwa denen der Beine, daß der erschlaffenden, ab¬ spannenden Wirkung der genannten Umstände gar nichts entgegen¬ tritt, sondern daß alle Übung fehlt, die den Muskeln Kraft, den Fibern Elastizität und Konsistenz geben könnte, daß von Jugend auf den Arbeitern alle Zeit zur Bewegung in freier Luft abgeht, 15 so wird man sich nicht mehr über die fast einstimmige Aussage der Mediziner im Fabrikbericht wundern, daß sie bei Fabrik¬ arbeitern ganz besonders eine große Widerstandslosigkeit gegen Krankheitsanfälle, eine allgemeine Depression aller Lebenstätig¬ keiten, eine fortwährende Abspannung aller geistigen und körper- 20 liehen Kräfte gefunden hätten. Hören wir zuerst Sir D. Barry: „Die ungünstigen Einflüsse der Fabrikarbeit auf die Arbeiter sind folgende: 1) die unumgängliche Notwendigkeit, ihre körperlichen und geistigen Anstrengungen zu einem gleichen Schritt mit den Bewegungen einer durch gleichmäßige und unaufhörliche Kraft 25 bewegten Maschinerie zu zwingen; 2) die Ausdauer in einer auf¬ rechten Stellung während unnatürlich langer und zu schnell auf¬ einander folgender Zeiträume; 3) die Beraubung des Schlafs (durch lange Arbeitszeit, Schmerzen in den Beinen und allge¬ meineres körperliches Unwohlsein). Hierzu kommen oft noch 30 niedrige, gedrängte, staubige oder feuchte Arbeitszimmer, unreine Luft, erhitzte Atmosphäre, fortwährender Schweiß. Daher ver¬ lieren besonders Knaben, mit sehr wenigen Ausnahmen, sehr bald die rosige Frische der Kindheit und werden blässer und dünner als andere Knaben. Selbst der Schuljunge des Handwebers, der 35 mit nackten Füßen auf dem Lehmfußboden seiner Webstube steht, behält ein besseres Aussehen, weil er zuweilen etwas an die freie Luft geht. Aber das Fabrikkind hat keinen Augenblick frei, außer zum Essen, und kommt nie in die freie Luft, außer wenn es essen geht. Alle erwachsenen männlichen Spinner sind blaß und dünn, 40 sie leiden an kapriziösem Appetit und Unverdaulichkeit, und da sie alle von Jugend auf in der Fabrik erzogen und wenig oder gar keine hochgewachsenen, athletischen Männer unter ihnen sind, so ist der Schluß gerechtfertigt, daß ihre Beschäftigung sehr ungün¬ stig für die Entwicklung der männlichen Konstitution ist. Weiber 45 ertragen die Arbeit weit besser“ (ganz natürlich, wir werden aber
152 Die einzelnen Arbeitszweige sehen, daß auch sie ihre Krankheiten haben). (General Report by Sir D. Barry.) Ebenso Power: „Ich kann geradezu sagen, daß das Fabriksystem in Bradford eine sehr große Menge Krüppel erzeugt hat und daß die Wirkung langanhaltender Arbeit auf den Körper nicht allein als wirkliche Verkrüppelung, sondern 5 auch viel allgemeiner noch als unentwickeltes Wachstum, Er¬ schlaffung der Muskeln und zarte Körperbildung hervortritt“ (Po* wer, Rept. p. 74). Ferner der schon zitierte Wundarzt F. Sharp in Leeds: „Als ich von Scarborough nach Leeds hinüberzog, fiel es mir gleich auf, daß das allgemeine Aussehen der Kinder hier 19 viel bleicher und die Fiber derselben weit weniger straff war als in Scarborough und der Umgegend. Ich fand ebenfalls, daß viele Kinder für ihr Alter ausnehmend klein waren. Mir sind zahllose Fälle von Skrofeln, Lungenkrankheiten, mesenterischen Affektionen und Unverdaulichkeit vorgekommen, bei denen ich 15 als Mediziner nicht den geringsten Zweifel habe, daß sie durch Arbeiten in den Fabriken entstanden sind. Ich bin der Ansicht, daß die nervöse Energie des Körpers durch die lange Arbeit ge¬ schwächt und der Grund vieler Krankheiten gelegt wird; wenn nicht fortwährend Leute vom Lande hereinzögen, so würde die 29 Rasse der Fabrikarbeiter bald ganz ausarten.“ Desgleichen Beau¬ mont, Wundarzt in Bradford: „Meiner Ansicht nach bringt das System, nach dem hier in den Fabriken gearbeitet wird, eine eigentümliche Schlaffheit des ganzen Organismus hervor und macht dadurch Kinder im höchsten Grade für Epidemien sowohl 25 wie für zufällige Krankheiten empfänglich. Ich halte die Abwesenheit aller geeigneten Vorschriften wegen Ventilation und Reinlichkeit in Fabriken ganz entschieden für eine Hauptursache jener eigentümlichen Tendenz oder Empfänglichkeit für krank¬ hafte Affektionen, die ich in meiner Praxis so oft gefunden habe.“ 39 — Ebenso Dr. Kay bezeugt: 1) „daß ich Gelegenheit gehabt habe, die Wirkungen des Fabriksystems auf die Gesundheit von Kindern unter den vorteilhaftesten Umständen (in der Fabrik von Wood in Bradford, der besteingerichteten des Orts, wo er Fabrikarzt war) zu beobachten; 2) daß diese Wirkung ganz entschieden und 35 in sehr ausgedehntem Maße selbst unter diesen günstigen Ver¬ hältnissen schädlich ist; 3) daß im Jahre 1842 ’/« sämtlicher in Wood’s Fabrik beschäftigten Kinder von mir medizinisch behan¬ delt wurden; 4) daß die schädlichste Wirkung nicht das Vor¬ herrschen verkrüppelter, sondern geschwächter und krankhafter 49 *) Die sogenannten Wundärzte (surgeons) sind studierte Mediziner, gerade so gut wie die promovierten Ärzte (physicians) und haben deshalb auch allgemein sowohl ärztliche wie wundärztliche Praxis. Sie werden im allgemeinen aus verschiedenen Gründen sogar den physicians vorgezogen.
Spezielle Übel / Zeugnisse / Frühes Alter 153 Konstitutionen ist; 5) daß sich das alles sehr gebessert hat, seit die Arbeitszeit der Kinder von Wood auf zehn Stunden herab¬ gesetzt wurde.“ — Der Kommissär Dr. Loudon selbst, der diese Zeugnisse anführt, sagt: „Ich denke, es ist klar genug bewiesen .5 worden, daß Kinder unvernünftig und unbarmherzig lange haben arbeiten und selbst Erwachsene ein Quantum Arbeit übernehmen müssen, das kaum irgend ein menschliches Wesen aushalten kann. Die Folge davon ist, daß viele vor der Zeit gestorben, andere lebenslänglich mit einer fehlerhaften Konstitution behaftet wor- io den sind, und die Befürchtung einer durch die erschütterten Kon¬ stitutionen der Überlebenden geschwächten Nachkommenschaft ist, physiologisch gesprochen, nur zu gegründet.“ Und endlich Dr. Hawkins über Manchester: „Ich glaube, den meisten Reisen¬ den fällt die Kleinheit und Zartheit der Natur und die Blässe auf, 15 die man so allgemein in Manchester und vor allen bei den Fabrik¬ arbeitern findet. Ich bin nie in irgend einer Stadt Großbritanniens oder Europas gewesen, worin die Ausartung der Gestalt und Farbe vom nationalen Normalmaßstabe so augenscheinlich war. Den verheirateten Weibern fehlen ganz auffallend alle charak- 20 teristischen Eigentümlichkeiten der englischen Frau etc. Ich muß gestehen, daß die mir vorgeführten Knaben und Mäd¬ chen aus den Fabriken von Manchester allgemein ein gedrücktes Aussehen und eine bleiche Farbe hatten; in dem Ausdruck ihrer Gesichter lag nichts von der gewöhnlichen Beweglichkeit, Leb- 25 haftigkeit und Heiterkeit der Jugend. Viele erklärten mir, daß sie gar keinen Zug verspürten, Sonnabend abends und Sonntags im Freien sich herumzutummeln, sondern daß sie vorzögen, ruhig zu Hause zu bleiben.“ — Fügen wir hier gleich eine andre Stelle aus Hawkins Bericht ein, die zwar nur halb hieher gehört, aber 30 eben deshalb ebensogut hier als anderswo stehen kann: „Unmäßig¬ keit, Ausschweifungen und Mangel an Vorsorge für die Zukunft sind die Hauptuntugenden der Fabrikbevölkerung, und diese Übelstände lassen sich leicht auf Sitten zurückführen, die unter dem heutigen System gebildet werden und beinahe unver¬ meidlich daraus entspringen. Es ist allgemein zuge¬ geben, daß Unverdaulichkeit, Hypochondrie und generelle Schwäche diese Klasse in sehr großer Ausdehnung affizieren; nach zwölf Stunden monotoner Arbeit ist es nur zu natürlich, sich nach einem Reizmittel dieser oder jener Art umzusehen, aber wenn 4o vollends die obigen Krankheitszustände hinzukommen, so wird man rasch und immer von neuem Zuflucht zu geistigen Getränken nehmen.“ Für alle diese Aussagen der Ärzte und Kommissäre bietet der Bericht selbst Hunderte von Beweisfällen. Daß der Wuchs der 45 jungen Arbeiter durch die Arbeit gehemmt wird, bezeugen Hun¬
154 Die einzelnen Arbeitszweige derte von Angaben desselben; unter andern gibt Cowell die Ge¬ wichte von 46 Knaben, alle 17 Jahre alt und aus einer Sonntags¬ schule an, von denen 26 in Fabriken beschäftigte durchschnittlich 104,5 engl. Pfund, und 20 nicht in Fabriken arbeitende, aber der Arbeiterklasse angehörige durchschnittlich 117,7 engl. Pfund 5 wogen. Einer der bedeutendsten Fabrikanten von Manchester und Anführer der Opposition von Seiten der Fabrikanten gegen die Arbeiter — ich glaube Robert Hyde Greg, sagt selbst einmal, wenn das so fortginge, so würden die Fabrikleute von Lancashire bald ein Geschlecht von Pygmäen werden.*) Ein Rekrutierungs- io lieutenant (Tufnell, p. 59) sagt aus, daß die Fabrikarbeiter sich wenig für den Militärdienst eignen; sie sähen dünn und schwäch¬ lich aus und würden oft von den Ärzten als untauglich zurück¬ gewiesen. In Manchester könne er kaum Leute von 5 Fuß 8 Zoll bekommen, die Leute hätten fast alle nur 6—7 Zoll, während in is den Ackerbaudistrikten die meisten Rekruten 8 Zoll hätten (der Unterschied des engl. Maßes gegen das preußische beträgt auf 5 Fuß etwa 2 Zoll, die das englische kleiner ist). Die Männer sind infolge dieser Einflüsse sehr bald aufgerieben. Die meisten sind mit vierzig Jahren arbeitsunfähig, einige wenige 20 halten sich bis zum fünfundvierzigsten, fast gar keine bis zum fünfzigsten Jahre. Dies wird, außer durch allgemeine Körper¬ schwäche, zum Teil auch noch durch eine Schwächung des Ge¬ sichts hervorgebracht, welche die Folge des Mulespinnens ist, wo¬ bei der Arbeiter seine Augen auf eine lange Reihe feiner, parallel 25 laufender Fäden heften und sie dadurch sehr anstrengen muß. Aus 1600 Arbeitern, die in mehreren Fabriken in Harpur und Lanark beschäftigt wurden, waren nur 10 über 45 Jahren; aus 22094 Arbeitern in verschiedenen Fabriken in Stockport und Manchester nur 143 über 45 Jahren. Von diesen 143 wurden 30 16 aus besonderer Gunst noch beibehalten, und einer tat Kinder¬ arbeit. Eine Liste von 131 Spinnern enthielt nur sieben über 45 Jahren, und doch waren alle 131 wegen „zu hohen Alters66 von den Fabrikanten, bei welchen sie um Arbeit anhielten, abgewiesen. Von 50 ausrangierten Spinnern in Bolton waren nur zwei über 50,35 und der Rest im Durchschnitt noch nicht 40 Jahre alt — und alle waren wegen zu hohen Alters brotlos! Herr Ashworth, ein bedeu¬ tender Fabrikant, gibt in einem Briefe an Lord Ashley selbst zu, daß gegen das 40. Lebensjahr die Spinner nicht mehr die ge- x hörige Quantität Garn aufzubringen vermögen, und deshalb „zu- 40 *) Diese Aussage ist nicht dem Fabrikbericht entnommen. 7 fehlt von .. Fabrikanten 18 1892 etwa 2 Zoll, um die das englische 36—36 1887 fehlt Von 50 .. 40 Jahre alt —
Folgen für die weibliche Konstitution 155 weilen“ entlassen werden; er nennt die vierzigjährigen Arbeiter „alte Leute“! Ebenso spricht der Kommissär Mackintosh im Bericht von 1833: „Obgleich ich durch die Art, wie Kinder be¬ schäftigt werden, schon vorbereitet war, so wurde es mir doch 5 schwer, den älteren Arbeitern ihre Angaben wegen ihres Alters zu glauben, so sehr früh altem diese Leute.“ Wundarzt Smellie in Glasgow, der hauptsächlich Fabrikarbeiter behandelt, sagt ebenfalls, daß bei ihnen vierzig Jahre schon ein hohes Alter (old age) seien (Stuart, evid. p. 101). Gleichlautende Zeugnisse fin- io den sich Tufnell, evid. 3, 9, 15, Hawkins, Rept. p. 4; evid. p. 14 etc. etc. In Manchester ist dies frühe Altern der Arbeiter so all¬ gemein, daß man fast jeden Vierziger für zehn bis fünfzehn Jahre älter ansieht, während die wohlhabenden Klassen, sowohl Män¬ ner als Frauen, ihr Aussehen sehr gut konservieren, wenn sie nicht 15 zu viel trinken. Die Wirkung der Fabrikarbeit auf den weiblichen Körper ist ebenfalls ganz eigner Art. Die Verbildungen, die die Folge langer Arbeitszeit sind, werden beim Weibe noch viel ernsthafter; Ver¬ bildungen des Beckens, teils durch unrichtige Lage und Entwick- 20 lung der Beckenknochen selbst, teils durch Verkrümmung des unteren Teils der Wirbelsäule werden häufig durch diese Ursache hervorgebracht. „Obgleich,“ sagt Dr. Loudon in seinem Bericht, „kein Beispiel von einem verbildeten Becken und einigen andern Übeln mir vorkam, so sind doch diese Dinge derart, daß jeder 25 Mediziner sie als wahrscheinliche Folge einer solchen Arbeits¬ zeit bei Kindern hinstellen muß, und außerdem verbürgt von Män¬ nern von der höchsten medizinischen Glaubwürdigkeit.“ — Daß Fabrikarbeiterinnen schwerer gebären als andere Frauen, wird von mehreren Hebammen und Geburtshelfern bezeugt, ebenso, 30 daß sie häufiger abortieren, z. B. Dr. Hawkins, evid. p. 11 et 13. Dazu kommt noch, daß die Weiber an der allen Fabrikarbeitern gemeinsamen allgemeinen Schwäche leiden und, wenn sie schwan¬ ger sind, bis zur Stunde der Entbindung in den Fa¬ briken arbeiten — natürlich, wenn sie zu früh aufhören, so müs- 35 sen sie fürchten, daß ihre Stellen besetzt und sie selbst entlassen werden — auch verlieren sie den Lohn. Es kommt sehr häufig vor, daß Frauen, die den Abend noch arbeiten, den nächsten Morgen entbunden sind, ja es ist nicht allzu selten, daß sie in den Fabriken selbst, zwischen den Maschinen niederkommen. Und wenn auch 4o die Herren Bourgeois darin nichts besondres finden, so werden *) Alles der Rede von Lord Ashley (Unterhaussitzung vom 15. März 1844) entnommen. 14 Orig, gut servieren 41 1892 irrtümlich 13. März
156 Die einzelnen Arbeitszweige mir doch ihre Frauen vielleicht zugeben, daß es eine Grausamkeit, eine infame Barbarei ist, ein schwangeres Weib indirekt zu zwin¬ gen, bis zum Tage ihrer Niederkunft täglich zwölf bis dreizehn (früher noch mehr) Stunden arbeitend, in stehender Positur, bei häufigem Bücken, zuzubringen. Das ist aber noch nicht alles. 5 Wenn die Frauen nach der Niederkunft vierzehn Tage nicht zu arbeiten brauchen, so sind sie froh und halten es für lange. Manche kommen schon nach acht, ja nach drei bis vier Tagen wie¬ der in die Fabrik, um die volle Arbeitszeit durchzumachen — ich hörte einmal, wie ein Fabrikant einen Aufseher frug: ist die 10 und die noch nicht wieder hier? — Nein. — Wie lang ist sie ent¬ bunden?—AchtTage.—Die hätte doch wahrhaftig längst wieder¬ kommen können. Jene da pflegt nur dreiTage zu Hause zu bleiben. — Natürlich; die Furcht, entlassen zu werden, die Furcht vor der Brotlosigkeit treibt sie, trotz ihrer Schwäche, trotz ihrer Schmerzen 13 in die Fabrik; das Interesse des Fabrikanten leidet es nicht, daß seine Arbeiter krankheitswegen zu Hause bleiben, sie dürfen nicht krank werden, sie dürfen sich nicht unterstehen, ins Wochen¬ bett zu kommen — sonst müßte er ja seine Maschinen stillsetzen oder seinen allerhöchsten Kopf mit der Einrichtung einer tem- 20 porären Abänderung plagen; und ehe er das tut, entläßt er seine Leute, wenn sie sich unterfangen, unwohl zu sein. Hört (Cowell, evid. p. 77): Ein Mädchen, fühlt sich sehr krank, kann kaum ihre Arbeit tun. — Warum sie nicht um Erlaubnis frage, nach Hause zu gehen? — Ach, Herr, der „Herr“ ist sehr eigen darin, wenn 25 wir einen Vierteltag abwesend sind, so riskieren wir, weggeschickt zu werden.“ Oder (Sir D. Barry, evid. p. 44): Thomas MacDurt, Arbeiter, hat gelindes Fieber: „kann nicht zu Hause bleiben, we¬ nigstens nicht länger als vier Tage, weil er sonst fürchten muß, seine Arbeit zu verlieren.“ Und so geht es in fast allen Fabriken. 30 — Die Arbeit junger Mädchen bringt in der Entwicklungsperiode derselben noch eine Menge sonstiger Unregelmäßigkeiten hervor. Bei einigen, besonders den bessergenährten, treibt die Hitze der Fabriken die Entwicklung rascher voran als gewöhnlich, so daß einzelne Mädchen von 12 bis 14 Jahren vollkommen ausgebildet 35 sind; Roberton, der schon erwähnte, wie der Fabrikbericht sagt, „eminente“Geburtshelfer inManchester, erzählt im„North of Eng¬ land Medical and Surgical Journal“, daß ihm ein elf jähriges Mäd¬ chen vorgekommen, die nicht nur ein vollkommen ausgebildetes Weib, sondern sogar schwanger gewesen sei, und daß es gar nichts 40 Seltnes in Manchester sei, wenn Frauenzimmer von 15 Jahren niederkämen. In solchen Fällen wirkt die Wärme der Fabriken gerade wie die Hitze tropischer Klimate, und wie in solchen Kli- maten, rächt sich die übermäßig frühe Entwicklung auch durch früh eintretendes Alter und Erschlaffung. — Oft jedoch findet 45
Besonders schädliche Arbeitszweige 157 sich eine zurückgehaltene sexuale Entwicklung des weiblichen Körpers; die Brüste bilden sich spät oder gar nicht aus, wovon Cowell, p. 35, Beispiele gibt, die Menstruation tritt in vielen Fäl¬ len erst mit dem siebzehnten oder achtzehnten, zuweilen erst mit 5 dem zwanzigsten Jahre ein und bleibt oft ganz aus (Dr. Hawkins, evid. p. 11, Dr. Loudon, p. 14 etc., Sir D. Barry, p. 5 etc.). Un¬ regelmäßige Menstruation, mit vielen Schmerzen und Übeln ver¬ bunden, namentlich Bleichsucht sehr häufig, worüber die medizi¬ nischen Berichte einstimmig sind. io Die von solchen Frauen, besonders wenn sie während der Schwangerschaft arbeiten müssen, gebomen Kinder können nicht stark sein. Im Gegenteil, namentlich von Manchester aus werden sie im Bericht als sehr schwächlich geschildert, und nur Barry behauptet, daß sie gesund seien — sagt aber auch, daß in Schott¬ es land, wo er inspizierte, fast gar keine verheirateten Frauen arbeiteten; dazu liegen die meisten Fabriken dort, mit Ausnahme von Glasgow, auf dem Lande, und das trägt sehr viel zur Stärkung der Kinder bei: Die Arbeiterkinder in der näch¬ sten Umgebung von Manchester sind fast alle blühend und frisch, 20 während sie in der Stadt bleich und skrofulös aussehen; aber mit dem neunten Jahre verliert sich die Farbe plötzlich, weil sie dann in die Fabrik geschickt werden, und bald kann man sie nicht mehr von Stadtkindern unterscheiden. Außerdem aber gibt es noch einige Zweige in der Fabrikarbeit, 25 die besonders nachteilige Folgen haben. In vielen Zimmern der Baumwoll- und Flachsspinnereien fliegt eine Menge faseriger Staub umher, der namentlich in den Kardier- und Hechelzimmem Brustbeschwerden erzeugt. Einige Konstitutionen können ihn er¬ tragen, andere nicht. Aber der Arbeiter hat keine Wahl, er muß 30 das Zimmer nehmen, wo er Arbeit findet, seine Brust mag gut sein oder nicht. Die gewöhnlichsten Folgen dieses eingeatmeten Staubes sind Blutspeien, schwerer pfeifender Atem, Schmerzen in der Brust, Husten, Schlaflosigkeit, kurz alle Symptome von Asthma, die im schlimmsten Falle in der Auszehrung endigen 35 (vergl. Stuart, p. 13, 70, 101, Mackintosh, p. 24 etc., Power Rept. on Nottingham, on Leeds, Cowell, p. 33 etc., Barry, p. 12 — fünf in einer Fabrik — p. 17,44,52,60 etc.; ebenso in dessen Bericht; Loudon,p. 13etc.etc.). Besonders ungesund ist aber das Naßspin¬ nen des Leinengarns, das von jungen Mädchen und Kindern getan 40 wird. Das Wasser spritzt ihnen von den Spindeln auf den Leib, so daß die vordere Seite ihrer Kleider fortwährend bis auf die Haut durchnäßt ist und fortwährend Wasser auf dem Boden steht. In geringerem Maße findet dies auch in den Doublierzimmern der 1 1892 sexuelle
158 Die einzelnen Arbeitszweige Baumwollfabriken statt, und die Folge davon sind fortwährende Erkältungen und Affektionen der Brust. Eine heisere, rauhe Sprache ist allen Fabrikarbeitern gemein, vor allen aber den Na߬ spinnern und Doublierem. Stuart, Mackintosh und Sir D. Barry sprechen sich in den stärksten Ausdrücken über die Ungesundheit 5 dieser Arbeit und die geringe Rücksicht der meisten Fabrikanten für die Gesundheit der diese Arbeit verrichtenden Mädchen aus. Eine andre Wirkung des Flachsspinnens sind eigentümliche Ver¬ drehungen der Schulter, namentlich Vorspringen des rechten Schulterblatts, die aus der Natur der Arbeit folgen. Diese Art, zu 10 spinnen, sowie das Throstlespinnen der Baumwolle bringen oft auch Krankheiten der Kniescheibe hervor, die zum Aufhalten der Spindel während der Anheftung zerrissener Fäden angewandt wird. Das häufige Bücken bei diesen beiden Arbeitszweigen und die Niedrigkeit der Maschinen haben überhaupt einen mangelhaf-15 ten Wuchs zur Folge. In dem Throstlezimmer der Baumwollfabrik zu Manchester, in welcher ich beschäftigt war, erinnere ich mich nicht ein einziges gut und schlank gewachsenes Mädchen gesehen zu haben; sie waren alle klein, schlecht gewachsen und eigen¬ tümlich gedrängten Baus, entschieden häßlich in ihrer ganzen 20 Körperbildung. Außer allen diesen Krankheiten und Verkrüppe¬ lungen haben die Arbeiter aber noch auf eine andere Weise an ihren Gliedern Schaden zu leiden. Die Arbeit zwischen den Ma¬ schinen veranlaßt eine Menge Unglücksfälle, die mehr oder we¬ niger ernster Natur sind und für den Arbeiter noch dazu die Folge 25 haben, daß sie ihn teilweise oder ganz zu seiner Arbeit unfähig machen. Am häufigsten kommt es vor, daß ein einzelnes Glied von einem Finger abgequetscht wird, seltner schon, daß ganze Fin¬ ger, eine halbe oder ganze Hand, ein Arm usw. von den Rädern ergriffen und zermalmt wird. Sehr häufig tritt nach diesen, selbst 30 den geringeren Unfällen Maulsperre ein und zieht den Tod nach sich. Man sieht in Manchester außer den vielen Krüppeln auch eine große Anzahl Verstümmelter umhergehen; dem einen fehlt der ganze oder halbe Arm, dem andern der Fuß, dem dritten das halbe Bein; man glaubt unter einer Armee zu leben, die eben aus 35 dem Feldzuge zurückkommt. Die gefährlichsten Stellen der Ma¬ schinerie sind aber die Riemen, welche die Triebkraft vom Schaft auf die einzelnen Maschinen leiten, besonders wenn sie Schnallen haben, die man indes selten mehr findet. Wer von diesen Riemen ergriffen wird, den reißt die treibende Kraft pfeilschnell mit sich 40 herum, schlägt ihn oben gegen die Decke und unten gegen den Fußboden mit solcher Gewalt, daß selten ein Knochen am Körper ganz bleibt, und augenblicklicher Tod erfolgt. Zwischen dem 12. Juni und 3. August 1844 berichtet der „Manchester Guardian66 über folgende ernstliche Unglücksfälle — die leichteren er- 45
Unglücksfälle 159 wähnt er gar nicht: 12. Juni — ein Knabe starb in Manchester an der Mundklemme, infolge einer zwischen Rädern zerquetschten Hand. — 15. Juni, ein Junge in Saddleworth, von einem Rade er¬ griffen und mitgerissen, starb, ganz zerschmettert. — 29. Juni, ein .5 junger Mann in Greenacres Moor bei Manchester, der in einer Maschinenfabrik arbeitete, geriet unter einen Schleifstein, der ihm zwei Rippen zerbrach und ihn sehr zerfleischte. — 24. Juli, ein Mädchen in Oldham starb, von einem Riemen fünfzigmal mit herumgerissen, kein Knochen blieb ganz.—27. Juli, in Manchester io geriet ein Mädchen in den Blower (die erste Maschine, welche die rohe Baumwolle aufnimmt) und starb an den erlittenen Ver¬ stümmelungen. — 3. August, ein Spulendrechsler starb, von einem Riemen fortgerissen, in Dukinfield — alle Rippen waren zer¬ brochen. — Das Krankenhaus von Manchester hatte im Jahre 151843 allein 962 Verwundungen und Verstümmelungen durch Maschinerie zu heilen, während die Anzahl aller übrigen Un¬ glücksfälle im Bereich des Krankenhauses auf 2426 sich beliefen, so daß auf fünf Unglücksfälle aus allen andern Ursachen zwei durch Maschinerie kamen. Die in Salford vorgekommenen Un- 20 fälle sind hier nicht eingeschlossen, ebensowenig die, welche von Privatärzten geheilt wurden. — Die Fabrikanten bezahlen bei solchen Unglücken, sie mögen arbeitsunfähig machen oder nicht, höchstens den Arzt, und wenn es sehr hoch kommt, den Lohn wäh¬ rend der Dauer der Kur — wohin der Arbeiter später gerät, wenn 25 er nicht arbeiten kann, ist ihnen gleichgültig. Der Fabrikbericht sagt über diesen Gegenstand: In allen Fällen müsse der Fabrikant verantwortlich gemacht werden: denn Kin¬ der könnten sich nicht in acht nehmen und Erwachsene würden sich in ihrem eignen Interesse schon in acht nehmen. Aber es 30 sind Bourgeois, die den Bericht schreiben, und daher müssen sie sich widersprechen und nachher allerlei Salbaderei über „sünd- liche Verwegenheit“ (culpable temerity) der Arbeiter verführen. Einerlei. Die Sache ist diese: Wenn Kinder sich nicht in acht nehmen können, so muß die Arbeit von Kindern verboten wer- 35 den. Wenn Erwachsene sich nicht gehörig in acht nehmen, so müssen sie entweder Kinder sein, auf einer Bildungsstufe stehen, die ihnen nicht erlaubt, die Gefahr in ihrer ganzen Größe zu erkennen — und wer ist daran Schuld als die Bourgeoisie, die sie in einer Lage erhält, in der sie sich nicht bilden können? — 40 oder die Maschinen sind schlecht arrangiert und müssen mit Brust¬ wehren oder Vorschlägen umgeben werden, was auch dem Bour¬ geois zur Last fällt — oder der Arbeiter hat Motive, die die drohende Gefahr überwiegen, er muß rasch arbeiten, um Geld zu verdienen, und hat keine Zeit, sich in acht zu nehmen etc. — 45 auch daran ist der Bourgeois schuld. Viele Unglücksfälle kommen
160 Die einzelnen Arbeitszweige z. B. vor, wenn die Arbeiter Maschinen reinigen wollen, während diese in Bewegung sind. Weshalb? Weil der Bourgeois die Ar¬ beiter zwingt, während der Freistunden, wenn sie still stehen, die Maschinen zu putzen, und der Arbeiter natürlich keine Lust hat, sich von seiner freien Zeit etwas abnagen zu lassen. So viel ist 5 dem Arbeiter jede freie Stunde wert, daß er sich oft lieber zwei¬ mal wöchentlich in Lebensgefahr begibt, als sie dem Bourgeois opfert. Laßt die Fabrikanten die zum Putzen der Maschinen nötige Zeit von der Arbeitszeit nehmen, und es wird keinem Ar¬ beiter mehr einfallen, laufende Maschinerie zu putzen. Kurz, in 10 allen Fällen fällt die letzte Schuld auf den Fabrikanten, von dem im gelindesten Falle die lebenslängliche Unterstützung des ar¬ beitsunfähig gewordenen Arbeiters oder bei Todesfällen seiner Familie zu verlangen wäre. In den ersten Zeiten der Industrie waren die Unfälle verhältnismäßig viel zahlreicher als jetzt, weil 15 die Maschinen schlechter, kleiner, gedrängter und fast gar nicht verschlagen waren. Wie aber obige Angaben beweisen, ist ihre Zahl noch immer groß genug, um ernste Bedenken über einen Zu¬ stand rege zu machen, der erlaubt, daß so viele Verstümmelungen und Verwundungen zum Besten einer einzigen Klasse vorkom- 20 men und so mancher fleißige Arbeiter durch ein Unglück, das er im Dienst und durch Verschulden der Bourgeoisie erlitt, der Not und dem Hunger preisgegeben wird. Eine schöne Reihe Krankheiten, bloß durch die scheußliche Geldgier der Bourgeoisie erzeugt! Weiber zum Gebären unfähig 25 gemacht, Kinder verkrüppelt, Männer geschwächt, Glieder zer¬ quetscht, ganze Generationen verdorben, mit Schwäche und Siech¬ tum infiziert, bloß um der Bourgeoisie die Beutel zu füllen! Und wenn man erst die Barbarei der einzelnen Fälle liest, wie die Kin¬ der von den Aufsehern nackt aus dem Bette geholt, mit den Klei- 30 dern auf dem Arm unter Schlägen und Tritten in die Fabriken ge¬ jagt (z. B. Stuart p. 39 und sonst) wurden, wie ihnen der Schlaf mit Schlägen vertrieben, wie sie trotzdem über der Arbeit einge¬ schlafen, wie ein armes Kind noch im Schlaf, und nachdem die Maschine stillgesetzt war, auf den Zuruf des Aufsehers auf sprang 35 und mit geschlossenen Augen die Handgriffe seiner Arbeit durch¬ machte, wenn man liest, wie die Kinder, zu müde, nach Hause zu gehen, sich im Trockenzimmer unter der Wolle verbargen, um dort zu schlafen, und nur mit dem Riemen aus der Fabrik getrie¬ ben werden konnten, wie viele Hunderte jeden Abend so müde 40 nach Hause kamen, daß sie vor Schläfrigkeit und Mangel an Appetit ihr Abendbrot nicht verzehren konnten, daß ihre Eltern sie kniend vor dem Bette fanden, wo sie während des Gebets ein¬ geschlafen waren; wenn man das alles und noch hundert andere Infamien und Schändlichkeiten in diesem einen Berichte liest, 45
Urteil der Bourgeoisie über das Fabriksystem 161 alle auf den Eid bezeugt, durch mehrere Zeugen bestätigt, von Männern ausgesagt, die die Kommissäre selbst für glaubwürdig erklären, wenn man bedenkt, daß es ein „liberaler66 Bericht ist, ein Bourgeoisiebericht, um den früheren der Tories umzustoßen 5 und die Herzensreinheit der Fabrikanten herzustellen, daß die Kommissäre selbst auf Seiten der Bourgeoisie sind und alles das wider Willen berichten — so soll man nicht entrüstet, nicht in¬ grimmig werden über diese Klasse, die sich mit Menschenfreund¬ lichkeit und Aufopferung brüstet, während es ihr einzig auf die 10 Füllung ihrer Börsen ä tout prix ankommt? Hören wir indes die Bourgeoisie, wie sie durch den Mund ihres auserwählten Knechts, des Doktor Ure, spricht: Man habe, erzählt dieser in seiner „Philosophy of Manufac- tures“, p. 277 u. folg., den Arbeitern vorgesagt, ihr Lohn stehe 15 in keinem Verhältnis zu ihren Opfern und habe dadurch das gute Vernehmen zwischen Herren und Arbeitern gestört. Statt dessen hätten die Arbeiter sich durch Fleiß und Aufmerksamkeit emp¬ fehlen und über den Nutzen ihrer Herren freuen sollen, dann wären sie auch Aufseher, Geschäftsführer und endlich Associes 20 geworden und hätten dadurch (o Weisheit, Du sprichst wie eine Taube!) „zugleich die Nachfrage nach Arbeit im Markte ver¬ mehrt66!! — „Wenn die Arbeiter nicht so unruhig wären, so würde das Fabriksystem sich noch viel wohl¬ tätiger entwickelt haben.66 Darauf folgt denn eine lange 25 Jeremiade über die vielen Widersetzlichkeiten der Arbeiter und bei Gelegenheit einer Arbeitseinstellung der bestbezahlten Ar¬ beiter, der Feinspinner, folgender naive Ausspruch: „Ja, es war ihr hoher Lohn, der es ihnen möglich machte, ein besoldetes Ko¬ mitee zu halten, und sich in nervöse Hypertrophie durch eine Diät 30 hineinzumästen, die für ihre Arbeit viel zu kräftig und aufregend war66! (p. 298.) Hören wir, wie der Bourgeois die Arbeit der Kinder schildert: „Ich habe manche Fabrik besucht, in Man¬ chester und der Umgegend, und nie Kinder mißhandelt, körper¬ lich gezüchtigt oder nur übel gelaunt gesehen. Sie schienen alle 35 heiter (cheerful) und alert, an dem leichten Spiel ihrer Muskel sich erfreuend (taking pleasure), die ihrem Alter natürliche Beweglichkeit in vollem Maße genießend. Die Szene der Industrie, weit entfernt, traurige Emotionen in meinem Gemüt hervorzubringen, war mir stets auf heiternd. 40 Es war entzückend (delightful), die Hurtigkeit zu beobach¬ ten, mit der sie die zerrissenen Fäden wieder vereinigten, sowie der Mule-Wagen zurückging, und sie in Muße zu sehen, wie sie, nachdem ihre zarten Fingerchen ein paar Sekunden in Tätigkeit 4 1892 ein Bourgeoisbericht, Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 11
162 Die einzelnen Arbeitszweige gewesen waren, sich in allen erdenklichen Stellungen amüsier¬ ten, bis das Ausziehen und Aufwinden wieder fertig war. Die Arbeit dieser flüchtigen (lively) Elfen schien einem Spiel zu gleichen, worin ihnen ihre Übung eine gefällige Ge¬ wandtheit gab. Ihrer Geschicklichkeit sich bewußt, freuten sie 5 sich, sie vor jedem Fremden zu zeigen. Von Erschöpfung keine Spur, denn wenn sie aus der Fabrik kamen, fingen sie auf dem nächsten Spielplatz sogleich an, sich herumzutummeln mit der¬ selben Lebhaftigkeit wie Jungen, die eben aus der Schule kom¬ men.66 (Natürlich, als ob nicht die Bewegung aller Muskel ein 10 unmittelbares Bedürfnis für den steif und zugleich schlaff ge¬ wordenen Körper wäre! Aber Ure hätte warten sollen, ob nicht diese augenblickliche Aufregung nach ein paar Minuten ver¬ schwunden sei. Und ohnehin konnte Ure dies doch nur mit¬ tags, nach fünf- bis sechsstündiger Arbeit, aber nicht abends 15 sehen!) (p. 301.) — Was die Gesundheit der Arbeiter betrifft, so hat der Bourgeois die grenzenlose Frechheit, den eben an tausend Stellen zitierten und exzerpierten Bericht von 1833 als Zeugnis für die ausgezeichnete Gesundheit dieser Leute anzufüh¬ ren, durch einzelne herausgerissene Zitate beweisen zu wollen, daß 20 sich bei ihnen keine Spur von Skrofeln finde und, was ganz rich¬ tig ist, das Fabriksystem sie von allen akuten Krankheiten befreie (daß sie dafür alle chronischen an den Hals bekommen, ver¬ schweigt er natürlich). Man muß wissen, daß der Bericht aus drei dicken Foliobänden besteht, die durchzustudieren einem eng- 25 lischen wohlgenährten Bourgeois nicht einfällt, um die Frechheit begreifen zu können, mit der unser Freund Ure dem englischen Publikum die gröbsten Lügen aufheftet. Hören wir noch, wie er sich über das Fabrikgesetz von 1834 ausspricht, das von der libe¬ ralen Bourgeoisie gegeben wurde und dem Fabrikanten nur die notdürftigsten Beschränkungen auflegt, wie wir sehen werden. Dies Gesetz, namentlich der Schulzwang, sei eine absurde und despo¬ tische Maßregel gegen die Fabrikanten. Alle Kinder unter zwölf Jahren seien dadurch arbeitslos geworden, und was sei die Folge? Die Kinder, so von ihrer leichten und nützlichen Arbeit ent- w lassen, bekämen nun gar keine Erziehung; aus dem warmen Spinnsaal in die kalte Welt hinausgestoßen, exi¬ stierten sie nur durch Betteln und Stehlen — ein Leben, traurig kontrastierend mit ihrer stets sich verbessernden Lage in der Fabrik und ihrer Sonntagsschule! Dies Gesetz erschwere unter 40 der Maske der Philanthropie die Leiden der Armen und werde den gewissenhaften Fabrikanten in seiner nützlichen Arbeit äußerst hemmen, wo nicht ganz aufhalten (p. 405, 406ff.). — Die zerstörenden Wirkungen des Fabriksystems fingen schon früh an, allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Von 45
Fabrikgesetzgebung und Zehnstunden-Agitation 163 dem Lehrlingsgesetz von 1802 sprachen wir schon. Später, gegen 1817, fing der nachherige Stifter des englischen Sozialismus, da¬ mals Fabrikant in Neu-Lanark (Schottland), Robert Owen, an, durch Petitionen und Denkschriften der vollziehenden Gewalt die ■> Notwendigkeit gesetzlicher Garantien für die Gesundheit der Ar¬ beiter, besonders der Kinder, vorzuhalten. Der verstorbene Sir R. Peel sowie andere Philanthropen schlossen sich ihm an und erwirkten nacheinander die Fabrikgesetze von 1819, 1825 und 1831, von denen die beiden ersten gar nicht, das letzte nur hier io und da befolgt wurden. Dies Gesetz von 1831, auf den Antrag von J. C. Hobhouse basiert, setzte fest, daß in keiner Baumwollen¬ fabrik Leute unter 21 Jahren nachts, d. h. zwischen abends halb acht und morgens halb sechs Uhr, arbeiten, und in allen Fabriken junge Leute unter 18 Jahren höchstens 12 Stunden täglich und 15 9 Stunden Sonnabends arbeiten sollten. Da aber die Arbeiter nicht gegen ihre Brotherren zeugen durften, ohne entlassen zu werden, so half dies Gesetz wenig. In großen Städten, wo die Ar¬ beiter unruhiger waren, kam allenfalls eine Übereinkunft der be¬ deutenderen Fabrikanten zustande, sich dem Gesetz fügen zu wol- 20 len, aber selbst hier gab es viele, die sich, wie die Fabrikanten auf dem Lande, gar nicht um das Gesetz kümmerten. Unterdes war unter den Arbeitern das Verlangen nach einer Zehnstundenbill rege geworden, d. h. einem Gesetz, was allen jungen Leuten unter dem achtzehnten Jahre verböte, länger als zehn Stunden zu arbei¬ te ten; die Arbeiterassoziationen erhoben diesen Wunsch durch Agi¬ tation zum allgemeinen der Fabrikbevölkerung, die humane Sek¬ tion der Torypartei, damals von Michael Sadler angeführt, griff diesen Plan auf und brachte ihn vor das Parlament. Sadler er¬ hielt ein Parlamentkomitee zur Untersuchung des Fabriksystems 30 bewilligt, und dies gab in der Session von 1832 seinen Bericht ab. Dieser Bericht war entschieden parteiisch, von lauter Feinden des Fabriksystems und zu einem Parteizweck verfaßt. Sadler ließ sich durch seine edle Leidenschaft zu den schiefsten und unrichtigsten Behauptungen verleiten, er lockte schon durch die Art seiner Fra- 35 gen den Zeugen Antworten ab, die zwar Wahres, aber in verkehr¬ ter, schiefer Form enthielten. Die Fabrikanten, über einen Be¬ richt entsetzt, der sie als Ungeheuer schilderte, baten nun selbst um eine offizielle Untersuchung; sie wußten, daß ein genauer Be¬ richt ihnen jetzt nur nützen könne, sie wußten, daß Whigs, echte 40 Bourgeois, am Staatsruder saßen, mit denen sie sich gut standen, deren Prinzipien einer Beschränkung der Industrie entgegen waren; sie erhielten richtig eine Kommission von lauter liberalen Bourgeois, deren Bericht derselbe war, den ich bisher so häufig zitierte. Der Bericht kommt der Wahrheit etwas näher als der 45 des Sadler’schen Komitees, seine Abweichungen von ihr sind aber n*
164 Die einzelnen Arbeitszweige auf der entgegengesetzten Seite. Er zeigt auf jeder Seite Sym¬ pathie für die Fabrikanten, Mißtrauen gegen den Sadler’schen Be¬ richt, Abneigung gegen die selbsttätigen Arbeiter und die Unter¬ stützer der Zehnstundenbill; er erkennt nirgends das Recht der Arbeiter zu einer menschlichen Existenz, zu eigner Tätigkeit und 5 eignen Meinungen an; er macht es ihnen zum V o r w u r f, daß sie bei der Zehnstundenbill nicht nur an die Kinder, sondern auch an sich selbst dächten, er nennt die agitierenden Arbeiter Dema¬ gogen, Böswillige, Übelgesinnte usw., kurz, er steht auf Seiten der Bourgeoisie — und doch kann er die Fabrikanten nicht weiß 10 waschen, und doch bleibt eine solche Menge von Schändlichkeiten nach seinem eignen Geständnis auf den Schultern der Fabrikan¬ ten lasten, daß selbst nach diesem Bericht die Zehnstundenbill- Agitation, der Haß der Arbeiter gegen die Fabrikanten und die härtesten Bezeichnungen des Komitees gegen die letzteren vollstän- u dig gerechtfertigt sind. Nur mit dem Unterschiede, daß, während der Sädler’sche Bericht den Fabrikanten offne, unverhüllte Bru¬ talität vorwirft, es sich jetzt zeigte, daß diese Brutalität meist unter der Maske der Zivilisation und Menschlichkeit betrieben wurde. Erklärt sich doch Dr. Hawkins, der medizinische Kommissär für 20 Lancashire, selbst entschieden für die Zehnstundenbill, gleich in der ersten Zeile seines Berichts! Und der Kommissär Mackintosh erklärt selbst, daß sein Bericht nicht die volle Wahrheit enthalte, da die Arbeiter nur sehr schwer dahin zu bringen seien, gegen ihre Brotherren zu zeugen, und die Fabrikanten — ohnehin schon 25 durch die Aufregung unter den Arbeitern zu größerer Nach¬ giebigkeit gegen diese gezwungen — oft genug sich auf den Be¬ such der Kommission präpariert, die Fabriken gefegt, die Schnel¬ ligkeit der Maschinenbewegung verringert hätten etc. Namentlich in Lancashire brauchten sie den Kniff, der Kommission die Auf- 30 seher der Arbeitssäle als „Arbeiter66 vorzuführen, um diese für die Humanität der Fabrikanten, die gesunde Wirkung der Arbeit und die Gleichgültigkeit, ja Abneigung der Arbeiter gegen die Zehnstundenbill zeugen zu lassen. Aber diese Aufseher sind keine echten Arbeiter mehr, sie sind Deserteure ihrer Klasse, die sich 35 für höheren Lohn in den Dienst der Bourgeoisie begeben haben und im Interesse der Kapitalisten gegen die Arbeiter kämpfen. Ihr Interesse ist das der Bourgeoisie, und daher sind sie den Ar¬ beitern fast mehr verhaßt wie die Fabrikanten selbst. Und den¬ noch ist der Bericht vollkommen genügend, um die schändlichste 40 Rücksichtslosigkeit der fabrizierenden Bourgeoisie gegen ihre Arbeiter, die ganze Infamie des industriellen Ausbeutungssystems 12 1887 fehlt nach .. Geständnis 27—28 Orig. Besuch der Fabrikanten 1892 Besuch der Kommission 35 Orig. Deserteurs
Fabrikgesetzgebung und Zehnstunden-Agitation 165 in ihrer vollen Unmenschlichkeit zu zeigen. Nichts ist empören¬ der, als hier in diesem Bericht auf der einen Seite die langen Re¬ gister von Krankheiten und Verkrüppelungen durch Überarbeitung der kalten, berechnenden Nationalökonomie des Fabrikanten auf <5 der andern gegenübergestellt zu sehen, wo dieser mit Zahlen zu beweisen sucht, daß er und ganz England mit ihm zugrunde gehen müßte, wenn man ihm nicht mehr erlaube, jährlich so und so viele Kinder zu Krüppeln zu machen — nur die schamlose Sprache des Herrn Ure, die ich eben angeführt habe, würde noch 10 empörender sein, wenn sie nicht zu lächerlich wäre. Die Folge dieses Berichts war das Fabrikgesetz von 1834, das die Arbeit von Kindern unter neun Jahren verbot (mit Ausnahme der Seidenfabriken), die Arbeitszeit der Kinder zwischen 9 und 13 Jahren auf 48 Stunden wöchentlich oder höchstens 9 an einem in Tage, die von jungen Leuten zwischen dem 14. und 18. Lebensjahre auf 69 wöchentlich oder 12 höchstens an einem Tage beschränkte, ein Minimum von IV2 Stunden Zwischenzeit für Mahlzeiten fest¬ setzte und das Nachtarbeiten für alle unter 18 Jahren nochmals verbot. Zugleich wurde ein täglich zweistündiger zwangsmäßiger 20 Schulbesuch für alle Kinder unter 14 Jahren eingeführt, und der Fabrikant für straffällig erklärt, wenn er Kinder ohne Alterszerti¬ fikat vom Fabrikarzte oder ohne Schulbesuchszertifikat vom Leh¬ rer beschäftige. Dafür durfte er wöchentlich einen Penny für den Lehrer vom Lohne des Kindes zuriickbehalten. Außerdem wur- 25 den Fabrikärzte und Inspektoren ernannt, die zu jeder Zeit in die Fabrik gehen, die Arbeiter eidlich verhören durften und auf die Beachtung des Gesetzes durch Klage beim Friedensgericht zu hal¬ ten hatten. Das ist .das Gesetz, worüber Dr. Ure so grenzenlos schimpft! 30 Die Folge des Gesetzes und namentlich der Ernennung von In¬ spektoren war, daß die Arbeitszeit durchschnittlich auf zwölf bis dreizehn Stunden herabgesetzt und die Kinder so gut ersetzt wur¬ den, als es ging. Damit verschwanden einige der schreiendsten Übel fast gänzlich; Verkrüppelungen kamen nur noch bei sehr 35 schwachen Konstitutionen vor, die Wirkungen der Arbeit traten weniger eklatant ans Tageslicht. Indes haben wir im Fabrikbericht Zeugnisse genug, daß die gelinderen Übel, Anschwellung der Fu߬ gelenke, Schwäche und Schmerzen in Beinen, Hüften und Rück¬ grat, variköse Adern, Geschwüre an den unteren Extremitäten, 40 allgemeine Schwäche, besonders Schwächung des Unterleibs, Nei¬ gung zum Erbrechen, Mangel an Appetit abwechselnd mit Hei߬ hunger, schlechte Verdauung, Hypochondrie, dann die Brustübel infolge des Staubes und der schlechten Atmosphäre der Fabriken usw. usw., alle auch in den Fabriken und bei denjenigen Indivi- 45 duen vorkamen, die nach den Vorschriften von Sir J. C. Hobhouse’s
166 Die einzelnen Arbeitszweige Gesetz — also zwölf bis höchstens dreizehn Stunden arbeiteten. Die Berichte aus Glasgow und Manchester sind hier namentlich zu vergleichen. Diese Übel sind auch nach dem Gesetz von 1834 ge¬ blieben und fahren bis auf den heutigen Tag fort, die Gesundheit der arbeitenden Klasse zu untergraben. Man hat dafür gesorgt, 5 daß die brutale Gewinnsucht der Bourgeoisie eine heuchlerische, zivilisierte Form annahm, daß die Fabrikanten, durch den Arm des Gesetzes von allzu krassen Niederträchtigkeiten abgehalten, desto mehr scheinbaren Grund haben, ihre erlogene Humanität selbstgefällig auszukramen — das ist alles. Wenn heute eine neue 10 Fabrikkommission ausginge, sie würde das meiste beim alten fin¬ den. Was den extemporierten Schulzwang betrifft, so blieb die¬ ser ganz wirkungslos, da die Regierung nicht zu gleicher Zeit für gute Schulen sorgte. Die Fabrikanten stellten ausgediente Arbei¬ ter an, zu denen sie die Kinder zwei Stunden täglich schickten 15 und so dem Buchstaben des Gesetzes genügten — die Kinder lern¬ ten nichts. — Und selbst die Berichte der Fabrikinspektoren, die sich nur auf das beschränken, was ihres Amts ist, nämlich die Be¬ folgung des Fabrikgesetzes, geben Material genug, um daraus das notwendige Fortbestehen der erwähnten Übel schließen zu kön- 20 nen. Inspektoren Homer und Saunders, in ihren Berichten vom Oktober und Dezember 1843, erzählen, daß eine Menge Fabri¬ kanten in denjenigen Arbeitszweigen, wo die Arbeit von Kindern entbehrt oder durch sonst brotlos gewordene Erwachsene ersetzt werden kann, 14—16 Stunden und drüber arbeiten lassen. Dar- 25 unter seien namentlich viele junge Leute, die eben dem Gesetz entwachsen seien. Andere verletzen das Gesetz geradezu, verkür¬ zen die Freistunden, lassen Kinder länger arbeiten als erlaubt ist, und lassen es auf eine Anklage ankommen, da die etwaige Strafe doch sehr gering ist gegen den Nutzen, den sie von der Übertre- 30 tung haben. Namentlich jetzt, wo das Geschäft besonders gut geht, haben die Fabrikanten große Versuchung dazu. Unter den Arbeitern hörte indes die Zehnstunden-Agitation nicht auf; 1839 war sie wieder in vollem Zuge, und an des ver¬ storbenen Sadlers Stelle trat im Unterhause Lord Ashley und 35 außer demselben Richard Oastler, beide Tories. Oastler nament¬ lich, der fortwährend in den Arbeiterdistrikten agitierte und schon zu Sadlers Zeiten agitiert hatte, ward der spezielle Günstling der Arbeiter. Sie nannten ihn nur ihren „guten alten König66, den „König der Fabrikkinder66, und in den ganzen Fabrikdistrikten ist 40 kein Kind, das ihn nicht kennt und verehrt, das ihm nicht, wenn er in die Stadt kommt, mit den andern in Prozession entgegen¬ zieht. Oastler opponierte auch sehr energisch gegen das neue 24 1887 fehlt sonst brotlos gewordene
Fabrikgesetzgebung und Zehnstunden-Agitation 167 Armengesetz und wurde deshalb von einem Herrn Thomhill, einem Whig, auf dessen Gut er Verwalter war und dem er eine Summe schuldete, wegen Schulden gefangen gesetzt. Die Whigs boten ihm mehrmals an, seine Schuld zu bezahlen, ihn sonst zu 5 begünstigen, wenn er seine Opposition gegen das Armengesetz auf geben wolle. Vergebens. Er blieb im Gefängnis und schickte von da aus seine „Fleet-papers“ gegen das Fabriksystem und das Armengesetz. Die Tory-Regierung von 1841 wandte wieder ihre Aufmerksam- io keit auf die Fabrikgesetze. Der Minister des Innern, Sir James Graham, schlug 1843 eine Bill vor, wodurch die Arbeitszeit der Kinder auf 6V2 Stunden beschränkt und der Schulzwang ver¬ schärft wurde; die Hauptsache dabei war aber die Errichtung besserer Schulen. Diese Bill scheiterte indes an der Eifersucht 15 der Dissenters; obwohl der Zwang für Dissenterkinder nicht auf den Religionsunterricht ausgedehnt wurde, so war doch die Schule überhaupt unter die Aufsicht der Staatskirche gestellt, und da die Bibel das allgemeine Lesebuch bilden, die Religion also dem gan¬ zen Unterricht zugrunde liegen sollte, so fanden sich die Dissen- 20 ter bedroht. Die Fabrikanten und überhaupt die Liberalen schlu¬ gen sich zu ihnen, die Arbeiter waren wegen der kirchlichen Frage geteilt und deshalb untätig, die Opposition gegen die Bill brachte, obwohl sie in den großen Fabrikstädten, z. B. Salford und Stock¬ port, geschlagen wurde, und in andern, wie Manchester, nur einige 25 Punkte der Bill aus Furcht vor den Arbeitern angreifen konnte, dennoch an zwei Millionen Unterschriften für ihre Petitionen zu¬ sammen, und Graham ließ sich so weit einschüchtern, daß er die ganze Bill zurücknahm. Im nächsten Jahre ließ er die Bestim¬ mungen wegen der Schulen weg und schlug bloß vor, statt der 30 bisherigen Vorschriften die Arbeit von Kindern zwischen acht und dreizehn Jahren auf 6% Stunden täglich und zwar so, daß sie entweder den Vormittag oder den Nachmittag ganz frei hät¬ ten, die von jungen Leuten zwischen dreizehn und achtzehn Jahren und die aller Weiber auf zwölf Stunden festzustellen und außer- 35 dem einige Beschränkungen der bisher häufigen Umgehung des Gesetzes einzuführen. Kaum war er damit aufgetreten, so begann die Zehnstunden-Agitation heftiger als je. Gastier wurde frei, eine Anzahl seiner Freunde und eine Kollekte unter den Arbei¬ tern hatten seine Schuld bezahlt — und mit voller Kraft warf 40 er sich in die Bewegung. Die Vertreter der Zehnstundenbill im Unterhause hatten zugenommen, die Massen von Petitionen, die von allen Seiten für die Zehnstundenbill einkamen, führten ihnen neue Unterstützer zu — am 19. März 1844 setzte Lord Ashley 2 1887 fehlt einem Whig.
168 Die einzelnen Arbeitszweige durch eine Majorität von 179 gegen 170 den Beschluß durch, daß der Ausdruck: „Nacht66 in der Fabrikbill die Zeit zwischen sechs Uhr abends und sechs Uhr morgens ausdrücken solle, wodurch also bei dem Verbot der Nachtarbeit die Arbeitszeit inklusive Frei¬ stunden auf 12, und der Sache nach, exkusive Freistunden auf 5 10 gesetzt wurde. Aber das Ministerium war damit nicht einver¬ standen. Sir James Graham begann mit einem Rücktritt des Kabi¬ netts zu drohen — und bei der nächsten Abstimmung über einen Paragraphen der Bill verwarf das Haus mit kleinen Majoritäten sowohl zehn als zwölf Stunden! Graham und Peel erklärten nun, io daß sie eine neue Bill einbringen würden, und wenn diese nicht passierte, so würden sie abtreten; die neue Bill war genau die alte Zwölfstundenbill, nur mit Abänderungen der Form — und das¬ selbe Unterhaus, das im März diese Bill in ihren Hauptpunkten verworfen, nahm sie jetzt im Mai mit Haut und Haaren an! Die in Ursache davon war, daß die meisten Unterstützer der Zehnstun¬ denbill Tories waren, die lieber die Bill als das Ministerium fal¬ len ließen; aber mögen die Motive gewesen sein, welche sie wol¬ len, das Unterhaus hat sich durch diese Abstimmungen, deren eine die andere umwirft, bei allen Arbeitern in die größte Ver- 20 achtung gebracht und die von den Chartisten behauptete Notwen¬ digkeit seiner Reform selbst aufs glänzendste bewiesen. Drei Mit¬ glieder, die früher gegen das Ministerium gestimmt hatten, stimmten später dafür, und retteten es dadurch. Bei allen Abstim¬ mungen stimmte die Masse der Opposition für und die Masse der 20 Ministeriellen gegen das Kabinett.*) ** Die obigen Vorschläge Grahams wegen respektive öVsstündiger und 12stündiger Arbeit der beiden Arbeiterklassen sind also jetzt gesetzlich festgestellt, und hierdurch, sowie durch Beschränkung des Nachholens für ver¬ lorne Zeit (wenn Maschinerie zerbrach oder die Wasserkraft 30 wegen Frost oder Dürre zu gering wurde) und andere kleinere Be¬ schränkungen ist eine längere als zwölfstündige Arbeitszeit fast unmöglich gemacht. Es unterliegt indes keinem Zweifel, daß in sehr kurzer Zeit die Zehnstundenbill wirklich durchgehen wird. Die Fabrikanten sind natürlich fast alle dagegen, es gibt vielleicht 35 keine zehn, die dafür sind; sie haben alle ehrlichen und unehr¬ lichen Mittel gegen diesen ihnen verhaßten Vorschlag auf geboten, aber das hilft ihnen zu nichts, als daß sie sich den Haß der Arbei¬ ter immer mehr und mehr zuziehen. Die Bill geht doch durch, was die Arbeiter wollen, das können sie, und daß sie die Zehn- 40 stundenbill wollen, haben sie im vorigen Frühjahr bewiesen. Die *) Bekanntlich blamierte sich das Unterhaus in derselben Session noch einmal auf diese Weise in der Zuckerfrage, wo es zuerst gegen, später, nach Anwendung der „Regierungspeitsche“, für die Minister entschied.
Abstumpfender Charakter der Arbeit 169 nationalökonomischen Argumente der Fabrikanten, daß eine Zehnstundenbill die Produktionskosten steigere, daß sie dadurch die englische Industrie unfähig mache, gegen auswärtige Kon¬ kurrenz zu kämpfen, daß der Arbeitslohn notwendig fallen müsse > usw., sind allerdings halb wahr, aber sie beweisen nichts, als daß die industrielle Größe Englands nur durch barbarische Be¬ handlung der Arbeiter, nur durch Zerstörung der Gesundheit, durch soziale, physische und geistige Vernachlässigung ganzer Generationen aufrecht erhalten werden kann. Natürlich, wäre die 10 Zehnstundenbill eine definitive Maßregel, so würde England da¬ bei ruiniert; weil sie aber notwendig andere Maßregeln nach sich zieht, die England auf eine ganz andere als die bisher befolgte Bahn lenken müssen, deshalb wird sie ein Fortschritt sein. Wenden wir uns nun zu einer andern Seite des Fabriksystems, in die weniger als die daraus folgenden Krankheiten durch gesetz¬ liche Vorschriften zu beseitigen ist. Wir sprachen schon im all¬ gemeinen von der Art der Arbeit, und wir sprachen ausführlich genug, um aus dem Gegebenen weitere Schlüsse ziehen zu können. Die Beaufsichtigung von Maschinen, das Anknüpfen zerrissener 20 Fäden ist keine Tätigkeit, die das Denken des Arbeiters in An¬ spruch nimmt, und auf der andern Seite wieder derart, daß sie den Arbeiter hindert, seinen Geist mit andern Dingen zu beschäf¬ tigen. Zu gleicher Zeit sahen wir, daß diese Arbeit ebenfalls den Muskeln, der körperlichen Tätigkeit keinen Spielraum bietet. Auf 25 diese Weise ist es eigentlich keine Arbeit, sondern die reine Langweile, das Ertötendste, Abmattendste, was es gibt — der Fabrikarbeiter ist dazu verurteilt, seine körperlichen und geisti¬ gen Kräfte gänzlich in dieser Langeweile verkommen zu lassen, er hat den Beruf, sich von seinem achten Jahre an den ganzen Tag 30 zu langweilen. Dazu kann er keinen Augenblick abkommen — die Dampfmaschine geht den ganzen Tag, die Räder, Riemen und Spindeln schnurren und rasseln ihm in einem fort in die Ohren, und wenn er nur einen Augenblick ruhen will, so hat er gleich den Aufseher mit dem Strafenbuch hinter sich. Diese Verdammung 35 zum Lebendigbegrabenwerden in der Fabrik, zum steten Acht¬ geben auf die unermüdliche Maschine wird von den Arbeitern als die härteste Tortur empfunden. Sie wirkt aber auch im höch¬ sten Grade abstumpfend, wie auf den Körper, so auch auf den Geist des Arbeiters. Man kann wirklich keine bessere Methode 40 zur Verdummung erfinden als die Fabrikarbeit, und wenn den¬ noch die Fabrikarbeiter nicht nur ihren Verstand gerettet, son¬ dern auch mehr als andere ausgebildet und geschärft haben, so war dies wieder nur durch die Empörung gegen ihr Schicksal und gegen die Bourgeoisie möglich — das einzige, was sie allenfalls 45 noch bei der Arbeit denken und fühlen konnten. Und wenn diese
170 Die einzelnen Arbeitszweige Indignation gegen die Bourgeoisie nicht zum vorherrschenden Gefühl beim Arbeiter wird, so ist die notwendige Folge der Trunk und überhaupt alles das, was man gewöhnlich Demoralisation nennt. Schon die körperliche Abspannung und die infolge des Fabriksystems allgemein gewordenen Krankheiten waren dem > offiziellen Kommissär Hawkins hinreichend, um aus ihnen die Notwendigkeit dieser Demoralisation abzuleiten — wieviel mehr noch, wenn auch die geistige Abspannung noch hinzutritt, und die schon erwähnten Umstände, die jeden Arbeiter zur Demorali¬ sation verlocken, hier auch ihre Einflüsse fühlbar machen! Wir io dürfen uns daher auch gar nicht darüber wundern, daß nament¬ lich in den Fabrikstädten die Trunksucht und die geschlechtliche Ausschweifung die Höhe erreicht hat, die ich früher schon geschil¬ dert habe.*) Weiter. Die Sklaverei, in der die Bourgeoisie das Proletariat i?> gefesselt hält, kommt nirgends deutlicher ans Tageslicht als im Fabriksystem. Hier hört alle Freiheit rechtlich und faktisch auf. Der Arbeiter muß morgens um halb sechs in der Fabrik sein — kommt er ein paar Minuten zu spät, so wird er gestraft, kommt er zehn Minuten zu spät, so wird er gar nicht hineingelassen 20 bis das Frühstück vorüber ist und verliert einen Vierteltag am Lohn (obgleich er nur 2% Stunden von 12 nicht arbeitet). Er muß auf Kommando essen, trinken und schlafen. Er hat zur Be¬ friedigung der allerdringendsten Bedürfnisse die allergeringste Zeit, die zu ihrer Abmachung nötig ist. Ob seine Wohnung von 25 der Fabrik eine halbe oder ganze Stunde weit abliegt, kümmert *) Hören wir noch einen kompetenten Richter: „Wenn das Beispiel der Irländer in Verbindung mit der unablässigen Arbeit der ganzen baum¬ wollfabrizierenden Klasse betrachtet wird, so werden wir uns über ihre schreckliche Demoralisation weniger wundern. Anhaltende und erschöp- 30 fende Arbeit Tag für Tag und Jahr für Jahr fortgesetzt, ist nicht berech¬ net, die intellektuellen und moralischen Fähigkeiten des Menschen zu entwickeln. Der trübselige Schlendrian einer endlosen Arbeitsqual (drud- gery), worin derselbe mechanische Prozeß immer wieder durchgemacht wird, gleicht der Qual des Sisyphus; die Last der Arbeit, gleich dem 35 Felsen, fällt immer wieder auf den abgematteten Arbeiter zurück. Der Geist erlangt weder Kenntnisse noch Denktätigkeit durch die ewige Arbeit derselben Muskeln; der Verstand schlummert ein in stumpfer Trägheit, aber der gröbere Teil unserer Natur erhält eine üppige Entwicklung. Den Menschen zu solcher Arbeit zu verdammen, heißt die tierischen Anlagen 40 in ihm kultivieren. Er wird gleichgültig, er verschmäht die seine Gattung auszeichnenden Triebe und Sitten. Er vernachlässigt die Bequemlichkeiten und feineren Freuden des Lebens, er lebt in schmutzigem Elend, bei mage¬ rer Nahrung und vergeudet den Rest seines Erwerbs in Ausschweifungen.“ — Dr. J. P. Kay, a. a. 0. <5
Sklaverei / Fabrikregeln 171 den Fabrikanten nicht. Die despotische Glocke ruft ihn aus dem Bette, ruft ihn vom Frühstück und Mittagstisch. Und wie geht es ihm gar erst in der Fabrik! Hier ist der Fabri¬ kant absoluter Gesetzgeber. Er erläßt Fabrikregulationen, wie er 6 Lust hat; er ändert und macht Zusätze an seinem Kodex, wie es ihm beliebt; und wenn er das tollste Zeug hineinsetzt, so sagen doch die Gerichte dem Arbeiter: „Ihr wart ja Euer eigner Herr, Ihr brauchtet ja einen solchen Kontrakt nicht einzugehen, wenn Ihr nicht Lust hattet; jetzt aber, da Ihr unter diesen Kontrakt Euch 10 freiwillig begeben habt, jetzt müßt Ihr ihn auch befolgen64 — und so hat der Arbeiter noch den Spott des Friedensrichters, der selbst ein Bourgeois ist, und des Gesetzes, das von der Bourgeoisie ge¬ geben wurde, in den Kauf. Solche Entscheidungen sind oft genug gegeben worden. Im Oktober 1844 stellten die Arbeiter des Fa- 15 brikanten Kennedy in Manchester die Arbeit ein. Kennedy ver¬ klagte sie auf Grund einer in der Fabrik angeschlagenen Vor¬ schrift: daß aus jedem Zimmer nie mehr als zwei Arbeiter auf ein¬ mal kündigen dürften! und das Gericht gab ihm recht und den Arbeitern die obige Antwort. („Manchester Guardian44 30. Okto- 20 ber.) Und wie sind diese Regeln gewöhnlich! Hört: 1) Die Fabrik¬ türe wird 10 Minuten nach dem Anfänge der Arbeit geschlossen, und niemand bis zum Frühstück hereingelassen. Wer während dieser Zeit abwesend ist, verwirkt für jeden Webstuhl 3 d. Strafe. 2) Jeder (Maschinenstuhl-)Weber, der während einer andern 25 Zeit, während die Maschine in Bewegung ist, abwesend gefunden wird, verwirkt für jede Stunde und jeden Webstuhl, den er zu be* aufsichtigen hat, 3 d. Wer während der Arbeitszeit ohne Erlaub¬ nis des Aufsehers das Zimmer verläßt, wird ebenfalls 3 d. ge¬ straft. 3) Weber, die keine Schere bei sich haben, verwirken für 30 jeden Tag 1 d. 4) Alle Weberschiffchen, Bürsten, Ölkannen, Räder, Fenster etc., die zerbrochen werden, müssen von dem We¬ ber bezahlt werden. 5) Kein Weber darf ohne Au fkündigung, die eine Woche vorher geschehen muß, aus dem Dienst treten. Der Fabrikant kann jeden Arbeiter ohne Kün¬ digung für schlechte Arbeit oder unziemliches Betragen entlas¬ sen. 6) Jeder Arbeiter, der mit dem andern sprechend, der singend oder pfeifend betroffen wird, entrichtet 6 d. Strafe. Wer während der Arbeit von seinem Platze geht, ebenfalls 6 d.*} — Mir liegt noch ein anderes Fabrikreglement vor, nach welchem 40 jedem, der drei Minuten zu spät kommt, eine Viertelstunde, und jedem, der zwanzig Minuten zu spät kommt, ein Vierteltag am Lohn abgehalten wird. Wer vor dem Frühstück ganz wegbleibt, 1 Sh. am Montag und 6d. an jedem andern Tage etc. etc. Dies letz¬ *) Stubborn Facts, p. 9 ff.
172 Die einzelnen Arbeitszweige tere ist das Reglement der Phoenix Works, in Jersey-Street, Man¬ chester.— Man wird mir sagen, solche Regeln seien notwendig, um in einer großen, geordneten Fabrik das nötige Ineinandergreifen der verschiedenen Manipulationen zu sichern; man wird sagen, eine solche strenge Disziplin sei hier ebenso notwendig wie bei der 5 Armee — gut, es mag sein, aber was ist das für eine soziale Ord¬ nung, die ohne solche schändliche Tyrannei nicht bestehen kann? Entweder heiligt der Zweck das Mittel, oder der Schluß von der Schlechtigkeit des Mittels auf die Schlechtigkeit des Zwecks ist ganz gerechtfertigt. Und wer Soldat gewesen ist, weiß, was es 10 heißt, auch nur für kurze Zeit unter militärischer Disziplin zu ste¬ hen; diese Arbeiter sind aber dazu verdammt, vom neunten Jahre an bis zu ihrem Tode unter der geistigen und körperlichen Fuchtel zu leben, sie sind ärgere Sklaven als die Schwarzen in Amerika, weil sie schärfer beaufsichtigt werden — und dabei wird noch 15 verlangt, daß sie menschlich leben, menschlich denken und fühlen sollen! Wahrlich, sie können es wieder nur im glühendsten Haß gegen ihre Unterdrücker und gegen die Ordnung der Dinge, die sie in eine solche Lage versetzt, die sie zu Maschinen herabwür¬ digt! Es ist aber noch viel schändlicher, daß es nach der all - 20 gemeinen Aussage der Arbeiter eine Menge Fabrikanten gibt, die die den Arbeitern auferlegten Geldstrafen mit der herzlosesten Strenge eintreiben, um aus den den besitzlosen Proletariern ge¬ raubten Pfennigen ihren Gewinn zu vergrößern. Auch Leach be¬ hauptet, daß die Arbeiter oft morgens die Uhr der Fabrik um 25 eine Viertelstunde vorgerückt und infolgedessen bei ihrer An¬ kunft die Tür verschlossen finden, während der Schreiber mit dem Strafbuch drinnen durch die Zimmer geht und die große Menge der Fehlenden aufschreibt. Leach will selbst einmal 95 solcher aus¬ geschlossenen Arbeiter gezählt haben vor einer Fabrik, deren Uhr 30 abends eine Viertelstunde hinter und morgens eine Viertelstunde vor den öffentlichen Uhren der Stadt ging. Der Fabrikbericht erzählt ähnliche Dinge. In einer Fabrik wurde die Uhr während der Arbeitszeit zurückgesetzt, so daß länger gearbeitet wurde als die richtige Zeit und der Arbeiter doch nicht mehr Lohn bekam; 35 in einer andern wurde geradezu eine Viertelstunde länger gearbei¬ tet, in einer dritten war eine gewöhnliche Uhr und eine Maschi¬ nenuhr, welche die Anzahl der Umdrehungen des Hauptschafts anzeigte; ging die Maschinerie langsam, so wurde nach der Ma¬ schinenuhr gearbeitet, bis die für 12 Stunden berechnete Anzahl 40 Umdrehungen voll war; ging die Arbeit gut, so daß diese Zahl vor der rechten Zeit voll war, so mußten die Arbeiter dennoch bis zum Ende der zwölften Stunde fortarbeiten. Der Zeuge fügt hinzu, er habe einige Mädchen gekannt, die in guter Arbeit waren und Extrastunden arbeiteten, die aber doch lieber sich der Prostitu- 45
Sklaverei / Fabrikregeln / Trucksystem / Cottagesystem 173 tion in die Arme geworfen, als daß sie sich diese Tyrannei hätten gefallen lassen (Drinkw. evid. p. 80). — Leach erzählt, um auf die Geldstrafen zurückzukommen, er habe zu wiederholten Malen gesehen, wie hochschwangere Frauen, die sich einen Augenblick j bei ihrer Arbeit gesetzt hätten, um auszuruhen, für dies Vergehen um 6 d. gestraft wurden. — Die Strafen wegen schlechter Arbeit werden vollends willkürlich auf erlegt; die Ware wird im Lager nachgesehen, und hier schreibt der nachsehende Lagermeister die Strafen auf eine Liste, ohne den Arbeiter auch nur io herbeizurufen; dieser erfährt erst, daß er gestraft worden ist, wenn ihm der Aufseher den Lohn ausbezahlt und die Ware viel¬ leicht schon verkauft und jedenfalls auf die Seite gebracht ist. Leach besitzt eine solche Strafliste, die zusammengeheftet zehn Fuß lang ist und sich auf Pfd.St. 35-17-10 d. beläuft. Er erzählt, 13 daß in der Fabrik, wo diese Liste aufgesetzt, ein neuer Lager¬ meister entlassen worden sei, weil er zu wenig strafe und so dem Fabrikanten fünf Pfund (34 Taler) wöchentlich zu wenig ein¬ bringe (Stubbom Facts, p. 13—17). Und ich wiederhole noch¬ mals, daß ich Leach als einen durchaus zuverlässigen und einer 20 Lüge unfähigen Mann kenne. Aber auch außerdem ist der Arbeiter der Sklave seines Brot¬ herrn. Wenn dem reichen Herrn die Frau oder Tochter des Ar¬ beiters gefällt — so hat er nur zu verfügen, nur zu winken, und sie muß ihm ihre Reize opfern. Wenn der Fabrikant eine Petition 25 zum Schutz der Bourgeoisie-Interessen mit Unterschriften zu be¬ decken wünscht — er braucht sie nur in seine Fabrik zu schicken. Will er eine Parlamentswahl durchsetzen — er schickt seine stimmfähigen Arbeiter in Reih’ und Glied an die Stimmbuden, und sie müssen wohl für den Bourgeois stimmen, sie mögen wol- 30 len oder nicht. Will er in einer öffentlichen Versammlung eine Majorität haben — er entläßt sie eine halbe Stunde früher als ge¬ wöhnlich und besorgt ihnen Plätze dicht an der Tribüne, wo er sie gehörig überwachen kann. Dazu kommen aber noch zwei Einrichtungen, die ganz beson- 35 ders dazu beitragen, den Arbeiter in die Botmäßigkeit des Fabri¬ kanten zu zwingen — das Trucksystem und das Cottage- system. Truck heißt bei den Arbeitern das Bezahlen des Lohns in Waren, und dieser Zahlmodus war früher ganz allgemein in England. Der Fabrikant errichtete, „zur Bequemlichkeit der Ar- 4o beiter und um sie vor den hohen Preisen der Krämer zu schützen66, einen Laden, in dem für seine Rechnung Waren aller Art verkauft wurden; und damit der Arbeiter nicht etwa in andere Läden gehe, wo er die Waren billiger haben konnte — die Truckwaren des 25 1892 Bourgeois-Interessen
174 Die einzelnen Arbeitszweige „Tommy-Shop66 pflegten 25 bis 30 Prozent teurer zu sein als anderswo — gab man ihm auch wohl eine Anweisung auf den Laden für den Betrag seines Lohns anstatt des Geldes. Der all¬ gemeine Unwille über dies infame System veranlaßte 1831 den Truck-Akt, wodurch die Bezahlung in Waren für die meisten Ar- 5 beiter für ungültig und ungesetzlich erklärt und mit Strafen be¬ legt wurde; indes hat dies Gesetz, wie die meisten englischen Ge¬ setze, nur hier und da faktische Kraft erhalten. In den Städten freilich ist es ziemlich genau durchgeführt, auf dem Lande aber ist das direkte und indirekte Trucksystem noch in voller Blüte, io Auch in der Stadt Leicester kommt es sehr häufig vor. Mir liegen ungefähr ein Dutzend Fälle von Verurteilungen wegen dieses Ver¬ gehens vor, die von November 1843 bis Juni 1844 vorkamen und teils im „ManchesterGuardian66, teils im „Northern Star66 berichtet werden. Natürlich wird dies System jetzt nicht mehr so offen u getrieben; der Arbeiter bekommt sein Geld meistens ausbe¬ zahlt, aber der Fabrikant hat Mittel genug, ihn zu zwingen, daß er seine Waren in dem Truckladen und nirgends anderswo kauft. Daher ist den Truckfabrikanten selten beizukommen, denn jetzt können sie ihr Unwesen unter dem Schutze des Gesetzes treiben, 20 sobald sie nur dem Arbeiter das Geld wirklich in die Hände geben. Der „Northern Star66 vom 27. April 1844 gibt einen Brief eines Ar¬ beiters in Holmfirth bei Huddersfield in Yorkshire, dessen Ortho¬ graphie ich wiedergeben will, soviel es möglich ist, und der sich auf einen Fabrikanten Bowers bezieht: „Es ist vast Befremdent 25 Zu dencken Daß Daß verflugte Truk Sistim Besteehn Solde in Solger ausDenung Alz Eß thut zu Holmfirth Und niemannt gevun- den Werden Der Die Kurrase Had Den Vabrickanden 1 stok Da- for zu Steken. hier Leyden 1 groose mengge erliger hand Weeber Durg Dißem Vervlugden Siststem Hier ist 1 probe auß fielen Der 30 EdelMütigen Vrey Handelsklike*) Ist 1 vabrickand Weiger had Auff im Den flug Der Gänsen geegendt Wegen Seine Abscheuligs bedragen gegen Seinen Armen weebem wen Sie ein stük Vertig Haben so 34 oder 36 Schiling Magt Gipd er Sie 20 Shi. In gelt Und Das übrige in Tug Oder KleyderZeug Und 40 oder 50 pro 35 Zend teuerer Alz bey Den andern Verkeuffem Und wi offt Sein Die waren oben Darein nog vaul. aber Wie sagd Der Frey Han¬ dels Merkur**) Sie sein Nigt fervligtet Sie an zu Nemen Es Stet ganz in Irem beliben 0 Ja aber Sie Müsen Sie Endweder an Ne- *) Die Anhänger der Anti-Kor ngesetz-Ligue. 40 **) Der Leeds Mercury — bourgeoisie-radikales Blatt. 5 irrtümlich Bezahlung in Lohn 22 irrtümlich 1843 38 1892 Nigtt fervligte 41 1892 bourgeois-radikales Blatt
Trucksystem / Cottagesystem 175 men oder ferHungeren. Wen sie Mer Als die 20 Shil. In Geldt haben Wolen So Können Sie 8 oder 14 täge auf eine kete Wardten Aber nemen Sie Die 20 Shi. Und Die waren So ist imer 1 Kete vor sie Zu haben. Das Ist vreyer Handel, lord Brohom (Brougham) j sagd wir Sölden Edwas zu Rüklegen in unseren Junge Täge Auff Das wir Nigt die armen Casse bedürven wen wir Aid sein sollen wir Die vaule waren zu Rüklegen. wen dis Nigt kerne von einen Lord so solte Mann sagen Das sein geHim Eben So vaul were Als Die waren wo mit wir unsere arbeid bezald krigen. als die Unge- io stempelden Zeitungen Aufkamen taten Da war Ein Menge so dis Der politzei anzeigden in Holmfirth Da waren die Blyths, die Est- woods Und s. w. etcet. Aber wo sein Sie jetz aber Es ist etwas Anderes unser trukVabrickand gehörd zu die Vromme Vreihan- dels Leute Er get 2 mal in Die kirge Jeden sondag Und sagd Dem /j pfaven Andegtig Nag wir Haben unter Laßen Die Dinge so wir Haten tun solen Und wir Haben getan Die dinge so Wir heten unter Lasen solen und in Uns ist kein gut Aber schohne unser guter Gott (Worte der anglikanischen Litanei) ja schohne unser biß Morgen so bezalen wir wider Unsern Webern in vaule 20 Waren.46 — Das Cottagesystem sieht viel unschuldiger aus und ist auch auf eine viel unschuldigere Weise entstanden, obwohl es diesel¬ ben knechtenden Wirkungen für den Arbeiter hat. In der Nähe der Fabriken auf dem Lande fehlt es oft an Wohnungen für die 25 Arbeiter; der Fabrikant ist oft genötigt, solche Wohnungen zu bauen, und tut es gern, da sie ihm reichlichen Nutzen auf sein aus¬ gelegtes Kapital einbringen. Wenn die Eigentümer von Arbeiter¬ cottages etwa 6 Prozent jährlich von ihrem Kapital bekommen, so kann man rechnen, daß die Cottages dem Fabrikanten das Dop- 30 pelte eintragen, da er, solange seine Fabrik nicht gänzlich still steht, immer Mieter hat, und zwar solche Mieter, die stets bezahlen. Er ist also von den beiden Hauptnachteilen frei, die die übrigen Hausbesitzer treffen: er hat nie Cottages leer stehen und läuft kein Risiko. Die Miete einer Cottage ist 35 aber darnach berechnet, daß sie diese Nachteile deckt, und wenn der Fabrikant also dieselbe Miete nimmt wie die übrigen, so macht er mit 12—14 Prozent ein brillantes Geschäft auf Un¬ kosten der Arbeiter. Denn es ist offenbar unrecht, daß er, wenn er im Häuservermieten Geschäfte macht, einen größeren, ja den 40 doppelten Nutzen bezieht wie seine Konkurrenten und zu glei¬ cher Zeit ihnen alle Möglichkeit nimmt, mit ihm zu konkurrieren. 14 1892 sontag 16 1892 Heten 19 1892 bezahlen 26—27 da sie .. einbringen. 1887 as they yield great advantages, besides the interest upon the Capital invested.
176 Die einzelnen Arbeitszweige Doppeltes Unrecht aber ist es, daß er diesen Nutzen aus der Tasche der besitzlosen Klasse bezieht, die über jeden Pfennig haushalten muß — doch das ist e r ja gewohnt, dessen ganzer Reichtum auf Unkosten seiner Arbeiter erworben ist. Aber das Unrecht wird zur Infamie, wenn der Fabrikant, wie es oft genug geschieht, die Ar- 5 beiter, die bei Strafe der Entlassung in seinen Häusern wohnen müssen, zur Bezahlung einer höheren als der gewöhnlichen Miete oder gar dazu zwingt, Miete für ein Haus zu bezahlen, das sie gar nicht bewohnen! Der „H alifaxGuardia n“, zitiert im liberalen „S u n“, behauptet, daß Hunderte von Arbeitern in 10 Ashton-under-Lyne, Oldham und Rochdale usw. von ihren Brot¬ herren genötigt seien, Miete für Häuser zu bezahlen, gleichviel ob sie diese Häuser bewohnten oder nicht. *> Das Cottagesystem ist allgemein in den ländlichen Fabrikdistrikten; es hat ganze Ort¬ schaften hervorgerufen, und meistens hat der Fabrikant wenig oder 13 gar keine Konkurrenz mit seinen Häusern, so daß er seine Miete gar nicht nach den Forderungen anderer einzurichten braucht, sondern sie ansetzen kann, wie er will. Und welche Macht gibt das Cottagesystem erst dem Fabrikanten bei Zerwürfnissen mit den Arbeitern! Stellen diese die Arbeit ein, so hat er ihnen nur 20 die Miete zu kündigen, und die Kündigungsfrist ist nur eine Woche; nach Verlauf derselben sind die Arbeiter nicht nur brot¬ los, sondern auch obdachlos, Vagabonden, dem Gesetz verfallen, das sie ohne Gnade einen Monat auf die Tretmühle schickt. Das ist das Fabriksystem, so ausführlich geschildert, wie es 23 mein Raum erlaubt, und so unparteiisch, wie es die Heldentaten der Bourgeoisie gegen wehrlose Arbeiter, Taten, bei denen man unmöglich gleichgültig bleiben kann, bei denen Gleichgültigkeit ein Verbrechen wäre, erlauben. Vergleichen wir doch einmal die Lage des freien Engländers von 1845 mit der des leibeignen Sach- 30 sen unter der Geißel des normännischen Barons von 1145. Der Leibeigne war glebae adscriptus, an die Scholle gefesselt; der freie Arbeiter ist es auch — durch das Cottagesystem; der Leib¬ eigne schuldete dem Brotherrn das jus primae noctis, das Recht der ersten Nacht — der freie Arbeiter schuldet seinem Herrn 33 nicht nur das, sondern sogar das Recht jeder Nacht. Der Leib¬ eigne konnte kein Eigentum erwerben, alles, was er erwarb, durfte ihm der Grundherr nehmen — der freie Arbeiter hat ebenfalls kein Eigentum, kann keins erwerben durch den Druck der Kon¬ kurrenz, und was selbst der Normanne nicht tat, das tut der Fabri- 40 kant: durch das Trucksystem maßt er sich täglich die Verwaltung dessen an, wovon der Arbeiter seinen unmittelbaren Lebensunter¬ halt hat. Das Verhältnis des Leibeignen zum Grundherrn war *) Sun (Londoner Tageblatt) von Ende November 1844.
Der Leibeigne und der freie Arbeiter 177 durch Gesetze geregelt, die befolgt wurden, weil sie den Sitten entsprachen, sowie auch durch die Sitten selbst; des freien Arbei¬ ters Verhältnis zu seinem Herrn ist durch Gesetze geregelt, die nicht befolgt werden, weil sie weder den Sitten noch dem Inter- <5 esse des Herrn entsprechen. Der Grundherr konnte den Leibeignen nicht von der Scholle losreißen, ihn nicht ohne sie, und da fast alles Majorat und nirgends Kapital war, ihn überhaupt nicht ver¬ kaufen; die moderne Bourgeoisie zwingt den Arbeiter, sich selbst zu verkaufen. Der Leibeigne war Sklave des Grundstücks, auf 10 dem er geboren war; der Arbeiter ist Sklave der notwendigsten Lebensbedürfnisse und des Geldes, mit dem er sie zu kaufen hat — beide sind Sklaven der Sache. Der Leibeigne hat eine Garan¬ tie für seine Existenz an der feudalen Gesellschaftsordnung, in der jeder seine Stelle hat; der freie Arbeiter hat gar keine Garan¬ in tie, weil er nur dann eine Stelle in der Gesellschaft hat, wenn die Bourgeoisie ihn braucht — sonst wird er ignoriert, als gar nicht vorhanden betrachtet. Der Leibeigne opfert sich seinem Herrn im Kriege — der Fabrikarbeiter im Frieden. Der Herr des Leib¬ eignen war ein Barbar, er betrachtete seinen Knecht wie ein Stück 20 Vieh; der Herr des Arbeiters ist zivilisiert, er betrachtet diesen wie eine Maschine. Kurz, die beiden stehen sich in allem so ziem¬ lich gleich, und wenn auf einer Seite Nachteil ist, so ist es auf der des freien Arbeiters. Sklaven sind sie beide, nur daß die Knecht¬ schaft des einen ungeheuchelt, offen, ehrlich ist, und die des an- 25 dem heuchlerisch, hinterlistig verheimlicht vor ihm selbst und allen andern, eine theologische Leibeigenschaft, die schlimmer ist als die alte. Die humanen Tories hatten recht, als sie den Fabrik¬ arbeitern den Namen: white Slaves, weiße Sklaven, gaben. Aber die heuchlerische, sich versteckende Knechtschaft erkennt wenig- 3o stens das Recht auf Freiheit dem Scheine nach an; sie beugt sich der freiheitliebenden öffentlichen Meinung, und darin liegt der historische Fortschritt gegen die alte Sklaverei, daß wenigstens das Prinzip der Freiheit durchgesetzt ist — und die Unter¬ drückten werden schon dafür sorgen, daß dies Prinzip auch durch- 35 geführt werde. — Zum Schluß ein paar Strophen eines Gedichts, das die Ansicht der Arbeiter selbst über das Fabriksystem aus¬ spricht. Es ist von Edward P. Mead in Birmingham und der rich¬ tige Ausdruck der unter den Arbeitern herrschenden Gesinnung. Ein König lebt, ein zorniger Fürst, 40 Nicht des Dichters geträumtes Königsbild, Ein Tyrann, den der weiße Sklave kennt, Und der Dampf ist der König wild. 26 theologische 1887 hypocritical 35—38 1887 fehlt Zum Schluß .. Gesinnung, und das Gedicht Man-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 12
178 Die einzelnen Arbeitszweige Er hat einen Arm, einen eisernen Arm, Und obgleich er nur Einen trägt; In dem Arme schafft eine Zauberkraft, Die Millionen schlägt. Wie der Moloch grimm, sein Ahn, der einst s Im Tale Himmon saß, Ist Feuersglut sein Eingeweid’, Und Kinder sind sein Fraß. Seine Priesterschar, der Menschheit bar, Voll Blutdurst, Stolz und Wut, Sie lenken — o Schänd’! — seine Riesenhand Und zaubern Gold aus Blut. Sie treten in Staub das Menschenrecht Für das schnöde Gold, ihren Gott, Des Weibes Schmerz ist ihnen Scherz, u Des Mannes Trän’ ihr Spott. Musik ist ihrem Ohr das Schrei’n Des Armen im Todeskampf; Skelette von Jungfrau’n und Knaben füll’n Die Höllen des König Dampf. 20 Die Höll’n auf Erd’! sie verbreiten Tod, Seit der Dampf herrscht, rings im Reich, Denn des Menschen Leib und Seele wird Gemordet d’rin zugleich. Drum nieder den Dampf, den Moloch wild, 25 Arbeitende Tausende, all’, Bind’t ihm die Hand, oder unser Land Bringt er über Nacht zu Fall! Und seine Vögte grimm, die Mill-Lords stolz, Goldstrotzend und blutigrot, 30 Stürzen muß sie des Volkes Zorn, Wie das Scheusal, ihren Gott!*) *) Ich habe weder Zeit noch Raum, mich weitläufig auf die Entgeg¬ nungen der Fabrikanten auf die gegen sie seit zwölf Jahren gerichteten Anklagen einzulassen. Die Leute sind nun einmal nicht zu belehren, weil 35 ihr vermeintliches Interesse sie blendet. Da ohnehin in obigem manche ihrer Einwände schon gelegentlich beseitigt sind, so bleibt mir nun fol¬ gendes zu sagen. — Ihr kommt nach Manchester, Ihr wollt die englischen Zustände kennen lernen. Ihr habt gute Empfehlungen an „respektable“ Leute, natürlich. 40
Der Leibeigne und der freie Arbeiter 179 Ihr laßt einige Äußerungen über die Lage der Arbeiter fallen. Man macht Euch mit ein paar der ersten liberalen Fabrikanten bekannt, etwa Robert Hy de Greg, Edmund Ashworth, Thomas Ashton, oder so. Ihr erzählt ihm von Euren Absichten. Der Fabrikant versteht Euch, er weiß, was er zu <5 tun hat. Er fährt mit Euch auf seine Fabrik auf dem Lande — Herr Greg nach Quarry-Bank in Cheshire, Herr Ashworth nach Turton bei Bolton, Herr Ashton nach Hy de. Er führt Euch durch ein prächtiges, wohl einge¬ richtetes, vielleicht mit Ventilatoren versehenes Gebäude, er macht Euch auf die hohen, luftigen Räume, die schönen Maschinen, hier und da auf 10 gesundaussehende Arbeiter aufmerksam. Er gibt Euch ein gutes Früh¬ stück und schlägt Euch vor, die Wohnungen der Arbeiter zu besuchen — er führt Euch an die Cottages, die neu, reinlich und nett aussehen, und geht mit Euch in diese und jene selbst hinein. Natürlich, nur zu den Auf¬ sehern, Mechanikern usw., damit Ihr „Familien seht, die ganz von der j.5 Fabrik leben“. Bei den andern dürftet Ihr ja finden, daß nur Frau und Kinder arbeiten und der Mann Strümpfe stopft. Die Gegenwart des Fabri¬ kanten hindert Euch, indiskrete Fragen zu tun; Ihr findet die Leute alle gut bezahlt, komfortabel, von wegen der Landluft verhältnismäßig gesund, Ihr fangt an, Euch von Euren überspannten Ideen von Elend und Hun- 20 gersnot zu bekehren. Daß aber das Cottagesystem die Arbeiter zu Sklaven macht, daß vielleicht ein Truckladen in der Nähe ist, das erfahrt Ihr nicht, daß die Leute den Fabrikanten hassen, das zeigen sie Euch nicht, weil er dabei ist. Er hat wohl gar auch Schule, Kirche, Lesezimmer etc. errichtet. Daß er die Schule dazu gebraucht, die Kinder an die Subordina- 25 tion zu gewöhnen, daß er im Lesezimmer nur solche Sachen duldet, in denen das Interesse der Bourgeoisie vertreten wird, daß er seine Leute wegschickt, wenn sie chartistische und sozialistische Blätter und Bücher lesen — das ist Euch all verborgen. Ihr seht ein behagliches patriarcha¬ lisches Verhältnis, Ihr seht das Leben der Aufseher, Ihr seht, was die 30 Bourgeoisie den Arbeitern verspricht, wenn sie auch geistig ihre Sklaven werden wollen. Diese „ländliche Fabrikation“ ist von jeher das Steckenpferd der Fabrikanten gewesen, weil hier die Nachteile des Fabrik¬ systems, besonders die sanitärischen, teilweise durch die freie Luft und Umgebung aufgehoben werden, und weil hier die patriarchal ische 35 Knechtschaft der Arbeiter sich am längsten erhält. Dr. Ure singt einen Dithyrambus darauf. Aber wehe, wenn die Arbeiter sich einfallen lassen, selbst zu denken und Chartisten zu werden — da hört die väterliche Zu¬ neigung des Fabrikanten mit einem Male auf. — Übrigens, wollt Ihr etwa durch die Arbeiterviertel von Manchester geführt werden, wollt Ihr 40 die Ausbildung des Fabriksystems in einer Fabrik stadt sehen — ja, da könnt Ihr lange warten, bis Euch diese reichen Bourgeois dabei be¬ hilflich sind! Die Herren wissen nicht, was ihre Arbeiter wollen und in welcher Lage sie sind, und sie wollen, sie dürfen es nicht wissen, weil sie immer fürchten müssen, Dinge zu erfahren, bei denen sie unruhig werden 45 oder gar ihrem Interesse zuwiderhandeln müßten. Ist auch höchst gleich¬ gültig — was die Arbeiter durchzuführen haben, setzen sie schon allein durch. 3—4 Orig, Man erzählt ihm von seinen 12*
Die übrigen Arbeitszweige Wenn wir bei der Schilderung des Fabriksystems uns länger aufzuhalten hatten, weil es eine ganz neue Schöpfung der indu- striellen Zeit ist, so werden wir uns bei den übrigen Arbeitern desto kürzer fassen können, indem hier entweder das, was von den industriellen Proletariern überhaupt, oder was vom Fabrik¬ system im besondren gesagt ist, ganz oder teilweise seine An¬ wendung findet. Wir werden also nur zu berichten haben, inwie¬ fern namentlich das Fabriksystem bei den einzelnen Arbeits¬ zweigen sich einzudrängen gewußt hat, und was sich sonst Eigen-10 tümliches bei ihnen vorfindet. Die vier Arbeitszweige, auf die sich das Fabrikgesetz erstreckt, bezwecken die Anfertigung von Stoffen zur Kleidung. Wir werden am besten tun, hier gleich diejenigen Arbeiter folgen zu lassen, welche ihr Material aus diesen Fabriken erhalten, und zwar zu- /s erst die Strumpfwirker von Nottingham, Derby und Leicester. Über diese Arbeiter berichtet der Child. Empl. Rept., daß die lange Arbeitszeit (die durch niedrigen Lohn erzwungen wird) vereint mit der sitzenden Lebensart und der Anstrengung der Augen, welche aus der Natur der Arbeit selbst hervorgeht, gewöhnlich den 20 Körper im allgemeinen kränklich und besonders die Augen schwach macht. Ohne sehr starkes Licht kann bei Abend nicht ge¬ arbeitet werden, und so wenden die Weber gewöhnlich Glaskugeln an, um das Licht zu konzentrieren, was die Augen sehr angreift. Im vierzigsten Jahre müssen sie fast alle eine Brille gebrauchen. Die 25 Kinder, welche dabei mit Spulen und Nähen (Säumen) beschäf¬ tigt werden, leiden gewöhnlich an ihrer Gesundheit und Konsti¬ tution bedeutenden Schaden. Sie arbeiten vom sechsten, siebenten oder achten Jahre an in kleinen, dumpfigen Zimmern zehn bis zwölf Stunden. Viele werden bei der Arbeit ohnmächtig, zu 30 schwach für die gewöhnlichste Hausarbeit und so kurzsichtig, daß sie schon während der Kindheit Brillen tragen müssen. Viele wurden von den Kommissären mit allen Symptomen skrofulöser Konstitution gefunden, und die Fabrikanten weigern sich meistens wegen der Schwäche der Mädchen, die so gearbeitet haben, sie in 35 der Fabrik zu beschäftigen. Der Zustand dieser Kinder wird als „ein Schandfleck für ein christliches Land46 bezeichnet und der Wunsch nach gesetzlichem Schutz ausgesprochen (Grainger, Rept.
Die Strumpfwirker 181 App. Pt. 1, p. F. 16, ss. 132—142). Der Fabrikbericht setzt hin¬ zu, daß die Strumpfwirker die am schlechtesten bezahlten Arbeiter in Leicester seien — sie verdienten 6 Shill. und bei großer An¬ strengung 7 Shill. wöchentlich durch täglich 16 bis Ißstündige 5 Arbeit. Früher verdienten sie 20 bis 21 Shill., aber die Einführung der vergrößerten Stühle habe ihr Geschäft verdorben, die große Majorität arbeite noch auf den älteren, einfachen Stühlen und kon¬ kurriere mühselig gegen den Fortschritt der Maschinerie. Also auch hier jeder Fortschritt ein Rückschritt für den Arbeiter! Aber io trotz alledem, erzählt Kommissär Power, seien die Strumpfwirker stolz darauf, daß sie frei seien und keine Fabrikglocke hätten, die ihnen die Zeit zum Essen, Schlafen und Arbeiten zu¬ messe. Die Lage dieser Arbeiterklasse ist in Beziehung auf den Lohn noch nicht besser als 1833, wo die Fabrikkommission die 15 obigen Angaben machte — die Konkurrenz der sächsischen Strumpfwirker, die selbst kaum etwas zu beißen haben, sorgt da¬ für. Sie schlägt die Engländer auf fast allen fremden und in den geringen Qualitäten sogar im englischen Markt — muß es nicht eine Freude für den deutschen patriotischen Strumpfwirker sein, 20 durch seinen Hunger die englischen Strumpfwirker auch brotlos zu machen, und wird er nicht zum größeren Ruhme der deutschen Industrie stolz und freudig forthungem, da doch Deutschlands Ehre es fordert, daß seine Schüssel nur halb voll sei? 0 es ist eine schöne Sache um die Konkurrenz und den „Wettlauf der Na¬ ss tionen“! Im „MorningChronicle“ — wieder ein liberales Blatt, das Blatt der Bourgeoisie par excellence — finden sich im Dezember 1843 einige Briefe von einem Strumpfwirker in Hinckley über die Lage seiner Arbeitsgenossen. Er berichtet unter andern von 50 Familien, zusammen 321 Personen, die von 109 Webstühlen 30 lebten; jeder Webstuhl trug durchschnittlich 5V0 Shill. ein, jede Fa¬ milie verdiente durchschnittlich wöchentlich 11 Shill. 4 Pence. Da¬ von gingen ab für Hausmiete, Strumpf Stuhlmiete, Kohlen, Licht, Seife, Nadeln zusammen 5 Shill. 10 Pence, so daß für Nahrung auf jeden Kopf täglich V/2 Pence — 15 Pfennige preuß. — übrig 35 blieben, und für Kleidung gar nichts. „Kein Auge64, sagt der Strumpfwirker, „hat gesehen, kein Ohr gehört und kein Herz fassen können die Hälfte der Leiden, die diese armen Leute erdulden.44 Betten fehlten ganz oder zur Hälfte, die Kinder liefen zerlumpt und barfuß umher; die Männer sagten mit Tränen in den Augen: 40 „Wir haben lange, lange kein Fleisch gehabt, wir haben fast ver¬ gessen, wie es schmeckt44 — und zuletzt arbeiteten einige des Sonn¬ tags, obwohl die öffentliche Meinung alles eher verzeiht als das, und obwohl der rasselnde Lärm des Webstuhls in der ganzen Nach¬ barschaft gehört wird. „Aber,44 sagte einer, „seht doch meine 45 Kinder an und laßt das Fragen. Meine Armut zwingt mich dazu;
182 Die übrigen Arbeitszweige ich kann und will meine Kinder nicht ewig um Brot schreien hören, ohne das letzte Mittel zu versuchen, durch das ich mir ehrlich Brot erwerben kann. Vorigen Montag stand ich um zwei Uhr auf und arbeitete bis beinahe Mitternacht, die übrigen Tage von sechs Uhr morgens bis zwischen elf und zwölf in der Nacht. Ich bin es leid, ich will mich nicht ins Grab bringen. Jetzt höre ich jeden Abend um zehn Uhr auf und hole die verlorne Zeit Sonntags nach.66 — Der Lohn ist weder in Leicester noch in Derby und Nottingham ge¬ stiegen gegen 1833, und was das Schlimmste ist, in Leicester herrscht das Trucksystem, wie schon früher gesagt, in großer Aus-10 dehnung. Es ist daher auch nicht zu verwundern, daß die Wirker dieser Gegend an allen Arbeiterbewegungen sehr lebhaften Anteil genommen haben, und um so tätiger und wirksamer, da die Stühle selbst meistens von Männern in Bewegung gesetzt werden. In derselben Gegend, wo die Strumpfwirker leben, ist auch der 13 Hauptsitz der Spitzenfabrikation. In den genannten drei Graf¬ schaften sind im ganzen 2760 Spitzenmaschinen im Gange, wäh¬ rend im übrigen Teile von England nur 786 existieren. Die Spitzenfabrikation ist durch eine streng durchgeführte Teilung der Arbeit sehr verwickelt geworden und hat eine Menge Zweige. Zu- 20 erst muß das Garn gespult werden, was von Mädchen von 14 Jah¬ ren aufwärts geschieht (winders); dann werden die Spulen von Knaben (threaders) vom achten Jahre aufwärts auf die Maschine gesetzt und der Faden durch feine Öffnungen, deren jede Ma¬ schine durchschnittlich 1800 hat, eingefädelt und seiner Bestim- 25 mung entgegen geleitet; dann macht der Arbeiter die Spitzen, die wie ein breites Tuch aus der Maschine kommen und von ganz kleinen Kindern durch Herausziehen der verbindenden Fäden in ihre einzelnen Stücke zerlegt werden — dies heißt running oder drawing lace, und die Kinder selbst lace-runners. Dann werden 30 die Spitzen zum Verkauf fertig gemacht. — Die winders wie die threaders haben keine bestimmte Arbeitszeit, da sie in Anspruch genommen werden, sobald die Spulen einer Maschine abgelaufen sind, und da die Arbeiter auch nachts weben, so können sie zu jeder Zeit in die Fabrik oder Arbeitsstube des Webers gerufen 35 werden. Diese Unregelmäßigkeit der Beschäftigung, das häufige Nachtarbeiten, die unordentliche Lebensart, die daraus folgt, er¬ zeugt eine Menge physischer und moralischer Übel, besonders regellosen und frühen geschlechtlichen Verkehr, worüber alle Zeugen einig sind. Die Arbeit selbst ist dem Auge sehr nachteilig; 40 obwohl ein dauernder Nachteil bei den Threaders nicht allge¬ mein ausgemacht ist, so erzeugt sie doch Augenentzündungen, und während des Einfädelns selbst Schmerzen, Tränenfluß, momen¬ tane Unklarheit des Gesichts etc. Bei den Winders ist es aber aus¬ gemacht, daß ihre Arbeit die Augen ernstlich angreift und außer 45
Spitzenfabrikation 183 den häufigen Entzündungen der Hornhaut auch den grauen und schwarzen Star nicht selten hervorbringt. — Die Arbeit der Wir¬ ker selbst ist sehr schwer, da die Maschinen mit der Zeit immer breiter gemacht worden sind, so daß es jetzt fast nur solche gibt, <5 die von drei Männern bearbeitet werden, von denen jeder nach vier Stunden den andern ablöst, so daß sie zusammen alle 24 Stunden und jeder acht Stunden täglich arbeiten. Hieraus wird klar, wes¬ halb die Winder und Threader so oft nachts an die Arbeit müssen, damit die Maschine nicht zu lange stillstehe. Das Einfädeln der io Spulen in 1800 Öffnungen nimmt ohnehin drei Kindern zwei Stun¬ den Zeit weg. Manche Maschinen werden auch durch Dampfkraft getrieben und dadurch die Arbeit der Männer verdrängt, und da der Ch. E. Rept. immer nur von „Spitzenfabriken66 spricht, wohin die Kinder gerufen würden, so scheint hieraus zu folgen, daß neuer- 1.5 dings entweder die Arbeit der Wirker in große Fabriksäle verlegt, oder die Anwendung der Dampfwirkerei ziemlich allgemein ge¬ worden ist. In beiden Fällen Fortschritt des Fabriksystems. — Am ungesundesten ist aber die Arbeit der Runner, die meist Kin¬ der von sieben, ja fünf oder vier Jahren sind. Kommissär Grainger 20 fand sogar ein Kind von zwei Jahren mit dieser Arbeit be¬ schäftigt. Das Verfolgen eines und desselben Fadens, der aus einem künstlich verschlungenen Gewebe mit der Nadel herausge¬ nommen wird, ist dem Auge sehr schädlich, besonders wenn die Arbeit, wie dies gewöhnlich, vierzehn bis sechzehn Stunden fort- 25 gesetzt wird. Im gelindesten Falle tritt Kurzsichtigkeit in sehr hohem Grade, im schlimmsten, der oft genug vorkommt, unheil¬ bare Erblindung durch den schwarzen Star ein. Außerdem aber werden die Kinder durch das fortwährende Krummsitzen schwäch¬ lich, engbrüstig und infolge schlechter Verdauung skrofulös; so Störungen der Funktionen des Uterus bei Mädchen sind fast all¬ gemein, und ebenso die Verkrümmung des Rückgrats, so daß „man die Runner alle an ihrem Gange kennen kann66. Dieselben Folgen hat sowohl für die Augen wie für die ganze Konstitution das Sticken der Spitzen. Die medizinischen Zeugen sind alle 3.5 darüber einig, daß die Gesundheit aller beim Spitzenmachen be¬ schäftigten Kinder bedeutend leidet, daß diese Kinder blaß, zart, schwach, zu klein für ihr Alter, und weit seltener als andre fähig sind, einer Krankheit zu widerstehen. Ihre gewöhnlichen Übel sind: allgemeine Schwäche, häufige Ohnmächten, Schmerzen im 4o Kopf, Seiten, Rücken und Hüften, Herzklopfen, Übelkeit, Er¬ brechen und Mangel an Appetit, Verkrümmung des Rückgrats, Skrofeln und Auszehrung. Besonders wird die Gesundheit des weiblichen Körpers fortwährend und tief untergraben; über 5—6 1887 fehlt von denen .. ablöst,
184 Die übrigen Arbeitszweige Bleichsucht, schwere Geburten und Abortion wurde allgemein ge¬ klagt (Grainger, Report durchgängig). Dazu berichtet der¬ selbe Unterbeamte der Child. Empl. Comm., daß die Kinder sehr häufig schlecht und zerlumpt gekleidet seien und ungenügende Nahrung, meist nur Brot und Tee, oft monatelang kein Fleisch 5 bekämen. — Was den sittlichen Zustand derselben betrifft, so be¬ richtet er: „Alle Einwohner von Nottingham, Polizei, Geistlichkeit, Fabrikanten, Arbeiter und die Eltern der Kinder selbst sind der einhelligen Überzeugung, daß das gegenwärtige System der Arbeit eine höchst fruchtbare Quelle der Immoralität ist. Die 10 Threader, meist Knaben, und die Winder, meist Mädchen, werden zu gleicher Zeit in der Fabrik verlangt — oft mitten in der Nacht, und da ihre Eltern nicht wissen können, wie lange sie dort ge¬ braucht werden, so haben sie die schönste Gelegenheit, ungehörige Verbindungen zu schließen und sich nach der Arbeit zusammen 15 herumzutreiben. Das hat in keinem geringen Grade zu der Im¬ moralität beigetragen, welche in Nottingham, laut der öffentlichen Stimme, in einer schrecklichen Ausdehnung existiert. Ohnehin wird die häusliche Ruhe und Bequemlichkeit der Familien, zu denen die Kinder und jungen Leute gehören, diesem höchst un- 20 natürlichen Stand der Dinge gänzlich geopfert.66 Ein anderer Zweig der Spitzenfabrikation, das Spitzenklöp¬ peln, wird in den sonst ackerbauenden Grafschaften Northamp- ton, Oxford, Bedford und Buckingham betrieben, und zwar meist von Kindern und jungen Leuten, die allgemein über schlechte 25 Nahrung klagen, und selten Fleisch zu essen bekommen. Die Ar¬ beit selbst ist höchst ungesund. Die Kinder arbeiten in kleinen, schlecht ventilierten und dumpfigen Zimmern, stets sitzend und krumm gebeugt über das Klöppelkissen. Um den Körper in die¬ ser anstrengenden Stellung zu unterstützen, tragen die Mädchen 30 eine Schnürbrust mit hölzernem Blankscheit, das bei dem zarten Alter der meisten, in dem die Knochen noch sehr weich sind, und bei der gebückten Stellung das Brustbein und die Rippen gänzlich verrückt und allgemein Engbrüstigkeit veranlaßt. Die meisten sterben daher, nachdem sie infolge der sitzenden Arbeit und 35 schlechten Atmosphäre eine Zeitlang an den schmerzlichsten (se- verest) Wirkungen schlechter Verdauung gelitten haben, an der Schwindsucht. Sie genießen fast gar keine Bildung, am wenig¬ sten sittliche, lieben den Putz, und infolge von beidem ist ihr sitt¬ licher Zustand sehr beklagenswert und Prostitution unter ihnen 40 fast epidemisch (Ch. Empl. Comm., Burns, Report). Das ist der Preis, um den die Gesellschaft den schönen Damen der Bourgeoisie das Vergnügen erkauft, Spitzen zu tragen — und 24 1887 fehlt Buckingham
Kattundrucker 185 ist es nicht ein sehr billiger Preis? Nur ein paar tausend blinde Arbeiter, nur einige schwindsüchtige Proletariertöchter, nur eine sieche Generation der pöbelhaften Masse, die ihr Siechtum auf ihre gleich pöbelhaften Kinder und Kindeskinder vererben wird 5 — was ist das alles? Nichts, gar nichts, unsere englische Bour¬ geoisie wird den Bericht der Regierungskommission gleichgültig beiseite legen und ihre Frauen und Töchter nach wie vor mit Spit¬ zen schmücken. Es ist doch eine schöne Sache um die Gemüts¬ ruhe eines englischen Bourgeois! 10 Eine große Anzahl Arbeiter werden in Lancashire, Derby¬ shire und dem Westen von Schottland in den Kattundruckereien beschäftigt. In keiner Branche der englischen Industrie hat die Mechanik so glänzende Resultate hervorgebracht, aber auch in keiner hat sie den Arbeiter so gedrückt wie in dieser. Die An¬ is Wendung von dampfgetriebenen gravierten Zylindern, die Erfin¬ dung, mit solchen Zylindern vier bis sechs Farben zu gleicher Zeit zu drucken, hat die Handarbeit so vollkommen verdrängt, wie die Maschinen beim Spinnen und Weben der Baumwolle dies taten, und diese neuen Einrichtungen haben in den Druckereien noch 20 viel mehr Arbeiter verdrängt als dies beim Anfertigen der Stoffe geschah. Ein Mann, von einem Kinde unterstützt, tut mit der Ma¬ schine die Arbeit, die früher von 200 Arbeitern mit der Hand ge¬ tan werden mußte; eine einzige Maschine liefert jede Minute 28 Yards (80 Fuß) bedrucktes Tuch. Infolgedessen sind die 25 Kattundrucker in einer sehr schlimmen Lage; die Grafschaften Lancaster, Derby und Chester lieferten (laut Petition der Druk- ker ans Unterhaus) im Jahre 1842 elf Millionen Stück gedruck¬ ten Kattun; von diesen wurden 100000 durch Handarbeit allein, 900000 teilweise durch Maschinen mit Nachhilfe von Hand- 30 druck und 10 Millionen allein durch Maschinerie mit von einer bis zu sechs Farben bedruckt. Da die Maschinen meist neueren Datums sind und noch stets verbessert werden, so ist die Zahl der Handdrucker viel zu groß für das disponible Arbeitsquantum, und natürlich sind viele — in der Petition wird gesagt, ein Vier- 35 tel der ganzen Zahl — ganz brotlos, während die übrigen durch¬ schnittlich nur einen oder zwei, höchstens drei Tage in der Woche beschäftigt sind und schlecht bezahlt werden. Leach behauptet von einer Druckerei (Deeply Dale, bei Bury in Lancashire), daß die Handdrucker dort durchschnittlich nicht mehr als 5 Shill. 40 verdienten (Stubb. Facts, p. 47), während er allerdings wohl weiß, daß die an den Maschinen Arbeitenden ziemlich gut be¬ zahlt werden. Die Druckereien sind also dem Fabriksystem voll¬ ständig beigetreten, aber ohne unter den diesem auferlegten ge¬ setzlichen Beschränkungen zu stehen. Sie fabrizieren einen Mode- 45 artikel und haben daher keine regelmäßige Arbeitszeit. Haben
186 Die übrigen Arbeitszweige sie wenig Aufträge, so arbeiten sie die halbe Zeit; tun sie mit einem Muster einen guten Treffer und geht das Geschäft flott, so wird bis zehn, zwölf Uhr, ja die ganze Nacht durch gearbeitet. In der Nähe meiner Wohnung bei Manchester war eine Druckerei, die manches Mal bis tief in der Nacht, wenn ich nach Hause kam, 3 noch erleuchtet war, und ich habe oft gehört, daß dort die Kin¬ der zuweilen so lange zu arbeiten hätten, daß sie auf den steiner¬ nen Treppen und im Vorhause in den Winkeln ein paar Augen¬ blicke Ruhe und Schlaf zu erhaschen suchten. Ich weiß nicht juristisch gewiß, ob es wahr ist, sonst würde ich die Firma 10 nennen. Der Bericht der Ch. E. Comm. ist hier sehr flüchtig, er berichtet bloß, daß in England wenigstens die Kinder meist ziem¬ lich gut gekleidet und genährt sind (dies ist relativ, je nachdem ihre Eltern viel verdienen oder nicht), daß sie gar keine Bildung haben und moralisch wenig taugen. Wir brauchen bloß zu be-15 denken, daß diese Kinder unter dem Fabriksystem stehen, und können dann, auf das hierüber Gesagte weisend, weiter gehen. Von den übrigen, mit der Fabrikation von Kleiderstoffen be¬ schäftigten Arbeitern bleibt uns wenig zu sagen; die Bleicher haben eine sehr ungesunde Arbeit, bei der sie fortwährend Chlor, 20 einen der für die Lunge nachteiligsten Stoffe, einzuatmen haben; die Arbeit der Färber ist schon gesunder, in vielen Fällen sehr gesund, da sie Anstrengung des ganzen Körpers erfordert; wie diese Klassen bezahlt werden, darüber hört man wenig, und das ist Ursache genug zu dem Schluß, daß sie nicht unter dem Durch- 25 schnittslohn bekommen, weil sie sich sonst schon beschweren würden. Die Samtscherer, die bei dem großen Verbrauch von Baumwollensamt ziemlich zahlreich sind und sich auf 3—4000 belaufen, haben indirekt sehr hart durch den Einfluß des Fabriksystems gelitten. Die Ware, die früher mit Handweb- 30 Stühlen gemacht wurde, war nicht ganz egal gewebt und erforderte eine geübte Hand im Aufschneiden der einzelnen Fadenreihen; seitdem sie mit mechanischen Stühlen gemacht, laufen die Rei¬ hen ganz egal, jeder Einschlagsfaden ist genau dem vorhergehen¬ den parallel, und das Auf schneiden ist keine große Kunst mehr. 35 Die durch Maschinerie brotlos gewordenen Arbeiter werfen sich auf das Samtscheren und drücken den Lohn durch ihre Konkur¬ renz; die Fabrikanten entdeckten, daß sie Weiber und Kinder zum Samtscheren gebrauchen konnten — und der Lohn sank auf den von Weibern und Kindern, während Hunderte von Männern 40 verdrängt wurden: die Fabrikanten entdeckten, daß sie die Arbeit in ihrem Fabriklokal billiger tun lassen konnten als in der Werk¬ statt des Arbeiters, für die sie doch die Miete indirekt bezahlten; seitdem stehen die zu Scherzimmern eingerichteten, niedrigen Oberstockwerke vieler Cottages leer oder werden als Wohnungen 45
Samtscherer / Seidenweber 187 vermietet, während der Samtscherer die Freiheit der Wahl seiner Arbeitsstunden verloren hat und unter die Botmäßigkeit der Fabrikglocke gebracht ist. Mir sagte ein Samtscherer, der 45 Jahre alt sein mochte, er könne sich der Zeit erinnern, wo er für dieselbe 5 Arbeit, die er jetzt für 1 d. die Yard tun müsse, 8 d. erhalten habe; allerdings könne er das egalere Gewebe rascher scheren als das frühere, aber er könne in der Stunde lange nicht das Dop¬ pelte von dem tun, was er früher in derselben Zeit getan — so daß sein Wochenlohn auf weniger als 44 seines früheren gesun- w ken ist. Leach gibt (Stubb. F. p. 35) eine Liste der Löhne, die 1827 und 1843 für verschiedene Stoffe bezahlt wurden, woraus hervorgeht, daß die Artikel, welche 1827 4 d., 244 d., 23/4 d., 1 d. per Yard bezahlt wurden, im Jahre 1843 nur IV2 d., % d., 1 d. und 3/s d. per Yard Scherlohn erhielten. Das Verhältnis des 13 durchschnittlichen wöchentlichen Verdienstes stellt sich nach Leach so: 1827 Pfd. St. 1-6-6 d., Pfd. St. 1-2-6 d., Pfd. St. 1 , Pfd. St. 1-6-6 d., und für gleiche Waren 1843 Pfd. St. 10-0 d., Pfd. St. 7-6 d., Pfd. St. 6-8 d., Pfd. St. 10 , und es gibt Hunderte von Arbeitern, die zu diesen letzten Lohnsätzen 20 nicht einmal ankommen können. — Von den Handwebern der Baumwollen-Industrie haben wir schon gesprochen; die übri¬ gen Webestoffe werden fast ausschließlich durch Handweber ver¬ fertigt, die meist auf dieselbe Weise wie die Samtscherer, durch Eindringen der durch Maschinen verdrängten Arbeiter gelitten 25 haben, und außerdem, wie die Fabrikarbeiter, unter einem stren¬ gen Strafgesetz wegen schlechter Arbeit stehen. Nehmen wir die Seidenweber. Der Seidenfabrikant Brocklehurst, einer der bedeutendsten von ganz England, hat einem Parlamentskomitee Listen aus seinen Büchern vorgelegt, aus denen hervorgeht, daß 30 er für dieselben Artikel, für die er 1821 30 Sh., 14 Sh., 34£ Sh., 3/4 Sh., V/12 Sh., 10 Sh. Lohn bezahlte, 1831 nur 9 Sh., 7V2 Sh., 244 Sh., Vb Sh., ¥2 Sh., 6V4 Sh. bezahlt, während doch hier keine Verbesserungen der Maschinerie eingetreten waren. Was Hr. Brocklehurst aber tut, kann wohl als Norm für ganz England an- 35 genommen werden. Aus denselben Listen geht hervor, daß der Durchschnittsverdienst seiner Weber nach allen Abzügen 1821 wöchentlich I6V2 Sh. und 1831 nur 6 Sh. betrug. Seitdem ist der Lohn noch mehr gefallen — die Gewebe, die 1831 1/3 Sh. oder 4 Pence Weblohn per Yard brachten, bezahlen 1843 nur 2 ¥2 Pence 40 (es sind die single sarsnets) — und eine große Anzahl von We¬ bern auf dem Lande können sich nur Arbeit verschaffen, wenn sie diese Gewebe für 14£—2 Pence annehmen. Dazu kommt die willkürliche Lohn Verkürzung. Jeder Weber, der eine Kette holt, 43 1892 willkürlichste
188 Die übrigen Arbeitszweige bekommt eine Karte dazu, worauf gewöhnlich steht: daß zu die¬ sen oder jenen Tagesstunden die Arbeit angenommen wird, daß ein Weber, der krankheitshalber nicht arbeiten kann, dies inner¬ halb drei Tagen am Comptoir muß anzeigen lassen, sonst gilt Krankheit für keine Entschuldigung; daß es nicht als genügende 5 Entschuldigung angenommen wird, wenn der Weber sagt, er habe auf Garn für den Einschlag warten müssen, daß für gewisse Ver¬ sehen an der Arbeit (wenn z. B. auf eine gewisse Länge des Stoffs mehr Einschlagsfäden kommen, als vorgeschrieben etc.) nicht weniger als der halbe Lohn abgezogen werden soll, und daß, 10 wenn der Stoff nicht in der bestimmten Zeit fertig ist, für jede Yard des auf gegebenen Stücks ein Penny deduziert wird. — Die Lohnverkürzungen infolge dieser Karten sind so bedeutend, daß z. B. ein Mann, der zweimal wöchentlich nach Leigh in Lancashire kommt, um die Gewebe anzunehmen, seinem Fabrikanten min- 15 destens fünfzehn Pfund (100 Taler preuß.) an Strafgeldern jedes Mal mitbringt. So sagt er selbst — und er gilt für einen der Tolerantesten. Früher wurden dergleichen Sachen durch Schieds¬ richter entschieden, aber da die Arbeiter meist entlassen wurden, wenn sie darauf drangen, so ist dies jetzt ganz abgekommen, und 20 der Fabrikant verfährt ganz willkürlich, ist Ankläger, Zeuge, Richter, Gesetzgeber und Vollstrecker, alles in einer Person. Und geht der Arbeiter zum Friedensrichter, so heißt es: dadurch, daß Ihr die Karte annahmt, seid Ihr einen Kontrakt eingegangen, und den müßt Ihr jetzt erfüllen. Gerade wie bei den Fabrikarbeitern. 25 Ohnehin läßt der Fabrikant den Arbeiter jedesmal ein Dokument unterzeichnen, worin dieser erklärt, er „willige in die gemachten Abzüge“. Und sperrt er sich, so wissen gleich alle Fabrikanten der Stadt, daß er ein Mann ist, der, wie Leach sagt, der „durch Karten verbrieften Ordnung und Gesetzlichkeit widerstrebt und 30 die Frechheit hat, an der Weisheit derer zu zweifeln, die, wie er wissen müßte, doch seine Vorgesetzten in der Gesellschaft sind“ (Stubb. Fact., p. 37—40). Natürlich, die Weber sind voll¬ kommen frei, der Fabrikant zwingt sie ja nicht, seine Ketten und Karten zu nehmen, aber er sagt ihnen, wie Leach es in gutes 35 Englisch übersetzt: „wollt Ihr nicht in meiner Schmorpfanne ge¬ braten werden, so könnt Ihr auch geradezu ins Feuer spazieren“ (if you don’t like to be frizzled in my frying-pan, you can take a walk into the fire). — Die Seidenweber von London, in Spital- fields namentlich, haben seit geraumer Zeit periodisch im groß- 40 ten Elend gelebt, und daß sie auch jetzt noch mit ihrer Lage keine Ursache haben zufrieden zu sein, folgt daraus, daß sie einen höchst tätigen Anteil an allen englischen und namentlich 15 1892 kommt, um die Gewebe abzunehmen, 39 1892 in London
Metallwaren / Birmingham 189 Londoner Arbeiterbewegungen nehmen. Die unter ihnen herr¬ schende Not war die Ursache des Fiebers, das im östlichen Teile von London ausbrach und die Kommission zur Untersuchung der sanitärischen Verhältnisse der Arbeiterklasse veranlaßte. Wir 5 sehen aber aus dem jüngsten Bericht des Londoner Fieberhospi¬ tals, daß dies Fieber noch immer fortwütet. — Nach den Kleiderstoffen sind vor allen andern die Meta 11- waren die wichtigste Klasse der durch die englische Industrie produzierten Artikel. Diese Fabrikation hat ihre Hauptsitze in 10 Birmingham, wo feinere Metallwaren aller Art, in Shef- fie 1 d, wo sämtliche Messerwaren, und Staffordshire, namentlich Wolverhampton, wo die gröberen Artikel, Schlösser, Nägel etc. gemacht werden. Fangen wir bei Schilderung der Lage der in diesen Industriezweigen beschäftigten Arbeiter mit Bir- 15 mingham an. — Die Einrichtung der Arbeit hat in Birming¬ ham, wie überhaupt in den meisten Orten, wo Metalle verarbei¬ tet werden, etwas von dem alten handwerksmäßigen Charakter behalten; die kleinen Meister bestehen noch fort und arbeiten mit ihren Lehrlingen entweder in der Werkstatt zu Hause oder, 20 wo sie Dampfkraft gebrauchen, in großen Fabrikgebäuden, die in kleine, einzeln an die Meister vermietete Werkstätten einge¬ teilt und in allen Zimmern mit einem durch die Dampfmaschine bewegten Schaft versehen sind, durch den sich wiederum andere Maschinerie treiben läßt. Leon Faucher (Verfasser einer Reihe 25 Artikel über englische Arbeiterverhältnisse in der „Revue des deux Mondes66, die wenigstens Studium verraten, und jedenfalls besser sind, als was bis jetzt sowohl Engländer wie Deutsche darüber ge¬ schrieben haben) bezeichnet dies Verhältnis im Gegensatz zu der großen Fabrikation von Lancashire und Yorkshire mit dem Na- 30 men der Democratie industrielle und bemerkt, daß dies keine sehr günstigen Resultate auf die Lage der Meister wie der Gesellen habe. Diese Bemerkung ist ganz richtig, denn die vielen kleinen Meister, auf die sich der von der Konkurrenz geregelte, sonst von einem einzigen großen Fabrikanten absorbierte Gewinn ver- 35 teilt, können nicht gut dabei bestehen. Die zentralisierende Ten¬ denz des Kapitals hält sie niedergedrückt, für einen, der sich be¬ reichert, werden zehn ruiniert, und hundert durch den Druck des einen Reichen, der billiger verkaufen kann als sie, schlechter ge¬ stellt als vorher. Und in den Fällen, wo sie von vornherein gegen 40 große Kapitalisten zu konkurrieren haben, versteht es sich von selbst, daß sie gegen diese Konkurrenz nur mühsam ankommen können. Die Lehrlinge haben es, wie wir sehen werden, bei den kleinen Meistem wenigstens ebenso schlecht als bei den Fabrikan¬ 4 1892 sanitären Verhältnisse
190 Die übrigen Arbeitszweige ten, nur mit dem Unterschiede, daß sie später selbst Meister wer¬ den und so eine gewisse Selbstständigkeit erhalten — d. h. sie wer¬ den von der Bourgeoisie weniger direkt als in den Fabriken aus¬ gebeutet. So sind diese kleinen Meister weder rechte Proletarier, da sie teilweise von der Arbeit der Lehrlinge leben, und nicht die 5 Arbeit selbst, sondern das fertige Produkt verkaufen — noch rechte Bourgeois, da es der Hauptsache nach immer ihre eigne Arbeit ist, die sie erhält. Diese eigentümliche, vermittelnde Stel¬ lung der Arbeiter von Birmingham ist schuld daran, daß sie sich sehr selten der englischen Arbeiterbewegung ganz und unverhohlen 10 angeschlossen haben. Birmingham ist eine politisch-radikale, aber keine entschieden chartistische Stadt. — Indes bestehen auch eine Menge größerer Fabriken für Rechnung von Kapitalisten, und in diesen herrscht das Fabriksystem vollkommen — die Tei¬ lung der Arbeit, die hier bis ins allereinzelnste (z. B. in der Na-15 delfabrikation) durchgeführt ist, sowie die Dampfkraft erlaubt die Beschäftigung einer großen Menge Weiber und Kinder, und wir finden hier (im Ch. E. Rept.) ganz dieselben Züge wieder, die uns der Fabrikbericht gab — Arbeit der Frauen bis zur Stunde der Niederkunft, Unfähigkeit, der Haushaltung vorzustehen, Ver- 20 nachlässigung des Hauswesens und der Kinder, Gleichgültigkeit, ja Abneigung gegen das Familienleben, und Demoralisation — ferner Verdrängung der Männer von der Arbeit, fortwährende Maschinenverbesserung, frühe Emanzipation der Kinder, Män¬ ner, die von den Frauen und Kindern ernährt werden etc. etc. — 25 Die Kinder werden als halbverhungert und zerlumpt geschildert — die Hälfte soll nicht wissen, was satt werden heißt, viele leben den ganzen Tag von soviel Brot, als sie für einen Penny (10 Pf. preuß.) bekommen, oder erhalten vor dem Mittagessen keine Nahrung; ja, es kamen Beispiele vor, daß Kin- 30 der von 8 Uhr morgens bis 7 Uhr abends nichts zu essen bekamen. Die Kleidung sehr häufig kaum hinreichend, ihre Blöße zu bedek- ken; viele selbst im Winter barfuß. Daher sind sie alle klein und schwach für ihr Alter und entwickeln sich selten irgendwie kräf¬ tig ; und wenn man bedenkt, daß bei diesen wenigen Mitteln zur 35 Reproduktion der physischen Kräfte noch harte, langanhaltende Arbeit in geschlossenen Räumen kommt, so wird man sich nicht darüber wundem, daß sich wenig erwachsene Leute in Birming¬ ham finden, die für den Militärdienst passen. „Die Arbeiter“, sagt ein Rekrutierungsarzt, „sind klein, schmächtig und von sehr 40 geringer Körperstärke — viele obendrein in Brust oder Rück¬ grat verwachsen“. Nach der Angabe eines rekrutierenden Unter¬ offiziers sind die Leute in Birmingham kleiner als irgendwo 5—6 1887 fehlt und nicht .. verkaufen
Staffordshire 191 anders, meist 5 Fuß 4 bis 5 Zoll groß, und aus 613 angeworbenen Rekruten wurden nur 238 tauglich befunden. Was die Bildung betrifft, so wurde schon oben (S. 111) eine Reihe von Aussagen und Beispielen hierüber aus den Metallbezirken gegeben, auf die ; ich hier verweise; übrigens geht aus dem Ch. E. Rept. hervor, daß in Birmingham über die Hälfte der Kinder zwischen 5 und 15 Jahren keine Schule irgendeiner Art besuchen, daß die schul¬ besuchenden Kinder oft wechseln, so daß ihnen unmöglich irgend eine nachhaltige Bildung gegeben werden kann, und daß die Kin- 10 der alle sehr früh aus der Schule weggenommen und an die Ar¬ beit gesetzt werden. Was für Lehrer dabei angewandt werden, geht ebenfalls aus diesem Bericht hervor; eine Lehrerin antwor¬ tete auf die Frage, ob sie auch Unterricht in der Moral gebe: Nein, für 3 Pence wöchentlich Schulgeld sei das nicht zu verlan- j5 gen; mehrere andere verstanden selbst diese Frage nicht, und an¬ dere hielten dies durchaus nicht für einen Teil ihrer Pflicht. Eine Lehrerin sagte, Moral lehre sie nicht, aber sie bemühte sich, den Kindern gute Prinzipien beizubringen, und dabei machte sie einen derben Sprachschnitzer. In den Schulen selbst fand der Kommis- 20 sär fortwährenden Lärm und Unordnung. Daher ist der sittliche Zustand der Kinder selbst im höchsten Grade beklagenswert; die Hälfte aller Verbrecher ist unter 15 Jahren alt, und in Einem Jahre wurden allein 90 zehnjährige Verbrecher, unter denen 44 Kri¬ minalfälle, verurteilt. Ungeregelter Geschlechtsverkehr scheint 25 nach der Ansicht der Kommissäre fast allgemein und zwar schon in sehr jugendlichem Alter vorzukommen. — (Grainger, Rept. et evid.) In dem Eisendistrikt von Staffordshire sieht es noch schlim¬ mer aus. Bei den groben Eisenwaren, die hier gemacht werden, so ist weder viel Teilung der Arbeit (mit gewissen Ausnahmen) noch Dampfkraft und Maschinerie anzuwenden. Hier — in Wol¬ verhampton, Willenhall, Bilston, Sedgeley, Wednesfield, Darla- ston, Dudley, Walsall, Wednesbury etc. — gibt es daher weniger Fabriken, aber desto mehr kleine Schmieden, in denen die klei- 55 nen Meister einzeln mit einem oder mehreren Lehrlingen, die ihnen bis zum einundzwanzigsten Jahre dienstbar sind, arbeiten. Die kleinen Meister sind ungefähr in derselben Lage wie die von Birmingham, aber die Lehrlinge haben es meist weit schlechter. Sie bekommen fast nur das Fleisch von kranken, gefallenen Tie- 40 ren oder faules Fleisch und faule Fische zu essen, desgleichen zu früh geworfene Kälber und auf der Eisenbahn erstickte Schweine. Und dies tun nicht nur kleine Meister, sondern auch größere Fabrikanten, die 30—40 Lehrlinge haben. Dies scheint 15—17 1887 fehlt mehrere .. lehre sie nicht
192 Die übrigen Arbeitszweige in Wolverhampton wirklich allgemein zu sein. Die natürliche Folge davon sind häufige Unterleibs- und andere Krankheiten. Dazu bekommen die Kinder meist nicht satt zu essen und haben selten andere Kleider als ihr Arbeitszeug, so daß sie schon des¬ halb nicht in die Sonntagsschule gehen. Die Wohnungen sind schlecht und schmutzig, oft in so hohem Grade, daß Krankheiten daraus entstehen, und trotz der sonst meistens gesunden Arbeit sind die Kinder deshalb klein, schlecht gewachsen, schwach und in vielen Fällen arg verkrüppelt. In Willenhall z. B. sind unzäh¬ lige Leute, die von dem ewigen Feilen am Schraubstock einen 10 Buckel und e i n krummes Bein — das Hinterbein, hind-leg, wie sie’s nennen — haben, so daß die Beine die Form eines K haben; dazu soll mindestens der dritte Teil der dortigen Arbeiter einen Bruch haben. Hier sowohl wie in Wolverhampton fanden sich zahllose Beispiele zurückgehaltener Pubertät sowohl bei Mäd- in chen — auch diese arbeiten in den Schmieden! — als Knaben selbst bis zum neunzehnten Jahr. — In Sedgeley und der Um¬ gegend, wo fast nur Nägel geschmiedet werden, wohnen und ar¬ beiten die Leute in erbärmlichen stallähnlichen Hütten, die an Schmutz ihresgleichen suchen. Mädchen und Knaben führen 20 vom zehnten oder zwölften Jahre an den Hammer und gelten erst dann für voll ausgebildete Arbeiter, wenn sie tausend Nägel jeden Tag liefern. Für 1200 Nägel ist der Lohn 5% Pence oder nicht ganz 5 Silbergr. Jeder Nagel bekommt zwölf Schläge, und da der Hammer 1% Pfd. wiegt, so muß der Arbeiter 18000 Pfund 23 heben, bis er diesen elenden Lohn verdient hat. Bei dieser schwe¬ ren Arbeit und der ungenügenden Nahrung müssen die Kinder einen schlecht ausgebildeten, kleinen, schwachen Körper bekom¬ men, wie dies auch durch die Angaben der Kommissäre bestätigt wird. Über den Stand der Bildung auch in diesem Distrikte sind 30 oben schon Data gegeben worden. Die Bildung steht in diesem Bezirk wirklich unglaublich niedrig, die Hälfte aller Kinder be¬ sucht nicht einmal eine Sonntagsschule, und die andre Hälfte tut dies auch nur sehr unregelmäßig; sehr wenige im Vergleich mit andern Distrikten können lesen, und mit dem Schreiben ist’s noch 35 viel schlechter bestellt. Natürlich, denn zwischen dem siebenten und zehnten Jahre werden die Kinder an die Arbeit gestellt, ge¬ rade wenn sie eben fähig werden, eine Schule mit Nutzen zu be¬ suchen, und die Sonntagsschullehrer — Schmiede oder Gruben¬ leute — können oft kaum lesen und nicht einmal ihren Namen 40 schreiben. Der moralische Zustand ist diesen Erziehungsmitteln entsprechend. In Willenhall, behauptet Kommissär Horne — und liefert reichliche Belege dazu — existiert durchaus kein sittliches Gefühl unter den Arbeitern. Überhaupt fand er, daß die Kinder weder Pflichten gegen ihre Eltern kannten, noch Zuneigung für <■>
Sheffield 193 sie fühlten. Sie waren so wenig fähig, zu überlegen, was sie sag¬ ten, so abgestumpft, so tierisch dumm, daß sie oft behaupteten, sie würden gut behandelt, es ginge ihnen vortrefflich, wenn sie zwölf bis vierzehn Stunden arbeiten mußten, in Lumpen gingen, 5 nicht satt zu essen bekamen und geschlagen wurden, daß sie es einige Tage nachher noch fühlten. Sie wußten von keiner andern Lebensweise, als von morgens bis abends sich abzuplagen, bis man ihnen erlaubte, aufzuhören, und verstanden nicht einmal die ihnen unerhörte Frage: ob sie müde seien (Horne, Rept. and 10 evid.). In Sheffield ist der Lohn besser und daher mit ihm auch die äußere Lage der Arbeiter. Dagegen sind hier einige Arbeits¬ zweige wegen ihrer außerordentlich nachteiligen Wirkung auf die Gesundheit zu bemerken. Gewisse Operationen bedingen den iß fortwährenden Druck von Werkzeugen gegen die Brust und er¬ zeugen häufig die Schwindsucht, andere, z. B. Feilenhauen, hin¬ dern die allgemeine Entwicklung des Körpers und bringen Unter¬ leibsbeschwerden hervor; das Knochenschneiden (zu Messer¬ heften) zieht Kopfschmerzen, Gallenübel, und bei Mädchen, deren 20 viele dabei beschäftigt sind, Bleichsucht nach sich. Bei weitem die ungesundeste Arbeit ist aber das Schleifen der Klingen und Gabeln, das, besonders wenn es auf trocknen Steinen geschieht, unfehlbar einen frühen Tod nach sich zieht. Die Ungesundheit dieser Arbeit liegt teils in der gebückten Stellung, bei der die Brust und der 25 Magen gedrückt wird, besonders aber in der Menge scharfkanti¬ gen, metallischen Staubes, der beim Schleifen abspringt, die Atmo¬ sphäre füllt und notwendig eingeatmet wird. Die Trockenschleifer werden durchschnittlich kaum 35, die Naßschleifer selten über 45 Jahre alt. Dr. Knight in Sheffield sagt: „Ich kann die Schäd- 30 lichkeit dieser Beschäftigung nur dadurch einigermaßen deutlich machen, daß ich die stärksten Trinker unter den Schleifern für die langlebigsten unter ihnen erkläre, weil sie am meisten von ihrer Arbeit abwesend sind. Im ganzen sind etwa 2500 Schleifer in Sheffield. Ungefähr 150 (80 Männer und 70 Knaben) sind Gabel- 35 Schleifer — diese sterben zwischen dem 28. und 32. Lebensjahre; die Rasiermesserschleifer, die sowohl naß als trocken schleifen, sterben zwischen 40 und 45 Jahren, und die Tischmesserschleifer, die naß schleifen, sterben zwischen 40 und 50 Jahren/6 — Der¬ selbe Arzt gibt folgende Schilderung des Verlaufs ihrer Krank- 40 heit, des sogenannten Schleif er-Asthma: „Sie fangen ihre Arbeit gewöhnlich mit dem vierzehnten Jahre an, und wenn sie eine gute Konstitution haben, so spüren sie vor dem zwanzigsten Jahre selten viel Beschwerden. Dann fangen die Symptome ihrer eigentüm- 29 1892 Dr. Knight nicht gesperrt Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 13
194 Die übrigen Arbeitszweige liehen Krankheit an, sich zu zeigen; der Atem geht ihnen bei der geringsten Anstrengung, beim Treppen- oder Bergsteigen, gleich aus, sie halten die Schultern hoch, um die beständige und zu¬ nehmende Atemnot zu erleichtern, sie beugen sich nach vom und scheinen überhaupt sich in der gedrückten Stellung, in der sie » arbeiten, am behaglichsten zu fühlen; ihre Gesichtsfarbe wird schmutziggelb, ihre Gesichtszüge drücken Angst aus, sie klagen über Beklommenheit auf der Brust; ihre Stimme wird rauh und heiser, sie husten laut, wie wenn die Luft durch eine hölzerne Röhre getrieben würde. Von Zeit zu Zeit expektorieren sie be-10 deutende Quantitäten Staub, entweder mit Schleim vermengt oder in kugel- oder zylinderförmigen Massen, mit einem dünnen Über¬ züge von Schleim. Blutspeien, Unfähigkeit zu liegen, Nacht¬ schweiß, kolliquative Diarrhöe, ungewöhnliche Abmagerung mit allen gewöhnlichen Symptomen der Lungenschwindsucht raffen sie endlich hin, nachdem sie monate-, ja oft jahrelang gesiecht haben, unfähig, sich und die Ihrigen durch Arbeit zu ernähren. Ich muß hinzufügen, daß alle Versuche, die bis jetzt gemacht wur¬ den, das Schleifer-Asthma zu verhindern oder zu heilen, gänzlich fehlgeschlagen sind/6 Dies schrieb Knight vor zehn Jahren; seit- 20 dem hat sich die Zahl der Schleifer und die Wut der Krankheit vermehrt, man hat aber auch Versuche gemacht, durch verdeckte Schleifsteine und Ableitung des Staubes durch Zug der Krankheit zuvorzukommen. Diese sind wenigstens teilweise gelungen, aber die Schleifer selbst wollen ihre Anwendung nicht und haben sie 25 sogar hier und da zerschlagen — weil sie glauben, daß mehr Arbeiter in ihr Geschäft kommen und ihren Lohn dadurch drük- ken würden; sie sind für „ein kurzes Leben, aber ein lustiges66. Dr. Knight hat oft Schleifern, die mit den ersten Symptomen des Asthmas zu ihm kamen, gesagt: ihr holt euch den Tod, wenn ihr 20 wieder zurück zum Schleifstein geht. Aber es hat nie geholfen; wer einmal Schleifer war, der war auch verzweifelt, als ob er sich dem Teufel verkauft hätte. — Die Bildung ist in Sheffield auf einer sehr niedrigen Stufe; ein Geistlicher, der sich viel mit der Stati¬ stik der Erziehung beschäftigt hatte, war der Ansicht, daß aus 35 16500 Kindern der arbeitenden Klasse, die imstande seien, eine Schule zu besuchen, kaum 6500 lesen könnten; dies kommt daher, daß die Kinder schon mit dem siebenten und allerspätestens mit dem zwölften Jahre aus der Schule genommen werden, und daß die Schulmeister nichts taugen (einer von ihnen war ein über- 40 führter Dieb, der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis kein anderes Mittel fand, sich zu ernähren, als die Schulmeisterei!). Die Immoralität scheint in Sheffield unter der Jugend größer zu 17 irrtümlich durch Arbeit zu erniedrigen.
