Author: Backeberg C.  

Tags: zimmerpflanzen  

Year: 1974

Text
                    C. Backeberg / Wunder^velt Kakteen
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Wunderwelt Kakteen
Abb. 1 Ecbinocereus delaetii Das ,,Alterchen“ der mexikanischen Indios. Ein symbolisches Gewächs: mit der weißen Behaarung uralt erscheinend wie die Geschichte der Kakteen und in der Frische der Blüte ewig jung wie die Freundschaft mit ihnen
WUNDERWELT KAKTEEN Von CURT BACKEBERG f Hamburg -Volksdorf Vierte Auflage Mit 1 76 teils farbigen Abbildungen /SEMPER ^{X^BONIS ARlißlSvn VEB GUSTAV FISCHER VERLAG JENA -1Q74
i. Auflage 1961 2. Auflage 1966 3. Auflage 1968 4. Auflage Alle Rechte Vorbehalten © VEB Gustav Fischer Verlag, Jena, 1974 Lizcnznumnicr 261 700/166/74 LSV 1359 Printcd in the German Dcmocratic Rcpublic Satz: Druckerei „Werner John“ Rudolstadt Druck und Einband: Graphische Werke Zwickau ITT/29/1 Gesetzt aus Garamond-Antiqua Bestellnummer 530 121 0 EVP 19,50
Inhaltsübersicht Bekenntnis zu den Kakteen........................................................... 7 Zur seltsamen Geschichte der Kakteen................................................ 9 Stachlige Götter, der Rauschkaktus Peyote, Nutzpflanzen und Schädlinge............. 11 Die Kakteen erobern sich die Erde.................................................. 32 Stachlige Kuriosa. Die Kakteen in der Dichtung und der Karikatur................... 58 Das Abenteuer der Pflanzcnjagd. Bilder aus der Welt der Kakteen 82 Die Kakteen in der Wissenschaft Vision der Vergangenheit. Forschungsproblcmc. Lebendige Systematik und Mor- phologie ....................................................................... 117 Einiges über Pflanzcnpflcgc Wie viele Gattungen und Arten gibt cs und welche sind die wichtigsten ? . . . . 166 Zehn Gebote für erfolgreiche Kultur................................................... 241 Litcraturhinwcisc..................................................................... 242 Bildernachweis........................................................................ 243
Bekenntnis zu den Kakteen ,,Wunderwelt Kakteen“ . . . Wer zu jenen nüchternen Zeitgenossen gehört, die den Kakteenfreund als einen Eigenbrötler ansehen und die Kakteenliebhaberei für eine abwegige Beschäftigung halten, dem mag der Titel dieses Buches übertrieben erschei- nen. Wer es aber gelesen hat, wird — selbst wenn er vordem ein solches Tun belächelte — wohl erstaunt sein, daß es nicht schon längst eine Anthologie des Wissenswerten um diese Pflanze gibt. Es sind nicht nur die Stichworte „Stachlige Götter“, ,,Aberglaube“, „Sektenwesen“, „Rauschgift“, „Nutzpflanzen und Schädlinge“, „Handelsobjekt“, „seltenes Wild des Pflanzenjägers“, „stille Freude des Pflanzenfreundes“, „lebende Fossilien“, „interessante Forschungsaufgabe“, die die Kakteen und alles, was über sie zu sagen ist, zu einem nützlichen und fesselnden Thema machen, sondern diese Send- boten einer fernen Welt sind für jeden, der sich näher mit ihnen beschäftigt hat, vor allem eine der ungewöhnlichsten Erscheinungen im Reiche der Flora, nicht nur, weil sie einmalig in der Gestalt, bezaubernd in der Schönheit ihres Stachelkleides und immer wieder überraschend im Reichtum ihrer oft prächtigen Blüten sind, sondern weil sich um sie seit Urzeiten bis in die Gegenwart hinein auch der Reiz des Rätselhaften, des immer wieder zu Nachdenken und Besinnlichkeit Zwingenden, wie auch des Aben- teuerlichen rankt, wofür die Geschichte der Sammelreisen allein schon reichlich Zeug- nis ablegt. Rund dreißig Jahre habe ich bisher an sie verwandt, ich bin ihnen über den ganzen amerikanischen Kontinent nachgegangen und habe versucht, sie der Wissenschaft und dem Liebhaber in einem großen, beschreibenden Gesamtwerk nahezubringen. Darum ist diese Ergänzung der rein botanischen Arbeit — wie ich meine Schrift hier schlicht nennen möchte — mehr als eine Rechtfertigung vor mir selbst, ihnen die halbe Zeit meines Daseins gewidmet zu haben: Was mir die schönste Erfüllung meines Lebens wurde, habe ich allen Pflanzenfreunden damit weitergeben wollen, gleichsam als Dank an das Schicksal, das mich diese Wunderwelt so umfassend sehen ließ.
Abb. 2 ELcbinopsis multiplex Eine anspruchslose, altmodische Sammlungspflanzc, aber cs mutet an, als wolle sic mit ihren nicht weniger als fünfundzwanzig Blütcnfackeln das uns immer noch dunkle Geheimnis allen Werdens erhellen. Woher nimmt dieses bescheidene Gewächs die Kraft zu einer solchen lodernden Lebenskundgebung? Ein Wunder der Natur und ein Sinnbild alles dessen, was uns die Kakteen so reizvoll macht 8
Zur seltsamen Geschichte der Kakteen Merkwürdig wie ihre Gestalten ist die Geschichte der Kakteen von Anbeginn. Ihre sonderbarste Zeit hatten sie im alten Mexiko. Die Rolle, die einzelne dieser Gewächse im Leben des Indio spielten, war noch weit ungewöhnlicher als das, was aus der Folge- zeit über sie zu sagen ist. Während man damals einige von ihnen für gut und wohl- tätig hielt und ihnen sogar etwas wie botanisches Interesse entgegenbrachte, umgab der aztekische Mystizismus andere mit schrecklicher Dämonie und dem magischen Zauber übersinnlicher Eigenschaften. Daß ihre zuweilen unheimliche und wiederum auch fremdartig schöne Gestalt, die ihnen später die Freundschaft von Millionen eintrug, die Kakteen bei den abergläubi- schen Menschen der Frühzeit zu Fetischen einer verworrenen Gottesfurcht werden ließ, ist verständlich, weniger, daß dieses Bild sich später in das Gegenteil verkehrte und das Grauenhafte der Götzenzeit sich in die versponnene Geruhsamkeit jener Tage wandelte, in denen Spitzweg schmunzelnd die verschiedenen Fassungen seines „Kakteenfreund“ schuf und einen davon so treffend zum Sonderling stempelte, daß es der Kakteenliebhaberei bis heute bei manchen das Odium einer etwas verschro- benen Sammelleidenschaft eintrug. Dabei hätte er eher seinem „Alchimisten“ einen Abb. 3 Carl Spitzweg: Der Kaktccnfrcund (2. Fassung) Gegenüber der Stubenhockerromantik der 1. Fassung ist hier ein ernster Liebhaber dar- gcstcllt. Kritisch wird das blühende Stück gemustert. Das Sortiment ist zu jener Zeit noch bescheiden, doch die Hauptformen sind bereits vertreten: Feigen-, Blatt-, Säulcn- und Kugelkaktus 9
Kaktus in die Retorte praktizieren sollen — Bild eines erwartungsvoll in die Glas- kugel starrenden Wissensdurstigen, der begierig darauf wartet, welche Überraschungen ihm dieses wunderliche Gewächs bescheren mag. Freilich, der Meister der „guten alten Zeit“ wußte noch nichts von den erstaunlichen Dingen, auf die der Kakteenhistoriker schon beim Studium der Vorgeschichte stößt, und die alles in den Schatten stellen, was die Geschichte sonst über die Beziehungen zwischen Mensch und Pflanze zu berichten weiß.
Stachlige Götter, der Rauschkaktus Peyote Nutzpflanzen und Schädlinge Als die chichimekischen Wanderhorden, von Norden einbrechend, das Land der Tolteken überfluteten, soll einem ihrer Stämme von den Priestern der Befehl mitge- geben worden sein, dort einen neuen Wohnsitz zu suchen, wo man einen Adler mit einer Schlange im Schnabel auf einem mit Kakteen bewachsenen Felsen antreffen würde. Das war, nach der Sage, am See von Texcoco der Fall, da, wo heute die Hauptstadt Mexico City liegt. Ihr ältester Name lautete daher „Tenochtitlan“, „Platz des heiligen Sonnenkaktus“; er setzt sich zusammen aus den aztekischen Worten „Teo“, göttlich (seltsamerweise ähnlich wie im Griechischen), „Nochtli“, Feigenkaktus, und „Tlan“, der Silbenbezeichnung für Ort, Platz. Seit jener Zeit sind Adler, Kaktus, Schlange, Fels und Wasser die Symbole des mexikanischen Wappens. Thomas Gann (i) hat die Bedeutung von Tenochtitlan anders erklärt; er leitete den Namen von „Tetl“, Stein, „Nochtli“ und „Tlan“ ab, und dieser Ansicht ist man bis- her gemeinhin gewesen. Eingehendere Untersuchungen sprechen jedoch dafür, daß der aztekische Stadtname einen tieferen Sinn hatte. Im Wappen von Anahuac sieht Abb. 4 Wappen von Anahuac Abb. 5 Symbol der Tconochtli, des heiligen Feigenkaktus II
man zwar einen Adler und einen Kaktus auf einem Steinsymbol, außer diesem aber auch das Zeichen für Wasser, so daß ersteres nicht ausschlaggebend zu sein braucht. Zur richtigen Deutung ist es wichtig, die altindianischen Urkunden heranzuziehen, die sogenannten Codices, Bilderschriften, die man auf Hirschhaut oder geleimtes Tuch aus Agavenfasern malte. Sie hatten keinen künstlerischen, sondern nur Nützlichkeits- wert; die Farben waren grell, und die Darstellungen bestanden aus einer Verbindung von Bilderzeichen und Hieroglyphen. Im Codice Mendocino, Tafel 42, gibt es nun ein Bildzeichen, das die „Teonochtli“, den ,,göttlichen Feigenkaktus“, darstellt, und zwar eine Opuntia, wie sie der heutige Botaniker nennt, auf einem Sonnensymbol. Die mexikanische Autorin Helia Bravo, die in ihrem Werk „Las Cactaceas de Mexico“ dieses Zeichen abbildet, spricht einmal von einer ,,tuna divina“ und dann wieder von einer „tuna de piedra“, einer göttlichen und einer Stein-Opuntia — mit letzterer An- gabe der bisherigen Deutung folgend —, ohne näher auf den gänzlich verschiedenen Sinn dieser Bezeichnungen einzugehen. Bei den Erklärungsversuchen muß man bedenken, daß die Azteken auch andere Pflanzennamen mit der vergöttlichenden Vorsilbe „Teo“ versahen, zum Beispiel den des Hcbinocactus ingens, des riesigsten mexikanischen Kugelkaktus, der als ,, Teocomitl“ bei den Menschenopfern eine schaurige Rolle spielte, sowie eine Varietät der Amanita muscaria, die bei den Indios jener Zeit „Teo-nanäcatl“ hieß (9), „göttlicher (berauschen- der, ekstasebewirkender) Pilz“; er hatte eine ähnliche Bedeutung wie der Rausch- kaktus Peyote, von dem noch die Rede sein wird. Später hielt man bisweilen irrtümlich beide Pflanzen für ein und dieselbe Art. Es hat also in der aztekischen Vorstellungswelt eine „göttliche Opuntia“ gegeben, wobei dahingestellt bleiben mag, ob es sich hier um einen der altbekannten „Feigen- kakteen“ handelte, die man in Mexiko noch heute für die Fruchtgewinnung anzieht, oder eine der diesen in der flachbreiten Triebform sehr ähnlichen Nopaleas. Helia Bravo erwähnt auch an anderer Stelle, im Codice Mendocino sei das Symbol für den Ort Tenochtitlan dasselbe wie für die Teonochtli (auch Tenochtli genannt) und bedeute „cerca de los nopales de Dios 6 que pertenecen a los bienes del templo“ (bei den No- palpflanzen des Gottes, oder die zum Besitz des Tempels gehören). Wenn man also eine „göttliche Opuntia“ kannte und für sie ein eigenes Symbol schuf, warum sollte sich dann nicht der Name der ersten Siedlung mit seiner — wie im Aztekischen üblich — gekürzten Anfangssilbe auf ihren besonderen Rang be- ziehen, sondern nur auf das Steinzeichen? Offensichtlich hat man die Teonochtli in einem Tempel verehrt, was auch angesichts aller mythologischen Einzelheiten nahe- liegt, um so mehr, als man während der Regierung Moctezumas I. sogar einem weit weniger wichtigen Kaktus, Huit^nabuac, ein Heiligtum errichtet zu haben scheint (2). Bei dem Tempel, der diesem Gott geweiht war und „Huitznahuacteopan“ genannt wurde, handelte es sich um die Verehrungsstätte eines Kaktus, dessen Stacheln man für die Opferfeste benutzte. Das Heiligtum befand sich ebenfalls in Tenochtitlan. Es lag in dem späteren Stadtteil San Pablo, und die Überlieferung sagt, daß in einem be- sonderen Raum, dem „Huitznahuacalli“, die zu den kultischen Blutabzapfungen ver- 12
wandten Stacheln und wahrscheinlich auch lebende Pflanzen auf bewahrt wurden. Wie gut, daß man nicht mehr genau weiß, um welche Art es sich handelte; zartbesaitete Kakteenfreunde würden die Pflanze wohl nur mit geheimem Grausen betrachten. Die alten Codices geben uns noch weitere wertvolle Aufschlüsse über die Rolle, die die Kakteen im Götterglauben wie im Alltagsleben der Indios sowie in der azte- kischen Botanik spielten. Eine besondere Stellung nahm der gewaltige Hchinocactus ingens oder grandis ein. Die beiden Arten kommen auf dem ganzen östlichen Hochland vor, und von der letzteren brachte ich einmal ein tonnenschweres Exemplar in den Hamburger Park „Planten un Biomen“. Wie schon gesagt, hatte diese Pflanze ebenfalls göttlichen Rang, und zwar als „ Teocomitl“ oder „heilige Pfanne“ (3), wegen der Pflanzenform so genannt. In Tlaxcala diente er bei den blutheischenden Festen zu Ehren des Jagdgottes Mixcoatl als „ Texcatl“.* als Opfertisch. Nach einem spanischen Bericht über die Bilderhandschrift der alten Nahuas opferte man darauf eine Sklavin, indermman sie viermal aui einen Felsen schlug — vielleicht um sie zu betäuben — und ihr Blut dann über den leocomitl rinnen ließ. Die Darstellung eines solchen Opfers findet sich in dem besagten Codice in jenem Teil, der von dem „zweiten Fest des Monats Kexolli, am Vroabend des Panketzalitzli“, zu Ehren Mixcoatls, handelt. Der Codice Nuttall, Blatt 4, bringt ein Bild der „cuatro mantas de Mixcoatl“y mehrere blütengeschmückte Kugelkakteen, diese grün, die Wurzeln rot gemalt. In einem amerikanischen Tafelwerk zur altmexi- kanischen Geschichte (4) ist noch eine weitere Opferung wiedergegeben. Hier nimmt Abb. 6 Opfer auf einem Kugclkaktus
ein Priester dem Geopferten, der rücklings auf der Pflanze liegt, das Herz heraus, dies- mal „auf Befehl Huitzilopochtlis“, des Kriegsgottes der Azteken. Diese auf den ersten Blick unbegreiflichen Verirrungen erfüllen uns mit Abscheu. Bedenkt man jedoch, daß sie irgendwann einmal einen natürlichen Ursprung gehabt haben müssen, ehe die Priesterschaft die aztekische Religion zu so barbarischen Ge- bräuchen übersteigerte, daß ihren Zeitgenossen der Opfertod mehr und mehr als ein herkömmliches und durchaus nicht ungewöhnliches Lebensende erschien, werden uns solche Erscheinungen zwar nicht sympathischer, aber verständlicher. In dem Bericht von meinen Sammelreisen (5) glaubte ich folgende Deutung geben zu können: „Es lag der aztekischen Vorstellung nahe, die Nützlichkeit und den furchterregenden An- blick des Comitl als eine Einheit anzusehen. Die Natur war ringsum so hart wie der Kampf um das Dasein; Gut und Böse, Leben und Tod wohnten überall dicht bei- einander, und die Gottheiten mußten die letzte Vereinigung von Schrecklichkeit und Verehrungswürdigkeit sein. Man meinte wohl, sie auch dadurch versöhnen zu können, daß man die wildbestachelten Ungetüme zu Untergöttern erhob und bei gewissen Festen auf ihnen, als dem furchtbarsten aller Altäre, das Opfer eines Menschen dar- brachte, um der grauenvollen Zwiespältigkeit der Überirdischen zu gefallen.“ So mag man zuerst auf solche Abwege geraten sein. Daß die sadistisch anmutenden Opfer- handlungen auch zu nervenkitzelnden Schaustellungen wurden und die abergläubi- schen Indios mit gehorsamer Furcht vor der Macht der Priester erfüllten, war eine sicher willkommene Folge dieser Entwicklung. Dem Abgründigen jener Mythologie steht aber auch Heiteres gegenüber. Hier spielt die „Mayahuel“ die Hauptrolle, die vergöttlichte Maguey^ wie man noch heute die Agave nennt, deren gegorener Saft, der Pulque, auf dem wasserarmen Hochland für die Eingeborenen überaus wichtig ist. Man verehrte die Pflanze sogar noch in früher christlicher Zeit, indem man um sie, wie bei uns um den Maibaum, ihr zu Ehren Tänze aufführte. Und erinnere ich mich jenes harmlos-ausgelassenen Massenrausches meiner Peones, als wir nach harter Sammelarbeit auf eine kleine Karawane von Pulqueträgern stießen, finde ich es ebenso verständlich wie erheiternd, daß es in dem Sukkulenten- Götterhimmel der alten Zeit sogar ein wahres Gewimmel von Göttern der Trunken- heit gab. Aber wie so vieles heute, ist auch der Rausch nüchterner geworden. Tequila und Mescal üben zwar noch ihre alte Macht auf den Indio aus, und in den Pulquerias läßt er sich geduldig das sauer verdiente Geld abnehmen, den Katzenjammer jedoch verklärt keine Götzenromantik mehr. Es gab auch noch andere Kakteenarten, die man mit allerlei Aberglauben, religiösem Beiwerk oder ähnlichem umgab. So sollten zum Beispiel bestimmte zylindrische Opuntienarten magische Eigenschaften haben; man verwandte sie als Amulette und hing sie in Türen und Fenstern auf, um zu verhüten, daß die „nahualli“ hereinkamen und das Blut der Kinder aussaugten. Man scheint in jener Zeit, deren Religion so ver- worren war, wie die alten Bilderdarstellungen anmuten, sehr unter einer von den Priestern geschürten Art von abergläubischem Verfolgungswahn gelitten zu haben. So bedeckten die Männer kurz vor der Wiederkehr des Jahres „2 Acatl“, nach Ablauf 14
jeder Reihe von 52 Jahren, das Gesicht ihrer schwangeren Frauen mit Agavenblättern, damit sie sich nicht in reißende Tiere verwandelten und sie verschlangen (1). Ähnliche krause Vorstellungen verband man mit vielen anderen Göttern, zu deren Verehrung man beinahe jede mögliche Opfertodesart erdacht hatte. Bedenkt man, daß die spani- schen Eroberer allein in einem Tempel Huitzilopochtlis 136000 Schädel auf den dafür vorgesehenen Gestellen zählten, wird das gelegentliche Opfer auf dem stachligen „Teocomitl“so schaurig es uns auch anmutet, zu einer verhältnismäßig harmlosen Angelegenheit. Es kommt eben immer darauf an, von welchem Gesichtspunkt aus man eine Sache betrachtet. Die aztekische Religion war nun einmal ein reichlich chaoti- scher Glaube; man bedenke: von den ,,Octli“, den Trunkenheitsgöttern des Agaven- saftes Pulque, gab es allein schon unzählige; jeder Stamm hatte gewissermaßen seine Privatgötter mit den mannigfaltigsten Bezeichnungen und Wesenszügen. Selbstver- ständlich hatten sie auch noch einen Obergott, „Tezcatzoncatl“. Und über ihn kommen wir auf dem bei den alten Priestern beliebten Umwegdenken zu dem faszinierendsten der Kakteengötter: Jiculi. Besagter „Tezcatzoncatl“ wurde — wie konnte es anders sein — einmal von „Tezcatlipoca“*) umgebracht, dann aber wieder zum Leben erweckt. Die Wieder- erweckung versinnbildlichte das Zusichkommen des Betrunkenen, der Tod Tez- catzoncatls die Ähnlichkeit der Volltrunkenheit mit dem Tod. Wir sehen also: der Rausch galt damals den Indios als etwas ganz Besonderes, und damit wird auch die besondere Stellung des Rauschkaktus Peyote im altindianischen Kakteen-Götterhimmel verständlich, um so mehr, als sein Genuß seltsame Folgen hatte. Heute nennen wir die Pflanze Lopbophora williamsii und wissen, daß der Rausch- zustand durch die Alkaloide bewirkt wird. Von ihnen ahnten die altmexikanischen Eingeborenen noch nichts; so konnten sie nur magische Kräfte in dem Gewächs sehen. Und wie man bei der kultischen Menschenfresserei eine engere Gemeinschaft mit dem Gott herstellen wollte, den das Opfer verkörpert hatte, meinte man wohl, sich Jiculis ungewöhnliche Gaben zu eigen zu machen, wenn man Stücke von ihm verzehrte. In alter Zeit hatte die Lopbopbora^ von der wir mehrere Arten und Varietäten kennen, verschiedene Namen. Der bei den Azteken und auch sonst gebräuchlichste war „Peyotl“ oder „Peyote“. Noch heute geben Ortsnamen Kunde davon, wo man diesen seltsamen Kaktusgott sammelte: Peyotlän (der „Peyote-Platz“) im Staate Nayarit, Peyote im Staate San Luis Potosi und im Norden des Staates Coahuila in der Nähe der Lomerias. de Peyote, das Dorf San Jesus Peyote. Vielleicht geht diese merkwürdige Namensver- bindung von Christus mit einem heidnischen Fetisch auf einen beliebten Trick der *) Tczcatlipoca war der größte und mächtigste aller Götter, dem sogar Huitzilopochtli untergeordnet wai\ Er vereinigte die Eigenschaften sämtlicher Götter und galt als allmächtig und -gegenwärtig, als „der eine Gott,, der alle Gedanken kennt und alle Gaben verleiht, und der Gott, kraft dessen wir leben“. Sein Ohr war stets dem Gebet der Notleidenden geöffnet. Mit Tezcatlipoca zeigt sich wohl, daß die intelligentesten der höchsten Priester — wie der weise König Nezahualcoyotl von Tezcuco mit dem „unbekannten Gott“ -— bereits dem Eingottglauben anhingen, wenn auch nicht öffentlich, da dies den Untergang der bisherigen priesterlichen Machtstellung be- deutet hätte.
spanischen Priester zurück: den Einfluß der einheimischen Götzen dadurch wirkungs- los zu machen, daß man sie kurzerhand mit der wichtigsten Gestalt des christlichen Glaubens identifizierte. Bei den Nahuas hieß die heilige Pflanze ,, Teocomitl abuit^yyo“. Die im Norden leben- den Tarahumara nannten sie, ebenso wie die in Nayarit beheimateten Huichol-Indianer, „Jiculi“, „Jicore“, „jicure“ oder auch „TLicuU“. Da die Huichol-Indios weite Fahrten unternehmen mußten, um die mehr außerhalb ihres Gebietes wachsende Topbopbora zu sammeln, meint man, aus der Namensgleicheit entnehmen zu können, daß beide Stämme früher näher beieinander lebten. Vermutlich stellte der Name „]icore“ eine ähnliche Göttersippschaft dar wie etwa Tezcatzoncatl und die „Octli“, die vielen Trunkenheitsgötter; ohne verwickelte Mythologie kam man damals offenbar nicht aus. Aller Wahrscheinlichkeit nach bil- deten das Götzengefolge der „kleineren Jicores“ verschiedene andere, weniger wirk- same alkaloidhaltige Kakteen, wie die Tpitbelantba micromeris^ die der Eingeborene „Mulato“ nennt, eine Varietät von ihr, „Tosapara\ oder der ^SunamiQ\ der Toseocactus fissuratus. Jedenfalls gab es eine Hauptgestalt, deren magische Macht man in der Topbo- pbora sah. Bei den Tarahumara war diese „Große Autorität“ Walulasalianee oder „Jiculi huälula saeliami“, auch „Er“ genannt. Nach Ansicht der Indios ist „Er“ nicht so groß wie der Vater Sonne, aber er sitzt ihm zur rechten Seite, die anderen „Jicures“ sind seine Diener. „Er“ ist ein anspruchsvoller Gott, der für seine Mahlzeit ein Rind braucht (wie oft?), bekommt er es nicht, frißt er die Indios. Sonst sind aber alle Jicores zum Wohle des Stammes da. Bei den Huicholes hieß der Hauptgott „Matzi“. Sein Bild hing im Tempel an der am besten sichtbaren Stelle. Ihm wurden Kopal und Stücke von gebratenem Teyote geopfert, wobei der an der Spitze des Stammes erscheinende Oberpriester an den Gott eine traditionelle Ansprache hielt, die in schlichter und zweckmäßiger Offenheit unge- fähr wie folgt lautete: „Guten Tag, mein Schöpfer, kümmere dich auch künftig um mich, wie du es bis heute getan hast. Und du, Casiguari (Erntegott), segne die Früchte des Landes, die uns auch den Jicore geben!“ Überlieferung und Berichte von Reisenden haben uns das wunderliche Zeremoniell beim Sammeln der Pflanzen und dem anschließenden Teyote-YesX. geschildert: In be- sonderer Tracht ziehen — meistens Männer, denn Frauen dürfen den Teyote nicht be- rühren — die Peyotleros (die Sammler des Teyote) im Oktober zu den Plätzen, wo dieser Kaktus wächst, oft in langen Märschen. An Ort und Stelle wird nach der „Fußspur des Zauberhirsches“, aus der die Pflanze vermeintlich entstand (und die kaum über den Boden hinausragende Topbopbora kann im Staub wirklich etwas Spurhaftes haben), mit kultischen Bogen und Pfeilen und kindlich anmutenden Suchspielen Jagd ge- macht, bis der Teyote gefunden ist, ein feierlicher Brauch, der sich ständig wiederholt. Sobald man eine Pflanze sieht, werden Pfeile in den vier Himmelsrichtungen neben sie in den Boden geschossen, nach dem verborgenen Hirsch, wie einige sagen, nach an- derer Lesart als Symbol für das Versenken des Saatkorns in den fruchtbaren Schoß der Erde. Man schneidet nur den Kopf der Topbopbora ab, so daß die gern sprossende Rübe ,16
wieder austreiben kann. Der Peyote soll nämlich auch noch die Fähigkeit haben, Regen zu sichern, weil das berauschende Peyotegetränk Durst macht, also — wie man in ein- facher Logik meint — Feuchtigkeit anzieht; man darf die Pflanze daher nicht zerstören oder entfernen. So bleibt der Bestand dieses Gewächses zugleich erhalten, weil nur einmal im Jahr geerntet wird. Kehren die Sammler Anfang Dezember in ihr Dorf zurück, beginnt das große Peyotefest, wie es Dr. R. Corona auf einer Reise durch Jalisco noch im Jahre 1888 bei den Huicholes erlebte: „Das Eintreffen feiert man mit Tanz und Musik, und vorher werden Mulas und Pflanzenbehälter mit Blütenweihwasser besprengt. Dann lauschen die Daheim gebliebenen den Erzählungen derjenigen, die die heilige Pflanze suchten, und steigern sich beim Anhören der Reiseberichte in eine Rührung zu Tränen. Darauf bringt man Opfergaben, läßt sich mit geweihtem Wasser bespritzen, und später kom- men die Männer im Tempel zusammen und sprechen lange laut miteinander. In der Mitte brennt ein Feuer, das nicht erlöschen darf. Um dieses setzen sich nun diePeyotleros in ihrer Reiseausrüstung, zusammen mit den anderen Anwesenden, und drehen den Pry0/£-Körben den Rücken zu, nachdem sie sie auf die Erde gestellt haben. An der Tempelmauer lehnen Köcher, Pfeile, Bogen, Messer und Kriegsgerät, außerdem sieht man da Säckchen und Schnüre mit Peyote aufgehängt, Bänder, Blumen, Früchte und getrocknetes Fleisch. Nach Beendigung der ausgedehnten Unterhaltung werden die Behälter umgestülpt, und man dreht nun dem Feuer den Rücken zu. Dann beginnt einer zu singen, und die anderen fallen in den Gesang ein. Vorher laufen auf ein Zei- chen auch die Weiber herbei, die darauf warteten, den Tempel betreten zu dürfen. Man verbringt dort die ganze Nacht, währenddem der Peyote mit brennenden Zweigen beleuchtet wird, und genießt die Pflanzenstücke dabei roh oder auch zerquetscht und mit Pulque angesetzt. Manche berauschen sich mit großen Mengen des Gebräus, an- dere tanzen und musizieren. So dauert das Fest bis zum nächsten Morgen.“ Dieser Bericht mutet noch recht harmlos an, wie eine fröhliche Zecherei nach dem Wahlspruch des klugen Königs Nezahualcoyotl von Tezcuco: „Ergreift die Freuden des Lebens, ehe sie vergehen!“ (Der Schöpfer dieser dem „carpe diem“ auffallend ähnlichen Version scheint übrigens ein indianischer Freigeist gewesen zu sein. Er hatte den alten Götzen abgeschworen, „Dem unbekannten Gotte“ einen Tempel erbaut und — man denke! — seinen Geschichtsschreibern für falsche Angaben die Todesstrafe angedroht. Unausdenkbar die Folgen, wenn dieses Gesetz, von dem Cortez noch Kenntnis erhalten haben muß, etwa internationale Gültigkeit erlangt hätte.) In Wirklichkeit ist der Peyoterausch anders verlaufen, wenigstens insofern, als es nicht bei einem einfachen Rauschzustand blieb. Die Alkaloide begannen zu wirken, und da die Halluzinationen am deutlichsten bei Dunkelheit auftreten, fanden diese Gelage vor allem nachts statt. Fray B. de Sahagun (6) sagt darüber: „Die Indios sehen durch den Peyote schreckliche oder lustige Visionen. Der Rausch dauert zwei bis drei Tage“ und fügt hinzu: „Wird von den Chichimeken allgemein gegessen, hält sie aufrecht, gibt Mut, verhütet Furcht, Hunger und Durst und soll sie gegen Gefahr schützen. So sagen sie.“ 2 Backeberg, Wunderwelt, 4. A.
Über genauere Beobachtungen beim Peyoterausch mögen nachher die Wissen- schaftler zu Worte kommen. Hier interessiert vorerst noch, wie sich die heidnische Macht der Pflanzengottheit bemerkbar machte, mit der die christlichen Priester eine wahre Plage hatten. Hernando Ruiz de Alarcon schreibt 1629: „Wenn irgendein Stam- mesalter oder Häuptling sich zum Beschützer des Peyote erklärt hat, wird für letzteren eine Art von Koffer gemacht, worin er aufbewahrt wird. Und dahinein tut man dann Gaben, wie Weihrauch, einige fertige Kopftücher, Kinderkleidchen und ähnliches. Er steht so sehr in Ansehen und Verehrung — gemeint ist nicht der Kofferbesitzer, son- dern der Pflanzenfetisch —, daß niemand wagt, den Behälter zu öffnen oder die Opfer- gabe zu berühren, geschweige den Götzen Peyote“ „Dieser Aberglaube ist nicht auszurotten“, klagt tadelnd und prophetisch Dr. J. de la Serna, ein hoher spanischer Beamter, und Dr. Ramirez (7) schreibt: „Noch in der Kolonialzeit pflegten die Eingeborenen Peyotes in Körbe zu legen, weil sie glaubten, so würden sie überreiche Ernten haben. Auch taten sie den Kaktus in das Innere von Heiligenfiguren, wodurch sie, als man ihnen die Religion der Eroberer aufzwang, den Glauben zweier Rassen verbanden und so zu dem ungeheuerlichsten Aberglauben kamen, den man sich vorstellen kann.“ Daß die Indios dem neuen Gott anfangs mißtrauisch gegenüberstanden und den Heiligenbildern durch die Kaktuseinlage zur Sicherheit etwas von der Macht des guten alten Peyote zukommen lassen wollten, um in den Erwartungen nicht enttäuscht zu werden, ist begreiflich. Und daß man dem christlichen Glauben nach einer so grandio- sen Vergangenheit der alten Götzen, von der ja allein schon die vielen Schädel, die man an den Verehrungsstätten Huitzilopochtlis aufbewahrte, tief beeindruckende Kunde ablegten, nicht recht traute und insgeheim sich lieber den viel näherliegenden alten Gebräuchen hingab, wenigstens da, wohin der Arm der neuen Priester nicht reichte, und dies noch jahrhundertelang, dafür zeugt allein schon Coronas Bericht aus dem Jahre 1888, in dem die Peyote-Verehrung also noch in vollem Schwange war. Von „ungeheuerlichstem Aberglauben“ kann man demnach eher bei jenen christ- lichen Sektierern reden, die den Peyote später ganz öffentlich zu einem wichtigen Be- standteil ihrer eigenen Religion erhoben. M. Martinez (8) berichtet über den Einfluß der Popbopbora und ihrer geheimnis- vollen Kräfte noch folgendes: „Die Indios hatten großes Vertrauen zum Peyote und benutzten ihn auch als Orakel. Der Medizinmann oder „Payni“ behauptete, mit ihm den Zustand prophetischer Visionen hervorrufen zu können, und reimte dann allerlei Schwindel zusammen, der mitunter natürlich auch das Richtige traf oder doch we- nigstens das, was man offenbar gerade hören wollte. Da die Betreffenden sowohl äußerlich wie durch den Drogengenuß auch innerlich unter einer gewissen Beeinflus- sung standen, erlagen sie der Suggestion um so leichter und gaben dabei zuweilen Anschuldigungen von sich, durch die ganze Familien und Stämme in Racheakte ver- wickelt wurden. Wer etwas verloren hatte, Kranke, Bekümmerte und vor allem Ver- liebte befragten den Peyote^ um von ihren Zweifeln befreit zu werden. Die Pflanze spielte mithin in allem die gleiche Rolle wie bei uns die Kartenlegerin.“ 18
In ähnlicher Weise äußerte sich schon der spanische Arzt Feo. Hernandez, den Philipp II. 1570 zum Studium der Naturprodukte nach Mexiko gesandt hatte: „Gekaut und auf kranke Stellen gelegt, beseitigt der Peyote Gelenkschmerzen, und wer ihn genießt, wird fähig wahrzusagen und vorauszusehen, was er will“, das heißt: nicht was er will, sondern was der Medizinmann in seine Worte hineindeutete. Was Wunder, daß dieser Kaktus bei der Kirche in üblem Ruf stand. Pater Nico- laus de Leon verlangte daher 16 n in einer Schrift „Camino de Cielo“ (Weg zum Himmel), daß der Beichtvater seine offenbar noch reichlich heidnischen Schäflein in genau formulierter Weise zu fragen habe, ob sie je Peyote genossen hätten, um hell- sehen zu können. Nach alledem würde es nicht mehr überraschen können, wenn man den Peyote oder geheime Anhänger von ihm vor ein Inquisitionsgericht gestellt hätte. Aber darüber ist nichts bekannt. Was auch immer die strengen und unduldsamen katholischen Priester unternahmen: den Einfluß des Peyote oder Jiculi auszurotten, gelang ihnen nicht. Der Kaktus war stärker. Seine Macht drang sogar über die mexikanischen Grenzen vor und reicht bis in unsere Tage, so unglaublich es auch klingt. 1911 wird mit behördlichem Privileg in Oklahoma eine seltsame Kirche gegründet: die nationalamerikanische Pyote-Kirche. An Stelle der Hostie werden kleine, schrumpelige Dinger gereicht, nach denen sich die Gläubigen drängen, aber auch sonst eine lebhafte Nachfrage herrscht und die ein schwungvoller Handel zu befriedigen sucht. Eine amtliche Statistik stellt 1923 fest, daß die Anzahl der merkwürdigen Christen, die hier wirklich zu „dem ungeheuerlich- sten Aberglauben“ gelangt sind, wie es Ramirez nannte, unter der indianischen Be- völkerung Nebraskas bereits auf 67 %, Iowas auf 34% und in Kansas auf 27 % ge- wachsen ist. Bei einigen Stämmen ist der Hundertsatz dieser sonderbaren Sektierer ungewöhnlich hoch, so bei den Arapaho und Cheyenne 80 %, bei den Omaha 90 % den Apachen, Delaware, Comanchen und Wichita 75 %, bei einer Reihe anderer 50 % und mehr. Bald wettert man auch schon gegen den gefährlichen Humbug mit den runzligen „mescal buttons“, wie die getrockneten L.ophopbora-Stücke fälschlich ge- nannt werden, da der mexikanische Indio unter „mescal“ nur den Agavenschnaps versteht. Aber der Name ist nicht mehr auszurotten. Eines Tages erscheint in einer Zeitung des nordamerikanischen Grenzortes Laredo wie selbstverständlich das kom- merzielle Angebot: „Mescal buttons, garantiert schimmelfreie Ware, gesäubert, wurzel- freie Kopfstücke, in Säcken zu 1000 Stück $ 5.00.“ Unkundigen ist diese Annonce völlig unverständlich, aber Kundige gibt es leider genug, und Fanatiker anscheinend noch mehr. Die Pyote-Gläubigen behaupten, das Kauen der Pflanzenstücke bewahre sie vor dem Verlangen nach Fleisch und Alkohol (eine ganz neue Version, da die Huicholes immerhin ausgedehnte Gelage mit dem JzWz-Genuß verbanden), er befreie sie vom Tabak und anderen sündigen Genüssen, reinige und läutere sie. Der „mescal button“ war also ein Vorläufer des Kaugummis; erst Wrighley hat dann die harmlose Beschäftigung für sich langweilende Zähne erfunden. Um den Peyote tobt inzwischen der Streit weiter. Die Gegner der Kaktuskirche fordern höhnisch eine Kokain- und Schnapskirche, die nunmehr allein noch fehle, T9
und ziehen gegen die zu Felde, die die neue Sucht heraufbeschworen, wie der Ge- sundheitsfanatiker Hemsley, der dem Mittel nachrühmt, es reinige das Blut von den Schlacken, verjünge Mann und Frau. Gefährliche Burschen sind es, die am versteck- ten Handel interessiert sind und den Vertrieb mit heuchlerischen Heilslehren ver- brämen, wie der verrückte Blake, der behauptet, die biblischen Heiligen hätten zur Läuterung und Heiligmachung während des Fastens in der Wüste bereits zu diesen Dingern gegriffen. Seine Anhänger haben ja keine Ahnung davon, daß es die hoch- sukkulenten Kakteen nur in der Neuen Welt gibt. Auch der heruntergekommene Religionsgründer Rave verführt in jener Zeit seine verirrte Gemeinde mit mystischen Heilslehren zu dem Gebrauch des Peyote. Der berühmte Padre Ortega hatte nur zu sehr recht gehabt, wenn er die Popbopbora eine „diabolische Wurzel“ nannte. Es ist auch noch gar nicht so lange her, daß man die „mescal buttons“ in obskuren Pariser Nachtlokalen gehandelt haben soll, wo die Hauptkundschaft Okkultisten waren, die ebenfalls glaubten, mit Hilfe des Peyote hell- sehen zu können. Statistiker wollten sogar bei vorsichtiger Schätzung eine heimliche Gemeinde von mindestens 10000 Anhängern der magischen Pflanze gezählt haben. Jedenfalls war es ein Franzose, der die ausführlichste Abhandlung über die Popbo- pbora schrieb: A. Rouhier, mit seinen beiden Werken „Monographie du Peyotl“ und „La Plante qui fait les yeux emerveilles“ (die Pflanze, die die Augen verwundert macht). Und nun die Wissenschaftler. Sie haben den Peyote allen Beiwerks von Aberglauben, Zeremoniell, Trunkenheits- zuständen und phantasievollen Erzählungen entkleidet und nüchtern festgestellt: die dickrübige, stachellose und ziemlich weichfleischige Popbopbora, die im Scheitel Filz- flocken bildet, aus denen die kleinen weißen, gelblichen oder rosa Blüten und später die keuligen Beerenfrüchte mit den kugeligen schwarzen Samen erscheinen, enthält folgende Alkaloide: Anhalonin: beruhigt, schläfert aber nicht ein; Peyotin (nach dem indianischen Namen der Pflanze): hat offenbar, umgekehrt, ein- schläfernden Einfluß; Anhalonidin und Lophophorin: ersteres ruft im Kopf ein dumpfes Gefühl hervor, letzteres schmerzhaften Druck, fliegende Hitze und Röte im Gesicht; Mescalin: bewirkt Verlust an Zeitsinn und Auftreten farbiger Visionen, auch Musik- halluzinationen, wie einige behaupten, wogegen andere beim Hören von Musik bunte Bilder wahrnehmen wollen, also eine Art von Tonsehen und Farben- hören. Der Euphorie geht ein Zustand von Übelkeit, Schwindel und Kopf- druck vorher, beim Rausch wahrscheinlich durch den Einfluß der mitgenossenen anderen Alkaloide. Sehstörungen und Verkleinerungen der Pupille wurden ebenfalls beobachtet. Das Mescalin ist das wichtigste Alkaloid des Peyote, der wunderwirkende chemische Stoff, auf den die ungewöhnliche Geschichte der Pflanze zurückzuführen ist. An- scheinend weisen die verschiedenen Arten unterschiedlichen Alkaloidgehalt auf. 20
Über den Verlauf eines Mescalin-Rausches hat V. A. Reko (9) folgende anschau- liche Schilderung gegeben: „Nach anfänglicher Müdigkeit und Kopfschwere treten zuerst Farbgesichte auf, darauf hat der Betreffende — seltsamerweise bei wachem Be- wußtsein — eine Begegnung mit seinem eigenen Tod, ringt mit dem Phantom nach einer ziemlich klaren Unterhaltung und befreit sich so endlich von dem Alpdruck, bis alles wie ein böser Traum erlischt.“ Das klingt zwar reichlich romanhaft, soll aber die Beobachtung bei dem Selbstversuch eines Deutschen in Mexiko gewesen sein. Noch farbiger ist der Bericht von D. W. Prentiss und J. Morgan (10). Sie sagen auf Grund von Prentiss’ Selbstversuch sachlich: „Das Mescalin wirkt hauptsächlich auf das Nervensystem und ruft Halluzinationen hervor, die bunte Blitze und schöne Pano- ramen sehen lassen, wobei die Farben nach den Geräuschen, die man hört, wechseln. Eine Versuchsperson gab an, daß aus dem Gesichtsfeld eine Menge von kleinen Röhren aufwuchsen, im unteren Teil erbsengroße Kügelchen, die sich ununterbrochen drehten. Die leuchtenden Röhren krümmten sich dann und bildeten Buchstaben, die man aber nicht genau deuten konnte; sie verwandelten sich langsam in groteske Fi- guren, die sich mit größerer Geschwindigkeit drehten, und zwar in umgekehrter Rich- tung wie die grünen und roten Kügelchen. Das ganze Gesichtsfeld zwischen den sich lautlos drehenden Rädern war mit einer sich ständig verändernden grünen Masse an- gefüllt. Die Farben waren prächtig, wie die des Spektrums, nur verstärkt, als wären sie in Sonne gebadet. Es gibt keine Worte für die Intensität und die Dauer der Be- wegungen. Die Figuren wechselten ständig ihre Form und Farbe, aber immer zeigten sie phantastische Bögen, die sich schnell um ihre eigene Achse drehten und aus dem Hintergrund nach vorn drangen. Die Formen gingen auch in reiche Arabesken über, einer Art von Tapetenmuster, und einfache geometrische Figuren, und jede neue er- schien mit einer anderen Reihe von Farben, und jede Schattierung wechselte vom reinsten Weiß bis zum intensivsten Purpur.“ Solche Schilderungen sind möglich, weil sich die Versuchsperson beim Mescalin- Rausch in einem eigenartigen Wachtraum befindet. Eine Reihe von Selbstversuchen, zum Teil auch deutscher Ärzte (11), ergaben im großen ganzen Resultate, die sich mit vorstehenden decken. Vom Verlust des Zeitsinns wird noch gesagt, daß er eine Art von Zeitlupensehen hervorruft. Streckt man zum Beispiel den Arm aus, scheint er langsam davonzuschweben. Später entdeckte man noch weitere Alkaloide: insgesamt neun. Die physiologische Wirkung des Peyote ist, was seine generellen Eigenschaften anbetrifft, nach den ge- machten Erfahrungen die eines Herztonikums. Vorsichtige Beurteiler der Droge sind nach Überprüfung aller Versuche der An- sicht, daß der Peyote nicht ungefährlich ist, weil die Folgeerscheinungen bei gewohn- heitsmäßigen Gebrauch noch nicht voll übersehbar sind. Beobachtungen der Aus- wirkungen eines häufigen Genusses sind heute aber unter den Indios wohl kaum noch möglich. Die Pflanzensammler haben der Pophopbora auch in den letzten Jahrzehnten so stark nachgestellt, daß Vergleiche etwa mit dem Cocagenuß oder der Marihuana, dem mexikanischen Haschisch aus den weiblichen Blüten der Cannabis sativa^ abwegig 21
sind. Immerhin hat der Peyote die Forscher zu weiteren Untersuchungen der Kakteen auf ihre Alkaloide hin angeregt — und es gibt davon eine ganze Reihe —, so daß die Popbopbora einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, uns einen tiefen Einblick in das geheimnisvolle Reich der Pflanzenbasen tun zu lassen, deren wunderbarsten eine das Mescalin ist, wegen der seltsamen Rolle, die es bei den Indios gespielt hat, wie auch bei den Historikern und anderen Wissenschaftlern. Über kein zweites Ge- wächs ist auch so viel Papier verschrieben worden. Mehr als hundert Schriften handeln von der Popbopbora und ihren Alkaloidwirkungen, und rund neunzig Abhandlungen werden allein als Literaturzitate in modernen Publikationen genannt. Eine der eigenartigsten Veröffentlichungen auf diesem Gebiet war Aldous Huxleys 1954 auch in deutscher Sprache erschienener Essay „Die Pforten der Wahrnehmung/' mit dem er über einen Selbstversuch mit Mescalin berichtet. Hier wird gleichsam von den Grenzgebieten der Wirklichkeit gesprochen. Das Mescalin verhält sich in seiner chemischen Wirkung wie das Zerfallsprodukt des Adrenalin in der menschlichen Nebenniere, das Adrenochrom. Lebenslängliche Störungen bedeuten hier unheilbare Schizophrenie. Das Mescalin dagegen soll zu zeitlicher Bewußtseinsspaltung, zu ge- trennten Wahrnehmungen des Ichs führen, zu zwei Ichs gewissermaßen, die beim Ende des Rausches wieder zusammenfließen. Verwickelte Gedankengänge zu einem nicht weniger verwickelten Wirkungsverlauf dieses Kakteenalkaloids, das einen Rezen- senten zu dem Satz inspirierte: Wie wäre es mit dem Mescalin als einem Medikament gegen das Übermaß an Rationalität in der heutigen Zivilisation? Damit ist diese unscheinbare Kakteenart zu der wohl interessantesten Pflanze der Erde geworden. Gesandte des altspanischen Indienrates, Geistliche und Forschungs- reisende, Reporter und Abenteuerschriftsteller, Chemiker und andere Fachkundige, besonders Mediziner der verschiedensten Gebiete, Rauschgiftabwehrstellen, Behörden und Privatpersonen haben sich mit dem legendenumwobenen Kaktus befaßt, der heute in unseren Sammlungen nur noch eine friedliche und anspruchslose Rolle spielt. Aber kehren wir in das alte Aztekenreich zurück. Das wahre Wesen jenes Staates, der von autoritären Herrschern und der Macht des Priestertums regiert wurde, wird vielen Menschen unserer Zeit ein psychologisches Rätsel sein: Der geradezu grotesk erscheinende Widerspruch zwischen den Tatsachen, daß man auf der einen Seite fürchterliche Massenabschlachtungen religiöser Art vor- nahm — allein bei der Einweihung des großen Huitzilopochtli-Tempels in Tenochtit- lan waren es ungefähr 20000 Mann! — und auf der anderen Seite von zartesten Empfindungen beseelt gewesen zu sein scheint. So galt das Einatmen des Duftes von Blumensträußen bei der altmexikanischen Lebewelt als Höhepunkt des Genießertums. Mutet es nicht auch fast rührend an, daß die Indios Oaxacas die wilden Kakteen- bäume des Myrtillocactus wegen seines Fruchtsegens „Unser Vater" nannten? Für Pflanzen und Blumen scheint man damals viel Sinn gehabt zu haben, wie noch heute in den „Schwimmenden Gärten von Xochimilco". So gab es auch schon in Tenochtitlan, Tetzcotzingo, Chapultepec, Huaxtepec, Atlixco und Iztapalapa Bo- tanische Gärten, deren Schönheit die Bewunderung der Eroberer erregte und sogar 22
Abb. 7 Symbol der Provinz Soconusco nach Meinung einiger Historiker (12) als Vorbild für die ersten ähnlichen Anlagen in Europa diente. Ein anderer Geschichtsschreiber hat über „Die Botanik bei den Nahuas" berichtet (13) und über den Vorsprung, den diese Wissenschaft — ähnlich wie die der Mathematiker bei den Mayas — den europäischen Gelehrten gegenüber bewies. Die Nahuas hatten sich schon mit einer großen Anzahl von Gewächsen be- faßt und die Notwendigkeit erkannt, sie zu unterscheiden und zu vergleichen. Sie schufen dazu bereits eine Klassifikation, die auf Verwandtschaftsmerkmalen und sol- chen von Varietäten, der Blattfarbe und ihrer medizinischen Bedeutung beruhte. Sie fertigten Beschreibungen und Abbildungen dazu an, und es berührt fast wie ein Wun- der, daß diese der Zerstörungswut der Eroberer entgingen. Als auffälligste Pflanzen des Landes fanden auch die Kakteen die ihnen gebührende Beachtung, und in den Gärten der Reichen verwandte man die schönsten Arten als be- sonderen Schmuck der Anlagen. Die Nahuabotaniker unterschieden zwei große Kakteengruppen: die ,,NöfZ>//Zr" oder „Nopalli“ mit flachen Trieben und die „Comitls“ mit kugeliger und zylindrischer Form. Da sie zweifellos die strauchigen, blättertragenden Peireskien nicht als Kakteen erkannt haben können, entspricht die Einteilung der Nahuas ziemlich genau den heu- tigen Unterfamilien „Opuntioideae“ und „Cereoideae“. Die ,,Blattkakteen" gehörten da- mals als flachgliedrige Gewächse zu den Nocht/zs. Ähnlich, wie wir im Deutschen Worte verbinden, taten es auch die Nahuas, wenn sie damit zusätzliche Angaben ma- chen wollten; so nannten sie jene Opuntien, auf denen sie die Cochenillelaus zogen, „Nopalnochet^li“denn das Insekt hieß bei ihnen „Nochetzli". „Cochinilla" ist ein spanisches Wort, und in spanischer Zeit war die Lieferung des roten Farbstoffes die wichtigste Abgabe Mexikos an das europäische Mutterland, bis man auf den Kanari- schen Inseln eigene Kulturen anlegte; erst die Anilinfarben nahmen diesem natürlichen Färbemittel die Absatzmöglichkeit. Soviel wir heute wissen, dienten zur Cochenille- zucht weniger die Pflanzen der Gattung Nopalea^ wie man nach dem indianischen Namen schließen könnte, sondern bestimmte Opuntienrassen, die man heute nicht mehr wildwachsend findet. *5
Die Opuntien unterschied man wie folgt: i. I^tacnocbtli (Iztac = weiß, nochtli = Opuntia-Art), eine hellfrüchtige Pflanze; 2. Co^nochtli (Coztli = gelb), mit gelblichen Früchten; 3. Tlatonochtli^ mit rötlichweißer Frucht; 4. T^aponocbtli (nach der Ähnlichkeit der Frucht mit einer anderen, die von den Azteken Tzapotl genannt wurde, Zapote?); 5. Zacanochtli soviel wie kleine wilde Opuntia bedeutet); 6. 'Xoconocbtli^ ähnlich der vorigen, aber mit säuerlichem Fleisch der Triebe und Früchte. Bei der letzteren ist es freilich nicht sicher, ob es sich hier nicht etwa um eine Säulen- kakteenfrucht gehandelt hat, denn „Xoconostle“ nennen die Indios von Tehuacan die Früchte der riesigen Neobuxbaumia und des Mitrocereus. Man muß dabei bedenken, daß das Wort „Nochtli“ auch für cereoide Ranker galt, zum Beispiel den Hylocereus^ eine Gattung ähnlich dem Selenicereus^ zu dem die „Königin der Nacht“ gehört. Für das, was wir heute Epiphyten, „Überpflanzen“ (wörtlich übersetzt; wegen des Wuchses auf Bäumen und Steinen), nennen, hatten die Nahuas auch bereits ein Kunstwort ge- schaffen: „Cuaubnocbtli“. Die erste Silbe ist eine Wortverkürzung von „Cuahuitl“, Baum; der Name bedeutet also soviel wie „Baumkaktus“. Dazu zählte bei den Azteken auch der Hylocereus^ weil er gern die Bäume hinaufsteigt, ähnlich dem rankenden oder zuweilen kriechenden Nyctocereus serpentinus^ den man als „Coanocbtli“ (von Coatl = Schlange) bezeichnete. Die Kugelkakteen nannte man nicht nur „Comitl“, sondern auch „Haiit^nahuac“ (da- her der eingangs erwähnte Kakteengott) ^Met^ollinc oder auch „Hueicomitl“ \ letzterer war wahrscheinlich der mächtige 'ELcbinocactus grandis. Der Name Huit^nabuac setzt sich zusammen aus den Silben „Huitzli“, Stacheln, und „nahuatl“, was hier soviel wie „untereinander verflochten“ zu bedeuten scheint. Ein wahres Wortungeheuer hatten die aztekischen Botaniker für die beliebte Nopalxocbia ackermannii erdacht: „Nopai- xocbque^alticqui^i“. Da die Kakteen nicht nur zum Teil Nutzpflanzen waren, sondern oft weithin das Landschaftsbild bestimmen, hatte man auch dementsprechende Symbole geschaffen. Unter anderem sieht man im Codice Mendocino, Tafel 43, das Zeichen für Nochetzlan, die „Stelle, wo die Cochenillelaus reichlich vorkommt“ (eine Schale mit Opuntien- trieben und Cochenilleläusen darauf), oder auf Tafel 36 ein Symbol für Nochtepec, den „Berg mit Cochenilleopuntien“ (das stilisierte Bild eines Berges mit einer Opun- tienblüte auf der Spitze), ferner auf Tafel 47 die bildliche Darstellung für Xoconochco, den „Ort der sauren Opuntienfrüchte“ (das heutige Soconusco an der Grenze von Chiapas und Guatemala, oder ein guatemaltekischer Ort, der früher von den Azteken beherrscht wurde): eine „saure Tuna“ mit irgendwelchen Begleithieroglyphen. Die Fruchtbezeichnung „tuna“ wird oft auch auf die Pflanzen übertragen. Der „Teocomitl“ war in damaliger Zeit nicht nur ein grauenerregender Opferaltar, sondern hatte zugleich auch eine freundlichere Bedeutung, mit der er ebensogut ein Anrecht auf den Titel „Unser Vater“ gehabt haben könnte wie der Myrtillocactus. Er 24
ist für die Indios schon immer ein Nahrungsmittel gewesen, genauso wie die Nopales, die sogenannten Feigenkakteen, deren Früchte in vielen Teilen der Welt beliebt sind. Man mag zuerst bei Dürrekatastrophen darauf verfallen sein, das Fleisch der saftigen Kugeln zu essen, wie man sich wohl überhaupt schon seit Anbeginn die stachlige Flora des stellenweise wenig fruchtbaren Hochlandes zunutze gemacht hat, Pflanzen wie Früchte. Noch heute stillt der große Hcbinocactus ingens dem Landmann, der durch die Einöde wandert, Hunger und Durst; er schneidet aus dem Innern der Pflanze saftige Scheiben heraus oder labt sich an dem wasserhaltigen Brei, den er in einem Loch zu- sammenschabt; der Bericht, daß sich ein amerikanischer Flieger, der aus seiner Ma- schine abspringen mußte, nur durch Verzehren von Kakteenfleisch aus der Wildnis rettete, kann daher durchaus den Tatsachen entsprechen, so unwahrscheinlich er auch klingt. Bis in die Gegenwart hat sich der Brauch erhalten, durch Kochen in Rohrzucker- sirup kandierte Kakteenschnitten herzustellen, die, wie ich bestätigen kann, süß und angenehm schmecken. Die entstachelten Opuntientriebe hat man sicher schon früh als Gemüse verwandt, wie mitunter jetzt noch in der mexikanischen Küche ärmerer Abb. 8 Aus dem Namen des aztekischen Halbgottes Huitznahuac wurde die heutige mexikanische BezeichnungViznaga oder Bisnaga für große Kugclkaktcen. Die Nordamerikaner nennen ihn ftarrel-Cactus (Faßkaktus). Dem mexikanischen Indio stillt sein saftiges Fleisch im Notfall Hunger und Durst *5
Abb. 9 Vorbereitung jüngerer Exbinocactus grandis zur Herstellung kandierter Kakteenschnitten. Oben: Zuerst werden an Ort und Stelle zum leichteren Transport die Stachelbündel entfernt. Unten: Am Hauptsammelplatz werden die Kugeln ganz geschält und so zum Hersteller des „Acitrön“ gebracht 26
Abb. 10 „Acitron“ kandierte Kaktcenschnitten verkauft ein junger Indio in den „Schwimmenden Gärten“ von Xochimilco Leute, die sie auch als Suppeneinlage (Nopales navegantes = Opuntienschiffchen) und Salat (Ensalada de tunas) verwenden. Die Früchte wurden seit jeher als Obst genossen, und man gewinnt daraus auch heute noch den lebkuchenartigen Queso de tunas (Opuntienkäse) und die Colonche, ein Getränk. In manchen Gegenden Mexikos sieht man große Kakteenobstgärten, in denen die Opuntien reihenweise angepflanzt sind und baumartige Größe erreichen. Auch die Säulenkakteenfrüchte waren in alten Zeiten schon genauso geschätzt, wie sie es noch jetzt bei den Indios sind. Nach Padre Vanegas (1757) galt den Eingeborenen die Fruchtzeit der Pitayas (Säulenkakteen verschiedener Art) als die wichtigste des Jahres, nach Clavijero (1852) tat man um diese Zeit in Niederkalifornien nichts an- deres, als solche Früchte zu sammeln. Von den Apachen wissen wir, daß sie die Samen der riesigen Carnegiea gigantea als Grütze und die gegorenen Früchte zur Bereitung eines weinähnlichen Getränkes verwandten, mit dem sie sich vor ihren Kriegszügen berauscht haben sollen. Der Machaerocereus eruca^ der wildbestachelte ,,Kriechende Teufel“ Niederkaliforniens und einiger benachbarter Inseln, diente zerquetscht als Fischgift, die Melokakteen Westindiens mit ihrem getrockneten Gerippe angeblich als Kopfbedeckungen. Vor allem ergaben die Früchte verschiedener Echinocereus-Arten ein angenehm schmeckendes Obst — eine dieser Pflanzen heißt daher in den USA so- gar „strawberry-cactiis‘\ also „Erdbeerkaktus“, wegen der Marmelade, die sich aus 27
dessen Frucht herstellen läßt — und die kleinen bickbeerartigen Früchte des Myrtillo- cactus^ die „Garambullos“, die man noch heute massenhaft auf den Markt bringt und auch trocknet, haben sicher schon immer, wie die kleinen „Chilitos“ (Kugelkakteen-, besonders Afzzzzzz'/Zzzrzzz-Früchte), Liebhaber gefunden. Die Herstellung von Konfekt aus großen, fleischigen Kugelkakteen ist übrigens nicht auf Mexiko beschränkt, sondern auch in den USA üblich, und zwar „trotz der Schutzgesetze“, wie eine amerikanische Zeitschrift empört zu Bildern von einer „Candy-cactus-Fabrik“ schrieb, was aber die Produzenten nicht abgehalten hat, ihre auf gleiche Weise wie in Mexiko hergestellten gezuckerten Kakteenschnitten, hoch- modern in Cellophan verpackt und mit einer Seidenschleife verziert, zum Beispiel als „Weihnachtskonfekt der Wüste“ anzubieten. Es mag sein, daß die dazu benötigten großen Kugelarten auf amerikanischem Gebiet weit weniger zahlreich als in Mexiko sind, wo sie durch ihre reiche Erzeugung von Samen in Massen die Einöde bevölkern, so daß hier durch die verhältnismäßig geringe Fabrikation des „Acitron“, wie man die fertigen Schnitten nennt, keine Ausrottungsgefahr für die Pflanzen besteht. Auch in südamerikanischen Ländern werden die Kakteen zum Teil genutzt. So dienen auf dem baumlosen bolivianischen Hochland die harten Zentralachsen des Helianthocereus pasacana als Holzersatz, aus dem sogar Räder, Tür- und Fensterrahmen sowie Möbel angefertigt werden. Die dort ebenfalls heimischen kleinen „Atbacanas“ („eßbarer Kaktus“: Neowerdermannia vorwerkii) werden geschält und gekocht wie Kar- toffeln gegessen. In Kolumbien sah ich, daß man Opuntientriebe zerschnitten zum Klären und Konservieren von Trinkwasser verwandte. In Mexiko füttert der indiani- sche Bauer mit ihnen vor allem seine Esel, nachdem er die Stacheln abgebrannt hat, und in Brasilien erwog man, sehr vegetationsarme Landstriche durch Bepflanzen Abb. 11 Der Rauschkaktus Peyote {Pophophoraivilliamsii}
Abb. 12 Bildvision im Mescalinrausch Abb. 13 Die Aufnahme zeigt, wie man eine Feigenkaktusfrucht so zerlegt, daß sich die unangenehm juckenden Glochiden (Kurzstacheln) nicht bemerkbar machen mit diesen genügsamen Kakteen aufzuforsten. Wenn Tolten, mit dem das Leben des argentinischen Viehzüchters seinen besten Schilderer fand, in seinem Buch „Die Herden Gottes" den Gauchophilosophen Anselmo durch Verfüttern von Kakteen die Tiere einer verirrten Chacopatrouille retten läßt, so ist das unzählige Male rauhe Wirk- lichkeit gewesen. Man könnte noch viel über den Nützlichkeitswert der Kakteen im Alltag des Ein- geborenen sagen, der mit ihnen zum Beispiel gern lebende Zäune um sein Grund- stück zieht, ja sich sogar Hütten aus ihnen anfertigt. Dramatisch, im Vergleich zu sol- chen friedlichen Berichten, wird dagegen die Geschichte der Kakteen, hört man von den Folgen, die sich daraus ergaben, daß man die Pflanzen gegen das Naturgesetz ver- wandte und sie sich der Kontrolle des Menschen entzogen oder daß man leichtfertig mit ihnen umging. Eines Tages warf in Australien jemand gedankenlos einige „prickly pears" fort. Bei diesen „Stachelbirnen" handelte es sich um die brasilianische Opuntia vulgaris und die Opuntia dillenii^ die an der südost-nordamerikanischen Küste, auf den Bermudas, in Westindien und im nördlichen Südamerika beheimatet ist. Man verschleppte sie auch nach Europa, doch hielt sich hier ihre Verbreitung in erträglichen Grenzen. In Süd- indien und Australien wurde sie jedoch zur „pest pear". In welchem Ausmaße, zeigt ein Bericht der zu ihrer Bekämpfung eigens ernannten Prickly Pear Destruction Com- mission, Sidney. Im Jahre 1882 wurde die Kakteenplage von Queensland zum ersten Male im australischen Parlament erwähnt. 1885 waren 5000 Acres (rund 200000 Ar) 29
Abb. 14 Selbst zum Hüttenbau kann man einen Kaktus gebrauchen (Triebe des Marginatocereus marginatus) von Opuntien bedeckt, 1921 bereits 2000000 Acres und 1924 die ungeheure Fläche von 7600000 Acres!*). Welch unglaubliches Ausbreitungsvermögen! Nun war höchste Gefahr, denn die teuflische Vermehrung der Pflanzen drohte ein riesiges Areal von gutem Boden vollständig zu verseuchen. Man suchte fieberhaft nach geeigneten Me- thoden zu ihrer Vernichtung. Die ersten Vergiftungsversuche schlugen vollständig fehl; die Opuntien erwiesen sich als allzu zäh. Wohl fielen die Triebe verdorrt ab, aber die Stämme trieben immer wieder aus. Endlich gelang es, zwei erfolgreiche Mittel zu finden. Bei geringem Befall benutzte man Arsenpentoxyd, das eine verhältnismäßig kurzfristige Wirkung hat. Bei dichtem und verbreitetem Bewuchs, der sich oft als Untergehölz durch die Wälder zog, konnte das Gift jedoch nicht angewandt werden; gegen die Riesenzahl der Pflanzen war man damit machtlos. Schließlich verfiel man auf den richtigen Ausweg und setzte die Natur gegen die Natur ein: Man importierte aus Mexiko den Kakteenschädling Cactoblastis cactorum, eine Mottenart, und zog müh- sam ungeheure Mengen von ihren Eiern an, mit denen man die Opuntien besetzte. Es war ein letzter Versuch. Die Regierung warf für die Anzucht, Verteilung und die Arbeit des Aussetzens Jahr um Jahr Tausende von Pfunden aus. Endlich sah man einen Erfolg, dank der kleinen Motte, deren fleißige Raupen die Kakteen langsam von unten bis oben vernichten. Aber schon war die Natur wieder da und rächte sich: es stellten sich Schädlinge ein, von denen die nützlichen Raupen angegriffen wurden. Und nun suchte man, wie es mit Galgenhumor hieß, nach „parasites that will act as enemies to the enemies of the cactoblastis“. Auch in Südindien begann man mit dem Einsatz verschiedener Schädlinge — in diesem Fall richtiger: Nützlinge —, während in Südafrika eine ähnliche Kakteenpest aufgetreten war, die allein in der Kapprovinz annähernd 8000000 Morgen verseuchte. *) Das sind ca. 12,6 Millionen Morgen oder rund 2025 Güter von durchschnittlich 6000 Morgen! 3°
Dr. Petty von der Pretoria Division of Plant Industry machte nähere Angaben darüber, welchen Erfolg man in Australien mit der Kakteenbekämpfung gehabt hatte. Danach konnten 1932 von 30 Millionen Morgen*) bereits 5 Millionen als kakteenfrei ange- sehen werden, der Rest in verschiedenen Stadien der Vernichtung. Welch ungeheure Arbeit spricht aus diesen Zahlen! 200 Mann waren ständig mit der Verteilung der Cactoblastis-Eier beschäftigt, von denen man damals bereits über drei Billionen aus- gesetzt hatte. Bedenkt man, daß man in Südafrika für die Bekämpfung mit Gift allein den Einsatz von 10000 Arbeitern auf eine Periode von 30 Jahren unter Kosten von nahezu 19 Millionen Pfund Sterling veranschlagte, vermag man einmal zu ermessen, welch ungeheuer gefährlicher Gegner die Kakteen für die Landwirtschaftsbehörden der genannten Länder sind, aber auch, wieviel rascher und verhältnismäßig billiger die kleine Motte arbeitet. Ein Rätsel und auch wieder ein Wunder der Natur ist demgegen- über die Tatsache, daß die Cactoblastis in den Ursprungsgebieten der mexikanischen Opuntien keine so vernichtende Wirkung hat. Hier sorgte die Natur in langen Zeiten für das Gleichgewicht in ihrem Haushalt; Pflanzen und Schädlinge sowie deren Schäd- linge halten sich die Waage. Außerhalb des von ihr bestimmten Heimatgebietes der Kakteen scheint sie sich aber für jede Leichtfertigkeit des Menschen zu rächen. Kaum hatten die Australier mit Mühe und Not die Opuntienpest beseitigt, da tauchte in Nord-Queensland eine neue Gefahr auf: Irgendwie war dort der Hriocereus martinii zu unbegreiflich schneller Verwilderung gelangt. Die letzten Nachrichten sind alarmie- rend: der „New Zealand Herald“ berichtet, daß diese Kakteenpest zehnmal so gefähr- lich wie die Opuntienverbreitung ist. 100000 Acres sollen bereits befallen sein; man hat Wissenschaftler nach Amerika geschickt, damit sie andere Schädlinge ausfindig machen, denn diesmal handelt es sich um einen rasch wachsenden, halb kriechenden Säulenkaktus — übrigens mit schönen großen Blüten —, für dessen Bekämpfung die Cactoblastis ungeeignet ist. In der einst ansehnlichen Zierpflanze ist den Menschen ein neuer Gegner entstanden, den man vorerst nur mühsam ausgraben und verbrennen kann. Man hat erwogen, gewisse mittelasiatische Gebiete, wie man es auch in Tunis tat, mit nützlichen Opuntien zu besiedeln, der Opuntia fcus-indica^ denn sie liefert bald gute Früchte für die menschliche Ernährung, sowie mit stachellosen kleineren Arten für Viehfuttergewinnung. Eine solche Pflanze wollte Kaliforniens Wunderzüchter und Freund Jack Londons, Luther Burbank, mit „Burbanks Perfection“ gezogen haben. Aber es gab schon längst natürliche Arten ohne Stacheln. Es mag sein, daß in Innerasien und in Brasilien Verhältnisse herrschen, die solchen Unternehmungen Erfolg sichern, wenn man alle bisherigen Erfahrungen berücksichtigt. Bei den Kakteen muß man jedoch ständig davor auf der Hut sein, daß sie statt Freunde des Menschen, die sie für die Indios Amerikas sind, zu gefährlichen Feinden werden können, zwar unblutigere, aber nicht weniger schreckliche als der alte Kakteengott Teocomitl der indianischen Priester. *) Seit 1924 bzw. in weniger als 8 weiteren Jahren (wenn man die erste Vcrmchrungszeit mit einrechnet) erhöhte sich also die Verbreitung auf beinahe den dreifachen Umfang. 31
Die Kakteen erobern sich die Erde Wir wissen zwar, daß der erste Tabakraucher in Europa Rodrigo de Jerez war — als Abgesandter des Kolumbus in Kuba hatte er auch zuerst die ,,Röhren halb abgebrann- ter Kräuter“ gesehen, die noch heute die würzigen Sendboten der Insel sind, und war ihrem Genuß in Spanien treu geblieben —, aber wann die Kakteen ihren ersten Ein- zug in der Alten Welt hielten, ist uns nicht mit Sicherheit bekannt. Man behauptet je- doch, sie seien bereits unter dem Mustersortiment exotischer Wunder gewesen, das der heimkehrende Entdecker seinem Königspaar mitbrachte. Möglich ist es schon, denn was hätte die märchenhafte Fremdartigkeit der Neuen Welt besser als diese Ge- wächse veranschaulichen können, zumal am Gestade der Inseln, die der Admiral zuerst anlief, die Melokakteen wachsen, die man früher ihrer merkwürdigen Form wegen Me- lonendisteln nannte, oder nach ihrem wollborstigen Scheitelschopf auch Mönchskap- pen, türkische oder englische Mützen. Sicherlich waren es diese Pflanzen, die zuerst von Matrosen mitgebracht wurden, zumal sie nicht nur besonders auffällig sind, son- dern auch am leichtesten zu sammeln und mitzunehmen. So mögen auf diesem Wege die Feigen- und Säulenkakteen ebenfalls schon bald nach Europa gekommen sein, wo sie das Volk geringschätzig als „Fackeldisteln“ (nach Oviedos Benennung „Czrzar“, Fackeln, für Säulenkakteen, der Ursprung des Namens „Cereiis“ [1576]) bezeichnete und für ein stachliges Teufelszeug hielt. Als solches mögen sie auch den ersten spanischen Berichterstattern erschienen sein, wie dem ältesten Geschichtsschreiber Amerikas, Kapitän Gonzalo Fernandez de Oviedo y Valadez, bedenkt man sein Erlebnis, das er uns aus dem Jahre 1535 berichtet. Er aß in Hispaniola Früchte einer Opuntia und sah bald darauf zu seinem Entsetzen, daß sein Harn sich blutrot gefärbt hatte; er meinte, die Pflanze hätte bewirkt, daß ihm „innen die Adern gebrochen seien“. Es war jedoch nur die intensive Fruchtfarbe, die diese Wirkung hervorrief. Die Feigenkakteenfrüchte sind zwar alle eßbar, aber es empfiehlt sich nicht, wie man sieht, sie wahllos zu genießen. Später hörte man dann noch von der furchtbaren Rolle, die in Mexiko die stachligen Riesenkugeln des Eichino- cactus ingens spielten; so wird es an sonderbaren Erzählungen von diesem auch nicht gefehlt haben, denn damals war das Ausschmücken von Abenteuern mit Schauerge- schichten kräftig im Schwange. Sagt doch selbst Kolumbus von seiner Durchquerung des Golfes von Paria, südwestlich von Trinidad, in der Ein- und Ausfahrt seien die Wasser schiffshoch, tags nach Westen, nachts nach Osten, so laut brüllend hin und her gestürzt, daß man die beiden Straßen „Schlangen-“ und „Drachenschlucht“ nannte. Wenn dort auch Ebbe und Flut sehr stark sein können, fand ich es dennoch bei weitem nicht so schlimm. Bemerkenswert ist auch, was Oviedo weiter über die Opuntien zu berichten weiß, die er auf mehreren westindischen Inseln antraf. So machte man mit zu Brei zerschla- genen Trieben eine heilende Packung für gebrochene oder verrenkte Glieder. Die Frauen der Indianer fertigten dagegen aus den rot färbenden Früchten einer bestimm- st
ten Art — vielleicht jenen, nach deren Genuß Oviedo das oben geschilderte Erlebnis hatte — eine Schminkpaste an. Und etwas gehässig setzte er hinzu: „Eine mehr rosa- farbene Sorte. Ist eine bessere Farbe zum Schminken als die, welche die Frauen in Italien, Valencia oder Spanien und anderen Ländern gebrauchen, um damit das Antlitz, das ihnen Gott gegeben hat, zu verbessern oder vielmehr durch die fortgesetzte Ver- besserung zu verhunzen.“ Daraus geht auch hervor, daß dieser Brauch in der Alten Welt schon üblich war, bevor man Kenntnis von den indianischen Schminkkünsten erhielt, die bei den Eingeborenen der Neuen Welt sehr beliebt waren. Nach Oviedo sind ferner die Säulenkakteen wegen der „Pitahayas“, der Früchte, in Haiti und Ni- karagua bereits in Vorzeiten kultiviert worden, denn er sah sie dort in den indiani- schen Siedlungen. Von drüben eingeführte Melakakteen leben nie lange; es gibt nur sehr wenige er- fahrene Züchter, denen eine Eingewöhnung glückt, wenn die Pflanze bereits ihr Cephalium gebildet hat. Die „Melonendisteln“ können daher der Allgemeinheit an- fangs gar nicht aufgefallen sein. Anders die „Feigenkakteen“. Sie sind weit zäher und wahrscheinlich schon früh des öfteren wegen ihrer Früchte nach Europa gebracht worden, so daß die erste „Kakteenliebhaberei“ diesen galt, denn die ungewöhnlicheren Arten wurden viel später gefunden. Demnach sind die Opuntien wohl schon zur Zeit Oviedos in die Iberische Halbinsel gelangt, und hier ging es mit ihnen bald genauso, wie es Padre Vanegas und Clavijero von der Ernte der Säulenkakteenfrüchte in Nieder- kalifornien berichtet haben: Die Fruchtreife im September wurde in Portugal und Spanien zu einer Art Volksfest von vierzehntägiger Dauer. Wer konnte, eilte aufs Land; für die Daheimgebliebenen schälten die Verkäufer in den Straßen die mit übel juckenden Stächelchen versehenen „Tunas“, und zwar, wie ein älterer Bericht sagt: „mit einer Gewandtheit, die an das Öffnen der Austern in den Seestädten erinnert. Mancher Liebhaber verschluckt Hunderte solcher Früchte nacheinander und jährlich sterben mehrere Leute in Folge des übermäßigen Genusses.“ Vielleicht war dieser Brauch von Massenfresserei gar nicht einmal so ungewöhnlich; sie scheint zur Zeit des nachmittelalterlichen Kakteeneinzugs auch sonst üblich gewesen zu sein, wurden doch 1543 in Frankreich bei der Hochzeit von Georges de Ribeaupierre mit Elisabeth von Halffenstein fast 1100 Stück Vieh, 3000 Eier und 18 Zentner Speck verzehrt. Während es also damals zu einer regelrechten Mode des Kakteenfruchtessens ge- kommen war, hatten sich andere, weniger nützliche Opuntienarten heimlich davon- gemacht und begannen, den Mittelmeerraum zu besiedeln, wo sie heute fast überall gefunden werden, als wären sie hier seit jeher zu Hause. Dodonaeus berichtet über die Früchte einiger Arten ähnlich wie Oviedo: „Das innerlich Fleisch ist voll dünner Körner wie die Feigen und voll rothen Saffts, welcher nicht allein die Hände färbe, sondern macht auch den Harn so wunderbarlich roth, daß er wie Blut sihet, also daß man nicht anders meinet, als wenn das Blut aus dem Leibe flösse“; über die Verbrei- tung sagte er: „Es soll die Indianisch Feige nunmehr auch in Welschland seyn gemein geworden.“ Anschaulich beschreibt Mathiolus die Opuntia ficvsindica^ „daß sie also leichtlich wachse, daß so man nur ein Blatt darvon nimpt und halb in die Erde steckt, 3 Backeberg, Wunderwelt, 4. A. 33
so bekleibe (bewurzelt) es bald, gewinne auch seine Wurzeln, und stoß ein Blatt nach dem andern herfür, oben und auff beiden Seiten so gewaltig, daß ein Baum daraus wird, von lauter solchen Blättern, welche dicker als ein Baum seyen, mit weißen, spitzigen Dornen besetzet, deren gemeiniglich drey oder vier beysammen“, Zwar friert es im Mittelmeerraum zuweilen im Winter, und das verträgt die ,,Indianisch Feige“ nicht, aber wir haben in Spanien beobachtet, daß in einer Frostperiode völlig heruntergefrorene Pflanzen nach 2 Jahren bereits aus den Stümpfen heraus wieder halbe Baumhöhe erreicht hatten. Darin zeigt sich die unheimliche Wuchskraft dieser und ähnlicher Arten und läßt die rasche Opuntienausbreitung in Australien verständ- lich werden Die ersten Liebhaberpflanzen waren jedoch die Melokakteen. Sie wurden von See- leuten bereits gar nicht lange nach Oviedos Bericht nach England gebracht, so daß Mateo Lobei (14) schon 1570 berichten kann, er habe im Garten des Londoner Apo- thekers Morgan solch ein ,,exotisches Gewächs“ gesehen. In einer anderen Veröffent- lichung erwähnt er außer einem Feigenkaktus auch einen Säulenkaktus. Dieser Apotheker Morgan ist also der erste uns überlieferte Kakteenliebhaber ge- wesen. Pflanzenfreunde oder wer sich sonst mit den Kakteen befaßte, vor allem wohl Mönche in den Klostergärten, denn botanische Gärten gab es noch nicht, hatten es zu jener Zeit gut; sie brauchten sich noch nicht mit den zahllosen Arten und Spiel- arten abzumühen, wie es heute unvermeidlich geworden ist. Dafür sind die alten Be- richte von ergötzlicher Bildhaftigkeit. So schreibt Jac. Theodor Tabernaemontanus, der sein berühmtes Kräuterbuch 1588 in Frankfurt herausgab — damals kannte man also die Kakteen auch schon in Deutschland —, überaus anschaulich: „Melocarduus. — Under die Distelkräuter ist auch von dem Autor diese Melonendistel referieret worden, welche da scheint aus einer Pfeben (Kürbis) oder Melonen und Disteln zusammen ge- wachset seyn, daher sie auch ihren Namen bekommen; ist eines runden Wuchses, von unden auff breit, biss oben auss ganz gleich und rund gespitzet, wo sie eine dicke Wolle trägt, in welcher rothe spitzige Schötlein ligen, mit kleinen runden Saamen. Ausswendig scheint sie, als were sie mit dicken Rippen underschieden, welcher vier- zehen, an ihm gefunden werden, mit krummen dornigen Haken allenthalben umbher besetzet, gleich wie ein Stern anzusehen, als daß man sie nicht wol kan angreiffen.“ Zum Schluß heißt es: „Von den Namen Melonendistel wird Lateinisch genennet Melocarduus ecbinatus Indiae occiduae. (Niederländisch: Stekende Melonendistel van West- indien. Englisch: Hedgehojge Distle').“ In jüngerer Zeit entstand ein ziemlicher Wirrwarr um die Gattungsbezeichnung dieser Pflanzen. Obwohl Melocactus lange als üblicher Name im Gebrauch war, än- derten die nordamerikanischen Autoren Britton und Rose ihn 1922 wieder in Cactus ab, weil Linnes erste unter diesem Familiennamen aufgezählte Art ein Melocactus war und daher dessen Gattung bei der von ihnen vorgenommenen Aufteilung allein und weiterhin Cactus heißen müßte. Schließlich wurde auf einem botanischen Kongreß der frühere Name endgültig wieder eingeführt. 34
In Tabernaemontanus’ Kräuterbuch handelt das XXVII. Capitel dann von den Säulenkakteen, dem „gestirnt Rohr“ Cereus peruvianus und einer zweiten Art, Calamus peruvianus asterioides : „I. Zu den Cupborbio werden noch diese zwey Gewächse gesetzt: Das erste Gestirnt Rohr gewinnt vier oder fünff Röhr, gleich wie Stangen, neuen zehen oder zwantzig Ellen hoch mit sehr vielen gestirnten kleinen Disteln oder Dörnlein besetzet. Mitten auss ihnen wachsen drey andere Gewächs wie Arm anzusehen, in der Gestalt wie ein Kürbis oder Gurke oder wie runde dicke Blätter, mit dergleichen ge- stirnten Dörnlein besetzet: inwendig hat es ein dickes Fleisch oder Safft wie die Aloe^ welcher eines sehr bitteren Geschmackes ist: in der Höhe trägt es seine Blumen, gleich dem braunen Fingerhut: Seyne Frucht ist schön zinnoberroth, wie eine Feige for- mieret, an Geschmack nicht unlieblich. II. Das ander gestirnt Rohr von Peru ist auch wie eine lange Stange oder Spiess mit einer dicken schwartzen Rinden umbgeben, ist ein dickes, hartes und schweres Holtz, mit vielen dicken, dornichten Beulen besetzet.“ Welche Verwunderung über die Fremdartigkeit dieser Gewächse spricht aus solcher bildhaften Schilderung. Nur hat sie heute für uns wenig Bedeutung, denn wir wissen nicht mehr, um welche Pflanzen es sich in Wirklichkeit gehandelt hat. Was wir gegen- wärtig als „Cereus peruvianus“ ansehen, hat nicht rote, sondern grünliche bis orange- gelbe Früchte. Aus der stark stilisierten Darstellung kann man auch nichts Klärendes entnehmen, und vielleicht handelte es sich überhaupt nicht um einen „Cereus“ im heu- tigen Sinne, sondern eine Harrisia oder einen Pilosocereus^ die beide in Westindien zu Hause sind. Mit anderen Worten: der Cereusperuvianus unserer Tage ist etwas anderes, als was die Alten anfangs darunter verstanden. Außerdem — und das ist eine weitere Tatsache, die den Ursprung des wohl ältesten in Europa bekannten Säulenkaktus noch Abb. 15 Darstellung eines Melocactus in Tabernaemontanus’ Kräuterbuch, 1588 Abb. 16 Die ältesten deutschen Cereenbilder, aus Tabernaemontanus’ Kräuterbuch, 1588 3* 35
problematischer macht — kommt der Cereus peruvianus in Peru gar nicht vor; selbst bei intensivster Suche hat man ihn dort nicht gefunden, aber auch sonst nirgends wildwachsend. Linne meinte einst irrtümlich, er ,,stamme von Jamaika und der trockenen Küste Perus“. So ist uns schon gleich der erste bekanntgewordene Säulenkaktus bis heute ein Rätsel geblieben. Aufschlußreich ist auch, daß Tabernaemontanus die Pflanzen zu den Euphorbien rechnete, obwohl es keine säuligen Kakteen mit Milchsaft gibt, sondern nur kugelige. Die seltsame Konvergenz stachelähnlicher Gebilde bei vielen Euphor- bien war die Ursache dieser Zusammenfassung und ist ein weiteres Wunder im Reich der Hochsukkulenten: Manche Euphorbien Afrikas und Kakteen Amerikas gleichen einander von weitem auffällig in der Triebform wie in den Stachelgebilden, die über- dies bei den Wolfsmilchgewächsen gar keine Stacheln sind, vielmehr verdornte Blüten- standstiele oder Blütenstiele, wie auch die Kakteenstacheln richtiger Dornen genannt werden sollten; aber hier ist der Begriff ,,Stachel“ zu einer allgemein üblichen Be- zeichnung geworden. Ob der Apotheker Morgan zu seiner Zeit der einzige Londoner Kakteenfreund war, wissen wir nicht. Jedenfalls kann es sonst nur noch wenige gegeben haben; botanische Sammler und berufsmäßige Kakteenjäger, die später zahlreiche Arten zu Hunderten nach Europa sandten, waren noch unbekannt, und außerdem hielt es bei den langen Seereisen schwer, lebende Gewächse in die Alte Welt zu bringen. Das Halten solcher stachligen Kuriosa konnte somit vorerst nur eine vereinzelte Liebhaberei sein. Interessanter als Lobeis Bericht über den von ihm 1570 zuerst abgebildeten Melo- cactus in der exotischen Pflanzensammlung Morgans sind die Angaben, die er zu seinen Abbildungen von Säulen- und Feigenkakteen macht, und zwar in dem 1576 in Ant- werpen gedruckten Werk von Pena und Lobei „Nova stirpium adversaria“. Hier erscheint der Name „Cereus“ zum ersten Mal, und begeistert schreibt Lobei: „Der An- blick dieser selten schönen Pflanze erfüllt Seele und Augen des Beschauers mit Be- wunderung.“ Die Feigenkakteen nennt er noch „Indorum Tune ficifera“, und von ihm erfahren wir auch, daß diese Pflanzen damals bereits nicht nur nach vielen Orten Spaniens, Frankreichs und Italiens verpflanzt worden waren, sondern daß es sie auch schon in mehreren Klostergärten bei Montpellier gab, teils in guter Kultur, teils halb verwildert; auch belgische Apotheker hätten Triebe dieser Pflanzen weiterkultiviert. Die erste Abbildung solcher Gewächse scheint von Mathiolus (1565) zu stammen, und von ihm auch die Bezeichnung „Opuntia“; er glaubte nämlich, daß es sich um eine der Pflanzen handelte, über die Plinius von dem griechischen Ort Opuns oder Opuntium berichtet hatte. Weitere Abbildungen sind uns auch von Sweertius (in „Florilegium Emanuelis Sweertii“, 1612) und Besler (in „Hortus Eystettensis“, 1613) bekanntge- worden; Munting bildet 1696 eine Topfpflanze „Opuntia major“ ab, verwendet also ebenfalls den Namen, lange bevor Miller (1768) ihn in die botanische Literatur ein- führte, zugleich mit der Gattung „Cereus“. Schon vorher, 1703, wurde durch Plumier der Name Peiresk.ia für die Gattung der blättertragenden und dadurch den übrigen Kakteen so unähnlichen Arten verwandt, während in der botanischen Literatur die 36
Abb. 17 Links: eine der ersten Opunticndarstellungen, in Francisco Hernandez ,,Dc Historia Plantarum Novae Hispaniae“, 1535; rechts: Opuntia ficus-indica in der Wiedergabe von Sweertius, 1612 Bezeichnungen „Melocactus“ und „Opuntia“ bereits auf Tournefort (1656—1708) zu- rückgehen. Da im 17. und 18. Jahrhundert der Verkehr mit Amerika lebhafter wird, sind nun auch schon mehr Kakteenarten in Europa erschienen, was darauf schließen läßt, daß das Interesse für diese Pflanzen zugenommen hat. Um jene Zeit droht der exakteren Kakteenbenennung bereits der erste Rückschlag, und zwar ausgerechnet durch Linne, den Schöpfer der binären Nomenklatur (mit einem System lateinischer Gattungs- und Artnamen), indem er sämtliche Pflanzen dieser Familie zuerst 1737 und dann endgültig 1753 als „Cactus“ bezeichnet. Er ließ dabei von dem alten Wort „Melocactus“ die beiden ersten Silben fort. Seitdem heißen diese Gewächse im Volksmund „Kaktus“ oder „Kakteen“. Der Engländer Haworth und der Franzose De Candolle schaffen demgegenüber die Grundlage einer genaueren Kakteensystematik, und Fürst Salm-Dyck schreibt um 1850 ein Werk, in dem recht viele Arten verzeichnet sind. Man erkennt daran, daß in der Heimat dieser Pflanzen bereits fleißig gesammelt wurde. In Frankreich und Deutsch- land beginnt jetzt die erste große Blütezeit der Kakteenliebhaberei, die rasch das Ver- langen nach eingehenderen Beschreibungen auf kommen läßt. Vor Salm-Dyck ent- stand schon das heute noch wichtige Verzeichnis Dr. Pfeiffers (1837), und dann er- 37
scheint von Förster (1846) die Vorläuferausgabe zu Rümplers erstaunlich reichhaltigem Handbuch von 1885. Das ungewöhnlich rasche Anschwellen der nach Europa gelangten neuen Arten ist zum großen Teil das Verdienst des Barons von Karwinsky, der von 1827—1832 zwei Reisen nach Mexiko unternahm, sowie des Berliners Dr. Poselger, der 1849 bis 1852 die Südstaaten der USA und Mexiko bereiste. Auch der in Frankfurt geborene und später in Nordamerika ansässige Arzt Dr. Engelmann trug wesentlich zur Erweiterung der Artenkenntnis bei, denn er unternahm wichtige Forschungsreisen durch die süd- lichen Vereinigten Staaten; um die gleiche Zeit publizierte Charles Lemaire in Belgien und Frankreich viel über die Kakteen, und ebenso Dr. Weber, der Generalarzt der französischen Okkupationsarmee in Mexiko, der dort nach 1861 sammelte und mit K. Schumann lebhaften Kontakt hatte, als dieser 1898 seine große Gesamtbeschrei- bung der Kakteen herausgab. Nicht vergessen werden darf hier, daß um die vorletzte Jahrhundertwende bereits Alexander von Humboldt einige wichtige Kakteenentdek- kungen in Südekuador-Nordperu gemacht hatte, die Kunth 1823 beschrieb. Zahlreiche weitere Sammler waren ebenfalls im vergangenen Jahrhundert in Amerika tätig, wie Thomas Coulter, der um 1827 größere Pflanzensendungen an De Candolle gelangen ließ; Hugh Cuming sammelte in Bolivien und Chile, der ehemalige Württemberger und spätere französische Geistliche Duss in Westindien, hier und in Mexiko ferner der Deutsche Karl Ehrenberg, im Andengebiet Dr. Otto Kuntze, in Brasilien G. A. Lind- berg, Albert Mathsson in Mexiko, Friedrich Meyen auf seiner Weltreise bereits um Abb. 18 Abbildung einer Opuntia aus dem Jahre 1696 (nach Munting) 58
1830 in Bolivien und Südperu, Benito Roezl in den siebziger Jahren in Peru, Bolivien und Mexiko, sowie Engelmanns Zeitgenosse A. Wislizenus in den Südstaaten der USA und in Mexiko. Es ist dies nur eine Auswahl der wichtigsten Namen, und die ungewöhnlich ge- wachsene Literatur des vorigen Jahrhunderts spiegelt die außerordentlich intensive Forschungstätigkeit in der Neuen Welt wider. Einem Vorläufer der vielen Sammler und Fachschriftsteller gebührt hier ein beson- derer Platz: Goethe. Auch er fehlt nicht in der Schar derjenigen, die sich schon früh für die Kakteen interessierten. Als der Begründer der vergleichenden Pflanzenmorphologie während seiner Italienreise zu Ende des 18. Jahrhunderts auf der Suche nach der Urpflanze die Lehre von der Pflanzenmetamorphose aufstellte, über die er später ein besonderes Werk herausgab, beobachtete er auch die Keimung von Opuntiensämlingen. Seine Notizen darüber, denen er zwei Zeichnungen beifügte, wurden später veröffent- licht (15). Jene Sämlinge galten ihm als eines der besten Beispiele für seine neue Lehre. Er schreibt dazu: „Der Cactus ist würcklich Dicotyledon, wie man aus vorstehender Zeichnung sieht. Gleich nach den Cotyledonen entwickelt sich ein ovaler Körper, der die künftige Gestalt der Pflanzen Theile schon anzeigt, No. 1. Aus diesem ovalen Körper kommen kleine Spitzchen in regelmäßiger Entfernung hervor, und zarte Sta- cheln treiben aus demselben Punckte. Dieser ovale Körper ist nichts anders als ein sehr ausgedehnter Stiel, der die Blätter aufhebt (d. h. ihnen die Kraft entzieht, sich Abb. 19 Goethehandschrift über Opuntiensämlinge 59
zu entwickeln). Ich ließ die Pflanze in der Stube stehen und da die heiße Sonne sie nicht mehr traf, wurde sie länglich und zeigte sich Stielartig. Dadurch erklärt sich die eine Spezies Cactus woran sich der Stiel ordentlich zeigt und die Blätter sich entwickeln/4 Auf der Rückseite steht der letzte Absatz: „Die Frucht des Cactus ist ein aufgeschwol- lenes sogenanntes großes Blat. Es wäre höchst interessant, eine genau zu anatomisieren und mit dem grünen Blat zu vergleichen.“ So sind die Kakteen also auch Goethes universalem Blick nicht entgangen, wie sich überhaupt die Deutschen unter den Kakteenbeflissenen ganz besonders hervortaten; nur zeitweilig hatten die heute wieder sehr rührigen Franzosen einen Vorsprung, wäh- rend sich die Engländer, wie es angesichts ihrer Besitzungen in Afrika naheliegt, mehr mit den altweltlichen Sukkulenten befaßten. Und so ist es bis heute geblieben. In neuerer Zeit sind dann auch noch die Holländer, Österreicher und deutschsprachigen Schweizer als sehr ernsthafte Sammler hinzugekommen. Die stärkste Initiative in der Erforschung am Standort und der sorgsamen Beob- achtung in der Kultur sowie der Festhaltung ihrer Ergebnisse während der ersten großen Blütezeit der Kakteenkunde, die von den dreißiger Jahren des vorigen Jahr- hunderts bis gegen dessen Ende reicht, bewiesen aber deutsche Sammler und Züchter. Erst im Verlauf des zweiten Dezenniums des 20. Jahrhunderts besannen sich die Nord- amerikaner auf die verdienstvolle Tätigkeit ihrer eigenen Bearbeiter, erkannten die Bedeutung der Kakteenforschung und ermöglichten mit Unterstützung der Carnegie Abb. 20 Verspätetes Biedermeier: Cereus-Abbildung von A. Blanc, aus der ältesten amerikanischen Licbhabcrlitcratur 40
Institution den Botanikern Britton und Rose, vorübergehend die Führung zu über- nehmen. Die damit entfaltete große Aktivität war verständlich, denn es handelte sich um die Erfassung von Amerikas Pflanzen No. i, wie man die Kakteen einmal drüben genannt hat; dennoch beruht die große vierbändige Publikation der genannten Autoren zu einem wesentlichen Teil auf den bereits im vorigen Jahrhundert in Europa erfolgten Veröffentlichungen. Es wäre auch selbst für die finanziell gut dotierten amerikanischen Expeditionen unmöglich gewesen, all das Pflanzenmaterial zusammenzubringen, das vorher schon von vielen Sammlern gefunden und in der Alten Welt bearbeitet worden war. In der Folge waren es dann wiederum deutsche Sammler, die mit der fortschrei- tenden verkehrstechnischen Erschließung des Kontinents unerwartet reiche Neufunde machten. So ist es das Schicksal jeder, selbst der größten Expedition, nur Wegbereiter des weiteren Fortschritts zu sein. Zu Beginn des ersten Aufschwunges war die Kakteenliebhaberei noch recht geruh- sam. Es ist die Zeit des Biedermeier. Beschaulich schildert damals zum Beispiel der würt.tembergische Professor Finckh die „Mitteilung eines fernen Freundes über sein Cactuscabinet“: „Mein Arbeitszimmer ist das vorletzte einer Reihe von Zimmern, und neben diesen befindet sich noch ein Cabinet . . . Hier ist das Hauptquartier meiner Cactussammlung (es folgt eine liebevolle eingehende Aufzählung) . . . Und wie ich Dir in diesem Cabinet das Winterquartier meiner Lieblingsblume geschildert habe, so darfst du mir nun auf den anderen Flügel des Hauses folgen, wo eine Altane mit freier Lage gegen Osten sich findet, hier ist der Sommeraufenthalt derselben; der Weg ist nicht weit, die Stellagen sind zum Transport eingerichtet; bloß ein Schutzdach von Leinwand, und für den Fall der Noth von Brettern, vervollständigt den Sommer- Apparat. So sind meine Cactus gefällig, zweckmäßig und ganz in meiner Nähe aufge- stellt. Komm und sieh selbst.“ Wir spüren es deutlich: der Nachklang dieser gemütvollen Zeit spiegelt sich in Meister Spitzwegs Kakteenfreund-Bildern wider. Man könnte meinen, hierzu sei sein Gedicht „Des Genügsamen Trost“ verfaßt worden: „Es bleibt zuletzt doch etwas noch, was muß das Herz erheben weit über jedes Unbill hoch, — und schöner macht das Leben“, wir sehen aber auch das leise Schmunzeln des Zeichners der „Fliegenden Blätter“ darin, das so lange fortgewirkt hat. In jenen beschaulichen Tagen ging es auch den Kakteenhändlern gut. Pfeiffer notiert unter anderem in seinem Handexemplar folgende „zeitgemäße“ Preise: „Cereus senilis, 2 Fuß, 40 Thaler; 8 Kakteen in 4 Sorten 27% Thaler.“ Bei einem Einkauf von dem damals bekannten Züchter Schelhase, von dem für 150 Taler bezogen wurde, ver- merkte er: „2 neue Kakteen (ohne Namen) 15 Louisdor“, was 84 Taler ausmacht. Als der humorvolle Weingart diese Notizen, die er dem inzwischen verlorengegangenen Exemplar der berühmten „Enumeratio Diagnostica Cactacearum“ entnahm, einem großen Pflanzenhändler unserer Tage zeigte, „wurden seine Augen weit, und er holte einen Seufzer so tief wie aus einem Ziehbrunnen und sagte: Die Preise müßten wir heute haben!“ Soweit Weingart, der wenige Jahre vor Ausbruch des zweiten Welt- krieges starb und ein hervorragender Kenner der Säulenkakteen gewesen war. 41
L. Pfeiffer Fürst Salm-Reiffcrscheidt-Dyck Karl Schumann N. L. Britton J. N. Rose Alwin Berger Abb. 21 Die bekanntesten Kakteenforscher Jene erste Blütezeit wird auch von einer kleinen Flut von Fachschriften begleitet. Die erste Pflegeanleitung „Über die Cactusarten und deren Cultur im Allgemeinen“ erscheint bereits 1829 in der „Weißenseer Blumen-Zeitung“. Ihr folgt, 1832 in Stutt- gart herausgegeben, die „Anweisung zur zweckmäßigen Behandlung der Cactus- pflanzen“ von K. F. W. Berge, ferner Finckhs „Die Cactus, ihre Beschreibung, Cultur und Vermehrung“, im Vergleich zu der vorerwähnten Anleitung, die mehr eine Plau- derei war, das erste ernsthafte Kakteenbuch überhaupt. Und dann erscheint — die rein botanischen, in Latein geschriebenen Bücher Pfeiffers und Salm-Dycks hier nicht mit- gerechnet — Carl Friedrich Foersters ausgezeichnetes „Handbuch der Cacteenkunde“ 1846. Rümpler setzt es 1885 in einer Neuausgabe fort. Sieht man diese durch, staunt man heute noch über den Reichtum der beschriebenen Arten; man erkennt, welche große Arbeit inzwischen in Übersee und in den heimischen Kulturen von Sammlern, 42
Botanikern und Züchtern geleistet worden ist. Der Historiker muß feststellen: aus vereinzelten Kuriosa, aus schüchternen Anfängen etwas weltabgewandter Sammelliebe und aus wacher Geschäftstüchtigkeit der ersten Händler ist eine bedeutende Pflanzen- kunde geworden, der die Liebhaber den wesentlichsten Auftrieb gaben, denn nur für sie konnten die weiten Reisen durch die Kakteengebiete unternommen werden, nur der Pflanzenfreund vermochte sie also auf Umwegen zu finanzieren. Es war selbstverständlich, daß der Fachbotaniker eines Tages die große Chance aufgreifen mußte, die sich ihm hier bot: aus der Kakteenfreundschaft noch mehr zu machen als bisher, sie zu einem der interessantesten Forschungsgebiete der Botanik zu erheben. Und dies Werk gelang dem Berliner Professor Schumann gegen Ende des vorigen Jahrhunderts in vorbildlicher und. richtungweisender Form. Sein Hand- buch „Gesamtbeschreibung der Kakteen“ ist der abschließende Höhepunkt der an Intensität ständig gewachsenen ersten Blütezeit der Beschäftigung mit den Kakteen. Dann tritt ein jäher Rückschlag ein — aber nur für kurze Zeit. Die Kakteenlieb- haberei, diese „internationale Krankheit, die die einzige ist, deren Bazillus kein Be- troffener wieder loswerden will“, wie sich einmal ein englischer Handbuchautor witzig ausdrückte, beweist bald wieder, daß sie selbst durch so starke Erschütterungen, wie es der erste Weltkrieg war, nicht mehr an Einfluß und Anreiz verlieren kann. Erst in jener Zeit beginnt der letzte große Aufstieg, mit einer anfangs geradezu hektischen Mode, über deren Auswüchse an anderer Stelle zu berichten ist. Wie verlief aber der Eroberungszug der Kakteen in den übrigen Gebieten der Alten Welt? Dem Japaner Moritane Megata (16) verdanken wir den Bericht, wann sie im Fernen Osten auftauchten: „Zweifelsohne durch ein holländisches Schiff, das 1688 Nagasaki anlief.“ Die älteste Kakteenbeschreibung Japans findet sich in Ecken Kaibaras „Yamato-Honzo“, veröffentlicht im 6. Jahr der Höei-Ära. Kaibara war der erste Naturforscher Japans und der „Yamato-Honzo“ angeblich die älteste japanische naturhistorische Literatur. Darin erscheinen auch schon die Kakteen. Es heißt dort: „Tönatu y Haöju oder Irohero., hat keine Blätter, der Typ ähnelt den Blättern des Joquaf (?) und dicker. Die Haut ähnelt der der Gurke, aber die Zweige ähneln auch denen des Joquaf. Hat manchmal kleine Blätter. 2—3 Fuß hoch. Vermehrung durch Abschneiden. Wie im Kwasi gesagt wird, ist es die seltsamste Pflanze der Welt, so seltsam ist sie. Liebt keine Kälte. In den Wintermonaten bedecken, oder sie geht ein. Nützlich als Reiniger von kleinen Ölflecken.“ Das „Kwasi“ ist ein altes chinesisches Gartenbuch (1688), die Pflanze war also bereits früher in China bekannt. Die Namen Tönatu., Haöju und Irohero sind die ersten japani- schen Kakteenbezeichnungen. Zwei davon sollen sich auf die Opuntia ficus-indica und die Opuntia tuna beziehen. Mehrere Beschreibungen finden sich auch bereits 1713 in R. Tarazimas „Wakan- Sansai-Zue“ und 1718 in R. Onos „Honzo-Komoku-Keima“. Während einer Zeit von 150 Jahren, und trotz der nationalen Isolierung der Tokugawa-Regierung, sind Jahr um Jahr neue Arten eingeführt worden. Das ist nicht verwunderlich, denn die Ja- paner lieben nun einmal bizarre Pflanzenformen. Im Mai 1867 findet bereits im Tyosyo- 43
ji-Tempel, Iriya, in Edo (alter Name für Tokyo), die erste Kakteenausstellung statt, auf der 48 verschiedene Arten gezeigt werden. 1881 folgt der Beginn einer Veröffent- lichung botanischer Namen. Verschiedene, zum Teil bedeutende Händler haben später der Liebhaberei in ihrem Lande einen größeren Aufschwung gegeben und sogar einen beachtlichen Export betrieben. Man findet heute dort die seltensten Arten in den Samm- lungen, und die Liebhaberei steht in nichts hinter der europäischen zurück. Japaner sammelten auch in Südamerika, und gegenwärtig gibt es nicht weniger als vier Fach- zeitschriften und mehrere Buchausgaben in Japan; sehr rege Autoren sind Hajime Oku und Yoshio Ito. Aber die Kakteen hatten inzwischen auch andere Kontinente erobert, von der Überflutung gewisser Landstriche Australiens, Indiens und Südafrikas abgesehen. Sie fanden ihren Platz in dem berühmten Garten von Buitenzorg auf Java. Australische und neuseeländische Fachgesellschaften entstanden, selbst indische Maharadschahs er- warben große Sammlungen, und eine der schönsten war die von Mohamet Ali, dem Onkel des früheren Königs Faruk von Ägypten. Höchst eigenartig war dagegen das Schicksal der Kakteenkunde in den Heimat- ländern der Pflanzen. Bekanntlich wird kein Prophet in seinem Vaterland geehrt. In Argentinien haben sich nur zwei Wissenschaftler mit ihnen befaßt: nach der Jahr- hundertwende Carlos Spegazzini und in jüngerer Zeit das Ehepaar Castellanos. In Uruguay waren die Botaniker Arechavaleta, Herter und von Osten sowie der Privat- sammler Müller-Melchers bemüht, die Kakteenflora ihres Landes zu erfassen. Ihre und Spegazzinis Arbeit war eine gegenseitige Anregung; aber dann wurde es wieder still, wie es in Brasilien immer gewesen war, wenigstens, was die einheimischen Bearbeiter anbetrifft. Die interessante BJjipWz>-Flora war größtenteils bereits durch europäische Autoren beschrieben worden; zuletzt hatte sich noch der Schwede Lindberg mit ihr beschäftigt. Mein alter Freund Otto Voll stand dagegen im Botanischen Garten von Rio de Janeiro auf einsamem Posten, obwohl Castellanos in Zusammenarbeit mit Campos-Porto einen RZ>zjöJ7z/z?-Katalog verfaßte, der aber mehr kompilatorische Be- deutung hatte. Voll interessierte sich jedoch für alle selteneren Arten, und ich verdanke ihm viele wertvolle Mitteilungen. 1933 war es dann wieder ein Deutscher, der Berliner Botaniker Werdermann, der mit seinem Begleiter Lehmann die Trockengebiete Nord- ostbrasiliens durchquerte und uns mit seinem Buch „Brasilien und seine Säulenkakteen“ ein lebendiges Bild der ungewöhnlich schönen Cereen-Flora jener Region hinterlassen hat. In Chile, dem Küstenstaat mit — wie wir heute wissen — vielen merkwürdigen und reizvollen Arten, bemühte sich im vorigen Jahrhundert nur Philippi um die Kak- teen, später Soehrens und Looser. Dann war es dort mit der einheimischen Kakteen- kunde vorbei. In Peru kümmerte sich überhaupt niemand um sie; das ist sehr merk- würdig, denn dieses Land ist reich an prächtigen Arten. Eine der seltsamsten Gattun- gen ist die breitkandelabrige Neorairnondia^ die von über 2000 m Höhe bis in die Zone der Brandungsspritzer hinabsteigt, zum Teil bis 10 m Höhe erreicht und — ähnlich wie es der Klee in Irland oder die Kakteenarten Hcbinocereus fendleri in Neumexiko und die Carnegiea gigantea in Arizona sind — die „nationale Staatenpflanze“ Perus sein 44
könnte, denn ihre Verbreitung reicht von der Nordgrenze des Landes bis in jene chilenischen Gebiete, die einst Peru verlorengingen. Man fragt sich, wie es möglich war, daß gerade in den beiden letztgenannten Ländern so wenig für die Erforschung der interessantesten Flora getan wurde. Wie sehr sie lohnt, bewies in jüngster Zeit der Heidelberger Botaniker Rauh, der in Peru so zahlreiche Neufunde machte, daß er darüber ein umfangreiches Werk herausgeben konnte; auch die neuerlichen Reisen Ritters in Chile zeigten nicht geringere Ergebnisse. In Westindien hat man sich eben- falls kaum mit den Kakteen befaßt; eine Ausnahme macht Kuba: Hier waren es Padre Leon und Padre Alain, denen wir in neuerer Zeit noch manchen wertvollen Fund verdankten. Eine in der Dominikanischen Republik erschienene Arbeit ist so gut wie unbekannt geblieben. Am intensivsten wurde — wie könnte es anders sein — die einheimische Kakteenforschung in Mexiko betrieben. Zuerst befaßte sich Ocho- terena mit ihr. 1937 gab dann die Botanikerin H. Bravo ein umfangreiches Handbuch heraus, „Las Cactaceas de Mexico“, ein wertvolles Nachschlagewerk für die Kakto- logen; sie gründete auch eine mexikanische Kakteengesellschaft mit einer eigenen Zeitschrift. Überblickt man die Geschichte der einheimischen Kakteenforschung in Latein- amerika, so wundert man sich, daß mit wenigen Ausnahmen keine modernen zusam- menfassenden Darstellungen zumindest der Kakteenflora in den einzelnen Ländern erschienen. Vielleicht waren daran aber die vielen ausländischen Sammler schuld, die dies als nicht lohnend erscheinen ließen, zumal sie ihr lebendes Material und die ge- fundenen Samen nur nach Nordamerika, Japan und Europa gelangen ließen: die Deutschen Stümer und Marsoner (Argentinien), Blossfeld (Peru und Argentinien) so- wie die Amerikaner Akers, Johnson, Hutchison (Peru) und Mac Dougall (Mexiko), abgesehen von Schwarz (Mexiko) sowie Ritter und mir, die wir uns sowohl mit Mittel- wie auch Südamerika befaßt haben. Eine besondere Würdigung verdient die Entwicklung der Kakteenliebhaberei und -forschung in den Vereinigten Staaten. Sie hat einen anderen Verlauf genommen als in Europa. Die ersten „cactus fans“ gab es in Kalifornien um 1850, zur Zeit, als dort nach dem Ende des Goldrausches eine fortschreitende Stabilisierung der Eigentumsverhältnisse eintrat. Es war auch die Zeit, in der hauptsächlich Dr. Engelmann (1804—1884) — wie vorher der irische Botaniker Th. Coulter — in den Südstaaten sammelte. Danach blieb es merkwürdigerweise lange ruhig. Erst 1894 wurde in Baltimore eine kleine Vereini- gung ins Leben gerufen, wohl durch die Initiative des Züchters Blanc, der 1890 seine „Hints on Cactus“ herausgegeben hatte. Sogar eine kleine Zeitschrift erschien, das „Baltimore Cactus Journal“. Das war aber gleichsam nur ein flüchtiges Strohfeuer. Eine denkwürdige Entwicklung bahnt sich dann 1904 an, als Dr. Rose mit den Vorarbeiten zu seinem großen Kakteenwerk beginnt. Er besucht Europa, Expedi- tionen, die das Carnegie Institut ebenso finanzierte wie auch die spätere vierbändige Ausgabe, bereisen den ganzen Kontinent, zahlreiche Botaniker in allen Kakteenlän- dern stellen sich unterstützend zur Verfügung, und 1919 ist es dann soweit: der erste 45