Maschinenfabriken / Töpfereien 195 sein, als irgendwo anders (man weiß freilich kaum, welcher Stadt man den Preis zuerkennen soll, und wenn man die Berichte liest, so glaubt man von jeder, sie verdiene ihn). Die jungen Leute liegen Sonntags den ganzen Tag auf der Straße, werfen Geld auf oder 5 hetzen Hunde auf einander, gehen fleißig in die Branntweinschen¬ ken und sitzen dort mit ihren Schätzchen zusammen, bis sie spät abends paarweise einsame Promenaden machen. In einer Kneipe, die der Kommissär besuchte, saßen 40—50 junge Leute beiderlei Geschlechts, fast alle unter 17 Jahren, jeder Junge bei seinem io Mädel. Hier und da wurde Karten gespielt, in andern gesungen oder getanzt, überall getrunken. Dazwischen saßen erklärte Freu¬ denmädchen von Profession. Kein Wunder also, daß, wie alle Zeugen aussagen, der frühe regellose Geschlechtsverkehr, jugend¬ liche Prostitution, schon bei Individuen von 14 bis 15 Jahren 15 außerordentlich häufig in Sheffield ist. — Verbrechen, und zwar von sehr wilder, verzweifelter Art, sind gang und gäbe; ein Jahr vor Ankunft des Kommissärs wurde eine Bande, meist junger Leute, gefangen genommen, als sie eben im Begriff war, die Stadt in Brand zu stecken; sie waren mit Lanzen und Brennstoffen voll- 20 kommen equipiert. Wir werden später sehen, daß die Arbeiter¬ bewegung in Sheffield denselben wilden Charakter hat (Symons, Rept. and evid.). Außer diesen Hauptstapelplätzen der Metallverarbeitung gibt es noch Stecknadelfabriken in Warrington (Lancashire), wo 25 ebenfalls unter den Arbeitern, besonders den Kindern, viel Elend, Immoralität und Unwissenheit herrscht, und eine Anzahl Nagel¬ schmieden in der Gegend von Wigan (Lancashire) und im Osten von Schottland; die Berichte aus diesen letzteren Distrikten stim¬ men fast ganz mit denen aus Staffordshire überein. Es bleibt uns 30 nun noch ein einziger Zweig dieser Industrie — die Maschinen¬ fabrikation, die namentlich in den Fabrikdistrikten, beson¬ ders in Lancashire betrieben wird, und bei der das Eigentümliche die Verfertigung von Maschinen durch Maschinen ist, wodurch den sonst verdrängten Arbeitern die letzte Zufluchtsstätte, die Beschäf- 35 tigung bei der Fabrikation der Maschinen, durch welche sie brot¬ los wurden, wieder genommen wurde. Maschinen zum Hobeln und Bohren, Maschinen, die Schrauben, Räder, Schraubenmuttern usw. schneiden, mechanische Drehbänke, haben auch hier eine Menge Arbeiter, die früher zu gutem Lohn regelmäßig beschäftigt 40 waren, brotlos gemacht, und wer Lust dazu hat, kann deren in Manchester eine Menge sehen. Nördlich von dem Eisendistrikt von Staffordshire liegt ein indu¬ strieller Bezirk, zu dem wir uns jetzt wenden wollen: die Töpfe¬ reien (potteries), deren Hauptsitz die Gemeinde (borough) 45 Stoke ist, welche die Ortschaften Henley, Burslem, Lane End, Lane 13*
196 Die übrigen Arbeitszweige Delph, Etruria, Coleridge, Langport, Tunstall und Golden Hill mit zusammen 60000 Einwohnern umfaßt. Der Ch. E. Rept. be¬ richtet hierüber: In einigen Zweigen dieser Fabrikation — von Steingut — haben die Kinder eine leichte Beschäftigung in war¬ men, luftigen Sälen; in andern dagegen wird von ihnen eine harte, 5 anstrengende Arbeit verlangt, während sie weder hinreichende Nahrung noch gute Kleidung erhalten. Viele Kinder klagen: „Habe nicht genug zu essen, bekomme meist Kartoffeln und Salz, nie Fleisch, nie Brot, geh’ nicht in die Schule, hab’ keine Kleider nicht.66 — „Habe heute gar nichts zu Mittag gehabt, zu Hause 10 haben sie nie ein Mittagessen, bekomme meist Kartoffeln und Salz, zuweilen Brot.66 — „Dies sind alle Kleider, die ich habe, kein Sonntagszeug zu Hause.66 Unter den Kindern, deren Arbeit be¬ sonders nachteilig ist, sind die mould-runners zu bemerken, die die fertig geformte Ware mit der Form in die Trockenstube zu 15 tragen haben und nachher, wenn die erstere gehörig getrocknet ist, die leere Form zurückzubringen. Sie müssen so den ganzen Tag unter einem für ihr Alter schweren Gewicht ab und zu gehen, und die hohe Temperatur, in der sie dies zu tun haben, vermehrt ihre Abmattung noch bedeutend. Diese Kinder sind, mit kaum einer 20 einzigen Ausnahme, mager, blaß, schwächlich, klein und schlecht gewachsen; sie leiden fast alle an Magenübeln, Erbrechen, Mangel an Appetit, und viele von ihnen sterben an der Auszehrung. Fast ebenso schwächlich sind die Knaben, die mit dem Namen jiggers bezeichnet werden, nach dem Rad (jigger), das sie zu drehen 25 haben. Am schädlichsten aber ist bei weitem die Arbeit derer, die die fertige Ware in eine Flüssigkeit, welche große Quantitäten Blei und häufig auch viel Arsenik enthält, eintauchen oder die frischeingetauchte Ware in die Hände zu nehmen haben. Die Hände und Kleider dieser Arbeiter — Männer und Kinder — 30 sind immer naß von dieser Flüssigkeit, die Haut wird weich und löst sich bei dem fortwährenden Anfassen rauher Gegenstände ab, so daß die Finger oft bluten und fortwährend in einem Zustande sind, der die Absorption dieser gefährlichen Stoffe im höchsten Grade begünstigt. Die Folgen davon sind heftige Schmerzen und 35 ernstliche Krankheiten des Magens und der Eingeweide, hart¬ näckige Konstipation, Kolik, zuweilen Auszehrung und am allerhäufigsten Epilepsie bei Kindern. Bei Männern tritt gewöhnlich teilweise Lähmung der Handmuskeln, colica pic-’ torum und Lähmung ganzer Glieder ein. Ein Zeuge erzählt, daß 40 zwei Knaben, die mit ihm arbeiteten, bei der Arbeit in Krämpfen gestorben seien; ein anderer, der zwei Jahre als Knabe beim Ein¬ tauchen geholfen, erzählt, er habe anfangs heftige Unterleibs- 17 1892 So müssen sie den ganzen Tag
Glasfabriken 197 Beschwerden gehabt, dann einen Krampf, infolge dessen er zwei Monate bettlägerig war, seitdem Krämpfe immer häufiger, jetzt alle Tage, oft zehn bis zwanzig epileptische An¬ fälle an einem Tage. Seine rechte Seite sei gelähmt, und ö wie die Ärzte ihm sagten, werde er nie den Gebrauch seiner Glie¬ der wieder erhalten. In einer Fabrik im Eintauchhause vier Män¬ ner, alle epileptisch und an heftiger Kolik leidend, und elf Kna¬ ben, von denen auch schon einige epileptisch. Kurz, diese fürchter¬ liche Krankheit tritt infolge dieser Beschäftigung ganz allgemein 10 ein, und auch da§ zum größeren Geldgewinn der Bourgeoisie! — In den Zimmern, in denen das Steingut gescheuert wird, ist die Atmosphäre mit fein pulverisiertem Kieselstaub angefüllt, dessen Einatmung ebenso schädlich wirkt wie die des Stahlstaubes bei den Sheffielder Schleifern. Den Arbeitern geht der Atem aus, sie in können nicht ruhig liegen, leiden an wunder Kehle, heftigem Husten und bekommen eine so leise Stimme, daß man sie kaum hören kann. Sie sterben auch alle an der Schwindsucht. — In den Potteries sollen verhältnismäßig viele Schulen sein, die den Kin¬ dern Gelegenheit zum Unterricht bieten, aber da sie so früh in die 20 Fabriken geschickt werden und so lange arbeiten müssen (meist zwölf und oft mehr Stunden), so sind sie nicht imstande, die Schulen zu benutzen, und daher konnten drei Viertel der vom Kommissär geprüften Kinder weder lesen noch schreiben, und der ganze Distrikt war in der tiefsten Unwissenheit. Kinder, die jahre- 25 lang Sonntagsschulen besucht haben, waren nicht imstande, einen Buchstaben vom andern zu unterscheiden, und im ganzen Distrikt steht außer der intellektuellen auch die sittliche und religiöse Bil¬ dung auf einer sehr niedrigen Stufe (Scriven, Rept. and evid.). Auch in der Glasfabrikation kommen Arbeiten vor, die 30 zwar Männern wenig zu schaden scheinen, aber dennoch von Kin¬ dern nicht ertragen werden können. Die harte Arbeit, die Unregel¬ mäßigkeit der Arbeitszeit, das häufige Nachtarbeiten und beson¬ ders die große Hitze der Arbeitslokale (100 bis 130° Fahrenheit) erzeugen bei Kindern allgemeine Schwäche und Krankheit, 35 schlechten Wuchs, und besonders Augenübel, Unterleibskrankhei¬ ten und bronchitische und rheumatische Affektionen. Viele Kinder sind blaß, haben rote, oft wochenlang erblindete Augen, leiden an heftiger Übelkeit, Erbrechen, Husten, Erkältungen und Rheuma¬ tismus. Bei dem Herausnehmen der Ware aus den Öfen müssen 40 die Kinder häufig in eine solche Hitze hineingehen, daß ihnen die Bretter, auf denen sie stehen, unter den Füßen in Brand geraten. Die Glasbläser sterben meist früh an Schwäche und Brustleiden. — (Leifchild, Rept. App. Pt. II, p. L 2, ss. 11, 12; Franks, Rept. 33 Orig, irrtümlich 300 bis 330°
198 Die übrigen Arbeitszweige App. Pt. II, p. K7, s. 48; Tancred, Evid. App. Pt. II, p. i 76 etc., alle im Ch.E. Rept.). Im allgemeinen bezeugt derselbe Bericht in allen Zweigen der Industrie das allmähliche, aber sichere Eindrängen des Fabrik¬ systems, das sich besonders durch die Beschäftigung von Weibern 5 und Kindern zu erkennen gibt. Ich habe es nicht für nötig gehalten, überall die Fortschritte der Maschinerie und die Verdrängung der erwachsenen Männer weiter zu verfolgen. Wer mit dem Industrie¬ wesen einigermaßen bekannt ist, wird sich dies leicht selbst er¬ gänzen können, während mir hier der Raum mangelt, diese bei 10 Gelegenheit des Fabriksystems in ihren Resultaten entwickelte Seite des jetzigen Produktionssystems in ihren Einzelheiten zu ver¬ folgen. Überall wendet man Maschinen an und vernichtet dadurch die letzte Spur der Unabhängigkeit des Arbeiters. Überall löst sich durch die Arbeit der Frau und der Kinder die Familie auf, 15 oder wird gar durch die Brotlosigkeit des Mannes auf den Kopf gestellt; überall liefert die Unvermeidlichkeit der Maschinerie dem großen Kapitalisten das Geschäft und mit ihm die Arbeiter in die Hände. Die Zentralisation des Besitzes schreitet unaufhalt¬ sam vorwärts, die Trennung der Gesellschaft in große Kapitalisten 20 und besitzlose Arbeiter wird täglich schärfer, die industrielle Ent¬ wicklung der Nation rückt mit Riesenschritten auf eine unaus¬ bleibliche Krisis los. — Ich erwähnte schon oben, daß in den Handwerken die Macht des Kapitals und mitunter auch die Teilung der Arbeit das- 23 selbe Resultat herbeigeführt, die kleine Bourgeoisie verdrängt und an ihre Stelle große Kapitalisten und besitzlose Arbeiter gesetzt haben. Über diese Handwerker ist im Grunde wenig zu sagen, da alles, was auf sie Bezug hat, bereits da seine Stelle gefunden hat, wo von dem industriellen Proletariat im allgemeinen die Rede 30 war; auch hat sich hier in der Art der Arbeit und ihrem Einflüsse auf die Gesundheit seit dem Eintritt der industriellen Bewegung wenig verändert. Aber die Berührung mit den eigentlichen Indu¬ striearbeitern, der Druck der großen Kapitalisten, der viel fühl¬ barer wurde als der der kleinen Meister, zu denen der Gesell doch 35 noch in einem persönlichen Verhältnisse stand, die Einflüsse gro߬ städtischen Lebens und der fallende Lohn haben fast alle Hand¬ werker zu tätigen Teilnehmern der Arbeiterbewegungen gemacht. Wir werden hierüber sogleich zu reden haben, und wenden uns inzwischen zu einer Klasse der arbeitenden Bevölkerung von Lon- 40 don, die wegen der außerordentlichen Barbarei, mit welcher sie von der Geldgier der Bourgeoisie ausgebeutet wird, besondere Be¬ achtung verdient. Ich meine die Putzmacherinnen und Nähterinnen. 19 Besitzes 1887 property 1892 (engl. Ausg.) Capital
Die Handwerker / Putzmacherinnen und Nähterinnen 199 Es ist eigentümlich, daß gerade die Verfertigung derjenigen Artikel, welche zum Schmuck der Damen von der Bour¬ geoisie dienen, mit den traurigsten Folgen für die Gesundheit der dabei beschäftigten Arbeiter verknüpft ist. Wir sahen dies 5 schon oben bei der Spitzenfabrikation, und haben jetzt wieder die Putzmacherladen von London zum Beweise für diese Angabe. Diese Etablissements beschäftigen eine Menge junger Mädchen — es sollen ihrer im ganzen 15000 sein — welche im Hause wohnen und essen, meist vom Lande herkommen und so die vollständigen 10 Sklaven der Brotherrschaft sind. Während der fashionablen Saison, die etwa vier Monate im Jahre dauert, sind selbst in den besten Etablissements die Arbeitsstunden täglich fünfzehn, und wenn dringende Geschäfte vorkommen, achtzehn; in den meisten Läden indes wird während dieser Zeit ohne alle feste Zeitbestim- 13 mung gearbeitet, so daß die Mädchen nie mehr als sechs, oft nur drei oder vier, ja zuweilen nur zwei Stunden in vierundzwanzig zur Ruhe und zum Schlaf frei haben, und neunzehn bis zweiund¬ zwanzig Stunden gearbeitet wird, wenn sie nicht, was oft genug vorkommt, die ganze Nacht durcharbeiten müssen! Die einzige 20 Grenze, die ihrer Arbeit gesetzt wird, ist die positive physische Unfähigkeit, die Nadel auch nur eine Minute länger zu führen. Es kommen Fälle vor, wo diese hilflosen Geschöpfe neun Tage lang hintereinander nicht aus den Kleidern kamen und nur ge¬ legentlich dann und wann ein paar Augenblicke auf einer Matratze 25 ausruhen konnten, wo man ihnen das Essen kleingeschnitten vor¬ setzte, damit sie es in der kürzestmöglichen Zeit verschlucken könnten; kurz, diese unglücklichen Mädchen werden durch die moralische Sklavenpeitsche — die Drohung der Entlassung — in einer so anhaltenden und unablässigen Arbeit erhalten, wie sie 30 kein starker Mann, geschweige denn zarte Mädchen von 14—20 Jahren ertragen können. Dazu die dumpfige Luft der Arbeits¬ zimmer und ebenfalls der Schlafsäle, die gebückte Stellung, die oft schlechte, schwerverdauliche Kost — alles das, aber vor allem die lange Arbeit und Absperrung von der freien Luft, erzeugt die 35 traurigsten Resultate für die Gesundheit der Mädchen. Mattigkeit und Erschlaffung, Schwäche, Verlust des Appetits, Schmerzen in den Schultern, dem Rücken und den Hüften, besonders aber Kopf¬ schmerzen treten sehr bald ein; dann Verkrümmung des Rück¬ grats, hohe, verwachsene Schultern, Abmagerung, geschwollene, 40 fließende und schmerzhafte Augen, die bald kurzsichtig werden, Husten, Engbrüstigkeit und kurzer Atem, sowie alle weiblichen Entwicklungskrankheiten. Die Augen leiden in vielen Fällen so stark, daß unheilbare Blindheit, gänzliche Desorganisation des 28 Sklavenpeitsche 1887 whip of the modern slave-driver
200 Die übrigen Arbeitszweige Auges eintritt, und wenn das Gesicht gut genug bleibt, um eine Fortsetzung der Arbeit möglich zu machen, so endigt gewöhnlich die Schwindsucht das kurze, traurige Leben dieser Putzmacherin¬ nen. Selbst bei denjenigen, die diese Arbeit früh genug verlassen, bleibt die körperliche Gesundheit für immer zerstört, die Kraft 5 der Konstitution gebrochen; sie sind fortwährend, besonders in der Ehe, siech und schwächlich und bringen kränkliche Kinder zur Welt. Alle Ärzte, die von dem Kommissär (der Ch. Empl. Comm.) befragt wurden, äußerten sich einstimmig dahin, daß keine Le¬ bensweise erfunden werden könne, die mehr als diese dahin ziele, 10 die Gesundheit zu vernichten und einen frühen Tod herbeizu¬ führen. Mit derselben Grausamkeit, nur etwas mehr indirekt, werden die Nähterinnen überhaupt in London ausgebeutet. Die Mädchen, welche sich mit der Anfertigung von Schnürleibchen be-15 schäftigen, haben eine harte, mühsame, das Auge anstrengende Arbeit, und was ist der Lohn, den sie bekommen? Ich weiß es nicht, aber das weiß ich, daß der Unternehmer, der Bürgschaft für das ihm überlieferte Material geben muß und die Arbeit an die einzelnen Nähterinnen verteilt, IV2 Penny, 15 Pfennige preuß. 20 für das Stück erhält. Davon geht sein Nutzen noch ab, und der ist mindestens ¥2 Penny — höchstens also 1 Penny geht in die Tasche des armen Mädchens. Die Mädchen, welche Halsbinden nähen, müssen sich zu sechzehnstündiger Arbeit verpflichten und er¬ halten wöchentlich 4V2 Shill.—11/2 Taler preuß., wofür sie etwa 25 soviel kaufen können wie für 20 Silbergroschen in der teuersten Stadt Deutschlands. Am schlimmsten aber ergeht es denen, die Hemden nähen. Sie bekommen für ein gewöhnliches Hemd IV2 Pence — früher bekamen sie 2 bis 3 Pence, aber seitdem das Armenhause von St. Pancras, das von einer Bourgeoisie -«30 radikalen Behörde verwaltet wird, anfing zu 1V2 Pence Arbeit zu übernehmen, mußten die armen Frauenzimmer es auch tun. Für feine, verzierte Hemden, die bei achtzehnstündiger Arbeit in einem Tage fertiggemacht werden können, wird 6 Pence, 5 Silbergr. be¬ zahlt. Der Lohn dieser Nähterinnen beträgt hiernach und nach 35 vielseitigen Aussagen von Arbeiterinnen und Übernehmern, bei sehr angestrengter, tief in die Nacht hinein fortgesetzter Arbeit wöchentlich 2V2 bis 3 Shillinge! Und was dieser schändlichen Barbarei die Krone auf setzt, ist, daß die Nähterinnen den Betrag der ihnen anvertrauten Materialien teilweise deponieren müssen, 40 was sie natürlich nicht anders können, als wenn sie — wie dies *) Vergl. „Weekly Dispatch“, 17. März 1844. 80—31 1892 bourgeois-radikalen 36 1892 Unternehmern statt Übernehmern
Nähterinnen 201 auch die Eigentümer wissen — einen Teil derselben verpfänden und entweder mit Verlust einlösen, oder, wenn sie die Stoffe nicht auslösen können, vor das Friedensgericht wandern müssen, wie dies einer Nähterin im November 1843 geschah. Ein armes 5 Mädchen, das in diesem Falle war und nicht wußte, was es an¬ fangen sollte, ertränkte sich im August 1844 in einem Kanal. Diese Nähterinnen leben gewöhnlich in kleinen Dachstübchen im grö߬ ten Elende, wo sich ihrer soviele in einem Zimmer zusammen¬ drängen, als der Raum nur eben erlaubt, und wo im Winter meist io die animalische Wärme der Anwesenden das einzige Heizungs¬ mittel ist. Dort sitzen sie über ihre Arbeit gebückt und nähen von morgens vier oder fünf bis Mitternacht, verwüsten ihre Gesund¬ heit in ein paar Jahren und bringen sich in ein frühes Grab, ohne sich auch nur die allerdringendsten Bedürfnisse verschaffen zu 15 können*), während unten zu ihren Füßen die glänzenden Karos¬ sen der hohen Bourgeoisie vorbeirollen, und während vielleicht zehn Schritt weiter ein erbärmlicher Dandy an einem Abend mehr Geld im Pharo verliert, als sie sich im ganzen Jahre erwerben können. 20 Das ist die Lage des englischen industriellen Proletariats. Überall, wohin wir uns wenden, finden wir dauerndes oder tem¬ poräres Elend, Krankheiten, die aus der Lage oder der Arbeit ent¬ stehen, Demoralisation; überall Vernichtung, langsame, aber sichere Untergrabung der menschlichen Natur in körperlicher wie 25 geistiger Beziehung. — Ist das ein Zustand, der dauern kann? Dieser Zustand kann und wird nicht dauern. Die Arbeiter, die große Majorität des Volks, wollen es nicht. Sehen wir zu, was s i e von diesem Zustande sagen. *) Thomas Hood, der talentvollste aller jetzigen englischen Humori- 30 sten, und wie alle Humoristen, voll menschlichen Gefühls, aber ohne alle geistige Energie, veröffentlichte im Anfänge des Jahres 1844, als das Elend der Nähterinnen alle Zeitungen füllte, ein schönes Gedicht: The Song of the Shirt, das Lied vom Hemde, das manche mitleidige, aber nutzlose Träne den Augen der Bourgeoisietöchter entlockte. Ich habe nicht Raum 35 genug, um es hier wiedergeben zu können; es stand ursprünglich im „Punch“ und machte dann die Runde durch die Zeitungen. Da die Lage der Nähterinnen damals in allen Zeitungen besprochen wurde, sind spe¬ zielle Zitate überflüssig. — 34 1892 Bourgeoistöchter
Arbeiterbewegungen Man wird mir zugeben, selbst wenn ich es nicht so oft im ein¬ zelnen nachgewiesen hätte, daß die englischen Arbeiter sich in dieser Lage nicht glücklich fühlen können; daß die ihrige keine Lage ist, in der ein Mensch oder eine ganze Klasse von Menschen 5 menschlich denken, fühlen und leben kann. Die Arbeiter müs¬ sen sich also bestreben, aus dieser vertierenden Lage herauszukom¬ men, sich eine bessere, menschlichere Stellung zu verschaffen, und dies können sie nicht tim, ohne gegen das Interesse der Bourgeoisie als solcher, das eben in der Ausbeutung der Arbeiter besteht, an-10 zukämpfen, die Bourgeoisie aber verteidigt ihr Interesse mit allen Kräften, die sie durch den Besitz und die ihr zu Gebote stehende Staatsmacht aufzuwenden imstande ist. Sowie der Arbeiter sich aus der jetzigen Lage der Dinge herausarbeiten will, wird der Bourgeois sein erklärter Feind. 15 Der Arbeiter merkt es aber außerdem jeden Augenblick, daß die Bourgeoisie ihn wie eine Sache, wie ihr Eigentum behandelt, und schon deshalb tritt er als Feind der Bourgeoisie auf. Ich habe oben an hundert Beispielen nachgewiesen und hätte an hundert andern nachweisen können, daß unter den jetzigen Verhältnissen 20 der Arbeiter seine Menschheit nur durch den Haß und die Em¬ pörung gegen die Bourgeoisie retten kann. Und daß er mit der heftigsten Leidenschaft gegen die Tyrannei der Besitzenden pro¬ testieren kann, dafür sorgt seine Erziehung oder vielmehr Er- ziehungslosigkeit und das viele heiße irische Blut, das in die eng- 25 lische Arbeiterklasse übergegangen ist. — Der englische Arbeiter ist kein Engländer mehr, kein kalkulierender Geldmensch, wie sein besitzender Nachbar, er hat voller entwickelte Gefühle, seine angebome nordische Kälte wird durch die Ungebundenheit, in der seine Leidenschaften sich ausbilden und die Herrschaft über ihn 30 erringen konnten, aufgewogen. Die Verstandesbildung, die die selbstsüchtige Anlage des englischen Bourgeois so bedeutend ent¬ wickelt, die die Selbstsucht zu seiner herrschenden Leidenschaft gemacht und alle Gefühlskraft auf den einen Punkt der Geldgier konzentriert hat, fehlt dem Arbeiter, und dafür sind seine Leiden- 33 6 Orig, leben können. 13—14 sich aus .. herausarbeiten will, 1887 determines to alter the present state of things,
Einleitendes / Verbrechen / Aufstände gegen Maschinen 203 schäften stark und mächtig wie beim Ausländer. Die englische Nationalität ist im Arbeiter vernichtet. Wenn, wie wir sahen, dem Arbeiter kein einziges Feld für die Betätigung seiner Menschheit gelassen ist, als die Opposition gegen 5 seine ganze Lebenslage, so ist es natürlich, daß gerade in dieser Opposition die Arbeiter am liebenswürdigsten, am edelsten, am menschlichsten erscheinen müssen. Wir werden sehen, daß alle Kraft, alle Tätigkeit der Arbeiter sich auf diesen einen Punkt richtet, und daß selbst die Bemühungen, sich sonstige humane Bil- 10 düng zu erwerben, alle in direkter Verbindung mit ihm stehen. Wir werden allerdings von einzelnen Gewaltsamkeiten und selbst Brutalitäten zu berichten haben, aber es ist immer zu bedenken, daß der soziale Krieg in England offen besteht, und daß, wenn es das Interesse der Bourgeoisie ist, diesen Krieg heuchlerisch, unter 15 dem Scheine des Friedens und selbst der Philanthropie zu führen, dem Arbeiter nur eine Offenlegung der wahren Verhältnisse, eine Zerstörung dieser Heuchelei dienen kann; daß also selbst die ge¬ waltsamsten Feindseligkeiten der Arbeiter gegen die Bourgeoisie und ihre Diener nur der offene, unverhohlene Ausdruck dessen 20 sind, was die Bourgeoisie den Arbeitern verstohlen und heim¬ tückisch antut. Die Empörung der Arbeiter gegen die Bourgeoisie hat bald nach der industriellen Entwicklung angefangen und verschiedene Phasen durchgemacht. Es ist hier nicht der Ort, die historische 25 Bedeutung dieser Phasen für die Entwicklung des englischen Volks näher darzulegen; dies muß ich mir für eine spätere Arbeit Vor¬ behalten und mich einstweilen auf die bloßen Tatsachen, soweit sie zur Charakteristik der Lage des englischen Proletariats dienen, beschränken. 30 Die erste, rohste und unfruchtbarste Form dieser Empörung war das Verbrechen. Der Arbeiter lebte in Not und Elend und sah, daß andere Leute es besser hatten als er. Seinem Verstände leuchtete nicht ein, weshalb er gerade, der doch mehr für die Ge¬ sellschaft tat als der reiche Faulenzer, unter diesen Umständen 35 leiden sollte. Die Not besiegte noch dazu den angestammten Re¬ spekt vor dem Eigentum — er stahl. Wir sahen, wie mit der Aus¬ dehnung der Industrie das Verbrechen zunahm, wie die jährliche Zahl der Verhaftungen im steten Verhältnis zu der der konsumier¬ ten Baumwollballen steht. 40 Aber die Arbeiter sahen bald ein, daß dies nichts half. Die Verbrecher konnten nur einzeln, nur als Individuen durch ihren Diebstahl gegen die bestehende Gesellschaftsordnung protestieren; die ganze Macht der Gesellschaft warf sich auf jeden einzeln und 33 1892 weshalb grade er,
204 Arbeiterbewegungen erdrückte ihn mit einer ungeheuren Übermacht. Zudem war der Diebstahl die ungebildetste, bewußtloseste Form der Protestation, und schon deshalb nie der allgemeine Ausdruck für die öffentliche Meinung der Arbeiter, obwohl sie ihn im stillen billigen mochte. Die Arbeiterklasse ergriff erst Opposition gegen die Bour- j geoisie, als sie sich gewaltsam der Einführung von Maschinerie widersetzte, wie dies gleich im Anfänge der industriellen Be¬ wegung geschah. Die ersten Erfinder, Arkwright usw. wurden schon auf diese Weise verfolgt und ihre Maschinen zerschlagen; später kamen eine Menge von Auf ständen gegen Maschinerie vor, 10 bei denen es fast genau so zuging, wie bei den böhmischen Drucker- Unruhen im Juni 1844; die Fabriken wurden demoliert und die Maschinen zertrümmert. Auch diese Art der Opposition war nur vereinzelt, auf gewisse Lokalitäten beschränkt und richtete sich nur gegen eine einzige Seite der jetzigen Verhältnisse. War der augenblickliche Zweck erreicht, so fiel die volle Wucht der gesellschaftlichen Macht auf die wieder wehrlosen Übeltäter und züchtigte sie nach Herzenslust, während die Maschinerie dennoch eingeführt wurde. Man mußte eine neue Form für die Opposition finden. 20 Hierzu half ein Gesetz, das vom alten, unreformierten, olig- archisch-torystischen Parlament erlassen wurde, ein Gesetz, das später, als durch die Reformbill der Gegensatz zwischen Bour¬ geoisie und Proletariat gesetzlich sanktioniert und die Bourgeoisie zur herrschenden Klasse erhoben wurde, nie mehr das Unterhaus 25 passiert hätte. Dies Gesetz ging im Jahre 1824 durch und hob alle Akte auf, durch welche bisher Verbindungen zwischen Arbeitern zu Arbeiterzwecken verboten gewesen waren. Die Arbeiter bekamen das bisher nur der Aristokratie und Bourgeoisie gehörende Recht der freien Assoziation. Geheime Verbindungen 30 hatten zwar schon bisher immer unter den Arbeitern bestanden, hatten es aber nie zu großen Resultaten bringen können. In Schott¬ land hatte unter andern, wie Symons (Arts and Artizans, p. 137ff.) erzählt, schon 1812 unter den Webern in Glasgow eine allgemeine Arbeitseinstellung stattgefunden, die durch eine geheime Asso- 33 ziation zustande gebracht wurde. Sie wiederholte sich 1822, und bei dieser Gelegenheit wurde zweien Arbeitern, die sich der Asso¬ ziation nicht anschließen wollten und infolgedessen von den Assoziierten als Verräter an ihrer Klasse betrachtet wurden, Vitriolöl ins Gesicht geschüttet, wodurch sie den Gebrauch der 40 Augen verloren. Ebenso war 1818 die Assoziation der schottischen Grubenarbeiter mächtig genug, um eine allgemeine Arbeitseinstel¬ lung durchsetzen zu können. Diese Assoziationen ließen ihre Mit¬ glieder einen Eid der Treue und Verschwiegenheit ablegen, hatten regelmäßige Listen, Kassen, Buchführung und lokale Verzwei- 45
Verbindungen / Arbeitseinstellung 205 gungen. Aber die Heimlichkeit, mit der alles getrieben wurde, lähmte ihre Entwicklung. Als dagegen die Arbeiter 1824 das freie Assoziationsrecht erhielten, wurden diese Verbindungen sehr bald über ganz England ausgedehnt und mächtig. In allen Arbeits- 5 zweigen bildeten sich solche Vereine (trades’-unions) mit der un¬ verhohlenen Absicht, den einzelnen Arbeiter gegen die Tyrannei und Vernachlässigung der Bourgeoisie zu schützen. Ihre Zwecke waren: den Lohn festzustellen und en mässe, als Macht mit den Arbeitgebern zu unterhandeln, den Lohn nach dem Nutzen des io Arbeitgebers zu regulieren, ihn zu erhöhen, wenn gelegene Zeit kam, und ihn in jedem einzelnen Handwerke überall gleich hoch zu erhalten; deshalb pflegten sie mit den Kapitalisten wegen einer allgemein zu beobachtenden Lohnskala zu unterhandeln und jedem einzelnen, der sich weigerte, dieser Skala beizutreten, die Arbeit 15 aufzukündigen. Ferner, durch Beschränkung der Annahme von Lehrlingen die Nachfrage nach Arbeitern immer lebhaft und da¬ durch den Lohn hoch zu halten, der hinterlistigen Lohnverkürzung der Fabrikanten durch Einführung von neuen Maschinen und Werkzeugen etc. soviel wie möglich entgegen zu arbeiten; und end- 20 lieh, brotlose Arbeiter durch Geldmittel zu unterstützen. Dies ge¬ schieht entweder direkt aus der Vereinskasse oder durch eine Karte, worauf die nötige Legitimation verzeichnet steht und auf die hin der Arbeiter von einem Orte zum andern wandert, von seinen Gewerbsgenossen unterstützt und über die beste Gelegen- 25 heit, Arbeit zu erhalten, unterrichtet wird. Diese Wanderschaft heißt bei den Arbeitern the tramp, und der so Wandernde ein tramper. Um diese Zwecke zu erreichen, wird ein Präsident und Sekretär mit Gehalt — da zu erwarten steht, daß kein Fabrikant solche Leute beschäftigen werde — sowie ein Komitee ernannt, 30 das die wöchentlichen Beiträge erhebt und über deren Verwendung zu den Zwecken der Assoziation wacht. Wenn es möglich war und sich vorteilhaft erwies, so vereinigten sich die Handwerksgenossen einzelner Distrikte auch wohl zu einer föderierten Verbindung und hielten zu bestimmten Zeiten Versammlungen von Delegierten. In 35 einzelnen Fällen ist es versucht worden, die Genossen Eines Ge¬ werks über ganz England zu Einer großen Verbindung zu ver¬ einigen und mehrere Male — zuerst 1830 — eine allgemeine Ar¬ beiter-Assoziation des ganzen Reichs, mit besonderer Organisation jedes Gewerks in sich, zu vereinigen. Diese Assoziationen hielten io sich indes nie lange und kamen selten auch nur für den Augenblick zustande, da nur eine außerordentliche allgemeine Aufregung imstande ist, eine solche Verbindung möglich und wirksam zu machen. 9 1892 nach dem Profit
206 Arbeiterbewegungen Die Mittel, die diese Verbindungen zur Erreichung ihrer Zwecke anzuwenden pflegen, sind folgende. Weigert sich ein ein¬ zelner oder mehrere Meister, den von der Assoziation festgesetz¬ ten Lohn zu bezahlen, so wird ihm eine Deputation geschickt oder eine Petition (man sieht, die Arbeiter wissen die Gewalt des 5 absoluten Fabrikherrn in seinem kleinen Staate anzuerkennen) eingereicht; hilft das nicht, so befiehlt die Assoziation, die Ar¬ beit einzustellen, und alle Arbeiter gehen nach Hause. Diese Ar¬ beitseinstellung (turn-out oder strike) ist entweder partial, wenn einer oder einige, oder allgemein, wenn sämtliche Arbeitgeber 10 des Gewerks sich weigern, den Lohn nach den Vorschlägen der Assoziation zu regeln. Soweit gehen die gesetzlichen Mittel der Verbindung, falls nämlich die Arbeitseinstellung, was nicht immer der Fall ist, unter vorheriger Kündigung geschieht. Aber diese gesetzlichen Mittel sind eben sehr schwach, sobald es noch 15 Arbeiter gibt, die außer der Assoziation stehen oder sich von ihr durch augenblickliche, vom Bourgeois gebotene Vorteile trennen lassen. Namentlich bei partialen Arbeitseinstellungen kann sich der Fabrikant leicht aus diesen räudigen Schafen (Knobsticks ge¬ nannt) rekrutieren, und dadurch die Anstrengungen der vereinig- 20 ten Arbeiter fruchtlos machen. Gewöhnlich werden diese Knob¬ sticks dann von den Verbindungsgliedern bedroht, gescholten, ge¬ schlagen oder sonst gemißhanddt, kurz, auf jede Weise ein¬ geschüchtert; eine Klage folgt, und da die gesetzliebende Bour¬ geoisie bis jetzt noch die Macht hat, so ist die Kraft der Assozia- 25 tion durch den ersten gesetzwidrigen Akt, durch die erste gericht¬ liche Klage gegen ihre Mitglieder fast jedesmal gebrochen. Die Geschichte dieser Verbindungen ist eine lange Reihe von Niederlagen der Arbeiter, unterbrochen von wenigen einzelnen Siegen. Es ist natürlich, daß alle diese Anstrengungen das Gesetz 30 der Ökonomie nicht ändern können, daß sich der Lohn durch das Verhältnis der Nachfrage zum Angebot im Arbeitsmarkte richtet. Daher sind diese Verbindungen gegen alle großen Ursachen, die auf dies Verhältnis wirken, ohnmächtig, in einer Handelskri¬ sis muß die Assoziation den Lohn selbst herabsetzen oder sich 35 gänzlich auflösen, und bei einer bedeutenden Steigerung der Nachfrage nach Arbeit kann sie den Lohn nicht höher stellen, als es ohnehin von selbst durch die Konkurrenz der Kapitalisten ge¬ schehen würde. Aber gegen kleinere, einzeln wirkende Ursachen sind sie allerdings mächtig. Hätte der Fabrikant von den Arbei- 40 tern keine konzentrierte, massenhafte Opposition zu erwarten, so würde er um seines Nutzens willen allmählich den Lohn immer 9 1892 partiell, 18 1892 partiellen 32 1892 Arbeitsmarkte bestimmt.
Wirkung der Verbindungen und Turnouts 207 mehr und mehr drücken; der Kampf der Konkurrenz, den er gegen die andern Fabrikanten zu bestehen hat, würde ihn sogar dazu zwingen, und der Lohn bald auf sein Minimum sinken. Diese Konkurrenz der Fabrikanten unter sich wird aber in Durch- 5 Schnittsverhältnissen allerdings durch die Opposition der Arbeiter gehemmt. Jeder Fabrikant weiß, daß die Folge einer nicht durch Umstände, denen auch seine Konkurrenten unterwor¬ fen sind, gerechtfertigten Lohnverkürzung ein Strike sein würde, der ihm sichern Schaden bringt, weil sein Kapital für die Dauer 10 desselben müßig stehen, seine Maschinerie verrosten würde, wäh¬ rend es in einem solchen Falle allerdings noch sehr ungewiß ist, ob er seine Lohnverkürzung durchsetzt, und er die Gewißheit hat, daß, sowie sie ihm gelingt, seine Konkurrenten ihm folgen, die Preise des Fabrikats drücken und ihm dadurch den Nutzen der- 15 selben wieder entziehen werden. Dann bringen die Verbindungen allerdings öfter eine schnellere Erhöhung des Lohnes nach einer Krisis hervor, als diese sonst eintreten würde; der Fabrikant hat ja das Interesse, den Lohn nicht früher zu erhöhen, als die Kon¬ kurrenz seiner Mitfabrikanten ihn dazu zwingt, während jetzt die 20 Arbeiter selbst einen höheren Lohn fordern, wenn der Markt sich bessert und sie den Fabrikanten unter solchen Umständen wegen geringerer Auswahl von Arbeitern oft durch eine Arbeitseinstel¬ lung zur Lohnerhöhung zwingen können. Aber wie gesagt, gegeyi bedeutendere Ursachen, die den Arbeitsmarkt verändern, sind 25 die Verbindungen wirkungslos. In solchen Fällen treibt der Hun¬ ger die Arbeiter allmählich dazu, zu jeden Bedingungen die Ar¬ beit wieder anzutreten, und wenn erst einige wieder eingetreten sind, so ist die Macht der Assoziation gebrochen, weil diese weni¬ gen Knobsticks mit den noch im Markte befindlichen Waren vor- 30 räten die Bourgeoisie in den Stand setzen, die schlimmsten Fol¬ gen der Geschäftsstörung zu beseitigen. Die Fonds der Assozia¬ tion werden durch die Menge der zu Unterstützenden bald er¬ schöpft, der Kredit, den die Krämer gegen hohe Zinsen geben, wird auf die Dauer verweigert, und die Not zwingt die Arbeiter, 35 in das Joch der Bourgeoisie zurückzukehren. Weil aber die Fa¬ brikanten in ihrem eignen Interesse — freilich ist es nur durch die Opposition der Arbeiter ihr Interesse geworden — alle un¬ nötigen Lohnverkürzungen vermeiden müssen, während die Ar¬ beiter in jeder durch die Handelsverhältnisse bedingten Herab- 40 Setzung des Lohns eine Verschlechterung ihrer Lage fühlen, gegen die sie sich möglichst zu wahren haben, deshalb fallen die mei¬ sten Turnouts zum Nachteil der Arbeiter aus. Man wird fragen, weshalb denn die Arbeiter in solchen Fällen, wo doch die Nutz¬ losigkeit der Maßregel auf der Hand liegt, die Arbeit einstellen? 45 Einfach, weil sie gegen die Herabsetzung des Lohns und selbst
208 Arbeiterbewegungen gegen die Notwendigkeit dieser Herabsetzung protestieren müs¬ sen, weil sie erklären müssen, daß sie, als Menschen, nicht nach den Verhältnissen sich zu schicken, sondern daß die Verhältnisse sich nach ihnen, den Menschen, zu richten haben; weil ihr Stillschweigen eine Anerkennung dieser Verhältnisse, eine An- 5 erkennung sein würde des Rechtes der Bourgeoisie, während guter Handelsperioden die Arbeiter auszubeuten und sie in schlechten Zeiten verhungern zu lassen. Die Arbeiter müssen da¬ gegen protestieren, solange sie noch nicht alles menschliche Ge¬ fühl verloren haben, und daß sie s o und nicht anders protestie-10 ren, kommt daher, weil sie Engländer, praktische Leute sind, die ihren Protest durch eine Tat einlegen, und nicht wie die deut¬ schen Theoretiker ruhig schlafen gehen, sobald ihr Protest ge¬ hörig protokolliert und ad acta gelegt ist, um dort ebenso ruhig zu schlafen wie die Protestierenden. Der tatsächliche Protest des 15 Engländers dagegen hat seine Wirkung, er hält die Geldgier der Bourgeoisie in gewissen Schranken und erhält die Opposition der Arbeiter gegen die gesellschaftliche und politische Allmacht der besitzenden Klasse lebendig, während er ihnen allerdings auch das Geständnis abzwingt, daß etwas mehr als Arbeiterver- 20 bindungen und Turnouts nötig ist, um die Herrschaft der Bour¬ geoisie zu brechen. Was aber diesen Assoziationen und den aus ihnen hervorgehenden Turnouts die eigentliche Wichtigkeit gibt, ist das, daß sie der erste Versuch der Arbeiter sind, die Kon¬ kurrenz aufzuheben. Sie setzen die Einsicht voraus, daß 25 die Herrschaft der Bourgeoisie nur auf der Konkurrenz der Ar¬ beiter unter sich beruht, d. h. auf der Zersplitterung des Proleta¬ riats, aus der Entgegensetzung der einzelnen Arbeiter gegen ein¬ ander. Und gerade weil sie sich, wenn auch nur einseitig, nur auf beschränkte Weise gegen die Konkurrenz, gegen den Lebensnerv 30 der jetzigen sozialen Ordnung richten, gerade deshalb sind sie dieser sozialen Ordnung so gefährlich. Der Arbeiter kann die Bourgeoisie und mit ihr die ganze bestehende Einrichtung der Gesellschaft an keinem wunderen Fleck angreifen als an diesem. Ist die Konkurrenz der Arbeiter unter sich gestört, sind alle Ar- 35 beiter entschlossen, sich nicht mehr durch die Bourgeoisie aus¬ beuten zu lassen, so ist das Reich des Besitzes am Ende. Der Ar¬ beitslohn ist ja bloß deshalb von dem Verhältnisse von Nachfrage und Angebot, von der zufälligen Lage des Arbeitsmarktes abhän¬ gig, weil die Arbeiter sich bisher gefallen ließen, als Sache, die 40 man kauft und verkauft, behandelt zu werden. Beschließen die Arbeiter, sich nicht mehr kaufen und verkaufen zu lassen, treten sie bei der Bestimmung, was denn eigentlich der Wert der Arbeit 27—29 d. h. auf .. gegen einander. 1887 irrtümlich i. e. upon the cohesion of the Proletariat. 1892 (engl. Ausg.) i. e. upon their want of cohesion.
Verbrechen infolge von Streikkämpfen 209 sei, als Menschen auf, die neben der Arbeitskraft auch einen Willen haben, so ist es aus mit der ganzen heutigen Nationalöko¬ nomie und den Gesetzen des Lohns. Die Gesetze des Lohns wür¬ den allerdings auf die Dauer sich wieder geltend machen, wenn 5 die Arbeiter bei der Aufhebung der Konkurrenz unter sich selbst stehen bleiben; aber das können sie nicht, ohne ihre ganze bis¬ herige Bewegung aufzugeben, ohne diese Konkurrenz der Arbei¬ ter unter sich wiederherzustellen, d. h. sie können es überhaupt nicht. Die Notwendigkeit zwingt sie dazu, nicht nur einen Teil 10 der Konkurrenz, sondern die Konkurrenz überhaupt aufzuheben — und das werden sie auch tun. Die Arbeiter sehen es schon jetzt täglich mehr ein, was sie an der Konkurrenz haben, sie sehen bes¬ ser ein als die Bourgeois, daß auch die Konkurrenz der Besitzen¬ den unter sich, indem sie die Handelskrisen hervorbringt, auf 15 den Arbeiter drückt, und daß auch diese zu beseitigen ist. Sie werden es bald einsehen, wie sie dies anzufangen haben. — Daß diese Verbindungen sehr dazu beitragen, den Haß und die Erbitterung der Arbeiter gegen die besitzende Klasse zu nähren, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden. Von diesen Verbindun- 20 gen gehen daher — mit oder ohne Mitwissen der leitenden Mit¬ glieder — in Zeiten ungewöhnlicher Aufregung einzelne Hand¬ lungen aus, die nur durch einen bis zur Verzweiflung gesteiger¬ ten Haß, durch eine wilde, alle Schranken durchbrechende Lei¬ denschaft zu erklären sind. Dieser Art sind die oben erwähnten 25 Fälle von Übergießung mit Vitriolöl, und eine Reihe anderer, von denen ich einige erzählen will. 1831 wurde während einer heftigen Arbeiterbewegung der junge Ashton, Fabrikant in Hyde bei Manchester, eines Abends, als er durch die Felder ging, er¬ schossen, und nie eine Spur des Täters entdeckt. Es ist kein Zwei- 30 fei, daß es eine Tat der Rache von Arbeitern war. — Brandstiftun¬ gen und Sprengungsversuche sind sehr häufig. Freitag den 29. Sept. 1843 wurde ein Versuch gemacht, die Werkstatt des Sägenfabri¬ kanten Padgin in Howard-Street, Sheffield, in die Luft zu sprengen. Eine eiserne, mit Pulver gefüllte und zugekeilte Röhre 35 war das Mittel dazu — der Schade war beträchtlich. Am folgen¬ den Tag, den 30. Sept., fiel ein ähnlicher Versuch in der Messer¬ und Feilenfabrik von Ibbetson, ShalesMoor bei Sheffield, vor. Herr Ibbetson hatte sich durch tätige Teilnahme an Bour¬ geoisie-Bewegungen, durch niedrigen Lohn, ausschließliche Be- 40 schäftigung von Knobsticks und Ausbeutung der Armengesetze zu seinem Vorteil (indem er während der Krisis 1842 die Arbei¬ ter dadurch zur Annahme niedrigen Lohns zwang, daß er die Wei¬ gernden der Armenverwaltung als solche, die Arbeit bekommen könnten, aber nicht wollten, und also keine Unterstützung ver- 38—39 1892 Bourgeois-Bewegungen, Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 14
210 Arbeiterbewegungen dienten, namhaft machte) verhaßt gemacht. Ziemlicher Scha¬ den wurde durch die Explosion angerichtet, und alle Arbeiter, die ihn zu besehen kamen, bedauerten nur, „daß nicht die ganze Geschichte in die Luft gesprengt sei“. — Freitag den 6. Oktober 1843 ein Brandstiftungsversuch in der Fabrik von Ainsworth und 5 Crompton in Bolton, richtete keinen Schaden an — es war der dritte oder vierte Versuch in einer sehr kurzen Zeit und in der¬ selben Fabrik. — In der Sitzung des Stadtrats von Sheffield am Mittwoch den 10. Januar 1844 legte der Polizeikommissär eine eigens zum Sprengen gemachte Maschine von Gußeisen vor, die, io mit 4 Pfd. Pulver gefüllt und mit einer angebrannten, aber er¬ loschenen Lunte versehen, in der Fabrik des Herrn Kitchen, Earl- Street, Sheffield, gefunden war. — Sonntag den 20. Januar 1844 fiel eine Explosion in der Sägemühle von Bentley und White, Bury, Lancashire, vor, die, durch hineingeworfene Pulverpakete verur- is sacht, bedeutenden Schaden anrichtete. — Donnerstag den 1. Fe¬ bruar 1844 wurden die Soho Wheel Works in Sheffield in Brand gesteckt und ein Raub der Flammen. — Das sind sechs derartige Fälle in vier Monaten, die alle nur in der Erbitterung der Arbeiter gegen die Arbeitgeber ihren Grund haben. Welch 20 ein sozialer Zustand derjenige sein muß, in dem solche Dinge nur möglich sind, brauche ich wohl nicht zu sagen. Diese Tatsachen sind Beleg genug, daß in England, selbst in flotten Geschäfts¬ perioden, wie Ende 1843, der soziale Krieg erklärt ist und offen gehandhabt wird — und doch besinnt sich die englische Bourgeoi- 25 sie noch immer nicht! — Aber der Fall, der am lautesten spricht, ist der der Thugs von Glasgow*), der vor den Assisen die¬ ser Stadt vom 3. bis 11. Januar 1838 verhandelt wurde. Aus den Verhandlungen ging hervor, daß die Assoziation der Baumwoll¬ spinner, die hier seit 1816 existierte, eine seltene Organisation 30 und Kraft besaß. Die Mitglieder waren durch Eid an die Be¬ schlüsse der Majorität gebunden und hatten während jedes Turn¬ outs ein geheimes Komitee, das der großen Menge der Mitglieder nicht bekannt war und unbeschränkt über die Gelder verfügen konnte. Dies Komitee stellte Preise auf die Köpfe von Knobsticks, 35 verhaßten Fabrikanten und auf Brandstiftungen in Fabriken. Eine Fabrik wurde so in Brand gesteckt, in welcher weibliche Knobsticks anstatt der Männer zum Spinnen beschäftigt wurden; eine Frau MacPherson, Mutter eines dieser Mädchen, ermordet, und die beiden Mörder für Rechnung der Assoziation nach Ame- 40 rika geschafft. — 1820 schon war auf einen Knobstick, namens *) Thugs wurden diese Arbeiter nach dem ostindischen, bekannten Volksstamm genannt, dessen einziges Gewerbe der Meuchelmord aller Fremden ist, die ihm in die Hände fallen.
Charakter der Kämpfe des englischen Proletariats 211 MacQuarry, geschossen und dieser verwundet worden, wofür der Täter fünfzehn Pfund Sterling von der Assoziation bekam. Später wurde ebenfalls auf einen gewissen Graham geschossen; der Täter erhielt 20 Pfund, wurde aber entdeckt und auf Lebens- 5 zeit transportiert. 1837 endlich, im Mai, fielen infolge eines Turnouts bei den Oatbank und Mile-End-Fabriken Unruhen vor, wobei etwa ein Dutzend Knobsticks mißhandelt wurden; im Juli desselben Jahres dauerten die Unruhen noch fort und ein gewis¬ ser Smith, ein Knobstick, wurde so mißhandelt, daß er starb. Jetzt io wurde das Komitee verhaftet, die Untersuchung begonnen und in¬ folge derselben der Präsident und die Hauptmitglieder der Teil¬ nahme an ungesetzlichen Verbindungen, der Mißhandlung der Knobsticks und der Brandstiftung in der Fabrik von James und Francis Wood schuldig befunden und für 7 Jahre transportiert. 15 — Was sagen unsere guten Deutschen zu dieser Geschichte? *) Die besitzende Klasse und namentlich der fabrizierende Teil derselben, der unmittelbar mit den Arbeitern in Berührung kommt, eifert mit der größten Heftigkeit gegen diese Verbindun¬ gen und sucht den Arbeitern fortwährend die Nutzlosigkeit der- 20 selben mit Gründen zu beweisen, die nationalökonomisch ganz richtig, aber eben deswegen teilweise falsch und für einen Arbei¬ terverstand ganz und gar wirkungslos sind. Schon der Eifer der Bourgeoisie beweist, daß sie nicht uninteressiert bei der Sache ist, und abgesehen von dem unmittelbaren Schaden eines Turnouts 25 stehen die Sachen hier so, daß das, was in die Taschen des Fabri¬ kanten geht, notwendig aus der des Arbeiters gehen muß. Und wüßten selbst die Arbeiter nicht zu gut, daß die Verbindungen die wetteifernde Lohnkürzungslust ihrer Brotherrn wenigstens einigermaßen im Zaume halten, so würden sie schon deshalb 30 dabei bleiben, weil sie den Fabrikanten, ihren Gegnern, dadurch •) „Was für eine Art „wilder Gerechtigkeit“ (wild justice) muß es ge¬ wesen sein in den Herzen dieser Männer, die sie antreibt, mit kalter Über¬ legung, im Konklave versammelt, ihren arbeitenden Mitbruder als Deser¬ teur von seinem Stande und von der Sache seines Standes zum Tode eines 35 Verräters und Deserteurs zu verurteilen, ihn hinzurichten, da ein öffent¬ licher Richter und Henker es nicht tut, durch einen heimlichen Henker, gleich dem alten Vehmgericht und geheimen Tribunal der Ritterzeit, das plötzlich in dieser Weise sich erneuert, mehr als ein Mal plötzlich vor das erstaunte Auge der Leute tritt, nicht in Panzerhemden, sondern in Samt- 40 jacken gekleidet, nicht in westfälischen Wäldern sich versammelnd, son¬ dern im gepflasterten Gallowgate von Glasgow! Solch ein Gefühl muß weit verbreitet sein, und stark unter der Menge, wenn es auch nur in seiner höchsten Spitze eine solche Gestalt in wenigen annehmen kann!“ — Carlyle, Chartism, p. 40. 1—3 1887 fehlt wofür .. geschossen 14*
212 Arbeiterbewegungen schaden. Im Kriege ist der Schaden einer Partei der Nutzen der andern, und da die Arbeiter gegen ihre Fabrikherm auf dem Kriegsfuße stehen, so ist das nur dasselbe, was die hohen Poten¬ taten auch tun, wenn sie sich gegenseitig in die Haare geraten. — Vor allen andern Bourgeois ist wieder unser Freimd, der Doktor 5 Ure, der wütendste Feind aller Arbeiterverbindungen. Er schäumt vor Entrüstung über die „geheimen Tribunale“ der Baumwollspinner, der mächtigsten Arbeitersektion, Tribunale, die sich rühmen, jeden ungehorsamen Fabrikanten paralysieren zu können, „und so den Mann ruinieren, der ihnen jahrelang 10 Unterhalt gab“. Er spricht von einer Zeit, „wo das erfinderische Haupt und das belebende Herz der Industrie durch die unruhi¬ gen unteren Glieder in Knechtschaft erhalten wurden“, — schade, daß die englischen Arbeiter sich nicht so leicht durch Deine Fa¬ bel beschwichtigen lassen, wie die römischen Plebejer, neuer Me-15 nenius Agrippa! — und erzählt endlich folgende schöne Ge¬ schichte: Die Mule-Grobspinner hätten auch einmal ihre Kräfte bis zur Unerträglichkeit gemißbraucht. Hoher Lohn, anstatt zu dankbarem Sinne gegen den Fabrikanten und geistiger Ausbil¬ dung (in unschädlichen, der Bourgeoisie wohl gar nützlichen 20 Wissenschaften, versteht sich) zu führen, habe in vielen Fällen Stolz hervorgebracht und Gelder zur Unterstützung des wider¬ spenstigen Geistes in Strikes herbeigeschafft, mit denen eine An¬ zahl von Fabrikanten nach der andern ganz willkürlich heim¬ gesucht worden sei. Während eines unglückseligen Lärms dieser 25 Art in Hyde, Dukinfield und den umliegenden Ortschaften hät¬ ten sich die Fabrikanten der Gegend, besorgt, von den Franzo¬ sen, Belgiern und Amerikanern aus dem Markte vertrieben zu werden, an die Maschinenfabrik von Sharp, Roberts und Comp. mit der Bitte gewandt, das erfinderische Talent des Herrn Sharp 30 auf die Konstruktion einer automatischen Mule zu lenken, um „das Geschäft von vergällender Sklaverei und drohendem Ruin zu retten“. — „In wenig Monaten war eine Maschine fertig, die dem Anscheine nach mit dem Denkvermögen, Gefühl und Takt des erfahrnen Arbeiters begabt war. So sprang der eisernem Mann, wie die Arbeiter sie nennen, aus den Händen des modernen Prometheus auf das Gebot der Mi¬ nerva — ein Geschöpf, bestimmt, unter den industriellen Klas¬ sen die Ordnung wiederherzustellen und den Engländern die Herrschaft der Industrie zu sichern. Die Nachricht von diesem 40 herkulischen Wunder verbreitete Entsetzen in der Arbeiterver¬ bindung, und selbst ehe es, sozusagen, die Wiege verließ, erwürgte es die Hydra der Anarchie.“ So beweist Ure ferner, daß die Erfindung der Maschine, womit vier und fünf Farben zu gleicher Zeit gedruckt werden, eine Folge 45
Charakter der Kämpfe des englischen Proletariats 213 der Unruhen unter den Kattundruckern gewesen sei, daß Wider¬ setzlichkeiten der Kettenschlichter in den Maschinenwebereien eine neue vervollkommnete Maschine zum Schlichten hervor¬ gerufen hätten, und noch andere dergleichen Fälle.*) Derselbe 5 Ure plagt sich kurz vorher, mehrere Bogen lang zu beweisen, daß Maschinerie den Arbeitern vorteilhaft sei! — Ure ist übrigens nicht der einzige; im Fabrikbericht läßt Herr Ashworth, der Fa¬ brikant, und mancher andre sich keine Gelegenheit entgehen, sei¬ nem Zorne über diese Assoziationen Luft zu machen. Diese wei- 10 sen Bourgeois machen es gerade wie gewisse Regierungen und leiten alle Bewegungen, welche sie nicht verstehen, von dem Ein¬ flüsse böswilliger Agitatoren, Übelgesinnter, Demagogen, Schreier und junger Leute her; sie behaupten, die bezahlten Agenten die¬ ser Verbindungen seien bei der Agitation interessiert, weil sie von 15 ihr lebten — als ob nicht die Bourgeoisie diese Bezahlung nötig machte, weil sie solche Leute nicht beschäftigen will! Die unglaubliche Häufigkeit dieser Arbeitseinstellungen be¬ weist es am besten, wie weit der soziale Krieg schon über Eng¬ land hereingebrochen ist. Es vergeht keine Woche, ja fast kein 20 Tag, wo nicht hier oder dort ein Strike vorkommt — bald wegen Lohnverkürzung, bald wegen verweigerter Lohnerhöhung, bald wegen Beschäftigung von Knobsticks, bald wegen verweigerter Abstellung von Mißbräuchen oder schlechten Einrichtungen, bald wegen neuer Maschinerie, bald aus hundert andern Ursachen. 25 Diese Strikes sind allerdings erst Vorpostenscharmützel, zuwei¬ len auch bedeutendere Gefechte; sie entscheiden nichts, aber sie sind der sicherste Beweis, daß die entscheidende Schlacht zwi¬ schen Proletariat und Bourgeoisie herannaht. Sie sind die Kriegs¬ schule der Arbeiter, in der sie sich auf den großen Kampf vor- 30 bereiten, der nicht mehr zu vermeiden ist; sie sind die Pronuncia- mientos einzelner Arbeitszweige über ihren Anschluß an die große Arbeiterbewegung. Und wenn man einen Jahrgang des „Northern Star“, des einzigen Blattes, das alle Bewegungen des Proletariats berichtet, vergleicht, so wird man finden, daß alle Arbeiter der 35 Städte und der ländlichen Industrie sich zu Assoziationen ver¬ einigt und von Zeit zu Zeit durch allgemeines Feiern gegen die Herrschaft der Bourgeoisie protestiert haben. Und als Kriegs¬ schule sind sie von unübertrefflicher Wirkung. In ihnen entwik- kelt sich die eigentümliche Tapferkeit des Engländers. Es heißt 40 auf dem Kontinent, die Engländer und besonders die Arbeiter seien feig, sie könnten keine Revolution machen, weil sie nicht gleich den Franzosen jeden Augenblick Erneuten machen, weil sie sich das Bourgeoisie-Regime so scheinbar ruhig gefallen lassen. *) Ure, Philosophy of Manufactures, p. 366 ff.
214 Arbeiterbewegungen Dies ist ganz falsch. Die englischen Arbeiter geben keiner Nation an Mut etwas nach, sie sind ebenso unruhig wie die Franzosen, aber sie kämpfen anders. Die Franzosen, die durchaus politischer Natur sind, kämpfen auch gegen soziale Übel auf politischem Wege; die Engländer, für die die Politik nur um des Interesses, 5 um der bürgerlichen Gesellschaft willen existiert, kämpfen, statt gegen die Regierung, direkt gegen die Bourgeoisie, und dies kann mit Effekt einstweilen nur auf friedlichem Wege geschehen. Die Geschäftsstockung und das ihr folgende Elend erzeugte 1834 zu Lyon den Aufstand für die Republik, 1842 zu Manchester den 10 allgemeinen Tumout für die Volkscharte und hohen Lohn. Daß aber zu einem Tumout auch Mut, und das bedeutender, ja oft ein viel höherer Mut, eine viel kühnere, festere Entschlossenheit gehört, als zu einer Erneute, das versteht sich von selbst. Es ist wahrhaft keine Kleinigkeit für einen Arbeiter, der das Elend aus 15 Erfahrung kennt, ihm mit Frau und Kindern entgegenzugehen, Hunger und Not monatelang zu ertragen und dabei fest und un¬ erschütterlich zu bleiben. Was ist der Tod, was sind die Galee¬ ren, die dem französischen Revolutionär bevorstehen, gegen das langsame Verhungern, gegen den täglichen Anblick der verhun- 20 gemden Familie, gegen die Gewißheit der dereinstigen Rache der Bourgeoisie, die der englische Arbeiter der Unterwerfung unter das Joch der besitzenden Klasse vorzieht? Wir werden unten ein Beispiel von diesem hartnäckigen, unüberwindlichen Mute des englischen Arbeiters sehen, der sich erst dann der Gewalt ergibt, 25 wenn aller Widerstand zwecklos und unsinnig wäre. Und gerade in dieser ruhigen Ausdauer, in dieser langanhaltenden Ent¬ schlossenheit, die täglich hundert Proben zu bestehen hat, gerade hierin entwickelt der englische Arbeiter die achtunggebietendste Seite seines Charakters. Leute, die so viel erdulden, um einen 30 einzigen Bourgeois zu beugen, werden auch imstande sein, die Macht der ganzen Bourgeoisie zu brechen. Aber auch abgesehen davon hat der englische Arbeiter oft genug Mut gezeigt. Daß der Turnout von 1842 keine weiteren Folgen hatte, lag daran, daß teils die Arbeiter durch die Bourgeoisie in ihn hineingejagt, teils 35 selbst über ihren Zweck weder klar noch einig waren. Aber sonst haben sie ihren Mut da, wo es sich um bestimmte soziale Zwecke handelte, oft genug bewiesen. Von der walisischen Insur¬ rektion 1839 nicht zu reden, wurde während meiner Anwesenheit in Manchester (im Mai 1843) dort ein vollständiges Gefecht ge- 40 liefert. Eine Ziegelfabrik (Pauling und Henfrey) hatte nämlich die Form der Ziegel vergrößert, ohne den Lohn zu erhöhen, und verkaufte die größeren Ziegel natürlich zu höherem Preise. Die Arbeiter, denen höherer Lohn abgeschlagen wurde, gingen fort, 38 Orig, wälschen
Gefecht in Manchester, Mai 1843 215 und die Assoziation der Ziegelmacher erklärte die Firma in die Acht. Mit vieler Mühe gelang es dieser indes, sich aus der Um¬ gegend und den Knobsticks Arbeiter zu verschaffen, gegen die zu¬ erst Intimidation gebraucht wurde. Die Firma stellte zur Bewa- 5 chung des Hofes zwölf Männer, alles ehemalige Soldaten und Po¬ lizeidiener, auf und bewaffnete sie mit Flinten. Als mm die In¬ timidation nichts half, überfiel eines Abends um zehn Uhr eine Schar Ziegelmacher, die in militärischer Ordnung, die ersten Glieder mit Flinten bewaffnet, heranzog, den Hof, der kaum vier- w hundert Schritt von einer Infanteriekaserne entfernt liegt.*) Die Leute drangen ein, und sobald sie die Wächter gewahr wurden, feuerten sie auf diese, zerstampften die ausgebreiteten nassen Ziegel, rissen die aufgehäuften Reihen der schon getrockneten ein, demolierten alles, was ihnen in den Weg kam, und drangen in 15 ein Gebäude ein, wo sie die Möbel zerschlugen und die Frau des dort wohnenden Aufsehers mißhandelten. Unterdes hatten die Wächter sich hinter eine Hecke postiert, von der aus sie sicher und ungehindert feuern konnten; die Eingedrungenen standen vor einem brennenden Ziegelofen, der sie hell beleuchtete, so daß 20 jede Kugel ihrer Gegner traf, während jeder Schuß von ihrer Seite fehlging. Das Feuern wurde indes über eine halbe Stunde fortgesetzt, bis die Munition verschossen und der Zweck des Be¬ suchs, die Zerstörung aller zerstörbaren Gegenstände im Hof, er¬ reicht war. Dann kam Militär angerückt und die Ziegelmacher 23 zogen sich nach Eccles (drei Meilen von Manchester) zurück. Kurz vor Eccles hielten sie Appell, wobei jeder Mann nach sei¬ ner Nummer in der Sektion auf gerufen wurde, und zerstreuten sich dann, natürlich nur um der von allen Seiten anrückenden Polizei desto sicherer in die Hände zu fallen. Die Zahl der Ver- 30 wundeten muß sehr bedeutend gewesen sein, doch wurden nur. die bekannt, die nachher gefangen wurden. Einer von ihnen hatte drei Kugeln erhalten, in den Schenkel, in die Wade und in die Schulter, und sich damit über vier Meilen weit geschleppt. — Diese Leute haben denn doch wohl bewiesen, daß sie auch revo- 35 lutionären Mut haben und einen Kugelregen nicht scheuen; wenn aber unbewaffnete Massen, die selbst nicht wissen, was sie eigent¬ lich wollen, auf abgeschlossenen Marktplätzen von ein paar Dra¬ gonern und Polizeidienern, die die Zugänge besetzen, im Zaum gehalten werden, wie dies 1842 geschah, so ist das durchaus kein 40 Mangel an Mut, sondern die Masse würde sich ebensowenig ge¬ rührt haben, wären die Diener der öffentlichen, d. h. Bourgeoisie¬ gewalt nicht da gewesen. Wo das Volk bestimmte Zwecke im Auge *) An der Ecke von Cross Lane und Regent Road — siehe den Plan von Manchester.
216 Arbeiterbewegungen hatte, da zeigte es Mut genug, z. B. bei dem Angriff auf Birley’s Fabrik, die später durch Auffahrung von Artillerie geschützt wer¬ den mußte. Bei dieser Gelegenheit ein paar Worte über die Heilighaltung des Gesetzes in England. Allerdings, dem Bourgeois ist das Ge- 5 setz heilig, denn es ist sein eigen Machwerk, mit seiner Einwilli¬ gung und zu seinem Schutz und Vorteil erlassen. Er weiß, daß wenn auch ein einzelnes Gesetz ihm speziell schaden sollte, doch der ganze Komplex der Gesetzgebung seine Interessen schützt und vor allem die Heiligkeit des Gesetzes, die Unantastbarkeit der 10 durch die aktive Willensäußerung des einen und die passive des andern Teils der Gesellschaft einmal festgestellten Ordnung die stärkste Stütze seiner sozialen Stellung ist. Weil der englische Bourgeois in dem Gesetze, wie in seinem Gott, sich selbst wieder- findet, deshalb hält er es heilig, deshalb hat für ihn der Stock des 15 Polizeidieners, der ja eigentlich sein eigner Stock ist, eine wun¬ derbar beschwichtigende Macht. Aber für den Arbeiter wahrhaf¬ tig nicht. Der Arbeiter weiß zu gut und hat zu oft erfahren, daß das Gesetz für ihn eine Rute ist, die ihm der Bourgeois gebunden hat, und wenn er nicht muß, so kehrt er sich nicht ans Gesetz. Es 20 ist lächerlich, zu behaupten, der englische Arbeiter habe vor der Polizei Furcht, wo doch in Manchester die Polizei alle Wochen Prügel erhält, und voriges Jahr sogar einmal ein Sturm auf ein mit eisernen Türen und schweren Fensterladen gesichertes Sta¬ tionshaus versucht wurde. Die Macht der Polizei im Tumout 25 1842 lag, wie gesagt, nur in der Ratlosigkeit der Arbeiter selbst. Da nun die Arbeiter das Gesetz nicht respektieren, sondern bloß seine Macht gelten lassen, wo sie nicht die Macht haben, es zu ändern, so ist das allematürlichste, daß sie wenigstens Vor¬ schläge zur Änderung des Gesetzes haben, daß sie an die Stelle 30 des Bourgeoisiegesetzes ein Proletariatsgesetz stellen wollen. Dies vorgeschlagene Gesetz des Proletariats ist die Volkscharte (people’s charter), die der Form nach rein politisch ist und eine demokratische Basis für das Unterhaus verlangt. Der C h a r t i s - mus ist die kompakte Form der Opposition gegen die Bourgeoi- 35 sie. In den Verbindungen und Turnouts blieb die Opposition immer einzeln, es waren einzelne Arbeiter oder Arbeitersektionen, die gegen einzelne Bourgeois kämpften; wurde der Kampf all¬ gemein, so war dies wenig Absicht von Seiten der Arbeiter, und wenn es absichtlich geschah, so lag der Absicht der Chartismus 40 zum Grunde. Aber im Chartismus ist es die ganze Arbeiterklasse, die gegen die Bourgeoisie aufsteht, und vor allem die politische 30 1892 Gesetzes machen, 31 1892 Bourgeoisgesetzes ein Proletariergesetz 39 1892 selten Absicht
Die Achtung vor dem Gesetz dem Proletariat fremd 217 Gewalt derselben, die gesetzliche Mauer, mit der sie sich umgeben hat, angreift. Der Chartismus ist hervorgegangen aus der de¬ mokratischen Partei, die sich in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, zugleich mit und in dem Prole- 5 tariat, entwickelte, während der französischen Revolution an Stärke gewann, nach dem Frieden als „radikale“ Partei auf¬ trat, damals in Birmingham und Manchester, wie früher in Lon¬ don, ihren Hauptsitz hatte, den Oligarchen des alten Parlaments durch Vereinigung mit der liberalen Bourgeoisie die Reformbill 10 abnötigte, und sich seitdem immer schärfer als Arbeiterpartei gegenüber der Bourgeoisie konsolidierte. 1838 entwarf ein Ko¬ mitee der allgemeinen Londoner Arbeitergesellschaft (Working Men’s Association), William Lovett an der Spitze, die Volks¬ charte, deren „sechs Punkte“ folgende sind: 1) Allgemeines 15 Stimmrecht für jeden mündigen Mann, der bei gesundem Ver¬ stände und keines Verbrechens überführt ist; 2) jährlich zu er¬ neuernde Parlamente; 3) Diäten für die Parlamentsmitglieder, damit auch Unbemittelte eine Wahl annehmen können; 4) Wah¬ len durch Ballotage, um Bestechung und Einschüchterung durch 20 die Bourgeoisie zu vermeiden; 5) gleiche Wahldistrikte, um gleich billige Repräsentation zu sichern, und 6) Abschaffung der — ohnehin illusorischen — ausschließlichen Wählbarkeit derjeni¬ gen, die 300 Pfd. St. in Grundbesitz haben, so daß jeder Wähler auch wählbar ist. — Diese sechs Punkte, die sich alle auf die 25 Konstituierung des Unterhauses beschränken, sind, so unschul¬ dig sie aussehen, dennoch hinreichend, die englische Verfassung samt Königin und Oberhaus zu zertrümmern. Das sogenannte monarchische und aristokratische Element der Verfassung kann sich nur deshalb halten, weil die Bourgeoisie ein Interesse an sei- 30 ner scheinbaren Erhaltung hat; und eine andere als eine bloße Scheinexistenz hat beides nicht mehr. Aber wenn erst die ganze öffentliche Meinung hinter dem Unterhause steht, wenn dies den Willen nicht mehr bloß der Bourgeoisie, sondern der gan¬ zen Nation ausdrückt, so wird es alle Macht so vollständig in sich 35 absorbieren, daß auch der letzte Heiligenschein von dem Haupte des Monarchen und der Aristokratie fällt. Der englische Arbeiter respektiert weder Lords noch Königin, während diese von der Bourgeoisie zwar der Sache nach wenig gefragt, aber der Person nach vergöttert werden. Der englische Chartist ist politisch Re- 40 publikaner, obgleich er das Wort nie oder doch selten in den Mund nimmt; während er allerdings mit den republikanischen Parteien aller Länder sympathisiert und sich lieber einen Demo¬ kraten nennt. Aber er ist mehr als bloßer Republikaner; seine Demokratie ist keine bloß politische. 11 irrtümlich 1835 entwarf
218 Arbeiterbewegungen Der Chartismus war allerdings von seinem Anfänge 1835 an hauptsächlich eine Bewegung unter den Arbeitern, aber noch nicht scharf von der radikalen kleinen Bourgeoisie getrennt. Der Ar¬ beiterradikalismus ging Hand in Hand mit dem Radikalismus der Bourgeoisie; die Charte was das Schiboleth beider, sie hat- 5 ten ihre „Nationalkonvente“ jedes Jahr zusammen, es schien eine Partei zu sein. Die kleine Bourgeoisie war damals gerade infolge der Enttäuschung über die Resultate der Reformbill und wegen der schlechten Geschäftsjahre 1837/39 sehr kriegerisch und mord¬ lustig gestimmt, sie ließ sich also die heftige Chartistenagitation 10 sehr gut gefallen. Von der Heftigkeit dieser Agitation hat man in Deutschland keine Vorstellung. Das Volk wurde auf gefordert, sich zu bewaffnen, oft auch geradezu, sich zu empören; man fabri¬ zierte Piken, wie früher zur Zeit der französischen Revolution, und 1838 war unter andern ein gewisser Stephens, ein methodi- 15 stischer Geistlicher, in Bewegung, der dem versammelten Volke von Manchester sagte: „Ihr braucht Euch nicht zu fürchten vor der Macht der Regierung, vor den Soldaten, Bajonetten und Ka¬ nonen, die Euren Unterdrückern zu Gebote stehen; Ihr habt ein Mittel, das ist viel mächtiger als alles das, eine Waffe, gegen 20 welche Bajonette und Kanonen nichts ausrichten; und ein zehn¬ jährig Kind kann diese Waffe schwingen — Ihr braucht bloß ein paar Zündhölzchen zu nehmen und ein Bündel Stroh, das in Pech getränkt ist, und ich will sehen, was die Regierung und ihre Hun¬ derttausende von Soldaten gegen diese eine Waffe ausrichten, 25 wenn sie kühn gebraucht wird.“*) — Zu gleicher Zeit aber zeigte sich schon jetzt der eigentümliche, soziale Charakter des Ar¬ beiter-Chartismus. Derselbe Stephens sagte in einer Versamm¬ lung von 200000 Menschen auf Kersall-Moor, dem erwähnten Mons sacer von Manchester: „Der Chartismus, meine Freunde, ist 30 keine politische Frage, wobei es sich darum handelt, daß Ihr das Wahlrecht bekommt usw.; sondern der Chartismus, das ist eine Messer- und Gabel-Frage, die Charte, das heißt gute Woh¬ nung, gutes Essen und Trinken, gutes Auskommen und kurze Ar¬ beitszeit.“ So waren auch schon zu jener Zeit die Bewegungen 35 gegen das neue Armengesetz und für die Zehnstundenbill in der engsten Verbindung mit dem Chartismus. Bei allen Meetings die¬ ser Epoche war der Tory Gastier mittätig, und neben der in Bir¬ mingham adoptierten Nationalpetition für die Volkscharte wur¬ den Hunderte von Petitionen für soziale Verbesserung der Lage 40 der Arbeiter adoptiert; 1839 ging die Agitation ebenso lebhaft fort, und als sie am Ende des Jahres anfing, etwas nachzulassen, *) Wir haben gesehen, wie die Arbeiter sich dies zu Herzen nahmen. 43 1887 fehlt Fußn.
Geschichte der Chartistenbewegung 219 beeilten sich Bussey, Taylor und Frost, zu gleicher Zeit im Nor¬ den von England, in Yorkshire und in Wales eine Erneute ausbre¬ chen zu lassen. Frost mußte, da seine Sache verraten wurde, zu früh losbrechen, und hierdurch verunglückte sein Unternehmen; 5 die im Norden erfuhren den unglücklichen Ausgang desselben noch früh genug, um zurückziehen zu können; zwei Monate spä¬ ter, im Januar 1840, brachen in Yorkshire mehrere sogenannte Polizei-Erneuten (spy-outbreaks) los, z. B. in Sheffield und Brad¬ ford, und die Aufregung ließ allmählich nach. Inzwischen warf io sich die Bourgeoisie auf praktischere, ihr vorteilhaftere Projekte, namentlich auf die Korngesetze; die Antikomgesetzassoziation wurde in Manchester gebildet und die Folge war eine Lockerung des Verbandes zwischen der radikalen Bourgeoisie und dem Pro¬ letariat. Die Arbeiter sahen bald ein, daß ihnen eine Abschaf- 15 fung der Korngesetze wenig nutzen könne, während sie der Bour¬ geoisie allerdings sehr vorteilhaft sei, und waren daher nicht für dies Projekt zu gewinnen. Die Krisis von 1842 brach herein. Die Agitation wurde wieder ebenso lebhaft wie 1839. Diesmal nahm aber auch die reiche, fabrizierende Bourgeoisie daran teil, die 20 gerade unter dieser Krisis sehr schwer litt. Die Antikomgesetz- ligue, so hieß die von den Fabrikanten von Manchester ausgegan¬ gene Verbindung jetzt, nahm eine sehr radikale, gewaltsame Ten¬ denz an. Ihre Journale und Agitatoren führten eine unverhohlen revolutionäre Sprache, die auch darin ihren Grund hatte, daß seit 25 1841 die konservative Partei am Ruder war. Wie früher die Char¬ tisten, forderten sie jetzt direkt zur Empörung auf, und die Ar¬ beiter, die von der Krisis am meisten zu leiden hatten, waren ebenfalls nicht untätig, wie die Nationalpetition dieses Jahres mit ihren 3% Millionen Unterschriften beweist. Kurz, wenn die bei- 30 den radikalen Parteien sich etwas entfremdet worden waren, so alliierten sie sich jetzt wieder; am 15. Februar 1842 wurde in Manchester bei einer Zusammenkunft von Liberalen und Charti¬ sten eine Petition entworfen, die sowohl auf Abschaffung der Korngesetze wie auf Einführung der Charte drang und am fol- 35 genden Tage von beiden Parteien adoptiert wurde. Frühling und Sommer verstrich unter heftiger Agitation und zunehmendem Elend. Die Bourgeoisie war entschlossen, die Komgesetze mit Hilfe der Krisis, der ihr folgenden Not und der allgemeinen Auf¬ regung durchzusetzen. Diesmal, als die Tories am Ruder waren, 40 gab sie sogar ihre Gesetzlichkeit halb auf; sie wollte revolutionie¬ ren, aber mit Hilfe der Arbeiter. Die Arbeiter sollten ihr die Ka¬ stanien aus dem Feuer holen und zum Besten der Bourgeoisie ihre 37—38 1892 entschlossen, die Abschaffung der Korngesetze mit Hülfe der Krisis, der Not und 39 1892 da die Tories
220 Arbeiterbewegungen Finger verbrennen. Schon wurde von vielen Seiten die schon frü¬ her (1839) von den Chartisten angeregte Idee eines „heiligen Monats“, eines allgemeinen Feierns aller Arbeiter wieder auf- genommen; aber diesmal waren es nicht die Arbeiter, die feiern wollten, sondern die Fabrikanten, die ihre Fabriken schließen, s die Arbeiter in die Landgemeinden, auf das Besitztum der Ari¬ stokratie schicken und dadurch das torystische Parlament und die Regierung zur Aufhebung der Kornzölle zwingen wollten. Natür¬ lich wäre eine Empörung die Folge davon gewesen, aber die Bour¬ geoisie stand sicher im Hintergründe und konnte den Erfolg ab-10 warten, ohne sich, schlimmstenfalls, zu kompromittieren. Ende Juli fing das Geschäft an, sich zu bessern; es war die höchste Zeit, und um die Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen, setzten jetzt, bei steigender Konjunktur (vgl. die Han¬ delsberichte aus Manchester und Leeds, Ende Juli und anfangs is August) drei Firmen in Stalybridge den Lohn herunter — ob auf eigne Hand oder im Einverständnis mit den übrigen Fabrikanten und besonders der Ligue, will ich nicht entscheiden. Zwei zogen indes wieder zurück; die dritte, William Bailey und Brüder, blieb fest und sagte den sich beschwerenden Arbeitern, wenn dies ihnen 20 nicht zusage, so täten sie vielleicht besser daran, eine Zeitlang zu spielen. Diese spöttische Äußerung nahmen die Arbeiter mit Hurrarufen auf, verließen die Fabrik, durchzogen den Ort und riefen alle Arbeiter zum Feiern auf. In wenig Stunden stand jede Fabrik still, und die Arbeiter zogen in Prozession nach Mottram 25 Moor, um ein Meeting zu halten. Dies war am 5. August. Am 8. Aug. zogen sie nach Ashton und Hyde, fünftausend Mann stark, setzten alle Fabriken und Kohlengruben still, und hielten Mee¬ tings, in denen aber nicht von Abschaffung der Komgesetze, wie die Bourgeoisie gehofft hatte, sondern von „ehrlichem Tagelohn 30 für ehrliche Tagesarbeit66 (a fair day’s wages for a fair day’s work) die Rede war. Am 9. August zogen sie nach Manchester, wurden von den Behörden, die alle Liberale waren, zu- gelassen und stellten die Fabriken still; am 11. waren sie in Stockport, wo ihnen erst, als sie das Armenhaus, dies Lieblings- 35 kind der Bourgeoisie, erstürmten, Widerstand geleistet wurde; am selben Tage war in Bolton allgemeines Feiern und Unruhen, denen sich die Behörden ebenfalls nicht widersetzten; bald war der Auf stand über alle Industriebezirke verbreitet, und alle Ar¬ beiten, mit Ausnahme der Einsammlung der Ernte und der Zu- 40 bereitung von Lebensmitteln, standen still. Aber auch die em¬ pörten Arbeiter blieben ruhig. Sie waren in diesen Auf stand hin¬ eingejagt, ohne es zu wollen; die Fabrikanten hatten sich mit Ausnahme eines einzigen — des Tory Birley in Manchester — der Arbeitseinstellung ganz gegen ihre Sitte nicht wider- 45
Insurrektion von 1842 221 setzt; die Sache hatte angefangen, ohne daß die Arbeiter einen be¬ stimmten Zweck hatten. Daher waren zwar alle darüber einig, daß sie sich nicht zum Besten ihrer komgesetzabschaffenden Fabrikan¬ ten wollten erschießen lassen; im übrigen aber wollten einige die 6 Volkscharte durchsetzen, andere, die dies für zu frühzeitig hiel¬ ten, bloß die Lohnsätze von 1840 erzwingen. Daran scheiterte die ganze Insurrektion. Wäre sie von Anbeginn eine absichtliche, be¬ wußte Arbeiterinsurrektion gewesen, sie wäre wahrlich durch¬ gedrungen; aber diese Massen, die von ihren Brotherrn auf die 10 Straße gejagt waren, ohne es zu wollen, die gar keine bestimmte Absicht hatten, konnten nichts tun. Inzwischen sah die Bourgeoi¬ sie, die keinen Finger gerührt hatte, um die Allianz vom 15. Fe¬ bruar zu betätigen, sehr bald ein, daß die Arbeiter sich nicht zu ihren Werkzeugen hergeben wollten, und daß die Inkonsequenz, io mit der sie sich von ihrem „gesetzlichen“ Standpunkte entfernt hatte, ihr selbst Gefahr drohe; sie nahm daher ihre alte Gesetz¬ lichkeit wieder vor und trat auf die Seite der Regierung gegen die Arbeiter, die sie selbst zum Aufstand erst gereizt und später forciert hatte. Sie ließ sich und ihre getreuen Diener zu Spezial- 20 konstablen einschwören — auch die deutschen Kaufleute in Man¬ chester nahmen daran teil und paradierten höchst unnützerweise mit ihren dicken Stöcken, die Zigarre im Munde, durch die Stadt — sie ließ in Preston auf das Volk feuern, und so stand dem ab¬ sichtslosen Volksaufstand auf einmal nicht nur die Militärmacht 25 der Regierung, sondern auch die ganze besitzende Klasse gegen¬ über. Die Arbeiter, die ohnehin keinen Zweck hatten, gingen all¬ mählich auseinander und die Insurrektion verlief ohne schlimme Folgen. Nachträglich beging die Bourgeoisie noch eine Schändlich¬ keit auf die andere, suchte sich durch einen Abscheu vor gewalt- 30 samem Einschreiten des Volks, der schlecht zu ihrer revolutionä¬ ren Sprache vom Frühjahr paßte, weiß zu waschen, schob die Schuld des Aufstandes auf chartistische „Aufwiegler“ etc., wäh¬ rend sie selbst weit mehr als diese getan hatte, den Auf stand zu¬ wege zu bringen, und nahm ihren alten Standpunkt der Heilig¬ es haltung des Gesetzes mit einer Unverschämtheit ohnegleichen wieder ein. Die Chartisten, die fast gar nichts zum Aufstande bei¬ getragen, die nur dasselbe tun, was auch die Bourgeoisie vor¬ hatte, nämlich die Gelegenheit benutzen — diese wurden vor Ge¬ richt gestellt und verurteilt, während die Bourgeoisie ohne Scha- 40 den davon kam und während der Arbeitsstockung ihre Vorräte mit Nutzen verkauft hatte. Die Frucht des Aufstandes war die ganz entschiedene Tren¬ nung des Proletariats von der Bourgeoisie. Die Chartisten hatten 18—19 1887 fehlt die sie selbst .. forciert hatte. 37 1892 dasselbe taten,
222 Arbeiterbewegungen es bisher wenig verhehlt, daß sie durch jedes Mittel ihre Charte durchsetzen würden, selbst durch eine Revolution; die Bourgeoi¬ sie, die jetzt mit einem Male die Gefährlichkeit jeder gewaltsa¬ men Umwälzung für ihre Stellung einsah, wollte nichts mehr von „physischer Gewalt“ wissen und bloß durch „moralische Ge- 5 walt“ — als ob diese etwas anderes sei, als die direkte oder in¬ direkte Drohung der physischen Gewalt — ihre Zwecke ins Le¬ ben rufen. Dies war der eine Streitpunkt, der indes durch das spätere Vorgeben der Chartisten — die doch ebenso glaubwür¬ dig sind wie die liberale Bourgeoisie — daß auch sie nicht an die 10 physische Gewalt appellierten — der Sache nach weggeräumt wurde. Der zweite, hauptsächlichste Streitpunkt aber, der gerade den Chartismus in seiner Reinheit zur Erscheinung brachte, war die Komgesetzfrage. In dieser war die radikale Bourgeoisie in¬ teressiert, das Proletariat aber nicht. Die bisherige chartistische 15 Partei spaltete sich daher in zwei Parteien, deren politische, aus¬ gesprochene Prinzipien gänzlich übereinstimmen, die aber durch¬ aus verschieden und unvereinbar sind. Auf dem Birminghamer Nationalkonvent im Januar 1843 schlug Sturge, der Repräsen¬ tant der radikalen Bourgeoisie, die Weglassung des Namens 20 der Charte aus den Statuten der chartistischen Assoziation vor, angeblich, weil dieser Name durch die Insurrektion mit gewalt¬ samen revolutionären Erinnerungen verknüpft sei — eine Ver¬ knüpfung, die übrigens schon seit Jahren stattgefunden und gegen die Herr Sturge bis dahin nichts einzuwenden gehabt hatte. Die 25 Arbeiter wollten den Namen nicht fallen lassen, und als Sturge überstimmt wurde, wanderte der auf einmal loyal gewordene Quäker mit der Minorität aus dem Saale und konstituierte eine „Complete-Suffrage-Association“ aus der radikalen Bourgeoisie. So widerwärtig waren dem noch vor kurzem jakobinischen Bour- 30 geois diese Erinnerungen geworden, daß er selbst den Namen all¬ gemeines Stimmrecht (universal suffrage) in den lächerlichen: komplettes Stimmrecht (complete suffrage) abänderte! Die Ar¬ beiter lachten ihn aus und gingen ihren Weg ruhig weiter. Von diesem Augenblicke an war der Chartismus eine reine, 35 von allen Bourgeoisie-Elementen befreite etc. Arbeitersache. Die „kompletten“ Journale — „Weekly Dispatch“, „Weekly Chro- nicle“, „Examiner“ etc. — fielen allmählich in die schläfrige Manier der übrigen liberalen Blätter, verteidigten die Handels¬ freiheit, griffen die Zehnstundenbill und alle ausschließlichen 40 Arbeitermotionen an, und ließen den Radikalismus im ganzen wenig hervortreten. Die radikale Bourgeoisie schloß sich in allen 14 1887 fehlt radikale 36 1892 Bourgeois-Elementen
Trennung des Chartismus vom Radikalismus 223 Kollisionen den Liberalen gegen die Chartisten an, und machte überhaupt die Komgesetzfrage, die für den Engländer die Frage der freien Konkurrenz ist, zu ihrer Hauptaufgabe. Dadurch ge¬ riet sie unter die Botmäßigkeit der liberalen Bourgeoisie und spielt jetzt eine höchst jämmerliche Rolle. Die chartistischen Arbeiter dagegen nahmen sich mit doppel¬ tem Eifer aller Kämpfe des Proletariats gegen die Bourgeoisie an. Die freie Konkurrenz hat den Arbeitern Leiden genug gemacht, um ihnen verhaßt zu werden; ihre Vertreter, die Bourgeois, sind 10 ihre erklärten Feinde. Der Arbeiter hat von der vollständigen Befreiung der Konkurrenz nur Nachteil zu erwarten. Seine bis¬ herigen Forderungen, die Zehnstundenbill, Schutz des Arbeiters gegen den Kapitalisten, guter Lohn, garantierte Stellung, Abschaf¬ fung des neuen Armengesetzes, alles Dinge, die mindestens ebenso 13 wesentlich zum Chartismus gehören wie die „sechs Punkte“, gehen direkt gegen die freie Konkurrenz und Handelsfreiheit. Kein Wunder also, daß die Arbeiter, was die ganze englische Bourgeoi¬ sie nicht begreifen kann, von der freien Konkurrenz, Handelsfrei¬ heit und Abschaffung der Korngesetze nichts wissen wollen, und 20 gegen letztere mindestens höchst gleichgültig, gegen ihre Vertei¬ diger aber im höchsten Grade erbittert sind. Diese Frage ist ge¬ rade der Punkt, an dem sich das Proletariat von der Bourgeoisie, der Chartismus vom Radikalismus, scheidet, und ein Bourgeois¬ verstand kann das nicht begreifen, weil er das Proletariat nicht 25 begreifen kann. Darin liegt aber auch der Unterschied der chartistischen De¬ mokratie von aller bisherigen, politischen Bourgeoisie-Demokra¬ tie. Der Chartismus ist wesentlich sozialer Natur. Die „sechs Punkte“, die dem radikalen Bourgeois Eins und Alles 30 sind, höchstens noch einige Reformen der Konstitution hervor¬ rufen sollen, sind dem Proletarier nur das Mittel. „Politische Macht unser Mittel, soziale Glückseligkeit unser Zweck“, das ist jetzt der deutlich ausgesprochene Wahlspruch der Chartisten. Die „Messer- und Gabel-Frage“ des Predigers Stephens war nur für 35 einen Teil der Chartisten von 1838 eine Wahrheit; sie ist es 1845 für alle. Es gibt keinen bloßen Politiker mehr unter den Char¬ tisten. Und wenn auch ihr Sozialismus noch sehr wenig entwik- kelt ist, wenn bis jetzt ihr Hauptmittel gegen das Elend in der Parzellierung des Grundbesitzes (allotment-system) besteht, die 40 doch schon durch die Industrie überwunden wurde (s. Einlei¬ tung), wenn überhaupt ihre meisten praktischen Vorschläge (Schutz für den Arbeiter etc.) dem Scheine nach reaktionärer Na- 1 Chartisten 1887 working-men 27—28 1892 Bourgeois-Demokratie. 28 sozialer Natur. 1887 social nature, a dass movement.
224 Arbeiterbewegungen tur sind, so ist einesteils schon in diesen Maßregeln selbst die Notwendigkeit begründet, daß sie entweder der Macht der Kon¬ kurrenz wieder fallen und den alten Zustand erneuern — oder aber die Aufhebung der Konkurrenz selbst herbeiführen müssen; und andemteils bestimmt es der jetzige unklare Zustand des Char- 5 tismus, die Lostrennung von der rein politischen Partei, daß ge¬ rade die unterscheidenden Merkmale des Chartismus, die in seiner sozialen Seite liegen, weiter entwickelt werden müs¬ sen. Die Annäherung an den Sozialismus kann nicht ausbleiben, besonders wenn die nächste Krisis, die auf den jetzigen lebhaften 10 Zustand der Industrie und des Handels allerspätestens bis 1847 *\ wahrscheinlich aber schon im nächsten Jahre folgen muß, eine Krisis, die alle früheren an Heftigkeit und Wut weit übertreffen wird, durch die Not die Arbeiter immer mehr auf soziale statt auf politische Hilfsmittel verweisen wird. Die Arbeiter werden 15 ihre Charte durchsetzen, das ist natürlich; aber bis dahin werden sie noch über vieles klar werden, was sie durch die Charte durch¬ setzen können und wovon sie jetzt noch wenig wissen. Inzwischen geht auch die sozialistische Agitation vorwärts. Der englische Sozialismus kommt hier nur insofern in Betracht, 20 als er auf die Arbeiterklasse influiert. Die englischen Sozialisten verlangen allmähliche Einführung der Gütergemeinschaft in „Hei¬ matskolonien“ von 2 bis 3000 Menschen, welche Industrie und Ackerbau treiben, gleiche Rechte und gleiche Erziehung genie¬ ßen — Erleichterung der Ehescheidung und Einführung einer 25 vernünftigen Regierung mit vollständiger Meinungsfreiheit und Abschaffung der Strafen, die durch vernünftige Behandlung des Verbrechers ersetzt werden sollen. Dies sind ihre praktischen Vorschläge — die theoretischen Prinzipien gehen uns hier nichts an. — Der Sozialismus ging von Owen, einem Fabrikanten, aus 30 und verfährt deshalb, während er der Sache nach über den Gegen¬ satz von Bourgeoisie und Proletariat hinausgeht, in seiner Form dennoch mit vieler Nachsicht gegen die Bourgeoisie und vieler Un¬ gerechtigkeit gegen das Proletariat. Die Sozialisten sind durch¬ aus zahm und friedfertig, erkennen die bestehenden Verhältnisse, 35 so schlecht sie sind, insofern als gerechtfertigt an, als sie jeden andern Weg als den der öffentlichen Überzeugung verwerfen, und sind doch zu gleicher Zeit so abstrakt, daß sie in der jetzigen Form ihrer Prinzipien diese öffentliche Überzeugung nie gewin¬ nen würden. Dabei klagen sie fortwährend über die Demoralisa- 40 tion der unteren Klassen, sind blind gegen das Fortschrittselement *) 1892 Ist pünktlich eingetroffen. 36 1887 fehlt als gerechtfertigt 38 abstrakt 1887 dogmatic
Soziale Tendenz des Chartismus / Sozialismus 225 in dieser Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung und beden¬ ken nicht, daß die Demoralisation des Privatinteresses und der Heuchelei unter den besitzenden Klassen bei weitem schlimmer ist. Sie erkennen keine historische Entwicklung an und wollen 5 daher die Nation, ohne weiteres, ohne Fortführung der Politik bis zu dem Ziele, wo sie sich selbst auflöst, sogleich in den kom¬ munistischen Zustand versetzen. Sie begreifen zwar, weshalb der Arbeiter gegen den Bourgeois aufgebracht ist, sehen aber diese Erbitterung, die doch das einzige Mittel ist, die Arbeiter weiter- 10 zuführen, für unfruchtbar an und predigen eine für die englische Gegenwart noch viel fruchtlosere Philanthropie und allgemeine Liebe. Sie erkennen nur die psychologische Entwicklung an, die Entwicklung des abstrakten Menschen, der außer aller Verbin¬ dung mit der Vergangenheit steht, wo doch die ganze Welt auf 15 dieser Vergangenheit beruht und der einzelne Mensch mit ihr. Daher sind sie zu gelehrt, zu metaphysisch, und richten wenig aus. Sie rekrutieren sich teilweise aus der Arbeiterklasse, von der sie aber nur einen sehr kleinen Teil, freilich die Gebildetsten und Charakterfestesten, herübergezogen haben. In seiner jetzigen Ge- 20 stalt wird der Sozialismus nie Gemeingut der Arbeiterklasse wer¬ den können; er wird sich sogar erniedrigen müssen, einen Augen¬ blick auf den chartistischen Standpunkt zurückzutreten; aber der durch den Chartismus hindurchgegangene, von seinen Bourgeoi¬ sie-Elementen gereinigte, echt proletarische Sozialismus, wie er 25 sich schon jetzt bei vielen Sozialisten und bei vielen Chartisten¬ führern, die fast alle Sozialisten sind*), entwickelt, wird allerdings, und das in kurzem, eine bedeutende Rolle in der Entwicklungs¬ geschichte des englischen Volkes übernehmen. Der englische So¬ zialismus, der in seiner Basis weit über den französischen Kom- 30 munismus hinausgeht, in der Entwicklung aber hinter ihm zu¬ rückbleibt, wird einen Augenblick auf den französischen Stand¬ punkt zurückgehen müssen, um später über ihn hinauszugehen. Bis dahin werden sich freilich die Franzosen auch wohl weiter entwickeln. Der Sozialismus ist zu gleicher Zeit der entschieden- 35 ste Ausdruck der unter den Arbeitern herrschenden Irreligiosi¬ tät, und darin so entschieden, daß die bewußtlos, bloß prak¬ tisch irreligiösen Arbeiter oft vor der Schärfe dieses Ausdrucks *) 1892 Sozialisten natürlich im allgemeinen, nicht im speziell oweni- stischen Sinn. 5—6 ohne Fortführung .. auf löst 1887 not by the unavoidable march of its political development up to the point at which this transition becomes both possible and necessary. 9 Mittel 1887 moral incentive 23—24 1892 Bourgeois-Elementen 30 Entwicklung 1887 theoretical development Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 15
226 Arbeiterbewegungen zurückschrecken. Aber auch hier wird die Not die Arbeiter zwin¬ gen, einen Glauben aufzugeben, von dem sie mehr und mehr ein¬ sehen, daß er nur dazu dient, sie schwach und ergeben in ihr Schicksal, gehorsam und treu gegen die sie aussaugende besit¬ zende Klasse zu machen. 5 Wir sehen also, daß die Arbeiterbewegung in zwei Sektionen gespalten ist, in die Chartisten und Sozialisten. Die Chartisten sind am weitesten zurück, am wenigsten entwickelt, dafür aber echte, leibhaftige Proletarier, die Repräsentanten des Proleta¬ riats. Die Sozialisten weiterblickend, praktische Mittel gegen die 10 Not vorschlagend, aber ursprünglich von der Bourgeoisie aus¬ gegangen und dadurch nicht imstande, sich mit der Arbeiter¬ klasse zu amalgamieren. Die Verschmelzung des Sozialismus mit dem Chartismus, die Reproduktion des französischen Kommunis¬ mus auf englische Weise wird das Nächste sein und hat teilweise 15 schon angefangen. Dann erst, wenn dies bewerkstelligt, wird die Arbeiterklasse wirklich die Herrscherin von England sein — die politische und soziale Entwicklung wird inzwischen vorwärts gehen und diese neuentspringende Partei, diesen Fortschritt des Chartismus begünstigen. 20 Diese verschiedenen, oft zusammenfallenden, oft getrennten Sektionen von Arbeitern — Mitglieder der Verbindungen, Char¬ tisten und Sozialisten — haben auf ihre eigene Faust eine Menge Schulen und Lesezimmer zur Hebung der geistigen Bildung ge¬ gründet. Jede sozialistische und fast jede chartistische Institu- 25 tion hat eine solche Anstalt, ebenso viele einzelne Handwerke. Hier wird den Kindern eine echt proletarische Erziehung ge¬ geben, frei von allen Einflüssen der Bourgeoisie, und in den Lese¬ zimmern liegen nur oder fast nur proletarische Journale und Bü¬ cher auf. Diese Anstalten sind sehr gefährlich für die Bourgeoi- 30 sie, der es gelang, eine Anzahl ähnlicher Institute, die „Mecha- nics’ institutions“, dem proletarischen Einflüsse zu entziehen und sie in Organe zur Verbreitung der für die Bourgeoisie nützlichen Wissenschaften unter den Arbeitern zu verwandeln. Hier werden jetzt die Naturwissenschaften gelehrt, die die Arbeiter von der 35 Opposition gegen die Bourgeoisie abziehen und ihnen vielleicht die Mittel an die Hand geben zu Erfindungen, die der Bourgeoisie Geld einbringen — während dem Arbeiter jetzt die Natur¬ kenntnis wahrhaftig ganz nutzlos ist, da er oft gar nicht einmal die Natur zu sehen bekommt in seiner großen Stadt und bei seiner m langen Arbeit; hier wird die Nationalökonomie gepredigt, deren Abgott die freie Konkurrenz und deren einziges Resultat für den 8 am weitesten zurück, 1887 theoretically the more backward, 17 Herrscherin 1887 intellectual leader
Allgemeiner Standpunkt der Arbeiter .227 Arbeiter das ist, daß er nichts Vernünftigeres tun kann, als in stil¬ ler Resignation zu verhungern; hier ist alle Bildung zahm, ge¬ schmeidig, dienstfertig gegen die herrschende Politik und Reli¬ gion eingerichtet, so daß sie eigentlich für den Arbeiter nur eine 6 fortwährende Predigt des ruhigen Gehorsams und der Passivität, der Ergebung in sein Schicksal ist. Natürlich will die Masse der Arbeiter von diesen Instituten nichts wissen und wendet sich den proletarischen Lesezimmern, den Diskussionen von Verhältnissen zu, welche unmittelbar ihre eignen Interessen betreffen — und 10 dann sagt die selbstgenügsame Bourgeoisie ihr Dixi et Salvavi, und wendet sich mit Verachtung von einer Klasse weg, welche die „leidenschaftlichen Wutausbrüche böswilliger Demagogen einer soliden Bildung vorzieht“. Daß übrigens die Arbeiter auch für „solide Bildung“, wenn sie unvermischt mit der interessierten 15 Weisheit der Bourgeoisie vorgetragen wird, Sinn haben, bewei¬ sen die häufigen Vorlesungen über naturwissenschaftliche, ästhe¬ tische und nationalökonomische Themata, die an allen proletari¬ schen Instituten, besonders den sozialistischen, häufig gehalten und sehr gut besucht werden. Ich habe manchmal Arbeiter, deren 20 Samtröcke nicht mehr Zusammenhalten wollten, mit mehr Kennt¬ nis über geologische, astronomische und andre Gegenstände spre¬ chen hören, als mancher gebildete Bourgeois in Deutschland da¬ von besitzt. Und wie sehr es dem englischen Proletariat gelungen ist, sich eine selbständige Bildung zu erwerben, zeigt sich beson- 25 ders darin, daß die epochemachenden Erzeugnisse der neueren philosophischen, politischen und poetischen Literatur fast nur von den Arbeitern gelesen werden. Der Bourgeois, der Knecht des sozialen Zustandes und der mit ihm verbundenen Vorurteile ist, fürchtet, segnet und kreuzigt sich vor allem, was wirklich einen 30 Fortschritt begründet; der Proletarier hat offne Augen dafür und studiert es mit Genuß und Erfolg. In dieser Beziehung haben be¬ sonders die Sozialisten Unendliches zur Bildung des Proletariats getan, sie haben die französischen Materialisten, Helvetius, Holbach, Diderot usw. übersetzt und nebst den besten eng- 35 lischen Sachen in billigen Ausgaben verbreitet. Strauß’ „Leben Jesu“ und Proudhons „Eigentum“ zirkulieren ebenfalls nur unter Proletariern. Shelley, der geniale prophetische Shelley, und Byron mit seiner sinnlichen Glut und seiner bittern Satire der bestehenden Gesellschaft haben ihre meisten Leser unter den 40 Arbeitern; die Bourgeois besitzen nur kastrierte Ausgaben, „fa- mily-editions“, die nach der heuchlerischen Moral von heute zu¬ rechtgestutzt sind. — Die beiden größten praktischen Philosophen der letzten Zeit, Bentham und Godwin, sind, namentlich letzterer, ebenfalls fast ausschließliches Eigentum des Proleta- 45 riats; wenn auch Bentham unter der radikalen Bourgeoisie 15*
228 Arbeiterbewegungen eine Schule besitzt, so ist es doch nur dem Proletariat und den Sozialisten gelungen, aus ihm einen Fortschritt zu entwickeln. Das Proletariat hat sich auf diesen Grundlagen eine eigene Literatur gebildet, die meist aus Journalen und Broschüren besteht und an Gehalt der ganzen Bourgeoisie-Literatur bei weitem voraus ist. 5 Hierüber ein andermal. Eins ist noch zu bemerken: die Fabrikarbeiter, und unter ihnen besonders die der Baumwollenbezirke, bilden den Kern der Ar¬ beiterbewegungen. Lancashire und speziell Manchester ist der Sitz der stärksten Arbeiterverbindungen, der Zentralpunkt des 10 Chartismus, der Ort, der die meisten Sozialisten zählt. Je weiter das Fabriksystem in einen Arbeitszweig eingedrungen, desto mehr nehmen die Arbeiter an der Bewegung teil; je schärfer der Ge¬ gensatz zwischen Arbeitern und Kapitalisten, desto entwickelter, desto schärfer das proletarische Bewußtsein im Arbeiter. Die 15 kleinen Meister von Birmingham, obwohl sie bei den Krisen mit leiden, stehen doch auf einer unglücklichen Mitte zwischen proleta¬ rischem Chartismus und krämerhaftem Radikalismus. Im allge¬ meinen aber sind alle Arbeiter der Industrie für eine oder die an¬ dere Form der Auflehnung gegen das Kapital und die Bourgeoi- 20 sie gewonnen, und darin sind alle einig, daß sie, als „Working Men“ — ein Titel, auf den sie stolz sind, und der die gewöhnliche Anrede in Chartistenversammlungen ist — eine eigne Klasse mit eignen Interessen und Prinzipien, mit eigner Anschauungsweise gegenüber allen Besitzenden bilden, und zugleich — daß in ihnen 25 die Kraft und die Entwicklungsfähigkeit der Nation ruht. 1—2 1892 Proletariat und Sozialisten 5 1892 Bourgeois-Literatur
Das Bergwerks-Proletariat Die Beschaffung der rohen und Brennmaterialien für eine so kolossale Industrie wie die englische nimmt ebenfalls eine be¬ deutende Zahl von Arbeitern in Anspruch. Von den der Industrie 5 notwendigen Stoffen liefert aber England selbst — außer der Wolle, die auf Rechnung der Ackerbaubezirke kommt — nur die Mineralien, die Metalle und die Steinkohlen. Während in Corn¬ wall ergiebige Kupfer-, Zinn-, Zink- und Bleibergwerke sind, lie¬ fern Staffordshire, Nord-Wales und andere Bezirke große Men- 10 gen von Eisen, und fast ganz Nord- und Westengland, Mittelschott¬ land und einige Distrikte von Irland einen Überfluß an Steinkoh- len.*) In dem Bergbau von Cornwall sind teils unter der Erde, teils auf der Oberfläche an 19000 Männer und 11000 Weiber 15 und Kinder beschäftigt. In den Bergwerken selbst arbeiten fast nur Männer und Knaben von zwölf Jahren aufwärts. — Die ma¬ terielle Stellung dieser Arbeiter scheint nach dem Ch. E. Rept. ziemlich erträglich zu sein, und die Engländer prunken oft genug mit ihren kräftigen und kühnen Cornischen Bergknappen, die den 20 Erzadern selbst bis unter den Grund des Meeres nachspüren. Aber der Ch. E. Rept. urteilt doch anders in Beziehung auf die Kräf¬ tigkeit dieser Leute. Er weist in dem intelligenten Bericht des *) Nach dem Census von 1841 beträgt die Anzahl der im Bergbau be¬ schäftigten Arbeiter in Großbritannien (außer Irland): 25 Männer Weiber Zusammen Über 20 Jahr Unter 20 Jahr Über 20 Jahr Unter 20 Jahr Kohlengruben .... 83408 32 475 1185 1165 118233 Kupferbergwerke . . . 9866 3428 913 1200 15407 30 Blei „ ... 9427 1932 40 20 11419 Eisen „ ... 7 773 2679 424 73 10949 Zinn „ ... 4602 1349 68 82 6101 Diverse, u. bei denen das Mineral nicht angegeben 24162 6591 472 491 31 716 35 Zusammen: 139238 48454 3102 3031 193825 Da die Kohlen- und Eisenwerke meist von denselben Leuten bearbeitet werden, so ist ein Teil der als Kohlenarbeiter angegebenen Leute und fer¬ ner noch ein sehr bedeutender Teil der in der letzten Rubrik angegebenen Arbeiter den Eisenwerken zuzuschreiben.
230 Das Bergwerks-Proletariat Dr. Barham nach, daß die Einatmung einer wenig sauerstoff¬ haltigen, mit Staub und dem Rauch des beim Sprengen gebrauch¬ ten Pulvers vermischten Atmosphäre, wie sie sich auf dem Grunde der Bergwerke findet, die Lunge ernstlich affiziert, die Tätigkeit des Herzens stört und die Verdauungsorgane erschlafft; daß die 5 anstrengende Arbeit, und besonders das Auf- und Absteigen auf Leitern, das bei einigen Bergwerken selbst jungen kräftigen Män¬ nern über eine Stunde Zeit wegnimmt und täglich vor und nach der Arbeit geschieht, sehr zur Entwicklung dieser Übel beiträgt, und daß infolge davon die Männer, welche früh in die Bergwerke 10 gehen, lange nicht die körperliche Ausbildung erhalten, welche man bei den auf der Oberfläche arbeitenden Weibern findet; daß viele jung an der galoppierenden und die meisten in den besten Jahren an der langsamen Schwindsucht sterben; daß sie früh al¬ tem und zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr arbeitsunfähig 15 werden, und daß sehr viele durch den raschen Übergang aus der warmen Luft des Schachts, nachdem sie unter heftigem Schweiß die Leitern mühsam herauf geklettert sind in die kalte Luft der Oberfläche, sich akute Entzündungen der ohnehin krankhaften Respirationsorgane zuziehen, welche sehr häufig tödlich wirken. 20 — Die Arbeit auf der Oberfläche, das Zerschlagen und Sortieren der Erze, wird von Mädchen und Kindern betrieben und als sehr gesund geschildert, da es in freier Luft getan wird. Im Norden von England, an der Grenze der Grafschaften Northumberland und Durham, sind die bedeutenden Bleibergwer- 25 ke von Aiston Moor. Die Berichte aus dieser Gegend — ebenfalls im Ch. E. Rept. Bericht des Komm. Mitchell — stimmen fast ganz mit denen aus Cornwall überein. Auch hier wird über Mangel an Sauerstoff, Überfluß an Staub, Pulverrauch, Kohlensäure und schwefeligen Gasen in der Atmosphäre der Stollen geklagt. In- 30 folgedessen sind die Bergleute, wie in Cornwall, klein von Natur und leiden vom dreißigsten Jahre an aufwärts fast alle an Brust¬ beschwerden, die endlich, besonders wenn die Arbeit, wie fast immer, fortgesetzt wird, in vollständige Schwindsucht übergehen und so das durchschnittliche Lebensalter dieser Leute wesentlich 35 verkürzen. Wenn die Bergknappen dieser Gegend etwas länger leben als die comischen, so kommt dies daher, daß sie erst mit dem neunzehnten Jahre anfangen, den Schacht zu befahren, wäh¬ rend in Cornwall, wie wir sahen, diese Arbeit schon mit dem zwölften Jahre begonnen wird. Indes stirbt auch hier die Majo- 40 rität nach ärztlichen Aussagen zwischen dem 40. und 50. Lebens¬ jahr. Aus 79 Bergleuten, deren Tod im öffentlichen Register des Distrikts eingeschrieben war, und die durchschnittlich 45 Jahre 32 1892 30. Jahre aufwärts
Die Bergleute von Cornwall / Aiston Moor 231 alt geworden waren, waren 37 an der Schwindsucht und 6 an Asthma gestorben. In den umliegenden Ortschaften Allendale, Stanhope und Middleton war die Lebensdauer resp. 49, 48 und 47 Jahre durchschnittlich, und die Todesfälle infolge von Brust- 5 beschwerden machten resp. 48, 54 und 56 Prozent der ganzen Zahl aus. Es ist zu bedenken, daß sämtliche Angaben sich nur auf solche Bergleute beziehen, die ihre Arbeit nichtvor dem neunzehnten Jahre antraten. Vergleichen wir hiermit die sogenannten schwedischen Tabellen — ausführliche Mortalitäts- io tabellen über alle Einwohner von Schweden — die in England für den bis jetzt richtigsten Maßstab der durchschnittlichen Lebens¬ dauer der britischen Arbeiterklasse gelten. Nach ihnen erreichen männliche Individuen, die das neunzehnte Lebensjahr zurück¬ gelegt haben, ein Alter von durchschnittlich 5 7 ¥2 Jahren, und so- 15 nach wird das Leben der nordenglischen Bergleute um durch¬ schnittlich zehn Jahre durch ihre Arbeit verkürzt. Die schwedi¬ schen Tabellen gelten aber für den Maßstab der Lebensdauer der Arbeiter und bieten somit eine Darstellung der Lebenschan¬ cen in den ohnehin schon ungünstigen Verhältnissen des Proleta- 20 riats, geben also schon eine geringere als die normale Lebens¬ dauer an. — In dieser Gegend finden wir auch die Logierhäuser und Schlafstellen wieder, die wir schon in den großen Städten kennen lernten, und mindestens in derselben schmutzigen, ekel¬ haften und gedrängten Gestalt wie dort. Mitchell war in einem sol- 25 chen Zimmer, das 18 Fuß lang und 15 Fuß breit und zur Auf¬ nahme von 42 Männern und 14 Knaben, zusammen also 56 Per¬ sonen in 14 Betten — von denen die Hälfte wie in einem Schiff über den andern angebracht — eingerichtet war. Keine Öffnung war da, um die schlechte Luft hinauszulassen; obwohl in drei 30 Nächten niemand dort geschlafen hatte, so war der Geruch und die Atmosphäre doch so, daß Mitchell sie keinen Augenblick er¬ tragen konnte. Wie mag sie erst in einer heißen Sommernacht unter 56 Schlafgästen sein! Und das ist nicht das Zwischendeck eines amerikanischen Sklavenschiffs, es ist die Wohnung „frei- 35 gebomer Briten64. Gehen wir jetzt zu den wichtigsten Zweigen des englischen Bergbaues, den Eisenbergwerken und Kohlengruben über, die der Ch. E. Rept. zusammen abhandelt, und zwar mit der ganzen Ausführlichkeit, die die Wichtigkeit des Gegenstandes erfordert. 40 Fast der ganze erste Teil dieses Berichts beschäftigt sich mit der Lage der in diesen Bergwerken beschäftigten Arbeiter. Nach der detaillierten Schilderung indes, die ich von der Lage der indu- 6—8 1887 fehlt Es ist .. antraten. 25 1892 15 Fuß breit und eingerichtet war zur Aufnahme 28 1892 andern angebracht. Keine Öffnung
232 Das Bergwerks-Proletariat striellen Arbeiter gegeben habe, wird es mir hier möglich sein, mich so kurz zu fassen, wie die Rücksicht auf die dem Umfang dieser Schrift zu setzenden Schranken es erfordert. In den Kohlen- und Eisenbergwerken, die ungefähr auf gleiche Weise ausgebeutet werden, arbeiten Kinder von vier, fünf, sie- 5 ben Jahren; die meisten sind indes über acht Jahre alt. Sie wer¬ den gebraucht, um das losgebrochene Material von der Bruch¬ stelle nach dem Pferdeweg oder dem Hauptschacht zu transpor¬ tieren und um die Zugtüren, welche die verschiedenen Abteilun¬ gen des Bergwerks trennen, bei der Passage von Arbeitern und 10 Material zu öffnen und wieder zu schließen. Zur Beaufsichtigung dieser Türen werden meist die kleinsten Kinder gebraucht, die auf diese Weise zwölf Stunden täglich im Dunkeln einsam in einem engen, meist feuchten Gange sitzen müssen, ohne selbst auch nur soviel Arbeit zu haben, als nötig wäre, sie vor der verdummen-15 den, vertierenden Langeweile des Nichtstuns zu schützen. Der Transport der Kohlen und des Eisensteins dagegen ist eine sehr harte Arbeit, da dies Material in ziemlich großen Kufen ohne Rä¬ der über den holperigen Boden der Stollen fortgeschleift werden muß, oft über feuchten Lehm oder durch Wasser, oft steile Ab- 20 hänge hinauf, und durch Gänge, die zuweilen so eng sind, daß die Arbeiter auf Händen und Füßen kriechen müssen. Zu dieser an¬ strengenden Arbeit werden daher ältere Kinder und heranwach¬ sende Mädchen genommen. Je nach den Umständen kommt ent¬ weder ein Arbeiter auf die Kufe oder zwei jüngere, von denen 25 einer zieht und der andre schiebt. Das Loshauen, das von er¬ wachsenen Männern oder starken jungen Burschen von 16 Jahren und drüber geschieht, ist ebenfalls eine sehr ermüdende Arbeit. — Die gewöhnliche Arbeitszeit ist elf bis zwölf Stunden, oft län¬ ger, in Schottland bis zu 14 Stunden, und sehr häufig wird dop- 30 pelte Zeit gearbeitet, so daß sämtliche Arbeiter 24, ja nicht sel¬ ten 36 Stunden hintereinander unter der Erde und in Tätigkeit sind. Feste Stunden für Mahlzeiten sind meist unbekannt, so daß die Leute essen, wenn sie Hunger und Zeit haben. — Die äußere Lage der Grubenarbeiter wird im allgemeinen als 35 ziemlich gut und ihr Lohn als hoch im Vergleich zu dem der sie umgebenden Ackerbautaglöhner (die freilich verhungern) ge¬ schildert, mit Ausnahme einiger Teile von Schottland und dem iri¬ schen Kohlenbezirk, wo großes Elend herrscht. Wir werden Ge¬ legenheit haben, später* auf diese, ohnehin relative, im Hinblick 40 auf die ärmste Klasse von ganz England gemachte Angabe zurück¬ zukommen. Einstweilen wollen wir die Übel, die aus dem jetzigen 2—3 1892 fassen, wie die dem Umfang dieser Schrift zu setzenden Schranken es erfordern. 6 1887 fehlt die meisten .. alt.