Abb. 22 Einer der ersten Kakteengärten in Kalifornien F. C. Rost’s Cactus Garden, mit mächtigen Kammformen von Ferocactus wisli^enii Band der großen Ausgabe erscheint, ein Standardwerk von Weltgeltung. Als ich spä- ter angesichts der auch danach noch steigenden Zahl von Neufunden an ein ähnliches Unternehmen gehe, ganz auf mich gestellt, drohte mich viele Male der Mut zu ver- lassen, es meinen berühmten Vorgängern ohne deren Mittel nachtun zu wollen. Der erste Weltkrieg war vorüber, als diese vielversprechende Entwicklung begann. In Mexiko sammelt nun auch der Tscheche Fric, dessen später noch gedacht werden muß. Er und die Monographie der Carnegie Institution führen in Europa zu einem weiten Aufstieg der Kakteenliebhaberei. In Nordamerika aber bleibt es um sie vorerst überraschend still, trotz der monu- mentalen Ausgabe Brittons und Roses. Es mutet heute an, als hätte man von ihr in den Städten des Ostens keinerlei Notiz genommen. Dem nüchternen Sinn des Ameri- kaners erschien die Beschäftigung mit diesen merkwürdigen Gewächsen wohl als reichlich versponnen; sie mochten für den Botaniker oder als botanisches Hobby in- teressant sein, aber bei der Jagd nach dem Dollar hielten sie doch nur auf, und außer- dem war das Klima viele Monate des Jahres ungünstig. Drüben, auf der anderen Seite» in Kalifornien, galten die Kakteen wie in ihren Heimatländern auch lange noch als ein übles Unkraut. Wer sich mit ihnen beschäftigte, war ein „Outsider“, ein merkwürdiger Eigenbrötler. Aber der „Fantastic Clan“, wie ein späterer Autor sein Buch über die stachligen Gewächse nannte, wartete nur darauf, in jenem für sie idealen Landstrich 46
ruhmreichen Einzug zu halten. Ein paar passionierte Wüstenläufer, wie es damals Orcutt und Rost waren, oder Howard Gates, der Niederkalifornien auf den in jener Zeit noch reichlich unwegsamen Straßen mit seinem altertümlichen Camion mehrfach durchquerte, bis er, wie Rost, seinen wunderlichen Kakteengarten anlegte und zur Grundlage seines Handelsbetriebes machte, erregten wohl als erste Aufsehen mit ihren seltsamen Funden. Bisher kannte man meist nur andere Kakteen. Um die älteste spa- nische Abtei Kaliforniens, die Misiön San Diego, standen schon seit Jahrhunderten in unverminderter Frische alte Opuntienhecken. Sie mochten manchen ein zweifel- haftes Obst liefern, aber sie gehörten zu den „Tunas“, mit deren Stacheln man draußen üble Erfahrungen machen konnte, besonders mit denen der zylindrischen „Chollas“. Und so etwas sollte man sammeln, zu seiner Liebhaberei machen? Man spürt förmlich in der Atempause zwischen dem Erscheinen des Werkes von Britton und Rose und dem Beginn der organisierten Kakteenliebhaberei im Westen die anfängliche Skepsis und Abwehr. Bald aber ist der Siegeszug der Kakteen auch hier nicht mehr aufzuhalten. Im Juli des Jahres 1929 wird die Cactus and Succulent Society of America und eine Zeitschrift für sie gegründet; der damalige Präsident Dr. Arthur D. Houghton erinnert in dem Vorwort die anfangs spärlichen Bezieher an die Bedeutung dieser amerikanischen Pflanze wie auch der Publikation des Carnegie Institutes und beschwört sie: „You must make it a success if such it is to be. It takes work; do yours!“ Und man tat nun seine Arbeit. Bis heute hat der Herausgeber Scott E. Haselton die Zeitschrift zu einer der wichtigsten Quellen für den Kakteenforscher gemacht; man bezog auch die alt- weltlichen Sukkulenten mit ein. Große und wertvolle Sonderausgaben über die sukku- lenten Euphorbien und Stapelien erschienen, viele Einzelwerke, die man hier gar nicht alle aufzählen kann. Und doch soll diese Bewegung einen typisch amerikanischen Ver- lauf nehmen. In unseren Tagen ist die Gruppe der ernsthaften Sachbearbeiter wieder klein geworden, die Mitgliederzahl der Gesellschaft jedoch gewachsen. Ein Wider- spruch? Nein: die Folge der Massenanzuchten, die man in Blumengeschäften und sonstwo erwerben kann. Etiketten und Namen sind weniger wichtig. Man freut sich, daß es so merkwürdige Pflanzen gibt, und kauft neue, wenn die alten eingegangen sind. Man trifft sich in vielen kleinen Teilklubs, aber man will den Fachleuten keine Konkurrenz machen. Und diese wollen wieder keine Konkurrenz von „Liebhaber- Botanikern“. In den USA ist merkwürdigerweise deren Bedeutung niemals recht er- kannt worden wie in Europa, wo ihnen die Sukkulentenkunde viele wertvolle Beob- achtungen verdankt. Vielleicht liegt es an der Mentalität der amerikanischen Berufs- botaniker und Privatsammler, daß sich hierin die Verhältnisse drüben so sehr von den altweltlichen unterscheiden. Der Vormarsch des stachligen Hobbys beginnt also in Kalifornien um das Jahr 1929. Man entdeckte mit ihm’ ein come back der romantischen Vergangenheit im Wilden Westen. Einzelne Liebhaber oder ganze Gesellschaften veranstalteten, zum Teil mit Spezialkonstruktionen von Autos, kleine Expeditionen in die Wildnis, die unfern der großen Städte noch in uralter Unberührtheit ihre Pflanzenschätze hütet. Für entfernter 47
Wohnende beginnen tüchtige Geschäftsleute schon bald mit der Gründung von Kakteenfarmen für den Versand im großen, auch im benachbarten Mexiko. Und nun unternehmen die Kakteen gleichsam einen Großangriff mit dem Erschei- nen der ersten mexikanischen Vertreter ihrer Familie. Um die Jahrhundertwende hatte der Berufssammler Mac Dowell nur Europa beliefert. Jetzt ist es der Maler Schmoll, der mit seiner Frau eine Kakteenfarm in Cadereyta gründet und in den USA ein gutes Absatzgebiet findet. Dann werden sie von dem erfolgreichsten Mexikosammler abge- löst. Seine Geschichte ist ähnlich seltsam wie die der Kakteen. Im Jahre 1928 fahre ich von Kolumbien nach Mexiko, um dort die Vorarbeiten für mein Kakteenwerk in Angriff zu nehmen. Damals hat die Hamburg-Amerika-Linie in jener Gegend noch recht alte Schiffe laufen. Mein Dampfer ist die ,,Teutonia“, die kurz darauf verschrottet wird. Der Aufenthalt an Bord ist nichts weniger als ange- nehm; die Passagiere sind fast alle seekrank, denn wir mußten einen schweren Norder abreiten. Zuletzt sitzen nur noch zwei Personen an der wackligen Tafel: außer mir ein Mann namens Schwarz, ein hagerer Geselle, der irgendwoher aus Venezuela kommt, wo er Rohrleitungen für Erdöl geschweißt hat. Nun will er nach Tampico, in Erinnerung an die goldenen Zeiten des Petroleum-Booms; er hofft, daß dort mehr zu holen ist. Eines Tages fragt er mich nach meinem Job. Ich sehe heute noch sein Gesicht: Kakteen sammeln? Und deswegen kommen Sie von soweit her? Kann denn ein Mensch davon leben? Er selbst beweist es. Als es mit der Arbeit in den Ölfeldern nicht klappt, geht er nach San Luis Potosi. Die Sache mit den Kakteen kommt ihm nicht aus dem Sinn. Er legt ebenfalls eine Kakteenfarm an und beginnt, das Land systematisch zu durch- suchen. Gleichzeitig taucht noch ein weiterer Deutscher in Mexiko auf: Viereck, der sich, wie Schwarz, anfänglich vergeblich als Farmer versucht; später hat er mehrere Jahre lang im Nordosten des Landes gesammelt. Schwarz betreibt die Sache jedoch zäher, und schließlich wird er zum bedeutendsten Händler in dem nördlichen großen Kakteengebiet. Schon bald entdeckt er die guten Absatzmöglichkeiten bei dem jungen Hobby in den USA; die prächtigen Arten des südlichen Nachbarlandes beleben die Liebhaberei noch weiter. 1937 besann sich die nordamerikanische Regierung darauf, daß es in dem Gebiet der Papago-Indianerreservation ein einzigartiges Landschaftsbild zu erhalten gilt. Man hatte damals schon mit der Gründung von Naturschutzparks begonnen. Am Yellow- stone-Fluß, am Mount Rainier, in Utah und Kalifornien liegen großartige Landschaf- ten, deren Unberührtheit vor dem immer schneller vordringenden Verkehr geschützt werden muß. Und nun nimmt sich der National Park Service, ja sogar Präsident Roose- velt, auch der einsamen Riesenkakteenlandschaft in Südarizona an. Ein 330690 Acres (133 qkm) großes Territorium wird unter Naturschutz gestellt und dieses am 16. April 1937 zum ,,Organ Pipe Cactus National Monument“ erklärt, eine Wildkakteenlandschaft mit den mächtigen Carnegica gigantea \ nur eine Straße führt hindurch, von Ajo nach Sinoi- ta. Bereits 1934 war das viel kleinere Gebiet an den Hängen der Santa-Catalina-Berge als „Saguaro National Monument“ sichergestellt worden; es ist nur 60000 Acres (24 qkm) 48
Abb. 23 Moderne Architektur und Kakteen: Nachtaufnahme eines Bungalow in Florida mit zwei reich blühenden Cereus bexagonus Abb. 24 Hier dienten einem Kaktccnfrcund die Opuntien als Motiv für Wandbemalung und Möbclhcrstclking groß und liegt ungefähr 25 Meilen nördlich von Tueson. In jener Gegend entsteht später ein „Kakteen-Wüstengarten“ mit einer kleinen Forschungsstätte, der eine Reihe von Jahren William Taylor Marshall vorstand. Man hat inzwischen die Kakteen zu ,,Staatsblumen“ von Neumexiko und Arizona ernannt und versucht jetzt auch, das wilde und übermäßige Sammeln einzudämmen, das die Folge der auf blühenden Liebhaberei ist. Nach dem Vorbild des „bootlegger“ prägt man den Begriff des „cactuslegger“ und prangert jene an, die aus Raffgier, Über- mut oder Zerstörungswut die Kakteengebiete unsicher machen. Man verlangt auch die Schließung der ,,Kakteen-Konfektfabriken“, womit man aber nicht viel Glück hat. Und die Kakteenplünderer sind nicht so leicht ins Bockshorn zu jagen. Manche lassen es einfach darauf ankommen. Als man einmal einen solchen dreisten Sünder dem Sheriff von Pirna County vorführt, weil er nicht weniger als tausend Triebe der Carne- giea zum Verkauf abgehauen hat, ihm seine Ausreden, es handle sich um wissenschaft- liche Zwecke, nicht helfen und er auf Grund der „Arizona Conservation Law“ zu einer Geldstrafe von 150 Dollar oder 150 Tage Gefängnis verurteilt wird, bezahlt er lächelnd den Betrag und meint, soviel sei bei dem Geschäft über gewesen, und außer- dem sei ihm ein Tag Freiheit einen Dollar wert. 4 Backeberg, Wunderwclt, 4. A. 49
Abb. 25 ,,Wüstennacht“ nannte der Innenarchitekt dieses Arrangement, bei dem offenbar der berühmte „Ship-Rock“ an der Nordgrenze von Neumexiko und Arizona Vorbild war In Amerika geht es nicht ohne „publicity“ ab. Große Firmen nehmen die Kakteen als Wahrzeichen auf, Malschulen etablieren sich in der Wildnis, um den Schülern Ge- legenheit zu geben, die seltsamste Flora des Landes zu studieren und naturgetreu wiederzugeben. Sein Hobby auch nach außen zu zeigen, beginnt eine Zeitlang zum guten Ton zu gehören. Ein berühmter Filmkomiker läßt seinen soeben importierten größten Melocactus vorher auf einer Ausstellung sehen; andere schmücken ihre Hem- den und Kleider mit merkwürdigen Kaktusmotiven, begabte Maler der Navajo- Indianer schaffen neuartige, phantastische und wirkungsvolle Bilder von ihnen, wer es sich leisten kann, legt sich einen Kakteengarten an mit möglichst großen, alten Pflanzen, wie Victor Morawetz, für den ich auch in Südamerika sammelte. Die Auf- fahrt zu seinem Landhaus in Südkarolina säumt eine Säulenallee mächtiger Carnegieasy die ein kleines Vermögen gekostet haben. Als ein Gebiet für eine Talsperre geräumt werden muß, wandern die dort wachsenden Säulenkakteen in die Gärten wohlhaben- der Sammler. In Kalifornien gründet Huntington seinen berühmt gewordenen Sukku- lenten-Garten, Charles Deering unternimmt es, die Reste der Pilosocereen auf den ehe- dem einsamen Keys von Florida zu schützen, auf die jetzt auch die neue Zeit mit Mili- tärstützpunkten vordringt. Es wird vornehm, sich vor seine Villen Kakteen pflanzen zu lassen. Tüchtige Händler und Innenarchitekten erfinden die sogenannten „Arrange- ments“, Tontöpfe und Schalen oder Miniaturgärten mit Stimmungsanpflanzungen, die man dann „Wüstennacht“ oder so ähnlich nennt; die japanische Kunst des Blumen- arrangicrcns scheint hierbei Pate gestanden zu haben. Und dann besinnt sich ein pfiffiger Italiener darauf, daß es Opuntien schon lange am Mittelmeer gab und seine Landsleute von dorther doch das Kakteenobst kennen. Er will ihnen in der Neuen Welt eine heimatliche Erinnerung bringen und gründet eine „Cactus Apple Farm“. Der Betrieb wächst ins Riesenhafte: Großpackereien und Waggonladungen sorgen 50
Abb. 27 Miss Cactus, die Kakteenkönigin eines amerikanischen Kaktusklubs Abb. 26 Kaktustracht begeisterter Kaktccnfrcundc in Kalifornien Abb. 28 Ein berühmter Kakteengarten: Morawetz Garden (USA) 4*
dafür, daß man endlich auch in Kalifornien — gewissermaßen hintenherum — wieder Kakteenobst essen kann (von dem wildwachsenden wissen seine Abnehmer anschei- nend nicht viel oder sie mißtrauen dieser Art von „Kakteenäpfeln“). Und — wie könnte es in dem Lande der Apfelsinen- und Dattelköniginnen anders sein — eines Tages kommt jemand auf den Gedanken: Wir brauchen auch eine „Kakteenkönigin“. Man schmückt die Schöne mit einem wackligen Drahtgespinst, auf dem die eigentliche „Krone der Schöpfung“ hockt: ein Kaktus. Man sieht: die Kakteenliebhaberei hat in den USA nicht nur einen sehr lebhaften, sondern auch echt amerikanischen Verlauf genommen. Später hat Walt Disney mit seinem Farbfilm „Die Wüste lebt“ auch den Kakteen und dem Wunder ihrer Blüten ein würdiges Denkmal gesetzt. Wesentlich anders spielt sich die weitere Entwicklung in der alten Heimat der Kakteenkunde, in Europa, ab. Hier hatte um die Jahrhundertwende mit dem großen Handbuch Schumanns, des Gründers der Deutschen Kakteen-Gesellschaft (um 1891), die voraufgegangene Blütezeit der Liebhaberei zugleich ihren Höhepunkt und ihren vorübergehenden Abstieg erreicht: den Höhepunkt mit Schumanns Werk, das ohne den vorherigen Aufschwung nicht denkbar gewesen wäre, und den zeitweiligen Ab- stieg, weil eine so schwungvolle Entwicklung auf eine Atempause zusteuern mußte, die dann der erste Weltkrieg noch vertiefte. Nach Schumanns Tod wird Gürke sein Nachfolger. Die bedeutendsten deutschen Autoren jener Zeit sind Quehl (vor allem als Mamillarien-Sachbearbeiter) und Wein- gart, auf dessen Cereenkenntnisse selbst Rose später noch zurückgreift. Mit Quehl tritt auch bereits Bödeker, der spätere hervorragende Mamillarienkenner, in den Vor- dergrund. In Italien beginnt Riccobono als erster mit der weiteren Gattungsaufteilung. Und noch ein Name ragt aus jener Zeit hervor: Alwin Berger. Aus gärtnerischen An- fängen ist er zum Kurator der Hanbury-Gärten in La Mortola aufgestiegen und nimmt als solcher internationalen Kontakt auf; seine vorbereitenden Arbeiten über die Cereen werden später zu einem wichtigen Bestandteil der Roseschen Veröffentlichung in der Carnegie Institution. Aber auch auf dem Gebiet aller übrigen Sukkulenten ist Berger in ungewöhnlicher Vielseitigkeit tätig. 1912 vermittelt er dem deutschen Leser den interessanten Bericht J. H. Burkills im Botanical Survey of India, welche Kakteen da- mals bereits in Ostindien verwildert sind: die Nopalea coccinellifera — daß auch die Nopaleas bereits soweit nach Osten vorgedrungen sind, ist vorher unbekannt geblie- ben — und die Opuntia vulgaris (monacantha), elatior und dillenii. Burkill hat den ge- schichtlichen Verlauf der Einwanderung genauer untersucht. Wenn sich damals die Kakteenliebhaberei noch verhältnismäßig lebendig gestaltet, so gebührt das Verdienst daran zwei Namen: dem belgischen Züchter De Laet und dem alten Haus Friedrich Adolph Haage jr., Erfurt. De Laet, ein ehemaliger Kaffee- händler, hat in Contich bei Antwerpen große Anlagen zur Eingewöhnung von Kak- teenimporten geschaffen und führt vor allem aus Mexiko von dem Sammler Mac Do- well zahlreiche Arten ein. Wer jene Bestände gesehen hat, wird den Anblick der prächtigen Pflanzen nicht vergessen können. Und ebenso war es bei Haage. Auch dort
Abb. 29 Europas älteste Cereen im Kasinogarten von Monte Carlo 53
häuften sich die Importen in so großer Zahl, wie es gegenwärtig, in der Zeit der schnellen Samenanzucht, fast nirgends mehr zu sehen ist. Welch wunderbaren An- blick bieten die Massen der bunten Gesellen, der zahllosen silbergrauen, steinartigen Bischofsmützen, der seltsam geformten Schaustücke in funkelnden Farben. Das mußte die Herzen der Pflanzenfreunde gewinnen. Die Liebhaber von damals muten uns demgegenüber etwas absonderlich an. In den alten Veröffentlichungen sieht man meist uns Heutigen recht ungewöhnlich erschei- nende Herren, manche mit wallenden langen oder ,,Es-ist-erreicht“-Bärten, würdige und ein wenig pedantisch wirkende Gestalten, denen man ihre eigenwillige Passion ansieht. Viele sind jedoch ausgezeichnete Kenner gewesen, wie die Publikationen jener Zeit beweisen. Eine in breite Kreise vorgedrungene Liebhaberei gibt es aber noch nicht, und der erste Weltkrieg bringt einen vorübergehenden Tiefstand. Um 1918 taucht der Name des tschechischen Sammlers Fric auf, der zuerst für De Laet nach Südamerika geht, auch Haage beliefert und später für den angesehenen ,,Phyllokakteen“-Züchter Curt Knebel, Erlau i. Sa., in Argentinien und Paraguay ar- beitet. Er war ein Original. Vorher hatte er für Völkerkundemuseen gesammelt, war Reiherjäger und ein abenteuernder Globetrotter gewesen. Sein Heim vor den Toren Prags glich eher der Behausung eines zivilisierten Medizinmannes. Zahllose Geschich- ten um seine seltsamen Einfälle sind uns überliefert, und als er starb, hatte er eine Art Zauberermythus um sich verbreitet. Ich habe lange mit ihm zu tun gehabt und weiß daher, welch sonderlicher und ungewöhnlicher Mensch mit unbegreiflicher Redner- gabe er war — er konnte alle von allem überzeugen, selbst gegen deren Überzeugung, könnte man sagen —, aber ich erinnere mich seiner auch als eines hervorragenden Pflanzenkenners und Schrittmachers der großen Kakteenmode, die nach dem ersten Weltkrieg Deutschland geradezu überfällt. Denn damals geschieht etwas Seltsames. Man wird es psychologisch kaum recht ergründen, ebensowenig wie es zu dem Tulpenfieber in Holland kam, wo man um die Mitte des 17. Jahrhunderts für eine Zwiebel 13000 Gulden bezahlte — und wo- gegen der Preis für den ersten Roseocactus kotcboiibeyarms, eine Kakteenart, die 1840 nach Europa gelangte und mit einem Betrag von 200 Dollar einen Erlös von etwas mehr als ihrem Gewicht in Gold erbrachte, nur ein Kinderspiel ist —, jedenfalls entsteht plötzlich in ungestümem Aufstieg eine bis dahin unbekannte Kakteenmode. Heute ist sie längst vergessen, aber damals war es eine merkwürdige Erscheinung: die Kak- teenfreundschaft hatte sich sozusagen gespalten; auf der einen Seite standen die ernsten, aber etwas eigenwilligen Fachliebhaber, wie man sie schon nennen muß, auf der an- deren Seite die „Nichtorganisierten“, unzählige Pflanzenfreunde, die jäh ihr Herz für die Kakteen entdeckten, gleich welcher Art oder welchen Namens, Hauptsache: es war ein Kaktus. Leute, die sonst nie etwas mit Kakteen zu tun gehabt hatten, handelten plötzlich damit. Der alte Karstadt führte damals von Schwarz 30000 Importen ein; es waren die schönsten Pflanzen, die ich jemals sah. Und fast alle gingen an der Un- erfahrenheit der Käufer zugrunde. Massenanzuchten von Sämlingspflanzen entstanden; für die Samensammler in Übersee war Hochkonjunktur. Schließlich verebbt die Mode 54
Abb. 30 Kaktccnbcpflanzung — als Wahrzeichen des Landes — am Zugang der Pan American Highway zur Innenstadt von Mexico City in einer Flut von billigen Warenhauspflanzen, die das breite Publikum übersättigen und die große Zahl ihrer Anhänger fast ebenso schnell wieder verschwinden lassen, wie sie entstanden ist. Und auch hier gibt es eine Duplizität der Ereignisse: In Japan geschieht um jene Zeit fast das gleiche. Die Kotyo-en-Züchterei verschickte 1935 allein 2,1 Millionen Samen von Kakteen und anderen Sukkulenten ins Ausland, und in der Folge sanken die Preise der Zuchtkakteen bis auf wenige Cent ab. Durch den Verlauf der Kakteenmode erwies sich, daß eine Liebhaberei sich nie als flüchtiges Spiel von zunehmendem Angebot und raschem Absinken der Preise hält, sondern nur, wenn wirklich passionierte Sammler sich damit befassen, in diesem Falle: denen die Pflanzen nicht Massenware, sondern wertvolle Einzelstücke sind, Besonder- heiten in stiller persönlicher Beziehung, und nicht Jedermanns-Lieblinge. Aber die Mode hat auch ihr Gutes gehabt. Aus der Schar flüchtiger Allerweltssammler kam mancher wahre Pflanzenfreund hinzu. Und nun beginnt eine ganz neue Phase. Aus der Mode entwickelt sich die ernst- hafte Liebhaberei. Systematisch bereisen deutsche Sammler die Neue Welt, und hierbei zeigt es sich, wieviel noch Unbekanntes jene wilde, ursprüngliche Natur birgt. Die Zahl der neuen Gattungen und Arten wächst ständig. Die Fachzeitschriften in Deutsch- land und ebenso in Holland, in England wie in der Tschechoslowakei spiegeln jene erste beglückende Zeit des abermaligen Aufstieges wider. Es ist nicht übertrieben, hier von „beglückend“ zu sprechen. Der Außenstehende vermag es vielleicht nicht zu ermessen, welch eigenartiger Reiz darin liegt, eine Importensendung zu erhalten und zu untersuchen, die Überraschung, die sich einstellt, wenn sich die Papierumhül- 55
lung öffnet und ein bisher unbekanntes Gewächs darin zutage kommt. „Daß es immer noch Neues gibt!“ dieser freudige Ausruf wiederholte sich damals ständig und ist bis heute nicht verstummt. Auch für den Sukkulentenbotaniker bricht damit eine neue Ära an. In der Deut- schen Kakteen-Gesellschaft folgten Gürke in der Leitung zuerst Vaupel, dann Werder- mann und zuletzt Dölz, dem es gelang, die Veröffentlichungen der Vereinigung in einer bis dahin nicht gekannten Reichhaltigkeit zu erweitern. Die anfangs fast läh- mende Nachwirkung des großen amerikanischen Werkes von Britton und Rose ver- ebbte. Zuerst hatte man geglaubt, nun sei alles bekannt und erforscht, jetzt könne es keinen lebendigen Fortschritt mehr geben. Aber schon die lebhaften Diskussionen um die überraschend neuen systematischen Fragen belehrten die Kakteenfreunde eines Besseren; fast schlagartig tat sich die Erkenntnis auf, daß auch die umfangreiche Monographie der Carnegie Institution nur ein Übergang gewesen sein konnte, daß noch viele Gebiete unerforscht waren, neue Probleme der Lösung harrten. Denn darin unterscheiden sich die Areale der neuweltlichen Sukkulenten von denen der altwelt- lichen. In Afrika waren die Standorte dieser Pflanzen zugänglicher, man fand dort bei weitem nicht mehr soviel Unbekanntes wie in Amerika; allein die Anden erwiesen sich für den Fachsammler als eine Region voll weißer Flecke. Erst der fortschreitende Straßenbau hat sie erschlossen. Und heute wissen wir, daß damit neue pflanzenkundliche wie systematische, phylogenetische und morphologische Fragen in den Vordergrund treten. Der zweite Weltkrieg hat im Grunde genommen an dieser Entwicklung wenig ge- ändert. Er bedeutete nur eine Atempause in dem schon vor ihm erkennbaren weiteren Aufstieg, und die Folgen machten sich bald bemerkbar. Die Fachzeitschriften Eng- lands, Frankreichs und der Schweiz kamen zu den bisherigen mit immer reicheren Ausgaben hinzu, und so ist es bis heute geblieben. Europa hat damit an seine alte Tradition angeknüpft; hier wird die Sukkulenten- kunde gegenwärtig wieder so intensiv wie in den besten Tagen der vorhergehenden Blütezeit betrieben. Während in den Vereinigten Staaten nach dem Ergänzungsband zum Britton und Rose, den Marshall herausgab, mit dem er aber nicht den hohen Stand seiner Vorgänger erreichte, die Sukkulentenforschung auf eine einzige Fach- zeitschrift beschränkt ist, weist die europäische Tätigkeit auf diesem Gebiet allein fünf gute Fachblätter belehrenden, wissenschaftlichen und unterhaltenden Inhalts auf; da- neben steht eine Reihe von neueren Buchveröffentlichungen in England, Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Eines ist aber auch heute noch aus der „guten alten Zeit“ erhalten geblieben, und das erklärt vielleicht, warum es gerade unter den geistig Schaffenden so viele Anhän- ger der Kakteen gibt, neben allen denen, die ihr Beruf in eine anstrengende Arbeit einspannt: die große Ruhe, die von diesen starren und doch so lebendigen Pflanzen ausgeht, der unvergleichbare Reiz, wenn man sich mit ihren vielen kleinen Wundern ernsthaft beschäftigt, und damit der wohltuende Zwang zum Besinnlichen, dem unsere raschlebige und oft so laute Zeit entgegensteht. Und nicht zuletzt ist es das immer 56
wieder Überraschende, das die Kakteen für ihre Freunde haben, was diesen Pflanzen einen so weltweiten Anhang verschaffte. Matthias Turb hat einmal in seinem ebenso humorvollen wie philosophischen Büchlein „Mein kleiner grüner Kaktus“ gesagt: „Wenn auch sonst nichts feststeht, was mit Kakteen zusammenhängt —, das eine ist sicher: die erste Bedingung für eine herzhafte und unerschütterliche Freundschaft mit ihnen ist eine gewisse philosophische Grundstimmung. Ohne diese solide Basis einer inneren Heiterkeit läßt sich mit Kak- teen nichts erreichen“, und weiter: „Die philosophische Grundstimmung des Anfän- gers gegenüber seinen Kakteen ist eine große Verwunderung. Da nun alle Weisheit damit anfängt, daß man sich wundert, ist er in diesem Falle einmal auf dem richtigen Wege. Er wird sich noch viel mehr wundern!“ Zweifellos, die Verwunderung über Gestalt und Eigenart der Kakteen ist es, was viele von ihnen hintreibt, Menschen, die an dem Erstaunlichen in der Natur ihre Freude haben. Aber das ist nur eine Teilerklärung für das ungewöhnliche Interesse, das die stachligen Gewächse immer wieder fanden. Turbs kleine Betrachtung sieht da — angesichts der Fülle dessen, was sich uns hierbei aufdrängt — nur die eine Seite, das, was bei manchem die Voraussetzung sein mag, um ein rechter Kakteenfreund zu sein. Das Phänomen in seiner Gesamtheit jedoch, all das, was mit dem Wort „Kakteen“ zusammenhängt, die fast magische Anziehungskraft, die sie — vom wissenschaftlichen Interesse ganz abgesehen, und auch hier ist es das Besondere an ihnen — seit jeher auf viele Menschen ausübten, ist einfach nicht zu erklären. Das aber ist das wahre Wunder der Kakteenliebhaberei; und so möge es bleiben, denn es ist zugleich ein Wunder der Natur, mit dem wir uns hier befassen. 57
Stachlige Kuriosa Die Kakteen in der Dichtung und der Karikatur Zu berühmten Namen gehören nun einmal Anekdoten; bei den merkwürdigen Kakteen nennt man sie besser Kuriosa. Oder ist dies etwa keine kuriose Anekdote?!: v\ls die westindische Insel St. Cristo- pher zwischen England und Frankreich geteilt wurde, pflanzte man quer durch das Eiland drei Reihen von Opuntien, um die Grenze zu kennzeichnen, sicher die eigen- artigste Grenzziehung, die die Weltgeschichte kennt. Man wußte: Wo diese Demar- kationslinie erst einmal richtig gewachsen ist, wird sie von niemandem mehr über- schritten. Für andere Inseln sind die Kakteen zum offiziellen Wahrzeichen geworden, so die Melokakteen für die Turks-Islands, denn der Name wurde ihnen nach den „Turks caps“ oder „Turks-heads“ gegeben, den Türkenmützen oder Türkenköpfen, wie man die Pflanzen bereits in den Zeiten der alten Seefahrer nannte. Irgendwo anders heißt ein kleines Kap ,,Punta Melones“, die Melonenspitze. Daß die Melokakteen auch auf den Briefmarken der Turks-Inseln erscheinen, ist danach selbstverständlich. Auf den Briefmarken spielen die Kakteen überhaupt eine bedeutsame Rolle. 1953 gaben die Amerikaner eine Marke zur Erinnerung an den sogenannten „Gadsden- Kauf“ heraus, durch den man das Gebiet Südarizonas von Mexiko erworben hatte. Man sieht darauf die mächtigen Saguaros, die Carnegiea gigantea^ durch die eines der typischen Ochsengespanne jener Zeit zieht. Nichts konnte diesen Landstrich besser kennzeichnen, als die heute dort unter Naturschutz stehenden Riesenkakteen. Ekuador gab gleich zwei Kakteenwerte heraus; einer davon zeigt die auffälligsten Gewächse der Galapagos-Inseln, die mächtige hochstämmige Form der Opuntia galapageia. Auch auf tunesischen Marken sind die Opuntien zu finden, denn hier hat man sogar An- pflanzungen als Viehfutter vorgenommen; ebenso sieht man ihre Darstellung auf den Marken des ehemaligen Italienisch-Tripolitanien. Weit merkwürdiger berührt es schon, daß es sogar auf den Marken von Israel Opuntien gibt, ein Wahrzeichen der weiten Verwilderung im Mittelmeerraum. Selbstverständlich hat man Kakteen auch auf den Marken der Niederländischen Antillen abgebildet, denn auf Curagao sind die Kakteen überhaupt die einzigen beachtenswerten Pflanzen: der Melocactus macrocantbos^ von dem über 100 Formen beschrieben worden sind, die Opuntia sebumannii, die 1955 auf einem der Antillenwerte dargestellt wurde, die auch in Venezuela vorkommende Mamillaria simplex und die „Daatoes“, zwei Rätterocereus-Arten, deren Früchte dort das ,,Tuna“- Obst ersetzen. Auch Britisch-Honduras besann sich bei einer Ausgabe auf zwei Sehens- würdigkeiten des Landes: Mayaruinen und Säulenkakteen; dabei wissen wir von den säuligen Pflanzen jener englischen Kolonie nur wenig. Vielleicht tragen die Marken eines Tages dazu bei, daß man sich mehr mit ihnen beschäftigt. Ganz ungewöhnlich erscheint es, daß wir sogar auf den Marken des kleinen süd- europäischen Fürstentums Monako Kakteen und ihnen ähnliche große Euphorbien finden. Hier hat dies jedoch eine doppelte Bedeutung. Einmal erinnern die Darstellun- 58
gen an die Opuntienverbreitung entlang der Cöte d’Azur — selbst an den steilen Felsen von Monaco Ville sieht man sie — und dann wurde hier der wohl berühmteste Kakteengarten der Welt geschaffen. Sein Ursprung fällt in die Zeit des vorübergehen- den Niederganges der Kakteenliebhaberei, kurz vor dem ersten Weltkrieg, als hätte man damals für die Kakteen werben wollen. Und bis heute ist dieser seltsam schöne Garten auch eine großartige Werbung für die Freundschaft mit Kakteen gewesen. Die Arbeiten begannen 1913 unter dem Ingenieur Notaro auf einem 10000 qm großen Gelände, ein Wunderwerk an Naturtreue und Kunst der Anlage auf den abschüssigen Felsen oberhalb der Neustadt. Mit der Auspflanzung der Sammlung Gastaud wurde das Hauptwerk gegen Ende des ersten Weltkrieges vollendet. Heute ist Ingenieur L. Vatrican der Direktor des Gartens; er hat es ermöglicht, daß meine botanischen Sammlungen dort neuerdings einen würdigen Platz fanden. Abb. 31 Briefmarke der Turks-Inseln, mit dem Bild des Melocactus communis Er hieß schon bei den alten Seefahrern Turks-cap, und danach erhielten die Inseln ihren Namen Abb. 32 Diese Briefmarke gaben die Nordamerikaner zur Erinnerung an den Gadsden-Kauf heraus, durch den auch jener Landstrich von Mexiko erworben wurde, in dem die jetzigen Schutzgebiete der Saguaro-Kaktecn {Carnegiea giganted) liegen 59
Abb. 33 Der Jardin Exotique dc Monaco. Auf mehreren Briefmarken des Fürstentums erscheinen Motive aus diesem größten Sukkulcntengarten Europas Wenn wir an die Kakteenbriefmarke von Israel denken, verstehen wir die folgende verblüffende Tatsache schon eher: G. Weil, der Direktor der Jewish National Library, hat berichtet, daß man in Palästina Kindern nicht selten den Namen „Sabra“ gibt, was nicht anderes als „Kaktus“ heißt. So unterschiedlich geht es auf der Welt zu: im schönen Blumenland Japan nennt man ein hübsches Mädchen „Kirschblüte“, im trockenen Israel, wo die Siedler hart um Nutzland kämpfen müssen, heißt ein Kind eben „Kaktus“. Nomina sunt omina kann man dazu nur sagen. Bei dieser Gelegenheit fällt mir noch etwas ein, das mir bis heute ein Rätsel geblieben ist. Ein Bekannter aus Israel zeigte mir vor kurzem ein Foto mitten aus der palästinischen Wüste, mit einem kurzen Stumpf der Opuntia bergeriana. In der Neuen Welt fand man sie nicht wild- wachsend; man hält sie für irgendeine Gartenform oder einen Bastard. Es ist unerklär- lich, wie sie in jene einsamen Wüstengebiete kam, wo sie nicht der hohe, blütenreiche Strauch wie am Mittelmeer ist, sondern eine zähe, harte und niedrige Pflanze, die es nur zu wenigen kümmerlichen Trieben bringt. 60
Von der Verwilderung der Kakteen, besonders der Opuntien, auf ihrem Wege in den Fernen Osten und den Gefühlen eines Kakteenfreundes bei den Begegnungen mit ihnen hat uns der englische Major Smiley eine ergötzliche Schilderung hinter- lassen, eine Art ,,stachligen Kriegsbericht“. Unter dem Titel „A Cactophile goes to war“ (17) erzählt er zuerst von seinen Beobachtungen in Palästina und auf anderen Schauplätzen des ersten Weltkrieges. Und dann kommt er auf den zweiten zu spre- chen, mit trockenem englischen Humor und soldatisch knapp, als erstatte er seinem obersten Kriegsherrn Rapport über den stachligen Feind der um die Erhaltung ihres guten Kulturlandes besorgten Menschen: In Palästina sieht er von den Kakteen nur verschleppte Opuntien, wie wir inzwischen auch von den Briefmarken erfahren ha- ben. 1940 geht er nach dem mittleren Osten und Gondar am Tana-See. Wen findet er dort? Feigenkakteen! 1941 ist er im Irak. Wen trifft er hier? Damned . . . wieder Opuntien! Er kommt nach Syrien und Persien . . . überall Opuntien, an den unmög- lichsten Plätzen. Im April 1943 springt er als Fallschirmjäger über Nordepirus ab, um zu den Partisanen Albaniens zu stoßen. Wen sieht er da? Opuntien! 1945 geht er nach dem Fernen Osten zu Dschungelkriegsübungen auf Ceylon. Man weiß schon vorher, was kommt: „Yes, plenty of prickly pears“ (worunter nichtsnutzige Opuntien zu ver- stehen sind, die das Dickichterlebnis „prickelnd“ machen). In der Nähe von Simla trifft er dann zum ersten Male auch die zweite Kaktusgestalt, von der schon Gonzalo Fernandez de Oviedo y Valadez berichtete: einen ganz gewöhnlichen Cereus peruvianus^ der dort verwildert ist. Und nun kommt der Kummer des Kakteenfreundes zum Durchbruch, der gehofft hat, auf den kriegerischen Exkursionen auch etwas für die Vergrößerung seiner Sammlung zu erobern: „Wenn jemand durchaus Kakteen su- chen will, soll er lieber in die Neue Welt gehen, denn alles, was ich im Nahen und Fernen Osten gesehen habe, kann man für fünf Schilling in einem Londoner Bazar kaufen!“ Aber anderswo denken die Leute anders über Kakteen. In der Zeit der großen Be- geisterung für diese Gewächse, als sie auch in Deutschland eine ungestüme Beliebt- heit erlangt hatten, trug in Warschau einmal eine Braut statt des üblichen Straußes . . . einen Kaktus — eine fanatische Liebhaberin, die den verblüfften Gästen erklärte, dies brächte Glück. Ein Spötter behauptete allerdings, sie habe nur nicht sagen wollen, daß der Straußersatz ein Geschenk ihres sparsamen Verlobten war, der meinte, ein Brautbukett verdorre schnell, ein Kaktus sei dagegen etwas für Jahre. Als Brautschmuck läßt man sich einen Kaktus immerhin noch gefallen, anders aber, wenn es sich um folgenden Sachverhalt handelt, den eine nordamerikanische Zeit- schrift ihren Lesern schadenfroh berichtete: Eine Frau mauste ahnungslos bei einem Kakteenhändler einen Kaktus — einem schlauen Ondit zufolge wachsen ja gestohlene Pflanzen am besten an —; ihr Pech war erstens, daß es sich um einen der teuflischen „Blindmacher“ handelte, wie die mexikanischen Indios die Opuntia microdasys wegen ihrer staubfeinen Glochiden (Kurzstacheln) nennen, die beim weidenden Vieh Er- blindungen hervorrufen können, und zweitens, daß der Händler mit anderen Kunden sich bedrohlich näherte; das größte Pech war jedoch drittens, daß die Frau den rei- 61
zenden kleinen Kaktus in ihrer Verwirrung rasch in den Blusenausschnitt gleiten ließ. Man kann dorthin viele Dinge tun, ein Taschentuch, Geldscheine usw., aber es emp- fiehlt sich nicht, darin solch lebendes Juckpulver zu verstecken. Daß sich die Kakteen zu wehren wissen, machten sich einmal die Stadtväter von Dallas in Texas zunutze. Immer wieder litten die Anpflanzungen um die Erinnerungs- halle dadurch, daß sich die unbekümmerten Spaziergänger auf die schönen Blumen- teppiche setzten. Alle optimistischen Appelle an das Publikum und Nachpflanzungen halfen nichts; die Menschen gingen von ihrer bedenkenlosen Ausnutzung der „per- sönlichen Freiheit“ nicht ab. Da hatte jemand den rettenden Einfall: sämtliche Blumen wurden entfernt und dafür Kakteen gepflanzt, Opuntien! Der Erfolg war durch- schlagend; nun setzte sich niemand mehr auf die Anlagen. Der gute Gedanke hatte zugleich den Vorteil, daß die Gärtner dort fortan nichts mehr zu tun hatten; es ge- nügte, die Kakteen sich selbst zu überlassen. Man soll nun aber nicht meinen, daß dieser Vorgang eine schäbige Handlung gegenüber den Lustwandelnden war — durch- aus nicht! Wer einmal den grandiosen Opuntiengarten des Spaniers Riviere de Caralt, nahe Blanes, gesehen hat, der um die Blütezeit eines der schönsten Wunder der ganzen Pflanzenwelt ist, mit aber Tausenden von großen und vielfarbigen Blüten, denen nach- her noch eine tausendfache Vielfalt von bunten Früchten folgt, wird sagen müssen: die Stadtväter von Dallas waren schon auf dem richtigen Weg, vorausgesetzt, daß sic die gegebenen Möglichkeiten richtig genutzt haben. Der Kuß ist eines der angenehmsten Dinge im menschlichen Leben. Aber selbst bei ihm mußten sich die Kakteen einmischen. Dabei wußten die Betroffenen zuerst gar nichts davon. Die Kosmetikindustrie hatte lange taktvoll verschwiegen, daß sich aus- gerechnet der Saft der auf den Opuntien lebenden Scharlachlaus — man bedenke: eine Laus! — als das kußfesteste Lippenrot erwies, und diese Entdeckung geschäfts- tüchtig zu Geld gemacht. Als dann aber ein bedenkenloser Berichterstatter — einer jener Reporter, die immer auf der Jagd nach Indiskretionen sind — davon Wind be- kam und das lausige Geheimnis verriet, ging ein Schrei des Entsetzens durch die Un- zahl der eitlen Verbraucherinnen kußfester Lippenstifte; sie packte das Grausen bei dem Gedanken an den Spender des Rohstoffes „Cochenillerot“. Aber . . . nach einem heldenhaften Entschluß wurde weitergeschminkt. Vielleicht hat damals manche fassungslose Dame zuerst ein Herztonikum nehmen müssen, eines jener Stärkungsmittel nach Art der ,,Goldtropfen“, bei denen der Saft des Selenicereus grandiflorUS' der „Königin der Nacht“, das wirksame Agens ist; neuer- dings werden auch andere Arten dazu verwandt und angebaut. In jener Zeit, als die Kakteen in den Vereinigten Staaten sozusagen neu entdeckt wurden und die Liebhaberei dort die erste ungestüme Blüte erlebte, machten mit ihnen auch man- cher Filmstar oder andere, die gern auffallen, auf sich aufmerksam. Man legte in den Gärten dekorative Anpflanzungen an oder bemalte, stattTapeten, dieWände mit Kakteen- landschaften. So versuchte man, die stachlige Berühmtheit für andere Berühmtheiten nutzbar zu machen. Aber was ist schon ein Filmheld gegen einen Kaktus?! Des letz- teren Ruhm wird länger strahlen als der jener, denen die Nachwelt keine Kränze flicht. 62
Abb. 34 Die höchsten Saguaros (Garnegiea gigaiitea') im Saguaro National Monument, Arizona 63
Abb. 35 Zwei Vogelartcn, die vorzugsweise auf Kakteen Südarizonas nisten Links: Weiblicher Costa-Kolibri mit Nest auf Gylindropuntia imbricata. Rechts: „Cactus-Wren“ (Kaktecn-Zaunkönig), Hehodytes brunneicapillus, mit Nest an den Rippen einer Carnegiea Mit Kakteen können einem die seltsamsten Dinge zustoßen. Ein ganz ungewöhn- licher „Fall“ war folgender: Eines Abends kam jemand in eine polizeiliche Rettungs- station der südlichen USA. Er hatte sich den Arm verstaucht. Dann stellte sich heraus, daß der Mann sowohl angeheitert wie kurzsichtig war; er hatte sich bei Mondschein in einer Anlage mit großen Kakteen auf eine Bank setzen wollen und übersehen, daß die vermeintliche Sitzgelegenheit nur der schwarze, breite Strich eines Kaktusschattens war. Wenn man das Farbbild aus dem Kasinopark von Monako betrachtet, hält man dies für durchaus möglich. Man kann schon in liebe Not mit einem „wilden Stachelkaks“ geraten, wie Ringel- natz sagt. Aber die stachligen Schattenseiten können auch ihr Gutes haben. Wenig- stens für die schlauen Wüstenratten, wie ein Naturforscher ausfindig gemacht hat: sie sollen die Zugänge ihrer Höhlen mit den am gefährlichsten stechenden Arten sichern . .. behauptet der besagte Biologe. Ein anderer will festgestellt haben, daß das Leben des Coyote zu den kümmerlichsten Daseinserscheinungen gehöre, denn in Notzeiten müsse er, um nicht zu verhungern, Kakteen fressen . . .! 64
Für den Kaktus ist der Coyote also eine Art Schädling. Aber die Wissenschaftler haben deren noch viel mehr festgestellt, viel kleinere, unscheinbare und zuweilen doch recht gefährliche — für einen Kaktus wohlgemerkt. Einer jener Naturforscher, die immer mit Lupe und Mikroskop auf der Suche nach dem Geringsten im großen Kos- mos sind, hat stirnrunzelnd ermittelt, daß die stachligen Lieblinge seiner Zeitgenossen von nicht weniger als insgesamt 250 verschiedenen Schädlingen heimgesucht werden. Und da soll man noch den Mut auf bringen, sich eine Kakteensammlung anzulegen. Aber wir haben doch die Chemie. Es gibt heute auf diesem Gebiet nichts, wogegen es nichts gibt. Manchmal versagt aber anscheinend auch der Chemiker, wie bei folgen- dem verbürgten Vorfall: Eines Tages erreicht über Hunderte von Kilometern hinweg einen Fachmann der telefonische Notschrei eines einsam im Süden der USA wohnen- den Kakteenfreundes: Termiten seien angerückt und fräßen die Sammlung auf, was dagegen zu machen sei. Vermutlich nichts. Man hat nichts weiter darüber gehört; höchstwahrscheinlich haben die Termiten die Kollektion aufgefressen. Sie sind schon mit ganz anderen Gegenständen fertig geworden. Man könnte noch vieles über das Thema Kakteen und Mensch berichten, Schönes und Unschönes, wie etwa, daß man in den amerikanischen Südstaaten den wunder- hübschen Aporocactus flagelliformis^ den ^PeitschenkaktusQ\ der seine schlanken, gold- braun bestachelten Hängetriebe zur Blütezeit mit prächtigen roten Blumen bedeckt, geringschätzig „Rattenschwanz-Kaktus“, „Rat Tail Cactus“, nennt; früher liebte man ihn dort als Schmuckpflanze, und da es damals in dem großen und einsamen Vieh- zuchtland noch keine Blumentöpfe gab, hing man die Pflanzen einfach in Ochsen- hörnern am Vordach des Hauses auf. Daß der indianische Bauer, der sein Land sauberhalten will, oder der Großgrund- besitzer in Australien, Indien und Südafrika die Kakteen nicht liebt, ist verständlich; sie sehen eben nur die eine Seite dieses Pflanzenlebens. Aber die Welt der Kakteen ist nicht immer so bösartig, sie hat auch ihr Liebenswertes, ja zuweilen etwas Rührendes: das stumme, entsagungsvolle, aber zähe Ringen dieser Gewächse mit einer feindseligen Erde; und gerade diese Pflanzen hat die Natur oft mit einem reizvollen farbigen Stachelkleid ausgestattet. So nimmt es nicht wunder, daß die seltsamen Einsiedler und die eigenartige Schönheit ihrer Landschaften einen Platz in der Poesie fanden. Was uns unsere Wiesen und Wälder, sind dem Südstaatler der USA die bunte Wüste, die Wun- derflora der Kakteen und die Romantik, von der die alten großen Saguaros und Barrel Cacti umwoben sind, sahen sie doch noch den freien Indianer und später die Pioniere auf dem Zuge gen Westen ihre Einsamkeit durchstreifen. Und mancher, der sich in ihr verirrte, blieb für immer dort draußen, erreichte nicht die Gefilde seiner Sehnsucht. Mit welch eindringlicher Bildhaftigkeit schildert das folgende Gedicht dieses erbar- mungslose Land: 5 Backcbcrg, Wunderwclt, 4. A. 65
Desert on a Hot Day Thcrc is no water for a hundred milcs, No water — no water — no water. Yet over the horizon of burning sand, And thorny Bush and shimmering rock, Lies a phantom haven of green grass and green trecs, Wavering in the hcated air. A bird gocs ting-ting-ting In the mesquite trees; The heat riscs out of ground With the small sound of dry silk, Rustling in undulating waves, Till the flat floor of the salt pan ripplcs to and fro, Forming an imaginary lakc With floating islands, never static; Coming, going, fantastically As the heat riscs and falls. It is a terrible place, Therc is so much thirst. No water for a hundred miles, Nothing but heat crowned hills Walking down a dcad horizon. The sand is very deep underfoot, The sweat dries on the body, The whole world is a huge stove, A dry frying pan over a flre, Burning up by degress. - Therc is no water — no water, Only the crcaking of shoscs, the hcavincss of heat, Only an invisiblc bird Going ting-ting-ting, on a barrcl cactus. Emil Morhardt 66
Wüste an einem heißen Tag Kein Wasser auf mehr als hundert Meilen, Kein Wasser — kein Wasser —• kein Wasser. Über dem Horizont von brennendem Staub Und Dornenbusch und schimmerndem Fels Lockt ein Phantom nur von Grün und Bäumen darin, Zitternd in der erhitzten Luft. Es zwitschert ting-ting-ting Im Mezquitcgcstrüpp; Die Hitze kocht aus dem Sand, Es raschelt mit feinem Klang Wie Seide, kräuselnd zu Wellen, Bis der Salzwüstc Grund scheinbar wogt, hin und her, Trügerischer Spiegel eines Sees Mit Inseln darin, die verschwimmen; Es kommt und geht, wechselt phantastisch, Wie die Hitze steigt und fällt. Es ist ein schreckliches Land, Dort hat alles Durst, Denn Wasser fehlt auf hundert Meilen, Und nichts als versengte Hügel Sieht man am toten Horizont. Der Sand knirscht tief unter den Füßen, Der Schweiß verfliegt am Leibe; Alles brennt wie ein Ofen, Eine leere Pfanne, die langsam Verglüht auf dem Feuer. — Und nirgends Wasser — kein Wasser, Allein den Schritt du hörst, spürst der Hitze Gewicht, Nur manchmal zwitschert ein Vogel Dir ting-ting-ting zu, von einem Faßkaktus. 67
Aber dieses Land hat auch seine heiteren Seiten, um die Zeit der Pitaya-Ernte. Lustig ist das Lied des Pitayero, des mexikanischen Kakteenfruchthändlers, der seinen Kundinnen neben dem Obst eine fröhliche Liebelei offeriert, ihnen aber mit Gesang energisch auf die Finger klopft, wenn sie dennoch nichts kaufen wollen : E/ Pitayero Soy pitayero, senora Que vengo de la bajada; Vengo vender mi pitaya Fresca, dulce, colorada. Soy pitayero, senora, Que vengo del manzanillo*); Vengo vender mi pitaya Del organito amarillo**). Andele querrita y andele chinita Vamonos p’al organal A cortar pitaya de la mas bonita Comenzando a madurar. Tran de la ran la ran, La la ran la ran la ran. Soy pitayero, senora, Que por las montanas ando. Si no compra mi pitaya No me laste pellizando. Soy pitayero, senora, Que vengo del organal; Si no compra mi mayuque, Retirese del huacaL Der Pitayero Bin Pitayero, Senora, Komm aus den Bergen von Dingsda; Verkaufe frische Pitaya, Süß und bunt, wie man sie nie sah. Bin Pitayero, Senora, Aus dem Früchtewald gelaufen Kam ich, die gelben Pitaya Des Organito zu verkaufen. Wohlauf, meine Liebe, wohlan, meine Kleine, Komm mit zum Kakteenhain, Wir suchen Pitaya, und eine feine Grad reifende soll deine sein. Tran de la ran la ran, La la ran la ran la ran. Bin Pitayero, Senora, Durch Busch und Berge ich wandre, Kauft ihr euch keine Pitaya, Befühlt auch nicht die und andre. Bin Pitayero, Senora, Ich komm vom Kakteenland, Und wollt ihr jetzt noch nichts kaufen, Schert fort euch von meinem Stand. (Ein Volkslied) *) Kleiner Apfelbaum **) Gelbfrüeinziger Säulenkaktus. 68
Die sonderbaren Gestalten der Säulenkakteen, die der Landschaft oft ein gespensti- sches Aussehen verleihen, und das stille Leben, das in ihnen ist und um sie wirkt, haben die Phantasie der Dichter immer wieder angeregt: Stark, sentinels Stark sentinels abovc burning sand; Thcir spiny crests and stalks of giant sizc, Like pillars of long-burried tcmples rise! Where once thc sea-god, drivcn from the land, And where, long agcs past, he waved his wand, Bencath the blinding glare of desert skics, He now a dying Titan prostrate lies, Yet vanquished not, his trident Stands supreme; Thc thirsty traveler who slowly winds His long and weary trail where white sands gleam, A cooling draught, a healing respite finds. For in the hollow stems sweet water flows — And lo! the desert blossoms like the rose. Benjamin Collins Woodbury Starre Schildwacben Gleich starren Schildwachen auf heißem Sand Ihr stachlig Haupt und Leib ragt riesenhaft Wie des zerfallnen Tempels Säulenschaft. Wo einst den Seegott man vertrieb vom Land, Wo zepterschwingend er vor Zeiten stand, Umstrahlt von seines Wüstenhimmcls Glut, Und der Titan, gefällt, jetzt sterbend ruht, Sich noch sein Dreizack unbesiegt erhebt. Den Wanderer, der qualvoll langsam dort Durch heiße Dünen durstig vorwärtsstrebt, Ein Trunk erfrischt, ruht er an jenem Ort, Denn durch die Stämme süßes Wasser zieht — Und sieh! Wie Rosenflor die Wüste blüht.
The giant Cactus Der Riesenkaktus Thrce hundred years and more they say Your giant stcm has grown, „Sahuaro“ of thc desert way Majestic and alone. Your childrcn round about you stand Yet all, their distancc keep, The forests of an arid land Where trees apart drink deep. The ants, a devastating hordc Attack your giant germ, A food, to grains of starch preferred In every endosperm. What wonder that the ants survive On pcricarp, madc strong, And cactus blades when lift alive, At best, a scattered throng. Your shafts the desert droughts outrace Then flickers bore a hole Through spines so softest nesting place From flight a fitting goal. Long after many Sahuaro’s life Is spent and naught is scen Of what survived the naturcs strife, Of greatness that has been, Of fluted trunk, uplifted crest Strängest of cactus kind, Perhaps a flicker’s hardened nest Dropped on the ground, you’ill find. Amy C. Ransome Mehr als dreihundert Jahre alt Sollt ihr, Saguaros*), sein, Steht ihr, gigantische Gestalt, Im dürren Land allein. Ringsum seid von der Kinder Schar Respektvoll ihr umringt, Als Wüstenwälder wunderbar Ihr tief im Boden trinkt. Die Ameise zu rauben liebt Den Samen eurer Frucht; Weil Nahrung er zur Notzeit gibt, Sie gerne euch besucht. Was wunder, daß sie überlebt, Von solcher Kraft genährt, Die auch in eurem Jungvolk strebt, Zum Säulenwald sich mehrt. Am Trieb, den nichts vertrocknen läßt, Baut sich der Flicker**) klug Im Stachelschutz ein weiches Nest, Das lockt ihn schon im Flug. Und wenn der Saguaro fiel, Zu Staub versank sein Schaft, Im Kampf sein Leben kam zum Ziel, Verging des Riesen Kraft, Verdorrt sein Leib der stolze Kamm Seltsamster Kaktusart, Liegt dort vielleicht gestürzt vom Stamm, Ein Nest bloß noch, nun hart. *) Amtliche Schreibweise für die Carnegiea gigantea. **) Flicker oder ,,Wipper“: gemeint ist wohl der „Cactus Wreri\ der ,,Kakteen-Zaunkönig“, der gern in den Carnegteas nistet; ein anderer Vogel pickt Nisthöhlen in den Stamm. 70
Bezaubernd ist auch die kleine Liebesromanze zwischen Nahtahni und Soyazhe, unter den alten Saguaros der ,,bunten Wüste“. Dem jungen Indianerpaar ,,Häuptling und «Kleiner Stern >>“ ist damals sicher wohler gewesen als mir, der ich dieses Kurzzeilen-Wortspiel möglichst getreu und doch sich reimend übertragen muß: Nahtahni and Soyazhe Slim Soyazhe camc down the hill A hall-a-hundred years ago, Between Sahuaros, ribbed and still. The blue birds practised on a trill; With Nahtahni await below, Slim Soyazhe came down the hill. A plump Biznaga curved a quill To catch the warm sun’s twinkled glow Between Sahuaros, ribbed and still. The Palo Verde etchcd a grill Of mobile shadows, in a row; Slim Soyazhe came down the hill. The turquoisc birds had sung their fill And as shc ncared, they circled low, Between Sahuaros, ribbed and still. And Nahtahni with patient will Watched silcntly while quiet, slow, Slim Soyazhe came down the hill Between Sahuaros, ribbed and still. Frances Davis Adams Nahtahni und Soyazhe Slim Soyazhe kam von dem Hang — Rund fünfzig Jahre licgt’s zurück — In den Suhuaros, stolz und schlank. Blauvogel grad zur Probe sang; Zu Nahtahni, ihn sucht ihr Blick, Slim Soyazhe kam von dem Hang. Die Stacheln bog Bisnaga*) lang, Fing Sonne ein mit diesem Trick In den Sahuaros, stolz und schlank. Ein Riesenrost, den Busch durchdrang Des Grünbaums**) Schattenspiel ein Stück; Slim Soyazhe kam von dem Hang. Der blaue Vogel still sich schwang Als er sic sah, zum Nest zurück In den Sahuaros, stolz und schlank. Stumm harrte Nahtahni und bang, Da naht ihm, holder Stern, das Glück: Slim Soyazhe kam von dem Hang In den Sahuaros, stolz und schlank. *) Bisnaga oder Biznaga: ein großer Kugclkaktus, der „Barrel-cactus“ (Ferocactus). **) Palo Verde, der Grünbaum, ist ein typischer Wüstenbaum des Südens (Cercidium torreyanum bzw. micro- pbyllum, auch „grünrindige Akazie“ genannt). 71
In einem Lande, wo es ganz natürlich ist, daß sich der Dichter als Kakteenliebhaber betätigt, hat sich, ebenso natürlich, auch die Begeisterung manches Pflanzenfreundes zu Versen aufgeschwungen, wie den nachstehenden, die aber noch einen tieferen Sinn haben und von einem noch immer nicht geklärten Wunder berichten. Hier ist nicht etwa von der „Königin der Nacht“ die Rede, denn sie ist keine „Tochter der Wüste“. Gemeint ist der Teniocereus greggii, ebenfalls ein Nachtblüher. Er ist ein Wüstengewächs mit mächtiger, unterirdischer Rübe und grauen, am Tage kaum zu bemerkenden Trieben, die wie abgestorbene Zweige zwischen dem Strauchwerk aufragen. Die Bo- taniker haben beobachtet, daß zur Blütezeit diese Art weithin gleichzeitig ihre oft reiche Zahl der Blumen öffnet, und dann findet man die Pflanze leicht — nach dem Blütenduft. Wir wissen bisher nicht, wie dieses „Simultanblühen“ zustande kommt oder zu erklären ist. The night blooming Cereus The destined hour for beauty’s birth has come; The closing day dims all her lights and weaves A mystic spell upon the earth. The hum Of birds and bees grows silent. No one leaves His place for fear a movement might delay The wonder-miracle now come to be. Into our lives so uniformly gray The Goddess of the night brings mystery. From some obscurity within the past This daughter of the desert comes. Her fair Life opens, silently her petals cast Erotic fragrance on the vibrant air; And as wait her transient course is run — The ritual of life and death is done! Carrie W. Stryker Der nachtblühende Cereus Geburt der Schönheit, deine Stunde kam; Es dunkelt schon, und rings die Welt umwebt Ein Zaubcrschlcicr, mystisch wundersam. Insekt und Vogel schweigen, es erhebt Sich niemand, fürchtend, daß er es verscheucht, Das stille Wunder, das dem Menschen winkt. In dieses Leben, das so grau uns deucht, Die Nachtgottheit jetzt ein Mysterium bringt. Aus dunkler Vorzeit sie der Zukunft lebt, Ihr öffnet nun die Wüstentochtcr sacht Der Blüte Saum, und ihrem Kelch entschwebt Ein Duft von Liebe, Zauber einer Nacht; Als scheu man fragt, wann welkt das zarte Bild — Hat sich sein Leben schon zum Tod erfüllt.
Ein Gegenstück schwärmerischer Verehrung der echten ,,Königin der Nacht“ fand ich in einer deutschen Fachzeitschrift des Jahres 1892. In der etwas langatmigen Be- geisterung jener Zeit der wiederentdeckten Kakteenreize heißt es unter anderem: Wo üppiger sich deine Zweige rankten In Einsamkeiten auf dem Fclsgcstcin, Und über dir der Palmen Wipfel schwankten, Und dich umspielten bunte Papagci’n, Dort wo sich goldig-grüne Schlangen winden Und dir zu Füßen scheu der Glühwurm wacht, In jenen Ländern unsrer Phantasie, da finden Die Heimat wir der Königin der Nacht. Ein Schiffer kam dereinst zu jenem Strande, Er war von ihrem Zauberduft berührt, Und hat sie dann nach unserm Vatcrlande Als süßes Wunder übers Meer entführt. Traurig aber lautet der Schluß: Da hängt sic dann am Morgen bleich und müde; Entschwunden ist die märchenhafte Pracht, Und leise fragst du bei der welken Blüte: War das die stolze Königin der Nacht? Wir lächeln vielleicht bei diesen überschwenglichen Zeilen. Aber sie spiegeln doch anschaulich jene unbeschwerte Begeisterungsfähigkeit wider, aus der damals in schnellem Aufstieg die große Gemeinde der Deutschen Kakteengesellschaft entstand. 73
Sieht man, wie kärglich manch Kaktus sein Leben verbringen oder bald wieder be- enden muß, wenn er in die Hände eines verständnislosen „Liebhabers“ gerät, der glaubt, ihm etwas besonderes Gutes anzutun, wenn er ihn in einen phantasievoll bunt bemalten und hartglasierten Paradetopf pfercht, so daß ihm bald der Atem ausgeht, versteht man die Klage, die eine verständigere Naturfreundin diesem lebensmüden Stachelgeschöpf dichterisch nachempfunden hat: Lament of a Cactiis I livcd onc time besidc a sca And hcard the surging surf, I feit the lifc of crawling ants, Companions of my turf, I gazcd all nights at meteors That streaked across the sky, I lived all day in sunny clime An hcard the brcczes sigh, My hcart was warmed by sunbeams bright And coolcd bcncath a moon, My roots werc stirred by bushy worms That rcvelcd in the noon, I knew the sccrct things of Time Wispcr’d to mc by God, A hundred living things I knew In onc square foot of sod; But now I dwcll within a room That is so shady, oh, I wish that I could hcar the sca Abovc that radio! That caterwauling thing that croons Why I dwcll in a pot But makes nie ill and I don’t carc Whethcr I live or not. For onc day on a sandy hill Besidc a wind swept shorc Is bettet than Eternity In pots forevermore. KaktiiskJage Ich lebte einst am Strand der See dort, wo die Brandung braust, Ich spürt’ der Ameisen Gckrauch, die gern bei mir gehaust. Ich blickte nachts zum Himmel auf, sah manchen Meteor, Ich badete im Meer des Lichts, mir sang der Wind ins Ohr, Mein Herz sich wärmt’ im Sonnenschein, im Mondschein ward’s gekühlt, Mein Wurzclwcrk um Mittag hat der Würmer Schmaus gefühlt, Ich kannt’ der Zeit Geheimnis selbst, Gott mir geflüstert hat’s, Um hundert Dinge wußte ich, wo meines Daseins Platz. Doch jetzt schmacht’ ich in meinem Raum, der ist so schattig, oh, Ich wollt’ ich hört’ der Brandung Sang statt jenes Radio, Das wie ein Kater miaut und schreit. Warum steh ich im Topf Und plagt nun Lebensüberdruß mich schnsuchtskranken Tropf. Ein Tag, den man im Wüstcnland, im freien Winde war, Ist besser als die Ewigkeit in Töpfen immerdar. Lclandc Quick Das arme Ding stammt wohl aus Niederkalifornien, wo so manche prächtige kleine Art nahe dem Meer zu Hause ist, die nicht immer den richtigen Pfleger fand, die dann aber schöner als in ihrer Heimat sein kann, deren Leben leider aber oft auch so ver- läuft. 74
Abb. 36 Fruchtende Homcilocepbala texensis. Diese schöne Art wird heute oft maschinell ausgerottet, um neues Kulturland zu gewinnen Nun, alle Kakteen sind in der Gefangenschaft nicht so übel dran wie dieser; im Gegenteil: bei dem heutigen hohen Stand der Kulturerfahrung geht es vielen von ihnen — auch durch das Pfropfen, das manchmal erst zeigt, was in den Pflanzen steckt — bei uns weit besser als in ihrer Heimat, wo die Natur Wasser und Nahrung nicht so reich spendet, wie es der eifrige Liebhaber tut, der sie wie einen Schatz hütet. Manche Art teilt das Schicksal des braunen Mannes, der vor dem Weißen immer wei- ter zurückwich, dessen Zahl dezimiert wurde, und der heute nur noch in kleinen Re- servationen lebt. Der Texaner zum Beispiel, der nach neuem Kulturland sucht, rottet dort zuerst einmal mit modernen Rodemaschinen die Homalocephala texensis aus, den behäbig breiten, schöne scharlach-orangefarbene Blüten und feurigrote Früchte im Scheitel zeigenden Kugelkaktus, der seinen Artnamen nach der weiten Verbreitung in Texas trägt: die hartdornigen Gewächse werden maschinell herausgerissen und zu Wällen aufgehäuft, wo sie verfaulen, überwachsen werden und so mit ihren Resten eine seltsame Besitzabgrenzung bilden. Der Landmann haßt sie wegen ihres Massen- auftretens, für ihn sind sie nur lästiges Unkraut. Und dafür begeistern sich andere Leute? Darin kann der Texasmann nur einen ,,Spleen“ des nördlichen Bruders sehen: 75
Cactus Cra^e Don’t scc any particular good thcy do, Oncc in a whilc have a bloom or two; Too sticky to gathcr and will not last, By any old flowcr thcy’rc much outclasscd. Us Folks down in Texas, somchow or othcr, Just wonder about you, northern brothcr. Wc pay a fellow to dig’em all out. You pay the Aorists to sprcad’cm about. But go to it brothcr, and buy our thorns, We’ll dig’m all up around our barns. Thc mulc-carcd rabbits’ll bc glad. Thc prairic-dogs give up looking so sad. King Rattlc-snakc then can And a new home. Mr. Red Ant continucd Fürther to roam. In Fact, northern brothcr, it’ll bc sweet repose; Just give us in Texas the dornless rose. Esse Forrester O‘Bricn Kak-tusspleen Ich weiß nicht, was denkt ihr euch nur dabei; Solch Ding hat’ne Blüte wohl, oder zwei, Doch lebt’s nicht lange und sticht immer sehr. Wir lieben die anderen Gewächse mehr. Wir unten in Texas bestaunen euch bloß, Ihr Brüder im Norden, was ist mit euch los Wir geben dem Geld, der das Unkraut zerstört, Und ihr zahlt dem Gärtner, daß er cs vermehrt. Doch kauFt nur, ihr Brüder, das dornige Zeug, Wir graben cs gern aus und ÜeFern cs euch. Die csclohrigc Kaninchenbrut Sich Freut, der Coyote kriegt neuen Mut. Die Klapperschlange sucht sich ein anderes Reich, Die rote Ameise Folgt ihr sogleich. Vor Vergnügen, ihr Brüder, ganz Texas lacht, Wenn ihr es zur dornloscn Rose macht. 76
Von dieser Einstellung zu den Kakteen ist es denn auch kein weiter Sprung zu dem skurrilen Ringelnatz, der, immer zu Tollheiten aufgelegt, die Welt, sich selbst und — den Kaktus nicht ernst nimmt: An meinen Kak.tns Du alter Stachelkaks, Du bist kein Bohnerwachs, Kein Gewächs, das die Liebe sich pflückt, Sondern du bist nur ein bißchen verrückt. Ich weiß, daß du wenig trinkst. Du hast auch keinerlei Duft. Aber, ohne daß du selber stinkst, Saugst du Stubenmief ein wie Tropcnluft. Du springst niemals Menschen an oder Vieh. Wer aber mit Absicht oder versehentlich Sich auf dich Setzte, vergißt dich nie. Ein betrunkener, lachender Neger Schenkte dich mir, du lustiges Kleines, Daß ich den Vater ersetze dir kantigem Ableger Eines verrückten stets starren Stachelschweines. Joachim Ringelnatz Teils stimmt die Sache, teils überhaupt nicht. Die Bezeichnung ,,Sessel der Schwieger- mutter“, die der Volksmund mit hämischem Wunsch dem mexikanischen YLcbino- cactus grusonii^ den prachtvollen gelbstacheligen Riesenkugeln, als Spitznamen verlieh, ist meines Wissens und erfreulicherweise bisher noch nie Wirklichkeit geworden. An- ders mit dem ,,versehentlich auf dich setzte“; sollte Ringelnatz da etwa von meinem nächtlichen Erlebnis in Venezuela erfahren haben, wo ich . . . nun, Sie wissen ja: die Natur verlangt, daß wir uns manchmal diskret zurückziehen müssen. In der Wildnis geschieht so etwas ganz selbstverständlich und ungestört im Grase — wenn man Glück hat —; aber Pech ist es, wenn darin langbedornte, fast unsichtbare Kaktus- schlangen herumkriechen, und man sieht sie im Dunkeln nicht, kurz: es war furcht- bar! Das vergißt man nie; da hat Ringelnatz recht. Aber sonst — würde ein erfahrener Kakteenmann sagen — hat der Dichter mehrfach danebengegriffen: Die Cylindro- puntia tunicata springt durchaus gern Menschen und Vieh an. Und Duft strömen eine Reihe von Kakteenblüten aus, sogar unterschiedlich. Allein 41 duftende Arten (es sind aber noch mehr) hat der Blumenforscher Porsch bei den Nachtblühern aufge- führt, darunter Heliotrop-, Vanille-, Mehl-, Sandtorten-, Orangen-, Rosen-, echten und falschen Jasmin-, Zitronen-, Veilchen-, Apfel-, Ananas-, Tuberosen-, Lilien-, 77
Abb. 37 Kaktccn-Wcihnachtsbaum in der Wüste, ein in solchen Gegenden nicht einmal seltener Anblick. Hier kann man den Kindern im Freien bescheren und der Baum hält viele Jahre vor, da die Carnegiea langsam wächst Maiglöckchen-, Hyazinthen-, Cattleyen-, Robinien-, Magnolien-, Cinnamum-, Peter- silien-, Bier-, Lavendel-, Flieder-, Kaffeeblüten- und Benzoesäure-, ja sogar Opium- Duft. Und was da „ohne, daß du selber stinkst“ gesagt wird, stimmt auch nicht. Bei den Blüten der Pilosocerens ist das Stinken an der Tages-, will sagen: an der Nacht- ordnung. Aber irgend etwas mutet doch bei den Kakteen irgendwie ein bißchen „verschro- ben“ an, wenn man diesen Essay durchliest. Und „crazy“, „schrullig“, ist die Brücke von Forrester-O’Brien zu Ringelnatz. Doch bei jenem ist es gutmütiger Spott, durch den ein feiner Klang von dem schwingt, was den Heimatdichter über die Kakteen ganz andere Worte finden läßt, bei diesem dagegen nur ein grotesker Einfall, als der ihm auch diese Pflanzen unter den Geschöpfen der Natur erscheinen. Ihm ist eben alles Dasein, selbst das eigene, zum Lachen komisch, oder er tut wenigstens so — nur nicht zeigen, wie es im Innersten aussieht; ja, er ist selbst hier noch von sich selbst belächelnder, sozusagen posthumer Vorfreude: „Der wird kichern, der nach meinem Tode mein Geheimfach entdeckt.“ Konnte Ringelnatz die Kakteen gar nicht anders sehen, weil uns hierzulande die innere Verbindung zu jener fremdartigen Natur fehlt, deren ureigenste Kinder sie sind? Kann man daher nur „drüben“ solche Kakteenge- dichte schreiben wie die vorher wiedergegebenen? Ein anderer, Hans Harbeck, gibt uns die Antwort darauf: 78
Kaktus und Kolibri Wehrhaft, prall und bodenständig Bietet sich der Kaktus dar. Eigensinnig, eigenhändig Trotzt er jeglicher Gefahr. Unerschütterlich, gewaltig Wurzelt er im Urgestein. Seine Sprossen, vielgestaltig, Stimmen kraftvoll überein. Abb. 38 Holzige Gz/v/eg/^z-Achscnstückc als Wüstenbriefkasten Dornen sichern seine Schale, Stachlig ist sein Panzcrklcid. Er verkörpert die reale, Bittere Notwendigkeit. Doch der Kolibri, das holde Farbenfrohe Leichtgewicht, Honig schlürfend aus der Dolde, Schwebt empor wie ein Gedicht. Buntes Pünktchen, das im blauen Himmclsraum sich fast verliert — Überschwengliches Vertrauen Ist’s, das seinen Flug regiert. Von dem Schöpfer hochbegnadet, Wie ein Traum aus Filigran, Aller Mißbill unbeschadet, Zieht er seine lichte Bahn. Hier der Kaktus, derb, vierschrötig, Dort der schöne Kolibri — Hier die Prosa, rauh und nötig, Dort der Glanz der Poesie! Aus der Gedichtsammlung „Kaktus und Kolibri“ Wie bei jedem echten Humoristen, reichen sich hier Heiterkeit und Ernst die Hand. Besser als Harbeck hat, glaube ich, bisher kaum ein Dichter das Harte, Arteigene, Unerschütterliche dieser kämpferischen Pflanzen gekennzeichnet. Man braucht nicht in Arizona zu wohnen, um über sie treffende Verse zu schreiben. Doch es ist noch etwas um sie: irgendwie, und sei es unbewußt, sehen wir in ihnen das Wahrzeichen einer wilden und unberührten Erde, einer Welt, die wir in unserem Alltag nur erahnen, der unsere heimlichen Wünsche gelten. Knut Hamsun, der einstige Weltwanderer, hat dem in seinem Buch „Der Ring schließt sich“ nachdenkliche Worte verliehen, in denen das Fernweh eines Menschen wiederklingt, dem es vergönnt ge- wesen ist, durch jene freie und ursprüngliche Natur zu wandern, und den es irgend- wie immer wieder dorthin zurückzieht: „Ich frage nur, warum du ausgerissen bist . . . Und wenn cs nur gewesen wäre, um wieder große Kakteen unter freiem Himmel zu sehen?“ 79
Caramha, der Dicke dahinten paßt nicht in meinen KuekAack — den muß ich leider stehen lassen ... ! Abb. 39 Oben links: Welch interessanter „Fall“! (Reg Manning) Oben rechts: Wunderliche Assimilation Unten links: Der Kaktccn-Schiwa (Japanisch) Unten Mitte: Unsinniges Schattenspiel! (Frank Adams in Colliers Magazine) Unten rechts: Der Sammler Fric (E. Holmberg in Caras y Carctas, Buenos Aires) Von dem humoristischen Gedicht nach Ringelnatz’ Art bis zur Karikatur ist eben- falls kein weiter Schritt. Das Wort „Karikatur“ besagt „Zerrbild“; ein verzerrtes Wort. Vers und Zeichnung müssen den Kern der Dinge treffen, gleich ob dichterisch oder zeichnerisch, das eine ist eine so große Kunst wie das andere, und die Karikatur eine gesunde Kunst, weil sie uns lachen macht . . . über uns selbst und andere oder anderes. Vielleicht liegt es an der verlockenden Ähnlichkeit des Wortanfangs von Kaktus und Karikatur, daß sich die Zeichner so gern der stachligen Pflanzen bedienen, um ihre lächelnden Bosheiten an den Mann zu bringen. Das stachlige Motiv ist gesteigerte Karikatur, es sticht doppelt. Da schmunzeln wir über die Frau, die im Kakteenhaus den Mann sucht, der vor lauter Eifer um die Pflanzenpflege sogar vergaß, sich zu rasieren und so eine erstaun- liche Ähnlichkeit mit seinen Lieblingen hat. 80
In fremden Ländern stichelt man anders. So sind in den japanischen „Kakteen- fabriken“ routinierte Schnellpfropfer für die Massenproduktion gesucht. Wundert man sich da, daß der japanische Karikaturist einen solchen Mann als eine Art vielarmi- gen Schiwa sieht, als „Hauptgott“ des Berufszüchters? E. Holmberg, der einst berühmte Karikaturist von „Caras y Caretas“ (ein präch- tiger Titel: „Gesichter und Larven!“), Buenos Aires, hat einmal den Sammler Fric glossiert: von oben bis unten mit Stacheln dekoriert, so, wie er gerade auf der Pflanzen- suche aus dem dicksten Busch kommt, sein Rucksack quillt von Kakteen über, die kleine Botanisiertrommel ist dagegen nur noch ein leeres Wahrzeichen seiner Zunft; selbst sein Schatten ist zum stachligen Kaktusbild geworden. Nichts im Kakteenreich ist vor ihm sicher. Die Finger der rechten Hand sind gierig gestreckt, aber die großen Dinger im Hintergrund sind ihm als Jagdbeute in des Worte wahrstem Sinne über. Man versteht seine bewegte Klage, daß bei ihnen nichts zu machen sei. Eine meister- hafte Karikatur. In Amerika, wo die Kakteen zur einheimischen Flora gehören, sind sie nicht nur ein beliebtes Motiv in humoristischen Kakteenbüchern und Trickfilmen, sondern auch eine gern verwandte Waffe des Karikaturisten, die mit typisch trockenem Witz einge- setzt wird: Da haben zwei Kakteenfreunde einen Ausflug gemacht. Einer fiel wohl ö ö vom Maultier, ausgerechnet in eine Opuntia. Das berührt den anderen aber nicht im geringsten; daß sich sein Kollege mit einer seltenen Art bespickt hat, ist die Haupt- sache für den fanatischen Sammler. Sein erregter Blick durch die Lupe gilt nicht etwa der leidenden Kehrseite des Ärmsten, sondern der „Spezies“, sozusagen dem botani- schen Ergebnis dieses hochinteressanten „Falls“. Großartig ist auch die Karikatur, die Frank Adams einmal in Collier’s Magazine brachte: Zwei Freunde in der Wüste, einer von ihnen scheint im Schutz eines Säulen- kaktus Freiübungen zu machen, der andere nörgelt: „Wir werden nicht nach Hause kommen, wenn du alle fünf Minuten im Schatten ausruhst!“ Eine paradoxe Ange- legenheit. Das Ausruhen soll — unnütz — Schweiß sparen, während die „Freiübung“ ihn fließen läßt; das hebt sich gegenseitig auf, ist sozusagen doppelter Unsinn. Und der kleine Kaktus im Vordergrund biegt sich dazu vor Vergnügen, während der Nörg- ler mitsamt dem schweren Rucksack in der heißen Sonne steht und einen Mund zieht, als verstehe er die Welt nicht mehr. Man sieht: mit den Kakteen kann man in vielseitigster Beziehung seine Freude haben. 6 B.ukubciy. Wunder" ult. 4. A. 8l
Das Abenteuer der Pflanzenjagd Bilder aus der Welt der Kakteen Die Erde gilt als erforscht. Selbst am Nord- und Südpol stand der Mensch bereits; was vor noch gar nicht langer Zeit verbotenes Land war, wie Tibet, ist ein Stück mo- derner Geschichte geworden, und in Insulinde oder am Amazonas gibt es keine Kopf- jagd mehr, um die unsere Generation noch wußte. Über die Straßen der Inka legte man die Panamerican Highway; in Grönlands unendlicher, blendender Weiße maß man an der Station Eismitte die Tiefe seiner gefrorenen Kappe. Die Schrecken der riesigen Wüste Inneraustraliens sind längst überwunden. Man kann keine Inseln mehr entdecken, keine unbekannten Meere mehr befahren, wir wissen nichts mehr von der vergangenen Wunderzeit des Täglich-Neues-Sehen, denn die Tage der kühnen Erd- umsegler sind vorbei; wir vermögen uns kaum noch in jene erhebenden Fahrten unter den mächtigen, sich bauschenden Leinwandwolken zu versetzen, denn die großen Windjammer, das letzte Wahrzeichen einstiger Seefahrerromantik, sind zum alten Eisen geworfen. Die Erde ist kleiner geworden: die Düsenmaschinen umrunden sie in einer Zeit, die Jules Vernes ,,Reise um die Welt in 80 Tagen“ — damals ein phan- tastisches Zukunftsbild — längst veralten ließen. Was den großen Abenteurern anfangs noch übrigblieb, war die Höhe und die Tiefe. Und selbst da jagen sich heute die Konkurrenten. Das Sporttauchen wird schon in Schulen gelehrt und verblaßt gegen die Vieltausendmetertiefen, die bereits von un- heimlich anmutenden Gebilden mit menschlicher Besatzung erreicht wurden; der Abb. 40 Großer baumförmiger BJjodocactns, in dem zur Trockenzeit selbst mancher Kakteenkenner nicht ein Mitglied dieser Familie vermutet (Kbodocactus coir^attii in Westmexiko) 82
Abb. 41 Auch diese Pflanze sicht nicht nach einem Kaktus aus Alte Zeichnung eines blühenden Zweiges von Kbodocactus lychnidiflorus Abb. 42 Im Pazifik wächst auf den öden Galapagos-Inscln westlich Ekuadors, fcstlandsfcrn wie ihr atlantisches Gegenstück — zwei Ccrccn auf Fernando Noronha östlich Brasiliens —, die sehr verschiedcngestaltige Opuntia galapageia {Opuntia galapageia var. giganted) Abb. 43 Seltsame breitkronige Bäume bildet in Westindien die Consolea moniliformis. Bisher hat man sic nur auf Hispaniola und der unbewohnten Insel Dcsecheo beobachtet 6* 8?