Eisen- und Kohlenbergwerke / Weiber- und Kinderarbeit 233 Betrieb der Grubenarbeit folgen, betrachten, und die Leser mögen dann entscheiden, ob irgend ein Geldlohn imstande ist, den Ar¬ beiter für solche Leiden zu entschädigen. Die Kinder und jungen Leute, welche mit dem Schleppen der 5 Kohlen und des Eisensteins beschäftigt sind, klagen allgemein über große Müdigkeit. Selbst in den am rücksichtslosesten be¬ triebenen industriellen Etablissements finden wir eine so allge¬ meine und so sehr aufs äußerste getriebene Abspannung nicht. Der ganze Bericht liefert dazu auf jeder Seite eine Reihe von 10 Beispielen. Es kommt jeden Augenblick vor, daß die Kinder, so wie sie nach Hause kommen, sich auf den steinernen Fußboden vor dem Herde werfen und sogleich einschlafen, daß sie keinen Bissen Nahrung mehr zu sich nehmen können und im Schlaf von den Eltern gewaschen und zu Bette gebracht werden müssen, ja 15 daß sie unterwegs sich vor Müdigkeit hinwerfen und tief in der Nacht von ihren Eltern dort auf gesucht und schlafend gefunden werden. Allgemein scheint es zu sein, daß diese Kinder den größten Teil des Sonntags im Bette zubringen, um sich einiger¬ maßen von der Anstrengung der Woche zu erholen; Kirche und 20 Schule werden nur von wenigen besucht, und bei diesen klagen die Lehrer über große Schläfrigkeit und Abstumpfung bei aller Lembegierde. Bei den älteren Mädchen und Frauen findet das¬ selbe statt. Sie werden auf die brutalste Weise überarbeitet. — Diese Müdigkeit, die fast immer bis zu einem höchst schmerz- 25 haften Grade gesteigert wird, verfehlt ihre Wirkungen auf die Konstitution nicht. Die nächste Folge einer solchen übermäßigen Anstrengung ist, daß alle Lebenskraft zur einseitigen Ausbildung der Muskeln verbraucht wird, so daß besonders die Muskeln der Arme und Beine, des Rückens, der Schultern und der Brust, die 30 bei dem Schleppen und Schieben hauptsächlich in Tätigkeit ge¬ setzt werden, eine außerordentlich üppige Entwicklung erhalten, während der ganze übrige Körper Mangel an Nahrung leidet und verkrüppelt. Vor allen Dingen bleibt der Wuchs klein und zurück¬ gehalten; fast alle Grubenarbeiter sind kurz von Körperbau, mit 35 Ausnahme derer von Warwickshire und Leicestershire, die unter besonders günstigen Verhältnissen arbeiten. Dann wird die Pu¬ bertät sowohl bei Knaben wie Mädchen zurückgehalten, bei ersteren oft bis zum achtzehnten Jahre; dem Kommissär Symons kam sogar ein neunzehnjähriger Knabe vor, der, mit Ausnahme 40 der Zähne, in keinem Teile weiter entwickelt war als ein Knabe von elf bis zwölf Jahren. Diese Verlängerung der Kindheitsepoche ist im Grunde auch weiter nichts als ein Beweis gehemmter Ent¬ wicklung und verfehlt nicht, im späteren Alter ihre Früchte zu tragen. Verkrümmung der Beine, eingebogene Knie und auswärts 45 gebogene Füße, Verkrümmung des Rückgrats und andere Mi߬
234 Das Bergwerks-Proletariat Bildungen stellen sich unter diesen Umständen und bei so ge¬ schwächten Konstitutionen infolge der fast immer gezwungenen Körperstellung bei der Arbeit um so leichter ein und sind so häufig, daß sowohl in Yorkshire und Lancashire, wie in Northum- berland und Durham, von vielen, selbst Ärzten behauptet wird, 5 man könne einen Grubenarbeiter unter hundert andern Leuten schon an seiner Körperbildung kennen. Besonders die Weiber scheinen sehr von der Arbeit zu leiden und sind selten, wenn überhaupt jemals, so gerade wie andere Weiber. Daß Mißbildun¬ gen des Beckens und infolgedessen schwere, ja tödliche Geburten 10 ebenfalls aus der Arbeit der Weiber in den Gruben entstehen, wird auch hier bezeugt. Außer diesen lokalen Verkrüppelungen haben die Grubenarbeiter aber noch an einer Reihe von speziellen Krankheiten zu leiden, die ziemlich mit denen der übrigen Berg¬ leute zusammenfallen und leicht aus der Art der Arbeit zu er- u klären sind. Der Unterleib leidet vor allem; der Appetit verliert sich, Magenschmerzen, Übelkeit und Erbrechen treten in den meisten Fällen ein, dazu heftiger Durst, der nur mit dem schmutzigen, oft lauen Wasser des Bergwerks gelöscht werden kann; die Verdauungstätigkeit wird gehemmt und dadurch die 20 übrigen Krankheiten gefördert. Krankheiten des Herzens, beson¬ ders Hypertrophie, Entzündung des Herzens und des Perikardium, Kontraktion der Aurikulo-ventrikular-Kommunikationen und des Eingangs der Aorta, werden ebenfalls von mehreren Seiten als häufige Übel der Grubenarbeiter angegeben und leicht durch 25 Überarbeitung erklärt. Desgleichen die fast allgemeinen Bruch¬ schäden, die ebenfalls die direkte Folge von übermäßiger Muskel¬ anstrengung sind. Teils aus derselben Ursache, teils aus der — hier so leicht zu vermeidenden — schlechten, mit Kohlensäure und Kohlenwasserstoff gas gemischten, staubgefüllten Atmosphäre 30 der Gruben entstehen eine Menge schmerzhafter und gefährlicher Lungenkrankheiten, besonders Asthma, das in einigen Distrikten mit dem vierzigsten, in andern schon mit dem dreißigsten Lebens¬ jahre bei den meisten Grubenarbeitern zum Vorschein kommt und sie in kurzer Zeit arbeitsunfähig macht. Bei denjenigen, die 35 in nassen Stollen zu arbeiten haben, tritt die Beklemmung auf der Brust natürlich schon viel früher ein; in einigen Gegenden Schottlands zwischen dem zwanzigsten und dreißigsten Jahre, während welcher Zeit die angegriffenen Lungen außerdem für Entzündungen und fieberhafte Affektionen sehr empfänglich sind. 40 Eine eigentümliche Krankheit dieser Art Arbeiter ist das Schwarz¬ speien (black spittle), das aus einer Durchdringung der ganzen Lunge mit feiner Kohle entsteht und sich in allgemeiner Schwäche, Kopfschmerzen, Brustbeklemmung und schwarzer, dickschleimiger Expektoration äußert. In einigen Gegenden er- 45
Eigentümliche Krankheiten / Arbeit in niedrigen Stollen 235 scheint dies Übel in milder Form, in andern dagegen scheint es ganz unheilbar, besonders in Schottland; hier zeigt sich außer einer Steigerung der erwähnten Symptome ein sehr kurzer, pfei¬ fender Atem, schneller Puls (über 100 in einer Minute), abge- 5 brochener Husten; die Abmagerung und Schwäche nimmt zu, und macht den Patienten bald arbeitsunfähig. In allen Fällen führt dies Übel hier den Tod nach sich. Dr. MacKellar in Pen- caitland, East-Lothian, sagt aus, daß in allen den Gruben, welche gut ventiliert seien, diese Krankheit gar nicht vorkomme, während 10 oft genug Arbeiter, die aus gut ventilierten in schlecht ventilierte Gruben übergingen, von ihr ergriffen würden. Die Gewinnsucht der Grubenbesitzer, die die Anlegung von Ventilationsschächten unterläßt, ist also schuld daran, daß diese Krankheit überhaupt existiert. Rheumatismus ist ebenfalls, mit Ausnahme von War- 15 wickshire und Leicestershire, ein allgemeines Übel der Gruben¬ arbeiter, das besonders aus den häufigen nassen Arbeitslokalen entsteht. — Das Resultat aller dieser Krankheiten ist, daß in allen Distrikten ohne Ausnahme die Grubenarbeiter früh altern und nach dem vierzigsten Jahre bald — es ist verschieden nach 20 den verschiedenen Distrikten — arbeitsunfähig werden. Daß ein Grubenarbeiter nach dem 45. oder gar 50. Lebensjahre seine Be¬ schäftigung noch verfolgen kann, kommt äußerst selten vor. Mit vierzig Jahren, wird allgemein angegeben, fängt ein solcher Ar¬ beiter an, in sein Greisenalter zu treten. Dies gilt von denen, die 25 die Kohlen loshauen; die Auflader, die fortwährend schwere Blöcke Kohlen in die Kufen zu heben haben, altem schon mit dem achtundzwanzigsten oder dreißigsten Jahre, so daß es ein Sprichwort in den Kohlendistrikten gibt: die Auflader werden alte Männer, ehe sie junge sind. Daß dies frühe Altem der Gru- 30 benarbeiter auch einen frühen Tod herbeiführt, versteht sich von selbst, und so ist denn auch ein Sechziger eine große Seltenheit unter ihnen; ja selbst in Südstaffordshire, wo die Gruben verhält¬ nismäßig gesund sind, erreichen nur wenige das einundfünf zigste Jahr. — Bei diesem frühen Alter der Arbeiter finden wir denn 35 auch ganz natürlich, wie bei den Fabriken, häufige Arbeitslosig¬ keit der Eltern, die von ihren oft noch sehr jungen Kindern er¬ nährt werden. — Fassen wir nun die Resultate der Arbeit in Kohlengruben nochmals kurz zusammen, so finden wir, um mit Dr. Southwood Smith, einem der Kommissäre, zu reden — daß 40 einerseits durch Verlängerung der Kindheitsperiode, andererseits durch frühes Alter, diejenige Lebensepoche, in der der Mensch im vollen Besitze seiner Kräfte ist, das Mannesalter, um ein be¬ deutendes verkürzt und die Lebensdauer überhaupt durch einen frühen Tod verringert wird. Auch das ins Debet der Bourgeoisie! 34 1892 frühen Altem
236 Das Bergwerks-Proletariat Alles das ist nur der Durchschnitt der englischen Gruben. Es gibt ihrer aber viele, in denen es noch weit schlimmer aussieht, nämlich diejenigen, in welchen dünne Kohlenflöze ausgebeutet werden. Die Kohlen würden zu teuer kommen, wollte man außer dem Kohlenlager auch noch einen Teil der anstoßenden Sand- 5 und Lehmschichten wegräumen; daher lassen die Besitzer nur jene ausgraben, und dadurch werden die Gänge, die sonst vier, fünf und mehr Fuß hoch sind, so niedrig, daß an aufrechtes Stehen nicht zu denken ist. Der Arbeiter liegt auf der Seite, und bricht mit seiner Hacke die Kohlen los, indem er den Ellenbogen 10 als Angelpunkt auf stützt — daraus entsteht Entzündung des Ge¬ lenks, und in den Fällen, wo er knieen muß, dasselbe Übel am Kniegelenk. Die Weiber und Kinder, die die Kohlen zu schleppen haben, kriechen auf Händen und Füßen, mit einem Geschirr und einer Kette, die in vielen Fällen zwischen den Beinen durchgeht, 15 an die Kufe‘ gespannt, durch die niedrigen Stollen, während ein anderer von hinten mit Kopf und Händen nachschiebt. Das Drücken mit dem Kopf erzeugt lokale Irritation, schmerzhafte Anschwellungen und Geschwüre. In vielen Fällen sind die Stollen auch naß, so daß diese Arbeiter durch schmutziges oder salziges, 20 ebenfalls Irritation der Haut erzeugendes Wasser von mehreren Zollen tief zu kriechen haben. Man kann sich leicht vorstellen, wie sehr die den Grubenarbeitern ohnehin eigentümlichen Krank¬ heiten durch eine so scheußliche Sklavenarbeit begünstigt werden. Das sind noch nicht alle Übel, die auf das Haupt des Gruben- 25 arbeiters fallen. Im ganzen britischen Reich gibt es keine Arbeit, bei der man auf so vielerlei Weise ums Leben kommen kann, wie gerade diese. Die Kohlengrube ist der Schauplatz einer Menge der schreckenerregendsten Unfälle, und gerade diese kommen direkt auf Rechnung des Bourgeoisie-Eigennutzes. Das Kohlenwasserstoff- 30 gas, das sich so häufig in ihnen entwickelt, bildet durch seine Ver¬ mischung mit atmosphärischer Luft eine explosible Luftart, die sich durch die Berührung mit einer Flamme entzündet und jeden tötet, der sich in ihrem Bereich befindet. Solche Explosionen fal¬ len fast alle Tage hier oder dort vor; am 28. September 1844 war 35 eine in Haswell Colliery (Durham), welche 96 Menschen tötete. Das kohlensaure Gas, was sich ebenfalls in Menge entwickelt, lagert an den tiefem Stellen der Graben oft über Mannshöhe und erstickt jeden, der hineingerät. Die Türen, die die einzelnen Teile der Graben trennen, sollen die Fortpflanzung der Explosionen und 40 die Bewegung der Gase hindern, aber da man sie kleinen Kindern zur Bewachung übergibt, die oft einschlafen oder sie vernach¬ lässigen, so ist diese Vorsichtsmaßregel illusorisch. Durch eine 30 1892 Bourgeois-Eigennutzes 32 1892 explosive Luftart,
EMPLOYMENT OF CHILDREN. 165 TAFEL III: Eine Seite aus dem Bericht der Childrens Employment Commission
Unglücksfälle, Explosionen etc. / Stand der Bildung 237 gute Ventilation der Gruben vermittelst Luftschachten wäre die nachteilige Wirkung beider Gase gänzlich zu vermeiden, aber da¬ zu gibt der Bourgeois sein Geld nicht her, und befiehlt lieber den Arbeitern, nur von der Davy’schen Lampe Gebrauch zu machen, 5 die ihm wegen ihres düstem Scheins oft ganz nutzlos ist, und die er deshalb lieber mit der einfachen Kerze vertauscht. Kommt dann eine Explosion, so war es Nachlässigkeit der Arbeiter, wo doch der Bourgeois durch gute Ventilation jede Explosion hätte fast immöglich machen können. Ferner fällt alle Augenblicke ein 10 Stollen ganz oder teilweise ein und begräbt die Arbeiter oder zer¬ quetscht sie; es ist das Interesse der Bourgeois, daß die Flöze so viel irgend möglich ausgegraben werden, und daher auch diese Art Unglücksfälle. Dann sind die Seile, an denen die Arbeiter in den Schacht fahren, oft schlecht und reißen, so daß die Unglück- 15 liehen herunterfallen und zerschmettert werden. Alle diese Un¬ glücksfälle — ich habe keinen Raum für einzelne Beispiele — raffen jährlich, nach dem „Mining Journal“, etwa 1400 Men¬ schenleben dahin. Der „Manchester Guardian“ berichtet allein aus Lancashire mindestens zwei bis drei in jeder Woche. Fast in 20 allen Bezirken sind die Totenschau-Juries in allen Fällen von den Grubenbesitzern abhängig, und wo dies nicht der Fall ist, da sorgt der Schlendrian der Gewohnheit dafür, daß das Verdikt auf: „Tod durch Zufall“ lautet. Ohnehin kümmert sich die Jury wenig um den Zustand der Grube, weil sie nichts davon ver- 25 steht. Aber der Ch. E. Rept. nimmt keinen Anstand, die Besitzer der Gruben geradezu für die große Mehrzahl dieser Fälle ver¬ antwortlich zu machen. In Beziehung auf die Bildung und Sittlichkeit der bergbauen¬ den Bevölkerung, so soll diese nach dem Ch. E. Rept. in Cornwall 30 ziemlich und in Aiston Moor sogar vortrefflich sein; dagegen steht sie in den Kohlendistrikten allgemein sehr niedrig. Die Leute leben auf dem Lande, in vernachlässigten Gegenden, und wenn sie ihre saure Arbeit tun, so kümmert sich außer der Polizei kein Mensch um sie. Daher kommt es, und von dem zarten Alter, 35 in welchem die Kinder an die Arbeit gestellt werden, daß ihre geistige Bildung durchaus vernachlässigt ist. Die Wochenschulen stehen ihnen nicht offen, die Abend- und Sonntagsschulen sind illusorisch, die Lehrer taugen nichts. Daher können nur wenige lesen und noch wenigere schreiben. Das einzige, wofür ihre 40 Augen noch offen geblieben, war nach der Aussage der Kommis¬ säre, daß ihr Lohn viel zu gering für ihre saure und gefährliche Arbeit sei. — In die Kirche gehen sie nie oder selten; alle Geist¬ lichen klagen über eine Irreligiosität ohnegleichen. In der Tat finden wir unter ihnen eine Unwissenheit über religiöse und weit¬ es liehe Dinge, gegen welche die oben in Beispielen dargelegte vieler
238 Das Bergwerks-Proletariat Industriearbeiter noch gering ist. Die religiösen Kategorien sind ihnen nur aus den Fluchworten bekannt. Ihre Moralität wird schon durch die Arbeit zerstört. Daß die Überarbeitung aller Gruben¬ arbeiter den Trunk notwendig erzeugen muß, liegt auf der Hand. Was das Geschlechtsverhältnis betrifft, so arbeiten in den Gruben 5 wegen der dort herrschenden Wärme Männer, Weiber und Kinder in vielen Fällen ganz, und in den meisten beinahe nackt, und was die Folgen davon in der finstern, einsamen Grube sind, mag sich jeder selbst denken. Die Zahl der unehelichen Kinder, die hier unverhältnismäßig groß ist, spricht für das, was unter der halb-10 wilden Bevölkerung dort unten vorgeht, beweist aber auch, daß der illegitime Verkehr der Geschlechter hier noch nicht, wie in den Städten, bis zur Prostitution gesunken ist. Die Arbeit der Weiber hat dieselben Folgen wie in den Fabriken, sie löst die Fa¬ milie auf und macht die Mütter durchaus unfähig zur Verrich-15 tung ihrer häuslichen Beschäftigungen. — Als der Ch. E. Rept. dem Parlament vorgelegt wurde, beeilte sich Lord Ashley, eine Bill vorzuschlagen, worin die Arbeit der Weiber in Bergwerken ganz verboten und die der Kinder sehr beschränkt wurde. Die Bill ging durch, ist aber in den meisten 20 Gegenden ein toter Buchstabe geblieben, da nicht auch Bergwerks¬ inspektoren ernannt wurden, um nach ihrer Ausführung zu sehen. Die Umgehung ist in den ländlichen Distrikten, wo die Bergwerke liegen, ohnehin schon sehr erleichtert, und da darf es uns nicht wundem, wenn voriges Jahr dem Minister des Innern die offizielle 2s Anzeige von Seiten der Verbindung der Grubenarbeiter gemacht wurde, daß in den Gruben des Herzogs von Hamilton in Schott¬ land über sechzig Frauenzimmer arbeiteten, oder wenn der „Man¬ chester Guardian“ einmal berichtete, daß, wenn ich nicht irre, bei Wigan ein Mädchen durch eine Explosion in der Grube umge- 30 kommen sei, und kein Mensch sich weiter darum kümmerte, daß auf diese Weise eine Ungesetzlichkeit an den Tag kam. In ein¬ zelnen Fällen mag es abgestellt worden sein, aber im allgemeinen besteht das alte Verhältnis unverändert fort. Das sind aber noch nicht alle Beschwerden, die auf die Gru- 35 benleute fallen. Die Bourgeoisie, nicht zufrieden damit, die Ge¬ sundheit dieser Leute zu ruinieren, ihr Leben stündlich in Gefahr zu bringen, ihnen alle Gelegenheit zur Bildung zu nehmen, beutet sie auch sonst noch auf die unverschämteste Weise aus. Das Trucksystem ist hier nicht Ausnahme, sondern Regel, und wird 40 auf die unverhohlenste, direkteste Weise betrieben. Das Cottage¬ system ist ebenfalls allgemein und hier meist Notwendigkeit, wird aber auch hier zur besseren Ausbeutung der Arbeiter angewandt. Dazu noch allerlei sonstige Betrügereien. Während die Kohlen nach dem Gewicht verkauft werden, wird dem Arbeiter meist 45
Bergwerksgesetze / Systematische Ausbeutung 239 der Lohn nach dem Maß berechnet, und wenn er seine Kufe nicht ganz voll hatte, so bekommt er gar keinen Lohn, während er keinen Heller für Übermaß bezahlt erhält. Ist in der Kufe mehr als ein gewisses Quantum Gries, was doch weniger vom Arbeiter 5 als von der Beschaffenheit der Kohlenflöze abhängt, so ist nicht nur der ganze Lohn, sondern auch noch eine Strafe verwirkt. Das Strafgelder System ist in den Gruben überhaupt so vollkommen ausgebildet, daß zuweilen ein armer Teufel, der die ganze Woche gearbeitet hat und kommt, seinen Lohn zu holen, vom Aufseher 10 — denn der straft ganz nach Belieben und ohne den Arbeiter herbeizuholen — erfährt, daß er nicht nur keinen Lohn zu er¬ warten, sondern noch so und soviel an Strafen nachzuzahlen hat! Der Aufseher hat überhaupt absolute Macht über den Lohn, er notiert die gelieferte Arbeit und kann dem Arbeiter, der ihm 15 glauben muß, bezahlen, was er will. In einigen Gruben, wo nach dem Gewicht bezahlt wird, werden falsche Dezimalwagen ge¬ braucht, deren Gewichte nicht durch die öffentliche Autorität ge¬ eicht zu werden brauchen; in einer war sogar eine Regel, daß jeder Arbeiter, der wegen Unrichtigkeit der Wage klagen wollte, godies dem Aufseher drei Wochen vorher an¬ zeigen mußte! In vielen Gegenden, besonders in Nord¬ england, ist es Sitte, daß die Arbeiter auf ein Jahr engagiert wer¬ den; sie verpflichten sich, während der Zeit für keinen andern zu arbeiten, aber der Besitzer verpflichtet sich durchaus nicht, ihnen 25 Arbeit zu geben, so daß sie oft monatelang arbeitslos sind, und wenn sie woanders Arbeit suchen, wegen Dienstvernachlässigung sechs Wochen auf die Tretmühle geschickt werden. In andern Verträgen wird den Leuten Arbeit bis zu 26 Shill. jede 14 Tage gesichert, aber nicht gegeben; in andern Distrikten leihen die Be- 30 sitzer den Arbeitern kleine, nachher abzuverdienende Summen und fesseln sie dadurch an sich. Im Norden ist es allgemeine Sitte, stets den Lohn einer Woche zurückzuhalten, um dadurch die Leute zu fesseln. Und um die Sklaverei dieser geknechteten Arbeiter zu vollenden, sind fast alle Friedensrichter der Kohlendistrikte 35 selbst Grubenbesitzer oder Verwandte und Freunde von solchen, und haben in diesen unzivilisierten, armen Gegenden, wo es wenig Zeitungen — und auch diese im Dienst der herrschenden Klasse — und wenig politische Agitation gibt, eine fast unumschränkte Macht. Man kann sich kaum eine Vorstellung davon machen, wie 40 diese armen Grubenarbeiter von den in eigner Sache urteilenden Friedensrichtern ausgesogen und tyrannisiert worden sind. Eine lange Zeit ging das so voran. Die Arbeiter wußten nicht besser, als daß sie dazu da seien, bis aufs Blut geschunden zu wer- 2 1892 gar keinen Lohn, während
240 Das Bergwerks-Proletariat den. Allmählich aber fand sich auch unter ihnen, namentlich in den Fabrikdistrikten, wo die Berührung mit den intelligenteren Fabrikarbeitern ihren Einfluß nicht verfehlte, ein oppositioneller Geist gegen die schamlose Unterdrückung der „Koh len - König e“. Sie fingen an, Assoziationen zu bilden und von Zeit 5 zu Zeit die Arbeit einzustellen. In den zivilisierteren Teilen schlos¬ sen sie sich sogar mit Leib und Seele den Chartisten an. Der große Kohlendistrikt des Nordens von England, der allem industriellen Verkehr abgeschlossen war, blieb indes immer noch zurück, bis endlich, nach vielen Versuchen und Anstrengungen, teils der Char-10 tisten, teils der intelligenteren Grubenleute selbst, im Jahre 1843 ein allgemeiner Geist des Widerstands auch hier erwachte. Eine solche Bewegung ergriff die Arbeiter von Northumberland und Durham, daß sie sich an die Spitze einer allgemeinen Verbindung der Grubenleute des ganzen Reichs stellten, und einen Chartisten, 10 den Advokaten W. P. Roberts aus Bristol, der sich schon bei den früheren Chartistenprozessen ausgezeichnet hatte, zu ihrem „Generalprokurator66 ernannten. Die „Union66 verbreitete sich bald über die große Mehrzahl der Distrikte; überall wurden Agen¬ ten ernannt, die Versammlungen hielten und Mitglieder an- 20 warben; bei der ersten Konferenz von Deputierten in Manchester im Januar 1844 waren über 60000, bei der zweiten in Glasgow, ein halbes Jahr später, schon über 100000 Mitglieder. Alle An¬ gelegenheiten der Grubenleute wurden hier beraten und über die größeren Arbeitseinstellungen Beschlüsse gefaßt. Mehrere Jour- 25 nale, besonders die Monatsschrift „The Miner’s Advocate66 zu Newcastle-upon-Tyne, wurden gegründet und die Rechte der Gru¬ benleute darin vertreten. Am 31. März 1844 liefen die Dienstverträge aller Grubenleute in Northumberland und Durham ab. Sie ließen sich von Roberts 30 einen neuen Vertrag auf setzen, worin sie verlangten 1) Bezahlung nach dem Gewicht statt nach dem Maß, 2) Ermittelung des Ge¬ wichts durch gewöhnliche, von den öffentlichen Inspektoren revi¬ dierte Wagschalen und Gewichte; 3) halbjährliche Dienstzeit; 4) Abschaffung des Strafensystems und Bezahlung der wirklich 35 gelieferten Arbeit; 5) Verpflichtung der Besitzer, den in ihrem ausschließlichen Dienst befindlichen Arbeitern wenigstens vier Tage in der Woche Arbeit oder den Lohn für vier Tage zu garan¬ tieren. Der Vertrag wurde den Kohlen-Königen übersandt und eine Deputation ernannt, um mit ihnen zu unterhandeln; diese aber 40 antworteten, die „Union66 existiere nicht für sie, sie hätten nur mit den einzelnen Arbeitern zu tun und würden die Verbindung nie anerkennen. Auch legten sie einen andern Vertrag vor, der von allen den obigen Punkten nichts wissen wollte und natürlich von den Arbeitern verweigert wurde. Somit war der Krieg erklärt. 45
Bewegungen unter Grubenarbeitern / Die „Union“ / Roberts 241 Am 31. März 1844 legten 40000 Grubenleute ihre Hacken nie¬ der, und sämtliche Gruben in den beiden Grafschaften standen leer. Die Fonds der Assoziaton waren so bedeutend, daß auf mehrere Monate jeder Familie eine Unterstützung von 2% Shill. 5 wöchentlich zugesichert werden konnte. Während so die Arbeiter die Geduld ihrer Brotherren auf die Probe stellten, organisierte Roberts mit einer Unermüdlichkeit ohnegleichen den Turnout und die Agitation, ließ Versammlungen halten, durchreiste England in die Kreuz und Quer, sammelte Unterstützungen für die Feiern- 10 den, predigte Ruhe und Gesetzlichkeit und führte zugleich einen Feldzug gegen die despotischen Friedensrichter und Truckmeister aus, wie er noch nie in England vorgekommen war. Schon im An¬ fänge des Jahres hatte er diesen begonnen. Wo irgend ein Gru¬ benarbeiter von den Friedensrichtern verurteilt war, verschaffte 15 er sich beim Hofe der Queens-Bench ein Habeas Corpus, brachte seinen Klienten vor den Hof nach London und erhielt ihn immer freigesprochen. So sprach Richter Williams von der Queens- Bench am 13. Januar drei von den Friedensrichtern zu Bilston (Süd-Staffordshire) verurteilte Grubenleute los; das Verbrechen 20 dieser Leute war, daß sie sich weigerten, an einer Stelle zu arbei¬ ten, welche Einsturz drohte und wirklich, ehe sie zurückkamen, eingestürzt war! Bei einer früheren Gelegenheit hatte Richter Patteson sechs Arbeiter losgesprochen, so daß der Name Roberts allmählich anfing, den grubenbesitzenden Friedensrichtern fürch- 25 terlich zu werden. In Preston saßen ebenfalls vier seiner Klien¬ ten; er machte sich in der ersten Woche des Februar auf, um die Sache an Ort und Stelle zu untersuchen, fand aber, als er ankam, die Verurteilten vor Ablauf der Strafzeit schon entlassen. In Manchester saßen sieben; Roberts erhielt Habeas Corpus und vom 30 Richter Wightman vollständige Freisprechung. In Prescott saßen neun Grubenarbeiter, die wegen angeblicher Ruhestörung in St. Helens (Süd-Lancashire) schuldig erklärt und auf ihr Urteil war¬ teten; als Roberts hinkam, wurden sie sogleich freigelassen. Alles das geschah in der ersten Hälfte des Februar. Im April befreite 35 Roberts auf dieselbe Weise einen Grubenarbeiter aus dem Ge¬ fängnisse zu Derby, vier aus dem zu Wakefield (Yorkshire) und vier aus dem zu Leicester. So ging es eine Zeitlang fort, bis die „Dogberries“, wie diese Friedensrichter nach dem bekannten Cha¬ rakter in Shakespeares „Viel Lärmen um Nichts“ genannt werden, 40 etwas Respekt bekamen. Ebenso ging es mit dem Trucksystem. Einen nach dem andern von diesen ehrlosen Grubenbesitzern schleppte Roberts vor Gericht und erzwang von den widerwilligen Friedensrichtern Urteile gegen sie; solch eine Furcht verbreitete sich unter ihnen vor diesem windschnellen Generalprokurator, der 45 überall zu gleicher Zeit zu sein schien, daß z. B. in Belper bei Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 16
242 Das Bergwerks-Proletariat Derby eine Truckfirma bei seiner Ankunft folgendes Plakat an¬ schlagen ließ: „Bekanntmachung. Pentrich-Kohlenzeche.“ „Die Herren Haslam halten es für nötig (um jedem Irrtum zuvorzukommen), anzuzeigen, daß alle in ihrer Zeche beschäftig- 5 ten Leute ihren Lohn ganz in Geld ausbezahlt erhalten werden und ihn ausgeben können, wo und wie es ihnen beliebt. — Wenn sie im Laden der Herren Haslam ihre Waren kaufen, so werden sie dieselben, wie bisher, zu Engros-Preisen erhalten, jedoch wird nicht erwartet, daß sie sie dort kaufen, und es wird ihnen dieselbe 10 Arbeit und derselbe Lohn gegeben werden, sie mögen in diesem oder irgend einem andern Laden kaufen.“ Diese Triumphe erregten den lautesten Jubel unter der ganzen englischen Arbeiterklasse und führten der „Union“ eine Menge neuer Mitglieder zu. Inzwischen ging das Feiern im Norden vor- 13 an. Keine Hand wurde gerührt, und Newcastle, der Hauptexport¬ hafen für Kohlen, war so entblößt davon, daß man von der schot¬ tischen Küste Kohlen dorthin bringen mußte, obwohl im Eng¬ lischen to carry coals to Newcastle soviel heißt, wie bei den Grie¬ chen Eulen nach Athen tragen, d. h. etwas ganz Überflüssiges tun. 20 Anfangs, solange die Fonds der „Union“ vorhielten, ging alles gut, aber gegen den Sommer wurde den Arbeitern der Kampf sehr erschwert. Die höchste Not herrschte unter ihnen; sie hatten kein Geld, denn die Beiträge der Arbeiter aller Industriezweige in ganz England machten doch auf die große Anzahl der Feiernden wenig 25 aus; sie mußten bei den Krämern mit Schaden borgen; die ganze Presse, mit Ausnahme weniger proletarischen Journale, war gegen sie; die Bourgeoisie, selbst die wenigen unter ihr, die Gerechtig¬ keitssinn genug gehabt hätten, sie zu unterstützen, erfuhren aus den feilen liberalen und konservativen Blättern nur Lügen über 30 die Sache; eine Deputation von zwölf Grubenleuten, die nach London ging, brachte bei dem dortigen Proletariat eine Summe auf, die aber auch bei der Menge der Unterstützungsbedürftigen wenig half; trotz alledem blieben die Grubenleute fest und, was noch mehr sagen will, bei allen Feindseligkeiten und Herausfor- 35 derungen der Grubenbesitzer und ihrer getreuen Diener ruhig und friedlich. Kein Akt der Rache wurde geübt, kein einzelner Ab¬ trünniger mißhandelt, kein einziger Diebstahl verübt. So hatte das Feiern schon an vier Monate gedauert, und noch immer hatten die Besitzer keine Aussicht, die Oberhand zu bekommen. Ein Weg 40 stand ihnen noch offen. Sie erinnerten sich des Cottagesystems; 14 1892 der Union
Der große Feldzug (1844) im Norden von England 243 es fiel ihnen ein, daß die Häuser der Widerspenstigen i h r Eigen¬ tum seien. Im Juli wurde den Arbeitern die Miete gekündigt, und in einer Woche alle Vierzigtausend vor die Türe gesetzt. Diese Maßregel wurde mit einer empörenden Barbarei durchgeführt. 5 Kranke und Schwache, Greise und Säuglinge, selbst gebärende Frauen wurden schonungslos aus den Betten gerissen und in den Chausseegraben geworfen. Ein Agent machte sich sogar den Ge¬ nuß, ein hochschwangeres Weib mit eigner Hand bei den Haaren aus dem Bette und auf die Straße zu schleifen. Militär und Po- io lizei stand in Masse dabei, bereit, auf das erste Zeichen von Wider¬ stand und auf den ersten Wink der Friedensrichter, die die ganze brutale Prozedur leiteten, einzuhauen. Auch das überstanden die Arbeiter, ohne sich zu rühren. Man hatte gehofft, sie würden Ge¬ walt brauchen, man reizte sie mit aller Macht zur Widersetzlich¬ es keit, um nur einen Vorwand zu haben, dem Feiern durch Militär ein Ende zu machen; die obdachlosen Grubenleute, eingedenk der Ermahnungen ihres Prokurators, blieben unbeweglich, setzten schweigend ihre Möbel auf die Moorflächen oder abgeemteten Felder und hielten aus. Einige, die keinen andern Platz wußten, 20 kampierten in den Chausseegräben, andere auf andrer Leute Grundstücken, wo sie dann verklagt, und weil sie „Schaden zum Betrage eines Halfpenny“ getan hätten, in ein Pfund Kosten ver¬ urteilt wurden, die sie natürlich nicht bezahlen konnten und auf der Tretmühle abbüßten. So haben sie acht und mehr Wochen in 25 dem nassen Spätsommer des vorigen Jahres unter freiem Himmel mit ihren Familien gewohnt, ohne anderes Obdach für sich und ihre Kleinen, als die kattunenen Vorhänge ihrer Betten, ohne an¬ dere Hilfsmittel, als die geringen Unterstützungen der „Union“ und den abnehmenden Kredit der Krämer. Darauf ließ Lord Lon- 30 donderry, der in Durham bedeutende Gruben besitzt, den Krä¬ mern „seiner Stadt“ Seaham mit seinem allerhöchsten Zorn drohen, wenn sie fortführen, „seine n“ widerspenstigen Arbei¬ tern Kredit zu geben. Dieser „edle“ Lord war überhaupt der Har¬ lekin des ganzen Turnouts durch die lächerlichen und schwülsti- 35 gen, schlecht stilisierten „Ukase“ an die Arbeiter, die er von Zeit zu Zeit, aber immer ohne andere Wirkung, als die Heiterkeit der Nation, erließ.*) Als alles nicht mehr fruchten wollte, ließen die Besitzer mit großen Unkosten aus Irland und den entfernteren Teilen vonWales,wo es noch keine Arbeiterbewegungen gibt,Leute 40 kommen, um in ihren Gruben zu arbeiten, und als so die Konkur¬ renz der Arbeiter unter sich wiederhergestellt war, brach die *) 1892 Nichts Neues unter der Sonne, wenigstens nicht in Deutsch¬ land. Unsre „König Stumm“ sind eben auch nur Abklatsche längst ver¬ gangner, heute in ihrer Heimat unmöglicher englischer Urbilder. 16*
244 Das Bergwerks-Proletariat Macht der Feiernden zusammen. Die Besitzer zwangen sie, sich von der „Union“ loszusagen, Roberts zu verlassen und die von ihnen diktierten Bedingungen anzunehmen. So endigte anfangs September der große fünfmonatliche Kampf der Grubenleute ge¬ gen die Besitzer — ein Kampf, der von der Seite der Unterdrückten 5 mit einer Ausdauer, einem Mut, einer Intelligenz und Besonnen¬ heit geführt wurde, die uns die höchste Bewunderung abnötigen. Welch einen Grad von wahrhaft menschlicher Bildung, von Be¬ geisterung und Charakterstärke setzt ein solcher Kampf bei einer Masse von vierzigtausend Männern voraus, die, wie wir sahen, 10 im Ch. E. Rept. noch 1840 als durchaus roh und sittenlos geschil¬ dert werden! Wie hart muß aber auch der Druck gewesen sein, der diese Vierzigtausend dahin brachte, sich wie Ein Mann zu erheben und wie eine nicht nur disziplinierte, sondern auch be¬ geisterte Armee, die nur Einen Willen hat, den Kampf mit der 15 größten Kaltblütigkeit und Ruhe bis zu dem Punkte fortzusetzen, wo fernerer Widerstand Unsinn wäre! Und welch einen Kampf — nicht gegen sichtbare, tödliche Feinde, sondern gegen Hunger und Not, Elend und Obdachlosigkeit, gegen die eignen, durch die Brutalität des Reichtums bis zum Wahnsinn herausgeforderten 20 Leidenschaften — hätten sie sich gewaltsam empört, so wären sie, die Waffenlosen, zusammengeschossen worden, und ein paar Tage hätten den Sieg der Besitzer entschieden. Diese Gesetzlichkeit war nicht die Furcht vor dem Konstablerstocke, sie war eine Über¬ legung, sie war der beste Beweis von der Intelligenz und Selbst- 25 beherrschung der Arbeiter. So unterlagen auch diesmal die Arbeiter, trotz ihrer beispiel¬ losen Ausdauer, der Macht der Kapitalisten. Aber er war nicht fruchtlos. Vor allen Dingen hat dieser neunzehn Wochen lange Tumout die Grubenleute Nordenglands für immer dem geistigen 30 Tod entrissen, in dem sie bisher lagen; sie haben aufgehört zu schlafen, sind wach für ihre Interessen und haben sich der Be¬ wegung der Zivilisation, besonders aber der Arbeiterbewegung angeschlossen. Der Turnout, der erst die ganze Barbarei der Be¬ sitzer gegen sie zum Vorschein brachte, hat die Arbeiteropposi- 35 tion hier für immer etabliert und mindestens drei Viertel der gan¬ zen Zahl zu Chartisten gemacht — und die Akquisition von dreißigtausend so energischen, so bewährten Leuten ist den Char¬ tisten wahrlich viel wert. Dann aber hat die Ausdauer und Ge¬ setzlichkeit des ganzen Turnouts, vereinigt mit der tätigen Agita- 40 tion, die ihn begleitete, doch die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Grubenarbeiter gelenkt. Bei Gelegenheit der Debatte über den Ausfuhrzoll auf Kohlen brachte Thomas Duncombe, das einzige entschieden chartistische Unterhausmitglied, die Lage der Gru¬ benarbeiter im Parlament zur Sprache, ließ ihre Petition am Tisch 45
Resultate des Kampfes 245 des Hauses verlesen und zwang durch einen Vortrag auch die Journale der Bourgeoisie, wenigstens in den Parlamentsverhand¬ lungen einmal eine richtige Darstellung der Sache aufzunehmen. Gleich nach dem Turnout fiel die Explosion zu Haswell vor; Ro- 5 berts reiste nach London, erlangte eine Audienz bei Peel, drang als Repräsentant der Grubenarbeiter auf gründliche Untersuchung des Falls und setzte es durch, daß die ersten geologischen und chemischen Notabilitäten Englands, die Professoren Lyell und Faraday, beauftragt wurden, sich an Ort und Stelle zu verfügen. 10 Da bald darauf noch mehrere Explosionen folgten und die Akten von Roberts wiederum dem Premierminister vorgelegt wurden, so versprach dieser, in der nächsten Parlamentsession (der jetzigen von 1845) wo möglich die nötigen Maßregeln zum Schutz der Ar¬ beiter vorzuschlagen. Alles das wäre nicht erfolgt, hätten sich die 15 Leute nicht durch den Turnout als freiheitsliebende, achtung¬ gebietende Männer bewährt und hätten sie Roberts nicht engagiert. Kaum war es bekannt, daß die Grubenleute des Nordens ge¬ zwungen seien, die „Union66 aufzugeben und Roberts zu entlassen, so traten die Grubenleute von Lancashire in einer Union von etwa 20 zehntausend Arbeitern zusammen und garantierten ihrem Gene¬ ralprokurator sein Gehalt von 1200 Pfund jährlich. Sie brachten im Herbst vorigen Jahres monatlich über 700 Pfund zusammen, von denen etwas über 200 Pfund für Gehalte, Gerichtskosten etc., und der Rest meistens als Unterstützung feiernder Arbeiter, die 25 teils brotlos waren, teils die Arbeit wegen Zwistigkeiten mit den Besitzern niedergelegt hatten, verwendet wurde. So sehen die Ar¬ beiter immer mehr ein, daß sie vereinigt auch eine respektable Macht sind und im höchsten Notfall allerdings der Macht der Bourgeoisie trotzen können. Und diese Einsicht, der Gewinn aller 30 Arbeiterbewegungen ist den sämtlichen Grubenleuten Englands durch die „Union66 und den Turnout von 1844 zuteil geworden. In sehr kurzer Zeit wird der Unterschied der Intelligenz und Energie, der jetzt noch zu Gunsten der Industriearbeiter besteht, verschwun¬ den sein, und die Bergleute des Reichs werden sich ihnen in jeder 35 Beziehung an die Seite stellen können. So wird ein Stück Terrain nach dem andern unter den Füßen der Bourgeoisie unterwühlt, und wie lange wird es dauern, so stürzt ihr ganzes Staats- und Ge¬ sellschaftsgebäude samt der Basis, auf der es steht, zusammen. Aber sie läßt sich nicht warnen. Die Auflehnung der Gruben¬ no arbeiter erbitterte sie nur noch mehr; statt in ihr einen Fortschritt der Bewegung unter den Arbeitern im allgemeinen zu sehen, statt sich dadurch zur Besinnung bringen zu lassen, fand die besitzende 38 Nach zusammen 1887 Fußnote: The coal miners have at this moment, 1886, six of their body sitting in the House of Commons. 41—42 1887 fehlt statt .. zu lassen,
246 Das Bergwerks-Proletariat Klasse in ihr nur Veranlassung zum Zorn gegen eine Klasse von Menschen, die närrisch genug war, mit der bisherigen Behand¬ lungsweise sich nicht mehr einverstanden zu erklären. Sie sah in den gerechten Forderungen der Besitzlosen nur unverschämte Unzufriedenheit, wahnsinnige Auflehnung gegen „göttliche und 5 menschliche Ordnung66 und im günstigsten Falle einen mit aller Macht wieder zu unterdrückenden Erfolg „übelgesinnter Dema¬ gogen, die von der Agitation leben und zu faul sind zum Arbei¬ ten.66 Sie suchte — natürlich erfolglos — den Arbeitern Leute wie Roberts und die Agenten der Assoziation, die ganz natürlich von 10 dieser unterhalten wurden, als pfiffige Betrüger darzustellen, die ihnen, den armen Arbeitern, den letzten Heller aus der Tasche lockten. — Wenn eine solche Verrücktheit bei der besitzenden Klasse existiert, wenn sie durch ihren augenblicklichen Vorteil so geblendet wird, daß sie selbst für die deutlichsten Zeichen der 15 Zeit keine Augen mehr hat, so muß man wahrlich alle Hoffnungen auf eine friedliche Lösung der sozialen Frage für England auf¬ geben. Die einzig mögliche Auskunft bleibt eine gewaltsame Re¬ volution, die ganz gewiß nicht ausbleiben wird. —
Das Ackerbau-Proletariat Schon in der Einleitung sahen wir, wie gleichzeitig mit der kleinen Bourgeoisie und dem Wohlstände der bisherigen Arbeiter auch die kleine Bauerschaft ruiniert wurde, indem die bisherige 7 Vereinigung der industriellen mit der ackerbauenden Arbeit sich auf löste, die vakant gewordenen Felder in große Pachten zusam¬ mengeworfen und die kleinen Bauern durch die überwiegende Konkurrenz der großen Wirtschaften aus dem Felde geschlagen wurden. Statt, wie bisher, selbst Grundbesitzer oder Pächter zu 10 sein, wurden sie gezwungen, ihre Wirtschaft aufzugeben und sich als Ackerknechte bei den großen Pächtern und Gutsbesitzern zu verdingen. Eine Zeitlang war dieser Zustand, wenn auch gegen ihren früheren verschlechtert, doch erträglich. Die Ausdehnung der Industrie hielt der vermehrten Bevölkerung die Wagschale, 15 bis endlich der industrielle Fortschritt etwas langsamer zu wer¬ den anfing und die stets neuen Vervollkommnungen der Maschi¬ nerie die Industrie außerstand setzten, den ganzen Überschuß der arbeitenden Bevölkerung aus den Ackerbaubezirken zu absorbie¬ ren. Von diesem Zeitpunkte an zeigte sich das Elend, das bisher 20 in den Fabrikdistrikten allein und auch da nur zeitweise existiert hatte, auch in den Ackerbaubezirken. Dazu kam, daß ungefähr um dieselbe Zeit der fünfundzwanzigjährige Krieg mit Frankreich aufhörte; die verminderte Produktion auf den Kriegsschau¬ plätzen, die Sperrung der Zufuhren und die Notwendigkeit, die 25 britischen Armeen in Spanien zu versorgen, hatten dem britischen Ackerbau einen künstlichen Aufschwung gegeben und zudem eine Menge von Arbeitskräften der Arbeit entzogen. Diese Stockung der Zufuhr, die Notwendigkeit des Exports und der Mangel an Arbeitern hörten nun mit einem Male auf, und die notwendige 30 Folge war, wie die Engländer es nennen, agricultural distress, Ackerbau-Elend. Die Pächter mußten ihr Korn niedrig verkaufen und konnten daher nur niedrigen Lohn bezahlen. Um die Kom- preise hochzuhalten, wurden 1815 die Korngesetze passiert, die die Einfuhr von Korn so lange prohibierten, als der Preis des 35 Weizens unter 80 Shill. für das Quarter war. Später wurden diese natürlich fruchtlosen Gesetze noch mehrere Male verändert, ohne indes das Elend der Ackerbaudistrikte mildern zu können. Alles was sie taten, war das, daß sie die Krankheit, die bei freier Kon¬
248 Das Ackerbau-Proletariat kurrenz des Auslandes akut geworden wäre und ihre Krisen ge¬ habt hätte, in eine chronische verwandelten, die einen gleichmäßi¬ gen, aber immer noch harten Druck auf die Lage der ackerbauen¬ den Arbeiter ausübte. In der ersten Zeit nach der Entstehung des Ackerbauproleta- 5 riats entwickelte sich hier das patriarchalische Verhältnis, das gleichzeitig für die Industrie zerstört wurde — dasselbe Verhält¬ nis des Bauern zu seinen Ackerknechten, wie es in Deutschland fast überall jetzt noch besteht. Solange dies bestand, trat die Not unter den Arbeitern weniger und seltner hervor, die Knechte 10 teilten das Schicksal der Pächter und wurden nur im schlimmsten Notfälle entlassen. Jetzt ist das aber anders. Die Leute sind fast alle Tagelöhner, die von den Pächtern beschäftigt werden, wenn diese ihrer bedürfen, und daher oft wochenlang, besonders aber Winters, gar keine Arbeit haben. Bei dem patriarchalischen Ver-15 hältnis, wo die Knechte und ihre Familien auf dem Hofe des Päch¬ ters wohnten, und ihre Kinder dort heranwuchsen, wo also natür¬ lich der Pächter die heranwachsende Generation auf seinem Hofe zu beschäftigen suchte, und die Taglöhner die Ausnahme, nicht die Regel, ausmachten, fand sich auf jedem Gute eine größere 20 Zahl Arbeiter, als, streng genommen, nötig war. Daher lag es auch im Interesse der Pächter, dies Verhältnis aufzulösen, den Ackerknecht vom Hof zu treiben und ihn in einen Taglöhner zu verwandeln. Dies geschah ziemlich allgemein gegen das Ende der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts, und die Folge davon war, 25 daß jetzt die bisher, um den Ausdruck der Physik zu gebrauchen, latente Überflußbevölkerung entbunden, der Lohn gedrückt, und die Armensteuern enorm gesteigert wurden. Von dieser Zeit an wurden die Ackerbaudistrikte die Hauptsitze des permanen¬ ten, wie die Fabrikdistrikte die des wechselnden Paupe-w r i s m u s, und die Umgestaltung der Armengesetze war die erste Maßregel, welche die öffentliche Macht gegen die täglich wach¬ sende Verarmung der Landgemeinden ergreifen mußte. Dazu kam aber noch, daß, bei fortwährender Ausbreitung des Systems der Bewirtschaftung im großen, die Einführung von Dresch- und an- 35 dem Maschinen in den Ackerbau und die vielfach eingeführte Arbeit von Weibern und Kindern in den Feldern, die so allgemein ist, daß ihre Folgen neulich durch eine besondre, offizielle Kom¬ mission untersucht wurden, auch hier eine große Zahl von Arbei¬ tern brotlos machen. Wir sehen also, wie auch hier das System 40 der industriellen Produktion sich durch große Wirtschaft, Auf¬ hebung des patriarchalischen Verhältnisses — die gerade hier von der größten Bedeutung ist — und Einführung von Maschi¬ nerie, Dampfkraft und Arbeit von Weibern und Kindern Eingang verschafft und die letzte, stabilste Seite der arbeitenden Mensch- 43
Pauperismus auf dem Lande 249 heit in die revolutionäre Bewegung hineingerissen hat. Je länger aber der Ackerbau seine Stabilität bewährt hatte, um so schwerer fiel die Last nun auf den Arbeiter, um so gewaltsamer äußerte sich hier die Desorganisation des alten sozialen Zusammenhangs. 5 Die „Übervölkerung66 trat mit einem Male ans Tageslicht und war nicht, wie in den Industriebezirken, durch vermehrte Produk¬ tion zu beseitigen. Neue Fabriken konnten immer angelegt wer¬ den, wenn Abnehmer für ihre Produkte da waren, aber neues Land konnte nicht geschafft werden. Die Kultur der unbebauten 10 Gemeindeländereien war eine zu riskante Spekulation, als daß sich seit dem Frieden viel Kapital hierauf geworfen hätte. Die notwendige Folge davon war, daß die Konkurrenz der Arbeiter unter sich auf den höchsten Punkt gesteigert wurde und der Lohn auf sein Minimum fiel. Solange das alte Armengesetz existierte, 15 wurde den Arbeitern aus der Armenkasse zugesetzt; natürlich fiel der Lohn hierdurch noch mehr, indem jetzt die Pächter einen mög¬ lichst großen Teil desselben der Armenkasse zuzuschieben such¬ ten. Die schon durch die überflüssige Bevölkerung nötig gewor¬ dene Steigerung der Armensteuer wurde hierdurch nur vermehrt 20 und so das neue Armengesetz, wovon wir noch sprechen werden, nötig gemacht. Dies machte die Sache indes nicht besser. Der Ar¬ beitslohn stieg nicht, die überflüssige Bevölkerung war nicht weg¬ zuschaffen, und die Grausamkeit des neuen Gesetzes diente nur dazu, das Volk aufs höchste zu erbittern. Selbst die Armensteuer, 25 die anfangs abnahm, erreichte nach wenigen Jahren dieselbe Höhe, die sie früher hatte. Die einzige Frucht war die, daß wenn früher drei bis vier Millionen Halbpaupers bestanden hatten, jetzt eine Million ganzer Paupers zum Vorschein kam, und die übrigen darum auch halbe Paupers, nur ohne Unterstützung blieben. Das 30 Elend der Ackerbaubezirke hat mit jedem Jahre zugenommen. Die Leute leben in der größten Not, ganze Familien müssen sich mit 6, 7 oder 8 Shill. wöchentlich durchschlagen und haben zeit¬ weise gar nichts. Hören wir eine Schilderung, die ein liberales Parlamentsmitglied von dem Zustande dieser Bevölkerung schon 35 1830 entwarf: „Ein englischer Bauer (d. h. Ackerbautaglöhner) und ein englischer Pauper — die Worte sind synonym. Sein Va¬ ter war ein Pauper und seiner Mutter Milch war ohne nährende Kraft; von Kind auf hat er schlechte Nahrung und immer nur halb¬ satt bekommen, und jetzt noch fühlt er die Qual unbefriedigten 40 Hungers fast immer, wenn er nicht schläft. Er ist halbbekleidet, ohne mehr Feuerung, als grade ausreicht, seine magern Mahlzeiten zu kochen, und so kehren Kälte und Nässe stets mit dem Wetter bei ihm ein und verlassen ihn nur mit dem Wetter. Er ist verhei- 34 Orig. Parlamentsglied
250 Das Ackerbau-Proletariat ratet; aber er kennt nicht die Freuden des Gatten und Vaters. Sein Weib und seine Kleinen, hungrig, selten warm, oft krank und hilflos, stets sorgenvoll und hoffnungslos wie er, sind natürlich gierig, selbstsüchtig und quälerisch, und so, um seine eignen Worte zu gebrauchen, haßt er ihren Anblick (hates the sight of 5 them) und geht nur zu seiner Baracke zurück, weil sie ihm immer noch etwas mehr Schutz gegen Regen und Wind gewährt als eine Hecke. Er muß seine Familie erhalten, wo er es doch nicht kann; das gibt Bettelei, heimliche Anschläge aller Art, und endigt in ausgebildeter Verschlagenheit. Wenn er auch Lust hätte, so fehlte 10 ihm doch der Mut, um, wie andre energischere Leute seiner Klasse, ein Wilddieb oder Schmuggler im großen zu werden; aber er sti¬ bitzt gelegentlich und lehrt seine Kinder lügen und stehlen. Sein unterwürfiges und sklavisches Betragen gegen seine reichen Nach¬ barn zeigt, daß sie ihn rauh und mit Verdacht behandeln; daher 15 fürchtet und haßt er sie, aber er wird ihnen nie auf gewaltsame Weise Leid antun. Er ist durch und durch depraviert, zu sehr her¬ abgedrückt, um die Kraft der Verzweiflung noch zu haben. Sein elendes Leben ist kurz, Rheumatismus und Asthma bringen ihn ins Arbeitshaus, wo er seinen letzten Atemzug ohne eine einzige 20 angenehme Rückerinnerung tun und für einen andern Unglück¬ lichen Platz machen wird, der ebenso leben und sterben mag wie er.“ Unser Autor fügt hinzu, daß es außer dieser Klasse der Ackerbautaglöhner noch eine zweite gebe, die etwas energischer und physisch, intellektuell und moralisch besser begabt sei; die- 25 jenigen nämlich, die zwar ebenso elend lebten, aber nicht in die¬ ser Lage geboren seien. Diese seien bessere Familienmitglieder, aber Schmuggler und Wilddiebe, die oft blutige Konflikte mit den Wildhütem und Douaniers der Küste hätten, oft durch die Ge¬ fängnisse, die häufig ihr Aufenthalt würden, sich noch mehr gegen 30 die Gesellschaft erbittern lernten und in ihrem Haß gegen die Besitzenden so der ersten Klasse ganz gleich ständen. „Und, schließt er, aus Höflichkeit (by courtesy) wird diese ganze Klasse die ,kühne Bauerschaft von England6 (bold peasantry of England, nach Shakespeare) genannt.“*) 35 Bis auf den heutigen Tag gilt diese Schilderung für den grö߬ ten Teil der Taglöhner in den Ackerbaubezirken. Die „Times“ sandten im Juni 1844 einen Korrespondenten in diese Gegenden, um über die Lage dieser Klasse zu berichten, und der Bericht, den *) E. G. Wakefield, M. P., Swing unmasked, or the Cause of Rural In- 40 cendiarism. London 1831.— Pamphlet. Die obigen Zitate stehen p. 9—13, und sind die Stellen, welche sich im Original auf das damals noch be¬ stehende alte Armengesetz beziehen, in der Übersetzung weggelassen. — 37—38 1892 Times sandte
Lage der Ackerbautaglöhner 251 er gibt, stimmt vollkommen mit Obigem überein. In einigen Ge¬ genden war der Lohn nicht höher als sechs Schillinge wöchentlich, also nicht höher als in vielen Gegenden Deutschlands, während die Preise aller Lebensbedürfnisse in England doch wenigstens dop- 5 pelt so hoch sind als hier. Wie das Leben beschaffen ist, was diese Leute führen, läßt sich denken. Ihre Nahrung schlecht und knapp, ihre Kleidung zerlumpt und ihre Wohnung eng und erbärmlich — eine kleine elende Hütte ohne alle Comforts und für junge Leute Logierhäuser, wo Männer und Frauen fast gar nicht getrennt sind 10 und die zu illegitimem Verkehr herausfordem. Ein paar unbe¬ schäftigte Tage im Monat müssen solche Leute notwendig in das tiefste Elend stürzen. Dazu können sie sich nicht assoziieren, um den Lohn hochzuhalten, weil sie zerstreut wohnen, und weigert einer zu niedrigem Lohn zu arbeiten, so sind Dutzende von Brotlosen io und Armenhausgenossen, die sich freuen, wenn ihnen das Ge¬ ringste geboten wird, während dem Weigernden als einem faulen, liederlichen Taugenichts von der Armenverwaltung jede andre Unterstützung als die verhaßte des Armenhauses abgeschlagen wird; denn in der Verwaltung sitzen ja grade die Pächter, von 20 denen oder deren Nachbarn und Standesgenossen er allein Arbeit erhalten kann. Und nicht nur aus einem oder dem andern der ackerbauenden Distrikte Englands erhalten wir solche Berichte; im Gegenteil, die Not ist gleich groß im Süden und Osten, im Norden und Westen; die Lage der Arbeiter in Suffolk und Nor- 25 folk stimmt genau mit der von Devonshire, Hampshire und Sus¬ sex; der Lohn ist in Dorsetshire und Oxfordshire so niedrig wie in Kent und Surrey, Buckinghamshire und Cambridgeshire. — Eine besonders hervorzuhebende Barbarei gegen das Ackerbau¬ proletariat sind die Jagdgesetze, die in England so streng sind 30 wie nirgends, während zu gleicher Zeit der Wildstand über alle Begriffe zahlreich ist. Der englische Bauer, der nach alter Sitte und Gewohnheit in der Wilddieberei nur eine ganz natürliche, noble Äußerung des Mutes und der Verwegenheit sieht, wird durch den Gegensatz zwischen seinem eignen Elend und dem car 35 tel est notre plaisir des Lords, der Tausende von Hasen und jagd¬ baren Vögeln zu seinem Privatvergnügen hegt, noch mehr dazu gereizt. Er legt Schlingen, schießt auch wohl einmal ein Stück Wild — es schadet ja dem Lord im Grunde nichts, der hat ja doch Überfluß daran, und ihm bringt es einen Braten übers Feuer für 40 seine hungernde Familie. Wird er entdeckt, so wandert er ins Ge¬ fängnis, beim Wiederholungsfälle wird er mindestens sieben Jahre transportiert. Aus der Strenge dieser Strafen entstehen die häufigen blutigen Konflikte mit den Wildhütern, die jedes Jahr 13 2892 wohnen. Weigert
252 Das Ackerbau-Proletariat eine Reihe von Morden herbeiführen. Das Gewerbe eines Wild¬ hüters wird dadurch nicht nur gefährlich, sondern auch verrufen und geächtet. Im vorigen Jahre kamen zwei Fälle vor, daß Wild¬ hüter sich lieber eine Kugel durch den Kopf jagten, als bei ihrem Handwerk blieben. Das ist der wohlfeile Preis, um den sich die <5 grundbesitzende Aristokratie das edle Vergnügen der Jagd er¬ kauft — aber was verschlägt das den edlen „lords of the soil?66 Ob ein paar Überflüssige mehr oder minder am Leben sind, ist ja doch höchst gleichgültig, und wenn die Hälfte der „Überflüssi¬ gen64 erst infolge der Jagdgesetze auf die Seite geschafft wären, 10 so würde es der übrigbleibenden Hälfte desto besser gehen — so räsoniert die Philanthropie der englischen Besitzenden. Aber obwohl die ländlichen Verhältnisse, die isolierten Woh¬ nungen, die Stabilität der Umgebung, der Beschäftigung und also auch der Ideen, aller Entwicklung entschieden ungünstig sind, 25 so trägt die Armut und Not auch hier ihre Früchte. Die Industrie- und Bergwerksarbeiter kamen bald über die erste Stufe der Op¬ position gegen den sozialen Zustand, über die unmittelbare Auf¬ lehnung des Vereinzelten durch Verbrechen, hinaus; die Bauern stecken noch bis auf den heutigen Tag in dieser ersten Stufe. Ihre 20 beliebte Weise des sozialen Krieges ist die Brandstiftung. In dem Winter, der auf die Julirevolution folgte, im Winter 1830/31 wurden diese Brandstiftungen zum ersten Mal allgemein, nach¬ dem schon anfangs Oktober in Sussex und den anstoßenden Graf¬ schaften Unruhen wegen verstärkter Küstenpolizei (wodurch das 25 Schmuggeln erschwert und die Küste, nach dem Ausdruck eines Pächters, ruiniert wurde), wegen Neuerungen in der Armenver¬ waltung, niedrigen Lohns und Maschineneinführung stattgefun¬ den und die ganze Gegend in Aufregung versetzt hatten. Im Win¬ ter also wurden den Pächtern die Korn- und Heuschober auf den 30 Feldern, ja die Scheunen und Ställe unter ihren Fenstern ange¬ zündet. Fast jede Nacht flammten ein paar solcher Feuer und verbreiteten Entsetzen unter den Pächtern und Grundeigentümern. Die Täter wurden nie oder sehr selten entdeckt, und das Volk übertrug diese Brandstiftungen auf eine mythische Person, die 35 es Swing nannte. Man zerbrach sich die Köpfe darüber, wer dieser Swing sein möge, woher diese Wut unter den Armen der Landdistrikte entstehe; an die große bewegende Kraft, die Not, die Unterdrückung dachten die wenigsten — in den Ackerbau¬ distrikten selbst gewiß niemand. Seit jenem Jahr haben sich die 40 Brandstiftungen mit jedem Winter, mit der für die Taglöhner brotlosen Jahreszeit, wiederholt. Im Winter 1843/44 waren sie wieder einmal außerordentlich häufig. Mir liegen eine Reihe Nummern des „Northern Star66 aus jener Zeit vor, deren jede mehrere Berichte von Brandstiftungen mit Angabe der Quelle ent- 45
Brandstiftungen / Gleichgültigkeit gegen die Komgesetzfrage 253 hält. Die fehlenden Nummern dieses wöchentlichen Blattes in der folgenden Liste liegen mir nicht vor, enthalten aber jedenfalls noch eine Menge Fälle. Ohnehin kann ein solches Blatt nicht alle Fälle geben. „N. S.“ 25. Nov. 1843: zwei Fälle, von mehreren frii- j heren wird gesprochen. — 16. Dez.: In Bedfordshire seit 14 Ta¬ gen allgemeine Aufregung wegen häufiger Brandstiftungen, deren jede Nacht mehrere vorkommen. In den letzten Tagen zwei große Pachthöfe niedergebrannt. In Cambridgeshire vier große Pachthöfe, Hertfordshire einer und außerdem noch fiinf- jözehn Brandstiftungen in verschiedenen Gegenden. — 30. Dez. in Norfolk eine, Suffolk zwei, Essex zwei,Herts drei,Che- shire eine, Lancashire eine, in Derby, Lincoln und dem Sü¬ den zwölf Brandstiftungen. — 6. Januar 1844 im ganzen 10, 13. Januar 7, 20. Januar 4 Brandstiftungen. Von jetzt an werden 15 wöchentlich im Durchschnitt drei bis vier Brände gemeldet, und zwar nicht nur wie früher bis ins Frühjahr, sondern bis in den Juli und August hinein, und daß mit dem Herannahen der stren¬ gen Jahreszeit 1844/45 diese Art Verbrechen einen neuen Auf¬ schwung nehmen, beweisen die mir seitdem zugekommenen eng- 20 lischen Zeitungen und die Berichte in deutschen Blättern. Was sagen meine Leser zu einem solchen Zustande der stillen, idyllischen Landdistrikte von England? Ist das sozialer Krieg oder nicht? Ist das ein natürlicher, ein der Dauer fähiger Zu¬ stand? Und doch sind hier die Pächter und Grundbesitzer ebenso 25 dumm und verstockt, ebenso blind gegen alles, was ihnen nicht bares Geld in die Tasche schafft, wie in den Industriebezirken die Fabrikanten und Bourgeois überhaupt. Wenn diese ihren Arbei¬ tern alles Heil von der Abschaffung der Komgesetze verspre¬ chen, so versprechen die Grundbesitzer und ein großer Teil der 30 Pächter den ihrigen den Himmel von der Beibehaltung der¬ selben. Aber in beiden Fällen gelingt es den Besitzenden nicht, die Arbeiter für ihre Lieblingsmarotte zu gewinnen. Wie die Fa¬ brikarbeiter, so sind auch die Ackerbautaglöhner gegen die Ab¬ schaffung oder Beibehaltung der Komgesetze durchaus gleich¬ es gültig. Dennoch ist die Frage für beide wichtig. Durch die Ab¬ schaffung der Komgesetze wird nämlich die freie Konkurrenz, die jetzige soziale Wirtschaft auf die Spitze getrieben; alle weitere Entwicklung innerhalb der bestehenden Verhältnisse hört dann auf, und der einzige mögliche Fortschritt ist dann die radikale 40 Umwälzung des sozialen Zustandes. Den Ackerbautaglöhnern hat die Sache noch folgende Bedeutung. Die Freigebung der 40 Nach Zustandes 1887 Fußnote: This has been literally fulfilled. After a period of unexampled extension of trade, Free Trade has landed England in a crisis which began in 1878 and is still increasing in energy in 1886.
254 Das Ackerbau-Proletariat Komeinfuhr bedingt — wie, kann ich hier nicht entwickeln — die Emanzipation der Pächter von den Grundbesitzern, mit an¬ dern Worten, die Verwandlung der torystischen Pächter in libe¬ rale. Dazu hat die Antikomgesetzligue — und das ist ihr ein¬ ziges Verdienst — schon tüchtig vorgearbeitet. Werden aber die 5 Pächter liberal, d. h. bewußte Bourgeois, so werden die Taglöhner notwendig Chartisten und Sozialisten, d. h. bewußte Proletarier. Das eine zieht das andre nach sich. Und daß schon jetzt unter den Ackerbauproletariern eine neue Bewegung anfängt sich gel¬ tend zu machen, zeigt eine Versammlung, welche Graf R a d n o r, 10 ein liberaler Grundbesitzer, im Oktober 1844 bei High- worth, wo seine Güter liegen, abhalten ließ, um Beschlüsse gegen die Korngesetze zu passieren, und wo die Arbeiter, durch¬ aus apathisch gegen diese Gesetze, ganz andre Dinge, nämlich kleine Pachtungen zu billiger Pacht für sich forderten und dem in Grafen Radnor allerlei bittere Wahrheiten ins Gesicht sagten. — So dringt die Bewegung der arbeitenden Klasse auch in die ab¬ gelegnen, stabilen, geistig toten Ackerbaubezirke und wird hier bei der herschenden Not sehr bald ebenso sicher begründet und lebendig sein, wie in den Fabrikdistrikten. 20 Was die religiöse Stufe der Ackerbautaglöhner betrifft, so haben sie allerdings mehr Religion als die industriellen Arbei¬ ter, aber sie sind doch sehr mit der Kirche — denn in diesen Be¬ zirken gibt es fast nur Anhänger der Hochkirche — zerfallen. Ein Korrespondent des „Moming-Chronicle“, der mit der Unter- 25 Schrift: Einer, der hinter dem Pfluge gepfiffen hat, Berichte über die von ihm bereisten Ackerbaubezirke gibt, er¬ zählt unter anderm folgende Unterhaltung mit einigen Taglöh- nem nach der Kirche: „Ich frug einen dieser Leute, ob der heu¬ tige Prediger ihr eigner Geistlicher sei — yes, blast him, jawohl 30 ist er unser eigner Pfaff, er bettelt in einem fort, er hat immer ge¬ bettelt, solange ich ihn kenne. (Es war nämlich eine Predigt für die Heidenmission gehalten worden.) — Und seit ich ihn kenne, auch, setzte ein anderer hinzu, und ich hab’ nie einen Pfaffen ge¬ kannt, der nicht immer für dies oder das gebettelt hätte. — Ja, 35 sagte eine Frau, die eben aus der Kirche kam, und seht, wie der Lohn heruntergeht, und seht mal die reichen Vagabunden an, wo die Pfaffen mit essen und trinken und auf die Jagd gehen. So helf mir Gott, wir sind eher reif, ins Arbeitshaus zu gehen und zu verhungern, als für Pfaffen zu bezahlen, die unter die Heiden 40 gehen. — Und warum, sagte eine andre, warum schicken sie nicht 7 1887 fehlt d. h. bewußte Proletarier. 20 Nach Fabrikdistrikten 1887 Fußnote: The agricultural labourers have now a Trade’s Union; their most energetic representative, Joseph Arch, was elected M. P. in 1885.
Irreligiosität / Wales: die kleinen Pächter 255 die Pfaffen hin, die alle Tage im Dome zu Salisbury plärren, und das für niemand als für die nackten Steine? Warum gehen d i e nicht unter die Heiden? — Die gehen nicht, sagte der Alte, den ich zuerst gefragt, weil sie reich sind, sie haben mehr Land als 5 sie brauchen, sie wollen Geld haben, um sich die armen Pfaffen vom Halse zu schaffen; ich weiß, was sie wollen, dafür kenn’ ich sie zu lange. — Aber, gute Freunde, frug ich, ihr kommt doch nicht immer mit solchen bittern Gefühlen gegen den Prediger aus der Kirche? Weshalb geht ihr denn sonst überhaupt hin? — Wes- 10 halb gehen wir hin, sagte die Frau, wir müssen wohl, wenn wir nicht alles verlieren wollen, Arbeit und alles, wir müssen wohl. — Ich sah später, daß sie einige kleine Vorrechte wegen Feuerung und etwas Kartoffelland, was sie bezahlen mußten, erhielten, wenn sie in die Kirche gingen!66 — Nach einer Schilde- 15 rung ihrer Armut und Unwissenheit schließt unser Korrespon¬ dent: „Und nun versichre ich kühn, daß die Lage dieser Leute, ihre Armut, ihr Haß gegen die Kirche, ihre äußerliche Fügsam¬ keit und ihre innerliche Bitterkeit gegen die kirchlichen Würden¬ träger die Regel ist durch die Landgemeinden von 20 England, und das Gegenteil nur die Ausnahme.66 Wenn uns die Bauerschaft des eigentlichen Englands die Fol¬ gen zeigt, die ein zahlreiches Ackerbauproletariat bei großen Gü¬ tern auf den Zustand der Landgemeinden hat, so sehen wir in Wales das Vorkommen der kleinen Pächter. Wenn die eng- 25 lischen Landgemeinden den Gegensatz von Proletariern und gro¬ ßen Kapitalisten reproduzieren, so entspricht der Zustand der walisischen Bauern dem fortschreitenden Ruin der kleinen Bour¬ geoisie in den Städten. In Wales existieren meist nur kleine Päch¬ ter, die nicht imstande sind, ihre Ackerbauprodukte mit gleichem 30 Vorteil ebenso billig zu verkaufen wie die großen, begünstigteren englischen Pächter, mit denen sie in demselben Markte konkur¬ rieren. Dazu läßt die Beschaffenheit des Landes an vielen Stellen nur die Viehzucht zu, die wenig profitabel ist, und dann sind diese Waliser schon wegen ihrer aparten Nationalität, an der sie fest¬ es halten, noch viel stabiler als die englischen Pächter. Vor allem aber die Konkurrenz unter sich mit ihren englischen Nachbarn und die daraus folgende Steigerung des Grundzinses hat sie so heruntergebracht, daß sie kaum leben können, und weil sie die wahre Ursache ihrer schlimmen Lage nicht einsehen, so suchen 40 sie diese in allerlei Kleinigkeiten, hohen Weggeldem usw., die zwar die Ausbildung der Agrikultur und den Verkehr hemmen, aber doch von jedem, der eine Pachtung übernimmt, als bestehende Lasten in Anschlag gebracht und also eigentlich doch vom Grund- 27 Orig, welschen 34 Orig. Welschen
256 Das Ackerbau-Proletariat eigentümer bezahlt werden. Dazu hat hier das neue Armen¬ gesetz, da die Pächter selbst stets in Gefahr schweben, ihm zu verfallen, auch unter ihnen sich gründlich verhaßt gemacht. Im Februar 1843 brach die Unzufriedenheit der walisischen Bauern in den bekannten Rebekka-Unruhen aus; die Männer zogen Weiber- 5 kleider an, schwärzten ihre Gesichter und fielen in zahlreichen bewaffneten Scharen über die Tore, die in England die Stelle der Schlagbäume vertreten, her, zerschlugen sie unter Jubelgeschrei und Schießen, demolierten auch die Häuschen der Weggeld-Emp¬ fänger, schrieben Drohbriefe im Namen der fingierten „Rebekka66,10 und stürmten sogar einmal das Arbeitshaus in Caermarthen. Als später Truppen einberufen und die Polizei verstärkt wurde, führ¬ ten sie diese mit außerordentlicher Geschicklichkeit auf Abwege, zerstörten Tore hier, während das Militär, dem die Signalhörner von allen Bergen her voraustönten, in der entgegengesetzten Rich-15 tung marschierte, und gingen endlich, als die Truppen zu sehr verstärkt wurden, zu einzelnen Brandstiftungen und selbst Mord¬ versuchen über. Wie immer, waren diese größeren Verbrechen das Ende der Bewegung. Viele sagten sich aus Unwillen, andere aus Furcht los, und die Ruhe trat von selbst wieder ein. Die Re- 20 gierung schickte eine Kommission zur Untersuchung der Ge¬ schichte und ihrer Ursachen, und damit war alles am Ende. Die Armut der Bauern währt indes fort und wird, da sie bei den be¬ stehenden Verhältnissen in der Gesellschaft nur größer, aber nicht geringer werden kann, gelegentlich einmal ernsthaftere Sachen 25 produzieren als diese humoristischen Rebekka-Maskeraden. Wenn in England das System der großen Bewirtschaftung und in Wales das der kleineren Pachtung in seinen Resultaten uns vorgeführt wird, so haben wir in Irland die Folgen der Par¬ zellierung des Bodens vor Augen. Die große Masse der Bevölke- 30 rung von Irland besteht aus kleinen Pächtern, welche eine erbärm¬ liche Lehmhütte ohne innere Abteilung und ein Kartoffelstück ge¬ pachtet haben, das gerade groß genug ist, um ihnen für den Win¬ ter die notdürftigste Nahrung zu verschaffen. Bei der großen Konkurrenz, die zwischen diesen kleinen Pächtern herrscht, ist 35 der Grundzins auf eine unerhörte Höhe, auf das Doppelte, Drei- und Vierfache des englischen gestiegen. Denn jeder Ackerbau¬ taglöhner sucht Pächter zu werden, und obwohl die Teilung der Ländereien schon so hoch gestiegen ist, so bleiben dennoch eine große Menge sich um Pachtungen bewerbender Taglöhner übrig. 40 Obgleich in Großbritannien 32 Millionen engl. Morgen und in Ir¬ land nur 14 Millionen Morgen bebaut sind, obgleich Großbritan¬ nien jährlich für 150 Millionen Pfd. St. und Irland nur für 4 Orig, welschen
Irland: die Parzellierung des Grundbesitzes 257 36 Millionen Pfund Ackerbauprodukte erzeugt, so sind in Irland doch 75000 Ackerbautaglöhner mehr als in der Nachbar¬ insel.*) Wie groß die Konkurrenz um den Boden also in Irland sein muß, geht aus diesem außerordentlichen Mißverhältnis her- 5 vor, besonders wenn man bedenkt, daß schon die britischen Tag¬ löhner in der äußersten Not leben. Die Folge dieser Konkurrenz ist natürlich ein so hoher Grundzins, daß es den Pächtern nicht möglich wird, viel besser zu leben als die Taglöhner. Auf diese Weise wird das irische Volk in einer erdrückenden Armut gehal- 10 ten, aus der es sich bei den jetzigen sozialen Verhältnissen nicht herausreißen kann. Die Leute leben in den elendesten Lehmhüt¬ ten, die kaum zu Viehställen geeignet sind, haben den Winter über knappe Nahrung — oder wie der zitierte Bericht es aus¬ drückt, sie haben dreißig Wochen im Jahr Kartoffeln genug, um io sich halbsatt zu essen, und für die übrigen 22 Wochen gar nichts. Kommt dann im Frühjahr die Zeit, wo der Vorrat zu Ende geht oder wegen der auswachsenden Keime ungenießbar wird, so geht die Frau mit ihren Kindern betteln und durchstreicht, den Tee¬ kessel in der Hand, die ganze Gegend, während der Mann nach 20 bestellter Aussaat entweder im Lande selbst oder in England Ar¬ beit sucht und zur Kartoffelernte sich wieder bei seiner Familie einfindet. In diesem Zustande leben neun Zehntel des irischen Landvolks. Sie sind arm wie die Kirchenmäuse, tragen die elen¬ desten Lumpen und stehen auf der tiefsten Bildungsstufe, die in 25 einem halbzivilisierten Lande möglich ist. Nach dem zitierten Be¬ richt leben unter einer Bevölkerung von 8V2 Millionen 585000 Familienhäupter in totaler Armut (destitution), und nach an¬ dern, von Sheriff Alison**) angeführten Quellen sind in Irland 2300000 Menschen, die ohne öffentliche oder Privatunterstüt- 30 zung nicht leben können; also sind 27 Prozent der Bevölkerung Paupers! Die Ursache dieser Armut sind die bestehenden sozialen Ver¬ hältnisse, namentlich die Konkurrenz, nur hier in einer andern Form, in der der Parzellierung des Bodens. Man hat sich abge- 35 müht, andere Ursachen aufzufinden; man behauptet, die Stellung des Pächters zum Grundbesitzer, der seine Ländereien in großen Stücken an Pächter verdingt, die wieder ihre Unterpächter und Unter-Unterpächter haben, so daß oft zehn Zwischendränger zwi¬ schen dem Grundbesitzer und dem eigentlichen Bebauer sind — 40 man hat behauptet, das allerdings schändliche Gesetz, das dem Grundbesitzer das Recht gibt, wenn sein nächster Pächter nicht be¬ *) Bericht der Armengesetz-Kommission über Irland. Parlaments- Session von 1837. •*) Principles of Population, II. vol. Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 17
258 Das Ackerbau-Proletariat zahlt, den wirklichen Bebauer wegzutreiben, selbst wenn dieser an seinen Oberpächter seinen Zins bezahlt hat, das sei Schuld an der Armut. Aber dies bedingt ja nur die Form, in der das Elend zur Erscheinung kommt. Macht die kleinen Pächter selbst zu Grundbesitzern, was wird die Folge sein? Die Mehrzahl wird 5 selbst dann, wenn sie keinen Pacht mehr zu bezahlen hat, nicht von ihrem Felde leben können, und was sich etwa bessert, wird durch den fortwährenden raschen Zuwachs der Bevölkerung in wenig Jahren wieder ausgeglichen. Denen, die dadurch in bes¬ sere Verhältnisse kommen, wachsen dann die Kinder heran, die 10 jetzt infolge der Not und des Mangels in den ersten Jahren ster¬ ben. Von andern Seiten ist behauptet worden, die schamlose Un¬ terdrückung des Volks durch die Engländer sei schuld daran. Allerdings daran, daß die Armut etwas früher eintrat, aber nicht daran, daß sie überhaupt eintrat. Oder die protestantische 15 Staatskirche, die der katholischen Nation aufgedrängt wurde —• verteilt auf die Irländer das, was sie nimmt, und es kommen noch keine zwei Taler auf den Kopf. Ohnehin sind die Zehnten ja eine Steuer auf den Grundbesitz, nicht auf den Pächter, ob¬ wohl dieser sie auszahlte; jetzt — nach der Kommutationsbill 20 von 1838 — bezahlt der Grundbesitzer sie direkt und rechnet dafür soviel mehr Pacht, so daß der Pächter darum nicht besser dran ist. Und so werden noch hundert andere Ursachen angeführt, die ebensowenig beweisen. Die Armut ist eine notwendige Folge der gegenwärtigen sozialen Einrichtungen, und außer diesen 2.5 kann nur für die Art und Weise, in der die Armut auftritt, nicht aber für die Armut selbst eine Ursache gesucht werden. Daß aber die Armut in Irland so und nicht anders auf tritt, daran ist der na¬ tionale Charakter des Volks und seine geschichtliche Entwicklung schuld. Die Irländer sind ein seinem ganzen Charakter nach mit 30 den romanischen Nationen, den Franzosen und besonders den Ita¬ lienern verwandtes Volk. Die schlechten Seiten ihrer Nationali¬ tät haben wir oben schon von Carlyle entwickelt gesehen; hören wir nun einen Irländer, der wenigstens etwas mehr recht hat als der für das germanische Wesen eingenommene Carlyle: „Sie 35 sind unruhig und doch träg (indolent); aufgeweckt und indiskret, stürmisch, ungeduldig und ohne Voraussicht; tapfer aus Instinkt, großmütig, ohne viel zu überlegen; rasch bei der Hand, um Be¬ leidigungen zu rächen und zu vergeben, Freimdschaften zu schlie¬ ßen und aufzusagen; verschwenderisch begabt mit Genie, spar- 40 sam mit Urteilskraft.“*) Bei den Irländern herrscht das Gefühl, *) The State of Ireland. London 1807; 2nd edition!821. — Pamphlet. 20 1892 Kommutationsakte 30 1892 dem ganzen Charakter
Pauperisierung der Nation / Verbrechen 259 die Leidenschaft durchaus vor, der Verstand muß sich ihnen fü¬ gen. Ihr sinnliches, erregbares Wesen läßt die Überlegung und ruhige anhaltende Tätigkeit nicht zur Entwicklung kommen — ein solches Volk taugt zur Industrie, wie sie jetzt betrieben wird, 5 durchaus nicht. Daher blieben sie beim Ackerbau, und selbst hier auf der niedrigsten Stufe. Bei den kleinen Parzellen, die hier nicht, wie in Frankreich und am Rhein, künstlich aus der Zer¬ splitterung großer Güter entstanden sondern von jeher dage¬ wesen sind, war an eine Verbesserung des Bodens durch angelegtes 10 Kapital nicht zu denken, und so würde es nach Alisons Angabe 120 Millionen Pfd. St. erfordern, um den Boden in Irland auf dieselbe, noch gar nicht so hohe Stufe der Produktivität zu brin¬ gen, welche der englische Boden erhalten hat. Die englische Ein¬ wanderung, welche die Kulturstufe des irischen Volks hätte heben 15 können, hat sich mit der brutalsten Ausbeutung desselben be¬ gnügt, und während die Irländer durch ihre Einwanderung der englischen Nation einen Gärungsstoff* mitgeteilt haben, der in der Zukunft seine Früchte tragen wird, so hat Irland doch der eng¬ lischen Einwanderung wenig zu verdanken. 20 Die Versuche der irischen Nation, sich aus der bestehenden Verkommenheit zu retten, sind einerseits Verbrechen, die hier in den Landdistrikten an der Tagesordnung sind und fast alle in Mordtaten gegen die nächsten Feinde — die Agenten der Grund¬ besitzer oder deren gehorsame Diener, die protestantischen Ein- 25 dringlinge, die großen Pächter, deren Gut aus den Kartoffelfel¬ dern von hundert vertriebenen Familien zusammengesetzt usw. — bestehen und namentlich im Süden und Westen häufig vor¬ kommen; andererseits in der Repeal-Agitation. Nach dem oben Gesagten ist es klar, daß die ungebildeten Irländer in den Eng- 30 ländern ihre nächsten Feinde sehen müssen, und der nächste Fort¬ schritt für sie in der Erringung nationaler Selbständigkeit liegt. Ebenso klar ist aber auch, daß die Armut durch keine Repeal mit abgeschafft, sondern daß durch sie nur bewiesen werden kann, wie die Ursache des irischen Elends, die jetzt noch auswärts zu 35 liegen scheint, zu Hause zu suchen ist. Ob indes die wirkliche Durchführung der Repeal nötig ist, um den Irländern zu dieser Einsicht zu verhelfen, will ich dahingestellt sein lassen. Bis jetzt haben weder der Chartismus noch der Sozialismus besondem Er¬ folg in Irland gehabt. 40 *) 1892 Irrtum. Der kleine Ackerbau war seit dem Mittelalter herr¬ schende Betriebsform geblieben. Die kleinen Bauernhöfe bestanden also schon vor der Revolution. Was diese änderte, war nur das Eigentum daran; sie nahm es den Feudalherren, und übertrug es, direkt oder indi¬ rekt, an die Bauern. 17*
260 Das Ackerbau-Proletariat Ich schließe meine Bemerkungen über Irland hiermit um so eher, als die Repeal-Agitation von 1843 und der O’Connell’sche Prozeß die Veranlassung waren, daß das irische Elend in Deutsch¬ land mehr und mehr bekannt wurde. So haben wir denn das Proletariat der britischen Inseln durch 5 alle Zweige seiner Tätigkeit verfolgt und überall Elend und Not, überall durchaus unmenschliche Lebensverhältnisse gefunden. Wir haben mit dem Proletariat die Unzufriedenheit entstehen, wachsen, sich ausbilden und organisieren, wir haben offne, blu¬ tige und unblutige Kämpfe des Proletariats gegen die Bourgeoi-10 sie gesehen. Wir haben die Prinzipien untersucht, nach denen das Schicksal, die Hoffnungen und Befürchtungen der Proleta¬ rier sich bestimmen, und gefunden, daß keine Aussicht auf Besse¬ rung ihrer Lage da ist. Wir haben Gelegenheit gehabt, hier und da die Bourgeoisie in ihrem Benehmen gegen das Proletariat zu 15 beobachten, und gefunden, daß sie nur sich im Auge hatte, nur ihren eignen Vorteil verfolgte. Um indes nicht ungerecht zu sein, wollen wir ihre Handlungsweise etwas näher untersuchen. —
Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat Wenn ich hier von der Bourgeoisie spreche, so schließe ich gleich die sogenannte Aristokratie mit ein, denn diese ist nur Ari¬ stokratie, nur privilegiert gegenüber der Bourgeoisie, aber nicht 5 gegenüber dem Proletariat. Der Proletarier sieht in ihnen beiden nur den Besitzenden, d. h. den Bourgeois. Vor dem Privilegium des Besitzes verschwinden alle andern Privilegien. Der Unter¬ schied ist nur der, daß der eigentliche Bourgeois dem industriel¬ len und teilweise dem Bergwerksproletarier, als Pächter auch 10 dem Ackerbautaglöhner gegenübersteht, während der sogenannte Aristokrat nur mit einem Teil der bergbauenden und mit den ackerbauenden Proletariern in Berührung kommt. Mir ist nie eine so tief demoralisierte, eine so unheilbar durch den Eigennutz verderbte, innerlich zerfressene und für allen Fort¬ is schritt unfähig gemachte Klasse vorgekommen, wie die englische Bourgeoisie — und hier meine ich vor allem die eigentliche Bour¬ geoisie, besonders die liberale, Korngesetz-abschaffende. Für sie existiert nichts in der Welt, was nicht nur um des Geldes willen da wäre, sie selbst nicht ausgenommen, denn sie lebt für nichts als> 20 um Geld zu verdienen, sie kennt keine Seligkeit, als die des schnel¬ len Erwerbs, keinen Schmerz außer dem Geldverlieren. Bei dieser Habsucht und Geldgier ist es nicht möglich, daß eine ein¬ zige menschliche Anschauung unbefleckt bleibe. Gewiß, diese englischen Bourgeois sind gute Ehemänner und Familienmitglie¬ ds der, haben auch sonst allerlei sogenannte Privattugenden und er¬ scheinen im gewöhnlichen Verkehr ebenso respektabel und an¬ ständig wie alle anderen Bourgeois; selbst im Handel sind sie besser zu traktieren wie die Deutschen, sie mäkeln und dingen nicht so viel wie unsere Krämerseelen, aber was hilft das alles? 30 In letzter Instanz ist doch das eigne Interesse und speziell der Gelderwerb das einzig entscheidende Moment. Ich ging einmal mit einem solchen Bourgeois nach Manchester hinein und sprach mit ihm von der schlechten, ungesunden Bauart, von dem scheuß- *) Carlyle gibt in seinem „Past and Present“ (London 1843) eine aus- 35 gezeichnet schöne Schilderung der englischen Bourgeoisie und ihrer ekel¬ haften Geldsucht, die ich in den deutsch-französischen Jahrbüchern teil¬ weise übersetzt habe und auf die ich verweise. 19—20 1887 fehlt denn sie .. verdienen,
262 Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat liehen Zustande der Arbeiterviertel, und erklärte, nie eine so schlecht gebaute Stadt gesehen zu haben. Der Mann hörte das alles ruhig an, und an der Ecke, wo er mich verließ, sagte er: and yet, there is a great deal of money made here — und doch wird hier enorm viel Geld verdient — guten Morgen, Herr! Es a ist dem englischen Bourgeois durchaus gleichgültig, ob seine Ar¬ beiter verhungern oder nicht, wenn er nur Geld verdient. Alle Le¬ bensverhältnisse werden nach dem Gelderwerb gemessen, und was kein Geld abwirft, das ist dummes Zeug, unpraktisch, idealistisch. Darum ist auch die Nationalökonomie, die Wissenschaft des Geld-10 erwerbs, die Lieblingswissenschaft dieser Schacherjuden. Jeder ist Nationalökonom. Das Verhältnis des Fabrikanten zum Arbei¬ ter ist kein menschliches, sondern ein rein ökonomisches. Der Fa¬ brikant ist das „Kapital66, der Arbeiter ist die „Arbeit66. Und wenn der Arbeiter sich nicht in diese Abstraktion hineinzwängen 13 lassen will, wenn er behauptet, daß er nicht „die Arbeit66, son¬ dern ein Mensch ist, der allerdings unter anderem auch die Eigen¬ schaft des Arbeitens hat, wenn er sich einfallen läßt, zu glauben, er brauche sich nicht als „die Arbeit66, als Ware im Markte kau¬ fen und verkaufen zu lassen, so steht dem Bourgeois der Verstand 20 still. Er kann nicht begreifen, daß er mit den Arbeitern noch in einem andern Verhältnis steht als in dem des Kaufs und Verkaufs, er sieht in ihnen keine Menschen, sondern „Hände66 (hands), wie er sie fortwährend ins Gesicht tituliert, er erkennt keine an¬ dere Verbindung, wie Carlyle sagt, zwischen Mensch und Mensch 25 an, als b a r e Z a h 1 u n g. Selbst das Band zwischen ihm und sei¬ ner Frau ist in neunundneunzig Fällen aus hundert nur „bare Zahlung66. Die elende Sklaverei, in der das Geld den Bourgeois hält, ist durch die Bourgeoisieherrschaft selbst der Sprache auf¬ gedrückt. Das Geld macht den Wert des Mannes aus; dieser Mann 30 ist zehntausend Pfund wert — he is worth ten thousand pounds, d. h. er besitzt sie. Wer Geld hat, ist „respectable“, gehört zur „besseren Sorte von Leuten66 (the better sort of people), ist „ein¬ flußreich66 (influential), und was er tut, macht Epoche in seinem Kreise. Der Schachergeist geht durch die ganze Sprache, alle 35 Verhältnisse werden in Handelsausdrücken dargestellt, in ökono¬ mischen Kategorien erklärt. Nachfrage und Zufuhr, Begehr und Angebot, supply and demand, das sind die Formeln, nach denen die Logik des Engländers das ganze menschliche Leben beurteilt. Daher die freie Konkurrenz in jeder Beziehung, daher das Regime 40 des laissez-faire und laissez-aller in der Verwaltung, in der Me¬ dizin, in der Erziehung und bald wohl auch in der Religion, wo die Herrschaft der Staatskirche mehr und mehr zusammenbricht. 28—30 1887 fehlt Die elende .. aufgedrückt. 29 1892 Bourgeoisherrschaft
Sittliche Verderbtheit der englischen Bourgeoisie 263 Die freie Konkurrenz will keine Beschränkung, keine Staatsauf¬ sicht, der ganze Staat ist ihr zur Last, sie wäre am vollkommen¬ sten in einem ganz staatenlosen Zustande, wo jeder den andern nach Herzenslust ausbeuten kann, wie z. B. in Freund Stirners ö „Verein66. Da die Bourgeoisie aber den Staat, schon um das ihr ebenso nötige Proletariat im Zaum zu halten, nicht entbehren kann, so wendet sie ihn gegen dies und sucht ihn sich soweit wie mög¬ lich entfernt zu halten. Man glaube aber ja nicht, daß der „gebildete66 Engländer diese 10 Selbstsucht so offen zur Schau trage. Im Gegenteil, er verdeckt sie mit der schnödesten Heuchelei. — Wie, die englischen Rei¬ chen sollten nicht an die Armen denken, sie, die wohltätige An¬ stalten errichtet haben, wie kein anderes Land sie auf weisen kann? Jawohl, wohltätige Anstalten! Als ob dem Proletarier damit ge- dient wäre, daß Ihr ihn erst bis aufs Blut aussaugt, um nachher Euren selbstgefälligen, pharisäischen Wohltätigkeitskitzel an ihm üben zu können und vor der Welt als gewaltige Wohltäter der Menschheit dazustehen, wenn Ihr dem Ausgesogenen den hundert¬ sten Teil dessen wiedergebt, was ihm zukommt! Wohltätigkeit, 20 die den, der sie gibt, noch mehr entmenscht als den, der sie nimmt, Wohltätigkeit, die den Zertretenen noch tiefer in den Staub tritt, die da verlangt, der entmenschte, aus der Gesellschaft ausgesto¬ ßene Paria soll erst auf sein Letztes, auf seinen Anspruch an die Menschheit verzichten, soll erst um ihre Gnade betteln, ehe 2ö sie die Gnade hat, ihm durch ein Almosen den Stempel der Ent¬ menschung auf die Stirne zu drücken! Doch was soll das alles. Hören wir die englische Bourgeoisie selbst. Es ist noch kein Jahr, da las ich im „Manchester Guardian66 folgenden Brief an den Redakteur, der ohne alle weitere Bemerkung als eine ganz natür- 30 liehe, vernünftige Sache abgedruckt war: Herr Redakteur! Seit einiger Zeit begegnet man auf den Hauptstraßen unserer Stadt einer Menge von Bettlern, die teils durch ihre zerlumpte Kleidung und ihr krankes Aussehen, teils durch ekelhafte, offne 35 Wunden und Verstümmelungen das Mitleid der Vorübergehenden auf eine häufig sehr unverschämte und molestierende Weise rege zu machen suchen. Ich sollte meinen, wenn man nicht nur seine Armensteuer bezahlt, sondern auch reichlich zu den wohltätigen Anstalten beiträgt, so hätte man doch genug getan, um das Recht io zu haben, vor solchen unangenehmen und unverschämten Behelli¬ gungen sichergestellt zu werden; und wofür bezahlt man denn eine so hohe Steuer zum Unterhalt der städtischen Polizei, wenn 3 staatenlosen Zustande, 1887 ungovemed anarchic society,
264 Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat diese einen nicht einmal soweit schützt, daß man ruhig in die Stadt oder heraus gehen kann? — Ich hoffe, die Veröffentlichung dieser Zeilen in Ihrem vielgelesenen Blatt wird die öffentliche Ge¬ walt veranlassen, diesen Übelstand (nuisance) zu beseitigen, und verharre 5 Ihre ergebene Dienerin Eine Dame. Da habt Ihr’s! Die englische Bourgeoisie ist wohltätig aus Interesse, sie schenkt nichts weg, sie betrachtet ihre Gaben als einen Handel, sie macht mit den Armen ein Geschäft, und 10 sagt: Wenn ich so viel an wohltätige Zwecke verwende, so er¬ kaufe ich mir dadurch das Recht, weiter nicht behelligt zu werden, so verpflichtet Ihr Euch dafür, in Euren dunklen Höh¬ len zu bleiben und nicht durch die offne Darlegung Eures Elends meine zarten Nerven anzugreifen! Verzweifeln sollt Ihr immer-15 hin, aber Ihr sollt im stillen verzweifeln, das bedinge ich mir aus, das erkaufe ich mir mit meiner Subskription von 20 Pfund für das Krankenhaus! 0 über diese infame Wohltätigkeit eines christlichen Bourgeois! — Und so schreibt „eine Dame“, jawohl, Dame, sie tut wohl daran, sich so zu unterzeichnen, sie 20 hat glücklicherweise nicht mehr den Mut, sich ein W e i b zu nen¬ nen ! Wenn aber die „Damen“ s o sind, wie wird es erst mit den „Herren“ stehen? — Man wird sagen, es sei ein einzelner Fall. Aber nein, der obige Brief drückt geradezu die Gesinnung der großen Majorität der englischen Bourgeoisie aus, sonst hätte ihn 25 ja auch der Redakteur nicht auf genommen, sonst wäre ja wohl irgend eine Erwiderung gefolgt, nach der ich mich in den folgen¬ den Nummern vergebens umgesehen habe. Und was die Wirksam¬ keit des Wohltuns betrifft, so sagt ja der Kanonikus Parkinson selbst, daß die Armen weit mehr von ihresgleichen als von der 30 Bourgeoisie unterstützt werden; und so eine Unterstützung von einem braven Proletarier, der selbst weiß, wie der Hunger tut, für den das Teilen des knappen Mahles ein Opfer ist, das er aber mit Freuden bringt — solch eine Unterstützung hat dann auch einen ganz andern Klang als das hingeworfene Almosen des 35 schwelgenden Bourgeois. Auch sonst heuchelt die Bourgeoisie eine grenzenlose Huma¬ nität — aber nur dann, wenn ihr eignes Interesse es erheischt. So in ihrer Politik und Nationalökonomie. Sie hat sich nun ins fünfte Jahr damit abgequält, den Arbeitern zu beweisen, daß sie nur im 40 Interesse der Proletarier die Korngesetze abzuschaffen wünsche. Das Lange und Breite von dieser Sache ist aber dies: die Korn¬ gesetze, welche den Brotpreis höher halten, als dieser in andern
Ökonomie und Politik in der Komgesetzfrage 265 Ländern steht, erhöhen dadurch auch den Arbeitslohn und er¬ schweren dadurch dem Fabrikanten die Konkurrenz gegen andere Länder, in denen der Brotpreis und infolgedessen der Lohn nied¬ riger steht. Werden die Komgesetze nun abgeschafft, so fällt 5 der Brotpreis, und der Arbeitslohn nähert sich dem der übrigen zivilisierten Länder Europas, was jedem nach den oben entwickel¬ ten Prinzipien, durch die der Lohn sich reguliert, klar sein wird. Der Fabrikant kann also leichter konkurrieren, die Nachfrage nach englischen Waren wächst und mit ihr die Nachfrage nach 10 Arbeitern. Infolge dieser vermehrten Nachfrage wird allerdings der Lohn wieder etwas steigen und die brotlosen Arbeiter beschäf¬ tigt werden; aber wie lange dauert das? Die „überflüssige Bevöl¬ kerung“ Englands und besonders Irlands reicht hin, um die eng¬ lische Industrie, selbst wenn sie sich verdoppelte, mit den nötigen 15 Arbeitern zu versehen; in wenig Jahren würde der geringe Vor¬ teil der Komgesetzabschaffung wieder ausgeglichen sein, eine neue Krisis erfolgen, und wir wären so weit wie vorher, während der erste Stimulus in der Industrie auch die Vermehrung der Be¬ völkerung beschleunigen würde. Das alles sehen die Proletarier 20 sehr gut ein und haben es den Bourgeois hundertmal ins Gesicht gesagt; aber trotzdem schreit das Geschlecht der Fabrikanten, das nur den unmittelbaren Vorteil, den ihm die Abschaffung der Korngesetze bringen würde, im Auge hat, dies Geschlecht, das borniert genug ist, nicht zu sehen, wie auch ihm kein dauern- 25 d e r Vorteil aus dieser Maßregel erwachsen kann, indem die Kon¬ kurrenz der Fabrikanten unter sich den Gewinn der einzelnen bald auf das alte Niveau zurückbringen würde — trotzdem schreit dies Geschlecht bis heute den Arbeitern vor, nur um ihretwillen ge¬ schehe das alles, nur um der verhungernden Millionen willen 30 schössen die Reichen der liberalen Partei ihre Hunderte und Tau¬ sende von Pfunden in die Kasse der Antikomgesetz-Ligue — wo doch jeder weiß, daß sie nur mit der Wurst nach dem Schinken werfen, daß sie darauf rechnen, das alles zehnfach und hundert¬ fach in den ersten Jahren nach Abschaffung der Komgesetze wie- 35 der zu verdienen. Aber die Arbeiter lassen sich — und besonders seit der Insurrektion von 1842, nicht mehr durch die Bourgeoisie irreführen. Sie verlangen von jedem, der sich für ihr Wohl zu plagen vorgibt, daß er, als Prüfstein der Echtheit seiner Absich¬ ten, sich für die Volkscharte erkläre, und protestieren damit ge- 40 gen alle fremde Hilfe, denn in der Charte verlangen sie nur die Macht, sich selbst zu helfen. Wer das nicht tut, dem er¬ klären sie mit vollem Rechte den Krieg, sei er offner Feind oder falscher Freund. — Übrigens hat die Antikomgesetz-Ligue den Ar¬ beitern gegenüber die verächtlichsten Lügen und Kniffe ge- 45 braucht, um sie zu gewinnen. Sie hat ihnen weismachen wollen,
266 Die SteDung der Bourgeoisie zum Proletariat daß der Geldpreis der Arbeit im umgekehrten Verhältnis zum Kompreise stehe, daß der Lohn hoch, wenn das Korn niedrig stehe, und umgekehrt — ein Satz, den sie mit den lächerlichsten Argumenten hat zu beweisen gesucht, und der in sich selbst lächer¬ licher ist als irgend eine andere aus dem Munde eines Ökonomen 5 geflossene Behauptung. Wenn das nicht half, so hat man den Ar¬ beitern die ungeheuerste Glückseligkeit infolge des vermehrten Begehrs im Arbeitsmarkt versprochen, ja man hat sich nicht ent- blödet, zwei Modelle von Brotlaiben durch die Straßen zu tragen, auf deren größtem geschrieben stand: Amerikanischer 10 Achtpfenniglaib, Lohn 4 Sh. täglich, und auf dem andern, viel kleineren: Englischer Achtpfenniglaib, Lohn 2 Sh. täglich. Die Arbeiter haben sich aber nicht irre machen lassen. Sie kennen ihre Brotherren zu gut. Und wenn man die Gleisnerei dieser schönen Versprechungen 15 erst recht erkennen will, so betrachte man die Praxis. Wir haben im Verlauf unserer Berichte gesehen, wie die Bourgeoisie das Proletariat auf alle mögliche Weise zu ihren Zwecken ausbeutet. Wir haben bisher indes nur die einzelnen Bourgeois auf ihre eigne Faust das Proletariat mißhandeln sehen. Gehen wir nun zu den 20 Verhältnissen über, in denen die Bourgeoisie als Partei, ja als Staatsmacht gegen das Proletariat auftritt. — Daß zuerst die ganze Gesetzgebung den Schutz des Besitzenden gegen den Besitzlosen be¬ zweckt, liegt auf der Hand. Nur weil es Besitzlose gibt, sind die Gesetze notwendig; und wenn dies auch nur in wenigen Gesetzen, 23 z. B. gegen das Vagabondieren und die Obdachlosigkeit, worin das Proletariat als solches für gesetzwidrig erklärt wird, direkt ausge¬ sprochen ist, so liegt doch die Feindschaft gegen das Proletariat dem Gesetze, so sehr zugrunde, daß die Richter, besonders die Friedensrichter, die selbst Bourgeois sind und mit denen das Pro- 30 letariat am meisten in Berührung kommt, diesen Sinn ohne wei¬ teres im Gesetze finden. Wird ein Reicher vorgeführt oder viel¬ mehr vorgeladen, so bedauert der Richter, daß er ihm soviel Mühe machen muß, wendet die Sache soviel er irgend kann zu seinen Gunsten, und wenn er ihn verurteilen muß, so tut es ihm 35 wieder unendlich leid usw., und das Resultat ist eine elende Geldstrafe, die der Bourgeois mit Verachtung auf den Tisch schmeißt und sich entfernt. Kommt aber ein armer Teufel in den Fall, vor dem Friedensrichter zu erscheinen, so hat er fast immer die Nacht im Arresthause mit einer Menge anderer zugebracht, 40 wird von vornherein als schuldig betrachtet und angeschnauzt, seine Verteidigung mit einem verächtlichen: „0, wir kennen diese Ausreden46 — beseitigt und ihm eine Strafe auferlegt, die er nicht 29 Orig, zum Grunde, 1892 zu Grunde,
Gesetzgebung und Justiz der Bourgeoisie 267 bezahlen kann, und mit einem oder mehreren Monaten auf der Tretmühle abbüßen muß. Und wenn man ihm nichts beweisen kann, so wird er als Schuft und Vagabond (a rogue and a vaga- bond — diese Ausdrücke kommen fast immer zusammen vor) 5 dennoch auf die Tretmühle geschickt. Die Parteilichkeit der Frie¬ densrichter, besonders auf dem Lande, übersteigt wirklich alle Vorstellung, und es ist so an der Tagesordnung, daß alle nicht zu eklatanten Fälle von den Zeitungen ganz ruhig und ohne weitere Glossen berichtet werden. Es ist aber auch nicht anders zu erwar- 10 ten. Einerseits legen diese „Dogberries“ das Gesetz nur nach dem Sinn aus, der in ihm liegt, und andererseits sind sie ja selbst Bour¬ geois, die vor allen Dingen im Interesse ihrer Klasse den Grund¬ pfeiler aller wahren Ordnung sehen. Und wie die Friedensrichter, so benimmt sich auch die Polizei. Der Bourgeois kann tun, was er 15 will, gegen ihn ist der Polizeidiener immer höflich und hält sich streng ans Gesetz; aber der Proletarier wird grob und brutal be¬ handelt, seine Armut wirft schon den Verdacht aller möglichen Verbrechen auf ihn, und verschließt ihm zugleich das Rechtsmittel gegen alle Willkürlichkeiten der Gewalthaber; für ihn existieren 20 deshalb die schützenden Formen des Gesetzes nicht, ihm dringt die Polizei ohne weiteres ins Haus, verhaftet und mißhandelt ihn, und bloß wenn einmal eine Arbeiterassoziation wie die Grubenarbeiter einen Roberts engagiert, bloß dann kommt es an den Tag, wie wenig die schützende Seite des Gesetzes für den Proletarier exi- 25 stiert, wie häufig er alle Lasten des Gesetzes zu tragen hat, ohne einen seiner Vorteile zu genießen. Bis auf die heutige Stunde kämpft die besitzende Klasse im Parlament gegen das bessere Gefühl der noch nicht ganz der Selbstsucht Verfallenen, um das Proletariat mehr und mehr zu 30 unterjochen. Ein Gemeindeplatz nach dem andern wird weggenom¬ men und bebaut, wodurch allerdings die Kultur gehoben, aber dem Proletariat viel Schaden getan wird. Wo Gemeindeplätze existier¬ ten, konnte der Arme darauf einen Esel, ein Schwein oder einige Gänse halten, die Kinder und jungen Leute hatten einen Platz, wo 35 sie spielen und sich im Freien herumtreiben konnten; dies hört im¬ mer mehr auf, der Verdienst des Armen wird geringer, und das junge Volk, dem sein Spielplatz genommen ist, geht dafür in die Kneipen. Eine Menge solcher Parlamentsakten zur Urbarmachung von Gemeindeplätzen gehen in jeder Session durch. — Als die 40 Regierung in der Session von 1844 sich entschloß, die allen Ver¬ kehr monopolisierenden Eisenbahngesellschaften zu zwingen, auch den Arbeitern das Reisen gegen ein ihren Umständen ange¬ messenes Fahrgeld (1 Penny die Meile, etwa fünf Silbergroschen 23 Orig, engagieren,
268 Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat die deutsche Meile) möglich zu machen, und deshalb vorschlug, daß täglich ein solcher Zug dritter Klasse auf jeder Eisenbahn eingefiihrt werde, schlug der „ehrwürdige Vater in Gott66, der Bischof von London, vor, daß der Sonntag, der einzige Tag, an dem beschäftigte Arbeiter überhaupt reisen können, von die- 5 sem Zwang ausgenommen, und so das Reisen am Sonntag nur den Reichen, nicht aber den Armen gestattet werde. Dieser Vorschlag war indes zu geradeaus, zu unverhohlen, als daß er hätte durch¬ gehen können, und man ließ ihn fallen. — Ich habe nicht Raum genug, um die vielen versteckten Angriffe auf das Proletariat, 10 auch nur einer einzigen Session, aufzuzählen. Nur noch einen aus derselben Session von 1844. Ein ganz obskures Parlamentsmit¬ glied, ein Herr Miles —, schlug eine Bill zur Regulierung des Verhältnisses von Herren und Dienern vor, die ziemlich unschein¬ bar aussah. Die Regierung nahm sich der Bill an, und sie wurde 15 einem Komitee übergeben. Inzwischen brach der Tumout der Gru¬ benarbeiter im Norden aus, und Roberts hielt seine Triumphzüge durch England mit seinen freigesprochenen Arbeitern. Als nun die Bill aus dem Komitee kam, fand sich, daß einige höchst despo¬ tische Klauseln eingeschaltet waren, besonders eine, durch die 20 dem Brotherrn die Macht gegeben wurde, jeden Arbeiter, der mit ihm mündlich oder schriftlich irgend eine beliebige Arbeit, wenn auch nur eine gelegentliche Handreichung kontrahiert hatte, im Falle von Dienstverweigerung oder sonstigem ungezie¬ menden Betragen (misbehaviour) vor irgend einen be- 25 liebigen (any) Friedensrichter zu schleppen, und auf seinen oder seiner Agenten und Aufseher Eid hin — also auf den Eid des Klägers — zu Gefängnis und Zwangsarbeit bis zu zwei Monaten verurteilen zu lassen. Diese Bill regte die Arbeiter bis zur höch¬ sten Wut auf, um so mehr, als die Zehnstundenbill zu gleicher Zeit 30 vor dem Parlament war und bedeutende Agitation hervorgebracht hatte. Hunderte von Versammlungen wurden gehalten, Hunderte von Arbeiterpetitionen nach London an den Sachwalter des Pro¬ letariats im Parlament, Thomas Duncombe, geschickt. Dieser war, außer dem „jungen Engländer66 Ferrand, der einzige ener- 35 gische Opponent, aber als die übrigen Radikalen sahen, daß das Volk sich gegen die Bill erklärte, kroch einer nach dem andern hervor und stellte sich Duncombe zur Seite, und da auch die libe¬ rale Bourgeoisie bei der Aufregung der Arbeiter nicht den Mut hatte, sich für die Bill auszusprechen, da überhaupt niemand sich 40 dem Volke gegenüber lebhaft für sie interessierte, so fiel sie glän¬ zend durch. 6 1887 fehlt am Sonntag 12—13 Orig. Parlamentsglied 40—41 1887 fehlt da überhaupt .. interessierte,
Die Bourgeoisie im Parlament / Malthus’sche Theorie 269 Die offenste Kriegserklärung der Bourgeoisie gegen das Pro¬ letariat ist indes die Malthus’sche Theorie der Popu¬ lation und das aus ihr entstandene neue Armengesetz. Von der Malthus’schen Theorie ist schon mehrere Male die Rede 5 gewesen. Wiederholen wir kurz ihr Hauptresultat, daß die Erde stets übervölkert sei und daher stets Not, Elend, Armut und Un¬ sittlichkeit herrschen müsse; daß es das Los und die ewige Be¬ stimmung der Menschheit sei, in zu großer Zahl und daher in ver¬ schiedenen Klassen zu existieren, von denen die einen mehr oder 10 weniger reich, gebildet, moralisch, und die andern mehr oder weniger arm, elend, unwissend und unsittlich seien. Hieraus folgt denn für die Praxis — und diese Schlüsse zieht Malthus selbst — daß Wohltaten und Armenkassen eigentlich Unsinn seien, da sie nur dazu dienten, die überzählige Bevölkerung, deren Konkurrenz 15 den Lohn der andern drücke, aufrecht zu erhalten und zur Ver¬ mehrung anzureizen; daß die Beschäftigung von Armen durch die Armenverwaltung ebenso unsinnig sei, indem, da doch nur eine bestimmte Quantität von Arbeitserzeugnissen verbraucht werden könne, für jeden brotlosen Arbeiter, der beschäftigt wird, ein 20 anderer bisher beschäftigter brotlos werden muß, und so die Pri¬ vatindustrie auf Kosten der Armenverwaltungs-Industrie Schaden leidet; daß es sich also nicht darum handelt, die überzählige Be¬ völkerung zu ernähren, sondern sie auf die eine oder die andere Weise möglichst zu beschränken. Malthus erklärt mit dürren 25 Worten das bisher behauptete Recht jedes Menschen, der in der Welt existiere, auf seine Existenzmittel für baren Unsinn. Er zitiert die Worte eines Dichters: der Arme kommt zum festlichen Tisch der Natur und findet kein leeres Gedeck für sich — und setzt hinzu — und die Natur befiehlt ihm, sich zu packen (she bids him 30 to be gone) — „denn er hat ja vor seiner Geburt die Gesellschaft nicht erst gefragt, ob sie ihn haben wolle46. Diese Theorie ist jetzt die Leibtheorie aller echten englischen Bourgeois, und zwar ganz natürlich, da sie für diese das bequemste Faulbett ist und ohnehin für die bestehenden Verhältnisse viel Richtiges hat. Wenn es sich 35 also nicht mehr darum handelt, die „überzählige Bevölkerung46 nutzbar zu machen, in brauchbare Bevölkerung zu verwan¬ deln, sondern bloß darum, die Leute auf möglichst leichte Weise verhungern zu lassen und sie zugleich daran zu hindern, daß sie zuviel Kinder in die Welt setzen, so ist das natürlich Kleinigkeit 4o — vorausgesetzt, daß die überflüssige Bevölkerung ihre eigne Überflüssigkeit einsieht und den Hungertod sich wohl schmecken läßt. Dazu ist aber, trotz der angestrengtesten Bemühungen der humanen Bourgeoisie, den Arbeitern dies beizubringen, vorder¬ hand noch keine Aussicht. Die Proletarier haben sich vielmehr in 20—30 1887 she bids him begone
270 Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat den Kopf gesetzt, daß sie mit ihren fleißigen Händen gerade die Nötigen, und die reichen Herren Kapitalisten, die nichts tun, eigentlich die Überflüssigen seien. Da aber die Reichen noch die Macht besitzen, so müssen sich die Proletarier gefallen lassen, daß sie, falls sie selbst es nicht gut- 5 willig einsehen wollen, vom Gesetz für wirklich überflüssig erklärt werden. Dies ist im neuen Armengesetz geschehen. Das alte Armengesetz, das auf der Akte vom Jahre 1601 (43d. of Eliza¬ beth) beruht, ging naiverweise noch von dem Prinzip aus, daß es die Pflicht der Gemeinde sei, für den Lebensunterhalt der Armen 10 zu sorgen. Wer keine Arbeit hatte, erhielt Unterstützung, und der Arme sah auf die Dauer, wie billig, die Gemeinde für verpflichtet an, ihn vor dem Verhungern zu schützen. Er forderte seine wöchentliche Unterstützung als ein Recht, nicht als eine Gnade, und das wurde zuletzt der Bourgeoisie doch zu arg. 1833, als sie 15 eben durch die Reformbill an die Herrschaft und zugleich der Pauperismus der Landdistrikte zur vollen Entfaltung gekommen war, begann sie sogleich die Reform auch der Armengesetze von ihrem Standpunkte aus. Eine Kommission wurde ernannt, die die Verwaltung der Armengesetze untersuchte und eine große Menge 20 Mißbräuche entdeckte. Man fand die ganze Arbeiterklasse des platten Landes pauperisiert und ganz oder teilweise von der Armenkasse abhängig, da diese, wenn der Lohn niedrig stand, den Armen einen Zusatz gab; man fand, daß dies System, wodurch der Arbeitslose erhalten, der Schlechtbezahlte und mit vielen Kin- 25 dem Gesegnete unterstützt, der Vater unehelicher Kinder zur Ali¬ mentation angehalten und die Armut überhaupt als des Schutzes bedürftig anerkannt wurde — man fand, daß dies System das Land ruiniere, „ein Hemmnis der Industrie, eine Belohnung für unüberlegte Heiraten, ein Stimulus zur Vermehrung der Bevölke- 30 rung sei und den Einfluß einer vermehrten Volkszahl auf den Ar¬ beitslohn unterdrücke; daß es eine Nationaleinrichtung sei, um die Fleißigen und Ehrlichen zu entmutigen und die Trägen, Lasterhaften und Überlegungslosen zu beschützen; daß es die Bande der Familie zerstöre, die Anhäufung von Kapitalien syste- 35 matisch verhindre, das existierende Kapital auflöse und die Steuerzahlenden ruiniere; und obendrein setze es in der Alimen¬ tation eine Prämie auf uneheliche Kinder.66 (Worte des Berichts der Armengesetzkommissäre.) — Diese Schilderung der Wir¬ kungen des alten Armengesetzes ist im ganzen gewiß richtig; die 40 Unterstützung begünstigt die Trägheit und die Vermehrung der „überflüssigen66 Bevölkerung. Unter den jetzigen sozialen Verhält- *) Extracts from Information received by the Poor-law-Commissio- ners. Published by Authority. London, 1833.
Das alte und das neue Armengesetz 271 nissen ist es ganz klar, daß der Arme gezwungen wird, Egoist zu sein, und wenn er die Wahl hat und gleich gut lebt, lieber nichts tut als arbeitet. Daraus folgt aber nur, daß die jetzigen sozialen Verhältnisse nichts taugen, nicht aber, daß — wie die malthusiani- 5 sehen Kommissäre folgerten — die Armut als ein Verbrechen nach der Abschreckungstheorie zu behandeln sei. Diese weisen Malthusianer waren aber so fest von der Unfehl¬ barkeit ihrer Theorie überzeugt, daß sie keinen Augenblick An¬ stand nahmen, die Armen in das Prokrustesbett ihrer Meinungen 10 zu werfen und sie nach diesen mit der empörendsten Härte zu be¬ handeln. Mit Malthus und den übrigen Anhängern der freien Kon¬ kurrenz überzeugt, daß es am besten sei, jeden für sich selbst sor¬ gen zu lassen, das laissez-faire konsequent durchzuführen, hätten sie die Armengesetze am liebsten ganz abgeschafft. Da sie hierzu 15 indes doch weder Mut noch Autorität hatten, schlugen sie ein mög¬ lichst Malthusianisches Armengesetz vor, das noch barbarischer ist als das laissez-faire, weil es da aktiv eintritt, wo dies nur pas¬ siv ist. Wir sahen, wie Malthus die Armut, genauer die Brotlosig¬ keit unter dem Namen der Überflüssigkeit für ein Verbrechen er- 20 klärt, das die Gesellschaft mit dem Hungertode bestrafen soll. So barbarisch waren die Kommissäre nun gerade nicht; der krasse, direkte Hungertod hat selbst für einen Armengesetzkommissär etwas zu Schreckliches. Gut, sagten sie, Ihr Armen habt das Recht, zu existieren, aber auch nur zu existieren; das Recht, Euch zu 25 vermehren aber habt Ihr nicht, ebensowenig wie das Recht, menschlich zu existieren. Ihr seid eine Landplage, und wenn wir Euch nicht wie jede andere Landplage sofort beseitigen können, so sollt Ihr doch fühlen, daß Ihr eine solche seid und we¬ nigstens im Zaume gehalten, außerstand gesetzt werden müßt, an- 30 dere „Überflüssige66, direkt oder durch Verführung zur Trägheit und Brotlosigkeit, zu produzieren. Leben sollt Ihr, aber leben zum warnenden Exempel allen denen, die Veranlassung haben könnten, auch überflüssig zu werden. Sie schlugen nun das neue Armengesetz vor, das 1834 durch 35 das Parlament ging und bis heute in Kraft besteht. Alle Unterstüt¬ zung in Geld oder Lebensmitteln wurde abgeschafft; die einzige Unterstützung, welche gewährt wurde, war die Aufnahme in die überall sofort erbauten Arbeitshäuser. Die Einrichtung dieser Arbeitshäuser (workhouses), oder wie das Volk sie nennt, Armen- 40 gesetz-Bastillen (poor-law-bastiles), ist aber derart, daß sie jeden abschrecken muß, der noch irgendwie Aussicht hat, sich ohne diese Art der öffentlichen Mildtätigkeit durchzuschlagen. Da¬ mit die Armenkasse nur in den dringendsten Fällen bean¬ sprucht und die eignen Anstrengungen eines jeden auf den höch- 5 Orig, folgerten, daß die Armut,
272 Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat sten Grad gesteigert werden, ehe er sich entschließt, sich von ihr unterstützen zu lassen, ist das Arbeitshaus zum zurückstoßendsten Aufenthalt gemacht, den das raffinierte Talent eines Malthusia¬ ners erfinden kann. Die Nahrung ist schlechter als die der ärmsten beschäftigten Arbeiter, während die Arbeit schwerer ist; sonst 5 würden diese ja den Aufenthalt im Armenhause ihrer jämmer¬ lichen Existenz draußen vorziehen. Fleisch, besonders frisches, wird selten gereicht, meist Kartoffeln, möglichst schlechtes Brot und Hafermehlbrei, wenig oder gar kein Bier. Selbst die Diät der Gefängnisse ist durchgängig besser, so daß die Bewohner des Ar-10 beitshauses häufig irgend ein Vergehen absichtlich sich zuschul¬ den kommen lassen, um nur ins Gefängnis zu kommen. Denn auch das Arbeitshaus ist ein Gefängnis; wer sein Quantum Arbeit nicht tut, bekommt nichts zu essen, wer herausgehen will, muß erst um Erlaubnis bitten, die ihm je nach seinem Betragen oder der Mei- 15 nung, die der Inspektor davon hat, verweigert werden kann; Ta¬ bak ist verboten, ebenso die Annahme von Geschenken von Freun¬ den und Verwandten außerhalb des Hauses; die Paupers tragen eine Arbeitshaus-Uniform und sind der Willkür des Inspektors ohne Schutz überliefert. Damit ihre Arbeit nicht etwa mit der Pri- 20 vatindustrie konkurriere, gibt man ihnen meist ziemlich nutzlose Beschäftigungen; die Männer klopfen Steine, „soviel ein starker Mann mit Anstrengung in einem Tage tun kann“, die Weiber, Kinder und Greise zupfen alte Schiffstaue, ich habe vergessen, zu welchem unbedeutenden Zweck. Damit die „Überflüssigen“ sich 25 nicht vermehren, oder die „demoralisierten“ Eltern nicht auf ihre Kinder wirken können, werden die Familien getrennt; der Mann wird in diesen Flügel, die Frau in jenen, die Kinder in einen drit¬ ten geschickt, und sie dürfen einander nur zu bestimmten, selten wiederkehrenden Zeiten sehen, und auch dann nur, wenn sie sich 30 nach der Meinung der Beamten gut betragen haben. Und um den Ansteckungsstoff des Pauperismus vollständig in diesen Bastillen vor der Außenwelt abzuschließen, dürfen die Bewohner dersel¬ ben nur mit Bewilligung der Beamten Besuch im Sprechzimmer annehmen, überhaupt nur unter ihrer Aufsicht oder Erlaubnis mit 35 Leuten außerhalb verkehren. Bei alledem soll die Kost gesund, die Behandlung menschlich sein. Aber der Geist des Gesetzes spricht zu laut, als daß diese Forderung irgendwie erfüllt werden könne. Die Armengesetzkom¬ missäre und die ganze englische Bourgeoisie täuscht sich, wenn sie die Durchführung des Prinzips ohne die der Konsequenzen für möglich hält. Die Behandlung, die das neue Gesetz dem Buch¬ staben nach vorschreibt, steht mit dem ganzen Sinn desselben im 30 1892 auch nur dann,
Arbeitshaus-Brutalität 273 Widerspruch; wenn das Gesetz der Sache nach die Armen für Ver¬ brecher, die Armenhäuser für Strafgefängnisse, ihre Bewohner für außer dem Gesetz, außer der Menschheit stehende Gegen¬ stände des Ekels und Abscheus erklärt, so hilft alles Befehlen des 5 Gegenteils gar nichts. In der Praxis wird denn auch der Geist und nicht der Buchstabe des Gesetzes bei der Behandlung der Armen befolgt. Hier einige wenige Beispiele. Im Arbeitshause zu Greenwich wurde im Sommer 1843 ein fünfjähriger Knabe drei Nächte zur Strafe in die Totenkammer io gesperrt, wo er auf den Deckeln der Särge schlafen mußte. — Im Arbeitshause zu Herne geschah dasselbe mit einem kleinen Mäd¬ chen, das während der Nacht das Bett nicht trocken hielt; diese Art Strafe scheint überhaupt sehr beliebt zu sein. Dies Arbeits¬ haus, das in einer der schönsten Gegenden von Kent liegt, zeichnet iö sich auch dadurch aus, daß alle Fenster nach innen, nach dem Hofe zu gehen und bloß zwei neugebrochene den Bewohnern des¬ selben einen Blick in die Außenwelt gestatten. Der Schriftstel¬ ler, der dies im „Illuminated Magazine66 erzählt, schließt seine Schilderung mit den Worten: „Wenn Gott den Menschen für Ver- 20 brechen so bestraft, wie der Mensch den Menschen straft für die Armut, dann wehe den Söhnen Adams!66 — Im November 1843 starb zu Leicester ein Mann, der zwei Tage vorher aus dem Arbeits¬ hause zu Coventry entlassen worden war. Die Details über die Behandlung der Armen in dieser Anstalt sind empörend. Der 25 Mann, George Robson, hatte eine Wunde an der Schulter, deren Kur gänzlich vernachlässigt wurde; er wurde an die Pumpe ge¬ stellt, um sie mit dem gesunden Arm in Bewegung zu setzen; da¬ bei bekam er nur die gewöhnliche Armenhauskost, die er wegen der Schwächung seines Körpers durch die unbeachteteWunde nicht 30 verdauen konnte; er wurde notwendig schwächer, und je mehr er klagte, desto brutaler wurde die Behandlung. Wenn seine Frau, die auch im Arbeitshause war, ihm ihr bißchen Bier bringen wollte, so wurde sie gescholten und mußte es in Gegenwart der Aufseherin austrinken. Er wurde krank, aber auch dann keine 35 bessere Behandlung. Zuletzt wurde er auf sein Begehren mit sei¬ ner Frau unter dem Geleite der beleidigendsten Ausdrücke ent¬ lassen. Zwei Tage darauf starb er in Leicester, wie der bei der Totenschau gegenwärtige Arzt erklärte, infolge der vernachläs¬ sigten Wunde und der für seinen Zustand schlechterdings unver- 40 daulichen Kost. Bei seiner Entlassung wurden ihm Briefe ein¬ gehändigt, in denen Geld für ihn war, die sechs Wochen lang zu¬ rückgehalten und nach einer Regel des Etablissements vom Vor¬ steher eröffnet worden waren! — Im Arbeitshause zu Birming¬ ham fielen so schändliche Dinge vor, daß endlich im Dezember 43 1843 ein Beamter abgeschickt wurde, um die Sache zu unter- Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 18
274 Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat suchen. Er fand, daß vier Trampers (wir haben oben eine Er¬ klärung dieses Ausdrucks gehabt) in ein Hundeloch (black hole) unter der Treppe nackend eingesperrt und 8—10 Tage in diesem Zustande gehalten worden waren, oft hungrig, ohne vor Mittag etwas zu essen zu erhalten, und in der strengsten Jahreszeit. Ein 5 kleiner Junge war durch sämtliche Strafgefängnisse der Anstalt geschickt worden, zuerst in eine feuchte, gewölbte, enge Rumpel¬ kammer, dann zweimal ins Hundeloch, das zweite Mal drei Tage und drei Nächte, dann ebensolange ins alte Hundeloch, was noch schlechter war, dann ins Trampzimmer, ein stinkendes, ekelhaft 10 schmutziges enges Loch mit hölzernen Schlafpritschen, wo der Be¬ amte bei seiner Revision noch zwei zerlumpte, vor Kälte zusammen¬ gekrochene Knaben fand, die bereits vier Tage dort gesessen hat¬ ten. Im Hundeloch saßen oft sieben, und im Trampzimmer oft zwanzig Trampers zusammengepfropft. Auch Weiber waren zur 15 Strafe, weil sie nicht in die Kirche gehen wollten, ins Hundeloch gesteckt, und eine war sogar vier Tage ins Trampzimmer gesperrt worden, wo sie Gott weiß was für Gesellschaft fand, und alles das während sie krank war und Medizin einnahm! Ein anderes Weib war zur Strafe ins Tollhaus geschickt worden, obwohl sie vollkom- 20 men bei Verstände war. — Im Arbeitshause zu Bacton in Suf¬ folk war im Januar 1844 eine ähnliche Untersuchung, woraus her¬ vorging, daß hier eine Blödsinnige als Krankenwärterin angestellt war und allerlei verkehrtes Zeug mit den Kranken trieb, und daß Kranke, die nachts oft unruhig waren oder auf standen, mit über 25 dem Bettzeug und unter dem Bette her geführten Stricken fest¬ gebunden wurden, um den Wärterinnen die Mühe des Aufblei¬ bens zu ersparen — ein Kranker wurde in diesem Zustande tot ge¬ funden. — Im Armenhause von St. Paneras, London, wo die billigen Hemden verfertigt werden, erstickte ein Epileptischer30 während eines Anfalls im Bette, ohne daß ihm jemand zu Hilfe gekommen wäre. In demselben Hause schlafen vier bis sechs, ja zuweilen acht Kinder in einem Bette. — Im Shoreditch -Ar¬ beitshause in London wurde ein Mann eine Nacht mit einem Kran¬ ken, der im heftigsten Fieber lag, in ein Bett gesteckt, und das 35 Bett war noch dazu voll Ungeziefer. — Im Arbeitshause zu Beth- nalgreen, London, wurde eine im sechsten Monat schwangere Frau mit ihrem noch nicht zweijährigen Kinde vom 28. Febr. bis 20. März 1844 im Empfangzimmer eingeschlossen, ohne ins Ar¬ beitshaus selbst auf genommen zu werden — von Betten und Or- 40 ten der Befriedigung der natürlichsten Bedürfnisse keine Spur. Ihr Mahn wurde ins Arbeitshaus gebracht, und als er bat, man 17 1892 Trampzimmer gesteckt 28—29 1892 tot auf gefunden. —
Arbeitshaus-Brutalität 275 möge seine Frau aus ihrer Einsperrung befreien, erhielt er für diese Insolenz vierundzwanzig Stunden Arrest bei Wasser und Brot. — Im Arbeitshause zu Slough bei Windsor lag im Sep¬ tember 1844 ein Mann am Tode; seine Frau reiste hin, kam nachts 5 zwölf Uhr an, eilte zum Arbeitshause und wurde nicht zugelas¬ sen; am nächsten Morgen erst erhielt sie Erlaubnis, ihn zu sehen, und auch dann nur auf eine halbe Stunde und in Gegenwart der Aufseherin, die bei jedem folgenden Besuch der Frau sich zu¬ drängte und ihr nach einer halben Stunde sagte, jetzt müsse sie io gehen. — Im Arbeitshause zu Middleton in Lancashire waren zwölf, zuzeiten achtzehn Paupers beiderlei Geschlechts, die in einem Zimmer schliefen. Diese Anstalt steht nicht unter dem neuen, sondern einem früheren, exzeptionellen Armengesetz (Gil- bert’s Act). Der Inspektor hatte eine Brauerei für seine Rechnung 15 im Arbeitshause angelegt. — In Stockport wurde am 31. Juli 1844 ein 72jähriger Greis aus dem Armenhause vor den Friedens¬ richter geschleppt, weil er sich weigerte, Steine zu klopfen, und vorgab, wegen seines Alters und eines steifen Knies könne er diese Arbeit nicht tun. Vergebens erbot er sich, irgend eine Arbeit zu 20 übernehmen, die seiner Körperstärke angemessen sei — er wurde zu 14 Tagen Zwangsarbeit auf der Tretmühle verurteilt. — Im Arbeitshause zu Basford fand ein revidierender Beamter im Februar 1844, daß die Bettücher in 13 Wochen, die Hemden in vier Wochen, die Strümpfe in zwei bis zehn Monaten nicht ge- 25 wechselt worden waren, so daß von 45 Knaben nur drei noch Strümpfe hatten und die Hemden alle zerlumpt waren. Die Bet¬ ten wimmelten von Ungeziefer, und die Eßnäpfe wurden aus den Urineimem gewaschen. — Im West-Londoner Armenhause war ein Portier, der syphilitisch war und seine Krankheit vier 30 Mädchen mitgeteilt hatte, dennoch nicht entlassen worden, und ein andrer Portier nahm ein taubstummes Mädchen aus einem der Zimmer, verbarg sie vier Tage in seinem Bett und schlief bei ihr. Auch er wurde nicht weggeschickt. — Wie im Leben, so im Tode. Die Armen werden auf die rück- 35 sichtsloseste Weise, wie krepiertes Vieh, verscharrt. Der Armen¬ kirchhof von St. B r i d e s, London, ist ein nackter Morast, der seit Karl II. zum Kirchhof benutzt wird, voll Knochenhaufen; jeden Mittwoch werden die verstorbenen Paupers in ein 14 Fuß tiefes Loch geworfen, der Pfaff rasselt eiligst seine Litanei ab, das Loch *o wird lose verscharrt, um nächsten Mittwoch wieder geöffnet und solange mit Leichen gefüllt zu werden, bis keine mehr hinein¬ geht. Der Verwesungsgeruch davon verpestet die ganze Nachbar¬ schaft. — In Manchester liegt der Armenkirchhof der Alt¬ stadt gegenüber am Irk, ebenfalls ein wüster, unebener Platz. Vor 45 etwa zwei Jahren wurde eine Eisenbahn durchgeführt. Wäre es 18*
276 Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat ein respektabler Kirchhof gewesen, wie würde die Bourgeoisie, wie die Geistlichkeit Zeter über Entheiligung geschrien haben! Aber es war ein Armenkirchhof, es war die Ruhestätte von Pau¬ pers und Überflüssigen, und so genierte man sich durchaus nicht. Man nahm sich nicht einmal die Mühe, die noch nicht ganz ver- 5 westen Leichen auf die andere Seite des Kirchhofs zu bringen, man scharrte auf, wie es gerade diente, und schlug Pfähle in frische Gräber, so daß das mit verwesenden Stoffen geschwängerte Wasser des sumpfigen Bodens oben herausquoll und die Umge¬ bung mit den widerlichsten und schädlichsten Gasen erfüllte. Ich 10 mag die ekelhafte Rohheit, die hier an den Tag kam, nicht wei¬ ter in ihren Details schildern. — Wird man sich noch wundern, daß die Armen sich noch wei¬ gern, die öffentliche Unterstützung unter diesen Bedingungen an¬ zunehmen? daß sie lieber verhungern, als in diese Bastillen 15 gehen? Mir liegen fünf Fälle vor, wo die Leute wirklich und ge¬ radezu verhungerten, und noch wenige Tage vor ihrem Tode, als ihnen die Armenverwaltung die Unterstützung außer dem Ar¬ beitshause abschlug, lieber in ihre Not zurück, als in diese Hölle gingen. Insofern haben die Armengesetzkommissäre ihren Zweck 20 vollkommen erreicht. Aber zu gleicher Zeit haben die Arbeits¬ häuser auch die Erbitterung der arbeitenden Klasse gegen die be¬ sitzende, die zum größten Teil für das neue Armengesetz schwärmt, höher gesteigert, als irgend eine andere Maßregel der machthaben¬ den Partei. Von Newcastle bis Dover ist unter den Arbeitern nur 25 Eine Stimme der Empörung über das neue Gesetz. Die Bourgeoisie hat in ihm ihre Meinung über ihre Pflichten gegen das Prole¬ tariat so deutlich ausgesprochen, daß sie auch von den Dümm¬ sten verstanden wurde. So geradezu, so unverhohlen war es noch nie behauptet worden, daß die Besitzlosen nur da sind, um sich 30 von den Besitzenden ausbeuten zu lassen, und um zu verhungern, wenn die Besitzenden von ihnen keinen Gebrauch machen können. Darum aber hat dies neue Armengesetz auch so wesentlich zur Be¬ schleunigung der Arbeiterbewegung und namentlich zur Verbrei¬ tung des Chartismus beigetragen, und da es auf dem Lande am 35 meisten in Ausführung gekommen ist, so erleichtert es die Ent¬ wicklung der proletarischen Bewegung, die den Landdistrikten bevorsteht. — Fügen wir noch hinzu, daß auch in I r 1 a n d seit 1838 ein glei¬ ches Armengesetz besteht, das für 80000 Paupers dieselben Asyle 40 vorbereitet. Auch hier hat es sich verhaßt gemacht und würde sich noch verhaßter gemacht haben, wenn es irgendwie zu der Wichtigkeit hätte kommen können, die es in England erreichte. Aber was bedeutet die schlechte Behandlung von 80000 Proleta¬ riern in einem Lande, wo es ihrer dritthalb Millionen gibt! — In 45
Aussichten Englands für die Zukunft 277 Schottland existieren, mit lokalen Ausnahmen, gar keine Armen¬ gesetze. Ich hoffe, nach dieser Schilderung des neuen Armengesetzes und seiner Wirkungen wird man kein Wort zu hart finden, was 5 ich von der englischen Bourgeoisie gesagt habe. In dieser öffent¬ lichen Maßregel, wo sie in corpore, als Macht auf tritt, spricht sie es aus, was sie eigentlich will, was sie mit all den kleineren, dem Scheine nach nur auf einzelne Tadel werfenden Handlungen ge¬ gen das Proletariat meint. Und daß diese Maßregel nicht nur 10 von einer Sektion der Bourgeoisie ausging, sondern den Beifall der ganzen Klasse genießt, das beweisen unter andern die Parla¬ mentsdebatten von 1844. Die liberale Partei hatte das neue Ar* mengesetz erlassen; die Konservative, ihren Minister Peel an der Spitze, verteidigt sie und ändert nur einige Lumpereien daran in 15 der Poor-Law-Amendment -Bill von 1844. Eine liberale Majorität gab, eine konservative bestätigte das Gesetz und die edlen Lords gaben ihr „Consent“ beide Male. So ist die Ausstoßung des Proletariats aus Staat und Gesellschaft ausgesprochen; so ist es offen erklärt, daß die Proletarier keine Menschen sind und 20 nicht als Menschen behandelt zu werden verdienen. Überlassen wir es ruhig den Proletariern des britischen Reichs, sich ihre Men¬ schenrechte wieder zu erobern.*) Das ist die Lage der britischen Arbeiterklasse, wie ich sie wäh¬ rend einundzwanzig Monaten durch meine eignen Augen und 25 durch offizielle und sonstige authentische Berichte kennen gelernt habe. Und wenn ich diese Lage, wie ich auf den vorstehenden Sei¬ ten oft genug ausgesprochen habe, für eine schlechterdings un¬ erträgliche halte, so bin ich nicht der einzige, der das tut. Schon Gaskell erklärt 1833, daß er an einem friedlichen Ausgange ver- 30 *) Um allen Mißdeutungen und daraus entstehenden Einwürfen vorzu¬ beugen, will ich noch bemerken, daß ich von der Bourgeoisie als einer Klasse gesprochen habe und alle von einzelnen angeführten Dinge mir nur als Belege für die Denk- und Handlungsweise der Klasse gel¬ ten. Daher habe ich mich auch nicht auf die Unterscheidung der verschie¬ ss denen Sektionen und Parteien der Bourgeoisie einlassen können, die nur historisch und theoretisch von Bedeutung sind, und daher kann ich auch die wenigen Mitglieder der Bourgeoisie, die sich als ehrenwerte Ausnah¬ men gezeigt haben, nur beiläufig erwähnen. Es sind dies einerseits die entschiedneren Radikalen, die fast Chartisten sind, wie die Unterhausmit- 40 glieder und Fabrikanten Hindley aus Ashton und Fiel den aus Todmorden
278 Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat zweifelt und daß eine Revolution schwerlich ausbleiben könne. Carlyle erklärt 1838 den Chartismus und das revolutionäre Trei¬ ben der Arbeiter aus dem Elend, in dem sie leben, und wundert sich nur, daß diese so ruhig acht lange Jahre am Tisch des Bar- mekiden gesessen haben, wo sie von der liberalen Bourgeoisie mit 5 leeren Versprechungen gespeist wurden — und 1844 erklärt er, daß die Organisation der Arbeit sogleich in Angriff genommen werden müsse, „wenn Europa, wenigstens England noch lange bewohnbar bleiben solle“. — Und die „Times“, das „erste Journal Europas“ sagt im Juni 1844 geradezu: „Kriege den Palästen, Friede den Hütten, das ist ein Schlachtruf des Schreckens, der noch einmal durch unser Land ertönen mag. Mögen die Rei¬ chen sich in acht nehmen!“ Nehmen wir indes noch einmal die Chancen der englischen 15 Bourgeoisie vor. Im schlimmsten Fall gelingt es der ausländi¬ schen, besonders der amerikanischen Industrie, die englische Konkurrenz auch nach der, in wenig Jahren nötigen, Abschaffung der Komgesetze aushalten zu können. Die deutsche Industrie macht jetzt große Anstrengungen, die amerikanische hat sich mit 20 Riesenschritten entwickelt. Amerika mit seinen unerschöpflichen Hilfsmitteln, mit den unermeßlichsten Kohlen- und Eisenlagem, mit einem beispiellosen Reichtum an Wasserkraft und schiffbaren Flüssen, besonders aber mit seiner energischen, tätigen Bevölke¬ rung, gegen welche die Engländer noch phlegmatische Schlaf- 25 (Lancashire), andrerseits die humanen Tories, die sich neuerdings als „junges England“ konstituiert haben, und zu denen besonders die Parlamentsmitglieder D’Israeli, Borthwick, Ferrand, Lord John Manners etc. gehören. Auch Lord Ashley steht ihnen nahe. — Die Absicht des „jungen England“ ist eine Wiederherstellung des alten „merry England“ 30 mit seinen glänzenden Seiten und seinem romantischen Feudalismus; die¬ ser Zweck ist natürlich unausführbar und sogar lächerlich, eine Satire auf alle historische Entwicklung, aber die gute Absicht, der Mut, sich gegen das Bestehende und die bestehenden Vorurteile aufzulehnen, und die Nie¬ derträchtigkeit des Bestehenden anzuerkennen, ist schon etwas wert. — 35 Ganz einsam steht der Deutsch-Engländer Thomas Carlyle, der, ursprünglich Tory, weiter geht als die Erwähnten. Er geht der sozialen Unordnung von allen englischen Bourgeois am tiefsten auf den Grund und fordert Organisation der Arbeit. Ich hoffe, daß Carlyle, der den rechten Weg gefunden hat, auch imstande sein wird, ihn zu verfolgen. 40 Meine und vieler Deutschen besten Wünsche begleiten ihn! — 1892 Aber die Februarrevolution machte ihn zum vollendeten Reaktionär; der ge¬ rechte Zorn über die Philister schlug um in versauerte Philister-Verdrie߬ lichkeit über die historische Woge, die ihn auf den Strand warf. 39—41 1887 fehlt Ich hoffe .. begleiten ihn!
Aussichten Englands für die Zukunft 279 miitzen sind, Amerika hat in weniger als zehn Jahren eine Indu¬ strie geschaffen, welche in gröberen Baumwollenwaren (dem Hauptartikel der englischen Industrie) schon jetzt mit England konkurriert, die Engländer aus dem nord- und südamerikanischen 5 Markt verdrängt hat und in China neben der englischen verkauft wird. In andern Industriezweigen geht es ebenso. Ist ein Land dazu begabt, das industrielle Monopol an sich zu reißen, so ist es Amerika. — Wird also auf diese Weise die englische Industrie geschlagen — wie dies in den nächsten zwanzig Jahren, wenn die 10 jetzigen sozialen Zustände bleiben, wohl nicht anders geschehen kann, so wird die Majorität des Proletariats auf immer „über¬ flüssig“ und hat keine andre Wahl, als zu verhungern oder — zu revolutionieren. — Denkt die englische Bourgeoisie an diese Chance? Im Gegenteil, ihr liebster Ökonom, MacCulloch doziert 15 ihr aus seiner Studierstube heraus: es ist gar nicht daran zu den¬ ken, daß so ein junges Land wie Amerika, das noch gar nicht ordentlich bevölkert ist, mit Erfolg Industrie treiben oder gar gegen ein altes industrielles Land wie England konkurrieren könne. Es wäre wahnsinnig von den Amerikanern, wenn sie das 20 versuchen wollten, denn sie können nur Geld dabei verlieren, laß sie hübsch beim Ackerbau bleiben, und wenn sie erst das ganze Land bebaut haben, dann wird die Zeit auch wohl kommen, wo sie mit Vorteil Industrie treiben können. — Und das sagt der weise Ökonom und die ganze Bourgeoisie betet’s ihm nach, während 25 die Amerikaner einen Markt nach dem andern wegnehmen, wäh¬ rend ein verwegner amerikanischer Spekulant vor kurzem eine Partie amerikanischer Waren nach England schickte, wo sie zur Wiederexportation verkauft wurden! Aber selbst für den Fall, daß England das industrielle Mono- 30 pol behielte, daß seine Fabriken fortwährend an Zahl wüchsen, was würde die Folge sein? Die Handelskrisen würden bleiben, und mit der Ausdehnung der Industrie und der Vermehrung des Proletariats immer gewaltsamer, immer schauderhafter werden. Das Proletariat würde durch den fortschreitenden Ruin der klei- 33 nen Mittelklasse, durch die mit Riesenschritten sich entwickelnde Zentralisation des Kapitals in den Händen weniger, in geometri¬ scher Proportion zunehmen und bald die ganze Nation, mit Aus¬ nahme weniger Millionäre, ausmachen. In dieser Entwicklung tritt aber eine Stufe ein, wo das Proletariat sieht, wie leicht es ihm 40 wäre, die bestehende soziale Macht zu stürzen, und dann folgt eine Revolution. Doch weder der eine noch der andre Fall wird eintreten. Die 8 1892 Wird auf diese 16 1892 daß ein so
280 Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat Handelskrisen, der mächtigste Hebel aller selbständigen Ent¬ wicklung des Proletariats, werden, in Verbindung mit der aus¬ wärtigen Konkurrenz und dem steigenden Ruin der Mittelklasse, die Sache kürzer abmachen. Ich glaube nicht, daß das Volk sich noch mehr als eine Krisis wird gefallen lassen. Wahrscheinlich 5 bringt schon die nächste, 1846 oder 1847 eintretende Krisis die Abschaffung der Komgesetze und die Charte. Was die Charte für revolutionäre Bewegungen veranlassen wird, steht zu erwarten. Aber bis zur dann folgenden Krisis, die nach der Analogie der bisherigen 1852 oder 1853 eintreten müßte, durch die Abschaf-10 fung der Komgesetze jedoch verzögert, wie durch andre Umstände, auswärtige Konkurrenz etc. beschleunigt werden kann, bis zu die¬ ser Krisis wird es das englische Volk wahrlich überdrüssig sein, zum Vorteil der Kapitalisten sich ausbeuten zu lassen und, wenn die Kapitalisten seiner nicht mehr bedürfen, zu verhungern. Wenn 15 sich bis dahin die englische Bourgeoisie nicht besinnt — und das tut sie allem Anschein nach gewiß nicht — so wird eine Revolu¬ tion folgen, mit der sich keine vorhergehende messen kann. Die zur Verzweiflung getriebenen Proletarier werden die Brandfackel ergreifen, von der Stephens ihnen gepredigt hat; die Volksrache 20 wird mit einer Wut geübt werden, von der uns das Jahr 1793 noch keine Vorstellung gibt. Der Krieg der Armen gegen dieReichen wird der blutigste sein, der je geführt worden ist. Selbst der Übertritt eines Teils der Bourgeoisie zur Proletariatspartei, selbst eine all¬ gemeine Besserung der Bourgeoisie würde nichts helfen. Die all- 25 gemeine Sinnesänderung der Bourgeoisie würde ohnehin nur bis zu einem schlaffen Juste-milieu gehen können; die entschiedner den Arbeitern sich Anschließenden würden eine neue Gironde bil¬ den und als solche im Lauf der gewaltsamen Entwicklung unter¬ gehen. Die Vorurteile einer ganzen Klasse streifen sich nicht ab 30 wie ein alter Rock — am wenigsten bei der stabilen, befangenen, eigennützigen englischen Bourgeoisie. Das sind alles Schlüsse, die mit der größten Bestimmtheit gefolgert werden können, Schlüsse, deren Voraussetzungen unbestreitbare Tatsachen, einer¬ seits der geschichtlichen Entwicklung, andrerseits der mensch- <35 liehen Natur sind. Das Prophezeien ist nirgends so leicht als ge¬ rade in England, weil hier alles so klar und scharf in der Gesell¬ schaft entwickelt ist. Die Revolution muß kommen, es ist jetzt schon zu spät, um eine friedliche Lösung der Sache herbeizufüh¬ ren ; aber milder kann sie allerdings werden als die oben prophe- 40 zeite. Das wird aber weniger von der Entwicklung der Bourgeoi¬ sie, als von der des Proletariats abhängen. In demselben Ver¬ hältnis nämlich, in welchem das Proletariat sozialistische und kommunistische Elemente in sich aufnimmt, genau in demselben Verhältnis wird die Revolution an Blutvergießen, Rache und Wut 45
Aussichten Englands für die Zukunft 281 abnehmen. Der Kommunismus steht seinem Prinzipe nach über dem Zwiespalt zwischen Bourgeoisie und Proletariat, er erkennt ihn nur in seiner historischen Bedeutung für die Gegenwart, nicht aber als für die Zukunft berechtigt an; er will gerade diesen Zwie- 5 spalt aufheben. Er erkennt daher, solange der Zwiespalt besteht, die Erbitterung des Proletariats gegen seine Unterdrücker aller¬ dings als eine Notwendigkeit, als den bedeutendsten Hebel der anfangenden Arbeiterbewegung an, aber er geht über diese Erbitterung hinaus, weil er eben eine Sache der Menschheit, nicht io bloß der Arbeiter ist. Ohnehin fällt es keinem Kommunisten ein, an Einzelnen Rache üben zu wollen oder überhaupt zu glauben, daß der einzelne Bourgeois in den bestehenden Verhältnissen an¬ ders handeln könne, als er handelt. Der englische Sozialismus (d. h. Kommunismus) beruht geradezu auf diesem Prinzip der h Unzurechnungsfähigkeit des Einzelnen. Je mehr also die engli¬ schen Arbeiter sozialistische Ideen in sich aufnehmen, desto mehr wird ihre jetzige Erbitterung, die es doch, wenn sie so gewaltsam bleibt, wie sie jetzt ist, zu nichts bringen würde, überflüssig, desto mehr werden ihre Schritte gegen die Bourgeoisie an Wildheit und 20 Roheit verlieren. Wäre es überhaupt möglich, das ganze Prole¬ tariat kommunistisch zu machen, ehe der Kampf ausbricht, so würde er sehr friedlich ablaufen; das ist aber nicht mehr mög¬ lich, es ist schon zu spät dazu. Ich glaube indes, daß bis zum Aus¬ bruch des ganz offnen, direkten Krieges der Armen gegen die 20 Reichen, der jetzt in England unvermeidlich geworden ist, sich wenigstens soviel Klarheit über die soziale Frage im Proletariat verbreiten wird, daß mit Hilfe der Ereignisse die kommunistische Partei imstande sein wird, das brutale Element der Revolution auf die Dauer zu überwinden und einem neunten Thermidor vor- 30 zubeugen. Ohnehin wird die Erfahrung der Franzosen nicht um¬ sonst gemacht worden sein, und dazu sind ja schon jetzt die mei¬ sten Chartistenführer Kommunisten. Und da der Kommunismus über dem Gegensätze zwischen Proletariat und Bourgeoisie steht, so wird es auch dem besseren Teile der Bourgeoisie — der aber 33 entsetzlich gering ist und nur auf Rekrutierung unter den Heran¬ wachsenden rechnen kann — leichter werden, sich ihm anzuschlie¬ ßen, als dem ausschließlich proletarischen Chartismus. Wenn diese Schlüsse hier nicht hinreichend begründet sein sollten, so wird sich wohl anderswo Gelegenheit finden, sie als not- <o wendige Resultate der historischen Entwicklung Englands nach¬ zuweisen. Aber ich bleibe dabei: der Krieg der Armen gegen die Reichen, der jetzt schon im einzelnen und indirekt geführt wird, wird auch im allgemeinen, im ganzen und direkt in England ge¬ führt werden. Es ist zu spät zur friedlichen Lösung. Die Klas- 45 sen sondern sich schroffer und schroffer, der Geist des Widerstan¬
282 Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat des durchdringt die Arbeiter mehr und mehr, die Erbitterung steigt, die einzelnen Guerillascharmützel konzentrieren sich zu be¬ deutenderen Gefechten und Demonstrationen, und ein kleiner An¬ stoß wird bald hinreichen, um die Lawine in Bewegung zu setzen. Dann wird allerdings der Schlachtruf durch das Land schallen: 5 „Krieg den Palästen, Friede den Hütten!“ — dann wird es aber zu spät sein, als daß sich die Reichen noch in acht nehmen könnten.
TAFEL ]V: Beilage aus der Erstausgabe: Plan von Manchester
Inhalt *> Einleitung: ° Seite Zustand der Arbeiter vor der industriellen Revolution — Die Jenny — Entstehung des industriellen, des Acker¬ bau-Proletariats — Die Throstle, die Mule, der mecha¬ nische Webstuhl, die Dampfmaschine — Sieg der Maschinen über die Handarbeit — Entwicklung der industriellen Macht — Baumwollenindustrie — Strumpfwirkerei — Spitzenfabrikation — Bleicherei, Druckerei, Färberei — Wollenindustrie — Leinen¬ industrie — Seidenindustrie — Eisenproduktion und Verarbeitung — Kohlenbergwerke — Töpfereien — Ackerbau — Straßen, Kanäle, Eisenbahnen, Dampf¬ schiffe — Zusammenfassung — Entwicklung des Pro¬ letariats zu nationaler Bedeutung — Ansicht der Bourgeoisie vom Proletariat 10 Das industrielle Proletariat: Klassifikation der Arbeiter — Zentralisation des Be¬ sitzes — Die Hebel der modernen Industrie — Zen¬ tralisation der Bevölkerung 26 Die großen Städte: Unmittelbarer Eindruck von London — Sozialer Krieg und universelles Plünderungssystem — Los der Armen dabei — Die schlechten Viertel im allgemeinen — Von London: St. Giles und Umgegend — Whitechapel — Das Innere der Proletarierwohnungen — Obdach¬ lose in den Parks — Nachtasyle — Dublin — Edin¬ burgh — Liverpool — Die Fabrikstädte: Nottingham, Birmingham, Glasgow, Leeds, Bradford, Huddersfield — Lancashire: allgemeine Bemerkungen — Bolton — Stockport — Ashton-under-Lyne — Stalybridge — Detaillierte Schilderung von Manchester: allgemeine Bauart — Die Altstadt — Die Neustadt — Bauart der Arbeiterviertel — Höfe und Hintergassen — Ancoats — Klein-Irland — Hulme — Salford — Resume — *) Das von Engels verfaßte Inhaltsverzeichnis der Erstausgabe. Die Seitenangaben beziehen sich auf unseren Band.
284 Die Lage der arbeitenden Klasse in England Seite Logierhäuser — Gedrängtheit der Bevölkerung — Kellerwohnungen — Kleidung der Arbeiter — Nah¬ rung — Schlechtes Fleisch — Warenfälschungen — Falsche Maße etc. — Zusammenfassung 29 Die Konkurrenz: Konkurrenz der Arbeiter unter sich, die das Minimum, Konkurrenz der Besitzenden unter sich, die das Maxi¬ mum des Lohns feststellt — Der Arbeiter, Sklave der Bourgeoisie, muß sich täglich und stündlich selbst ver¬ kaufen — Überflüssige Bevölkerung — Handels¬ krisen — Reserve von Arbeitern — Die Schicksale dieser Reserve in der Krisis von 1842 77 Die irische Einwanderung: Ursachen und Anzahl — Schilderung nach Carlyle — Unreinlichkeit, Rohheit, Trunksucht der Irländer — Wirkung der irischen Konkurrenz und Nachbarschaft auf den englischen Arbeiter 90 Resultate: Einleitende Bemerkungen — Wirkung der obigen Um¬ stände auf die körperliche Lage der Arbei¬ ter — Einfluß der großen Städte, der Wohnungen, der Unreinlichkeit etc. — Stand der Tatsachen — Schwindsucht — Typhus, besonders in London, Schott¬ land und Irland — Unterleibsbeschwerden — Folgen der Trunksucht — Quacksalber — „Godfrey’s Cor¬ dial“ — Sterblichkeit im Proletariat, speziell unter kleinen Kindern — Anklage des sozialen Mordes gegen die Bourgeoisie — Folgen für die intellek¬ tuelle und moralische Lage — Mangel an Bildungsmitteln — Unzulänglichkeit von Abend- und Sonntagsschulen — Unwissenheit — Ersatz für den Arbeiter in seinen Lebensverhältnissen — Sittliche Vernachlässigung der Arbeiter — Das Gesetz der ein¬ zige Sittenlehrer — Veranlassung für den Arbeiter in seiner Lage, sich über Gesetz und Sitte hinwegzusetzen — Einfluß der Armut — des Proletariats und der Un¬ sicherheit der Stellung — der Verdammung zur Zwangsarbeit — der Zentralisation der Bevölkerung — der irischen Einwanderung — Unterschied zwi¬ schen dem Charakter des Bourgeois und des Prole-
Inhalt 285 Seite tariers — Vorzüge des Proletariers vor dem Bourgeois — Nachteilige Seiten des proletarischen Charakters — Trunksucht — Zügellosigkeit des Geschlechtsverkehrs —Auflösung der Familie — Nichtachtung der sozialen Ordnung — Verbrechen — Schilderung des sozialen Kriegs 94 Die einzelnen Arbeitszweige. Die Fabrikarbeiter im engeren Sinne: Wirkung der Maschinerie — Handweber — Verdrän¬ gung von Männern — Arbeit der Weiber, Auflösung der Familie — Umkehrung aller Familienverhältnisse — Moralische Folgen der Zusammendrängung vieler Weiber in Fabriken — Jus primae noctis — Arbeit der Kinder — Lehrlingssystem — Spätere Einrichtung — Schilderung nach dem Fabrikbericht — Lange Arbeitszeit — Nachtarbeit — Verkrüppelung — Klei¬ nere äußere Übel — Charakter der Arbeit — All¬ gemeine Schwächung der Konstitution — Spezielle Übel — Zeugnisse — Frühes Alter — Spezielle Fol¬ gen für die weibliche Konstitution — Einzelne, beson¬ ders schädliche Arbeitszweige — Unglücksfälle — Urteil der Bourgeoisie über das Fabriksystem — Fabrikgesetzgebung und Zehnstunden-Agitation — Geisttötender und abstumpfender Charakter der Arbeit — Sklaverei — Fabrikregeln — Trucksystem — Cot¬ tagesystem — Parallele zwischen dem Leibeignen von 1145 und dem freien Arbeiter von 1845 131 Die übrigen Arbeitszweige: Die Strumpfwirker — Spitzenfabrikation — Kattun¬ drucker — Samtscherer — Seidenweber — Metall¬ waren — Birmingham — Staffordshire — Sheffield — Maschinenfabriken — Die Töpfereien von Nord- Staffordshire — Glasfabriken — Die Handwerker — Die Londoner Putzmacherinnen und Nähterinnen . . 180 Arbeiterbewegungen: Einleitendes — Verbrechen — Auf stände gegen Maschi¬ nerie — Verbindungen, Arbeitseinstellung — Wir¬ kung der Verbindungen und Turnouts — Verbrechen infolge derselben — Charakter der Kämpfe des eng¬ lischen Proletariats gegen die Bourgeoisie — Gefecht
286 Die Lage der arbeitenden Klasse in England Seite in Manchester, Mai 1843. Die Achtung vor dem Ge¬ setz dem Proletariat fremd — Chartismus — Ge¬ schichte der Chartistenbewegung — Insurrektion von 1842 — Entschiedne Trennung des proletarischen Chartismus vom Radikalismus der Bourgeoisie — So¬ ziale Tendenz des Chartismus — Sozialismus — Allgemeiner Standpunkt der Arbeiter 202 Das Bergwerks-Proletariat: Die Bergleute von Cornwall — Aiston Moor — Eisen- und Kohlenbergwerke — Die Arbeit der Männer, Weiber und Kinder — Eigentümliche Krankheiten — Arbeit in niedrigen Stollen — Unglücksfälle, Explo¬ sionen etc. — Stand der Bildung — der Moralität — Bergwerksgesetze — Systematische Ausbeutung der Grubenarbeiter — Bewegungen unter ihnen — Die „Union“ — Der große Feldzug von 1844 im Nor¬ den von England — Roberts und der Feldzug gegen die Friedensrichter und das Trucksystem — Resultate des Kampfes 229 Das Ackerbau-Proletariat: Historisches — Pauperismus auf dem Lande — Lage der Ackerbautaglöhner — Brandstiftungen — Gleich¬ gültigkeit gegen die Komgesetzfrage — Irreligiosität — Wales: die kleinen Pächter — Rebekka-Unruhen — Irland: die Parzellierung des Grundbesitzes — Pau- perisierung der Nation — Verbrechen — Repeal-Agi¬ tation 247 Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat: Sittliche Verderbtheit der englischen Bourgeoisie — Geldsucht — Ökonomie und freie Konkurrenz — Heuchelei der Wohltätigkeit — der Ökonomie und Politik in der Komgesetzfrage — Die Gesetzgebung und Justiz der Bourgeoisie — Die Bourgeoisie im Parlament — Masters- and Servants-Bill — Malthus- sche Theorie — Das alte Armengesetz — Das neue Armengesetz — Beispiele von Arbeitshaus-Brutalität — Aussichten Englands für die Zukunft 261
ZWEITER TEIL: KLEINERE PUBLIZISTISCHE ARBEITEN August 1844 — Juni 1846
ZWEI AUFSÄTZE ZUR SOZIALGESCHICHTE ENGLANDS
Die beiden Aufsätze erschienen in Vorwärts! Pariser Deutsche Zeitschrift im Zeitraum vom 31. August bis zum 11. September und vom 18. September bis zum 19. Oktober 1844.