Abb. 44 Der „lebende Schnee“ der zentralperuanischen Ilochandcn, auf 4000 ni: Tepbrocactus floccosns kühne Höhenflug ist ebenfalls durch in Weltenferne rasende Raketen überholt worden. Was ist dagegen die früher so bewunderte, atemberauschende Jagd auf Riesenfische, die heute mit allem technischen Raffinement betrieben wird und nur noch eine Art Supersport ist. Für den, der noch in unseren Tagen das Geheimnis des Unbekannten sucht, scheint die Erde zu eng geworden, als für große Erlebnisse und echte Abenteuer verlorenes Land. Wohin soll man noch gehen? Es gibt keine weißen Flecken mehr. Wirklich nicht? O doch . . . man muß sie nur auf anderen Wegen suchen, zum Bei- spiel in der Kakteenjagd. Hier wird der Leser vielleicht lächelnd geneigt sein, dem leidenschaftlichen Chro- nisten der stachligen Geschichte eine so offenkundige Übertreibung zugute zu halten: weiße Flecke ... in unserer Zeit, wo wir überall herumfliegen? Ja, gibt es denn so etwas? Das Abenteuerliche in der Forschung hat sich eben gewandelt. Wir brauchen heute keine Fahrten zu Kannibalen oder in andere gefährliche Gebiete mehr zu unterneh- men, sondern haben es bequemer: eine noch ältere, noch größere oder winzigere, noch fernere und noch wunderlichere Welt tut sich uns vom Schreibtisch her, in der Biblio- 84
Abb. 45 Wie Geröllhaufcn liegen auf der Hochpampa Mittclpcrus die Polster des überwiegend haarlosen Tephrocacliis atroi 'iridis thek, in der Forschungsstätte und an den Zaubergeräten der modernen Wissenschaft auf. Wie erregend ist allein der Blick in den raumfernen Makrokosmos durch die heu- tigen Riesenteleskope geworden, die Schau der kleinsten Strukturen des Mikrokosmos durch das Wunderauge des Elektronenmikroskops. Der modernen Wissenschaft er- öffnet sich durch neue Gedanken und das Blättern im steinernen Buch der Erde eine grandiose und oft fast unheimliche Welt der Vergangenheit, die uns lange auf der Suche nach dem noch Unbekannten beschäftigen wird. Ebenso ist die Geschichte des Vorzeitmenschen von ständigen Überraschungen begleitet und uns immer noch weit- gehend ein Rätsel geblieben. Und wo wirklich einmal jemand in die einst so feindselige Dschungel hinaus muß, hilft die wohlassortierte Apotheke die Schrecken der zahllosen Tropenkrankheiten überwinden, wie das Kino und das Radio das Grauen der Polareinsamkeit. Auch die Kakteenjagd ist solch ein modernes Erlebnis geworden, mit einer Fülle ungehobener Gedankenschätze, die sie lohnender machen als die Jagd nach dem ver- schollenen Gold alter Seeräuber, das zumeist in das Reich der Fabel gehört. Darüber hinaus ist um sie aber der Reiz des Unerschlossenen geblieben. In der Welt der Kakteen gibt es noch weiße Flecke, Gebiete, deren Pflanzen uns bisher unbe- 85
kannt sind, selbst wenn mancher sie schon sah, ohne sich mit ihnen zu befassen. Diese Pflanzenjagd spielt sich auch in immer noch freier Wildnis ab, die so ursprünglich ist wie eh und je und vom heißen Tropenbusch über die Wüsten und steinigen Einöden hinauf zu den kalten Hochebenen der Anden und den Felsschluchten verwitterter Berge reicht. Hier ist der Pflanzenjäger ganz auf sich gestellt wie in längst vergangenen Tagen die alten Weltumsegler, scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, ist er von oft phantastischen Erscheinungen umgeben, die die Gegenwart vergessen machen. Und hinter den fast unwirklich anmutenden Pflanzengestalten sieht man von Urfernen her Abb. 46 Langen Schnüren gleich besiedelt hier die in tropischen Gebieten weit verbreitete Rbipsalis cassutba die Kalkwände der Guanaja)-Berge Kubas 86
Abb. 47 In der kubanischen Savanne von Herradura: ähnlich alten Blattbüschcln mancher Palmen, zum Beispiel der Washingtonia, hängen aus der Krone dieser Sabal die Triebe des cpiphytischen Selenicereus brevispinus herab ein Stück Geschichte des Kontinents, von der uns diese lebenden Fossilien als stumme Zeugen berichten. Die Kakteenjagd ist noch echtes Abenteuer wie reiche Forschungsaufgabe zugleich. Und das Außergewöhnliche ist, daß die wunderliche Jagdbeute den Daheimgeblie- benen alles das, was „Kakteen“ heißt, so nahebringt, als hätten sie deren Heimat selbst durchwandert — sofern sie nur recht zu sehen vermögen. „Am farbigen Abglanz haben wir das Leben“, sagt Goethe. Mögen hier einige Erinnerungsbilder solch ein farbiger Abglanz der Welt des stachligen Pflanzenlebens sein: Geisterhaft schwirrt und zirpt es rings in der Tropennacht, große Fledermäuse flat- tern durch das Dunkel, und Hunderte von Leuchtkäfern führen um die alten Bäume ihren glühenden Tanz auf. Schwül und beklemmend lastet die Finsternis auf der Erde. 87
Erschöpft ruhen wir unter unseren Netzen von dem langen Ritt aus, der uns hierher führte. Unser Ziel ist das Reich des grünen Kakteengeschmeides: der Kbipsalideen. Der Morgen beginnt mit Gebrüll. Lärmend begrüßen die Affen die aufgehende Sonne, und kreischend fällt der Chor der Papageien in das mißtönende Konzert ein. Bald bezieht sich der Himmel. In der Ferne trommelt bereits der Regen auf die Pal- menwipfel, um die aus feuchtem Grund zitternder Dunst steigt. Wir satteln wieder die Pferde. Trotz der Frühe rinnt uns dabei der Schweiß über die Stirn. Dann trottet unsere kleine Karawane von neuem in die Picada hinein. Es fällt kaum ein Wort. Zuweilen fährt der Machete klatschend in das Gewirr der hängenden Ranken. Aus dem Untergehölz dringt hin und wieder ein Rascheln oder das knarrende Klagen eines halb gestürzten Baumriesen, Lichtflecke tanzen geister- haft über das Tauwerk der Lianen; man meint Gespenster zu sehen und möchte am Abb. 48 Einsam im Atlantik, auf der kleinen brasilianischen Inselgruppe Fernando Noronha, hausen nahe der Brandung die Kolonien des Cereus insularis 88
Abb. 49 Auf den floridanischen Keys wird der Pilosocereus deeringii durch das Vordringen der modernen Zeit von der Ausrottung bedroht Abb. 50 Saguaro-Landschaft in Südarizona (Carnegiea gigantedj 89
Abb. 51 Kcrzcngleich ragen aus dem südwestmexikanischen Busch die unverzweigten Säulen der Neobuxbaumia (Rooks bya me^calaensis auf liebsten laut sprechen, singen, das drückende Gefühl verscheuchen, hilflos in der Ge- walt dieser Urwelt zu sein. Nach Stunden lichtet sich die grüne Dunkelheit, ein weites sonnendurchglühtes Buschgelände dehnt sich bis zum Horizont. Daraus ragen niedrige Wipfel und ein- zelne mächtige Stämme mit breiten Kronen auf. Aber wie seltsam sehen die Äste aus! Sie tragen zweifachen Behang. Lange, silber- graue Märchenbärte, die Bromelienschleier der Tillandsia itsneoides^ schweben von ihnen herab und wiegen sich im warmen Bodenwind, und zwischen ihnen hängt es in zahl- losen Schnüren herunter, dünn und verflochten, zuweilen wie von unsichtbaren Hän- den bewegt: dort hausen ein paar ältere Kolonien der epiphytischen Rbipsalis-Kakteen, als hätten sie sich vor dem zunehmenden Bodenbewuchs in die lichte Höhe der Baum- kronen geflüchtet. Wie vielfältig ist ihre Gestalt! Hier sind es fast fadendünne Schnüre, anderswo sich sperrig spreizende Glieder, von zartem Flaum übersponnen, kantige Ketten, wunder- liches Kunstwerk gesägter, gewellter und gezackter Ranken und krauses Gefüge ge- schwungener Blattkörper. Zur Zeit der Blüte sind sie zierlich umkränzt oder wie mit winzigen Farbtupfen geschmückt und später mit dem Perlengeschmeide weißer, rosiger, goldgelber, dunkelroter und blauschwarzer Beerenfrüchte. O O ’ * Der Busch ist wie das Leben und der Tod. Es gibt in ihm nur das eine oder andere: Regen- und Trockenzeit. Entweder erfüllt sich die Spanne, die ihm die Natur zur 9°
Abb. 52 Völlig vcrbändcrtc Weberbcmerocereus-i\xt im trockenen Südperu Vermehrung gab, in ungestümem Wachstum, oder er steht reglos und verdorrt da. Übergänge, wie sie bei uns der Wandel der Jahreszeiten mit sich bringt, kennt er nicht. Die Kakteen aber, die in ihm leben, scheinen zeitlos zu sein wie der stete Wechsel von Werden und Vergehen. Ihr Aussehen ändert sich nicht. Eine Zeitlang im Jahr umspinnt sie das dichte Geranke der Schlinger, die mit dem ersten Hauch von Feuchtig- keit ihr kurzes Dasein beginnen und bald ihre Nachbarn überwuchern, tausendfältiges 91
Blattwerk regt sich an allen Zweigen, schmückt sich mit reicher Blütenzier und läßt die Alten mit den sperrigen, stachligen Astarmen oft unter dem dichteren Bewuchs verschwinden. Dann kommt die Dürre. Rasch schrumpft, was sich vor kurzem noch in saftiger Üppigkeit spreizte, fällt und verdorrt, und nun wird es licht um die hageren Säulen. Jetzt beginnt ihre Zeit, in der sie wie ein Wahrzeichen ewigen Lebens ihre schlanken Häupter über dem Schlaf der Gewächse in den Himmel recken; und gegen das Blau des Äthers stehen ihre bunten Triebe mit den weißen Wollbahnen der Blütenzone in stummer Gelassenheit. Abb. 53 Alexander v. Humboldt’s schönste Ccrccncntdcckung in Nordperu: die seidig weißhaarige Espostoa lanata 92
Abb. 54 Typische Kaktccndschungcl im warmen Hochperu: Erdisia maxima und A^nreocerens hertlingianus Es ist mir manchmal nicht leicht gefallen, ihnen die Arme mit dem Hauer abzu- trennen. Doch man kann sie nicht verstümmeln. Wo heute ein paar trostlose Stümpfe aufragen, sind nach einigen Monaten um die Triebenden neue Kindel da, wachsen und schwellen und sind bald schöner als die sonnenverbrannten alten Zweige. * Zwischen nackten, braunen Bergen, deren Farbe in der flimmernden heißen Luft wie verblaßt erscheint, dehnt sich ein weites Verwitterungstal. Geröll bedeckt den Boden, aus dem hier und da Felsbrocken aufragen, und Totenstille liegt über der leblosen Erde. Erbarmungslos brennt die Sonne auf das Durstland des Valle Muerto. Als sie den Zenit überschritten hat, taucht in der Ferne ein Reiter auf. Müde, mit hängendem Kopf, schleppt sich sein Tier dahin. Wie schlafend hängt der Mann, der 93
Abb. 55 W'eißw artig behaart .sind die \on unten \ er/w eigenden, nur mäßig hohen (huppen der PscHdocsIwsloa mi'lcuiostele Mirtelperus. Der paradox erseheinende Artname „dunkle Säule" wurde wegen der häufigen Staubsehwär/ung der älteren Bekleidung gewählt 94
z\hb. 56 Von grandioser Monotonie ist diese Ncoraimondia-Landschaft Nordperus (Neoraimondia giganten var. sanie/Isis') sich in der Einöde verirrte, im Sattel, und nur, wenn die Hufe des erschöpften Pferdes einmal straucheln, fährt er hoch, reckt sich ein wenig und schaut in die Runde, eine Hand über die Augen gelegt; dann sinkt sie matt wieder herab. Zuweilen tasten die Finger nach der Trinkflasche, krümmen sich und lassen sie kraftlos fahren, ein mechanischer, sinnloser Griff, denn sie ist längst leer. Will diese schaurige Einöde kein Ende nehmen, fragt sich das gequälte Hirn; wird es überhaupt einen Ausweg aus dieser erbarmungslosen Hölle geben? Lauert dort hinten schon das Ende, oder erst ein paar Kilometer weiter? Muß nicht bald der brave, vierbeinige Ka- merad stehenbleiben, keuchen, zittern und nicht mehr Vorwärtskönnen? Dann wird man absteigen, das Tier ein Stück weit hinter sich herziehen, sich hinsetzen, ein wenig übernicken — und schließlich werden hier wieder zwei ihre ewige Ruhe gefunden haben. Plötzlich hebt das Pferd den Kopf und stolpert erschreckt zur Seite. Es hat die seltsame Gestalt, die sich aus dem gelben Geröll erhebt, erst bemerkt, als es an ihr vorübertrottet. Die junge Kugel ähnelt fast einem Gesteinsbrocken. Von der Bewegung aufgerüttelt, schaut der Reiter um sich, sieht eine unheimliche Walze, die schräg voraus am Boden hockt, starrt sie sekundenlang an, seine Augen weiten sich, als sähen sie etwas völlig Unglaubliches, und schon bricht ihm ein heiserer Schrei aus der Kehle: „Dios mio . . . un viznaga!“ Und dort: drei, vier, sechs, immer größere — alles Kugelkakteen! Verschwunden ist die bleierne Müdigkeit. Rasch gleitet er aus dem Sattel, reißt den Machete aus der Scheide. Gierig schlägt er ihn in den stachligen Leib, trennt das 95
Oberteil ab, bohrt ein Stück aus der Mitte und verzehrt es heißhungrig. Zuletzt schabt er eifrig im Loch herum, fährt mit der hohlen Hand hinein und schlürft den saftigen Brei, als sei er das köstlichste Gericht. Und dann kommt das Pferd an die Reihe. Erquickt setzen beide ihren Weg fort. Sie wissen: wo die Kakteen beginnen, diese lebenden Zisternen, die das Wunder vollbringen, aus dem Nichts, aus dem Tauhauch der Nacht und seiner letzten Spur im Boden Feuchtigkeit zu speichern, haben sie den Dursttod hinter sich gelassen. Ich bin durch andere Wüsten gewandert, in denen Skelette am Wege bleichten. Dort gab es keine „Barrel-cacti“ und — keine Rettung! * Wir überqueren an der nordargentinischen Grenze einen Paßeinschnitt. Kahl und wild steigt das Bergland um uns an, soweit das Auge reicht. Geröll, Schutt, ragende Felsen und zerfressene Hänge schieben sich überall ineinander. Aus blauer Ferne grüßen die Schneehäupter der Hochanden herüber, und vor uns gähnt weit in der Tiefe der breit klaffende Spalt einer großen Quebrada. Darin fließt das kärgliche Rinnsal, das einst als wilder Strom die Schlucht ausfraß. Auf ihrer Sohle liegt unser nächstes Tagesziel. Es wird jedoch noch Stunden dauern, bis wir es erreicht haben. Plötzlich zeigt der Führer der Tropa nach unten. „Los pasacanas, senor!“ Zuerst sehe ich nur kleine Punkte. Von Kilometer zu Kilometer aber wachsen sie, sie bekommen helle Köpfe, werden zu Walzen, zu Säulen, zu Riesen . . .! Dort schiebt sich eine phantastische Armee auf uns zu. Eisgrau und runzlig klettern sie zu den Höhen hinauf. Unmerklich dringen sie vor. Ein Jahr ist ihnen nicht viel mehr als ein flüchtiger Wechsel von Dürre und Nebel. Altersgefurcht sind die Leiber. Die Häupter leuchten in silbrigem Weiß, geschmückt mit hellen Trompeten, den Blüten. Man meint, stumme Fanfaren einer geisterhaften Invasion zu hören. Dick und ungeheuerlich wuchten sie daher, unbeweglich und doch unaufhaltsam, bis Sturm und Kälte ihnen ein Halt gebieten. Dann haben sic erreicht, was ihnen die Natur befahl: Leben in die tote Einsamkeit zu tragen. In über 4000 m Höhe haben wir sie noch angetroffen, kleiner als ihre tonnenschwe- ren Brüder an den tieferen Faldas, aber genauso beharrlich, dicht bepelzt wie zum Schutz gegen den Bergwind, mit leuchtendroten Blumensträußen im Schopf. Dort in der Gipfeleinsamkeit haben sie das Ende der weiten Wanderung erreicht, die sie über ihre Urahnen irgendwann aus der Tiefe hier hinaufführte. Ihr Weg blieb uns ein Rätsel. Jeder ihrer Schritte war eine Sekunde der Ewigkeit. * Ein letztes Mal geht es in die Berge hinauf, um die höchsten Regionen zu unter- suchen, in denen sich noch eine Kakteenspur vermuten läßt. Wir brechen bei Dunkel- 96
Abb. 57 Bizarre Einsiedler sind die nur vereinzelt über die Einöden Südperus verstreuten Bäume der Broivningia candelaris heit auf, um den langen Anstieg vor Tagesbeginn hinter uns zu bringen. Nachts ist es im Hochland zwar kühl, ja, es kann empfindlich kalt werden, aber sobald die Sonne scheint, strahlt sie heiß auf das nackte Gestein. Als es hell wird, haben wir den größten Teil geschafft. Zuweilen müssen wir das Seil zu Hilfe nehmen, denn die Bergflanken türmen sich immer zerklüfteter um uns auf. Schließlich stehen wir auf einer winzigen Hochfläche, die durch die Verwitterung der Felsen gebildet wurde. Nirgendwo ist etwas von Kakteen zu sehen. Noch weht ein frischer Wind. Er verlockt uns, ein weiteres Stück hinaufzuklettern. Doch wir halten bald ein. Es ist sinnlos, hier oben herumzusuchen. Was sollte auch in diesem kahlen Gestein leben können. Wir rasten eine Zeitlang und machen uns dann an den Abstieg. Die kleine Hochfläche liegt wieder vor uns. Kaum haben wir sie betreten, da dreht 7 Backeberg, Wunderwelt, 4. A. 97
Abb. 58 Fast unwirklich mutet das Auftreten des Haageocereus clavispinus im steril erscheinenden Wüstengeländc Nordperus an sich der erste von uns mit erstauntem Gesicht um und zeigt auf den Boden. Ich traue meinen Augen nicht: aus dem Schutt leuchten überall rote Farbenkleckse. „Die Gipfelkakteen!“, sagt einer. Kopfschüttelnd betrachte ich das seltsame Bild. Ahnungslos schritten wir vorhin über die steinähnlichen niedrigen Körper hinweg. Niemand hatte sie bemerkt. Sie sitzen tief in der Erde, die sie gegen die nächtliche Kälte schützt, und nur der Kopf schaut heraus, mit den grauen, verstaubten Knospenpinseln, die sich erst mit steigender Sonne öffnen. Viele von ihnen haben sich später in meiner Sammlung prächtig entwickelt. Sic sind größer und frischgrün geworden, weil sie sich nicht mehr so kümmerlich durch- schlagen müssen, wie in ihrer Heimat. Aber für mich behielten diese kleinen Medio- lobivia-KtX£SX den Namen, den ihnen einer meiner Gefährten gab: Gipfelkakteen. * Frühwinter im peruanischen Hochland. Ich fahre mit der Bahn nach Oroya, dem 4000 m hoch gelegenen Minenort. Bei Ticlio, auf fast 5000 m Höhe, kündigt ein Gipfelgewitter den Temperatursturz an, Blitze zucken, und der Donner vollführt in dem Hochkessel ein Höllenkonzert. Müh- sam schleicht der Zug die letzte Steigung hinauf. Die Passagiere von der Küste saugen 98
verzweifelt am Sauerstoffschlauch, denn hier beginnt ihnen die Sarroche oder Puna, die Bergkrankheit, schärfer zuzusetzen. Und dann kommt der Schneesturm. Man sieht kaum den nächsten Wagen. Als die weißen Wirbel einmal lichter werden, huschen die geisterhaften Silhouetten der Llamas vorüber, dieser wunderlichen Tiere, die in ihrem dicken Fell weder Sturm noch Kälte anficht. Ich will hier oben sammeln, aber das wütende Wetter verjagt mich. Ich gehe zum wärmeren Rio Maranon hinüber; inzwischen muß es auch mit dem wilden Schnee- sturm zu Ende gehen. Nach einigen Tagen kehre ich zurück. Es hat noch nicht aufgeklart. Noch lasten bleiche Wolken über der Höhe, in stumpfem Grün spiegeln düstere Lachen, und es ist nicht mehr überall weiß. Hier und da aber scheint der Schnee nicht im nachfolgen- den Regen zerronnen zu sein. Und dann stehe ich vor den vermeintlich liegengebliebencn Schneefetzen: es sind Abb. 59 Selbst im Flugsand der pazifischen Küstenwüste Perus leben noch Kakteen, schlangcngleich und halb verweht, manchmal von Flechten und Tillandsien bewachsen (Haageocereus repens) 7* 99
Kakteen, die Tephrocactus floccosus, der „lebende Schnee“, wie ihr Entdecker die weiß bepelzten Pflanzen treffend nannte. Unerschütterlich breiten sie sich in die Mulden, mit zottigem Fell wie die Llamas, die ich auf dem Herweg im Schneesturm sah. Welch guter Schutz gegen Unwetter, würde mancher denken, wenn er die weißen Kolonien sähe. Aber es wäre eine Täuschung; daneben häufen sich vielköpfige Buckel mit völlig nackten, dunkelgrünen Köpfen, der Tephrocactus atroviridis. Hier narrt die Natur unsere Anpassungstheorien, hier treibt sie nur ihr Formen- spiel. Ich muß an andere weiße Kaktcengestaltcn denken. Wir kamen von den Altos Nordperus, aus der weiten, welligen Hochebene. Der Ritt war lang gewesen; die harten Holzsättel hatten uns bereits Wunden in die Kehr- seite geschnitten. Müde stapften die Pferde die muldigen Treppenstufen des Kara- wanenweges hinab; sie waren so erschöpft, daß sic kaum noch, wie sonst, vor den hellen, nächtlichen Steinbrocken scheuten. Mit der Zeit lernt man auch im Sattel schlafen oder wenigstens im Halbschlaf vor sich hinzudämmern. Schließlich geht es immer steiler hinab, wir müssen uns kräftig zurücklehnen und hören dabei die Engel im Himmel singen. Aber dann ist plötzlich alle Qual des langen Reitens, alle Müdigkeit verschwunden: am Wege ragen im Mondlicht bleiche Riesenkerzen auf, zuerst vereinzelt, bald Dutzende, Hunderte, breite Kronen schlanker, weißbepelzter Pfeifen. Da rufe ich „Das Ganze halt!“ und bin im Nu aus dem Sattel. Beglückt wandere ich durch den hellen Säulenhain. Es ist meine erste Begegnung mit der prächtigen TLspostoa lanata^ die schon Alexander von Humboldt gefunden hatte. Das ist lange her. Aber mir ist im Geiste, als ginge der große Naturforscher noch neben mir, er, der nichts übersah, der auch bereits die Wollbahnen der Blütenschöpfe dieser Pflanzen untersuchte und ihren ungewöhnlichen Ursprung erkannte. Und am anderen Tag finden wir auch die goldgelb und fuchsfarben beborsteten Seticereus-Arten, die in dieser Gegend zu Hause sind und die Humboldt ebenfalls als erster sah. Wollte man auf einer Gedenktafel die Erforscher der peruanischen Kakteenflora verewigen, müßte man seinen Namen obenan setzen. Mit seinen beiden Perufunden hat er zwar nur wenige Arten entdeckt, aber die schönsten Südamerikas. * Eine merkwürdige Gattung, wenn nicht überhaupt die merkwürdigste ihrer Fa- milie, sind die Melocacteen, Zuerst wachsen sie ganz „normal“, wie es sich für einen Kugelkaktus gehört. Eines Tages aber beginnen sie im Scheitel einen seltsamen Schopf aus Wolle und stechenden Borsten zu bilden, der sich bei einigen Arten stän- dig verlängert, als hätte man einen Zylinder auf eine Kugel gestülpt — ein höchst wunderlicher Anblick; die Blüten hingegen sind nur winzig. Die Pflanzen treten fast immer gesellig auf, besonders auf den Großen und Kleinen Antillen, manchmal zu Dutzenden beieinander; selbst auf den winzigsten Eilanden trifft man sie noch an. IOO
\bb. 60 Monumentalen Kandelabern gleich stehen die alten Armatocereus raubii auf den Geröllfeldern Nordperus. Sie wurden nach Prof. Dr. W. Rauh, Heidelberg, benannt, der durch seine neueren Sammelreisen in Peru 'inen bedeutenden Beitrag zur Kenntnis der peruanischen Kakteenflora leistete
In Kuba haben sie sich in abgelegene, schotterreiche Buschhalden verkrochen, so daß man einige ihrer Arten dort erst in jüngerer Zeit entdeckte. Das Hauptkontingent der Inselkette stellen der Melocactus communis und der Melocactus intortus. Manche wer- den im Alter stark zylindrisch, andere sind mehr konisch verjüngte Kugeln; zuweilen sind sie auch hechtgrau, wie der Melocactus caesius von Trinidad. Junge und alte Exemplare sehen ganz verschieden aus. Als ich vor langen Jahren auf eine der ehemals dänischen Inseln Westindiens kam, wollte ich dort durchaus auch Melocacteen sammeln, aber das habe ich rasch bereut, denn niemals und nirgends stöhnte ich wieder unter der Hitze so wie damals auf dem Marsch durch den wilden Busch zum Meer hinab. Meinen Begleiter und mich wollte unterwegs zuweilen der Mut verlassen, in diesen Höllenofen der Natur noch weiter einzudringen. Die See war so hellgleißend, daß wir sie erst sahen, als wir dicht davorstanden. Nach mühsamem Herumsuchen stießen wir endlich auf eine der stachligen Ansied- lungen. Unmittelbar am Ufer hockten die frischgrünen Kugeln, in buschbedecktem Geröll. Aber sie sahen nicht so aus, wie ich sie mir vorgestellt hatte: ziemlich klein und breitrund, nur einige trugen einen winzigen, flachen Schopf. Das sollten die zu- letzt — wie der Melocactus coronatus auf Jamaica — bis fast einen Meter hoch werdenden Melocactus intortus sein? Das wollte ich gar nicht glauben. Es war jedenfalls eine junge Kolonie, die einzelnen Stücke noch nicht ausgewachsen. Doch warum standen hier nur junge? Wie konnten ihre Samen hierher verschleppt worden sein? Noch unwahrscheinlicher war, was wir mit ihnen auf Curagao erlebten. Dort sitzen sie draußen im öden, pulvertrockenen Gelände und sind so verschieden, daß man, wenn man hier und da nur einzelne von ihnen sieht, glaubt, in ein Melocacteen-Para- dies für Sammler gekommen zu sein: lauter verschiedene Arten, wie es scheint, fast kein Exemplar gleicht dem anderen. Aus diesen Melocactus macrocanthos hat der eifrige Botaniker Suringar denn auch über hundert Spezies gemacht. Will man die Pflanzen mit dem Pickel herauslösen, kommt die ganze Umgebung in Bewegung. Meterlange Wurzeln durchziehen dicht unter der Oberfläche den Bo- den. Das ist ihr Trick, durch den diese Kakteen hier aushalten. Mit dem vielfältigen, langen Wurzelwerk holen sie jeden Hauch von Feuchtigkeit aus der Erde, während ihre Verwandten drüben auf den mittleren Antillen, weil sie oft ganz nahe am Wasser wachsen, zu dem Trugschluß verführen könnten, sie machten sich unterirdisch das eindringende Naß des Meeres zunutze. Tatsächlich verhalten sie sich aber genauso wie ihre Brüder auf Curagao. Ich glaube, man kennt sie noch gar nicht alle, nicht einmal in Westindien; die neueren Entdeckungen auf Kuba lassen diese Vermutung durchaus zu. In Haiti und der Dominikanischen Republik scheinen jedenfalls Arten vorzukommen, die man noch nicht genau bestimmt hat. Man muß dort einmal durch den Busch gewandert sein, um zu verstehen, daß sich wegen der Hitzschlaggefahr kaum jemand ernstlich mit ihnen befaßt, es sei denn, er sei lebensüberdrüssig. Kürzlich erhielt ich Aufnahmen von kleinen Inselsplittern bei Guadeloupe; auf den Fotos sah ich ganze Rudel von kugelrunden Körpern beieinanderhocken, mit lampenputzerartigen langen und roten 102
Abb. 61 Jasminocereus tbouarsii^ einer der beiden großen Galapagosccrccn, ähnelt in der kettenförmigen Triebabschnürung den Aj'matocereiis-NxXvi\ des gegenüberliegenden Festlandes. Vielleicht deutet das auf alte Verwandtschaftsbczichungcn hin. Während aber die Blüten dieser beiden Gattungen verschieden sind, erweist sich an denen von Armatocereus und dem zweiten Cereengenus der Galapagos-Inscln, Bracbycereiis, daß sic zweifellos einander nahe verwandt sind, ein interessantes phylogenetisches Problem Abb. 62 Riesiger „Mandacaru“ in Innerbrasilien, wahrscheinlich noch unbeschrieben. Eine sehr langstämmigc Art der Gattung Cereus Cephalien, wie man ihre Schöpfe nennt. Sie sind zweifellos der altbekannte Melo- cactus communisden man nicht, wie es Britton und Rose taten, mit dem später länglich werdenden Melocactus intortus zusammenwerfen kann, zumal dieser viel kürzere Ce- phalien bildet. Merkwürdig ist auch, daß manche Melocacteen bei uns viel Feuchtigkeit vertragen, darunter einige, die aus — erst in jüngerer Zeit? — trockenen Gebieten stammen. Das Bild ihrer Verbreitung hat mir unter allen Kakteenarealen das größte Kopf- zerbrechen bereitet. Von den Bahamas bis zum nördlichen Südamerika bilden sie eine Art Barriere vor dem mittleren Kakteenreich. Auf fast allen Inseln kommen sie vor, zum Teil in Massen. Im östlichen Festland sind sie südwärts bis fast nach Rio de Janeiro hinuntergelangt. Im „weißen Wald“ der Catinga, jenem trockenen und fast 103
schattenlosen Buschgelände des Sertäo, sieht man sie ebenfalls. Dann tauchen sie — wenigstens soweit wir es bisher wissen — erst wieder im Innern auf, an den oberen Amazonaszuflüssen, wo sie sich in der Unendlichkeit der Campos verlieren, und man sicher manche von ihnen noch gar nicht kennt. Unbegreiflich erscheint, daß man sie selbst oben in Mexiko, nahe der Ost- wie an der Westküste, gefunden hat. Zuerst wollte man es gar nicht glauben. Aber sie treten südlicher auch noch in Guatemala auf. Und dann trifft man sie wieder an der pazifischen Seite Südamerikas, von Kolum- bien bis Mittelperu. Hier sammelten wir sie in trockener Einöde, vom Hinterland Limas bis zur Nordgrenze hinauf, zuweilen da, wo man überhaupt kein Pflanzenleben mehr erwartet. Abb. 63 Der Kakteenjäger ist oft ein halber Alpinist. Pickel und Seil dienen ihm nicht nur zum Erklimmen steiler felsiger Standorte, sondern auch zum Heraushacken und Abtransportieren der Pflanzen an schwer zugänglichen Stellen. Hier wird in der Barranca Venados in Mexiko ein älteres „Greisenhaupt“, Cephalocereus senilis, abgeseilt IO4
Abb. 64 Riesiger Barrcl-Cactus in Arizona: Yerocactus wisli^enii 105
Die größte Überraschung aber war, daß man sie sogar weit im Innern Nordperus, am Maranon, fand, dort als klobige konische Kugelgestalten mit bis 30 cm langen Cephaliumzy lindern. Interessant ist auch, daß fast immer mit ihnen oder doch unweit davon Pilosocerens- Arten auftauchen — von Mexiko bis weit nach Südamerika hinab. Vermutlich zog sich ehemals vom nördlichen Mittelamerika her über das jetzige Westindien zur süd- amerikanischen Küste hinunter eine große Landbrücke, zu einer Zeit, in der zumin- dest ein Teil der jetzigen Amazonas-Waldwildnis noch öde Savanne war. Pilosocerens und Melocactus mußten damals zu den wanderlustigsten Kakteen gehören, oder we- nigstens waren sie die artenreichsten, mit der weitesten Verbreitung. Aber warum nur sie? Und woher kamen sie, wie entstanden ihre Gattungen und dieses weiteste und eigenartigste aller Kakteengattungsvorkommen? Fragen über Fragen, auf die wir bisher keine Antwort fanden, denn hier versagen die phylogenetischen Schlüsse. * Hin und wieder tauchen in der Presse sensationelle Meldungen von geheimnis- vollen riesigen Urtieren im Innern des tropischen Afrika auf. Von den Kaktecn- „Sauriern“ des mexikanischen Hochlands und der niederkalifornischen Inseln las ich aber noch niemals etwas. Dabei gehört das Zusammentreffen mit ihnen zu den merk- würdigsten Begegnungen im Pflanzenreich. Zwar gibt es auch andere ungewöhnliche Riesengestalten der Flora im weiten Erdenrund: die über menschengroßen Blüten des Amorpbopballns titanum von Insu- linde, die wie eine stilisierte Fontäne mit ihrem Becken aussehen; die ungeheuren und doch so graziösen Fächer der Pavenala madagascariensis^ des madagassischen ,,Baumes der Reisenden“, der dem Wanderer in den Blattscheiden kostbares Wasser bewahrt; die Zyklopenbäume der Adansonias in Afrika; die phantastischen Ananasgewächse der Piiya raimondii Perus und Boliviens, zu deren Blüten man mit Hilfe einer Leiter hinauf- klettern muß; der große, gewissen langstämmigen agavenverwandten Pnrcraeas ähnelnde Senecio j ob ns tonii Ostafrikas, dem wieder die Pspeletias oder „Frailejones“, vom CumbaLPäramo Südkolumbiens, beide zu den Kompositen gehörend, vollkommen gleichen, ein fast unglaubliches Doppelgängerspiel der Natur. Aber nicht weniger imponierend und in der Einsamkeit und Leere ihrer Umgebung noch erstaunlicher sind die stachligen Giganten der heißen Halden des mexikanischen Hochlandes, der südwestlichen Vereinigten Staaten, Niederkaliforniens und der trok- kenen Inseln im Golf von Kalifornien. Es sind die großen Arten der Kakteengattungen Pcbinocactns und Perocactns. Die ersteren haben stets gerade Stacheln, die letzteren häufig bunte, gehakte; Scheitel und Früchte des Pcbinocactns sind dicht bewollt, die des Perocactus nicht. Bis zum Jahre 1846 kultivierte man im Botanischen Garten Kew, bei London, einen 3 m hohen Pcbinocactns ingens^ ein gleiches Stück schickte ein mexikanischer Gouver- neur einst in die Hauptstadt seines Landes. Es war das erste Mal, daß man diese unge- heuren Pflanzenwalzen außerhalb ihrer Standorte zu Gesicht bekam. 106
Abb. 65 Ferocactus acantbodes im „Tcufclsgartcn“ in Kalifornien Abb. 66 Eine seltene, vierköpfige, alte Pflanze des 'E.cbinocactus grandis in der mexikanischen Gcröllwüste von Tchuacan IO?
Die Amerikaner Britton und Rose beschrieben noch eine zweite Art: den Rcbino- cactiis grandis. Ihn hatte man in Europa noch niemals als altes Exemplar gesehen, und als ich 1939 in Mexiko auf der Jagd nach Riesenkakteen war, setzte ich mir in den Kopf, ein paar solcher Zyklopen des Kakteenreiches nach Hamburg zu bringen. An einem sonnigen, sehr staubigen Tag — auf dem mexikanischen Hochland ist es zwar immer ziemlich staubig, aber zuweilen tut ein heftiger Wind noch ein übriges, und dann kaut man selbst in den Vororten der Metropole noch auf Sand — schau- kelten wir mit zwei Lastautos von Tehuacan nach Süden. Bisher hatte ich die Trans- portfrage noch gar nicht recht bedenken können; man mußte sich diese ungewöhn- liche Pflanzengesellschaft zuerst einmal an Ort und Stelle ansehen. Zwar hatten wir dicke Bohlen, Seile und Holzwolleballen geladen, aber würden sie uns viel nützen? Wie sah die Pampa aus, war sie von grobem oder kleinem Geröll bedeckt, eben oder uneben? Keine unwichtigen Fragen, denn es genügte nicht, zu den Pflanzen zu gelan- gen, man mußte sie auch aufladen können, und das beste wäre für die tonnenschweren Walzen ein Kran. Aber mit einem Kran kann man nicht in der Einöde herumkut- schieren. Nach Stunden kam langsam ein weiter Hang näher. Bald sahen wir darauf dunkle Punkte, die rasch wuchsen. Welche phantastische Welt: zwischen palmenähnlichen großen Nolinas, Uliaceen mit mächtigen Zwiebelstämmen, hockten die ersten unge- heuerlichen Kakteengestalten, stumpfgrau, uralt, der Leib stufenweise geschwollen und die Flanken dem Bauch eines Furchenwales ähnelnd. Die ganze Falda wimmelte bald von diesen wunderlichen Geschöpfen. Aber grobes Geröll bedeckte ringsum den Boden und machte ein Fortbewegen der Pflanzen zum Lastwagen unmöglich, auch waren fast alle durch das Hanggefälle krumm gewachsen und lohnten das Mitnehmen nicht. Andere, auf etwas ebeneren Stellen, hatten Schön- heitsfehler. Hier und da ragte eine ganze Familie auf, ein in der Jugend am Scheitel beschädigtes Stück, das nun eine mehrköpfige Gruppe von über Mannshöhe bildete. Hier war ohne Kran überhaupt nichts zu machen. Schließlich kamen wir zu einer flacheren Pampa, wo die hohen Kugeln kerzengerade gewachsen waren. Nur solche lohnten den Transport. Langsam brachten wir den Camion im Rückwärtsgang näher; dicke Bohlen wurden hinabgeschoben und mit grobem Gestein gestützt, damit sie nachher nicht — bei viel- leicht mehr als einer Tonne Gewicht — wie Glas zerbrachen. Aus Holzwolle breiteten wir eine weiche Bahn, legten einen Schutzring aus gleichem Material um den Pflanzenkörper und außerdem eine Schlinge, der zweite Lastwagen wurde vorge- spannt, dann ein Ruck, und der Dicke lag kunstgerecht quer zur Bahn. Das war wich- tig; jede Drehung der aufliegenden Riesenlast mußte vermieden werden, weil sie un- weigerlich die Flanken des stachligen Titanen verletzt hätte. Und schließlich wurde, mit großem Hallo, die mächtige Walze wie ein Weinfaß an Bord gehievt, wo ein starkes Holzwollpolster als Bett wartete. Später fanden wir noch ein fehlerloses Stück. In der Hauptstadt nähten wir beide zu gutfedernden Ballen ein, und einige Wochen später stand der Bcbinocactiis grandis 108
Abb. 67 Abtransport eines großen Hcbinocactus grandis zum ersten Male in Europa, aufrecht und wuchtig bis . . . die Bomben fielen. Er hatte sicher noch die Indios der vorkolumbischen Zeit an sich vorüberziehen sehen, daß er aber einmal ein solches Ende nehmen würde, hatten weder er noch ich uns träumen lassen. Damals war ich sehr stolz auf diesen Fang. Ich hatte mich allerdings mit zwei Ex- emplaren begnügen müssen — mehr konnten wir nicht schaffen; sie wogen bereits jeder ungefähr eine Tonne —, aber es waren immerhin zwei. Kew besaß im vorigen Jahrhundert nur einen von dieser Sippe. Ich war zufrieden, wenn ich auch wußte, daß die vielbestaunten Pflanzenwale noch lange nicht die größten ihres Geschlechts waren. Die anderen haben jedoch ihr Wüstendasein im Alter durch Übergrößen und Über- gewichte gesichert, und man kann sie auch deswegen nicht fortschleppen, weil sie zu abgelegen wachsen. Es sind die gewaltigen Ferocacteen. Unter ihnen erkennt man erst das ganze Wun- der dieser buntstachligen Riesen. Seltsam: von Mittelmexiko her über Sonora, den Golf von Niederkalifornien und Kalifornien bis Nevada, Arizona und Neumexiko zieht sich ein einsames Reich vorweltlicher Kugelgestalten. 109
Im mexikanischen Staat San Luis Potosi lebt der Ferocactus stainesii\ es gelang mir, von ihm wenigstens eine mehrköpfige Gruppe von rund 1,50 m Höhe abzutranspor- tieren. Aber die stärksten erreichen bis 3 m Länge. Die kleineren sind der Ferocactns wisli^enii^ der von Neumexiko bis Niederkalifornien und zur westmexikanischen Provinz Sinaloa hinunter vorkommt und dessen älteste Exemplare „nur“ 2 m hoch werden, wie auch der Ferocactns lecontei Arizonas. Im Ver- gleich zu ihnen ist der Ferocactus covillei, den man auch in jener Gegend trifft, noch ein Zwerg von 1,50 m Höhe. Dagegen erreichen die niederkalifornischen Ferocactiis peninsiilae und rectispinus wenigstens die 2,50-m-Grenze. Bis rund 3 m hoch werden dagegen die ältesten Ferocactns acanthodes und rostig ebenfalls aus dem kalifornisch- niederkalifornischen Gebiet. Sie alle aber — so erstaunlich auch diese mächtigen buntstachligen Walzen anmu- ten — werden noch von dem zyklopischen Ferocactns dignetii von der Insel Santa Cata- lina im Golf von Kalifornien übertroffen: bis auf 4 m Höhe bringen es diese dicken, gefurchten und wellig geschwollenen Riesen, deren Basis zuweilen hervorquillt, als vermöchte sie die Riesenlast kaum noch zu tragen. Abb. 68 Einer der tonncnschwcrcn alten Echinocactus grandis ist in Hamburg angclangt I IO
Abb. 69 Eine alte Mamillaria spbacelata wird in der mittclmexikanischen Wüste aus dem Boden gelöst 111
Abb. 70 Der größte aller Kugelkakteen: der Ferocactns dignetii, 4 m hoch, aut der einsamen kleinen Insel Santa Catalina im Golf von Kalifornien So stehen sie in der heißen Einsamkeit, am Fuß fast steriler Schotterhänge, auf steinigem Grund zwischen Geröll und armseligem niedrigem Gestrüpp. Niemand kann ihr Alter schätzen, keiner vermag zu sagen, wie sie hierher gelangten, warum sie gerade auf dieser Insel eine so gewaltige Größe erreichten und wie sie sich ernähren. Die letzten Jahrzehnte scheinen sie sich nicht mehr zu rühren, stehen sie still in der Einöde, bis ihr Wurzelwerk zu zerfallen beginnt und eine Windbö sie stürzt. Urzeitgestalten der Kakteen weit, so muten sie an, wahre Saurier unter den Kugelformen und eines der merkwürdigsten Wunder im Pflanzenreich. * Aus weiter Ebene starrt ein Meer von grauen, wilden Gewächsen um uns: die Feigenkakteen. Mit scheibenartigen Gliedern greifen sie in die Luft, ineinander und übereinander und undurchdringlich. Zuweilen recken sich zwischen ihnen noch zylindrische Arten auf, die wildesten Stecher ihrer Zunft. Gelb, braun, rot und grau- weiß leuchten die furchtbaren Waffen, die jedem, der ihnen zu nahe kommt, mit Höllenqualen in den Leib fahren, Millionen von winzigen Spießen, bereit, das stach- lige Reich zu verteidigen. Niemand kann sie überwinden. Zerschlüge er Tausende von ihnen, wüchsen aus den Trümmern Zehntausende nach, um den Kampf fortzusetzen. Die vXrrieros, unsere Treiber, machen zuletzt ihrem Zorn Luft, daß das „Nopal“- und „Cholla“-Gestrüpp kein Ende nimmt. Vorsichtig stapfen die Tiere über den 112
schmalen, staubigen Pfad, der sich von Lücke zu Lücke schlängelt; noch einmal drängt sich das schreckliche Heer drohend dicht an uns heran, dann lassen wir es end- lich aufatmend hinter uns. Wir schlagen einen leichten Trab an, um möglichst schnell zu unserem Ziel zu kommen: die durstigen Kehlen lechzen nach einem erfrischenden Trunk. In der ersten besten Tienda kaufen wir einige Flaschen Bier und ruhen uns in einem luftigen Neben- raum aus. Meine Kameraden scheinen hier unsere Begegnung mit den heimtückischsten Kakteen schon vergessen zu haben. Mir aber fällt, als ich durch die Türöffnung zur Theke hinüberschaue, eine andere Tienda ein, ein Erlebnis, von dem mir Schwarz berichtete, der zuerst mit seinem Kol- legen Georgi und dann seit Jahren allein als erfolgreicher Sammler Mexiko durch- streifte und noch heute viele Kakteen nach Europa und den Vereinigten Staaten liefert. Er besitzt in San Luis Potosi ein Haus. Dort besuchte ich ihn einmal, und er zeigte mir seine Kakteenplantage: Hunderte prächtiger und seltener Pflanzen, vom großen, leuchtendweißen Greisenhaupt bis zum unscheinbarsten Zwerggewächs, in allen Far- ben und Formen; so standen sie da, sauber in Reihen gepflanzt, bereit, über kurz oder lang ihre Reise in die Sammlungen der Liebhaber anzutreten. Inzwischen dienten sie der Samengewinnung. Unter den Opuntien war eine, die wir beide nicht kannten. Sie stammte aus der Gegend nahe dem Rio Yaqui, wo sich die gleichnamigen Indios noch lange ihre Un- abhängigkeit bewahrten, bis in unsere Zeit hinein. Schwarz berichtete mir, daß die Pflanze in jenem Gebiet ziemlich verbreitet sei, und fuhr dann fort: Abb. 71 Eine wahre Melocacteen-Insel ist das Ilet Gros Jean bei Marie Galante (Guadeloupe). Hier leben Herden des Melocactus communis, wie häufig in Westindien ganz nahe dem Meer. Seltsam sind die rötlichen langen Cephaliumzylinder der ältesten Pflanzen, ein charakteristisches Kennzeichen dieser Art 8 Backeberg, Wunderwclt, 4. A. II?
„Diese Matorrales (Opuntiendickichte) können sicher manches Schauerliche er- zählen. Uns passierte dort einmal etwas Merkwürdiges. Als wir eines Tages in ein Dorf kamen und unsere Tiere bei einer Tienda anbanden, um in dem Laden einen Mescal zu trinken, sprang bei unserem Eintreten ein Indio entsetzt auf und verkroch sich hinter der Theke. Verdutzt schauten wir den Händler an. Er gab uns mit den Augen ein Zeichen und sagte nachher, als er uns den Schnaps brachte: „Er ist nicht ganz richtig im Kopf und hält euch für Yaquis.“ „Uns — für Yaquis? Warum das denn?“ „Es ist eine traurige Geschichte. Vor einigen Jahren ritt er mal mit drei anderen vom Rio Yaqui aus in die Sierra hinauf; sie wollten mehrere Leute suchen, die dort verschwunden waren. Ob er nun Angst vor den Indios hatte — ihr wißt ja, daß sie schon immer sehr gefürchtet waren und während der damaligen Unruhen jeden Fremden erschlugen, um andere vom Betreten ihres Gebietes abzuschrecken —, oder ob er sein Bedürfnis verrichten wollte, jedenfalls war er ein Stück zurückgeblieben. Plötzlich sah er — das konnten wir nachher aus seinen wirren Reden entnehmen —, wie seine Gefährten von einer Horde wilder Teufel überfallen wurden, die die Erde ausgespuckt zu haben schien. Entsetzt rutschte der Mann aus dem Sattel, ließ das Tier laufen und verkroch sich unter den Nopales, die dort in dichten Massen wuchsen. Als sich der Lärm einmal etwas näherte, schob er sich mit aller Kraft noch tiefer unter die Pflanzen. Die Yaquis suchten wohl den Zeugen ihrer Untat, der spurlos verschwun- den zu sein schien. Bis zum nächsten Tag lagerten sie in seiner Nähe. Nachdem sie endlich abgezogen waren, versuchte er, sich aus dem Versteck zu befreien, in dem er hilflos gelegen hatte, bei Tage in der Sonne von brennendem Durst gequält, nachts in seinem dünnen Leinenanzug vor Kälte klappernd. Doch nun hielten die Kakteen ihn fest. Je heftiger er sich mühte, von ihnen frei- zukommen, desto zäher packten sie zu. Sie kennen ja diese Pflanzen: wie eine Spinne ihre Beute fesselten sie ihn und ließen ihr Opfer, dem Angst, Hunger und Durst die Kräfte nahmen, nicht mehr los. Als niemand wiederkam, ging eine Militärpatrouille auf die Suche. An einer Stelle sahen sie einen Hut liegen, von dem die Yaquis wohl herbeigelockt worden waren. Man suchte lange herum, bis endlich einer der Soldaten ein schwaches Stöhnen hörte. Da schlugen sie ihn mit den Hauern heraus. Man band ihn auf eine Packmula, damit er nicht herunterfiel, und als sie mit ihm hier ankamen, erkannte er niemand mehr. Seit damals hat sein Verstand gelitten. Jedesmal, wenn er Reiter herantraben hört, horcht er auf, und betreten sie den Laden, verkriecht er sich. Er glaubt dann immer, die Yaquis wollen ihn holen. Armer Kerl!“ „Mir hat die Geschichte wohl auch den Kopf ein bißchen verwirrt“, schloß Schwarz lächelnd seinen Bericht. „Ich mußte immer wieder an das grauenhafte Erlebnis dieses Menschen denken. Und als wir tags darauf draußen im Matorral weiterzuarbeiten be- gannen, war es mir plötzlich, als grinsten mich die Opuntien höhnisch an, als winkten 114
8* Abb. 72 Steinerne Kakteengcstaltcn. Als das erste Teilstück der Panamcrican Highway beendet war, errichtete man bei Pachuca in Mexiko ein Denkmal, das von zwei großen Zement-Säulenkakteen flankiert ist. Die stilisierten Pflanzen stellen den Marginatocereus marguiatus dar die fürchterlichen Arme ihrer verrenkten Leiber. Es kam mir so vor, als rückten sie langsam näher, um mit ihren Stachelkrallen nach mir zu greifen. Da riß ich den Ma- chete heraus und schlug wütend auf die Kakteen ein, zerhackte und zerfetzte die erst- besten, als wollte ich den Irren an ihnen rächen. Das Gelächter meiner Peone brachte mich allerdings rasch wieder zu mir. Ich weiß heute nicht mehr, wie das so plötzlich über mich kam. Aber diese grenzen- lose Einöde, die flimmernde Sonne, die Kakteenmassen . . . nun, Ihnen ist das ja nicht unbekannt. Sie wissen wohl: da draußen kann man wirklich manchmal glauben, Ge- spenster zu sehen.“ Auch solche Bilder der Kakteenwelt haben manchen Autor beeindruckt. So schrieb Löhndorff in einem seiner Mexikobücher, in dem Kapitel ,,Versteinerte Menschen und TI5
Kakteen“: „Die Kakteen, die uns umsäumten, standen unbeweglich. Eine Schar fürchterlicher, entsetzlicher Menschen zog durch ein schreckliches Land.“ Das war in den letzten großen Revolutionskämpfen. Und als es damals mit der Freiheit der Yaquis zu Ende ging, deren letzten Kampf Löhndorff in seinem Buch „Der Indio“ schilderte, waren es immer wieder die Kakteen, die in jenen sonnenverbrannten, öden Bergen das Furchtbare der Szenerie steigerten: „Überall sind Kakteen. Große und kleine, riesige, wie Hände oder israelitische Kerzenleuchter; dicke knollige, wie stach- lige Gesichter; dünne geschmeidige, wie Bündel übereinandergeworfener Schlangen- leiber; runde gezackte, wie merkwürdige Sterne oder Sonnen am Boden klebend. Kakteen überall!“ Diese Schilderung zeigt jedoch nur die eine Seite ihrer Erscheinung. Wie ganz an- ders wirken dagegen die Hänge der Barranca Venados in Hidalgo, mit den zahllosen weißen Kerzen des riesigen Cepbalocerens senilis^ ein tausendfältiges lichtes Orgelwerk von bewunderungswürdiger Großartigkeit. 116
Die Kakteen in der Wissenschaft Vision der Vergangenheit Forschungsprobleme Lebendige Systematik und Morphologie „Froh, wenn hiernach den Laien sein Kcnntnismangcl kränkt, Und abermals der Kenner sein Wissen überdenkt.“ Pope „Essay on Criticisme“ 1711 Die Kakteen sind Amerikas ureigenste Pflanzen, vom Peace River in Kanada bis zur Magalhäesstraße, von den Galapagos-Inseln im Stillen Ozean bis zu dem atlantischen Felseneiland Fernando Noronha. Ob man durch die grasigen Ebenen des Nordens, durch die Urland gebliebenen Gebiete des mittleren Westens und die Einöden der Südstaaten wandert, oder die Gebirgsregionen von Mexiko bis Chile, die Wüsten der pazifischen Südküste, die Pampas Argentiniens und die tropischen oder trockenen Ostbezirke Brasiliens bis hinauf zu den westindischen Inseln durchstreift, überall da, wo sich die Natur noch ihr ursprüngliches Gesicht bewahrt hat, begegnen dem Reisen- den die merkwürdigsten Gestalten dieser stachligen Gewächse, und nicht selten sind sie es, die den Charakter der Landschaft bestimmen. Mit dieser Übersicht über ihre Vorkommen beginnen bereits die Probleme, die uns die Kakteen stellen. Es liest sich so einfach: von den Galapagos-Inseln bis Fernando Noronha. Aber wie sich ihre Verbreitung bis dorthin abspielte, hat noch niemand ernstlich erwogen. Seit Beginn des Neozoikums — so sagt man — waren jene Inseln vom Festlande getrennt, schon im Eozän gab es keine Verbindung mehr. Da meldet sich sofort die Frage: Wie alt sind denn dann die Kakteen? Sie können nicht jünger sein als gewisse andere Angiospermen, die damals zum Beispiel auch schon auf Grönland lebten. Ferner steht fest, daß Nordamerika noch in relativ jüngerer Zeit von einer Eiskappe bedeckt war; dennoch finden wir heute dort auch Kakteen. Sie müssen also dahin erst vor noch gar nicht so sehr langen Zeiten gelangt sein. Woher aber kamen sie, wo war ihr vorheriges Hauptgebiet, wie verlief die Wanderung? Wahrscheinlich lag das Zentrum ihrer früheren nördlichen Hauptverbreitung süd- licher als jetzt. Es ist dabei zu bedenken, daß der Tropengürtel bei diesen an trockenere Lebensverhältnisse gewöhnten Hochsukkulenten niemals einen leichten Austausch zwischen Nord und Süd gestattete. Legen wir uns ein Übersichtsschema an, sehen wir, daß die jetzige Gesamtverbreitung deutlich zweigeteilt ist und im Norden und Süden eine auffällige Verdichtung aufweist. Deren Zentren liegen genau auf den bei- den Wendekreisen. Den Fachmann überrascht das nicht; dennoch hat man noch nie- mals darüber nachgedacht, wie cs zu dieser großen Zweiteilung gekommen sein mag. 117
Auffällig ist noch, daß die am schnellsten vagabundierenden der zierlichen tropischen Rhipsalis-Arten auch an gewissen Stellen des südlichen Afrika, auf Madagaskar, den Seychellen und Mauritius bis hinüber nach Ceylon angetroffen werden. Zuerst machte man sich die Sache leicht und sagte: sie sind aus der Neuen in die Alte Welt durch Vögel oder Seefahrer gelangt. Aber keine gleicht dort genau einer amerikanischen Art; außerdem hat man auch neu weltliche Vertreter der Fauna auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans gefunden, die weder Mensch noch Tier dorthin verschleppen konnten. Abb. 73 Die Verbreitung der Kakteen. ..... Pei reskioideae, —.—.— Opiiniioideae, -------Cereoideae Völlig rätselhaft erschien ferner anfangs, daß man eine Malacocarpits- und Frailea- Art oben in Kolumbien fand, denn diese Gattungen sind sonst in Paraguay, Uruguay und Argentinien zu Hause, und daß man unweit jenes entlegenen Vorkommens auf Mamillarien stieß, deren Hauptgebiet gegenwärtig in den Südstaaten der USA und in Mexiko sowie im benachbarten guatemaltekischen Grenzgebiet liegt, während nur eine oder zwei Spezies auf einzelnen Inseln Westindiens auftreten und zwei weitere in Nordvenezuela, von denen eine auch noch auf Cura^ao gefunden wird. Diese we- 118
Abb. 74 Dc Candolles ,,Kreissystem“, eine originelle Darstellung der Lim 1828 gebräuchlichen Gliederung der Kaktccnfamilie nigen, zerstreuten Standorte lassen immerhin erkennen, wie die Mamillarien nach Ko- lumbien gelangt sind. Wir müssen dabei unwillkürlich an die Melocacteen und Piloso- cereiis-KrXesx denken, die fast genau den gleichen Raum besiedeln. Hinzu kommt, daß amerikanische Forscher durch Luftaufnahmen im Amazonasraum die starke Erhal- tung einstiger Savannengebiete zwischen den tropisch umwachsenen oberen Zuflüssen feststellten. Ferner gibt es heute auch im patagonischen Flachland Kakteen, in einem Gebiet, das in relativ jüngerer Zeit, ebenso wie Nordamerika, vorübergehend vereist war. Jetzt kommen die südlichsten Tephrocactus sogar noch an der Magalhäesstraße vor. Ihre nördlichsten Vertreter leben dagegen in den küstennahen Geröllwüsten des peruanischen Hinterlandes von Lima; von dorther steigen die höchstwachsenden Ar- ten bis zu 4800 m hinauf, und von Mittelperu her teilt sich das Gebiet ihrer südlichen Verbreitung: einserseits versickert sie im öden Vorland Chiles und seinen ariden Höhenlagen, andererseits zieht sie sich über Bolivien und Argentinien bis in dessen Süden hinab. Bei den Kugelkakteen haben wir inzwischen längst festgestellt, daß die 119
chilenischen und argentinischen Arten unendlich lange voneinander geschieden sind; die Andenmauer war hier der trennende Faktor. Dieses steinerne Rückgrat Südameri- kas hat sich schon in Vorzeiten langsam von Süden nach Norden gehoben; die jüng- sten Teile der Erhebung liegen in Ekuador und Nordperu. Und dort finden wir in der pazifischen Küstenwüste Monvillea-KrX.^^ die ihre hauptsächlichste Verbreitung weit im Osten haben; nur einige wenige treten noch in Venezuela und an den tropischen Ostflanken der Kordilleren Perus auf. Außerdem leben in Westperu cephaliumtragende Gattungen, deren Ausläufer in die ehemals tiefer gelegenen Längstäler der nordperua- nischen Anden hineinreichen, und die auffallende Ähnlichkeiten mit ostbrasilianischen Gattungen aufweisen. Das alles erscheint auf den ersten Blick als eine verwirrende Sachlage. Betrachtet man sie jedoch näher, ist sie durchaus nicht unerklärlich. Weit getrennte Areale setzen — so sagt die Wissenschaft — ehemalige Verbindungen voraus. Versuchen wir solche früheren Verbindungen aus den einzelnen Gattungsvorkom- men zu rekonstruieren, so ergibt sich die Schlußfolgerung, daß die Galapagos-Inseln und Fernando Noronha zur Zeit des Kakteenauftretens noch mit dem Festland ver- bunden gewesen sein müssen — wie die Rbipsalis nach Afrika und von dort über Madagaskar bis Ceylon gelangt sind, mögen die Geologen erklären; der Arealkarto- graph (18) hat längst ähnliche Verbreitungslagen bei anderen Pflanzenfamilien fest- gestellt —, und daß eine Landbrücke von Mexiko bis Südamerika, die über West- indien verlief, allein eine Wanderung oder Verbreitung der Mamillarien von Mexiko über die Antillen in das nördliche Südamerika hinein ermöglicht haben kann, wie die niedrigere Andenmauer im Norden einst die Verbindung der pazifischen und östlichen Cereus- und Monvillea-Arten sowie das Auftreten der cephaliumtragenden Gattungen in Peru, die einigen ostbrasilianischen ziemlich nahe verwandt sind. Die amerikanischen Luftfotografen haben uns gezeigt, wo einst — im Amazonasraum — das große Sa- Abb. 75 Ein sensationeller, wenn auch umstrittener Fund ist der einzige bisher bekannte fossile Kaktus, die aus Utah stammende Hopuiitia douglassii 120
vannen-Kakteenreich lag, das diese seltsamen Ausstrahlungen der Jetztzeit ermög- lichte. Und außerdem müssen sich die Klimagürtel verschoben haben; nur so wird die Besiedlung der amerikanischen Nordstaaten und Kanadas zum Beispiel durch Pediocactus- und N eobesseja-Arten und das Tephrocac///j-Vorkommen in Patagonien ver- ständlich, und so allein vermögen wir das Zusammentreffen von Mamillaria einerseits und Malacocarpus sowie Prailea andererseits in Kolumbien zu deuten: als Reste einer einstigen Südverbreitung über eine westindische Landverbindung und einer ehemals Abb. 76 Der Formenfächer der Kakteen reicht vom blättertragenden Baum oder Strauch bis zum winzigsten hochsukkulenten Kugelgewächs. Früher als Vertreter einer Urpflanzengruppc angesehen wurden die Peireskia-Arten, die aber wohl nur konservative Nachfahren der Unterfamilie Peireskioideae sind und die am wenigsten der üblichen Vorstellung von einem Kaktus entsprechen (Peireskia aculeatd) I2T
Abb. 77 Die Austrocylindropuntia-KrX.wn. weisen außer einem runden Haupttrieb zuweilen für ihre Unterfamilie ziemlich lange Blätter auf; sic sind aber zu zylindrischen, dünnen Gebilden reduziert. Manche Arten tragen einen Haarschmuck {Austrocylindropuntia vestita var. cbuquisacand) 122
Abb. 78 In der Unterfamilie der Cereoideae fehlen die Blätter. Nur in Atavismen zeigt sich noch — wie ausnahmsweise hier mit winzigen und bald abfallenden Blättchen — die vcrlorcngcgangenc Anlage (Cleistocactus sp. forma subnuda) 123
artenreicheren Kakteenbrücke im Zuge der Anden von Paraguay her bis weit in den Norden hinauf. Vorkommen — vordem in Bolivien und Peru unbekannt, im Südosten aber häufige Begleiter der Malacocarpus- und FraZfez-Arten — sind heute in diesen Ländern ebenfalls festgestellt worden, in Bolivien sogar in größerer Zahl. Die panamaische Landenge kann dagegen erst in relativ jüngerer Zeit von den be- nachbarten tropischen Gebieten her mit wenigen Arten besiedelt worden sein, als im Abb. 79 Manche Säulenkakteen bilden einen weißen oder bläulichen Reif, unterschiedlich fest haftend. Hier sieht man unter dem Reif an der abgewischten Stelle die glänzende Epidermis des Trichocereus peruvianus 124
Abb. 80 Halbes oder ganzes Zusammenfließen der Areolen (Stachelpolstcr) findet sich bei einigen Säulenkakteen. An diesem jungen Marginatocereus zeigt sich, daß es auch unregelmäßig geschehen kann. Später verschwinden solche Verlängerungen des Arcolenfilzes Osten die Trennung bereits vollzogen war. Durch sie wurden eine Neolloydia-Krx. auf Kuba und zwei Mamillarien auf den Antillen isoliert, ebenso Melocacteen, um hier nur die Kugelformen zu erwähnen, während die Südausläufer der Mamillarien in Nord- venezuela, auf Curagao sowie in Kolumbien erhalten blieben. So konnte aber auch das tropische PLpipbyllum (Phyllocactus^ unsere beliebten flachblättrigen Zimmerpflanzen, von denen man viele Bastarde mit prächtigen Blüten zog) nicht mehr bis auf die nörd- licheren Inseln, sondern nur bis Trinidad gelangen, das also noch weit länger fest- landsverbunden gewesen sein muß, wohingegen die schlanken Ranker der Gattung Selenicereus und Hylocereus sich seit allerfrühester Zeit über den ganzen mittelameri- kanischen Raum ausgebreitet haben müssen, als ziemlich zähe, an trockenere oder feuchtere Verhältnisse gleichermaßen gewöhnte Pflanzen; man findet sie heute — ver- einzelt sogar von Texas her (Selenicereus), ein Splitterareal wie das des ähnlich vaga- bundierenden Pilosocereus auf den floridanischen Keys, ein Zeichen, daß auch diese einst mit der Landbrücke verbunden waren — noch überall in Mittelamerika und Westindien, bis in das nördliche Südamerika. Es ist eine aufschlußreiche und eindrucksvolle Schau, die uns die Kakteen hier ver- mitteln — man kann sie daher mit Recht lebende Fossilien nennen —, das Bild einer 125
Abb. 81 Dieses Scheitelareolen-Schnittstück gibt gut die erstaunlich dicke Filzpolstcrbildung der Ncutricbarcolen einer Neoraimondia arequipensis var. rhodantha wieder fernen amerikanischen Vergangenheit, der einstigen Umkehrung der Landverbindun- gen, der Wandlung der Klimagürtel, der Andenhebung und der klimatischen Wechsel im nordamerikanischen, patagonischen und innerbrasilianischen Landschaftsbild. Dies wird auch der phylogenetische Theoretiker berücksichtigen müssen, wenn er nicht mit solchen Rekonstruktionsergebnissen in Konflikt geraten will. Nur mutmaßende Auswertung einzelner Pflanzenteile, ohne Abstimmung auf die erdgeschichtlichen Ar- gumente, ergäbe einmal keine wirklichkeitsgetreue Vorstellung von der Vergangen- heit und könnte andererseits zu systematischen Fehlschlüssen führen. So sehen wir, daß die Geschichte der Pflanzen, ihre Systematik und die für sie grundlegenden Gedanken nur Teile einer größeren, weiter schauenden Forschungs- aufgabe sind, die auch im Einklang mit den Zeugnissen der Arealkunde sowie den Ermittlungen der Geographen, der Geologen und der Klimatologen stehen muß. Aus alledem ergibt sich, welch jungfräuliches Feld noch die Kakteenkunde ist, welche Fülle der Probleme sie uns stellt und welch ungemein interessantes Thema sie in einer Zeit ist, in der der botanische Acker sonst weithin schon gut bestellt ist. 126
Mit dem Fortschreiten der Erkenntnisse, mit dem sich mehr und mehr rundenden Bild des mutmaßlichen Verlaufes der Verbreitung, begannen auch die Theoretiker sich die Köpfe zu erhitzen; mit großem Eifer wurden zahllose, bisher unbekannte Einzelheiten zusammengetragen. Und da die Kakteen nun einmal absonderliche Pflan- zen sind, war bei ihnen noch viel Wissenswertes verborgen geblieben. Einen nicht ge- ringen Beitrag zur Mehrung unserer Kenntnisse erbrachte auch die Liebhaberei, eine Menge von Einzelbeobachtungen, mit deren Zusammenfügung sich wieder der Systematiker befaßte, dem diese Aufgabe obliegt, denn Systematik heißt ja: planmäßig geordnete Darstellung. Manchmal beruht ihr Reiz darin, daß sie umstritten ist, und das ergibt wieder für die Zeitschriften beliebte Themen, die Sache erregt Aufsehen, und die Gemeinde wächst auch auf diese Weise. Früher konnte es sich der Kakteensystematiker noch verhältnismäßig einfach ma- chen. Einer der Ahnen der Kakteenforscher, der große De Candolle, erfand eine Art geometrischer Lösung: er zog ein paar Kreislinien ineinander und teilte dieses Kreis- Abb. 82 Das Gleichmaß der Areolcnanordnung bei einer Opuntia {Opuntia pyenantba var. margaritand}
Feld in verschiedene Sektoren auf, und das Verblüffende ist, daß es für seine Zeit als recht wohlgeraten erscheint. Dann kamen die Lateiner: der Dr. Pfeiffer und der Fürst Salm-Dyck. Dieser erklärte zu seiner Arbeit und der beneidenswert geringen Gattungs- zahl: „Totum ordinem, pro temporis momento, in septem tribus et genera viginti divisi“, was ebenso vorsichtig wie vorausschauend gesagt war. Er schuf jedenfalls die erste gute Gliederung. Aber der Kakteenhistoriker (Berger) berichtet: „Nach seinem Tode wurden seine getrockneten Belegstücke als Gerümpel in unschuldigster Unkenntnis fortgeworfen.“ Ähnlich erging es noch nach der Jahrhundertwende dem argentinischen Botaniker Spegazzini. Das ist das Schicksal des Vorläufers und die Freude des Nachfolgers: von neuem weiter auf bauen zu können. Wir haben es heute schon fast vergessen, daß es Salm-Dycks für seine Zeit genialer Gedanke war, die Einteilung vor allem unter Berücksichtigung der Blüten zu ge- stalten. Darüber sind wir alle bis heute nicht hinausgelangt: Förster und Rümpler, die das erste große Handbuch 1846 und 1885 schufen, Schumann mit seiner erweiterten Gesamtbeschreibung von 1898—1903, die Amerikaner Britton und Rose 1919—1923 mit ihrer vierbändigen Ausgabe des Carnegie Institutes, Berger, der 1929 einen Kom- promiß zwischen der gröberen europäischen Gliederungsmethode und der verfeiner- ten der amerikanischen Autoren anstrebte, und schließlich auch ich selbst nicht, wo- bei die mehr hypothetischen Versuche, das systematische Problem von anderer Seite her zu lösen, unberücksichtigt bleiben, weil sie bisher zu keinem abgeschlossenen oder überzeugenden Ergebnis führten. Die Blüte ist nun einmal der wichtigste und wesent- liche Bestandteil der Blütenpflanzen; an ihr zeigen sich am sichtbarsten die Unter- schiede der Familien, Gattungen und Arten, und mit ihr hat die Natur bei den Kakteen in konsequenter Weise gezeigt, daß sie nichts anderes als ein umgeformter, kurzlebiger Sproß*) ist und alle Unterschiede von Röhre und Fruchtknoten eine überaus variable Reduzierung eben der Sproßmerkmale. Damit aber sind wir im Grunde genommen auch nicht über Salm-Dycks Vorbild hinausgelangt und werden es wohl auch kaum; wir können das systematische Verfahren nur verfeinern und die Wunderwelt der Kakteenblüte in aller ihrer Vielfalt damit nur noch deutlicher erkennbar machen, nebst dem, was zu ihrer Entstehungszone gehört. Zwar schreitet die Wissenschaft unauf- haltsam fort: Phylogenetiker, Zytologen, Morphologen, die Erforscher der mutmaß- lichen Abstammung und Entwicklung, der Zellen, der Gestalt, bauen ihre eigenen großen Wissensgebiete auf, aber die Pflanzenkunde und -beschreibung steht vorläufig immer noch im Mittelpunkt, denn zuerst müssen wir die Pflanzen und ihre Unter- schiede, die die Natur gestaltete, genau kennen. *) Dieser Urcharakter der Blüte zeigt sich bei den Kakteen zuweilen in höchst eindrucksvoller Weise. Ich habe zum Beispiel ELchinocereus- und Gyninocalyciurn-&[üten. beobachtet, die mehr nach Sprossen als nach Blüten aussahen und auch keine gut ausgebildeten Blütenblätter aufwiesen, dennoch vergänglich waren. Bei Rxbutia sieht man des öfteren sogar, daß eine Knospe in einen normal weiterwachsenden Trieb zurückschlägt, sich später mitunter aber auch in eine normale Knospe zurückverwandeln kann. Das alles zeigt, welcher relativ geringen „Umgestaltung“ im geheimnisvollen Gefüge der Anlagen es nur bedarf, um das eine in das andere umzuwandeln. 128
Wo sich dem modernen Systematiker so glücklich, wie es bei den Kakteen der Fall ist, die Gelegenheit bietet, seine Arbeit auf die hier sichtbaren großen Entwicklungs- bewegungen in Richtung der Pole abzustimmen, wo wir so verhältnismäßig leicht auch ohne Fossilien das mutmaßliche Alter feststellen und die vorzeitlichen Verhält- nisse und ihre Auswirkungen bis in unsere Tage überblicken können, zeigt sich, wie lebendig die systematische Arbeit sein kann, wenn mit ihrer Hilfe den erkennbaren Abb. 83 Die Symmetrie des Rippenvcrlaufes erkennt man am besten am Scheitelbild (Armatocereus rauhii} 9 Backeberg, Wunderwelt, 4. A. I29
Vorgängen der Vergangenheit nachgespürt wird. So sprengt sie die Fesseln allzu sub- jektiven, wirklichkeitsfremden Theoretisierens und vermittelt uns ein lebendiges Bild sowohl der Geschehnisse in der Vorzeit wie eine sich bis ins einzelne erstreckende Übersicht über den Reichtum schöpferischer Gestaltung, zu der die erdgeschichtlichen Wandlungen und die den Pflanzen innewohnenden Entwicklungsmöglichkeiten führ- ten. Wir haben nie das Entstehen einer Art, einer Gattung, geschweige denn einer Pflanzenfamilie gesehen, wir können den Vorgang ihres Erscheinens nur erahnen, zu dieser Sicht aber nicht mit reiner Zweckmäßigkeitsordnung oder etwa allein mit dem Mikroskop gelangen, das heißt etwa nur mit Hilfe der Zerlegung einzelner Teile und danach theoretischer Deutung der sich aufdrängenden Fragen, sondern nur, wenn wir den Blick vom Arbeitstisch auch in das weite Rund des lebendigen Geschehens hinaus richten, ihren größeren, tieferen Sinn zu sehen und zur Erkenntnis natürlicher Arten- gruppen auch unser Wissen um die Blütenmerkmale so weit wie möglich zu vervoll- ständigen suchen. Darum war Salm-Dyck der große Schrittmacher der Kaktologie, als er die Blüte zum Ausgangspunkt der systematischen Arbeit wählte. In seiner Zeit war dies freilich noch verhältnismäßig einfach, denn die Artenzahl hatte bei weitem nicht den heutigen Umfang erreicht. Als sie jedoch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ständig wuchs, die Fülle unübersehbar zu werden drohte und Schumann seine große Gesamtbeschrei- bung herausgab, sah er sich nicht mehr dazu in der Lage, eine ähnlich klare und be- grenzte Gliederung wie die Salm-Dycks vorzunehmen, wenn er dessen systematisches Prinzip beibehaltcn, die Gattungszahl aber nicht erhöhen wollte. Es ist daher ganz verständlich, daß er nun auf eine der Salm-Dyckschen ähnliche Synopsis überhaupt verzichtete und eine künstliche Ordnung vorwiegend unter Berücksichtigung der Ge- stalt wie der übrigen Merkmale des Pflanzenkörpers, wählte. Zweifellos erkannte er bereits, daß dies keine Ideallösung war, aber er schreckte wohl vor der sonst unver- meidlichen Aufsplitterung zurück. Als in der Folgezeit Britton und Rose durch ihre vielen Reisen die Zahl der be- kannten Arten noch mehr erhöhten, verwandten sie zwar, wie es bis heute beibehaltcn werden mußte, die Schumannsche Hauptunterteilung der Familie — in die Unter- familien Peireskdoideaey Opiintioideae und Cereoideae —, gaben diesen jedoch andere Be- zeichnungen, das heißt, sie sahen sie lediglich als Tribus an, was aber nur eine Weiter- verwendung des Vorbildes gleichsam mit anderen Vorzeichen bedeutete. Ihre Lösung war indessen zwiespältig: In den beiden ersten Tribus schlüsselten sie fast ausschließ- lich nach äußeren Merkmalen auf, was ihnen auch erleichterte, die schwierige Gruppe der Opuntioiden übersichtlich darzustellen — und das war noch Sammelgattungs- prinzip , bei den Cereoideae mußten sic dagegen die natürliche Methode der Tren- nung nach unterschiedlichen Blütenmerkmalen anwenden. Denn bei den Säulen- und Kugelformen sahen sic keine Möglichkeit mehr, nach der Schumannschcn Methode wciterzugelangen; es blieb nur die völlige Zerschlagung der alten Sammelgattungen übrig. Damit aber näherten sie sich wieder der Salm-Dyckschen Auffassung: die Blüte, ihre Röhre, deren Bekleidung und die des Fruchtknotens waren hier für die Gattungs- 130
Abb. 84 Die feinste Form der Bestachelung ist die Haarbildung. Wie Protuberanzen dringen hier einzelne längere Wirbel aus dem Haarkleid hervor (Espostoa lanata var. mocupensis) 9* 131
Abb. 85 a)—d) Besonders prächtig ist die Bestachelung einiger Mamillarien-Arten a) Mamillaria bombycina I52
b) Mamillaria pennispinosa mit behaarten Stacheln und zum Teil bestachelten Früchten, noch ungeklärte Rückschläge mit Sproßkennzeichen 133
c) Mamillaria microhelia. Dieses Bild läßt — wie die übrigen Abbildungen 77 bis 88 — die Bedeutung besonders der farbigen Makrofotografie erkennen: sic zeigt besser als trockenes Herbarmaterial die einzelnen Artmerkmale, hier die uneinheitliche Zahl der Stachelbildung, bei Abbildung d) eine zwiebeligc Verdickung der Mittclstachclbasis 134
d) Maniillaria bravoae abgrenzung entscheidend. Nur so vermochten sie auch der inzwischen ungemein ge- wachsenen Materie Herr zu werden. Wer das Werk der amerikanischen Autoren daraufhin genau betrachtet, erkennt, daß für sie bereits die Reduzierung der Sproßmerkmale ausschlaggebend war. Damit hatten sie den ersten Schritt zur modernen Auffassung getan. Denn nach Britton und Rose wuchs die Artenzahl noch immer mehr an und — wenn man sich an das ameri- kanische Vorbild hält — damit unausweichlich auch die Gesamtzahl der Gattungen. So mußte der betretene Weg konsequent zu Ende gegangen werden. Es blieb keine andere Möglichkeit als die weitere Aufteilung, die Vermehrung der Gattungen, ihre exakte Abgrenzung, stets aber nach den Reduktionsstufen, der erkennbaren Verminde- rung der Sproßmerkmale. Hier lag nicht nur ein natürlicher Entwicklungsvorgang von ausschlaggebender Bedeutung vor, sondern es erwies sich auch als notwendig, das einmal verwandte Prinzip beizubehalten, nicht zuletzt aus Gründen der Logik. Mit anderen Worten: Aus diesem Stand der Dinge ergab sich die Forderung, das hier von der Natur aufgezeigte Entwicklungsgesetz zur festen und einheitlichen Grund- lage zu wählen. Die zahlreichen Neufunde ließen immer deutlicher erkennen, daß alle natürlichen Gruppen einerseits nach diesem systematischen Prinzip klar zu trennen waren und damit geschlossene Areallagen oder wenigstens eine Verbreitung aufwiesen, die nicht im Widerspruch mit den übrigen Erwägungen stand, daß sich andererseits aber damit auch die Feststellung ergab: der Entwicklungsweg führt offenbar zum Ent- stehen jeder denkbaren Sproßreduktionsstufe. Ferner erwies sich, daß, wenn man die Arten im allgemeinen exakt nach in den Blüten gleich gekennzeichneten Gruppen zu- sammenfaßt, was verhältnismäßig einfach ist, dadurch nicht nur die Aufschlüsselung 135
und somit die Bestimmungsmöglichkeit erleichtert wird, sondern es zeigten sich auch hierbei deutlich die wesentlichen Unterschiede der Kennzeichen im nördlichen und südlichen Verbreitungsgebiet; damit wurden wiederum auch die getrennten Entwick- lungswege besser sichtbar, man vermochte weiter danach — sofern die erforderlichen Blüteneinzelheiten vorlagen, zum Teil sogar ohne sie — fast unfehlbar zu sagen, wo ungefähr eine Pflanze wächst, selbst wenn man ihren Standort nicht kannte. Die Aus- wertung dieser Erkenntnisse und ihre geographische Abstimmung bestätigte also, daß eine solche systematische Schau mit den eingangs geschilderten geschichtlichen Argu- menten im Einklang stand, woran nichts ändert, daß wir bei den einzelnen Gattungen oder gar solchen wie Melocactus und Pilosocereus^ mit ihrer unbegreiflich weiten Ver- breitung, nicht wissen, wie sie entstanden. Der Weg, den Britton und Rose beschritten hatten, und der ihnen anfangs den an- rüchigen Spitznamen „Zersplitteret“ eingetragen hatte, ergab jedoch in der konse- quenten systematischen Durchführung noch weitere Erkenntnisse: Mehr und mehr schälten sich feinere Differenzen der Gruppenmerkmale heraus, und die Gattungsbe- grenzung, die dem Rechnung trug, bestätigte damit, daß von der Natur selbst eine Abb. 86 Das filigranfeine Muster der Scheitelbestachelung von Mamillaria herrerae 136
Abb. 87 Wie eine raffiniert erdachte Abwehrbewaffnung mutet das Stachelbild des Haageocereus acrantbus var. nietacbrous an 137
starke „Zersplitterung“ der Gesamtformenzahl betrieben worden ist. Bei richtiger Auswertung der Standorts künde konnte man danach sogar mit ziemlicher Sicherheit voraussagen, in welchen Gebieten welche Gattung noch vorkommen konnte und — welche noch fehlten; wo Lücken in der Reduktionslinie klafften, war es wenigstens theoretisch möglich, solche Gattungsstufen als noch vorhanden anzunehmen. Und siehe da: Im Laufe der Zeit tauchten sie auch wirklich auf. Abb. 88 Die dünne Bestachelung des Haageocereus ^ebnderi ähnelt einem wirr gescheitelten Haarschopf
Abb. 89 Wuchskonvergenz: Einer Ansammlung von Säulenkakteen gleicht diese Kolonie der Didierea madagascariensis (zur Familie der allein auf Madagaskar beheimateten Didiereaceae gehörend, die nur wenige Arten umfaßt) Daraus ergab sich zwangsläufig und überraschend deutlich die Feststellung, daß das schöpferische Wirken der Natur auf eine allmögliche Formenreihe abzielt. Die Kakteen sind dafür nicht nur ein besonders interessantes und reizvolles Beispiel, son- dern sie lassen zugleich erkennen, wie anschaulich gerade hier die Systematik zu sein vermag, wenn man ihr die anderen Belange richtig unterordnet. Diese sind nicht we- niger wichtig, aber sie bekommen damit zuweilen ein anderes Gesicht, und infolge- dessen stürzt mitunter auch manche ehedem so schöne Theorie. An Beispielen dafür fehlt es auch bei der Familie der Cactaceae nicht. Der Überblick über die Vergangenheit und die Erkenntnis, daß Hochsukkulenten mit ihren Entwick- lungszentren an trockenere Gebiete gebunden sind und durch die tropische Zone eine gewisse Trennung erfahren, daß also eine große Zweiteilung in ihrer Verbreitung und Entwicklung, besonders bei einer geographischen „Einengung“, wie sie bei den Kak- teen gegeben ist, als ganz natürlich erscheint, gestatten uns durchaus, mit Hilfe geo- graphischer Indizien und basierend auf den Sproßreduktionsstufen der Blüte ein viel- leicht neuartig anmutendes, jedoch im Grunde nicht revolutionäres System aufzu- bauen, das damit zugleich auf alle erdgeschichtlichen und anderen Argumente abge- stimmt ist, das heißt, ihnen nicht widerspricht und damit eine sehr natürliche Gliede- rung darstellt. Aber wann hätte sich der Mensch mit einer solchen Arbeit allein begnügt? Wir geben uns nicht eher zufrieden, als bis unsere stete Neugier, unser Drang zur Er- i39
gründung des noch Unbekannten, immer neue und sichtbarere Erfolge zeitigt und alles irgendwie in ein ,,System“ paßt, das man auch ,,Vorstellung“ nennen könnte. Und bei den Kakteen ist dies nicht anders. Wir wollen uns eine Vorstellung davon machen, wie diese seltsame Pflanzenfamilie überhaupt entstanden ist, ganz abgesehen davon, daß wir uns einen klaren Überblick über alles wünschen. Das Begreifen des heute noch aus der Kontinentgeschichte Ersichtlichen allein genügt uns dabei nicht. Auch der nüchterne Wissenschaftler, geschult an dem vielen Unvorhergesehenen, das Wirklichkeit wurde, ist erfreut, wenn es ihm gelingt, vom Geheimnis der Natur wieder ein wenig den Schleier zu lüften. Hier ist die Frage: wie sind die Kakteen entstanden? Wohin und wie sie hierhin oder dorthin gelangten, das können wir uns einigermaßen gut begründet vorstellen. Aber das Wie ihrer Entstehung ist das weit schwierigere Problem. Es sei dahingestellt, ob wir es jemals herausfinden werden, was uns aber nicht ab- hält, doch immer wieder darüber nachzudenken. Und da hat man zuerst gemeint, sie alle entstammten tropischen, blättertragenden Holzgewächsen, sozusagen einer Ur- pflanzengruppe, und mit fortschreitendem Vordringen in die trockenen Gebiete hätten sie ihre stärker sukkulenten Formen entwickelt. Ja, wenn es so einfach wäre! Hier meldet sich schon das erste Aber. Bereits im Paläozän sehen wir viele bedecktsamige Blütenpflanzen entstanden; gegen das Ende der Kreide waren sie ebenfalls schon vorhanden, auch mit nicht ausgesprochen primi- tiven Vertretern. Vor ihnen, als noch die nacktsamigen Gewächse die Erde beherrsch- ten, klafft jedoch eine Lücke. Woher waren sie so relativ plötzlich gekommen, wie soll man sich ihr Erscheinen vorstellen, wenn die Folgezeit, in die wir den eigentlichen Entwicklungsweg verlegen, allein rund 60 Millionen Jahre betrug? Aber damit nicht genug. Die Natur selbst hat jene Abstammungstheoretiker wider- legt: In den heißen Trockengebieten, wie zum Beispiel in denen des nördlicheren Brasiliens oder Südwestmexikos, sind heute noch holzstämmige Kakteen vorhanden, Sträucher oder sogar hohe Bäume, die Blätter tragen. Gerade unter solchen Lebens- verhältnissen hätte doch — wenn die Annahme einer allmählichen Umwandlung der Holzgewächse zu mehr sukkulenten Pflanzen infolge des Vordringens in trockenere Regionen stimmen sollte — eine Umbildung zu erhöhter Wasserspeicherung längst stattgefunden haben müssen; denn selbst, wenn man annimmt, daß die Klimagürtel vordem zeitweise anders als heute gelagert waren, muß man doch bei diesen Arten für die Areale der Vergangenheit die gleichen Verhältnisse wie gegenwärtig voraus- setzen. Wie konnten also unter solchen Umständen, nach rund 60 Millionen Jahren, noch völlig kakteenunähnliche Blätterträger in Trockengebieten vorhanden sein, wäh- rend man demgegenüber in überwiegend feuchten tropischen Räumen eine Reihe von stärker sukkulenten Vertretern der Familie findet? 140
Abb. 90 Stachel- und Rippenkonvergenz: Bei den Euphorbien und Kakteen ist die Ähnlichkeit der Bcstachelung (Dornen) und der Triebe oft überraschend Links: Huphorbia enopla-, Mitte: Hcbinocereus fendleri-, rechts: Hupborbia coerulescens Abb. 91 Das bunte Stachelkleid der schönsten Kammformen Vorn: Cristaten des Haageocereus versicolor 141
Abb. 92 Allein schon nach dem Schcitelbild lassen sich viele Arten bestimmen: die vertiefte Neuwuchszone der Lobivia famatimensis nm. albolanata Nun, das ist durchaus nichts Absurdes. Auch ohne daß man in China die Metasequoia entdeckte*), die theoretisch schon seit einigen Jahrmillionen verschwunden sein müßte, wußten wir, daß konservative Gattungen sich überaus lange erhalten können, daß die Natur das Problem der Trockenresistenz auf die verschiedenste Weise löst, und daß wir also mit einer so einfachen Hypothese wie der obigen nicht auskommen. *) Dieser sensationelle Fund hat eine wohl einmalige Geschichte. 1940 fand der Japaner Miki in seiner Hei- mat Reste einer Konifere aus der Tcrtiärzcit, von der Sumpfzypresse durch große gegenständige Knospen und gestielte Zapfen unterschieden. Er nannte diese vorzeitliche Taxodiacee „Metasequoia“. Kein Botaniker konnte damals vermuten, daß es sie noch heute gäbe. Aber schon im folgenden Jahr sah der Chinese T. Kan am mittleren Jang-tse-kiang einen von den Einheimischen „Wasserlärche“ genannten Baum; 1944 wurde Herbarmaterial ge- sammelt, und dann stellte man überraschend fest, daß das vermutlich nur fossile Genus sich bis in die Gegenwart erhalten hat. Die ihr Nadellaub abwerfendc Metasequoia glyptostroboides Hu & Cheng wird bereits in vielen Ge- genden der Welt kultiviert. 142
Um jenen großen Einschnitt der frühen Entwicklung, der Wende von der Kreide zum Tertiär, als die Saurier auszusterben begannen und die Säuger immer stärker in Erscheinung traten, wie gegenüber den Gymnospermen (den Nacktsamigen) jetzt auch die Angiospermen (die Bedecktsamigen), muß sich ein tiefgreifender Umschwung un- bekannter Ursache abgespielt haben, dessen Ergebnisse wir nur über die Geologie und die Paläobotanik erfahren. Von den Kakteen gibt es jedoch — bis auf eine um- strittene Vorzeitart (19), die 'Eopuntia douglassii von Utah in den Vereinigten Staaten — keinerlei Fossilien. Aus Rückständen baumartiger Gebilde vermögen wir sie nicht mehr mit Sicherheit zu erkennen, und die hochsukkulenten Wasserspeicherer mit ihren relativ weichen Körpern müssen so gut wie ausnahmslos ohne jedes fossile Zeugnis vergangen sein. Daher können wir zum Beispiel auf Grund der Galapagos-Vorkom- men nur annehmen, daß die Kakteen, ähnlich wie andere Angiospermen^ um das Ende der Kreide aus irgendwelchen Vorläuferpopulationen mehr oder minder „plötzlich“ erschienen sind — wobei unter plötzlich immerhin noch einige Millionen Jahre ver- standen werden müssen — und daß dann, nach, der sogenannten Makrogenese, die Mikrogenese einsetzte: die zur Zeit der einzelnen Phasen nicht wahrnehmbare, ganz allmähliche Umwandlungen gewisser Pflanzenteile in immer feinere Aufspaltung, bis sich im Hinundherwandern mit den sich verändernden Umwelt- verhältnissen das Bild der Gegen- wart ergab, in dem wir einige Pflanzengestalten seit langem zäh oder nur mit geringen Wandlungen erhalten geblieben sehen. In meinem Handbuch der Kak- teenkunde hat Gordon D. Rowley einer genealogischen Arbeit über die „Pbyllocactus“als Motto das Wort des Engländers Abb. 93 Symmetrische Stachclanordnung im Wollschcitcl einer Parodia sebwebsiana U3
F. Harrison vorangeschickt: „Der Reiz der Stammbaumforschung liegt in seiner rätselhaften Unergründlichkeit.“ Soll dieser Ausspruch schon für die kurze Geschichte der Phyllohybriden gelten, was besagt er dann erst für die sich über Jahrmillionen er- streckende Entwicklung der natürlichen Arten?! Ohne fossile Grundlagen müßte da- nach die Stammbaumforschung graue Theorie sein. Die geologischen Erkenntnisse wie die über die Klimageschichte der Vorzeit lassen uns aber immerhin, bei genauer Abstimmung auf diese und unter exakter Merkmalsermittlung eine spekulationsfreie Grundlage für die Gliederung der heute bekannten Arten finden. Alles darüber Hin- ausgreifende ist vorläufig jedoch noch ein Vorstoß ins Ungewisse. Die Wissenschaft ist zwar heute zu wichtigen Erkenntnissen über viele Vorgänge gelangt, die zum Ent- stehen der Pflanzenformen führen, und unterscheidet dabei wohlweislich zwischen ver- zeichnender Beschreibung und phylogenetischer Erforschung als sich gegenseitig er- gänzende Zweige der Naturkunde, aber die Kakteen sind dabei immer noch eine reich- lich geheimnisvolle Welt geblieben. Man glaubt zum Beispiel, eine Linie primitiv- blütiger Gattungen von Westindien her (Leptocereus) über Ekuador—Nordperu (Armatocereiis), Mittelperu (Neoraimondia) bis zum zentralen Ostbolivien (Neocar- denasia) zu erkennen. Überall sehen wir jedoch neben den ,,ursprüngliche“ Blüten auf- weisenden Gattungen solche mit „hochentwickelten“, und niemand vermag bisher mit Sicherheit zu sagen, wie es zu so verschiedenen Entwicklungsstufen kam, wie das teilweise Beharren auf mutmaßlich älteren Stufen zu erklären ist, ob sie nicht etwa unabhängig voneinander entstanden, und wie es möglich ist, daß zum Beispiel in Westindien auf so nahe gelegenen Inseln wie Kuba und Hispaniola zwei in der baum- förmigen Gestalt überaus ähnliche Gattungen, wie gewisse Leptocereus-Arten und die einzige Spezies des Genus Dendrocereus^ völlig verschiedenartige Blütenstufen aufwei- sen. These und Gegenthese, Theorie und registrierende Pflanzenkunde zeigen auch hierin das immer reizvolle Spiel forschenden Bemühens. Die menschliche Zweckdeutung ist geneigt, aus allen Einzelheiten des Pflanzen- lebens, wie auch sonst, ein Zweckstreben zu erkennen. Zugegeben: Viele Wandlungen, die wir an heutigen Pflanzen wahrnehmen, je nachdem, wo sie wachsen, lassen ein solches Zweckdenken durchaus zu; aber dabei wird leicht übersehen, daß zahlreiche andere Pflanzen eine solche Veränderung nicht mitmachen, daß sie verschwinden, wenn die Lebensumstände ihren Anforderungen nicht mehr entsprechen, oder daß sie, im umgekehrten Fall, dort auftauchen, wo sie vorher nicht bestanden. Das heißt also: ein allgemeingültiges Zweckgesetz gibt es nicht. Nun hat die Natur aber viele Erscheinungen und Merkmale geschaffen, die immer wieder die menschliche Phantasie, sofern sie nur nach dem Äußeren geht, beflügeln und ihr genug Anhaltspunkte zum Zweckdeuten geben. Dabei setzen wir jedoch ge- wissermaßen das Ende an den Anfang; was sich als Erscheinungsform oft als auffallend zweckmäßig erweist, sehen wir gern als das Ergebnis zielstrebiger Entwicklung an, vermenschlichen es damit und verkennen die weit größere Universalität des Schöp- fungsgeschehens . Wenn man viele der subtropisch-tropischen Blüten beschaut, drängt sich einem 144
Abb. 94 Viele Arten haben auffällige Filzschcitel, besonders bei der Gattung Copiapoa (Copiapoa baseltoniana-Vfost&rd, X Copiapoa cinerea [?]) 10 B.ickcbcrg. Wunderwelt, 4. A. 145
Abb. 95 Erst unter der Makrolinse zeigt sich die ganze und oft zarte Schönheit mancher Schcitclregion (blühende Hpithelantha micromeris) allerdings angesichts ihrer auffallenden Form unwillkürlich und besonders eindrucks- voll der sogenannte Anpassungsgedanke auf: die sehr dünn- und langröhrigen Nacht- blüten etwa des Hpipbyllum pbyllantbus — um bei den Kakteen zu bleiben — scheinen nur für den langrüsseligen Nachtfalter ihrer Heimat entstanden zu sein, damit er leicht zu seinem Nektar gelangen und die Pflanze ihren Bestäuber finden kann. Da gibt es eine Menge „kolibriblütiger“ Säulenkakteen wie auch einzelne Kugelformen, deren Blütengestalt eine ideale Anpassungsform an Kopf und Schnabel des Blütenhonig suchenden Kolibris sind — so meint man. Porsch (20) hat hierüber eine Fülle interes- santen Materials unter entsprechendem Vergleich mit vielen ähnlichen Blütenerschei- nungen anderer Familien zusammengetragen. Mit der Blütenform allein braucht sich aber der zweckdeutende Mensch nicht zu begnügen. Da ist noch der lockende, äußerst variable Duft, da sind die wunderbaren Einrichtungen der Nektarien, wie die Blüten- nektarkammer, die süßen Saft ausscheidet und mit ihm die Insekten oder den Kolibri 146
Abb. 96 Bei der Gattung Seticereus weist die Bcstachclung der blühfähigen Triebteile eine charakteristische schopfartige Veränderung zu einer dichten Borstenbekleidung auf {Seticereus icosagonus) zur Bestäubung anlockt. Welch ein grandioses Zusammenspiel gegenseitiger Anpas- sung, wird vielleicht mancher sagen. Doch schon meldet sich wieder das Aber. Der Pflanzenkundler stellt nüchtern fest: es gibt auch tropische Kakteen, die kurze Blüten haben, viele, die ganz normal ge- formt sind (das heißt mit regelmäßiger Blütenhülle, die also keinerlei auffällige An- passungsform erkennen läßt), und zahlreiche, die gar nicht duften; man findet sogar Blüten, die weder eine Nektarkammer haben noch sonst Nektar ausscheiden (es gibt auch „extraflorale“, also außerhalb der Blüte gebildete Nektarien, ja selbst umgewan- delte Stacheln, die diese Funktion ausüben), und manchmal wachsen alle solche Formen dicht beieinander. Nicht anders ist es mit der „Schauapparat4‘-Theorie, diesem nahe- liegenden Gedanken der Lockwirkung der Blütenfarben (was jedoch nicht besagt, daß sie nicht so wirken oder wirken können), der Notwendigkeit raffinierter Lockmittel, wie es Duft und Nektar sind, damit die Pflanze weiterbestehen kann, der nur der an- fliegende Bestäuber die Samenerzeugung zu sichern vermag. Dies meint man; es stimmt auch häufig, aber eben . . . nicht immer! 10* 147
So ist es auch mit den Tag- und Nachtblühern, die Anpassungen an die Bedürfnisse der Bestäuber sein sollen, damit jeder zu seinem Recht kommt: die Blume, der Vogel und das tagsüber oder nachts fliegende Insekt. Genaugenommen sind alle nur da. Und das Wunder ist die so große Zahl dieses „Daseins“, daß alles vollendet zueinander paßt. Wir sehen eben allein das Endergeb- nis; wo es nicht so war, wurden „unpassende“ Formen eliminiert, das heißt, sie ver- schwanden von selbst. Von diesem Gesichtspunkt her gesehen ist die Bezeichnung „FormVerwilderung“, die sich eingebürgert hat, nur ein primitiver Ausdruck; es han- delt sich ganz einfach um besonders ungewöhnliche Erscheinungen im Allmöglichen, die ebensogut erhalten bleiben können, sofern alle Voraussetzungen dafür gegeben sind, und wenn es selbst so extravagante Blütenformen wie die der Aristolocbias sind. Ähnlich ist es mit den Bezeichnungen „Tag-“ und „Nachtblüher“. Prüft man den wirklichen Hochstand der Blüten kritisch nach, stellt man fest, daß es nicht etwa nur — wie bei der nächtlichen Stadtbeleuchtung — genaue Zeiten für das Offnen gibt, je nachdem es dunkel oder hell ist, sondern daß in zahlreichen Gattungen immer einige Arten mehr oder weniger stark von den beiden Hauptöffnungszeiten abweichen. Zum Beispiel beginnen einige Tagblüher schon am vorhergehenden Spätnachmittag mit dem Öffnen, haben den eigentlichen Hochstand aber im Sonnenlicht; manche schlie- ßen überhaupt nicht wieder bis zum Abblühen, andere über Mittag. Die einen Nacht- blüher beginnen mit dem Öffnen bereits am frühen Nachmittag, die anderen sind strikt nur in der Nacht offen, wieder andere noch weit in den Vormittag hinein; es gibt auch frühmorgens Blühende, die man nur schwer einreihen kann. Eine den tag- blütigen Lobivien nahe verwandte Gattung (Acantholobivia) erweist sich also beson- ders eigenwillig insofern, als sie einen lebhaft gefärbten „Tagblüten-Schauapparat“ ausbildet, der aber nur in der Dunkelheit geöffnet ist; und außerdem haben sich diese Gewächse von Bestäubern völlig unabhängig gemacht, indem ihr Blütengebilde so eingerichtet ist, daß sich die Griffelnarben auf jeden Fall bestäuben müssen*). Es sind also hier die Tagblütenfarben oder der „Schauapparat mit Farblockung“ völlig über- flüssig. Andere machen es wieder anders: zum Beispiel die FraHeas. Sie bilden zwar kleine, aber für ihre Pflanzengröße doch ansehnliche Blüten aus oder wenigstens die Knospen; manchmal öffnen sie sich sogar, aber meist bleiben sie geschlossen, und die Bestäubung findet „unter Ausschluß der Öffentlichkeit“ statt. Man nennt das Cleisto- gamie, heimliche Brautnacht, oder wie man es dichterisch übersetzen will. So ist es auch mit dem Duft. Wie viele Arten hätten nicht längst verschwunden sein müssen, wenn ihre Blüte nur auf seine Lockung angewiesen wäre! Die meisten Kak- teenblüten haben nämlich gar keinen oder nur einen sehr geringen Duft (andere frei- lich einen mehr oder weniger starken in allen möglichen Varianten). Daß der Gedanke einer Abhängigkeit der Vermehrung von der Duftlockung nur *) Hier: da die Pflanze „sclbstfcrtil“ (sclbstfruchtend) ist; es gibt aber auch ähnliche Blütenverhältnisse bei „sclbststcrilcn“ (nicht sclbstfruchtenden) Pflanzen, die trotz eines gleichen Blütenbaues nur mit Pollen eines anderen Stückes Frucht ansetzen. Auch dies sind Beispiele der Vielfalt von Möglichkeiten. 148
Abb. 97 Wie feinstes Spitzenwerk wirkt oft das frcigclegtc Skelett eines Kaktus. Hier wurde es noch nach Spitzenkragenart zugeschnitten Abb. 98 Knospenhaufen einer Rbipsalis robusta. Nicht alle Rbipsalis-Arten sind mchrblütig. Es kommt dies bei den Kakteen auch sonst nur ziemlich selten vor. Wahrscheinlich handelt es sich um eine alte Anlage, die überwiegend verlorenging; auch bei der Unterfamilie Reireskioideae gibt es gcbüscheltc und nur einzeln stehende Blüten (erstere s. Abb. 76) Abb. 99 Der Sproßcharaktcr der Blüte zeigt sich hier deutlich an der Umwandlung eines Kindels in eine Knospe (Mediolobivia anreiflord) i49
eine Fiktion ist, beweisen uns die beiden sehr ähnlichen Nachtblüher Selenicereus grandi- florus („Königin der Nacht“) und Selenicereus pteranthns („Prinzessin der Nacht“). Die Blüten des ersteren strömen einen starken Vanilleduft aus, die des letzteren sind ge- ruchlos. Für die Bestäubungs- und damit Vermehrungsmöglichkeit kann also der Duft von keinem entscheidenden Einfluß sein. Ebenso verhält es sich mit der Nektar- lockung. Es gibt Gattungen (z. B. JzLrdisidp bei denen manche Arten ein wohlgeform- tes Nektarium haben, komplizierte Gebilde zur Ausscheidung von Blütensäften, und anderswo, oft sogar ganz in der Nähe, wachsen Pflanzen, denen ein solcher Apparat völlig fehlt. Daher muß es auch ohne diesen gehen, und ohne Duft, ohne komplizierte Formen, ohne lockende Farben. (Das wäre also der Weisheit Schluß? Sind wir damit um schöne Illusionen ärmer geworden, ist die ganze Zweckdeutung grundsätzlich falsch? Streng logisch gesehen, ja; aber nichts verbietet uns Menschen, die Dinge so zu sehen, wie wir sie am besten verstehen können; die Wissenschaft muß sie freilich richtig sehen, um sie recht zu verstehen). Mit dem Gesagten ist dieses Thema durchaus noch nicht erschöpft. Man hat zum Beispiel die wilden Waffen vieler Kakteen für ein ungemein zweckmäßiges Abwehr- mittel gegen Tierfraß oder andere Beschädigung der saftigen Körper und das dichte Haarkleid, das einige hoch wachsende Arten haben, für einen guten Witterungsschutz gehalten. Doch auch hier meldet sich wieder das Aber: da treten neben den üblen Stechern der Gattung Opuntia Arten auf, die gar keine Stacheln haben. Warum sind sie nicht schon längst verschwunden, schutzlos, wie sie anmuten? Und warum sind die Nackten neben den Behaarten — die beide in Hochperu nebeneinander vorkom- men — nicht bereits seit langem erfroren und vergangen? Wie ist es möglich, daß sich die völlig waffenlosen Lopbopbora- und Ariocarpus-Arten sowie die „Bischofsmütze“, das Astropbytum myriostigma^ unter den übrigen Stachelträgern erhalten konnten, ohne durch hungrige oder durstige Lebewesen ausgerottet zu werden? Man wird* vielleicht sagen: Das Astropbytum und die Ariocarpus-KxXesx sind eben eine Art von „lebenden Steinen“, die durch ihre Mimikri geschützt sind. Das kann man nun aber wieder nicht von der grasgrünen Lopbopbora oder anderen stachellosen grünen Sukkulenten (z. B. die Ficoidacee Conophytuni) behaupten, die keine Mimikriformen sind. In der zwecksehenden Vorstellung haben die Blüten, Früchte und Samen in allen Fällen die Aufgabe, die Art zu erhalten und zu verbreiten; es gilt als ausgemacht, daß die Vermehrungsmöglichkeit nur von ihnen abhängt. Jedoch schon ist wieder das Aber da. Der Skeptiker fragt beim Überdenken dieser unumstößlich erscheinen- den Tatsachen: Und warum haben eine Anzahl Opuntien zwar bunte Blüten und ver- lockend farbige Früchte, diese aber keinen Sameninhalt (abgesehen von der Frage nach der Begründung, weshalb es in manchen Früchten sehr viele Samen gibt, in an- deren dagegen nur ganz wenige, mitunter sogar nur ein Korn) ? Die sterilen Früchte lassen diese sowie die ganze Blütenbildung doch als überflüssig erscheinen, zumal ge- rade manche Opuntien zum menschlichen Leidwesen bewiesen haben, daß sic mit der 150