DIE LAGE ENGLANDS I Das achtzehnte Jahrhundert [Vorwärts! 31. Aug. 1844. Nr. 70] 5 Dem Anscheine nach ist das Jahrhundert der Revolution an England ohne viel Veränderung voriibergegangen. Während auf dem Kontinent eine ganze alte Welt zertrümmert wurde, während ein fünfundzwanzigjähriger Krieg die Atmosphäre reinigte, blieb in England alles ruhig, wurde weder Staat noch Kirche irgendwie io bedroht. Und doch hat England seit der Mitte des vergangnen Jahrhunderts eine größere Umwälzung durchgemacht als irgend ein anderes Land, — eine Umwälzung, die um so folgenreicher ist, je stiller sie bewerkstelligt wurde, und die deshalb aller Wahr¬ scheinTichkeit nach ihr Ziel eher in der Praxis erreichen wird als is die französische politische oder die deutsche philosophische Re¬ volution. Die Revolution Englands ist eine soziale und daher um¬ fassender und eingreifender als irgend eine andere. Es gibt kein noch so entlegenes Gebiet menschlicher Erkenntnis und mensch¬ licher Lebensverhältnisse, das nicht zu ihr beigetragen und wieder- 20 um von ihr eine veränderte Stellung empfangen hätte. Die soziale Revolution ist erst die wahre Revolution, in der die politische und philosophische Revolution ausmünden müssen; und diese soziale Revolution ist in England schon seit siebzig oder achtzig Jahren im Gange und geht eben jetzt mit raschen Schritten ihrer Krisis 25 entgegen. Das achtzehnte Jahrhundert war die Zusammenfassung, die Sammlung der Menschheit aus der Zersplitterung und Vereinze¬ lung, in die sie durch das Christentum geworfen war; der vor¬ letzte Schritt zur Selbsterkenntnis und Selbstbefreiung der Mensch- 30 heit, der aber als der vorletzte darum auch noch einseitig im Widerspruch stecken blieb. Das achtzehnte Jahrhundert faßte die Resultate der bisherigen Geschichte, die bis dahin nur vereinzelt und in der Form der Zufälligkeit auf getreten waren, zusammen und entwickelte ihre Notwendigkeit und ihre innere Verkettung. 35 Die zahllosen, durcheinander gewürfelten Data der Erkenntnis 19*
292 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 wurden geordnet, gesondert und in Kausalverbindung gebracht; das Wissen wurde Wissenschaft, und die Wissenschaften näherten sich ihrer Vollendung, d. h. knüpften sich auf der einen Seite an die Philosophie, auf der andern an die Praxis an. Vor dem acht¬ zehnten Jahrhunderte gab es keine Wissenschaft; die Erkenntnis 5 der Natur nahm ihre wissenschaftliche Form erst im achtzehnten Jahrhundert an, oder in einigen Zweigen ein paar Jahre vorher. Newton schuf die wissenschaftliche Astronomie durch das Gra¬ vitationsgesetz, die wissenschaftliche Optik durch die Zersetzung des Lichts, die wissenschaftliche Mathematik durch den binomi-10 sehen Satz und die Theorie des Unendlichen und die wissenschaft¬ liche Mechanik durch die Erkenntnis der Natur der Kräfte. Die Physik erhielt ebenfalls im achtzehnten Jahrhundert ihren wissen¬ schaftlichen Charakter; die Chemie wurde durch Black, Lavoisier und Priestley erst geschaffen; die Geographie wurde durch die 15 Bestimmung der Gestalt der Erde und die vielen, jetzt erst mit Nutzen für die Wissenschaft unternommenen Reisen zur Wissen¬ schaft erhoben; ebenso die Naturgeschichte durch Buffon und Linné; selbst die Geologie fing allmählich an, sich aus dem Strudel phantastischer Hypothesen, in dem sie verkam, herauszuarbeiten. 20 Der Gedanke der Enzyklopädie war für das achtzehnte Jahr¬ hundert charakteristisch; er beruhte auf dem Bewußtsein, daß alle diese Wissenschaften unter sich Zusammenhängen, war aber hoch nicht imstande, die Übergänge zu machen, und konnte sie daher nur einfach nebeneinander stellen. Ebenso in der Geschichte; 25 wir finden jetzt zuerst bändereiche Kompilationen der Welt¬ geschichte, noch ohne Kritik und vollends ohne Philosophie, aber doch allgemeine Geschichte anstatt der bisherigen lokal und zeitlich beschränkten Geschichtsfragmente. Die Politik wurde auf eine menschliche Basis gestellt und die Nationalökonomie durch 30 Adam Smith reformiert. Die Spitze der Wissenschaft des acht¬ zehnten Jahrhunderts war der Materialismus, das erste System der Naturphilosophie und die Folge jener Vollendung der Natur¬ wissenschaften. Der Kampf gegen die abstrakte Subjektivität des Christentums trieb die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts 35 auf die entgegengesetzte Einseitigkeit; der Subjektivität wurde die Objektivität, dem Geist die Natur, dem Spiritualismus der Materialismus, dem abstrakt Einzelnen das abstrakt Allgemeine, die Substanz, entgegengesetzt. Das achtzehnte Jahrhundert war die Wiederbelebung des antiken Geistes gegenüber dem christlichen; 40 Materialismus und Republik, die Philosophie und Politik der alten Welt, erstanden aufs neue, und die Franzosen, die Reprä¬ sentanten des antiken Prinzips innerhalb des Christentums, bemächtigten sich für eine Zeitlang der historischen Initiative. Das achtzehnte Jahrhundert löste also den großen Gegensatz
Die Lage Englands: Das achtzehnte Jahrhundert 293 nicht, der die Geschichte von Anfang an beschäftigt hat, und des¬ sen Entwicklung die Geschichte ausmacht, den Gegensatz von Sub¬ stanz und Subjekt, Natur und Geist, Notwendigkeit und Freiheit; es stellte aber die Seiten des Gegensatzes in ihrer ganzen Schroff- 5 heit und vollkommen entwickelt einander gegenüber und machte dadurch seine Aufhebung notwendig. Die Folge dieser klaren, letzten Entwicklung des Gegensatzes war die allgemeine Revo¬ lution, die sich auf die verschiedenen Nationalitäten verteilte, und deren Bevorstehende Vollendung zugleich die Lösung des Cegen- 10 satzes der bisherigen Geschichte sein wird. Die Deutschen, das christlich-spiritualistische Volk, erlebten eine philosophische Re¬ volution; die Franzosen, das antik-materialistische, daher poli¬ tische Volk, hatten die Revolution auf politischem Wege durch¬ zumachen; die Engländer, deren Nationalität eine Mischung 15 deutscher und französischer Elemente ist, die also beide Seiten des Gegensatzes in sich tragen und deshalb universeller sind als ein jeder der beiden Faktoren für sich, wurden daher auch in eine universellere, eine soziale Revolution hereingerissen.— Dies wird näherer Ausführung bedürfen, da die Stellung der Nationalitäten 20 wenigstens für die neuere Zeit in unserer Geschichtsphilosophie bis jetzt sehr ungenügend oder vielmehr gar nicht behandelt wor¬ den ist. Daß Deutschland, Frankreich und England die drei leitenden Länder der gegenwärtigen Geschichte sind, darf ich wohl als zu- 25 gegeben annehmen; daß die Deutschen das christlich-spirituali¬ stische, die Franzosen das antik-materialistische Prinzip, mit an¬ dern Worten, daß jene die Religion und Kirche, diese die Politik und den Staat vertreten, ist ebenso einleuchtend, oder wird es seinerzeit schon gemacht werden; die Bedeutung der Engländer 30 in der neueren Geschichte ist weniger in die Augen fallend und für unsern gegenwärtigen Zweck auch am wichtigsten. Die eng¬ lische Nation wurde gebildet von Germanen und Romanen zu einer Zeit, wo beide Nationen sich erst eben von einander geschieden und ihre Entwicklung zu den beiden Seiten des Gegensatzes kaum be- 35 gönnen hatten. Die germanischen und romanischen Elemente ent¬ wickelten sich nebeneinander und bildeten zuletzt eine Nationa¬ lität, die beide Einseitigkeiten unvermittelt in sich trägt. Der ger¬ manische Idealismus behielt soviel freies Spiel, daß er sogar in sein Gegenteil, die abstrakte Äußerlichkeit, umschlagen konnte; 40 die noch gesetzliche Verkäuflichkeit der Weiber und Kinder, und der Handelsgeist der Engländer überhaupt, ist entschieden auf Rechnung des germanischen Elements zu bringen. Ebenso schlug der romanische Materialismus in abstrakten Idealismus, Inner¬ lichkeit und Religiosität um; daher das Phänomen der Fortdauer 45 des romanischen Katholizismus innerhalb des germanischen
294 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 Protestantismus, die Staatskirche, das Papsttum der Fürsten und die durchaus katholische Art, die Religion mit Förmlichkeiten ab¬ zufertigen. Der Charakter der englischen Nationalität ist der un¬ gelöste Widerspruch, die Vereinigung der schroffsten Kontraste. Die Engländer sind das religiöseste Volk der Welt und zu gleicher 5 Zeit das irreligiöseste; sie plagen sich mehr um das Jenseits als irgend eine andre Nation, und doch leben sie dabei, als ob das Diesseits ihr Eins und Alles sei; ihre Aussicht auf den Himmel hindert sie nicht im mindesten, ebenso fest an die „Hölle des Kein-Geld-Verdienens“ zu glauben. Daher die ewige innere Un-10 ruhe der Engländer, die das Gefühl der Unfähigkeit, den Wider¬ spruch zu lösen, ist und sie aus sich selbst heraus zur Tätigkeit treibt Das Gefühl des Widerspruchs ist die Quelle der Energie, aber der sich bloß entäußernden Energie, und dies Gefühl des Widerspruchs war die Quelle der Kolonisation, der Schiffahrt, 15 der Industrie und überhaupt der ungeheuren praktischen Tätig¬ keit der Engländer. Die Unfähigkeit, den Widerspruch zu lösen, geht durch die ganze englische Philosophie hindurch und treibt sie auf die Empirie und den Skeptizismus. Weil Bacon mit seiner Vernunft den Widerspruch von Idealismus und Realismus nicht 20 lösen konnte, mußte die Vernunft überhaupt dazu unfähig sein, der Idealismus kurzweg verworfen und in der Empirie das ein¬ zige Rettungsmittel gesehen werden. Aus derselben Quelle geht die Kritik des Erkenntnisvermögens und die psychologische Rich¬ tung überhaupt hervor, in der die englische Philosophie sich von 25 Anfang an ausschließlich bewegt hat, und die dann zuletzt, nach allen vergeblichen Versuchen, den Widerspruch zu lösen, ihn für unlösbar, die Vernunft für unzureichend erklärt und entweder im religiösen Glauben oder in der Empirie Rettung sucht. Der Hume¬ sche Skeptizismus ist noch heutzutage die Form alles irreligiösen 30 Philosophierens in England. Wir können nicht wissen, räsoniert diese Anschauungsweise, ob ein Gott existiert; wenn einer existiert, so ist jede Kommunikation mit uns für ihn unmöglich, und wir haben also unsre Praxis so einzurichten, als ob keiner existierte. Wir können nicht wissen, ob der Geist vom Körper verschieden 35 und unsterblich ist; wir leben also so, als ob dies Leben unser einziges wäre und plagen uns nicht mit Dingen, die über unsem Verstand gehen. Kurz, die Praxis dieses Skeptizismus ist genau der französische Materialismus; aber in der metaphysischen Theorie bleibt er in der Unfähigkeit der definitiven Entscheidung stecken. 40 — Weil die Engländer aber beide Elemente, die auf dem Konti¬ nent die Geschichte entwickelten, in sich trugen, darum waren sie imstande, selbst ohne viel mit dem Kontinent zu verkehren, doch mit der Bewegung Schritt zu halten und ihr zuweilen sogar vor¬ saus zu sein. Die englische Revolution des siebzehnten Jahrhunderts 45
Die Lage Englands: Das achtzehnte Jahrhundert 295 ist genau das Vorbild der französischen von 1789. Im „langen Parlament“ sind die drei Stufen, die in Frankreich als konsti¬ tuierende und legislative Versammlung und Nationalkonvent auf¬ traten, leicht zu unterscheiden; der Übergang von konstitutioneller 5 Monarchie zur Demokratie, Militärdespotismus, Restauration und Justemilieu-Revolution ist in der englischen Revolution scharf ausgeprägt. Cromwell ist Robespierre und Napoleon in einer Per- son; der Gironde, dem Berg und den Hébertisten und Babou¬ visten entsprechen die Presbyterianer, Independenten und Le¬ 10 vellers; das politische Resultat ist bei beiden ziemlich kläglich, und die ganze Parallele, die noch viel genauer ausgeführt werden könnte, beweist nebenbei auch, daß die religiöse und die irreli¬ giöse Revolution, solange sie politisch bleiben, beide am Ende auf Eines herauskommen. Freilich war dies Voraussein der Eng¬ is länder vor dem Kontinent nur momentan und glich sich allmählich wieder aus; die englische Revolution endigte im Justemilieu und der Schöpfung der beiden nationalen Parteien, während die fran¬ zösische noch nicht abgeschlossen ist und sich nicht abschließen kann, bevor sie bei demselben Resultat angekommen ist, bei dem 20 die deutsche philosophische und die englische soziale Revolution anzukommen haben. Der englische Nationalcharakter ist so vom deutschen sowohl wie vom französischen wesentlich verschieden; die Verzweiflung an der Aufhebung des Gegensatzes und die daraus folgende totale 25 Hingebung an die Empirie ist ihm eigentümlich. Auch das reine Germanentum verkehrte seine abstrakte Innerlichkeit in abstrakte Äußerlichkeit, aber diese Äußerlichkeit verlor die Spur ihres Ursprungs nie und blieb der Innerlichkeit und dem Spiritualis¬ mus stets untergeordnet. Auch die Franzosen stehen auf der ma- 30 teriellen, empirischen Seite; aber weil diese Empirie unmittelbare Nationalrichtung, nicht eine sekundäre Folge eines in sich selbst zerspaltenen Nationalbewußtseins ist, macht sie sich in natio¬ naler, allgemeiner Weise geltend, äußert sie sich als politische Tä¬ tigkeit. Der Deutsche behauptete die absolute Berechtigung des 35 Spiritualismus und suchte die allgemeinen Interessen der Mensch¬ heit daher in der Religion und später in der Philosophie zu ent~ wickeln. Der Franzose stellte diesem Spiritualismus den Materia¬ lismus als absolut berechtigt gegenüber und nahm infolgedessen den Staat als die ewige Form dieser Interessen an. Der Engländer 40 aber hat keine allgemeinen Interessen, er kann von ihnen nicht reden, ohne den wunden Fleck, den Widerspruch zu berühren, er verzweifelt an ihnen und hat nur Einzelinteressen, Diese absolute Subjektivität, die Zersplitterung des Allgemeinen in die vielen Einzelnen ist allerdings germanischen Ursprungs, aber wie gesagt, 45 von ihre£Wurzel getrennt und darum bloß empirisch wirk-
296 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 sam, und unterscheidet eben die englische soziale von der fran¬ zösischen politischen Empirie. Frankreichs Tätigkeit war stets national, von vornherein ihrer Ganzheit und Allgemeinheit sich bewußt; Englands Tätigkeit war die Arbeit unabhängiger, neben¬ einanderstehender Individuen, die Bewegung unverbundner Atome, die selten und dann nur aus individuellem Interesse, als ein Ganzes zusammenwirkten, und deren Einheitslosigkeit ge¬ rade jetzt in allgemeinem Elend und gänzlicher Zersplitterung ans Tageslicht tritt. Mit andern Worten, nur England hat eine soziale Geschichte. Nur in England haben die Individuen als solche, ohne mit Be¬ wußtsein allgemeine Prinzipien zu vertreten, die nationale Ent¬ wicklung gefördert und ihrem Abschluß nahe gebracht. Nur hier hat die Masse als Masse, um ihrer eignen Einzelinteressen willen, gewirkt; nur hier sind die Prinzipien in Interessen verwandelt wor¬ den, ehe sie auf die Geschichte Einfluß haben konnten. Die Fran¬ zosen und Deutschen kommen auch allmählich zur sozialen Ge¬ schichte, aber sie haben sie noch nicht. Auch auf dem Kontinent hat es Armut, Elend und sozialen Druck gegeben, aber das blieb ohne Wirkung auf die nationale Entwicklung; aber das Elend und die Armut der arbeitenden Klasse des heutigen Englands hat nationale, und mehr als das, hat weltgeschichtliche Bedeutung. Das soziale Moment ist auf dem Kontinent noch ganz unter dem politi¬ schen vergraben hat sich noch gar nicht von ihm getrennt, während in England das politische Moment allmählich von dem sozialen überwunden und ihm dienstbar geworden ist. Alle englische Politik ist im Grunde sozialer Natur, und nur weil England noch nicht über den Staat hinausgekommen, weil die Politik ein Notbehelf für es ist, nur darum äußern sich die sozialen Fragen politisch. Solange Staat und Kirche die einzigen Formen sind, in denen die allgemeinen Bestimmungen des menschlichen Wesens sich ver¬ wirklichen, solange kann von sozialer Geschichte nicht die Rede sein. Das Altertum und das Mittelalter konnten daher auch keine soziale Entwicklung aufweisen; erst die Reformation, der erste, noch befangene und dumpfe Versuch einer Reaktion gegen das Mittelalter, brachte einen sozialen Umschwung, die Verwandlung der Leibeignen in „freie“ Arbeiter, hervor. Aber auch dieser Um¬ schwung blieb ohne viel nachhaltige Wirkung auf dem Kontinent, ja er setzte sich hier eigentlich erst mit der Revolution des acht¬ zehnten Jahrhunderts durch; während in England mit der Refor¬ mation das Geschlecht der Leibeignen, in vilains, bordars, cottars und so in eine Klasse persönlich freier Arbeiter verwandelt wurde, und das achtzehnte Jahrhundert hier bereits die Konsequenzen dieser Umwälzung entwickelte. Warum dies nur in England ge¬ schah, ist oben auseinandergesetzt. 30 35 40 45 25 20 15 10 5
Die Lage Englands: Das achtzehnte Jahrhundert 297 [Vorwärts! 4. Sept. 1844. Nr. 71] Das Altertum, das noch nichts von dem Rechte des Subjekts wußte, dessen ganze Weltanschauung wesentlich abstrakt, allge¬ mein, substantiell war, konnte deshalb nicht ohne die Sklaverei bestehen. Die christlich-germanische Weltansicht stellte die ab¬ strakte Subjektivität, daher die Willkür, die Innerlichkeit, den Spiritualismus dem Altertum gegenüber als Grundprinzip auf; diese Subjektivität mußte aber, eben weil sie abstrakt, einseitig war, sogleich sich in ihr Gegenteil verkehren, und statt der Frei¬ heit des Subjekts die Sklaverei des Subjekts erzeugen. Die ab¬ strakte Innerlichkeit wurde abstrakte Äußerlichkeit, Wegwerfung und Veräußerung des Menschen, und die erste Folge des neuen Prinzips war dieWiederherstellung der Sklaverei in einer andern, weniger anstößigen, aber darum heuchlerischen und unmensch¬ licheren Gestalt, der Leibeigenschaft. Die Auflösung des Feudaf- systems, die politische Reformation, d. h. die scheinbare An¬ erkennung der Vernunft, und daher die wirkliche Vollendung der Unvernunft, hob diese Leibeigenschaft scheinbar auf, machte sie aber in der Wirklichkeit nur unmenschlicher und allgemeiner. Sie sprach zuerst aus, daß die Menschheit nicht mehr durch Zwang, d. h. durch politische, sondern durch das Interesse, d. h. durch soziale Mittel zusammengehalten werden solle, und legte durch dies neue Prinzip die Basis zur sozialen Bewegung. Aber, obwohl sie den Staat so negierte, stellte sie ihn auf der andern Seite erst recht wieder her, indem sie ihm den bisher von der Kirche usurpierten Inhalt zurückgab, und dadurch dem wäh¬ rend des Mittelalters inhaltlosen und nichtigen Staat die Kraft einer neuen Entwicklung verlieh. Aus den Ruinen des Feudalis¬ mus entstand der christliche Staat, die Vollendung des christlichen Weltzustandes nach der politischen Seite hin; durch die Erhebung des Interesses zum allgemeinen Prinzip vollendete sich dieser christliche Weltzustand nach einer andern Seite. Denn das Inter¬ esse ist wesentlich subjektiv, egoistisch Einzelinteresse^und als solches die höchste Spitze des germanisch-christlichen Subjek¬ tivitäts- und Vereinzelungsprinzips. Die Folge der Erhebung des Interesses zum Bande der Menschheit ist, solange das Interesse eben unmittelbar subjektiv, einfach egoistisch bleibt, notwendig die allgemeine Zersplitterung, die Konzentrierung der Individuen auf sich selbst, die Isolierung, die Verwandlung der Menschheit in einen Haufen einander abstoßender Atome; und diese Ver¬ einzelung ist wiederum die letzte Konsequenz des christlichen Subjektivitätsprinzips, die Vollendung des christlichen Welt¬ zustandes. — Solange ferner die Grundveräußerung, das Privat¬ eigentum bestehen bleibt, solange muß das Interesse notwendig Einzelinteresse sein und seine Herrschaft sich als die Herrschaft 45 40 35 30 25 20 15 10
298 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 0 des Eigentums erweisen. Die Auflösung der feudalen Knecht¬ schaft hat „bare Zahlung zum einzigen Bande der Menschheit" gemacht. Das Eigentum, das dem menschlichen, geistigen gegen¬ überstehende, natürliche, geistlose Element, wird dadurch auf den Thron erhoben, und in letzter Instanz, um diese Veräußerung zu vollenden, das Geld, die veräußerte, leere Abstraktion des Eigen¬ tums, zum Herrn der Wel£gemacht. Der Mensch hat auf gehört^ Sklave des Mensch’en zu sein, und ist Sklave der Sache geworden; die Verkehrung der menschlichen Verhältnisse ist vollendet; die Knechtschaft der modernen Schacherwelt, die ausgebildete, voll¬ kommne, universelle Verkäuflichkeit ist unmenschlicher und all¬ umfassender als die Leibeigenschaft der Feudalzeit; die Prosti¬ tution ist unsittlicher, bestialischer als das Jus primae noctis. — Höher kann der christliche Weltzustand nicht getrieben werden; er muß in sich selbst zusammenbrechen und einem menschlichen, vernünftigen Zustande Platz machen. Der christliche Staat ist nur die letzte mögliche Erscheinungsform des Staats überhaupt, nut dessen Fall der Staat als solcher fallen muß. Die Auflösung der Menschheit in eine Masse isolierter, sich abstoßender Atome ist an sich selbst schon die Vernichtung aller korporativen, natio¬ nalen und überhaupt besonderen Interessen und die letzte not; wendige Stufe zur freien Selbstvereinigung der Menschheit. Die Vollendung der Veräußerung in der Herrschaft des Geldes ist ein unvermeidlicher Durchgang, wenn der Mensch, wie er denn jetzt nahe daran ist, wieder zu sich selbst kommen soll. Die soziale Revolution in England hat diese Konsequenzen der Aufhebung des Feudalsystems so weit entwickelt, daß die Krisis, die den christlichen Weltzustand vernichten wird, nicht mehr fern sein kann, ja, daß die Epoche dieser Krisis, wenn auch nicht in Jahren und quantitativ, so doch qualitativ mit Bestimmtheit vorausgesagt werden kann; diese Krisis muß nämlich eintreten, sobald die Korngesetze abgeschafft und die Volkscharte einge¬ führt, d. h. sobald die Adelsaristokratie durch die Geldaristokratie und diese durch die arbeitende Demokratie politisch besiegt ist. Das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert hatten alle Voraus¬ setzungen der sozialen Revolution ins Leben gerufen, das Mittel- alter aufgelöst, den sozialen, politischen und religiösen Protestan¬ tismus etabliert, die Kolonien, die Seemacht und den Handel Eng¬ lands geschaffen und eine zunehmende schon ziemlich mächtige Mittelklasse neben die Aristokratie gestellt. Die sozialen Verhält¬ nisse setzten jgich allmählich nach den Unruhen des siebzehnten Jahrhunderts und nahmen eine feste Gestalt an, die sie bis gegen 1780 oder 90 hin behielten. 28—29 rorwärts nicht mehr Herr sein kann. 5 10 15 20 30 35 40
Die Lage Englands: Das achtzehnte Jahrhundert 299 Es gab damals drei Klassen von Grundbesitzern, die adligen Landlords, noch die einzige und unangegriffene Aristokratie des Reichs, die ihre Grundstücke in Parzellen verpachtete und die Renten in London oder auf Reisen verzehrte; die nichtadligen 5 Landlords oder Country Gentlemen (gewöhnlich Squires betitelt), die auf ihren Landsitzen lebten, ihr Land verpachteten und die aristokratische Auszeichnung, die ihrer niedrigen Geburt, ihrem Mangel an Bildung und ihrem bäurisch derben Wesen in den Städten verweigert wurde, dafür von ihren Pächtern und den an- 10 dern Bewohnern der Umgegend genossen. Diese Klasse ist jetzt total verschwunden. Die alten Squires, die unter den Landleuten der Umgegend mit patriarchalischer Autorität herrschten, Rat¬ geber, Schiedsrichter, alles in allem waren, sind ganz ausgestor¬ ben; ihre Nachkommen nennen sich die unbetitelte Aristokratie is Englands, wetteifern an Bildung und feinem Benehmen, an Auf¬ wand und aristokratischem Wesen mit dem Adel, der wenig mehr vor ihnen voraushat, und haben mit ihren ungeschliffenen und derben Voreltern nur den Grundbesitz gemein. — Die dritte Klasse der Grundbesitzer waren die Yeomen, Eigentümer kleiner 20 Parzellen, die sie selbst bebauten, gewöhnlich auf die gute alte nachlässige Weise ihrer Vorfahren; auch diese Klasse ist aus England verschwunden, die soziale Revolution hat sie expropri¬ iert und das Kuriosum zustande gebracht, daß zu derselben Zeit, wo in Frankreich der große Grundbesitz gewaltsam parzelliert 25 wurde, in England die Parzellen von dem großen Grundbesitz attrahiert und verschlungen wurden. Neben den Yeomen standen kleine Pächter, die gewöhnlich außer ihrem Landbau noch Weberei betrieben; auch sie sind im heutigen England nicht mehr zu finden; fast alles Land ist jetzt in wenige und große Güter ge- 30 teilt und so verpachtet. Die Konkurrenz der großen Pächter schlug die kleinen Pächter und Yeomen aus dem Markt und verarmte sie; sie wurden Ackerbautaglöhner und vom Arbeitslohn abhängige Weber und lieferten die Massen, von deren Zufluß die Städte mit so wunderbarer Schnelligkeit zunahmen. 35 Die Bauern führten also seinerzeit ein stilles und geruhiges Leben in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit, lebten ohne viel Sor¬ gen, aber auch ohne Bewegung, ohne allgemeines Interesse, ohne Bildung, ohne geistige Tätigkeit; sie waren noch auf der vorge¬ schichtlichen Stufe. Die Lage der Städte war nicht viel anders. 40 Nur London war ein bedeutender Handelsplatz; Liverpool, Hull, Bristol, Manchester, Birmingham, Leeds, Glasgow waren noch nicht der Rede wert. Die Hauptindustriezweige, Spinnen und Weben, wurden meist auf dem Lande und wenigstens außerhalb der Städte, in der Umgegend, betrieben; die Anfertigung von Me¬ 35 Vorwärts also zu seiner Zeit
300 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 tall- und Töpferwaren stand noch auf der handwerksmäßigen Stufe der Entwickelung; was konnte also viel in den Städten ge¬ schehen? Die unübertreffliche Einfachheit des Wahlsystems über¬ hob die Bürger aller politischen Sorgefman war nominell Whig oder Tory, wußte aber sehr gut, daß das im Grunde gleichgültig sei, da man kein Stimmrecht hatte; kleine Kaufleute, Krämer und Handwerker machten die ganze Bürgerschaft aus und führten das bekannte, dem heutigen Engländer so ganz unbegreifliche Kleinstädterleben. Die Bergwerke wurden noch wenig benutzt; Eisen, Kupfer und Zinn lagen ziemlich ruhig in der Erde, und Kohlen wurden nur für häusliche Zwecke benutzt. Kurz, England war damals in einem Zustande, in dem sich, schlimm genug, der größte Teil Frankreichs und besonders Deutschlands noch be¬ findet, in einem Zustande vorsündflutlicher Apathie gegen alles allgemeine und geistige Interesse, in der sozialen Kindheit, in der es noch keine Gesellschaft, noch kein Leben, kein Bewußtsein, keine Tätigkeit gibt. Dieser Zustand ist de facto die Fortsetzung des Feudalismus und der mittelalterlichen Gedankenlosigkeit, und wird erst mit dem Auftreten des modernen Feudalismus, mit der Spaltung der Gesellschaft in Besitzer und Nichtbesitzer, über¬ wunden. Wir auf dem Kontinent, wie gesagt, stecken noch tief in diesem Zustande; die Engländer haben ihn seit achtzig Jahren be¬ kämpft und seit vierzig Jahren überwunden. Wenn die Zivilisa¬ tion eine Sache der Praxis, eine soziale Qualität ist, so sind die Engländer allerdings das zivilisierteste Volk der Welt. Ich sagte oben, die Wissenschaften hätten im achtzehnten Jahr¬ hundert ihre wissenschaftliche Form angenommen und infolge¬ dessen einerseits an die Philosophie, anderseits an die Praxis an¬ geknüpft. Das Resultat ihrer Anknüpfung an die Philosophie war der Materialismus (der ebensosehr Newton wie Locke zu seiner Voraussetzung hat), die Aufklärung, die französische politische Revolution. Das Resultat ihrer Anknüpfung an die Praxis war die englische soziale Revolution. 1760 kam Georg III. zur Regierung, trieb die Whigs, die seit Georg I. fast ununterbrochen im Ministerium gewesen waren, aber natürlich durchaus konservativ regiert hatten, heraus und legte die Basis zu dem bis 1830 dauernden Monopol der Tories. Die Re¬ gierung erhielt dadurch ihre innere Wahrheit wieder; in einer politisch konservativen Epoche Englands war es durchaus billig, daß die konservative Partei regieren sollte. Die soziale Bewegung absorbierte von nun an die Kräfte der Nation und drängte das politische Interesse zurück, ja zerstörte es; denn alle innere Poli¬ tik ist von nun an nur versteckter Sozialismus, die Form, die die sozialen Fragen annehmen, um in allgemeiner, nationaler Weise sich geltend machen zu können. 45 40 35 30 25 20 15 10 5
Die Lage Englands: Das achtzehnte Jahrhundert 301 1763 begann Dr. James Watt von Greenock, sich mit der Kon¬ struktion der Dampfmaschine zu beschäftigen und vollendete sie 1768. 1763 legte Josiah Wedgwood durch Einführung wissenschaft- 5 licher Prinzipien den Grund zur englischen Töpferei. Durch seine Bemühungen ist ein wüster Landstrich in Staffordshire in eine ge- werbfleißige Gegend — die Potteries — umgeschaffen, die jetzt 60000 Menschen beschäftigt und in der sozial-politischen Be¬ wegung der letzten Jahre eine sehr wichtige Rolle gespielt hat. io 1764 erfand James Hargreaves in Lancashire die spinning- jenny, eine Maschine, die von einem Arbeiter getrieben, ihn in¬ stand setzte, sechzehnmal mehr als auf dem alten Spinnrade zu spinnen. 1768 erfand Richard Arkwright, ein Barbier aus Preston in 15 Lancashire, die spinning-throstle, die erste Spinnmaschine, die von vornherein auf mechanische Triebkraft berechnet war. Sie produzierte water-twist, d. h. das beim Verweben als Kette ge¬ brauchte Garn. 1776 erfand Samuel Crompton in Bolton, Lancashire, die 20 spinning-mule durch eine Vereinigung der bei der Jenny und Throstle angewandten mechanischen Prinzipien. Die Mule, wie die Jenny, spinnt den Mule, Twist, d. h. den Einschlag des Webers; alle drei Maschinen sind für die Verarbeitung der Baumwolle bestimmt. 25 1787 erfand Dr. Cartwright den mechanischen Webstuhl, der indes noch mehrere Verbesserungen erlitt und erst 1801 praktisch angewendet werden konnte. Diese Erfindungen regten die soziale Bewegung an. Ihre nächste Folge war das Entstehen der englischen Industrie, und zwar zu- 30 erst der Baumwollenverarbeitung. Die Jenny hatte zwar die Er¬ zeugung des Garns billiger gemacht und durch die hieraus erfol¬ gende Erweiterung des Marktes der Industrie den ersten Anstoß gegeben; aber sie ließ die soziale Seite, die Art des Industrie¬ betriebs, ziemlich unberührt. Erst Arkwrights und Cromptons Ma¬ 35 schinen und Watts Dampfmaschine brachten die Bewegung in Gang, indem sie das Fabriksystem schufen. Kleinere, durch Pferde oder Wasserkraft getriebene Fabriken erstanden zuerst, wurden aber bald durch die größeren, mit Wasser oder Dampf getriebenen Fabriken verdrängt. Die erste Dampf Spinnerei wurde 1785 in 40 Nottinghamshire durch Watt angelegt; ihr folgten andere, und bald wurde das neue System allgemein. Die Ausdehnung der Dampf- spinnerei, wie alle anderen gleichzeitigen und späteren industriel¬ len Reformen, ging mit einer Ungeheuern Schnelligkeit vorwärts. Die Einfuhr roher Baumwolle, die 1770 noch unter fünf Millionen 45 Pfund jährlich war, stieg auf 54 Millionen Pfund (1800), und
300 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 tall- und Töpferwaren stand noch auf der handwerksmäßigen Stufe der Entwickelung; was konnte also viel in den Städten ge¬ schehen? Die unübertreffliche Einfachheit des Wahlsystems über¬ hob die Bürger aller politischen Sorge, man war nominell Whig oder Tory, wußte aber sehr gut, daß das im Grunde gleichgültig 5 sei, da man kein Stimmrecht hatte; kleine Kaufleute, Krämer und Handwerker machten die ganze Bürgerschaft aus und führten das bekannte, dem heutigen Engländer so ganz unbegreifliche Kleinstädterleben. Die Bergwerke wurden noch wenig benutzt; Eisen, Kupfer und Zinn lagen ziemlich ruhig in der Erde, und 10 Kohlen wurden nur für häusliche Zwecke benutzt. Kurz, England war damals in einem Zustande, in dem sich, schlimm genug, der größte Teil Frankreichs und besonders Deutschlands noch be¬ findet, in einem Zustande vorsündflutlicher Apathie gegen alles allgemeine und geistige Interesse, in der sozialen Kindheit, in der 15 es noch keine Gesellschaft, noch kein Leben, kein Bewußtsein, keine Tätigkeit gibt.) Dieser Zustand ist de facto die Fortsetzung des Feudalismus und der mittelalterlichen Gedankenlosigkeit, und wird erst mit dem Auftreten des modernen Feudalismus, mit der Spaltung der Gesellschaft in Besitzer und Nichtbesitzer, über- 20 wunden. Wir auf dem Kontinent, wie gesagt, stecken noch tief in diesem Zustande; die Engländer haben ihn seit achtzig Jahren be¬ kämpft und seit vierzig Jahren überwunden. Wenn die Zivilisa¬ tion eine Sache der Praxis, eine soziale Qualität ist, so sind die Engländer allerdings das zivilisierteste Volk der Welt. 25 Ich sagte oben, die Wissenschaften hätten im achtzehnten Jahr¬ hundert ihre wissenschaftliche Form angenommen und infolge¬ dessen einerseits an die Philosophie, anderseits an die Praxis an¬ geknüpft. Das Resultat ihrer Anknüpfung an die Philosophie war der Materialismus (der ebensosehr Newton wie Locke zu seiner 30 Voraussetzung hat), die Aufklärung, die französische politische Revolution. Das Resultat ihrer Anknüpfung an die Praxis war die englische soziale Revolution. 1760 kam Georg III. zur Regierung, trieb die Whigs, die seit Georg I. fast ununterbrochen im Ministerium gewesen waren, aber 35 natürlich durchaus konservativ regiert hatten, heraus und legte die Basis zu dem bis 1830 dauernden Monopol der Tories. Die Re¬ gierung erhielt dadurch ihre innere Wahrheit wieder; in einer politisch konservativen Epoche Englands war es durchaus billig, daß die konservative Partei regieren sollte. Die soziale Bewegung 40 absorbierte von nun an die Kräfte der Nation und drängte das politische Interesse zurück, ja zerstörte es; denn alle innere Poli¬ tik ist von nun an nur versteckter Sozialismus, die Form, die die sozialen Fragen annehmen, um in allgemeiner, nationaler Weise sich geltend machen zu können. 45
Die Lage Englands: Das achtzehnte Jahrhundert 301 1763 begann Dr. James Watt von Greenock, sich mit der Kon¬ struktion der Dampfmaschine zu beschäftigen und vollendete sie 1768. 1763 legte Josiah Wedgwood durch Einführung wissenschaft- 5 licher Prinzipien den Grund zur englischen Töpferei. Durch seine Bemühungen ist ein wüster Landstrich in Staffordshire in eine ge- werbfleißige Gegend — die Potteries — umgeschaffen, die jetzt 60 000 Menschen beschäftigt und in der sozial-politischen Be¬ wegung der letzten Jahre eine sehr wichtige Rolle gespielt hat. io 1764 erfand James Hargreaves in Lancashire die spinning- jenny, eine Maschine, die von einem Arbeiter getrieben, ihn in¬ stand setzte, sechzehnmal mehr als auf dem alten Spinnrade zu spinnen. 1768 erfand Richard Arkwright, ein Barbier aus Preston in 15 Lancashire, die spinning-throstle, die erste Spinnmaschine, die von vornherein auf mechanische Triebkraft berechnet war. Sie produzierte water-twist, d. h. das beim Verweben als Kette ge¬ brauchte Garn. 1776 erfand Samuel Crompton in Bolton, Lancashire, die 20 spinning-mule durch eine Vereinigung der bei der Jenny und Throstle angewandten mechanischen Prinzipien. Die Mule, wie die Jenny, spinnt den Mule, Twist, d. h. den Einschlag des Webers; alle drei Maschinen sind für die Verarbeitung der Baumwolle bestimmt. 25 1787 erfand Dr. Cartwright den mechanischen Webstuhl, der indes noch mehrere Verbesserungen erlitt und erst 1801 praktisch angewendet werden konnte. Diese Erfindungen regten die soziale Bewegung an. Ihre nächste Folge war das Entstehen der englischen Industrie, und zwar zu- 30 erst der Baumwollen Verarbeitung. Die Jenny hatte zwar die Er¬ zeugung des Garns billiger gemacht und durch die hieraus erfol¬ gende Erweiterung des Marktes der Industrie den ersten Anstoß gegeben; aber sie ließ die soziale Seite, die Art des Industrie¬ betriebs, ziemlich unberührt. Erst Arkwrights und Cromptons Ma¬ as schinen und Watts Dampfmaschine brachten die Bewegung in Gang, indem sie das Fabriksystem schufen. Kleinere, durch Pferde oder Wasserkraft getriebene Fabriken erstanden zuerst, wurden aber bald durch die größeren, mit Wasser oder Dampf getriebenen Fabriken verdrängt. Die erste Dampfspinnerei wurde 1785 in 40 Nottinghamshire durch Watt angelegt; ihr folgten andere, und bald wurde das neue System allgemein. Die Ausdehnung der Dampf¬ spinnerei, wie alle anderen gleichzeitigen und späteren industriel¬ len Reformen, ging mit einer Ungeheuern Schnelligkeit vorwärts. Die Einfuhr roher Baumwolle, die 1770 noch unter fünf Millionen 45 Pfund jährlich war, stieg auf 54 Millionen Pfund (1800), und
302 Aus dem Panser Vorwärts 1844 1836 auf 360 Millionen Pfund. Jetzt kam der Dampfwebstuhl zur praktischen Anwendung und gab dem industriellen Fortschritt neuen Impuls; sämtliche Maschinen erfuhren unzählbare kleine, aber in ihrer Summe sehr bedeutende Verbesserungen, und jede neue Verbesserung hatte günstigen Einfluß auf die Ausdehnung 5 des ganzen industriellen Systems. Alle Zweige der Baumwollen¬ industrie wurden revolutioniert; die Druckerei wurde durch An¬ wendung mechanischer Hilfen und zugleich mit der Färberei und Bleicherei durch den Fortschritt der Chemie unendlich gehoben; die Fabrikation von Strumpfwaren wurde mit in den Strom ge-10 rissen; seit 1809 wurden feine Baumwollsachen, Tüll, Spitzen usw. mit Maschinen gemacht. Mir fehlt hier der Raum, den Fortschritt der Baumwollenfabrikation durch die Details seiner Geschichte zu verfolgen; ich kann nur das Resultat geben, und das wird, der vorsündflutlichen Industrie mit ihren 4 Millionen Pfund Baum-15 wolleneinfuhr, mit ihrem Spinnrade, Handkratze und Handweb¬ stuhl gegenüber, seinen Eindruck nicht verfehlen. 1833 wurden im britischen Reich 10 264 Millionen Stränge Garn gesponnen, deren Länge über 5000 Millionen Meilen beträgt, 350 Millionen Ellen Baumwollengewebe gedruckt; 1300 Baum- 20 wollenfabriken waren in Arbeit, in denen 237 000 Spinner und Weber arbeiteten; über 9 Millionen Spindeln, 100 000 Dampf- und 240000 Handwebstühle, 33 000 Strumpfwebstühle und 3500 Bobbinetmaschinen waren in Arbeit; 33 000 Pferdekraft Dampf, 11 000 Pferdekraft Wasser trieben Maschinen zur Ver-25 arbeitung von Baumwolle, und anderthalb Millionen Menschen lebten direkt oder indirekt von diesem Industriezweige. Lanca¬ shire nährt sich allein, Lanarkshire großenteils vom Spinnen und Weben der Baumwolle; Nottinghamshire, Derbyshire und Lei- cestershire sind die Hauptsitze der untergeordneten Zweige der 30 Baumwollen-Industrie. Die Quantität der ausgeführten Baum- wollen-Waren hat sich seit 1801 verachtfacht; die Masse der im Lande selbst verbrauchten ist noch viel mehr gestiegen. [Vorwärts! 7. Sept. 1844. Nr. 72] Der der Baumwollenfabrikation gegebene Anstoß teilte sich 35 bald den übrigen Industriezweigen mit. Die Wollen industrie war bis dahin der Haupterwerbszweig gewesen; sie wurde jetzt von der Baumwolle zurückgedrängt, aber statt abzunehmen, dehnte sie sich ebenfalls aus. 1785 lag die ganze in drei Jahren gesammelte Wolle unverarbeitet da; die Spinner konnten sie nicht aufarbeiten, 40 solange sie bei ihrem unbeholfenen Spinnrad blieben. Da fing man an, die Baumwollspinnmaschinen auf Wolle anzuwenden, was nach einigen Veränderungen vollkommen gelang, und nun er-
Die Lage Englands: Das achtzehnte Jahrhundert 303 fuhr die Wollenindustrie dieselbe rasche Ausdehnung, die wir schon bei der Baumwollenfabrikation gesehen haben. Die Einfuhr roher Wolle stieg von 7 Millionen Pfund (1801) auf 42 Millionen Pfund (1835); in letzterem Jahre waren 1300 Wollenfabriken 5 mit 71 300 Arbeitern in Tätigkeit, ungerechnet einer Masse von Handwebem, die zu Hause arbeiten, und Druckern, Färbern, Bleichem etc. etc., die ebenfalls indirekt von der Wollen Verarbei¬ tung leben. Die Hauptsitze dieses Industriezweiges sind das West- Riding von Yorkshire und der „Westen von England“ (besonders 10 Somersetshire, Wiltshire etc.). Die L e i n e n industrie hatte früher ihren Hauptsitz in Irland. Gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts wurden die ersten Fa¬ briken zur Verarbeitung des Flachses, und zwar in Schottland errichtet. Die Maschinerie war indes noch sehr unvollkommen; 15 das Material legte Schwierigkeiten in den Weg, die bedeutende Modifikationen der Maschinen erforderten. Der Franzose Girard (1810) vervollkommnete sie zuerst; aber erst in England wurden diese Verbesserungen praktisch wichtig. Die Anwendung des Dampfwebstuhls auf Leinen wurde noch später durchgeführt; und 20 von jetzt an hob sich die Leinenfabrikation, obwohl sie von der Konkurrenz der Baumwolle zu leiden hatte, mit ungeheurer Schnelligkeit. In England wurde Leeds, in Schottland Dundee, in Irland Belfast ihr Zentralpunkt. Dundee allein importierte 1814: 3000, 1834: 19000 Tons Flachs. Die Leinenausfuhr Irlands, wo 25 sich die Handweberei noch neben der Dampfweberei gehalten hat, stieg von 1800 bis 1825 um 20 Millionen Yards, die fast alle nach England gingen und von da aus teilweise wieder ausgeführt wur¬ den ; die Ausfuhr des ganzen britischen Reichs nach fremden Län¬ dern stieg von 1820 bis 1833 um 27 Millionen Yards; 1835 waren 30 347 Flachsfabriken in Arbeit, von denen 170 in Schottland; in diesen Fabriken waren 33 000 Arbeiter beschäftigt, ungerechnet die vielen irischen Handwerker. Die S e i d e n industrie wurde erst seit 1824 durch die Ab¬ schaffung der drückenden Zölle wichtig; seitdem hat sich die Ein- 35 fuhr roher Seide verdoppelt und die Zahl der Fabriken auf 266 mit 30000 Arbeitern vermehrt. Der Hauptsitz dieses Industrie¬ zweiges ist Cheshire (Macclesfield, Congleton und Umgegend), dann Manchester, und in Schottland Paisley. Der Sitz der Band¬ wirkerei ist Coventry in Warwickshire. 40 Diese vier Industriezweige, die Anfertigung von Garn und Ge¬ weben, wurden so total revolutioniert. An die Stelle der häuslichen Arbeit trat die gemeinschaftliche Arbeit in großen Gebäuden; die Handarbeit wurde durch die Triebkraft des Dampfs und die Tätig¬ keit der Maschinen ersetzt. Mit Hilfe der Maschine tat jetzt ein Kind 45 von acht Jahren mehr als früher zwanzig erwachsene Männer;
304 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 sechshunderttausend Fabrikarbeiter, von denen die Hälfte Kinder und mehr als die Hälfte weiblichen Geschlechts, tun die Arbeit von hundertfünfzig Millionen Menschen. Dies ist aber nur der Anfang der industriellen Umwälzung. Wir haben gesehen, wie Färben, Drucken und Bleichen durch den Fort- 5 schritt des Spinnens und Webens ausgedehnt wurden und infolge¬ dessen sich bei der Mechanik und Chemie Hilfe holten. Seit der Anwendung der Dampfmaschine und der metallnen Zylinder beim Drucken tut ein Mann die Arbeit von zweihundert; durch die Be¬ nutzung des Chlors statt des Sauerstoffs beim Bleichen ist die Zeit 10 der Operation von ein paar Monaten auf ein paar Stunden redu¬ ziert. Dehnte sich so der Einfluß der industriellen Revolution auf die Prozesse aus, die nach dem Spinnen und Weben mit dem Produkt vorgenommen werden, so war die Rückwirkung auf das Material der neuen Industrie noch viel bedeutender. Die Dampf- 15 maschine gab den unerschöpflichen Kohlenlagern, die sich unter der Oberfläche Englands hinziehen, erst ihren Wert; neue Kohlen¬ bergwerke wurden in Masse eröffnet und die alten mit doppelter Energie bearbeitet. Die Anfertigung der Spinnmaschinen und Werkstühle fing auch an, einen eignen Industriezweig zu bilden 20 und wurde zu einer von keiner andern Nation erreichten Voll¬ kommenheit gesteigert. Die Maschinen wurden durch Maschinen gemacht, und durch eine bis ins Einzelnste gehende Teilung der Arbeit wurde die Präzision und Genauigkeit erreicht, die den Vor¬ zug der englischen Maschinen ausmacht. Die Maschinenfabrikation 25 wirkte wieder auf die Eisen- und Kupfergewinnung zurück, die indes ihren Hauptanstoß von einer andern Seite her, aber immer noch durch den anfänglichen, von Watt und Arkwright bewirkten Umschwung erhielt. Die Folgen des einmal gegebenen industriellen Anstoßes sind 30 endlos. Die Bewegung eines Industriezweiges teilt sich allen andern mit. Die neugeschaffnen Kräfte verlangen Nahrung, wie wir eben gesehen haben; die neugeschaffne arbeitende Bevölkerung bringt neue Lebensverhältnisse und neue Bedürfnisse mit. Die mechani¬ schen Vorteile der Fabrikation verringern den Preis des Fabri- 35 kats, machen also die Lebensbedürfnisse und infolgedessen den Arbeitslohn überhaupt wohlfeiler; alle andern Produkte können wohlfeiler verkauft werden und erlangen dadurch einen im Ver¬ hältnisse ihrer Wohlfeilheit ausgedehnteren Markt. Das Beispiel der vorteilhaft angewendeten mechanischen Hilfsmittel einmal ge- 40 geben, wird allmählich in allen Industriezweigen nachgeahmt, die Steigerung der Zivilisation, die die unfehlbare Folge aller indu- 20 Werkstühle anscheinend Druckfehler für Webstühle oder Wirkstühle 28 Vorwärts vor Watt
Die Lage Englands: Das achtzehnte Jahrhundert 305 striellen Verbesserungen ist, schafft neue Bedürfnisse, neue Fa¬ brikationszweige und dadurch wieder neue Verbesserungen. Die Folge der revolutionierten Baumwollspinnerei mußte eine Revo¬ lution der gesamten Industrie sein; und wenn wir die Mitteilung 5 der bewegenden Kraft an die entfernteren Zweige des industriel¬ len Systems nicht immer verfolgen können, so ist daran nur der Mangel der statistischen und historischen Data schuld. Wir wer¬ den aber überall sehen, daß die Einführung mechanischer Hilfs¬ mittel und überhaupt wissenschaftlicher Prinzipien die Triebfeder 10 des Fortschritts war. Die Metallverarbeitung ist nach dem Spinnen und Weben der Hauptindustriezweig Englands. Warwickshire (Birmingham) und Staffordshire (Wolverhampton) sind die Hauptsitze des¬ selben. Die Dampfkraft wurde sehr bald zu Hilfe genommen, und 15 hierdurch, sowie durch Teilung der Arbeit, die Produktionskosten der Metallwaren um drei Viertel reduziert. Dafür vervierfachte sich die Ausfuhr von 1800 bis 1835. In ersterem Jahre wurden 86 000 Zentner Eisen- und ebensoviel Kupferwaren exportiert, in letzterm 320 000 Zentner Eisen- und 210 000 Zentner Kupfer¬ 20 und Messingwaren. Die Ausfuhr von Stangen- und Gußeisen wurde auch erst jetzt bedeutend; 1800 wurden 4600 Tons Stangeneisen, 1835 92 000 Tons Stangen- und 14 000 Tons Gußeisen ausgeführt. Die englischen Messerwaren werden alle in Sheffield gemacht. Die Benutzung der Dampfkraft, namentlich zum Schleifen und 25 Polieren der Klingen, die Verwandlung von Eisen in Stahl, die erst jetzt wichtig wurde, und die neuerfundene Methode, Stahl zu gießen, bewirkten auch hier eine vollständige Revolution. Shef¬ field allein verbraucht jährlich 500 000 Tons Kohlen und 12 000 Tons Eisen, von denen 10000 Tons ausländisches (besonders .30 schwedisches). Der Verbrauch gußeiserner Waren datiert auch seit der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und ist erst in den letzten Jahren zu der Bedeutung gestiegen, die er jetzt hat. Die Gasbeleuchtung (seit 1804 praktisch eingeführt) schuf einen ungeheueren Bedarf 35 für gußeiserne Röhren: die Eisenbahnen, Kettenbrücken usw., die Maschinerie usw. steigerten diesen Bedarf noch mehr. 1780 wurde das Puddeln, d. h. die Verwandlung des Gußeisens in schmiedbares Eisen durch Hitze und Entziehung des Kohlenstoffs erfunden, und dies gab den englischen Eisenbergwerken neue Be- 40 deutung. Wegen Mangels an Holzkohlen hatten die Engländer bis dahin alles Schmiedeeisen von außen beziehen müssen. Seit 1790 wurden Nägel, seit 1810 Schrauben durch Maschinen ge¬ macht; 1760 erfand Huntsman in Sheffield das Stahlgießen; Draht wurde durch Maschinerie gezogen, und überhaupt in die 45 ganze Eisen- und Messing-Industrie eine Masse neuer Maschinen Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 20
306 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 eingeführt, die Handarbeit verdrängt, und soviel die Natur der Sache es zuließ, das Fabriksystem durchgesetzt. Die Ausdehnung der Bergwerke war nur die notwendige Folge hiervon. Bis 1788 war alles Eisenerz mit Holzkohle geschmolzen worden und die Eisengewinnung daher durch die geringe Quan¬ 5 tität des Brennmaterials beschränkt. Seit 1788 fing man an, Koks (geschwefelte Kohlen) statt der Holzkohlen anzuwenden und ver¬ sechsfachte dadurch in sechs Jahren das Quantum der jährlichen Gewinnung. 1740 wurden jährlich 17 000 Tons, 1835 wurden 553 000 Tons gewonnen. Die Ausbeute der Zinn- und Kupfer-10 minen verdreifachte sich seit 1770. Aber neben den Eisenminen sind die Kohlengruben die wichtigsten Bergwerke Englands. Die Ausdehnung der Kohlengewinnung seit der Mitte des vorigen Jahr¬ hunderts ist gar nicht zu berechnen. Die Masse der Kohlen, die jetzt von den zahllosen in Fabriken und Bergwerken tätigen 15 Dampfmaschinen, von den Schmiedeessen, von den Schmelzöfen und Gießereien und von der Privatheizung einer verdoppelten Bevölkerung verbraucht wird, steht mit dem vor hundert oder achtzig Jahren verbrauchten Quantum in gar keinem Verhältnis. Die Schmelzung des Roheisens allein verzehrt jährlich über drei 20 Millionen Tons (zu zwanzig Zentner die Tons). Die Schöpfung der Industrie hatte zur nächsten Folge die Ver¬ besserung der Kommunikationsmittel. Die Straßen waren im vorigen Jahrhundert in England ebenso schlecht wie anderswo und blieben es auch, bis der berühmte MacAdam den Straßen- 25 bau auf wissenschaftliche Prinzipien reduzierte und dadurch dem Fortschritt der Zivilisation einen neuen Anstoß gab. Von 1818 bis 1829 wurden in England und Wales neue Chausseen von einer Gesamtlänge von 1000 engl. Meilen, ungerechnet die kleineren Feldwege, angelegt und fast alle alten nach MacAdams Prinzipien 30 erneuert. In Schottland legte die Behörde der öffentlichen Arbeiten seit 1803 über 1000 Brücken an; in Irland wurden die weiten Moorwüsten des Südens, in denen ein halbwildes Räubergeschlecht wohnte, von Straßen durchschnitten. Hierdurch wurden alle Winkel des Landes, die bisher außer aller Verbindung mit der Welt gestan¬ 35 den hatten, zugänglich gemacht; namentlich die keltisch-redenden Bezirke Wales, die schottischen Hochlande und der Süden von Ir¬ land wurden dadurch gezwungen, sich mit der Außenwelt bekannt zu machen und die ihnen aufgedrängte Zivilisation anzunehmen. 1755 wurde der erste erwähnenswerte Kanal in Lancashire an- 40 gelegt; 1759 fing der Herzog von Bridgewater seinen Kanal von Worsley nach Manchester an. Seitdem sind Kanäle von einer Ge¬ samtlänge von 2200 Meilen erbaut worden; außer ihnen besitzt England noch 1800 Meilen schiffbarer Flüsse, deren größter Teil auch erst in der letzten Zeit nutzbar gemacht worden ist.
Die Lage Englands: Das achtzehnte Jahrhundert 307 Seit 1807 wurde die Dampfkraft zur Forttreibung von Schiffen angewandt, und seit dem ersten britischen Dampfschiff (1811) wurden 600 andre erbaut. 1835 waren an 550 Dampfschiffe in britischen Häfen in Tätigkeit. Die erste öffentliche Eisenbahn wurde 1801 in Surrey gebaut; aber erst mit der Eröffnung der Liverpool-Manchester Eisenbahn (1830) wurde das neue Kommunikationsmittel bedeutend. Sechs Jahre später waren 680 engl. Meilen Eisenbahnen eröffnet und vier große Linien, von London nach Birmingham, Bristol und Southampton, und von Birmingham nach Manchester und Liver¬ pool, in Arbeit. Seitdem wurde das Netz über ganz England aus¬ gedehnt; London ist der Knotenpunkt für neun, Manchester für fünf Eisenbahnen. Diese, Revolutionierung der englischen Industrie ist die Basis aller modernen englischen Verhältnisse, die treibende Kraft der ganzen sozialen Bewegung. Ihre erste Folge war die schon oben angedeutete Erhebung des Interesses zur Herrschaft über den Menschen. Das Interesse bemächtigte sich der neugeschaffnen industriellen Kräfte und beutete sie zu seinen Zwecken aus; diese von Rechts wegen der Menschheit gehörenden Kräfte wurden durch die Einwirkung des Privateigentums das Monopol weniger reicher Kapitalisten und das Mittel zur Knechtung der Masse, Der Handel nahm die Industrie in sich auf und wurde dadurch allmächtig, wurde das Band der Menschheit; aller persönliche und nationale Verkehr löste sich in Handelsverkehr auf, und, was dasselbe ist, das Eigentum, die Sache, wurde zum Herrn der Welt erhoben. [Vorwärts! 11. Sept. 1844. Nr. 73] DieHerrschaft des Eigentums mußte sich notwendig zuerst gegen den Staat wenden und diesen auflösen, oder wenigstens, da es ihn nicht entbehren kann, aushöhlen. Adam Smith begann diese Aus¬ höhlung gleichzeitig mit derjndustriellen Revolution, indem er 1776 seine Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Nationalreichtums herausgab und dadurch die Finanzwissenschaft schuf. Alle bisherige Finanzwissenschaft war exklusiv national ge¬ wesen; die Staatswirtschaft war als ein bloßer Zweig des ganzen Staatswesens angesehen, dem Staat als solchen untergeordnet wor¬ den; Adam Smith machte den Kosmopolitismus den nationalen Zwecken untertan und erhob die Staatswirtschaft zum Wesen und Zweck des Staats. Er reduzierte die Politik, die Parteien, die Reli- 40 *) Die obigen statistischen Details sind größtenteils dem Progress of the Nation, von G. Porter, einem Beamten der Board of Trade unter dem Whigministerium, also offiziellen Quellen entlehnt. 20* 35 30 25 20 15 10 5
308 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 gion, alles auf ökonomische Kategorien und erkannte dadurch das Eigentum als das Wesen, die Bereicherung als den Zweck des Staats an. Auf der andern Seite stützte William Godwin (Poli¬ tical Justice, 1793) das republikanische System der Politik, stellte zu gleicher Zeit mit J. Bentham das Utilitätsprinzip auf, wodurch 5 das republikanische Salus publica suprema lex zu seinen legi¬ timen Konsequenzen gebracht wurde, und griff das Wesen des Staats selbst durch seinen Satz, daß der Staat ein Übel ist, an. Godwin faßt das Utilitätsprinzip noch ganz allgemein als die Pflicht des Bürgers, mit Vernachlässigung des individuellen Inter-10 esses nur dem allgemeinen Besten zu leben; Bentham dagegen führt die wesentlich soziale Natur dieses Prinzips weiter aus, in¬ dem er, in Übereinstimmung mit der gleichzeitigen Nationalrich¬ tung, das Einzelinteresse zur Basis des allgemeinen machte, die Identität beider in dem besonders von seinem Schüler Mill ent- is wickelten Satze: daß Menschenliebe nichts anders ist als aufge¬ klärter Egoismus, anerkennt und dem „Allgemeinen Besten“ die größte Glückseligkeit der größten Zahl substituiert. Bentham be¬ geht hier in seiner Empirie denselben Fehler, den Hegel in der Theorie begangen hat; er macht nicht Ernst mit der Überwindung 20 der Gegensätze, er macht das Subjekt zum Prädikat, das Ganze dem Teil untertan und stellt dadurch alles auf den Kopf. Erst spricht er von der Untrennbarkeit des allgemeinen und einzelnen Interesses, und nachher bleibt er einseitig beim krassen Einzel¬ interesse stehen; sein Satz ist nur der empirische Ausdruck des 25 andern, daß der Mensch die Menschheit ist, aber weil er empirisch ausgedrückt ist, gibt er nicht dem freien, selbstbewußten und selbstschaffenden, sondern dem rohen, blinden, in den Gegen¬ sätzen befangenen Menschen die Rechte der Gattung. Er macht die freie Konkurrenz zum Wesen der Sittlichkeit, reguliert die Be- 30 Ziehungen der Menschheit nach den Gesetzen des Eigentums, der Sache, nach Naturgesetzen, und ist so die Vollendung des alten, christlichen, naturwüchsigen Weltzustandes, die höchste Spitze der Veräußerung, aber nicht der Anfang des neuen, durch den selbst¬ bewußten Menschen mit voller Freiheit zu schaffenden Zustandes. 35 Er geht nicht über den Staat hinaus, aber er nimmt ihm allen Ge¬ halt, ersetzt die politischen Prinzipien durch soziale, macht die politische Organisation zur Form des sozialen Inhalts und bringt dadurch den Widerspruch auf die höchste Spitze. Zu gleicher Zeit mit der industriellen Revolution entstand die de- 40 mokratische Partei. 1769 stiftete J. Horne Tooke die Society of the Bill of Rights, in der zuerst wieder seit der Republik demo¬ kratische Prinzipien diskutiert wurden. Wie in Frankreich waren die Demokraten lauter philosophisch gebildete Männer, aber sie fanden bald, daß die höheren und Mittelklassen ihnen entgegen- 45
Die Lage Englands: Das achtzehnte Jahrhundert 309 standen und nur die arbeitende Klasse ihren Grundsätzen ein offnes Ohr lieh. Unter dieser fanden sie bald eine Partei, und diese Partei war 1794 schon ziemlich stark, aber immer noch nicht stark genug, um anders als stoßweise wirken zu können. Von 1797 5 bis 1816 war von ihr keine Rede; in den bewegten Jahren von 1816 bis 1823 war sie wieder sehr tätig, sank aber dann bis zur Julirevolution wieder in Untätigkeit zurück. Von da an hat sie ihre Bedeutung neben den alten Parteien behalten und ist in einem regelmäßigen Fortschritt begriffen, wie wir dies später sehen 10 werden. Das wichtigste Resultat des achtzehnten Jahrhunderts war für England die Schöpfung des Proletariats durch die industrielle Revolution. Die neue Industrie erforderte eine stets fertige Masse von Arbeitern für die zahllosen neuen Zweige der Arbeit, und 15 zwar Arbeiter, wie sie bisher nicht dagewesen waren. Bis 1780 hatte England wenig Proletarier, wie dies notwendig aus der oben dargestellten sozialen Lage der Nation hervorgeht. Die Industrie konzentrierte die Arbeit auf Fabriken und Städte; die Vereinigung der gewerblichen und ackerbauenden Tätigkeit wurde unmöglich 20 gemacht und die neue Arbeiterklasse rein auf ihre Arbeit ange¬ wiesen. Die bisherige Ausnahme wurde Regel und breitete sich allmählich auch außerhalb der Städte aus. Die Parzellenkultur des Landes wurde durch die großen Pächter verdrängt und da¬ durch eine neue Klasse von Ackerbautaglöhnern geschaffen. Die 25 Städte verdreifachten und vervierfachten ihre Bevölkerung, und fast all dieser Zuwuchs bestand aus bloßen Arbeitern. Die Aus¬ dehnung des Bergbaues erforderte ebenfalls eine große Zahl neuer Arbeiter, und auch diese lebten bloß von ihrem Taglohn. Auf der andern Seite erhob sich die Mittelklasse zur entschie¬ 30 denen Aristokratie. Die Fabrikanten vervielfachten in der indu¬ striellen Bewegung ihr Kapital auf eine wunderbar schnelle Weise; die Kaufleute bekamen ebenfalls ihr Teil, und das durch diese Revolution geschaffene Kapital war das Mittel, mit dem die englische Aristokratie die französische Revolution bekämpfte. 35 Das Resultat der ganzen Bewegung war das, daß England jetzt in drei Parteien gespalten ist, in die Landaristokratie, die Geld¬ aristokratie und die arbeitende Demokratie. Diese sind die ein¬ zigen Parteien in England, die einzigen Triebfedern, die hier wirken, und w i e sie wirken, werden wir vielleicht in einem 40 spätem Artikel darzustellen versuchen. 2 Vorwärts Unter diesen
DIE LAGE ENGLANDS II Die englische Konstitution [Vorwärts! 18. Sept. 1844. Nr. 75] Im vorigen Artikel sind die Prinzipien entwickelt worden, nach 5 denen die gegenwärtige Stellung des britischen Reichs in der Ge¬ schichte der Zivilisation zu beurteilen ist, sowie die nötigen Data über die Entwicklung der englischen Nation gegeben worden, so¬ weit sie zu diesem Zwecke unumgänglich, aber auf dem Kontinent weniger bekannt sind; wir können somit, nach Begründung unsrer 10 Voraussetzungen, ohne weiteres auf unsem Gegenstand selbst losgehen. Die Lage Englands hat bisher allen übrigen Völkern Europas beneidenswert geschienen und ist es auch für jeden, der auf der Oberfläche sich herumtreibt und bloß mit dem Auge des Politikers 15 sieht. England ist ein Weltreich in dem Sinne, wie ein solches heutzutage bestehen kann, und wie im Grunde alle andern Welt¬ reiche auch gewesen sind; denn auch Alexanders und Cäsars Reich war wie das englische eine Herrschaft zivilisierter Völker über Barbaren und Kolonien. Kein andres Land der Welt kann sich an 20 Macht und Reichtum mit England messen, und diese Macht und dieser Reichtum liegen nicht wie in Rom in der Hand eines ein¬ zelnen Despoten, sondern gehören dem gebildeten Teil der Nation. Die Furcht vor dem Despotismus, der Kampf gegen die Macht der Krone, existieren in England seit hundert Jahren nicht mehr; 25 England ist unleugbar das freiste, d. h. am wenigsten unfreie Land der Welt, Nordamerika nicht ausgenommen, und infolge¬ dessen hat der gebildete Engländer einen Grad angebomer Unab¬ hängigkeit an sich, dessen kein Franzose, geschweige denn ein Deutscher, sich rühmen kann. Die politische Tätigkeit, die freie 30 Presse, die Seeherrschaft und die riesenhafte Industrie Englands haben die dem Nationalcharakter inwohnende Energie, die ent¬ schlossenste Tatkraft neben der ruhigsten Überlegung, so vollstän¬ dig fast in jedem Individuum entwickelt, daß auch hierin die kon- 23 Vorwärts sondern gehört
Die Lage Englands: Die englische Konstitution 311 tinentalen Völker unendlich weit hinter den Engländern zurück¬ stehen. Die Geschichte der englischen Armee und Flotte ist eine Reihe glänzender Siege, während England seit achthundert Jahren kaum einen Feind an seinen Küsten gesehen hat; der Literatur 5 kann nur von der altgriechischen und deutschen der Rang streitig gemacht werden, in der Philosophie hat England wenigstens zwei — Bacon und Locke —, in den empirischen Wissenschaften un¬ zählbare große Namen aufzuweisen, und wenn es sich darum han¬ delt, welches Volk am meisten getan hat, so darf kein Mensch 10 leugnen, daß die Engländer dies Volk sind. Das sind die Dinge, deren England sich rühmen kann, die es vor den Deutschen und Franzosen voraus hat, und die ich hier von vornherein aufgezählt habe, damit die guten Deutschen gleich anfangs von meiner „Unparteilichkeit46 sich überzeugen können; 15 denn ich weiß sehr wohl, daß man in Deutschland viel eher von den Deutschen als von irgend einer andern Nation rücksichtslos sprechen darf. Und diese eben auf gezählten Dinge bilden mehr oder weniger das Thema der ganzen bändereichen und doch höchst unfruchtbaren und überflüssigen Literatur, die auf dem Kontinent 20 über England zusammengeschrieben worden ist. In das Wesen der englischen Geschichte und des englischen Nationalcharakters einzugehen, ist niemand eingefallen, und wie jämmerlich die ganze Literatur über England ist, geht schon aus dem einfachen Faktum hervor, daß das jämmerliche Buch des Herrn von Raumer, 25 soviel ich weiß, in Deutschland noch für das beste über den Gegenstand gilt. Fangen wir, da man bisher England nur von der politischen Seite betrachtet hat, mit dieser an. Prüfen wir die englische Kon¬ stitution, die, nach dem Ausdruck des Tory, „das vollkommenste 30 Produkt der englischen Vernunft66 ist, und verfahren wir, um dem Politiker noch einen Gefallen zu tun, vorderhand ganz empi¬ risch. Das Juste-Milieu findet die englische Verfassung besonders darin schön, daß sie sich „historisch66 entwickelt hat; d. h. auf 35 deutsch, daß man die alte, durch die Revolution von 1688 ge¬ schaffene Grundlage beibehalten und auf diesem Fundament, wie sie’s nennen, weiter gebaut hat. Wir werden schon sehen, welchen Charakter die englische Verfassung dadurch bekommen hat; vor¬ läufig genügt die einfache Vergleichung des Engländers von 1688 40 mit dem Engländer von 1844, um zu beweisen, daß ein gleiches, konstitutionelles Fundament für beide ein Unding, eine Unmög¬ lichkeit ist. Selbst von dem allgemeinen Fortschritt der Zivilisa¬ tion abgesehen, so ist schon der politische Charakter der Nation ein ganz andrer als damals. Die Test-Akte, die Habeas-Corpus- 45 Akte, die Bill of Rights waren Whigmaßregeln, die aus der
312 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 Schwäche und Überwindung der damaligen Tories hervorgingen und gegen diese Tories, d. h. gegen die absolute Monarchie und den offnen oder verborgenen Katholizismus gerichtet waren. Aber schon in den nächsten fünfzig Jahren verschwanden die alten Tories, und ihre Nachkommen nahmen die Prinzipien an, die bis- ; her das Eigentum der Whigs gewesen waren; seit der Thronbestei¬ gung Georgs I. gingen die monarchisch-katholischen Tories in eine aristokratisch-hochkirchliche Partei über, und seit der französi¬ schen Revolution, die sie erst zum Bewußtsein brachte, verflüch¬ tigten sich die positiven Satzungen des Torysmus immer mehr zu 10 der Abstraktion des „Konservatismus66, der nackten, gedanken¬ losen Verteidigung des Bestehenden — ja selbst diese Stufe ist schon überschritten, in Sir Robert Peel hat sich der Torysmus zur Anerkennung der Bewegung entschlossen, hat die Unhaltbarkeit der englischen Konstitution eingesehen und kapituliert nur noch, 75 um das verrottete Machwerk solange zu halten wie möglich. — Die Whigs haben eine ebenso wichtige Entwicklung durch¬ gemacht, eine neue, demokratische Partei ist entstanden, und doch soll das Fundament von 1688 noch breit genug sein für 1844! Die notwendige Folge dieser „historischen Entwicklung66 ist nun, daß 20 die innem Widersprüche, die das Wesen der konstitutionellen Monarchie ausmachen, und die schon zu der Zeit, als die neuere deutsche Philosophie noch den republikanischen Standpunkt ein¬ nahm, hinreichend aufgedeckt worden sind — daß diese Wider¬ sprüche in der modernen englischen Monarchie ihre Spitze er- 25 reichen. In der Tat, die englische konstitutionelle Monarchie ist die Vollendung der konstitutionellen Monarchie überhaupt, ist der einzige Staat, in dem, soweit dies jetzt noch möglich, eine wirk¬ liche Adelsaristokratie ihren Platz neben einem verhältnis¬ mäßig sehr entwickelten Volksbewußtsein, ihre Stelle behauptet 30 hat, und in dem daher die auf dem Kontinent künstlich wieder¬ hergestellte und mühsam aufrechterhaltene Dreieinigkeit der ge¬ setzgebenden Gewalt wirklich existiert. Wenn das Wesen des Staats, wie der Religion, die Angst der Menschheit vor sich selber ist, so erreicht diese Angst in der kon- 33 stitutionellen und namentlich der englischen Monarchie ihren höchsten Grad. Die Erfahrung dreier Jahrtausende hat die Men¬ schen nicht klüger, sondern im Gegenteil verwirrter, befangener, hat sie wahnsinnig gemacht, und das Resultat dieses Wahnsinnes ist der politische Zustand des heutigen Europas. Die reine Mon- 40 archie erregt Schrecken — man denkt an den orientalischen und römischen Despotismus. Die reine Aristokratie ist nicht weniger furchtbar — die römischen Patrizier und der mittelalterliche Feu¬ dalismus, die venezianischen und genuesischen Nobili sind nicht umsonst da gewesen. Die Demokratie ist fürchterlicher als beide; 45
Die Lage Englands: Die englische Konstitution 313 Marius und Sulla, Cromwell und Robespierre, die blutigen Häup¬ ter zweier Könige, die Proskriptionslisten und die Diktatur reden laut genug von den „Greueln66 der Demokratie. Zudem ist es weltbekannt, daß keine dieser Formen sich je hat lange halten ■> können. Was also war zu tun? Statt geradeaus vorwärts zu gehen, statt von der Unvollkommenheit oder vielmehr Unmenschlichkeit aller Staatsformen den Schluß zu ziehen, daß der Staat selbst die Ursache aller dieser Unmenschlichkeiten und selbst unmenschlich sei, statt dessen beruhigte man sich bei der Ansicht, daß die Un- 10 Sittlichkeit nur den Staats formen anklebe, folgerte aus den obigen Prämissen, daß drei unsittliche Faktoren zusammen ein sittliches Produkt machen können, und schuf die konstitutionelle Monarchie. Der erste Satz der konstitutionellen Monarchie ist der vom in Gleichgewicht der Gewalten, und dieser Satz ist der vollkommenste Ausdruck für die Angst der Menschheit vor sich selbst. Ich will von der lächerlichen Unvernünftigkeit, von der totalen Unaus¬ führbarkeit dieses Satzes gar nicht reden, ich will nur untersuchen, ob er in der englischen Konstitution durchgeführt ist, ich werde 20 mich, wie ich versprach, rein empirisch halten, so empirisch, daß ich es vielleicht selbst unsern politischen Empirikern zu sehr sein werde. Ich nehme also die englische Verfassung nicht, wie sie in Blackstones „Commentaren66, in de Lolme’s Hirngespinsten oder in der langen Reihe konstituierender Statuten von „Magna 25 Charta66 bis auf die Reformbill, sondern wie sie in der Wirklich¬ keit besteht. Zuerst das monarchische Element. Jedermann weiß, was es mit dem souveränen König von England, männlichen oder weib¬ lichen Geschlechts, auf sich hat. Die Macht der Krone reduziert so sich in der Praxis auf Null, und wenn ein in aller Welt notorisches Faktum noch des Beweises bedürfte, so wäre die Tatsache, daß seit mehr als hundert Jahren aller Kampf gegen die Krone auf- gehört hat, daß selbst die radikal-demokratischen Chartisten ihre Zeit zu etwas Besserem als zu diesem Kampf anzuwenden wissen, 35 Beweis genug. Wo also bleibt das in der Theorie der Krone zuge¬ wiesene Drittel der gesetzgebenden Gewalt? Dennoch — und hierin erreicht die Angst ihren Gipfel — dennoch kann die eng¬ lische Konstitution nicht ohne die Monarchie bestehen. Nehmt die Krone, die „subjektive Spitze66, weg, und das ganze künstliche Ge- 40 bäude fällt über den Haufen. Die englische Verfassung ist eine umgekehrte Pyramide; die Spitze ist zugleich die Basis. Und je unbedeutender das monarchische Element in der Wirklichkeit wurde, desto bedeutender wurde es dem Engländer. Nirgends ist bekanntlich die nichtregierende Persönlichkeit angebeteter als in 45 England. Die englischen Journale übertreffen an sklavischem Ser-
314 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 vilismus die deutschen bei weitem. Dieser ekelhafte Kultus des Königs als solchen, die Anbetung der ganz entleerten, alles In¬ halts beraubten Vorstellung — nicht Vorstellung, des Wortes „König64 ist aber die Vollendung der Monarchie, wie die Anbetung des bloßen Wortes „Gott66 die Vollendung der Religion ist. 5 Das Wort König ist das Wesen des Staats, wie das Wort Gott das Wesen der Religion ist, wenn auch beide Worte rein gar nichts bedeuten. Bei beiden ist die Hauptsache, daß die Hauptsache, nämlich der Mensch, der hinter diesen Worten steckt, ja nicht zur Sprache komme. 10 Sodann das aristokratische Element. Diesem geht es, wenig¬ stens in der ihm von der Verfassung angewiesenen Sphäre, wenig besser als der Krone. Wenn der Spott, mit dem das Oberhaus seit mehr als hundert Jahren fortwährend überhäuft wurde, allmählich so sehr ein Bestandteil der öffentlichen Meinung geworden ist, 15 daß dieser Zweig der gesetzgebenden Gewalt allgemein für ein Invalidenhaus für ausgediente Staatsmänner, daß das Anerbieten einer Pairie von jedem noch nicht ganz verschlissenen Mitgliede des Unterhauses für eine Beleidigung angesehen wird, so läßt sich leicht denken, in welcher Achtung die zweite der durch die Kon- 20 stitution eingesetzten Staatsmächte steht. In der Tat ist die Tätig¬ keit der Lords im Oberhause zu einer bloßen, nichtssagenden Förmlichkeit herabgesunken und erhebt sich nur selten zu einer Art von Energie der Trägheit, wie sie sich während der Whig¬ herrschaft von 1830 bis 1840 zeigte — aber selbst dann sind die 25 Lords nicht stark durch sich selbst, sondern durch die Partei, deren reinste Vertreter sie sind, die Tories; und das Oberhaus, dessen Hauptvorzug in der Theorie der Konstitution der sein soll, daß es von der Krone und dem Volk gleich unabhängig sei, ist in der Wirklichkeit von einer Partei, also von dem Stande der Volks- 30 meinung, und durch das Recht der Krone, Pairs zu ernennen, auch von dieser abhängig. Aber je ohnmächtiger das Oberhaus ist, desto festeren Boden erhielt es in der öffentlichen Meinung. Die kon¬ stitutionellen Parteien, Tories, Whigs und Radikale, schaudern gleich sehr vor der Abschaffung dieser leeren Förmlichkeit zurück, 35 und die Radikalen bemerken höchstens, daß die Lords, als die einzige unverantwortliche Macht der Konstitution, eine Anomalie seien und deshalb die erbliche durch eine Wahlpairie zu ersetzen sei. Es ist wieder die Angst vor der Menschheit, die diese leere Form aufrechterhält, und die Radikalen, die für das Unterhaus w eine reine demokratische Basis verlangen, treiben diese Angst noch weiter als die übrigen beiden Parteien, indem sie, um das abge¬ nutzte, überlebte Oberhaus ja nur nicht fallen zu lassen, ihm durch Infusion populären Bluts noch etwas Lebenskraft einzuhauchen suchen. Die Chartisten wissen besser, was sie zu tun haben; sie 45
Die Lage Englands: Die englische Konstitution 315 wissen, daß vor dem Sturm eines demokratischen Unterhauses das ganze morsche Gerüst, Krone und Lords und so weiter, von selbst zusammenbrechen muß, und plagen sich daher nicht, wie die Ra¬ dikalen, mit der Reform der Pairie. — Und wie die Anbetung der 5 Krone in demselben Verhältnis gestiegen ist, wie die Macht der Krone abnahm, so ist auch die populäre Achtung vor der Aristo¬ kratie umso höher geworden, je unbedeutender der politische Ein¬ fluß des Oberhauses wurde. Nicht nur, daß die erniedrigendsten Förmlichkeiten der Feudalzeit beibehalten wurden, daß die Mit- 10 glieder des Unterhauses, wenn sie in offizieller Kapazität vor den Lords erscheinen, mit dem Hut in der Hand vor den sitzenden und bedeckten Lords stehen müssen, daß die offizielle Anrede an einen Adligen lautet: „Möge es Eurer Lordschaft gefallen66 (May it please your lordship) usw.; das Schlimmste ist, daß alle diese is Förmlichkeiten wirklich der Ausdruck der öffentlichen Meinung sind, die einen Lord für ein Wesen höherer Art ansieht und einen Respekt vor Stammbäumen, volltönenden Titeln, alten Familien¬ andenken usw. hegt, der uns Kontinentalen ebenso widerwärtig und ekelerregend ist wie der Kultus der Krone. Auch in diesem 20 Zuge des englischen Charakters haben wir wieder die Anbetung eines leeren, nichtssagenden Wortes, die vollkommen wahnsinnige, fixe Idee, als ob eine große Nation, als ob die Menschheit und das Universum nicht ohne das Wort Aristokratie bestehen könnte. — Bei alledem hat die Aristokratie in der Wirklichkeit dennoch 25 einen bedeutenden Einfluß; aber wie die Macht der Krone die Macht der Minister, d. h. der Repräsentanten der Majorität des Unterhauses ist, also eine ganz andre Richtung angenommen hat als die Konstitution beabsichtigte, so besteht die Macht der Aristo¬ kratie in etwas ganz anderem als in ihrem Anrecht auf einen erb- 30 liehen Sitz in der Legislatur. Die Aristokratie ist stark durch ihren ungeheuren Grundbesitz, durch ihren Reichtum überhaupt, und teilt diese Stärke daher mit allen andern, nichtadligen Reichen; die Macht der Lords wird nicht im Oberhause, sondern im Hause der Gemeinen entwickelt, und dies führt uns zu dem Bestandteil 35 der Legislatur, der nach der Konstitution das demokratische Ele¬ ment vertreten soll. [Vorwärts! 21. Sept. 1844. Nr. 76] Wenn die Krone und das Oberhaus machtlos sind, so muß das Unterhaus notwendig alle Gewalt in sich vereinigen, und das ist 40 der Fall. In der Wirklichkeit macht das Unterhaus die Gesetze und verwaltet sie durch die Minister, die nur ein Ausschuß des- 29 Vorwärts ihrem Unrecht 33—34 Vorwärts Hause der Gemeinden
316 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 selben sind. Bei dieser Allmacht des Unterhauses müßte England also eine reine Demokratie sein, wenn auch nominell die beiden andren Zweige der Legislatur bestehen blieben, wenn nur das de¬ mokratische Element selbst wirklich demokratisch wäre. Aber da¬ von ist keine Rede. Die Gemeinden blieben bei der Festsetzung der 5 Verfassung nach der Revolution von 1688 in ihrer Zusammen¬ setzung ganz unberührt; die Städte, Flecken und Wahlbezirke, die das Recht zur Absendung eines Deputierten früher gehabt hatten, behielten es bei; und dies Recht war durchaus kein demokrati¬ sches, „allgemeines Menschenrecht66, sondern ein ganz feudalisti-10 sches Privilegium, das noch unter Elisabeth ganz willkürlich und aus freier Gnade von der Krone vielen bisher nicht vertretenen Städten verliehen wurde. Selbst den Charakter der Repräsentation, den die Unterhauswahlen wenigstens ursprünglich hatten, verloren sie bald durch die „historische Entwicklung66. Die Zusammen-15 Setzung des alten Unterhauses ist bekannt. In den Städten war die Erneuerung des Deputierten entweder in der Hand eines Ein¬ zelnen oder einer geschlossenen und sich selbst ergänzenden Kor¬ poration; nur wenige Städte waren offen, d. h. hatten eine ziemlich große Zahl Wähler, und in diesen verdrängte die unverschämteste 20 Bestechung den letzten Rest wirklicher Repräsentation. Die ge¬ schlossenen Städte waren meist unter dem Einfluß eines Indivi¬ duums, gewöhnlich eines Lords; und in den ländlichen Wahl¬ bezirken unterdrückte die Allmacht der großen Grundbesitzer jede etwaige freiere und selbsttätige Regung unter dem übrigens poli- 25 tisch leblosen Volk. Das alte Unterhaus war weiter nichts als eine geschlossene, vom Volk unabhängige, mittelalterliche Korpora¬ tion, die Vollendung des „historischen66 Rechts, die auch nicht ein einziges wirklich oder scheinbar vernünftiges Argument für ihre Existenz anführen konnte, die trotz der Vernunft existierte, 30 und darum auch 1794 durch ihr Komitee leugnete, daß sie eine Versammlung von Repräsentanten und England ein Repräsentativ¬ staat sei*\ Einer solchen Verfassung gegenüber mußte die Theorie des Repräsentativstaats, selbst der gewöhnlichen konstitutionellen Monarchie mit einer Repräsentanten-Kammer, als durchaus revo- 35 lutionär und verwerflich erscheinen, und daher hatten die Tories ganz recht, wenn sie die Reformbill als eine dem Geist und Buch¬ staben der Konstitution schnurstracks zuwiderlaufende und die Konstitution untergrabende Maßregel bezeichneten. Die Reform¬ bill ging indes durch, und wir haben nun zu sehen, wozu sie die 40 *) Second Report of the Committee of Secrecy, to whom the Papers referred to in His Majesty’s Message on the 12. May 1794, were del ivered. (Bericht über die Londoner revolutionären Gesellschaften, London 1794.) Pag. 68 ff.
Die Lage Englands: Die englische Konstitution 317 englische Verfassung und besonders das Unterhaus gemacht hat. Zunächst sind die Verhältnisse für die Wahl von Deputierten auf dem Lande ganz dieselben geblieben. Die Wähler sind hier fast ausschließlich selbst Pächter, und diese sind von ihrem Grund- 5 besitzer durchaus abhängig, indem dieser ihnen, die mit ihm in keinem kontraktlichen Verhältnis stehen, jeden Augenblick die Pacht aufkündigen kann. Die Deputierten der Grafschaften (im Gegensatz zu den Städten) sind nach wie vor Deputierte der Grundbesitzer, denn nur in den aufgeregtesten Epochen, wie 1831, io wagen die Pächter gegen die Grundbesitzer zu stimmen. Ja, die Reformbill machte das Übel nur schlimmer, indem sie die Zahl der Deputierten für Grafschaften vermehrte. Von den 252 Graf¬ schafts-Deputierten können die Tories daher immer auf wenigstens 200 rechnen, es sei denn, daß eine allgemeine Aufregung unter 15 den Pächtern herrsche, die das Einschreiten der Grundbesitzer unklug machen würde. In den Städten wurde wenigstens der Form nach eine Repräsentation eingeführt und jedem, der ein Haus von wenigstens zehn Pfund jährlichen Mietwertes bewohnt und direkte Steuern (Armensteuer etc.) bezahlt, das Stimmrecht erteilt. Hier- 20 durch ist die ungeheure Majorität der arbeitenden Klassen ausge¬ schlossen; denn erstens wohnen natürlich nur Verheiratete in be- sondem Häusern, und wenn auch ein bedeutender Teil dieser Häuser jährlich zehn Pfund Miete kostet, so umgehen doch die Einwohner fast alle die Bezahlung der direkten Steuern und sind 25 daher keine Wähler. Die Zahl der Wähler bei chartistischem, all¬ gemeinem Stimmrecht würde sich mindestens verdreifachen. Die Städte sind somit in den Händen der Mittelklasse, und diese wiederum ist in den kleineren Städten sehr häufig — direkt oder indirekt — durch die Pächter, die die Hauptkunden der Krämer 30 und Handwerker sind, von den Grundbesitzern abhängig. In den großen Städten allein kommt die Mittelklasse wirklich zur Herr¬ schaft, und in den kleineren Fabrikstädten, namentlich Lancashires, wo die Mittelklasse an Zahl und das Landvolk an Einfluß unbe¬ deutend ist, wo also schon eine Minorität der Arbeiterklasse ein 35 entscheidendes Gewicht in die Wagschale legt, kommt die Schein¬ repräsentation einer wirklichen einigermaßen nahe. Diese Städte, z. B. Ashton, Oldham, Rochdale, Bolton usw. schicken daher auch fast nur Radikale ins Parlament. Eine Ausdehnung des Stimm¬ rechts nach den Grundsätzen der Chartisten würde hier, wie über- 40 haupt in allen Fabrikstädten, diese letztere Partei zur Majorität der Wähler erheben. Außer diesen verschiedenen und in der Praxis sehr komplizierten Einflüssen machen sich aber noch verschiedene Lokalinteressen und zu guter Letzt ein sehr bedeutender Einfluß geltend — der der Bestechung. In dem ersten Artikel der gegen- 45 wärtigen Reihe war schon die Rede davon, daß das Unterhaus
318 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 durch sein Bestechungs-Komitee erklärte, es sei durch Bestechung gewählt, und Thomas Duncombe, das einzige entschieden char- tistische Mitglied, hat es dem Unterhause längst gerade heraus gesagt, daß kein einziger in der ganzen Versammlung, er selbst nicht, sagen könne, daß er durch die freie Wahl seiner Konsti- s tuenten, ohne Bestechung, an seinen Platz gekommen sei. Im ver¬ gangnen Sommer erklärte Richard Cobden, Mitglied für Stock¬ port und Führer der Antikomgesetz-Ligue, in einem öffentlichen Meeting in Manchester, daß die Bestechung jetzt einen höheren Grad erreicht habe als je, daß in dem torystischen Carlton-Klub 10 und dem liberalen Reform-Klub in London die Repräsentation von Städten förmlich an den Meistbietenden versteigert werde, und diese Klubs als Unternehmer handelten — gegen soviel Pfunde garantieren wir dir diese Stelle usw. — Und zu alledem kommt noch die saubere Manier, mit der die Wahlen vorgenommen wer-15 den, die allgemeine Trunkenheit, in der das Votum abgegeben wird, die Schenken, in denen die Wähler auf Kosten der Kandi¬ daten sich berauschen, die Unordnung, die Schlägereien und das Geheul der Masse an den Abstimmungsbuden, um die Nichtigkeit der für sieben Jahre gültigen Repräsentation zu vollenden. 20 [Vorwärts! 25. Sept. 1844. Nr. 77] Wir haben gesehen, daß die Krone und das Oberhaus ihre Be¬ deutung verloren haben; wir haben gesehen, auf welche Weise das allmächtige Unterhaus rekrutiert wird; die Frage ist jetzt: wer regiert denn eigentlich in England? — Der Besitz regiert. Der 25 Besitz befähigt die Aristokratie, die Wahl der ländlichen und kleinstädtischen Deputierten zu beherrschen; der Besitz befähigt die Kaufleute und Fabrikanten, die Deputierten für die großen und teilweise auch die kleinen Städte zu bestimmen; der Besitz befähigt beide, durch Bestechung ihren Einfluß zu steigern. Die 30 Herrschaft des Besitzes ist in der Reformbill durch den Zensus ausdrücklich anerkannt. Und insofern der Besitz und der durch den Besitz erworbene Einfluß das Wesen der Mittelklasse aus¬ macht, insofern also die Aristokratie bei den Wahlen ihren Be¬ sitz geltend macht und damit nicht als Aristokratie auf tritt, son- 35 dem sich der Mittelklasse gleichstellt, insofern der Einfluß der eigentlichen Mittelklasse im ganzen viel stärker ist als der der Aristokratie, insofern herrscht allerdings die Mittelklasse. Aber wie und warum herrscht sie? Weil das Volk über das Wesen des Be¬ sitzes noch nicht im klaren, weil es überhaupt — auf dem Lande 40 wenigstens — noch geistig tot ist und daher sich die Tyrannei 26 Vorwärts Besitz regiert die Aristokratie
Die Lage Englands: Die englische Konstitution 319 des Besitzes gefallen läßt. England ist allerdings eine Demo¬ kratie, aber wie Rußland eine Demokratie ist; wie das Volk un¬ bewußt überall herrscht und in allen Staaten die Regierung nur ein anderer Ausdruck für den Bildungsgrad des Volks ist. 5 Es wird schwer halten, uns von dieser Praxis der englischen Konstitution zu ihrer Theorie zurückzubringen. Die Praxis steht mit der Theorie im schreiendsten Widerspruch; die beiden Seiten sind einander so entfremdet, daß sie gar keine Ähnlichkeit mehr haben. Hier eine Dreieinigkeit der Legislatur — dort eine 10 Tyrannei der Mittelklasse; hier ein Zweikammersystem — dort ein allmächtiges Haus der Gemeinen; hier eine königliche Prärogative — dort ein von den Gemeinen gewähltes Ministe¬ rium; hier ein unabhängiges Oberhaus mit erblichen Gesetzgebern — dort ein Invalidenhaus für überlebte Deputierte. Jeder der 15 drei Bestandteile der gesetzgebenden Gewalt hat seine Macht an ein anderes Element abgeben müssen: die Krone an die Minister, d. h. die Majorität des Unterhauses, die Lords an die Torypartei, also an ein populäres Element, und an die Pairs kreierenden Mi¬ nister, d. h. im Grund auch an ein populäres Element, und die 20 Gemeinen an die Mittelklasse, oder, was dasselbe ist, an die politische Unmündigkeit des Volks. Die englische Konstitution existiert in der Wirklichkeit gar nicht mehr, der ganze langwierige Prozeß der Gesetzgebung ist eine bloße Farce; der Widerspruch von Theorie und Praxis ist so grell geworden, daß er sich unmög- 25 lieh noch lange halten kann, und wenn auch durch die katholische Emanzipation, von der wir noch weiter zu reden haben werden, durch die Parlaments- und Munizipalreform dem Scheine nach die Lebenskraft der siechen Verfassung noch etwas gehoben wurde, so sind doch diese Maßregeln selbst schon das Geständnis, 30 daß man an der Erhaltung der Konstitution verzweifelt, und brin¬ gen Elemente in sie hinein, die mit ihren Grundprinzipien ent¬ schieden in Widerspruch stehen, also den Konflikt noch dadurch vergrößern, daß sie die Theorie mit sich selbst in Widerspruch bringen. 35 Wir haben gesehen, wie die Organisation der Gewalten in der englischen Verfassung durchaus auf der Angst beruht. Diese Angst zeigt sich noch mehr in den Regeln, nach denen die Gesetz¬ gebung verfährt, den sogenannten Standing Orders. Jeder Gesetz¬ vorschlag muß in jedem der beiden Häuser dreimal in gewissen 4o Zwischenräumen gelesen werden; nach dem zweiten Lesen wird er einem Komitee übergeben, das ihn im Einzelnen durchgeht; in wichtigeren Fällen „entschließt sich das Haus in ein Komitee 11 Vorwärts Haus der Gemeinden 12 Vorwärts Gemeinden 20 Vorwärts Gemeinden
320 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 des ganzen Hauses66 zur Beratung des Vorschlags, und ernennt einen Berichterstatter, der nach Beendigung der Beratung mit vieler Feierlichkeit demselben Hause, das beraten hat, einen Be¬ richt über die Beratung abstattet. Beiläufig, ist dies nicht das schönste Beispiel der „Transzendenz innerhalb der Immanenz und Immanenz innerhalb der Transzendenz66, das ein Hegelianer sich nur wünschen kann? „Das Wissen des Unterhauses vom Komitee ist das Wissen des Komitees von sich selbst66 und der Bericht¬ erstatter ist die „absolute Persönlichkeit des Mittlers, in der beide identisch sind66. Jeder Gesetzvorschlag wird daher achtmal be- 10 raten, ehe er die königliche Sanktion erhalten kann. Diesem ganzen lächerlichen Verfahren liegt natürlich wieder die Angst vor der Menschheit zum Grunde. Man sieht ein, daß der Fortschritt das Wesen der Menschheit ist, aber man hat nicht den Mut, den Fort¬ schritt offen zu proklamieren; man gibt Gesetze, die absolute r> Geltung haben sollen, die also dem Fortschritt Schranken setzen; und durch das vorbehaltene Recht, die Gesetze zu ändern, läßt man den soeben geleugneten Fortschritt zur Hintertür wieder hinein. Aber nur ja nicht zu rasch, nur ja nicht übereilt! Der Fortschritt ist revolutionär, ist gefährlich und muß daher wenig- 20 stens einen starken Hemmschuh erhalten; ehe man sich zu seiner Anerkennung entschließt, muß man sich die Sache achtmal über¬ legen. Aber diese Angst, die in sich selbst nichtig ist und nur be¬ weist, daß die Ängstlichen selbst noch keine wahren, freien Men¬ schen sind, muß notwendig auch in ihren Maßregeln fehlgreifen. 25 Statt eine umfassendere Beratung der Vorschläge zu sichern, wrird die wiederholte Lesung derselben in der Praxis ganz überflüssig und eine bloße Formsache. Die Hauptberatung konzentriert sich gewöhnlich auf die erste oder zweite Lesung, zuweilen auch auf die Debatten im Komitee, je nachdem es der Opposition am besten 70 konveniert. In ihrer ganzen Nichtigkeit erscheint aber diese Ver¬ vielfachung der Debatte, wenn man bedenkt, daß das Schicksal jedes Vorschlags schon von vornherein entschieden ist, und wo es nicht entschieden ist, in der Debatte nicht über den speziellen Vorschlag, sondern über die Existenz eines Ministeriums beraten wird. Das Resultat dieser ganzen, achtmal wiederholten Posse ist also nicht etwa eine ruhigere Beratung im Hause selbst, sondern etwas ganz anderes, das gar nicht in der Absicht derer lag, die die Posse einführten. Die Langwierigkeit der Verhandlungen läßt der öffentlichen Meinung Zeit, ein Urteil über die vorgeschlagene io Maßregel zu bilden und im Notfälle durch Meetings und Peti¬ tionen dagegen zu opponieren, und oft — wie im vorigen Jahre bei Sir James Grahams Erziehungsbill — mit Erfolg. Aber dies, wie gesagt, ist nicht der ursprüngliche Zweck und könnte weit ein¬ facher erreicht werden.
Die Lage Englands: Die englische Konstitution 321 Da wir gerade bei den Standing Orders sind, so können wir noch einige Punkte erwähnen, in denen sich die Angst der eng¬ lischen Verfassung und der ursprüngliche korporationsmäßige Charakter des Unterhauses verraten. Die Debatten des Unterhauses 5 sind nicht öffentlich; die Zulassung ist ein Privilegium und wird gewöhnlich nur durch einen schriftlichen Befehl eines Mitgliedes erwirkt. Während der Abstimmung werden die Galerien geräumt; trotz dieser lächerlichen Geheimniskrämerei, gegen deren Ab¬ schaffung das Haus sich immer heftig gewehrt hat, stehen die 10 Namen der für oder wider stimmenden Mitglieder den andern Tag in allen Zeitungen. Die radikalen Mitglieder haben nie einen authentischen Abdruck der Protokolle durchsetzen können — noch vor vierzehn Tagen fiel eine dahin gehende Motion durch — infolgedessen ist der Drucker der in den Zeitungen erschei- 15 nenden Parlamentsberichte für den Inhalt derselben allein ver¬ antwortlich und kann von jedem, der sich durch einen Ausspruch eines Parlamentsmitgliedes beleidigt fühlt, wegen Veröffent¬ lichung verleumderischer Aussagen — gesetzlich auch von der Regierung — belangt werden, während der Urheber der Ver¬ sa leumdung durch sein parlamentarisches Privilegium gegen alle Verfolgung sichergestellt ist. Diese und eine Menge andrer Punkte in den Standing Orders zeigen den exklusiven, antipopulären Charakter des reformierten Parlaments; und die Zähigkeit, mit der das Unterhaus an diesen Gebräuchen festhält, zeigt deut- 25 lieh genug, daß es keine Lust hat, sich aus einer privilegierten Korporation in eine Versammlung von Volksrepräsentanten zu verwandeln. [Vorwärts! 28. Sept. 1844. Nr. 78] Ein anderer Beweis hierfür ist das Privilegium des Parlaments, 30 die exzeptionelle Stellung seiner Mitglieder gegenüber den Ge¬ richten und das Recht des Unterhauses, jeden, den es will, ver¬ haften zu lassen. Ursprünglich gegen die Übergriffe einer seit¬ dem aller Macht entkleideten Krone gerichtet, hat dies Privilegium in der neueren Zeit sich nur gegen das Volk gewendet. 1771 er- 35 zürnte sich das Haus über die Frechheit der Zeitungen, die die Debatten veröffentlichten, wozu doch nur das Haus selbst berech¬ tigt sei, und versuchte durch Verhaftungen von Druckern und dann von Beamten, die diese Drucker freigelassen hatten, dieser Frech¬ heit ein Ziel zu setzen. Natürlich mißlang dies; aber der Versuch 40 beweist, was es mit dem Privilegium des Parlaments auf sich hat, und das Mißlingen beweist, daß auch das Unterhaus, trotz seiner Erhabenheit über das Volk, dennoch von diesem abhängig ist, daß also auch das Unterhaus nicht regiert. Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 21
322 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 In einem Lande, wo „das Christentum ein wesentlicher Be¬ standteil der Landesgesetze ist“ (Christianity is part and parcel of the laws of the land), gehört die Staatskirche notwendig zur Verfassung. England ist seiner Verfassung nach wesentlich ein christlicher Staat, und zwar ein vollständig ausgebildeter, 5 starker christlicher Staat; Staat und Kirche sind vollkommen ver¬ schmolzen und untrennbar. Diese Einheit von Kirche und Staat kann aber nur in Einer christlichen Konfession, zur Ausschließung aller andern, bestehen, und diese ausgeschlossenen Sekten sind dadurch natürlich als Ketzer bezeichnet und der religiösen und 10 politischen Verfolgung verfallen. So in England. Sie wurden also von jeher allesamt in eine Klasse zusammengeworfen, als Non- conformisten oder Dissenters von aller Teilnahme am Staat aus¬ geschlossen, in ihrem Kultus gestört und gehindert und mit Straf¬ gesetzen verfolgt. Je eifriger sie sich gegen die Einheit von Kirche 15 und Staat erklärten, desto heftiger wurde diese Einheit von der herrschenden Partei verteidigt und zu einem Lebenspunkt des Staats erhoben. Als der christliche Staat in England noch in voller Blüte stand, war daher auch die Verfolgung der Dissenters und besonders der Katholiken an der Tagesordnung, eine Verfolgung, 20 die zwar weniger heftig, aber universeller, ausdauernder war als die des Mittelalters. Die akute Krankheit ging in eine chronische über, die plötzlichen, blutdürstigen Wutanfälle des Katholizismus verwandelten sich in eine kalte, politische Berechnung, die die Heterodoxie durch einen gelinderen, aber anhaltenden Druck aus- 25 zurotten suchte. Die Verfolgung wurde auf das weltliche Gebiet herübergezogen und dadurch unerträglicher gemacht. Der Un¬ glaube an die neununddreißig Artikel hörte auf, Blasphemie zu sein, aber anstatt dessen machte man ihn zum Staatsverbrechen. Aber der Fortschritt der Geschichte ließ sich nicht auf halten; so der Abstand zwischen der Gesetzgebung von 1688 und der öffent¬ lichen Meinung von 1828 war so groß, daß in diesem Jahre selbst das Unterhaus sich genötigt sah, die drückendsten Gesetze gegen die Dissenters aufzuheben. Die Testakte und die religiösen Para¬ graphen der Korporationsakte wurden abgeschafft; die Emanzipa- 35 tion der Katholiken folgte im nächsten Jahre trotz der wütenden Opposition der Tories. Die Tories, die Vertreter der Konstitution, hatten volles Recht in dieser Opposition, da keine einzige der liberalen Parteien, auch die Radikalen nicht, die Konstitution selbst angriffen. Die Konstitution sollte auch für sie die Grund- 40 läge bleiben, und auf dem Boden der Konstitution waren nur die Tories konsequent. Sie sahen ein und sprachen es aus, daß die obigen Maßregeln den Sturz der Hochkirche und notwendig auch den der Konstitution nach sich ziehen müssen; daß, dem Dissenter aktives Bürgerrecht geben, de facto die Hochkirche vernichten, 45
Die Lage Englands: Die englische Konstitution 323 die Angriffe auf die Hochkirche sanktionieren hieß; daß es eine arge Inkonsequenz gegen den Staat überhaupt ist, wenn man dem Katholiken, der über der Staatsgewalt die Autorität des Papstes anerkennt, Teil an der Verwaltung und Gesetzgebung bewilligt. 5 Ihre Argumente konnten von den Liberalen nicht beantwortet werden; die Emanzipation ging dennoch durch, und die Prophe¬ zeiungen der Tories fangen bereits an, sich zu erfüllen. Die Hochkirche ist also auf diese Weise ein leerer Name ge¬ worden und unterscheidet sich von den andern Konfessionen nur 10 noch durch die drei Millionen Pfund, die sie jährlich bezieht, und einige kleine Privilegien, die gerade hinreichend sind, um den Kampf gegen sie aufrecht zu erhalten. Hierhin gehören die kirch¬ lichen Gerichtshöfe, in denen der anglikanische Bischof eine alleinige, aber sehr bedeutungslose Jurisdiktion übt und deren is Bedrückung besonders in den Gerichtskosten besteht; ferner die lokale Kirchensteuer, die zur Erhaltung der zu Verfügung der Staatskirche stehenden Gebäude verwendet wird; die Dissenters stehen unter der Jurisdiktion jener Höfe und müssen diese Steuer mitbezahlen. 20 Aber nicht allein die Gesetzgebung gegen die Kirche, son¬ dern auch die Gesetzgebung für sie hat dazu beigetragen, die Staatskirche zu einem leeren Namen zu machen. Die irische Kirche ist ein bloßer Name von jeher gewesen, eine vollendete Staats¬ oder Regierungskirche, eine komplette Hierarchie, vom Erz- 25 bischof abwärts bis zum Vikar, der weiter nichts fehlt als die Ge¬ meinde, und deren Beruf darin besteht, für die leeren Wände zu predigen, zu beten und Litaneien abzusingen. Die englische Kirche hat zwar ein Publikum, obwohl sie auch, besonders in Wales und den Fabrikdistrikten ziemlich von den Dissentersverdrängtworden 30 ist, aber die wohlbezahlten Seelenhirten bekümmern sich eben nicht viel um die Schafe. „Wenn ihr eine Priesterkaste in Ver¬ achtung bringen und stürzen wollt, so bezahlt sie gut66, sagt Bentham, und die englische und irische Kirche zeugen für die Wahrheit dieses Ausspruchs. Auf dem Lande und in den Städten 35 in England ist dem Volke nichts verhaßter, nichts verächtlicher, als ein church-of-England parson. Und bei einem so frommen Volk wie dem englischen will das was bedeuten. Es versteht sich, daß, je leerer und bedeutungsloser der Name der Hochkirche wird, desto fester hängt die konservative und über- 40 haupt entschieden konstitutionelle Partei daran; die Trennung von Kirche und Staat könnte auch dem Lord John Russell Tränen entlocken; es versteht sich ebenfalls, daß, je leerer dieser Name wird, desto ärger und fühlbarer wird der Druck. Die irische Kirche besonders, weil die bedeutungsloseste, ist die verhaßteste; sie hat 45 gar keinen Zweck, als das Volk zu erbittern, als es daran zu er- 2P
324 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 innern, daß es ein unterjochtes Volk ist, dem der Eroberer seine Religion und seine Institutionen auf zwängt. England steht demnach jetzt auf dem Übergänge vom bestimm¬ ten in den unbestimmten christlichen Staat, in den Staat, der keine bestimmte Konfession, sondern einen Durchschnitt aller existie- 5 renden Konfessionen, das unbestimmte Christentum zu seiner Basis macht. Natürlich hat schon der alte, bestimmte, christliche Staat sich gegen den Unglauben verwahrt, und die Apostasie-Akte von 1699 bestraft ihn mit Verlust auch des passiven Bürgerrechts und mit Gefängnis; die Akte ist nie abgeschafft worden, wird 10 aber nie mehr in Ausführung gebracht. Ein anderes Gesetz, aus Elisabeths Zeiten herrührend, schreibt vor, daß jeder, der Sonn¬ tags ohne gehörige Entschuldigung aus der Kirche bleibt (wenn ich nicht irre, ist sogar die bischöfliche Kirche vorgeschrieben, denn Elisabeth erkannte keine dissentierenden Kapellen an), mit 15 Geldstrafe und respektive Gefängnis dazu anzuhalten ist. Dies Gesetz kommt auf dem Lande noch häufig in Ausführung; selbst hier im zivilisierten Lancashire, ein paar Stunden von Manchester, gibt es einige bigotte Friedensrichter, die — wie M. Gibson, De¬ putierter für Manchester, vor vierzehn Tagen im Unterhause an- 20 führte — eine Menge Leute wegen unterlassenen Kirchenbesuchs zu mitunter sechswöchentlichem Gefängnis verurteilten. Die Haupt¬ gesetze aber gegen den Unglauben sind die, welche jeden, der nicht an einen Gott oder eine jenseitige Belohnung oder Bestrafung glaubt, zur Ablegung eines Eides unfähig machen und die Gottes- 25 lästerung bestrafen. Gotteslästerung ist alles, was die Bibel oder die christliche Religion in Verachtung zu bringen strebt, und eben¬ so die direkte Leugnung der Existenz Gottes; die Strafe, die darauf steht, ist Gefängnis — gewöhnlich ein Jahr, und Geldstrafe. [Vorwärts! 5. Okt. 1844. Nr. 80] Aber auch der unbestimmte christliche Staat geht schon seinem Verfall entgegen, ehe er durch die Gesetzgebung zur offiziellen Anerkennung gekommen ist. Die Apostasie-Akte ist, wie gesagt, absolut; das Gebot des Kirchenbesuchs ist ebenfalls ziemlich veraltet und seine Durchführung nur Ausnahme; das Blasphemie- 35 Gesetz fängt — dank der Furchtlosigkeit der englischen Sozia¬ listen und besonders Richard Carlile’s — ebenfalls an zu veralten und wird nur hier und da in besonders bigotten Lokalitäten, z. B. Edinburgh, in Anwendung gebracht, und selbst eine Verweigerung des Eides wird, wo es eben angeht, vermieden. Die christliche 40 Partei ist so schwach geworden, daß sie selbst einsieht, eine strenge Handhabung dieser Gesetze werde in kurzer Zeit ihre Aufhebung nach sich ziehen, und bleibt daher lieber ruhig, damit das Da¬
Die Lage Englands: Die englische Konstitution 325 moklesschwert der christlichen Gesetzgebung wenigstens über dem Haupt der Ungläubigen schweben bleibe und vielleicht als Drohung und Abschreckung fortwirke. Außer den bis jetzt beurteilten positiven politischen Institu- 5 tionen sind noch einige andere Dinge in den Bereich der Ver¬ fassung zu ziehen. Von den Rechten des Bürgers ist bis jetzt kaum die Rede gewesen; innerhalb der eigentlichen Konstitution hat das Individuum keine Rechte in England. Diese Rechte existieren ent¬ weder durch den Gebrauch oder die Kraft einzelner Statute, die 10 mit der Konstitution in keinem Zusammenhang stehen. Wir wer¬ den sehen, wie diese sonderbare Trennung entstanden ist, und gehen für den Augenblick zur Kritik dieser Rechte über. Das erste ist das Recht, daß jeder seine Meinung ungehindert und ohne vorherige Genehmigung der Regierung veröffentlichen 25 darf — die Preßfreiheit. Es ist im ganzen genommen richtig, daß nirgend eine ausgedehntere Preßfreiheit herrscht wie in England; und doch ist diese Freiheit hier noch sehr beschränkt. Das Libel- gesetz, das Hochverratsgesetz und das Blasphemiegesetz lasten schwer auf der Presse, und wenn Preß Verfolgungen selten sind, 20 so liegt das nicht am Gesetz, sondern an der Furcht der Regierung vor der unausbleiblichen Unpopularität, die die Folge von Schritten gegen die Presse sein würde. Die englischen Zeitungen aller Parteien begehen täglich Preßvergehen, sowohl gegen die Regierung wie gegen einzelne, aber man läßt sie alle 25 ruhig passieren, wartet, bis man imstande ist, einen politischen Prozeß anzufangen und nimmt dann bei der Gelegenheit die Presse mit. So ist’s mit den Chartisten 1842, so neulich mit den irischen Repealern gegangen. Die englische Preßfreiheit lebt seit hundert Jahren ebensowohl von der Gnade, wie die preußische Preßfrei- 30 heit von 1842 tat. Das zweite „angebome Recht“ (birthright) des Engländers ist das Recht der Volksversammlung, ein Recht, das bis jetzt kein anderes Volk in Europa genießt. Dies Recht, obwohl uralt, ist später in einem Statut als „das Recht des Volks, sich zu versam- 35 mein, um seine Beschwerden zu diskutieren und die Legislatur um Abhilfe derselben zu petitionieren“, ausgesprochen worden. Hierin liegt schon eine Beschränkung. Wenn keine Petition das Resultat eines Meetings ist, so bekommt dies dadurch wo nicht geradezu ungesetzlichen, doch sehr zweideutigen Charakter. In 40 O’Connells Prozeß wurde es von der Krone besonders hervor¬ gehoben, daß die Meetings, die als ungesetzlich geschildert wur¬ den, nicht zur Beratung von Petitionen berufen waren. Die Haupt¬ beschränkung ist aber die polizeiliche; die Zentral- oder Lokal¬ regierung kann jedes Meeting vorher verbieten oder unterbrechen 45 und auflösen, und dies hat sie nicht nur bei Clontarf, sondern in
326 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 England selbst bei chartistischen und sozialistischen Meetings oft genug getan. Das aber gilt nicht für einen Angriff auf die ange- bornen Rechte der Engländer, weil die Chartisten und Sozialisten arme Teufel und also rechtlos sind; danach kräht kein Hahn außer dem „Northern Star“ und der „New Moral World“, und daher 5 erfährt man davon auf dem Kontinent nichts. Ferner das Assoziationsrecht. Alle Assoziationen, die gesetz¬ liche Zwecke mit gesetzlichen Mitteln verfolgen, sind erlaubt; sie dürfen aber nur jedesmal eine große Gesellschaft bilden und keine Zweigassoziationen einschließen. Die Bildung von Gesellschaf-10 ten, die sich in lokale Zweige mit besonderer Organisation teilen, ist nur zu wohltätigen, überhaupt pekuniären Zwecken erlaubt und darf nur auf ein Zertifikat eines dazu ernannten Beamten hier begonnen werden. Die Sozialisten erlangten ein solches Zertifikat für ihre Assoziation, indem sie einen derartigen Zweck angaben; 15 den Chartisten wurde es verweigert, obwohl sie die Konstitution der sozialistischen Gesellschaft wörtlich in der ihrigen kopierten. Sie sind jetzt gezwungen, das Gesetz zu umgehen, und dadurch in die Lage versetzt, daß ein einziger Schreibfehler eines einzigen Mitgliedes der chartistischen Assoziation die ganze Gesellschaft 20 in die Fallstricke des Gesetzes verwickeln kann. Aber auch ab¬ gesehen davon, ist das Assoziationsrecht in seiner vollen Aus¬ dehnung ein Vorrecht der Reichen; zu einer Assoziation gehört vor allem Geld, und es ist der reichen Korngesetz-Ligue leichter, Hunderttausende aufzubringen, als der armen chartistischen Ge- 25 Seilschaft oder der Union britischer Bergleute, die bloßen Kosten der Assoziation zu bestreiten. Und eine Assoziation, die keine Fonds zur Verfügung hat, will wenig bedeuten und kann keine Agitation machen. [Vorwärts! 16. Okt. 1844. Nr. 83] Das Recht des Habeas-Corpus, d. h. das Recht jedes Angeklag¬ ten (ausgenommen ist der Fall des Hochverrats), bis zur Eröff¬ nung des Prozesses gegen Kaution freigelassen zu werden, dies vielgepriesene Recht ist wiederum ein Privilegium der Reichen. Der Arme kann keine Bürgschaft stellen und muß daher ins Ge- 35 fängnis wandern. Das letzte dieser Rechte des Individuums ist das Recht eines jeden, nur von seinesgleichen gerichtet zu werden, und auch dies ist ein Privilegium des Reichen. Der Arme wird nicht von seines¬ gleichen, er wird in allen Fällen von seinen gebornen Feinden 40 gerichtet, denn in England sind die Reichen und die Armen in offnem Krieg. Die Geschwomen müssen gewisse Qualifikationen besitzen, und wie diese beschaffen sind, geht daraus hervor, daß
Die Lage Englands: Die englische Konstitution 327 die Juryliste von Dublin, einer Stadt von 250 000 Einwohnern, nur achthundert Qualifizierte stark ist. In den letzten Chartisten¬ prozessen in Lancaster, Warwick und Stafford wurden die Arbeiter von Grundbesitzern und Pächtern, die meist Tories, und Fabri- 5 kanten oder Kaufleuten, die meist Whigs, in jedem Falle aber die Feinde der Chartisten und der Arbeiter sind, gerichtet. Das ist aber nicht alles. Eine sogenannte „unparteiliche Jury“ ist über¬ haupt ein Unding. Als O’Connell vor vier Wochen in Dublin ge¬ richtet wurde, war jeder Jurymann als Protestant und Tory sein io Feind. „Seinesgleichen“ wären Katholiken und Repealer ge¬ wesen — aber selbst diese nicht, denn sie waren seine Freunde. Ein Katholik in der Jury hätte das Verdikt, hätte jedes Verdikt, mit Ausnahme einer Freisprechung, unmöglich gemacht. Hier ist der Fall eklatant; aber im Grunde ist es in jedem beliebigen Fall is dasselbe. Das Geschwornengericht ist seinem Wesen nach eine politische und keine juristische Institution; aber weil alles juri¬ stische Wesen ursprünglich politischer Natur ist, kommt in ihr das wahre Juristentum zur Erscheinung, und das englische Ge- schwomengericht, weil das ausgebildetste, ist die Vollendung der 20 juristischen Lüge und Unsittlichkeit. Man fängt an mit der Fik¬ tion des „unparteilichen Geschwornen“; man schärft den Ge- schwornen ein, alles zu vergessen, was sie etwa vor der Unter¬ suchung in Beziehung auf den vorliegenden Fall gehört haben; bloß nach dem hier im Gerichtshof vorgebrachten Zeugnis zu ur- 25 teilen — als ob so etwas nur möglich wäre! Man macht die zweite Fiktion des „unparteilichen Richters“, der das Gesetz entwickeln und die von beiden Seiten vorgebrachten Gründe ohne Parteilich¬ keit, ganz „objektiv“ zusammenstellen soll — als ob das möglich wäre! Ja, man verlangt von dem Richter, daß er besonders und 30 trotz alledem keinen Einfluß auf das Urteil der Geschwornen aus¬ üben, ihnen das Verdikt nicht unter den Fuß geben soll — d. h. er soll die Prämissen so legen, wie sie gelegt werden müssen, um den Schluß zu ziehen; aber er soll den Schluß selbst nicht ziehen, er darf ihn selbst für sich nicht ziehen, denn das würde ja auf 35 seine Darlegung der Prämissen einen Einfluß ausüben — alle diese und hundert andere Unmöglichkeiten, Unmenschlichkeiten und Dummheiten verlangt man, bloß um die ursprüngliche Dummheit und Unmenschlichkeit anständig zu verdecken. Aber die Praxis läßt sich nicht irre machen, in der Praxis kehrt man 40 sich an all das Zeug nicht, der Richter gibt der Jury deutlich genug zu verstehen, was für ein Verdikt sie zu bringen hat, und die gehorsame Jury bringt das Verdikt auch regelmäßig ein. Weiter! Der Angeklagte muß auf alle Weise geschützt wer¬ den, der Angeklagte ist, wie der König, heilig und unverletzlich 45 und kann kein Unrecht tun, d. h. er kann gar nichts tun, und wenn
328 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 er was tut, so hat’s keine Gültigkeit. Der Angeklagte mag sein Verbrechen eingestehen, das hilft ihm gar nichts. Das Gesetz be¬ schließt, daß er nicht glaubwürdig ist; ich glaube, es war 1819, daß ein Mann seine Frau des Ehebruchs bezichtigte, nachdem sie während einer Krankheit, die ihr tödlich schien, ihrem Mann 5 den begangenen Ehebruch gestanden hatte — aber der Verteidiger der Frau wandte ein, daß das Geständnis der Angeklagten kein Beweisgrund sei und die Klage wurde abgewiesen *). Die Heilig¬ keit des Angeklagten wird dann ferner in dem juristischen Formenwesen durchgeführt, mit dem die englische Jury bekleidet 10 ist, und die den rabulistischen Kniffen der Advokaten ein so über¬ aus ergiebiges Feld bietet. Es geht ins Unglaubliche, was für lächerliche Formfehler einen ganzen Prozeß um werf en können. 1800 wurde ein Mann wegen Fälschung schuldig befunden, aber freigelassen, weil sein Verteidiger noch vor Urteilsfällung ent- deckte, daß in der falschen Banknote der Name abgekürzt Bartw, dagegen in der Anklageakte vollständig Bartholomew geschrieben war. Der Richter, wie gesagt, nahm die Einwendung für genügend an und ließ den Überführten frei**\ — 1827 wurde in Winchester ein Weib des Kindesmords angeklagt, aber freigesprochen, weil 20 in dem Verdikt der Totenschau-Jury diese „auf ihren Eid“ (The jurors of our Lord the King upon their oath present that, etc.) ver¬ sicherte, daß dies und jenes geschehen sei, wo doch diese aus drei¬ zehn Männern bestehende Jury nicht einen Eid, sondern dreizehn Eide abgelegt habe, und es also hätte heißen müssen: „Upon their 25 oaths“***^ Vor einem Jahre wurde in Liverpool ein Junge, der jemandem an einem Sonntagabend das Schnupftuch aus der Tasche stahl, auf der Tat ertappt und verhaftet. Sein Vater wandte ein, der Polizeidiener habe ihn ungesetzlich verhaftet, weil ein Gesetz vorschreibt, daß niemand am Sonntage diejenige Arbeit tun dürfe, 30 wodurch er sich seinen Unterhalt erwerbe; die Polizei dürfe also niemanden am Sonntage verhaften. Der Richter war damit ein¬ verstanden, examinierte aber den Jungen weiter, und als dieser gestand, er sei ein Dieb von Profession, wurde er um 5 Schillinge gestraft, weil er am Sonntage seinem Beruf nachgegangen sei. Ich 35 könnte diese Beispiele verhundertfachen, aber sie reden für sich selbst schon genug. Das englische Gesetz heiligt den Angeklagten und wendet sich gegen die Gesellschaft, zu deren Schutz es eigent¬ lich da ist. Wie in Sparta wird nicht das Verbrechen, sondern die Dummheit, mit der es begangen wurde, bestraft. Jeder Schutz 40 wendet sich gegen den, den er schützen will; das Gesetz will die *) Wade, Brit. History, London, 1838. **) Ebendaselbst. ***) Ebendaselbst.
Die Lage Englands: Die englische Konstitution 329 Gesellschaft schützen und greift sie an; es will den Angeklagten schützen und verletzt ihn — denn es ist klar, daß jeder, der zu arm ist, der offiziellen Rabulisterei einen ebenso rabulistischen Verteidiger entgegenzustellen, alle Formen gegen sich hat, die zu 5 seinem Schutz geschaffen wurden. Wer zu arm ist, um einen Ver¬ teidiger oder eine gehörige Anzahl Zeugen zu stellen, ist in jedem irgend zweifelhaften Fall verloren. Er bekommt nur die Anklage¬ akte und die ursprünglich vor dem Friedensrichter gemachten De- positionen vorher zu sehen, weiß also nicht das Detail dessen, was 10 gegen ihn vorgebracht wird (und gerade für den Unschuldigen ist das am gefährlichsten); er muß sogleich, nachdem die Anklage geschlossen ist, antworten, darf nur einmal sprechen; erledigt er nicht alles, fehlt ein Zeuge, den er nicht für nötig hielt, so ist er verloren. [Vorwärts! 19. Okt. 1844. Nr. 84] Die Vollendung des ganzen aber ist die Bestimmung, daß die zwölf Geschwornen in ihrem Verdikt einstimmig sein müssen. Sie werden in einem Zimmer eingesperrt und nicht eher losgelas¬ sen, als bis sie einig sind oder der Richter einsieht, daß sie nicht 20 zur Übereinstimmung zu bringen sind. Es ist aber durchaus un¬ menschlich und geht so sehr gegen alle menschliche Natur an, daß es lächerlich wird, von zwölf Menschen zu verlangen, daß sie über einen Punkt ganz derselben Meinung sein sollen. Aber es ist kon¬ sequent. Das Inquisitionsverfahren foltert den Angeklagten kör- 25 perlich oder geistig; das Geschworenengericht erklärt den Ange¬ klagten für heilig und foltert die Zeugen durch ein Kreuzverhör, das dem des Inquisitionsgerichts gar nichts nachgibt, ja es foltert die Geschwornen; es muß ein Verdikt haben, und wenn die Welt darüber zugrunde gehen sollte; die Jury wird mit Gefängnis be- 30 straft, bis sie ein Verdikt gibt; und wenn sie wirklich die Caprice haben sollte, ihren Eid halten zu wollen, so wird eine neue Jury ernannt, der Prozeß noch einmal durchgemacht, und so fort, bis entweder die Ankläger oder die Geschwornen des Kampfs müde werden und sich auf Gnade und Ungnade ergeben. Beweis genug, 35 daß das ganze Juristentum nicht ohne die Folter bestehen kann und in allen Fällen eine Barbarei ist. Es kann aber gar nicht anders sein; wenn man mathematische Gewißheit über Dinge haben will, die keine solche Gewißheit zulassen, so muß man not¬ wendig in Unsinn und Barbarei geraten. Die Praxis bringt wieder- 40 um an den Tag, was hinter all diesen Dingen steckt; in der Praxis macht die Jury sich’s leicht und bricht ihren Eid, wie das nicht anders geht, in aller Seelenruhe. 1824 konnte eine Jury in Oxford nicht Übereinkommen. Einer behauptete: schuldig; elf: nicht¬
330 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 schuldig. Endlich wurde ein Vertrag geschlossen; der eine Dis- sentient schrieb auf die Anklageakte: Schuldig, und zog sich zu¬ rück; dann kam der Vorsitzer mit den andern, nahm das Papier auf und schrieb vor das Schuldig: Nicht (Wade, Brit. Hist.). — Einen andern Fall erzählt Fonblanque, Redakteur des „Exami- 5 ner“,in seinem Werk „England under sevenAdministrations“. Hier konnte eine Jury auch nicht fertig werden, und zuletzt wurde zum Lose Zuflucht genommen; man nahm zwei Strohhalme und zog; welche Partei das längste zog, deren Meinung wurde adoptiert. Da wir einmal bei den juristischen Institutionen sind, so können 10 wir, um den Überblick über den Rechtszustand Englands zu ver¬ vollständigen, uns die Sache noch etwas genauer ansehen. Der englische Strafkodex ist bekanntlich der strengste in Europa. Noch 1810 gab er an Barbarei der Carolina nichts nach; Verbrennen, Rädern, Vierteilen, Herausnehmen der Eingeweide bei leben-15 digem Leibe usw. waren sehr beliebte Kategorien. Seitdem sind zwar die empörendsten Scheußlichkeiten abgeschafft, aber noch immer stehen eine Menge Roheiten und Infamien unangetastet auf dem Statutenbuch. Die Todesstrafe steht auf sieben Verbrechen (Mord, Hochverrat, Notzucht, Sodomie, Einbruch, Raub mit Ge- 20 walt und Brandstiftung mit der Absicht zu morden), und auch auf diese Zahl ist die früher noch viel ausgedehntere Todesstrafe erst 1837 beschränkt worden; und außer ihr kennt das englische Strafgesetz noch zwei ausgesucht barbarische Straf arten — Trans¬ portation oder Vertierung durch Gesellschaft, und einsame Ein- 25 Sperrung oder Vertierung durch Einsamkeit. Beide könnten nicht grausamer und niederträchtiger ausgesucht sein, um die Opfer des Gesetzes mit systematischer Konsequenz körperlich, intellek¬ tuell und moralisch zu verderben und sie unter die Bestie herab¬ zudrücken. Der transportierte Verbrecher gerät in einen solchen 30 Abgrund von Demoralisation, von ekelhafter Bestialität, daß die beste Natur darin in sechs Monaten unterliegen muß; wer Lust hat, die Berichte von Augenzeugen über Neusüdwales und Norfolk- Island zu lesen, wird mir recht geben, wenn ich behaupte, daß alles oben Gesagte noch lange nicht an die Wirklichkeit reicht. 35 Der einsam Eingesperrte wird wahnsinnig gemacht; das Muster¬ gefängnis in London hatte nach drei Monaten seines Bestehens schon drei Wahnsinnige an Bedlam abzugeben, von dem reli¬ giösen Wahnsinn, der gewöhnlich noch für Sinn gilt, gar nicht zu reden. 40 Die Strafgesetze gegen politische Verbrechen sind fast genau in denselben Ausdrücken abgefaßt wie die preußischen; besonders die „Aufreizung zur Unzufriedenheit66 (exciting discontent) und „aufrührerische Sprache66 (seditious language) kommen in der¬ selben unbestimmten Fassung vor, die dem Richter und der Jury 45
Die Lage Englands: Die englische Konstitution 331 einen so weiten Spielraum lassen. Die Strafen sind auch hier strenger als anderswo; Transportation ist die Hauptkategorie. Wenn diese strengen Strafen und diese unbestimmten politi¬ schen Verbrechen in der Praxis nicht so viel auf sich haben, als 5 nach dem Gesetz scheinen sollte, so ist dies einerseits der Fehler des Gesetzes selbst, das in einer solchen Verwirrung und Unklar¬ heit steckt, daß ein geschickter Advokat überall Schwierigkeiten zu Gunsten des Angeklagten erheben kann. Das englische Gesetz ist entweder gemeines Recht (common law), d. h. ungeschriebenes 10 Recht, wie es zu der Zeit existierte, von welcher an man anfing die Statute zu sammeln, und später von juristischen Autoritäten zu¬ sammengestellt wurde; dies Recht ist natürlich in den wichtigsten Punkten ungewiß und zweifelhaft; oder Statutarrecht (Statute law), das in einer unendlichen Reihe einzelner, seit fünfhundert 15 Jahren gesammelten Parlamentakten besteht, die sich gegenseitig widersprechen und an die Stelle eines „Rechtszustandes“ einen vollkommen rechtlosen Zustand stellen. Der Advokat ist hier alles; wer seine Zeit recht gründlich an diesen juristischen Wirr¬ warr, an dies Chaos von Widersprüchen verschwendet hat, ist in 20 einem englischen Gerichtshöfe allmächtig. Die Unsicherheit des Gesetzes führte natürlich zum Autoritätsglauben an die Entschei¬ dungen früherer Richter in ähnlichen Fällen, und hierdurch wird sie nur schlimmer gemacht, denn diese Entscheidungen wider¬ sprechen sich ebenfalls, und das Resultat der Untersuchung hängt 25 wieder von der Belesenheit und Geistesgegenwart des Advokaten ab. Andrerseits ist die Bedeutungslosigkeit des englischen Straf¬ gesetzes aber wiederum bloß Gnade etc., Rücksicht auf die öffent¬ liche Meinung, die zu nehmen die Regierung durch das Gesetz gar nicht gebunden ist; und daß die Legislatur gar nicht gesonnen 3o ist, dies Verhältnis zu ändern, zeigt die heftige Opposition gegen alle Gesetzreformen. Aber man vergesse nie, daß der Besitz herrscht, und daß daher diese Gnade nur gegen „respektable“ Verbrecher ausgeübt wird; auf den Armen, den Paria, den Prole¬ tarier fällt die ganze Wucht der gesetzlichen Barbarei, und kein 35 Hahn kräht danach. Diese Begünstigung des Reichen ist aber auch im Gesetze aus¬ drücklich ausgesprochen. Während alle schweren Verbrechen mit den schwersten Strafen belegt sind, stehen Geldstrafen auf fast allen untergeordneteren Vergehen, Geldstrafen, die natürlich für 40 Arme und Reiche dieselben sind, aber dem Reichen wenig oder nichts anhaben können, während der Arme sie in neun Fällen aus zehnen nicht bezahlen kann und dann ohne weiteres in „default of payment“ ein paar Monate auf die Tretmühle geschickt wird. Man lese nur die Polizeiberichte im ersten besten englischen Tag- 39 Vorwärts unterdrückenderen Vergehen
332 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 blatte, um sich von der Wahrheit dieser Behauptung zu über¬ zeugen. Die Mißhandlung der Armen und die Begünstigung der Reichen in allen Gerichtshöfen ist so allgemein, wird so offen, so unverschämt betrieben und so schamlos von den Zeitungen be¬ richtet, daß man selten eine Zeitung ohne innere Empörung lesen s kann. So ein Reicher wird immer mit einer ungemeinen Höflich¬ keit behandelt, und so brutal sein Vergehen auch gewesen sein mag, so „tut es den Richtern doch stets sehr leid“, daß sie ihn in eine gewöhnlich höchst lumpige Geldstrafe zu verurteilen haben. Die Verwaltung des Gesetzes ist in dieser Hinsicht noch viel un-10 menschlicher als das Gesetz selbst; „Law grinds the poor, and rieh men rule the law“ und „there is one law for the poor, and another for the rieh“ sind vollkommen wahre und längst sprichwörtlich gewordene Ausdrücke. Aber wie kann das anders sein? Die Frie¬ densrichter wie die Geschwornen sind selbst reich, sind aus der 15 Mittelklasse genommen und daher parteilich für ihresgleichen und geborne Feinde der Armen. Und wenn der soziale Einfluß des Besitzes, der jetzt nicht erörtert werden kann, in Betracht genom¬ men wird, so kann sich wahrlich kein Mensch über einen so bar¬ barischen Stand der Dinge wundern. 20 Non der direkt sozialen Gesetzgebung, in der die Nieder¬ trächtigkeit kulminiert, wird später die Rede sein. An dieser Stelle könnte sie ohnehin nicht in ihrer vollen Bedeutung dargestellt werden. Fassen wir das Resultat dieser Kritik des englischen Rechts- 25 zustandes zusammen. Was vom Standpunkte des „Rechtsstaats“ aus dagegen gesagt werden kann, ist höchst gleichgültig. Daß England keine offizielle Demokratie ist, kann uns nicht gegen seine Institutionen einnehmen. Für uns hat nur das Eine Wich¬ tigkeit, das sich uns überall gezeigt hat: daß Theorie und Praxis 30 im schreiendsten Widerspruch stehen. Alle Mächte der Verfas¬ sung, Krone, Oberhaus und Unterhaus, haben sich vor unsem Augen aufgelöst; wir haben gesehen, daß die Staatskirchen und alle sogenannten angebomen Rechte der Engländer leere Namen sind, daß selbst das Geschwornengericht in der Wirklichkeit nur 33 ein Schein ist, daß das Gesetz selbst keine Existenz hat, kurz, daß ein Staat, der sich auf eine genau bestimmte, gesetzliche Basis ge¬ stellt hat, diese seine Basis verleugnet und mißhandelt. Der Eng¬ länder ist nicht frei durch das Gesetz, sondern trotz dem Gesetze, wenn er überhaupt frei sein soll. 40 Wir haben ferner gesehen, welch ein Wust von Lügen und Un¬ sittlichkeit aus diesem Zustande folgt; man fällt vor leeren Namen nieder und verleugnet die Wirklichkeit, man will von ihr nichts wissen, sträubt sich gegen die Anerkennung dessen, was wirklich 44 Vorwärts Anmerkung statt Anerkennung
Die Lage Englands: Die englische Konstitution 333 existiert, was man selbst geschaffen hat; man belügt sich selbst und führt eine konventionelle Sprache mit künstlichen Kategorien ein, deren jede ein Pasquill auf die Wirklichkeit ist, und klammert sich ängstlich an diese hohlen Abstraktionen an, um sich nur ja 5 nicht gestehen zu müssen, daß es im Leben, in der Praxis sich um ganz andre Dinge handelt. Die ganze englische Verfassung und die ganze konstitutionelle öffentliche Meinung ist nichts als eine große Lüge, die durch eine Anzahl kleiner Lügen immer wieder unterstützt und verdeckt wird, wenn sie hier oder da in ihrem 10 wahren Wesen etwas zu offen an den Tag kommt. Und selbst wenn man zur Einsicht kommt, daß all dies Gemachte eitel Un¬ wahrheit und Fiktion ist, selbst dann hält man noch fest daran, ja fester als je, damit nur ja die leeren Worte, die paar sinnlos zusammengestellten Buchstaben nicht auseinanderfallen, denn 15 diese Worte sind ja eben die Angeln der Welt, und mit ihnen müßte die Welt und die Menschheit in die Nacht der Verwirrung stürzen! Man kann sich von diesem Gewebe von offener und ver¬ steckter Lüge, von Heuchelei und Selbstbetrug, nur mit einem gründlichen Ekel abwenden. 20 Kann ein solcher Zustand von Dauer sein? Kein Gedanke daran. Der Kampf der Praxis gegen die Theorie, der Wirklich¬ keit gegen die Abstraktion, des Lebens gegen hohle Worte ohne Bedeutung, mit einem Wort, des Menschen gegen die Unmensch¬ lichkeit muß sich entscheiden, und auf welcher Seite der Sieg sein 25 wird, unterliegt keiner Frage. Der Kampf ist bereits da. Die Konstitution ist in ihren Grund¬ festen erschüttert. Wie die nächste Zukunft sich gestalten wird, geht aus dem Gesagten hervor. Die neuen, fremdartigen Elemente in der Verfassung sind demokratischer Natur; auch die öffent- 30 liehe Meinung, wie sich zeigen wird, entwickelt sich nach der demokratischen Seite hin; die nächste Zukunft Englands wird die Demokratie sein. Aber was für eine Demokratie! Nicht die der französischen Revolution, deren Gegensatz die Monarchie und der Feudalismus 35 war, sondern die Demokratie, deren Gegensatz die Mittelklasse und der Besitz ist. Dies zeigt die ganze vorhergehende Entwick¬ lung. Die Mittelklasse und der Besitz herrschen; der Arme ist rechtlos, wird gedrückt und geschunden, die Konstitution ver¬ leugnet, das Gesetz mißhandelt ihn; der Kampf der Demokratie 40 gegen die Aristokratie in England ist der Kampf der Armen gegen die Reichen. Die Demokratie, der England entgegengeht, ist eine s o z i a 1 e Demokratie. Aber die bloße Demokratie ist nicht fähig, soziale Übel zu 23—24 Vorwärts gegen die Menschlichkeit
334 Aus dem Pariser Vorwärts 1844 heilen. Die demokratische Gleichheit ist eine Chimäre, der Kampf der Armen gegen die Reichen kann nicht auf dem Boden der Demokratie oder der Politik überhaupt ausgekämpft werden. Auch diese Stufe ist also nur ein Übergang, das letzte rein poli¬ tische Mittel, das noch zu versuchen ist, und aus dem sich sogleich 5 ein neues Element, ein über alles politische Wesen hinausgehen¬ des Prinzip entwickeln muß. Dies Prinzip ist das des Sozialismus.
BRIEFE ÜBER DEN SOZIALISMUS UND KOMMUNISMUS AUF DEM KONTINENT an The New Moral World
Die folgenden vier Korrespondenzen erschienen in The New Moral World and Gazette of the Rational Society zu Leeds, im Zeitraum vom 5. Oktober 1844 bis zum 10. Mai 1845.