Abb. 100 An den bcstachcltcn Röhren der zlr/z/rf/c^rw-Blütcn erkennt man ebenfalls gut den Charakter eines kurzlebigen Blütensprosses {Armatocereusniatucanensis)
,,veralteten“ Methode der vegetativen Vermehrung viel weiter kommen*). Und wer ganz skeptisch ist, könnte sogar so weit gehen zu fragen: Warum gibt es überhaupt Blütenpflanzen? Früher kam die Erde ja ohne solche aus, und die Landschaften müssen noch viel üppiger, noch weit phantastischer ausgesehen haben; das beweisen doch die Lieferanten der Steinkohle. Eine solche Frage wäre zwar logisch berechtigt, aber trotzdem sinnlos, weil wir nie erfahren werden, warum überhaupt etwas „ist“. Hier bleibt uns im Bereich unseres Denkens nur ein freundlicher Trost, die menschliche Feststellung: Die Erde ist durch die Blütenpflanzen viel schöner geworden. In das Bemühen, eine ordnende Übersicht für alle Pflanzen zu schaffen, hat sich auch der Morphologe eingeschaltet. Dabei kam jemand auf den Gedanken, die syste- matischen Fragen bei den Cactaceae von den Samen her zu beantworten, weil deren Gestalten und Hüllen recht verschieden aussehen, wenn man sie unter dem Mikroskop betrachtet; es gibt bei ihnen viele auffallende Ähnlichkeiten, bemerkenswerte Einzel- heiten und im Zusammenhang damit Erwägungen, die es möglich machen könnten, danach teils das phylogenetische Problem, teils das der Gesamtgliederung noch besser als bisher zu lösen. Dies war eine Enttäuschung, denn die Natur bewies auch hier die schier unerschöpfliche Vielfalt ihrer Einfälle: sie ließ zum Teil bei sehr nahe verwandten Arten völlig verschiedene Samengestalten entstehen, während anderswo Merkmale der Samenhülle wiederkehrten, die keinerlei Verwandtschaftsschlüsse zulassen; das theore- tisch auswerten zu wollen, wäre gleichsam ein Griff in die Sterne. Bei den Cactaceae jedenfalls scheint es, wenn wir schon durchaus „Ordnung“ in ihre grandiose Unord- nung bringen zu müssen glauben, daß wir uns weniger an die Samen als an handgreif- lichere Merkmale halten sollen. Der Samentheoretiker steht nun aber nicht allein da; es gibt außerdem noch die Pollenforscher und Pollendiagnosen. Der Pollen ist ebenfalls ein kleines Wunder, das wir erst unter dem Mikroskop so recht erkennen. In der Formschönheit, Eigenart und Vielfältigkeit oft an Kristalle erinnernd, ist er eine der erstaunlichsten Naturschöpfun- gen, und Verwandtschaftsbeziehungen sind aus ihm durchaus ablesbar. Dazu bedarf es aber eines Mikroskopes. Der Systematiker, der an jene denkt, die auch ohne dieses eine Pflanze bestimmen wollen und dazu eine mühelos zu überblickende Ordnung benötigen, wird also auf Samen und Pollen verzichten müssen, zumal sie in absehbarer Zeit überhaupt nicht für alle Gattungen und Arten zur Verfügung stehen. So ging das wissenschaftliche Spiel hin und her, so stritt man sich oft lebhaft um die Meinungen, und forschende Menschen suchten immer wieder, die Natur auf ihre Thesen zu verpflichten. Damit können wir uns beruhigt weiter mit den Kakteen befassen. Es erübrigt sich nun darüber zu grübeln, warum die einen Cereen (Säulenkakteen) blau bereifte Kör- *) Es gibt auch bei einigen Opuntioidcn Früchte, die steril sind, sich jedoch wie Sprosse verhalten: sic wurzeln, treiben aus und bilden auf diese Weise Pflanzen, statt durch Samen. Hcrabfallcndc Glieder besorgen das meist schneller, und es mutet uns an, als wolle die Natur hier ebenfalls nur wieder das Allmögliche demonstrieren. I52
Abb. 101 Eine in der ganzen Kaktccnfamilic einzigartige Erscheinung sind bei der Gattung Neoraimondia die besonderen, sich langsam, aber ständig verlängernden und oft fast stachcllosen Kurztriebe, aus denen die Blüten erscheinen. Britton und Rose sahen sic als cephalioide Bildungen an (Neoraimondia roseiflord). Bei ihrem „Doppelgänger“, der in der Pflanzengcstalt ähnlichen bolivianischen Neocardenasia, kommt cs nur zu einer Areolcnvcrdickung, niemals zu solchen Kurztrieben per haben, aber dieser an- geblich schützende Reif bei anderen fehlt, ebenso wie der Hertrichocereus fari- iiosus im heißen Zopilote- Canyon des mexikanischen Staates Guerrero so weiß überpudert ist, als hätte man ihn in Mehl gesteckt, was ihm auch seinen Namen ein- trug, während daneben die dicken, grasgrünen Säulen der Neobuxbaiimia me^calaensis wachsen, die keine Spur von Reif oder anderem Überzug haben. Man sieht: solche Ausscheidungen können wie ein Schutz wirken, aber nötig sind sie nicht. Wir müssen uns jetzt ferner nicht mehr antwortlos den Kopf zerbrechen, warum es außer bodenbewohnenden Arten auch Epiphyten gibt, die grundsätzlich nur in Baumkronen leben, oder wie es möglich ist, daß auch Halbepiphyten vorkommen, die einmal auf der Erde oder auf Felsen, aber auch auf Bäumen sitzen, oder warum die epiphytischen Khipsalis und ihnen verwandte Pflanzen eine schier unglaubliche Formenfülle aufweisen: schnurdünn, schmallang, bleistiftrund und -dick, lang und ganz kurz, licht und eng verwoben, blattartig, gewellt oder glatt, gezähnt oder ganz- randig, und warum manche ihrer Früchte so buntfarbig sind, wenn die Vermehrung H3
auch mit weißen oder grünen möglich ist. Wir brauchen uns nun auch nicht mehr zu wundern, wie es zu der großen Vielfalt von Blütenformen kam, warum die einen bei Tage, die anderen bei Nacht blühen oder zu allen möglichen Übergangszeiten, warum sie überhaupt gebildet werden, da zahlreiche Pflanzen doch ohne sie, ohne Insekten- bestäubung und ohne Samen auskommen. Wie die Kakteen nach den Galapagos- inseln und Fernando Noronha gelangten, das können wir uns heute wohl ungefähr zutreffend erklären; wenn wir aber erstaunt in völlig steril erscheinender Einöde etwa Melocacteen oder in Mexiko Ariocarpus-Arten finden, die kaum noch aus der Erde schauen und wie Geröll aussehen, die uns damit zeigen, wie schwer ihr Leben in einer solchen Umgebung ist, so müssen wir uns nun auch nicht mehr fragen: Warum gibt es hier überhaupt Pflanzenleben, weshalb erscheinen Kakteen noch in einem solchen steinigen oder sandigen Nichts, da doch einige Breitengrade weiter nördlich in der Westküstenwüste oder in gewissen felsigen Gestaden Chiles gar kein Pflanzenwuchs zu finden ist. Uns brauchen also nicht mehr so viele Fragen zu quälen, auf die es sonst nie eine Antwort gäbe. Wir können daher auch einen lächelnden Gleichmut bewahren, wenn die Systematiker zuweilen heftig diskutieren und sich darüber streiten, wie man mit den für Menschenzwecke mitunter reichlich ungeordnet erscheinenden Werken der Natur am besten fertig wird. Wir sehen: wenn schon geordnet werden muß, sollten wir auch den feinsten Varianten nachgehen, die der Natur eingefallen sind, sofern wir ihr Wirken bis ins einzelne genau erkennen und wiedergeben wollen. Ob die Syste- matiker dann, wenn sie mehrere gattungsmäßig gleichgekennzeichnete Arten ermittelt haben, diese allein zu dem von Menschen erfundenen Gattungsbegriff erheben, oder aber solche Artengruppen ähnlich geordnet zu größeren Gattungen, die dann eben eine noch menschlichere Version und eine mehr subjektive Angelegenheit sind, das kann uns schließlich einerlei sein, sofern es nützlich, vollständig und überzeugend im Sinne dessen ist, was wir damit bezwecken. Nach meiner Ansicht ist nur jene Gliede- rung ungekünstelt, die in den Kennzeichen der Blüte (ausnahmsweise auch der Körper- form, wenn es sich um größere Gruppen solcher Arten handelt) gleichcharakterisierte Arten zu Gattungen zusammenfaßt, weil ich darin die getreueste Wiedergabe natür- licher Tatsachen und die unpersönlichste Form der Aufzeichnung wie der Darstellung sehe. Auch die manchem vielleicht trocken erscheinende Morphologie hat ihre inter- essanten und ästhetischen Seiten. Eine der schönsten Kakteengattungen ist das Genus Mamillaria. Mit ihren Arten hat die Natur offenbar allein schon den ganzen Reichtum ihrer Einfälle beweisen wollen. In allen Farben schuf sie die Stacheln, von weiß bis schwarz, in rot, gelb oder braun, die Axillen (die Vertiefungen zwischen den Warzen) oft mit dicken Wollkrän- zen versehen, die Areolen (die stacheltragenden Warzenspitzen) nicht selten mit zartem Haarbesatz. Die kräftigeren Mittelstacheln sind bei einer ganzen Reihe von Arten ge- hakt und erhöhen damit das ungewöhnliche Bild der Pflanzen; und wie die Natur auch sonst jede mögliche Variante gestaltet, so gibt es noch einige Vertreter der Gat- U4
Abb. 102 laue interessante Gattung ist das Genus II cberb(iner(>ceren.\. I's steht der Blutenform nach /wischen der Sippe ,, Vrichocerei" mit nächtlichen Trichterbluten und der Sippe jtxaiithotereT mit sc hieb säumigen, hauhg gekrümmten und überwiegend roten lagbluten. Beide 1 ormen treten bei obiger Gattung auf und zeigen. wie schwierig cs zuweilen für unser Ordnungsbemuhen ist, den vielfältigen I • rschcinungen in der Xatui überzeugend den s\steinat isch richtigen Platz an/uweisen. Links: \\ ebcrbancroct’rcn\ weber baut n, rechts: II t’berb(iner<>iereu\ \c\'boldi(Uiii\
Abb. 103 Ein kleines Wunder ist der Pollen. Seine Untersuchung ist weniger systematisch (weil nur verhältnismäßig selten zur Verfügung stehend) als zur Verwandtschaftsfcststcllung verwendbar. Die abgcbildetcn Pollcnkörncr der Opuntioiden haben eine verschieden abgewandelte Dodekaeder-Kontur. Die deutlicher geformten Körner gehören zu flachtriebigen Arten (3—6), die verschwommen gestalteten zu zylindrischen (7—8) und zeigen somit auch hier charakteristische Untcrsch icdc. Zum Vergleich: 1. krummflächige Dreiecksform bei der Gattung Carnegiea tung, bei denen gerade oder gehakte Stacheln zusammen auftreten, oder einige haben gehakte, andere gerade. Das hatte vordem dazu geführt, daß man bei einer Spezies zwei Arten aus einer machte, bevor die Standortforschung Klarheit über diese Natur- laune schuf. Das oft bezaubernde symmetrische Warzenbild der Mamillarien folgt außerdem einer bestimmten Gesetzmäßigkeit der Anordnung. Die Warzenreihen, die hier die Rippen ersetzen, schwingen sich als sich kreuzende Spiralen durcheinander. Man findet die Reihenbogenzahlen 3:5, 5:8, 8:13, 13:21, 21:34 und 34:55, jede Ord- nung beginnt also mit der vorhergehenden Höchstzähl, und die nächstfolgende Diffe- renz ist jeweils die Summe der beiden vorhergehenden — ein kleines Zahlenwunder im Reich der Pflanze. Manche Autoren sind der Ansicht, daß die Warze eine höhere Entwicklungsstufe als die Rippe ist. Die Hcbinofossulocactus-Sämlinge haben jedoch zuerst Warzen, dann vereinigen sie sich zu Rippen, und gewisse chilenische Wüsten- arten bilden am Standort völlig frei stehende Warzen aus, die bei durch Pfropfung stark getriebenen Pflanzen fast gänzlich wieder zu Rippen zusammenfließen. Auch hier scheinen keine phylogenetischen Rückschlüsse möglich zu sein, sondern es dürfte sich wieder nur um eine Formabwandlung mit allen Zwischenvarianten handeln. Aber dieses Warzenspiel ist, besonders von oben gesehen, in seiner Regelmäßigkeit ein den Pflanzenfreund immer wieder entzückender Anblick. Und wie graziös ist das Muster eines Kakteenskeletts, das, nach Entfernung aller fleischigen Teile und ausgebreitet, in der fotografischen Aufnahme kaum von einer zierlichen Spitzenarbeit zu unter- 156
scheiden ist. Aber auch das Rippenwerk der säuligen Gestalten hat seine Reize und ist bei den größten Arten oft von monumentaler Schönheit; zugleich bedeutet diese Längsriffelung eine gute Stabilisierung. Im Winddruck schwanken die Riesenpfeifen mitunter bedrohlich hin und her, besonders die weichfleischigen des Cephalocereus senilis; dennoch sind sie so elastisch, daß es nur höchst selten zum Abbrechen kommt. Man hat gemeint, die Rippen seien auch insofern zweckmäßig, als der durch sie gebildete Schatten eine zusätzliche Schutzwirkung gegen Bestrahlungsschäden bedeutet. Das könnte, muß aber nicht so sein. Die alten Triebe zum Beispiel des Marginatocereus werden schließlich fast rund; sie sind nur noch schwach gekantet und sehen aus, als wollten sie die vorerwähnte These geradezu widerlegen. Sicher ist nur, daß die Rippen die Verbindung jener Gebilde darstellen, die sämtlichen Kakteenarten eigentümlich und ihr ausschlaggebendes Familienmerkmal sind: der Areolen. Nur in ihnen finden sich Stacheln, in den Axillen dagegen zuweilen nur Borsten. Und mit den Stacheln selbst ist es nicht anders als mit der auch sonst bewiesenen Allmöglichkeit: sie können ganz fehlen oder äußerst zahlreich sein, mit allen Übergängen, in den verschiedensten Stärken und Längen — man hat bis 30 cm lange Stacheln beobachtet — glatt, rauh, behaart, gefiedert, rund, drei- oder mehrkantig, mit oder ohne Widerhaken, zum Teil in pergamentartigen Hülsen oder nur noch mit Rudimenten derselben, haarfein, borstig-elastisch, nadeldünn bis grob pfriemlich. Immer aber ist die Spitze äußerst fein und vollendet glatt. Wir haben Kakteenstacheln auch als Grammophonnadeln aus- probiert; sie spielen zart und leise. Unter dem Vergrößerungsglas könnte kein Saphir mit ihnen konkurrieren, weil selbst die besten menschlichen Arbeitsmethoden es nicht zu solcher Präzision bringen. Ebenso wie die Euphorbien — von den wunderbaren Konvergenzen zwischen diesen und den Kakteen war schon in einem früheren Kapitel die Rede — weisen auch die Abb. 104 Auffällige Gebilde sind die Halsrübcnwurzcln. Sie sind aber kein Gattungsmcrkmal, da andere Arten desselben Genus oft keine solchen haben (Neocbilenia lern bebet) U7
Abb. 105 Schcitelständigcr Schopf einer Arrojadoa mit Knospen und Blüte Abb. 106 (und Abb. 107—110) Verschiedene cephalioide (schopfartige) Blütenzonen a) Woll- und Borstenschopf am Triebkopf eines Mitrocereus (Mitrocereus fulviceps) b) seitliches Obcrflächencephalium eines Austrocepbalocereus (^Austrocepbalocereus dybowskü) c) einseitiges Ccphalium einer Aasettonia (Haseltonia columna-trajani) d) Spaltcephalium (zum Teil doppelt) der Gattung Espostoa (Espostoa lanata var. sericatd) a) 158
Kakteen milchbildende Arten auf, und zwar bei den Mamillarien. Und hier zeigt sich ebenfalls wieder die Fülle der Möglichkeiten. Manche Arten milchen überhaupt nicht (sie haben nur wäßrigen Saft), einige nur sehr wenig und langsam und dies nur im Inneren — während die übrigen ziemlich stark milchen —, so daß es nötig ist, die Pflanzen durchzuschneiden, wenn man feststellen will, ob sie zur Gruppe der Schwach- milchenden gehören. Um den abgeschnittenen Kopf nicht zu verlieren, muß man ihn pfropfen und dazu die erscheinende Milch sauber abstreifen; wird dies sorgfältig ge- macht, lassen sich sogar milchende Pflanzen auf diese Weise erhalten. Verhältnismäßig häufig trifft man bei den Kakteen die eigentümliche Cristaten- oder Kammformbildung an. Sie tritt auch sonst im Pflanzenreich auf, ist aber bei den Nichtsukkulenten meist vergänglich. Anders die Verbänderung der Kakteenarten. Besonders häufig wird sie bei den sogenannten dichotomischen Spezies gefunden, die durch Scheitelteilung schneller an Umfang zunehmen als jene, die nur einen ungeteilten Punktscheitel bilden können; hier hat es den Anschein, als wenn im Augenblick der Teilung keine endgültige Trennung erfolgt, sondern eine zunehmende bandartige Umbildung einsetzt. Auch auf Hypertrophie (Überernährung) führt man die Ver- bänderung zurück, und es ist möglich, daß sich auf diese Weise der Überwuchs leichter „entladen“ kann, zumal Cristaten bei den blattbildenden Peireskioideae und den trieb- reichen Opuntioideae entweder überhaupt nicht angetroffen werden, höchstens als ähn- U9
liehe Gebilde, die gewöhnlich bald wieder in den Normalwuchs Zurückschlagen, oder nur monströse Formen, wie man die Ausbildung von gebrochenen und unregelmäßig weiter entstehenden Trieb- oder Rippen teilen nennt. Bei den Säulenkakteen kommt es überwiegend erst in höherem Alter und am Scheitel zur Kammbildung — aber auch hier gibt es Ausnahmen: schon junge Sämlingspflanzen können verbändern —, dann aber wächst sich diese meist zu seltsamen Erscheinungen aus, und besonders die be- haarten und bunt bestachelten Arten entwickeln prächtige Cristaten, die sich überdies leicht schneiden, pfropfen und vermehren lassen. Sehr breite Originalstücke kann man durch Flankenbeschnitt verschmälern und bei den übrigen durch geschickten Schräg- beschnitt an den Enden der Kammbahnen bewirken, daß sie sich nicht an der Unter- lage ,,festlaufen“ und damit an der Verwachsungsstelle durch den Wuchsdruck lösen, sondern sich seitlich zu neuen Windungen weiterbilden. Es ist noch nicht geklärt, wie die Verbänderungen und Monstrositäten entstehen, man kann nur Vermutungen dar- über anstellen. Manche halten sie irrtümlich für krankhafte Erscheinungen, was schon Abb. 107 Bei der Gattung Esposloa bildet sieh das Cephalium in zunehmender Breite aus einer nahtähnlichen Einsenkung und liegt im Alter in einem Spalt der Achse auf (Espostoa lanata-Form) Abb. 108 Der zuletzt das ganze Tricbcndc umfassende und abstehende Borstenturban der Vatricaniaguentberi 160
deshalb nicht richtig sein kann, weil Standortbeobachtungen ergaben, daß es sich offenbar um erbliche Anlagen handelt, die für einige Arten der Mamillarien und auch für die Gattung lipitbelantha besonders charakteristisch sind, weil sie hier häufiger auftreten. Für den Kakteenfreund gehört die Cristate zu den kostbarsten Stücken, und Sammlungen von solchen oft eigentümlichen und prächtig buntfarbenen Käm- men bieten ein interessantes Bild dieser einzigartigen Wuchsformen. Die Scheitel der Kugelkakteen sind nicht selten ein Wunder an Ebenmaß, zuweilen vertieft und ein Auge bildend, oder sie sind mehr oder minder reich bewollt und von oft buntfarbenen, symmetrisch geordneten Stachelkränzen umgeben und damit von einer Schönheit, wie man sie im ganzen Pflanzenreich in dieser Art nicht wieder findet. Gewöhnlich bringt jede Areole der hochsukkulenten Arten nur jeweils eine Blüte hervor. Aber auch hier gibt es die üblichen Ausnahmen, die die Regel durchbrechen. Einige Khipsalis-Arten vermögen bis zu sieben Knospen gleichzeitig in einer Areole zu bilden {Myrtillccactus sogar bis neun), und wenn diese reichen Blüher (wie etwa die Khipsalis robustd) von solchen vielfältigen Blütenkränzen an sämtlichen Gliedern Abb. 109 Später ringsumgreifendes Fellcephalium des Cepbalocerens senilis Abb. 110 Der „Hclmraupcnschopf“ der Backebergia mililaris 11 Backeberg, Wunderwclt, 4. A. 161
geschmückt sind, ist dies ein ebenso zartes wie schönes Bild. Einige chilenische Arten können ebenfalls gleichzeitig mehrere Knospen entwickeln, weiter eine bolivianische Gat- tung ( Wein gar iid) und drei der mexikanischen Säulenkakteen: Myrtillccactus und Copbo- cereus., wovon der eine — als wollte die Natur auch hier jede Möglichkeit nutzen — ein Tag-, der andere ein Nachtblüher ist; außerdem gibt es in der Sippe der Pacbycereerg der „dicken Cereen“ Mexikos, noch einen Mehrblüher: Marginatocereus. Er bringt es aber auf höchstens zwei Blüten gleichzeitig aus einer Areole und dies nur selten. Wunderlich — wenn man es nicht als eine Variante des allmöglichen Formenspiels ansieht — mutet auch an, daß einige Kakteenarten eine dicke Rübe bilden können, von der eine halsartig dünne Verbindung zum Kopf führt, während andere Arten derselben Gattung nichts dergleichen aufweisen. Solche Wurzelhälse finden sich bei den verschiedensten Artengruppen, zum Beispiel bei Neoporteria^ Neochilenia und Copiapoa in Chile, bei Weingartia in Bolivien, aber auch bei dem mexikanischen Gymno- cactus^ wohlverstanden: neben Arten ohne solche extravagante Wurzelbildungen, ja sogar ohne Rübenwurzeln, die allerdings bei anderen wieder ausgebildet sein können. Gewiß, die These von der Lebensreserve in der dickeren Wurzel, in heißen und trok- kenen Gebieten, ist insofern berechtigt, als sie den Pflanzen solche Vorteile bietet. Aber die Natur beweist nicht selten gleich daneben ihre mannigfachen Möglichkeiten: Eine andere Art kommt in demselben Gelände mit Faserwurzeln aus, und riesige Flachwurzelsysteme, wie sie etwa die Melocacteen Curagaos bilden, sind hier auch nicht immer vorhanden. Zum Beispiel wächst die Utabia der Vereinigten Staaten gern in fast reinem Gipsstaub, in äußerst trockenem Gebiet; ihr Wurzelvermögen ist verhält- nismäßig gering, und darum hält sie sich wurzelecht bei uns nicht gut; man muß sie pfropfen, sofern sie noch genug Lebenssaft enthält. Neuerdings hat man festgestellt, daß die Kultur der schwierigeren Arten — und erst recht die aller übrigen — am besten in halber Hydrokultur gelingt. Diese Methode der Einbettung in Bimskies, mit Nährsalzlösung durchflutet, hat erstaunliche Erfolge gezeitigt. Die Pflanzen wachsen schneller als sonst, die Bestachelung ist bunter und reiner, und die Behaarten sehen viel besser aus, weil kein Gießwasser das Haarkleid verkleben läßt. Irgendwelche Nachteile haben sich bei der künstlichen Ernährung nicht gezeigt, zumal die Kakteen selbst ziemlich starke Gaben künstlichen Düngers vertra- gen (manche älteren Importen scheinen dadurch sogar zu kräftigerem Wachstum an- geregt zu werden). Auf kalifornischen Vogelnistplätzen gibt es eine Art, die in stark guanobedeckter Erde wächst und — es sieht wie eine Anpassung an die Farbe der Umgebung aus — ebenso schneeweiß wie diese ist. Ein kleines Wunder für sich sind an bestimmten Kakteen auch die Schöpfe, die so- genannten Cephalien. Warum hat eine Pflanze ein Cephalium, sind wir zu fragen ge- neigt. Wir vermögen dazu wenig zu sagen. Wir erkennen keinen Sinn in dem Vor- handensein solcher Gebilde, weil sie bei vielen anderen Arten fehlen. Wir können höchstens einen Zweck hineindeuten — etwa, daß sie zum Schutz der Blüte und der Frucht da sind —, der aber kaum vorhanden ist, da Übergangserscheinungen bei Pilosocereus keine Abgrenzung eines Zweckbereiches zulassen. 162
Abb. 111 Das zum Teil deutlich versenkte Spaltcephalium mit Borsten des Coleocepbalocereus fluminensis Abb. 112 Stufcnschopfige, wollige Blüten- zone bei der Gattung Neobinghamia (Neobinghamia clbnaxanibd') In Mexiko, Brasilien, Bolivien und Peru wachsen mehrere Gattungen mit Blüten- schöpfen, und zwar, damit es für den Systematiker nicht so einfach ist, der verschie- densten Form sowohl bei säuligen wie bei kugeligen Pflanzen. Unter den letzteren hat der Discocactus^ ein Nachtblüher mit langen, zarten Blüten, ein nur verhältnis- mäßig kleines und flaches Scheitelcephalium. Anders manche Melocacteen^ die zuweilen den zwecksuchenden Menschen geradezu herausfordernde lange Schöpfe tragen; die längsten sind zylindrisch und bis 30 cm lang. Da die Früchte beider Gattungen eine gewisse Ähnlichkeit mit denen säuliger Cephaliumträger haben — sie sind nur kleiner—, mögen die Pflanzen kurzförmige, den letzteren weitläufig verwandte Entwicklungs- stufen sein, zumal einige im Alter eine ausgesprochene Neigung zu stark länglichem Wuchs zeigen. Die säuligen Gattungen der Cephaliumträger haben dagegen meistens mehr oder minder lange seitliche Schopf bahnen, einseitig oder zweiseitig, auf den Areolen sitzend oder aus gespaltenen Flanken von der Achse her entwickelt, mit oder ohne Borsten- schmuck in der weißen bis braunen Schopfwolle, die Borsten mitunter pechschwarz, die Bahnen nicht selten oben wulstig oder mit einer Art Naht beginnend. Bei einigen Gattungen umfassen die alten Schöpfe später das Triebende fellartig (Cephaloceretis senilis) oder wie leuchtend gelbe Borstenturbane (]7atricania). Die Blüten zeigen auch alle möglichen Formen, von ganz kleinen, fast an die der^ Mamillarien erinnernden ^Micranthocereus) bis zu recht ansehnlichen Trichtergestalten. Bei einigen Gattungen hat man festgestellt, daß die oben mit einem Deckel versehenen Früchte ganz glatt und unten konisch verjüngt sind. Man muß dies schon — weil es sich so auswirkt — 11* 163
als höchste Zweckmäßigkeit ansehen, denn infolge des Schwelldruckes der reifenden Früchte kommen diese durch ihre Form und Glätte leicht zutage, der Deckel reißt auf, und der Same gelangt so ins Freie. Es geht aber auch anders; die peruanischen Gattungen PLspostoa und Pseudoespostoa haben zum Beispiel keine Deckelfrüchte, und sie sind auch nicht völlig glatt und haarlos, sie treten jedoch ebenso mühelos hervor und reißen an der Seite auf. Wie schon gesagt, hat es die Natur nicht bei Seitencepha- liumbildungen belassen. Wie Melocactus und Discocactus gewissermaßen auf dem Kopf einen Schopf tragen, so auch einige niedrigere Säulenkakteen, darunter die peruanische Morawet^ia^ die der Artengruppe der Oreocereen nahe verwandt ist, nicht etwa den hauptsächlichsten südamerikanischen Cephaliumträgern, den Nachfahren aus dem alten großen Amazonas-Kakteenreich, in dem zweifellos viele von ihnen beheimatet waren; das beweisen noch die heutigen Randvorkommen, zwischen denen man im Geiste Verbindungslinien ziehen muß, wenn man den Umfang dieses Großareals, dessen Überbleibsel wohl mehr dem nördlichen als dem südlichen Hauptbereich zu- zurechnen sind, rekonstruieren will. Wie ein lustiger Einfall erscheint es, daß bei eini- gen Gattungen die Cephalien durchwachsen werden und später noch blühbar bleiben können, so daß es mitunter zu einer Art Etagenblühen kommt. Weit oben im Norden, in Südwestmexiko, gibt es zu den solche Merkmale aufweisenden brasilianischen Gat- tungen Arrojadoa und Stephanocereus ein seltsames Gegenstück: das Genus Neodawsonia. Abb. 113 Pscudocephalioide (schöpfä h n 1 i c h c) Haarbildung bei 'Pilosocereus, bei anderen Arten in allen denkbaren Reduktionsstufen bis zum Fehlen, also ein veränderliches Merkmal gegenüber dem unveränderlichen der Gattungen mit echten Schöpfen {Pilosocereus tebuacanus') 164
Sie trägt dichte weiße Wollkappen, und diese bleiben ebenfalls an älteren Stücken noch eine Zeitlang ringförmig erhalten. Aber auch in Peru findet man ähnliche Gewächse: die Arten der Gattung Neobingbamicg selbstverständlich mit abweichenden Bildungen. Nicht, daß sich die Natur nicht wiederholen könnte, aber bei den Kakteen hat sie doch immer wieder noch besondere Merkmalsvarianten erdacht. So entstehen bei einigen Neobingbamia-Arten wohl ebenfalls Wollkappen und Ringzonen, die auch später noch Blüten hervorbringen; sie sehen jedoch anders aus als bei anderen ähnlichen Entwick- lungsstufen, und außerdem hat sie bei diesem Genus geradezu eine Mustersammlung von allen möglichen Übergängen solcher Art geschaffen: die einen stufig, die anderen wie Pelzkragen, die dritten als unregelmäßige Bahnen bis fast zum Boden hinab. Dieses Phänomen war für einzelne Systematiker ein gefundenes Streitobjekt. Hieran konnten sich die Meinungen entzünden, hier konnte man mit biegsamer Theorie argumentieren, daß ein solches Spiel der Formen doch unwesentlich sei und sie am besten mit anderen ähnlichen zusammengeworfen würden. Dazu muß man schon sagen: „Das Unzulängliche, hier wird’s Ereignis“. Man kann freilich alles zusammenfassen, wie es bereits der alte Linne tat, als er sämtliche Kakteen unter „Cactus“ vereinigte. Aber der Fortschritt liegt nun einmal in der fortschreitenden tieferen Erkenntnis und der exakten Darstellung ihrer Ergebnisse. t6?
Einiges über Pflanzenpflege Wie viele Gattungen und Arten gibt es und welche sind die wichtigsten? Viele Leser werden wissen wollen, wie viele Kakteen es eigentlich gibt, und sich dafür interessieren, welche sich zur Kultur bei uns eignen; auch die Frage, wie man sie behandeln soll, werden sie stellen. Das näher zu schildern, ist nicht die Aufgabe dieser Schrift. Dafür haben wir heute besondere Fachbücher, wie Walther Haages „Freude mit Kakteen“ oder mein Gartenschönheit-Heft „Schöne Kakteen für den Liebhaber“; in Frankreich schrieben A. Bertrand und A. Guillaumin die Abhandlung „Cactees“ über die wichtigsten Arten, mit Kulturanweisungen, desgleichen veröffent- lichte in England Gordon Rowley einen Band „Flowering Succulents“ und E. Shurly sein aus langer Erfahrung entstandenes Buch „Cacti“, in Deutschland neuerdings F. Buxbaum noch das Werk „Kakteenpflege — biologisch richtig“. Hier höre ich im Geiste vorsichtige Pflanzenfreunde fragen: „biologisch richtig“? Dann ist die Kakteenzucht wohl eine Wissenschaft für sich ? Man denkt an Schwierig- keiten beim Erdmischen und dem Pfropfen und was dergleichen bei der Behandlung dieser ungewöhnlichen Pflanzen mehr ist, und mancher wird da vielleicht sagen: Wer weiß, ob ich das jemals begreife! Soll ich mir zu der Berufsarbeit nun auch noch das Kopfzerbrechen aufladen, eine ganze neue Wissenschaft zu erlernen, die mich dann nur Geld kostet, weil ich doch nicht recht mit ihr und den Pflanzen fertig werde ? Gemach ... es ist halb so schlimm. Vergessen wir nicht, daß die Kakteen zu den anspruchlosen Pflanzen gehören, bei denen uns in der Pflege nicht so leicht etwas ver- kehrt gehen kann, da sie Sukkulenten sind, die sowieso schon einen Schock vertragen, wenn wir etwa einmal das Gießen vergessen. Und dann wissen wir ja, daß sie sich in ihrer Heimat nicht selten mit Verhältnis mäßig geringer Nahrung abfinden müssen, weil ihr Nährboden oft nur bescheidene Vorräte besitzt und sie auch unter ungewöhn- lichen Umständen durchkommen müssen. Einen Aufenthalt am Nordfenster oder fehlendes Oberlicht lieben sie allerdings nicht. Die Umgewöhnungsfähigkeit der Kakteen sehen wir allein schon an dem im vorigen Kapitel angeschnittenen Thema der Hydrokultur: alle begnügen sich dabei mit ein und demselben Erdersatz (Bimskies) und wachsen darauf ausgezeichnet. Man braucht ihnen nur den nötigen chemischen Nährstoff einzuflößen, und schon kommen sie schneller voran als unter den oft kärglichen Lebensbedingungen in ihrer Heimat, und das Erstaunliche ist, daß dabei die Schönheit ihres Stachelkleides eher zu- als abnimmt, also kein Degenerieren eintritt. Anscheinend stellt diese Art der Hydrokultur so etwas wie das Optimum in den Daseinsansprüchen der Kakteen dar. In Deutschland war ein Pionier auf diesem Gebiet Dr. Karius in Muggensturm, eine vorbildliche Großzüch- terei mit den denkbar besten Ergebnissen. Und bemerkenswert ist, daß die Pflanzen in Topfkultur nachher unbekümmert weiterwachsen. 166
Aber, wird man sagen, als Liebhaber mangelt mir doch für so etwas der Platz. Nun, da tut es im Topf die sogenannte Einheitserde, die man überall in Beuteln kaufen kann, genauso gut. Man glaubt gar nicht, was alles auf diesem neutralen Substrat aus- gezeichnet wächst; es ist sozusagen eine topfgerechte Form der Bimskultur. Ich habe mit diesem Mittelding zwischen Fachbuchweisheit und Hydrokultur die besten Er- fahrungen gemacht. Solch eine moderne Erdmischung kann man auch einerseits nicht zu stark gießen, weil sie zu durchlässig ist, und andererseits zwingt sie dadurch zu dem notwendigen Gießen, ohne das selbst kein Kaktus auskommt, solange er An- zeichen des Neuwuchses erkennen läßt. Mit der Chemie bin ich dabei auch sehr gut gefahren. Sie beliefert uns heute bereits mit für die Kakteenkultur besonders geeignetem stickstoffarmen, aber kali- und phosphorreichen Handelsdünger, sogar mit Zusatz von Spurenelementen, und wenn man ihn eimerweise kauft, stellt er sich am billigsten; man kann ihn auch nebenbei noch im Garten oder für andere Pflanzen verwenden. Daß die Kakteen nicht empfindsam mit dem „Verdauen“ kräftiger anorganischer Düngergaben sind, haben wir auch längst herausgefunden. Sie müssen damit auf einigen Standorten ebenfalls fertig werden. Selbstverständlich gibt es einige schwierigere Arten, wie etwa in den USA die nur auf einer einzigen Mesa vorkommende Coloradoa^ auch gewisse P^z/zörzzr/z/j-Formen, obwohl oder gerade weil sie in ihrer Heimat starke Winterkälte aushalten müssen oder die Luft andauernd sehr trocken ist, wie am Standort der ersteren Gattung, Lebens- umstände, die wir ihnen so bei uns und vor allem in der Zimmerkultur nicht bieten können. Aber solche Arten gelangen kaum nach Europa, und was hier an Kakteen angeboten wird, ist im allgemeinen genügsam und zäh, merkwürdigerweise auch die Sämlinge chilenischer Arten, denen selbst ein etwas feuchterer Stand nichts ausmacht, obwohl sie zu Hause in mageren und auch ziemlich trockenen Böden leben. Vielleicht war das Klima zur Zeit ihrer Vorfahren günstiger; manchen geht es jedenfalls bei uns besser als in der Heimat. Alles, was lange Rüben hat, paßt freilich nicht in unsere Topfsammlungen, weder wegen dieser zur rechten Unterbringung ungeeigneten Ge- bilde, noch weil die Pflanzen mit ihnen auf die Dauer kaum zu halten sind. Gepfropft wachsen sie dagegen genauso gut wie die anderen. Es ist eben alles auch eine Sache des Nachdenkens. Wer erst einmal die Kunst des Pfropfens erlernt hat, dem wird sie viel Freude be- reiten. Die Japaner haben uns an „Etagenpfropfungen“ gezeigt, was man damit ferig- bringt, wenn es sich auch nur um Demonstrationsmaterial handelt. Da gibt es die viel- seitigsten Methoden, wie sie in allen Büchern gezeigt werden, und doch ist das Ganze gar nicht schwierig. Bei den gutwilligen Kakteen ist das Pfropfen vielmehr weit ein- facher als etwa im Obstgarten, denn die Körper haften leicht, weil sie vollsaftig sind; sie sollten es jedenfalls sein, oben und unten, Kopf und Unterlage. Das heißt, man schneidet beide quer durch, drückt sie schnell aufeinander, schlingt ein paar Paket- gummis herum oder benutzt andere Beschwerungen — manche Liebhaber erdachten sogar kleine Pfropfmaschinen —, und schon hat sich der Kaktus mit dieser ungewohn- ten Behandlung abgefunden. Selbst die winzigsten Sämlinge lassen sich so auf kleine 167
Unterlagen setzen. Das wiederum scheint ihnen gut zu bekommen, denn danach be- ginnen sie noch einmal so schnell zu wachsen wie sonst. Überhaupt ist die Sämlings- anzucht verhältnismäßig einfach, man kann durch sie auf kleinem Raum viel anziehen und vermehrt so am leichtesten den Sammlungsbestand. Die hier vom ersten Tage ab an unsere Verhältnisse gewöhnten kleinen Stachelträger sind meist auch noch gut- williger als die Importen, die früher zu Unrecht verschrieen waren. Man kann nichts gegen sie einwenden, wenn sie beim Züchter gut bewurzelt wurden. In die Hand eines Anfängers gehören sie freilich nicht, wenn dieser sich nicht mit allen Voraus- setzungen einer zweckmäßigen Weiterkultur vertraut gemacht hat. Aber heute, wo selbst die Zeitungen oder Zeitschriften oft Blumenspalten haben und praktische Rat- schläge erteilen, gibt es kaum noch so Ahnungslose, die einen Kaktus einfach in harte, kalte Erde setzen und glauben, nun sei alles getan, weiter brauche er nichts, ein Hun- ger- und Durstkünstler sei er sowieso und Gießen daher überflüssig, oder die es zu gut meinen und ihn vor lauter Fürsorge durch übermäßige Wassergaben morden. Eine nur feuchtkrümelige Erde zur Wachstumszeit wird nie Enttäuschungen bringen. Eine Nase voll saurem Erdgeruch und Wuchsstockungen sind wohl für jeden Alarm- zeichen, den Wurzelballen zu prüfen, etwa faulendes Wurzelwerk zu entfernen, den Stumpf trocknen zu lassen, dann umzutopfen und anfangs mit Gießen vorsichtig zu sein. Durch Umstoßen der Töpfe kann man die neue Bewurzelung leicht überprüfen. Alles andere liest man, wie gesagt, in den Fachbüchern. Die Frage, wie viele verschiedene Kakteen es gibt, können wir erst in unseren Tagen einigermaßen richtig beantworten. Zur Zeit Britton und Roses mag vielleicht man- cher gedacht haben, daß man die Angehörigen der C^r/^r^-Familie nun alle kenne. Aber erst nach den Expeditionen des Carnegie Institutes begann die intensive neuer- Abb. 114 Pfropfmethoden und Kammschnitte (Seite 167, oben Aussaat und Pikierweite, unten Sämlingspfropfung) 168
Abb. 115 Dieses Doppclbild japanischer Etagenpfropfungen zeigt anschaulich das leichte Verwachsen auf Opuntienuntcrlagcn. Bei der normalen Verwendung dienen sic nur als erste Wuchsbcschlcunigung von Einzelpflanzen; die Köpfe müssen später u m gepf ro pft w e rd c n liehe Sammelarbeit in Übersee, von der ich schon weiter vorn berichtete. Und in den letzten Jahren sind noch so viele Arten gefunden worden, vor allem auch durch die in den Fachzeitschriften annoncierenden Samen- und Pflanzenfirmen in den Handel 169
Abb. 116 Sämlingspfropfung auf Peireskiopsis. Die unglaublich rasch Heranwachsenden Köpfe können schon bald umgepfropft werden, und die Stümpfe liefern reichlichen Nachwuchs gelangt, daß ihre Kenntnis für den Liebhaber kein fiktiver Besitz mehr zu sein braucht, das heißt, daß sie die Arten nicht mehr nur in der Literatur finden. Aber die Namen . . .! Sie sind zuweilen der Kummer sowohl der privaten wie der berufsmäßigen Züchter, wenn diese sich nicht mit der gewachsenen Gattungszahl ab- finden können. Dazu kann man nur sagen: Wer sich mit der Kakteenzucht befaßt, muß seine Pflanzen genauso exakt benennen wie etwa die Züchter von Orchideen, Bromelien oder anderen exotischen Gewächsen es müssen. Damit wären auch für den Privatmann alle Schwierigkeiten behoben, soweit es sich um zu kaufende Pflanzen handelt. Die fortgeschrittenen Firmen haben sich übrigens längst auf die vorerwähnten Erfordernisse eingestellt. Hiermit ist aber für den Liebhaber noch nicht das Problem gelöst, wie er sich eingehender über die Namen informieren kann und was er sich darunter vorzustellen hat. Darüber kann ihm nur die einschlägige Literatur Aufschluß geben. Und damit kommen wir zu dem Hauptproblem für den Verfasser eines modernen Artenhandbuches: die Bearbeitung der Bestimmungsgrundlage. Gutgemeinte sub- jektive Zusammenfassungen von Gattungen — um die Übersicht zu vereinfachen — stoßen eines Tages irgendwie auf Schwierigkeiten in der logischen Durchführung. Sie sind auch kein getreues Abbild des bewunderungswürdig reichen Formenspiels in dieser Pflanzenfamilie; und das sind doch andererseits wieder auch Fragen und Dinge, die den Liebhaber besonders interessieren. Am nächsten kommt den natür- lichen Tatsachen jene systematische Gliederung, die unter einer Gattung nur eine Ge- meinschaft von in bestimmten Merkmalen gleich gekennzeichneten Arten versteht. Eine solche Abgrenzung ergibt auch die leichteste Bestimmungsmöglichkeit, und auf
sie trifft am wenigsten der Einwand zu, der Gattungsbegriff sei nur eine mehr oder minder variable Erfindung des Menschen, wenngleich er es in Wirklichkeit auch ist; es kommt aber darauf an, wie er gehandhabt wird. Schärfer umrissene Gattungen entsprechen nun einmal am weitestgehenden auch der natürlichen /Abgrenzung des Verbreitungsgebietes und spiegeln diese am deutlichsten wider, zumal, wenn dabei noch die große Zweiteilung der Entwicklung säuliger und kugeliger Formen zum Ausdruck kommt. Das macht eine solche Übersicht auch interessanter für das Stu- dium der Pflanzen. Nicht weniger anfechtbar als jede Gattungsabgrenzung, die also nur ein zweckmäßiger Befehl ist — weil die Natur weder eine ,,Gattung“ noch Ein- heiten einer Gliederung darüber oder darunter kennt — ist der Artbegriff; es gibt kein Gesetz, keine Regel, die besagt, wo eine Art aufhört und die nächste anfängt, was man als gute ,,Spezies“ und was als ,,Varietät“ ansehen soll, denn es hat sich er- geben, daß deren Bewertung überhaupt nicht nach einem einheitlichen Grundsatz er- folgen kann, sondern der Eigenart der betreffenden Pflanzengruppe angepaßt sein muß und häufig auch Auffassungssache ist. Zudem kommt es darauf an, ob man diese Frage nach entwicklungsgeschichtlichen Gedanken betrachten will oder nach den Erfordernissen allgemeinverständlicher Pflanzenbeschreibung. Nur lange Erfahrung kann hier also das Rechte treffen und auf die Dauer einen der größten Übelstände aller zwangsläufig auch systematisch ausgerichteten Handbücher beseitigen: daß häufig ,,umkombiniert“ wird, daß Pflanzen, die heute diesen oder jenen Namen tragen, nach einiger Zeit wieder einen anderen erhalten. Unter ,,umkombinieren“ versteht man den Wechsel der Gattungs- und Artbezeichnungen oder die der Varietät. Ich habe mich in meiner Arbeit auf diesem Gebiet stets bemüht, das Wirken der Natur so sorgsam und genau wie möglich wiederzugeben — so, wie der verantwortungsbewußte Diri- gent nur mit größter Werktreue dem Schaffen des Komponisten gerecht wird —, das heißt: ich maßte es mir nicht an, das, was ich im Laufe von Jahrzehnten als eine na- türliche Einheit erkannte, in die Zwangsjacke einer rein persönlichen Auffassung zu stecken und den Gattungsbegriff damit künstlich zu erweitern. Morphologische, zyto- logische oder phylogenetische Feststellungen oder Theorien können hier nur zusätz- liche Bedeutung haben; sie sind wohl eine wichtige Parallelforschung, sie folgen aber anderen Gesichtspunkten als die reine Ordnung der Pflanzenerscheinungen; außer- dem werden sie mit einer solchen natürlichen Abgrenzung am wenigsten in Wider- sprüche geraten. Man sollte sich auch vor jeglicher Umkombinierung hüten, die sich nicht zwangsläufig aus der gewählten systematischen Grundlage ergibt, vor allem die /Art- oder Varietätsnamen nicht umstellen, ohne zu überprüfen, ob dies wirklich er- forderlich und somit hinreichend begründet ist. Dies wiederum ist immer schwieriger geworden, da die heute sehr umfangreiche Materie eine auf die Gesamtheit der Arten ausgerichtete Beurteilung solcher Fragen sehr erschwert, wodurch zum Beispiel ein weiter gefaßter Gattungsbegriff leicht in Gefahr gerät, in Widerspruch zu der bei anderen maßgeblich gewesenen Auffassung zu stehen. Umstellung bedeutet jedenfalls umlernen, und angesichts der rein subjektiven Anschauung über den Art- und Varie- tätsbegriff, wie auch den der Gattung, sollte man sich nur nach umfassend und logisch 171
bis ins einzelne begründeten Gliederungen richten, beziehungsweise nach solchen, die dabei auch noch allgemeinverständlich sind, denn das systematische Verfahren ist nicht nur Selbstzweck. Erkennt man eine Grundlage wie die oben dargelegte als richtig an, so sind be- kannt: 233 Gattungen, ungefähr 2800 Arten und annähernd 660 Varietäten. Wir ha- ben diesen Überblick erst in allerjüngster Zeit gewonnen, da die vielen Neufunde vordem noch nicht für eine solche Statistik erfaßt werden konnten. Geringe Abwei- chungen von” diesen knapp abgerundeten Zahlen sind unbedeutend, da im Laufe der Zeit auch eine Anzahl Arten aufgetaucht sind, über die man sich nicht völlig einig ist. Die Familie der Cactaceae^ wie man sie in der Wissenschaft nennt, gliedert sich in drei Unterfamilien: I. Unterfamilie: Peireskioideae. Sträucher und Bäume oder niedrige Gewächse mit ab- fallenden normalen oder reduzierten sukkulenten Blättern und meist größeren, wcichschaligen Samen. Sic sind überwiegend in trockenen Buschlandschaftcn zu Hause, ein Genus auch in südamerikanischen Bcrglagcn. II. Unterfamilie: Opuntioideae. Eine sehr viclförmigc, starksamige Unterfamilie, die man neuerdings wegen der großen Artcnzahl der flachrundcn, zylindrischen und kuge- ligen Formen in entsprechende Gattungen trennte, die zylindrischen und kugeligen außerdem noch in sich, weil hier eine ähnliche Entwicklungstrennung zu einer nördlichen und südlichen Gruppe - außerdem mit bezeichnenden Unterschieden - zu erkennen ist wie bei der dritten Unterfamilie. Nur so gelang cs, die große For- mcnzahl übersichtlich und auch geographisch zu ordnen. Die Unterfamilie ist fast über den ganzen Kontinent verbreitet, im Norden mit Ausnahme der kältesten Gebiete; sic dringt jedoch noch bis Kanada vor, im Süden bis zur Magalhäcs-Straßc. III. Unterfamilie: Cereoideae. Diese Unterfamilie spiegelt am deutlichsten die große Zwei- teilung der Kaktccncntwicklung wider, mit der sic um die Wendekreise die dich- testen Gattungs- und Artbcstände bildete, von denen aus aber die nördliche und südliche Gruppe noch weithin in Richtung der Pole ausstrahlt, während zum Äquator hin eine gegenseitige Annäherung und geringe Überschneidung erfolgte. Die Unterfamilie hat nicht so harte Samen wie die vorige; sic sind meist kleiner. Die Verbreitung reicht ebenso weit wie die der Opuntioideae. Systematisch gesehen aber ganz natürlich steht zwischen den nördlichen und südlichen Hauptvertretern die Gruppe der überwiegend tropischen Pflanzen, die zum Teil mehr oder weniger cpiphytisch wachsen und gern Luftwurzeln bilden. Während sic im mittleren Kontinent vorwiegen, vermischen sic sich nord- und südwärts mit dem Vorkommen der beiden Hauptzentren. Man kann also die ganze Unterfamilie noch grob wcitcrglicdcrn in : a) die Epiphyten, die mehr tropisch-subtropischen Luftwurzlcr, b) die Bodenbewohnenden, ohne Luftwurzeln : 1. nördliche säulige Gattungen, deren Zentrum Mexiko ist, 2. nördliche kugelige Gattungen, die den gleichen Mittelpunkt haben, 3. südliche säulige Gattungen, deren Zentrum ungefähr in Nordargentinien liegt, wie auch das der nächsten Gruppe, der 4. südlichen kugeligen Gattungen.