[Continental Socialism] [NMW Vol. V. Third Series. Oct. 5,1844. No. 15, p. 120] Continental Socialism seems to deserve and to obtain a consider¬ able portion of public attention at present. I forward you a few extracts 5 from a letter addressed me from Barmen in Prussia, by a former contri¬ butor to the „New Moral World“. „In Paris, on my way home, I visited a Communist Club of the mystic school. I was introduced by a Russian who speaks French and German perfectly, and who very cleverly opposed Feuerbach’s 10 reasoning to them. They mean just as much by the the term God as the Ham Common folks by Love-Spirit. They however declared this a secondary question, and to all practical intents agreed with us, and said, Vatheisme cest votre religion6: — In the end, atheism is your religion. Religion, in French, means conviction, 15 feeling, not worship. They affirmed, that the noise and hubbub of the Bourgeois, or middle class, against England, is all nonsense; and they were very anxious to convince us, that they had not the slightest national prejudice, that the working men of France care nothing about Morocco, but know that the ouvriers, workers, of all 20 countries are allies, having the same interests. The French middle¬ class are quite as egotistical, as avaricious, and quite as insuppor¬ table in society as the English, but the French ouvriers are fine fellows. We have made much progress among the Russians at Pa¬ ris. There are three or four noblemen and proprietors of serfs now 25 at Paris who are radical communists and atheists. We have in Paris a German Communist Paper, the Vorwärts, published twice-a- week. In Belgium there is an active Communist agitation going on, and a paper, the Debat Social, published at Brussels. In Paris there are about half-a-dozen Communist papers. Socialiste, So- 30 cialitaire, are very fashionable names in France; and Louis Phi¬ lippe, the arch-feourgeois, supports the Democratic Pacifique with money and protection. The religious exterior of the French Socialists is mostly hypocritical; the people are thoroughly irre¬ ligious, and the first victims of the next revolution will be the par- 35 *) The resolution of the God idea into man. 9 Orig. Feinbach’s Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 22
338 Aus The New Moral World 1844/45 sons. The Cologne folks have made enormous progress. When we assembled in a public house we filled a good room with our com¬ pany, mostly lawyers, medical men, artists etc., also three or four lieutenants in the artillery, one of whom is a very clever fellow. In Düsseldorf we have a few men, amongst them a very talented poet. In Elberfeld, about half-a-dozen of my friends and some others are Communists. In fact there is scarcely a town in Northern Germany where we have not some radical Anti-Proprietarians and Atheists. Edgar Bauer, of Berlin, has just been sentenced to three years imprisonment for his last book.“ Thinking the above facts would be interesting to your readers, I forward them for insertion in your paper. — Anglo-German. 5 10
[Communism in Germany] [NMW Vol. V. Third Series. Dec. 13, 1844. No. 25, p. 200] Rapid Process of Communism in Germany. — Hoping, as I do, that your countrymen will be glad to hear something on the 5 progress of our common cause on this side of the channel, I send you a few lines for your paper. At the same time, I rejoice in being able to show that the German people, though, as usual, ra¬ ther late in mooting the question of Social Reform, are now exer¬ ting themselves to make up for lost time. Indeed, the rapidity with 10 which Socialism has progressed in this country is quite miracu¬ lous. Two years ago, there were but two solitary individuals who cared at all about Social questions; a year ago, the first Socialist publication was printed. It is true, there were some hundreds of German communists in foreign countries; but being working men, 15 they had little influence, and could not get their publications circu¬ lated among the ,upper classes'. Besides, the obstacles in the way of Socialism were enormous; the censorship of the press, no right of public meeting, no right of association, and despotic laws and secret courts of law, with paid judges to punish every one who in 20 any way dared to set the people about thinking. And notwithstand¬ ing all this, what is the state of things in Germany now? Instead of the two poor devils who wrote about Socialism to a public no ways acquainted with, or interested in the question, we have do¬ zens of clever writers preaching the new gospel to thousands who 25 are anxious to hear everything connected with the subject; we have several papers as radically Socialist as the censorship will allow, principally the Triersche Zeitung (Gazette of Trier), and the Sprecher (Speaker) of Wiesel; we have a paper published under the free press of Paris, and there is no periodical, save those un- 30 der the immediate influence of the governments, but comments every day, and in very creditable terms, upon Socialism and the Socialists. Our very opponents want the moral courage to speak their full minds against us. Even the governments are obliged to favour all legal movements in the direction towards Socialism. So- 35 cieties are forming everywhere for ameliorating the condition of the working people, as well as for giving them the means to cultivate their minds, and some of the highest officers of the Prussian go¬ vernment have taken an active part in those associations. In short, Socialism is the question of the day in Germany, and in the space 22*
340 Aus The New Moral World 1844/45 of a year, a strong Socialist party has grown up, which already now commands the respect of all political parties, and is princi¬ pally courted by the liberals of this country. Up to the present time our stronghold is the middle class, a fact which will perhaps asto¬ nish the English reader, if he do not know that this class in Ger- 5 many is far more disinterested, impartial, and intelligent, than in England, and for the very simple reason, because it is poorer. We, however, hope to be in a short time supported by the working clas¬ ses, who always, and everywhere, must form the strength and body of the Socialist party, and who have been aroused from their 10 lethargy by misery, oppression, and want of employment, as well as by the manufacturing riots in Silesia and Bohemia. Let me on this occasion mention a painting by one of the best German pain¬ ters, Hübner, which has made a more effectual Socialist agitation than a hundred pamphlets might have done. It represents some 15 Silesian weavers bringing linen cloth to the manufacturer, and contrasts very strikingly cold-hearted wealth on one side, and despairing poverty on the other. The well-fed manufacturer is re¬ presented with a face as red and unfeeling as brass, rejecting a piece of cloth which belongs to a woman; the woman, seeing no 20 chance of selling the cloth, is sinking down and fainting, surround¬ ed by her two little children, and hardly kept up by an old man; a clerk is looking over a piece, the owners of which are with pain¬ ful anxiety waiting for the result; a young man shows to his des¬ ponding mother the scanty wages he has received for his labour; an 25 old man, a girl, and a boy, are sitting on a stone bench, and wait¬ ing for their turn; and two men, each with a piece of rejected cloth on his back, are just leaving the room, one of whom is clench¬ ing his fist in rage, whilst the other, putting his hand on his neighbour’s arm, points up towards heaven, as if saying: be quiet, 30 there is a judge to punish him. This whole scene is going on in a cold and unhomely-looking lobby, with a stone floor: only the manufacturer stands upon a piece of carpeting; whilst on the other side of the painting, behind a bar, a view is opened into a luxuriously furnished counting-house, with splendid curtains and 35 looking-glasses, where some clerks are writing, undisturbed by what is passing behind them, and where the manufacturer’s son, a young, dandy-like gentleman, is leaning over the bar, with a horsewhip in his hand, smoking a cigar, and coolly looking at the distressed weavers. This painting has been exhibited in several 40 towns of Germany, and, of course, prepared a good many minds for Social ideas. At the same time, we have had the triumph of seeing the first historical painter of this country, Charles Lessing, become a convert to Socialism. In fact, Socialism occupies at this moment already a ten times prouder position in Germany than it 45
Communism in Germany 341 does in England. This very morning, I read an article in a liberal paper, the Cologne Journal, the author of which had for some rea¬ sons been attacked by the Socialists, and in which article he gives his defence; and to what amounts it? He professes himself a So- 5 cialist, with the only difference that he wants political reforms to begin with, whilst we want to get all at once. And this Cologne Journal is the second newspaper of Germany in influence and cir¬ culation. It is curious, but, at least in the North of Germany, you cannot go on board a steamer, or into a railway-carriage, or mail- 10 coach, without meeting somebody who has imbibed at least some Social idea, and who agrees with you, that something must be done to reorganize society. I am just returning from a trip to some neighbouring towns, and there was not a single place where I did not find at least half-a-dozen or a dozen of out-and-out Socialists. 15 Among my own family—and it is a very pious and loyal one—I count six or more, each of which has been converted without being influenced by the remainder. We have partisans among all sorts of men—commercial men, manufacturers, lawyers, officers of the government and of the army, physicians, editors of newspapers, 20 farmers, etc.; a great many of our publications are in the press, though hardly three or four have as yet appeared; and if we make as much progress during the next four or five years as we have done in the past twelvemonth, we shall be able to erect forthwith a Community. You see, we German theorists are getting practical 25 men of business. In fact, one of our number has been invited to draw up a plan of organization and regulations for a practical Community, with reference to the plans of Owen, Fourier, etc., and profiting of the experience gained by the American Commu¬ nities and your own experiment at Harmony, which I hope goes 30 on prosperously. This plan will be discussed by the various loca¬ lities and printed with the amendments. The most active literary characters among the German Socialists are: — Dr. Charles Marx, at Paris; Dr. M. Hess, at present at Cologne; Dr. Ch. Grün, at Paris; Frederick Engels, at Barmen (Rhenan Prussia) ; Dr. O. Lü- 35 ning, Rheda, Westphalia; Dr. H. Püttmann, Cologne; and several others. Besides those, Henry Heine, the most eminent of all living German poets, has joined our ranks, and published a volume of political poetry, which contains also some pieces preaching So¬ cialism. He is the author of the celebrated Song of the Silesian 40 Weavers, of which I give you a prosaic translation, but which, I am afraid, will be considered blasphemy in England. At any rate, I will give it you, and only remark, that it refers to the battle-cry of the Prussians in 1813: — „With God for King and fatherland!“ which has been ever since a favourite saying of the loyal party. 45 But for the song, here it is: —
342 Aus The New Moral World 1844/45 Without a tear in their grim eyes, They sit at the loom, the rage of despair in their faces; „We have suffered and hunger’d long enough; Old Germany, we are weaving a shroud for thee And weaving it with a triple curse. 6 „We are weaving, weaving! „The first curse to the God, the blind and deaf god Upon whom we relied, as children on their father; In whom we hoped and trusted withal, He has mocked us, he has cheated us nevertheless. 10 „We are weaving, weaving! „The second curse for the King of the rich, Whom our distress could not soften nor touch; The King, who extorts the last penny from us, And sends his soldiers, to shoot us like dogs. „We are weaving, weaving! „A curse to the false fatherland, That has nothing for us but distress and shame, Where we suffered hunger and misery — We are weaving thy shroud, Old Germany! 20 „We are weaving, weaving!“ With this song, which in its German original is one of the most powerful poems I know of, I take leave from you for this time, hoping soon to be able to report on our further progress and social literature. — Yours sincerely, 25 An old Friend of Yours in Germany. [NMW Vol. VI. Third Series. March 8,1845. No. 37, p. 295] Barmen, Feb. 22nd, 1845. — Since I last addressed you, the cause of Communism has been making the same rapid progress as during the latter part of the year 1844. A short time ago I visit- 30 ed several towns on the Rhine, and everywhere I found that our ideas had gained, and were daily gaining more vantage ground than when I last left those places. Everywhere I found fresh pro¬ selytes, displaying as much energy in discussing and spreading the idea of Communism as could possibly be desired. A great many 35 public meetings have been held in all the towns of Prussia, for the purpose of forming associations to counteract the growing pau¬ perism, ignorance and crime among the great mass of the popula- 28 NMW irrtümlich Feb. 2nd,
Communism in Gennany 343 tion. These meetings, at first supported, but when becoming too independent, checked by the Government, have, nevertheless, for¬ ced the social question upon the public attention, and have done a great deal towards the dissemination of our principles. The meet- 5 ing at Cologne was struck so much by the speeches of the leading Communists, that a committee for drawing up the rules of the asso¬ ciation was elected, the majority of which consisted of thorough Communists. The abstract of rules was, of course, founded upon Communist principles; organization of labour, protection of la- 10 bour against the power of capital, &c., and those rules were adop¬ ted almost unanimously by the meeting. Of course the sanction of Government, which is necessary in this country for all associations, has been refused; but since those meetings have been held,the ques¬ tion of communities has been discussed everywhere throughout 15 Cologne. At Elberfeld, it was pronounced as the fundamental prin¬ ciple of the association, that all men had an equal right to educa¬ tion, and ought to participate in the fruits of science. The rules of the association, however, have not yet been confirmed by the Go¬ vernment, and in all probability they will share in the lot of the 20 Cologne rules, as the parsons got up an association of their own as soon as their plan, to make the Society a branch of the town mis¬ sion, had been rejected by the meeting. The liberal association will be prohibited, and the parsons’ association will be supported by Government. This, however, is of little importance, as the ques- 25 tion having been mooted once, is now generally discussed through¬ out the town. Other associations have been formed at Munster, Cleve, Düsseldorf, etc., and it remains to be seen what the results will be. As to Communist literature, a collection of papers relat¬ ing to this subject has been published by H. Püttmann, of Co- 30 logne, containing among the rest, an account of the American com¬ munities, as well as of your own Hampshire Establishment, which has done very much towards annihilating the prejudice of the im¬ practicability of our ideas. Mr. Püttmann, at the same time, has issued the prospectus of a quarterly review, the first number of 35 which he intends issuing in May next, and which will be exclusi¬ vely dedicated to the promulgation of our ideas. Another monthly periodical will be commenced by Messrs Hess of Cologne, and En¬ gels of Barmen, the first number to be published on the first of April next; this periodical will contain facts only, showing the 40 state of civilized society, und preaching the necessity of a radical reform by the eloquence of facts. A new work by Dr. Marx, con¬ taining a review of the principles of Political Economy, and politics in general, will be published shortly. Dr. Marx himself 29 NMW Pullmann 33 NMW Pullmann
344 Aus The New Moral World 1844/45 has been forced by the French Conservative Government, to quit his abode at Paris. He intends to go to Belgium, and if the ven¬ geance of the Prussian Government (which has induced the French Ministers to expel Marx) follows him even there, he must go to England. But the most important fact which has come to my know- 5 ledge since my last, is, that Dr. Feuerbach, the most eminent phi¬ losophical genius in Germany at the present time, has declared himself a Communist. A friend of ours lately visited him in his retired country seat, in a remote comer of Bavaria, and to him he declared his full conviction that Communism was only a necessary 10 consequence of the principles he had proclaimed, and that Com¬ munism was, in fact, only the practice of what he had proclaimed long before theoretically. Feuerbach said, he had never been de¬ lighted so much with any other book, as with the first part of Weit- ling’s Guarantees. I never dedicated, he said, a book to anybody, 15 but I feel much inclined to dedicate to Weitling my next work. Thus the union between the German philosophers, of whom Feuer¬ bach is the most eminent representative, and the German working men represented by Weitling, an union which, a year ago, had been predicted by Dr. Marx, is all but accomplished. With the philoso- 20 phers to think, and the working men to fight for us, will any earthly power be strong enough to resist our progress? An old Friend of Yours in Germany. [NMW Vol. VI. Third Series. May 10,1845. No. 46, p. 371-372] Dear Sir, — Having been unable, for a time, from certain 25 causes, to write you on the state of affairs in Germany, I now continue my reports, hoping that they will interest your readers, and follow each other more uninterruptedly than heretofore. I am glad of being enabled to tell you that we are making the same rapid and steady progress which we made up to my last report. 30 Since I wrote to you last, the Prussian Government have found it unsafe to continue their support to the „Associations for the Be¬ nefit of the Working Classes“. They have found that everywhere these associations became infected with something like Commu¬ nism, and therefore they have done everything in their power to 35 suppress, or at least obstruct, the progress of these associations. On the other hand, the majorities of the members of those societies, being composed of middle-class men, were totally at a loss with regard to die steps they might take to benefit the working people. All their measures, — savings-banks, premiums and prizes for the 40 best workers, and such like, — were instantly proved by the Com¬ munists to be good for nothing, and held up to public laughter. Thus the intention of the middle classes, to dupe the working clas-
Communism in Germany 345 ses, by hypocrisy and sham philanthropy, has been totally frustrated; while to us it gave an opportunity which is rather rare in a country of patriarchal police-government: thus the trouble of the matter has been with the Government and the moneyed men, 5 while we have had all the profit. But not only these meetings were taken profit of for Communist agitation: at Elberfeld, the centre of the manufacturing district of Rhenan Prussia, regular Com¬ munist meetings were held. The Communists of this town were invited by some of the most respectable citizens to discuss their 10 principles with them. The first of these meetings took place in February, and was more of a private character. About forty or fifty individuals assisted, including the attorney-general of the district, and other members of the courts of law, as well as repre¬ sentatives of almost all the leading commercial and manufacturing 15 firms. Dr. Hess, whose name I have had more than once an oppor¬ tunity of mentioning in your columns, opened the proceedings by proposing Mr. Koettgen, a Communist, as chairman, to which no opposition was made. Dr. Hess then read a lecture on the present state of society, and the necessity of abandoning the old system of 20 competition, which he called a system of downright robbery. The lecture was received with much applause (the majority of the audience being Communists); after which Mr. Frederick Engels (who some time ago had some papers on Continental Communism printed in your columns) spoke at some length on the practica- 25 bility and the advantages of the Community system. He also gave some particulars of the American colonies and your own establish¬ ment at Harmony in proof of his assertions. After which a very animated discussion took place, in which the Communist side was advocated by the foregoing speakers and several others; while the so opposition was maintained by the attorney-general, by Dr. Bene- dix, a literary character, and some others. The proceedings, which commenced about nine o’clock in the evening, were continued until one in the morning. The second meeting took place a week after, in the large room of the first hotel in the town. The room was filled 35 with the „respectables66 of the place. Mr. Koettgen, chairman of the former meeting, read some remarks on the future state and pro¬ spects of society, as imagined by the Communists, after which Mr. Engels delivered a speech in which he proved (as may be con¬ cluded from the fact, that not a word was offered in reply), that 40 the present state of Germany was such as could not but produce in a very short time a social revolution; that this imminent revolu¬ tion was not to be averted by any possible measures for promoting commerce and manufacturing industry; and that the only means to prevent such a revolution — a revolution more terrible than 45 any of the mere subversions of past history — was the intro-
346 Aus The New Moral World 1844/45 duction of, and the preparation for, the Community system. The discussion, in which some gentlemen of the profession of the bar, who had come from Cologne and Düsseldorf for the purpose, took part on the Communist side, was again very animated, and pro¬ longed till after midnight. Some Communist poems, by Dr. Mül- 5 ler of Düsseldorf, who was present, were also read. A week afterwards a third meeting took place in which Dr. Hess again lectured, and besides, some particulars about the American com¬ munities were read from a printed paper. The discussion was repeated before the close of the meeting. Some days afterwards 10 a rumour was spread through the town that the next meeting was to be dispersed by the police, and the speakers to be arrested. The mayor of Elberfeld, indeed, went to the hotel-keeper, and threatened to withdraw the licence, if any such meetings in future should be allowed to take place in his house. The Communists 15 instantly communicated with the mayor about the matter, and received, the day before the next meeting, a circular directed to Messrs. Hess, Engels and Koettgen, by which the provincial Go¬ vernment, with a tremendous amount of quotations from ancient and written laws, declared such meetings to be illegal, and 20 threatened to put a stop to them by force, if they should not be abandoned. The meeting took place next Saturday, the mayor and the attorney-general (who after the first meeting had absented himself) were present, supported by a troop of armed police, who had been sent by railroad from Düsseldorf. Of course, under such 25 circumstances, no public addresses were delivered: the meeting occupied themselves with beef-steaks and wine, and gave the police no handle for interference. These measures, however, could not but serve our cause: those who had not yet heard of the matter were now induced to ask for information about it from the importance 30 ascribed to it by the Government; and a great many of those who had come to the discussion ignorant or scoffing at our proposals, went home with a greater respect for Communism. This respect was also partially produced by the respectable manner in which our party was represented; nearly every patrician and moneyed 35 family of the town had one of its members or relatives present at the large table occupied by the Communists. In short the effect produced by these meetings upon the public mind of the whole manufacturing district was truly wonderful; and in a few days afterwards those who had publicly advocated our cause were over- 40 run by numbers of people who asked for books and papers from which they might get a view of the whole system. We understand that the whole proceedings will shortly be published. 89 NMW districts
Communism in Germany 347 — As to Communist literature, there has been exhibited a great activity in this branch of agitation. The public literally long for information: they devour every book published in this line. Dr. Püttmann has published a collection of essays, containing an ex- 5 cellent paper by Dr. Hess, on the distress of modem society, and the means of redressing it; a detailed description of the distressing state of the working people of Silesia, with a history of the riots of last spring; some other articles descriptive of the state of society in Germany; and, finally, an account of the American 10 and Harmony communities (from Mr. Finch’s letters and that of „One who has Whistled at the Plough“), by F. Engels. The book, though prosecuted by the Prussian Government, met with a rapid sale in all quarters. A number of monthly periodicals have been established: the Westphalian Steamboat, published at Bielefeld, 15 by Lüning, containing popular essays on Socialism and reports on the state of the working people; the People’s Journal, at Co¬ logne, with a more decided Socialist tendency; and the Gesell- schafts Spiegel (Mirror of Society), at Elberfeld, by Dr. Hess, founded expressly for the publication of facts characteristic of 20 the present state of society, and for the advocacy of the rights of the working classes. A quarterly review, the Rheinische Jahr¬ bücher (Rhenish Annals), by Dr. Püttmann, has also been esta¬ blished ; the first number is now in the press and will shortly be published. On the other hand, a war has been declared against 25 those of the German philosophers, who refuse to draw from their mere theories practical inferences, and who contend that man has nothing to do but to speculate upon metaphysical questions. Messrs. Marx and Engels have published a detailed refutation of the principles advocated by B. Bauer; and Messrs. Hess and Bürgers 30 are engaged in refuting the theory of M. Stimer: — Bauer and Stimer being the representatives of the ultimate consequences of abstract German philosophy, and therefore the only important philosophical opponents of Socialism — or rather Communism, as in this country the word Socialism means nothing but the dif- 35 ferent vague, undefined, and undefinable imaginations of those who see that something must be done, and who yet cannot make up their minds to go the whole length of the Community system. In the press are also, — Dr. Marx’s „Review of Politics and Poli¬ tical Economy66; Mr. F. Engels’ „Condition of the Working Classes 40 of Great Britain“; „Anecdota, or a Collection of Papers on Com¬ munism“ ; and in a few days will be commenced a translation of the best French and English works on the subject of Social Reform. — In consequence of the miserable political state of Germany, and the arbitrary proceedings of her patriarchal governments, 45 there is hardly a chance of any but a literary connection between
348 Aus The New Moral World 1844/45 the Communists of the different localities. The periodicals, prin¬ cipally the Rhenish Annals, offer a centre for those who, by the press, advocate Communism. Some connection is kept up by tra¬ vellers, but this is all. Associations are illegal, and even correspon¬ dence is unsafe, as the „secret offices“ of late have displayed an 5 unusual activity. Thus it is only by the newspapers that we have received the news of the existence of two Communist associations in Posen and the Silesian mountains. It is reported that at Posen, the capital of Prussian Poland, a number of young men had formed themselves into a secret society, founded upon Communist 10 principles, and with the intention of taking possession of the town; that the plot was discovered, and its execution prevented: this is all we know about the matter. This much, however, is cer- tain, that a great many young men of aristocratic and wealthy Polish families, have been arrested; that since (more than two 15 months) all watch posts are doubled and provided with ball cartridge; and that two youths (of 12 and 19 years respectively), the brothers Rymarkiewicz, have absconded, and not yet been got hold of by the authorities. A great number of the prisoners are youths of from 12 to 20 years. The other so-called conspiracy, 20 in the Silesian mountains, is said to have been very extensive, and also for a Communist purpose: they are reported to have intended to take the fortress of Schweidnitz, to occupy the whole range of mountains, and to appeal from thence to the suffering workpeople of all Germany. How far this may be true, nobody 25 is able to judge; but in this unfortunate district, also, arrests have taken place on the depositions of a police spy; and a wealthy manufacturer, Mr. Schloeffel, has been transported to Berlin, where he is now under trial, as the supposed head of the conspiracy. — The associations of German Communists of the 30 working classes in Switzerland, France and England continue to be very active; though in France, and some parts of Switzerland, they have much to suffer from the police. The papers announce that about sixty members of the Communist association of Geneva have been expelled the town and canton. A. Becker, one of the 35 cleverest of the Swiss Communists, has published a lecture deli¬ vered at Lausanne, entitled, „What do the Communists want?“ which belongs to the best and most spirited things of the sort we know of. I dare say it would merit an English translation, and I should be glad if any of your readers were acquainted enough 40 with the German language to untertake it. It is, of course, only a small pamphlet. — I expect to continue my reports from time to time, and remain, etc. An Old Friend of Yours in Germany.
BESCHREIBUNG KOMMUNISTISCHER ANSIEDLUNGEN IN AMERIKA UND ENGLAND
Der folgende Aufsatz, nieder geschrieben Ende November 1844—An- fang Februar 1845, erschien (um Februar—März) anonym in Deut¬ sches Bürgerbuch für 1845. Herausgegeben von H. Püttmann. Darmstadt, C. W. Leske, 1845. p. 326—340. Engels enthüllt seine Autorschaft in der Korrespondenz an The New Moral World vom 10. Mai 1845. Cf. p.347
Beschreibung der in neuerer Zeit entstandenen und noch bestehenden kommunistischen Ansiedlungen Wenn man sich mit den Leuten über Sozialismus oder Kommu- 5 nismus unterhält, so findet man sehr häufig, daß sie einem in der Sache selbst ganz recht geben und den Kommunismus für etwas sehr Schönes erklären; „aber, sagen sie dann, es ist eine Unmög¬ lichkeit, dergleichen jemals in der Wirklichkeit auszuführen“. Die¬ ser Einwurf wird einem so häufig gemacht, daß es dem Schreiber 10 dieses für nützlich und notwendig erscheint, ihn durch einige Tat¬ sachen zu beantworten, welche in Deutschland noch sehr wenig bekannt sind und wodurch dieser Einwand ganz und gar beseitigt wird. Der Kommunismus, das soziale Leben und Wirken in Ge¬ meinschaft der Güter, ist nämlich nicht nur möglich, sondern in 15 vielen Gemeinden Amerikas und an einem Orte in England be¬ reits wirklich ausgeführt, und das mit dem besten Erfolge, wie wir sehen werden. Übrigens, wenn man jenem Einwande etwas näher auf den Grund geht, so findet man, daß er sich in zwei weitere auflöst; 20 nämlich erstens: es würden sich keine Arbeiter zu den niedrigen und unangenehmen Handarbeiten hergeben; und zweitens: es wür¬ den, bei einem gleichen Anrecht auf den gemeinschaftlichen Be¬ sitz, die Leute sich um diesen Besitz streiten, und so würde die Ge¬ meinschaft wieder zerfallen. — Der erste Einwurf löst sich ein- 25 fach so: diese Arbeiten sind, einmal in der Gemeinschaft, nicht mehr niedrig; und dann, sie lassen sich durch verbesserte Einrich¬ tungen, Maschinen u. dergl. fast ganz beseitigen. So werden in New York in einem großen Gasthofe die Stiefel mit Dampf geputzt, und in der kommunistischen Ansiedlung zu Harmony in England 30 (wovon unten), fegen die nach englischer bequemer Art ein¬ gerichteten Abtritte (water-closets) sich nicht nur selbst, sondern sind auch mit Röhren versehen, die den Unrat direkt in den gro¬ ßen Düngerbehälter abführen. — Was aber den zweiten Einwurf betrifft, so sind bis jetzt alle kommunistischen Kolonien nach zehn 35 bis fünfzehn Jahren so enorm reich geworden, daß sie von allem Wünschenswerten mehr haben, als sie verzehren können, also gar keine Veranlassung zum Streit da ist. —
352 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1845 Der Leser wird finden, daß die meisten der in nachfolgendem geschilderten Ansiedlungen von allerhand religiösen Sekten aus¬ gegangen sind, welche meistens über verschiedene Gegenstände sehr abgeschmackte und unvernünftige Ansichten hegen, und will der Schreiber dieses nur kurz bemerken, daß diese Ansichten 5 durchaus mit dem Kommunismus nichts zu schaffen haben. Es ist auch offenbar einerlei, ob diejenigen, welche die Ausführbarkeit der Gemeinschaft durch die Tat beweisen, an Einen Gott, an zwan¬ zig oder an gar keinen glauben; wenn sie eine unvernünftige Reli¬ gion haben, so ist das ein Hindernis, das der Gemeinschaft im 10 Wege steht, und wenn sich trotzdem die Gemeinschaft hier im Leben bewährt, wie viel eher muß sie bei andern möglich sein, die von solchen Verrücktheiten frei sind. Von den neueren An¬ siedlungen sind auch fast alle ganz frei von religiösen Flausen, und die englischen Sozialisten, obwohl sie sehr tolerant sind, haben 15 fast alle gar keine Religion, deshalb sie auch in dem bigotten Eng¬ land sehr verrufen und verleumdet werden. Daß aber an all die¬ sen üblen Nachreden nichts ist, müssen selbst ihre Gegner ge¬ stehen, wenn’s ans Beweisen geht. Die ersten Leute, welche in Amerika und überhaupt in der Welt 20 eine Gesellschaft auf dem Grund der Gütergemeinschaft zustande brachten, waren die sogenannten Shakers. Diese Leute sind eine eigne Sekte, welche sehr sonderbare religiöse Meinungen haben, nicht heiraten und überhaupt keinen Verkehr der Geschlechter dulden, und was dergleichen mehr ist. Dies aber geht uns hier 25 nichts an. Die Sekte der Shakers entstand vor ungefähr siebzig Jahren. Ihre Stifter waren arme Leute, die sich vereinigten, in brü¬ derlicher Liebe und Gemeinschaft der Güter zusammenzuleben und ihren Gott auf ihre Weise zu verehren. Sie fanden, obwohl ihre religiösen Ansichten und besonders das Verbot der Ehe viele ab- 30 schreckte, dennoch Anhang und haben jetzt zehn große Ge¬ meinden, deren jede drei- bis achthundert Mitglieder stark ist. Jede dieser Gemeinden ist eine schöne, regelmäßig gebaute Stadt, mit Wohnhäusern, Fabriken, Werkstätten, Versammlungshäusem und Scheunen; sie haben Blumen- und Gemüsegärten, Obstbäume, 35 Wälder, Weinberge, Wiesen und Ackerland im Überfluß; dazu Vieh aller Art, Pferde und Rinder, Schafe, Schweine und Feder¬ vieh mehr als sie brauchen können, und von der allerbesten Zucht. Ihre Scheunen sind immer voll Korn, ihre Vorratskam¬ mern voll Kleiderstoffe, so daß ein englischer Reisender, der sie 40 besuchte, gesagt hat: er könne nicht begreifen, warum diese Leute, die doch alles im Überfluß besäßen, noch arbeiteten; es sei denn, daß sie aus purem Zeitvertreib arbeiteten, da sie sonst nichts zu tim hätten. Ünter diesen Leuten gibt es keinen, der gegen seinen Willen zu arbeiten hätte, und keinen, der sich um Arbeit vergebens 45
Beschreibung kommunistischer Ansiedlungen 353 bemüht. Sie haben keine Armenhäuser und Spitäler, weil keinen einzigen Armen und Notleidenden, keine verlassenen Witwen und Waisen; sie kennen keinen Mangel und brauchen ihn nicht zu fürchten. In ihren zehn Städten ist kein einziger Gendarm oder 5 Polizeidiener, kein Richter, Advokat oder Soldat, kein Gefängnis oder Zuchthaus; und doch geht alles ordentlich zu. Die Gesetze des Landes sind nicht für sie da und könnten ihretwegen ebenso¬ gut abgeschafft werden, ohne daß ein Hahn danach krähte; denn sie sind die ruhigsten Bürger und haben nie einen Verbre- ipcher für die Gefängnisse geliefert. Sie leben, wie gesagt, in der vollständigsten Gemeinschaft der Güter und haben keinen Handel und kein Geld unter sich. Eine dieser Städte, Plea- sant Hill bei Lexington im Staate Kentucky, wurde voriges Jahr von einem englischen Reisenden namens Finch besucht, der die 15 folgende Schilderung davon entwirft. „Pleasant Hill besteht aus vielen großen und hübschen Häu¬ sern von Ziegeln und Haustein, Fabriken, Werkstätten, Ställen und Scheunen, alle in der schönsten Ordnung und mit die besten in ganz Kentucky; das Ackerland der Shakers war leicht zu er- 20 kennen an der schönen steinernen Mauer, mit der es eingefaßt war, und an seiner ausgezeichneten Bebauung; eine große Anzahl wohl¬ genährter Kühe und Schafe weideten in den Feldern, und viele fette Schweine lasen in den Obstgärten die abgefallenen Früchte auf. Die Shakers besitzen hier beinahe viertausend amerikanische 25 Morgen Landes, von denen etwa zwei Drittel angebaut sind. Diese Kolonie wurde um das Jahr 1806 von einer einzigen Familie an¬ gefangen ; später kamen andere hinzu, und so vermehrten sie sich allmählich; einige brachten etwas Geld mit, andere gar nichts. Sie hatten mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, und da sie meist 30 sehr arm waren, mußten sie anfangs viel entbehren; aber durch Fleiß, Sparsamkeit und Mäßigkeit haben sie das alles überwun¬ den und haben jetzt Überfluß an allem, und sind niemandem einen Pfennig schuldig. Diese Gesellschaft besteht in diesem Augen¬ blick aus ungefähr dreihundert Mitgliedern, worunter fünfzig 35 oder sechzig Kinder unter sechzehn Jahren. Sie haben keine Her¬ ren und keine Diener, noch viel weniger Sklaven; sie sind frei, reich und glücklich. Sie haben zwei Schulen, eine für Knaben, die andere für Mädchen, in denen Lesen, Schreiben, Rechnen, eng¬ lische Sprache und die Grundsätze ihrer Religion gelehrt werden; 40 sie lehren den Kindern keine Wissenschaften, weil sie glauben, diese seien nicht nötig zum Seligwerden. Da sie keine Ehen dul¬ den, so müßten sie aussterben, wenn nicht immer neue Mitglieder zu ihnen kämen; aber obwohl das Verbot der Ehe viele Tausende abschreckt und manche ihrer besten Mitglieder deswegen wieder 45 fortgehen, so kommen doch immer soviel neue Mitglieder, daß Marx-Engels*Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 23
354 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1845 ihre Zahl sich stets vermehrt. Sie treiben Viehzucht, Ackerbau und Feldbau und ziehen selbst den Flachs, die Wolle und die Seide, die sie in ihren eignen Fabriken verspinnen und verweben. Was sie mehr machen, als sie brauchen können, verkaufen oder ver¬ tauschen sie bei ihren Nachbarn. Sie arbeiten gewöhnlich, solange 5 es hell ist. Der Verwaltungsrat hat ein öffentliches Büro, in dem die Bücher und Rechnungen geführt werden, und jedes Mitglied hat das Recht, diese Rechnungen durchzusehen, so oft es ihm be¬ liebt. Sie wissen selbst nicht, wie reich sie sind, da sie nie ein Register ihrer Güter aufnehmen; sie sind zufrieden zu wissen, daß 10 alles was sie haben, ihnen gehört, da sie keinem etwas schulden. Bloß einmal im Jahre machen sie ein Register der Summen, die ihre Nachbarn ihnen schuldig sind. „Die Gemeinde ist in fünf Familien (Abteilungen) von vier¬ zig bis achtzig Mitgliedern geteilt; jede Familie hat ihre apartem Wirtschaft und wohnt in einem großen, hübschen Hause zusam¬ men ; jeder bekommt, was er braucht, aus dem all¬ gemeinen Vorratshaus der Gemeinde ohne alle Bezahlung und soviel er nötig hat. Jede Familie hat einen Diakon, der dafür sorgt, daß alle bekommen, was sie b e - 20 dürfen, und der den Wünschen eines jeden soviel wie möglich zuvorkommt. Ihre Kleidung ist nach Art der Quäker, einfach, nett und reinlich; ihre Nahrung ist sehr mannigfaltig und durchaus von der besten Beschaffenheit. Wenn sich ein neues Mitglied zur Aufnahme meldet, so muß es nach den Geset- 25 zen der Gemeinde alles, was es hat, in die Gemeinschaft geben und kann es nie zurückverlangen, selbst wenn es austritt; aber trotzdem geben sie doch jedem, der sie verläßt, ebensoviel zurück als er mitgebracht hat. Wenn ein Mitglied weggeht, das nichts mit¬ gebracht hat, so darf es nach den Gesetzen auch keine Entschädi- 30 gung für seine Arbeit verlangen, da es auf allgemeine Kosten ernährt und gekleidet wurde, solange es arbeitete; doch auch in diesem Falle ist es üblich, jedem ein Geschenk mit auf den Weg zu geben, wenn er im Frieden von ihnen geht. „Ihre Regierung ist nach der Art der ersten Christen eingerich- 35 tet. Jede Gemeinde hat zwei Geistliche, einen Mann und eine Frau, welche wieder zwei Stellvertreter haben. Diese vier Geistlichen stehen an der Spitze des Ganzen und entscheiden alle Streitigkei¬ ten. Jede Familie der Gemeinde hat wieder zwei Älteste mit zwei Stellvertretern und einen Diakon oder Verwalter. Das Besitztum 40 der Gemeinde wird vom Verwaltungsrat geordnet, der aus drei Mitgliedern besteht, die ganze Anlage beaufsichtigt, die Arbeiten leitet und mit den Nachbarn Handel treibt. Er darf ohne Einwilli¬ gung der Gemeinde kein Grundstück kaufen oder verkaufen. Dazu gibt es natürlich Aufseher und Geschäftsführer in den verschie- 45
Beschreibung kommunistischer Ansiedlungen 355 denen Arbeitszweigen; sie haben es aber zur Regel gemacht, daß nie von irgend jemand Befehle gegeben wer¬ den, sondern alle durch Güte überzeugt werden sollen.66 5 Eine andre Ansiedlung von Shakers, Neu-Libanon im Staate Neu-York, wurde von einem zweiten englischen Reisenden namens Pitkeithley im Jahre 1842 besucht. Herr Pitkeithley besah die ganze Stadt, die gegen achthundert Einwohner zählt und wozu sie¬ ben- bis achttausend Morgen Land gehören, aufs genaueste, unter- 10 suchte ihre Werkstätten und Fabriken, ihre Gerbereien, Säge¬ mühlen und so weiter, und erklärt die ganze Anlage für voll¬ kommen. Auch er wundert sich über den Reichtum dieser Leute, die mit nichts anfingen und jetzt mit jedem Jahre reicher werden, und sagt: „Sie sind glücklich und heiter unter sich; da ist kein is Zank, sondern im Gegenteil Freundschaft und Liebe herrschen in ihrem ganzen Wohnsitz, und in allen Teilen desselben besteht eine Ordnung und Regelmäßigkeit, die ihresgleichen nicht hat.66 Soviel von den Shakers. Sie leben, wie gesagt, in vollständiger Gemeinschaft der Güter und haben zehn solcher Gemeinden in 20 den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Außer den Shakers gibt es aber noch andre auf Gemeinschaft der Güter begründete Ansiedlungen in Amerika. Vor allen sind hier die Rappiten zu erwähnen. Rapp ist ein Prediger aus Württemberg, der sich um 1790 mit seiner Gemeinde von 25 der lutherischen Kirche lossagte und, da er von der Regierung verfolgt wurde, 1802 nach Amerika ging. Seine Anhänger folg¬ ten ihm im Jahre 1804, und so siedelte er sich mit etwa hundert Familien in Pennsylvanien an. Sie hatten etwa 25000 Taler zu¬ sammen im Vermögen, wofür sie Grundstücke und Werkzeuge 30 kauften. Ihr Land war ein unbebauter Urwald und kostete sie so¬ viel, als ihr ganzes Vermögen betrug; doch bezahlten sie es erst nach und nach. Sie vereinigten sich nun zur Gütergemeinschaft, und zwar machten sie folgenden Vertrag: 1) Jeder gibt alles, was er hat, in die Gemeinschaft, ohne da- 35 durch irgendeinen Vorteil zu erlangen. In der Gemeinschaft sind alle gleich. 2) Die Gesetze und Vorschriften der Gesellschaft sind gleich bindend für alle. 3) Alle arbeiten nur für das Wohlergehen der ganzen Gesell- 40 schäft und nicht jeder für sich allein. 4) Wer die Gesellschaft verläßt, hat keinen Anspruch auf Ver¬ gütung für seine Arbeit, bekommt aber alles zurück, was er ein¬ gelegt hat; und wer nichts eingelegt hat und in Frieden und Freundschaft scheidet, bekommt ein freiwilliges Geschenk auf 45 den Weg. 23*
356 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1845 5) Dafür verpflichtet sich die Gemeinde, jedes Mitglied und seine Familie mit den nötigen Lebensbedürfnissen und der nöti¬ gen Pflege in Krankheit und Alter zu versehen, und wenn die Eltern sterben oder austreten und ihre Kinder zurücklassen, so wird die Gemeinde diese Kinder erziehen. 5 In den ersten Jahren ihrer Gemeinschaft, wo sie eine Wildnis urbar zu machen und jährlich noch an 7000 Taler von dem Kauf- gelde des Grundstücks abzutragen hatten, ging es ihnen natürlich schlecht. Dadurch wurden mehrere der Reicheren abgeschreckt, traten aus und nahmen ihr Geld zurück, was die Schwierigkeiten 10 der Ansiedler noch sehr vermehrte. Aber die meisten hielten treu¬ lich aus, und so hatten sie schon nach fünf Jahren, im Jahre 1810, ihre sämtlichen Schulden bezahlt. Im Jahre 1815 verkauften sie aus verschiedenen Gründen ihre ganze Ansiedlung und kauften wiederum zwanzigtausend Morgen Urwald im Staate Indiana. 15 Nach ein paar Jahren hatten sie hier die hübsche Stadt Neu- Harmony errichtet und das meiste Land urbar gemacht, Wein¬ berge und Kornfelder, eine Wollen- und Baumwollenfabrik an¬ gelegt, und wurden täglich reicher. 1825 verkauften sie ihre ganze Kolonie für zweimalhunderttausend Taler an Herrn Robert 20 Owen und zogen zum drittenmal in den Urwald. Diesmal siedel¬ ten sie sich an dem großen Strom Ohio an und bauten die Stadt Economy, welche größer und schöner ist als irgendeine, in der sie früher wohnten. Im Jahre 1831 kam der Graf Leon mit einer Gesellschaft von ungefähr dreißig Deutschen nach Amerika, um 25 sich ihnen anzuschließen. Sie nahmen diese neuen Ankömm¬ linge gern auf; aber der Graf hetzte einen Teil der Mitglieder gegen Rapp auf, weshalb in einer Versammlung der ganzen Ge¬ meinde beschlossen wurde, daß Leon und die Seinigen weg mü߬ ten. Die Übrigbleibenden bezahlten den Unzufriedenen über 30 hundertzwanzigtausend Taler aus, und von diesem Gelde stiftete Leon eine zweite Kolonie, die aber wegen schlech¬ ter Verwaltung mißglückte; die Teilnehmer daran zerstreuten sich, und Graf Leon starb bald darauf als ein Landstrei¬ cher in Texas. Die Ansiedlung Rapps dagegen blüht bis auf 35 den heutigen Tag. Über ihre jetzige Lage berichtet der erwähnte Reisende Finch: „Die Stadt Economy besteht aus drei langen und breiten Straßen, welche von fünf ebenso breiten Querstraßen durch¬ schnitten werden, sie hat eine Kirche, einen Gasthof, eine Wollen-, 40 Baumwollen- und Seidenfabrik, eine Anstalt zur Zucht von Sei- denwürmem, öffentliche Warenlager zur Benutzung der Mitglie¬ der und zum Verkauf an Fremde, ein Naturalienkabinett, Werk¬ stätten für die verschiedenen Handwerke, Wirtschaftsgebäude und große schöne Wohnhäuser für die verschiedenen Familien 45
Beschreibung kommunistischer Ansiedlungen 357 mit einem großen Garten bei jedem Hause. Das dazugehörige Ackerland ist an zwei Stunden lang und eine Viertelstunde breit, enthält große Weinberge, einen Obstgarten von siebenunddreißig Morgen nebst Ackerland und Wiesen. Die Zahl der Mitglieder ist 5 gegen vierhundertundfünfzig, die alle wohlgekleidet und gut ge¬ nährt sind und prächtig wohnen, heitere, zufriedene, glückliche und tugendhafte Leute, die seit vielen Jahren keinen Mangel ken¬ nen. „Auch sie waren eine Zeitlang sehr gegen die Ehe eingenom- 10 men, doch heiraten sie jetzt und haben Familien und wünschen sehr die Zahl der Mitglieder zu vermehren, wenn geeignete Leute sich ihnen anbieten sollten. Ihre Religion ist das Neue Testament, aber sie haben kein besonderes Glaubensbekennt¬ nis und lassen jedem seine eigne Meinung, solange 15 er die andern gewähren läßt und nicht wegen Glaubenssachen Streit anhebt. Sie nennen sich Harmonisten. Sie haben keine bezahlten Geistlichen, Herr Rapp, der über achtzig Jahre alt ist, ist sowohl Geistlicher als Verwalter und Schiedsrichter. Sie musizieren gern, haben zuweilen Konzerte und musikalische 20 Abendunterhaltungen. Die Ernte wurde den Tag vor meiner An¬ kunft mit einem großen Konzert in den Feldern angefangen. In ihren Schulen wird Lesen, Schreiben, Rechnen und Sprachunter¬ richt gegeben; aber keine Wissenschaften, gerade wie bei den Shakers. Sie arbeiten viel länger, als sie nötig haben, nämlich Win- 25 ter und Sommer von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang; alle arbeiten, und die im Winter nicht in den Fabriken unterkommen, finden Arbeit beim Dreschen, der Viehzucht usw. Sie haben 75 Milchkühe, große Schafherden, viele Pferde, Schweine und Geflügel, und von dem, was sie erspart haben, haben sie große 30 Summen bei Kaufleuten und Wechslern ausstehen; und obwohl sie durch Bankrotte einen bedeutenden Teil dieser Ausstände ver¬ loren haben, so haben sie doch noch eine Menge nutzlosen Geldes, die mit jedem Jahre größer wird. „Ihr Bestreben war von Anbeginn, alles selbst zu machen, was 35 sie brauchten, damit sie so wenig wie möglich von andern zu kau¬ fen hätten und am Ende mehr machten, als sie brauchten; später bezogen sie eine Herde von hundert spanischen Schafen zur Ver¬ besserung der Schafzucht, wofür sie fünf zehntausend Taler be¬ zahlten. Sie waren mit die ersten, welche in Amerika anfingen, 40 wollene Waren zu verfertigen. Dann fingen sie an, Weinberge an¬ zulegen, Flachs zu bauen, eine Baumwollenfabrik zu errichten und die Zucht und Verarbeitung der Seide zu betreiben. In allen Dingen aber sorgen sie zuerst dafür, sich selbst reichlich zu ver¬ sehen, ehe sie irgend etwas verkaufen. 45 „Sie leben in Familien von zwanzig bis vierzig Leuten, deren
358 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1845 jede ein eignes Haus und eine eigne Wirtschaft hat. Alles was sie bedarf, erhält die Familie aus den gemeinschaftlichen Vorrats¬ häusern. Sie haben Überfluß für alle, und sie be¬ kommen alle unentgeltlich, soviel sie wünschen. Wenn sie Kleider brauchen, so gehen sie zum Schneidermeister, 5 zur Nähterin oder zum Schuhmacher, und bekommen sie gemacht nach ihrem Geschmack. Das Fleisch und die übrigen Nahrungs¬ mittel werden jeder Familie nach der Anzahl ihrer Mitglieder zu¬ geteilt, und sie haben alles reichlich und im Übermaß.“ Eine andere in Gütergemeinschaft lebende Gemeinde hat sich 10 zu Zoar im Staate Ohio angesiedelt. Auch diese Leute sind württembergische Separatisten, die sich zu gleicher Zeit wie Rapp von der lutherischen Kirche lossagten und, nach¬ dem sie zehn Jahre lang von dieser und der Regierung verfolgt worden waren, ebenfalls auswanderten. Sie waren sehr arm und 15 konnten nur durch die Unterstützung menschenfreundlicher Quä¬ ker in London und Amerika zu ihrem Ziele kommen. Sie kamen im Herbst 1817 in Philadelphia unter der Leitung ihres Pfarrers B ä u m 1 e r an, kauften von einem Quäker das Stück Land, das sie jetzt noch besitzen und das siebentausend Morgen groß ist. Der 20 Kaufpreis, der gegen sechstausend Taler betrug, sollte allmäh¬ lich abgetragen werden. Als sie an Ort und Stelle ankamen und ihr Geld zählten, fanden sie, daß auf jeden Kopf gerade sechs Taler kamen. Das war alles; von dem Kaufpreise des Grundstücks war noch kein Heller bezahlt, und von diesen paar Talern sollten 25 sie Saatkorn, Ackergerät und Lebensmittel bis zur nächsten Ernte kaufen. Sie fanden einen Wald mit ein paar Blockhäusern vor, den sie urbar zu machen hatten; aber sie begaben sich frisch an die Arbeit, brachten ihre Felder bald in einen ackerbaren Zustand und bauten schon im nächsten Jahre eine Kommiihle. Anfangs 30 teilten sie ihr Land in kleinere Stücke, deren jedes von einer Familie für ihre eigne Rechnung und als ihr Privat¬ eigentum bebaut wurde. Aber sie sahen bald, daß dies nicht anging, denn weil jeder nur für sich arbei¬ tete, konnten sie die Wälder nicht schnell genug ausrotten und ur- 35 bar machen, konnten sich überhaupt gegenseitig nicht recht unterstützen, und so gerieten viele in Schulden und waren in Gefahr, ganz arm zu werden. Nach anderthalb Jah¬ ren also, im April 1819, vereinigten sie sich zu einer Gütergemeinschaft, entwarfen eine Verfassung und er- 40 wählten einstimmig ihren Pfarrer Bäumler zum Direktor. Sie be¬ zahlten jetzt alle Schulden der Mitglieder, erhielten zwei Jahre Ausstand für den Kaufpreis des Grundstücks und arbeiteten mit doppeltem Eifer und vereinten Kräften. Bei dieser neuen Einrich¬ tung standen sie sich so gut, daß sie schon vier Jahre vor der aus- 45
Beschreibung kommunistischer Ansiedlungen 359 gemachten Zeit den ganzen Kaufpreis ihrer Ländereien mit Zin¬ sen abgetragen hatten, und wie es ihnen im übrigen geht, wird die folgende Beschreibung zweier Augenzeugen dartun: Ein amerikanischer Kaufmann, der sehr häufig nach Zoar 5 kommt, schildert diesen Ort als ein vollkommenes Muster von Reinlichkeit, Ordnung und Schönheit, mit einem prächtigen Gast¬ hof, einem Palast zur Wohnung für den alten Bäumler, einem schönen öffentlichen Garten von zwei Morgen mit einem großen Treibhause und schönen, wohlgebauten Häusern und Gärten. Er 10 schildert die Leute als sehr glücklich und zufrieden, arbeitsam und ordentlich. Seine Beschreibung wurde in der Zeitung von Pittsburg (Ohio) veröffentlicht (Pittsburg Daily Advocate and Avertiser, July 17, 1843). Der mehrerwähnte Finch erklärt diese Gemeinde für die am is vollkommensten eingerichtete von allen, die in Amerika in Güter¬ gemeinschaft leben. Er gibt ein langes Verzeichnis ihrer Reich¬ tümer, erzählt, daß sie eine Flachsspinnerei und eine Wollen¬ fabrik haben, eine Gerberei, Eisengießereien, zwei Kommühlen, zwei Sägemühlen, zwei Dreschmaschinen und eine Masse Werk- 20 Stätten für alle möglichen Handwerke. Dazu sagt er, daß ihr Ackerland besser bebaut sei, als alles andre, was er in Amerika gesehen habe. — Das „Pfennig-Magazin“ schätzt den Besitz der Separatisten auf hundertsiebzig- bis hundertachtzigtausend Taler, die alle in fünfundzwanzig Jahren verdient wurden, da sie mit gar 25 nichts anfingen als sechs Taler für den Kopf. Es sind ihrer etwa zweihundert. Auch sie hatten eine Zeitlang die Ehen untersagt, sind aber, wie die Rappisten, davon zurückgekommen und hei¬ raten jetzt. Finch gibt eine Abschrift der Verfassung dieser Separatisten, 30 die der Hauptsache nach in folgendem besteht: Alle Beamten der Gesellschaft werden gewählt und zwar von sämtlichen Mitgliedern derselben, die über einundzwanzig Jahre alt sind, aus ihrer eignen Mitte. Diese Beamten bestehen aus: 1) Drei Verwaltern, von denen jährlich einer neu ge- 35 wählt wird und die jederzeit von der Gesellschaft abgesetzt wer¬ den können. Diese verwalten das sämtliche Eigentum der Gesell¬ schaft und versehen die Mitglieder mit den nötigen Lebensbedürf¬ nissen, Wohnung, Kleidung und Nahrung, so gut wie es die Um¬ stände erlauben und ohne Ansehen der Person. Sie ernennen 40 Unterverwalter für die verschiedenen Arbeitszweige, schlichten kleine Streitigkeiten und können, in Vereinigung mit dem Gesell¬ schaftsrat, neue Vorschriften erlassen, die aber nie der Verfas¬ sung widersprechen dürfen. 2) Aus dem Direktor, der solange in seinem Amte bleibt, 45 als er das Vertrauen der Gesellschaft besitzt und sämtliche Ge¬
360 Aus dem Deutschen Biirgerbuch für 1845 schäfte als oberster Beamter leitet. Er hat das Recht zu kaufen und zu verkaufen, Kontrakte zu schließen, kann aber in allen wich¬ tigen Angelegenheiten nur mit Einwilligung der drei Verwalter handeln. 3) Aus dem Gesellschaftsrat, der aus fünf Mitgliedern 5 besteht, von denen jährlich eines austritt, und der die höchste Macht in der Gesellschaft besitzt, mit den Verwaltern und dem Direktor Gesetze erläßt, die übrigen Beamten beaufsichtigt und Streitigkeiten schlichtet, wenn die Parteien mit der Entscheidung der Verwalter nicht zufrieden sind; und 10 4) Aus dem Zahlmeister, der auf vier Jahre gewählt wird, und der allein von allen Mitgliedern und Beamten das Recht hat, Geld in Verwahrung zu haben. Im übrigen verordnet die Verfassung, daß eine Erziehungs¬ anstalt errichtet werden soll, daß sämtliche Mitglieder all ihr 15 Eigentum für immer in die Gemeinschaft geben und es nie zurück¬ verlangen können, daß neue Mitglieder nur, nachdem sie ein Jahr mit der Gesellschaft gelebt und wenn sie die Stimmen aller Mit¬ glieder für sich haben, aufgenommen und die Verfassung nur dann geändert werden kann, wenn zwei Drittel der Mitglieder 20 dafür sind. Diese Schilderungen könnten leicht noch sehr ausgeführt wer¬ den, denn fast alle Reisenden, die ins Innere von Amerika gehen, besuchen eine oder die andere der erwähnten Ansiedlungen, und fast alle Reisebeschreibungen schildern sie. Aber 25 auch kein einziger ist imstande gewesen, diesen Leuten etwas Übles nachzusagen, im Gegenteil, alle haben nur zu loben gefun¬ den und können höchstens die religiösen Vorurteile, besonders der Shakers, tadeln, welche aber mit der Lehre der Gütergemein¬ schaft augenscheinlich nichts zu tun haben. So könnte ich noch 30 die Werke der Miß Martineau, der Herren Melish und Bucking¬ ham und vieler andern anführen; da aber in obigem genug gesagt ist, und die Leute doch alle dasselbe erzählen, so ist dies nicht nötig. Der Erfolg, dessen die Shakers, Harmonisten und Separatisten 35 sich erfreuen, sowie das allgemeine Bedürfnis einer neuen Ordnung der menschlichen Gesellschaft und die daraus entsprungenen Be¬ mühungen der Sozialisten und Kommunisten, haben viele andre Leute in Amerika veranlaßt, in den letzten Jahren ähnliche Ver¬ suche anzustellen. So hat Hr. Gina 1, ein deutscher Pre-40 diger in Philadelphia, eine Gesellschaft gebildet, welche 37000 Morgen Wald in dem Staat Philadelphia angekauft, dort über achtzig Häuser errichtet und schon an fünfhundert Personen, meistens Deutsche, dort angesiedelt hat. Sie haben eine große Gerberei und Töpferei, viele Werktsätten und Vorratshäu- 45
Beschreibung kommunistischer Ansiedlungen 361 ser, und es geht ihnen recht gut. Daß sie in Gütergemein¬ schaft leben, versteht sich, wie bei allen nachfolgenden Bei¬ spielen, von selbst. — Ein Herr H i z b y, Eisenfabrikant zu Pitts¬ burg (Ohio), hat in seiner Vaterstadt eine ähnliche Gesellschaft 5 errichtet, die im vorigen Jahre etwa 4000 Morgen Landes in der Nähe jener Stadt gekauft und die Absicht hat, eine Ansiedlung mit Gemeinschaft der Güter darauf anzulegen. — Ferner besteht eine solche Ansiedlung im Staate Neu-York zu Skaneateles, welche von J. A. Collins, einem englischen Sozialisten, im io Frühjahre 1813 mit dreißig Mitgliedern angefangen wurde; dann zu M i n d e n im Staate Massachusetts, wo seit 1842 etwa hundert Personen angesiedelt sind; dann zwei in Pike-County im Staate Pennsylvanien, die ebenfalls neuerdings errichtet wurden; dann eine zu Brook-Farm, Massachusetts, wo fünfzig Mitglie¬ ds der und dreißig Schüler auf etwa 200 Morgen leben und eine aus¬ gezeichnete Schule, unter der Leitung des unitarischen Predigers G. R i p 1 ey errichtet haben; sodann eine zu Northampton in dem¬ selben Staate, die seit 1842 besteht und 120 Mitglieder auf 500 Morgen Landes, mit Ackerbau, Viehzucht und in Sägemühlen, 20 Seidenfabriken und Färberei beschäftigt, und schließlich eine Ansiedlung ausgewanderter englischer Sozialisten zu Equality bei Milwaukee im Staate Wisconsin, welche im vorigen Jahre von Thomas Hunt angefangen wurde und rasch fort¬ schreitet. Außer diesen sollen noch mehrere Gemeinschaften 25 neuerdings gegründet sein, worüber aber noch Nachrichten feh¬ len. — Soviel ist indessen gewiß, daß die Amerikaner und namentlich die armen Arbeiter in den großen Städten New York, Philadelphia, Boston usw. sich die Sache zu Herzen genommen und viele Gesellschaften zur Stiftung derartiger Ansiedlungen ge- 30 gründet haben, und daß alle Augenblicke neue Gemeinschaften angelegt werden. Die Amerikaner sind es müde, noch länger die Knechte der wenigen Reichen zu sein, die sich von der Arbeit des Volks nähren; und bei der großen Tätigkeit und Ausdauer dieser Nation ist es augenscheinlich, daß die Gemeinschaft der Güter 35 bald in einem bedeutenden Teile ihres Landes eingeführt sein wird. Aber nicht nur in Amerika, auch in England ist es versucht worden, die Gütergemeinschaft durchzuführen. Hier hat der men¬ schenfreundliche Robert Owen seit dreißig Jahren diese Lehre 40 gepredigt, sein ganzes großes Vermögen zugesetzt und sein Letztes hingegeben, um die jetzt bestehende Kolonie zu Harmony in Hampshire zu gründen. Nachdem er eine Gesellschaft zu die¬ sem Zwecke gestiftet, hat diese ein Grundstück von 1200 Morgen angekauft und dort eine Gemeinschaft nach den Vorschlägen 45 Owens errichtet. Sie zählt jetzt über hundert Mitglieder, die in
362 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1845 einem großen Gebäude zusammenwohnen und bis jetzt hauptsäch¬ lich im Feldbau beschäftigt worden sind. Da sie gleich von vorn¬ herein als ein vollkommenes Muster der neuen Gesellschaftsord¬ nung eingerichtet werden sollte, so war ein bedeutendes Kapital dazu nötig, und bis jetzt sind schon an zweimalhunderttausend 6 Taler hineingesteckt worden. Ein Teil dieser Gelder wurde an¬ geliehen und mußte von Zeit zu Zeit zurückgezahlt werden, so daß hieraus viele Schwierigkeiten entstanden und viele Anlagen wegen Mangel an Geld nicht vollendet und einträglich gemacht werden konnten. Und da die Mitglieder der Gemeinde nicht die alleini-10 gen Eigentümer der Anlage waren, sondern von der Direktion der Gesellschaft der Sozialisten, welcher die Anlage gehört, regiert wurden, so entstanden auch hieraus hin und wieder Mißverständ¬ nisse und Unzufriedenheit. Aber trotz alledem geht die Sache ihren Gang voran, die Mitglieder vertragen sich untereinander, nach dem 15 Zeugnisse aller Besucher, aufs beste, helfen sich gegenseitig voran, und bei allen Schwierigkeiten ist das Bestehen der Anlage jetzt doch gesichert. Die Hauptsache ist, daß alle Schwierigkeiten nicht aus der Gemeinschaft entstehen, sondern daraus, daß die Gemeinschaft noch nicht vollständig durchgeführt ist. Denn wäre 20 sie dies, so würden die Mitglieder nicht all ihren Verdienst zur Abbezahlung von Zinsen und geborgten Geldern verwenden müs¬ sen, sondern sie könnten davon die Anlage vervollständigen und besser bewirtschaften; und dann würden sie auch ihre Verwaltung selbst wählen und nicht immer von der Direktion der Gesellschaft 25 abhängig sein. Von der Anlage selbst gibt ein praktischer Ökonom, der ganz England durchreiste, um sich von dem Zustande des Ackerbaus zu unterrichten und mit der Unterschrift: „Einer, der hinter dem Pfluge gepfiffen hat46, der Londoner Zeitung „Moming Chronicle“ 30 darüber zu berichten, folgende Beschreibung („M. Chr.“ Dec. 13, 1842): Nachdem er durch eine sehr schlecht bebaute, mehr mit Un¬ kraut als mit Getreide bewachsene Gegend gekommen war, hörte er zum ersten Male in seinem Leben in einem nahen Dorfe etwas 35 über die Sozialisten in Harmony. Ein wohlhabender Mann dort erzählte ihm, daß sie ein großes Grundstück bebauten, und zwar sehr gut bebauten, daß alle die lügenhaften Gerüchte, die über sie verbreitet seien, nicht wahr seien, daß es der Pfarre zur gro¬ ßen Ehre gereichen würde, wenn nur die Hälfte ihrer Einwohner 40 sich so anständig aufführen wollten wie diese Sozialisten, und daß ebensosehr zu wünschen wäre, daß die Gutsbesitzer der Um¬ gegend den Armen so viel und so vorteilhafte Beschäftigung gäben wie jene Leute. Sie hätten ihre eignen Ansichten vom Eigentum, aber bei alledem führten sie sich sehr gut auf und 45
Beschreibung kommunistischer Ansiedlungen 363 gäben der ganzen Umgegend ein gutes Beispiel. Er fügte hinzu: Ihre religiösen Meinungen sind verschieden; einige gehen in diese, andere in jene Kirche, und sie sprechen nie über Religion oder Politik mit den Leuten aus dem Dorfe. Mir antworteten zwei auf 5 mein Befragen, es gäbe keine bestimmte religiöse Meinung unter ihnen und jeder könne glauben, was er wolle. Wir alle waren sehr bestürzt, als wir hörten, daß sie hierher kämen; aber jetzt finden wir, daß sie sehr gute Nachbarn sind, unsem Leuten ein gutes Bei¬ spiel von Sittlichkeit geben, viele unsrer Armen beschäftigen, und 10 da sie nie versuchen, uns ihre Meinungen beizubringen, so haben wir gar keine Ursache, mit ihnen unzufrieden zu sein. Sie zeich¬ nen sich alle durch anständiges und wohlerzogenes Betragen aus und keiner hier in der Gegend wagt etwas gegen ihre sittliche Auf¬ führung zu sagen. in Unser Berichterstatter hörte noch von andern dasselbe und ging dann nach Harmony. Nachdem er wieder durch schlecht bebaute Felder gekommen war, stieß er auf ein sehr gut bewirtschaftetes Rübenfeld mit einer reichlichen, schönen Ernte, und sagte zu sei¬ nem Freunde, einem Pächter aus der Gegend: Wenn das sozia- 20 listische Rüben sind, so lassen sie sich gut an. Bald darauf be¬ gegneten ihm siebenhundert sozialistische Schafe, die ebenfalls prächtig waren, und kamen dann an das große, geschmackvolle und solide Wohngebäude. Alles war indes noch unvollendet, Zie¬ gel und Bauholz, halbfertige Mauern und ungegrabener Boden. 25 Sie traten ein, wurden höflich und freundlich auf genommen und im Gebäude umhergeführt. Im Erdgeschoß war ein großer E߬ saal und die Küche, von der aus die vollen Schüsseln mit einer Maschine in den Eßsaal und die leeren zurück in die Küche ge¬ bracht wurden. Einige Kinder zeigten den Fremden diese Ma¬ jo schine und zeichneten sich durch reine nette Kleidung, gesundes Aussehen und anständiges Betragen aus. Die Frauen in der Küche sahen ebenfalls sehr reinlich und anständig aus, und der Be¬ sucher wunderte sich sehr, daß sie unter all den ungewaschenen Schüsseln — das Mittagessen war eben vorüber — noch so nett 35 und rein aussehen konnten. Die Küche selbst war über alle Be¬ schreibung schön eingerichtet, und der Londoner Baumeister, der sie gemacht, erklärte, daß in London selbst sehr wenige Küchen so vollständig und kostspielig eingerichtet seien, eine Bemerkung, in die unser Besucher einstimmt. — Bei der Küche waren be- 40 queme Waschhäuser, Bäder, Kellerräume und aparte Räume, wo jedes Mitglied bei seiner Rückkehr von der Arbeit sich waschen konnte. Im nächsten Stockwerk war ein großes Ballzimmer und dar¬ über die Schlafzimmer, alle sehr bequem eingerichtet. 45 Der Garten, siebenundzwanzig Morgen groß, war in der besten
364 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1845 Ordnung, und überhaupt war eine große Tätigkeit nach allen Sei¬ ten hin zu bemerken. Da wurden Ziegel gemacht, Kalk gebrannt, gebaut und Straßen angelegt; hundert Morgen Weizen waren schon gesät und es sollte noch mehr Weizenfeld angelegt werden; ein Teich zur Aufnahme flüssigen Düngers wurde angelegt und aus 5 dem Wäldchen, das sich auf der Besitzung befand, wurde die Pflanzenerde zum Düngen gesammelt; kurz, alles wurde getan, um die Ertragsfähigkeit des Bodens zu heben. Unser Besucher schließt: „Ich glaube, daß ihr Grundstück durchschnittlich eine jährliche Miete von drei Pfund (einund-10 zwanzig Taler) für den Morgen wert ist, und sie bezahlen nur fünfzehn Schillinge (fünf Taler). — Sie haben einen vortreff¬ lichen Handel gemacht, wenn sie nur vernünftig wirtschaften, und was man auch von ihren sozialen Häusern sagen möge, so muß man gestehen, daß sie ihre Besitzung auf eine ausgezeichnete Weise bebauen.“ Setzen wir dieser Beschreibung noch einiges über die innere Einrichtung dieser Gemeinschaft hinzu. Die Mitglieder wohnen in einem großen Hause zusammen, und zwar hat jeder sein apar¬ tes Schlafzimmer, das aufs bequemste eingerichtet ist; die Haus- 20 wirtschaft wird für alle zusammen von einem Teile der Frauen betrieben, wodurch natürlich sehr viel Unkosten, Zeit und Mühe erspart wird, die bei vielen kleinen Haushaltungen verloren gehen würden, und wodurch viele Bequemlichkeiten erreicht werden, die in kleinen Wirtschaften gar nicht möglich sind. So heizt das 25 Feuer der Küche zugleich alle Zimmer des Hauses mit warmer Luft und durch Röhren ist warmes und kaltes Wasser in jedes Zimmer geleitet, und was dergleichen Annehmlichkeiten und Vor¬ teile mehr sind, die nur bei einer gemeinschaftlichen Einrichtung stattfinden können. Die Kinder werden in die Schule gegeben, die mit der Anlage verbunden ist, und dort auf allgemeine Kosten er¬ zogen. Die Eltern können sie sehen, wenn sie wollen, und die Er¬ ziehung ist sowohl für die körperliche wie für die geistige Aus¬ bildung und für das gemeinschaftliche Leben berechnet. Mit reli¬ giösen und theologischen Zänkereien, mit Griechisch und Latei- nisch werden die Kinder nicht geplagt; dafür lernen sie desto besser die Natur, ihren eignen Körper und ihre geistigen Fähig¬ keiten kennen und erholen sich auf den Feldern von dem wenigen Sitzen, das ihnen zugemutet wird; denn die Schule wird ebenso oft unter freiem Himmel als in geschlossenen Räumen gehalten, und die Arbeit ist ein Teil der Erziehung. Die sittliche Erziehung beschränkt sich auf die Anwendung des einen Satzes: Was du nicht willst, daß andere dir tun sollen, das tue du ihnen nicht, also auf die Durchführung vollkommner Gleichheit und brüder¬ licher Liebe. 45
Beschreibung kommunistischer Ansiedlungen 365 Die Ansiedlung steht, wie gesagt, unter der Leitung des Prä¬ sidenten und der Direktion der Gesellschaft der Sozialisten; diese Direktion wird alljährlich vom Kongreß, zu dem jede Zweig¬ gesellschaft ein Mitglied schickt, erwählt und hat unumschränkte 5 Vollmachten innerhalb der Statuten der Gesellschaft und mit Ver¬ antwortlichkeit gegen den Kongreß. Die Gemeinschaft wird also regiert von Leuten, die außer der Gemeinschaft leben, und da kann es nicht fehlen, daß es Mißverständnisse und Häkeleien ab¬ setzt; indessen, wenn selbst der Versuch zu Harmony hieran und 10 an Geldverlegenheiten scheitern sollte, wozu aber durchaus keine Aussicht vorhanden ist, so würde dies nur ein Grund mehr für die Gemeinschaft der Güter sein, da diese beiden Schwierigkeiten nur darin ihren Grund haben, daß die Gemeinschaft noch nicht voll¬ ständig durchgeführt ist. Aber trotz alledem ist das Bestehen der 15 Ansiedlung gesichert, und wenn sie auch nicht so rasch fortschrei¬ ten und vollendet werden kann, so werden doch die Gegner der Gemeinschaft den Triumph nicht erleben, daß sie zugrunde geht. Wir sehen also, daß die Gemeinschaft der Güter gar nichts Un¬ mögliches ist, sondern daß im Gegenteil alle diese Versuche voll¬ st? kommen geglückt sind. Wir sehen auch, daß die Leute, welche in Gemeinschaft leben, bei weniger Arbeit besser leben, mehr Muße zur Ausbildung ihres Geistes haben, und daß sie bessere und sitt¬ lichere Menschen sind als ihre Nachbarn, die das Eigentum bei¬ behalten haben. Alles das haben auch die Amerikaner, Englän- 25 der, Franzosen und Belgier, sowie eine Menge Deutscher bereits eingesehen. In allen Ländern gibt es eine Anzahl Leute, welche sich mit der Verbreitung dieser Lehre beschäftigen und für die Gemeinschaft Partei ergriffen haben. Wenn diese Sache für alle wichtig ist, so ist sie es ganz beson- 30 ders für die armen Arbeiter, die nichts besitzen, die ihren Lohn, den sie heute verdienen, morgen wieder verzehren und jeden Augenblick durch unvorhergesehene und unvermeidliche Zufälle brotlos werden können. Diesen wird hierin eine Aussicht auf eine unabhängige, sichere und sorgenfreie Existenz, auf eine vollkom- 35 mene Gleichberechtigung mit denen gegeben, die jetzt durch ihren Reichtum den Arbeiter zu ihrem Sklaven machen können. Diese Arbeiter geht die Sache am meisten an. In andern Ländern bilden die Arbeiter den Kem der Partei, die Gütergemeinschaft verlangt, und es ist die Pflicht auch der deutschen Arbeiter, sich die Sache io ernstlich zu Herzen zu nehmen. Wenn die Arbeiter untereinander einig sind, Zusammenhalten und Einen Zweck verfolgen, so sind sie unendlich viel stärker als die Reichen. Und wenn sie vollends einen so vernünftigen und das Beste aller Menschen wollenden Zweck im Auge haben, wie die Ge- 45 meinschaft der Güter, so versteht es sich ja von selbst, daß die bes¬
366 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1845 seren und verständigeren unter den Reichen sich mit den Arbeitern einverstanden erklären und ihnen beistehen. Es gibt auch schon eine große Menge wohlhabender und gebildeter Leute in allen Teilen Deutschlands, welche sich für die Gütergemeinschaft offen erklärt haben und die Ansprüche des Volks auf die von der rei- 5 chen Klasse mit Beschlag belegten Güter dieser Erde verteidigen.
ZWEI REDEN ÜBER KOMMUNISMUS
Nachstehende Reden wurden am 15, und am 22, Februar 1845 in zwei von den drei Diskussionsversammlungen über Kommunismus vor¬ getragen, die unter Leitung von Moses Heß in Elberfeld stattfanden. Der Bericht über die drei Abende ist abgedruckt in Rheinische Jahrbücher zur gesellschaftlichen Reform. Herausgegeben unter Mitwirkung Mehrerer von Hermann Püttmann. Erster Band. Darmstadt, C. W. Leske, 1845. p. 35—97: Versammlungen in Elberfeld. Darin Engels' Reden p. 45- - 62, 71—81.
[Zwei Reden in Elberfeld] I Friedrich Engels: Meine Herren! Wir leben, wie Sie eben gehört haben, und wie ich es ohnehin als allgemein bekannt 5 voraussetzen darf, in einer Welt der freien Konkurrenz. Sehen wir uns denn diese freie Konkurrenz und die von ihr erzeugte Weltordnung etwas näher an. In unserer heutigen Gesellschaft arbeitet jeder auf seine eigne Hand, jeder sucht sich für seinen Kopf zu bereichern und kümmert sich nicht im geringsten um 10 das, was die andern tun; von einer vernünftigen Organisation, von einer Verteilung der Arbeiten ist keine Rede, sondern im Gegen¬ teil, jeder sucht dem andern den Rang abzulaufen, sucht die günstige Gelegenheit für seinen Privatvorteil auszubeuten und hat weder Zeit noch Lust, daran zu denken, daß sein eigenes Interesse 15 im Grunde doch mit dem aller übrigen Menschen zusammenfällt. Der einzelne Kapitalist steht im Kampfe mit allen übrigen Kapi¬ talisten, der einzelne Arbeiter mit allen übrigen Arbeitern; alle Kapitalisten kämpfen gegen alle Arbeiter, wie die Masse der Arbeiter notwendig wieder gegen die Masse der Kapitalisten 20 zu kämpfen hat. In diesem Kriege Aller gegen Alle, in die¬ ser allgemeinen Unordnung und gegenseitigen Ausbeutung be¬ steht das Wesen der heutigen bürgerlichen Gesellschaft. Eine solche ungeregelte Wirtschaft, m. H., muß aber notwendig auf die Dauer für die Gesellschaft die unheilvollsten Resultate er- 25 zielen; die ihr zugrunde liegende Unordnung, die Vernach lässigung des wahren, allgemeinen Wohls muß über kurz oder lang in einer eklatanten Weise zutage kommen. Der Ruin der kleinen Mittelklasse, des Standes, der die Hauptgrundlage der Staaten des vorigen Jahrhunderts bildete, ist die erste Folge dieses 30 Kampfes. — Wir sehen es ja täglich, wie diese Klasse der Gesell¬ schaft durch die Macht des Kapitals erdrückt wird, wie z. B. die einzelnen Schneidermeister durch die Läden fertiger Kleider, die Möbelschreiner durch die Möbelmagazine ihre besten Kunden ver¬ lieren und aus kleinen Kapitalisten, aus Mitgliedern der be- 35 sitzenden Klasse, in abhängige, für Rechnung anderer arbei¬ tende Proletarier, in Mitglieder der besitzlosen Klasse ver¬ wandelt werden. Der Ruin der Mittelklasse ist eine vielbeklagte Folge unserer vielgepriesenen Gewerbefreiheit, er ist ein notwen- 25 Orig, zum Grunde liegende Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 24
370 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1845 diges Resultat der Vorteile, die der große Kapitalist über seinen weniger besitzenden Konkurrenten hat, er ist das energischste Lebenszeichen der Tendenz des Kapitals, sich in wenig Händen zu konzentrieren. Diese Tendenz des Kapitals ist ebenfalls von vielen Seiten anerkannt; es wird allgemein darüber geklagt, daß 5 sich der Besitz täglich mehr und mehr in den Händen Weniger anhäufe, und dagegen die große Mehrzahl der Nation mehr und mehr verarme. So entsteht denn der schroffe Gegensatz von wenigen Reichen auf der einen und vielen Armen auf der anderen Seite; ein Gegensatz, der in England und Frankreich bereits auf eine 10 drohende Spitze gesteigert ist und auch bei uns sich mit jedem Tage zu größerer Schärfe entwickelt. Und solange die jetzige Basis der Gesellschaft beibehalten wird, solange wird es unmög¬ lich sein, diesem Fortschritt der Bereicherung weniger Einzelnen und der Verarmung der großen Masse Einhalt zu tun; der Gegen- 15 satz wird sich schärfer und schärfer ausbilden, bis endlich die Not- die Gesellschaft zu einer Reorganisation nach vernünftigeren Prinzipien zwingt. Das, m. H., sind aber noch lange nicht alle Folgen der freien Konkurrenz. Da ein jeder auf seine eigne Hand produziert und 20 konsumiert, ohne sich um die Produktion und Konsumtion der andern viel zu kümmern, so muß notwendigerweise sehr bald ein schreiendes Mißverhältnis zwischen der Produktion und der Kon¬ sumtion eintreten. Da die heutige Gesellschaft den Kaufleuten, Spekulanten und Krämern die Verteilung der produzierten Güter 25 anvertraut, von denen jeder einzelne wieder nur seinen eigenen Vorteil im Auge hat, so wird in der Austeilung — auch abgesehen von der Unmöglichkeit für den Besitzlosen, sich den genügenden Anteil zu verschaffen — so wird in der Austeilung der Produkte dasselbe Mißverhältnis eintreten. Wo hat der Fabrikant die Mit- 30 tel, zu erfahren, wieviel von seinem Fabrikat auf diesem und jenem Markte gebraucht, und wenn er dies erfahren könnte, wie¬ viel dann von seinen Konkurrenten nach jedem dieser Märkte ge¬ schickt wird? Wie soll er, der in den meisten Fällen gar nicht einmal weiß, wohin die Ware gehen wird, die er eben fabriziert, 35 — wie soll er nun gar wissen können, wieviel seine auswärtigen Konkurrenten nach jedem der betreffenden Märkte liefern wer¬ den? Er weiß von dem allem nichts, er fabriziert wie seine Kon¬ kurrenten ins Blaue hinein und tröstet sich damit, daß die anderen dies eben auch tun müssen. Er hat keine andere Richtschnur als 40 den ewig schwankenden Stand der Preise, der bei entfernten Märkten im Augenblicke, wo er seine Ware absendet, schon ein ganz anderer ist als in dem Augenblicke, in dem der ihn darüber unterrichtende Brief geschrieben wurde, und der im Augenblicke, wo die Ware ankommt, wieder anders ist als im Augenblicke, wo 45
Zwei Reden in Elberfeld T 371 sie abgesandt wurde. Bei einer solchen Regellosigkeit der Pro¬ duktion ist es denn auch ganz natürlich, wenn jeden Augenblick Stockungen des Verkehrs eintreten, die natürlich um so bedeuten¬ der sein müssen, je fortgeschrittener die Industrie und der Handel 5 eines Landes ist. Das Land der ausgebildetsten Industrie, Eng¬ land, bietet uns daher hier die schlagendsten Beispiele. Durch die Ausbildung des Verkehrs, durch die vielen Spekulanten und Kom¬ missionäre, die sich hier zwischen den produzierenden Fabrikan¬ ten und die wirklichen Konsumenten eingedrängt haben, wird es 10 dem englischen Fabrikanten noch viel schwieriger gemacht als dem deutschen, auch nur das geringste über das Verhältnis der Vorräte und der Produktion zur Konsumtion zu erfahren; er hat dazu fast alle Märkte der Welt zu versorgen — er erfährt fast in keinem einzigen Falle, wohin seine Ware geht, und so findet es 15 sich bei der ungeheuren Produktionskraft der englischen Industrie sehr häufig, daß alle Märkte plötzlich überfüllt sind. Der Ver¬ kehr stockt, die Fabriken arbeiten halbe Zeit oder gar nicht, eine Reihe von Fallissements tritt ein, die Vorräte müssen zu Spott¬ preisen losgeschlagen werden, und ein großer Teil des Kapitals, 20 das mit Mühe gesammelt war, geht so durch eine solche Handels¬ krisis wieder verloren. Solcher Handelskrisen haben wir in Eng¬ land seit dem Anfange dieses Jahrhunderts eine ganze Reihe und in den letzten zwanzig Jahren alle fünf oder sechs Jahre eine ge¬ habt. Die letzten, die von 1837 und 1842, werden den meisten 25 von Ihnen, m. H., noch deutlich in der Erinnerung sein. Und wenn unsere Industrie auch so großartig, unser Absatz so weitverzweigt wäre, wie die Industrie und der Handel Englands, so würden wir dieselben Resultate erleben, während jetzt bei uns die Wirkung der Konkurrenz in der Industrie und im Verkehr in einer allge- 30 meinen, dauernden Depression aller Geschäftszweige, in einem unglückseligen Mittelzustande zwischen entschiedener Blüte und gänzlichem Verkommen, in einem Zustande der gelinden Stok- kung, d. h. der Stabilität, sich fühlbar macht. M. H., was ist der eigentliche Grund dieser Übelstände? Wor- 35 aus entspringt der Ruin der Mittelklasse, der schroffe Gegensatz von arm und reich, die Stockungen des Verkehrs und die daraus entstehende Verschwendung von Kapital? Aus keiner anderen Ursache, als aus der Zersplitterung der Interessen. Wir arbeiten alle, ein jeder für seinen eigenen Vorteil, unbekümmert um das 40 Wohl der anderen, und es ist doch eine augenscheinliche, eine sich von selbst verstehende Wahrheit, daß das Interesse, das Wohl, das Lebensglück jedes einzelnen mit dem seiner Mit¬ menschen unzertrennlich zusammenhängt. Wir müssen uns alle gestehen, daß keiner von uns seine Mitmenschen entbehren kann, 45 daß schon das Interesse uns alle aneinander fesselt, und doch 24*
372 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1845 schlagen wir dieser Wahrheit mit unseren Handlungen geradezu ins Gesicht, und doch richten wir unsere Gesellschaft so ein, als ob unsere Interessen nicht dieselben, sondern einander ganz und gar entgegengesetzt wären. Wir haben gesehen, was die Folgen dieses Grundirrtums waren; wollen wir diese schlimmen Folgen 5 beseitigen, so müssen wir den Grundirrtum reformieren, und das beabsichtigt eben der Kommunismus. In der kommunistischen Gesellschaft, wo die Interessen der einzelnen nicht einander entgegengesetzt, sondern vereinigt sind, ist die Konkurrenz auf gehoben. Von einem Ruin einzelner Klas-10 sen, von Klassen überhaupt, wie heutzutage Reiche und Arme, kann, wie sich von selbst versteht, keine Rede mehr sein. Sowie bei der Produktion und Austeilung der zum Leben nötigen Güter der Privaterwerb, der Zweck des einzelnen, sich auf eigne Faust zu bereichern, wegfällt, fallen auch die Krisen des Verkehrs von 15 selbst weg. In der kommunistischen Gesellschaft wird es ein leich¬ tes sein, sowohl die Produktion wie die Konsumtion zu kennen. Da man weiß, wie viel ein einzelner im Durchschnitt braucht, so ist es leicht zu berechnen, wie viel von einer gewissen Anzahl Indi¬ viduen gebraucht wird, und da die Produktion alsdann nicht mehr 20 in den Händen einzelner Privaterwerber, sondern in den Händen der Gemeinde und ihrer Verwaltung ist, so ist es eine Kleinigkeit, die Produktion nach den Bedürfnissen zu regeln. Wir sehen also, wie in der kommunistischen Organisation die Hauptübel des jetzigen sozialen Zustandes wegfallen. Wenn wir 25 indes etwas mehr ins Detail gehen, so werden wir finden, daß die Vorteile einer solchen Organisation hierbei nicht stehen bleiben, sondern sich auch auf die Beseitigung einer Menge anderer Übel¬ stände erstrecken, von denen ich heute nur einige ökonomische erwähnen will. Die jetzige Einrichtung der Gesellschaft ist in öko- 30 nomischer Beziehung gewiß die unvernünftigste und unprak¬ tischste, die wir uns denken können. Die Entgegensetzung der Interessen bringt es mit sich, daß eine große Menge Arbeitskraft auf eine Weise verwendet wird, von der die Gesellschaft keinen Nutzen hat, daß ein bedeutendes Quantum Kapital unnötiger- 35 weise verlorengeht, ohne sich zu reproduzieren. Wir sehen dies schon bei den Handelskrisen; wir sehen, wie Massen von Produk¬ ten, die doch alle von Menschen mühsam erarbeitet waren, zu Preisen weggeschleudert werden, die dem Verkäufer Verlust las¬ sen; wir sehen, wie durch Bankerotte Massen von Kapitalien, die 40 doch mühsam angehäuft waren, den Besitzern unter den Händen verschwinden. Gehen wir indes etwas mehr ins Detail des jetzi¬ gen Verkehrs. Bedenken Sie, durch wie viele Hände jedes Pro¬ dukt gehen muß, bis es in die des wirklichen Konsumenten gerät, — bedenken Sie, m. H., wie viele spekulierende und über- 45
Zwei Reden in Elberfeld I 373 flüssige Zwischenschieber sich jetzt zwischen den Produzenten und den Konsumenten eingedrängt haben! Nehmen wir ein Bei¬ spiel, etwa einen Baumwollballen, der in Nordamerika fabriziert wird. Der Ballen geht aus den Händen des Pflanzers in die des 5 Faktors an irgendeiner beliebigen Station des Mississippi über, er wandert den Fluß hinunter nach New Orleans. Hier wird er ver¬ kauft — zum zweiten Male, da ihn der Faktor schon vom Pflan¬ zer kaufte — verkauft, meinetwegen an den Spekulanten, der ihn wieder an den Exporteur verkauft. Der Ballen geht mm etwa nach 10 Liverpool, wo wieder ein gieriger Spekulant seine Hände nach ihm ausstreckt und ihn an sich reißt. Dieser verhandelt ihn wie¬ der an einen Kommissionär, der für Rechnung — wir wollen sagen, eines deutschen Hauses — kauft. So wandert der Ballen nach Rotterdam, den Rhein herauf, durch noch ein Dutzend Hände 15 von Spediteuren, nachdem er ein dutzendmal aus- und eingeladen worden ist, — und dann erst ist er in den Händen, nicht des Konsu¬ menten, sondern des Fabrikanten, der ihn erst konsumierbar macht, sein Garn vielleicht dem Weber, dieser das Gewebe dem Drucker, der dem Grossisten und dieser wieder dem Detaillisten verhän¬ 20 delt, der dann endlich die Ware dem Konsumenten liefert. Und alle diese Millionen Zwischenschieber, Spekulanten, Faktoren, Exporteurs, Kommissionäre, Spediteure, Grossisten und Detail¬ listen, die doch an der Ware selbst nichts tun, sie wollen alle leben und ihren Profit dabei machen — und machen ihn auch im 25 Durchschnitt, denn sonst könnten sie nicht bestehen — m. H., gibt es keinen einfacheren, wohlfeileren Weg, einen Baumwollballen von Amerika nach Deutschland und das aus demselben verfer¬ tigte Fabrikat in die Hände des wirklichen Konsumenten zu lie¬ fern, als diesen weitläufigen des zehnmaligen Verkaufens, des 30 hundertmaligen Umladens und Transportierens aus einem Maga¬ zin ins andere? Ist dies nicht ein schlagender Beweis der vielen Verschwendung von Arbeitskraft, die durch die Zersplitterung der Interessen herbeigeführt wird? — In der vernünftig organi¬ sierten Gesellschaft ist von einem solchen umständlichen Trans- 35 porte keine Rede. Ebenso leicht wie man wissen kann, wieviel eine einzelne Kolonie an Baumwolle oder Baumwollfabrikaten ge¬ braucht, um bei dem Beispiele stehen zu bleiben — ebenso leicht wird es der Zentralverwaltung sein, zu erfahren, wieviel sämt¬ liche Ortschaften und Gemeinden des Landes gebrauchen. Ist eine 40 solche Statistik einmal organisiert, was in einem oder zwei Jah¬ ren leicht geschehen kann, so wird sich der Durchschnitt des jähr¬ lichen Konsums nur im Verhältnis der steigenden Bevölkerung verändern; es ist also ein leichtes, zur gehörigen Zeit voraus- zubestimmen, welches Quantum von jedem einzelnen Artikel das 45 Bedürfnis des Volkes erfordern wird, — man wird die ganze,
374 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1845 große Quantität sich direkt an der Quelle bestellen, man wird sie direkt, ohne Zwischenschieber, ohne mehr Aufenthalt und Um¬ ladungen, als wirklich in der Natur der Kommunikation begrün¬ det sind, also mit einer großen Ersparnis von Arbeitskraft, be¬ ziehen können; man wird nicht nötig haben, den Spekulanten, 5 Groß- und Kleinhändlern ihren Nutzen zu bezahlen. Aber das ist noch nicht alles — diese Zwischenschieber werden nicht nur auf diese Weise der Gesellschaft unschädlich, sie werden ihr sogar vorteilhaft gemacht. Während sie jetzt zum Nachteil aller ande¬ ren eine Arbeit tun, die im besten Falle überflüssig ist und ihnen 10 doch den Lebensunterhalt, ja in vielen Fällen große Reichtümer einbringt, während sie also jetzt dem allgemeinen Besten direkt nachteilig sind, werden sie dann die Hände zu nützlicher Tätig¬ keit freibekommen und eine Beschäftigung ergreifen können, worin sie sich als wirkliche, nicht nur scheinbare, erheuchelte 15 Mitglieder der menschlichen Gesellschaft und Teilnehmer an ihrer Gesamttätigkeit erweisen. Die jetzige Gesellschaft, welche den einzelnen Menschen mit allen übrigen in Feindschaft bringt, erzeugt auf diese Weise einen sozialen Krieg Aller gegen Alle, der notwendigerweise bei einzel- 20 nen, namentlich Ungebildeten, eine brutale, barbarisch-gewalt¬ same Form annehmen muß — die Form des Verbrechens. Um sich gegen das Verbrechen, gegen die offene Gewalttat zu schüt¬ zen, bedarf die Gesellschaft eines weitläufigen, verwickelten Or¬ ganismus von Verwaltungs- und Gerichtsbehörden, der eine un- 25 endliche Menge von Arbeitskräften in Anspruch nimmt. In der kommunistischen Gesellschaft würde sich auch dies unendlich vereinfachen, und gerade deshalb — so bizarr es auch klingen mag — gerade deshalb, weil in dieser Gesellschaft die Verwal¬ tung nicht nur einzelne Seiten des sozialen Lebens, sondern das 30 ganze soziale Leben in allen seinen einzelnen Tätigkeiten, nach allen seinen Seiten hin, zu administrieren haben würde. Wir heben den Gegensatz des einzelnen Menschen gegen alle andern auf — wir setzen dem sozialen Krieg den sozialen Frieden ent¬ gegen, wir legen die Axt an die Wurzel des Verbrechens — und 35 machen dadurch den größten, bei weitem größten Teil der jetzi¬ gen Tätigkeit, der Verwaltungs- und Justizbehörden überflüssig. Schon jetzt verschwinden die Verbrechen der Leidenschaft immer mehr gegen die Verbrechen der Berechnung, des Interesses — die Verbrechen gegen Personen nehmen ab, die Verbrechen gegen 40 das Eigentum nehmen zu. Die fortschreitende Zivilisation mildert die gewaltsamen Ausbrüche der Leidenschaft schon in der jetzigen, auf dem Kriegsfuß stehenden, wie viel mehr in der kommunistischen, friedlichen Gesellschaft! Die Verbrechen gegen das Eigentum fallen von selbst da weg, wo jeder erhält, was 45
Zwei Reden in Elberfeld I 375 er zur Befriedigung seiner natürlichen und geistigen Triebe be¬ darf, wo die sozialen Abstufungen und Unterschiede wegfallen. Die Kriminaljustiz hört von selbst auf, die Ziviljustiz, die doch fast lauter Eigentumsverhältnisse oder wenigstens solche Verhält- 5 nisse, die den sozialen Kriegszustand zur Voraussetzung haben, behandelt, fällt ebenfalls weg; Streitigkeiten können dann nur seltne Ausnahmen sein, wo sie jetzt die natürliche Folge der all¬ gemeinen Feindschaft sind, und werden leicht sich durch Schieds¬ richter schlichten lassen. Die Verwaltungsbehörden haben jetzt 10 ebenfalls in dem fortwährenden Kriegszustand die Quelle ihrer Beschäftigung — die Polizei und die ganze Administration tut weiter nichts, als daß sie dafür sorgt, daß der Krieg ein verdeck¬ ter, indirekter bleibt, daß er nicht in offne Gewalt, in Verbrechen ausarte. Wenn es aber unendlich leichter ist, den Frieden zu er- 15 halten, als den Krieg in gewisse Schranken zu bannen, so ist es auch unendlich leichter, eine kommunistische als eine konkur¬ rierende Gemeinde zu verwalten. Und wenn schon jetzt die Zivi¬ lisation die Menschen gelehrt hat, ihr Interesse in der Aufrecht¬ erhaltung der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, 20 des öffentlichen Interesses zu suchen, also die Polizei, Verwaltung und Justiz möglichst überflüssig zu machen, um wieviel mehr wird dies der Fall sein in einer Gesellschaft, in der die Gemein¬ schaft der Interessen zum Grundprinzip erhoben ist, in dem das öffentliche Interesse sich nicht mehr von dem jedes einzelnen 25 unterscheidet! Was jetzt schon trotz der sozialen Einrichtung besteht, wie viel mehr wird das geschehen, wenn es nicht mehr durch die sozialen Einrichtungen gehindert, sondern unterstützt wird! — Wir dürfen also auch von dieser Seite her auf einen be¬ trächtlichen Zuwachs von Arbeitskräften rechnen, welche der 30 jetzige soziale Zustand der Gesellschaft entzieht. Eine der kostspieligsten Einrichtungen, deren die jetzige Ge¬ sellschaft nicht entbehren kann sind die stehenden Heere, welche der Nation den kräftigsten, brauchbarsten Teil der Bevölkerung entziehen und sie zwingen, diesen dadurch unproduktiv gewor- 35 denen Teil zu ernähren. Wir wissen es an unserem eignen Staats¬ budget, was uns das stehende Heer kostet — vierundzwanzig Millionen jährlich und die Entziehung von zweimalhunderttau- send der kräftigsten Arme aus der Produktion. — In der kommu¬ nistischen Gesellschaft würde es keinem Menschen einfallen, an 40 ein stehendes Heer zu denken. Wozu auch? Zur Bewahrung der inneren Ruhe des Landes? Es wird, wie wir oben sahen, keinem, einzigen einfallen, diese innere Ruhe zu stören. Die Furcht vor Revolutionen ist ja nur die Folge der Opposition der Interessen; wo die Interessen aller zusammenfallen, kann von einer solchen 45 Furcht keine Rede sein. — Zu einem Angriffskriege? Wie sollte
376 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1845 eine kommunistische Gesellschaft dazu kommen, einen Angriffs¬ krieg zu unternehmen, — sie, die sehr gut weiß, daß sie im Kriege nur Menschen und Kapital verliert, während sie höchstens ein paar widerwillige, also eine Störung in die soziale Ordnung brin¬ gende Provinzen erlangen kann! — Zu einem Verteidigungs- 5 kriege? — Dazu bedarf es keines stehenden Heeres, da es ein leichtes sein wird, jedes fähige Mitglied der Gesellschaft auch neben seinen übrigen Beschäftigungen soweit in der wirklichen, nicht parademäßigen Waffengewandtheit zu üben, als zur Ver¬ teidigung des Landes nötig ist. Und bedenken Sie dabei, m. H., 10 daß das Mitglied einer solchen Gesellschaft im Falle eines Krie¬ ges, der ohnehin nur gegen antikommunistische Na¬ tionen vorkommen könnte, ein wirkliches Vaterland, einen wirklichen Herd zu verteidigen hat, daß er also mit einer Begeisterung, mit einer Ausdauer, mit einer Tapferkeit kämpfen 15 wird, vor der die maschinenmäßige Geschultheit einer modernen Armee wie Spreu auseinanderfliegen muß; bedenken Sie, welche Wunder der Enthusiasmus der revolutionären Armeen von 1792 bis 99 getan hat, die doch nur für eine Illusion, für ein Scheinvaterland kämpften, und Sie werden einsehen müs- 20 sen, von welcher Kraft ein Heer sein muß, das für keine Illusion, sondern für eine handgreifliche Wirklichkeit sich schlägt. Diese unzähligen Massen von Arbeitskräften also, welche jetzt den zivi¬ lisierten Völkern durch die Armeen entzogen werden, würden in einer kommunistischen Organisation sonach der Arbeit zurück- 25 gegeben werden; sie würden nicht nur soviel erzeugen, wie sie ver¬ brauchen, sondern noch weit mehr Produkte, als zu ihrem Unter¬ halt nötig sind, an die öffentlichen Vorratshäuser abliefem können. Eine noch viel schlimmere Verschwendung von Arbeitskräften findet sich in der bestehenden Gesellschaft in der Art, wie die 30 Reichen ihre soziale Stellung ausbeuten. Ich will von dem vielen unnützen und geradezu lächerlichen Luxus, der seine Quelle nur in der Sucht, sich auszuzeichnen, hat und eine Menge Arbeitskräfte in Anspruch nimmt, gar nicht sprechen. Aber gehen Sie, m. H., einmal geradezu in das Haus, das innerste Heiligtum eines Rei- 35 chen, und sagen Sie mir, ob es nicht die tollste Vergeudung von Arbeitskraft ist, wenn hier eine Menge von Menschen zur Bedie¬ nung eines einzigen in Anspruch genommen und mit Faulenzen, oder wenn es hoch kommt, nur mit solchen Arbeiten beschäftigt werden, die ihre Quelle in der Isolierung jedes Menschen auf seine 40 vier Wände haben? Diese Menge Dienstmädchen, Köchinnen, La¬ kaien, Kutscher, Hausknechte, Gärtner und wie sie alle heißen, was tun sie denn eigentlich? Wie wenig Augenblicke sind sie des Tages beschäftigt, um ihrer Herrschaft das Leben wirk¬ lich angenehm zu machen, um der Herrschaft die freie Ausbil- 45
Zwei Reden in Elberfeld I 377 dung und Ausübung ihrer menschlichen Natur und ihrer angebor¬ nen Kräfte zu erleichtern, — und wie viele Stunden des Tages sind sie mit Arbeiten beschäftigt, die nur in der schlechten Einrichtung unsrer gesellschaftlichen Verhältnisse ihre Ursache 5 haben, — hinten auf dem Wagen stehen, den Marotten der Herr¬ schaft zu Diensten sein, Schoßhunde nachtragen und andre Lächerlichkeiten. In der vernünftig organisierten Gesellschaft, wo jeder in die Lage versetzt wird, leben zu können, auch ohne den Marotten der Reichen zu frönen und ohne auf solche Marot- 10 ten zu verfallen, — in dieser Gesellschaft kann natürlich auch die jetzt so vergeudete Arbeitskraft der Luxusbedienung zum Vorteil aller und zu ihrem eignen Vorteil verwandt werden. Eine weitere Verschwendung von Arbeitskraft findet in der heutigen Gesellschaft ganz direkt durch den Einfluß der Konkur- 15 renz statt, indem diese eine große Anzahl brotloser Arbeiter schafft, die gern arbeiten möchten, aber keine Arbeit erhalten können. Da nämlich die Gesellschaft gar nicht darauf ein¬ gerichtet ist, von der wirklichen Verwendung der Arbeitskräfte Notiz nehmen zu können, da es jedem einzelnen überlassen ist, sich 20 eine Erwerbsquelle zu suchen, so ist es ganz natürlich, daß bei der Verteilung der wirklich oder scheinbar nützlichen Arbeiten eine Anzahl Arbeiter leer ausgehen. Dies ist um so eher der Fall, als der Kampf der Konkurrenz jeden einzelnen antreibt, seine Kräfte aufs höchste anzustrengen, alle Vorteile zu benutzen, die 25 sich ihm bieten, teure Arbeitskräfte durch wohlfeilere zu erset¬ zen, wozu die steigende Zivilisation täglich mehr und mehr Mittel bietet, — oder, mit andern Worten, ein jeder muß daran arbeiten, andre brotlos zu machen, die Arbeit andrer auf die eine oder die andre Weise zu verdrängen. So findet sich denn in jeder zivilisier- 30 ten Gesellschaft eine große Anzahl arbeitsloser Leute, die gern arbeiten möchten, aber keine Arbeit finden, und diese Anzahl ist größer, als man gewöhnlich glaubt. Da finden wir diese Leute denn, wie sie sich auf die eine oder andre Weise prostituie¬ ren, betteln, Straßen kehren, an den Ecken stehen, von gelegent- 35 liehen kleinen Diensten mit Mühe und Not Leib und Seele Zu¬ sammenhalten, mit allen erdenklichen kleinen Waren hökern und herumhausieren — oder, wie wir es heute abend an ein paar armen Mädchen gesehen haben, mit der Guitarre von Ort zu Ort ziehen, für Geld spielen und singen, genötigt, sich jede unver- 40 schämte Ansprache, jede beleidigende Zumutung gefallen zu las¬ sen, um nur ein paar Groschen zu verdienen. Wie viele endlich gibt es, die der eigentlichen Prostitution als Opfer verfallen! M. H., die Anzahl dieser Brotlosen, denen nichts übrig bleibt, als auf die eine oder die andre Weise sich zu prostituieren, ist sehr 45 groß — unsre Armenverwaltungen wissen davon zu erzählen —
378 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1845 und vergessen Sie nicht, daß die Gesellschaft diese Leute trotz ihrer Nutzlosigkeit auf die eine oder die andre Art dennoch er¬ nährt. Wenn also die Gesellschaft die Kosten für ihren Unterhalt zu tragen hat, so sollte sie auch dafür sorgen, daß diese Arbeits¬ losen ihren Unterhalt ehrbar verdienten. Das aber kann die 5 jetzige, konkurrierende Gesellschaft nicht. Wenn Sie, m. H., dies alles bedenken — und ich hätte noch eine Menge anderer Beispiele anführen können, wie die jetzige Gesellschaft ihre Arbeitskräfte vergeudet — wenn Sie dies beden¬ ken, so werden Sie finden, daß der menschlichen Gesellschaft ein 10 Überfluß an Produktionskräften zu Gebote steht, der nur auf eine vernünftige Organisation, auf eine geordnete Verteilung wartet, um mit dem größten Vorteil für alle in Tätigkeit zu treten. Sie werden hiernach, m. H., beurteilen können, wie wenig die Be¬ fürchtung gegründet ist, als müßte bei einer gerechten Verteilung 15 der gesellschaftlichen Tätigkeit dem einzelnen eine solche Last von Arbeit zufallen, daß sie ihm alle Beschäftigung mit anderen Dingen unmöglich mache. Im Gegenteil können wir annehmen, daß bei einer solchen Organisation die jetzt übliche Arbeitszeit des einzelnen schon durch die Benutzung der jetzt gar nicht oder 20 unvorteilhaft angewandten Arbeitskräfte auf die Hälfte reduziert werden wird. Die Vorteile indes, welche die kommunistische Einrichtung durch Benutzung verschwendeter Arbeitskräfte bie¬ tet, sind noch nicht die bedeutendsten. Die größte Er- 25 spamis von Arbeitskraft liegt in der Vereinigung der ein¬ zelnen Kräfte zur sozialen Kollektivkraft und in der Ein¬ richtung, welche auf diese Konzentration der bis jetzt einander ge¬ genüberstehenden Kräfte beruht. Ich will mich hier an die Vor¬ schläge des englischen Sozialisten Robert Owen anschließen, 30 da diese die praktischsten und am meisten ausgearbeiteten sind. Owen schlägt vor, an die Stelle der jetzigen Städte und Dörfer mit ihren vereinzelten, einander im Wege stehenden Wohnhäusern große Paläste aufzuführen, die, in einem Quadrat von etwa 1650 Fuß Länge und Breite gebaut, einen großen Garten einschließen 35 und etwa zwei- bis dreitausend Menschen bequem beherbergen können. Daß ein solches Gebäude, während es den Einwohnern die Bequemlichkeiten der besten jetzigen Wohnungen bietet, den¬ noch weit wohlfeiler und leichter zu errichten ist, als die nach dem jetzigen System für ebensoviele Leute benötigten, größtenteils 40 schlechteren Einzelwohnungen, liegt auf der Hand. Die vielen Zimmer, die jetzt fast in jedem anständigen Hause leerstehen oder ein bis zweimal des Jahres gebraucht werden, fallen ohne alle Unbequemlichkeit weg; die Ersparnis an Raum für Vorrats¬ kammern, Keller etc. ist ebenfalls sehr groß. — Gehen wir aber 45
Zwei Reden in Elberfeld I 379 auf das Detail der Hauswirtschaft ein, so werden wir erst recht die Vorteile der Gemeinschaft einsehen. Welch eine Menge von Arbeit und Material wird nicht bei der jetzigen, zersplitterten Wirtschaft verschwendet — z. B. bei der Heizung! Sie müssen für 5 jedes Zimmer einen besonderen Ofen haben; ein jeder Ofen will besonders geheizt, in Brand gehalten, beaufsichtigt werden; das Brennmaterial muß nach allen diesen verschiedenen Orten hin¬ gebracht, die Asche weggeholt werden; wie viel einfacher und wohlfeiler ist es nicht, an die Stelle dieser vereinzelten Heizung 10 eine großartige Gesamtheizung, z. B. mit Dampfröhren und einem einzigen Heizungszentrum, zu setzen, wie dies schon jetzt in gro¬ ßen Gesellschaftslokalen, Fabriken, Kirchen etc. geschieht! Fer¬ ner die Beleuchtung durch Gas, die jetzt noch dadurch kostspie¬ lig wird, daß selbst die dünneren Röhren unter der Erde liegen is müssen, und die Röhren überhaupt wegen des großen Raumes, der in unseren Städten zu beleuchten ist, von unverhältnismäßiger Länge sein müssen, während bei der vorgeschlagenen Einrichtung alles auf einem Raume von 1650 Fuß im Quadrat konzentriert, und die Menge der brennenden Gasflammen dennoch ebenso groß, 20 das Resultat also mindestens ebenso lohnend ist wie in einer mäßigen Stadt. Dann die Bereitung der Mahlzeiten — welche Verschwendung von Raum, Material und Arbeitskraft bei der jetzigen zersplitterten Wirtschaft, wo jede Familie ihr bischen Essen besonders kocht, ihr apartes Geschirr hat, ihre aparte Kö- 25 chin anstellt, ihre Speisen apart vom Markte, aus dem Garten, vom Fleischer und Bäcker holen muß! Man kann ruhig anneh¬ men, daß bei einer gemeinschaftlichen Speisebereitung und Auf¬ wartung zwei Drittel der jetzt bei dieser Arbeit beschäftigten Ar¬ beitskräfte erspart und das übrige Drittel dennoch seine Arbeit 30 besser und aufmerksamer wird verrichten können, als dies jetzt geschieht. Und endlich die Hausarbeiten selbst! Wird sich ein sol¬ ches Gebäude nicht unendlich viel leichter reinigen und in gutem Stande halten lassen, wenn, wie es hier möglich ist, diese Art der Arbeit gleichfalls organisiert und regelmäßig verteilt ist, als die 35 zwei- bis dreihundert getrennten Häuser, welche bei der jetzigen Einrichtung die Wohnungen einer gleichen Zahl sein würden? Dies, m. H., sind einige wenige von den unendlichen Vorteilen, welche in ökonomischer Beziehung aus der kommunistischen Or¬ ganisation der menschlichen Gesellschaft hervorgehen müssen. 40 Es ist uns nicht möglich, in einigen Stunden und mit wenigen Wor¬ ten unser Prinzip Ihnen klar zu machen und gehörig nach allen Seiten hin zu begründen. Dies ist auch keineswegs unsere Absicht. Wir können und wollen nichts, als über einige Punkte Aufklärung geben und diejenigen, denen die Sache noch fremd ist, zum Stu- 45 dium derselben veranlassen. Und soviel wenigstens hoffen wir,
380 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1845 Ihnen heute abend klargemacht zu haben, daß der Kommunismus weder der menschlichen Natur, dem Verstand und dem Herzen widerstrebt, noch daß er eine Theorie ist, die, ohne irgend Rück¬ sicht auf die Wirklichkeit zu nehmen, bloß in der Phantasie ihre Wurzel hat. Man fragt, wie denn diese Theorie in die Wirklichkeit ein¬ zuführen sei, welche Maßregeln wir vorzuschlagen haben, um ihre Einführung vorzubereiten. Es gibt verschiedene Wege zu diesem Ziele; die Engländer werden wahrscheinlich damit beginnen, daß sie einzelne Kolonien errichten und es jedem überlassen, ob er 10 beitreten will oder nicht; die Franzosen dagegen werden wohl den Kommunismus auf nationalem Wege vorbereiten und durchfüh¬ ren. Wie die Deutschen es anfangen werden, darüber läßt sich bei der Neuheit der sozialen Bewegung in Deutschland wenig sagen. Einstweilen will ich unter den vielen möglichen Wegen der Vor-15 bereitung nur einen einzigen erwähnen, von dem in der letzten Zeit mehrfach die Rede gewesen ist, — nämlich die Durchfüh¬ rung dreier Maßregeln, welche notwendig den praktischen Kom¬ munismus zur Folge haben müssen. Die erste würde eine allgemeine Erziehung aller Kin- 20 der ohne Ausnahme auf Staatskosten sein — eine Erziehung, welche für alle gleich ist und bis zu dem Zeitpunkte fortdauert, in dem das Individuum fähig ist, als selbständiges Mitglied der Gesellschaft aufzutreten. Diese Maßregel würde nur ein Akt der Gerechtigkeit gegen unsere mittellosen Mitbrüder sein, da offen- 25 bar jeder Mensch ein Anrecht auf die vollständige Entwickelung seiner Fähigkeiten besitzt, und die Gesellschaft sich doppelt an den einzelnen vergeht, wenn sie die Unwissenheit zu einer notwen¬ digen Folge der Armut macht. Daß die Gesellschaft mehr Vorteil von gebildeten als von unwissenden, rohen Mitgliedern hat, liegt auf 30 der Hand — und wenn ein gebildetes Proletariat, wie das wohl zu erwarten steht, nicht gesonnen sein würde, in der unterdrückten Stellung zu bleiben, in der unser heutiges Proletariat sich befindet, so ist doch ebenfalls nur von einer gebildeten Arbeitsklasse die Ruhe und Besonnenheit zu erwarten, welche zu einer friedlichen 35 Umbildung der Gesellschaft nötig ist. Daß das ungebildete Pro¬ letariat aber ebenfalls keine Lust hat, in seiner Lage zu bleiben, das beweisen uns die schlesischen und böhmischen Unruhen auch für Deutschland — von anderen Völkern gar nicht zu sprechen. Die zweite Maßregel wäre eine totale Reorganisation^ des Armenwesens, der Art, daß die sämtlichen brotlosen Bürger in Kolonien untergebracht würden, in welchen sie mit Agrikultur- und Industriearbeit beschäftigt und ihre Arbeit zum Nutzen der ganzen Kolonie organisiert würde. Bis jetzt hat man die Kapitalien der Armenverwaltung auf Zinsen ausgeliehen und 45
Zwei Reden in Elberfeld I 381 so den Reichen neue Mittel gegeben, die Besitzlosen auszubeuten. Man lasse endlich einmal diese Kapitalien wirklich zum Nutzen der Armen arbeiten, man verwende den ganzen Ertrag dieser Ka¬ pitalien, nicht bloß ihre drei Prozent Zinsen, für die Armen, man 5 gebe ein großartiges Beispiel der Assoziation von Kapital und Ar¬ beit! Auf diese Weise würde die Arbeitskraft aller Brotlosen zum Nutzen der Gesellschaft verwendet, sie selbst aus demoralisierten, gedrückten Paupers in sittliche, unabhängige, tätige Menschen verwandelt und in eine Lage versetzt, die sehr bald den vereinzel- 10 ten Arbeitern beneidenswert erscheinen und die durchgreifende Reorganisation der Gesellschaft vorbereiten würde. Zu diesen beiden Maßregeln gehört Geld. Um dies aufzubrin¬ gen und um zugleich die sämtlichen bisherigen, ungerecht verteil¬ ten Steuern zu ersetzen, wird in dem vorliegenden Reformplane 15 eine allgemeine, progressive Kapitalsteuer vorgeschlagen, deren Prozentsatz mit der Größe des Kapitals steigt. Auf diese Weise würde die Last der öffentlichen Verwaltung von einem jeden nach seiner Fähigkeit getragen werden und nicht mehr, wie bisher in allen Ländern, hauptsächlich auf die Schultern derer fallen, die 20 am wenigsten imstande sind, sie zu erschwingen. Ist doch im Grunde das Prinzip der Besteuerung ein rein kommunistisches, da das Recht der Steuererhebung in allen Ländern aus dem so¬ genannten Nationaleigentume abgeleitet wird. Denn entweder ist das Privateigentum heilig, so gibt es kein Nationaleigentum, und 25 der Staat hat nicht das Recht, Steuern zu erheben; oder der Staat hat dies Recht, dann ist das Privateigentum nicht heilig, dann steht das Nationaleigentum über dem Privateigentume, und der Staat ist der wahre Eigentümer. Dies letztere Prinzip ist das all¬ gemein anerkannte — nun gut, m. H., wir verlangen vorderhand 30 ja nur, daß einmal Ernst mit diesem Prinzip gemacht werde, daß der Staat sich zum allgemeinen Eigentümer erkläre und als sol¬ cher das öffentliche Eigentum zum öffentlichen Besten verwalte — und daß er als ersten Schritt hierzu einen Modus der Besteuerung einführe, der sich nur nach der Fähigkeit eines jeden zur Steuer- 35 Zahlung und nach dem wirklichen öffentlichen Besten richte. Sie sehen also, m. H., daß es nicht darauf abgesehen ist, die Gütergemeinschaft über Nacht und wider den Willen der Nation einzuführen, sondern daß es sich vor allem nur um die Feststellung des Zweckes und der Mittel und Wege handelt, wie wir die- 4o sem Ziele entgegengehen können. Daß aber das kommunistische Prinzip das der Zukunft sein wird, dafür spricht der Entwicke¬ lungsgang aller zivilisierten Nationen, dafür spricht die rasch fortschreitende Auflösung aller bisherigen sozialen Institutionen, dafür spricht die gesunde menschliche Vernunft und vor allem 45 das menschliche Herz.
II Friedrich Engels: Meine Herren! Bei unserer letzten Zusammenkunft ist mir vorgeworfen worden, daß ich meine Bei¬ spiele und Belege fast nur aus fremden Ländern, namentlich aus England, genommen habe. Man hat gesagt, Frankreich und Eng- 5 land gehe uns nichts an, wir lebten in Deutschland, und es sei unsere Sache, die Notwendigkeit und Vortrefflichkeit des Kom¬ munismus für Deutschland zu beweisen. Man hat zugleich uns vorgeworfen, die historische Notwendigkeit des Kommunismus überhaupt keineswegs genügend dargetan zu haben. Dies ist ganz 10 richtig und war auch nicht anders möglich. Eine historische Not¬ wendigkeit läßt sich nicht in so kurzer Zeit beweisen wie die Kon¬ gruenz zweier Dreiecke, sie kann nur durch Studium und Ein¬ gehen auf weitläufige Voraussetzungen bewiesen werden. Ich will indes heute das meinige tun, um diese beiden Vorwürfe zu besei- 15 tigen; ich werde zu beweisen suchen, daß der Kommunismus für Deutschland — wenn keine historische, doch eine ökono¬ mische Notwendigkeit ist. Betrachten wir zuerst die gegenwärtige soziale Lage Deutsch¬ lands. Daß viel Armut unter uns existiert, ist bekannt. Schlesien 20 und Böhmen haben selbst gesprochen. Von der Armut der Mosel- und Eifelgegenden wußte die „Rheinische Zeitung66 viel zu erzäh¬ len. Im Erzgebirge herrscht seit undenklicher Zeit fortwährendes großes Elend. Nicht besser sieht es in der Senne und den westfäli¬ schen Leinendistrikten aus. Von allen Gegenden Deutschlands her 25 wird geklagt, und es ist auch nicht anders zu erwarten. Unser Proletariat ist zahlreich und muß es sein, wie wir bei der ober¬ flächlichsten Betrachtung unserer sozialen Lage einsehen müssen. Daß in den Industriebezirken ein zahlreiches Proletariat sein muß, liegt in der Natur der Sache. Die Industrie kann nicht 30 ohne eine große Anzahl von Arbeitern existieren, die ihr gänzlich zu Gebote stehen, nur für sie arbeiten und auf jeden anderen Erwerb verzichten, die industrielle Beschäftigung macht bei dem Bestehen der Konkurrenz jede andere Beschäftigung unmöglich. Daher finden wir in allen Industriedistrikten ein Proletariat, das 35 zu zahlreich, zu augenscheinlich ist, als daß es geleugnet werden könnte. — In den Ackerbaudistrikten dagegen soll kein Proletariat existieren, wie von vielen Seiten her behauptet wird. Aber wie ist dies möglich? In den Gegenden, wo großer Grund-
Zwei Reden in Elberfeld II 383 besitz vorherrscht, ist ein solches Proletariat notwendig; die gro¬ ßen Wirtschaften haben Knechte und Mägde nötig, können nicht ohne Proletarier existieren. In den Gegenden, wo der Grund¬ besitz parzelliert ist, läßt sich das Aufkommen einer besitzlosen 5 Klasse ebenfalls nicht vermeiden; man teilt die Güter bis zu einem gewissen Grade, und dann hört das Teilen auf; und da dann nur einer aus der Familie das Gut übernehmen kann, so müssen die anderen wohl Proletarier, besitzlose Arbeiter werden. Dabei geht das Teilen denn gewöhnlich solange voran, bis das Gut zu klein 10 ist, um eine Familie ernähren zu können, und es bildet sich eine Klasse von Leuten, die wie die kleine Mittelklasse der Städte, einen Übergang aus der besitzenden in die besitzlose Klasse bildet, durch ihren Besitz von anderer Beschäftigung zurückgehalten und doch nicht befähigt ist, von ihm zu leben. Auch unter dieser 15 Klasse herrscht großes Elend. Daß dieses Proletariat an Zahl stets zunehmen muß, dafür bürgt uns die zunehmende Verarmung der Mittelklassen, von der ich heute vor acht Tagen ausführlich sprach, und die Tendenz des Kapitals, sich in wenigen Händen zu konzentrieren. Ich brauche 20 heute wohl auf diese Punkte nicht zurückzukommen und bemerke nur, daß diese Ursachen, welche das Proletariat fortwährend er¬ zeugen und vermehren, dieselben bleiben und dieselben Folgen haben werden, solange die Konkurrenz besteht. Unter allen Um¬ ständen muß das Proletariat nicht nur fortexistieren, sondern auch 25 sich fortwährend ausdehnen, eine immer drohendere Macht in unserer Gesellschaft werden, solange wir fortfahren, jeder auf seine eigne Faust und im Gegensatz zu allen andern zu produ¬ zieren. Das Proletariat wird aber einmal eine Stufe der Macht und Einsicht erreichen, bei der es sich den Druck des ganzen sozia- 30 len Gebäudes, das fortwährend auf seinen Schultern ruht, nicht mehr wird gefallen lassen, wo es eine gleichmäßigere Verteilung der sozialen Lasten und Rechte verlangen wird; und dann wird — wenn sich die menschliche Natur bis dahin nicht ändert — eine soziale Revolution nicht zu vermeiden sein. 35 Dies ist eine Frage, auf die unsere Ökonomen bis jetzt noch gar nicht eingegangen sind. Sie kümmern sich nicht um die Ver¬ teilung, sondern bloß um die Erzeugung des Nationalreichtums. Wir wollen indes für einen Augenblick davon abstrahieren, daß, wie eben bewiesen, eine soziale Revolution überhaupt schon die 40 Folge der Konkurrenz ist; wir wollen einmal die einzelnen For¬ men, unter denen die Konkurrenz auftritt, die verschiedenen öko¬ nomischen Möglichkeiten für Deutschland betrachten und sehen, was die Folge einer jeden sein muß. Deutschland — oder, genauer zu sprechen, der deutsche Zoll- 45 verein, hat für den Augenblick einen Juste-milieu-Zolltarif. Un-
384 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1845 sere Zölle sind zu wirklichen Schutzzöllen zu niedrig, zur Han¬ delsfreiheit zu hoch. So sind drei Dinge möglich: Entweder gehen wir zur vollständigen Handelsfreiheit über, oder wir schützen un¬ sere Industrie durch hinreichende Zölle, oder wir bleiben bei dem jetzigen System. Sehen wir die einzelnen Fälle an. 5 Wenn wir die Handelsfreiheit proklamieren und unsere Zölle aufheben, so ist unsere gesamte Industrie mit Ausnahme weniger Zweige ruiniert. Von Baumwollspinnerei, von mechani¬ scher Weberei, von den meisten Zweigen der Baumwollen- und Wollenindustrie, von bedeutenden Branchen der Seidenindustrie, 10 von beinahe der ganzen Eisengewinnung und Eisenverarbeitung kann dann keine Rede mehr sein. Die in allen diesen Zweigen plötzlich brotlos gewordenen Arbeiter würden in Masse auf den Ackerbau und die Trümmer der Industrie geworfen werden, der Pauperismus würde überall aus dem Boden wachsen, die Zentra-15 lisation des Besitzes in den Händen Weniger würde durch eine solche Krisis beschleunigt werden, und nach den Vorgängen in Schlesien zu urteilen, wäre die Folge dieser Krisis notwendig eine soziale Revolution. Oder wir verschaffen uns Schutzzölle. Diese sind neuer- 20 dings die Schoßkinder unserer meisten Industriellen geworden und verdienen daher nähere Betrachtung. Herr List hat die Wünsche unserer Kapitalisten in ein System gebracht, und an dieses von ihnen ziemlich allgemein als Credo anerkannte System will ich mich halten. Herr List schlägt allmählich steigende Schutzzölle 25 vor, die endlich hoch genug werden sollen, daß sie dem Fabrikan¬ ten den inländischen Markt sichern; dann sollen sie eine Zeitlang auf dieser Höhe bleiben und dann allmählich wieder erniedrigt werden, so daß endlich, nach einer Reihe von Jahren, aller Schutz aufhört. Nehmen wir einmal an, dieser Plan werde ausgeführt, 30 die steigenden Schutzzölle seien dekretiert. Die Industrie wird sich heben, das noch müßige Kapital wird sich auf industrielle Unternehmungen werfen, die Nachfrage nach Arbeitern und mit ihr der Lohn wird steigen, die Armenhäuser leeren sich, es tritt ein allem Anscheine nach höchst blühender Zustand ein. Dies 35 dauert solange, bis unsre Industrie ausgedehnt genug ist, um den heimischen Markt zu versorgen. Weiter kann sie sich nicht aus¬ dehnen, denn da sie den heimischen Markt ohne Schutz nicht behaupten kann, so wird sie noch viel weniger auf neutralen Märk¬ ten gegen die auswärtige Konkurrenz etwas ausrichten. Jetzt, 40 meint Herr List, würde indes die inländische Industrie schon stark genug sein, um weniger Schutz zu bedürfen, und die Herabsetzung könne anfangen. Geben wir dies für einen Augenblick zu. Die Zölle werden erniedrigt. Wenn nicht bei der ersten, so tritt doch ganz gewiß bei der zweiten oder dritten Zollherabsetzung eine 45
Zwei Reden in Elberfeld II 385 solche Verringerung des Schutzes ein, daß die auswärtige — sagen wir geradezu die englische Industrie auf dem deutschen Markte mit unsrer eignen konkurrieren kann. Herr List wünscht dies selbst. Was werden aber die Folgen davon sein? Die deutsche In- 5 dustrie hat von diesem Augenblicke an alle Schwankungen, alle Krisen der englischen mit auszuhalten. Sobald die überseeischen Märkte mit englischen Waren überfüllt sind, werden die Englän¬ der, gerade wie sie es jetzt tun, und wie Herr List es mit vieler Rührung schildert, ihre sämtlichen Vorräte auf den deutschen 10 Markt, den nächsten zugänglichen, werfen und so den Zollverein wieder zu ihrem „Trödelmagazin66 machen. Dann wird die eng¬ lische Industrie sich bald wieder erheben, weil sie die ganze Welt zum Markte hat, weil die ganze Welt ihrer nicht entbehren kann, während die deutsche nicht einmal für ihren eignen Markt un- 15 entbehrlich ist, während sie in ihrem eignen Hause die Kon¬ kurrenz der Engländer fürchten muß und an dem Überfluß der während der Krisis ihren Abnehmern zugeworfenen eng¬ lischen Waren laboriert. Dann wird unsre Industrie alle schlech¬ ten Perioden der englischen bis auf die Hefen zu kosten haben, 20 während sie an den Glanzperioden dieser letzteren nur bescheide¬ nen Anteil nehmen kann, — kurz, dann werden wir gerade so weit sein, wie wir jetzt sind. Und damit wir gleich das Endresultat be¬ kommen, dann wird derselbe gedrückte Zustand eintreten, in wel¬ chem jetzt die halbgeschützten Zweige sich befinden, dann wird 25 ein Etablissement nach dem andern eingehen, ohne daß neue ent¬ stehen, dann werden unsre Maschinen veralten, ohne daß wir im¬ stande sein werden, sie durch neue, verbesserte zu ersetzen, dann wird der Stillstand in einen Rückschritt sich verwandeln und nach Herrn Lists eigner Behauptung ein Industriezweig nach dem an- 30 dem verkommen und endlich ganz eingehen. Dann aber haben wir ein zahlreiches Proletariat, das durch die Industrie geschaffen wurde und nun keine Lebensmittel, keine Arbeit hat; und dann, m. H., wird dies Proletariat mit der Forderung an die besitzende Klasse treten, beschäftigt und ernährt zu werden. 35 Das wird der Fall sein, wenn die Schutzzölle herabgesetzt wer¬ den. Nehmen wir nun an, sie würden nicht herabgesetzt, sie blie¬ ben stehen, und man wollte abwarten, daß die Konkurrenz der in¬ ländischen Fabrikanten unter sich sie illusorisch mache, um sie dann herabzusetzen. Die Folge hiervon wird sein, daß die deutsche 40 Industrie, sobald sie imstande ist, den heimischen Markt voll¬ ständig zu versorgen, stillsteht. Neue Etablissements sind nicht nötig, da die bestehenden für den Markt ausreichen und an neue Märkte, wie schon oben gesagt, nicht zu denken ist, solange man überhaupt des Schutzes bedarf. Aber eine Industrie, deren A u s - 45 dehnung nicht fortschreitet, kann sich auch nicht vervoll- Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 25
386 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1845 k o m m n e n. Wie nach außen, wird sie nach innen stationär. Die Verbesserung der Maschinerie existiert für sie nicht. Die alten Maschinen kann man doch nicht wegwerfen, und für die neuen finden sich keine neuen Etablissements, in denen sie Anwendung finden könnten. Andre Nationen schreiten indes voran, und der 5 Stillstand unsrer Industrie wird wieder ein Rückschritt. Bald wer¬ den die Engländer durch ihren Fortschritt befähigt sein, so wohl¬ feil zu produzieren, daß sie mit unsrer zurückgebliebenen Indu¬ strie trotz des Schutzzolls auf unsrem eignen Markte konkur¬ rieren können, und da im Kampf der Konkurrenz, wie in jedem 10 andern Kampf, der Stärkere siegt, so ist unsre endliche Nieder¬ lage gewiß. Dann tritt derselbe Fall ein, von dem ich eben sprach: das künstlich erzeugte Proletariat wird von den Besitzenden etwas verlangen, was sie, solange sie exklusiv Besitzende bleiben wol¬ len, nicht leisten können, und die soziale Revolution tritt ein. 15 Jetzt ist noch ein Fall möglich, nämlich der sehr unwahrschein¬ liche, daß es uns Deutschen durch die Schutzzölle gelingen werde, unsre Industrie dahin zu bringen, daß sie ohne Schutz gegen die Engländer konkurrieren könne. Nehmen wir an, dies sei der Fall; was wird die Folge davon sein? Sobald wir anfangen, den Eng- 20 ländern auf auswärtigen, neutralen Märkten Konkurrenz zu machen, so wird sich ein Kampf auf Tod und Leben zwischen uns¬ rer und der englischen Industrie erheben. Die Engländer werden alle ihre Kräfte auf bieten, um uns aus den bisher von ihnen ver¬ sorgten Märkten entfernt zu halten, sie müssen es, weil sie hier an 25 ihrer Lebensquelle, an dem gefährlichsten Punkt angegriffen wer¬ den. Und mit all den Mitteln, die ihnen zu Gebote stehen, mit all den Vorteilen einer hundertjährigen Industrie, wird es ihnen ge¬ lingen, uns zu schlagen. Sie werden unsre Industrie auf unsren eignen Markt beschränkt halten und sie dadurch stationär machen 30 — und dann tritt derselbe Fall ein, der eben entwickelt wurde, wir bleiben stehen, die Engländer schreiten vorwärts, und unsre In¬ dustrie ist bei ihrem unvermeidlichen Verfall nicht imstande, das durch sie künstlich erzeugte Proletariat zu ernähren, — die soziale Revolution tritt ein. 35 Gesetzt aber, wir besiegten die Engländer auch auf neutralen Märkten, wir rissen einen ihrer Abzugskanäle nach dem andern an uns, — was hätten wir in diesem so gut wie unmöglichen Fall gewonnen? Im glücklichsten Fall würden wir dann die industrielle Karriere, die England uns vorgemacht hat, noch einmal durch- 40 machen und über kurz oder lang da ankommen — wo England jetzt steht — nämlich am Vorabende einer sozialen Revolution. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde es aber solange gar nicht dauern. Durch die fortwährenden Siege der deutschen Industrie würde die englische notwendig ruiniert und die ohnehin den Eng- 45
Zwei Reden in Elberfeld II 387 ländern bevorstehende massenhafte Erhebung des Proletariats gegen die besitzenden Klassen nur beschleunigt. Die schnell ein¬ tretende Brotlosigkeit würde die englischen Arbeiter zur Revolu¬ tion treiben, und wie die Dinge jetzt stehen, würde eine solche so- 5 ziale Revolution auf die Länder des Kontinents, namentlich Frank¬ reich und Deutschland, eine ungeheure Rückwirkung ausüben, die um so stärker werden müßte, je mehr durch die forcierte Industrie in Deutschland ein künstliches Proletariat erzeugt worden wäre. Eine solche Umwälzung würde sogleich europäisch werden und 10 die Träume unsrer Fabrikanten von einem industriellen Monopol Deutschlands sehr unsanft stören. Daß aber eine englische und eine deutsche Industrie friedlich nebeneinander bestehen könnten, das macht schon die Konkurrenz unmöglich. Eine jede Industrie muß, ich wiederhole es, fortschreiten, um nicht zurückzubleiben 15 und unterzugehen, sie muß sich ausdehnen, neue Märkte erobern, fortwährend durch neue Etablissements vergrößert werden, um fortschreiten zu können. Da aber, seitdem China offen steht, keine neuen Märkte mehr erobert werden, sondern nur die bestehenden besser ausgebeutet werden können, da also die Ausdehnung der 20 Industrie in Zukunft langsamer gehen wird als bisher, so kann England jetzt noch viel weniger einen Konkurrenten dulden, als dies bisher der Fall war. Es muß, um seine Industrie vor dem Unter¬ gänge zu schützen, die Industrie aller andern Länder darnieder¬ halten; die Behauptung des industriellen Monopols ist für Eng- 25 land nicht mehr eine bloße Frage des größeren oder geringeren Gewinns, sie ist eine Lebensfrage geworden. Der Kampf der Konkurrenz zwischen Nationen ist ohnehin schon viel heftiger, viel entscheidender als der zwischen Individuen, weil es ein kon¬ zentrierterer Kampf, ein Kampf von Massen ist, den nur der ent- 30 schiedene Sieg des einen und die entschiedene Niederlage des an¬ dern Teils endigen kann. Und darum würde auch ein solcher Kampf zwischen uns und den Engländern, mag sein Resultat sein, wie es will, weder für unsre, noch für die englischen Industriellen von Vorteil sein, sondern nur, wie ich eben entwickelte, eine so- 35 ziale Revolution nach sich ziehen. Wir haben demnach gesehen, m. H., was Deutschland sowohl von der Handelsfreiheit wie von dem Schutzsystem in allen mög¬ lichen Fällen zu erwarten hat. Wir hätten nur noch eine ökono¬ mische Möglichkeit vor uns, nämlich den Fall, daß wir bei den 40 jetzt bestehenden Juste-milieu-Zöllen blieben. Wir haben aber schon oben gesehen, was die Folgen davon sein würden. Unsere Industrie müßte, ein Zweig nach dem andern, zugrunde gehen, die Industriearbeiter würden brotlos werden, und wenn die Brot¬ losigkeit bis auf einen gewissen Grad gediehen, in einer Revolu- 45 tion gegen die besitzenden Klassen losbrechen. 25*
388 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1845 Sie sehen also, m. H., auch im einzelnen das bestätigt, was ich im Anfänge allgemein, von der Konkurrenz überhaupt ausgehend, entwickelte, — nämlich, daß die unvermeidliche Folge unserer bestehenden sozialen Verhältnisse unter allen Bedingungen und in allen Fällen eine soziale Revolution sein wird. Mit der- 5 selben Sicherheit, mit der wir aus gegebenen mathematischen Grundsätzen einen neuen Satz entwickeln können, mit derselben Sicherheit können wir aus den bestehenden ökonomischen Verhält¬ nissen und den Prinzipien der Nationalökonomie auf eine bevor¬ stehende soziale Revolution schließen. Sehen wir uns indes diese 10 Umwälzung einmal etwas näher an; in welcher Gestalt wird sie auftreten, was werden ihre Resultate sein, worin wird sie sich von den bisherigen gewaltsamen Umwälzungen unterscheiden? Eine soziale Revolution, m. H., ist ganz etwas anderes als die bisheri¬ gen politischen Revolutionen; sie geht nicht, wie diese, gegen das 15 Eigentum des Monopols, sondern gegen das Monopol des Eigen¬ tums ; eine soziale Revolution, m. H., das ist der offene Krieg der Armen gegen die Reichen. Und solch ein Kampf, in dem alle die Triebfedern und Ursachen unverhohlen und offen zu ihrer Wirkung kommen, die in den bisherigen historischen Kon- 20 flikten dunkel und versteckt zugrunde lagen, solch ein Kampf droht allerdings heftiger und blutiger werden zu wollen als alle seine Vorgänger. Das Resultat dieses Kampfes kann ein zwei¬ faches sein. Entweder greift die sich empörende Partei nur die Erscheinung, nicht das Wesen, nur die Form, nicht die Sache 25 selbst an, oder sie geht auf die Sache selbst ein und faßt das Übel bei der Wurzel selbst an. Im ersten Falle wird man das Privat¬ eigentum bestehen lassen und nur anders verteilen, so daß die Ur¬ sachen bestehen bleiben, welche den jetzigen Zustand herbei¬ geführt haben und über kurz oder lang wieder einen ähnlichen 30 Zustand und eine neue Revolution herbeiführen müssen. Aber, m. H., ist dies möglich? Wo finden wir eine Revolution, die das nicht wirklich durchgesetzt hätte, wovon sie ausging? Die eng¬ lische Revolution setzte sowohl die religiösen wie die politischen Grundsätze durch, deren Bekämpfung von Seiten Karls I. sie her- 35 vorrief; die französische Bourgeoisie hat in ihrem Kampfe mit dem Adel und der alten Monarchie alles erobert, was sie wünschte, alle die Mißbräuche abgestellt, die sie zum Aufstande trieben. Und der Aufstand der Armen sollte eher ruhen, bis er die Armut und ihre Ursachen abgeschafft hätte? Es ist nicht möglich, m. H., 40 es würde gegen alle geschichtliche Erfahrung streiten, so etwas anzunehmen. Auch der Bildungsstand der Arbeiter, besonders in England und Frankreich, erlaubt uns nicht, dies für möglich zu 21 Orig, zum Grunde lagen,
Zwei Reden in Elberfeld II 389 halten. Es bleibt also nichts übrig als die andere Alternative, nämlich, daß die zukünftige soziale Revolution auch auf die wirklichen Ursachen der Not und Armut, der Unwissenheit und des Verbrechens eingehen, daß sie also eine wirkliche soziale Re- 5 form durchsetzen werde. Und dies kann nur durch die Proklama¬ tion des kommunistischen Prinzips geschehen. Betrachten Sie nur, m. H., die Gedanken, welche den Arbeiter in den Ländern, wo auch der Arbeiter denkt, bewegen; sehen Sie in Frankreich die verschiedenen Fraktionen der Arbeiterbewegung, ob sie nicht alle 10 kommunistisch sind; gehen Sie nach England und hören Sie, was für Vorschläge den Arbeitern zur Verbesserung ihrer Lage ge¬ macht werden — ob sie nicht alle auf dem Prinzip des gemein¬ schaftlichen Eigentums beruhen; studieren Sie die verschiedenen Systeme der sozialen Reform, wie viele von ihnen Sie finden wer- 15 den, die nicht kommunistisch sind? Von allen Systemen, die heut¬ zutage noch von Bedeutung sind, ist das einzige nicht kommuni¬ stische das von Fourier, der seine Aufmerksamkeit mehr auf die soziale Organisation der menschlichen Tätigkeit als auf die Ver¬ teilung ihrer Erzeugnisse richtete. Alle diese Tatsachen rechtfer- 20 tigen den Schluß, daß eine zukünftige soziale Revolution mit der Durchführung des kommunistischen Prinzips endigen werde, und lassen kaum eine andere Möglichkeit zu. Sind diese Folgerungen richtig, m. H., ist die soziale Revolu¬ tion und der praktische Kommunismus das notwendige Resultat 25 upserer bestehenden Verhältnisse — so werden wir uns vor allen Dingen mit den Maßregeln zu beschäftigen haben, wodurch wir einer gewaltsamen und blutigen Umwälzung der sozialen Zustände vorbeugen können. Und da gibt es nur e i n Mittel, nämlich die friedliche Einführung oder wenigstens Vorbereitung des Kommu- 30 nismus. Wollen wir also nicht die blutige Lösung des sozialen Problems, wollen wir nicht den täglich größer werdenden Wider¬ spruch zwischen der Bildung und der Lebenslage unserer Proleta¬ rier sich bis zu der Spitze steigern lassen, wo nach allen unseren Erfahrungen über die menschliche Natur die brutale Gewalt, die 35 Verzweiflung und Rachgier diesen Widerspruch lösen wird, dann, m. H., müssen wir uns ernstlich und unbefangen mit der sozialen Frage beschäftigen; dann müssen wir es uns angelegen sein las¬ sen, das unsrige zur Vermenschlichung der Lage der modernen Heloten beizutragen. Und wenn vielleicht manchem von Ihnen es 40 scheinen möchte, als ob die Hebung der bis jetzt erniedrigten Klas¬ sen nicht ohne eine Erniedrigung seiner eigenen Lebenslage ge¬ schehen könnte, so ist doch zu bedenken, daß es sich darum han¬ delt, eine solche Lebenslage für alle Menschen zu schaffen, daß ein jeder seine menschliche Natur frei entwickeln, mit seinen 45 Nächsten in einem menschlichen Verhältnisse leben kann und vor
390 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1845 keinen gewaltsamen Erschütterungen seiner Lebenslage sich zu fürchten braucht; so ist zu bedenken, daß dasjenige, was einzelne auf opfern sollen, nicht ihr wahrhaft menschlicher Lebensgenuß, sondern nur der durch unsere schlechten Zustände erzeugte Schein des Lebensgenusses ist, etwas, was wider die eigne Vernunft und 5 das eigne Herz derer geht, die sich jetzt dieser scheinbaren Vor¬ züge erfreuen. Das wahrhaft menschliche Leben mit allen seinen Bedingungen und Bedürfnissen wollen wir so wenig zerstören, daß wir es im Gegenteil erst recht herzustellen wünschen. Und wenn Sie, auch abgesehen davon, nur einmal recht bedenken wol-10 len, auf was unser jetziger Zustand in seinen Folgen hinauslaufen muß, in welches Labyrinth von Widersprüchen und Unordnungen er uns führt, — dann, m. H., werden Sie es gewiß der Mühe wert finden, die soziale Frage ernsthaft und gründlich zu studieren. Und wenn ich Sie dazu veranlassen kann, so ist der Zweck meines 15 Vortrags vollständig erreicht.
BESCHREIBUNG EINES BAUARBEITERSTREIKS IN MANCHESTER 1844/45 als Nachtrag zur „Lage der arbeitenden Klasse in England“
Nieder geschrieben April—Juli 1845. Erschienen in Das Westphälische Dampfboot. Eine Monatsschrift. Redigiert von Dr. Otto Lüning. Zweiter Jahrgang. Bielefeld, A. Helmich, 1846. (Januarheft) p. 17—21, (Februarheft) p. 61—67.
Nachträgliches über die Lage der arbeitenden Klassen in England I. Ein englischer Turnout In meinem Buche über den obigen Gegenstand war es mir nicht 5 möglich, für die einzelnen Punkte tatsächliche Beweise zu geben. Ich mußte, um das Buch nicht zu dickleibig und ungenießbar zu machen, meine Aussagen für hinreichend bewiesen halten, wenn ich sie durch Belegstellen aus offiziellen Dokumenten, uninteres¬ sierten Schriftstellern oder Schriften derjenigen Parteien beglau- 10 bigt hatte, gegen deren Interesse ich auftrat. Dies war hinreichend, um mich in denjenigen Fällen, wo ich nicht aus eigener Anschau¬ ung sprechen konnte, vor Widerspruch zu schützen, soweit ich auf einzelne Schilderungen bestimmter Lebenslagen einging. Aber es war nicht hinreichend, um in dem Leser die unwidersprechliche 15 Gewißheit zu erzeugen, die nur durch schlagende, unwidersprech¬ liche Tatsachen gegeben werden kann und die namentlich in einem Jahrhundert, das durch die unendliche „Weisheit der Väter“ zum Skeptizismus gezwungen ist, durch keine bloße Rai- sonnements, wenn auch noch so guter Autoritäten, sich hervor- 20 bringen läßt. Vollends da, wo es sich um große Resultate handelt, wo die Tatsachen sich zu Prinzipien zusammenfassen, wo nicht die Lage einzelner kleiner Sektionen des Volks, sondern die gegen¬ seitige Stellung ganzer Klassen darzustellen ist, sind Tatsachen durchaus nötig. — Ich konnte sie aus den soeben erwähnten Grün- 25 den in meinem Buche nicht überall geben. Ich werde diesen unver¬ meidlichen Mangel nun hier nachholen und von Zeit zu Zeit Tat¬ sachen geben, wie ich sie in den mir zu Gebote stehenden Quellen finde. Um zu gleicher Zeit zu beweisen, daß meine Schilderung auch noch heute richtig ist, nehme ich nur solche Fakta, die sich 30 nach meiner Abreise aus England im vorigen Jahre zugetragen haben und mir erst seit dem Druck des Buches bekannt geworden sind. Die Leser meines Buches werden sich erinnern, daß es mir hauptsächlich auf die Schilderung der gegenseitigen Stellung der 35 Bourgeoisie und des Proletariats und der Notwendigkeit des Kampfes zwischen diesen beiden Klassen ankam; daß es mir spe¬ ziell darum zu tun war, die vollständige Berechtigung des Pro¬ letariats zu diesem Kampfe zu beweisen und die schönen Redens-
394 Aus dem Westphälischen Dampf boot 1846 arten der englischen Bourgeoisie durch ihre häßlichen Handlun¬ gen zu verdrängen. Von der ersten Seite bis zur letzten schrieb ich an der Anklageakte gegen die englische Bourgeoisie. Ich werde jetzt noch einige hübsche Beweisstücke vorlegen. Übrigens habe ich über diese englischen Bourgeois Leidenschaft genug an- 5 gedeutet; es fällt mir nicht ein, mich nachträglich noch einmal darüber zu ereifern, und ich werde dabei, soviel an mir ist, meine gute Laune behalten. Der erste gute Bürger und brave Familienvater, der uns vor¬ kommt, ist ein alter Freund, oder es sind ihrer vielmehr zwei. Die 10 Herren Pauling & Henfrey hatten bereits Anno 1843, Gott weiß zum wievielten Male, Streit mit ihren Arbeitern, die sich durch keine guten Gründe von ihrer Forderung, für vermehrte Arbeit vermehrten Lohn haben zu wollen, abbringen ließen und die Arbeit einstellten. Die Herren Pauling & Henfrey, welche be-15 deutende Bauunternehmer sind und viele Ziegelbrenner, Zimmer¬ leute usw. beschäftigen, nahmen andre Arbeiter; dies gab Streit und zu guter Letzt eine blutige Schlacht mit Flinten und Knüppeln auf der Ziegelbrennerei von Pauling & Henfrey, die mit der Transportation von einem halben Dutzend Arbeitern nach Van 20 Diemens Land endigte, wie dies alles des breiteren in der zitierten Schrift zu lesen ist. — Die Herren Pauling & Henfrey müssen aber jedes Jahr mit ihren Arbeitern etwas zu tun haben, sonst sind sie nicht glücklich, und so fingen sie im Oktober 1844 wieder Häkeleien an. Diesmal waren es dieZimmerleute, deren Wohl sich 25 die philanthropischen Bauunternehmer zu bewirken vorgenommen hatten. Seit undenklicher Zeit herrschte unter den Zimmerleuten in Manchester und der Umgegend die Gewohnheit, von Licht¬ meß bis zum 17. November kein „Licht anzuzünden66, d. h. wäh¬ rend der langen Tage von morgens sechs bis abends sechs Uhr zu 30 arbeiten und während der kurzen Tage anzufangen, sobald es hell, und aufzuhören, sobald es dunkel wurde. Vom 17. November an wurden dann die Lichter angesteckt und die volle Zeit gearbeitet. Pauling & Henfrey, schon lange dieser „barbarischen66 Gewohn¬ heit überdrüssig, entschlossen sich, diesen Rest der „dunklen 35 Zeiten66 mit Hilfe der Gasbeleuchtung zu vernichten, und als eines Abends die Zimmerleute nicht mehr bis sechs Uhr sehen konnten, ihre Werkzeuge weglegten und zu ihren Röcken griffen, steckte der Werkmeister das Gas an und bemerkte, sie müßten bis sechs Uhr arbeiten. Die Zimmerleute, denen dies nicht behagte, be- 40 riefen eine allgemeine Versammlung der Arbeiter ihres Hand¬ werks. Herr Pauling frug hocherstaunt seine Arbeiter, ob sie etwa nicht zufrieden seien, sie hätten ja eine Versammlung berufen. Einige bemerkten, nicht sie direkt, sondern der Vorstand des Handwerksvereins habe die Versammlung berufen, worauf Herr 45
Ein englischer Tumout 395 Pauling erwiderte, er schere sich den Teufel um den Handwerks¬ verein, aber er wolle ihnen einen Vorschlag machen: — wenn sie sich das Lichtanzünden gefallen ließen, so wolle er ihnen Sonn¬ abends dafür drei Stunden freigeben und — der Großmütige — 5 ihnen auch erlauben, täglich eine Extraviertelstunde zu arbeiten, die sie besonders bezahlt erhalten würden! Dafür sollten sie dann auch freilich, wenn alle andern Werkstätten anfingen, die Lichter anzuzünden, eine halbe Stunde länger arbeiten! — Die Arbeiter überlegten sich diesen Vorschlag und berechneten, daß hierdurch 10 während der kurzen Tage die Herren Pauling & Henfrey täglich eine ganze Arbeitsstunde profitieren würden, daß jeder Arbeiter im ganzen 92 Stunden, d. h. 9% Tag extra zu arbeiten haben würde, ohne einen Pfennig dafür zu erhalten, und daß bei der von der Firma beschäftigten Anzahl Arbeiter die genannten Herren 15 dadurch während der Wintermonate 400 Pfd. Sterl. (2100 Tlr.) am Lohn ersparen würden. Die Arbeiter hielten also ihre Ver¬ sammlung, setzten ihren Handwerksgenossen auseinander, daß, wenn eine Firma dies durchsetze, alle andern ihr nachfolgen wür¬ den und dadurch eine allgemeine, indirekte Lohnherabsetzung 20 zustande käme, welche die Zimmerleute des Distrikts um jährlich ca. 4000 Pfd. Sterl. berauben würde. Es wurde also beschlossen, daß sämtliche Zimmerleute von Pauling & Henfrey am nächsten Montag ihre vierteljährliche Kündigung einreichen, und falls ihre Arbeitgeber sich nicht besännen, die Arbeit nach Ablauf dersel- 25 ben einstellen sollten. Dafür versprach der Handwerksverein, sie während des etwaigen Feierns durch eine allgemeine Kontribu¬ tion zu unterstützen. Am Montag, den 21. Oktober, gingen die Arbeiter hin und kün¬ digten, worauf man ihnen antwortete, sie könnten gleich gehen, 30 was sie natürlich taten. An demselben Abend fand eine andere Versammlung sämtlicher Bauhandwerker statt, wobei alle ein¬ zelnen beim Bauen beschäftigten Arbeitszweige den Feiernden ihre Unterstützung zusagten. Am folgenden Mittwoch und Don¬ nerstag stellten sämtliche in der Umgegend für Pauling & Hen- 35 frey beschäftigten Zimmerleute ebenfalls ihre Arbeit ein, und der S t r i k e war somit vollständig im Zuge. Die so plötzlich aufs Trockne gesetzten Bauunternehmer schick¬ ten alsbald nach allen Richtungen, selbst bis nach Schottland, Leute aus, um Arbeiter zu engagieren, da in der ganzen Umgegend 40 keine Seele zu finden war, die in ihren Sold treten wollte. In weni¬ gen Tagen kamen richtig dreizehn Leute aus Staffordshire an. So¬ bald aber die Feiernden Gelegenheit fanden, mit ihnen zu sprechen, ihnen auseinandersetzten, daß sie wegen Zwistigkeiten, und aus welchen Gründen, die Arbeit eingestellt hätten, weigerten sich 45 mehrere der neuen Ankömmlinge, fortzuarbeiten. Hiergegen hat-
396 Aus dem Westphälischen Dampfboot 1846 ten nun die Brotherren ein praktisches Mittel, sie ließen die Wi¬ derspenstigen zusamt dem Verführer vor den Friedensrichter, Daniel Maude, Esquire, laden. Ehe wir ihnen dahin folgen, müssen wir vorerst die Tugenden von Daniel Maude, Esquire, in ihr gehöriges Licht setzen. 5 Daniel Maude, Esquire, ist der „stipendiary magistrate“ oder bezahlte Friedensrichter von Manchester. Gewöhnlich sind die englischen Friedensrichter reiche Bourgeois oder Grundbesitzer, mitunter auch Geistliche, die vom Ministerium ernannt werden. Da aber diese Dogberries vom Gesetze nichts verstehen, so be-10 gehen sie die größten Verstöße, blamieren die Bourgeoisie und schaden ihr, indem sie selbst einem Arbeiter gegenüber, wenn er von einem pfiffigen Advokaten verteidigt wird, sehr häufig in Ver¬ wirrung gebracht werden und entweder bei seiner Verurteilung eine gesetzliche Form vernachlässigen, die einen erfolgreichen 15 Appell nach sich zieht, oder sich gar zu einer Freisprechung ver¬ leiten lassen. Dabei haben die reichen Fabrikanten großer Städte und industrieller Bezirke keine Zeit, sich tagtäglich im Friedens¬ gericht zu langweilen und stellen lieber einen Remplagant. In die¬ sen Städten werden also meist besoldete Friedensrichter, studierte 20 Juristen, auf Verlangen der Städte selbst angestellt, die imstande sind, der Bourgeoisie sämtliche Kniffe und Distinktionen des eng¬ lischen Rechts, mit Zusätzen und Verbesserungen im Notfall, zu¬ gute kommen zu lassen. Wie sie sich dabei benehmen, werden wir an dem vorliegenden Exempel sehen. 25 Daniel Maude, Esquire, ist einer der liberalen Friedensrichter, die unter der Regierung des Whigministeriums in Masse angestellt wurden. Von seinen Heldentaten in und außer der Arena des Man¬ chester Borough Court wollen wir zwei erwähnen. Als es im Jahre 1842 den Fabrikanten gelang, die Arbeiter von Südlancashire in 30 eine Insurrektion zu forcieren, die anfangs August in Stalybridge und Ashton ausbrach, zogen am 9. August gegen 10 000 Arbeiter von dort nach Manchester, Richard Pilling, der Chartist, an der Spitze, „um mit den Fabrikanten auf der Börse von Man¬ chester zu unterhandeln und auch, um zu sehen, wie der dortige 35 Markt sich mache66. — Am Eingänge der Stadt empfing sie Daniel Maude, Esquire, mit der ganzen löblichen Polizeimannschaft, einem Detachement Kavallerie und einer Kompagnie Schützen. Dies war aber alles nur der Form halber, da es im Interesse der Fabrikanten und Liberalen war, daß die Insurrektion sich aus- 40 dehne und die Abschaffung der Komgesetze erzwinge. Daniel Maude, Esq., war mit seinen würdigen Kollegen vollkommen hierin einverstanden, fing an, mit den Arbeitern zu kapitulieren, und ließ sie unter dem Versprechen, den „Frieden zu halten66, und eine be¬ stimmte Route zu verfolgen, in die Stadt. Er wußte sehr gut, daß 45
Ein englischer Turnout 397 die Insurgenten dies nicht tun würden, und wünschte es auch gar nicht — er hätte durch einige Energie die ganze forcierte Insur¬ rektion im Keime zerstreuen können, aber dann hätte er ja nicht im Interesse seiner Komgesetz abschaff enden Freunde gehandelt, 5 sondern im Interesse des Herrn P e e 1; so ließ er das Militär sich zurückziehen und die Arbeiter in die Stadt, wo sie gleich alle Fa¬ briken stillsetzten. Als aber die Insurrektion einen entschiedenen Charakter gegen die liberale Bourgeoisie annahm, und die „höllischen Korngesetze66 gänzlich ignorierte, da nahm Daniel io Maude, Esq., wieder seine richterliche Würde an, ließ die Arbei¬ ter zu Dutzenden verhaften und wegen „Friedensbruch66 ohne Gnade ins Gefängnis spazieren — so daß er erst die Friedens¬ brüche machte und sie nachher bestrafte. Ein anderer charak¬ teristischer Zug aus der Karriere dieses Salomon von Manchester 15 ist folgender. Die Antikomgesetzligue hält in Manchester, seit¬ dem sie öffentlich mehrere Male geprügelt worden ist, geheime Versammlungen, zu denen man Billets haben muß — deren Be¬ schlüsse und Petitionen aber vor dem großen Publikum für die einer öffentlichen Versammlung, für Manifestationen der „öffent- 20 liehen Meinung66 von Manchester gelten sollen. Um dieser lügen¬ haften Prahlerei der liberalen Fabrikanten ein Ende zu machen, besorgten sich drei oder vier Chartisten, unter denen mein guter Freund James Leach, einige Billetts und gingen in eine solche Versammlung. Als Herr C ob den sich erhob, um zu sprechen, 25 richtete James Leach an den Präsidenten die Frage, ob dies eine öffentliche Versammlung sei. Statt aller Antwort rief dieser die Polizei herein und ließ Leach ohne weiteres verhaften! Ein zwei¬ ter Chartist stellte die Frage nochmals — ein dritter, ein vierter, sie wurden einer nach dem andern von den „ungesottenen Kreb- 30 sen“ (der Polizei) die in Massen an der Türe standen, auf gegrif¬ fen und aufs Rathaus spediert. Am nächsten Morgen erschienen sie vor Daniel Maude, Esq., der bereits über alles unterrichtet war. Sie wurden angeklagt, eine Versammlung gestört zu haben, kamen kaum zu Worte, und hörten dann eine feierliche Rede von 35 Daniel Maude, Esq., an, worin er ihnen sagte, er kenne sie, sie seien politische Vagabonden, die nichts täten als in allen Ver¬ sammlungen Skandal schlagen, ordentliche gesetzte Leute beun¬ ruhigen und dem Dinge müsse ein Ende gemacht werden. Darum — Daniel Maude, Esq., wußte wohl, daß er sie nicht in eine wirk- 40 liehe Strafe verurteilen konnte — darum wollte er sie diesmal in die Kosten verurteilen. Vor diesem Daniel Maude, Esquire, dessen Bourgeois¬ tugenden wir soeben geschildert haben, wurden also die wider¬
398 Aus dem Westphälischen Dampf boot 1846 spenstigen Arbeiter von Pauling&Henfrey geschleppt. Sie hatten aber der Vorsicht halber einen Advokaten mitgebracht. Zu¬ erst kam der neuangekommene Arbeiter aus Staffordshire vor, der sich weigerte, da fortzuarbeiten, wo andre zu ihrer Selbstver¬ teidigung die Arbeit eingestellt hatten. Die Herren Pauling & Hen- s frey hatten eine schriftliche Verpflichtung der von Staffordshire angekommenen Arbeiter in Händen die jetzt dem Friedensrich¬ ter vorgelegt wurde. Der Verteidiger der Arbeiter warf ein, daß dies Übereinkommen an einem Sonntag unterzeichnet, also ungül¬ tig sei. Daniel Maude, Esq., gab mit vieler Würde zu, daß „Ge-10 schäftstransaktionen“, die an einem Sonntag vollzogen seien, nicht gültig seien; aber er könne nicht glauben, daß die Herren Pau¬ ling & Henfrey dies für eine „Geschäftstransaktion66 ansahen! Er erklärte also dem armen Teufel, ohne ihn lange zu fragen, ob er das Dokument für eine „Geschäftstransaktion66 „ansehe66, er müsse entweder fortarbeiten oder drei Monate sich auf der Tretmühle amüsieren. — 0 Salomon von Manchester! — Nachdem dieser Fall erledigt, brachten die Herren Pauling & Henfrey den zwei¬ ten Angeklagten vor. Dieser hieß Salmon und war einer der alten Arbeiter der Firma, die die Arbeit eingestellt hatten. Er war 20 angeklagt, die neuen Arbeiter eingeschüchtert zu haben, um sie gleichfalls zum Feiern zu veranlassen. Der Zeuge — einer dieser letzteren — sagte aus, Salmon habe ihn beim Arme gefaßt, und mit ihm gesprochen. Daniel Maude, Esq., frag, ob der Angeklagte vielleicht Drohungen gebraucht oder ihn geschlagen habe? — 25 Nein! sagte der Zeuge. Daniel Maude, Esq., erfreut, eine Ge¬ legenheit zu finden, seine Unparteilichkeit leuchten zu lassen, — nachdem er eben seine Pflichten gegen die Bourgeoisie erfüllt — erklärte, es liege nichts vor, was den Angeklagten inkriminiere. Er habe ein volles Recht auf der öffentlichen Chaussee spazieren 30 zu gehen und mit andern Leuten zu sprechen, solange er keine ein¬ schüchternden Worte oder Handlungen sich zuschulden kommen lasse, — er spreche ihn deshalb frei. — Aber die Herren Pau¬ ling & Henfrey hatten wenigstens das Vergnügen gehabt, gegen Erlegung der Gerichtskosten den etc. Salmon eine Nacht in der 35 Violine zubringen zu lassen — und das war schon etwas. Auch *) Dieser Kontrakt enthielt folgendes: der Arbeiter verpflichtet sich, sechs Monate für Pauling & Henfrey zu arbeiten und mit dem Lohn zufrieden zu sein, den sie ihm geb en würden; daß aber Pauling & Henfrey nicht gebunden seien, ihn 6 Monate zu be- 40 halten, sondern ihn jeden Augenblick mit wöchentlicher Kündi¬ gung entlassen könnten; und daß Pauling & Henfrey seine Reisekosten von Staffordshire nach Manchester zwar auslegen, sie aber aus seinem Lohne durch wöchentliche Abzüge von 2 Schill. (20 Sgr.) zurückhalten sollten! — Wie gefällt Euch dies schöne Stück von einem Kontrakt? 45
Ein englischer Tumout 399 dauerte Salmons Freude nicht lange. Denn nachdem er Donners¬ tag, den 31. Oktober, freigelassen war, stand er bereits Dienstag, den 5. November, wieder vor Daniel Maude, Esq., angeklagt, die Herren Pauling & Henfrey auf der Straße angefallen zu haben. 5 An demselben Donnerstag, an dem Salmon freigesprochen wor¬ den war, kam eine Anzahl Schotten, die durch lügnerische Vor¬ wände, die Zwistigkeiten seien am Ende, und Pauling & Henfrey können in ihrer Gegend nicht Arbeiter genug für ihre ausgedehn¬ ten Kontrakte finden usw., nach Manchester gelockt waren, dort io an. Am Freitag kamen mehrere schottische Schreiner, die seit län¬ gerer Zeit in Manchester arbeiteten, zu ihnen, um ihren Landsleu¬ ten die Ursache der Arbeitseinstellung zu erklären. Eine große Menge ihrer Handwerksgenossen — gegen 400 — versammelten sich um das Wirtshaus, wo die Schotten untergebracht waren. Man is hielt sie dort aber als Gefangene und stellte einen Werkmeister als Schildwache vor die Tür. Nach einiger Zeit kamen die Herren Pauling & Henfrey, um ihre neuen Arbeiter in eigner Person zur Werkstatt zu geleiten. Als der Zug herauskam, sprachen die drau¬ ßen Versammelten den Schotten zu, nicht gegen die Handwerks- 20 regeln von Manchester zu arbeiten und ihren Landsleuten keine Schande zu machen. Zwei der Schotten blieben wirklich etwas zurück, und Herr Pauling lief ihnen selbst nach, um sie vorwärts zu schleppen. Die Menge hielt sich ruhig, hinderte nur das zu rasche Gehen des Zuges und sprach den Leuten zu, sich nicht in 25 fremde Angelegenheiten zu mischen, wieder nach Hause zu gehen usw., Herr Henfrey wurde endlich ärgerlich; er sah mehrere sei¬ ner alten Arbeiter, und unter andern Salmon; um also dem Ding ein Ende zu machen, griff er diesen beim Arm; Herr Pauling er¬ griff ihn beim andern Arm, und beide riefen aus Leibeskräften 30 nach der Polizei. Der Polizeikommissär kam hinzu und fragte, welche Anklage gegen den Mann gemacht werde? worauf die bei¬ den Associes in großer Verlegenheit waren; aber, sagten sie — „wir kennen den Mann66. 0, sagte der Kommissär, das ist ja hin¬ reichend, dann können wir ihn ja einstweilen gehen lassen. Die 35 Herren Pauling & Henfrey, genötigt, irgendeine Klage gegen Sal¬ mon vorzubringen, besannen sich mehrere Tage, bis sie endlich auf den Rat ihres Advokaten die obige Anklage einreichten. Als alle Zeugen gegen Salmon verhört worden waren, stand plötzlich für den Angeklagten W. P. Roberts, „der Generalanwalt der io Grubenarbeiter66, der Schrecken aller Friedensrichter, auf und frug, ob er seine Zeugen noch bringen solle, da gar nichts gegen Salmon vorgebracht sei? Daniel Maude, Esq., ließ ihn seine Zeu¬ gen verhören, die bewiesen, daß Salmon sich ruhig verhalten habe, bis Herr Henfrey ihn gefaßt habe. Als die Verhandlungen pro 45 und contra beendigt waren, erklärte Daniel Maude, Esq., er wolle
400 Aus dem Westphälischen Dampf boot 1846 Sonnabend sein Urteil geben. Die Anwesenheit des General¬ anwalts Roberts bewog ihn offenbar, zweimal zu überlegen, ehe er einmal sprach. Am Samstag brachten Pauling & Henfrey außer der bisherigen noch eine Krim in al anklage auf Verschwörung und Intimi- s dation vor, gegen drei ihrer alten Arbeiter, Salmon, Scott und Mellor. Sie wollten dem Handwerksverein dadurch einen tödlichen Stich versetzen, und um dem gefürchteten Roberts gegen¬ über sicher zu sein, ließen sie einen angesehenen Juristen von London, Herrn Monk, kommen. Herr Monk brachte als Zeugen 10 zuerst einen neuengagierten Schotten, G i b s o n, vor, der auch schon vorigen Dienstag gegen Salmon als Zeuge gedient hatte. Er sagte aus, daß am Freitag, den 1. November, als er und seine Ge¬ nossen aus dem Wirtshaus gekommen seien, eine Menge Leute sie umringt, hier und da gestoßen und gezogen hätten, und daß die is drei Angeklagten unter der Menge gewesen seien. Jetzt fing Ro¬ berts an, diesen Zeugen zu verhören, und konfrontierte ihn mit einem andern Arbeiter und frug, ob er, Gibson, nicht gestern abend diesem Arbeiter gesagt habe, er hätte vergangenen Diens¬ tag bei seiner Zeugenaussage nicht gewußt, daß er eid-20 lieh verhört worden sei, und überhaupt nicht gewußt, was er im Gerichtshöfe zu tun und zu sagen habe. Gibson antwortete: er kenne den Mann nicht, er sei gestern abend mit zwei Leuten zusammen gewesen; aber da es dunkel gewesen, so könne er nicht sagen, ob dieser einer davon gewesen sei; auch sei es mög-25 lieh, daß er etwas der Art gesagt habe, da die Eides¬ form in Schottland anders sei als in England, er erinnere sich nicht genau. — Hier stand Herr Monk auf und behauptete, Herr Roberts habe nicht das Recht, dergleichen Fragen zu tun, worauf Herr Roberts erwiderte, dergleichen Einwürfe seien ganz am Ort, 30 wenn man eine schlechte Sache zu vertreten habe, aber er habe das Recht, zu fragen, was er wolle, nicht nur, wo der Zeuge ge¬ boren sei, sondern auch, wo er sich seitdem jeden Tag aufgehal¬ ten und was er jeden Tag gegessen habe. Daniel Maude, Esq., be¬ stätigte dies Recht des Herrn Roberts und gab ihm nur den väter- 35 liehen Rat, sich soviel wie möglich bei der Sache zu halten. Nach¬ dem Herr Roberts nun noch den Zeugen hatte aussagen lassen, daß er erst am Tage nach dem Vorfall, der die Anklage begrün¬ dete, also am zweiten November, wirklich angefangen habe, für Pauling & Henfrey zu arbeiten, entließ er ihn. Jetzt trat Herr 40 Henfrey selbst als Zeuge auf und sagte dasselbe über den Vorfall aus, wie Gibson. Hierauf stellte ihm Herr Roberts die Frage: Suchen Sie nicht einen imbilligen Vorteil über Ihre Konkurren¬ ten? Herr Monk machte wieder Einwendungen gegen diese Frage. Gut, sagte Roberts, ich will sie deutlicher stellen. Wissen Sie, 45
Ein englischer Turnout 401 Herr Henfrey, daß die Arbeitsstunden der Zimmerleute in Man¬ chester durch gewisse Regeln bestimmt sind? Herr Henfrey: Ich habe mit diesen Regeln nichts zu tun, ich habe das Recht, meine eigenen Regeln zu machen. 5 Herr Roberts: Ganz recht. Auf Ihren Eid, Herr Henfrey, ver¬ langen Sie nicht von Ihren Arbeitern eine längere Arbeitszeit als die übrigen Bauunternehmer und Zimmermeister? Herr Henfrey: Ja. Herr Roberts: Wieviel Stunden ungefähr? 10 Herr Henfrey wußte es nicht genau, zog aber sein Taschen¬ buch hervor, um zu kalkulieren. Daniel Maude, Esq.: Sie brauchen es nicht lange zu berechnen, wenn Sie uns nur ungefähr sagen wollen, wieviel es beträgt. Herr Henfrey: Nun, ungefähr eine Stunde morgens und eine 15 Stunde abends während sechs Wochen vor der Zeit, wann gewöhn¬ lich die Lichter angesteckt werden, und ebensoviel während sechs Wochen nach dem Tage, an dem man gewöhnlich aufhört, Licht anzuzünden. Daniel Maude, Esq.: Das sind also 72 Stunden vor Lichtanzün- 20 den und 72 Stunden nachher, also 144 Stunden in zwölf Wochen, die jeder Ihrer Arbeiter mehr arbeiten muß? Herr Henfrey: Ja. Diese Ankündigung wurde vom Publikum mit starken Zeichen des Unwillens aufgenommen; Herr Monk sah wütend auf Herrn 25 Henfrey und Herr Henfrey konfus auf seinen Juristen, und Herr Pauling zupfte Herrn Henfrey am Rockschoß — aber es war zu spät; Daniel Maude, Esq., der wohl sah, daß er heute wieder den Unparteiischen spielen müsse, hatte das Geständnis gehört und öffentlich gemacht. 30 Nachdem noch zwei imbedeutende Zeugen verhört worden waren, sagte Herr Monk, hiermit sei sein Beweis gegen die Ange¬ klagten beendigt. Daniel Maude, Esq., sagte nun, die klagende Partei habe keine Kriminaluntersuchung gegen die Angeklagten begründet, indem 35 sie nicht bewiesen hätte, daß die bedrohten Schotten vor dem ersten November in Pauling & Henfreys Dienst genommen seien, indem kein Mietvertrag oder keine Beschäftigung der Leute vor dem zweiten November bewiesen sei, während die Denunzia¬ tion am ersten November deponiert worden sei; an diesem Tage 40 waren also die Leute noch nicht in Pauling & Henfreys Dienst, und die Angeklagten waren berechtigt, sie auf jede gesetzliche Weise davon abzuhalten, in Pauling & Henfreys Dienst zu tre¬ ten. — Herr Monk sagte hiergegen, die Kläger seien gemietet ge¬ wesen von dem Augenblick an, wo sie Schottland verlassen und 45 das Dampfschiff betreten hätten. Daniel Maude, Esq., bemerkte, Marx*Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 26
402 Aus dem Westphälischen Dampfboot 1846 allerdings habe man gesagt, daß ein solcher Mietvertrag gemacht worden sei, aber dies Dokument sei nicht eingereicht worden. Herr Monk erwiderte, dies Dokument liege in Schottland, und er bitte Herrn Maude, den Fall solange stehen zu lassen, bis es herbei¬ gebracht werden könne. Hier fiel Herr Roberts ein: dies sei ihm 5 neu. Der Beweis für die Anklage sei für geschlossen erklärt und dennoch verlange Kläger, daß die Sache vertagt werden solle, um neue Beweisstücke einzubringen. Er bestehe darauf, daß man fort¬ fahre. Daniel Maude, Esq., beschloß, beides sei überflüssig, da keine unterstützte Anklage vorliege — worauf die Angeklagten 10 entlassen wurden. — Inzwischen waren die Arbeiter auch nicht untätig gewesen. Woche auf Woche hielten sie Versammlungen in der Zimmer¬ mannshalle oder der Sozialistenhalle, forderten die verschiedenen Handwerksvereine zu Unterstützungen auf, die reichlich kamen, 15 hörten nicht auf, die Handlungsweise von Pauling & Henfrey überall bekannt zu machen, und schickten endlich Delegierte nach allen Richtungen, um überall, wo Pauling & Henfrey anwerben ließen, die Ursache dieser Werbungen unter ihren Handwerks¬ genossen bekannt zu machen und sie dadurch zu verhindern, in 20 den Dienst dieser Firma zu treten. Bereits wenige Wochen nach dem Anfänge des Feierns waren sieben Delegierte auf Reisen und Plakate an den Ecken aller bedeutenden Städte des Landes, die die arbeitslosen Zimmerleute vor Pauling & Henfrey warnten. Am 9. November statteten einige dieser zurückgekehrten Delegierten 25 Bericht über ihre Sendung ab. Einer derselben, namens John¬ son, der in Schottland gewesen war, erzählte, wie der Abgesandte von Pauling & Henfrey dreißig Arbeiter in Edinburgh angewor¬ ben hatte; aber sobald sie von ihm den wahren Stand der Dinge gehört hatten, erklärten sie, daß sie lieber verhungern wollten als 30 unter solchen Umständen nach Manchester gehen. Ein zweiter war in Liverpool gewesen und hatte die ankommenden Dampfschiffe beaufsichtigt; aber kein einziger Mann war angekommen und so hatte er nichts zu tun vorgefunden. Ein dritter hatte Cheshire be¬ reist, aber wohin er kam, fand er nichts mehr zu tim, denn der 35 „Northern Star“, das Journal der Arbeiter, hatte überall den wah¬ ren Stand der Sache verbreitet und den Leuten alle Lust benom¬ men, nach Manchester zu gehen; ja in einer Stadt, in Macclesfield, hatten die Zimmerleute bereits eine Kontribution zur Unterstützung der Feiernden erhoben und versprochen, ihm im Notfälle einen 40 Schilling per Mann noch nachträglich beizusteuem. An anderen Orten bewog er die Handwerksgenossen, solche Kontributionen auszuschreiben. Um noch einmal den Herren Pauling & Henfrey Gelegenheit zu geben, sich mit den Arbeitern zu verständigen, versammelten 45
Ein englischer Tumout 403 sich Montag, den 18. November, sämtliche beim Bauen beteiligte Handwerke in der Zimmermannshalle, ernannten eine Deputation, die diesen Herren eine Adresse überbringen sollte, und zogen in Prozession, mit Fahnen und Emblemen, nach dem Lokale von Pau- 5 ling & Henfrey. Zuerst die Deputation, ihr folgte das Komitee zur Organisation der Arbeitseinstellung — dann kamen die Zim¬ merleute — die Ziegelformer und -bäcker — die Tagelöhner — die Maurer — die Holzsäger — die Glaser — die Pliesterer — die Anstreicher — ein Trupp Musikanten — die Steinhauer — die io Möbelschreiner. Sie passierten vor dem Hotel ihres Generalanwalts Roberts und grüßten ihn im Vorbeigehen mit lauten Hurras. An¬ gekommen vor dem Lokal, trat die Deputation vor, während die Menge weiter zog, um sich in Steversons Square zu einer öffent¬ lichen Versammlung zu formieren. Die Deputation wurde von 15 der Polizei empfangen, die ihre Namen und Adressen abforderte, ehe sie sie weiterziehen ließ. Im Kontor angekommen, erklärten ihnen die Associes Herren Sharps & Pauling, sie würden keine geschriebene Adresse von einer bloß der Einschüchterung halber zusammengebrachten Masse empfangen. Diesen Zweck 20 leugnete die Deputation, da die Prozession nicht einmal haltge¬ macht habe, sondern gleich weiter gezogen sei. Während indes diese fünftausend Mitglieder zählende Prozession weiterzog, wurde die Deputation endlich empfangen und in Gegenwart der Chefs der Polizei, eines Offiziers und dreier Zeitungsberichterstat- 25 ter in ein Zimmer geführt. Herr Sharps, Associe von Pauling & Henfrey, usurpierte den Präsidentenstuhl mit der Bemerkung, die Deputation möge sich in acht nehmen mit dem was sie sage, da alles gehörig protokolliert und nach Umständen gerichtlich gegen sie gebraucht werden würde. — Man fing jetzt an sie zu fra- 30 gen, worüber sie klagten usw.; man sagte, man wolle den Leu¬ ten Arbeit geben, nach den Regeln, die in Manchester üblich seien. Die Deputation frug, ob die in Staffordshire und Schottland auf¬ gegabelten Leute nach den Bestimmungen des Handwerks in Man¬ chester arbeiteten? — Nein, war die Antwort, mit diesen Leuten 35 haben wir eine besondre Übereinkunft. — Also Eure Leute sollen wieder Arbeit bekommen und zwar unter den üblichen Bedingun¬ gen? — 0, wir unterhandeln mit keiner Deputation, aber laßt die Leute nur kommen, so sollen sie erfahren, zu welchen Bedingungen wir ihnen Arbeit geben wollen. — Herr Sharps fügte hinzu, alle 40 Firmen, in denen sein Name sei, haben sich stets gut gegen die Arbeiter benommen und den höchsten Lohn bezahlt. Die Deputa¬ tion antwortete, daß wenn er in der Firma Pauling, Henfrey & Co. beteiligt sei, wie sie gehört habe, diese Firma den besten Inter¬ essen der Arbeiter heftig opponiert habe. — Ein Ziegelbrenner, 45 Mitglied der Deputation, wurde gefragt, worüber sein Handwerk 26*
404 Aus dem Westphälischen Dampf boot 1846 denn zu klagen habe. — 0, über nichts gerade jetzt, aber wir haben genug gehabt— 0, habt Ihr genug gehabt, habt Ihr? antwortete grinsend Herr Pauling und nahm Gelegenheit, eine lange Vorlesung über Handwerksvereine, Arbeitseinstellungen usw. zu halten, und über das Elend, worin sie den Arbeiter brach- 5 ten, — worauf einer der Deputation bemerkte, sie seien keines¬ wegs gesonnen, sich ihre Rechte Stück für Stück nehmen zu lassen und z. B. wie es jetzt verlangt werde, 144 Stunden jährlich umsonst zu arbeiten. — Herr Sharps bemerkte, daß der Verlust, den die Teilnehmer der Prozession dadurch hätten, daß sie an 10 dem Tage nicht arbeiteten, wie die Kosten des Feierns, der Ver¬ lust der Feiernden an Lohn etc. auch zu rechnen sei. — Einer der Deputation: Das geht niemanden an als uns selbst, und wir wer¬ den Euch nicht bitten, aus Eurer Tasche einen Heller dazu beizu¬ tragen. Darauf zog die Deputation ab, stattete den versammelten 15 Handwerkern in der Zimmermannshalle Bericht ab, wobei be¬ kannt wurde, daß nicht nur sämtliche Arbeiter, die für Pauling & Henfrey in der Umgegend arbeiteten (die nicht Zimmerleute waren, also die Arbeit nicht eingestellt hatten) gekommen waren, um an der Prozession teilzunehmen, sondern auch heute morgen 20 mehrere der neu importierten Schotten die Arbeit niedergelegt hatten. Auch zeigte ein Anstreicher an, daß Pauling & Henfrey an ihr Handwerk dieselben unbilligen Forderungen gestellt hat¬ ten wie an die Schreiner, daß sie aber ebenfalls gesonnen seien, Widerstand zu leisten. Es wurde beschlossen, um die Sache zu 25 vereinfachen und den Kampf zu verkürzen, sollten sämtliche Bau¬ handwerker der Firma Pauling & Henfrey die Arbeit einstellen. Dies geschah. Den nächsten Sonnabend hörten die Anstreicher und Montags die Glaser auf zu arbeiten, und an dem neuen Theater, für dessen Erbauung Pauling & Henfrey kontrahiert hatten, arbei- 30 teten statt 200 Leuten nach wenig Tagen nur noch zwei Maurer und vier Tagelöhner. Auch von den neuen Ankömmlingen stell¬ ten mehrere die Arbeit ein. Pauling, Henfrey & Co. schäumten. Als wieder drei der neuen Ankömmlinge zu feiern anfingen, wurden sie Freitag, den 22. No- 35 vember, vor Daniel Maude, Esq., geschleppt. Die früheren Schlap¬ pen hatten nichts geholfen. Zuerst kam ein gewisser Read vor, des Kontraktbruches angeklagt; man legte auch einen Kontrakt vor, den der Angeklagte in Derby unterzeichnet hatte. Roberts, der wieder an seinem Platze war, bemerkte gleich, daß zwischen 40 dem Kontrakt und der Anklage nicht die geringste Verwandt¬ schaft bestehe, sie seien zwei ganz verschiedne Dinge. Daniel *) Vgl. oben — das blutige Gefecht auf Pauling & Henfreys Ziegel¬ brennerei. Cf. in diesem Band p. 214 sqq.
Ein englischer Turnout 405 Maude, Esq., sah dies gleich ein, da der fürchterliche Roberts es gesagt hatte, aber er hatte sich lange vergebens zu plagen, um es dem Sachwalter der Gegenpartei begreiflich zu machen. Endlich bat dieser sich Erlaubnis aus, dies zu ändern, und kam nach eini- 5 ger Zeit mit einer Anklage wieder, die noch viel schlechter war, als die erste. Als er sah, daß dies auch nicht zog, bat er um wei¬ teren Aufschub, und Daniel Maude, Esq., erlaubte ihm, sich bis Freitag, den 30. November, zu besinnen; also eine ganze Woche. Ob er dann durchkam, finde ich nicht verzeichnet, da mir hier ge- io rade die eine Nummer in der Zeitungsserie fehlt, die den Ent¬ scheid enthalten muß. Roberts indes ging jetzt in die Offensive über und ließ mehrere der angeworbenen Arbeiter, sowie einen Werkmeister von Pauling & Henfrey vorladen, weil sie in das Haus eines der Feiernden gedrungen waren und seine Frau ge- 15 mißhandelt hatten; in zwei andern Fällen waren einige der feiern¬ den Arbeiter angegriffen worden. Daniel Maude, Esq., mußte die Angeklagten zu seinem Leidwesen sämtlich verurteilen, aber er behandelte sie möglichst gelind und ließ sie nur Kaution für künf¬ tiges gutes Betragen geben. 20 Endlich, in den letzten Tagen des Dezember, gelang es den Her¬ ren Pauling, Henfrey & Co., gegen zwei ihrer Gegner, ebenfalls wegen Mißhandlung eines ihrer Arbeiter, ein Urteil zu erwirken. Diesmal war aber das Gericht nicht so gelinde. Es verurteilte sie ohne weiteres zu einem Monat Gefängnis und zur Kaution für 25 gutes Betragen nach dieser Zeit. Von jetzt an werden die Nachrichten über den Strike spärlich. Am 18. Januar war er noch in vollem Gange. Spätere Berichte habe ich nicht gefunden. Wahrscheinlich ist er abgelaufen wie die meisten andern; Pauling, Henfrey & Co. werden sich im 30 Laufe der Zeit eine hinreichende Anzahl Arbeiter aus entlegenen Gegenden und aus einzelnen Überläufern der Gegner verschafft, die Masse der Gegner wird nach längerem oder kürzerem Feiern und damit verknüpftem Elend — wofür sie das Bewußtsein trö¬ stet, sich nichts vergeben und den Lohn ihrer Genossen aufrecht¬ es erhalten zu haben — anderswo ein Unterkommen gefunden haben; und was die streitigen Punkte betrifft, so werden Pauling, Hen¬ frey & Co. gefunden haben, daß diese sich so streng nicht durch¬ setzen lassen, da auch für sie der Strike mit vielem Verlust ver¬ knüpft war — und die übrigen Unternehmer werden, nach einem 40 so heftigen Kampfe, nicht daran denken, die alten Regeln des Zimmerhandwerks so bald zu ändern. Brüssel. F. Engels.
EINE ÜBERSETZUNG AUS FOURIER mit Einleitung und Nachwort
Geschrieben im Zeitraum Anfang April — Mitte Juli 1845. Erschienen in Deutsches Bürgerbuch für 1846. (Zweiter Jahrgang.) Herausgegeben von H. Püttmann. Mannheim, Heinrich Hoff, 1846. p. 1—56.
EIN FRAGMENT FOURIERS ÜBER DEN HANDEL Die Deutschen fingen nachgerade an, auch die kommunistische Bewegung zu verderben. Wie immer, auch hier die Letzten und 5 Untätigsten, glauben sie ihre Schläfrigkeit durch Verachtung ihrer Vorgänger und philosophische Renommage verdecken zu können. Kaum existiert der Kommunismus in Deutschland, so wird er von einem ganzen Heere spekulativer Köpfe akkapariert, die Wun¬ ders meinen, was sie getan hätten, wenn sie Sätze, die in Frank- 10 reich und England schon zu Trivialitäten geworden, in die Sprache der Hegelschen Logik übertragen und diese neue Weisheit als etwas noch nie Dagewesenes, als die „wahre deutsche Theorie66, in die Welt schicken, um dann recht nach Herzenslust auf die „schlechte Praxis66, auf die „Lächeln erregenden66 sozialen Sy- 15 steme der bornierten Franzosen und Engländer Kot werfen zu können. Diese allzeit fertige deutsche Theorie, die das unendliche Glück gehabt hat, ein wenig in die Hegelsche Geschichtsphiloso¬ phie hineinriechen zu können und von irgend einem dürren Ber¬ liner Professor in den Schematismus der ewigen Kategorien ein- 20 gereiht zu werden, die dann vielleicht Feuerbach, einige deutsche kommunistische Schriften und Herrn Stein über französischen So¬ zialismus durchgeblättert hat, — diese deutsche Theorie von der allerschlechtesten Sorte hat sich bereits ohne alle Schwierigkeit den französischen Sozialismus und Kommunismus nach Herrn 25 Stein zurechtkonstruiert, ihm eine untergeordnete Stelle angewie¬ sen, ihn „überwunden“, ihn in die „höhere Entwicklungs¬ stufe66 der allzeit fertigen „deutschen Theorie66 „aufgehoben“. Es fällt ihr natürlich nicht ein, sich einigermaßen mit den auf¬ zuhebenden Sachen selbst bekannt zu machen, Fourier, Saint- 30 Simon, Owen und die französischen Kommunisten anzusehen — die mageren Auszüge des Herrn Stein genügen vollkommen, um diesen brillanten Sieg der deutschen Theorie über die lahmen Ver¬ suche des Auslandes zustande zu bringen. Diesem komischen Stolz der deutschen Theorie, die nicht ster- 35 ben kann, gegenüber, ist es durchaus nötig, den Deutschen einmal vorzuhalten, was sie dem Auslande alles verdanken, seitdem sie
410 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 sich mit sozialen Fragen beschäftigen. Unter all den pomphaften Redensarten, die jetzt in der deutschen Literatur als die Grund¬ prinzipien des wahren, reinen, deutschen, theoretischen Kommu¬ nismus und Sozialismus ausgerufen werden, ist bis jetzt auch nicht ein einziger Gedanke, der auf deutschem Boden gewachsen wäre. 5 Was die Franzosen oder Engländer schon vor zehn, zwanzig, ja vierzig Jahren gesagt — und sehr gut, sehr klar, in sehr schöner Sprache gesagt hatten, das haben die Deutschen jetzt endlich seit einem Jahre stückweise kennengelernt und verhegelt, oder im allerbesten Falle haben sie es nachträglich noch einmal erfunden 10 und in viel schlechterer, abstrakterer Form als ganz neue Erfin¬ dung drucken lassen. Ich nehme hiervon meine eigenen Arbeiten nicht aus. Was den Deutschen eigentümlich ist, ist nur die schlechte, abstrakte, unverständliche und schiefe Form, in der sie diese Gedanken ausgedrückt haben. Und wie es echten Theore-15 tikern geziemt, haben sie bis jetzt von den Franzosen — die Eng¬ länder kennen sie noch fast gar nicht — außer den aller- allgemeinsten Prinzipien nur das Schlechteste und Theore¬ tischste, die Schematisierung der zukünftigen Gesellschaft, die sozialen Systeme ihrer Kenntnisnahme für würdig befun- 20 den. Die beste Seite, die Kritik der bestehenden Gesell¬ schaft, die wirkliche Grundlage, die Hauptaufgabe aller Be¬ schäftigung mit sozialen Fragen, hat man ruhig beiseite gescho¬ ben. Davon gar nicht zu sprechen, daß diese weisen Theoretiker den einzigen Deutschen, der wirklich etwas getan hat, W e i t - 25 ling, ebenfalls mit Verachtung oder gar nicht zu erwähnen pflegen. Ich will diesen weisen Herren ein kleines Kapitel von Fourier vorhalten, woran sie sich ein Exempel nehmen können. Es ist wahr, Fourier ist nicht aus der Hegelschen Theorie hervorgegan- 3 gen und hat deshalb leider nicht zur Erkenntnis der absoluten Wahrheit, nicht einmal zum absoluten Sozialismus kommen kön¬ nen, es ist wahr, Fourier hat sich durch diesen Mangel leider ver¬ leiten lassen, die Methode der Serien an die Stelle der absoluten Methode zu setzen, und dadurch ist er dahin gekommen, die Ver- 35 Wandlung des Meeres in Limonade, die couronnes boreale und australe, den Anti-Löwen und die Begattung der Planeten zu kon¬ struieren, aber wenn es so sein muß, will ich doch lieber mit dem heitern Fourier an alle diese Geschichten glauben, als an das ab¬ solute Geisterreich, wo es gar keine Limonade gibt, an die Iden- 40 tität von Sein und Nichts und die Begattung der ewigen Kate¬ gorien. Der französische Unsinn ist wenigstens lustig, wo der deutsche Unsinn morose und tiefsinnig ist. Und dann hat Fourier die bestehenden sozialen Verhältnisse mit einer solchen Schärfe, einem solchen Witz und Humor kritisiert, daß man ihm seine 45
Ein Fragment Fouriers über den Handel 411 auch auf einer genialen Weltanschauung beruhenden, kosmo¬ logischen Phantasien gerne verzeiht. Das Fragment, was ich hier mitteile, fand sich unter dem Nach¬ lasse Fouriers vor und ist im ersten Hefte der seit Anfang des 5 Jahres 1845 von den Fourieristen herausgegebenen „Phalange“ abgedruckt Ich lasse davon aus, was sich auf das positive System Fouriers bezieht und was sonst ohne Interesse ist und verfahre überhaupt so frei damit, wie es mit den ausländischen Sozialisten durchweg geschehen muß, um ihre für bestimmte Zwecke geschrie- 10 benen Sachen einem Publikum genießbar zu machen, das diesen Zwecken fremd ist. Dies Fragment ist bei weitem nicht das genialste, was Fourier, auch nicht das beste von dem, was er über den Handel geschrieben hat — und doch hat noch kein deutscher Sozialist oder Kommunist, mit Ausnahme Weitlings, irgend etwas 15 geschrieben, was diesem Brouillon auch nur im entferntesten gleich käme. Um dem deutschen Publikum die Mühe zu ersparen, die „Pha¬ lange“ selbst zu lesen, bemerke ich, daß diese Zeitschrift eine reine Geldspekulation der Fourieristen ist und die mitgeteilten Manu- 20 skripte Fouriers sehr ungleichen Wert haben. Die Herren Fou¬ rieristen, die diese Revue herausgeben, sind deutsch gewordene, feierliche Theoretiker, die an die Stelle des Humors, mit dem ihr Meister die Welt der Bourgeoisie bloßlegte, einen heiligen, gründlichen, theoretischen Ernst der Wissenschaftlichkeit gesetzt 25 haben und dafür verdientermaßen in Frankreich verhöhnt, in Deutschland geschätzt werden. Ihre Konstruktion der imaginären Triumphe des Fourierismus im ersten Heft der „Phalange“ könnte einen Professor der absoluten Methode in Entzücken versetzen. Ich fange meine Mitteilungen mit einem Satze an, der schon 30 in der „Theorie des quatre mouvements“ abgedruckt wurde. Dies ist der Fall mit bedeutenden Abschnitten des vorliegenden Frag¬ ments, von denen ich indes nur das Nötigste geben werde. I Wir berühren jetzt die empfindlichste Stelle der Zivilisation; 35 es ist eine unangenehme Aufgabe, die Stimme gegen die Torheit des Tages, gegen die gerade epidemischen Chimären, zu erheben. Heutzutage gegen die Lächerlichkeiten des Handels sprechen, *) La Phalange. Revue de la Science sociale, XIVe année, lre Serie in 8°, Paris, aux Bureaux de la Phalange. 1845. — Publication des Manu- 40 scrits de Fourier, section ébauchée des trois unités externes, p. 1—42 des Januar- und Februarheftes.
412 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 heißt, sich ebensogut dem Anathema aussetzen, wie wenn man im zwölften Jahrhundert gegen die Tyrannei der Päpste und Barone gesprochen hätte. Wenn man zwischen zwei gefährlichen Rollen wählen müßte, so glaube ich, daß es weniger gefährlich sein würde, einen Souverän durch bittere Wahrheiten zu verletzen, als 5 den merkantilischen Geist zu beleidigen, der jetzt als Despot über die Zivilisation und selbst über die Souveräne herrscht. Und doch wird eine oberflächliche Analyse beweisen, daß unsere kommerziellen Systeme die Zivilisation erniedrigen und desorganisieren, und daß im Handel, wie in allen anderen Din-10 gen, wir unter der Leitung der ungewissen Wissenschaften mehr und mehr in die Irre geraten. Die Kontroverse über den Handel ist kaum ein halbes Jahr¬ hundert alt und hat schon Tausende von Bänden geliefert; und doch sahen ihre Urheber nicht, daß der Mechanismus des Han-15 dels so eingerichtet ist, daß er allem gesunden Verstand geradezu ins Gesicht schlägt. Er hat die ganze Gesellschaft einer Klasse von parasitischen und unproduktiven Agenten, den Kaufleuten, untergeordnet. Alle wesentlichen Klassen der Gesellschaft, der Eigentümer der Landbauer, der Manufakturier und selbst die 20 Regierung, sehen sich beherrscht durch eine außerwesentliche, akzessorische Klasse, durch den Kaufmann, der ihr Untergebener, ihr angestellter Agent, ihr absetzbarer und verantwortlicher Agent sein sollte, und der dennoch nach seinem Belieben alle Triebfedern der Zirkulation leitet und hemmt. 25 Über andere Irrtümer als die des Handels sind die öffentliche Meinung und die gelehrten Körperschaften schon traktabler; man ist so ziemlich darüber einig, daß die philosophischen Systeme gefährliche Illusionen sind, daß die Erfahrung unsere Vervoll- kommnungs-Renommagen Lügen straft, daß unsere Freiheits- 30 theorien mit der Zivilisation sich nicht vertragen, daß unsere Tu¬ genden soziale Komödien, unsere Gesetzgebungen Labyrinthe sind; man scherzt sogar über eine Modekontroverse, die Ideologie. Aber die kommerzielle Zungendrescherei mit ihren Theorien von Han¬ delsbilanz, Gegengewicht, Gleichgewicht, Garantie ist die Bundes- 35 lade geworden, vor der sich alles beugt. Dies also ist die Illusion, die wir auf lösen müssen. Vor allem wird zu zeigen sein, daß unsere Handelssysteme, die man jetzt mit stupider Verehrung angafft, die Antipoden der Wahrheit, der Gerechtigkeit, also auch der Einheit sind. 40 Es ist schwer, einem Jahrhundert klarzumachen, daß gerade *) Man vergesse nicht, daß Fourier kein Kommunist war. 26 Orig, ist statt sind
Ein Fragment Fouriers über den Handel 413 5 10 15 20 25 30 35 40 diejenige Operation, die es als das Meisterstück aller Weisheit be¬ trachtet, nichts anderes ist als das seiner ganzen Politik aufge¬ drückte Siegel der Unwissenheit. Sehen wir nur die schon bekann¬ ten Resultate an: Seemonopol, fiskalisches Monopol, Zunahme der Staatsschulden, reihenweise Bankerotte durch das Papiergeld, wachsende Spitzbübereien in allen Geschäftsbeziehungen. Schon jetzt können wir den Mechanismus des freien Handels, d. i. der freien Lüge, diese wahre industrielle Anarchie, diese monströse Macht in der Gesellschaft, der Schande preisgeben. Wie kommt es, daß die lügnerischste Klasse des sozialen Körpers am meisten von den „Aposteln der Wahrheit“ protegiert wird? Wie geht es zu, daß Gelehrte, die die Verachtung des schnöden Reichtums predigen, heutzutage nur die Klasse prei¬ sen, die per fas et nefas dem Reichtum nachjagt, die Klasse der Börsenspieler und Aufkäufer? Früher tadelten die Philosophen einstimmig gewisse Korporationen, die vermittelst eines biegsamen Gewissens den Satz verteidigten, daß Nehmen und Stehlen ein Unterschied sei. Wie sind dieselben Philosophen denn jetzt die Apologeten einer Klasse geworden, die, noch viel unsittlicher, be¬ haupten, daß Schachern nicht Lügen heißt, daß den Käufer düpieren etwas anderes ist als ihn bestehlen, daß Agiotieren und Aufkaufen keineswegs die produktive Klasse plündern heißt, kurz, daß man bloß um des Geldes, durchaus nicht um des Ruhmes willen, arbeiten soll; — denn das ist der Refrain der Kaufleute, den sie im Chorus singen: Wir machen keine Geschäfte pour la gloire! *) Muß man sich da noch wundern, daß die neueren Wis¬ senschaften auf Abwege geraten sind, wenn sie sich der Sache von Leuten annahmen, die dergleichen Prinzipien offen be¬ kennen? — Der Handel hat verschiedene Formen nach den verschiedenen sozialen Stufen; denn da er der Angelpunkt alles sozialen Lebens ist, existiert er, sobald überhaupt ein sozialer Zustand besteht. Ein Volk wird sozial, bildet eine Gesellschaft von dem Augenblick an, wo es anfängt, auszutauschen. Daher existiert der Handel schon im Zustande der Wildheit, wo er die Form des direkten Tausches hat. Unter dem Patriarchat wird er zum indirekten Verkehr; in der Barbarei bilden die Monopole, Maximums¬ und Preisbestimmungen und Zwangsrequisitionen durch die Re¬ gierung, in der Zivilisation die individuelle Konkurrenz oder der lügnerische und verwirrende Kampf die Grundlage der kommerziellen Methode. Wir haben über den direkten Tausch der Wilden, die kein Geld *) Die Redensart existiert wörtlich so auch bei den deutschen Kauf¬ leuten.
414 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 kennen, nicht erst nötig zu sprechen. Der eine hat Glück auf der Jagd gehabt und tauscht gegen ein Stück Wildpret Pfeile ein, die ein anderer gemacht hat, welcher nicht auf der Jagd war und Mundvorrat braucht. Dies Verfahren ist noch nicht einmal Han¬ del, es ist Austausch. 5 Das zweite Verfahren, der indirekte Verkehr, ist der ursprüng¬ liche Handel. Er wird durch einen Vermittler bewirkt, der Eigentümer dessen wird, was er nicht produziert hat und nicht konsumieren will. Diese Methode, so schlecht sie ist und so großen Spielraum sie auch der Willkür läßt, 10 ist dennoch in den drei folgenden Fällen höchst vorteilhaft: 1) in jungen Ländern, wo nur Ackerbau ohne Industrie besteht; dies ist der Zustand, in dem alle Kolonien im Anfänge sich be¬ finden; 2) in unwirtbaren Ländern, wie in Sibirien und den afrikani-15 sehen Wüsten; ein Kaufmann, welcher der Hitze und Kälte trotzt, um nötige Gegenstände in die Feme zu tragen, ist ein sehr nütz¬ licher Mann; 3) in unterdrückten und gefesselten Ländern, wo die Beduinen die Karawanen plündern, vom Kaufmann Lösegelder erpressen 20 und ihn oft ermorden — man ist demjenigen jeden Schutz schul¬ dig, der diesen Gefahren trotzt, um einem entlegenen Lande Vor¬ räte zuzuführen. Wenn solch ein Kaufmann reich wird, so hat er es verdient. In diesen drei Fällen sind die Kaufleute weder Börsenspieler 25 noch Aufkäufer; sie vertrödeln nicht, der eine Spekulant an den andern, die der Konsumtion bestimmten Gegenstände. Bei ihrer Ankunft bieten sie sie offen dem Konsumenten in einem Bazar oder einem öffentlichen Markte an; sie sind die Beschleuniger der industriellen Bewegung. Sie wollen verdienen — nichts ist bil- 30 liger als dies in der zivilisierten Welt; wer gesäet hat, verdient zu ernten. Aber es ist gar selten, daß sich die Kaufleute mit dieser ihrer Funktion zufriedengeben; einzeln oder verbunden in¬ trigieren sie, um die Zirkulation der Waren zu hemmen und die Preise sogleich in die Höhe zu treiben. 35 Der Handel wird verderblich von dem Augen¬ blicke an, wo die Vermittler durch übergroße An¬ zahl zu Schmarotzerpflanzen am sozialen Kör¬ per werden und einverstanden sind, die Waren auf Seite zu bringen, sie im Preise steigen zu lassen unter dem Vorwande 40 einer künstlich hervorgebrachten Seltenheit, kurz, zu gleicher Zeit den Produzenten und den Konsumenten durch Spekulationskniffe zu berauben, statt beiden zum einfachen, offnen Vermittler zu dienen. Diese Offenheit sehen wir noch auf unseren kleinen Märk¬ ten in Dörfern und Städten. Wer hundert Kälber oder Hammel 45
Ein Fragment Fouriers über den Handel 415 kauft, ist ein nützlicher Zwischenhändler für zwanzig Bauern, die sonst ganze Arbeitstage verlieren würden, um sie in der Stadt auf den Markt zu bringen. Wenn er bei seiner Ankunft auf dem Markte sein Vieh offen zum Verkaufe ausstellt, so tut er damit den Kon- 5 sumenten ebenfalls einen Dienst; wenn er aber durch Gott weiß welche Schliche mit andern „Freunden des Handels66 überein¬ kommt, drei Viertel der Hammel zu verbergen, den Schlächtern zu sagen, daß die Hammel rar sind, daß er nur einige wenige Freunde versehen kann, sie unter diesem Vorwande um die 10 Hälfte teurer zu verkaufen, die Käufer zu alarmieren, dann die verborgenen Hammel einen nach dem andern hervorzuziehen, sie unter dem vorher verbreiteten Alarm zu übertriebenen Preisen zu verkaufen und so von den Konsumenten ein hohes Lösegeld zu erpressen — so ist das nicht mehr der einfache Verkehr, die is offene, intrigenlose Warenausstellung, es ist zusammengesetzter Verkehr, dessen Kniffe, ins Unendliche wechselnd, die sechsund¬ dreißig charakteristischen Laster unseres Handelssystems er¬ zeugen und einem gesetzlichen Monopol gleichkommen. Wenn man sich durch List des gesamten Produkts bemächtigt, um es zu 20 verteuern, so heißt das, durch Intrigen mehr rauben, als es das Monopol mit bewaffneter Hand tut. Ich halte mich bei der Methode der Barbaren nicht weiter auf. Sie umfaßt die Maximumsbestimmungen, Zwangsrequisitionen und Monopole, die auch noch im zivilisierten Zustande sehr üb- 25 lieh sind. Wie ich schon anderswo gesagt habe, greifen die ver¬ schiedenen Verfahrungsweisen der einzelnen Perioden ineinander über; man darf sich also nicht wundem, daß die Zivilisation ein¬ zelne Merkmale höherer wie niedrigerer Stufen entleiht. So ist unser zivilisierter Handelsmechanismus ein Amalgam der Charak- 30 tere aller Perioden, in dem jedoch die der zivilisierten Stufe vor¬ herrschen — und diese sind noch viel verwerflicher als die der Barbarei, weil unser Handel nichts anderes ist als eine unter der Maske der Gesetzlichkeit organisierte und legitimierte Räuber¬ wirtschaft, wodurch die Zwischenschieber und Zwischenhändler 35 sich vereinigen können, um künstliche Teuerungen aller beliebigen Lebensmittel zu verursachen und so sowohl den Produzenten wie den Konsumenten auszuplündern, damit sie skandalöse Vermögen von fünfzig Millionen in der Eile aufhäufen — Vermögen, deren Besitzer sich noch beklagen, daß man den Handel nicht protegiert, 40 daß die Kaufleute nicht bestehen können, daß man nichts tut, und daß der Staat verlorengeht, wenn der Kaufmann dahin kommt, nicht mehr als fünfzig Millionen verdienen zu können! Inzwischen lehrt uns eine neue Wissenschaft, daß man diesen Leuten vollkommene Freiheit gewähren soll. Laßt die Kaufleute 45 nur machen, sagt man uns; ohne diese Freiheit würde jener Auf¬
416 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 käufer, der ohnehin nur fünfzig Millionen verdient hat, vielleicht gar nur eine einzige Million gemacht haben, seine respektable Fa¬ milie würde genötigt sein, mit fünfzigtausend Franken Renten auszukommen — Dii, talem avertite casum! 5 — Die Verachtung des Handels, eine allen Völkern angeborene Verachtung, hatte bei allen für ehren wert geltenden Nationen ge¬ herrscht, außer bei einigen Küstenstämmen von Schacherern, die aus den kaufmännischen Erpressungen und Spitzbübereien Nutzen zogen. Athen, Tyrus und Karthago, die davon profitierten, durf-10 ten nicht darüber spotten; jeder enthält sich aller Scherze über die Wege, auf denen er sich bereichert hat, und der Finanzmann wird am allerwenigsten spotten über die Kunst, wie man Nullen auf den Rechnungen zusetzt oder vom Feinde die Register weg¬ nehmen läßt und die Kasse in Sicherheit bringt, obwohl man auch 15 diese für vom Feinde genommen angibt. In der Wirklichkeit war bei den Alten wie bei den Neueren der Handel der Gegenstand des Spottes aller honorablen Klassen. Wie soll man eine durch und durch abgefeimte Profession, wie eine Klasse von Leuten schätzen, die in jedem Wort eine Lüge 20 aussprechen und mit dieser sauberen Kunst Millionen verdienen, während der ehrliche Grundbesitzer, der mit seiner besten Erfah¬ rung, mit Mühe und Anstrengung sein Grundstück bewirtschaftet, es kaum zu einer unbedeutenden Vermehrung seines geringen Er¬ trags bringt? 25 Seit einem Jahrhundert indessen hat eine neue Wissenschaft, genannt Ökonomie, die Schacherer, Agioteurs, Akkapareurs, Wucherer und Bankerottiers, Monopolisierer und kommerziellen Schmarotzergewächse auf den Gipfel der Ehren erhoben; die Re¬ gierungen, täglich mehr und mehr verschuldet, immer auf Mittel 30 bedacht, um Geld zu leihen, haben sich genötigt gesehen, ihre Verachtung zu verhüllen und diese Klasse merkantilischer Blut¬ egel zu schonen, die den Geldkasten der Zivilisation unter Ver¬ schluß hält und alle Schätze des ackerbauenden und industriellen Fleißes auspumpt unter dem Vorwande, ihm zu dienen. Es wird 35 nicht geleugnet, daß der Handel den Transport, die Verproviantie¬ rung und Distribution besorgt, aber er macht es wie ein Bedienter, der einen wirklichen Dienst zum Werte von 1000 Franken jähr¬ lich tut und dafür seinem Herrn 10000 Franken stiehlt, das Zehn¬ fache dessen, was er produziert. 40 Wie ein junger Verschwender im geheimen den Juden ver¬ achtet, zu dem er jede Woche geht, um sich schinden zu lassen, aber ihn doch stets sehr höflich grüßt, so haben die modernen Regierungen einen Waffenstillstand voll sichtbarer Verachtung mit dem Handel geschlossen, der sich übrigens um so besser 45
Ein Fragment Fouriers über den Handel 417 akkreditiert, als er sich mit denselben Manufakturiers, die er aus- pliindert, zusammenwerfen zu lassen versteht. Die Ökonomen, die in diesem kaufmännischen Mischmasch eine Pflanzschule neuer Dogmen, eine Fundgrube von Systemen gefunden, haben die Mo- 5 ral samt ihren Wahrheitsschwärmereien umgeworfen, um ihre Günstlinge, die Agioteurs und Bankerotteurs auf den Thron zu er¬ heben. Darauf haben alle Gelehrten in der Erniedrigung gewett¬ eifert; anfangs ließ die Wissenschaft jene „Freunde des Handels“ als ihresgleichen zu — Voltaire dedizierte einem englischen Kauf- 10 mann eine Tragödie. Heutzutage würden diese Agioteurs schön lachen, wenn ein Gelehrter sich herausnähme, ihnen ein Trauer¬ spiel widmen zu wollen! Die Agiotage hat die Maske fallen lassen, sie braucht den Weihrauch der Gelehrten nicht mehr; sie will die geheime — und bald die gesetzliche Teilnahme an jsder Regierung! Auch haben wir es ja gesehen, wie man am Aachener Kongreß nichts entscheiden konnte bis zwei Bankiers angekommen waren. Die ökonomischen Systeme, so sehr sie das goldene Kalb des Handels apotheosiert haben, konnten dennoch nicht die natürliche 20 Verachtung, welche die Nationen für ihn haben, zerstören. Er bleibt verachtet vom Adel, von der Geistlichkeit, vom Eigentümer, vom Beamten, Juristen, Gelehrten, verachtet vom Künstler, Sol¬ daten und jeder Klasse, die Beachtung verdient. Vergebens hat er ihnen durch Sophismen über Sophismen bewiesen, daß man die 25 Blutegel der Agiotage verehren müsse — immer herrscht eine natürliche Geringschätzung für diese Klasse von Emporkömmlin¬ gen. Jeder gibt dem Aufschwünge eines vom Glück begünstigten Dogmas nach, aber jeder fährt im geheimen fort, die merkanti- lische Hydra zu verachten, die sich darum nicht kümmert und 30 den Lauf ihrer Eroberungen verfolgt. Wie kommt es, daß unser Jahrhundert das Werk über die Ver¬ brechen so vieler Klassen veröffentlicht hat, selbst über die Ver¬ brechen der Föderierten, die nur einen Monat des Jahrs 1815 existierten, woher kommt es, daß dies Jahrhundert, welches in 35 seinen Sammlungen von Verbrechen weder Könige noch Päpste geschont hat, nie darauf gefallen ist, die Verbrechen der Kauf¬ leute zu publizieren? Und doch beklagen sich die Schriftsteller einstimmig, daß es ihnen an Stoff fehlt. Um ihnen die Fruchtbar¬ keit dieses Stoffes zu zeigen, will ich mir ein einziges der (sechs- 40 unddreißig) Verbrechen des zivilisierten Handels methodisch ana¬ lysieren. Diese sechsunddreißig verwerflichen Charaktere unseres Handels unter der Herrschaft der individuellen Konkurrenz und des verwirrenden und lügnerischen Kampfes sind folgende: Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 27
418 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 Synoptische Tabelle der Charaktere des zivilisierten Handels Angelpunkte: Das Zwischeneigentum und die Landwirtschafts¬ zerstückelung. 1) Die Doppelseitigkeit des Handelns. 5 2) Die willkürliche Wertbestimmung. 3) Die Freiheit der Betrügerei. 4) Die Insolidarität, der Mangel gegenseitiger Verbindlichkeit. 5) Die Entwendung, Beseitigung der Kapitalien. 6) Die Abnahme des Arbeitslohns. 10 7) Die künstliche Verstopfung der Zufuhr¬ quellen. 8) Der erdrückende Überfluß. 9) Die verkehrten Eingriffe. 10) Die zerstörende Politik. 15 11) Die Erstarrung oder allgemeine Kredit- losigkeit (Rückstoß, Reperkussion). 12) Das fiktive Geld. 13) Die Finanzverwirrung. 14) Das epidemische Verbrechen. 20 15) Der Obskurantismus. 16) Das Schmarotzertum. 17) Der Aufkauf (Akkaparement). 18) Die Agiotage. 19) Der Wucher. 25 20) Die fruchtlose Arbeit. 21) Die industriellen Lotterien (Hasardspekulationen). 22) Das indirekte Korporativ-Monopol. 23) Das Fiskal-Monopol, die durch Verfälschung erzwungene Regie. 30 24) Das exotische oder Kolonialmonopol. 25) Das Seemonopol. 26) Das feudale, kastenmäßige Monopol. 27) Die grundlose Provokation. 28) Der Verlust. 35 29) Die Verfälschung. 30) Die Zerstörung der Gesundheit. 31) Der Bankerott. 32) Der Schmuggel. 33) Die Seeräuberei. 40 34) Die Maximumsbestimmungen und Requisitionen. 35) Die spekulative Sklaverei. 36) Der allgemeine Egoismus.
Ein Fragment Fouriers über den Handel 419 Wir wollen von diesen sechsunddreißig Charakteren nur einen einzigen, den Bankerott, ausführlich betrachten; über einige an¬ dere werde ich vorher noch einige Worte sagen. II Falschheit der ökonomischen Prinzipien über die Zirkulation (Nachgewiesen an den 3 Charakteren der Tabelle Nr. 7, 8, 12: künstliche Verstopfung der Zufuhrquellen, erdrückender Überfluß, fiktives Geld.) Unser Jahrhundert, das so fruchtbar an Theorien über die Be- 10 wegung der Industrie ist, weiß noch immer nicht die Zirkulation von der Verstopfung zu unterscheiden. Sie verwirrt die stellen¬ weise unterbrochene mit der ununterbrochenen, die einfache mit der zusammengesetzten Zirkulation. Lassen wir indes diese trockenen Distinktionen; die Tatsachen mögen sprechen und uns zur Grundlage von Prinzipien dienen, die denen der Ökonomie schnurstracks zuwiderlaufen. Die Regierungen wie die Völker sind darin einverstanden, daß man die Falschmünzer, sowohl in Geld wie in öffentlichen Effek¬ ten, mit dem Tode bestrafen muß. Man verurteilt auch die Nach- 20 macher von Banknoten und Geldstücken zum Tode. Sehr weise Vorsichtsmaßregel. Aber warum genießt der Handel dieses Recht der Falschmünzerei, dessen Aus¬ übung andere Leute an den Galgen bringt? Jeder von einem Kaufmann ausgestellte Wechsel trägt den 25 Keim einer Falschmünzerei in sich, denn es ist sehr ungewiß, ob er je bezahlt wird. Jeder, der auf einen Bankerott lossteuert, über¬ schwemmt die Zirkulation mit seinen Wechseln, ohne je deren Bezahlung zu beabsichtigen. Er hat hierdurch tatsächlich falsches Geld fabriziert und verbreitet. 30 Wird man einwenden, daß jeder andere dasselbe Privilegium genießt, daß ein Eigentümer, wie ein Kaufmann, Wechsel in Um¬ lauf setzen kann? Das ist nicht wahr. Ein Eigentümer kann das nicht. Ein Recht ist illusorisch, wenn man es nicht ausüben kann. Zeuge das kon- 35 stitutionelle Recht des Volkes auf die Souveränität, eine pomphafte Prärogative, trotz deren der Plebejer nicht einmal zu Mittag essen kann, wenn er keinen Sou in der Tasche hat. Und doch ist es gar weit von der Prätention der Souveränität bis zum Anspruch auf ein Mittagessen. Viele Rechte existieren so auf dem Papier, aber 40 nicht in der Wirklichkeit, und ihre Bewilligung insultiert den, der 27*
420 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 sich nicht einmal Rechte von hundertfach geringerer Bedeutung verschaffen kann. So geht es dem Eigentümer mit der Emittierung von Wechseln. Er hat das Recht, sie zu emittieren, wie der Plebejer das Recht, die Souveränität zu reklamieren; aber das Recht besitzen und es aus¬ üben, sind zwei sehr verschiedene Dinge. Wenn der Eigentümer Wechsel ausstellt, so findet er niemanden, der sie ohne Garantie übernimmt und wird behandelt wie jemand, der falsches Geld ausgeben will. Man würde Hypothek auf ein ganz schuldenfreies Immobilar und außerdem noch Wucherzinsen verlangen. Zu die¬ sem Preise würde man seine Wechsel unterbringen, die, so ge¬ deckt, Geld von wirklichem Werte, nicht fiktives Geld sein wür¬ den wie die eines Trödlers, der, kraft seines Titels als „Freund des Handels“, Mittel findet, „gute“ Wechsel für eine Million in Umlauf zu setzen, wenn er nicht den hundertsten Teil, nicht 10 000 Franken als Garantie für diese Million besitzt. Wie schön lassen sich die Regierungen düpieren, die sich von dieser Fähigkeit ausschließen lassen und sie dem Kaufmann ga¬ rantieren! Ein Kaufmann, der zehntausend Franken Garantie be¬ sitzt, emittiert Wechsel zum Belaufe von einer Million, wenn es ihm beliebt, er wird protegiert und autorisiert dazu, er hat das Recht, diese Masse Papiere in Umlauf zu setzen, ohne daß das Gesetz untersuchen darf, wie er sein Kapital unterbringt, welche Garantien er besitzt. Der Fiskus, der meinetwegen zehn Millionen Garantie bietet, müßte in diesem Verhältnis eine Milliarde Effek¬ ten emittieren können. Aber wenn eine Regierung das versucht, ohne die öffentliche Meinung zu Rate zu ziehen, ohne ihr die Motion mitzuteilen, so wird sie ihren Kredit ruiniert, ihr Land politischen Unruhen ausgesetzt sehen; und doch hat sie nur das¬ selbe getan, nur dasselbe Vorrecht benutzt, das sich so viele Intri¬ ganten zunutze machen, die oft nicht den hundertsten Teil dieser Garantien darbieten und ihren Geschäften nicht gewachsen sind. Man wird antworten, daß diese Intriganten die Dummen zu beschwatzen, sich in ihr Vertrauen einzuschleichen wissen; man stellt es also als kommerzielles Prinzip auf, daß die Kunst, die Gutmütigen, die Leute von Vertrauen, zu übertölpeln und auszu¬ plündern, allen Schutz verdient, und daß dieser Schutz sich auf den Kaufmann beschränken muß, ohne der Regierung zugute zu kommen. Ich behaupte nicht, daß man diese schöne Kirnst beiden gestatten, sondern im Gegenteil, daß man sie Kaufleuten wie Re¬ gierenden untersagen muß. Hieraus folgt, daß der Kaufmann sich der Fähigkeit erfreut, fiktives Geld in Wechseln (zwölfter Charakter) zu emittieren — ein Verbrechen, das der Falschmünzerei gleich¬ kommt, wofür man die anderen Klassen von Spitzbuben zum Gal- 5 10 15 20 25 30 35 40 45
Ein Fragment Fouriers über den Handel 421 gen schickt — und daß das Handelssystem der Zivilisierten den Wetteifer der Betrügerei (dritter Charakter) legalisiert und beschützt. Auf die Anklage der Falschmünzerei wie auf die anderen An¬ klagepunkte wird man antworten: daß es Kaufleute geben muß, um die Zirkulation zu bewerkstelligen, und daß die Geschäfte un¬ möglich werden, wenn man diese Agenten fesselt; daß dann der Staat den öffentlichen Kredit zerstören und seine gesamte Indu¬. strie aufs Spiel setzen wird. Es ist wahr genug, daß der Handel die Eigenschaft hat, unsere Fesseln enger zu schmieden, wenn der soziale Körper Miene zum Widerstande macht. Sowie eine administrative Maßregel die Machinationen des Han¬ dels geniert, so beschränkt er den Kredit, lähmt die Zirkulation, und der Staat, der ein altes Gebrechen beseitigen wollte, hat am Ende noch neue dazu gemacht. Diese Wirkung ist in der Tabelle mit dem Namen Reperkussion (elfter Charakter) bezeichnet. Auf diese Gefahr stützt man sich, um das Prinzip aufzustellen: Laßt die Kaufleute nur machen, ihre vollständige Freiheit ist die Garantie der Zirkulation. Ein höchst falsches Prinzip, weil grade diese vollständige Freiheit alle die der Zirkulation so hinderlichen Kniffe erzeugt, Agiotage, Akkaparement, Bankerott usw., woraus die beiden Charaktere folgen: 7) Künstliche Verstopfung der Zufuhrquellen, 8) Erdrückender Überfluß. Sehen wir, welchen Einfluß diese beiden Charaktere auf die Zirkulation haben. Der Handel begnügt sich nicht damit, die Waren aus den Hän¬ den des Produzenten in die des Konsumenten zu liefern, er intri¬ giert vermittelst des Aufkaufens und der agiotierenden Speku¬ lation, um eine künstliche Teurung derjenigen Lebensmittel, welche nicht gerade häufig sind, hervorzubringen. 1807 steigerte ein Manöver der Agiotage den Preis des Zuckers im Monat Mai plötzlich auf fünf Franken, und derselbe Zucker fiel im Juli auf zwei Franken, obgleich nicht die geringste neue Zufuhr einge¬ troffen war. Aber man hatte der Agiotage durch eine falsche Nach¬ richt entgegengewirkt und so den Zucker auf seinen wirklichen Wert reduziert, man hatte die Intrigen und die künstlichen Schrecken vor einem Ausbleiben der Zufuhren beseitigt. Diese Intrigen und künstlichen Schrecken treiben jeden Tag mit irgend einem Lebensmittel ihr Spiel und machen es selten, ohne daß wirklicher Mangel existiert. 1812, als die Ernte gesichert und die Aufkäufer in ihren Hoffnungen getäuscht waren, sah man auf ein¬ mal enorme Quantitäten Korn und Mehl aus ihren Magazinen kommen. Es hatte also gar kein Mangel existiert und es war 5 10 15 20 25 30 35 40 45
422 Aus dem Deutschen Bürgtrbuch für 1846 durchaus keine Gefahr einer Hungersnot dagewesen, wenn nur diese Lebensmittel vernünftig verteilt worden wären. Aber der Handel hat die Eigenschaft, schon vor der Gefahr, im Hinblick auf ihre Möglichkeit, die Zufuhren abzuleiten, die Zirkulation aufzuhalten, panische Schrecken und eine künstliche Hungersnot 5 zu erzeugen. Dieselbe Wirkung findet statt im Falle des Überflusses, wo der Handel die Zufuhren verstopft aus gemachter Furcht vor dem Überfluß. Im ersten Falle operiert er positiv durch Aufkäufe und Vorwegnahme der Lebensmittel; im zweiten Falle operiert er ne-10 gativ, indem er nicht kauft und die Preise so niedrig werden läßt, daß der Bauer nicht einmal seine Produktionskosten heraus¬ bekommt. Hieraus entsteht der achte Charakter, erdrückender Überfluß. Der Handel antwortet, daß er nicht zu kaufen braucht, wenn er 15 keinen Gewinn voraussieht, und daß er nicht so verrückt sein wird, sich mit Korn zu überladen, wenn es durchaus keine Wahrschein¬ lichkeit eines Preisaufschlags bietet, während er seine Kapitalien viel nützlicher in solchen Waren anlegen kann, deren leicht durch Aufkauf zu vermehrende Seltenheit ihm einen Profit verspricht. 20 Das sind mir bequeme und angenehme Prinzipien in einem so¬ zialen System, wo man von nichts als gegenseitigen Garantien räsoniert. Der Handel ist also, so oft es ihm beliebt, davon dis¬ pensiert, dem sozialen Körper zu dienen. Er macht es wie eine Armee, die man autorisieren würde, das Fechten zu verweigern, 25 wenn Gefahr vorhanden ist und nur für ihr eigenes Interesse, ohne Rücksicht auf das des Staates, zu dienen. Das ist unsere merkan- tilische Politik, so einseitig stellt sie alle Verpflichtungen fest. 1820 fiel der Preis des Korns in verschiedenen Provinzen, in denen ein Preis von 4 Franken nur die Kosten deckt, unter drei 30 Franken herab. Dies würde nicht stattgefunden haben, wenn der französische Handel, wie er es unter einem Systeme der Gegen¬ seitigkeit, das dem Interesse beider Parteien sich anpaßt, hätte tun müssen, eine antizipierte sechsmonatliche Verproviantierung für 30 Mill. Menschen gekauft hätte. Diese Reservemasse, der 35 Zirkulation entzogen und in Speichern verschlossen, würde den Preis» des Restes aufrecht erhalten haben, und der Bauer wäre nicht von der Entwertung und Unverkäuflichkeit seiner Produkte er¬ drückt worden. Aber unser Handelssystem wirkt geradezu ent¬ gegengesetzt; es erschwert den Druck des Überflusses und die 40 Übel der Hungersnot und wirkt so zerstörend nach beiden Sei¬ ten hin. Ich habe den achten Charakter, den erdrückenden Überfluß, gewählt, um zu zeigen, daß der bestehende Handelsmodus nega¬ tive wie positive Laster an sich hat, und daß er oft durch Nicht- 45
Ein Fragment Fouriers über den Handel 423 intervention, durch Unterlassung eines ihm leicht möglichen Dien¬ stes sündigt. Denn wenn in einer Hungersnot 500 Millionen nötig sind, um das Getreide aufzukaufen, so sind sie gleich bei der Hand; will man aber diese Summe für Vorsichtsmaßregeln, die 5 die Magazine zur Zeit des Überflusses heben, so finden sich nicht fünfhundert Taler zusammen. Es existiert weder Gegenseitigkeit noch Garantie in dem zwischen dem sozialen Körper und dem kommerziellen Körper abgeschlossenen Vertrage. Der kommer¬ zielle Körper dient nur seinem eigenem Interesse und nicht dem io der Gesellschaft, und daher kommt es, daß die zahlreichen Kapi¬ talien, die er anwendet, ein an der allgemeinen Indu¬ strie begangener Diebstahl sind. Diesen Diebstahl habe ich unter dem fünften Charakter: Beseitigung der Kapita¬ lien, in der Tabelle auf geführt. in So existiert auf beiden Seiten des Handels nicht die geringste Verpflichtung gegen den sozialen Körper, der sich mit gebun¬ denen Händen und Füßen dem Minotaurus überliefert und ihm despotische Macht über Kapitale und Lebensmittel garantiert. Ja¬ wohl despotische Macht — nach so vielen Deklamationen gegen 20 den Despotismus hat man noch immer nicht den wirklichen entdeckt, der kein anderer ist, als der Despotismus des Handels, dieses wahren Satrapen der zivilisierten Welt! Wollen wir also zusammenfassen, so folgt hieraus, daß der zivilisierte Mechanismus den Kaufleuten vollständige Straflosig- 25 keit für das bei andern Klassen mit dem Tode bestrafte Verbre¬ chen der Falschmünzerei sichert — und daß diese Straflosigkeit sich auf den Vorwand einer Hilfe stützt, die sie scheinbar der Zirkulation leisten, in Wirklichkeit ihr aber positiv, durch künst¬ liche Verstopfung der Zufuhrquellen, negativ durch erdrücken- 30 den Überfluß verweigern. Zu dieser Falschheit der Resultate kommt noch die Abwesen¬ heit aller Prinzipien. Die Ökonomen gestehen, daß ihre Wissen¬ schaft durchaus keine fixen Prinzipien hat; und es ist wirklich der Gipfel der Prinziplosigkeit, einer Klasse von so sehr depravierten 35 Agenten, wie die Kaufleute sind, vollständige Freiheit zu be¬ willigen. Die Folge von dem allem ist, daß die kommerzielle Bewegung ruckweise, in Krampfanfällen, Überraschungen und Exzessen aller Art vor sich geht, wie man sie im jetzigen Handelsmecha- 40 nismus täglich sehen kann, der es nur zu einer zeitweise unter¬ brochenen Zirkulation, ohne regelmäßige Abstufung, ohne Gleich¬ gewicht und Garantien bringt. Ein ergötzliches Resultat dieser Unordnung ist, daß das Volk der Regierung Finanzmißbräuche vorzuwerfen den Mut hat, die 45 es dem Handel nie vorzuwerfen wagt. Zeuge die beiden Banke¬
424 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 rotte der Law’schen Banknoten und der Assignaten. Es waren gra¬ duierte Bankerotte, man sah sie aus weiter Ferne heranziehen; man konnte sich mit einem teilweisen Opfer in Zeiten sicherstel¬ len. Trotz dieser mildernden Umstände hat das Publikum kein Quartier gegeben. Es erklärte mit Recht die Law’schen Billetts und 5 die Assignaten für Falschmünzerei, für Plünderung mit bewaff¬ neter Hand. Warum duldet dasselbe Publikum denn gutmütigerweise bei den Kaufleuten diese Ausgabe falschen Geldes, die es den Regie¬ rungen nicht gestattet, selbst dann nicht, wenn diese vorsichtig ge- 10 nug sind, den Bankerott durch eine langsame Depreziation, welche den Inhabern von Papieren die Möglichkeit des Ausweichens bie¬ tet, vorzubereiten? Diese Möglichkeit existiert nicht für die In¬ haber von Handelspapier. Der Bankerott trifft sie wie ein Don¬ nerschlag. Dieser und jener schläft heute mit 300000 Franken 15 ein und erwacht morgen mit nicht mehr als 100 000 infolge einer Fallite. Der Nationalkonvent hat dieses Manöver in der Opera¬ tion des konsolidierten Drittels nachgeahmt; man ist nicht müde geworden, ihm dies als einen vollständig konstatierten Diebstahl vorzuwerfen. Und doch gewährt man jedem Kaufmann das Recht, 20 noch vexatorischere Plünderungen zu begehen und in einer Fallite zwei Drittel von dem zu stehlen, was er empfangen hat, während der Konvent zwei Drittel von Summen unterschlug, die er nie emp¬ fangen hatte. Wie empörend werden die Verbrechen des Handels, wenn man sie mit den übrigen, selbst den größten, politischen 25 Schändlichkeiten vergleicht! Die folgenden Details werden konstatieren, daß die moderne Politik dadurch, daß sie den Handel an ganz freie, jeder Pflicht ledige Kaufleute übertrug, den Wolf in den Schaf stall gesetzt und Räubereien aller Art provoziert hat. 30 Gehen wir jetzt auf den Bankerott über, um diesen etwas aus¬ führlicher darzustellen. III Hierarchie des Bankerotts Wenn ein Verbrechen sehr häufig wird, so gewöhnt man sich 35 daran und wird ein gleichgültiger Zeuge desselben. In Italien oder Spanien sieht man höchst kaltblütig einen Meuchelmörder das ihm bezeichnete Opfer erdolchen und in eine Kirche fliehen, wo er sich der Straflosigkeit erfreut. In Italien sieht man Väter ihre Kinder verstümmeln und ermorden, um ihre Stimme zu vervoll- 40 kommnen, und die Diener des „Friedensgottes“ muntern zu die¬ sen Grausamkeiten auf, um gute Kapellensänger zu erhalten.
Ein Fragment Fouriers über den Handel 425 Solche Schändlichkeiten würden die Indignation jeder anderen zivilisierten Nation erregen, wenn sie bei ihr begangen würden — dafür hat diese wieder andere empörende Gewohnheiten, die das Blut des Italieners sieden machen würden. 5 Wenn die Gewohnheiten und Meinungen innerhalb der Zivili¬ sation von Nation zu Nation schon so sehr verschieden sind, wie verschieden müssen sie erst von einer sozialen Epoche zur an¬ dern sein, wie gehässig werden die in der Zivilisation geduldeten Laster in weniger unvollkommnen sozialen Stufen erscheinen! 10 Man wird kaum glauben können, daß Länder, die sich wohlgeord¬ net nennen, einen Augenblick solche Abscheulichkeiten dulden konnten wie den Bankerott. Der Bankerott ist die ingeniöseste und unverschämteste Spitz¬ büberei, die je existiert hat; er garantiert jedem Kaufmann die is Fähigkeit, das Publikum um eine seinem Vermögen oder Kredit angemessene Summe zu bestehlen, so daß ein reicher Mann sagen kann: Ich etabliere mich 1808 als Handelsmann; ich will an dem und dem Tage des Jahres 1810 so und so viele Millionen denen, welchen sie gehören mögen, stehlen. 20 Lassen wir einen augenblicklichen Zwischenfall, den neuen französischen Kodex und sein Vorhaben, den Bankerott zu bestra¬ fen, beiseite. Da man über den Erfolg dieser Absicht nicht einer Meinung ist, und man schon Mittel angibt, die neuen Gesetze zu umgehen, so wollen wir die Praxis hier erst entscheiden lassen 23 und einstweilen die bisher bekannten Tatsachen zur Basis unseres Räsonnements machen; die Unordnungen betrachten, welche die Folge des philosophischen Systems und des Prinzips sind: Laßt den Kaufleuten volle Freiheit, ohne irgendwelche Garantie für die Klugheit, die Rechtlichkeit und die Zahlungsfähigkeit jedes 30 einzelnen zu verlangen. Daraus entsteht, neben andern Mißbräuchen, der Bankerott, ein noch viel gehässigerer Raub als der Straßenraub. Dennoch hat man sich daran gewöhnt und erträgt ihn so sehr, daß man sogar noch ehrliche Bankerotte anerkennt — solche, bei denen 35 der Spekulant nur die Hälfte stiehlt. Gehen wir über zum detaillierten Gemälde dieses bei den Alten wenig bekannten Heldentums. Es hat seitdem einen brillanten Aufschwung genommen. Es bietet den Analytikern eine Reihe von Entwicklungen dar, die zugunsten unserer Fortschritte zur Ver- 40 vollkommnungsfähigkeit hin ihr Zeugnis ablegen werden. Hierarchie des Bankerotts — 31ster Charakter — Verbrechen des Handels — Freie Serie in drei Ordnungen, neun Gattungen, sechsunddreißig Spezies
426 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 Rechter oder aufsteigender Flügel. Leichte Nuancen. I. Die Unschuldigen. 1) Der Kinder-Bankerott. 2) Der Halsbrecher-Bankerott. 3) Der verstohlene Bankerott. 4) Der nachgeborne Bankerott. II. Die Ehrenwerten. 5) Der Gänse-Bankerott. 6) Der schwärmerische Bankerott. 7) Der prinziplose Bankerott. III. Die Verführerischen. 8) Der Liebenswürdigkeitsbankerott. 9) Der Bankerott im guten Ton. 10) Der galante Bankerott. 11) Der Bankerott aus Gunst. 12) Der sentimentale Bankerott. Zentrum der Serie. Grandiose Nuancen. IV. Die Taktiker. 13) Der fette Bankerott. 14) Der kosmopolitische Bankerott. 15) Der hoffnungsvolle Bankerott. 16) Der transzendente Bankerott. 17) Der stufenweise Bankerott. V. Die Manövrierer. 18) Der Bankerott im Lauffeuer. 19) Der Bankerott in geschlossener Kolonne. 20) Der Bankerott im Reihenmarsch. 21) Der Bankerott mit Tirailleuren. VI. Die Agitatoren. 22) Der Bankerott im großen Genre. 23) Der weitschichtige Bankerott. 24) Der Attila-Bankerott. Linker oder absteigender Flügel. Schmutzige Nuancen. VII. Die tückischen Schleicher. 25) Der Entschädigungsbankerott. 26) Der Bankerott außer dem Gliede. 27) Der Bankerott crescendo. 28) Der gottselige Bankerott. VIII. Die Bönhasen. 29) Der Illusionsbankerott. 30) Der Invalidenbankerott. 31) Der Erdrückungsbankerott. 32) Der Schweinebankerott. 10 15 20 25 30 35 40
Ein Fragment Fouriers über den Handel 427 IX. Die falschen Brüder. 33) Der Spitzbuben-Bankerott. 34) Der Galgenvogel-Bankerott. 35) Der Fugen-Bankerott. 36) Der Bankerott zum Lachen. IV Aufsteigender Flügel der Bankerottiers In einem sehr depravierten, sehr habgierigen Jahrhundert würde man sich dem allgemeinen Gelächter aussetzen, wenn man mit dem Ton eines Schulmeisters gegen die akkreditierten Laster, gegen den Bankerott reklamieren wollte. Man tut viel gescheiter, in den herrschenden Ton einzustimmen und die sozialen Verbre¬ chen von der ergötzlichen Seite zu betrachten. Ich werde also be¬ weisen, daß der Bankerott eine noch viel lächerlichere Spitz¬ büberei ist, als es seine Beförderer und Beschützer glauben, die in seinen merkantilischen Plünderungen nichts als artige Kleinig¬ keiten sehen. Alles ist relativ, im Laster wie in der Tugend. Die Räuber selbst haben ihre Bestimmungen über Gerechtigkeit und Ehre. Man darf sich also nicht wundern, daß die Bankerottiers unter sich Prinzipien und Abstufungen der Lumperei zugeben. Diese habe ich meiner Verteilung zugrunde zu legen gesucht. Ich habe sie nach gewohnter Regel in drei Korps geteilt, von denen das erste die leichten, graziösen Nuancen, das zweite die imposanten, er¬ habenen Charaktere, das dritte die wenig hervorspringenden, tri¬ vialen Gattungen enthält. Der rechte Flügel wird den Aufmarsch eröffnen. Die Unschuldigen 1) Der Kinderbankerott ist der eines Gelbschnabels, der sein Debüt in der Karriere macht und unbesonnen, ohne vor¬ bereitende Taktik den tollen Streich begeht, zu fallieren. Der Notar bringt die Sache leicht in Ordnung. Er stellt sie als eine jugendliche Torheit dar und sagt: Die Jugend rechnet auf Ihre Nachsicht, meine Herren Gläubiger. Die ärgerliche Geschichte löst sich in öffentliche Heiterkeit auf, da diese Gelbschnabelfalli¬ ten immer mit ergötzlichen Zwischenfällen gemischte sind: dü¬ pierte Wucherer, mystifizierte Geizhälse etc. Der Fallit dieser Gattung darf Massen von Lumpereien wagen, Unterschlagung von Waren, skandalöse Anleihen, Diebstähle an Verwandten, Freunden, Nachbarn, alles wird durch das Argument 10 15 20 25 30 35 40
428 Aus dem Deutschen Bürger buch für 1846 eines Gevatters abgewaschen, der den erbosten Kreditoren sagt: Was wollen Sie, er ist ein Kind, der das Geschäft nicht kennt, man muß bei jungen Leuten durch die Finger sehen, mit der Zeit wird er sich schon machen. Diese Kinderbankerottiers haben eine große Stütze auf ihrer Seite — den Spott. Man ist großer Spötter im Handel; man ist viel eher geneigt, die Düpierten auszulachen, als die Spitzbuben zu kritisieren, und wenn ein Fallit die Lacher auf seiner Seite hat, so ist er sicher, die Majorität seiner Gläubiger gleich kapitu¬ lieren zu sehen und seinen Akkord im Sturm zu erhalten. 2) Der Halsbrecherbankerott; derjenige gewisser Anfänger, die auf doppelt oder quitt spielen, Leute, die mit ver¬ hängtem Zügel losgehen, ins Tolle hinein spekulieren und wirt¬ schaften, enormes Geld verjubeln und den großen Herrn spielen, um im Sturm einen provisorischen Kredit zu erhalten, den sie sich durch einige geheime Opfer zu sichern wissen. Wenn diese Hals¬ brecher einmal im Zuge sind, so häufen sie Böcke auf Böcke und beschließen gewöhnlich mit einer Fuge. Die Geschichte wird als eine Sudelei entschuldigt und leicht arrangiert, da sie dem Spotte Stoff gibt, wie die vorige. Diese Halsbrecher sind in Frankreich sehr gewöhnlich und wer¬ den hier mit dem Namen Spekulanten dekoriert. Ein sehr siche¬ res Spiel haben sie, wenn sie die Enthüllung so beschleunigen, daß sie in demselben Augenblicke ihren Purzelbaum schlagen, wo man sie kaum im Zuge glaubt, wo jeder ihnen Kredit für ein erstes Geschäft gibt und denkt: im ersten Jahre wird er doch nicht gleich umkippen. 3) Der verstohleneBankerott, der unter der Hand, ist ein solcher, bei dem der in Verlegenheit befindliche Schuldner „ein kleines Arrangement“ vorschlägt, einen Nachlaß von 25% oder Deckung in Waren, welche 25% zu hoch angesetzt werden. Der Mittelsmann bemerkt den Gläubigern, daß dies für sie sehr vorteilhaft ist, denn wenn man den Quidam pressiert und ihn zwingt, zu fallieren, so werden mindestens 50% springen. Man steift sich im Handel sehr auf diese Art relativer Berech¬ nungen. Man begegnet einer Menge Spitzbuben, die, nachdem sie Euch um 30% bestohlen haben, Euch noch beweisen, daß Ihr enorm verdient, weil sie Euch nicht 50% abzapfen. Andere be¬ haupten, schwere Verluste ertragen zu müssen, weil sie an Euch nicht mehr als 40% verdienen und eigentlich 60% hätten verdie¬ nen müssen. Diese Manier zu rechnen, die lächerlich scheint, ist im Handel überall anerkannt; sie erlebt ihren vollen Triumph im Bankerott unter der Hand. Man beweist, daß dieser kleine Rabatt von 25% klarer Nettogewinn ist im Vergleich mit den 50%, die der Bankerott kosten würde. Erschüttert von der Gewalt dieser 5 10 15 20 25 30 35 40 45
Ein Fragment Fouriers über den Handel 429 Beweisführung, abonnieren sich die Kreditoren auf das „kleine Arrangementchen“. Wer 4000 Fr. zu erhalten hatte, bekommt 3000, und das heißt beileibe nicht fallieren. 4) Der nachgeborne Bankerott, der nach dem Tode 5 des Helden ausgesprochen wird; er wird ein Verteidigungstitel für den Verstorbenen, der seine Geschäfte wieder in Ordnung zu brin¬ gen hoffte und der ihnen auch ganz gewiß Ehre gemacht haben würde, wäre er nur am Leben geblieben. Darauf werden denn seine vortrefflichen Eigenschaften gerühmt, seine armen Waisen io herzlich bejammert. Die Gläubiger werden ja doch eine tränen¬ volle Witwe nicht beunruhigen wollen! Vollends wenn sie hübsch ist, würde das eine Barbarei sein! In der Zwischenzeit hat die Witwe mit Hilfe einiger Vertrauten vor der Versiegelung hübsche Unterschleife zustande gebracht. Die Lücken werden dem Ver- 15 storbenen schuld gegeben, der nicht mehr Zeit hatte, die Geschäfte zu ordnen, und der nicht wiederkommt, um dieses Histörchen Lügen zu strafen. Wenn 25% Defizit da waren, so verstand man, es auf 50 % zu bringen; es kostet doch nicht mehr, wenn man ein¬ mal Hand ans Werk gelegt hat; zudem, welche Torheit wäre es, 20 eine Fallite mit 25% zu machen, solange diejenigen mit 50% noch für honett gelten — besonders, wenn es die Schuld eines sehr ehrenwerten Verstorbenen ist, dessen Gedächtnis zu kompromit¬ tieren ja abscheulich wäre! Die Ehrenwerten 25 Die vier angegebenen Spezies sind die der fiktiven Unschuld. Wir lassen jetzt die der wirklichen Unschuld Revue passieren. Es wäre ungerecht, die Falliten in Masse zu brandmarken, weil neun Zehntel von ihnen Schufte sind. Ich werde drei wirklich entschuld¬ bare Klassen anführen. Wir werden nur zu viele Schuldige an- 30 zuklagen haben; suchen wir gleich von vornherein also einige ehr¬ liche Leute unter dieser Brüderschaft, die seit der Revolution so zahlreich geworden ist, daß man in gewissen Städten gar nicht mehr fragt, wer falliert, sondern wer nicht falliert hat. 5) Der Gänsebankerott ist der eines Unglücklichen, der 35 keinen Obolus entwendet, alles den Gläubigem überliefert und sich ohne allen Betrug ihnen auf Gnade und Ungnade ergibt. Die übrigen Bankerottiers mokieren sich über ihn und erklären ihn für einen Tropf, der wenigstens sein Schäfchen ins Trockne hätte bringen sollen; und in der Tat ist ein so loyaler Mann unseres 40 Jahrhunderts der Vervollkommnungsfähigkeit unwürdig. 6) Der schwärmerische Bankerott ist das Werk des¬ sen, der verzweifelt, sich für entehrt hält und zuweilen sich er¬ schießt oder ins Wasser springt. Das heißt doch verdammt wenig
430 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 auf der Höhe der Verhältnisse stehen — ein ehrlicher Mann sein im neunzehnten Jahrhundert, und was noch schlimmer ist, im Handel! Immerhin freut es mich, sagen zu müssen, daß man solchen Leuten noch im Handel begegnet — aber gar dünn gesäet, rari 5 nantes in gurgite vasto. Jeder sagt ihnen ihr Los vorher, so be¬ kannt ist es, daß aus neun Spitzbuben, die sich auf den Handel werfen, neun ihr Glück machen, während aus zehn ehrlichen Leu¬ ten neun sich ruinieren. 7) Der prinziplose Bankerott ist der eines Pinsels, der w die Justiz sich einmischen und Urteile fällen läßt, die ihn brand¬ marken und nackt ausziehen, statt es zu machen wie so viele ge¬ schickte Leute, die sich mit Ehre und Profit aus dieser Verlegen¬ heit zu ziehen wissen. — Diese drei ehrlichen Ritter sind der er¬ habenen Bruderschaft so wenig würdig, daß ich eilig über sie hin- 15 weggleite. Kommen wir zu einem Sortiment, das den Beifall der Kenner besser zu verdienen weiß. Die Verführerischen Warum sollte man sich nicht durch die Bankerottiers verfüh¬ ren lassen, wie durch so viele andere lasterhafte Klassen? Wir 20 werden jetzt eine Koterie inspizieren, die aller Reize voll und zur Eroberung aller Herzen gemacht ist. 8) Der Liebenswürdigkeitsbankerott, der ökono¬ mische Bankerott ist der eines honigsüßen Männleins, das nur das Wohl seiner Gläubiger wünscht und in Verzweiflung sein 25 würde, wenn es sie in Unkosten setzen müßte, und sie drängt, zu 50% zu unterhandeln, um die Einmischung der Justiz, die alles auffressen würde, zu vermeiden. Er läßt den Gläubigern vorstel¬ len, daß er sie als Freunde behandeln will, deren Interessen ihm teuer sind. Durchdrungen von Dankbarkeit für ihre ihm erwie- 30 senen Freundschaftsdienste, zittert er davor, ihnen Gerichtskosten verursachen zu müssen. Mit diesen glatten Worten und anderen Schlichen werden dann einige verführt und andere geben aus Furcht vor der alles verschlingenden Justiz nach. 9) Der Bankerott im guten Ton ist derjenige von Leu- 35 ten, die in der feinen Welt sehr beliebt sind und bis zum letzten Augenblick ihr Haus auf einem vortrefflichen Fuß erhalten. Da sie durchaus Leute comme il faut sind, haben sie eine Menge Pro¬ tektionen, und wenn sie nicht über 60% stehen, so erhalten sie leicht einen Akkord; besonders, wenn die Dame und die Töchter 40 des Hauses zum Bitten zu gebrauchen sind und die Entscheidung des Sanchez sich zunutze machen, der ihnen erlaubt, ein sehr
Ein Fragment Fouriers über den Handel 431 durchsichtiges Halstuch zu tragen, wenn sie in wichtigen Anliegen sollizitieren gehen. 10) Der galante Bankerott ist der der hübschen Frauen; es ist nicht anständig, sich darüber zu beklagen, das schöne Ge- <> schlecht erheischt seine Rücksichten. Eine hübsche Frau hat ein Geschäft, falliert, bestiehlt Euch um tausend Taler; wenn Ihr sie schikaniert, so beweist das nur, daß Ihr kein savoir vivre habt; sie hat recht, über die Widerspenstigen herzufallen. Ich habe eine dieser Damen von einem Gläubiger sagen hören: So ein Mensch! 10 Man sagt, er murre noch wohl gar; wahrhaftig, ich rate ihm, sich über seine fünfzig Louis zu beklagen, ich hätte ihn für das Dop¬ pelte ankreiden sollen! Er hatte gewisse Vertraulichkeiten mit der Dame gehabt, sie hatte das Recht, ihn als Undankbaren zu behandeln. i'> 11) Der Bankerott aus Gunst, bei dem es am Tage liegt, daß die Gläubiger verdienen — und wie geht das zu? Wenn der Fallit nur wenig stiehlt, 40% und für den Rest Sicherheit gibt, sehr solide Kaution. Dies gilt für so glücklich, daß der Notar den versammelten Gläubigern gratuliert, ihnen wie zu einem vortreff- 20 liehen Geschäft, einer „wahren Gunst66 Glück wünscht. Auf zehn¬ tausend Franken nur viertausend verlieren und sechstausend be¬ zahlt zu erhalten, das ist ein wirklicher Vorteil. Wer nicht an den Handel gewöhnt ist, würde diese Gunst nicht zu schätzen wissen; er würde seine vollen zehntausend Franken haben wollen und 25 glauben, man habe ihn um viertausend bestohlen. Was für unan¬ ständige Manieren! Behaupten, daß ein Mann Euch bestiehlt, wenn er Euch einen Diskonto von 40% abzieht und im übrigen Euch freundschaftlich behandelt! 12) Der sentimentale Bankerott kommt bei gewissen 30 Leuten vor, die Reden halten, um Euch das Herz zu brechen und solche Ströme von Gefühl und Tugend über den Gläubiger aus¬ gießen, daß er ein Barbar sein würde, wenn er sich nicht augen¬ blicklich ergäbe, sich nicht glücklich schätzte, solche brave Leute zu verbinden, die alle diejenigen zärtlich lieben, deren Geld sie 35 aus der Welt schaffen. Die Leute dieser Sorte bezahlen in vor¬ trefflichen Gründen und sehr schmeichelhaften Lobsprüchen, sie fassen den Gläubiger beim Gefühle an, unterhalten ihn nur von seinen und ihren Tugenden; man findet sich um so vieles gebes¬ sert, wenn die Unterhaltung zu Ende ist, man entdeckt eine Menge 40 von Tugenden an sich, die die entwendete Summe reichlich auf¬ wiegen. Hat man ein paar tausend Franken weniger, so hat man desto mehr Tugenden, es ist klarer Gewinn für die schönen Seelen. Einer dieser Schauspieler sagte mir eines Tages: Es hat mir 45 für die Herren so und so sehr leid getan, es sind sehr brave, sehr
432 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 achtungswerte Leute — und, der gute Junge, zum Beweis seiner Achtung bestahl er sie gleich beim ersten Geschäft vermittelst eines Wechsels, den er ihnen zum Geschenk und Willkommen gab. Er hatte diese Summe gezogen, um in Verbindung mit ihnen zu kommen, einen Monat später falliert er. Welch eine Freude für 5 diese Herren, seine Achtung als Deckung gegen zehntausend Franken erhalten zu haben! Ich habe Wort gehalten; ich hatte eine verführerische Gesell¬ schaft versprochen. Man findet nichts als Freundschaft, Gunst, guten Ton und zarte Gefühle bei allen Falliten dieser wahrhaft 10 liebenswürdigen Reihe. Aber wenn sie gemacht ist, Herzen zu ge¬ winnen, so werden andere die Bewunderung beherrschen, glän¬ zende Aufschwünge, transzendente Charaktere entwickeln, die Heroen ihrer Gattung darstellen. V Zentrum — Grandiose Nuancen Wir kommen jetzt zu den großartigen Entwickelungen des Handelsgeistes, zu den gewaltigen Operationen, welche den im¬ mensen Fortschritt des Jahrhunderts zur Wiedergeburt und Ver¬ vollkommnungsfähigkeit hin dartun. Der Bankerott wird hier 20 seine Meisterschaft entfalten und nach weitgreifenden Plänen ope¬ rieren, deren Darlegung die Weisheit des Prinzips beweisen wird: Lasset die Kaufleute machen, lasset ihnen volle Freiheit für ihre erhabenen Konzeptionen von Betrügerei und Ausplünderung. Die Taktiker 13) Der fette Bankerott ist der der Spekulanten von hohem Stande, die das Genie des Handels besitzen. Der Bankier Dorante besitzt zwei Millionen und wünscht baldmöglichst durch irgendwelche Mittel zu einem Vermögen von vier bis fünf Millio¬ nen zu kommen. Er erhält auf sein bekanntes Kapital hin einen 30 Kredit von acht Millionen in Wechseln, Waren etc., er kann also mit einem Fond von zehn Millionen spielen. Er wirft sich auf die hohe Spekulation, den Trödel mit Waren und Staatspapieren. Vielleicht hat er am Ende des Jahres seine beiden Millionen ver¬ loren, statt sie zu verdoppeln; Ihr haltet ihn für ruiniert — kei- 35 neswegs, er wird die vier Millionen ebensogut haben, als wenn er gute Geschäfte gemacht hätte; denn ihm bleiben die acht Millio¬ nen, die er aufgenommen hat, und vermittelst eines „ehrlichen“
Ein Fragment Fouriers über den Handel 433 Bankerotte arrangiert er sich dahin, die Hälfte derselben in meh¬ reren Jahren zu zahlen. So kommt es, daß, nachdem er seine eige¬ nen zwei Millionen verloren hat, er sich als Besitzer von vier dem Publikum entwendeten Millionen wiederfindet. Welch eine schöne 5 Sache, diese Freiheit des Handels! Begreift Ihr jetzt, weshalb man alle Tage von einem Kaufmann sagen hört: es geht ihm sehr gut seit seinem Bankerott? Fernere Chance für den Bankerottier: Dorante, nach seinem Unterschleif von vier Millionen, erhält sich vollständig seine Ehre 10 und die öffentliche Achtung, nicht als glücklicher Spitzbube, son¬ dern als unglücklicher Kaufmann. Erklären wir das. Dorante hat sich der öffentlichen Meinung bemächtigt, wäh¬ rend er seinen Bankerott überdachte; seine Feten in der Stadt, seine Landpartien haben ihm warme Anhänger verschafft; die is glänzende Jugend ist für ihn; die Schönen bedauern sein Un¬ glück — Unglück ist heutzutage synonym mit Bankerott —; man rühmt seinen noblen, eines besseren Loses würdigen Charakter. Es scheint fast, nach den Äußerungen seiner Verteidiger, daß der Bankerottier schlimmer daran ist als diejenigen, deren Vermögen 20 er beseitigt hat. Die ganze Schuld wird auf die politischen Er¬ eignisse, die unheilvollen Verhältnisse und andern Wortkram ge¬ schoben, wie er den Notaren, die vortrefflich sind, eine Attacke erzürnter Kreditoren aufzuhalten, geläufig ist. Nach dem ersten Sturm läßt Dorante einige Vermittler, einige rechtzeitig verteilte 25 Geldrollen eintreten, und bald ist die Meinung so umzingelt, daß man jeden, der gegen Dorante sprechen würde, für einen Kanni¬ balen erklärt. Dazu sind diejenigen, denen er die schwersten Summen stiehlt, hundert oder zweihundert Meilen weit entfernt, in Hamburg oder Amsterdam; sie werden sich mit der Zeit schon 30 beruhigen, an ihnen liegt nicht viel, ihr fernes Gekläff wirkt nicht auf die Pariser Meinung. Obendrein läßt Dorante sie ja nur die Hälfte verlieren, und der Gebrauch hat bestimmt, daß der, wel¬ cher nur die Hälfte stiehlt, mehr unglücklich als schuldig ist; und so ist Dorante vor dem öffentlichen Geiste vom ersten Augenblick 35 an reingewaschen. Nach einem Monate ist die öffentliche Auf¬ merksamkeit durch andere Bankerotte abgezogen, die mehr Sen¬ sation machen und bei denen zwei Drittel bis drei Viertel zum Teufel gehen. Neuer Glanz für Dorante, der nur die Hälfte be¬ seitigt hat; dazu ist es eine alte, vergessene Geschichte. Schon io fängt das Haus Dorantes allmählich an, sich dem Publikum wie¬ der zu öffnen, sein Koch erlangt von neuem seine alte Herrschaft über die Gemüter, und unbeachtet verhallt das Geschrei gewisser schwarzgalliger Gläubiger, die keine Teilnahme für das Unglück haben und die Rücksichten außer Augen setzen, welche man der 45 guten Gesellschaft schuldig ist. Marx-Engels-Gesamtausgabe» I. Abt., Bd. 4 28
434 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 So endigt in weniger als sechs Monaten die Operation, durch welche Dorante und seinesgleichen dem Publikum Millionen steh¬ len, Familien ruinieren, deren Vermögen sie in Händen haben, und die ehrlichen Kaufleute in einen Bankerott schleudern, der sie den Spitzbuben assimiliert. Der Bankerott ist das einzige so- 5 ziale Verbrechen, das sich epidemisch fortpflanzt und den ehr¬ lichen Mann in dieselbe Schande stürzt wie den Gauner. Der ehrlichere Kaufmann, der an den Falliten von zwanzig Lumpen laboriert hat, ist am Ende selbst gezwungen, seine Zahlungen ein¬ zustellen. 10 Daher kommt es, daß die spitzbübischen Bankerottiers, d. h. neun Zehntel der ganzen Sippschaft, sich alle für ehrliche Leute, die Unglück gehabt haben, ausgeben und im Chorus schreien: Wir sind mehr zu beklagen, als zu tadeln. Wenn man sie hört, geben sie sich alle für kleine Heilige aus, grade wie die Galeerenskla-15 ven, die alle behaupten, gar nichts Böses getan zu haben. Hiergegen werden die Anhänger des freien Handels von Re¬ pressivgesetzen, von Tribunalen sprechen; ja wahrhaftig! Tri¬ bunale für Leute, welche mehrere Millionen auf einen Schlag rau¬ ben! Übrigens ist das Sprichwort, daß man kleine Diebe hängt 20 und die großen laufen läßt, im Handel falsch, denn selbst der kleinste Bankerott entgeht der Justiz unter dem Schutze der Kauf¬ leute. 14) Der kosmopolitische Bankerott. Dies ist eine Allianz des kommerziellen Geistes mit dem philosophischen 25 Geiste. Ein Bankerottier ist ein wahrhafter Weltbürger, wenn er nach Ausbeutung eines Königsreichs in mehreren anderen nach der Reihe Bankerott macht. Dies ist eine sichere Spekulation. Man ist bei seiner Ankunft unbekannt, wechselt nötigenfalls seinen Namen, wie es die Juden tun, und erhält kraft der in einem frü- 30 heren Bankerott gesammelten Kapitalien sogleich Kredit. Es ist eine ergötzliche Idee der modernen Politik, die allgemeine Ver¬ waltung der Industrieprodukte Leuten zu übertragen, die durch¬ aus kein festes Band, kein großes Grundeigentum an ihr Vater¬ land fesselt, und die als Kosmopoliten auf ein halbes Dutzend 35 der Reihe nach in Paris, London, Hamburg, Triest, Neapel und Cadix zu machender Bankerotte spekulieren können. Ich werde diesen Bankerott unter dem Artikel Lauffeuer schildern, der zum Angelpunkte seines Manövers einen Kosmopoliten hat. 15) Der hoffnungsvolle Bankerott. Dieser datiert 40 eigentlich erst seit der Revolution und ist kaum ein halbes Jahr¬ hundert alt. Früher debütierten die jungen Leute nicht so früh im Handel, sie waren nie Chefs vor dem dreißigsten Jahre. Jetzt dirigieren sie mit achtzehn Jahren ein Haus und können schon mit Zwanzigen einen ersten Bankerott machen, der für die Folge 45
Ein Fragment Fouriers über den Hande] 435 zu großen Hoffnungen berechtigt. Es gibt ihrer, die vor dem drei¬ ßigsten Jahre schon drei Bankerotte gemacht und mehr als ein¬ mal ihren Kommanditären hundert Taler aufgefressen haben. Man sagt, wenn man sie sieht: er ist sehr jung für so viel Ruhm, 5 aber wir leben im Jahrhundert der jungen Leute. 16) Der transzendente Bankerott erfordert einen weitgreifenden Plan, einen immensen Aufschwung, ein Comptoir mit dreißig bis vierzig Kommis, zahlreiche Schiffe, kolossale Ver¬ bindungen in allen Ländern, dann ein plötzliches Zusammenkra- 10 chen, einen furchtbaren Purzelbaum, dessen Gegenstöße in den vier Weltteilen widerhallen und ein Chaos von Liquidationen, an deren Fett die Geschäftsleute zehn Jahre lang zu zehren haben. Es ist eine Operation, in der sich das merkantilische Genie in sei¬ nem vollen Glanze entfaltet; sie muß einen Verlust von mindestens is drei Vierteln geben, denn in diesem gewaltigen Gemälde muß alles großartig angelegt sein. 17) Der stufenweise Bankerott ist der eines Speku¬ lanten, der bei weiser Leitung seiner Operation zu einer Karriere von sieben bis acht aufeinanderfolgenden Bankerotten kommen 20 kann. In diesem Falle muß er einen anderen Gang einschlagen, als der, welcher es nur auf einen oder zwei Bankerotte anlegt. Die Prinzipien sind: 1) im ersten Bankerott nur mit Maßen zu plündern. Fünf¬ zig Prozent sind genug, man darf nicht gleich von vornherein die 25 Leute wild machen, und der zweite Bankerott würde zu schwierig werden, wenn man sich im Probestreich durch zu große Raubgier diskreditierte; 2) im zweiten nur sehr wenig plündern, nicht über 30%, um zu beweisen, daß der Fallit sich ausgebildet hat, daß er schon ge- 30 schickter und vorsichtiger operiert, und daß er ein vollendeter Kaufmann, ein würdiger „Freund des Handels66 werden wird, wenn er sich von diesem zweiten Schlage erholt hat; 3) im dritten reichlich zu plündern, wenigstens 80%, sich da¬ durch rechtfertigen, daß es kein gewöhnliches, sondern ein durch 35 außerordentliche Zufälle hervorgerufenes Defizit ist; es mit Hilfe einiger kritischen Zeitverhältnisse durchzubringen, seine gute Auf¬ führung beim zweiten Bankerott geltend zu machen, um zu be¬ weisen, daß die Schuld ganz allein in den Ereignissen liegt; 4) im vierten nur 50% zu plündern, um zu beweisen, daß man 40 ein vorsichtiger Mann ist und sich in den gehörigen Schranken zu halten weiß, wenn man nicht von den Umständen fortgerissen wird. 5) Man kann im fünften schon bis zu 60% gehen, weil das Publikum daran gewöhnt ist; 10% mehr oder weniger verderben 45 keine derartige Spekulation, wenn die öffentliche Meinung sich 28*
436 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 daran gewöhnt hat; denn man weiß, daß, wer ihrer vier gemacht hat, auch die fünfte und sechste machen wird. Ich habe ihrer einen gesehen, über den man nach seiner vierten Fallite sich lustig machte, weil er einen Abbehut als Zeichen der Frömmig¬ keit und guten Sitten trug; er ließ sich nicht irren und bereitete 5 die fünfte vor. Der sechste und siebente sind ad libitum, man macht sie nur bei herannahendem Alter und in dem Augenblick, wo man daran denkt, auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Nichts ist leichter, als einen sechsten Bankerott zu entschuldigen; man ist zu alt, sich zu 10 ändern, niemand wundert sich mehr. Im übrigen räsoniert man etwas über die Regierung, die den Handel nicht beschützen will und die die Ursache dieser kleinen Derangements ehrlicher Ge¬ schäftsmänner ist. Man wundere sich nicht, wenn ich hier einige Prinzipien zum 15 Gebrauch beim Bankerottieren gebe; es ist eine ganz neue Kunst, die, ähnlich der Ökonomie, aus der sie entstanden ist, noch keine festen Prinzipien hat, noch nicht einmal eine methodische Nomen¬ klatur. So hat man in den stufenweisen Bankerotten nur die vier ersten Grade betitelt. 20 Wer eine erste Fallite macht, ist einfacher „Ritter“, Bei der zweiten erhält er den Namen „Prinz“, Bei der dritten den Titel „König“, Bei der vierten „Kaiser“. Für den fünften, sechsten, siebenten Grad gibt es noch keine 25 Namen bei den Leuten vom Handwerk. Ein wahrer „Freimd des Handels“ muß sich zur vollen Oktave erheben. Um ein „harmo¬ nischer“ Bankerottier zu sein, muß man sieben „ehrliche Falliten“ mit 50% Verlust im Durchschnitte gemacht haben, und dann eine verstärkte, einen vollständigen Bankerott, als Angelpunkt der 30 Reihe, wobei es erlaubt ist, wenigstens 80% als Schadloshaltung für die bei den übrigen angewandte Mäßigung zu plündern; die fünfzig Prozent der früheren Falliten sind ja nur der honette Tarif, ein ganz kleiner Schnitt, der niemandem das Recht zu tadeln gibt, weil sie der angenommene Satz für Falliten sind, ein fester 35 Preis, gerade wie der der kleinen Törtchen oder der Droschken¬ fuhren. Die Manövrierer Wir behandeln in diesem Artikel die Massen-Evolutionen, welche das Zusammenwirken verschiedener Bankerottiers zum 40 Wohl des Handels und zum Triumphe der erhabenen Wahrheit erfordern. Diese Kollektivmanöver werden uns vier Sorten von Evolutionskünstlem darbieten.
Ein Fragment Fouriers über den Handel 437 18) Der Lauffeuerbankerott. Dieser wird gewöhn¬ lich durch Gegenstöße, durch Verwickelungen von Falliten, deren eine die andere nach sich zieht, hervorgebracht. Ich werde einen aus der Mittelsorte, dem Bourgeoisgenre, beschreiben, weil diese 5 der Masse der Leser am verständlichsten sind. Wir werden einen jener kosmopolitischen Künstler, deren Definition ich auf schob, zum Angelpunkte des Lauffeuermanövers nehmen. Der Jude Ischarioth kommt in Frankreich mit 100000 Fr. Kapital an, die er in seinem ersten Bankerott verdient hat; er io etabliert sich als Kaufmann in einer Stadt, wo er sechs angesehene und akkreditierte Häuser zu Nebenbuhlern hat. Um ihnen die Kundschaft und den guten Ruf zu entziehen, fängt Ischarioth gleich damit an, seine Waren zu kostenden Preisen zu verkaufen, ein sicheres Mittel, die Menge herbeizuziehen. Bald schreien seine 15 Konkurrenten aufs erbärmlichste über ihn, er lacht über ihre Kla¬ gen und fährt umsomehr fort, alles zu kostenden Preisen loszu¬ schlagen. Da schreit das Volk, daß es eine Lust ist: Es lebe die Konkur¬ renz, es leben die Juden, es lebe die Philosophie und Brüderlich- 20 keit! Alle Waren sind wohlfeiler geworden seit Ischarioths An¬ kunft, und das Publikum sagt seinen Nebenbuhlern: Sie, meine Herren, Sie sind die wahren Juden, Sie wollen zu viel verdienen, Ischarioth allein ist ein ehrlicher Mann, er begnügt sich mit einem mäßigen Gewinn, weil er kein glänzendes Haus macht wie Sie. — 25 Vergebens sind alle Vorstellungen der alten Häuser, daß Ischa¬ rioth ein verkleideter Spitzbube sei, der über kurz oder lang sprin¬ gen wird; das Publikum klagt sie der Eifersucht und Verleum¬ dung an und läuft mehr und mehr zu dem Israeliten. Die Rechnung, welche dieser Dieb macht, ist folgende: Indem 30 er zum kostenden Preise verkauft, verliert er nur die Zinsen sei¬ nes Kapitals, meinetwegen 10000 Franken jährlich, bildet sich aber ein bedeutendes Debouche, macht sich in den Seestädten den Namen eines bedeutenden Konsumenten und erhält bei prompten Zahlungen einen großen Kredit. Dieser Kniff wird zwei Jahre 35 durchgeführt, nach denen Ischarioth nichts verdient, obwohl enorm verkauft hat. Sein Manöver wird nicht bekannt, weil die Juden nur jüdische Comptoiristen haben, Leute, welche die ge¬ heimen Feinde aller Nationen sind und nie eine von einem „unse¬ rer66 Leute erdachte Spitzbüberei verraten. io Wenn alles zur Entwicklung reif ist, wendet Ischarioth seinen ganzen Kredit auf, gibt kolossale Aufträge in allen Seestädten, kauft Waren auf Zeit zum Betrage von 5—600000 Franken. Er schickt seine Waren ins Ausland und verkauft zu Schandpreisen seinen ganzen Lagerbestand. Wenn er alles in Geld verwandelt 45 hat, verschwindet der brave Ischarioth mit seinem Portefeuille
438 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 und kehrt nach Deutschland zurück, wohin er seine auf Zeit ge¬ kauften Waren dirigiert hat, verkauft sie rasch, und ist bei sei¬ ner Abreise aus Frankreich viermal reicher als bei seiner Ankunft; er hat 400000 Franken und geht nach London oder Livorno, um einen dritten Bankerott einzufädeln. 5 Jetzt fällt auf einmal der Schleier und man kommt wieder zu sich in der Stadt, wo er seinen Coup gemacht hat. Man sieht ein, wie gefährlich es ist, die Juden im Handel zuzulassen, die Vaga¬ bunden, die an nichts gebunden sind. Aber dieser Bankerott Ischarioths ist nur der erste Akt der Posse; verfolgen wir das 10 Lauffeuer. Der Israelit hatte sechs Konkurrenten; nennen wir sie A, B, C, D, E, F. A war seit langer Zeit geniert, er hielt sich ohne Vermögen vermittelst seines guten Rufs; aber durch die Ankunft des Israe- n liten seiner ganzen Kundschaft beraubt, hat er das Wettrennen nur ein Jahr aushalten können und, nicht reif für diese neuen philosophischen Systeme, die die Vagabunden protegieren, sieht A sich genötigt, vor der Taktik Ischarioths sich zu beugen und Bankerott zu machen. 20 B hat den Stoß länger ausgehalten; er sah von ferne schon die Spitzbüberei des Juden und wartete auf das Vorüberziehen dieses Sturmes, um seine durch den Gauner Ischarioth weggenom¬ mene Kundschaft wiederherzustellen. Aber in der Zwischenzeit wird er in einen auswärtigen Bankerott verwickelt; das ist genug, 25 um seinen Sturz zu beschleunigen; er glaubte zwei Jahre aushal¬ ten zu können, und ist schon nach 15 Monaten genötigt, Banke¬ rott zu machen. C war mit einem auswärtigen Hause assoziiert, das durch einen zweiten Ischarioth ruiniert ist — es gibt ihrer nämlich in allen 30 Städten —; C wird durch den Fall seines Associes mit fortgeris¬ sen, und nachdem er achtzehn Monate lang Opfer gebracht hat, um die Konkurrenz des hebräischen Schurken auszuhalten, sieht auch C sich gezwungen, Bankerott zu machen. D hat eine mehr scheinbare als wirkliche Rechtlichkeit. Ihm 35 bleiben noch Mittel, sich zu halten, obwohl er seit 20 Monaten unter der Konkurrenz des Juden leidet; aber durch die Verluste erbittert, welche dieser ihm zufügt, läßt er sich von dem Laster fortreißen, wovon er so viele Beispiele sieht. Er findet, daß drei seiner Brüderschaft den Marsch eröffnet haben und er als vierter 40 im Bunde mitpassieren wird, indem er wirkliche oder fiktive Un¬ glücksfälle vorwendet. So sieht D, des zwanzigmonatlichen Kamp¬ fes gegen Ischarioth überdrüssig, daß ihm nichts Klügeres übrig bleibt, als Bankerott zu machen. E hatte seinen vier nacheinander fallierten Kollegen starke 45
Ein Fragment Fouriers über den Handel 439 Summen vorgeschossen; er glaubte sie alle zahlungsfähig, und sie waren es auch, ehe das Manöver Ischarioths ihnen ihr Geschäft verdorben hatte. E findet sich entblößt durch die Falliten dieser vier Häuser; dazu hat er selbst keine Kunden mehr; das ganze 5 Publikum läuft zu Ischarioth, der zum selbstkostenden Preise los¬ schlägt. E sieht seine Mittel vernichtet, seinen Kredit zerstört; man drängt ihn, und da er seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, schließt er damit, Bankerott zu machen. F hat hinreichende Mittel, aber durch die fünf vorhergehen- 10 den Falliten, die auf ein baldiges Nachfolgen seinerseits schließen lassen, ist er in allen Seestädten außer Kredit gekommen. Dazu verkaufen jetzt einige der Falliten, die ihren Akkord zustande ge¬ bracht haben, zu Schleuderpreisen, um bei den ersten Verfall¬ terminen ihre Zahlungen leisten zu können. Um ihren Verkauf is zu beschleunigen, verlieren sie ein Zehntel des Wertes und verdie¬ nen dennoch vier Zehntel, weil sie zu 50% akkordiert haben. Dies ekrasiert F vollends, und so bleibt ihm nichts als, wie seine Kon¬ kurrenten, Bankerott zu machen. So reicht die Etablierung eines Vagabunden oder eines Juden 20 hin, um die ganze Kaufmannschaft einer großen Stadt zu desorga¬ nisieren und die ehrlichsten Leute ins Verbrechen zu ziehen; denn jeder Bankerott ist mehr oder weniger ein Verbrechen, obwohl er noch so sehr mit glänzenden Vorwänden belastet ist, Vorwände wie die, mit denen ich diese sechs Bankerotte koloriert habe, und 25 an allen diesen Vorwänden ist fast nie ein wahres Wort. Das Wahre an der Sache ist, daß jeder mit Begierde die Gelegenheit zu einem Diebstahl ergreift, der unbestraft bleibt. Zuweilen gestaltet sich das Lauffeuer als Ricochetfeuer, das in die Feme wirkt und zu gleicher Zeit ein Dutzend Häuser in ver- 30 schiedenen Ländern mit fortreißt. Sie haben gemeinsame Inter¬ essen und der Fall des Haupthauses bringt alle die dabei inter¬ essierten Nebenhäuser zum Springen, wie eine Reihe Bleisolda¬ ten, deren Flügelmann einen Stoß erhält. Dies ist eine ernste Kombination, würdig, unter den großen Manövem zu figurieren, 33 und jedenfalls wird dies femwirkende Ricochetieren eine beson¬ dere Gattung in einer genaueren Klassifikation bilden müssen. 19) Der Bankerott in geschlossener Kolonne er¬ fordert einen günstigen Umstand, der zur Entschuldigung dient und zahlreiche Massen von Kaufleuten bestimmt, den verhängnis- 40 vollen Sprung zu wagen. In diesem Falle stützen sie sich einer auf den andern, retten sich durch ihre Menge wie ein Regiment, das sich in geschlossener Kolonne formiert, um mit dem Bajonett sich einen Durchweg zu erzwingen. So müssen die Bankerottiers, wenn die Gelegenheit günstig ist, ihre Reihen zusammenschließen, 45 jeden Tag eine Kolonne von Falliten an der Börse anschlagen,
440 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 und sie so rasch aufeinander folgen lassen, daß die öffentliche Meinung irre wird und die Akkorde, in Anbetracht der schwierigen Zeitläufte, sich leicht zustande bringen lassen. Man sieht diese Bankerotte in London periodisch wiederkehren; auch Paris machte 1800 einen sehr schönen Versuch in der geschlossenen Kolonne, 5 der vielen „Freunden des Handels“ sehr glücklich ausschlug. 20) Der Bankerott im Reihenmarsch ist eine Reihe, von Falliten, die untereinander verknüpft sind, aber mit gehöriger Intervalle von drei zu drei Monaten ausbrechen. Im Gegensätze zu den geschlossenen Kolonnen, die Tag für Tag einander folgen, 10 muß man sich im Reihenmarsch gegenseitig verständigen, um zu fallieren, wenn man an die Reihe kommt, in demselben Augen¬ blicke, wo der Vorgänger soeben mit seinem Akkord im reinen ist. Zum Beispiel A hat seinen Akkord drei Monate nach dem Bankerott fertiggebracht, und augenblicklich muß B sich insolvent is erklären, weil jetzt die Vermittler das Publikum disponiert finden und sagen können: es ist dieselbe Geschichte wie mit A, die eine mußte die andere nach sich ziehen, man muß dasselbe Arrange¬ ment treffen. Ebenso für C, der drei Monate später fallieren wird, dann D, E, F, G; wenn sie ihr Zusammenwirken gehörig durch- 20 zuführen und die Intervalle einzuhalten wissen, so erhalten sie denselben Akkord für alle. Der Reihenmarsch ist ein sehr sicheres Manöver, wenn er geschickt geleitet wird; aber er paßt nicht für alle Verhältnisse, und das Genie des Bankerottierens allein kann die Fälle bestimmen, in welchen er anwendbar ist. 25 21) Der Bankerott mit Tirailleuren besteht im An¬ fänge aus jenen kleinen Hungerleidern, die eine große Bewegung einleiten und hier und da kleine Bankerotte in ihrem Kramhandel machen. Man schließt daraus, daß das Geschäft schwierig und die Kampagne heiß werden wird. Wirklich hört man bald darauf 30 die schwere Artillerie, die Millionen-Bankerotte loskrachen, die lange Zeit die Aufmerksamkeit beschäftigen. Darauf endigt die Bewegung mit den Nachtirailleuren, den Krambankerottiers, den Spezereihändlern der kleinen Städte, die die Session mit ihrem Sprunge schließen. 35 Die Agitatoren Wie! Ist es des Ärgernisses noch nicht genug und könnt Ihr uns noch Schlimmeres vorführen als diese schon beschriebene Litanei? Ich habe nur die ehrlichsten genannt. Wir nähern uns dem ab- 40 steigenden, dem verwerflichen Flügel und können hierher die Bankerottierer stellen, die nach einem weitaussehenden Plane ope¬ rieren, aber die moralischen Methoden vernachlässigen und die erhabene Korporation kompromittieren.
Ein Fragment Fouriers über den Handel 441 22) Der Bankerott im großen Genre wirkt auf alle Klassen der Gesellschaft bis auf die ganz kleinen Leute, Domesti¬ ken und andere, die ihre kleinen Ersparnisse bei einem Heuchler deponieren. Bald plündert dann der Bankerott zu Hunderten die 5 Grundbesitzer, die kleine Mittelklasse und die gutmütigen Leute. Eine ganze Stadt wird darin verwickelt. Im allgemeinen trifft diese Art Bankerott besonders die nicht handeltreibenden Klassen der Gesellschaft und schadet der Korporation bedeutend, indem sie beim Volke und den kleinen Bourgeois Reflexionen hervorruft, io die für die honnette Brüderschaft der Kaufleute wenig schmeichel¬ haft sind. 23) Der weitschichtige Bankerott ist derjenige ir¬ gend eines obskuren Emporkömmlings, der ohne Mittel, ohne Zu¬ trauen es dahin bringt, sich in das große Geschäft zu stürzen, und iß dort einen ebenso enormen Bankerott macht wie die hohen und gewaltigen Bankiers. Man fragt sich allgemein, wie dieser Troß- bube dahin kommen konnte, so viel Verbindungen anzuknüpfen und einen so fetten Bankerott zu organisieren. Dieses Individuum ist der Gegensatz des vorhergehenden; auf 20 anderem Wege erreicht es dasselbe Ziel, nämlich die öffentliche Meinung gegen die Schliche der Kaufleute und die abgeschmack¬ ten Gesetze aufzureizen, die diesem Trödel volle Freiheit lassen. 24) Der Attila-Bankerott erhebt den Ruhm der Ban¬ kerottierer bis zu den Wolken und verwüstet ein Land, wie wenn 25 eine ganze Armee von Vandalen darüber hingezogen wäre. Man kann in diesem Genre einen famosen Bankerott anführen, der 1810 in Orleans durch einen Amateur namens T. zustande gebracht wurde. Dieser fallierte mit einem Defizit von 16 Millionen, die so vortrefflich über die arme Stadt Orleans verteilt waren, daß diese 30 davon niedergedonnert wurde. Die Verwüstung herrschte in allen Klassen der Bürger. Die Flüchtlinge verliefen sich bis nach Lyon und verbreiteten die Kunde: Orleans ist vernichtet, wir sind alle ruiniert, T. schleift alles in den Abgrund. Nach den detaillierten Berichten hatte er sein Thema so durchgeführt, daß er alle Klas- 35 sen berückt und ausgeplündert hatte, von den reichen Kapitalisten bis zu den armen Domestiken, die während ihres ganzen Lebens einige Taler gespart hatten, um sie bei einem merkantilischen Trödler zu deponieren und sie sich von diesem stehlen zu lassen — unter dem Schutz des schönen Prinzips: Lasset die Kaufleute 40 machen, sie wissen am besten, was in ihrem Interesse ist. Welche Räubereien! Welche Mannigfaltigkeit der Verbrechen in einem einzigen Zweige der kommerziellen Heldentaten! Einem einzigen, denn wohl aufgemerkt, der Bankerott ist nur der einund- dreißigste Charakter dieses lügenhaften Handels, für den die 45 Wissenschaft volle Freiheit verlangt, unter dem Vorwande, daß
442 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 die Kaufleute am besten wissen, was in ihrem Interesse liegt — sie wissen das allerdings nur zu gut, aber sie wissen zu wenig, was das Interesse des Staats und der Industrie ist, und so werden wir von der Wissenschaft mit ihrer Theorie von der absoluten Freiheit der Kaufleute mystifiziert. 5 VI Absteigender Flügel — Schmutzige Nuancen Von der Beschreibung der großen Heldentaten gehen wir zu bescheidneren Trophäen über. Nicht alles ist, wie die drei Kate¬ gorien des Zentrums, groß im Bankerott. Indes werden wir noch 10 im linken Flügel eine bemerkenswerte Kollektion zustande brin¬ gen, Bankerottiers von gemilderten Schattierungen, Leute, deren mehr bürgerliche Tugenden und Fehler unserem Auge nach dem lebhaften Glanz so vieler heroischen Taten wohltun werden; wir werden noch Kohorten finden, die den Leser aufzuheitem ver-15 mögen — besonders die letzte, die der falschen Brüder, die das Korps der Bankerottiers in Verruf bringen. — Fangen wir mit einer ernsteren Nuance an. — Die tückischen Schleicher 25) Der Schadlosigkeitsbankerott wird gemacht, 20 um sich für irgend einen Unfall zu entschädigen. Z. B. ein Speku¬ lant verliere heute einen Prozeß, der ihm 100000 Franken raubt, so erklärt er morgen eine Fallite, die ihm 200000 einbringt. So gewinnt er die streitige Summe, statt sie zu verlieren. Diese Fähig¬ keit des Handels, sich für die Ungunst der Ereignisse zu entschä- 25 digen, ist eine seiner schönsten Eigenschaften; er versteht die Kunst, sein Interesse bei jeder Land- und Seeplage zu finden. Er¬ fährt ein Reeder einen Schiffbruch, so stellt er sich den nächsten Tag durch einen guten Bankerott wieder gut; und diese Art Fal¬ liten gehen ohne Widerspruch durch, weil der Notar sagt: es ist 30 seine Schuld nicht, die Ereignisse haben ihn dazu forciert, er ist mehr zu beklagen als zu tadeln. Hierauf wird ein Grundbesitzer, dessen Depositum so zum Teufel geht, antworten: Ich kann mich nicht entschädigen, wenn der Hagel, die Überschwemmungen meine Ernten verderben, ich 35 kann auf niemanden zuriickgehen. — Schönes Argument! müssen die Grundbesitzer nicht wissen, daß sie in der jetzigen Ordnung der Dinge eine abhängige Klasse sind, abhängig von den Unpro¬ duktiven, genannt Kaufleute, die ihre Krallen in alles industrielle
Ein Fragment Fouriers über den Handel 443 Produkt heften und sich auf Unkosten der Masse bezahlt machen, wie ein Freikorps, das, in Ermangelung von Feinden zum Plün¬ dern, die eignen Freunde und das gute Volk auszieht? So ist der Kaufmann, ein wahrer industrieller Kosake, dessen 5 Devise ist: Ich arbeite nicht pour la gloire, ich muß etwas einzu¬ kratzen haben. Jeder Kaufmann will einkratzen, und wenn man bei ihm durch Prozesse oder sonst einzukratzen glaubt, so hat er seinen Ausweg gleich bei der Hand und kratzt durch einen Schad¬ losigkeitsbankerott bei anderen ein. 10 26) Der Bankerott außer dem Gliede ist der eines Weisen, der alle Fälle vorgesehen und etwas beiseite gebracht hat, womit er den Stürmen die Stirne bieten und die Widerspen¬ stigen bändigen kann. Wenn er 200000 Franken bei seinem Ban¬ kerott verdienen will, so bringt er 300000 auf Seite, von denen 15 er ein Drittel in nützlichen Austeilungen, Geschenken etc. an¬ wendet; er weiß die größten Schreier zu beruhigen, die Justiz zu paralysieren; Röllchen hier, Röllchen da, seine Affäre wird flott geführt und sein Bankerott verschafft ihm am Ende eine Menge Freunde, die ihr Teilchen vom Kuchen erhalten und von ihm 20 sagen, er sei ein Mann cornrne il faut, der die Geschäfte durch und durch kenne. 27) Der Bankerott im Crescendo spielt eine Posse in mehreren Akten, die eine Steigerung des Interesses entwickeln. Anfangs gibt man die Sache für eine kleine Verlegenheit aus, für 25 ein Festsitzen der Kapitalien, worauf ein Nachlaß von dreißig Pro¬ zent nötig wäre, um einen Sturz zu verhindern. Die Gläubiger werden unruhig und unterhandeln in der Stille, denn man hat sie merken lassen, daß die Sache schlecht werden würde und man den Quidam halten muß. Indes, nach drei Monaten, wackelt er von 30 neuem. Man geht wieder zu den Gläubigern und läßt wieder seinen Fall befürchten; man gesteht, daß die Sachen schlechter stehen, als man geglaubt hatte und daß man fünfzig Prozent bewilligen müsse. Einige werden ärgerlich, die Sache verwirrt sich und der Bankerott wird erklärt — und zwar so wohlkonditioniert, daß statt 35 der 50 Prozent 80 bis 90 Prozent verlorengehen und der Rest erst nach einigen Jahren ausgezahlt werden kann. Aber das Arrrange- ment ist noch immer leicht zustande zu bringen, weil die Gläubiger, die geschickt behandelt und nacheinander an einen Verlust von 30, dann 50, dann 70 Prozent gewöhnt worden sind, des Krieges über- 40 driissig, unterzeichnen und die verfluchte Geschichte ganz verloren geben, bei der man, wie es anfangs hieß, nur dreißig Prozent ver¬ lieren sollte. Diese Methode ist nicht die schlechteste und kann denjenigen Spekulanten empfohlen werden, die auf die Prinzipien halten. 45 28) Der gottselige Bankerott ist der eines heiligen
444. Aus dem Deutschen Bürger buch für 1846 Mannes, der in allen Brüderschaften ist und bei den Prozessionen die Schnur des Thronhimmels trägt. Er findet leicht Kredit und Deponenten und kann unter der Hand einen weitläufigen Ban¬ kerott einleiten. Ich habe ihrer von dieser Art gesehen, bei denen 90 Prozent Verlust waren. Der Vorteil in einem solchen Falle ist, 5 daß der Fallit noch Leute genug findet, die ihn entschuldigen: Ach, das ist ein sehr frommer Mann; wenn er in seinem Handel kein Glück gehabt hat, so kommt das, weil er nichts auf die Güter die¬ ser Welt gibt. — Man macht diese Frömmigkeit geltend, um den Akkord zu beschleunigen, durch den der fromme Apostel ein gut 10 Teil der Güter dieser Welt konserviert, neben der Aussicht auf die der anderen. Die Bönhasen Man findet in jeder Profession Unwissende, die ohne Prinzi¬ pien arbeiten und die mit dem vortrefflichsten Stoff nichts als 75 schlechte Arbeit machen. So gibt es auch unter den Bankerottiers Tölpel, die nichts können als Gold in Kupfer verwandeln und sich da auf sehr dumme Weise ruinieren, wo ein anderer herrliche Geschäfte machen würde. Ich will vier Gattungen anführen und kurz behandeln; denn diese wirklich ehrliche Kategorie hat nichts 20 Unterhaltendes. Ich lasse sie auch nur um der Vollständigkeit der Analyse willen Revue passieren. 29) Der Illusions-Bankerott — derjenige der Betörten, welche, durch die Moderedensarten geködert, sich in den Handel wagen, ohne die Kniffe desselben zu kennen und natürlich, wie 25 Schmetterlinge am Licht, sich die Flügel verbrennen. Man hat seit 1789 viele große Eigentümer gesehen, die sich durchaus nicht in diesenTrubel einzulassen hatten, man hat sie gesehen, wie sie darin ein reiches Erbteil vertrödelt und mit einem Bankerott geendigt haben, in dem sie Vermögen und Ehre sitzen ließen. Wozu man 30 bemerken muß, daß beim Bankerottieren nur der ehrliche Mann seine Ehre verliert, während der Gauner, der die großen Prinzi¬ pien des Handels kennt, seine Fallite so zu führen weiß, daß er zu Reichtum und Ehren kommt. Aber die großen Herren, die in das kommerzielle Wespennest geraten sind, haben auf ehrenhafte 35 Weise unterhandeln wollen; sie wurden von den Intriganten um¬ zingelt und als Spielball behandelt und mußten mit einem Illu¬ sions-Bankerott schließen. Viele kleine Eigentümer haben den¬ selben Fehler begangen. Von der merkantilischen Raserei ergrif¬ fen, haben sie ihr Feld verlassen, ihr kleines Grundstück verkauft, 40 um in der Stadt eine Bude aufzuschlagen und einem gewissen Ruin entgegenzugehen. 30) Der Invaliden-Bankerott ist der eines Unverbes¬ serlichen, der mit den Waffen in der Hand sterben will. Man sieht
Ein Fragment Fouriers über den Handel 445 ihrer manch einen, der sich zurückziehen sollte, der, vom Alter ge¬ schwächt, nichts als Pfuschereien mehr macht, die neuesten Ver¬ vollkommnungen nicht kennt, auf seine alten Tage ein langsam angesammeltes Vermögen verliert und solange hartnäckig aushält, 5 bis die wiederholten Schnitzer einen Bankerott unvermeidlich machen. Wie soll man einen Mann nennen, der, achtzig Jahre alt, Hagestolz und im Besitze von zwei Millionen, was für einen alten Junggesellen wahrhaftig genug ist, der dennoch hartnäckig in einem Alter fortschachert, in dem er sich zurückziehen und seine 10 Sünden beweinen sollte. Wenn ein solcher Mann sich ruiniert und im achtzigsten Jahre sein brillantes Vermögen verliert, so ist er wahrlich ein merkantilischer Fanatiker. Ein solcher war der in¬ valide Bankerottier, der der Typus dieses Paragraphen ist; denn für jede Spezies habe ich einen Typus*) anzuführen, damit man is mich nicht der Übertreibung beschuldige. Übrigens findet man in jeder Stadt viele dieser Fanatiker von hohem Alter, die, weil sie auf Fortsetzung ihres Handels bestehen, darin schimpflich unter¬ zugehen verdienen; denn heutzutage, wo alles quintessenziiert ist, braucht man im Handel wie im Kriege junge, in der neuen Taktik 20 gebildete Leute; und wenn der Bankerott bei den jungen Leuten für eine artige Spielerei gilt, so ist er jedenfalls schimpflich bei reichen Greisen, die seit zwanzig Jahren an ihren Rückzug hätten denken sollen. 31) Der Erdrückungs-Bankerott ist der der wüten- 25 den Konkurrenten, die wissentlich ihrem Ruin entgegeneilen und sich ruinieren, um einem Rivalen einen kleinen Teil Gewinn strei¬ tig zu machen. Man sieht ihrer eine ganze Menge, die mit Verlust arbeiten, in der Hoffnung, daß der Konkurrent vor ihnen ruiniert sein wird und sie Herren des Schlachtfeldes bleiben werden. Be- 30 sonders in den Messagerien und in den Messen für Stoffe, wie Beaucaire, herrscht diese Unordnung, infolge deren die „Erdrück¬ ten“ zum Bankerott gezwungen sind. 32) Der Schweine-Bankerott ist der eines Gelbschna¬ bels, der, statt nach den Prinzipien zu operieren, sich mit Frau und 35 Kindern ruiniert und sich noch dazu den Krallen der Justiz und der Verachtung der „Freunde des Handels“ aussetzt^ welche nur vor den feisten und prinzipgerechten Bankerotten Respekt haben. In der kommerziellen Gaunersprache sagt man von einem Banke¬ rottier, der sich so mit Frau und Kind ruiniert: das ist ja eine 40 wahre Schweinerei. — Hätte er einen fetten Bankerott gemacht, man würde ihn einen geschickten Jungen, einen guten Kopf ge¬ nannt haben. •> Die Namen dieser Vorbilder stehen im Original des Hrn. Fourier beigeschrieben. 7 Orig. Millionen, das
446 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 Die falschen Brüder Ich nenne falsche Brüder diejenigen, die die ehrenwerte Sipp¬ schaft der Bankerottierer der Verachtung des Publikums aus¬ setzen. Einige davon erregen Unwillen, andere Gelächter. Ich be¬ greife nicht unter diese Klasse die Transzendenten, die mit Mil- 5 lionen stehlen — diese sind stets respektabel und kompromittieren die Sippschaft nicht; nie ist ein großer Dieb in der Zivilisation verächtlich gewesen, während die kleinen die wahren Leute zum Hängen sind, und wenn sie die öffentliche Meinung gegen Spitz¬ bübereien und kleine Bankerotte auf reizen, der Zulassung in die 10 Korporation unwürdig werden und den Titel falsche Brüder ver¬ dienen. 33) Der Spitzbuben-Bankerott ist der der kleinen Lumpen, die in ihrer Fallite so anstößige Diebereien im Detail begehen, daß die Nachbarschaft davon spricht, sie hängen zu las-15 sen. Man würde das nicht von einem Raub von 100000 Talern sagen; aber ein Diebstahl von 100 Talern erweckt schon Galgen¬ gedanken, die übrigens für den Gauner nicht gefährlich sind, weil die Brüderschaft der Bankerottierer nicht erlaubt, daß man ihre Kollegen beunruhigt; die Justiz würde sich bald autorisiert glau- 20 ben, von den kleinen Dieben zu den großen überzugehen, was für diejenigen sehr genant sein würde, die nach den großen Prin¬ zipien agiert und nach einem „honnetten“ Bankerott ihren Platz in der guten Gesellschaft eingenommen haben. 34) Der Galgenvogel-Bankerott ist derjenige, wobei 25 der Quidam außer den schmutzigen Lumpereien auch noch ge¬ lehrte Perfidien begeht, wie z. B. sich selbst zu bestehlen und dann die sentimentale Taktik spielen zu lassen. Scapin, kleiner Winkelierer, macht einen Schubiacks-Bankerott von nur 40000 Franken; er unterschlägt 30000 Franken, die den 30 Gewinn der Operation abgeben werden; dann präsentiert er den Gläubigern einen Rest von 10000 Fr. Wenn man ihn wegen des Defizits von 30000 Fr. befragt, so sagt er, daß er nicht Buch zu halten versteht wie die großen Kaufleute und daß er „Un¬ glück“ gehabt hat. Ihr glaubt vielleicht, man werde Scapin be- 35 strafen, weil er ein kleiner Dieb ist, der nur 30000 Fr. stiehlt — aber wissen die Gläubiger nicht, daß wenn die Justiz sich ein¬ mischt, sie die übrigen 10000 Fr. bloß zum Morgenbrot verspeisen wird? Und wenn diese 10000 Franken draufgegangen sind, so ist noch nichts entschieden, und wenn man den Scapin hängen las- 40 sen will, so muß man vielleicht noch 10000 Franken dazu aus¬ geben und weiß noch nicht, ob man es dahin bringt. Es ist also immer besser, die mäßige Summe von 10000 Fr. anzunehmen, als sie zu verlieren und noch ebensoviel obendrein auszugeben.
Ein Fragment Fouriers über den Handel 447 Scapin macht durch die Vermittlung seines Notars dies Argument geltend, so daß der Bankerottier selbst seinen Gläubigern mit der Justiz droht. Und weshalb sollten Scapins Gläubiger gegen ihn wüten? Die einen denken seinem 5 edlen Beispiel zu folgen, die anderen sind ihm in der Karriere schon vorangegangen, und da sich die Wölfe untereinander nicht auf fressen, findet Scapin bald eine Anzahl Unterzeichner, die sich mit seinen Vorschlägen zufriedengeben; andere zeichnen aus Furcht vor der Dazwischenkunft der Justiz, andere sind wider- 10 spenstiger und sprechen davon, alles zu opfern, um einen Schuft auf die Galeeren zu schicken. Dann schickt ihnen Scapin seine Frau und seine Kinder, die mit wohleingeübtem Geheul um Gnade flehen, und so erhält Scapin und sein Notar in wenig Tagen die Majorität der Unterschriften, worauf man sich über die Weigern- 15 den, die man nicht mehr braucht, lustig macht. Man lacht ihrer Wut, Scapin antwortet ihnen mit einschmeichelnden Worten und tiefen Bücklingen und überlegt nach dem glücklichen Ausgange des ersten bereits einen neuen Bankerott. 35) Der Fugenbankerott ist unter den kleinen Mietern 20 der großen Städte gebräuchlich, die beim Herannahen der Ver¬ fallzeit ohne Geräusch durchbrennen und bei Nacht und Nebel ihr elendes Mobiliarvermögen über Seite bringen. Er ist sehr im Schwünge unter den Seidenwebern in Lyon; auch muß man hier¬ zu alle die Elegants beiderlei Geschlechts rechnen, die sich im 25 Restaurant, beim Schneider und Schuhmacher die besten Sachen bestellen und im Preise sehr kulant sind, da sie in schönen Worten zu bezahlen und durchzubrennen beabsichtigen, sowie die Gläu¬ biger anfangen, unangenehm zu werden. Diese Art von Bankerott ist spaßhaft und wirft ein schlechtes 30 Licht auf die Korporation. Wenn man über denjenigen glossiert, der zwanzig kleine Krämer angeführt hat, so gewöhnt man sich auch leicht an, über einen Mann comme il faut zu glossieren, des¬ sen Fallit zwanzig Familien ruiniert, und diese Freiheiten der Kritik müssen unterdrückt werden, um die den honetten fallieren- 35 den „Freunden des Handels“ schuldige Achtung nicht zu ge¬ fährden. 36) Der Bankerott zum Lachen ist der eines kleinen Detaillisten, der in optima forma, grade wie die hohen und mäch¬ tigen Bankiers, falliert und nicht über fünf Prozent für seine 40 Gläubiger gibt. Unter andern machte ein in komischen Rollen aus¬ gezeichneter und deshalb beim Publikum sehr beliebter Schau¬ spieler in Lyon einen derartigen Bankerott, worin er in regelmäßig¬ ster Manier seinen Gläubigem die Summe von drei Prozent 24—25 Orig, die sich Restaurant
448 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 anbot. Einige wurden ärgerlich und wollten den Gerichtsdiener zu ihm schicken; aber er mystifizierte die Justiz, wie er sie im „Avocat Patelin“ auf der Bühne mystifizierte, und das ganze Publikum war auf seiner Seite. Sein Bankerott war eine höchst ergötzliche Ko¬ mödie, die mehrere kostbare Szenen lieferte. Die Gläubiger moch- 5 ten fluchen, das Publikum lachte sie aus, wie den Guillaume des „Avocat Patelin“. — Ich habe jetzt rasch alle diese Definitionen durchgenommen. Meine Liste ist indes so unvollständig, daß man sie nur als einen Umriß betrachten darf, in dem jeder die fehlenden Charaktere 10 hinzufügen kann. Es gibt ihrer eine Masse, die merkwürdig sind. Vor wenig Tagen noch zitierten die Pariser Journale einen sehr brillanten, den Bankerott eines gewissen Y., der mit nur 10000 Franken eine pomphaft ausposaunte Agentur errichtete. Ich glaube, es war ein Bureau zur Regeneration des Handels oder sonst irgend 15 ein prächtiger Titel, vermittelst dessen er von einigen Maulaffen eine Million erhielt, die er wie üblich mit einem guten Bankerott bezahlte. Kurz, es wird leicht sein, die von mir zusammengebrachte Anzahl von Gattungen des Bankerotts aufs Doppelte zu steigern. VII Schluß Wenn man bedenkt, daß der Bankerott nur ein einziger aus den sechsunddreißig Charakteren des Handels ist, so hat man Mühe, sich zu erklären, weshalb diese so furchtbare Mine von Ver¬ brechen, dieser Mechanismus des Handels, noch nicht analysiert 25 worden ist, und das in einem Jahrhundert, das in Beziehung auf die Verbrechen aller Klassen der Gesellschaft sehr rücksichtslos verfährt und die Verbrechen der Könige und Päpste publiziert. Wenn man diese Sammlung von kaufmännischen Schmutze¬ reien liest, fragt man sich sogleich, wie ein Jahrhundert, das sich 30 den Freund der erhabenen Wahrheit nennt, sich alles Ernstes für diesen lügnerischen Handel hat begeistern können unter dem Vor¬ wande, daß man doch einmal den Handel nicht entbehren könne; als ob man deswegen auch Betrügereien und Diebereien in den Kauf nehmen müsse, wie die, welche wir in einem einzigen der 35 Verbrechen des Handels, im Bankerott, aufgezählt haben. Doch enden wir, was wir über diesen zu sagen haben. Das Sprichwort, daß die Justiz nur die kleinen Diebe hängt, wird im Handel Lügen gestraft. Der Bankerott, selbst der kleinste, entwischt den gerichtlichen Verfolgungen unter dem Schutze der 40
Ein Fragment Fouriers über den Handel 449 Kaufleute selbst. Man hat dies unter der letzten Kategorie (falsche Brüder) gesehen, welche die der Bankerottiers en miniature ist. Vergebens würde man die Bestrafung einiger betrügerischen Bankerottiers anführen; neunundneunzig kommen glücklich 5 durch, und wenn der Hundertste scheitert, so ist er gewiß ein dum¬ mer Teufel, der seine Intrige nicht zu führen versteht; denn die Operation ist heutzutage so sicher, daß man die alten Vorsichts¬ maßregeln längst vergessen hat. Früher floh der Bankerottier nach Trient, Lüttich oder Carouge, aber seit der Wiedergeburt 10 von 1789 ist dieser Gebrauch abgekommen. Jeder macht jetzt Bankerott en famille. Man bereitet die Sache ruhig vor, und wenn sie ausbricht, so geht man für einen Monat aufs Land in den Schoß seiner Verwandten und Freunde; der Notar bringt indes alles in Ordnung. Nach einigen Wochen erscheint man wieder, is und das Publikum ist so sehr an diese Geschichte gewöhnt, daß es sie als einen artigen Scherz behandelt; man nennt das: in Wochen kommen, und sagt höchst kaltblütig: da ist ja der und der wieder, der hat eben sein Wochenbett überstanden. Ich habe bemerkt, daß der Bankerott das einzige soziale Ver- 20 brechen ist, welches epidemisch wird und den ehrlichen Mann mit Gewalt in die Bahn des Schuftes reißt. Wenn man dem Bankerott die Agiotage und so viele andere Infamien hinzufügt, so wird man finden, daß ich recht hatte, wenn ich behauptete, nie hätten die Zivilisierten eine solche Menge politischer Torheiten begangen, 25 als seitdem sie sich auf den Handel geworfen haben. Nie haben die Philosophen, die nichts als lauter Gegengewichte und Garantien träumen, daran gedacht, dem sozialen Körper jene Garantie zu verschaffen, welche die Regierungen, einsichtig genug, von ihren Fiskalagenten fordern! Ein Fürst versichert sich der Rechtlich- 30 keit seines Empfängers durch eine Geldkaution und die Aussicht auf eine unvermeidliche Strafe, wenn er es wagen sollte, die bei ihm deponierten öffentlichen Gelder aufs Spiel zu setzen oder zu verschwenden. Warum erleben wir es nicht, daß die Einnehmer öffentlicher Gelder sich den Ertrag der Steuern aneignen und zur 35 Regierung in einer lamentablen Epistel etwa so sprechen: Die Un¬ glücke der Zeit, die kritischen Umstände, die beklagenswerten Unfälle etc., kurz, ich mache Bankerott, Fallit oder wie ihr es nennen wollt. Eure Kasse soll zehn Millionen enthalten; ich biete Euch davon die Hälfte an, fünf Millionen, zahlbar in fünf Jahren. io Laßt Euch rühren durch das Unglück eines bejammernswerten Einnehmers; bewahrt mir Euer Vertrauen und die Verwaltung Euerer Kasse, ohne die ich Euch nicht einmal die Hälfte zahlen könnte, die ich Euch jetzt anbiete; aber wenn Ihr mir meine An¬ stellung und meine Einnahmen laßt, so werde ich mich bemühen, 45 meinen Verpflichtungen ehrenvoll nachzukommen, d. h. Euch mit Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 29
450 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 einem zweiten Bankerott zu regalieren, sowie die Kasse wieder voll ist. Das ist in kurzem der Inhalt aller Fallitenbriefe. Wenn die Ein¬ nehmer diesem Beispiel nicht folgen, so kommt das, weil sie wis¬ sen, daß keine philosophische Theorie sie vor der Strafe schützen kann, der der Bankerottier entgeht — unter dem Schutze des Prin¬ zips: Laßt den Kaufleuten volle Freiheit, ohne eine Garantie gegen ihre Umtriebe zu fordern. Soweit Fourier. Die Fortsetzung dieses Artikels im zweiten Hefte der „Phalange“ enthält drei Kapitel über Agiotage, Aufkauf 10 (accaparement) und Parasitismus, die aber bereits größtenteils in den „quatre mouvements“ abgedruckt worden sind. Teils aus diesem Grunde, teils weil dies obige Fragment meinem Zwecke vollständig entspricht, breche ich hier ab. Die gelehrten Herren Deutschen, die so eifrig auf dem „wilden v> Lebermeer66 der grundlosen Theorie umhersegeln und vor allem nach „dem Prinzip66 des „Sozialismus66 fischen, mögen sich an dem commis marchand Fourier ein Exempel nehmen. Fourier war kein Philosoph, er hatte einen großen Haß gegen die Philosophie und hat sie in seinen Schriften grausam verhöhnt, und bei dieser 20 Gelegenheit eine Menge Sachen gesagt, die unsere deutschen „Phi¬ losophen des Sozialismus66 wohltäten, sich zu Herzen zu nehmen. Sie werden mir freilich entgegnen, daß Fourier ebenfalls „ab¬ strakt66 war, daß er mit seinen Serien Gott und die Welt trotz Hegel konstruierte, aber das rettet sie nicht. Die immer noch genialen 25 Bizarrerien Fouriers entschuldigen nicht die ledernen sogenannten Entwicklungen der trockenen deutschen Theorie. Fourier kon¬ struiert sich die Zukunft, nachdem er die Vergangenheit und Gegenwart richtig erkannt hat; die deutsche Theorie macht sich erst die vergangene Geschichte nach ihrem Belieben zurecht und 30 kommandiert dann ebenfalls der Zukunft, welche Richtung sie nehmen soll. Man vergleiche z. B. Fouriers Epochen der sozialen Entwickelung (Wildheit, Patriarchat, Barbarei, Zivilisation) und ihre Charakterisierung mit der Hegelschen absoluten Idee, wie sie sich mühsam durch das Labyrinth der Geschichte durcharbeitet 35 und trotz der vier Weltreiche am Ende doch noch mit Ach und Krach den Schein einer Trichotomie zustande bringt — von nach- hegelschen Konstruktionen gar nicht zu sprechen. Denn wenn bei Hegel die Konstruktion doch noch einen Sinn, wenn auch einen verkehrten, hatte, so hat sie bei den nachhegelschen Entwicke- 40 lungsfabrikanten gar keinen mehr. Die Deutschen sollten wahrhaftig endlich aufhören, von ihrer Gründlichkeit so viel Wesens zu machen. Mit drittehalb mageren
Ein Fragment Fouriers über den Handel 451 Daten sind sie imstande, Euch das Hundertste und Tausendste nicht nur zusammen, sondern auch in seinen Zusammenhang mit der Weltgeschichte zu bringen. Von der ersten besten Tatsache, die ihnen aus dritter Hand zukommt, von der sie gar nicht einmal 5 wissen, ob sie sich so und nicht anders zugetragen hat, beweisen sie Euch, daß sie sich so und nicht anders habe zutragen müs¬ sen. Wer hat in Deutschland über soziale Fragen geschrieben und nicht auch über Fourier irgend etwas gesagt, wodurch die deutsche Gründlichkeit aufs gründlichste blamiert wird! Da ist 10 unter andern ein Herr Kaiser, der das „vortreffliche Werk von L. Stein“ sogleich zu einer welthistorischen Konstruktion benutzt hat, bei der es nur schade ist, daß sämtliche zugrunde gelegte Tatsachen falsch sind. Fourier hat von der deutschen Theorie schon wenigstens zwanzigmal seine „Stelle in der Entwickelung ja der absoluten Idee“ angewiesen erhalten — und jedesmal eine andere Stelle — und jedesmal verließ sich die deutsche Theorie in Beziehung auf den Tatbestand auf Herrn Stein oder sonstige unsaubere Quellen. Daher ist denn auch der deutsche „absolute Sozialismus“ so erschrecklich pauvre. Etwas „Menschentum“, 20 wie man das Dings neuerlich tituliert, etwas „Realisierung“ dieses Menschentums oder vielmehr Ungetüms, etwas Weniges über das Eigentum aus Proudhon — dritte oder vierte Hand — etwas Pro¬ letariatsjammer, Organisation der Arbeit, die Vereinsmisere zur Hebung der niederen Volksklassen, nebst einer grenzenlosen Un- 25 wissenheit über die politische Ökonomie und die wirkliche Gesell¬ schaft — das ist die ganze Geschichte, die noch dazu durch die theoretische Unparteilichkeit, die „absolute Ruhe des Gedankens“, den letzten Tropfen Blut, die letzte Spur von Energie und Spann¬ kraft verliert. Und mit dieser Langeweile will man Deutschland 30 revolutionieren, das Proletariat in Bewegung setzen, die Massen denken und handeln machen? — Wenn sich unsere deutschen halb und ganz kommunistischen Dozenten nur die Mühe gegeben hätten, die Hauptsachen von Fourier, die sie doch so leicht haben konnten wie irgend ein deut- 35 sches Buch, etwas anzusehen, welch eine Fundgrube von Material zum Konstruieren und sonstigen Gebrauch würden sie da ent¬ deckt haben! Welche Masse von neuen Ideen — auch heute noch neu für Deutschland — hätte sich ihnen da dargeboten! Die guten Leute wissen bis auf die heutige Stunde der jetzigen Gesellschaft 40 gar nichts vorzuwerfen als die Lage des Proletariats, und auch davon wissen sie nicht über die Maßen viel zu sagen. Allerdings ist die Lage des Proletariats der Hauptpunkt, aber ist damit die Kritik der heutigen Gesellschaft abgemacht? Fourier, der außer in späteren Schriften diesen Punkt kaum berührt, liefert den Be- 45 weis, wie man auch ohne ihn die bestehende Gesellschaft als 29*
452 Aus dem Deutschen Bürgerbuch für 1846 durchaus verwerflich anerkennen, wie man allein durch die Kritik der Bourgeoisie, und zwar der Bourgeoisie in ihren inneren Be¬ ziehungen, abgesehen von ihrer Stellung zum Proletariat, zur Not¬ wendigkeit einer sozialen Reorganisation kommen kann. Für diese Seite der Kritik ist Fourier bis jetzt einzig. Fourier deckt die Heuchelei der respektablen Gesellschaft, den Widerspruch zwi¬ schen ihrer Theorie und ihrer Praxis, die Langeweile ihrer ganzen Existenzweise unerbittlich auf; er verspottet ihre Philosophie, ihr Streben nach der perfection de la perfectibilité perfectibilisante und der auguste vérité, ihre „reine Moral“, ihre einförmigen so¬ zialen Institutionen, und hält dagegen ihre Praxis, den doux com¬ merce, den er meisterhaft kritisiert, ihre liederlichen Genüsse, die keine Genüsse sind, ihre Organisation der Hahnreischaft in der Ehe, ihre allgemeine Konfusion. Alles das sind Seiten der be¬ stehenden Gesellschaft, von denen in Deutschland noch gar nicht die Rede gewesen ist. Freilich, man hat hier und da von der Frei¬ heit der Liebe, von der Stellung, der Emanzipation des Weibes gesprochen; aber was hat man zustande gebracht? Ein paar kon¬ fuse Phrasen, einige Blaustrümpfe, etwas Hysterie und ein gut Teil deutschen Familienjammer — nicht einmal ein Bastard ist dabei herausgekommen! Die Deutschen mögen zuerst einmal die praktische wie litera¬ rische soziale Bewegung des Auslandes kennenlernen — zu der praktischen Bewegung gehört die ganze englische und franzö¬ sische Geschichte seit achtzig Jahren, die Industrie Englands, die Revolution Frankreichs — dann mögen sie praktisch und lite¬ rarisch ebensoviel tun wie ihre Nachbarn, und erst dann wird es an der Zeit sein, dergleichen müßige Fragen aufzustellen, wie die über das größere oder geringere Verdienst der verschiedenen Nationen. Aber dann findet man kein Publikum mehr für diese spitzfindigen Disquisitionen. Bis dahin tun die Deutschen am besten, vor allen Dingen sich mit den Leistungen des Auslandes bekannt zu machen. Alle bisher hierüber erschienenen Bücher sind ohne Ausnahme schlecht. Dergleichen kurze Zusammenfassungen können ohnehin im besten Falle nur die Kritik der Sachen, nicht die Sachen selbst geben. Diese sind teils selten und in Deutschland nicht zu haben, teils zu voluminös, teils mit Dingen vermischt, die nur noch von histo¬ rischem und literarischem Interesse sind und das deutsche Publi¬ kum von 1845 nicht mehr interessieren. Um diese Sachen, deren wertvoller Inhalt für Deutschland auch jetzt noch neu ist, zugäng¬ lich zu machen, ist eine Auswahl und Bearbeitung nötig, wie sie die Franzosen, viel praktischer als wir auch in diesen Sachen, mit allem ihnen vom Auslande her zukommenden Stoff vornehmen. Eine solche Bearbeitung der epochemachenden sozialistischen Li- 5 10 15 20 25 JO 35 40 45
Ein Fragment Fouriers über den Handel 453 teratur des Auslandes wird in kurzem zu erscheinen anfangen. Mehrere deutsche Kommunisten, unter ihnen die besten Köpfe der Bewegung, die ebenso leicht eigene Arbeiten geben könnten, haben sich zu diesem Unternehmen vereinigt, das hoffentlich den weisen 5 deutschen Theoretikern dartun wird, daß ihre ganze Weisheit eine alte, jenseits des Rheins und des Kanals schon längst pro et contra durchdiskutierte ist. Wenn sie erst gesehen haben, was vor ihnen getan worden ist, werden sie Gelegenheit finden zu zeigen, was sie tun können. 10 Brüssel. F. Engels.
AUFSATZ ÜBER DIE LONDONER INTERNATIONALE FESTVERSAMMLUNG zur Feier der französischen Republik am 22. Sept. 1845
Geschrieben Ende November — Dezember 1845. Erschienen in Rheinische Jahrbücher zur gesellschaflichen Reform. Herausgegeben unter Mitwirkung Mehrerer von Hermann Pütt¬ mann. Zweiter Band. Belle-Vue bei Constanz, Verlagsbuchhandlung zu Belle-Vue, 1846. p. 1—19.
Das Fest der Nationen in London (Zur Feier der Errichtung der französischen Republik, 22. Sept. 1792.) „Was gehen uns die Nationen an? Was geht uns die franzö¬ sische Republik an? Sind nicht die Nationen längst begriffen, 5 haben sie nicht alle ihre Stelle von uns angewiesen erhalten, haben wir nicht die Deutschen im theoretischen, die Franzosen im poli¬ tischen Fach, die Engländer in der bürgerlichen Gesellschaft untergebracht? Und vollends die französische Republik! Was ist bei einer Entwicklungsstufe zu feiern, die längst überwunden ist, 10 die sich durch ihre eignen Konsequenzen auf gehoben hat! Wenn ihr uns etwas aus England berichten wollt, entwickelt lieber die neueste Phase, in die das sozialistische Prinzip getreten ist, er¬ zählt uns, ob noch immer der einseitige englische Sozialismus nicht einsieht, wie tief er unter unsrer prinzipiellen Höhe steht, 15 wie er nur auf die Stelle eines Momentes, und zwar eines auf¬ gehobenen Momentes, Anspruch machen kann!" Ruhig, liebes Deutschland. Die Nationen und die französische Republik gehen uns sehr viel an. Die Fraternisierung der Nationen, wie sie jetzt überall durch 20 die extreme, proletarische Partei gegenüber dem alten naturwüch¬ sigen Nationalegoismus und dem heuchlerischen, privategoisti¬ schen Kosmopolitismus der Handelsfreiheit vollzogen wird, ist mehr wert als sämtliche deutsche Theorien über den wahren So¬ zialismus. 25 Die Fraternisierung der Nationen unter der Fahne der mo¬ dernen Demokratie, wie sie von der französischen Revo¬ lution ausgegangen, im französischen Kommunismus und eng¬ lischen Chartismus sich entwickelt hat, zeigt, daß die Massen und ihre Repräsentanten besser wissen, was die Glocke geschlagen hat, 3o als die deutsche Theorie. „Aber davon ist ja gar nicht die Rede! Wer spricht denn von der Fraternisierung, wie sie etc., von der Demokratie, wie sie etc.? Wir sprechen von der Fraternisierung der Nationen an und für sich, von der Fraternisierung der Nationen, von der 35 Demokratie, von der Demokratie schlechthin, von der Demokratie als solcher. Habt Ihr denn Euren Hegel ganz vergessen?" Wir sind keine Römer, wir rauchen Tabak. Wir sprechen nicht von der antinationalen Bewegung, die jetzt in der Welt vor sich geht, wir sprechen von der Aufhebung der Nationalitäten, die
458 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1846 sich vermittelst des reinen Gedankens — mit Hilfe der Phantasie, in Ermanglung der Tatsachen — in unsrem Kopfe vollzieht. Wir sprechen nicht von der wirklichen Demokratie, der ganz Europa in die Arme rennt, und die eine ganz besondere Demo¬ kratie ist, unterschieden von allen früheren Demokratien, wir j sprechen von einer ganz andern Demokratie, die den Durchschnitt der griechischen, römischen, amerikanischen und französischen Demokratie bildet, kurz vom Begriff der Demokratie. Wir sprechen nicht von den Dingen, die dem neunzehnten Jahr¬ hundert angehören und schlecht und vergänglich sind, wir spre- 10 chen von den Kategorien, die ewig sind und die da existierten, „ehe denn die Berge waren“. Kurz wir sprechen nicht von dem, wovon die Rede ist, sondern von ganz etwas anderem. Um die Sache kurz zu fassen: wenn heutzutage bei Engländern und Franzosen und bei denjenigen Deutschen, die bei der prak- h tischen Bewegung beteiligt, die keine Theoretiker sind, von De¬ mokratie, von Fraternisierung der Nationen die Rede ist, so hat man sich dabei durchaus nichts bloß Politisches zu denken. Der¬ gleichen Phantasien existieren nur noch bei den deutschen Theore¬ tikern und einigen wenigen Ausländem, die nicht zählen. In der 20 Wirklichkeit haben diese Worte jetzt einen sozialen Sinn, in den die politische Bedeutung aufgeht. Schon die Revolution war etwas ganz anderes als der Kampf um diese und jene Staatsform, wie man sich in Deutschland noch häufig genug einbildet. Der Zu¬ sammenhang der meisten Insurrektionen jener Zeit mit einer 23 Hungersnot, die Bedeutung, die die Verproviantierung der Haupt¬ stadt und die Verteilung der Vorräte schon von 1789 an hat, das Maximum, die Gesetze gegen den Aufkauf der Lebensmittel, der Schlachtruf der revolutionären Armeen: Guerre aux palais, paix aux chaumieres — das Zeugnis der Carmagnole, nach der der Re- 30 publikaner neben du fer und du coeur auch du pain haben muß — und hundert andre auf der Hand liegende Äußerlichkeiten be¬ weisen schon, abgesehen von aller genaueren Untersuchung der Tatsachen, wie sehr die damalige Demokratie etwas ganz anderes war als eine bloße politische Organisation. Ohnehin ist es be- 35 kannt, daß die Konstitution von 1793 und der Terrorismus von derjenigen Partei ausging, die sich auf das empörte Proletariat stützte, daß der Sturz Robespierres den Sieg der Bourgeoisie über das Proletariat bezeichnet, daß die Verschwörung Babeufs für die Gleichheit die letzten Konsequenzen der 93er Demokratie — 40 soweit sie damals möglich waren — an den Tag brachte. Die fran¬ zösische Revolution war von Anfang bis zu Ende eine soziale Bewegung, und nach ihr ist eine rein politische Demokratie voll¬ ends ein Unding geworden. Die Demokratie, das ist heutzutage der Kom■
Das Fest der Nationen in London 459 munismus. Eine andre Demokratie kann nur noch in den Köpfen theoretischer Visionäre existieren, die sich nicht um die wirklichen Ereignisse kümmern, bei denen nicht die Menschen und die Umstände die Prinzipien, sondern die Prinzipien sich 5 selbst entwickeln. Die Demokratie ist proletarisches Prinzip, Prin¬ zip der Massen geworden. Die Massen mögen über diese einzig richtige Bedeutung der Demokratie mehr oder weniger klar sein, aber für alle liegt wenigstens das dunkle Gefühl der sozialen gleichen Berechtigung in der Demokratie. Die demokratischen 10 Massen können bei der Berechnung der kommunistischen Streit¬ kräfte ruhig mitgezählt werden. Und wenn sich die proletarischen Parteien verschiedener Nationen vereinigen, so haben sie ganz recht, das Wort Demokratie auf ihre Fahnen zu schreiben, denn mit Ausnahme derjenigen, die nicht zählen, sind im Jahre 1846 15 alle europäischen Demokraten mehr oder weniger klare Kom¬ munisten. Die Feier der französischen Republik ist trotz aller „Über¬ windung66 derselben für die Kommunisten aller Länder ebenfalls vollständig berechtigt. Erstens sind alle Völker, die dumm genug 20 waren, sich zur Bekämpfung der Revolution gebrauchen zu lassen, den Franzosen öffentliche Genugtuung schuldig, seitdem sie ein¬ sehen gelernt haben, welch eine Sottise sie aus Untertanentreue begingen; zweitens ist die ganze europäische soziale Bewegung von heute nur der zweite Akt der Revolution, nur die Vorbereitung 25 für das Denouement des Dramas, das 1789 in Paris anfing und jetzt ganz Europa zu seinem Schauplatz hat; drittens ist es in unsrer feigen, selbstsüchtigen, bettelhaften Bourgeoisepoche an der Zeit, das Gedächtnis jener großen Jahre zurückzurufen, wo ein ganzes Volk einen Augenblick alle Feigheit, alle Selbstsucht 30 und Bettelhaftigkeit beiseite warf, wo es Männer gab, die den Mut der Ungesetzlichkeit hatten, die vor nichts zurückschreckten, und deren stählerne Energie es durchsetzte, daß vom 31. Mai 1793 bis zum 26. Juli 1794 in ganz Frankreich keine Memme, kein Krämer, kein Agioteur, kurz kein Bourgeois sich sehen lassen durfte. Wahr¬ es haftig, es ist nötig, in der Zeit, wo ein Rothschild den europäischen Frieden zusammenhält, ein Vetter-Köchlin um Schutzzölle, ein Cobden um Handelsfreiheit schreit, und ein Diergardt die Er¬ lösung der sündigen Menschheit durch Vereine zur Hebung der arbeitenden Klassen predigt—wahrhaftig, es ist nötig zu erinnern 40 an Marat und Danton, Saint-Just und Babeuf, an die Siegesfreude von Jemappes und Fleurus. Wenn diese gewaltige Zeit, diese ehernen Charaktere nicht noch immer in unsre Krämerwelt herein¬ ragten, wahrhaftig, die Menschheit müßte verzweifeln und sich einem Vetter-Köchlin, Cobden oder Diergardt auf Diskretion in 45 die Arme stürzen.
460 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1846 Endlich hat die Fraternisierung der Nationen heutzutage eben¬ falls mehr als je eine rein soziale Bedeutung. Die Hirngespinste von europäischer Republik, ewigem Frieden unter der politischen Organisation sind ebenso lächerlich geworden wie die Phrasen von der Vereinigung der Völker unter der Ägide allgemeiner Handels- 5 freiheit; und während so alle chimärischen Sentimentalitäten die¬ ser Art ganz außer Kurs kommen, fangen die Proletarier aller Nationen, ohne viel Wesens davon zu machen, schon an, unter dem Banner der kommunistischen Demokratie wirklich zu fraternisieren. Die Proletarier sind auch die einzigen, die 10 dies wirklich können; denn die Bourgeoisie hat in jedem Lande ihre Spezialinteressen und kann, da ihr das Interesse das Höchste ist, nie über die Nationalität hinauskommen; und die paar Theore¬ tiker bringen mit all ihren schönen „Prinzipien66 nichts fertig, weil sie diese widersprechenden Interessen, wie überhaupt alles 15 Bestehende, ruhig fortbestehen lassen und nur Phrasen machen können. Die Proletarier aber haben in allen Ländern ein und das¬ selbe Interesse, einen und denselben Feind, einen und denselben Kampf vor sich; die Proletarier sind der großen Masse nach schon von Natur ohne Nationalvorurteile, und ihre ganze Bildung und 20 Bewegung ist wesentlich humanitarisch, antinational. Die Prole¬ tarier allein können die Nationalität vernichten, das erwachende Proletariat allein kann die verschiedenen Nationen fraternisieren lassen. Die nachfolgenden Tatsachen werden den faktischen Beweis zu 25 allem, was ich hier gesagt habe, liefern. Schon am 10. August v. J. fand in London ein ähnliches Fest zur Feier eines dreifachen Jahrestages — der Revolution von 1792, der Proklamierung der Konstitution von 1793 und der Stif¬ tung der „demokratischen Assoziation66 durch die radikalste Frak- 30 tion der englischen Bewegungspartei von 1838/39 — statt. Diese radikalste Fraktion bestand aus Chartisten, Proletariern, wie sich das von selbst versteht, die aber das Ziel der chartisti¬ schen Bewegung klar voraussahen und es zu beschleunigen streb¬ ten. Während es der Masse der Chartisten damals noch allein um 35 die Übertragung der Staatsmacht an die Arbeiterklasse zu tun war, und noch wenige die Zeit gehabt hatten über den Gebrauch dieser Macht nachzudenken, waren die Mitglieder dieser Assoziation, die in der damaligen Aufregung eine bedeutende Rolle spielte, dar¬ über einig — sie waren zuerst Republikaner, und zwar Republi- 40 kaner, die die Konstitution vom Jahre 93 als ihr Glaubensbekennt¬ nis auf stellten, alle Verbindung mit der Bourgeoisie, auch der kleinen, zurückstießen und den Satz verteidigten, daß der Unter¬ drückte das Recht zum Gebrauche aller Mittel gegen seinen Be¬ drücker habe, die der Unterdrücker gegen ihn anwende. Auch 45
Das Fest der Nationen in London 461 hierbei blieben sie nicht stehen, sie waren nicht nur Republikaner, sondern Kommunisten und zwar irreligiöse Kommunisten. Die Assoziation zerfiel mit der revolutionären Aufregung von 1838/39; aber ihre Wirksamkeit ist nicht verloren gewesen und hat sehr 5 dazu beigetragen, die Energie der chartistischen Bewegung zu stärken, die in ihr liegenden kommunistischen Elemente zu ent¬ wickeln. Schon an diesem Feste des zehnten August wurden so¬ wohl kommunistische wie kosmopolitische Prinzipien ausge¬ sprochen ; neben der politischen wurde soziale Gleichheit ge- io fordert und ein Toast auf die Demokraten aller Nationen mit Enthusiasmus aufgenommen. Es waren schon früher in London Versuche gemacht worden, die Radikalen der verschiedenen Nationen zusammenzubringen; diese Versuche waren bald an inneren Spaltungen der englischen 15 Demokraten und der Unkenntnis derselben von Seiten der Aus¬ länder, bald an prinzipiellen Differenzen der Parteiführer der verschiedenen Nationen gescheitert. So groß ist das Hindernis aller Vereinigung, das in der verschiedenen Nationalität liegt, daß selbst die seit Jahren in London ansässigen Ausländer, so sehr 20 sie mit der englischen Demokratie sympathisierten, dennoch von der unter ihren Augen vorgehenden Bewegung, von dem wirklichen Stande der Dinge, so gut wie gar nichts wußten, die radikalen Bourgeois mit den radikalen Proletariern verwechselten und die prononciertesten Feinde in einer und derselben Versammlung 25 freundschaftlich zusammenbringen wollten. Die Engländer wur¬ den teils hierdurch, teils durch nationales Mißtrauen zu ähnlichen Verstößen geleitet, die umso leichter möglich waren, als das Ge¬ lingen einer solchen Verhandlung notwendig von dem größeren oder geringeren Einverständnis weniger an der Spitze stehender, 30 einander persönlich selten bekannter Komiteemitglieder abhing. Bei den früheren Versuchen waren diese Individuen möglichst unglücklich gewählt, und dadurch wurde die Sache jedesmal sehr bald wieder zum Einschlafen gebracht. Aber das Bedürfnis einer solchen Fraternisierung war zu lebhaft. Jeder gescheiterte Ver- 35 such reizte nur zu einem neuen Anlauf. Wenn einige der demokra¬ tischen Wortführer in London der Sache überdrüssig wurden, so traten andre an ihre Stelle; im verflossenen August fanden wieder Annäherungen statt, die diesmal nicht fruchtlos waren, und eine bereits von andrer Seite her angekündigte Feier des 22. Septem- 40 bers wurde benutzt, um die Allianz der in London ansässigen De¬ mokraten aller Nationen öffentlich zu erklären. In dieser Versammlung waren Engländer, Franzosen, Deutsche, Italiener, Spanier, Polen und Schweizer vereinigt. Auch Ungarn und die Türkei stellten je einen Mann Kontingent. Die drei großen 45 Nationen des zivilisierten Europas, Engländer, Deutsche und
462 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1846 Franzosen führten das Wort und waren auf sehr würdige Weise vertreten. Präsident war natürlich ein Engländer, Thomas Cooper „der Chartist“, der wegen Teilnahme an der Insurrek¬ tion von 1842 fast zwei Jahre im Gefängnis gehalten wurde und dort ein Epos im Stile des Childe Harold schrieb, das von den eng- 5 lischen Kritikern sehr gerühmt wird. Der Hauptredner des Abends war englischerseits George Julian Harney, seit zwei Jah¬ ren Mitredakteur des „Northern Star“. Der „Northern Star“ ist das von O’Connor 1837 gegründete Organ des Chartismus, das, seit¬ dem es von J. Hobson und Harney gemeinschaftlich redigiert wird, 10 in jeder Beziehung eines der besten Blätter von Europa geworden ist — ich wüßte ihm nur einige kleine Pariser Arbeiterjoumale, namentlich die „Union“, an die Seite zu stellen. Harney selbst ist ein echter Proletarier, von Jugend auf in der Bewegung beteiligt, eines der Hauptmitglieder der erwähnten demokratischen Asso- 15 ziation von 1838/39 (er präsidierte am Feste des 10. August) und neben Hobson unbedingt der beste englische Schriftsteller, was ich gelegentlich den Deutschen zu beweisen gedenke. Harney ist über das Ziel der europäischen Bewegung vollständig im klaren und durchaus ä la hauteur des principes, obwohl er nichts von 20 den deutschen Theorien über den wahren Sozialismus weiß. Ihm gebührt das Hauptverdienst in der Veranstaltung dieses kosmo¬ politischen Festes; er hat keine Mühe gescheut, die verschiedenen Nationalitäten zusammenzubringen, die Mißverständnisse zu be¬ seitigen, die persönlichen Differenzen zu überwinden. 25 Der von Harney ausgebrachte Toast lautete: „Dem feierlichen Gedächtnis der aufrichtigen und tugendhaften französischen Republikaner von 1792. Möge die Gleichheit, die sie erstrebten, für die sie lebten, arbeiteten und starben, eine bal¬ dige Auferstehung in Frankreich erleben und ihr Reich über ganz 30 Europa ausdehnen.“ Harney, der mit doppelt und dreifach wiederholtem Beifall empfangen wurde, sagte: „Es gab eine Zeit, wo eine Feier wie die gegenwärtige uns nicht nur der Verachtung, dem Hohn, dem Spott und der Verfolgung der privilegierten Klassen, sondern auch den 35 Gewalttätigkeiten eines irregeleiteten und unwissenden Volks aus¬ gesetzt haben würde — eines Volks, das nach den Lehren seiner Pfaffen und Herrscher die französische Revolution als etwas Schreckliches und Höllisches ansah, als etwas, worauf man mit Entsetzen zurückblickt, wovon man mit Abscheu spricht. Ihr wer- det Euch erinnern — wenigstens die meisten von Euch — daß vor noch nicht langer Zeit, sowie hier in unsrem Vaterlande die Ab¬ schaffung eines schlechten oder die Erlassung eines guten Ge¬ setzes gefordert wurde, sogleich das Geschrei über „Jakobiner“ sich erhob. Verlangte man die Reform des Parlaments, die Herab- 45
Das Fest der Nationen in London 463 Setzung der Steuern, die nationale Erziehung oder irgend etwas anderes, das nach Fortschritt schmeckte, man konnte sicher sein, daß „die französische Revolution“, die „Schreckensherrschaft“ und der ganze Rest jener blutigen Phantasmagorie wieder herauf- 5 beschworen und gebührend zur Schau gestellt wurde, um die gro¬ ßen Kinder in Hosen und mit Bärten zu schrecken, die noch nicht selbst denken gelernt hatten. (Heiterkeit und Beifall.) Diese Zeit ist vergangen; dennoch zweifle ich, ob wir schon gelernt haben, die Geschichte jener großen Revolution richtig zu lesen. Es würde 10 sehr leicht für mich sein, bei Gelegenheit dieses Toastes einige verführerische Gefühle über Freiheit, Gleichheit und Menschen¬ rechte, die Koalition der europäischen Könige und die Taten Pitts und Braunschweigs abzudeklamieren; ich könnte alles das des brei¬ teren behandeln, vielleicht Beifall für eine für äußerst freisinnig gehaltene Rede erhalten, und doch die wirkliche Frage gar nicht berühren. Die große wirkliche Frage, die die französische Revo¬ lution zu lösen hatte, war die Zerstörung der Ungleich¬ heit und die Einführung von Institutionen, welche dem franzö¬ sischen Volk das Glück sichern würden, das die Massen zu allen 20 Zeiten bis jetzt entbehrt haben. Wenn wir die in der Revolution aufgetretenen Charaktere nach diesem Prüfstein beurteilen, so werden wir sie leicht richtig würdigen. Nehmt z. B. Lafayette als einen Vertreter des Konstitutionalismus, und er ist vielleicht der honettste und beste Mann der ganzen Partei. Wenige Männer er- 25 freuten sich größerer Popularität als Lafayette. In seiner Jugend ging er nach Amerika und beteiligte sich am amerikanischen Kampf gegen englische Tyrannei. Nach Erringung der amerika¬ nischen Unabhängigkeit kehrte er nach Frankreich zurück, und bald darauf finden wir ihn als einen der Ersten in der Revolution, 30 die jetzt in seinem eignen Lande anfing. Wiederum in seinem Alter, finden wir ihn als den populärsten Mann in Frankreich, wto er nach den drei Tagen zum wahren Diktator gemacht wird, Könige absetzt und ernennt mit einem einzigen Wort. Lafayette hat in Eu¬ ropa und Amerika mehr Volksgunst genossen als vielleicht irgend 35 einer seiner Zeitgenossen; und diese Volksgunst würde er verdient haben, wenn er in seiner spätem Aufführung seinem ersten revolu¬ tionären Auftreten treugeblieben wäre. Aber Lafayette war nie der Freund der Gleichheit. (Hört, hört!) Allerdings, gleich anfangs gab er seinen Titel auf, entsagte seinen Feudalvorrechten — und 40 soweit war alles gut. An der Spitze der Nationalgarde stehend, das Idol der Bourgeoisie, gebietend selbst über die Neigungen der Arbeiterklasse, galt er eine Zeitlang für den Vorkämpfer der Re¬ volution. Aber er blieb stehen, als es Zeit war, vorwärts zu gehen. Das Volk fand bald, daß mit der Zerstörung der Bastille und der 45 Abschaffung der Feudalprivilegien, mit der Demütigung des Kö¬
464 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1846 nigs und der Aristokratie nichts erreicht war als die Ver¬ größerung der Macht der Bourgeoisie. Aber das Volk war hiermit nicht zufrieden (Beifall) ; — es verlangte Frei¬ heit und Rechte für sich, es verlangte, was wir ver¬ langen — eine wahre, volle Gleichheit. (Lauter 5 Beifall.) Als Lafayette dies sah, wurde er Konservativer, hörte er auf, Revolutionär zu sein. Er war es, der die Annahme des Kriegs¬ gesetzes vorschlug, um dadurch das Erschießen und Niederhauen des Volkes bei etwaigen Tumulten zu legitimieren — zu einer Zeit noch dazu, wo das Volk unter absoluter Hungersnot litt; und 10 unter diesem Kriegsgesetz leitete Lafayette selbst die Niedermetze- lung des Volks, als es am 17. Juli 1791 auf dem Champ de Mars versammelt war, um nach der Flucht des Königs nach Varennes an die Nationalversammlung gegen die Wiedereinsetzung dieses ab¬ trünnigen Staatsoberhaupts zu petitionieren. Später wagte es La-1.5 fayette, Paris mit seinem Schwert, die populären Klubs mit ge¬ waltsamer Schließung zu bedrohen. Nach dem zehnten August ver¬ suchte er, seine Soldaten zum Marsche gegen Paris zu verleiten; aber sie, bessere Patrioten als er, weigerten sich, und dann floh er und entsagte der Revolution. Und doch war Lafayette wohl der 20 beste Mann unter allen Konstitutionellen. Aber weder er noch seine Partei haben mit unserem Toast etwas zu tun, denn sie waren nicht einmal dem Namen nach Republikaner. Sie gaben vor, die Souveränität des Volks anzuerkennen, während sie zu gleicher Zeit dies Volk in aktive und nichtaktive Bürger teilten und das 2; Stimmrecht auf die Steuerzahlenden, die sie aktive Bürger nann¬ ten, beschränkten. Kurz, Lafayette und die Konstitutionellen waren bloße Whigs, wenig, wenn irgend besser als die Leute, die uns mit der Reform-Bill an der Nase herumgeführt haben. (Bei¬ fall.) Nach ihnen kommen die Girondisten, und diese sind die w Leute, die gewöhnlich für die „aufrichtigen und tugendhaften Re¬ publikaner“ ausgegeben werden. Ich kann diese Ansicht nicht teilen. Unmöglich können wir ihnen den Tribut unsrer Bewunde¬ rung für ihre Talente versagen, für die Beredsamkeit, die die An¬ führer dieser Partei auszeichnete, und zu der sich bei einigen, wie 35 Roland, unerschütterliche Integrität, bei andern, wie Frau Roland, heroische Aufopferung, bei noch andern, wie Barbaroux, feuriger Enthusiasmus gesellt. Und wir können — mir geht es wenigstens so — nicht ohne tiefe Bewegung von dem schreckenerregenden und frühzeitigen Tode der Frau Roland oder des Philosophen 40 Condorcet lesen. Aber bei alledem waren die Girondisten nicht die Leute, von denen das Volk Erlösung aus der sozialen Sklaverei erwarten durfte. Daß brave Leute unter ihnen waren, wird keinen Augenblick bezweifelt; daß sie aufrichtig in ihrer Überzeugung waren, kann zugegeben werden. Daß viele von ihnen mehr un- 43
Das Fest der Nationen in London 465 wissend als schuldig waren, mögen wir vielleicht glauben — ob¬ wohl nur von denen, die umkamen; denn wenn wir die ganze Par¬ tei nach denen beurteilen müßten, die das sogenannte Schreckens¬ reich überlebten, so wären wir zu dem Schluß gezwungen, daß eine 5 niederträchtigere Rotte nie existierte. Diese überlebenden Giron¬ disten halfen die Konstitution von 1793 zerstören, führten die aristokratische Konstitution von 1795 ein, verschworen sich mit andern aristokratischen Fraktionen zur Ausrottung der echten Re¬ publikaner und halfen endlich Frankreich unter den Militär- io despotismus des Usurpators Napoleon bringen. (Hört, hört!) Die Beredsamkeit der Girondisten ist hochgepriesen worden; aber wir unerschütterlichen Demokraten können sie nicht bloß deswegen bewundern, weil sie beredt waren — in der Tat, hätten wir so zu handeln, so müßten wir die höchsten Ehren dem erkauften und 15 aristokratischen Mirabeau zuerkennen. Als das für die Freiheit aufgestandene Volk, die Fesseln vierzehnhundertjähriger Skla¬ verei sprengend, seine Wohnstätten verließ, um auf die Ver¬ schwörer im Innern, die Invasionsarmeen an den Grenzen zu stür¬ zen, brauchte es etwas mehr als die beredten Diskurse und schön- 20 gewobenen Theorien der Gironde, um sich zu halten. „Brot, Stahl und Gleichheit46 forderte das Volk — (Beifall) — Brot für seine hungernden Familien, Stahl gegen die Kohorten des Despotismus, Gleichheit als Ziel seiner Arbeit und Lohn für seine Opfer. (Lau¬ ter Beifall.) Die Girondisten dagegen sahen das Volk, um mit 25 Thomas Carlyle zu sprechen, nur für „explosible Massen an, wo¬ mit man Bastillen sprengt“, die man als Werkzeuge gebraucht und als Sklaven behandelt. Sie schwankten zwischen dem König¬ tum und der Demokratie, sie versuchten vergebens, die ewige Ge¬ rechtigkeit durch ein Abfinden zu betrügen. Sie fielen, und ihr Fall 50 war verdient. Die Männer von Energie traten sie nieder, das Volk fegte sie weg. Von den verschiedenen Fraktionen der Bergpartei finde ich nur Robespierre und seine Freunde der Erwähnung wert. (Großer Beifall.) Die große Masse des Berges bestand aus Räubern, die nur besorgt waren, für sich die Beute der Revolution 35 zu erhaschen und denen nichts am Volke lag, dessen Arbeit, Lei¬ den und Mut die Revolution durchgesetzt hatte. Diese Desperados, eine Zeitlang die Sprache der Freunde der Gleichheit anwendend und mit ihnen gegen die Konstitutionellen und Girondins kämp¬ fend, zeigten sich in ihrem wahren Licht, als die offenen Tod- 40 feinde der Gleichheit, sowie sie zur Herrschaft kamen. Durch diese Partei wurde Robespierre gestürzt und ermordet, und Saint- Just, Couthon und alle Freunde jenes unbestechlichen Gesetz¬ gebers dem Tode geweiht. Nicht zufrieden, die Freunde der Gleichheit vernichtet zu haben, häuften diese Meuchelmörder noch 45 auf ihren Namen die infamsten Verleumdungen und standen nicht Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 30
466 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1846 an, ihre Opfer der Verbrechen anzuklagen, die sie selbst begangen hatten. Ich weiß, es ist noch immer unfashionabel, Robespierre für etwas andres als ein Ungeheuer anzusehen, aber ich glaube, daß der Tag nahe ist, wo eine ganz andre Meinung über den Cha¬ rakter dieses außerordentlichen Mannes sein wird. Ich will Robes- 0 pierre nicht vergöttern, ihn nicht für vollkommen halten; aber mir scheint er immer einer der sehr wenigen revolutionären Volks¬ führer gewesen zu sein, die die nötigen Mittel erkannten und an¬ wandten,b um politisches und soziales Unrecht auszurotten. (Gro¬ ßer Beifall.) Ich habe nicht Zeit, über den Charakter des unbeug-10 samen Marat, über Saint-Just, diese glänzende Inkorporation repu¬ blikanischer Ritterlichkeit zu sprechen; ebenso habe.ich nicht Zeit, die vortrefflichen legislativen Maßregeln aufzuzählen, die die energische Herrschaft Robespierres auszeichneten. Der Tag wird kommen, wiederhole ich, wo seinem Namen Gerechtigkeit wider-15 fahren wird. (Beifall.) — Für mich liegt der stärkste Beweis für den wirklichen Charakter Robespierres in dem allgemeinen Be¬ dauern, das die ihn überlebenden aufrichtigen Demokraten für ihn empfanden — auch diejenigen von ihnen, die, seine Absichten ver¬ kennend, sich hatten verleiten lassen, seinen Sturz zu beschleu- 20 nigen, die aber, als es zu spät war, ihre Torheit bitter bereuten. Babeuf war einer von diesen, der Urheber der berühmten, nach ihm benannten Verschwörung. Diese Verschwörung hatte zu ihrem Zweck die Errichtung einer wahren Republik, in der die Selbstsucht des Individualismus unbekannt sein 25 sollte — (Beifall) — in der Privateigentum und Geld, die Wurzel alles Übels, aufhören sollten zu existieren — (Beifall) — in der das Glück aller basiert sein sollte auf die gemeinsame Arbeit und die glei¬ chen Genüsse von allen. (Großer Beifall.) —Diese 30 ruhmvollen Männer verfolgten ihr ruhmvolles Ziel bis zum Tode. Babeuf und Darthe besiegelten ihre Überzeugung mit ihrem Blut, und Buonarroti beharrte durch Jahre von Gefängnis, Mangel und Alter in seiner Verteidigung der großen Prinzipien, die wir heute abend zu proklamieren wagen. Dann muß ich noch die heroischen 35 Deputierten Rome, Soubrany, Duroy, Duquesnoy und ihre Ge¬ fährten erwähnen, die, von den aristokratischen Verrätern des Konvents zum Tode verurteilt, in Gegenwart und zum Trotz ihrer Mörder sich selbst mit einem einzigen Dolch, der von Hand zu Hand ging, den Tod gaben. Soviel über den ersten Teil unsres 40 Toastes. Der zweite Teil erfordert nur wenige Worte von meiner Seite, da hierüber am besten die anwesenden franzö¬ sischen Demokraten sprechen werden. Daß die Prinzipien der Gleichheit eine glorreiche Auferstehung erleben werden, daran ist kein Zweifel; in der Tat, diese Auferstehung haben sie 45
Das Fest der Nationen in London 467 schon erlebt, nicht allein in der Gestalt des Republikanismus, sondern auch des Kommunismus; denn soviel ich weiß, ist ganz Frankreich jetzt von kommunistischen Gesellschaften bedeckt; aber dies weiter auszuführen überlasse ich meinem Freunde Dr. 5 Fontaine und seinen Landsleuten. Ich freue mich sehr, daß diese ehrenwerten Demokraten anwesend sind. Sie werden heute abend durch ihre eigenen Sinne sich von der Absurdität der Tiraden der französischen Kriegspartei gegen das englische Volk überzeugen können. (Beifall.) Wir stoßen diese nationalen Antipathien weit 10 von uns zurück; wir verachten, wir haben Ekel vor diesen barba¬ rischen Lockspeisen und Ködern, wie „natürliche Feinde“, „Erb¬ feind“ und „nationaler Ruhm“. (Lauter Beifall.) Wir hassen alle Kriege, ausgenommen die, zu welchen ein Volk gezwungen wird gegen innere Bedrückung und auswärtige Invasion. (Beifall.) Ja, mehr als das, wir stoßen zurück das Wort „Auslän¬ der“ — es soll nicht länger in unserm demokra¬ tischen Wörterbuch existieren. (Großer Beifall.) Wir mögen zur englischen, französischen, italienischen oder deut¬ schen Sektion der europäischen Familie gehören, aber „das junge 20 Europa“ ist unser gemeinsamer Name, und unter seiner Fahne ziehen wir gemeinschaftlich aus gegen Tyrannei und Ungleich¬ heit.“ (Dauernder und enthusiastischer Beifall.) Nachdem ein deutscher Kommunist die Marseillaise gesungen hatte, brachte Wilhelm Weitling den zweiten Toast aus: 25 „Dem jungen Europa. Mögen die Demokraten aller Nationen, von sich werfend die Eifersucht und Nationalantipathie der Ver¬ gangenheit, sich in einer brüderlichen Phalanx vereinigen zur Zer¬ störung der Tyrannei und zum allgemeinen Triumph der Gleich¬ heit.“ 30 Weitling, der mit vielem Enthusiasmus empfangen wurde, las — da er nicht flüssig englisch spricht — folgende Rede ab: „Freunde! Diese Versammlung ist ein Zeugnis für jenes ge¬ meinsame Gefühl, das die Brust jedes Menschen durchglüht, für das Gefühl der allgemeinen Brüderlichkeit. Ja! obwohl wir in- 35 folge unsrer Erziehung verschiedene Laute gebrauchen, um dies gemeinsame Gefühl einander mitzuteilen, obwohl der Austausch dieses Gefühls durch die Verschiedenheit der Sprache gehemmt wird, obwohl Tausende von Vorurteilen von unsern gemeinsamen Gegnern vereinigt und angewandt werden, um ein besseres Ver- 40 ständnis, eine allgemeine Brüderlichkeit eher zu hindern als zu be¬ fördern— dennoch, trotz aller dieser Hindernisse, läßt sich dieses gewaltige, liebevolle Gefühl nicht ausrotten — (Beifall) — dies Gefühl, das den Leidenden zu seinem Leidensgenossen, den Kämp¬ fer für einen besseren Zustand zu seinem Mitkämpfer hinzieht. 45 (Beifall.) Auch jene waren unsre Mitkämpfer, deren Revolution 30*
468 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1846 wir heute abend feiern; auch sie waren von denselben Sympathien belebt, die uns zusammenbringen und die uns vielleicht zu einem ähnlichen, und laßt uns hoffen, zu einem erfolgreicheren Kampfe führen werden. (Lauter Beifall.) — In Zeiten der Bewegung, wenn die Privilegien unsrer einheimischen Feinde große Gefahr 5 laufen, bemühen diese sich, unsre Vorurteile über die Grenzen unsres natürlichen Vaterlandes hinauszuleiten und uns glauben zu machen, daß die Leute jenseits unsrem gemeinsamen Interesse feindselig sind. Welch ein Betrug! Wenn wir ruhig über die Sache nachdenken, so sehen wir sehr bald ein, daß unsre allernächsten 10 Feinde unter uns selbst, in unsrer eignen Mitte sind. (Hört, hört, und Beifall.) Nicht den auswärtigen Feind haben wir zu fürchten — dieser arme Feind wird behandelt wie wir; wie wir muß er für Tausende von nichtsnutzigen Kerlen arbeiten; wie wir greift er zu den Waffen gegen irgend eine Gesellschaft von Menschen, weil 15 er dazu gezwungen wird durch den Hunger und das Gesetz, dazu aufgereizt durch seine von Unwissenheit genährten Leidenschaf¬ ten. Die Herrscher der Nationen sagen uns, unsre Brüder seien grausam und raubsüchtig; aber wer ist raubsüchtiger als die, die uns regieren, die uns in den Waffen unterrichten lassen, die um 20 ihrer eignen Privilegien willen uns zum Kriege reizen und in den Krieg führen? (Beifall.) Ist es wirklich unser gemeinschaftliches Interesse, das den Krieg nötig macht? Ist es das Interesse der Schafe, von Wölfen angeführt, gegen andre, ebenfalls von Wölfen angeführte Schafe zu kämpfen? (Lauter Beifall.) Sie selbst sind 25 unsre raubsüchtigsten Feinde; sie haben uns alles genommen was unser war, um es in Vergnügungen und Liederlichkeit zu ver¬ schwenden. (Beifall.) Sie nehmen von uns was unser ist, denn alles was sie verwenden, ist von uns produziert und sollte denen ge¬ hören, die es produzieren, ihren Weibern und Kindern, ihren Grei- 30 sen und Kranken. (Lauter Beifall.) Aber seht, wie alles uns durch ihre schlauen Pfiffe gestohlen und für eine Rotte fauler Umsonst- fresser aufgespart wird. (Beifall.) Ist es also möglich, durch einen ausländischen Feind noch mehr beraubt zu werden, als durch unsre eignen Feinde zu Hause? Ist es denn noch möglich, 35 daß unser Volk vom Ausländer noch mehr gemordet wird als durch unsre gefühllosen Geldmänner, die uns berauben durch ihr Börsenspiel, Geldschachern und Spekulieren, durch ihr Geld¬ system und ihre Bankerotte, durch ihre Monopole, Kirchen- und Grundrenten, die uns durch alle diese Mittel der nötigsten Lebens- 40 bedürfnisse berauben und den Tod von Millionen unsrer arbei¬ tenden Brüder verursachen, denen sie nicht einmal Kartoffeln genug lassen, um davon ihr Leben zu fristen! (Großer Beifall.) Ist es daher nicht hinreichend klar, daß diejenigen, die alles durch das Geld und nichts ohne das Geld sind, die wahren Feinde der 45
Das Fest der Nationen in London 469 Arbeiter in allen Ländern sind, daß unter allen Menschen keine andern Feinde des Menschengeschlechts existieren als die Feinde der Arbeiter? (Beifall.) Ist es also möglich, daß wir mehr be¬ stohlen und mehr gemordet werden in der Zeit eines politischen <5 Krieges, als es jetzt schon in einer sogenannten Friedenszeit ge¬ schieht? Nationalvorurteile, Blutvergießen und Räubereien wer¬ den von uns also bloß um des kriegerischen Ruhmes willen be¬ günstigt? Was hat unser Interesse zu gewinnen von solchem dummen Ruhm? (Beifall.) Was haben wir überhaupt damit zu 10 tun, wenn unser Interesse und unser besseres Gefühl ihm entgegen¬ stehen? (Beifall.) Müssen wir nicht die Kosten tragen? (Beifall.) Müssen wir nicht dafür arbeiten und bluten? (Erneuerter Beifall.) Was für ein Interesse können wir bei allen diesen Landräubereien und Blutvergießen haben, außer daß wir solche Gelegenheiten be- nutzen, um umzukehren und uns gegen die Raub und Mord brü¬ tende Aristokratie aller Nationen zu wenden? (Enthusiastischer Beifall.) Es ist nur diese Aristokratie, immer diese Aristokratie, die systematisch raubt und mordet. Die Armen sind nur ihre ge¬ zwungenen und unwissenden Werkzeuge, die aus jeder Nation ge- 20 wählt werden — diejenigen, die am meisten voll nationaler Vor¬ urteile stecken, diejenigen, die alle Nationen von ihrer eignen unterjocht sehen möchten. Aber bringt sie her in diese Versamm¬ lung, und sie werden sich verständigen, sich einander die Hände reichen. Wenn vor einer Schlacht die Verteidiger der Freiheit zu 25 den Reihen ihrer Brüder sprechen könnten, da würde keine Schlacht zustande kommen; im Gegenteil, es würde eine Ver¬ sammlung von Freunden werden wie die unsrige. 0, könnten wir nur eine solche Versammlung auf einem Schlachtfelde haben, wie bald würden wir fertig sein mit all den blut- und markaussaugen- 30 den Interessen, die uns jetzt unterdrücken und plündern! (Lauter Beifall.) Das, Freunde, sind die Äußerungen jenes allgemein¬ samen Gefühls, dessen Wärme, konzentriert in dem Brennpunkt der allgemeinen Brüderlichkeit, ein Feuer des Enthusiasmus ent¬ zündet, das bald alle die hindernden Eisberge wegschmelzen 33 wird, welche zu lange die Brüder getrennt gehalten haben.66 (Weitling nahm seinen Sitz unter langanhaltendem Beifall wie¬ der ein.) Dr. Berrier-Fontaine, ein alter Republikaner, der schon in den ersten Jahren der Bourgeoisieherrschaft in Paris in 40 der Societe des droits de l’homme eine Rolle gespielt, 1834 in den Aprilprozeß verwickelt und aus Sainte-Pelagie mit den übrigen Angeklagten 1835 entwichen war (vergleiche Louis Blanc’s „Ge¬ schichte der 10 Jahre66), der später mit der weiteren Entwicklung der revolutionären Partei in Frankreich fortschritt und mit dem 45 Pere Cabet in freundschaftlicher Verbindung steht — Dr. Berrier-
470 Aus den Rheinischen Jahrbüchern 1846 Fontaine trat nach Weitling auf. Er wurde mit stürmischem Ap¬ plaus empfangen und sprach: „Bürger! Meine Rede muß notwendig kurz sein, da ich nicht sehr gut englisch spreche. Es macht mir unaussprechliches Ver¬ gnügen zu sehen, daß die englischen Demokraten die französische 5 Republik feiern. Ich bin von Herzen einverstanden mit den edlen Gefühlen, die Herr Julian Harney ausgesprochen hat. Ich ver¬ sichere Euch, daß das französische Volk nicht daran denkt, das englische Volk als seinen Feind zu betrachten. Wenn einige fran¬ zösische Journalisten gegen die englische Regierung schreiben, so 10 schreiben sie nicht gegen das englische Volk. Die Regierung Eng¬ lands ist verhaßt in ganz Europa, weil sie nicht die Regierung des englischen Volks, sondern die der englischen Aristokratie ist. (Beifall.) Die französischen Demokraten, weit entfernt, die Feinde des englischen Volks zu sein, wünschen im Gegenteil mit 15 ihm zu fraternisieren. (Lauter Beifall.) Die Republikaner Frank¬ reichs fochten nicht allein für Frankreich, sondern für die ganze Menschheit; sie strebten die Gleichheit herzustellen und ihre Seg¬ nungen über die ganze Welt zu verbreiten. (Großer Beifall.) Sie erklärten die ganze Menschheit für ihre Brüder und stritten nur 20 gegen die Aristokratien andrer Nationen. (Beifall.) Ich kann Euch versichern, daß die Prinzipien der Gleichheit schon zu einem neuen Leben auf erstanden sind. Der Kommunismus schreitet mit Riesenschritten durch ganz Frankreich vorwärts. Kommuni¬ stische Assoziationen breiten sich über das ganze Land aus, und 25 ich hoffe, daß wir bald eine große Konföderation der Demokraten aller Nationen erleben werden, um den Triumph des republika¬ nischen Kommunismus durch die ganze Länge und Breite Europas zu sichern.66 (Dr. Fontaine nahm seinen Sitz unter wiederholten Beifallsbezeugungen wieder ein.) 30 Nachdem der Toast auf das „junge Europa66 mit drei schallen¬ den cheers und „noch einem cheer66 auf genommen war, wurden noch Toaste auf Thomas Paine, die gefallenen Demokraten aller Länder, dann Englands, Schottlands und Irlands, auf die deportier¬ ten Chartisten Frost, Williams, Jones und Ellis, auf O’Connor, 35 Duncombe und die übrigen Propagandisten der Charte, und schließlich drei cheers für den „Northern Star66 ausgebracht; demo¬ kratische Lieder in allen Sprachen (nur die deutsche finde ich nicht erwähnt) wurden gesungen und das Fest im brüderlichsten Geiste beschlossen. — 40 Hier haben wir eine Versammlung von mehr als tausend Demo¬ kraten fast aller europäischen Nationen, die sich vereinigt hatten, ein anscheinend allem Kommunismus fremdes Ereignis, die Stif¬ tung der französischen Republik zu feiern. Keine Verabredung war getroffen, um ein bestimmtes Publikum hinzubringen; nichts 45
Das Fest der Nationen in London 471 deutete an, daß etwas anderes ausgesprochen werden würde, als was die Londoner Chartisten unter Demokratie verstehen. Wir können also wohl annehmen, daß die Majorität der Versamm¬ lung die Masse der Londoner chartistischen Proletarier ziemlich 5 richtig repräsentierte. Und diese Versammlung nahm die kom¬ munistischen Prinzipien, das Wort Kommunismus selbst mit ein¬ stimmigem Enthusiasmus auf. Das Chartistenmeeting war ein kommunistisches Fest, und wie die Engländer selbst zugeben, ist „ein solcher Enthusiasmus, wie er an jenem Abend herrschte, in 10 London seit Jahren nicht gesehen worden46. Habe ich recht, wenn ich sage, daß die Demokratie heutzutage der Kommunismus ist? F. Engels.
BRIEFE ÜBER DEUTSCHLAND an The Northern Star
Die folgenden sieben Korrespondenzen erschienen in The Nor¬ thern Star and National Trades’ Journal zu London im Zeitraum vom 13. September 1845 bis zum 4. Juli 1846.
The late Butchery at Leipzig — The German Working Men’s Movement (From our own correspondent.) [The Northern Star. Vol. VIII. Sept. 13, 1845. No. 409, p. 1] The massacre at Leipzig, which you commented on in your last number, and of which you gave a more detailed account some weeks ago, is continuing to occupy the attention of the German pa¬ pers. This massacre, — surpassed in infamy by that of Peterloo only, — is by far the most villainous act of scoundrelism that mili¬ tary despotism ever devised in this country. When the people were shouting, „Ronge for ever! down with Popery!" Prince John of Saxony, who, by-the-bye, is another of our many rhyming and book-writing princes, having published a very bad translation of the Italian poet Dante’s „Hell"; this „hellish" translator tried to add military glory to his literary fame by planning a most dast¬ ardly campaign against the unarmed masses. He ordered the batta¬ lion of rifles, called in by the authorities, to divide into several detachments and to block up the passages to the hotel in which his literary „royal highness" had taken up his quarters. The soldiers obeyed, and pressed the people by enclosing them in a narrow circle, and advancing upon them into the gateway of the hotel; and from this unavoidable entering of the people into the sacred gate¬ way of the royal residence, brought on by the military acting under Prince John’s orders; from this very circumstance the pretext was taken to fire upon the people; by this very circumstance the firing has been tried to be justified by the Government papers! Nor is this all; the people were taken between the several detachments, and the plan of his royal highness was executed by a cross fire upon the defenceless masses; wherever they turned they met with a repeated volley from the rifles, and had not the soldiers, more humane than Prince John, fired mostly over the heads of the people, the slaughter would have been terrible. The indignation created by this piece of scoundrelism is general; the most loyal subjects, the warmest supporters of the present order of things, share in it, and pronounce their utter disgust at such proceedings. The affair will do a great deal of good in Saxony, a part of Germany that be¬ fore all others, has always evinced an inclination for talking, and io 15 20 25 30 35
476 Aus The Northern Star 1845 where action was sadly wanted. The Saxons, with their little con- stitutional govemment, their talking houses of parliament, their liberal deputies, liberal and enlightened parsons, etc., were, in Northern Germany, the representatives of moderate Liberalism, of German Whiggery; and yet, with all that, greater slaves of the 5 King of Prussia than the Prussians themselves. Whatever the Prus- sian Govemment resolved, the Saxon ministry had to execute; nay, of late, the Prussian Govemment did not even take the trouble to apply to the Saxon ministry, but direct to the Saxon inferior authorities, as if they were not Saxon, but their own employees! 10 Saxony is govemed in Berlin, not in Dresden! and with all their talking and boasting the Saxons know very well that the leaden hand of Prussia presses hard enough upon them. To all this talk¬ ing and boasting, to all this self-conceit and contentment which would make the Saxons a peculiar nation opposed to the Prussian, 15 etc., this Leipzig massacre will put an end. The Saxons must see, now, that they are under the same military rule as all other Ger¬ mans, and that, with all their Constitution, liberal laws, liberal cen¬ sorship, and liberal king’s Speeches, martial law is the only one that has any practical existence in their little country. And there 20 is another thing to aid this Leipzig affair in spreading the spirit of rebellion in Saxony; notwithstanding all the talking of the Saxon Liberais, the great majority of the Saxon people are only begin- ning to talk; Saxony is a manufacturing country, and among her linen-weavers, frame-work-knitters, cotton-spinners, pillow-lace- 25 makers, coal and metal-miners, there has been, from time immemo- rial, an appalling amount of distress. The proletarian movement, which, from the Silesian riots, the weavers’ battle as it is called, in May, 1844, has spread all over Germany, has not left Saxony untouched. There have been movements at several places among 30 the railway constructing workmen, and also among the calico-prin- ters some time ago, and it is more than likely, though positive evi- dence cannot now be given, that communism is making its progress there as well as everywhere eise, among the working people; and if the workers of Saxony enter the field, they are sure not to be satis- 35 fied with talking like their employers, the liberal „bourgeois66. Let me direct your attention somewhat more to the working dass movement in Germany. In your paper of last week, you predict a glorious revolution, — not such a one as that of 1688, — to this country. In this you are perfectly right — I only would beg to 40 correct, or rather to more clearly define your expression, that it is the youth of Germany that will bring about such a change. This youth is not to be looked for among the middle classes. It is from the very heart of our working people that revolutionary action in Germany will commence. It is true, there are among our middle 45
Butchery at Leipzig. German Working Men’s Movement 477 classes a considerable number of Republicans and even Commu¬ nists, and young men too, who, if a general outbreak occurred now, would be very useful in the movement, but these men are „bour¬ geois“, profit-mongers, manufacturers by profession; and who will 5 guarantee us that they will not be demoralised by their trade, by their social position, which forces them to live upon the toil of other people, to grow fat by being the leeches, the „exploiteurs“ of the working classes? And if they remain proletarians in mind, though bourgeois in profession, their number will be infinitely 10 small in comparison with the real number of the middle-class men, who stick to the existing Order of things through interest, and care for nothing but the filling of their purses. Fortunately, we do not count on the middle classes at all. The movement of the proleta¬ rians has developed itself with such astonishing rapidity, that in is another year or two we shall be able to muster a glorious array of working Democrats and Communists — for in this country Demo- cracy and Communism are, as far as the working classes are con- cemed, quite synonymous. The Silesian weavers, in 1844, gave the signal; the Bohemian and Saxon calico-printers and railway 20 constructors, the Berlin calico-printers, and, indeed, the manu- facturing classes of almost all parts of Germany, responded by tum-outs and partial riots; the latter of which were almost always produced by the laws prohibiting combinations. The movement is now almost general throughout the country, and goes on quietly, 25 but steadily, whilst the middle classes spend their time with agitat- ing for „Constitutions“, „Liberty of the Press“, „Protective Du- ties“, „German Catholicity“, and „Protestant Church Reform“. All these middle-class movements, although not without some merit, do not touch the working classes at all, who have a movement of their 30 own — a knife-and-fork movement. In my next letter more on this subject.
Victoria’s Visit — The „Royals“ at Loggerheads — Row betwixt Vic and the German Bourgeoisie — The Condemnation of the Paris Carpenters (From our own correspondent.) [The Northern Star. Vol. VIII. Sept. 20,1845. No. 410, p. 1] Your little Queen has made a pretty mess of her visit to the Prussians. She treated the king with such contempt, that he was glad to get rid of her, and showed that very plainly after her de- parture. The middle classes too are highly incensed at the con- temptuous way she treated the daughters of the „haute bour-10 geoisie“ of Cologne. The daughter of the Mayor of Cologne had to present „her Majesty“ with a cup of tea, and Vic took not the cup, because touched by the hand of one not „noble66. (!) She only took the spoon, and with it sipped the tea; at the same time tuming her head aside, and treating the girl with the most is marked contempt. The poor girl stood trembling awfully, not knowing whether to stand or to go away. Served her right; these purse-proud bourgeois, with all their cunning, are with their worship of kings and queens but spoons after all, and as such deserve to be treated. Your Queen carried her contempt so far as 20 to rouse what little spirit they possess to show some resistance. She had subscribed 3500 dollars (£ 500), to the building fund of the Cologne Cathedral, and the insulted Bourgeois of Cologne got up a meeting to discuss the propriety of returning her the money! The meeting was dispersed by the police and military. I hear, 25 however, that they still contemplate subscribing the money amongst themselves, and sending it to England or Ireland, to relieve your starving poor. I hope they will do so. John Bull has been made to bleed pretty freely for bloodsucking German princes, and it is only fair that the German bourgeoisie should retum a little of 30 what poor John has been shamefully drained. The marked con¬ tempt with which your Queen treated our precious King and his court, arose, I hear, from the fact of the limping Queen of Prussia refusing the arm of Prince Albert, und preferring that of Arch- duke Frederick of Austria, as being of higher birth. It is very 35 2 Orig. Bourgeoise
Victoria’s Visit. „Royals“ at Loggerheads etc. 479 comical to see these princes at loggerheads amongst themselves, and the bourgeoisie at loggerheads with the princes; all the time not seeing the movement arising in the lowest depths around them—not seeing their danger until too late. 5 You never gave in the Star the judgment of the Paris Tribunal against the carpenters on strike, accused of combination—Vin¬ cent, the chief, was sentenced to three years, two others to a year, some more to six months, I believe (imprisonment). However, they are keeping out at least those whose masters won’t give way. 10 Two-thirds of the masters have acceded to the workmen’s demands, and in consequence of the above sentence, the sawyers (scieurs-ä- long) and other trades connected with building, have tumed out too. This affair does a tremendous deal of good.
THE STATE OF GERMANY Letter I. TO THE EDITOR OF THE NORTHERN STAR. [The Northern Star. Vol. VIII. Oct. 25,1845. No. 145, p. 1] Dear Sir, — In compliance with your wish, I commence by this letter a series of articles on the present state of my native country. In order to make my opinions on the subject plainly understood, and to justify the same as being well founded, I shall have to trace with a few words the history of Germany from the event which shook modem society to its very foundation — I mean to say, from the French Revolution. Old Germany was at that time known by the name of The Holy Roman Empire, and consisted of God knows how many little sta¬ tes, kingdoms, electorates, dukedoms, arch and grand dukedoms, principalities, counties, baronies, and free Imperial cities—every one independent of the other, and only subjected to the power (if there was any, which however, for hundreds of years, had not been the case) of the Emperor and Diet. The independence of these little states went so far, that in every war with „the arch¬ enemy“ (France, of course), there was a part of them allied to the French king, and in open war with their own Emperor. The Diet, consisting of the deputations from all these little states, under the presidency of the Imperial one, being intended to check the power of the Emperor, was always assembled without ever coming to any, even the most insignificant, results. They killed their time with the most futile questions of ceremony, whether the embassy of Baron so-and-so (consisting, perhaps, of the tutor of his son and an old livery-servant, or worn-out game-keeper) ought to have prece¬ dency before the embassy of Baron so-and-so, or whether the deputy from one Imperial city ought to salute the deputy of another without waiting for his salute, etc. Then there were so many hun¬ dreds of thousands of little privileges, mostly burthensome to the privileged themselves, but which were considered as points of ho¬ nour, and, therefore, quarrelled about with the utmost obstinacy. This and similar important things took up so much of the time of the wise Diet, that this honourable assembly had not a minute to spare for discussing the weal of the empire. In consequence of 5 io 15 20 25 30 35
The State of Germany 481 this, the greatest possible disorder and confusion was the order of die day. The empire, divided within itself in time of war as well as peace, passed through a series of internal wars from the time of the Reformation down to 1789, in every one of which France was allied to the party opposed to the weak and easily vanquished party of the Emperor, and took, of course, its lion’s share in the plunder—first, Burgundy; then the three bishoprics, Metz, Toul, and Verdun; then the rest of Lorraine; then parts of Flanders and Alsace—were in this manner separated from the Holy Roman Empire and united to France. Thus Switzerland was allowed to become independent from the empire; thus Belgium was made over to the Spaniards by legacy of Charles V.; and all these countries fared better after their separation from Germany. To this progressive external ruin of the empire, was joined the greatest possible internal confusion. Every little prince was a blood-sucking, arbitrary despot to his subjects. The empire never cared about the internal concerns of any states except by forming a court of law (Imperial Court Chamber at Wetzlar) for attending to suits of subjects against their superiors, but that precious court attended so well to these actions, that not one of them has ever been heard of as having been settled. It is almost incredible what cruelties and arbitrary acts were committed by the haughty prin¬ ces towards their subjects. These princes, living for pleasure and debauchery only, allowed every despotic power to their ministers and government officers, who were thus permitted, without any risk of punishment, to trample into the dust the unfortunate people, on this condition only, that they filled their master’s treasury and pro¬ cured him an inexhaustible supply of female beauty for his harem. The nobility, too, such as were not independent but under the do¬ minion of some king, bishop, or prince, used to treat the people with greater contempt than they bestowed upon dogs, and squeezed as much money as they possibly could out of the labour of their serfs—for servitude was quite a common thing, then, in Germany. Nor was there any sign of liberty in those emphatically, so called, free Imperial cities; for here a burgomaster and self-elected se¬ nate, offices which, in the course of centuries, had become as here¬ ditary as the Imperial crown, ruled with greater tyranny still. No¬ thing can equal the infamous conduct of these petty bourgeois aris¬ tocrats of the towns, and, indeed, it would not be believed that such was the state of Germany fifty years ago, if it was not in the memory still of many who remember that time, and if it was not confirmed by a hundred authorities. And the people! What did they say to this state of things? What did they do? Why, the middle classes, the money-loving bourgeois, found, in this conti¬ nued confusion, a source of wealth; they knew that they could Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 31 5 10 15 20 25 30 35 40 45
482 Aus The Northern Star 1845/46 catch the most fish in the troubled waters; they suffered themsel¬ ves to be oppressed and insulted because they could take a revenge upon their enemies worthy of themselves; they avenged their wrongs by cheating their oppressors. United to the people, they might have overthrown the old dominions and refounded the em¬ pire, just as the English middle classes had partly done from 1640 to 1688, and as the French bourgeois were then about to do. But, no, the German middle classes had not that energy, never pretend¬ ed to that courage; they knew Germany to be nothing but a dung¬ hill, but they were comfortable in the dung because they were dung themselves, and were kept warm by the dung about them. And the working people were not worse off than they are now, ex¬ cept the peasantry, who were mostly serfs, and could do nothing without the assistance of the towns, hired armies being always quartered on them, who threatened to stifle in blood every attempt at revolt. Such was the state of Germany towards the end of the last cen¬ tury. It was all over one living mass of putrefaction and repulsive decay. Nobody felt himself at ease. The trade, commerce, in¬ dustry and agriculture of the country were reduced to almost no¬ thing; peasantry, tradesmen and manufacturers felt the double pressure of a blood-sucking government and bad trade; the nobi¬ lity and princes found that their incomes, in spite of the squeezing of their inferiors, could not be made to keep pace with their in¬ creasing expenditure; everything was wrong, and a general unea¬ siness prevailed throughout the country. No education, no means of operating upon the minds of the masses, no free press, no public spirit, not even an extended commerce with other countries—no¬ thing but meanness and selfishness— a mean, sneaking, miserable shopkeeping spirit pervading the whole people. Everything worn out, crumbling down, going fast to ruin, and not even the slightest hope of a beneficial change, not even so much strength in the na¬ tion as might have sufficed for carrying away the putrid corpses of dead institutions. The only hope for the better was seen in the country’s litera¬ ture. This shameful political and social age was at the same time the great age of German literature. About 1750 all the master¬ spirits of Germany were bom, the poets Goethe and Schiller, the philosophers Kant and Fichte, and, hardly twenty years later, the last great German metaphysician, Hegel. Every remarkable work of this time breathes a spirit of defiance, and rebellion against the whole of German society as it then existed. Goethe wrote Goetz von Berlichingen, a dramatic homage to the memory of a rebel. Schiller, the Robbers, celebrating a generous young man, who de¬ clares open war against all society. But these were their juvenile 5 10 15 20 25 30 35 40 45
The State of Germany 483 productions; when they grew older they lost all hope; Goethe res¬ trained himself to satire of the keenest order, and Schiller would have despaired if it had not been for the refuge which science, and particularly the great history of ancient Greece and Rome, afford¬ ed to him. These, too, may be taken as examples of the rest. Even the best and strongest minds of the nation gave up all hope as to the future of their country. All at once, like a thunderbolt, the French revolution struck into this chaos, called Germany. The effect was tremendous. The people, too little instructed, too much absorbed in the ancient habit of being tyrannized over, remained unmoved. But all the middle classes, and the better part of the nobility, gave one shout of joy¬ ful assent to the national assembly and the people of France. Not one of all the hundreds of thousands of existing German poets fail¬ ed to sing the glory of the French people. But this enthusiasm was of the German sort, it was merely metaphysical, it was only meant to apply to the theories of the French revolutionists. As soon as theories were shuffled into the background by the weight and bulk of facts; as soon as the French court of the French people could in practice no longer agree, notwithstanding their theoretical union, by the theoretical constitution of 1791; as soon as the peo¬ ple asserted their sovereignty practically by the ,,10th of August“: and when, moreover, theory was entirely made silent on the 31st of May, 1793, by the putting down of the Girondists—then this enthusiasm of Germany was converted into a fanatic hatred against the revolution. Of course this enthusiasm was meant to apply to such actions only as the night of the 4th of August, 1790, when the nobility resigned their privileges, but the good Germans never thought of such actions having consequences in practice widely differing from those inferences which benevolent theorists might draw. The Germans never meant to approve of these consequen¬ ces, which were rather serious and unpleasant to many parties, as we all know well. So the whole mass, who in the beginning had been enthusiastic friends to the revolution, now become its grea¬ test opponents, and getting, of course, the most distorted news from Paris by the servile German press, preferred their old quiet holy Roman dunghill to the tremendous activity of a people who threw off vigorously the chains of slavery, and flung defiance to the faces of all despots, aristocrats, and priests. But the days of the Holy Roman Empire were numbered. The French revolutionary armies walked straight into the very heart of Germany, made the Rhine the frontier of France, and preached liberty and equality everywhere. They drove away by shoals noblemen, bishops and abbots, and all those little princes that for so long a time had played in history the part of dolls. They 31* 5 10 15 20 25 30 3& 40 45
484 Aus The Northern Star 1845/46 effected a clearing, as if they were settlers advancing in the back- woods of the American Far West; the ante-diluvian forest of “Chri¬ stian-Germanic” society disappeared before their victorious course, like clouds before the rising sun. And when the energetic Napoleon took the revolutionary work into his own hand, when he identified the revolution with himself; that same revolution which after the ninth Themidor 1794, had been stifled by the money-loving middle¬ classes, when he, the democracy with „a single head“, as a French author termed him, poured his armies again and again over Ger¬ many, „Christian-Germanic“ society was finally destroyed. Napo¬ leon was not that arbitrary despot to Germany which he is said to have been by his enemies; Napoleon was in Germany the represen¬ tative of the revolution, the propagator of its principles, the des¬ troyer of old feudal society. Of course he proceeded despotically, but not even half as despotically as the deputies from the Conven¬ tion would have done, and really did, wherever they came; not half so much so as the princes and nobles used to do whom he sent a-begging. Napoleon applied the reign of terror, which had done its work in France, to other countries, in the shape of war — and this „reign of terror“ was sadly wanted in Germany. Napoleon dissolved the Holy Roman Empire, and reduced the number of little states in Germany by forming large ones. He brought his code of laws with himself into the conquered countries, a code infini¬ tely superior to all existing ones, and recognising equality in prin¬ ciple. He forced the Germans, who had lived hitherto for private interests only, to work at the carrying out of a great idea of some overwhelming public interests. But that was just what aroused the Germans against him. He offended the peasantry by the very same measures that relieved them from the oppression of feu¬ dalism, because he struck at the roots of their prejudices and ancient habits. He offended the middle classes by the very means that laid the foundation of German manufacturing industry: the prohibition of all English goods and the war with England was the cause of their beginning to manufacture for themselves, but, at the same time, it made coffee and sugar, tobacco and snuff, very dear; and this, of course, was sufficient to arouse the indignation of the German patriotic shopkeepers. Besides, they were not the people to understand any of the great plans of Napoleon. They cursed him because he led their children away into wars, got up by the money of the English aristocracy and middle classes; and hailed as friends those same classes of Englishmen who were the real cause of the wars, who profited by those wars, and who duped their German instruments not only during, but also after the war. They cursed him, because they desired to remain confined to their old, miserable sort of life, where they had nothing but their own little 5 10 15 20 25 30 35 40 45
The State of Germany 485 interest to attend to, because they desired to have nothing to do with great ideas and public interest. And at last, when Napoleon’s army had been destroyed in Russia, they took that opportunity of shaking off the iron yoke of the great conqueror. 5 The „glorious liberation war66 of 1813—14 and 15, the „most glorious period of German history46, etc., as it has been called, was a piece of insanity such as will drive the blood into the cheeks of every honest and intelligent German for some time to come. True, there was great enthusiasm then, but who were these enthu- io siasts? Firstly, the peasantry, the most stupid set of people in existence, who, clinging to feudal prejudices, bürst forth in masses, ready to die rather than cease to obey those whom they, their fathers and grandfathers, had called their masters; and submitted to be trampled on and horse-whipped by. Then the students and /5 young men generally, who considered this war as a war of prin- ciple, nay, as a war of religion; because not only they believed themselves called upon to fight for the principle of legitimacy, called their nationality, but also for the Holy Trinity and existence of God; in all poems, pamphlets, and addresses of that time, the 20 French are held up as the representatives of atheism, infidelity, and wickedness, and the Germans as those of religion, piety, and righteousness. Thirdly, some more enlightened men, who mixed up with these ideas some notions about „liberty66, „constitutions“, and a „free press66; but these were by far the minority. And 25 fourthly, the sons of tradesmen, merchants, speculators, etc., who fought for the right of buying in the cheapest market, and of drinking coffee without the admixture of chicory; of course, dis- guising their aims under the expressions of the enthusiasm of the day, „liberty66, „great German people66, „national indepen- 30 dence“, and so forth. These were the men, who, with the assistance of the Russians, English and Spaniards, beat Napoleon. In my next letter I shall proceed to the history of Germany since the fall of Napoleon. Let me only add, in qualification of the opinion above given of this extraordinary man, that the longer 35 he reigned, the more he deserved his ultimate fate. His ascending the throne I will not reproach him with; the power of the middle classes in France, who never cared about public interests, provided their private ones went on favourably, and the apathy of the people, who saw no ultimate benefit themselves from the revolu- 40 tion, and were only to be roused to the enthusiasm of war, per- mitted no other course; but that he associated with the old anti- revolutionary dynasties by marrying the Austrian Emperor’s daughter, that he, instead of destroying every vestige of Old Europe, rather sought to compromise with it—that he aimed at 45 the honour of being the first among the European monarchs, and
486 Aus The Northern Star 1845/46 therefore assimilated his court as much as possible to theirs—that was his great fault. He descended to the level of other monarchs— he sought the honour of being their equal—he bowed to the prin- ciple of legitimacy—and it was a matter of course, then, that the legitimists kicked the usurper out of their Company. 5 I am, sir, yours respectfully, Your German Correspondent. October 15th, 1845. Letter II. TO THE EDITOR OF THE NORTHERN STAR. [The Northern Star. Vol. VIII. Nov. 8,1845. No. 417, p. 1] Dear Sir, — Having in my first letter described the state of Germany before and during die French Revolution, as well as during the reign of Napoleon; having related how the great con- queror was overthrown, and by what parties, I now resume the 15 thread of my narrative to show what Germany made of herseif after this „glorious restoration“ of national independence. The view I took of all these events was diametrically opposed to that in which they generally are represented; but my view is, to a letter, confirmed by the events of the following period of German 20 history. Had the war against Napoleon really been a war of liberty against despotism, the consequence would have been, that all those nations which Napoleon had subdued, would, after his downfall, have proclaimed the principles and enjoyed the blessings of equality. But quite the contrary was the case. With England, 2s the war had been commenced by the frightened aristocracy and supported by the moneyocracy, who found a source of immense profit in the repeated Ioans, and the swelling of the National Debt; in the opportunity afforded them to enter into the South American markets, to cram them with their own manufactures, and to conquer w such French, Spanish and Dutch colonies as they thought proper, for the better filling of their purses; to make „Britannia rule the waves“ despotically, that they might harass to their heart’s plea- sure the trade of any other nation, whose competition threatened to endanger the progress of their own enrichment; and lastly, to se assert their right of making enormous profits, by providing the European markets, in Opposition to Napoleon’s Continental System. Such were the real causes of the long war on the part of those classes in whose hands the Govemment of England was then depo- sited, and as to the pretext, that the fundamental principles of the 40
The State of Germany 487 English Constitution were endangered by the French Revolution, it only shows what a precious piece of workmanship this „perfec- tion of human reason66 must have been. As to Spain, the war had commenced in defence of the principle of legitimate succession, 5 and of the inquisitorial despotism of the priesthood. The prin- ciples of the Constitution of 1812 were introduced later, in order to give the people some inducement to continue the struggle, being themselves of French origin. Italy never was opposed to Napoleon, having received nothing but benefits from his hands, io and having to thank him for her very existence as a nation. The same was the case with Poland. What Germany was indebted for to Napoleon I have related in my first letter. By all and each of the victorious powers the downfall of Napoleon was considered as the destruction of the French Revo- 15 lution, and the triumph of legitimacy. The consequences were, of course, the restoration of this principle at home, first under the disguise of such sentimentalities as „holy alliance“, „eternal peace“, „public weal“, „confidence between prince and subject“, etc. etc., afterwards undisguised by the bayonet and the dungeon. 20 The impotency of the conquerors was sufficiently shown by this one fact, that, after all, the vanquished French people, with a hated dynasty forced upon them, and maintained by 150,000 foreign muskets, yet inspired such awe in the breasts of their victorious enemies, that they got a tolerably liberal Constitution, while the 25 other nations, with all their exertions, and all their boasting of liberty, got nothing but fine words first, and hard bullets after¬ wards. The putting down of the French Revolution was celebrated by the massacres of Republicans in the south of France; by the blaze of the inquisitorial pile and the restoration of native despo- 30 tism in Spain and Italy, and by the gagging-bills and „Peterloo“ in England. We shall now see that in Germany things took a similar course. The Kingdom of Prussia was the first of all German States to declare war against Napoleon. It was then govemed by Frederick 35 William III., nicknamed „The Just66, one of the greatest block- heads that ever graced a throne. Born to be a corporal and to inspect the buttons of an army; dissolute, without passion, and a morality-monger at the same time, unable to speak otherwise but in the infinite tense, surpassed only by his son as a writer of 40 proclamations; he knew only two feelings — fear and corporal- like imperiousness. Düring the first half of his reign his predo- minating state of mind was the fear of Napoleon, who treated him with the generosity of contempt in giving him back half his kingdom, which he did not think worth the keeping. It was this 45 fear which led him to allow a party of half-and-half reformers to
488 Aus The Northern Star 1845/46 govem in his stead, Hardenberg, Stein, Schön, Scharnhorst, etc., who introduced a more liberal Organisation of municipalities, abolition of servitude, commutation of feudal Services into rent, or a fixed sum of twenty-five years purchase, and above all, the military Organisation, which gives the people a tremendous 5 power, and which some time or other will be used against the Government. They also „prepared“ a Constitution which, however, has not yet made its appearance. We shall soon see what tum the affairs of Prussia took after the putting down of the French Revolution. 10 The „Corsican monster“ being got into safe custody, there was immediately a great congress of great and petty despots held at Vienna, in order to divide the booty and the prize-money, and to see how far the anti-revolutionary state of things could be restored. Nations were bought and sold, divided and united, just as it best m suited the interests and purposes of their rulers. There were only three States present who knew what they were about — England, intending to keep up and extend her commercial supremacy, to retain the lion’s share out of the colonial plunder, and to weaken all the remainder — France, not to suffer too much, and weaken 20 all others — Russia, to get increase of strength and territory, and to weaken all others; the remainder were directed by sentimenta- lities, petty egotism, and some of them even by a sort of ridi- culous disinterestedness. The consequence was, that France spoiled the job for the great German States; that Russia got the 25 best part of Poland; and England extended her maritime power more by the peace than by the war, and obtained the superiority in all Continental markets — of no use for the English people, but means of enormous enrichment to the English middle classes. The German States, who thought of nothing but of their darling prin- 30 ciple of legitimacy, were cheated once more, and lost by the peace everything they had won by the war. Germany remained split up into thirty-eight States, whose divisions hinder all internal pro¬ gress, and make France more than a match for her; and who, continuing the best market for English manufactures, served only 35 to enrich the English middle classes. It is all well for this section of the English people to boast of the generosity which prompted them to send enormous sums of money to keep up the war against Napoleon ; but, if we even suppose that it was them, and not the working people, who in reality had to pay these subsidies — they 49 only intended, by their generosity, to re-open the Continental mar¬ kets, and in this they succeeded so well that the profits they have drawn since the peace, from Germany alone, would repay those sums at least six times over. It is really middle dass generosity which first makes you a present in the shape of subsidies, and
The State of Germany 489 afterwards makes you repay it six-fold in the shape of profits. Would they have been so eager to pay those subsidies, if at the end of the war, the reverse had been likely to be the case, and Eng¬ land been inundated with German manufactures, instead of 5 Germany being kept in manufacturing bondage by a few English capitalists? However, Germany was cheated on all hands, and mostly by her own so called friends and allies. This I should not much care for myself, as I know very well that we are approaching to a re- 10 Organization of European society, which will prevent such tricks on the one hand, and such imbecilities on the other; what I want to show is, first, that neither the English people, nor any other people profited by cheating the German despots, but that it all was for the benefit of other despots; or of one particular dass, 15 whose interest is opposed to the people; and second, that the very first act of the German restored despots showed their thorough incapacity. We now tum to the home affairs of Germany. We have seen who were the parties that, with the aid of English money, and Russian barbarism, put down the French Revolution. 20 They were divided into two sections; first, the violent partisans of old „Christian Germanic“ society, the peasantry and the enthu- siastic youth, who were impelled by the fanaticism of servitude, of nationality, of legitimacy and religion; and second, the more sober middle dass men, who „wished to be let alone“, to make money 25 and to spend it without being bothered with the impudent inter- ference of great historical events. The latter party were satisfied as soon as they had obtained the peace, the right to buy in the cheapest market, to drink coffee without admixture of chicory, and to be excluded from all political affairs. The „Christian Ger- 30 manics“, however, now became the active supporters of the restor¬ ed govemments, and did everything in their power to screw history back to 1789. As to those who wished to see the people enjoy some of the fruits of their exertions, they had been strong enough to make their watchwords the battle-cry of 1813, but not 35 the practice of 1815. They got some fine promises of constitutions, free press, etc., and that was all; in practice everything was care- fully left as it had been previously. The Frenchified parts of Germany were purged, as far as possible, from the traces of „foreign despotism“, and those provinces only which were situated 40 on the left of the Rhine retained their French institutions. The Elector of Hesse went so far as to restore even the pig-tails of his soldiers, which had been out off by the impious hands of the French. In short, Germany, as well as every other country, offered the picture of a shameless reaction which was only distin- 45 guished by a character of timidity and weakness; it did not even
490 Aus The Northern Star 1845/46 elevate itself to that degree of energy with which revolutionary principles were combated in Italy, Spain, France and England. The cheating System to which Germany had been subjected at the Congress of Vienna, now commenced to be practised between the different German States themselves. Prussia and Austria, in 5 order to weaken the power of the different States, forced them to give some sort of mongrel constitutions, which weakened the go- vernments, without imparting any power to the people, or even the middle classes. Germany being constituted a confederacy of States, whose embassies, sent by the govemments alone, formed the diet, there was no risk that the people might become too strong, as every state was bound by the resolutions of the diet, which were law for all Germany, without being subject to the approval of any representative assembly. In this diet it was a matter of course that Prussia and Austria ruled absolutely; they only had to # threaten the lesser princes to abandon them in their struggle with their representative assemblies, in order to frighten them into implicit obedience. By these means, by their overwhelming power, and by their being the true representatives of that principle from which every German prince derives his power, they have made 20 themselves the absolute rulers of Germany. Whatever may be done in the small States is without any effect in practice. The struggles of the Liberal middle classes of Germany remained fruitless as long as they were confined to the smaller southem States; they became important as soon as the middle classes of Prussia were 25 aroused from their lethargy. And as the Austrian people can hardly be said to belong to the civilised world, and, in conse- quence, submit quietly to their patemal despotism, the state which may be taken as the centre of German modern history, as the baro- meter of the movements of public opinion, is Prussia. 30 After the downfall of Napoleon, the King of Prussia spent some of his happiest years. He was cheated, it is true, on every hand. England cheated him; France cheated him; his own dear friends, the Emperors of Austria and Russia, cheated him over and over again; but he, in the fulness of his heart, did not even 35 find it out; he could not think of the possibility of there being any such scoundrels in the world who could cheat Frederick Wil¬ liam IIL, „the Just“. He was happy. Napoleon was overthrown. He had no fear. He pressed the 13th Article of the Fundamental Federative Act of Germany, which promised a Constitution for 40 every state. He pressed the other article about the liberty of the press. Nay, on the 22nd of May, 1815, he issued a proclamation commencing with these words — words in which his benevolent happiness was beautifully blended with his corporal-like impe- riousness — „There shall be a representation of the people!“ He 45
The State of Germany 491 went on to order that a Commission should be named to prepare a Constitution for his people; and even in 1819, when there had been revolutionary Symptoms in Prussia, when reaction was rifest all over Europe, and when the glorious fruit of the Congresses was 5 in its full blossom, even then he declared that, in future, no public Ioan should be contracted without the assent of the future repre- sentative assemblies of the kingdom. Alas! this happy time did not last. The fear of Napoleon was but too soon replaced in the king’s mind by the fear of the io revolution. But of that in my next. I have only one word to add. Whenever, in English demo- cratic meetings the „patriots of all countries“ are toasted, Andreas Hofer is sure to be amongst them. Now, after what I have said on the enemies of Napoleon in Germany, is Hofer’s 15 name worthy to be cheered by democrats? Hofer was a stupid, ignorant, bigoted, fanatical peasant, whose enthusiasm was that of La Vendee, that of „Church and Emperor“. He fought bravely — but so did the Vendeans against the Republicans. He fought for the paternal despotism of Vienna and Rome. Democrats of Eng- 20 land, for the sake of the honour of the German people, leave that bigot out of the question in future. Germany has better patriots than him. Why not mention Thomas Münzer, the glorious chief of the peasant insurrection of 1545, who was a real democrat, as far as possible, at that time? Why not glorify George Forster, 25 the German Thomas Paine, who supported the French Revolution in Paris upto the last, in Opposition to all his countrymen, and died on the scaffold? Why not a host of others, who fought for realities, and not for delusions? I am, dear Sir, yours respectfully, 30 Your German Correspondent. Letter III. TO THE EDITOR OF THE NORTHERN STAR. [The Northern Star. Vol. VIII. AprÜ 4, 1846. No. 438, p. 7] Dear Sir, — I really must beg of you and your readers to 35 excuse my apparent negligence in not continuing sooner the series of letters on the above subject which I commenced writing for this paper. You may, however, rest assured that nothing but the neces- sity of devoting some weeks to the German movement exclusively could detain me from the pleasant task I have undertaken, of in- 40 forming the English democracy of the state of things in my native country.
492 Aus The Northern Star 1845/46 Your readers will, perhaps, have some recollections of the State¬ ments made in my first and second letters — [Northern Star, of Ist and 8th of November, 1845]. I there related how the old, rotten state of Germany was rooted up by the French armies from 1792 to 1813; how Napoleon was overthrown by the union of s the feudalists, or aristocrats, and the bourgeois, or trading middle classes of Europe; how, in the subsequent peace arrangements the German princes were cheated by their allies, and even by van- quished France; how the German Federative Act, and the present political state of Germany was brought about; and how Prussia io and Austria, by inducing the lesser States to give constitutions, made themselves the exclusive masters of Germany. Leaving Austria, as a half-barbarian country, out of the question, we come to the result that Prussia is the battle-field on which the future fate of Germany is to be decided. i* We said in our last, that Frederick William III., king of Prus¬ sia, after being delivered from the fear of Napoleon, and spending a few happy, because fearless years, acquired another bugbear to frighten him — „the revolution66. The way in which „the revo¬ lution66 was introduced into Germany we shall now see. 20 After the downfall of Napoleon, which I must repeat again, by the kings and aristocrats of the time, was totally identified with the putting down of the French revolution, or, as they called it, the revolution, after 1815, in all countries, the anti-revolutionary party held the reins of govemment. The feudalist aristocrats mied 25 in all cabinets from London to Naples, from Lisbon to St. Peters- burgh. However, the middle classes, who had paid for the job and assisted in doing it, wanted to have their share of the power. It was by no means their interest which was placed in the ascendant by the restored govemments. On the contrary, middle-class inte- 30 rests were neglected everywhere, and even openly set at nought.The passing of the English Corn Law of 1815 is the most striking example of a fact which was common to all Europe; and yet the middle classes were more powerful then than ever they had been. Commerce and manufactures had been extending everywhere, and 35 had swelled the fortunes of the fat bourgeois; their increased well- being was manifested in their increased spirit of speculation, their growing demand for comforts and luxuries. It was impossible, then, that they should quietly submit to be govemed by a dass whose decay had been going on for centuries — whose interests 40 were opposed to those of the middle classes — whose momentary retum to power was the very work of the bourgeois. The struggle between the middle classes and the aristocracy was inevitable; it commenced almost immediately after the peace. The middle classes being powerful by money only, cannot 45
The State of Germany 493 acquire political power but by making money the only qualifica- tion for the legislative capacity of an individual. They must merge all feudalistic Privileges, all political monopolies of past ages, in the one great privilege and monopoly of money. The political 5 dominion of the middle classes is, therefore, of an essentially liberal appearance. They destroy all the old differences of several estates co-existing in a country, all arbitrary Privileges and exemp- tions; they are obliged to make the elective principle the foun- dation of govemment — to recognise equality in principle, to free 10 the press from the shackles of monarchical censorship, to intro- duce the jury, in order to get rid of a separate dass of judges, forming a state in the state. So far they appear thorough demo¬ crats. But they introduce all the improvements so far only, as thereby all former individual and hereditary Privileges are replac- 15 ed by the privilege of money. Thus the principle of election is, by property qualifications for the right of electing and being elected, retained for their own dass. Equality is set aside again by restraining it to a mere „equality before the law66, which means equality in spite of the inequality of rieh and poor — equality 20 within the limits of the chief inequality existing — which means, in short, nothing eise but giving inequality the name of equality. Thus the liberty of the press is, of itself, a middle-class privilege, because printing requires money, and buyers for the printed pro- ductions, which buyers must have money again. Thus the jury is 25 a middle-class privilege, as proper care is taken to bring none but „respectables66 into the jury-box. I have thought it necessary to make these few remarks upon the subject of middle-class govemment in order to explain two facts. The first is, that in all countries, during the time from 1815 jo to 1830, the essentially democratic movement of the working classes, was more or less made subservient to the liberal move¬ ment of the bourgeois. The working people, though more ad- vanced than the middle classes, could not yet see the total dif- ference between liberalism and democracy — emancipation of the 35 middle classes and emancipation of the working classes; they could not see the difference between liberty of money and liberty of man, until money had been made politically free, until the middle dass had been made the exclusively ruling dass. There¬ fore the democrats of Peterloo were going to petition, not only io for Universal Suffrage, but for Corn Law repeal at the same time; therefore, the proletarians fought in 1830 in Paris, and threatened to fight in 1831 in England, for the political interest of the bourgeoisie. In all countries the middle classes were, from 1815 to 1830, the most powerful component, and, therefore, the leaders 45 of the revolutionary party. The working classes are necessarily
494 Aus The Northern Star 1845/46 the Instruments in the hands of the middle classes, as long as the middle classes are themselves revolutionäry or progressive. The distinct movement of the working classes is, therefore, in this case always of a secondary importance. But from that very day when the middle classes obtain full political power — from the day on 5 which all feudal and aristocratic interests are annihilated by the power of money — from the day on which the middle classes cease to be progressive and revolutionary, and become stationary themselves, from that very day the working dass movement takes the lead and becomes the national movement. Let the Corn Laws 10 be repealed to-day, and to-morrow the Charter is the leading question in England — to-morrow the Chartist movement will exhibit that strength, that energy, that enthusiasm and per Se¬ verance which ensures success. The second fact, for the explanation of which I ventured to is make some few remarks on middle-class govemment, refers to Germany exclusively. The Germans being a nation of theorists, and little experienced in practice, took the common fallacies brought forward by the French and English middle classes to be sacred truths. The middle classes of Germany were glad to be left 20 alone to their little private business, which was all in the „small way“; wherever they had obtained a Constitution, they boasted of their liberty, but interfered little in the political business of the state; wherever they had none, they were glad to be saved the trouble of electing deputies and reading their speeches. The work- 25 ing people wanted that great lever which in France and England aroused them — extensive manufactures — and the consequence of it, middle-class rule. They, therefore, remained quiet. The peasantry in those parts of Germany where the modern French institutions had been again replaced by the old feudal regime, 30 feit oppressed, but this discontent wanted another Stimulus to break out in open rebellion. Thus, the revolutionary party in Germany, from 1815 to 1830, consisted of theorists only. Its recruits were drawn from the universities; it was made up of none but students. It had been found impossible in Germany to re-introduce the 35 old System of 1789. The altered circumstances of the time forced the govemments to invent a new System, which has been peculiar to Germany. The aristocracy was willing to govern, but too weak; the middle classes were neither willing to govem nor strong enough — both, however, were strong enough to induce the govemment to & some concessions. The form of govemment, therefore, was a sort of mongrel monarchy. A Constitution, in some States, gave an appearance of guarantee to the aristocracy and middle classes; for the remainder there was everywhere a bureaucratic govemment — that is, a monarchy which pretends to take care of the interests of #
The State of Germany 495 the middle dass by a good administration, which administration is, however, directed by aristocrats, and whose proceedings are shut out as much as possible from the eyes of the public. The consequence is, the formation of a separate dass of administrative 5 govemment officers, in whose hands the chief power is concen- trated, and which Stands in Opposition against all other classes. It is the barbarian form of middle-class rule. But this form of govemment satisfied neither the „Aristocrats66, „Christian Germanics“, „Romantics66, „Reactionaries66, nor the 10 „Liberais66. They therefore United against the govemments, and formed the secret societies of the students. From the union of those two sects — for parties they cannot be called — arose that sect of mongrel Liberais, who in their secret societies dreamt of a German Emperor wearing crown, purple, sceptre, and all the is remainder of that sort of apparatus, not to forget a long grey or red beard, surrounded by an assembly of estates in which clergy, nobility, burgesses and peasants should be duly separated. It was the most ridiculous mixing up of feudal brutality with modern middle dass fallacies that could be imagined. But that was just 20 the thing for the students, who wanted enthusiasm, no matter for what, nor at what price. Yet these ridiculous idiosyncrasies, together with the revolutions in Spain, Portugal and Italy, the movements of the Carbonari in France, and the reformation in England, frightened the monarchs almost out of their wits. Fre- 25 derick William III. got his bugbear, „the revolution66 — under which name all these different and partly discordant movements were comprised. A number of incarcerations and Wholesale prosecutions qua- shed this „revolution66 in Germany; the French bayonets in Spain, 30 and the Austrian in Italy, secured for awhile the ascendancy of legitimate kings and rights divine. Even the right divine of the Grand Turk to hang and quarter his Grecian subjects was for a while maintained by the Holy Alliance; but his case was too flagrant, and the Greeks were allowed to slip from under the Tur- 35 kish yoke. At last, the three days of Paris gave the signal for a general outbreak of middle-class, aristocratic, and populär discontent throughout Europe. The aristocratic Polish revolution was put down; the middle classes of France and Belgium succeeded in 40 securing to themselves political power; the English middle classes likewise obtained this end by the Reform Bill; the partly populär, partly middle-class, partly national insurrections of Italy, were suppressed; and in Germany numerous insurrections and move¬ ments betokened a new era of populär and middle-class agitation. 45 The new and violent character of liberal agitation in Germany,
496 Aus The Northern Star 1845/46 from 1830 to 1834, showed that the middle-classes had now taken up the question for themselves. But Germany being divided into many States, almost each of which had a separate line of customs and separate rates of duty, there was no Community of interest in these movements. The middle classes of Germany wanted to » become politically free, not for the purpose of arranging public matters in accordance with their interest, but because they were ashamed of their servile position in comparison to Frenchmen and Englishmen. Their movement wanted the substantial basis which had ensured the success of Liberalism in France and England; 10 their interest in the question was far more theoretical than prac- tical; they were, upon an average, what is called disinterested. The French bourgeois of 1830 were not. Laffitte said, the day after the revolution: „Now we, the bankers, will govern;66 and they do up to this hour. The English middle classes, too, knew very well 15 what they were about when they fixed the ten-pound qualification; but the German middle classes being, as aforesaid, men in a small way of business, were mere enthusiasts — admirers of „liberty of the press66, „trial by jury66, „constitutional guarantees for the people66, „rights of the people66, „populär representation“, and 20 such like, which they thought not means, but ends; they took the shadow for the substance, and therefore got nothing. However, this middle-class movement was sufficient to bring about several dozens of revolutions, of which two or three contrived somehow to succeed; a great number of populär meetings, a deal of talk 20 and newspaper-boasting, and a very slight beginning of a demo- cratic movement among students, working men, and peasants. I shall not enter into the rather tedious details of this bluste- ring and unsuccessful movement. Wherever somewhat important had been won, as liberty of the press in Baden, the German Diet 30 stepped in and put a stop to it. The whole farce was concluded by a repetition of the Wholesale imprisonments of 1819 and 1823, and by a secret league of all German princes, concluded in 1834, at a Conference of delegates at Vienna, to resist all further pro¬ gress of Liberalism. The resolutions of this Conference were 35 published some years ago. From 1834 to 1840, every public movement in Germany died out. The agitators of 1830 and 1834 were either imprisoned or scattered in foreign countries, where they had fled. Those who had kept much of their middle dass timidity during the times 40 of agitation, continued to struggle against the growing rigour of the censor, and the growing neglect and indifference of the middle classes. The leaders of Parliamentary Opposition went on spee- chifying in the Chambers, but the governments found means to secure the votes of the majorities. There appeared no further 45
The State of Germany 497 chance of bringing about any public movement whatsoever in Germany; the govemments had it all their own way. In all these movements the middle classes of Prussia took almost no part. The working people uttered their discontent 5 throughout that country in numerous riots, having, however, no defined purpose and therefore no result. The apathy of the Prus¬ sians was the principal strength of the German confederacy. It showed that the time for a general middle-class movement in Ger¬ many was not yet come. 10 In my next, I shall pass to the movement of the last six years, unless I can bring together the necessary materials for charac- terising the spirit of the German govemments by some of their own doings, in comparison to which those of your precious Home Secretary are pure and innocent. is I am, in the meantime, dear sir, respectfully, Your German Correspondent. March 20th, 1846.
Violation of the Prussian Constitution [The Northern Star. Vol. X. May 30,1846. No. 446, p. 5] The long-promised Constitution it is now said is ready, and will be made public almost immediately. An ecclesiastical synod has been convoked to meet in Berlin on Whit Monday, for the purpose of strengthening the Church against the assaults 5 of the Rationalists. Silesia is in a disordered state, the unhappy people showing every inclination to imitate the Polish peasantry in engaging in an agrarian revolt. Last, not least, financial difficulties add to the embarrassments of the Government, and have given rise to a measure involving a further departure from the solemn pledges given by the Crown to the people. On this subject we have been favoured with the 10 following communication from our German Correspondent: — There exists a law in Prussia, dated 22nd of June, 1820, for- bidding the King to contract any State Debts without the sanction of the States General, an assembly which it is very well known, does not yet exist in Prussia. This law is the only guarantee the is Prussians have for ever getting the Constitution which, since 1815, has been promised to them. The fact of the existence of such a law not being generally known out of Prussia, the govemment suc- ceeded in 1823 in borrowing three millions of pounds in England— first violation. After the French revolution of 1830, the Prussian 20 govemment being obliged to make extensive preparations for a war which was then likely to break out, they not having any mo¬ ney, made the „interests for transatlantic trade66, a govemment concern, borrow twelve millions of dollars («£ 1,700,000), which, of course, were under the guarantee of the govemment, and spent 25 by the govemment — second violation. Not to speak of the small violations, such as Ioans of a few hundred thousands of pounds by the same concern, the King of Prussia has, at this moment, com- mitted a third great violation. The credit of this concern being as it seems exhausted, the Bank of Prussia, being just in the same 30 way, exclusively a govemment concern, has been empowered by the King to issue bank notes to the amount of ten millions of dol¬ lars (£ 1350000). This, deducting SVs millions as deposit and 2lz millions for the increased expences of the establishment, amounts in reality to an „indirect Ioan66 of six millions of dollars 35 or nearly one million of pounds, which the govemment will be res- ponsible for, as up to this time no private capitalists are partners to the Bank of Prussia. It is to be hoped that the Prussians, parti- cularly the middle classes, who are most interested in the Consti¬ tution, will not let this pass without an energetic protest. 40 The Austrian govemment has forbidden the entrance of the Pa¬ ris Charivari into its dominions. Caustic comments on the Galician „price of blood“ is said to be the unpardonable sin which has eli- cited exclusion.
The Prussian Bank Question [The Northern Ster. Vol. X. July 4,1846. No. 451, p. 5] Again, rumours are rife in Germany, that the long projected Prussian Constitution is at last framed, and will be immediately published. For ourselves, we «5 will believe when we see. The King of Prussia is such a liar that none but asses would repose faith in his most solemn promises. One thing is certain that, if a Constitution is granted, it will be so worthless as to be utterly inadequate to satisfy the populär demands. From our „German correspondent“ we have received the following brief but interesting communication which exhibits his Prussian kingship 10 in a new but not very respectable character. He is about to turn swindler on a large scale. He will borrow, and then „repudiate“. We believe a favourite song of his is: — Yankee Doodle borrows cash, Yankee Doodle spends it, And then he snaps his fingers at 15 The jolly flat who lends it. Much, however, might be said for the Yankees which will not apply to the Royal Pietist of Prussia. Perhaps he will quiet his conscience with the moral reflection: — If humbugg’d thus the jobbers choose to be, Why let them, since it brings the chink to me, 20 There’s none so blind as those who will not see. Here follows the letter from our correspondent: — You will probably have already heard that the King of Prussia’s plan of making money out of paper has been found impracticable. Two of the administrators of the State Debts refused to sign the 25 new bank notes, as they considered them to be a new public debt, therefore subject to the guarantee of the States-GeneraL Frederick William IV., to show that he can make as much money as he likes, has now hit upon a far better plan. Instead of making ten millions, he makes thirty—twenty millions of paper-money and 30 ten of good, solid gold and silver coin. He proposes that ten mil¬ lions of Capital be raised by shares, „which shares it appears shall bring no dividends but merely 3% per cent. interest and which shall not be transferable unless at the owner’s death, in order to keep them out of the reach of speculation“!!! Now would you call 35 such things shares? Why not? His Majesty of Prussia decrees that they are shares, and fosters the fond hope that he will find a lot of capitalists stupid enough to invest ten millions of dollars in such not transferable, leaden, three-and-a-half Bank Stock! And that at a time, too, when by speculating in railway shares they can make io quite another percentage. When the King will have found the par- cel of fools he is in want of, and thus borrowed ten millions in coin, he will issue twenty millions in banknotes, making „a sum total of thirty millions“, increase of the national liabilities. Really this is raising the wind with a vengeance. Raising thirty millions, 45 because one can’t get ten. 32*
ANHANG EXZERPTHEFTE Sommer 1845
Aus der von vorliegendem Band umfaßten Periode sind drei Hefte Exzerpte von Engels erhalten, deren Niederschrift — inhaltlichen Indi¬ zien nach — in den Sommer 1845 fällt. Die Tatsache, daß auch Marx eine Reihe der von Engels studierten Werke exzerpiert hat, ja mehr: der wech¬ selseitige Hinweis von Engels auf Marxens Exzerpt und umgekehrt (cf. in unserem Bande p. 512; in Bd. 6 p. 616) läßt annehmen, daß die Ent¬ stehung dieser Auszüge mit der gemeinsamen Englandreise zusammen¬ hängt, deren Datum — Juli-August 1845 — auch auf drei der betreffen¬ den Marxschen Exzerpthefte vermerkt erscheint. Die Exzerpte geben den Inhalt der gelesenen Werke meist in kurzer Zusammenfassung wieder; wörtliche Zitate wie auch Glossen, die an ein¬ zelne Punkte anknüpfen, sind relativ selten. Doch unterbricht Engels die resümierende Darlegung von Tatsachen oder Argumenten des Autors zu¬ weilen durch eigene kritische oder polemische Bemerkungen; in solchen Fällen haben wir den Auszug im Wortlaut wieder gegeben. Die Auszüge sind größtenteils deutsch ab gefaßt.
Hefti 4°, 26 Bl. — 51 beschr. S. Auf der 1. S. Überschrift: Porter, Progress of the Nation, 3rd Vol. (21 S.) W. Godwin, History of the Commonwealth, 4 Vols. (1 S.) Tooke, History of Prices, 2nd Vol. (15 S.) On Combinations of Trades (11 S.). — Der Rest der 1. Seite mit Rechnungsoperationen bedeckt. Auf S. 2 kurzes Exzerpt über Krisen und Zehnten aus Cooper, Lectures on Political Economy (9 Zeilen). Auf die letzte Seite geschr.: Royle, On the Productive Forces of India; Campbell, Political Survey (Leihbibl.); Roberts, A Map of Commerce, 1628; Bacon gegen Zünfte nach¬ zusehen; 1518 evil may day in London nachzusehen; Artizan’s Committee Report, 1824. G. R. Porter, The Progress of the Nation, in its various Social and Economical Relations, from the Beginning of the Nineteenth Century to the Present Time. London, Charles Knight and Co., Vol. III, 1843. Gedrängte Zusammenfassung der Kapitel Z, II und III, ohne Kommentar. An¬ knüpfend an den Abschnitt über Malz in Chap. IV bemerkt Engels: In Beziehung auf die Malzsteuer sagt dieser specious free trader „The tax on malt has always etc.“ p. 52 Zu Chap. V, Abschnitt über Tabakzoll: Hier die Exploitation der Arbeiter am infamsten. Zum Abschnitt über Papier: Der Konsum dieser Art zeigt die große Zunahme der Zivilisation. Den Abschnitt über Seife faßt Engels folgendermaßen zusammen: Seife. Da sie viel in Fabriken gebraucht, so hat sich die Konsump- tion von 1801 bis 1841 von 52 Mill, auf 170 Mill, gehoben; aber während 1801 — 624, waren 1841 nur 344 licensed Seifensieder in Tätigkeit, welche Zentralisation des Kapitals und der Industrie Herrn Porter nicht erklärlich ist. Section VI, Accumulation. Chap. II, Abschnitt über Savings Banks; Engels faßt die Berufsstatistik der Einleger zusammen: Savings banks. Was diese heißen wollen, zeigt die Manchester and Salford Bank for savings — aus 15 000 depositors sind 3000 domestic servants, 7 in 8 females, 1500 clerks, shopmen, warehousemen etc. 3000 minors, also die Hälfte dem industriellen Proletariat fremd, wozu noch 1300 Professional teachers, artists, tradesmen and small shop- keepers, farmers, gardeners etc. and 1800 of description not specified kommen — also 10 600 oder wenigstens, die letzten 1800 in due propor- tions divided, 9800 außer dem eigentlichen Proletariat, und 5200 Prole¬ tarier von der Art, für die die Sache eigentlich beabsichtigt. Section VII, Moral Progress. Chap. II, Crime; die Auszüge aus diesem Kapitel sind reicher detailliert, sie geben Einzelheiten über das Strafgesetzbuch, die Entwick¬ lung der Kriminaljustiz, den Bildungsgrad der Straffälligen usw. Über die PeeVsehen Neuerungen im Straf kodex bemerkt Engels:
504 Anhang Zugleich ließ der Heuchler Peel aber eine Bill passieren, wodurch Richter ermächtigt, das Todesurteil nicht zu fällen, sondern bloß zu registrieren (to record), damit der schöne Effekt der schwarzen Kappe nicht verloren gehe und die ganze Sache sportlich werde. Nachher 1826/28 mäkelte Peel an der Quantität der eine Capital offence konstituierenden Beträge von Diebstählen herum und wagte zu renommieren, daß er keine neuen Kapitalver¬ brechen kreiert habe. Chap. III, Manners; die Auszüge behandeln ausführlich Trunksucht und Aus¬ schweifungen, „schmutzige Bücher“, Zotenlieder usw. Chap. IV, Education; den Abschnitt über die Pflicht der Regierung, für die Volksbildung zu sorgen, faßt Engels folgendermaßen zusammen: Jetzt gibt Porter einen langen Senf über die Vorteile einer ordent¬ lichen Erziehung, die den arbeitenden Klassen die Mittel geben würde, in die Bourgeoisie überzugehen, und sie lehren würde, daß die schlechten Zeiten unvermeidliche Übel seien, die aus notwendigen und unkontrollier¬ baren Ursachen, nicht aus einem ökonomischen System, das den herr¬ schenden reichen Klassen günstig sei, hervorgingen. — Erziehung würde sie von Erneuten abhalten, vor demagogischer Verführung sichern und ihnen beweisen, daß sie nichts Besseres tun könnten, als sich dem allge¬ meinen laisser faire anschließen und still verhungern, if they have no work. Chap. V, Abschnitt über Zeitungen; über Porters Stellung zur Arbeiterpresse be¬ merkt Engels: Früher eine Stamp duty of 4d on every newspaper sheet, also sehr teuer. Nach der Reformbill verlangten die Arbeiter auch Zeitungen, und eine Masse wurde trotz aller Gegenbemühungen der Polizei und Accisen auf ungestempeltem Papier gedruckt — meist radikale und wütende Blät¬ ter, über die Porter sehr schimpft — denn diese Schmuggler sind zwar gut, um eine un ökonomische Taxe loszuwerden, aber Talent und Kennt¬ nisse muß Herr Porter ihnen abstreiten. Section VIII, Colonies and Foreign Dependencies. Chap. II, Europe; über die Ionischen Inseln bemerkt Engels: Auch die Ionischen Inseln haben eine passende Verfassung erhalten. Die Repräsentation wird von den Nobles gewählt, die keinen Handel oder Geschäft treiben dürfen — der englische Schacherer scheint den schlauen Griechen doch zu respektieren. Chap. III, Asia; detaillierte Auszüge betreffend Indien, Zuwachs von Englands Territorien und Macht. Chap. IV, V, VI, VII; kurze Exzerpte über englische Kolonien in Australien, Afrika, Amerika und Westindien; kurze Angaben über die Methoden der kolonialen Durchdringung und Eroberung, über Bevölkerungsverhaltnisse in den Kolonien und den Kolonialhandel. William Godwin, History of the Commonwealth of England. From its Commencement, to the Restoration of Charles the Second. Vol. I. Lon¬ don, 1824. XVI, 420 p. Eine Seite mit kurzen Auszügen, deren letzter Chap. III, p. 49 betrifft, über die erste Session des Long Parliament.
Exzerpthefte 505 Thomas Tooke, A History of Prices, and of the State of the Circu- lation, from 1793 to 1837; Preceded by a brief Sketch of the State of the Corn Trade in the last two Centuries. Voll. II. London, 1838. IV, 420 p. Die Auszüge aus diesem Werk sind verhältnismäßig ausführlich. Der in jedem Kapitel Wiederkehr ende Abschnitt State of the Circulation bleibt in der Regel unbe¬ rücksichtigt. Die weitaus meisten Auszüge beziehen sich auf den Handel, die Preis¬ bildung, Krisen und Spekulation. Unter die Überschrift setzt Engels den Vermerk: Der erste Band auf einem besonderen Blatt. Chap. VI, Section TV; eine kritische Zusammenfassung von Engels: Herr Tooke behauptet, die Arbeiter seien wahrend der Krisis in einem ganz guten Zustande gewesen, da der Lohn nicht so rasch gefallen sei wie die Produkte (wie war das möglich? die Krisen pflegen über Nacht zu kommen) — freilich habe man geklagt, daß die Depression der Fabriken viele außer Brot geworfen (so mußte der Lohn wohl fallen) daß die Ent¬ lassung vieler Soldaten und Matrosen und andrer im Krieg beschäftigten Leute die Konkurrenz der Arbeiter unter sich vermehrt habe, aber doch sei alle Evidenz vorhanden, that the great bulk of working classes were in an improved state compared with that of 1811/12. Very doubtful. Section VIII; anknüpfend an den State of the Circulation für 1814—1818 bemerkt Engels: Die sämtlichen Bewegungen des Handels während dieser Zeit werden einer gewissen bornierten, aber zahlreichen — besonders damals zahl¬ reichen — Sorte der Zirkulation und einer mysteriösen Depression des Geldes zugeschrieben. Chap. VII, Sectll, The Markets for Commodities 1812—1822; Glosse von Engels: Besonders in der ersten Hälfte des Jahres 1819 diese gewaltigen Bankrotte und allgemeine Kreditlosigkeit und Depression des doux com- merce. Solche Lumpenkrisen wie die von 1816 und 19, wo ein Märktlein wie das kontinentale durch Überführung ganz England derangierte, oder der commerce auf eigne Hand, unabhängig von der Industrie, eine Krisis produzieren konnte, liegen doch jetzt unendlich weit hinter der Höhe der Zeit. Chapter VIII, Section III, State of Markets from 1823 to 1825; die Stelle: There then arose an impression that all purchases of goods were likely to answer. This impression was encouraged, if not produced, by the recommendations of the brokers to those to whom they had access gibt Engels in folgenden Worten wieder: Allmählich glaubte man, alles müsse steigen, und spekulierte in omni- bus rebus und quibusdam aliis. Die Makler taten ihr Bestes, um das Geschäft zu beleben und alle ihr zugänglichen Bourgeois zu exploitieren. Aus demselben Abschnitt notiert Engels die folgende Stelle, mit Zwischenfrage: So wie 1808/9,1816/17 und 1839, verursachen die geringen Stocks eine Übertreibung der Ansicht von der Zunahme der Konsumtion und der Be¬ schränkung von supplies, woraus große Käufe im Ausland zur Impor- tation entstanden, und diese Käufe draußen zu so hohen Preisen gemacht, daß diese allein hingereicht haben würden, die inländische Konsumtion wieder zu drücken. Dazu brachten die geringen Vorräte hier und die Spekulation darauf eine Besserung in den auswärtigen Märkten für eng¬ lische Manufakturware hervor (? ist das nicht unabhängig oder gar Ur¬
506 Anhang sache gewesen?) und hieraus entstanden übermäßige Ordres von draußen und übermäßige Spekulation. Chap. VIII, Section VI; Engels macht folgende Einleitung: Sect. 6. Krisis in Aktien und Fonds. Im Frühjahr 25 zeigt sich doch alle Lauheit der Kapitalisten, ihr Geld in dieser Speku¬ lation unterzubringen und dazu kamen genauere Nachrichten über die Aussichten der meisten Projekte in Umlauf. Chap. X, Section II, State of Trade 1833—1835; anschließend an eine Lohn¬ statistik der für die Garnnummern 180 und 200 spezialisierten Feinspinner bemerkt Engels: NB. dies sind [die Löhne] von Feinspinnern, die ihre mächtigen Trades Unions haben und denen keine selfacting beikommen können. Section V, Joint Stock Banks; die Rede von Poulett Thompson über Spekulation faßt Engels folgendermaßen zusammen: Der Präsident der Board of Trade, Charles Poulett Thompson, schil¬ dert 6. Mai 1836 im Parlament dieses Spekulationsfieber als durch das ganze Land gehend, schimpft über die verrückten Zwecke und stellt die Absicht der Urheber als in vielen Fällen reine Agiotage dar. Zu Tookes Resümee der Periode 1833—1837 fügt Engels hinzu: Im Allgemeinen soll die Krisis von 1837 nicht so schlimm gewesen sein wie die von 1824 — weil sie nicht so roh war und sich mehr auf die zivilisierten, nicht von der Natur Produktion abhängigen Zweige, die Geld¬ spekulation, Aktienspekulation, und Industrieproduktion warf — und weil es ihm nur auf die Masse der Bourgeoisie ankommt, die da¬ durch getroffen wird. On Combinations of Trades. London, James Ridgway, 169, Piccadilly. 1834. 94 p. Diese allem Anschein nach unveränderte Ausgabe lag uns nicht vor. Die erste Ausgabe von 1831 hat 94 Seiten. Das Pamphlet ist erschöpfend exzerpiert. An einigen Stellen vermerkt Engels: (vgl. Eden), einmal: (stets Eden zu vergleichen). Folgende Stelle mit Engelsscher Anmerkung geben wir wieder: In proportion as skill and labour became of less value, the upper dass of operatives (i.e. the better paid ones), besides redoubling their exertions, and bringing industry to its present unrivalled efficiency, were led to seek protection in combinations (p. 14). Die natürliche Folge davon war auch, daß der Lohn gleichmäßiger wurde. 1779 [so auch in der Broschüre, — wohl Druckfehler für 1799] die combi- nation laws re-enacted. Die Baumwollindustrie die nicht unter die Statu¬ ten der 5. Eliz. kam, nahm damals rasch zu und litt, vonAnfang an, an Arbeitercombination, whilst its uninterrupted prosperity might have induced a suspicion that their effects were not so mischievous as interested people represented. Der Schluß, daß die Trade Unions be¬ weisen, welcher Art diese Prosperität war, fällt natürlich Herrn [Verfas¬ ser] u. Co. nicht ein. So die 39 u. 40 Geo. 3, c. 106, wodurch ein früheres Statut (das von 79??)abgeschafft wurde, aber nur, um aufs neue mit Zu¬ sätzen enacted zu werden, und das sich hauptsächlich gegen Trades Unions richtete.
Exzerpthefte 507 Die folgende polemische Glosse bezieht sich auf p. 20—22 der Broschüre: Dann behauptet er, daß wegen der verschiedenen Produktionskosten der verschiedenen Fabriken die schlechter gestellten weniger Lohn geben können als die besser gestellten, als ob der Lohn davon und nicht viel¬ mehr vom supply und demand abhinge, als ob der Profit aller Fabriken platterdings gleich sein müsse, als ob in guten Zeiten die vorteilhaft ge¬ stellten Fabriken nicht lieber den größeren Profit einstecken würden, als den anderen eine Konkurrenz machen, die ihnen bei ihren beschränkten Produktionsmitteln doch nicht helfen kann. Zu p.31—36 folgende Zusammenfassung: Der Mann rechnet den Arbeitern vor, wie schädlich ihnen turnouts for advance of wages seien. A man who sacrifices 45 weeks wages for an advance of 3/—, anticipates the first 4 years of the advance, which looking to the fluctuations of trade and the chances of life and health, is perhaps more than he will ever receive. Warum sieht der Esel nicht, daß dies beweist, daß es sich im Grunde um ganz andre Dinge anbei handelt als um die elenden 3/— a wk. Er gibt übrigens zu, daß Trade Unions den Lohn hochhalten. Wir geben ein längeres Exzerpt aus p. 43—44 mit Einwurf von Engels wieder; die Sperrungen sind von Engels: The principle of adjusting wages to the supposed profits of the em- ployer which is involved in claiming higher remuneration from improved machinery, is wholly inadmissible. The application of this prin¬ ciple is not, however, confined to one description of profit. The dyers, Aug. 7th 1824, turned out at Manchester and paraded the streets setting forth in a placard, that their masters had obtained an increase of price for dying more than adequate to the advance they claim. The workman here sought wholly to take the profits of the employer, but was not at the same time liable for the losses (schöne Weisheit, wo der Proletarier allein die losses des empl[oyer] fühlt!). Wages thus changetheir cha- racter and either absorb or become an ad valorem tax upon profits, the labourer is converted into a partner, without the usual liabilities of partnership, and the inducement to risk Capital in Trade which the operatives, above any other dass, are in- terested in encouraging, are thus [. . .] wholly taken away. Heft II 4°, 24 Bl. — 48 beschr. S. Auf der vorletzten Seite eine Liste von 35 Büchern und Broschüren aus verschiedenen Fachgebieten. Auf S. 20 ein Exzerpt über Wucher aus Free Trade, or the Means to Make Trade Flourish, London, 1622, p. 30. Auf der letzten Seite kleine Rechnungsoperation. Inhalt: Eden, State of the Poor (46 S.). Sir Frederic Morton Eden, The State of the Poor: or an History of the Labouring Classes in England, from the Conquest to the Present
508 Anhang Period; together with Parochial Reports Relative to the Administration of Work-houses, and Houses of Industry; the state of Friendly Societies; and other Public Institutions. In three volumes. London, T. Davis, 1797. Vol. I, XXXI, 632 p. Vols. II, III, CCCCXXX, 904 p. Der erste Band dieses Werkes ist sorgfältig und ausführlich exzerpiert. Mehr als in den anderen Exzerptheften finden sich hier wörtliche Zitate. Zu einigen der von Eden zitierten Bücher vermerkt Engels: nachzusehen. Einige Stellen aus diesem Exzerptheft, mit eingestreuten kritischen oder pole¬ mischen Bemerkungen von Engels, geben wir im Wortlaut wieder: p. 10. Die religiöse Streitigkeit und das Sektenwesen werden von Eden als dem Gewerbefleiß schädlich und den Pauperismus befördernd angesehen, besonders der Methodismus. Herr Eden sieht nicht, wie einer¬ seits Beförderung der Industrie und des Pauperismus eins und dasselbe ist (wiewohl er weiß, daß die Fabrikarbeiter gewöhnlicher Paupers wer¬ den als die Ackerbautaglöhner, was er wieder den unter den industriellen Arbeitern vorherrschenden Sekten zuschiebt) — und wie sehr Sekten¬ konkurrenz und Gewerbskonkurrenz Zusammenhängen, wie sehr speziell der methodistische Pietismus eine notwendige Seite der Religion der bür¬ gerlichen Gesellschaft ist. p. 13. erklärt sich E[den] für große farms gegen die kleinen und ent¬ wickelt ihre Analogie mit den Maschinen in der Arbeiterersparnis. Efden] ist überhaupt ein ganzer freetrader ä la Smith und hat keine romantischen Illusionen — er ist auch für enclosure of commons, in denen er eine große Tat sieht und nur wünscht, daß ein allgemeiner Akt of enclosure, aber besser als der vorige Session vorgelegte (also schon damals!) die Sache im Großen organisieren möge. Zu p.19: Wie also auch die Legislation den Armen (id est den Kommünen!) den durch enclosure auf sie fallenden Schaden ersetzen mag, immer wird es besser für sie sein als ihre jetzigen prekären, bestrittenen und kostspieligen Vorteile, obtained, if at all, by an ill-judged connivance or indulgence of landowners!! and by a heedless sacri- fice of property of which no one takes any account, and for which of course no one thanks them! Also schon die ganze Geschichte der jetzigen Verteidiger der Enclosure und noch viel brutaler; aber wie schön — es ist undoubtedly das Eigentum des lord of soil — und doch muß er einen Akt der Legislatur haben, um sein Eigen¬ tum zu verwerten! Daß es sich hier darum handelt, feudales Recht in modernes zu verwandeln, zu eskamotieren, das geht Herrn E[den] nicht an. Zu p. XIX—XX: Whatever System of enclosure takes place, it might perhaps, be advisable, that some specific quantity of land should be laid off, from every common that is to be enclosed and improved, not for the avowed paupers of the district, but for its cottagers and labourers . . . This would give the people of property sufficient (but by no means too much) influence and authority over those who are here sup- posed to be employed to work for them, and it would place such labourers in a state of easy and liberal dependence . . . schreibt Engels: Diese easy and liberal dependence sei, wie jeder Kenner der mensch¬ lichen Natur zugeben werde, necessary for their (the labourer’s) own comfort! Dabei bildet sich der Bursche aber ein, der Lohn werde derselbe bleiben — he takes this for g r a n t e d. In dieser Restau¬ ration der Feudal ität auf Bourgeoismanier ist er Romantiker, sonst nicht.
Exzerpthefte 509 Zu p.XXV: Aber es ist mortifying, daß trotz dieser schönen Ersparnisse dennoch die Armensteuer in den letzten 20 Jahren sich verdoppelt hat! „Far from imputing this, in any respect to the Societies“ (ökonomischer Stil, Bedürfnis sich zu widersprechen) folgt hieraus nur die Hartnäckig¬ keit des Übels und die Tatsache, daß nur die Legislatur (also doch!) der Sache gründlich abhelfen kann. Man soll durch eine kräftige Reform der Poorlaws diese Assoziationen befördern (ihnen die Freiwilligkeit nehmen?). Er beklagt sich, daß die Arbeiter ihm und seinen Agenten nicht hätten sagen wollen, wieviel sie verdienten, und besonders, wieviel Bier sie ver¬ söffen — darüber wundert sich so ein Bourgeois noch. Zu p.36sq.: 1360 das Statut der Arbeiter bestätigt vom Parlament, Stra¬ fen verschärft und körperlicher Zwang zur Erfüllung der Dienstpflichten angewandt, und alle Vereinigungen, Verträge, Eide etc. der Maurer und Zimmergesellen für nichtig erklärt. Es heißt zwar, daß die Arbeitgeber auch mit den Arbeitern über ein bestimmtes Arbeitsquantum akkordieren könnten, wodurch dem Arbeiter einige Möglichkeit, mehr zu verdienen, aber doch scheint der master ihn haben zwingen können, für den Statutlohn zu arbeiten, wenn dies ihm nicht konvenierte. Diese Akte behandelt E[den] natürlich mit enormer Verachtung und als ob sie nie durchgeführt worden wären. Zu p. 37: Der Annalist Knyghton klagt, daß 1388 die Kleidung so ge¬ wesen sei, daß die Armen von den Reichen und die Pfaffen von den Laien nicht zu unterscheiden gewesen seien, die Moden hätten rasch gewechselt und jeder habe es seinem Nachbarn zuvortun wollen. (Der Kleiderluxus stieg überhaupt, worin Efden] ein Zeichen großer Prosperität sieht — natürlich die Bourgeoisie wollte dem Adel nichts nachgeben.) Zu p.41sq.: Abschnitt betreffend den Übergang zur Lohnarbeit, Regelung der Entlohnung, Ernährung und Bekleidung, bemerkt Engels: Übrigens ist klar, daß diese ganze Geschichte einerseits vom Adel, der sich nicht an die Freiheit der emanzipierten Leibeigenen gewöhnen konnte und sie möglichst in allgemeiner Knechtschaft halten wollte, andererseits von der Bourgeoisie, die sich vor hohem Arbeitslohn sichern wollte — da das Maximum des Lohns, aber nicht das Minimum (besonders im letzten Akt nicht) festgesetzt war — ausging. Der Handel und das Geld untergruben ohnehin die Leibeigenschaft immer mehr, der Adel ließ sich statt mit Frohnden etc. lieber mit Geld abfinden, und konnte dann glän¬ zender und lustiger am Hofe als auf seinem Schloß leben. Daß der Bour¬ geois zur selben Zeit auch Kost und Tracht vorgeschrieben bekam, ver¬ stand sich von selbst und war ihm bei seiner Feigheit auch ganz recht. Zu p. 42 sq.: 1376 klagten die Commons aber schon wieder sehr, daß die Arbeiter, wenn man nicht riskieren wolle, daß sie wegliefen, sehr hohen Lohn erhalten müßten, und daß sie darin sehr ermuntert würden, so daß ihre Frechheit und ihr Weglaufen auch zunähmen (also hatte die Bour¬ geoisie auch ein sehr großes Interesse an diesem Statut — natürlich stieg der Lohn und Nachfrage nach Arbeitern zu einer Zeit, wo der größte Teil der Bevölkerung an den Ackerbau durch feudalen Druck gefesselt) — auch daß viele Bettler würden und herumluderten und viele turned out sturdy rogues (fortes larounes), stählen und raubten. Dagegen schlugen die
510 Anhang Commons vor, daß den ablebodied keine Unterstützung zu geben sei, daß alle vagrants eingesperrt werden sollten bis sie einwilligten, nach Hause zu gehen und zu arbeiten, und daß, wer einen entlaufenen servant beherbergte, um £ 10 gestraft werden sollte. 1378 beklagten sich die Commons nochmals, daß eine Masse Acker¬ bauarbeiter in die Städte kämen, um Handwerker etc. zu werden, wodurch der Ackerbau leide (da steckt was anderes hinter — wahrscheinlich nur ein anderer Ausdruck für die obige Bettelklage oder eine Klage über das Eindrängen der Bauern in die Zünfte). Zu p. 50: Die Geistlichkeit scheint nach E[den] den Ackerbau verbessert zu haben. Natürlich der Bauer, den die Scholle und die Dummheit gefesselt, konnte es nicht, der Adlige wollte es nicht, und der Pfaffe, der in der Welt herumkam, und zu Hause sich langweilte, wußte nichts Besseres zu tun als den Boden zu verbessern. Auch die Canones des Council Lateran 1179 sprechen davon, daß die Geistlichen ihre Ländereien selbst bebauen hel¬ fen. Besonders den Gartenbau betrieben die Pfaffen als spezielle christlich¬ germanische Liebhaberei und entschädigende Sentimentalität für das Zölibat. — Zu p.55: Bei anderen Lords, die villeins freigegeben hatten, fand die Halbmannschaft statt, wie in Lombardei und teilweise Deutschland und die alten metayers in Frankreich (Adam Smith zu vergleichen, über die ver¬ schiedenen Übergänge vom villein zum lease-farmer). Zu p. 74: (Eden glaubt, die allgemeine Verwandlung des Ackerlandes in Viehland habe hauptsächlich die Schwierigkeit, bei der Nachfrage der Industrie nach Arbeitern, Ackerbau-Taglöhner zu finden, zur Ursache gehabt!!) Zu p. 103: In Bezug auf die Maßnahmen, um die private Armenpflege obligato¬ risch zu machen: Wer nichts geben wolle, der solle von Pfaffen oder churchwardens g e n 11 y exhorted werden, und hilft das nicht, so soll der Bischof ihn kommen lassen und induce him and persuade by charitable ways and means. Gleich also die Zartheit gegen die Bourgeoisie, die um so schöner gegen den obigen Sklavenakt absticht. Den Abschnitt p. 106—107: Previous to the 16th. Century, the introduction of manufactures and commerce had produced very important changes in the state of society in England. In pursuing the various occupations of industry, the people had discovered the means of emancipating themselves from the heavy shackles of vassalage and servitude: and the nobility in judiciously preferring a tum of expence, which promoted the arts, to the coarse enjoyments of baronial splendor, which were the source of idleness and disorder, had necessarily bartered their personal authority for private comfort: and whilst their industrial influence over their dependents was thus gradually wasting away, their collective preponderance in the scale of goverment, which had often enabled them to resist even kingly power with success, was comple- tely overthrown by the desolating effects of the civil wars between the Yorkists and the Lancastrians faßt Engels folgendermaßen zusammen: Während die Bourgeoisie aufgekommen und der Adel seine Macht für Geld verschachert, war dieser letztere auch in den Lancaster- und York- Kriegen total aufgelöst und vernichtet. Über Monopole (p. 109): Sie dringen den Bourgeois willkürlich Preise auf und scheren sich
Exzerpthefte 511 nicht die Laus um die Gesetze. Man sieht, wie nötig die Revolution war. Die monopolies hatten alles unter Beschlag belegt, Eisen, Stahl, Häute, Pottasche, Salpeter, Glas, Papier etc., und ein Unterhausmitglied wun¬ derte sich nur, daß das Brot nicht darunter sei. Indes nahm die Bourgeoisie reißend zu an Geld und Gut vor dem Herrn. Die vielen Klagen über und Proklamationen gegen enclosures for gra- zing — obwohl der Kornpreis billig und der Viehpreis hoch gewesen zu sein scheint (examination of certayne complaints, pamphlet 1581) — diese Klagen scheinen also doch mehr wegen der daraus entstehenden Brot¬ losigkeit und ejection gewesen zu sein, was Herrn E[den] natürlich nichts angeht — dann die Klagen gegen fremde manufacturers and artificers who much excelled the English in dexterity — und die vielen unter Henry VIII passierten Akte for paving towns, improving highways and bridges, and draining marshes, beweisen das. Zu p. 145: Lord Coke behauptet, daß gleich nach den 39 Eliz. 4 (oben) die rogues alle verschwunden, aber mit dem Nachlässig wer den der Justice of Peace wiedergekommen seien. Auch seien wenige aus den Houses of Correction gekommen, ohne gebessert zu sein!! Schöne Einbildung der Juristen. Zu p. 146: Unter Jacob I. eine Masse Gesetze, um die Verwaltung der Justiz zu verbessern, den Betrügereien in Fabriken entgegenzuwirken, Ackerbau und auswärtigen Handel zu beleben — alles zeigt das fernere Aufstreben der Bourgeoisie. Zu p. 165: 1646 ein gewisser Stanleye ein ehemaliger Räuber, ein Pamphlet über die Vagabunden etc. — hält die Anzahl derselben für mehr als 80 000, schlägt Arbeitshäuser vor und für die schlimmeren auf See schicken, oder nach den Kolonien verkaufen. Klagt darüber, daß die noblemen and gentlemen in solchen Massen nach London ziehen und das Land verlassen. Der Kerl ist sonst sehr vernünftig, beweist, daß die Brandmarkung die Vagabunden nur hindert, Arbeit zu bekommen, daß kein Privater diesen Leuten Arbeit geben wird und daß nur das public dies kann. Es seien Tausende vorhanden, der Geburtsort unbekannt, die vagrants by descent seien. Die Armen fluchten den sie ver¬ urteilenden Richtern ins Gesicht, weil sie sie fürs Faulenzen straften und ihnen keine Mittel zur Arbeit gäben. Sie sagten alle: I should work if I was able to get it. — Zu p.l88sq.: 1673 schätzt ein Pamphlet die Poor’s Rate auf 840 000 a year und sagt: This is employed only to maintain idle persons, doth great hurt rather than good, makes a world of poor more than otherwise there would be, prevents industry, and laborious- ness, men and women growing so idle and proud, that they will not work but lie on the Parish for maintenance, applying themselves for nothing but begging or pilfering, and breeding up their children accordingly, never putting them upon anything that may render them useful in their generations or beneficial either to themselves or to the Kingdom. „The Grand Concem of England Explained.“ Also schon damals Antipathie der Bourgeois gegen das Armengesetz. Er schlägt auch vor, sie an die Arbeit zu setzen.
512 Anhang Chapter III. From Revolution to the Present period. Tabelle aus D’Avenant vgl. Marx’s Exzerpt. Eden sagt, die Anzahl der Köpfe per Familie sei zu niedrig. Zu S. 250sq.: In Exeter war ein Arbeitshaus eingerichtet, und dafür 1698 ein local act of Parliament passiert, und dieses Arbeitshaus wirkte, wie Dunning mit infamer Schadenfreude erzählt, sehr zur Demütigung der paupers — da es für eine Art Gefängnis gelte, „obwohl es keins sei“, näh¬ men die Arbeiter lieber alle Vorschläge der Meister in der Stadt an, um nur nicht dahinein zu müssen; ohne hineinzugehen bekamen sie kein relief. Zu S. 253: Gegen 1700 Cary, Essay towards regulating trade and emp- loying the Poor of this Kingdom, worin auch Faulheit als Hauptursache angegeben. Diese Faulheit teils aus Mängeln der Gesetze, teils aus ihrem Mißbrauch entstehend. The time spent in idle tippling was considered by our forefathers to be a loss to the nation — sagt dieser Edle! Zu Edens Zitat aus D. Defoe, p.262sq.: The erection of parochial manufactures in order to parcel out work to every door will ruin the manufacturers themselves, will throw thousands of families out of their employment and will take the bread out of the mouth of diligent and industrious fa¬ milies to feed vagrants, thieves and heggars who ought much rather to he compelled hy legal methods to seek that work which it is plain is to be had ist in der Handschrift von Marx folgender Bleistiftvermerk hinzugefügt: (at the same time he says that if they work, they will put others out of work) Heft III 4°, 28 Bl. — 55 beschr. S. Auf Seite 41 eine Liste von 8 Büchern (über Außen¬ handel, Bevölkerung, soziales Leben). Inhalt: Eden, State of the Poor (Fortsetzung, 20 S.); Aikin, Description of the Country round Manchester (16 S.); Butterworth, Antiquities of the Town and History of the Trade of Manchester (4 S.); Gilbart, History and Principles of Banking (12 S.); Beschreibung einer alten Karte von Manchester (2 S.). Die Fortsetzung der Auszüge aus dem 1. Band des Edenschen Werkes ist ebenso sorgfältig und ausführlich wie ihr Beginn in Heft II. Der 2. und der 3. Band, Berichte der Pfarrgemeinden enthaltend, sind weit dünner exzerpiert, die Auszüge beschränken sich hier auf die wichtigsten Städte und Bezirke und bestehen aus Angaben über Be¬ völkerung, Berufsgliederung, Löhne, Ernährung und Pauperismus. Zu p.313: Vagrants and disorderlies sollten bei der dritten offence on proof of their being incorrigible rogues, be transported, made slaves of, or whatever eise the Quarter Sessions should think proper. Schöne Verlegenheit der Bourgeoisie. Zu p. 320: 1751 Henry Fielding on increase of Robbers. 1753 the same, Proposal for making an effectual Provision for the poor. Die größte Klasse der Armen wolle nicht Arbeit. Die Bettelei zu unterstützen, sei eine gutmütige aber verderbliche Schwäche. In seinem zweiten Buch schlägt er County workhouses vor mit einem House of Correction dicht dabei. Das County House (der Arbeit, nicht of Correction) soll aber ziemlich wie ein Gefängnis sein, und F[ielding] gebraucht die Worte admitted und
TAFEL VI: Faksimile aus dem Exzerpthejt 11 mit Vermerk von Marx, stark vergrößert (vgl. S 512)
Exzerpthefte 513 committed fortwährend durcheinander. Herr Fielding überhaupt ein famoser Polizei Verbesserer Spitzbubenhänger, energischer acting magi- strate, Bettelei-Unterdrücker und Zubehör. Er sagt auch, daß die allge¬ meine Meinung sei, die Armen seien nicht bloß ein very great bürden, sondern auch eine nuisance to the Kingdom. Zu p. 373:1786 Mr. Acland published a Scheme for enabling the Poor to maintain themselves, und zwar durch wöchentliche Subskription zu einer Art Friendly society! Die nichts haben, sollen subskribieren!! aber nicht bloß sie, sondern das ganze Königreich, alle über 21gsten bis 30 Jahre sollen gezwungen sein zu subskribieren. Dieser Plan teilweise in Pitts Bill aufgenommen. Dieser Plan ist so verwickelt und so unpraktisch, daß er gar nicht zu exzerpieren ist. Zu p. 380: 1788 Mr. Howlett, „The insufficiency of the causes to which the increase of Poor and Poors’ Rates has been ascribed“ gegen Acland. Ohne Bedeutung. Zu p.387: Man soll Arbeits shops für die Fleißigen errichten; keiner sollte relief bekommen, der nicht ein Mitglied einer friendly society sei. — N. B. diese soll dann also zwangsmäßig sein, am härtesten für die, die ohne¬ hin nichts zu fressen haben. Zu p.406sq.: Eden bildet sich ein, weil jetzt mehr gearbeitet würde, weil die innere und auswärtige Konsumtion englischer Ware enorm zugenom¬ men, während nach Price die Bevölkerung abgenommen!!, so müsse die Nachfrage nach Arbeitern und also auch die Comforts der Arbeiter zuge¬ nommen haben. Herr E[den] protestiert gleich gegen die unvernünftige Voraussetzung, daß die Wirkung guter Regierungen und die Akkumula¬ tionen der Industrie sich nur auf Bereicherung des reichen Kapitalisten und Grundeigentümers beschränken. Zu p. 531—540: Graf Rumfords Essays sind ein schönes Kochbuch für alle mögliche Art Fraß von der billigsten Sorte, um den Arbeitern Surro¬ gate für die teueren jetzigen Normalspeisen zu geben. Dieser Kerl ist wirklich ekelhaft. Zu der Note: The land owners in these parts find it advantageous to divide their farms into small lots, to enable the Labouring manufacturers to keep a cow or two. Dafür Rent von 15/— bis 90/— an acre, average 32/— Land principally grass. Das zeigt wieder, daß der Nominallohn nicht zu betrachten; kann aber nicht mehr lange gedauert haben. Randbemerkung von Engels: Sonst die Rente in England 15/— ä 29/— Zu: Northampton, Shoe Trade, declining p. 536, also a little woollen manu¬ facture, very little at present. Also a cotton manufactury, where women and children eam from 2/— to 5/— a week, woolcord 9/— to 12/—, shoe makers 10/— to 15/—, lace makers, whose number and trade, wages also, of late years much decreased, now 1 d to 1J4 d an hour by hard work, formerly much more. Engelssche Bemerkung: (Query no machines got up at that time?) Marx-Engcls-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 33
514 Anhang [J. Aikin,] A Description of the Country from thirty to forty Miles round Manchester. The Materials arranged, and the Work composed by J. Aikin. London, 1795. XVI, 616 p. Die Auszüge sind sehr kurz und gedrängt, verteilen sich aber dünn über das ganze JFerk; sie berücksichtigen nur die wichtigsten Städte und Bezirke und bringen Angaben über Bevölkerung, Handel und die Entwicklung der Maschinerie in den ver¬ schiedenen Industriezweigen, Zu p. 174: Damals auch Dampfmaschinen angewandt, um mit wenig Was¬ ser eine große Wasserkraft zu treiben, indem das Wasser aus dem Unter¬ graben, Reservoire per Dampfpumpe wieder in den Obergraben geworfen wird. (Welche ein Umstand, und doch soll dies von großem Vorteil ge¬ wesen sein!) Zu p. 182: It is probable that few or no capitals of £ 3000 or 4000 acquired by trade existed here before 1690. However about that time or a little later the traders had got money beforehand and began to build modern brick-houses instead of those of wood and plaster. For the first 30 years of 18th Century the old established houses confined their trade to the Wholesale dealers in London, Bristol, Norwich, Newcastle and those who frequented Chester fair. Der Geschäftsmann, dem diese Mitteilungen verdankt wer¬ den, glaubt, daß diese Leute damals weniger Durchschnittsprofite machten als jetzt (im Jahre 1795 wohl möglich und sogar sehr wahrscheinlich) und daß die Akkumulation hauptsächlich durch die größere Sparsamkeit bewirkt. Zu p. 185: Eine schöne Commerce-Anekdote: 1693 erfuhr ein Manchester Manufacturer, der in London war, daß einer seiner Kunden, a mercer in Manchester, was bound in a large sum for a Londoner who was expected to break, worauf er an seine Frau schrieb, sie solle gehn und den Kerl mahnen: if thou canst not get money, take goods, thou mayst buy thyself a silk manteau and petticoat. Wie dieser gemeine Hund seine Frau erst zu diesen kostbaren Dingen kommen ließ, als er darauf rechnete, sie umsonst haben zu können! James Butterworth, Ilie Antiquities of the Town, and a Complete History of the Trade of Manchester, with a Description of Manchester and Salford; to which is added an account of the late improvements in the town etc. Manchester, Printed for the Author by C. W. Leake, 1822. XIII, 302 p. Kurze Auszüge über die Frühzeit des englischen Handels mit Geweben, über die Industriegesetzgebung und die Geschichte der Textilmaschinen; keine Kommentare von Engels, James William Gilbart, The History and Principles of Banking. Lon¬ don, Longman, Rees etc., 1834. VII, 220 p. Die Exzerpte sind ausführlich und verteilen sich relativ dicht über die ersten drei Abschnitte (bis p.99): I. Origin and Progress of Banking II. Rise of Banking in England III. History of the Bank of England.
Exzerpthefte 515 Unter den Titel setzt Engels die Bemerkung: Ein Lausebuch. Zu p. 51: 1811. Die kommerzielle Krisis erreichte den höchsten Grad, so¬ daß das Parlament die Ausleihung von 6 Millionen an Kaufleute gegen ge¬ hörige Sicherheit bewilligte. Aber nur wenige konnten wegen des Fallens der Preise die genügende Sicherheit geben und viele gingen kaputt. Man stritt sich, ob dieser distress von den Präparationen der Bank, zur Bar¬ zahlung überzugehn (diese Präparationen fanden gar nicht statt, erzählt G[ilbart]), oder von der amerikanischen Embargo oder von dem Con¬ tinental System herkam — vom südamerikanischen overtrading sprach kein Meinsch. Zu p. 54: 1816. The Bank was authorized to increase its Capital from 11 642400 to 14553 000 d* being an addition of 25% to the stock of the proprietors. This addition was made out of the surplus profits without any further call — also trotz all der Bo- nuses und 10 % Dividende noch 3 000 000 Profit!
ZITATEN- UND QUELLENNACHWEISE TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN
Außer dem Nachweis der direkten Textzitate geben wir auch bei tat¬ sächlichen Angaben das Quellenwerk und die Stelle an, die Engels zur Grundlage diente, sofern sie sich mit ziemlicher Sicherheit feststellen ließ. Die wichtigsten Werke Über technische und industrielle Entwicklung, Gesetzgebung, Bevölkerungsbewegung und Arbeitsverhältnisse in Eng¬ land, die Engels für die „Lage der arbeitenden Klasse“ benützt hat, sind: Baines, Gaskeil, Porter, Ure, Wade und die offiziellen Reports.
Erster Teil: Die Lage der arbeitenden Klasse in England 10 22—23 Gaskell, The Manufacturing Population of England ... p. 16 23—25 Ure, The Cotton Manufacture of Great Britain ... vol. I, p. 192 10 26—1228 Gaskell 1. c. p. 15—32 133—7 Ure, 1. c. p. 192, Gaskell, 1. c. p. 34 7—43 Ibid., p. 34—37, 40—41 147—37 Ibid., p. 41—45 1445—1510 Ure, 1. c. p. 262, Baines, History of the Cotton Manufacture in Great Bri¬ tain ... p. 199 1510—17 Porter, Progress of the Nation ... vol. I, p. 20 161—3 Baines, 1. c. p. 346 5—16 Porter, 1. c. vol. I, p. 208, 218—219, 229 1619—1917 cf. Porter, l.c. vol. I, p. 197—201,241—244,247—249,255—256,265—272, Alison, Principles of Population ... vol. II, p. 87, Ure, 1. c. vol. II, p. 342—344 2029 Im Original irrtümlich 1790 35—<4 cf. Porter, 1. c. vol. I, p. 293—328 213—13 Durham Chronicle, No. 1286, 28. VI. 1844, p. 2, col. 8: The Coal Trade Mono¬ poly 85—40 cf. Porter, 1. c. vol. I, p. 148—149 2141—2311 Ibid., vol. II, p. 9—12,23-24,44—45 27 41—44 Cf. in unserer Ausgabe Bd.1/2 379—404 3342—34 5 Journal of the Statistical Society, vol. III, 1840, p. 14—24: Report of a Committee of the Statistical Society of London, on the State of the Working Clas¬ ses in the Parishes of St. Margaret and St. John, Westminster. Die Angabe von Engels 26,830 Individuen ist offenbar irrtümlich; cf. Tabelle p. 17—18: St.Marg. St. John Total No. of families visited 2110 3256 5 366 Total population 6463 9713 16176 346—10 Journal of the Statistical Sdciety, vol. VI, 1843, p. 17—27: On the Condition of the Working Classes in the Inner Ward of St. George’s Parish, Hanover Square, By C. R. Weid 3423—357 Cf. Northern Star, No. 338, 4. V. 1844, p. 6, col. 2 3512—26 Cf. The Times, No. 18456, 17. XI. 1843, p. 3, col. 5. Die Totenschau hat nicht, wie Engels angibt, am 14., sondern am 16. Nov. stattgefunden 3527—364 Cf. The Times, No. 18507, 16.1.1844, p. 7, col. 1 365—16 Cf. The Times, No. 18530, 12. II. 1844, p. 7, col. 6 379—386 The Times, 12. X. 1843, p. 4, col. 3, dritter Leitartikel 3842—4011 Cf. W.P. Alison, Observations on the Management of the Poor in Scot¬ land ... p. 8—13 4011—12 Die Zeitschrift weist 1836—1845 keinen Beitrag von Dr. Hennen auf. 1844, vol. 62, No. CLX. Part. I, p. 81—94 findet sich ein Artikel von Dr. R. Perry: Facts and Observations on the Sanitary State of Glasgow during the last year, with Statistical tables of the late epidemic, showing the connection existing between poverty, disease, and crime. 12—19 Report on the Sanitary Condition of the Labouring Population, p. 121—122; die angeführte Stelle bezieht sich auf Tranent 4030—4124 Artizan, Oct. 1843, im Original irrtümlich 1842, p. 228—231; die ange¬ führten Stellen sind auch im Northern Star zitiert, 11. XI. 1843, p. 3, col. 3—4
520 Zitaten- und Quellennachweise / Textkritische Anmerkungen 4127—30 Nach R. Slaney, State of the Poorer Classes in Great Towns, 1840, p. 17sq. stellt die Einwohnerschaft von Kellerlokalen ein Fünftel der Arbeiter bevölke- rund dar, d.h. etwa 39000 36—38 Cf. Journal of the Statistical Society, vol. II, 1839, p. 368—375: Report of an Inquiry into the condition of the Working Classes of the City of Bristol, by C. B. Fripp. Angabe im Original irrtümlich; laut dem Bericht: The number of houses examined ... contained 5981 families . . . Fa¬ milies occupying part of a room, 556 = 9,3e/o; families occupying one room only, 2244 = 37,5°/o; together 2800 = 46,8°/o 4139—421 Ibid., p. 457—459: Statistics of the Labouring Classes and Paupers in Nottingham 423—43 5 Artizan, 1. c. 436—442 Symons, Arts and Artisans, p. 116—120; nicht wörtlich zitiert: Engels er¬ gänzt Symons augenscheinlich nach W. P. Alison, 1. c. p. 13—14 4418—45 24 Artizan, 1. c.: the tendency to consumption, which bears a high Propor¬ tion here to other diseases... for there can be no doubt that the vitiated atmo- sphere of sleeping rooms so confined, crammed al most to suffocation with human beings during both day and night, predisposes the System to lung diseases. Cf. ferner Journal of the Statistical Society, vol. II, 1839, p. 397—424: Report upon the Condition of the Town of Leeds 44 29 Im Original und im Northern Star irrtümlich Marsh Lane 45 27—30 Report on the Sanitary Condition of the Labouring Population, p. 126 4614—23 Northern Star, vol. VIII, No. 352, 10. VUI. 1844, p. 7, vol. 3—6: Meetings at Huddersfield 59 32—35 Cf. Physical and Moral Condition ... p. 113—114: die angeführte Stelle be¬ zieht sich auf die Höfe von Birmingham 64e—6510 Cf. Kay, Moral and Physical Condition ... p. 21—24 6633—6711 Senior, Letters on the Factory Act... p. 24—25, von Engels gesperrt 67 22—6811 Kay, 1. c. p. 17—20; dieselben Zitate aus Kay finden sich auch bei Gas¬ kell, 1. c. p. 134—140 67 42 irische von Engels hinzugefügt 68 s und anderen von Engels hinzugefügt 6811—19 Report on the Sanitary Condition of the Labouring Population... p. 125; ferner Kay, 1. c. p. 20 25—33 Gaskeil, 1. c. p. 141—142 68 33—691 Ibid., p. 138 691—5 Weekly Dispatch, No. 2219, 5. V. 1844: Wild Beasts and Rational Beings 7083—86 Carlyle, Chartism, p. 28. 713—28 Cf. Gaskell, 1. c. p. 111—113 7411—34 Manchester Guardian, No. 1611, 15. VI. 1844, p.6, col. 5—6; No. 1613, 22. VI. 1844, p. 4, col. 6; No. 1614, 26. VI. 1844, p. 6, col. 6; No. 1617, 6. VII. 1844 [nicht, wie Engels angibt, 9. VII. 1844), p. 4, col. 6; No. 1619, 13. VII. 1844, p. 5, col. 1; No. 1622, 24. VII. 1844, p. 7, col. 2; No. 1623, 27. VII. 1844, p.6, col. 6; No. 1625, 3. VIIL 1844, p. 5, col. 6; No. 1627, 10. VIIL 1844, p. 7, col. 2 879—17 Cf. Northern Star, No. 338, 4. V. 1844, p. 6, col. 2: Metropolitan Misery. Bei Engels und im Northern Star irrtümlich Champney 884—6 Cf. Journal of the Statistical Society, vol. VI, 1843, p. 60—72: Real Pro¬ perty, Population and Pauperism in England, ferner: p. 256—257, Pauperism and Poor Rates in 1842 9013—19 A. Alison, The Principles of Population ... vol.I, p.528—530 28—30 Un¬ genau. Bei Carlyle The English coachman, as he whirls past, lashes the Milesian with his whip, curses him with his tongue; the Milesian is holding out his hat to beg. 9143—15 Kay, 1. c. p. 7 9716—19 Cf. Anm. zu 4418—4524 9732—9810 Report on the Sanitary Condition of the Labouring Population . . . p. 3-7
Zitaten* und Quellennachweise / Textkritische Anmerkungen 521 98 12—25 Cf, Northern Star, No. 328, 24.11.1844, p. 7, col. 3: Frightful Spread of Fever from Destitution; Fever raged most violently in the Central, Northern and Southern Districts 26—<0 W. P. Alison, 1. c. p. 15,23—27 9840—9912 Journal of the Statistical Society, vol. VII, 1844, p. 316—318: W. P. Ali¬ son, Notes on the Report of the Royal Commissioners on the Operation of the Poor Laws in Scotland 9912—14 W. P. Alison, 1. c. p. 27—28 14—16 A. Alison, 1. c. vol. II, p. 80 16—19 W. P. Alison, 1. c. p. 28 9930—1005 Ibid., p. 16—17,18—32 10226—1033 Gaskell, 1. c. p. 229—230 10317—32 Second Report on Factories, Appendix, Q. 30, p. 590; Q. 14, p. 668; f. 58, p. 626; f. 60—62, p. 628—630 10418—24 Fifth Annual Report of the Registrar General, 1843, p. 1,15 10425—1052 Manchester Guardian, No. 1624, 31. VII. 1844, p. 6, col. 4—5 1052—4 Cf. Journal of the Statistical Society, vol. III, 1840, p. 257—292: Vital Sta- tistics of Glasgow ... by R. Cowan 1058—1063 Cf. First Report of Commissioners for Inquiring into the State of Large Towns... p. 202—217 1064—11 Report on the Sanitary Condition of the Labouring Population... p. 158—162 12—23 Second Report on Factories, Hawkins, D. 3, p. 5; der Bericht lautet: Mr. Ro¬ berten, the eminent surgeon accoucheur and the chief Statistical authority of Man¬ chester, has communicated to me his observation, that in every hundred deaths in Manchester nearly fifty-four occur under five years of age, while in country places the percentage of deaths under five is something less than thirty-two. 10635—107 Wade, History of Middle and Working Classes... p. 560: im Original Abweichungen in der Tabelle: 177 statt 77, 921 statt 911 10816—19 Weekly Dispatch, No. 2251, 15. XII. 1844, p. 598, col. 3: Mortality in the Metropolis 1098—110 2 Physical and Moral Condition ... p. 151—216 11042—1112 Ibid., p. 176 1116—11217 Ibid., p. 206—210 1133-5 Ibid., p. 205 11415—16 Symons, 1. c. p. 147—148 17—19 A. Alison, 1. c. vol. II, p. 196—197 11816—18 A. Alison, 1. c. vol. II, p. 75—165, ferner Vaughan, The Age of Great Ci- ties ... p. 221—298 122 36—1232 Parkinson, Poor in Manchester... p.9—10 12418—25 A. Alison, 1. c. p. 80, 13, 118—119 12438—1259 Gaskell, 1. c. p. 117—124, 349—351 12619—20 A. Alison, 1. c. vol. IT, p. 147 1281—10 Porter, 1. c. vol. III, Section VII, Chapter II. 3 Bei Engels irrtümlich 7898 12—30 Cf. Journal of the Statistical Society... vol.VI, p.218—240: Progress of Crime in the United Kingdom... by J. Fletcher 34—41 Gaskell, 1. c. p. 285—287 12915—34 Manchester Guardian, No. 1650, 30. X. 1844, p. 4, col. 6: Turnout at Messrs. Kennedy’s Factory 36—41 Times, No. 18713, 12. IX. 1844, p. 6, col. 5—6 13213—26 Cf. Baines, 1. c. p. 202—205 13230—13323 Leach, Stubborn Facts... p. 28—32, 34 13234 Im Original irr¬ tümlich 1060 statt 1083 36 Im Original irrtümlich 99 239 statt 99429. Den einzig vorhandenen Hinweis auf die Autorschaft stellt die Engelssche Angabe dar. 135 20—22 Symons, 1. c. p. 154—155 13627—1374 Cf. Baines, 1. c. p. 485—499 1378—10 Ure, The Philosophy of Manufactures ... p. 353—354 13829—1397 Cf. Hansard, 1844, vol.LXXIII, p. 1073—1101 13834 Im Original irrtümlich 419 560 38 Im Original irrtümlich 96 569
522 Zitaten- und Quellennachweise / Textkritische Anmerkungen 18913—19 Second Report on Factories, D. 3, p. 3: im Original irrtümlich 77 statt 67, 225 statt 215 189 27—140 24 Cf. Hansard, 1844, vol. LXXIII, p. 1093—1097; Times, No. 18 559. 16. III. 1844, p. 4, col. 3; Journal of the Statistical Society, 1840, vol. HI, p. 191— 205: The Registration and Marriage Acts in Manchester... by W. Johns 14025—32 Second Report on Factories, Power, C. 2, p. 47; Tufnell, D. 2, p. 17 1437—8 Ibid., Hawkins, D. 3, p. 4 27—28 First Report on Factories, Cowell, D. 1, p. 35—39, 50, 57, 72, 77, 82; Tufnell, D. 2, p. 9, 15, 45, 54; Power, C. 2, p. 8 14328—144ß Second Report on Factories, Hawkins, D. 3, p. 5: 1443—6 bei Hawkins: I cannot help, on these and other grounds, especially for the better preservation of infant life, expressing my hope that a period may arrive when married women shall be rarely employed in a factory. 6—9 Cf. Anm. zu 14327—28 1473—15 First Report on Factories, Stuart, A. 1, p. 35: John Ross, aged 22, deposes that some years ago ... 30—34 First Report, Tufnell, D. 2, p. 91: Laut Report leistete nicht der Fabrikant selbst, sondern sein Sohn die Zeugenaussage. Von einer Beseitigung der Nachtarbeit ist im Report nicht die Rede; doch erscheint Engels' Schlußfolgerung aus dem Zusammenhang gerechtfertigt 1483—21 Second Report, Dr. Sharp, C. 3, p. 12—13 21—32 Ibid., Dr. Hay, im Original irrtümlich Kay, C. 3, p. 16 23—24 bloßer Überarbeitung bei Hay pure labour; Wirkung von langer Arbeit bei Hay results of labour 33—42 Ibid., Loudon, C. 3, p. 4, 7, 8, 13, 16; Barry, A. 3, p. 6, 8, 13, 21, 44, 55; Tufnell, D. 2, p. 26—27; Barry, A. 3, p. 1—76; First Report, Drinkwater, C. 1, p. 69—80, 146— 155; Power, C. 2, p. 29—69; Tufnell, D. 2, p. 5, 16; Stuart, A. 1, p. 1—134; Mac¬ kintosh, A. 2, p. 1—98 1509 Cf. Baines, 1. c. p. 456: the labour is light, and requires very little muscular exertion. 43—<4 First Report on Factories, Drinkwater, C. 1, p. 85 bei Engels irrtümlich p. 80 15121—1522 Second Report, Barry, A. 3, p. 72; die in Klammern gesetzte Bemerkung stammt von Engels 1522—8 First Report, Power, C. 2, p. 74 8—21 Second Report, Sharp, C. 3, p. 12—13 21—30 Ibid., Beaumont, C. 3, p. 22 152 31—1533 Ibid., Sharp, Junior, nicht, wie im Original, Kay, C. 3, p. 23 1533—12 Ibid., Loudon, C. 3, p. 24 12—42 Ibid., Hawkins, D. 3, p. 2—4 1541—6 First Report, Cowell, D. 1, p. 89; nicht, wie das Original angibt, aus einer, sondern aus zwei Sonntagsschulen 10—18 Ibid., Tufnell, D. 2, p. 59—61; wür¬ den oft .. 8 Zoll hätten berichtet Report laut Zeugnis eines colour-sergeant John Wilmot 15419—1552 Cf. Hansard, 1. c. p. 1082—1084 1552—6 First Report on Factories, A. 2, p. 96 6—9 First Report on Factories, A. 1, p. 101 9—11 Ibid., D. 2, p. 3,6 nicht, wie das Original angibt, 9, 15; Second Report, D. 3, p. 4, 11 nicht, wie das Original angibt, 14 22—27 Ibid., C. 3, p. 24: Although no cases presented themselves of deformed pelvis, varicose veins, ulcers in young people under 25 years of age, and some others of the diseases which have been described, yet these ailments are such as every medical man must expect to be the probable consequences of young people working, in some instan- ces, nearly forty consecutive hours twice a week, and, besides, labouring from 12 to 14 hours on those days of the week when night work was not expected; and they are recorded by men of the highest Professional and moral character. 27—30 Ibid., D. 3, p. 11,13 15622—27 First Report on Factories, D. 1, p. 77 27—30 Second Report, A. 3, p. 44 15645—1579 Ibid., A. 3, p. 5; C. 3, p. 14; D. 3, p. 11; First Report, D. 1, p. 35 157 35-38 Ibid., A. 1, p. 13, 22, 48, 70, 101, 125; A. 2, p. 24, 94; C. 2, Nottingham p. 15 —17, Leeds p. 37; D. 1, p. 33; Second Report, A. 3, p. 12, 17, 44, 52, 60, 72; C. 3, p. 13 15843—15914 Manchester Guardian, No. 1610, 12. VI. 1844, bei Engels irrtümlich 1843, p. 4, col. 6: Fatal Accident from Manchester; Ibid., No. 1611, 15. VI. 1844, bei Engels irrtümlich 16. VI. 1844, p.6, col. 5: Fatal Accident; Ibid., No. 1615,
Zitaten- und Quellennachweise / Textkritische Anmerkungen 523 29. VI. 1844, p. 6, col. 3: Shocking Accident; Ibid., No. 1622, 24. VII. 1844, p. 7, col. 2: Shocking Accident; Ibid., No. 1623, 27. VII. 1844, p. 5, col. 1: Fatal Acci¬ dent in a Mill; Ibid., No. 1625; 3. VIII. 1844, p.6, col. 4: Fatal Accident at Dakenfield 159 26—32 First Report on Factories, p. 72—73 16032 Ibid., A.l, p. 39 16113—16243 Ure, 1. c. Sperrungen von Engels 1631—6 Cf, Owen, Observations on the Effect of the Manufacturing System... p. 11; ferner Manifeste of Robert Owen... p. 12—13 6—15 Cf, Wade, 1. c. p. 113— 114: bei Engels irrtümlich 1818 statt 1819 16420—22 Second Report on Factories, D. 3, p. 1 22—25 First Report, A. 2, p. 94 29—34 Ibid., Cowell, D. 1, Tufnell, D. 2, p. 71—72, 108—109 16621—32 Report by L. Horner for Quarter ending 30. IX. 1843, p. 3—4; for Quarter ending 31. XII. 1843, p. 12 sq. Report of R. Saunders for Quarter ending 30. IX. 1843, p. 7—8; for Quarter ending 31. XII. 1843, p. 22—26; bei Engels urtümlich 1844 1671 Im Original irrtümlich Thornley 11—36 Cf, Hansard’s Parliamentary De- bates, 1843, vol. LXVII, p. 422—424; vol. LXX, p. 94—101,1299—1300; vol. LXXII, p. 277—286; ferner Northern Star, No. 278, 11. III. 1843, p. 4, col. 1—3: Factory Labour; No. 280, 25. m. 1843, p.4, col. 2—6: The Government Factory Bill; No. 283, 15. IV. 1843, p. 4, col. 2—5: National Education and the Govemment Fac¬ tory Bill; No. 284, 22. IV. 1843, p. 4, col. 2—4: The Govemment Factory Bill 1704—7 Second Report on Factories, D. 3, p.4 27—15 Kay, 1. c. p. 7—8 1716—20 Cf. Anm. zu 12915—34 20—38 Leach, 1. c. p. 13—14 172 24-32 Ibid., p. 14—15 17233—1782 First Report on Factories, C. 1, p. 79—80 173 2—20 Leach, 1. c. p. 15—16 174 22—175 20 Northern Star, vol. VII, No. 337, 27. IV. 1844, p. 4, col. 5—6: Truckism; im Englischen erscheint der Brieftext weitaus weniger fehlerhaft 18017—36 Cf. Physical and Moral Condition ... p. 134—136 18036—1811 Second Report on Factories, Appendix, Part. I. 431. F. p. 16; im Original irrtümlich p. 15, Evid. p. 132—142 1812—13 First Report on Factories, Power, C. 2, p. 2 181 25—182 7 Moming Chronicle, No. 23099, 1. XII. 1843, p. 5, col. 5: Distress at Hinckley; Ibid., No. 23106, 6. XIL 1843, p. 3, col. 4: Letter to the Editor 18215—36 Second Report on Factories, Appendix, F. 7, No. 57 36—44 Cf. Phy¬ sical and Moral Condition ... p. 131—133, 230—231 182 44—183 25 Second Report on Factories, Appendix, F. 1—F. 12, p. 527—538 18325—18441 Cf. Physical and Moral Condition... p. 131—134, 230—231 185 24—12 Leach, 1. c. p. 45—47 18611—15 Cf. Physical and Moral Condition ... p. 136—137, 231—232 18717 Im Original irrtümlich 10-6 d statt 10-0 18727—18839 Leach, 1. c. p. 36—41 189 24—32 Revue des deux mondes, 1843, p. 71—90, 366—394, 790—809, 994—1020; 1844, p. 1041—1077, 118—162, 611—642, 1031—1061, 161—191 19026—19127 Cf. Physical and Moral Conditions... p. 112—114, 201—205, 221 19137—19529 Ibid., p. 114—125, 202—206, 222—230 1962—1982 Ibid., p. 127—131, 211, 230 1997—20012 Ibid., p. 142—148 20013—20111 Weekly Dispatch, No. 2212 nicht, wie das Original angibt, 16. III., son¬ dern 17. III. 1844, p. 123, col. 4: Horrifying Conditions of the Staymakers and Stockmakers 20129—38 Punch, vol. V, p. 260: The Song of the Shirt. Nicht im Anfänge des Jahres 1844, sondern in der Weihnachtsnummer 1843
524 Zitaten- und Quellennachweise / Textkritische Anmerkungen 20432—2051 Cf. Symons, 1. c. p. 137—143 20926—29 Cf. Gaskeil, 1. c. p. 299. Laut einer späteren Quelle, The Annals of Man¬ chester, Ed. by William E. A. Axon. London 1886. p. 181, sind es drei Täter ge¬ wesen, von welchen zwei, vom dritten verraten, 1834 in London gehängt wurden. 20931—21018 Cf. Northern Star, No. 308, 7.X. 1843, p.3, col. 1; Ibid., No. 309, 14. X. 1843, p. 7, col. 6; Ibid., No. 323, 20.1.1844, p. 5, col. 2; Ibid., No. 324, 27.1.1844, p.3, col. 6 21013 Sonntag 20.Januar irrtümlich statt Sonntag 21.Januar; im Northern Star: On Sunday evening last; Ibid., No. 326, 10. II. 1844, p. 5, col. 2 21230 das erfinderische Talent des Herrn Sharp bei Ure the inventive talents of their Partner, Mr. Roberts 2137—9 First Report on Factories, p. 50; E. p. 7; D. p. 91 21438—21533 Cf. Northern Star, No. 289, 27. V. 1843, p. 5, col. 5—6: Atrocious and Alarming Outrage 21542—2163 Ibid., No. 248, 13. VIIL 1843, p. 5 col. 1 21028—35 Die zitierte Rede von J. R. Stephens ist in Kersall-Moor am 24. IX. 1838 ge¬ halten worden; cf. Northern Star, 29. IX. 1838 21931—35 Cf. Northern Star, No. 223, 19.11.1842, p.3, col. 2: The Chartists and the League; nicht, wie das Original angibt, am 15., sondern am 14. Februar 22 7 35—36 Die erste englische Übersetzung des „Leben Jesu“: David Friedrich Strauss. The Life of Jesus, critically examined. Translated from the fourth German edition by Marion Evans. 3 vol. London, 1846 22915—16 Cf. Physical and Moral Condition ... p. 7 2301—23135 Ibid., p. 82—99 2324—23544 Ibid., p. 1-4, 33-52, 54—78, 80-81 2369—22 Ibid., p. 61—63, 72 35—36 Cf. Northern Star, No. 360, 5. X. 1844, p. 1, col. 4—6; Ibid., No. 361, 12. X. 1844, p.6, col. 1—2 41—43 Cf. Physical and Moral Condition ... p. 5 23713—15 Ibid., p. 5 15—18 Mining Journal, vol. XIII, 9. IX. 1843, p. 291: we shall find that the number of lives lost in one year is one thousand, three hundred and ninety-five; Ibid., 19. XI. 1843, p. 366: We feel assured that we are under the mark when we express our conviction that not less than one thousand five hundred to two thousand lives are annually sacrificed; Ibid., 2. XII. 1843, p. 391: Here, then, we have recorded in our columns the loss of life of one thousand individuals annually — and assuming, as we have a right to do, that not one-fifth — nay, we might say even one-tenth of the accidents which occur find their way into the newspapers — it must be manifest that the loss of life is horrible. 23728—23816 Physical and Moral Condition ... p. 151—200 23 8 25—28 Cf. Northern Star, No. 321, 6.1.1844, p. 4, col. 5—6: The Coal-Kings and the Non-Employment-of-Women-Law 28—32 Manchester Guardian, No. 1657, 23. XI. 1844, p. 3, col. 5: Wigan. The Colliery Explosion. Laut Quelle ist das ver¬ unglückte Kind ein neunjähriger Knabe namens Thomas Taylor 23844—23933 Cf. Hansard, 1844, vol. LXXV, p. 261 24021—23 Cf. Northern Star, No. 321, 6.1.1844, p. 8, col. 2—3: The Great National Conference at Manchester 24113-34 Ibid., No. 323, 20.1.1844, p. 4, col. 3—4; No. 326, 10. II. 1844, p.4; col. 5; No. 328, 24. II. 1844, p. 4, col. 5—6 24143—24212 Ibid., No. 336, 20.IV. 1844, p.4, col. 3—5: Mr. Roberts — Belper — Messrs. Haslam. To prevent any Mistake. 24 3 29-37 Ibid., No. 350, 27. VII. 1844, p. 4, col. 4: The Mad Marquis Again 24442—245 s Cf. Hansard’s Parliamentary Debates, 1844, vol. LXXV, p. 154,259—262 2454-14 Cf. Northern Star, No. 361, 12. X. 1844, p.5, col. 2—3: The Haswell Mur- der; No.363, 26.X. 1844, p.4, vol. 6: Mr. Roberts and the Lancashire Miners, p.5, col.4—6: The Lancashire Coal Miners. 24836—40 Cf. Reports of Special Assistant Poor Law Commissioners on the Employ- ment of Women and Children in Agriculture. Presented to both Houses of Par- liament by Command of Her Majesty. London, 1843
Zitaten- und Quellennachweise / Textkritische Anmerkungen 525 25 0 34—35 Das Zitat stammt nicht von Shakespeare, sondern aus der Dichtung The Deserted Village von Oliver Goldsmith, Zeile 51: Bold peasantry, their country’s pride 25036—25127 Times, No. 18 630, 7. VI. 1844, p. 6, col. 1—2; No. 18 632, 10. VI. 1844, p. 7, col. 1—2; No. 18 642, 21. VI. 1844, p. 5, col. 5; p. 6, col. 1 2534-14 Northern Star, No.315, 25. XI. 1843, p.4, col.l; No. 318, 16. XII. 1843, p. 6, col. 3—6; No. 320, 30. XII. 1843, p. 6, col. 1—2; No. 321, 6.1.1844, p.6, col. 1; No. 322, 13.1.1844, p. 5, col. 6; No. 323, 20.1.1844, p. 5, col. 3 2548—16 Ibid., No. 363, 26. X. 1844, p.6, col.2—6: Free Trade and Agricultural Distress 25426—25520 Morning Chronicle, No. 22973, 6. VII. 1843, p. 3, col. 3—4: The Farm Labourers — What is to be Done? — More Churches or More Unemployment? Being a second notice of the Reports on the Employment of Women and Children in agriculture, lately presented to Parliament by command of Her Majesty 25630—12 Cf. Nicholls, Poor Laws—Ireland .. . p. 7—8, 130—131 41 32 Millionen bei Nicholls 34,000,000 2578—30 Ibid., p. 9—10, 138; ferner A. Alison, vol. II, p. 218 26 8^ Millionen bei Nicholls 7,943,940 35—39 Cf. Nicholls, Poor Laws—Ireland, p. 7 25833—11 A Sketch of the State of Ireland ... 1808 ed. p. 27; 1822 ed. p. 29 261 34—37 Carlyle, Past and Present, Book I, Chap. I, Book III, Chap. II, VTI, VIII, IX, XIII. Cf. in unserer Ausgabe Abt. I, Bd. 2, 405—431 26 2 24—26 Ibid., p. 198 27 0 29—39 Extracts from Information Received ... p. XVI 2788—10 Cf. Northern Star, No. 296, 8. VII. 1843, p. 5, col. 4: Brutality in a Work- house 21—43 Ibid., No. 315, 25. XI. 1843, p. 7, col. 3—6: Murder! Hellish Treatment of the Poor in the Coventry Bastile 27843—27421 Ibid., No. 317, 9. XU. 1843, p. 6, col. 4—6: Atrocities at the Birmingham Workhouse 27421—29 Ibid., No. 326, 10.11.1844, p.6, col.l—2: Secrets of a Union Workhouse 29—33 Ibid., No. 328, 24.2.1844, p. 7, col. 2: St. Pancras Scoundrelism again! 27436—2753 Ibid., No. 334, 30.111.1844, p.6, col. 3: Infamous Treatment of an Englishman and his Family in Bethnal Green Workhouse 2753—10 Ibid., No. 359, 28. IX. 1844, p.6, col.l—2: Infernal Workhouse Cruelties 21—28 Ibid., No. 328, 24.11.1844, p. 7, col. 2: Disgusting Treatment of the Poor 27728—2781 Gaskell, l.c. p. 11—13 2782—6 Carlyle, Chartism, p. 92—93 9—14 Aus den Times (ohne Angabe der Nummer) zitiert im Northern Star, No. 344, 15. VI. 1844, p. 7, col. 5. Das Zitat findet sich in keiner der Juninummern der „Times“; doch ist während dieses Monats in den „Times“ eine Reihe von Briefen und Berichten über V erelendung und Brandstiftungen in den Grafschaften Norfolk und Suffolk abgedruckt, und die hierauf bezüglichen Bemerkungen in den Leitartikeln stimmen in der Tendenz mit der zitierten VFendung überein. Zweiter Teil: Kleinere publizistische Arbeiten 2982 Cf. Anm. zu 26224—26 2991—34 Cf. Gaskell, l.c. p.20—22, 35—36, 41—42, 46 30138—30233 Cf. Baines, l.c. p.394—395, 368, 237; Porter, l.c. p.247—249, 229, 205
526 Zitaten- und Quellennachweise / Textkritische Anmerkungen 3032-5 Cf. Porter, 1. c. p. 196-198 23-36 Ibid., p. 265-272, 254-255, 261 30516—30 Ibid., p. 295—297, 301—302 43 Bei Engels irrtümlich 1790 3069-21 Ibid., p. 327—329, 345 3083—11 Godwin, Political Justice ... p. 79—87, 185—186 31744—3186 Cf. Hansard’s Parliamentary Debates, 1832, vol. XIV, p. 955—962 32111—14 Ibid., 1844, vol. LXXII, p. 580—601 34—39 Ibid., p. 587, Rede von Mr. Christie 32416—22 Ibid., p. 798 3283—8 Wade, British History... p. 752—753; ich glaube es war war 1819 bei Wade 1820 14—19 Ibid., p. 620 19—26 Ibid., p. 828 3411—6 Cf. Kölnische Zeitung, No. 314, 9. XI. 1844: Ein „socialistischer“ Spuk. 34 3 36—41 Gesellschafts-Spiegel 41—43 Cf. in unserer Ausgabe Abt.I, Bd. 3, p.30 34 7 38—39 Ibid. 351—366 Als Hauptquelle für die Schilderung der amerikanischen Siedlungen hat Engels die Briefe von John Finch an The New Moral World benutzt. Diese Briefe, insgesamt 29, sind unter dem Titel Notes of Travel in the United States in der Periode vom 13.1.1844 bis zum 19. X. 1844 veröffentlicht worden. Von den 29 Briefen behandeln 14 die Siedlungskommunen. Die eigentlichen Zitate stam¬ men, in freier Übersetzung, aus folgenden Briefen: 35316—3554 Letter V. 10.11.1844, p. 257—258 355 5—17 Northern Star, No. 206, 6. V. 1843, p. 7, col. 1—2: Emigration. Where to, and how to proceed. Description of the Shaker Villages. By Lawrence Pitkethly, of Huddersfield 35638—3589 Finch, l.c. Letter VI. 17. II. 1844, p. 265; Letter VII. 24. II. 1844, p. 273 3594—13 Zitiert in Letter VIIL 2. III. 1844, p. 281 35931—36021 Letter IX. 9. III. 1844, p.289 36226—36416 Morning Chronicle, No. 22797, 13. XII. 1842, p.3, col. 3—5: Notes from the Farming Districts, No. XVH. A Journey to Harmony Hall, in Hamp¬ shire; with some particulars of the Socialist Community, to which the attention of the Nobility, Gentry and Clergy is earnestly requested 38 2 21—23 Cf. in unserer Ausgabe Abt.I, Bd.l/l 353—383 393—405 Über diesen Streik ist in den folgenden Nummern des „Northern Star* fortlaufend berichtet, unter der Überschrift Trades’ Movements: Vol. VII, No. 362. 19. X. 1844; No. 363, 26. X. 1844; No. 364, 2. XL 1844; No. 365, 9. XI. 1844; No 366, 16. XI. 1844; Vol. VIII, No. 367, 23. XL 1844; No. 368, 30. XI. 1844; No. 369, 7. XII. 1844; No. 371, 21. XII. 1844; No. 372, 2a XII. 1844; No. 375, 18.1.1845 39429 Bei Engels irrtümlich bis zum 17. Oktober. Die Richtigstellung ergibt sich aus Northern Star, No. 362, 19. X. 1844, p. 1, col. 6: Great Meeting of the Car- penters of Manchester and Salford 409—453 Engels1 Übersetzung des Fourier sehen Fragments ist frei, mit Übergängen an den Bruchstellen, vereinfachenden Paraphrasen, variierten Untertiteln etc. Folgende Stellen erscheinen bei der Übersetzung fortgelassen: Phalange, p. 410—11 (Ce n’est .. commerciaux); p. 424—31 (Telle .. edition); p. 440—42 (C’est .. Harmoniens); p. 445—52 (c’est .. Religieuse); p. 510—13 (car .. ve- rite); p. 1111—17 (il ne faut .. periode 1), von Engels umschrieben, cf. in unserem Text p. 41527—28 (man .. entleiht); p. 1641—172 (Usons .. 1,000,000,000); p. 1727—31 (Je me borne .. tableau]); p. 1825—27 (II est .. complicative); p. 194—14 (Si on permet .. cultivateur); p. 1926—35 (Tel est .. desastre), von Engels durch drei Zeilen umschrieben, cf. in unserem Text p. 42239—42 (Aber .. hin); p. 20 5—11 (qui .. Civilisation); p. 2017—38 (Si .. examines); p. 215—24 (Quelques-uns .. negative); p. 2128—39 (qu’ il .. depressive); p. 2228—2314 (Les details . . reductive); p. 322—4 (Ces titres . . banqueroute); p. 3334—37 (Il faut . .
Zitaten- und Quellennachweise / Textkritische Anmerkungen 527 charme); p. 34 32—42 (Faut-il .. revue); p. 409—21 (quand . -Attila); p. 4029—36 (qui . . negoce); p. 415—25 (On ne manquera . . commerciale). Drei längere Textstucke aus Theorie des quatre mouvements, auf die Pha¬ lange durch Zwischenbemerkung verweist (p. 23, 30, 32), sind von Engels in extenso (mit unbedeutenden Auslassungen) in die Übersetzung einbezogen wor¬ den: Theorie (2e ed. 1841), p. 34111—34316 (Quand .. moitie), p. 34317—346? (Le banquier .. meines), p. 3485—35121 (Le juif .. Banqueroute), cf. in unserem Text p. 42435—42535, 43227—43423, 4378—43927 46142—47040 Alle Reden sind im Northern Star, Vol. VIII, No. 411, 27. IX. 1845, p. 5 veröffentlicht 476 38-40 Cf. Northern Star, Vol. VIII, No. 408, 6. IX. 1845, p. 1, col. 5
REGISTER
I. TITELVERZEICHNIS Act (An) for the further Amendment of the Laws relating to the Poor in England (7 & 8 Vict. cap. 101), 1844. 277 Act (An) for Regulating the Con- struction and the Use of Buildings in the Metropolis and its Neighbourhood (7 & 8 Vict. cap. 84), 1844. 108 Act (An) for the Reliefe of the Poor (43rd Elizabeth, Cap. 2), 1601. 270 Alison, Archibald. The Principles of Population, and their connection with Human Hapiness. 2 vol. Edinburgh, Blackwood; London, Cadell, 1840. 90 99 114 119 124 126 257 —. History of Europe from the commen- cement of the French Revolution, in 1789, to the Restoration of the Bour¬ bons, in 1815. 10 vol. Paris, Baudry, 1841—1842. 90 Alison, William Pulteney. Observa¬ tions on the Management of the Poor in Scotland and its Effects on the Health of Great Towns. Edinburgh, Blackwood, 1840. 39 98 99 —. Notes on the Report of the Royal Commissioners ... siehe Journal of the Statistical Society of London, vol. VII. Anekdota zur neuesten deutschen Philosophie und Publicistik, von Bruno Bauer, Ludwig Feuerbach, Friedrich Koppen, Karl Nauwerck, Arnold Rüge und einigen Ungenann¬ ten. Hg. v. Arnold Rüge. 2 Bde. Zürich und Winterthur, Verlag des Literarischen Comptoirs, 1843. 347 Annual Report (Fifth) of the Regi- strar General of Births, Deaths and Marriages in England. 2nd ed. rev. and corr. Zusammengestellt vom General-Registrator George Graham. 104 Artisan (The) ; or, Mechanic’s Instruc- tor, etc. London. Begründet 1825. Ed. G. G. Carey. 40 42 44 97 106 L’Avocat Patelin, siehe Brueys. Baines, Edward. History of the Cotton Manufacture of Great Britain; with a notice of its early history in the East, and in all the quarters of the globe; a description of the Great Me- chanical Inventions, which have cau- sed its unexampled extension in Bri¬ tain; and a view of the Present State of the Manufacture, and the Condi¬ tion of the Classes engaged in its several departments. Embellished and illustrated with Portraits of Inventars, Drawings of Machinery, etc. London, Fisher and Jackson, 1835. 131 Beaconsfield, siehe Disraeli Becker, August. Was wollen die Kom¬ munisten? Eine Rede. Lausanne 1844. 348 Blackstone, William. Commentaries on the Laws of England. In Four Books. London 1765—1769. 20th edi- tion 1837—1841, 21st edition 1844. 313 Blanc, Louis. Revolution Frangaise. — Historie de dix ans 1830—1840. 5 vol. Paris, Pagnerre, 1841—1844. 469 de Brueys, David-Augustin. L’avocat Patelin. Comedie en 3 actes. (S. 1. 1715; Paris 1725, 1782; Londres 1785; Paris 1786, 1834. 448 Bürgerbuch, siehe Deutsches Bürger¬ buch Carlyle, Thomas. Chartism. London, Fraser, 1840. 70 90 115 116 211 278 —. Past and Present. London, Chapman and Hall, 1843. 261 Charivari (Le), publiant chaque jour un nouveau dessin. Fonde par Charles Philipon. Paris 1832—1866. Red. L. Desnoyers. Altaroche, A. Clerc u. a. 498 Children’s Employment Commission; Appendix to the second report of the Commissioners: Trades and Manufac- tures, Part 1. Reports and Evidence from Sub-Commissioners. Presented to both Houses of Parliament by com- mand of Her Majesty. London. Prin- ted by William Clowes and Son, Stamford Street, for Her Majesty’s Stationery Office. 1842. [1842 No. 431] 103 180 182 Cooper, Thomas. The Purgatory of Sui- cides, a prison-rhyme, in ten books. London, J. How, 1845. 462 34*
532 Titelverzeichnis Cowan, Robert. Vital Statistics ... siehe Journal of the Statistical Society of London, vol. III. 105 Dante Alighieri, die göttliche Komö¬ die, oder Wallfahrt durch die drei Geister-Reiche, Hölle, Fegfeuer und Paradies. — Hölle. Gesang 1—24. Übersetzt (vom Prinzen Johann von Sachsen), Dresden 1833. — Metrisch übertragen u. mit kritischen u. histo¬ rischen Erläuterungen versehen von Philalethes (Prinz Johann, Herzog zu Sachsen). Ir Theil. Die Hölle. 2e verm. Aufl. Dresden u. Leipzig, Arnold, 1839. 475 DfiBAT Social. Belgische republikanische Zeitung. Begr. von A. Bartels und L. Jottrand. Bruxelles 1844—1849. 337 Democratie Pacifique (La), journal des interets des gouvernements et des peuples. Redacteur en chef Victor Considerant. Paris 1. VIIL 1843— 30. XI. 1851. Hauptorgan der Fourie- risten. 337 Deutsches Bürgerbuch. Hg. v. H. Pütt¬ mann. Erster Jahrgang. Darmstadt, C. W. Leske, 1845. — Zweiter Jahr¬ gang. Mannheim, Hoff, 1846. 406 —. Erster Jahrgang, p.22—48: M. Heß, Über die Noth in unserer Gesellschaft und deren Abhülfe. 3474 —.Erster Jahrgang, p. 326—340: [F. Engel s,l Beschreibung der in neuerer Zeit entstandenen und noch bestehenden communistischen Ansied¬ lungen. 34328 350 —.Zweiter Jahrgang, p. 1—56: F. En¬ ge 1 s, Ein Fragment Fourier’s über den Handel. 408 Deutsch-Französische Jahrbücher. Hg v. Arnold Rüge und Karl Marx. 1-ste und 2-te Lieferung. Paris, im Bureau der Jahrbücher, Rue Vanneau, 22. 1844. —. p. 86—115: Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie. Von Fried- richEngelsin Manchester. 27 —. p. 152—181: Die Lage Englands. Past and Present by Thomas Carlyle. Lon¬ don 1843. Von Friedrich En g e 1 s in Manchester. 261 Disraeli, Benjamin, Lord Beaconsfield. Sybil, or the Two Nations. 3 vol. Lon¬ don, Colburn, 1845. 122 Durham Chronicle, Sunderland Times and Darlington and Stockton Gazette. Begr. 1823. 21 Edinburgh Medical and Surgical Jour¬ nal. Exhibiting a concise view of the Latest and most Important Discoveries in Medicine, Surgery and Pharmacy. Monatsschrift. Begr. 1805. (Seit 1855 Edinburgh Medical Journal.) 40 Engels, Friedrich und Marx, Karl. Die heilige Familie, oder Kritik der kriti¬ schen Kritik. Gegen Bruno Bauer und Consorten. Frankfurt a. M., Litera¬ rische Anstalt (J. Rütten), 1845. 34728 Engels, Friedrich. Die Lage der arbei¬ tenden Klasse in England. Nach eig¬ ner Anschauung und authentischen Quellen. Leipzig, Otto Wigand, 1845. 8°. 358 Seiten. 3 4 347 —. Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigner Anschauung und authentischen Quellen. Zweite Ausgabe. Leipzig, Otto Wigand, 1848. 8°. 358 S. 4 —. Die Lage der Arbeitenden Klasse in England. Nach eigner Anschauung und authentischen Quellen. Zweite durchgesehene Auflage. Stuttgart, J. H. W. Dietz, 1892. 8°. XXXII, 300 S. 4 Engels, Frederick. The Condition of the Working Class in England in 1844. With Appendix written 1886, and Pre- face 1887. Translated by Florence Kelley Wischnewetzky. New York, John W. Lovell Company, 1887. 8°. VI, 199, IX S. 4 —. The Condition of the Working-Class in England in 1844. With Preface written in 1892. Translated by Flo¬ rence Kelley Wischnewetzky. London, Swan Sonnenschein & Co., 1892. 8°. XIX, 298 S. 4 Engels, Friedrich. Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie, siehe Deutsch-Französische Jahrbücher Examiner (The). London 1808—1881. Red. Leigh Hunt und Albany Fon- blanque. 222 330 Extracts from the Information recei- ved by His Majesty’s Commissioners, as to the Administration and Opera¬ tion of the Poor Laws. Published by Authority. London, Fellowes, 1833. 270 Faucher, L£on. Etudes sur l’Angle- terre . . . siehe Revue des Deux Mon¬ des Finch, John. Notes of Travel in the United States. Briefserie in The New Moral World, siehe Zitatennachweis. 347 353—355 356—358 359 360
Titelverzeichnis 533 Fleet Papers (The); being letters to Thomas Thornhill. Esqu., of Riddles- worth in the county of Norfolk, from Richard Oastler, his prisoner in the Fleet. With occasional Com¬ munications from Friends. 3 vol. Lon don, Torras, 1841—1843 167 Fonblanque, Albany. England under Seven Administrations. 3 vol. Lon¬ don, R. Bentley, 1837. 330 Fourier, Charles. Theorie des quatre mouvements et des destinees genera¬ les. Prospectus et annonce de la de- couverte. Lyon, Pelzin, 1808. 2e ed. 1841. 411 450 Gaskell, Peter. The Manufacturing Po¬ pulation of England, its Moral, Social and Physical Conditions, and the Changes which have arisen from the use of Steam Machinery; with an Examination of Infant Labour. Lon¬ don, Baldwin & Cradock, 1833. 68 102 124 128 277 Gemeinnütziges Wochenblatt des Ge¬ werbevereins zu Köln. Begr. 1836 34716 Gesellschafts-Spiegel. Organ zur Ver¬ tretung der besitzlosen Volksklassen und zur Beleuchtung der gesellschaft¬ lichen Zustände der Gegenwart. Red. M. Heß. 2 Bde. Elberfeld, Julius Bä- deker, 1845/46. 34336—41 347 Gilbert’s Act. An Act for the Better Relief and Employment of the Poor (22. George III. cap. 83), 1782. 275 Godwin, William. Enquiry concerning Political Justice and its Influence on Morals and Happiness. 2 vol. 1-st ed. London, Robinson, 1793. 308 Goethe, J. W. v. Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand. Ein Schau¬ spiel. o. O. Erstdruck 1773. 482 Graham, George. Siehe Fifth Annual Report of Reg. Gen. of Births . . . Halifax Guardian. Begr. 1832. 176 Heine, Heinrich. Die armen Weber, Ge- dicht, siehe Vorwärts! Pariser Deut¬ sche Zeitschrift Hess, Moses. Die letzten Philosophen. Darmstadt, C. W. Leske, 1845. 34730 —. Über die Noth in unserer Gesell¬ schaft ... siehe Deutsches Bürgerbuch Hood, Thomas. The Song of the Shirt, siehe Punch. Illuminated Magazine (The). Ed. Dou glas Jerrold, W. J. Tinton. London 1843—1845. 273 Johann Nepomuk Maria Joseph, König von Sachsen. Siehe Dante Journal of the Statistical Society of London. Begr. 1839. London, Char¬ les Knight and Co. 34 —.Vol. II, 1839. p. 397—424: Report upon the Condition of the Town of Leeds and of its Inhabitants. By a Statistical Committee of the Town Council. October 1839. 45 —.Vol. IH, 1840. p. 257—292: Robert Cowan, Vital Statistics of Glasgow, illustrating the Sanatory Condition of the Population. 105 —.Vol. VII, 1844. p. 316—318: William Pulteney Alison, Notes on the Report of the Royal Commissioners on the Operation of the Poor Laws in Scot¬ land. 99 Kay Shuttleworth, James Phillips. The Moral and Physical Condition of the Working Classes employed in the Cotton Manufacture in Manchester. 2nd ed. enlarged and containing an introductory letter to the Rev. Thomas Chalmers. London, J. Ridgway, 1832. 53 64 68 170 Leach, James. Stubborn Facts from the Factories by a Manchester Operative. Published and dedicated to the work¬ ing Classes by Wm. Rashleigh, M. P. London, Ollivier, 1844. 132 171 173 185 187 188 Leeds Mercury. Leeds. Begr. 1718 als Wbchenblatt, bürg er lieh-radikal. (Seit 1861 Tageszeitung.) 174 Liverpool Mercury. Liverpool, 1811— 1904. Liberale Tageszeitung. 72 Lolme, Jean Louis (de). La Constitu¬ tion de l’Angleterre, ou l’Etat du gou- vernement anglais, compare ä la fois avec la forme republicaine, et avec les autres monarchies de l’Europe. Am¬ sterdam 1771. 313 —. The Constitution of England; or, an Account of the English Government; in which it is compared, both with the Republican Form of Government and the other Monarchies in Europe. London 1775. 7th ed. 1834. 313 Lovett, William and Place, Francis. The People’s Charter; being the Out¬ line of an Act to provide for the Just Representation of the People of Great Britain in the Commons’ House of Parliament. Embracing the principles of Universal Suffrage, No Property Qualification, Annual Parliaments, Equal Representation, Payment of Members, and Vote by Ballot. Pre- pared by a committee of twelve per-
534 Titelverzeichnis sons, six members of Parliament and six members of the London Working Men’s Association, and addressed to the People of the United Kingdom. London, Hetherington, 1838. 216 217 MacCulloch, John Ramsay. A Statisti¬ cal Account of the British Empire, exhibiting its Extent, Physical Capa- cities, Population, Industry, and civil and religious Institutions. 2 vol. Lon¬ don 1837. 16 279 Malthus, Thomas Robert. An Essay on the Principle of Population, as it af- fects the Future Improvement of So¬ ciety, with Remarks on the Specula- tions of Mr. Godwin, M. Condorcet, and other Writers. London, Johnson, Erstausgabe 1798. 81 82 269 271 —. An Essay on the Principle of Popu¬ lation; or, a view of its past and pre¬ sent effects on Human Happiness; with an inquiry into our prospects respecting the future removal or miti- gation of the evils which it occasions. 2 vol. 6th ed. London, Murray, 1826. Manchester Guardian (The). Man¬ chester. Begr, 1821 von J. E. Taylor. 71 72 74 104 129 139 158 171 174 237 238 263 Miles’ Bill for Enlarging the powers of justices in determining complaints between masters, servants and artifi- cers. Bill no. 58 of 1844. Hansard Vols. 73 and 74. 25 268 Miner’s Advocate (The). Newcastle- upon-Tyne. 1843—1845. Gegründet von der „Union“ der Grubenarbeiter. Halbmonatsschrift (nicht, wie Engels angibt, Monatsschrift). 240 Mining Journal (The), Railway and Commercial Gazette. London. Begr. 1835. 237 Morning Chronicle (The). London. 1770—1862. Fr eihändlerische Zeitung. Organ von Cobden und Bright. 181 254 362 New Moral World (The) and Gazette of the Rational Society. Begr. u. hg. von Robert Owen. 1835—1836 Lon¬ don, 1836—1837 Manchester, 1838— 1845 Leeds. Untertitel wechselnd; zu¬ letzt wie oben. 321b 336 337 Nicholls, George. Poor Laws — Ire- land. Three reports to Her Majesty’s Principal Secretary of State for the Home Department. London, Clowes and Sons, 1838. 257 North of England Medical and Sur- gical Journal. Kurzlebige medizini¬ sche Zeitschrift, von der nur 2 Hefte erschienen sind. 156 Northern Star (The) and Leeds Gene¬ ral Advertiser. Hauptorgan der Char¬ tisten. London. Jan. 1838—März 1852. Red. G. J. Harney. Fortgesetzt als Star and National Trades Journal (20. HL—1. V. 1852). 174 213 252 253 462 474 492 Oastler, Richard. Siehe Fleet Papers Owen, Robert. Obscrvations on the Ef¬ fect of the Manufacturing System; with hints for the improvement of those parts of it which are most in- jourious to health and morals. Dedi- cated most respectfully to the British Legislature. 2nd Edition, London, 1817. 163 —. Manifesto of Robert Owen, the dis- coverer, founder, and promulgator of the Rational System of Society, and of the Rational Religion. To which are added a Preface, and also an Appen¬ dix, containing Mr. Owen’s Petitions to Parliament, in the present session; his Memorials to the Govemments of Europe and America, and to the Con- gress of Allied Powers assembled at Aix-la-Chapelle in 1818; etc. London 1840. 163 Parkinson, Richard. On the present Condition of the Labouring Poor in Manchester, etc. 3rd ed. London and Manchester, 1841. 123 People’s Journal, siehe Gemeinnütziges Wochenblatt des Gewerbevereins zu Köln Pfennig-Magazin (Penny Magazine) 359 Phalange (La). Revue de la Science so¬ ciale. Organ der Fourieristen. Begr. 1836. —. XlVe annee, Ire Serie. Tome 1er. Pa¬ ris, aux Bureaux de la Phalange, 1845. p. 1—42; 145—191: Publica- tion des Manuscrits de Fourier. Sec¬ tion ebauchee des trois unites exter¬ nes. 411 450 Physical and Moral Condition (The) of the Children and Young Persons employed in Mines and Manufactures. Illustrated by Extracts from the Re¬ ports of the Commissioners for Inquir- ing into the Employment of Children and Young Persons in Mines and Col- lieries, and in the Trades and Manu¬ factures in which Numbers of them Work together, not being included under the Terms of the Factories Re¬ gulation Act. London, Parker, 1843.
Titelverzeichnis 535 Von Engels zitiert als Children’s Employment Commission’s Report oder unter den Namen der Kommis¬ säre: Bums, Franks, Grainger, Home, Leifchild, Mitchell, Southwood, Scri- ven, Smith, Symons, Tancred. 59 103 109 110—113 180 181 184 186 190—200 229—238 244 Pittsburg Daily Advocate and Adver- tiser. 359 Porter, George Richardson. The Pro¬ gress of the Nation, in its various So¬ cial and Economical Relations from the Beginning of the 19th Century to the Present Time. 3 vol. London Charles Knight and Co., 1836—1843. 15 307 Proudhon, Pierre Joseph. Qu’est-ce que la propriete? ou Recherches sur le principe du droit et du Gouvernement. Premiere memoire, Paris 1840. 227 Punch; or, the London Charivari. EdL Mark Lemon, Henry Mayhew, Shirley Brooks, Tom Taylor, F. C. Burnand etc. London. Begr. 1841. —, vol.V (July to December 1843), p. 260 [Thomas Hood,] The Song of the Shirt. 201 Raumer, Friedrich (von). England im Jahre 1835. 2 Bde. Leipzig 1836. 2te verbesserte und um einen Band ver mehrte Auflage. 3 Bde. Leipzig 1842. 311 Report (The Second) from the Commit¬ tee on Secrecy of the House of Com¬ mons, to whom the several Papers re- f er red to in His Majesty’s Message of the 12th Day of May 1794, and which were presented (sealed up) to the House, by Mr. Secretary Dundas, upon the 12th and 13th Days of the said Month, by His Majesty’s Com- mand, were referred; with an Appen¬ dix, and a Supplement and an Appen¬ dix: to which are added the First and Second Reports of the Secret Com¬ mittee of the House of Lords, with an Appendix. Fourth Edition. London 1794. 316 Report (First) of the Central Board of His Majesty’s Commissioners appoin- ted to collect Information in the Ma¬ nufacturing Districts, as to the em¬ ployment of Children in Factories, and as to the Propriety and means of curtailing the hours of their labour. With Minutes of Evidence and Re¬ ports by the District Commissioners. Ordered by the House of Commons to be printed. 28th June 1833 [1833 No. 450]. Report (Second) of the Central Board .. of their labour. With Minutes of Evi¬ dence and Reports by the Medical Commissioners. Ordered by the House of Commons to be printed. 15th July 1833 [1833 No. 519]. Von Engels zi¬ tiert als Factories Inquiry Commis¬ sion’s Report oder unter den Namen der Kommissäre: Barry, Cowell, Drinkwater, Hawkins, Loudon, Mac¬ kintosh, Power, Stuart, Tufnell. 106 134 139 140 143 144 147—157 160 164 166 170 172 173 181 213 Report (First) of the Commissioners for inquiring into the State of Large Towns and Populons Districts. 2 vol. London, Clowes & Sons, 1844. 105 Report of Commission of Inquiry into the Employment of Children and Young Persons in Mines and Col- lieries and in the Trades and Manu- factures in which Numbers of them work together, not being included un¬ der the terms of the Factories Regu¬ lation Act. 1841, First Report; 1843, Second Report. Von Engels benutzt in der Bearbeitung „The Physical and Moral Condition of Children and Young Persons employed in Mines and Manufactures“ und zitiert als Children’s Employment Commission’s Report. 103 Report to Her Majesty’s Principal Se¬ cretary of State for the Home Depart¬ ment, from the Poor Law Commis¬ sioners, on an Inquiry into the Sani¬ tary Condition of the Labouring Po¬ pulation of Great Britain. With Ap- pendices. Presented to both Houses of Parliament, by Command of Her Majesty, July, 1842. London, Clowes & Sons, 1842. 40 45 68 97 106 Reports of the Inspectors of Factories to Her Majesty’s Principal Secretary of State for the Half-Year ending 318t December 1843. Presented to both Houses of Parliament by Command of Her Majesty. London. Printed by William Clowes and Sons, Stamford Street, for Her Majesty’s Stationery Office. 1844. 166 21 Report of Select Committee on Factory Children’s Labour. 1831—1832. Von Engels zitiert als Sadler’scher Bericht. 106 107 163 Revue des deux Mondes. 1829—1866. Begr. von Segur-Dupeyron. Leon Faucher, „Etudes sur l’Angle- terre“, T. 4, 13ieme an nee. Nouvelle Serie. Paris, 1. X. 1843. p. 71—90; „White-Chapel.“ 1. XI. 1843. p. 366- 394: „Saint-Giles.“ 1. XII. 1843.
536 Titelverzeichnis p. 790—809: „Liverpool.“ Premiere partie. 15. XII. 1843. p. 994—1020: „Liverpool.“ Derniere partie. T. 5, 14ieme annee. 15. IIL 1844. p. 1041— 1077: „Manchester.“ Premiere partie. T. 6. I. IV. 1844. p. 118-162: „Man¬ chester.“ Derniere Partie. 15. V. 1844. p. 611—642: „La Ville de Leeds.“ Premiere partie. 15. VI. 1844. p. 1031 —1061: „Leeds, le travail des Enfants dans les Manufactures et le dernier Bill.“ T. 7. 15. VH. 1844. p. 161-191: „Birmingham.“ 189 Rheinische Jahrbücher zur gesell schaftlichen Reform. Hg. v. Hermann Püttmann unter Mitwirkung von Engels, Weller, Ronge u. a. Erster Band. Darmstadt, Leske, 1845. Zwei¬ ter Band. Belle-Vue, bei Constanz, 1846. 343 347 348 368 456 Rheinische Zeitung. Köln. 1.1. 1842— 31. III. 1843. Seit Okt. 1842 leiten der Redakteur Marx. 382 Schiller, Friedrich von. Die Räuber Schauspiel. Frankfurt und Leipzig Erstdruck 1781. 482 Senior, Nassau William. Leiters on the Factory Act, as it affects the Cotton Manufacture, addressed to the Right Honourable the President of the Board of Trade, to which are appended, a Letter to Mr. Senior from L. Horner, and Minutes of a Conversation between Mr. E. Ash¬ worth, Mr. Thomson and Mr. Senior London, Fellowes, 1837. 66 Shakespeare, William. Dramatische Werke übersetzt von A. W. v. Schle¬ gel und L. Tieck. Berlin, Reimer 1839. Bd. VII p. 102-198: „Viel Lärmen um Nichts.“ Sketch (A) of the State of Ireland, Past and Present. Dublin, printed for M. N Mahon, 1808. Ibid, eighth edition, Dublin, 1822. Der Autor der anony men Broschüre ist John Wilson Cro ker, M. P. (laut Dictionary of Natio- nal Biography); die bibliographischen Angaben von Engels sind hiermit richtiggestellt. 258 Smith, Adam. An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. 2 vol. London, 1776. 3 vol. Dublin, 1776. 307 —. An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. With a life of the Author, an intro- ductory Discourse, notes, and supp- lemental Dissertations. By J. R. McCulloch. 4 vol. Edinburgh, Black, 1828. 81 82 117 Sprecher für Rheinland und West¬ falen. Hg. 1841—1842 von Roderich Benedix; 1842—1844 von Karl Grün. 339 Stirner, Max (Johann Kaspar Schmidt). Der Einzige und sein Eigentum. Leipzig, Wigand, 1845. 30 263 Strauss, David Friedrich. Das Leben Jesu. Bd. 1—2. Tübingen, Osiander, 1835—1836. 227 Symons, Jelinger Cookson. Arts and Artisans at Home and Abroad: with Sketches of the Progress of Foreign Manufactures. Edinburgh, Tait; London, Simpkin, Marshall, 1839. 43 114 135 204 Times (The). London. Begr. 1785 von J. Walter. 37 129 250 278 Triersche Zeitung. Organ des „wahren Sozialismus“. Trier. Anfang der 40er Jahre bis Ende 1851. Red. Friedrich Walthr. Seit 1843 unter dem Einfluß von Karl Grün. 339 L’Union, bull et in des Ouvriers, redige et publie par eux-memes, fonde par l’ancien Comite de la Ruche popu- laire. Paris, Dec. 1843—Sept. 1846. 462 Ure, Andrew. The Cotton Manufacture of Great Britain, systematically in- vestigated and illustrated. 2 vol. London, Knight, 1836. 131 —. The Philosophy of Manufactures; or, an Exposition of the Scientific, Moral and Commercial Economy of the Factory System of Great Britain. 2nd ed. corr. London, Knight, 1835. 120 137 161 162 213 Vaughan, Robert. The Age of Great Cities; or Modem Civilisation viewed in its Relation to Intelligence, Morals and Religion. London, 1842. 118 Vorwärts! Pariser Signale aus Kunst, Wissenschaft, Theater, Musik und geselligem Leben. Hrsg, von H. Börn- stein. Paris, Druck mit Schnell¬ pressen von Paul Renouard. 1. XII. 1844. Seit 3. VII. 1844 erscheint unter dem Titel: Vorwärts! Pariser Deutsche Zeitschrift. 290 337 —. Pariser Deutsche Zeitschrift. Paris. 10. VII. 1844. No. 55, p. 1. Hfeinrichl Hfeinel: „Die armen Weber“. 341 342 Wade, John. British History, Chrono- logically Arranged; comprehending a classified analysis of Events and Occurrences in Church and State; and of the Constitutional, Political,
Titelverzeichnis 537 Commercial, Intellectual, and Social Progress of the United Kingdom, from the first invasion by the Romans to the accession of Queen Victoria. London, 1839. 328 329 —. History of the Middle and Working Classes; with a populär exposition of the Economical and Political Prin- ciples, which have influenced the past and present condition of the Industrious Orders. Also an Appen¬ dix of Prices, Rates of Wages, Popu¬ lation, Poor-Rates, Mortality, Mar- riages, Crimes, Education, Occu- pations, and other Statistical Infor¬ mation, illustrative of the formet and present state of the Agricultural, Commercial, and Manufacturing Classes. 3rd. Ed. London, 1835. 106 107 Wakefield, Edward Gibbon. Swing Un- masked; or the Causes of Rural In- cendiarism. London, Wilson, 1831. 250 Weekly Chronicle. London, 1836— 1851. Bourgeois-Radikale Wochen¬ schrift. 222 Weekly Despatch. London, Bourgeois- Radikale Wochenschrift. Begr. 1804. 69 75 108 201 222 Weitling, Wilhelm. Garantien der Harmonie und Freiheit. Vivis, 1842. 344 Westphälische Dampfboot (Das). Eine Monatsschrift. Redigirt von Dr. Otto Lüning. Erster Jahrgang. Bielefeld, Helmich, 1845. Zweiter Jahrgang. Bielefeld, Helmich, 1846. Dritter Jahrgang. Paderborn, Crüwell, 1847. 347 392
II. NAMENREGISTER Aikin, John (1747—1822), Arzt, Histo¬ riker und radikaler Publizist 514 Ainsworth & Crompton, Textilfabrikan¬ ten in Bolton 210 Albert Francis Charles Augustus Ema¬ nuel (1819—1861), Prinzgemahl der Königin Victoria 478 Alexander der Große (356—323 v. Chr.) 310 Alison, Sir Archibald (1792—1867), High Sheriff of Lanarkshire, Tory, Ge¬ schichtsschreiber der französischen Revolution 39 90 99 114 118 119 124 126 128 257 259 Alison, William Pulteney (1790—1859), Bruder des vorigen, Arzt und Profes¬ sor in Edinburgh 39 90 98 99 Aiston, G., Prediger von St. Philips, Beth- nal Green, London 34 Arkwright, Sir Richard (1732—1792) 14 15 204 301 304 Ashley, Lord s. Cooper Ashton, Thomas, Fabrikant in Hyde bei Manchester 179 Ashton, Thomas, Sohn des vorigen, er¬ schossen 1831 während Arbeiter¬ unruhen 209 Ashworth, Edmund (1801—1881), libe¬ raler Fabrikant in Lancashire, be¬ kämpfte aktiv die Korngesetze und die Arbeiter-Assoziationen. Vermutlich der Mr. Millbanks in Disraelis sozia¬ lem Roman „Coningsby“ 154 179 213 Babeuf, Frangois-Noel (Cajus Gracchus) (1760—1797) 295 458 459 466 Bacon, Francis (1561—1626) 294 311 Bailey, William, Fabrikant in Stalybridge 220 Baines, Sir Edward (1800—1890), Jour¬ nalist und Ökonom, Herausgeber des „Leeds Mercury“, Gegner der Korn¬ gesetze 131 Bakunin, Michael („a Russian“) (1814— 1876) 337 Barbaroux, Charles-Jean-Marie (1767— 1794), Mitglied des Konvents, Giron¬ dist 464 Bardsley, Samuel Argent (1764—1851), 1790—1823 Arzt im Städt. Kranken¬ haus in Manchester 122 Barham, Charles Foster (1804—1884), Hauptarzt des königlichen Staatskran¬ kenhauses in Cornwall 230 Barmekiden, altpersisches Geschlecht in hervorragender Stellung am Hofe der Abbasiden („Tisch des Barmekiden“ wird in „Tausend und Eine Nacht“ er¬ wähnt: 170. und 171. Nacht) 278 Barry, Sir David (1780—1835), Militär¬ arzt und Physiologe 148 149 151 152 156 157 Bauer, Bruno (1809—1882) 347 Bauer, Edgar (1820—1886) 338 Bäumler (Bimeler), Joseph-Michael (ca. 1778—1853), Weber, dann Lehrer in Württemberg, sagte sich von der lu- theranischen Kirche los, ging 1817 nach Amerika und gründete dort die kommunistische Siedlung zu Zoar (Ohio) 358 Beaumont, Thomas (?—1859), Wundarzt in Bradford, machte sich um die hy¬ gienischen Verhältnisse der Stadt ver¬ dient 148 152 Becker, August (1814—1871), Weitlin- gianer in den 40er Jahren, Führer der deutschen Handwerkerbewegung in der Schweiz, Verfasser von „Die Volksphilosophie unserer Tage“ (1843), „Was ist ein Kommunist?“ (1844), „Was wollen die Kommuni¬ sten?“ (1844), cf. in unserer Ausg. Abt. III, Bd. 4, 639 348 Benedix, Roderich (1811—1873), deut¬ scher Literat und Lustspieldichter 345 Bentham, Jeremy (1748—1822) 227 308 323 Bentley & White, Besitzer einer Säge¬ mühle in Bury 210 Berryer-Fontaine, französ. Republikaner, wirkte in der „Societe des droits de l’homme“, kam nach dem Aprilprozeß 1834 ins Gefängnis St Pelagie, von wo er 1835 entwich 469 470 Birley, — Tory, Fabrikant in Manchester; wahrscheinlich Thomas Hornby Bir¬ ley (1815—1885), Chef in Messrs. Ma¬ cintosh & Co. 216 220 Black, Joseph (1728—1799), Chemiker 292 Blackstone, Sir William (1723—1780), Jurist 313
Namenregister 539 Blanc, Louis (1811—1882) 469 Borthwick, Peter (1804—1852), Tory, Mitglied der „Young England“- Gruppe, M. P. 278 Bouverie, William Pleydell, Earl of Rad- nor (1799—1869), Whig, M. P. 254 Bowers, Fabrikant 174 Braunschweig, Friedrich Wilhelm, Her¬ zog von (1771—1815) 463 Bridgewater s. Egerton Brindley, James (1716—1772) 22 Brocklehurst, J. (1788—1870), Seiden¬ fabrikant und Bankier, Parlaments¬ mitglied für Macclesfield 1832—1868, Liberaler 187 Brougham, Henry Peter, Baron (1778— 1868) 175 Buckingham, James Silk (1786—1855), Schriftsteller und Reisender, 1823 aus Indien wegen seiner Angriffe gegen die Regierung ausgewiesen. M. P. 1832—1837, lebte 1837—1840 in Ame¬ rika. Schrieb u. a. „America: Histo- rical, Descriptive, and Statistic, inclu- ding a Journey through the Northern or Free States“ (1841), „The Slave States of America“ (1842), „The Eastern and Western States of Ame¬ rica“ (1842) 360 Buffon, Georges-Louis-Leclerc, comte de (1707—1788) 292 Buonarroti, Filippo Michele (1761— 1837), ital.-französ. Revolutionär, Mit¬ verschwörer Babeufs 466 Bürgers, Heinrich (1820—1878), deut¬ sches Mitglied des Kommunistenbun¬ des, Redaktionsmitglied der „Neuen Rheinischen Zeitung“, seit den 60er Jahren Nationalliberaler 347 Burns — Mitglied der Children’s Employ- ment Commission 184 Bussey, Peter, Wirt in Bradford. Char¬ tist. Delegierter zum Chartistenkon¬ vent 1839, wo er den Standpunkt der „physischen Gewalt“ vertrat 219 Butterworth, James (1771—1837), Topo¬ graph von Manchester 514 Byron, George Noel Gordon, Lord (1788 —1824) 227 Cabet, Etienne (1788—1856 ) 469 Caesar, Gaius Julius (100—44 v. Chr.) 310 Carlile, Richard (1790—1843) 324 Carlyle, Thomas (1795—1881) 70 90 91 93 115 116 211 258 261 278 465 Carter, Totenbeschauer in Surrey 35 Cartwright, Edmund (1743—1823), Land¬ pfarrer, Erfinder des mechanischen Webstuhls 15 301 Chadwick, Edwin (1800—1890), 1832 Se¬ kretär der Armengesetz-Kommission 40 Champneys, William Weldon (1807— 1875), Prediger im östlichen Distrikt von London 87 Childe Harold, aus Byrons „Childe Ha¬ rold“ 462 Cobden, Richard (1804—1865) 318 397 459 Collins, John Anderson (geb. vor 1810, gest. nach 1879), amerik. Fourierist, Gegner der Negersklaverei, gründete 1813 eine kommunistische Siedlung in Skaneateles, N. Y. Herausgeber und Redakteur des „Communist“ 361 Condorcet, Marie-Jean-Antoine-Nicolas Caritat, Marquis de (1743—1794) 464 Cooper, Anthony Ashley, Lord Ashley and Earl of Shaftesbury (1801—1885) 125 138 139 143 154 155 166 167 238 278 Cooper, Thomas (1805—1892), Dichter und Publizist, bis 1846 Chartist 462 Couthon, George-Auguste (1755—1794), Mitglied der Legislative und des Kon¬ vents, Jakobiner 465 Cowan, Robert, Arzt, Verfasser der „Vital Statistics of Glasgow“ 105 Cowell, S. W. Fabrikkommissär 1833 144 148 154 156 157 Crompton, Samuel (1753—1827), Mecha¬ niker, Erfinder der „Mule“ 15 301 Cromwell, Oliver (1599—1658) 295 313 Dante, Alighieri (1265—1321) 475 Danton, Georges-Jacques (1759—1794) 459 Darthe, Augustin-Alexandre (1769— 1797), französ. Revolutionär, mit Ba¬ beuf verurteilt 466 Davy, Sir Humphry (1778—1829) 21 Diderot, Denis (1713—1784) 227 Diergardt, Friedrich, Freiherr v. (1795— 1869), Samtfabrikant im Rheinland, Landtagsabgeordneter, schlug Gewinn¬ beteiligung vor 459 Disraeli, Benjamin, Earl of Beaconsfield (1804—1881) 122 278 Douglas, Fabrikant in Pendleton 149 Drinkwater, Mitglied der Children’s Employment Commission 148 150 173 Duncombe, Thomas Slingsby (1796— 1861), Radikaler, M. P., brachte 1842 im Unterhaus die Petition der Char¬ tisten vor 25 244 268 318 470 Duquesnay, Ernest-Dominique (1748— 1795), Konventsmitglied und Depu¬ tierter zur Legislative 466 Duroy, Jean-Michel (1754—1795), Mon- tagnard, Mitglied des Konvents 466
540 Namenregister Eden, Sir Frederic Morton (1766—1809) 507 Egerton, Francis, duke of Bridgewater (1736—1803) 22 306 Elisabeth (1533—1603), Königin von England 270 316 324 Ellis, William, Chartist, 1842 zu 21 Jah ren Deportation verurteilt 470 Engels, Friedrich (1820—1895) 341 343 345—347 382 Faraday, Michael (1791—1867) 245 Faucher, Leon (1803—1854), französ.Pu¬ blizist, Ökonom 189 Ferrand, W. Bushfield, Tory, Mitglied der „Young England“-Gruppe, M. P. 268 278 Feuerbach, Ludwig (1804—1872) 337 344 409 Fichte, Johann Gottlieb (1762—1814) 482 Fielden, John (1784—1849), Fabrikant, Vorkämpfer des Zehnstundengesetzes, M. P. 277 Finch, John, Owenist, Reisender in Ame¬ rika, Mitarbeiter der „New Moral World“ 347 353 356 359 Fonblanque, Albany (1793—1872), Bour geoisradikaler, Redakteur und später Herausgeber des „Examiner“ 330 Forster, Johann Georg (1754—1794) 491 Fourier, Charles (1772—1837) 341 389 409—412 445 450—452 Franks, Berichterstatter an die Children’s Employment Commission 197 Friedrich Ferdinand Leopold, Erzherzog von Österreich (1821—1847) 478 Friedrich Wilhelm III., König von Preu¬ ßen (1770—1840) 487 490 492 495 Friedrich Wilhelm IV., König von Preu¬ ßen (1795—1861) 499 Frost, John (1785—1877), Chartist, 1839 Führer des Arbeiteraufstands zu New¬ port, deportiert, 1856 nach England zurückgekehrt 219 470 Galway, Ann, starb 1843 Hungers 35 Gaskell, Peter, Arzt in Manchester 68 102 124 128 277 George I. (1660—1727), König von Eng¬ land 300 312 George III. (1738—1820), König von England 300 Gibson, Thomas Milner (1806—1884) M. P. 324 Gibson, schottischer Bauarbeiter 400 Gilbart, James William (1794—1863), Bankier, Ökonom 514 Gilbert, Thomas (1720—1798) M. P. und Armengesetzreformer 275 Ginal, deutscher Prediger in Philadel¬ phia, Gründer einer Siedlung in Penn¬ sylvania, Begründer und Vorsitzender der „Union of Industry“ 360 Girard, Philippe (1775—1845), französi¬ scher Fabrikant 18 303 Godwin, William (1756—1836) 227 308 Goethe, Johann Wolfgang von (1749— 1832 ) 482 483 Graham, Sir James Robert George (1792 —1861) 167 168 320 Graham, George, General-Registrator 104 Graham, ein Streikbrecher 211 Grainger, Richard Dugard (1801—1865), Anatom und Physiologe, 1841 Inspek¬ tor der Kinderkrankenhäuser, Mit¬ glied der Children’s Employment Commission 103 111 180 183 184 Greg, Robert Hyde (1795—1875), Fabri¬ kant, Ökonom, Vorsitzender der Man¬ chester Handelskammer 154 179 Grün, Karl (1817—1887) 341 Guillaume, Figur aus „Avocat Patelin“ 448 Hardenberg, Karl August, Fürst von (1750—1822 ) 488 Hargreaves, James (?—1778), Weber in Blackburn, Erfinder der „Jenny“ 12 301 Harney, George Julian (1817—1897), Mit¬ redakteur des „Northern Star“; Char¬ tistenführer, Freund von Marx und Engels 462 470 Haslam, Messrs., Besitzer der Pentrich- Kohlenzeche 242 Hawkins, Francis Bisset (1796—1894), Arzt und medizinischer Schriftsteller, 1833 Fabrikinspektor, 1836 Gefängnis¬ inspektor, 1847/48 Regierungskommis¬ sär des Mustergefängnisses in Pen- tonville 106 139 143 144 148 153 155 157 164 170 Hay, bei Engels irrtümlich Kay, Bericht¬ erstatter an die Children’s Employ¬ ment Commission 148 149 152 Heathcote, John (1783—1861), erfand 1809 die Bobbin-net-Maschine 17 Hebert, Jacques-Rene (1757—1794) 295 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm (1770— 1831) 308 320 409 410 450 457 482 Heine, Heinrich (1797—1856) 341 342 Helvetius, Claude-Adrien (1715—1771) 227 Hennen, John (1779—1828), Militärarzt, oberster Amtsarzt für Schottland 40 Hess, Moses (1812—1875) 341 343 345— 347 Higby, E. L., Teilhaber an der Eisen¬ fabrik King, Higby & Anderson zu Pittsburg, Gründer einer kommunisti¬ schen Siedlung und Vorsitzender der Trades’ Union Association for the For¬ mation of Communities 361
Namenregister 541 Hindley, Fabrikant, Radikaler, M. P. 277 Hobhouse, John Cam, Baron Broughton de Gyfford (1786—1869) 163 165 Hobson, Joshua, Herausgeber des „Nor¬ thern Star“ 462 Hofer, Andreas (1767—1810) 491 Holbach, Paul Heinrich Dietrich, Baron von (1723—1789) 227 Holland, P. H., Arzt in Manchester 105 Hood, Thomas (1799—1845) 201 Horne, Richard Henry (1803—1884), Ma¬ trose, Dichter, Schriftsteller und Dra matiker, Mitglied der Children’s Em ployment Commission 111 192 193 Horner, Leonard (1785—1864), Fabrik Inspektor 137 166 Hübner, Julius (1806—1882), deutscher 340 Hume, David (1711—1776) 294 Hunt, Thomas, gründete mit engl. So zialisten die Ansiedlung „Equality“ im Staate Wisconsin 361 Huntsman, Benjamin (1704—1776), ur sprünglich Uhrmacher, Erfinder des Gußstahls 20 305 Ibbetson, Fabrikant in Sheffield 209 Johann Nepomuk Maria Joseph, König von Sachsen (1801—1873) 475 Johns, William, Arzt, Oberregistrator des Manchester-Distrikts 140 Johnson, Arbeiter in der Fabrik Pau¬ ling & Henfrey 402 Jones, William (1819—1868), Uhrmacher in Pontypool, Chartist, zusammen mit Frost und Williams deportiert 470 Kaiser, Heinrich Wilhelm, Verfasser von: „Die Persönlichkeit des Eigenthums“ Bremen, 1843 451 Kant, Immanuel (1724—1804) 482 Karl I. (1600—1649), König von England 388 Karl II. (1630—1685), König von Eng¬ land 275 Karl V. (1500—1558), deutscher Kaiser 481 Kay-Shuttleworth, James Phillips (1804— 1877), Arzt, Assistent Dr. Alisons in Edinburgh, seit 1827 in Manchester 53 64—69 91 170 Kennedy, John (1769—1855), Textil fabrikant in Manchester 171 Kitchen, Fabrikant in Sheffield 210 Knight, Arzt in Sheffield 193 194 Köttgen, Gustav Adolf (1805—1882) deutscher Maler 345 346 Lafayette, Marie-Jean-Paul de Motier marquis de (1757—1834) 463 464 Laffitte, Jacques (1767—1844), franzö¬ sischer Bankier 496 Lavoisier, Antoine-Laurent (1743—1794), Chemiker 292 Law, John (1671—1729) 424 Leach, James, Baumwollarbeiter, Char¬ tistenführer, Delegierter zum Char¬ tistenkonvent 1840, Verfasser der „Stubborn Facts from the Factories“, Freund von Engels 132 134 172 173 185 187 188 397 Lee, John (1779—1859), Prediger der alten Kirche in Edinburgh 39 Leif child, John Roby, Mitglied der Children’s Employment Commission 197 Leon, Graf (Bernhard Müller), deutscher Kolonist in Amerika, betrog die Har- monisten und gründete mit 300 An¬ hängern Rapps die Gemeinde Neu- Jerusalem in Philippsburg. Nach deren Auflösung starb er als Land¬ streicher in Texas 356 Lessing, Karl Friedrich (1808—1880), deutscher Historienmaler 340 Lindley, Erfinder der Point-net-Ma- schine 17 Linne, Charles (1707—1778), französi¬ scher Naturforscher 292 List, Friedrich (1789—1846) 384 385 Locke, John (1632—1704) 300 311 Lolme, Jean-Louis de (1740—1806), Schweizer Publizist 313 Londonderry s. Stewart Loudon, Charles (1801—1844), Mitglied der Children’s Employment Com¬ mission 148 153 155 157 Louis Philippe (1773—1850), König von Frankreich 337 Lovett, William (1800—1877) 217 Lüning, Otto (1818—1868), Arzt in Rhe¬ da, Westfalen, seit 1844 „wahrer So¬ zialist“, Herausgeber des „Weser¬ dampfboots“ (1844), des „Westphäli¬ schen Dampfboots“ (1845—1848); während der Revolution Herausgeber der demokratischen „Neuen Deut¬ schen Zeitung“ (1848—1850); später schloß er sich dem National verein an, war 1862—1866 fortschrittlicher Ab¬ geordneter, zuletzt Nationalliberaler 341 347 Lyell, Charles (1797—1875), Chemiker, Geologe 245 MacAdam, John Loudon (1756—1836), Erfinder eines neuen Straßenbau¬ systems 22 306 MacCulloch, John Ramsay (1789—1864) 16 81 279 MacDurt, Thomas, Arbeiter 156 MacKellar, Arzt in Pencaitland 235
542 Namenregister Mackintosh, Berichterstatter an die Children’s Employment Commission 149 155 164 MacPherson, Mutter einer Streikbreche¬ rin, wurde ermordet 210 MacQuarry, ein Streikbrecher 211 Malthus, Thomas Robert (1766—1834) 81 82 135 269—271 Manners, Lord John James Robert (1818 —1906), Mitglied der „Young-Eng¬ land-Gruppe“, M. P. 278 Marat, Jean-Paul (1743—1793) 459 466 Marius (156—86 v. Chr.) 313 Martineau, Harriet (1802—1876), sozial¬ reformerische Schriftstellerin, schrieb u. a. „Society in America“ (1837), „Retrospect of Western Travel“ (1838) 360 Marx, Karl (1818—1883) 341 343 344 347 Mathew, Theobald (1790—1856), irischer Mäßigkeitsapostel 125 Maude, Daniel, liberaler Friedensrichter in Manchester 396—405 Mead, Edward P., Arbeiter in Birming¬ ham 177 Melish, John (1771—1822), Schriftstel¬ ler, Reisender, besuchte kommunisti¬ sche Siedlungen in Amerika, schrieb „Travels through the United States of America in the years 1808—1811“ (1818) 360 Mellor, alter Arbeiter in der Fabrik von Pauling & Henfrey 400 Menenius Agrippa (?—493 v. Chr.) 212 Mill, James (1773—1836) 308 Miller, Polizeisuperintendant 43 Miles, Name der alten keltischen Könige von Irland 90 Miles, William (1797—1878), Bankier, Sohn eines Kaufmanns in Bristol, Parlamentsmitglied für Chippenham 1818—1820, für New Romney 1830— 1832, für East Somersetshire 1834— 1865 268 Mirabeau, Honore - Gabriel - Victor Ri- quetti, comte de (1749—1791) 465 Mitchell — Berichterstatter an die Child¬ ren’s Employment Commission 230 231 Monk, Londoner Jurist 400—402 Müller (v. Königswinter), Wolfgang (1816—1873), deutscher Arzt und politischer Dichter 346 Münzer, Thomas (1488 oder 1489—1525) 491 Napoleon Bonaparte (1769—1821) 111 295 465 484—492 Nelson, Horatio, Viscount (1758—1805) 111 Newton, Isaac (1642—1727) 292 300 Oastler, Richard (1789—1861) 141 166 218 O’Connell, Daniel (1775—1847) 260 325 327 O’Connor, Feargus Edward (1794— 1855), Chartistenführer, Redakteur des „Northern Star“ 69 462 470 Owen, Robert (1771—1858) 163 224 341 356 361 378 409 Padgin, Sägenfabrikant in Sheffield 209 Paine, Thomas (1737—1809) 20 470 491 Parkinson, Richard (1797—1858), Kano¬ nikus von Manchester, Konservativer, christlich-philanthropischer Publizist 122 123 264 Patteson, Sir John (1790—1861), Richter bei der Court of King’s Bench 241 Pauling & Henfrey, Bauunternehmer in Manchester 214 394 395 398—405 Peel, Sir Robert (1788—1850) 145 163 168 245 277 312 397 Percival, Thomas (1740—1804), Arzt in Manchester, Vorkämpfer der Gesetz¬ gebung zum Schutze arbeitender Kin¬ der 145 Pilling, Richard (1800—?), Chartist, Baumwollarbeiter, Sohn eines Hand¬ webers, einer der Führer des Streiks in Ashton und Stalybridge 1842, De¬ legierter zum Chartistenkonvent 1848 396 Pitkethly, Lawrence, Kaufmann in Hud¬ dersfield, Chartist, besuchte die kom¬ munistischen Ansiedlungen in Ameri¬ ka, Delegierter zum Chartistenkon¬ vent 1839 und 1842, unterstützte O’Connor 355 Pitt, William (1759—1806) 463 Porter, George Richardson (1792—1852) 15 307 Pounder, Robert, Arbeiter in Leeds 141 Power, Mitglied der Children’s Employ¬ ment Commission 140 144 148 152 181 Priestley, Joseph (1733—1804) 292 Prometheus 212 Proudhon, Pierre-Joseph (1809—1865) 227 451 Püttman, Hermann (1811—1894), rhei¬ nischer Dichter, Verleger, einer der Hauptvertreter des „wahren Sozialis¬ mus“, Herausgeber der meisten Zeit¬ schriften dieser Richtung, wanderte Anfang der 50er Jahre nach Austra¬ lien aus und gab in Melbourne eine deutsche Zeitung heraus. Cf. in uns. Ausg. Abt. III, Bd. 4, S. 700. 341 343 347
Namenregister 543 Radnor Bouverie. Rapp, Georg (1757—1847), Bauer und Weber aus Württemberg, ging 1803 nach Amerika und stiftete die reli¬ giösen Gemeinschaften Harmony und Economy 355—358 Rashleigh, William, Herausgeber von „Stubbom Facts from the Factories“ M.P. 132 Raumer, Friedrich von (1781—1873) 311 Read, Arbeiter in der Fabrik von Pau¬ ling & Henfrey 404 Ripley, George (1802—1880), amerik. unitarischer Prediger, einer der Grün¬ der der Ansiedlung und Schule zu Brook Farm, Massachusetts, seit 1849 Mitherausgeber der New-York Tri¬ büne 361 Roberton, John (1797—1876), Arzt in der Manchester Entbindungsanstalt 106 Roberts, William Prowting (1806—1871), Advokat der Gewerkschaften 240 241 244—246 267 268 399—405 Robespierre, Maximilien (1758—1794) 295 313 458 465 466 Robson, George, Einwohner des Arbeits¬ hauses in Coventry, starb 1843 273 Roland (de la Platiere), Jean-Marie (1743—1793), Minister des Innern im Girondistischen Kabinett 464 Roland, Manon-Jeanne (1754—1793), Frau des vorigen 464 Romme, Gilbert (1750—1795), Mon- tagnard, Deputierter zur Legislative 466 Rothschild, Nathan Meyer (1777—1836), Gründer des Londoner Bankhauses Rothschild 459 Russen, Lord John (1792—1878) 323 Rymarkiewicz, die Brüder, 348 Sadler, Michael Thomas (1780—1835), Tory, Sozialreformer und Publizist 163 166 Saint-Just, Antoine (1767—1794) 409 459 465 466 Saint-Simon, Claude-Henri, comte de (1760—1825) 409 Salmon, alter Arbeiter in der Fabrik von Pauling & Henfrey 398—400 Saunders, Robert John, Fabrikinspektor 166 SchMer, Friedrich von (1759—1805) 482 483 Schloffel, Friedrich Wilhelm (1800— 1870), Fabrikant in Schlesien, Teil¬ nehmer an der 1848er Revolution, lebte später als Flüchtling in der Schweiz; von dort ausgewiesen, ging er nach Amerika 348 Schön, Heinrich Theodor von (1773— 1856), preußischer Staatsmann 488 Scott, alter Arbeiter in der Fabrik von Pauling & Henfrey 400 Scriven, Samuel S., Fabrikinspektor 197 Senior, William Nassau (1790—1864), Ökonom 66 Shakespeare, William (1564—1616) 241 250 Scharnhorst, Gerhard (1755—1813), preuß. General 488 Sharp, Francis, Wundarzt in Leeds 148 152 Sharp, Roberts & Co., Maschinenfabri¬ kanten 212 Sharps, Teilhaber der Firma Pauling & Henfrey 403 404* Shelley, Percy Bysshe (1792—1822) 227 Sheppard, John (Jack), geb. 1702, Ver¬ brecher, erzogen im Armenhaus zu Bishopsgate, 1724 in London gehängt 111 Smellie, James, Wundarzt in Glasgow 155 Smith, ein Streikbrecher, starb 1837 211 Smith, Adam (1723—1790) 81 82 117 292 307 Smith, Thomas Southwood (1788—1861), Arzt in London, Sanitätsreformer, Mitglied der Children’s Employment Commission 75 98 235 Somerville, Alexander („Einer der hin¬ ter dem Pfluge gepfiffen hat“) (1811 —1885), Sohn eines Arbeiters, Jour¬ nalist, Mitarbeiter der „Moming Chronicle“ und des „Manchester Exa¬ miner“, lebte von 1858 an in Kanada 254 362 Soubrany, Pierre-Auguste de (1750— 1795), Montagnard, Mitglied des Konvents 466 Stein, Heinrich Friedrich Karl, Freiherr v. (1757—1831) 488 Stein, Lorenz v. (1815—1890) 409 451 Stephens, Joseph Raynor (1805—1879), methodistischer Geistlicher und Char¬ tist 218 223 280 Stewart, Charles William, marquis of Londonderry (1778—1854) 243 Stirner, Max (1806—1856) 30 263 347 Strauß, David Friedrich (1808—1874) 227 Stuart, James (1775—1849), Fabrik¬ inspektor, Whig 147 149 155 160 Sturge, Joseph (1793—1859), bürgerli¬ cher Radikaler, regsamer Agitator gegen die Negersklaverei, unterstützte die Chartisten, stiftete 1842 die Complete Suffrage Association 222 Sulla, Lucius Cornelius (138—78 v. Chr.) 313 Swing, Captain 252
544 Namenregister Symons, Jelinger Cookson (1809—1860), Regierungskommissär bei den Unter¬ suchungen über die Lage der Hand¬ weber und der Grubenarbeiter 43 112 114 135 195 204 233 Tancred, Thomas, Mitglied der Child¬ ren’s Employment Commission 198 Taylor, Peter Alfred, Chartist und Ar¬ beiterführer 219 Thomson, Charles Edward Poulett, Baron Sydenham (1799—1841) 66 Thornhill, Thomas (bei Engels irrtüm¬ lich Thornley), Gutsbesitzer, Whig 167 Tooke, John Horne (1736-1812) 308 Tooke, Thomas (1774-1858) 505 Tufnell, Thomas Joliffe (1819—1885), Zahnarzt und Hygieniker 140 144 147 149 154 155 Turpin, Richard (Dick) (1706—1739), „der Straßenräuber“ 111 Ure, Andrew (1778—1857), Ökonom und Chemiker 120 131 137 161—163 165 179 212 213 Vaughan, Robert (1795—1868), Geist¬ licher, Historiker und Begründer des „British Quarterly“ 118 Vetter-Köchlin, Nikolaus Karl (1781— 1852), Elsässer Baumwollindustriel¬ ler, 1830 in die Deputiertenkammer gewählt, schloß sich der äußersten Linken an, legte 1841 sein Mandat nieder und widmete sich dem Eisen¬ bahnbau im Elsaß 459 Victoria (1819—1901), Königin von Eng¬ land 37 478 Vincent, Streikführer der Zimmerleute in Paris 479 Wade, John (1788—1875), Publizist und Historiker 106 107 328 330 Wakefield, Edward Gibbon (1796— 1862), bekannt durch seine Schriften über Kolonialfragen 250 Watt, James (1736-1819) 15 301 304 Wedgwood, Josiah (1730—1795), Grün¬ der der Töpfereien zu Staffordshire 301 WeitUng, Wilhelm (1808—1871) 344 410 411 467 469 470 Wellington, Sir Arthur WeUesley, Duke of (1769—1852) 111 Wesley, John (1703-1791) 112 Wightman, Sir William (1784—1863), Richter am Court of Queen’s Bench 241 Williams, Sir John (1777—1846), Rich¬ ter am Court of Queen’s Bench 241 WiUiams, Zephaniah (1794—1874), Gastwirt in Blacnan, Chartist, zusam¬ men mit Frost deportiert, starb als Kolonist in Tasmanien 470 Wischnewetzky, Florence Kelley (1859— 1932), amerikanische Sozialreforme¬ rin, Übersetzerin von Engels* „Lage der arbeitenden Klasse“ ins Englische, studierte in New York und Zürich, war in den 90er Jahren Mitglied der Socialist Party of America, übte zwei Jahre in Chicago die Rechtsanwalts¬ praxis aus und wurde Mitarbeiterin des United States Department of La¬ bour als Referentin für die Armen¬ stadtviertel; 1893 Fabrikinspektorin in Illinois, 1899 Sekretärin der sozial¬ reformerischen „National Consumers’ League“; schrieb „Some Ethical Gains Through Legislation“ (1905), „Modern Industry“ (1913), gab heraus; Kelly „Twentieth Century Socialism“ (1910) 4 Wood, James und Francis, Fabrikanten 152 211 Wright, Fabrikverwalter in Macclesfield 149
III. SACHREGISTER Abstumpfung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Arbeiter 169 Ackerbau: moderne Entwicklung 21 Ackerbau-Proletariat: seine Entstehung 13; Löhne 80; 247—261 Alkoholismus: der Irländer 91— 93; 96 101 102 117 124—127 136 147 153 170 238 Aiston Moor 230 231 237 Altersschwäche: frühe 154—156; der Bergarbeiter 230 231 235 Amerika: rasche industrielle Ent¬ wicklung 278 279 Anarchie der Produktion 83 370 371 Anschläge auf Fabrikanten und Fa¬ briken 209 210 Anticornlaw-League 88 119 120 254 265 326, s. Korngesetz¬ frage Arbeit und Kapital 262 Arbeiterassoziationen 77 134 163; geheime 204 205 210 211; der Bergarbeiter 240; 267 326, s. auch Trades Unions Arbeiterbewegung: im Gleich¬ schritt mit der industriellen Entwick¬ lung 26; 120 131 182 188 189; und Handwerker 190 198; 195 202—228; im Bergbau 240—246 ; 276 309 365; ausgenützt im Interesse der Bourgeoi¬ sie 493 494 Arbeitergesellschaft, Allge¬ meine Londoner 217 Arbeiterklasse, s. Proleta¬ riat Arbeiterviertel der Städte 32— 69; Bauart in Manchester 58—62 ; 96 —98 Arbeitslohn 10; als einziges Ein kommen 13; steigend 23; 27 31 76; Minimum und Maximum 78—80; Durchschnittslohn 80; Tagelohn 80; fallend 89; gedrückt durch die irische Einwanderung 90 91 93; gedrückt durch Einführung von Maschinen 134 —137; und Zehnstundenbill 169; der Strumpfwirker 180—182; der Samt¬ scherer 186; 198 200; und Gewerk¬ schaften 205—209 ; 223 239 248 249; Tagelohn der Landarbeiter 251; 265 266 269 Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 4 Arbeitslosigkeit 31 34 82—89 97 115; infolge Einführung von Ma¬ schinen 132—136; der Kattundrucker 185; 198; im Bergbau, infolge frühen Alterns 235; 377 378 Arbeitsqual 169 170 Arbeitsteilung: industrielle, Be¬ ginn beim Spinnen und Weben 13; und Auflösung der Handwerke 24 27; 82; macht die Arbeit des Arbeiters mechanisch 117 118; in der Metall¬ industrie 190 191 Arbeitszeit: und Übervölkerung 82; im Fabriksystem 131; zu lange 146— 149 151 153 155; und Zehnstunden¬ bill 165—168; der Strumpfwirker 180; der Kattundrucker 185; und Modesaison 199; 378, s. auch Zehn¬ stundenbill Armenhäuser: liefern Kinderarbeit 145; 250 251 254 256 271—276 Aristokratie 217 261 314 315 Armengesetz 84 88 166 167 209 218 223 248 249 256 269—271 275—277 Armenunterstützung durch Ar¬ beiter 122 123 Armut 88; demoralisierend 113 114 118; permanente und wechselnde 248; 248—250; in Irland 257 258; 263 269 —273 380 381; in Deutschland 382 Ashton-under-Lyne 16; Arbei¬ terwohnungen 48 49 Assoziationsrecht, s. Koali¬ tionsfreiheit Asthma: Berufskrankheit der Schlei¬ fer 193 194 Asyle für Obdachlose 36—38 42 43 251 Atheismus 337 Aufstände: schlesische und böhmi¬ sche 8; Manchester August 1842 89 220 221; Lyon 1834 214 Augenleiden: der Strumpfwirker 180; der Spitzenweber 182 183; 197 199 200 Ausbeutung 120 121 202 Ausfuhr: englische, Eroberung frem¬ der Märkte 83 Bankerott 28 84 85 371 372 Barnsley: Wohnungselend 46 35
546 Sachregister Bauernschaft: Kleinbauern 247; 299, s. auch Ackerbau-Prole« tariat, Pächter, Yeomen Baumwollenindustrie 16 46 47 301 302 Bedford: Spitzenklöppelei 184 Belfast 18 Belgien: Kommunistische Bewegung 337 Bergbau: Kohle 21; Bergarbeiter schäft 229—246; Bergwerksgesetze 238; Bergarbeiter-Union 240—245 326; 304 306 Bestechung im politischen Leben Englands 317 318 Bettelei 87 89 135 250 Bevölkerungstheorie: Malthus 81 82 269—271; A. Smith 82 Bevölkerungszuwachs : nach der Industrialisierung Westenglands 18; auf dem Lande 258 Bildungswesen: und Proletariat 109—113; 191 192 194 197; chartisti- sches und sozialistisches 226—228, s. auch Schulwesen Birmingham: Zentrum der Metall¬ industrie, Bevölkerungszuwachs 20; Eisenbahn 22; 30; Armenviertel 42; Unterrichtswesen 111; Metallwaren¬ fabrikation 189—191; „radikale“ Par¬ tei 217; die kleinen Meister 228; Ar¬ beitshaus 273 274 Bleibergwerke 230 231 Bleicherindustrie 17 186 Böhmen: Unruhen 340 Bolton: Textilfabriken 16; Eisenbahn 22 23; Wohnungselend 47 48; Armen Verwaltung 88; Streikkämpfe 220 Bourgeoisie: hat das Monopol al ler Lebensmittel im weitesten Sinne des Worts 78; als herrschende Klasse 94 108 110 113 114 120 121 127—130 176 177 185 245 246; und Unterrichts¬ wesen 112 113; konservativ 124; und Proletariat, Sklaverei des Fabrik Systems 170; Verhältnis zum Fabrik¬ system 178 179; gegen Arbeiterver¬ bindungen 211 212; fürchtet den Fort schritt 227; als Grundbesitzer 253; Charakteristik der englischen 261— 282, der französischen 337; revolutio¬ näre, in Deutschland 340; versucht die Arbeiterklasse zu täuschen 344 345; unzuverlässig in der Revolution 477; ihre Lage und Entwicklung nach 1815 492; Führerin der revolutionä ren Bewegung 1815—1830 493; bür¬ gerliche Freiheiten 325 493 496; libe¬ ral und demokratisch 493; vernichtet alte Vorrechte 493; Passivität und Be¬ schränktheit der deutschen 494 Bradford 17; Wohnungselend 45 46; Polizei-Erneuten 219 Brandstiftung 195; auf dem Lande 252 253, s. auch Anschläge auf Fabriken Brighton: Eisenbahn 22 Bristol: als Hafenstadt 28; Woh¬ nungselend 41; irische Einwanderung 90 Buckingham: Spitzenklöppelei 184 Bundestag 480 481 496 Bürokratie 494 495 Cambridge: Eisenbahn 22 Carbonari 495 Charte, s. Volkscharte Chartismus: Chartisten 9; in den Großstädten entstanden 120; 132; und Unterhausreform 168; 179 216— 221; scharfe Trennung vom Liberalis¬ mus und bürgerlichen Radikalismus 221 222; wesentlich sozialistischer Natur 223 224 ; 225 226 228 240 244 254; in Irland wenig Erfolge 259; 276—281 313—318 325—327 457 460 471 494 Cheshire 19 Chester: Kattundruckerei 185 China als Absatzmarkt 279 Cholera 64 67 Christentum: die Gesellschaft ato¬ misierend 291 292 297 298 ; 324 Cleve: Kommunistische Bewegung 343 Code Napoleon 484 Congleton 19 Cork: Straßenbau 22; Typhus-Epide¬ mie 99 Cornwall 229 230 237 Cottagesystem 32 42 45 46 48 49 58—64 66 173 175 176 238 242 243 Dampfkraft, s. Mechanische Triebkraft Demokratie: chartistische und bür¬ gerliche 223; soziale 333 334; von 1793 458; als proletarisches Prinzip 459; gleich Kommunismus 458—460 471 Demokratische Partei 217 308 309 Demoralisierung der Arbeiter¬ klasse 113—119 124—129 170 184 190 —192 194 195 238 Derby: Strumpfwirkerei 16 180 182; Eisenbahn 23; Spitzenfabrikation 182; Kattundruckerei 185 Deutschland: soziale Zustände 8; und die englische Strumpfwirkerei 181; Höhe des Tagelohnes 251; indu¬ strielle Entwicklung, Zölle, Konkur¬ renz mit England 382—387 489; Zer-
Sachregister 547 Splitterung des Landes 480 496; Ant¬ agonismus mit Frankreich 480 481; Leibeigenschaft 481 488; Literatur im 18. Jahrhundert 482; während der französischen Revolution und der Na¬ poleonischen Kriege 483—491 494 495 Dissenter 167 322 323 Disziplin in der Fabrik 172 Dorsetshire 18 Dundee 18 150 Dunfermline 150 Dublin: Armenviertel 38 39 119; Ty¬ phusepidemie 99 Durham: Bergbau 21; Bergarbeiter¬ bewegung 240 Düsseldorf: Kommunistische Be¬ wegung 338 343 Economy (Ohio) 356—358 Edinburgh: Eisenbahn 23; Armen¬ viertel 39—41; irische Einwanderung 90; Typhusepidemien 98 Egoismus, Eigennutz, s. Pri¬ vatinteresse Eisenbahnen: und Eisenindustrie 20; erste Linien 22 23; Eisenbahn- Gesellschaften 267 268; 307 Eisenproduktion 19 20; Bau¬ material 20; Erzbergwerke 231—240 Elberfeld: Kommunistische Bewe¬ gung 338 343 345 346 Empirie 294—296 England: als klassisches Land der proletarischen Zustände 7 8 10; indu¬ strielle Revolution 10 23; soziale Frage 24; Krieg gegen Frankreich und der Sturz Napoleons 487; auf dem Wiener Kongreß 488 „Englische Krankhei t“, s. R a- c h i t i s Epidemien 42 62 67 75; in der Be¬ völkerungstheorie 82; und Krisen 89; 97; und Handelskrisen 98 99; Emp¬ fänglichkeit der Arbeiterkinder 152 Epilepsie 196 197 E q u a 1 i t y (Wisconsin) 361 Erfindungen 14—23 301 Ernährung des Proletariats 70 76; der Irländer 90 91; 96; und Krank¬ heiten 100; und Alkoholismus 101; 137 190 192 196 Erziehung: als Menschenrecht 343: allgemeine kommunistische 380 Existenzminimum als Lohngrenze 78 79 F a b r i k g e s e t z e 131 146 162 163 165 167 168 180 Fabrikinspektoren 146 165 166 Fabrikreglements 171 Fabrikstadt 179 Fabriksystem: seine Anfänge 14 15; 27; und Handweberei 137; im Urteil der Bourgeoisie 161; seine öf¬ fentliche Beurteilung 162—164; 169 —201; „ländliche Fabrikation“ 178 179; in der Kattundruckerei 185 186; in der Metallindustrie 189—191; 301 302 Familie: proletarische, aufgelöst durch Frauenarbeit und Fabriksystem 127 139 140 190 198 238; Umkehrung aller Familienverhältnisse 140—143 190 Färberei und Druckerei 17 186 Feudalismus: im Vergleich zum Kapitalismus 176 177 ; 278 Finanzwissenschaft 307 Flachsspinnerei 18 Fourierismus 7 410 411 450—453 Frankreich: Parzellierung 259; Kommunistische Bewegung 348; auf dem Wiener Kongreß 488 Französischer Materialis¬ mus 227 F r a n z ö s i sch e Revolution: Ver¬ gleich mit der englischen 294 295; 309 333; als soziale Bewegung 458; 459 460 462 480; Auswirkungen in Deutschland 483—485 Frauenarbeit 79 137—140; Frau als Ernährerin der Familie 140—144; und sittlicher Zustand 144 145; 151 152 167 186; in der Metallindustrie 190; 198; Putzmacherinnen und Näh¬ erinnen 199—201; im Bergbau 229 232—234 236 238; in der Landwirt¬ schaft 248 Frauenleiden bei Fabrikarbeite¬ rinnen 155—157 160 Freie Konkurrenz 10 27; klas¬ sendifferenzierend 77; 77—89; zwi¬ schen den kleinen Handwerksmeistern 189; zwischen Handwerk und Fabrik 189; der Kapitalisten auf dem Ar¬ beitsmarkt 206 207; Handelskrisen verursachend 209; und Korngesetz¬ frage 223; und Klassenkampf 223; und Chartismus 223 224; 253; zwi¬ schen den Pächtern 255—257; 262 263 265 271; auf dem Weltmarkt 278— 280 387; 308 369 370 383 Freihandel 384 Freiheit des Lohnarbeiters als kapi¬ talistisches Prinzip 177 Friedensrichter 171 188 239 241 266—268 329 332 396 Gasbeleuchtung und Eisenindu¬ strie 20 Gefängnis : find Arbeitshaus 272; ‘ 330 35*
548 Sachregister Geld 114 123; „Geldmensch“ 123; 177; Geldsucht der englischen Bourgeoisie 261 262; Versklavung des Menschen an die Sache 298; als äußeres Zei¬ chen der bürgerlichen Gesellschaft 492 493 Geldstrafen, s. Strafabzüge Gemeindeboden 267 Gemeines Recht (Common Law) 331 Gerichtsbarkeit 326—332 Geschichtswissenschaft 292 Geschworenengericht 326—330 332 Gesetz: Heilighaltung des Gesetzes 216 221 Gesetzgebung 266 319—321 330 331 Gesundheitspolizei 62 64 65 67 108 Gesundheitszustand der Arbei¬ ter 95; im Urteil der Bourgeoisie 162 Gewalt als Erziehungsmittel 113 Girondisten 483 Glasfabrikation 197 Glasgow 16; Armenviertel 42 43 119; irische Einwanderung 90; Typhusepi¬ demien 98 99; Sterblichkeit 105; Al- koholismus 124; Überarbeitung 150; Fabrikberichte 166; Assoziation der Baumwollspinner („Thugs“) 210 211; Bergarbeiterkonferenz (1844) 240 Gleichheit: demokratische 334 Greenwich: Armenhaus 273 G r u n d b e s i t z 247 253 254 257—259; englischer, in drei Klassen gegliedert 299; 315 317 Grundzins 255—258 Habeas-Corpus-Akte 311 326 Halifax: Textilindustrie 17; Eisen¬ bahn 23; Wohnungselend 46 Handel: zentralisiert die Bevölkerung 28; Handelskonjunktur als Schicksal des Arbeiters 31 Handelskrisen, s. Krisen Handelsmarine 20 Handweber 187 Handwerker: Niedergang 24; 189 190; weder Proletarier noch Bourgeois 190 191; 198; die kleinen Meister ohne Klassenbewußtsein 228 Har mony (Owenistische Kolonie) 361 —365 Hegelianische Spekulation und Sozialismus 409 410 450 457 458 Heilige Allianz 495 „Heiliger Monat“ der Chartisten 220 Heiliges Römisches Reich 480 483 484 Heimindustrie: Weber 10 11; pa¬ triarchalische Lebensverhältnisse 11 12 Huddersfield 17; Wohnungselend 46 Hüll: Eisenbahn 23; Hafenstadt 28 Humanität: der Arbeiter 122 123; der Fabrikanten als Maske der Bruta¬ lität 164 166 Hungertod: als Begleiter des Kapi¬ talismus 31; 75 76 78 81 84 89 94 114 269 271 276 Individualismus: als Lebens¬ prinzip der kapitalistischen Gesell¬ schaft 30 76 77 112 130—132; und Christentum 291 297; 369 371 372, s. auch Privatinteresse Industrie: in England revolutio¬ nierend wie in Frankreich die Politik 12; zentralisiert die Bevölkerung 28; 121; und Klassenkampf 203; 247; Konkurrenz der englischen mit der amerikanischen und der deutschen 278 279; 301 Industrielle Reservearmee 85—89, s. auch Arbeitslosig¬ keit Industrielle Revolution 10 12 26 27 301—309 Intelligenz in der revolutionären Bewegung 338 341 344 494 Internationalismus: proletari¬ scher 460 461 Irland: Textilindustrie 18; Straßen¬ bau 22; Kanalbau 22; Wachstum der Bevölkerung 23; Irlanddebatten 25; liefert Arbeitskräfte 85; 90 91; Ty¬ phusepidemien 98 99; Bergbau 229 232; Parzellierung des Grundbesitzes, Pauperismus auf dem Lande 256— 259; Kriminalität 259; Repeal-Agita¬ tion 259; Armengesetz 276 Irländer: in der englischen Arbeiter¬ klasse 33 38 63 70 75; drückt den Lohn des englischen Arbeiters 78 79; 90; Einwanderung nach England wäh¬ rend der Industrialisierung 90 91; Lebensweise 91—93; ideologischeEin- wirkung der irischen Einwanderung 121—123; 137 256—259 Irreligiosität: und Sozialismus 225 226; der Arbeiter 237 238 Italien: Einfluß Napoleons 487; Re¬ volution 495 Jagdgesetze 251 „Junges England“ 278 Jus primae noctis der Fabrikan¬ ten 145 Kanalbauten 22 306
Sachregister 549 Kanalisation: unzulängliche, in den Arbeitervierteln 32 40 41 45 46 96 Kapital: Konzentration 27 28 77 189 279 370 383; als Waffe im sozialen Krieg 30; verzinst sich nur durch Arbeit 79; Verhältnis zur Arbeit 262 Kapitalismus: Kapitalist nach Ure ein Wohltäter der Arbeiter 120; ka¬ pitalistische Gesellschaftsordnung 126 127 130 135 139; im Vergleich zum Feudalismus 176 177; 198 369 370 Kardiermaschine 15 185 186 Kattundruckerei 185 186 Kerry: Straßenbau 22 Kettenstuhl, s. „Throstle“ Kinderarbeit 79 137—140 143 145 —149 151—155 160; im Urteil der Bourgeoisie 161 162; und Fabrik¬ gesetze 163 165; Nachtarbeit verboten (1834) 165; 166 167 180—184 186; in der Metallindustrie 190—193; in der Töpferei 196 197; in der Glas¬ bläserei 197; 198; in Bergwerken 229 232 233 235—238; in der Landwirt¬ schaft 248 Kindermißhandlung 147 160; im Arbeitshaus 273 275 Kindersterblichkeit 106 108 Kirche und Landproletariat 254 255 s. auch Staatskirche Klassenbewußtsein: seine Ab¬ stufungen im Proletariat 26; 120 121 228; nach verlorenem Streikkampf 244 245; erwacht beim Ackerbaupro¬ letariat 254 Klassengegensätze 5 30 31; in den Städten zuerst entstehend 120 121; 122 130 204 228; zwischen Bour¬ geoisie und Aristokratie 479 492, s. auch „sozialer Krieg“ Klassenhaß 113 116 164; Empörung einzige Garantie gegen die Entmen¬ schung der Arbeiterklasse 169 170 172; 202 203 209 210 Klasseninteresse 112 121 Klassenjustiz 221 239 241 266 267 331 332 Klassenkampf 202 203 213; in Frankreich und England 213 214; be¬ waffneter 215; und Chartismus 216 223; im Erziehungswesen 226 227; 228 260 333 334 369 393 Klassenscheidung: moderne, in Arbeiter und Kapitalisten 24 25 27; durch die freie Konkurrenz 77; 130 198; Differenzierung zwischen Char¬ tisten und Liberalen 221; 281 Klassenwissenschaft 226 227 Kleidung: dürftige, der Arbeiter 69 70 76; der Irländer 90 91; 96 101; der Metallarbeiter 190 192 Kleinbürgertum: und Proletariat 218 219 221 222; im Bund mit den Liberalen gegen die Chartisten 222 223; zwischen Chartismus und Radi¬ kalismus 228; 255 Koalitionsfreiheit 204 205 326 Kollektivvertrag der Bergarbei¬ ter 240 Kollektivwohnhäuser 378 379 Köln: Kommunistische Bewegung 338 343 Kolonien Englands 294 298 310 Kommunismus: französischer 7 225 226; deutscher 7 8; von Feuerbach her 8; 280 281; in Deutschland 337— 348 409 410 ; 351 352 360 365 372 380 382 389 457; neue Form der sozialen Demokratie 458 459 Kommutationsbill (1838) 258 Königtum 217; englisches 313 314 Konkurrenz: der Kapitalisten, s. Freie Konkurrenz; der Lohn¬ arbeiter untereinander 77—80 82 83; zwischen irischen und englischen Ar¬ beitern 90 91 93; 176 181 186; auf¬ gehoben durch die Gewerkschaften 208 209; in der Landwirtschaft 249 251; 269 377 Konservative, s. Tories Konstitutionelle Monarchie in England 312—314 Konvent 484 Konzentration des Kapitals 27 28 77 189 279 370 383 Kooperation; Owensche 378 379 Korngesetzfrage 219—223 247 253 254 264 265 278 280 298 492— 494, s. auch Anticornlaw-Lea- g ue Körperschwächung durch Fa¬ brikarbeit 151—160 Krankheiten: die Begleiter des Kapitalismus 31 34; der Städter und der Landbewohner 95 96; der Fabrik¬ arbeiter 151—153 157 158 160 165 170; Berufskrankheiten der Strumpf¬ wirker 180, der Spitzenweber 182— 184, der Seidenweber 189, der Metall¬ arbeiter 193 194, der Töpfer 196 197, der Glasbläser 197, der Putzmacherin¬ nen 199 200, der Bergarbeiter 230 233 234; infolge schlechter Ernährung der Lehrlinge 192, s. auch Epide¬ mien, Typhus u. a. Krieg 247 Krieg aller gegen alle 369 371 374 Kriminalität 33 43 65 87 88 114 125 127—129 191; Verbrechen als Rohform des Klassenkampfs 203 204 252 259 374; und Landarmut 250
550 Sachregister Krisen 19 83—89 97—100; revolutio¬ näre Krise verglichen mit physiologi¬ scher 121; 132; infolge Konkurrenz 209; Krise von 1825 19; von 1842 219, von 1847 224; 279 280 371 Kurzarbeit 84 185 Lanarkshire 16; Kriminalität 128; Überarbeitung 150 Lancashire: Hauptsitz der Baum¬ wollenindustrie 16—18; Kanalbau 22; Wohnungselend 44; Kriminalität 128; Untersuchungskommission 164; Kat¬ tundruckerei 185; Strafgeld der Sei¬ denweber 188; 189; Maschinenfabri¬ kation 195; Bergarbeiter-Union 245 Lancaster: Eisenbahn 22; Kattun¬ druckerei 185 Landarbeiter, s. Ackerbau¬ proletariat Landwirtschaft: Großbetrieb 248, s. auch Ackerbau-Proleta¬ riat, G r u n d b es i t z, P ä c h t e r Leeds: Textilindustrie 17 18; Eisen¬ bahn 23; 30; Wohnungselend 44 45; Armenverwaltung 88 Lehrlinge: Gesetz (Apprentice Bill 1802) 145 163; 189 Leibeigenschaft.: im Vergleich zur Lohnsklaverei 176 177 ; 296—298 Leicester: Spitzenfabrikation 17 182; Eisenbahn 23; Strumpfwirkerei 180—182; Trucksystem 182 Leinenindustrie 18 303 Leipzig: Blutbad 475 476 Liberalismus 9; liberale Bourgeoi¬ sie und Reformbill 217; Liberale trei¬ ben die Arbeiter in den Aufstand 219 —221, s. auch Whigs Limerick: Straßenbau 22; Typhus¬ epidemie 99 Literatur: und proletarische Leser¬ schaft 227; des Proletariats 228 Liverpool: Textilindustrie 16; Eisen¬ bahn 22; Wachstum der Fabrikstadt 28; Armenviertel 41; irische Einwan¬ derung 90; Typhusepidemie 99; Sterb¬ lichkeit 104 106; Unfallstatistik 139 Lohnarbeit 78 81; größere Rentabi lität gegenüber der Sklavenarbeit 81 London: Spitalfields 19; Eisenbahn linie 22 23; Hafen- und Handelsstadt 28; Großstadt und kommerzielle Hauptstadt der Welt 29; Krieg aller gegen alle 30; St. Giles 32 33 119; St. John, St. Margaret (Westminster) 33; St. George 34; Whitechapel, Beth nal Green 34 35; Wohnungselend und Obdachlosigkeit 32—38; St. James 37; irische Einwanderung 90; Typhusepi demien 98; Kriminalität 128 129; Seidenweber 188 189; Putzmacherin¬ nen und Näherinnen 198—200; radi¬ kal-demokratische Partei 217; St.Pan- cras, Arbeitshaus 274, Bethnal Green, Arbeitshaus 274 275; St. Brides, Ar¬ menkirchhof 275 Lyon: Aufstand (1834) 214 Macclesfield 19; Überarbeitung in den Seidenfabriken 149 Manchester: Textilindustrie 16 19; Kanalbau 22; Eisenbahn 22 23; Wachstum der Fabrikstadt 28; Indi¬ vidualismus und Privatinteresse herr¬ schend 30; klassischer Typus der mo¬ dernen Industriestadt 46 47; proleta¬ rische Vorstädte 47; Klassenscheidung im Stadtbau 50—52; Wohnungselend der Arbeiterviertel 47, in der Altstadt 52—58, in der Neustadt 58—63, in Ancoats 63, in Klein-Irland 63 64, in Hulme 64, in Salford 65; Bauart in der Neustadt 58—62, zusammenfas¬ send 66—69; irische Einwanderung 90 91; Typhusepidemien 98 99; Kran¬ kenhaus 102; Sterblichkeit 104—106; Alkoholismus 124 125; Pfandhäuser 125; Kriminalität 129; Abbau von Spinnern infolge Einführung der Spinnmaschinen 132 133; Unfallsta¬ tistik 139; Umkehrung der Familien¬ verhältnisse 143; Krüppel 149; Kör¬ perschwäche unter der Bevölkerung 153 154; frühes Altern 155; Frauen¬ arbeit 156—158; Gesundheitszustand der Kinder 157; Verstümmelte 158; Unfälle 159; Fabrikberichte 166; Schulzwang 167; Fabrikreglement 172; 179; Kattundruckerei 186; all¬ gemeiner Turnout (1842) 214; Streik¬ kämpfe der Ziegeleiarbeiter (1843) 214 215; Polizei 216; radikale Partei 217; Chartismus 218; Anticornlaw- League 219; Streiks 220; Sitz der stärksten Arbeiterverbindungen 228; Bergarbeiterkonferenz (1844) 240; Armenkirchhof 275 276 Maschinen: Sieg über die Hand¬ arbeit 15 131 132 185 198; machen die Arbeit des Arbeiters mechanisch 117 118; erzeugen Arbeitslosigkeit 131— 138; drücken den Lohn 134 135; und soziale Reform 135; jeder Fortschritt ein Rückschlag für die Arbeiter 181 185; in der Kattundruckerei 185; Maschinen erzeugen Maschinen 195; als Anlaß von Unruhen 212 213; in der Landwirtschaft 248, s. auch i n - dustrielle Revolution Maschinenfabrikation 19 135 195 304 Maschinenstürmer 136 204
Sachregister 551 Mäßigkeitsvereine 125 126 Materialismus 292 294 Mechanische Triebkraft: in der Textilindustrie 15 137; im Ver¬ kehrswesen 23; als Hebel der Indu strie 27; und Arbeitslosigkeit 82; Dampfkraft 14 15 19 22 23 183 189— 191 301; Wasserkraft, im Anfang des Fabriksystems 14, s. auch Maschi¬ nen Metallindustrie 20 189 190—195 305 306 Metropolitan Building Act 108 Mietpreise 34 Militarismus 375 Mittelklasse: Begriffsbestimmung 8 9; arbeitende, proletarisiert 24 27; als Hauptmacht des Parlaments 25; libe rale und radikale 25; kleine Bourgeoi sie verschwindet 28 369 383, s. auch Bourgeoisie, Kleinbürger¬ tum Monopol: industrielles 387 Münster: Kommunistische Bewegung 343 Nachtarbeit 147 149; Verbot 165 168; der Kinder 182 Nähterinnen 200 201 Nationalcharakter: englischer 293—295 310 311 Nationaleigentum und Besteue¬ rung 381 Nationalismus und Klasseninter¬ esse 460 461 Nationalökonomie: bürgerliche 135 262 264 Naturgeschichte 292 Neu-Libanon (Shaker-Kommune) 355 Newcastle: Eisenbahn 23 New Harmony (Indiana) 356 Northampton 184 Northumberland: Kohlenbergbau 21; Bergarbeiterbewegung 240 Nottingham: Strumpfwirkerei 16 17; 180 182; Spitzenfabrikation 182 Obdachlosigkeit: in London 36 37; 76; von Streikenden 243 O b e r h a u s 314 318 319 Öffentliche Meinung: und Volkscharte 217; 333 Oldham 16 Opportunismus und Spaltung der Chartistenbewegung 222 Organisation der Arbeit: bei Carlyle 278 Österreich 490 Oxford: Spitzenklöppelei 184 Pächter: Großpächter 14; 247 248 251 252 254; kleine 255—258 ; 261 Paris: Kommunistische Bewegung 337 339; Revolution (1830) 493 495 Parlament 25 244 245 267 268 Parteien in England 308 309 „P a t e n t • A r z n e i e n“ 102—104; Narkotika für Kinder 140 Parzellierung 256 257; in Frank¬ reich 259 Patriarchalische Verhält¬ nisse 11 120 121; und Ackerknecht¬ schaft 179 248 Pauperismus, s. Armut Pendleton: Überarbeitung 149 Peterloo 475 487 493 Petition der Grubenarbeiter im Par¬ lament 244 245 Pfandhäuser 125 Philanthropie 162 163; und Klas¬ senkampf 203; des Owenschen Sozia¬ lismus 225; 252 Philosophie 227 228 Physiologie der Fabrikarbeit 146 —162 Planwirtschaft: kommunistische 372 373 Pleasant Hill (Shaker-Kommune) 353—355 P o 1 e n 487 495 Polizei 215 216 219 263 267 Portugal 495 Posen 348 Preise: rasches Fallen dank dem Sieg der Maschinenarbeit 15 82 83; Preis¬ bewegung während der Krisen 84 85; allgemeine Höhe 251 Prescott: Sterblichkeit 104 Preston 16 Preßfreiheit 325 Preußen: Regierungsmaßnahmen ge¬ gen den Kommunismus 344 347; Re¬ formen unter Friedrich Wilhelm III. 487 488 ; 490 491; Passivität der Bour¬ geoisie nach 1830 497—499 Privateigentum: seine Heiligung 114; 115 297 298 307 308; sein poli¬ tisches Gewicht 318 319; und Be¬ steuerung 381; 388 Privatinteresse: Lebenselement der kapitalistischen Großstadt 30; Grundprinzip und einziges Bindeglied der kapitalistischen Gesellschaft 30 121 297 307 308 369 371 372; das Band der Familie 142 143; 261—263 Proletariat: seine Lage Ausgangs¬ punkt aller sozialen Bewegungen der Gegenwart 7 8; gleichbedeutend mit Arbeiterklasse, besitzlose Klasse 9; Resultat der industriellen Revolution 10 13 23 27; wird eine feste Klasse
552 Sachregister der Bevölkerung 24; Einteilung (Sek tionen) 26; Bildungsgrad 26; indu¬ strielles, als Kern der Arbeiterbewe¬ gung 26 228; die Mehrzahl der Stadt¬ bevölkerung 28; 76; seine Entstehung durch die Konkurrenz 77; Vorhut der nationalen Bewegung Englands 112; erwirbt praktische Bildung 112; im Vergleich zum Sklaven und Leibeige¬ nen 115; ein ganz anderes Volk als die Bourgeoisie geworden 122; an der Spitze der historischen Entwicklung 124; und kapitalistische Gesellschafts¬ ordnung 126 127; und Kriminalität 127 128; in der Sklaverei des Fabrik¬ systems 170; industrielles 198 201; und Bourgeoisie 202—204; Arbeiter als Sache und Eigentum der Boui- geoisie 202; rüstet zur entschei¬ denden Schlacht 213 214; und Char¬ tismus 216 217; scharfe Trennung vom radikalen Kleinbürgertum und Liberalismus 221 222; Bedingungen seiner Herrschaft in England 226; seine Selbstbildung 226—228; Be- wußtwerdung des Landproletariats 254; englisches 261—282 ; 309; inter¬ nationale Solidarität 337; als Basis für eine sozialistische Partei 340; Schwierigkeiten einer nationalen Or¬ ganisation der deutschen Arbeiter¬ klasse 347 348; 365 369 380 382 385 386; und Internationalismus 460 Proletarische Revolution: nach Dr. Ure 120; entscheidende Klassenschlacht 213 214; und Voks- charte 222; 246 278—282; in Deutsch land bevorstehend 345 476 477; 383— 389, s. auch Revolution Prostitution 33 37 42 43 65 125 126 172 173 184 195 377 Putzmacherinnen 199 200 Rachitis 100 101 Radikale Partei der englischen Kleinbourgeoisie 217 218; im Bunde mit den Liberalen gegen die Char¬ tisten 222 223; 277 Rappitenkommunen 355—358 Reaktion nach Sturz Napoleons 487 489 490 492 Rebekka-Unruhen 256 R e f o r m b i 11 24 217 218 316—318 495 Religion: und Schule 110 111 167; und Unterklasse 123; und Sozialismus 225 226; und Ackerbauproletariat 254 255; 262 352 363, s. auch Kirche Renfrewshire 16 Repräsentativsystem 316—318 Republikaner 217 Revolution: industrielle in England, politische in Frankreich, philosophi¬ sche in Deutschland 23; soziale Re¬ volution in England unvermeidlich 25; 291 293, s. auch Französische R., Proletarische R. Rochdale 16 17 Rußland 488 Sachsen 476 Salford: Schulzwang 167 Samtscherer 186 187 Schädliche A r b e i t s z w e i g e 157 158 Schafzucht und Wollindustrie 19 Schlesien 340 347 348 476 477 Schottland: Textilindustrie 16 18; Kanalbau 22; Typhusepidemien 98 99; Sterblichkeit 105; Alkoholismus 124; Kriminalität 128; Überarbeitung 150; Kattundruckerei 185; Bergbau 229 232 234 235 Schulwesen: Wochen-, Abend-, Sonntagsschulen 109—112; und reli¬ giöse Sekten 110 111; Sonntagsschu¬ len 162 192 197 233 237; Schulzwang 166 167, s. auch Bildungswesen Schulzwang 109 162 165—167 Schutzzoll, s. Zollpolitik Schwedische Tabellen über Sterblichkeit 231 Schweinezucht in den Arbeiter¬ vierteln der Großstädte 56 57 92 Schweiz 348 Schwindsucht 97 184 197 200 230 231 S e a h a m : Streikkämpfe 243 Seidenindustrie 18 19 187 188 303 Sekten: und Schulwesen 110 111; 352 Selbstmord 114 Sexuelle Ausschweifung 96 117 124 126 144 145 147 170 182 191 195 Shakers 352—355 360 Sheffield: Bevölkerungszuwachs 20; Eisenbahn 23; Unterrichtswesen 112; Metallindustrie 20 189 193—195; An¬ schläge gegen Fabriken 210; Polizei- Erneuten 219 Sittliche Bildung der Arbeiter¬ klasse 112—119 124 126 Skeptizismus 294 Sklaverei 81; kapitalistische Lohn¬ sklaverei 121 170—173 177; 297 298 Skrofeln 100 101 180 183 Somersetshire 19 Sonntagsruhe 268; Arbeit am Sonntag 181 Southampton: Eisenbahn 22 „Sozialer Krieg“: in der kapita¬ listischen Großstadt 30; 130 203 210 213; auf dem Lande 252 253; 374 375, s. auch Klassenkampf
Sachregister 553 „Sozialer Mord“ 31 94 95 108 109 Sozialismus: englischer 7 163 223 224 300; deutscher 8; in den großen Städten entstanden 120; chartistischer 223; Owenscher, philanthropischer 224 225; proletarischer 225 ; 226—228 254; in Irland wenig Erfolg 259; 280 281 326 334 351 352 360; „wahrer“ 409 410 450—453 457 458 Sparen 115 Spanien 487 495 Spekulation und Krise 84 85 Spinnmaschinen: „Jenny“ 12 13 132; „Throstle“ 14 132 137; „Mule“ 15 132 134 137; 301 Spitzenfabrikation 17 182—184 Staat: Staatsgewalt und Monopol der Bourgeoisie 78; bürgerlicher, und Un¬ terrichtswesen 112; 263 266; christ¬ licher 297 298; bei A. Smith 307; bei W. Godwin und J. Bentham 308; 312 313; und Kirche 323 324 Staatskirche: und Schulwesen 167; Irland aufgedrängt 258 ; 262 322 —324, s. auch Kirche Staffordshire: Töpfereien 21 195; Unruhen der Töpfereiarbeiter 89; Me¬ tallindustrie 189 191—193; Eisen¬ bergwerke 229 Statutarrecht (Statute Law) 331 Steuerprinzip 381 Städte: industrielle, ihr Wachstum 23 27—30; Lebensverhältnisse 75 76; iri¬ sche Einwanderung 90; schlechte sa¬ nitäre Verhältnisse 95 96; 97 98; Krankheiten 98; Sterblichkeit 104; die Bevölkerung zentralisierend, demo ralisierend 118 119; Herd der Arbei¬ terbewegung 120 121; Alkoholismus 125; 163 198 Stahlguß 20 Stalybridge 16; Wohnungselend 49; Streikkrämpfe 220 Sterblichkeit 42 97—99; Statistik 104—107; Kindersterblichkeit 106 108 139 146; unter den Bergarbeitern 230 231 235 Stockport: Wohnungselend 48; Ar¬ menverwaltung 88; Abbau von Spin¬ nern infolge Einführung der Maschi¬ nen 133; Schulzwang 167; Streik¬ kämpfe, Sturm auf das Armenhaus 220 S t o k e : Töpfereien 195 196 Strafgeldersystem: Lohnabzüge 169—173; bei den Seidenwebern 187 188; bei den Bergarbeitern 239 Strafrecht, englisches 330 331 Straßenbau 22 306 Straßenhändler 86 87 135 Streik, Turnout 129; der Feinspinner 161; 204 206—208; als Protestakt 207 208; 210—213; allgemeiner Turnout zu Manchester (1842) 214; und Char¬ tismus 216; 220; Bergarbeiterstreik 240 242—244; in Deutschland gegen das Gewerkschafts verbot 477; der Zimmerleute in Paris 479 Streikbrecher 206 207 209—211 213 215 Strumpfwirkerei 16 17 180—182 Stücklohn 134 135 Studenten in Deutschland 495 Sussex: Unruhen auf dem Lande 252 Tagelöhner, s. Ackerbau- Proletariat Thermidor 484 Todesstrafe 330 Töpfereien 21 195—197 Tories 9; „humane“ Sektion 163 177; 166—168 219 277; „junges England“ 278; 300 312 316 317 322 Trades Unions 205—208 211— 213; und Chartismus 216 Trucksystem 173—175 182 238 242 243 Turnout, s. Streik Typhus 97—100 102 119 Überarbeitung 118 147—150 165 Übervölkerung 83 135 248 249 265 269—271 Unterhaus 216 314—319 321 Unfälle 108; bei Kindern 136; in der Fabrik 158—160; im Bergbau 236 237 245 Unsicherheit der Existenz des Arbeiters in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung 96 101 114—116 118 126 134 136 Unterricht, s. Bildungswesen La Vendee 491 Ventilation: schlechte, in den Städ¬ ten 32 41 42 56 57 59 60 66 67 95 97 Verelendung der Arbeiterklasse 25; durch Handelskrisen 84 Verkehrsmittel 21—23 306 Verkrüppelungen 148—152 158 160 165 199; der Bergarbeiter 233 234 Versammlungsrecht 325 326 Verteidigungskrieg, revolutio¬ närer 376 Viehzucht 255 Volkscharte 216—218 221—224 265 280 298, s. auch Chartismus Wahlrecht, allgemeines 217 218 Wales: Polizei-Erneuten 219; Klein¬ pächter 255
554 Sachregister Wanderschaft der Arbeiter (tramp- ing) 205 Warenverfälschung 71—73; fal¬ sche Maße 74 Wasserkraft, s. Mechanische T riebkraf t aterford: Typhusepidemie 99 e b s t u h 1, mechanischer 133 136 137 301 higs 163 277 300 311 312 iener Konferenz (1834) 496 iener Kongreß 488—490 ilddiebstahl 251 252 issenschaft: Klassenwissenschaft 226 227; Entwicklung der Wissen¬ schaften 292 300 Wohltätigkeit: wohltätige An¬ stalten 37 39 102; 84 87 89 263 264 Wohnungselend 32—69 76; der Irländer 90 91; Gedrängtheit in den Arbeitervierteln 95 96; 97—99 101 127 136 137 143 192; der Bergarbeiter 231; 251; Kellerwohnungen 33 42 47 48 56 61 64 67—69 96 143 Wollenindustrie 17 302 303 Wolverhampton: Unterrichtswe¬ sen 111 Yeomen 13; ihre Proletarisierung 14 Yorkshire: Wollindustrie 17; Eisen¬ bahn 23; Wohnungselend 44; 189; Polizei-Erneuten 219 Zehnstundenbill 138 163—169 218 222 223 268 Zentralisation: der Bevölkerung 27 28 95; demoralisierend 118 119; den Fortschritt fördernd 120; 144; des Besitzes, Kapitals, s. Konzen¬ tration des Kapitals Zoar (Ohio) 358—360 Zollpolitik in Deutschland 383— 386 Zwangsarbeit im Kapitalismus 117 118 Zwischenhandel 373
INHALT
Inhalt Seit Einleitung zum vierten Bande. Vom Herausgeber IX ERSTER TEIL: DIE LAGE DER ARBEITENDEN KLASSE IN ENGLAND Die Lage der arbeitenden Klasse in England Widmung 5 Vorwort 7 Einleitung 10 Das industrielle Proletariat 26 Die großen Städte 29 Die Konkurrenz 77 Die irische Einwanderung 90 Resultate 94 Die einzelnen Arbeitszweige. Die Fabrikarbeiter im engeren Sinne 131 Die übrigen Arbeitszweige 180 Arbeiterbewegungen 202 Das Bergwerks-Proletariat 229 Das Ackerbau-Proletariat 247 Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat 261 Inhalt [mit ausführlicher Inhaltsangabe der einzelnen Kapitel] . 283 ZWEITER TEIL: KLEINERE PUBLIZISTISCHE ARBEITEN Zwei Aufsätze zur Sozialgeschichte Englands Die Lage Englands I. Das achtzehnte Jahrhundert 291 II. Die englische Konstitution 310 Briefe über den Sozialismus und Kommunismus auf dem Kontinent Continental Socialism 337 Communism in Germany I 339 II 342 III 344 Beschreibung kommunistischer Ansiedlungen in Amerika und England 351
558 Inhalt Seite Zwei Reden über Kommunismus I 369 II 382 Nachträgliches über die Lage der arbeitenden Klassen in England I. Ein englischer Turnout 393 Eine Übersetzung aus Fourier Ein Fragment Fouriers über den Handel 409 Das Fest der Nationen in London (Zur Feier der Errichtung der französischen Republik, 22. Sept. 1792.) 457 Briefe über Deutschland The late Butchery at Leipzig 475 Victoria’s Visit 478 The State of Germany I 480 II 486 III 491 Violation of the Prussian Constitution 498 The Prussian Bank Question 499 Exzerpthefte Heft I. Porter — Godwin — Tooke — Combinations of Trades . 503 Heft II. Eden 507 Heft III. Eden — Aikin — Butterworth — Gilbart 512 Zitaten- und Quellennachweise. Textkritische Anmerkungen . . . 519 Register I. Titel Verzeichnis 531 II. Namenregister 538 III. Sachregister 545
Beilagen Tafel I. Titelseite der „Lage der arbeitenden Klasse in Eng¬ land“ vor S. I Tafel IL Briefstelle Engels an Marx, 19. November 1844, über die Arbeit an der „Lage“ (vgl. Abt. III, Bd. 1, S. 5f.) vor S. 7 Tafel III. Eine Seite aus dem Bericht der Children’s Em¬ ployment Commission vor S. 237 Tafel IV. Beilage aus der Erstausgabe: Plan von Manchester und seinen Vorstädten vor S. 283 Tafel V. Umschlagseite des „Westphälischen Dampfboots“ vor S. 393 Tafel VI. Textstück aus dem Exzerptheft II mit dem Ver¬ merk von Marx (vgl. S. 512) vor S. 513
MABX ENGELS GESAMT AUSGABE ERSTE ABTEILUNG BAND 4