Nachstehend führe ich die wichtigsten und interessantesten Gattungen alphabetisch auf, so daß die im Text vorkommenden Namen hier leicht nachgclesen werden kön- nen. Ferner werden kurze /Angaben über ihre Eigenart gemacht, damit der Leser ein anschauliches Bild gewinnt. In Klammern ist hinzugefügt, welcher der vorerwähnten Gruppen sie angehören und wie viele Arten heute ungefähr von ihnen bekannt sind. Die Angabe zum Beispiel bei Haageocereus ,,(IIIb: 3:50)“ bedeutet also: die Gattung gehört zu den südlichen säuligen Vertretern der dritten Unterfamilie Cereoideae und weist bisher 50 Spezies auf. Die Zahl der Varietäten wird, weil weniger wichtig, nicht angegeben. Unter den einzelnen Gattungen werden dann noch einige der eigenartig- sten oder schönsten Arten genannt, die sich besonders für europäische Sammlungs- verhältnisse eignen. Acantbocalyciiim (IIIb:4:10): Nord westargen tinischc kugelige Pflanzen mit weißen, rosa oder gelben Blüten, deren Röhren- und Fruchtknotenschuppen oben zu Stacheln um- gcwandelt sind; im Innern tragen sic am Röhrengrund einen Wollring. Recht gutwillige Tagblüher. A. spinifloriim, A. violaceum, A. kdimpelianumA. griseiim, Acantbocerens (III b: 1:12): Meist sperrig verzweigte, drei- bis vier-, seltener mehrkantige Triebe bildende Sträucher aus vorwiegend wärmeren Gebieten des mittleren Fest- landes; von den Antillen sind sic nicht mit Sicherheit berichtet. Die nächtlichen Blüten sind ziemlich groß, die Früchte ebenfalls, außerdem sind sic meist bcstachclt. A. tetragonus, A. albicaulis (eine der beiden selteneren brasilianischen Arten) Acantbolobivia (IIIb:4:2): Hochpcruanischc kugelige Pflanzen, zum Teil variabel in der Blütenfarbe, den Lobivicn verwandt, mit stachligen Früchten und lebhaft gefärbten 7 7 o o Nachtblüten und damit von allen anderen südamerikanischen Kugclformcn abweichend, soweit sie nicht als Reduktionsstufen der nachtblütigen Tricbocereiis-N mwandten anzu- sehen sind. A. tegeleriana, A. incuiensis Ancistrocactas (IIIb:2:4): Hakcnstachligc Pflanzen mit verhältnismäßig kleinen Blüten; die Rippen sind mehr oder weniger stark gchöckcrt. Die Arten wachsen am besten ge- pfropft. Heimat: Texas bis Nordmexiko. A. sebeeri, A. megarbHjis Aporocactiis (Illa:5): Überwiegend kriechende oder hängende, dünntriebige Epiphyten mit stärkerer Luftwurzclbildung und schönen, mittelgroßen, + schrägsaumigcn Blüten. Mit diesen Pflanzen als einem Eltcrteil wurden schon seit 1830 die Heliapo/wj-Bastardc gezogen, örippige Korbpflanzen mit roten Blüten. Die Gattung ist in Mexiko behei- matet. A. flagelliformis, A. flagriformis. Ferner mehrere Bastarde mit obigen Kennzeichen. Arequipa (III b: 3:8): Anfangs + kugelige, später längliche bis halbsäulige und dann meist liegende Pflanzen, zum Teil mit starker Bcstachclung und roten, + langröhrigen, schrägsaumigcn und behaarten Blüten. Besonders schön sind Sämlingspflanzcn. Die Verbreitung reicht von Südperu (um die gleichnamige Stadt Arequipa) bis zum höheren Nordchile, auf rund 2000 m. A. rettigii, A. rreingartiana, A. erectocylindrica T73
Ariocarpus (Illb : 2:4): Meist breitrunde, graugrüne Pflanzen mit starken Rüben und längeren, langspitzen oder deltoiden Warzen und zarten, mittelgroßen Blüten. Die Pflanzen lassen sich als Importen gut pfropfen und halten so besser in der Kultur. Am Standort sitzen sic tief im Boden und sind schwer zu finden. Verbreitung: Nord- und Mittclmcxiko. A.fiirfiiraceus, A. trigomis, A. retusus, A. scapbarostnis Arniatocereus (IIIb:3:11): Größere Säulenkakteen Südekuadors und Nord- bis Mittclpcrus, mit jährlich eingeengten Trieben, oft graugrün und stärker bcstachclt. Die meist weiß- lichen Nachtblüten sind ziemlich langröhrig und ebenfalls + bcstachclt, die Früchte groß und stachlig, die schwarzen Samen gleichfalls ziemlich groß. A. cartwrigbtianus, A. raubii, A. procerus, A. laetus, A. matucanensis Arrojadoa (IIIb: 1:2): Sehr schlanktricbigc, niedrige und strauchig verzweigte Ccrecn Bra- siliens mit borstigem Schcitclschopf, in dem die roten Knospen und dann nachts ge- öffneten Blüten erscheinen. A. pe ui eiIIata, A. rbodaufba Ahh. 117 Artbrocereusroiidonianns Artbrocereus (Illb: 1:4): Eine mittelbrasilianischc Gattung aus dem trockenen Innern, zum Teil mit holzigen Rüben, die Triebe kugelig oder ccrcoid, schlank, gelb- oder braun- und sehr fcinstachlig. Die + behaarten weißen oder rosa, schlankeren oder derberen Blüten erscheinen bei gepfropften Stücken eher und dann oft reichlich. A. microspbaericus, A. campos-portoi Astrophytum (Illb:2:6) Sehr verschieden gestaltete Pflanzen: entweder stachcllos und + scharf- und wenigkantig (die sogenannte „Bischofsmütze“) oder sccigclartigc Körper, *74
andere mit eigenartig weichen Stacheln und eine Art später fast säulig werdend und steifstachlig. Alle Arten bilden zahllose winzige Flöckchen auf der Epidermis (daher der Name „myriostigma eine Anlage, die nur einigen wenigen Varietäten verlorcngc- gangen ist. Die Gattung ist in Mexiko von S. Luis Potosi bis zur Nordgrenze beheimatet. Unter den nachfolgenden Arten sind die empfindlicheren bzw. wcichstachligcn mit gekennzeichnet; sie wachsen besser gepfropft. y4. myriostigma (und Varietät v. columnare), A. ornatum, -p ^4. asterias, y4. coa- huilense, -|- ^4. capricorne, -(- Al. senile Austrocactus (IIIb:4:5): Wcichflcischigc, später schlanksäuligc Arten mit Hakcnstacheln und kleineren, borstigen Trichterblüten. Ihre Heimat ist der Süden Argentiniens, von der Küste bis zu den Kordilleren hinüber. Die Arten lassen sich zwar leicht pfropfen und Abb. 118 Astropbytum myriostigma var. strongylogonum T75
Abb. 119 Aust rocylindr opuntia verschaffe!tii Abb. 120 Ayloslera spinosissima vermehren, sind aber gegenwärtig nirgends in Kultur. Sie sollten wicdcrgcsammclt werden, zumal sic in Patagonien verhältnismäßig leicht zu beschaffen sind: A. bertinii, A. patayoniciis, A. hibernus Aiistrocephalocereus (IIIb: 1:3): Nordost-brasilianische Cereen, eine Art mit braunen, zwei mit weißen Stacheln, die unten angeführte auch mit weißen Haaren. Es werden dicke Blü- tcnschöpfe (Ccphalicn) gebildet. Nachtblühcr. Nur eine Art häufiger in Kultur: A. dybowskii Austrocylindropuntia (11:20): Während die nördlichen zylindrischen Opuntien + mit Scheiden über den Stacheln versehen sind oder wenigstens mit Rudimenten derselben, haben die südamerikanischen Arten keine Scheiden und bilden auch den übrigen Formmerkmalcn o nach eine eigene Gruppe und damit Gattung. Die Verbreitung reicht von Südekuador bis Chile und über Bolivien bis Nordargentinicn. Es gibt fast baumartige Vertreter der Gattung, aber auch sehr kleine, niedrige und in südlichen sonnigeren Frcilandsamm- lungcn sehr reichblühende Arten. Die letztgenannte hat überwiegend seltsam kamm- förmig wuchernde Pilzgcstalt und ist häufig in den Sammlungen. A. subulata, A. exalt ata, A. cylindrica, A. pachypiis, A. miquelii, A. verschaffe!tii, A. teres, A. vestita (mehrere Formen), A. salmiana (zwei Varietäten) und A. cla- varioides Aylostera (IIIb:4:14): Klcinkugeligc bis etwas verlängerte, reicher sprossende Arten mit zierlichen roten, zum Teil golden schimmernden und auch weißen Blüten, deren Röhre durch völlige Verwachsung mit dem Griffel stielig und behaart sowie beborstet ist. Die Früchte sind klein und rund. Verbreitung: von Südbolivien bis Nordargentinien. 176
Abb. 121 Bor^icactus ventimigliae Abb. 122 Brasilicactus baselbergii A.fiebrigii, A. pseudodeminuta, A. kupperiana, A. pseudominuscula, A. deminuta, A. spega^lniana, A. albiflora, A. spinosissima (die meisten in Kultur). A^tekium (III b: 2:1): Eine monotypische Gattung Mexikos mit kleinen, flachen, sprossenden Körpern und ebenfalls kleinen, sticligcn Blüten. Die Gestalt wirkt durch die runzel- ähnliche Ncbcnrippcnbildung seltsam altertümlich; daher der Name. A. ritte ri A^iireocereus (III b: 3:2—3): Zum Teil riesige, baumförmige Ccrccn des hohen Mittclpcru, mit nächtlichen zylindrischen und wenig breiten, stärker beschuppten Blüten. Eine Art leuchtend blau bereift. Die Bcstachclung ist wild. A. hertlingianus Backebergia (Illb: 1:1): Eine schon seit langem bekannte, aber bald wieder verschollen ge- wesene Art aus West-Mittclmcxiko, die vor kurzem wiederentdeckt wurde. Die Pflan- zen bilden hclmraupenartigc Schöpfe und bcborstctc Blüten und Früchte. B. militaris Bartscbella (III b: 2 :1): Eine im Kapdistrikt der Halbinsel Niederkalifornien beheimatete Gat- tung nur einer Art, die zwar den Mamillaricn nahcstcht, deren Warzen aber unten Zu- sammenhängen und deren Frucht umschnitten öffnet, wie dies bei keiner Mamillaria gefunden wird. Die Blüten sind relativ groß. Die Pflanzen wachsen nur gepfropft be- friedigend. B. sebumannii BergerocactHs (Illb: 1:1): Schlanke, viclvcrzweigte und nur halbhohe Säulenkakteen, gestrüpp- bildend, aus Südwestkalifornicn und Niederkalifornien, mit kleineren gelben Tagblüten. Die Art wächst wurzelecht gut. B. emoryi 12 B.ickcbcrg. Wunder weit. 4. A. 177
Blossfeldla (IIIb:4:3): Die kleinsten Kakteen, meist kaum 2 cm Durchmesser erreichend, ohne Rippen und Stacheln, aber mit Arcolcnpolstcrn, deren spiralige Anordnung den Rippen entspricht. Die Blüten sind klein und befruchten sich selbst. Die Gattung ist in Fels- spalten Nordargentiniens und bis Ostbolivicn beheimatet; eine Art hat kurz gestielte, die anderen haben aufsitzende Blüten. B. liliputana, B. campaniflora, B.fechseri Bolivicereus (III b : 3:3): Schlanke, prächtig blühende Ccrccn, ziemlich niedrig, mit stark schicf- saumigen Blüten. Heimat: Bolivien, Nordperu. B. samaipatanus, B. serpens Bor^icactus (IIIb:3:6): Schlanke, zum Teil liegende, mittclhohc Cereen mit roten, engen und + schrägsaumigcn Blüten. Bestachelung dünnadclig. Heimat: Mittel- bis Südekuador. B. sepium, B. morleyanus Braebyeereus (III b: 3:1): Die einzige Art dieser Gattung wächst auf den Galapagos-Inseln und ist nicht in Kultur, aber interessant, weil die großen, niedrigen und schlanksäuligcn 7 7 o 7 o o Gruppen Blüten entwickeln, die bestachelt und nächtlich sind und damit eine nahe Ver- wandtschaft mit den Festlandsarten des Genus Armatocereus aufweisen. B. nesioticus Brasilicactus (IIIb:4:3): Eine altbekannte Gattung kugeliger Arten mit kurzen und feinen, gelben oder weißen Stacheln und grünlichen oder rötlichen Blüten. Die Früchte sind nur klein und — wie die kurzen und kleinen Blüten — bestachelt. Heimat: Südbrasilien. B. graessneri, B. baselbergii Brasilicereus (III b: 1:2): Schlanke, bis mannshoch werdende Ccrccn aus dem mittclbrasiliani- schcn, trockenen Innern, mit gekrümmten, fast glockigen Blüten. B. pbaeacantbus Brasiliopuntia (11:4): Als Schumann die damalige gleichnamige Untergattung von Opuntia aufstclltc, war nur eine brasilianische Art bekannt. Heute gibt es vier, die in Brasilien, Paraguay, Ostbolivicn, Peru und Argentinien in trockenen Savannen- oder Bergwäldern wachsen; sic bilden einen stammartigen Haupttricb mit Nebenzweigen und blattdünncn Endtricbcn. In den Blüten finden sich Staminodien (Haarbildungen); die Früchte haben nur sehr wenige Samen. B. brasiliensis, B. bahiensis Broivningia (IIIb: 3:1): Seltsame Kakteenbäume aus Südwestperu und Nordchilc. Sic bilden einen stark bcstachelten Ersttrieb, die Verzweigung ist stachcllos und verbogen. Die großen, weißen Nachtblüten sind auffällig beschuppt, wie auch die gänsccigroßcn Früchte mit ansehnlichen schwarzen Samen. Merkwürdig ist, daß die Triebe vielfältige Formen aufweisen, zum Teil stark abwärts gekrümmt und wieder aufgebogen. Die Gattung besiedelt sehr trockene Gebiete auf ca. 2000 m ü. M. o B. candelaris Carnegiea (Illb: 1:1): Riesige Kandelaberkaktcen aus dem Grenzgebiet der südlichen USA und Nordmexikos, die „Staatcnblumc“ Arizonas, lange für die größten Säulenkakteen angesehen, aber in Mexiko gibt cs noch höher werdende Arten (bis 20 m). Die Carnegiea dürfte kaum über 16 m Länge erreichen. Die Blüten erscheinen reich am Tricbcndc, öffnen sich langsam des Nachts, sind jedoch bei Tage voll geöffnet. C. gigantea Castellanosia (IIIb: 1:1): Große Sträucher im bolivianischen Departement Cochabamba, mit noch am Tage offenen, + glockigen Blüten und zu Borstenbüschcln umgewandelten 178
Stacheln der Blütenregion. Die Frucht soll giftig sein, ein ganz ungewöhnlicher Fall. Nur gelegentlich in Kultur. C. caineana Cepbalocereus (IIIb: 1:1): Bei genauer Unterscheidung verschiedenartiger Schopfbildungen nur aus einer Art bestehende mexikanische Gattung großer Ccrccn, weiß behaart und mit zuletzt fcllartig um das Triebende greifenden Cephalien. Die Blüten sind nächtlich und behaart, die Frucht zuletzt kahl und hat einen Deckel. Lange Zeit war „Cepbalo- cereus“ eine Sammelgattung, in der sämtliche cephaliumtragcnde Gattungen wie auch solche mit stärkerer Areolenwollc in der Blütenzone (Pilosocereus) zusammengefaßt waren. Das hat auch lange die Klärung der Ccphaliumunterschicdc verhindert. C. senilis (,,Greisenhaupt“ oder „Old man“) Cepbalocleistocactus (IIIb: 3:4): Schlanke Säulenkakteen von der Gestalt eines Clcistocactus, in der Blütenzone mit auffälligen Borstenschöpfen, wie sic auch bei Seticereus gebildet werden. Die Blüten ähneln denen von Clcistocactus. Die Heimat der Pflanzen ist das südöstliche Bolivien. C. ritteri (die schönste Art: weißborstig und mit zitronengelben Blüten), C. sebattatianus Cereus (IIIb: 1:43): Anfangs Sammclgattungsbczcichnung aller säuligen Kakteen, mit fort- schreitender Erkenntnis wesentlicher Unterschiede in Einzelgattungen aufgctcilt; ohne- dies wäre auch eine entsprechende systematische Gliederung und Aufschlüsselung un- möglich gewesen. Heute umfaßt das Genus nur jene Arten, zu denen die erste von Miller genannte gehörte. Niedrige bis sehr hohe baumförmige Pflanzen Brasiliens Abb. 123 Clcistocactus wendlandiorum Abb. 124 Copiapoa cinerea 12' *79
(zwei Arten auf Fernando Noronha), nordwärts bis zum südlichen Westindien, und westwärts bis Kolumbien, Ostperu, Ostbolivien, Paraguay, Uruguay und im argentini- schen Chacogcbict verbreitet. Die langtrichtcrigcn großen Blüten sind kahl, ebenso die großen runden bis länglichen, zum Teil eßbaren Früchte. Die Jungtriebe sind oft schön blau bereift. C. variabilis, C. a^ureus, C. aetbiops, C. ebalybaeus, C. hildmannianus, C. argentiniensis, C. forbesii, C. bexagonus, C. validus, C. caesius, C. alacriportanus, C. bank.eanus, C. jamacaru, C. pseudocaesius, C. peruvianus (mit auffälligen monströsen Formen, wie auch bei C. jamacaru), C. neotetragonus, C. buntingtonianus Cbamaecereus (IIIb: 3:1): Zwcrgccrcoidc, stark sprossende Pflanzen, reich rot blühend, ziem- lich winterhart. Heimat: Nordargcntinicn. Cbileorebuticr. Siehe unter Neocbilenia. Cleistocactus (IIIb: 3:51): Schlanke aufrechte bis nicdcrlicgcnde Säulenkakteen mit zylin- drischen, nur sehr wenig öffnenden weißen bis buntfarbenen Blüten und kugeligen Früchten. Die Verbreitung reicht von dem nördlichen Argentinien über Uruguay und Paraguay bis Bolivien und Peru. Manche Arten sind ganz weiß, andere leuchtend braun oder gelb bestachelt. C. anguinus (die dünnste Art), C. baumannii, C. smaragdiflorus, C. flavispinus, C. tomi- nensis, C. buebtienii, C. areolatus, C. morawet'^ianus, C. jujuyensis, C. tupi^ensis (dicht lang- und buntfarben bestachelt), C. strausii, C. wendlandiorum (schon als kleinere Pflanze orangerot blühend), C. reae u. v. a. m. Clistantbocereus (IIIb: 3:4): Halbbaumförmigc bis großstrauchige Pflanzen mit stark höckrig gefelderten Rippen und grobzylindrischen, geradsaumigen, ziemlich cngschlundigcn Blüten. Heimat: nördliches Mittclperu, in größerer Höhe. C. fieldianus, C. tessellatus, C. calviflorus, C. samnensis Coebemiea (Illb: 2:5): In Niederkalifornien und auf einigen benachbarten Inseln beheimatete schlanksäuligc Verwandte der Mamillarien, aber mit schicfsaumigcn längeren und grö- ßeren Blüten, zum. Teil mit Hakcnstachcln bzw. mit weißen, gelben bis schwarzen Stacheln. C. balei (einzige Art mit geraden Stacheln), C. poselgeriana, C. setispina Coleocepbalocerens (III b: 1:1): Merkwürdige, schlangcnartig aufgekrümmtc Ccrccn aus der Umgebung Rio de Janeiros, mit stark borstcndurchsctztcn Cephalium und zarten, weißen Blüten; die nur mittelgroßen Früchte sind konisch, glatt und mit einem Deckel versehen. Das Cephalium entsteht in einem tiefen Einschnitt. C. fluminensis Coloradoa (IIIb: 2:1): Eine sehr seltene Art aus dem nordamerikanischen Staate Colorado, wo sic nur auf einer Meseta (Plateau) wächst, mit gchöckcrtcn Rippen und mäßiggroßen Blüten. Kaum in Kultur. C. mesae-verdae Consolea (II: 8): Nur auf den westindischen Antillen und den floridanischen Keys wachsende opuntienähnliche Bäume. Sic bilden einen Hauptstamm, wie Brasiliopuntia, glatt durch- laufend, aber derbe und ziemlich große Endtriebc. Die Blüten bestehen aus einem trieb- ähnlichen größeren Fruchtknoten mit einem schmalen Saum. Sterile Knospen dienen zur Vermehrung. Die Blüten weisen keine Haarbildung auf. Über die Früchte ist wenig bekannt; sie enthalten wohl meist nur wenige Samen. C. spinosissima, C. moniliformis, C. rubescens 18o
Copiapoa (Illb: 4:45): Meist stärker sprossende, kugelige bis säulige Pflanzen Chiles, mit mehr oder weniger großem Filzschopf im Scheitel und kleinen, kahlen, gelblichen (bis roten?) Blüten; die Früchte sind becherförmig, oben aufreißend. Sehr schöne, zum Teil kreidig-weiße oder bunt bestachcltc, gutwüchsige Arten; Sämlingsanzucht leicht. Außer den beschriebenen Arten sind neuerdings noch weitere unbeschriebene, aber benannte bekannt geworden. C. cinerea (ganz weiß), C. baseltoniana, C. malletiana, C. marginata, C. coquimbana, C. cinerascens, C. eebinata, C. echinoides, C. kraingiana (mit weißen Borsten statt Stacheln), C. humilis (zwergige Art mit Rüben wurzeln), C. pepiniana, C. cupreata, C. ferox, C. lembck.ei, C. serpentisulcata, C. carri^alensis, C. pendulina, C. montana, C. nibriflora, C. rirpestris, C. tenuissima, C. longistaminea und andere Corryocactus (Illb: 3:16): Derbe mittelgroße Sträucher oder schlanktriebigcrc niedrige bis etwas höhere Pflanzen, die von Mittelperu bis Nordchile sowie in Bolivien verbreitet sind. Die Blüten sind + bechcrförmig-trichterig, breitsaumig und am unteren Teil dicht mit kurzstachligcn Filzarcolen bedeckt. Die Früchte sind verschieden groß, zum Teil ziemlich groß und dann länger und dichter bcstachclt, zum Teil nur wenig- und kurz- stachlig. Die Blüten sind leuchtend gefärbt, von gelb über orangcrot bis purpur- oder lachsrot, werden aber in der Kultur nur selten gesehen. C. brevistylus, C. bracbypetalus, C. krausei, C. melanotrichus Corynopuntia (II: 13): Die in den südlichen USA und bis Nord- bzw. Mittclmcxiko behei- matete Gattung ist das Gegenstück zum südamerikanischen Genus Tepbrocactusz die Triebe sind ebenfalls mehr oder weniger kugelig, gewöhnlich aber nach unten etwas verjüngt, d. h. kculig, aber auch kurzzylindrisch aufeinandersitzend und damit in der Form wesentlich von den rein zylindrischen Cylindropuntia-Kit&x unterschieden. Die Blüten sind nicht sehr ansehnlich, die Früchte werden wohl stets trocken. C. invicta, C. sebottii, C. clavata, C. stanlyi, C. grabamii, C. vilis, C. moelleri, C. bulbi- spina, C. agglomerata Corypbantba (Illb: 2:66): Eine leider in den Sammlungen viel zu sehr vernachlässigte Gat- tung, wohl, weil die Körper oft zu ,,wüstenartig monoton“ bcstachclt sind oder bei manchen Arten leicht von Rostflecken befallen werden; einige sind zudem wurzclccht nicht sehr gutwüchsig. Durch Pfropfung werden diese Nachteile weitgehend ausge- glichen; die Pflanzen wachsen dann sehr gut und haben meist ziemlich große, schöne, im Scheitel entstehende gelbe bis rötliche Blüten. Einige sind interessant bcstachclt, andere bilden große Gruppen. Man unterscheidet sic nach Arten mit oder ohne Drüsen an den Warzen. Die Früchte sind wäßrig-weich, die Samen braun und nicht hartschalig. Die Verbreitung reicht von Britisch-Kolumbien und Kanada bis zum südlicheren Mexiko. C. clavata, C. vivipara, C. afoersonii, C. maig-tablasensis, C. elephantidens, C. bumamma, C. sulcolanata, C. pectinata, C. radians, C. compacta, C. cornifera, C. palmeri, C. roe- deriana, C. iverdermannii, C. eebinus, C. gladiispina, C. bonvigii, C. sulcata, C. andreae, C. salm-dyckiana, C. diffici/is, C. scolymoides, C. daemonoceras, C. erecta C. clava, C. octacantba, C. villarensis, C. bergeriana, C. ottonis, C. asterias, C. vogbtberriana, C. nickelsae, C. pseudonicke/sae, C. exsudans (fast alle diese sind als Pflanzen oder Samen im Handel) 181
Abb. 125 Coryphantba werdermannii Die Art wurde nach dem Berliner Prof. Dr. E. Werdermann benannt, der sich lange Jahre auch als Kaktccnbotaniker betätigte, die erste große Farbbildausgabc „Blühende Kakteen und andere sukkulente Pflanzen“ (1930—1939) hcrausbrachtc, in Nordostbrasilicn zehn der schönsten Cerccn des Landes entdeckte und mit seinem Buch „Brasilien und seine Säulenkakteen“ eine Sammclreisc in jenes vordem wenig erschlossene Gebiet beschrieb 182
Cylindropuntia (II: 42): Von den südlicheren Staaten der USA bis Mittclmcxiko und Nieder- kalifornien verbreitete Arten mit zylindrischen Körpern, die Stacheln im allgemeinen mit pergamentartigen dünnen Scheiden darüber. Die Blüten sind ansehnlich, von gelb bis rot gefärbt, zum Teil bei ein und derselben Art ziemlich variabel in der Farbe. Bei einigen sprossen die Früchte bzw. sic bilden neue Blüten, so daß cs zu kettenförmiger Fruchtbildung kommt. Die dünngliedrigen, stark stechenden Pflanzen sind in der Wildnis besonders lästig. Dünntriebig, dichtstrauchig: o ’ o C. ramosissima, C. leptocaulis (und Varietäten), C. arbuscula, C. kleiniae Mittclstark-glicdrigc (Endtricbe bis 2 cm 0): C. vivipara, C. tburberi, C. recondita, C. davisii, C. wbipplei Etwas kräftiger-gliedrigc (Endtriebc 2 cm und mehr 0): Früchte trocken: C. acantbocarpa, C. abyssi, C. parryi, C. rosarica, C. ecbinocarpa, C. californica Früchte fleischig: Höcker kaum länger als breit (dicht hcllbcstachclt): C. bigeloivii, C. ciribe Höcker deutlich länger als breit: C. cholla, C. versicolor, C. imbricata, C. tunicata (silbrigweiße Stachclschcidcn, ebenso): C. rosea, C. molesta, C. fulgida, C. spinosior, C. prolifera, C. alcabes, C. burra- geana Deamia (Illa: 2): Eigentümliche, + windend-klettcrndc, meist dünnflügclig-rippige und den Stämmen sich anlcgcndc Pflanzen mit größeren, weißen Nachtblüten. Von Südmexiko und Honduras bis Kolumbien verbreitete Urwaldcereen. D. testudo Dendrocereus (IIIb: 1:1): Große Kakteenbäume Kubas, bis 10 m hoch, mit plumpen, 3—5 Hügeligen Endtricbcn. Der Stamm ist holzig, die Krone zuletzt breit. Die ziemlich langen und großen, weißen Nachtblüten sind nur schwach beschuppt und zum Teil gering befilzt. Die dickwandigen Früchte werden bis 12 cm lang, die Samen bis 3 mm groß. D. midiflorus Denmoga (IIIb: 3:2 [3?]): Kugelige bis säulige, stärkere Pflanzen des nordwestlichen Argen- tiniens, mit zylindrischen, wenig geöffneten roten Blüten, eine Art später um den Schei- tel längere Borstenhaare bildend. D. rbodacantba, D. erytbrocepbala (Borstenscheitel) Discocactus (IIIb 2:10): Den Melocactus-Arten im Körper entfernt ähnelnde, meist brasilianische Kugclkaktecn, mit kleineren, borstcndurchsctztcn Schcitclccphalicn, diese aber stets niedrig bleibend. Die Blüten sind weiß, zierlich-trichterig, duftend und schlankröhrig (bis ca. 7 cm lang). Die Früchte sind becrenartig. Die Arten wachsen in der Kultur besser als Sämlingspfropfungen, doch sind Samen oder Jungpflanzen schwer zu be- schaffen. Neuerdings wurde eine Art auch in Bolivien gefunden. D. bartmannii, D. alteolens, D. tricornis, D. boliviensis Disocactus (Illa: 3): Epiphyten, Haupttriebe rundlich, Endtriebc blattartig. Die Blüten sind nicht groß, rot, + schlanktrichtcrig, mit schmalen Blütcnblättern. Heimat: Guatemala, Honduras. D. biformis, D. eicblamii 183
Dohcbotbele (Illb: 2:13): Den Mamillaricn verwandte, über fast ganz Mexiko verbreitete Gattung, mit ziemlich wcichflcischigcn, derberen und schlanken Warzen und meist + elastischen Stacheln. Es gibt eine größer- und eine klcincrblütige Gruppe. Die Samen sind dementsprechend größer und schwarz oder kleiner und braun. Einzelne Arten haben (wie auch bei den Mamillaricn) Hakenstachcln. Arten mit größeren Blüten: Blüten gelb: Mit geraden Stacheln: D .longimamma, D. uberiformis, D. melaleiica, E .spbaerica, D. baiimii (weißborstig) Mit Hakenstachcln (mittlere): D. surculosa (kleinere Körper, dichte Polster), D. beneckei, D. nelsonii, D. bal- sasoides Blüten + weiß: D. ^epbyrantboides (mit mittleren Hakenstachcln) Arten mit kleineren weißen Blüten (Stacheln gerade, elastisch): D. decipiens, D. camptot rieba, D. albescens Ecbinocactus (Illb: 2:10): Eine Gattung in der Größe sehr unterschiedlicher Pflanzen, die von den südlicheren Staaten der USA bis zum südlicheren Mittclmcxiko und in Nieder- kalifornien beheimatet sind. Einige gehören zu den größten Kugclkaktccn Amerikas. Hakenstachcln werden nie gebildet. Der Scheitel ist oft so wollig wie die Blüten, aber in der Größe unterschiedlich. Einige Arten sprossen. Die Blüten sind, bis auf eine rosenrot blühende Art, gelb. Große, breitrunde Pflanzen : E. grusonii (gclbstachlig). Sehr große, zum Teil hoch werdende Pflanzen: E. ingens, E. grandis, E. tägnaga, E. palmeri Kleinere Arten: E. polycepbalus, E. bori^pntbalonius (sehr variabel) Ecbinocereus (Illb: 1—2:86): Verschicdcngcstaltigc Pflanzen, meist gruppenbildend und oft mit bunten Stacheln, die Körper stets wcichflcischig, die Blüten gewöhnlich groß und länger andauernd (bis 1 Woche), meist am Tage geöffnet (eine Art nachts, bei zwei an- deren um Mittag schließend), selten ziemlich klein, dann bräunlichgelb oder rein grün. Manche Arten sind sehr variabel und daher in der Gliederung umstritten. Früher wurde die Gattung als kleiner Vertreter der Sammelgattung Cereus angesehen, mit denen (d. h. Cereus Mill.) die Pflanzen jedoch nicht näher verwandt sind, zumal die Trichterblüten fein bcstachclt oder beborstet sind, die Griffelnarben wohl stets grün. Die Früchte sind ziem- lich wäßrig-fleischig und werden zum Teil gegessen bzw. zur Marmeladehcrstcllung verwandt. Die Gattung ist von den nördlicheren USA bis weit nach Mexiko hinunter sowie in Niederkalifornien verbreitet. Gering oder kurz bestachcltc Arten: E. subinermis, E. knippelianus, E. pulcbellus, E. amoenus Schlanktricbigcrc Arten, oft liegend: E. sebeeri, E. salm-dyckdamis, E. blanckii, E. papillosus (gclbblühcnd), E. pensilis, E. pentalopbus Etwas kräftigere, später mehr liegende Arten: E. eine ras eens, E. enneacantbus 184
Abb. 126 'Ecbinocereus subinernris Lang behaarte Arten: B. delaetii, E. longisetiis Borstcnstachlige, + bunte Arten: B. baileyi (und Varietäten) Kammförmig, bunt und + anliegend bestachelte Arten: Mit kleineren Blüten, grün oder bräunlichgelb: B. viridiflorus (und die Varietät B. viridiflorus var. cblorantbus) Mit größeren roten, selten gelben Blüten: B. dasyacantbus (Blüten gelb), B. floresii, E. sciurus, E. fitebii, E. scopulorum, E. cae- spitosus, E. melanocentrus, E. radians, E. adustus, E. grandis, E. ivebsterianus, E. pur- pureus, E. perbellus, E. reicbenbacbii, E. pectinatus (und B. pectinatus var. rigidissimus} Mit längeren lockeren, verflochtenen Stacheln und gelben Blüten: B. stolonijeriis Aufgcrichtctc Pflanzen ohne bunte Stacheln, aber mit schönen Blüten: Mit + purpurnen Blüten: E. fendleri (und Varietäten), B. engebnannii, E. merken, E. mamillatus, E. stramineus Mit gelben Blüten: B. maritimus Mit Scharlach- oder ziegelroten Blüten: B. mojavensis, E. triglochidiatus, E. roemeri, E. leeanus, E. polyacantbus, E. acifer, E. octacantbus, E. coccineus 185
Ecbinofossulocactus (IIIb: 2:32): Mit einer Ausnahme sehr schmal- und oft gewellt-rippige Pflanzen Nord- bis Mittclmexikos. Die Blüten sind bis auf wenige Ausnahmen klein, erscheinen aber oft reich und sind häufig violett getönt oder gestreift, wodurch mei- stens ein schöner Kontrast zu den + dunklen und teilweise hell und dicht bestachcltcn Körpern entsteht. Im Sommer brauchen die Pflanzen reichliche Feuchtigkeit. Die Blü- ten zeigen sich früh in der neuen Wachstumszeit. Einige wachsen gepfropft besser und schneller, alle dann auch üppiger, ohne zu degenerieren. Die Bcstachclung ist besonders interessant: von dichtnadeliger bis zu derber Form sind zahllose Übergänge vorhanden, oft in Haupt- und Beistachcln unterscheidbar, die ersteren nicht selten flach und manch- mal (zum Teil lang-) blatt- oder schwertartig. Körper ohne gewellte Rippen, diese breiter: E. coptonogonus Körper mit bis über 100 lamcllenartigcn Rippen: E. multicostatus Körper mit weniger, aber schmalen Rippen: Glasig hellfarbene Rand- und zum Teil dunklere Mittelstachcln; Bcstachclung ziemlich dicht: E. wippet mannii, E. albatus, E. oeboterenaus (Blüten groß, weiß, bis purpurne Tö- nung), E. vaupelianus Offenere Bcstachclung: E. lloydii, E. ^acatecasensis, E. lamellosus, E. arrigens, E. lancifer, E. violaciflorus, E. gladiatus, E. obvallatus, E. pbyllacantbus, E. pentacantbus, E. k.ellerianus Eebinomastus (Illb: 2:11): Eine Gattung aus den südlicheren USA und Nordmexiko. Mit einer Ausnahme (E. macdowellu) sind alle wurzclccht nur schwierig zu halten, gepfropft wachsen sic weit besser, auch lassen sich frische Importen ohne vorherige Bewurzelung meist leicht pfropfen und sind dann wüchsig. Sie sollten aber nicht zu sehr getrieben werden. Durch ihre prächtige Bestachclung, zum Teil rötlich, zum Teil weiß, manche mit dunkleren und bei einer Art auch mit derbkralligcn Stacheln, gehören sic zu den schönsten nördlichen Kugelkaktccn, besonders die dichtbestachcltcn Vertreter der Gat- tung. E. erectocentrus, E. durangensis, E. jobnsonii, E. intertextus (und E. intertextus var. dasyacantbus'p E. mariposensis, E. mapimiensis und der diesem nahestehende E. un- guis pinus, E. macdowellii Eebinopsis (Illb: 3—4:45): Eine der überwiegend langsäuligen Trichocereus-Arten der Blüten- form nach nahestehende Gattung, zumal manche im Alter auch säulig werden; andere bleiben mehr kugelig. Die ziemlich langtrichtcrigcn Blüten sind weiß oder + rosenrot, mit + nächtlichem Hochstand, die Früchte mäßig groß, kugelig oder länglich und be- haart. Die Arten sind von Nordbolivicn bis zum südlichen Argentinien, in Paraguay, Uruguay und in Südbrasilicn beheimatet. Die Gattung gehört zu den ältesten Samm- lungspflanzcn und hat - da einige Spezies reichlich Kindel hervorbringen und sehr wüchsig sind — den Grundstock für viele Kollektionen geliefert. E. turbinata, E. eyriesii, E. calocblora, E. multiplex (cs gibt von dieser und anderen auch Bastarde), E. sebwantesii, E. oxygona, E. tubiflora, E. silvestrü, E. cbacoana, E. bridgesii, E. cocbabambensis, E. rbodotrieba, E. leucantba, E. mamillosa Encepbalocarpus (Illb: 2:1): Eine merkwürdige mexikanische Gattung mit nur einer Art: gedrückt rund, die Warzen dreieckig-flach aufeinandersitzend, einem Tannzapfen ähnelnd, aber grau. Im Scheitel verhältnismäßig große, purpurne Blüten. Die Kultur- 186
Behandlung muß wurzclccht (abzugreich) vorsichtig sein; gepfropft sehen die Pflanzen zu mastig aus. E. strobiliformis Epipbyllantbus (Illa: 3): Eine in der Kultur nur selten (bis auf die unten genannte Art) an- zutreffende Gattung aus dem brasilianischen tropischen Gebiet von Rio de Janeiro, Sao Paulo und Minas Gcracs. Die Triebe sind dünnzylindrisch, klcin-opuntioid oder gedrückt-kugelig, die Blüten rot (bis heller) und ziemlich groß, schicfsaumig. E. obtusangulus Epipbyllopsis (Illa: 1): Einem Zygocactus {Epipbyllum in früherem Sinne) ähnliche Pflanze mit kleinen, blattflachcn Gliedern und roten, etwas trichtcrigcn, normalsaumigcn Blüten. Heimat: Südbrasilicn. Es wurden auch Bastarde mit Ehipsalidopsis gezogen, um mehr kirschrote Blütentönc zu erzielen. Epipbyllopsis gehört zu den blütcnrcichstcn zygo- cactoidcn Pflanzen; die Kultur ist leicht. E. gaertneri (bis 6 Blüten aus einer Arcolc beobachtet) Epipbyllum (Illa: 20): Dem Habitus nach oft als „Blattkaktccn“ (auch „Pbyllocactus“ genannt) bezeichnete Epiphyten mit + schmallangcn und ziemlich dünnen Trieben. Früher wurde der Name für Zygocactus verwandt, muß aber den ältesten Sinne nach für die lang- und flachtricbigcn Arten erhalten bleiben. Es sind überwiegend Nachtblühcr, in wenigen Fällen mit sehr langen und dünnen Röhren, meist ansehnliche, größere Trichter- blüten, weswegen die Epipbyllum-Arten auch als Eltern für die Bastardzucht verwandt wurden. Die Blütenfarbe ist weiß; die Früchte sind verhältnismäßig groß und meist länglich, zum Teil eßbar. Beheimatet sind die Arten in Mexiko (tropische Gebiete) bis hinunter nach Panama, im nördlichen Südamerika von Kolumbien über Venezuela bis Britisch Guayana, in Westindien nur auf Trinidad und Tobago. E. pbyllantbus, E. oxypetalum, E. darrabii und E. anguliger (beide mit sägezahnartiger Kerbung), E. crenatum (Tagblühcr), E. stenopetalum, E. tbomasianum, E. strictum, E. book.eri. Außerdem gibt cs viele Hybriden (Kreuzungen) Epitbelantba (Illb: 2:3): Zierliche Pflanzen aus Westtexas bis Nordmexiko, flachkugelig bis (zum Teil kculig-) länglich, mit sehr kleinen, dichtstchenden Warzen und weißlichen, kurzen, zahlreichen und anliegenden Stacheln. Die Blüten sind klein, weißlich bis rosa, die Früchte bccrcnartig und länglich. Der Blütensitz ist im Scheitel, wodurch sich die Gattung von der kranzförmig blühenden Mamillaria unterscheidet. Die Pflanzen be- nötigen wurzclccht etwas Zusatz von kohlensaurcm Kalk und nicht zu feuchten, ab- zugreichen Boden. Sicherer ist die Kultur von Pfropfungen (die nicht zu sehr getrieben werden dürfen), zumal die Pflanzen willig anwachsen. E. micromeris (und Varietäten), E. pachyrhi^a Erdisia (Illb: 3:12): Schlankstrauchigc und meist nicht hohe Pflanzen, einzelne kriechend und mit dicken Rüben. Ihre Verbreitung reicht von Mittelpcru bis Nordchile, zum Teil in höheren Lagen. Die bcstachcltcn bzw. steife Borsten tragenden Blüten sind mäßig groß, ansehnlich, gelb über orange bis rot und erscheinen bei einigen auch in der Kultur gern. Die kleinen, grünen Früchte sind bcstachclt. E. squarrosa, E. tenuicula (blühwillig), E. apiciflora, E. erecta, E. maxima (die größte Art), E. meyenii, E. quadrangularis Eriocactus (Illb: 4:2): Anfangs, kugelige, im Alter zylindrische, + gelblich bcstachcltc, gut- wüchsige Pflanzen mit einem mäßig großen Wollschcitcl und ziemlich großen, rein gelben Blüten. Die kugelige Frucht reißt am Grund ab und enthält viele braune Samen. Heimat: Paraguay und Südbrasilicn. E. sebumannianus, E. leningbausii (später unten stark sprossend) 187
Fj-'iocereiis (Illb: 1:9): In Brasilien, Uruguay, Argentinien und Paraguay beheimatete, schlank- triebige und zum Teil ziemlich lang werdende und dann liegende oder klimmende Pflanzen mit großen, weißen Blüten, deren Röhre und Fruchtknoten behaart ist. (Die ähnliche Harrisia wächst mehr aufrecht, meist stammbildcnd). Die roten und ziemlich großen Früchte platzen auf (bei Harrisia nicht). Meist dankbare Blühcr. JE. tortuosus, E. martinii, E. pomanensis, E. jusbertii, E. platygonns, E. bonplandii Eriosyce (Illb: 4:1): Bisher nur eine Art großer Kugelkaktccn Chiles, von der heute mehrere Varietäten bekannt sind, was der Verbreitung von rund 200 m bis um 2000 m Höhe entspricht. Auch die Scheitel sind verschieden, mit + Wolle. Die Stacheln sind eben- falls verschieden gefärbt, gelblich bis schwarz. Die mäßig großen, glockigen Blüten sind dicht mit Wolle und oben mit Borsten besetzt, ebenso die Früchte mit den ziemlich großen Samen. E. ceratistes (mit mehreren Varietäten) Erythrorbipsalis (Illa: 1): Die Gattung ist in Brasilien bei Säo Paulo beheimatet. Die Pflanzen sind hängende Epiphyten mit im Alter zahlreich verzweigenden, dünnzylindrischen Trieben, die mit anliegenden Borsten bedeckt sind und am Tricbcndc kleine, ebenso beborstete Blüten bilden, denen nachher hübsche bcborstctc, klcinkugcligc und rote Früchte folgen. E. pilocarpa Escobaria (Illb: 2:19): Kleine, zum Teil sehr kleine, längliche Pflanzen, einige Arten ziem- lich reich sprossend und daher große Gruppen bildend. Die Warzen sind zierlich und tragen oben eine Furche. Die kleinen Blüten entstehen im Scheitel und sind weiß bis Abb. 127 Eriocactus sebumannianus Abb. 128 Eriosyce ceratistes var. combarbatensis 188
purpurn gefärbt, zum Teil rosa bis grünlichweiß, in einem Falle gelblich. Die kleinen Früchte sind + rot. Heimat: Südliche USA (Westtexas, Süd-Neumexiko) bis Nord- mexiko (Südgrenze: Zacatecas). E. tuberculosa, E. dasyacantba, E. varicoJor, E. chibuahuensis, E. ebaffeyi, E. runyonii, E. muehlbaueriana, E. nellieae, E. bella, E. rigida, E. orcuttii, E. ^iJgiana Escontria (Illb: 1:1): Nur eine Art, baumähnlich, in den mexikanischen Staaten Puebla und Oaxaca beheimatet. Die Blüten sind klein, gelb, etwas glockig, am Tage geöffnet, der Fruchtknoten und die Frucht mit papierartigen, dreieckigen Schuppen besetzt, sonst kahl, rot. E. chiotilla Espostoa (Illb: 1:7): Die Gattung gehört zu den schönsten Säulenkakteen; die erste Art wurde von Alexander von Humboldt entdeckt. Die Triebe sind meist dicht seidig be- haart, die Stacheln zum Teil lang, hornfarben und mitunter rotfleckig, oder die Pflanzen sind nur mit kurzen feinen, weißen, gelblichen bis purpurnen Stacheln versehen, die kaum aus der Behaarung hervorragen, diese überwiegend + anliegend, teilweise auch etwas fester und locker abstehend, in einem Falle borstige und etwas festere Stacheln, ohne anfängliche Haarbildung. Heimat: Südekuador bis Nordperu. E. lanata (lang bestachclt; var. sericata\ ohne sichtbare Mittclstachcln), E. procera, E. laticornua, E. ritteri, E. mirabilis (ohne Haarbildung) Eulychnia (Illb: 3:7): Strauchigc bis baumförmige Pflanzen Nordchiles, meistens mit auf- fällig langen Stacheln. Die weißen Tagblüten sind kurzglockig und nicht breit geöffnet; Fruchtknoten und Frucht kurzfilzig bis dicht mit seidigen, kurzen Haaren besetzt, die Frucht angenehm duftend, aber nicht eßbar, da nicht fleischig. E. spinibarbis, E. iquiquensis, E. ritten, E. acida, E. sa’mt-pieana Facbeiroa (Illb: 1:1): Eine wenig bekannte nordbrasilianischc Gattung, baumförmig, mit einem scitcnständigcn Cephalium aus braunroter Wolle. Die Blüten sind kurz, nur bis 3,5 cm lang, zylindrisch-glockig, dicht beschuppt und behaart, ebenso die kleine Frucht. F. ulei Ferocactus (Illb: 2:33): Eine artenreiche Gattung zum Teil sehr großer Kugclkaktccn mit dem Kennzeichen kurzröhriger, dicht beschuppter, sonst kahler Blüten. Eine Anzahl haben bunt gefärbte Hakcnstacheln unter den mittleren. Die größte Art wird rund 4 m hoch. Die Blüten sind von strohgelb bis orange bis weinrot, gelbgrün oder weiß- lich gefärbt. Die ziemlich trockene Frucht öffnet am Grunde. Verbreitung: Südlichere USA und Mexiko (südwärts bis Oaxaca und in Niederkalifornien). Hakcnstachligc Arten: F. stainesii (und Varietäten), F. wisli^emi, F. coloratus, F. borridus, F. fordii, F. acan- tbodes (und F. acantbodes var. leconteF), F. townsendianus (und F. townsendianns var. santa-maridg F. chrysacantbus (selten), F. rostii, F. peninsulae, F. enwryi, F. latispinus (kleiner und flachrund), F. recurvus, F. diguetii (der größte) Stacheln gerade, höchstens schwach gebogen (ein Mittclstachcl): F. robustus, F. orcuttii, F. flauovirens, F. victoriensis, F. viridescens, F. rectispinus, F. bistrix, F. glaucescens, F. eebidne, F. pottsii, F. alamosanus, F. scbn>ar%ii, F. macro- discus (ziemlich klein und flachrund) 189
Abb. 129 Uspostoa- und Pseudoespostoa-KxXcw, die schönsten Ccrccn Südamerikas: Oben links: Ilspostoa laticornua Oben rechts: Uspostoa lanata var. rubrispina Unten links: YLspostoa ritteri Unten rechts: Pseudoespostoa nielanostele var. inermis 190
Frailea (Illb: 4:17): Sehr kleine, meist reicher sprossende Pflanzen (nur wenig größer als die nahe verwandte Fdossfeldid), die Rippen flach und nur durch Längslinicn getrennt oder statt dessen kleine flache Warzen. Die Stacheln sind fein und kurz, verschieden gefärbt, wie auch die Pflanzcnkörper (hellgrün bis braun). Die ziemlich kleinen Blüten öffnen selten, sondern bestäuben sich meist geschlossen (clcistogam). Die Samen sind ver- hältnismäßig groß, braun bis schwarz. Einige Arten sind kurzzylindrisch, andere kugelig. Verbreitung: Von Südbrasilicn über Uruguay bis zum nordöstlichen Argentinien, in Paraguay, vereinzelt in Bolivien und eine Art sogar in Kolumbien. Pfropfung fördert und erhält die Arten besser. F. knippeliana, F. gracillima, F. catapbracta (mit roter Halbmondzcichnung), F. pygmaea (mit Varietäten), F. pulcberrima, F. pumila, F. scbilin^kiana, F. grahliana, F. colombiana, F. castanea (braun) Glandulicactus (Illb: 2:2): Kugelige bis längliche Pflanzen mit auffälligen Hakenstachcln, bei einer Art sehr lang und elastisch. Die Blüten erscheinen am Ende einer längeren und mit sogenannten ,,Nektardornen“ (zu Nektardrüsen umgcwandcltc Stacheln) versehenen Arcole; die Blütcnblättcr sind eigenartig gebrochen-purpurn, die Samen gekrümmt (die Früchte sind zum Teil, bei der Reife vielleicht alle, zuletzt scharlachfarbcn). G. crassibamatus, G. uncinatus (und der noch schönere bzw. noch länger bcstachelte, aber besser als Sämlingspfropfung wachsende G. uncinatus var. wrightii) Grusonia (II: 1): Große Kolonien; zylindrische Pflanzen mit gelben Blüten, die aus der Schci- tclachse entstehen, oder -- da die Pflanzen mehrere Blüten gleichzeitig bilden können — wenn diese besetzt ist, auch kurz darunter. Es wurden mehrere Arten zu Grusonia cin- bezogen, doch gehören mit Sicherheit hierher nur Pflanzen mit obigen Kennzeichen und gerade durchlaufenden Rippen, ein weiterer Unterschied von der näher verwandten Gattung Cylindropuntia. Heimat: Nordmexiko. Abb. 130 Frailea castanea mit Frucht Abb. 131 Gy/nnocactus viereckii 191
G. bradtiana (wahrscheinlich besser zu Cylindropuntia gehörende niederkalifor- nische Arten : G. santamaria, G. bamiltonii) Gymnocactus (Illb: 2:10): Meist nur mäßig große bis kleinere Arten, zwei mit Halsrübcn, alle ziemlich einheitlich im vorwiegend weißlichen Stachclklcid und den im Scheitel entstehenden purpurnen, rosa oder weißen Blüten. Fruchtknoten und Frucht sind völlig glatt. Heimat: Mexiko. G. borripilus, G. viereckdi, G. beguinii, G. saueri, G. gielsdorfianiis, G. kmitbianus, G. subterraneus, G. mandragora, G. valdeyianus Gymnocalycium (Illb: 4:ca. 75): Nur wenige kleine, sonst meist etwas größere, flachrundc bis kugelige Pflanzen, einige wenige ziemlich groß werdend, mit kahlen Trichterblüten, gelb, weiß bis hellrosa oder (selten) rot; die Röhre breit- bzw. ziemlich großschuppig, kahl, Samenhöhle länglich, ebenso (bis auf die kugclfrüchtigcn Zwergpflanzen) die Frucht. Die Samen sind unterschiedlich gestaltet, schwarz und klcinnabclig, oder braun mit etwas größerem Nabel. Heimat: Bolivien, Argentinien, Uruguay, Brasilien (im Süden). Zwergige Arten: G. bruebii, G. albispiniim Größere, aber ziemlich flachrundc Arten oder + kugelig: Rippen schwach gchöckcrt: G. denudatum, G. fleiseberianum Rippen stärker gehöckert: Rippen zierlicher: G. platense, G. leptantbum, G. sigeliamim, G. dees^ianum, G. capillaense, G. calo- cblorum, G. artigas, G. guerkeanum, G. queblianum, G. vatteri, G. bodenbenderianum, G. asterium, G. oeboterenai, G. uruguayense, G. baldianum (rotblühend, sclbstfcrtil), G. stuckertii, G. bossei, G. leeanum, G. andreae, G. byptiacanthum Abb. 132 Gynmocalycium denudatum I92
Rippen gröber bzw. breiter: G. spega^yinii, G. cardenasianum, G. grandifloriim, G. multifloriim, G. hybopleurum, G. gibbosum (und Varietäten), G. nigriareolatum, G. valnicekianum, G. mostii (und G. mostii var. kurt^ianum), G. weissianum, G. ma^anense, G. monvillei, G. megalotbelos, G. saglione, G. pflan^ii, G. ^egarrae, G. schickendant^ii, G. damsii, G. anisitsii, G. mi- banoviebii (und Varietäten), G. marsoneri, G. oenantbemiim (lachsrot blühend, sclbst- fcrtil). Gepfropfte Pflanzen entwickeln sich besser und blühen auch reicher. Gymnocereus (III b: 3:3): Große Kaktcenbäumc Nordperus, mit meist dünnen, zum Teil fast borstenartigen Stacheln und mittellangen, stärker beschuppten, sonst kahlen weißen Nachtblüten. Die Arten bilden einen deutlichen, im Alter ziemlich runden Stamm. G. microspermus Haageocereiis (IIIb: 3:50): Eine nur in Peru beheimatete Gattung mäßig hoher, oft gruppen- bildender schlankerer Säulenkakteen, aufrecht wachsend oder teils kriechend, teils lie- gend, meist dicht und bunt bestachelt, aber auch rein weiß, zum Teil feinhaarig. Die zierlichen oder etwas kräftigeren, + nächtlichen Trichterblüten haben weiße, grünliche, rosenrote oder dunkler rote Blütenblättcr. Die Haageocereus-Arten gehören zu den schönsten Ccrccn. Ihre Früchte sind + kugelige, ziemlich saftige und wenig behaarte Beeren. Liegende Arten: H. decumbens, H. repens Aufrechte Arten: Mit gröberer Bcstachclung: H. aebaetus, H. acrantbus (und Varietäten), H. ^onatus^ H. olowinskdanus, H. pluri- florus Abb. 133 Haageocereus pluriflorus 13 Backeberg, Wundcrwclt, 4. A. T93
Mit feinerer Bcstachclung: Ohne Schcitclborstcn: H. versicolor (und Varietäten), H. 1 a redens is, H. viridiflorus, H. pacalaensis, H. borrens Mit + langen oder kürzeren Borsten in der Schcitelbestachclung: H. cbosicensis, H. longiareolatus, H. albisetatus, H. smaragdiflorus, H. albispinus, H. diebromus, H. crassiareolatiis, H. cbrysacantbus, H. seticeps, H. turbidus, H. setosus, H. psendomelanostele, H. salmonoideiis, H. comosus, H. divaricatispinus, H. piliger, H. pacbystele Niedergebogene und wieder aufbiegende Arten (ohne Borsten): H. platinospinus, H. litoralis Hamatocactus (Illb: 2:2): Kugelige bis etwas länglich werdende Pflanzen mit einem hakigen Mittclstachcl und ansehnlichen gelben, überwiegend in der Mitte rot gefärbten Blüten, deren Röhren schlank, die Frucht meist leuchtend rot bei der Vollreife. Die Arten sind von den südlichen USA (Texas, Neumexiko) bis Nordmexiko beheimatet und leicht aus Samen anzuzichcn. H. bamatacantbus, H. setispinus Harrisia (Illb: 1:13): Fast sämtliche Arten sind schlanktricbig; + aufrecht bis baumartig wachsend. Die ansehnlichen Trichterblüten sind behaart, die reifen Früchte platzen nicht (im Gegensatz zu denen von üriocereus). Die Verbreitung reicht von Florida her über die Bahamasinscln, Kuba, Haiti und Jamaika bis zu den kleineren Inseln Puerto Rico, Mona und Desecheo. H. eriophora, H. fragrans, H. nasbii, H. gracilis, H. fernowii, H. taylori, H. earlii (einzige mehr liegende Art) Haseltonia (Illb: 1:1): Fast stets einzelne Säulen, mit einseitig hcrablaufenden Cephalium- bahnen, die Stacheln hell steifborstig, Blüten und Früchte kahl, Nachtblüher. Heimat Mexiko, nur in der Gegend von Tchuacan. Alte Ccphaliumtricbc krümmen sich charak- teristisch. H. columna-trajani (früher gebräuchlicher Name: Cepbalocereus boppenstedtii) Hatiora (Illa: 4): Zicrlich-tricbigc, reich verzweigte Epiphyten Brasiliens, die Einzeltricbe dünn, zylindrisch oder kculig. Die kleinen Blüten entstehen am Triebende und sind gelblich oder orange (zum Teil rosa Mitte). Kultur: wie Uipsalis oder Lepismium. H. salicornioides, H. bambusoides, H. cylindrica Heliabravoa (Illb: 1:1): Baumförmige Art Mexikos, mit ziemlich kurzröhrigen weißen bis schwach rosa getönten Blüten. Die Knospe ist von den gleichen langen Borsten um- geben, wie sie auch die Röhre trägt. Ein Nachtblüher. H. cbende Heliantbocereus (Illb: 3:18): Tagblütige Säulenkakteen des bolivianisch-nordargentinischen Hochlandes (Blüten weiß bis gelblich oder + purpurn, im Scheitel oder etwas unter- halb desselben entstehend); in der nordargentinischen Provinz Catamarca schlankere, niedrige Arten, meist + aufgebogen, die Blüten seitlich entstehend (in der ganzen Gattung trichterig), die Farben von weißlich bis gelb oder rot. Die Triebbestachelung ist unterschiedlich. Die zum Teil sehr dicken Hochlandsartcn oft im Alter ganz oder im Oberteil lang- und fein- bzw. hcllstachlig, die niedrigen Arten überwiegend braun- stachlig. 194
Dicke Hochlandsartcn: H. pasacana, H. poco (H. poco var. fricianus'p H. bertramianus, H. ber^pgiantis Niedrigere und schlankere Arten aus tieferen Lagen: H. buaseba (und Varietäten; Blüten teils gelb, teils rot oder anders getönt) Nur verhältnismäßig kleine, aufrechte Pflanzen mit karminroten Blüten nahe dem Scheitel: H. grandiflorus Heliocereus (Illb: 1:3): Niedrige, strauchig verzweigte Pflanzen Mexikos mit schlanken, scharfrippigen Trieben und leuchtend roten Blüten (bei einer Form weiß), diese ziem- lich groß. Mit diesen Pflanzen als einem Eltcrtcil wurden viele schöne „Pbyllocactus“- Blendlinge gezogen, die also danach nicht ganz richtig bezeichnet sind, doch gibt es bisher keinen treffenderen volkstümlichen Namen für solche Hybriden. H. cinnaharinus (Blüten mehr zinnober), H. speciosus (Blüten leuchtend blaurot, sowie die weißblühende var. amecamensis') Hertrichocereus (Illb: 1:1): Nicdcrgcbogcne oder aufgcrichtctc, schlankere und ziemlich stark gchöckcrtc Ccrccn, deren jüngeres Tricbendc dicht weiß bepudert erscheint oder wie in Mehl gesteckt. Sehr schöne Art mit schmutzig rötlichen Blüten, die gegen Morgen geöffnet sind; die Früchte haben Stacheln und öffnen am Grunde. Heimat: Westmexiko, in heißen Canyons. H. farinosus Vlomalocepbala (Illb: 2:1): Nur eine Art. In den USA (Texas und benachbartes Neumexiko) sowie in Nordmexiko beheimatete breitrunde und bis 30 cm 0 erreichende Pflanzen mit derben Stacheln, darunter 1 flacher mittlerer. Die brcitglockigen Blüten sind bunt, unten + scharlachorangc, nach oben zu weiß oder rosa. Die leuchtend rote Frucht trägt nur Filzflocken. H. texensis Horridocactus (Illb: 4:22): Die Artenzahl gibt die bisher beschriebenen Spezies an. Die Pflan- zen sind nur in Chile verbreitet und haben meist derbere Stacheln. Die mäßig großen Abb. 134 Horridocactus bdnricbianus 13* 195
Trichterblüten weisen nur geringe Filzflocken auf und an der oberen Röhre Borsten, die Frucht ist fast kahl. Die Blütenfarbc ist gewöhnlich + gelblich, zum Teil bis bronze- rötlich. H. curvispinus, H. froeblicbianus, H. tuberisulcatus, H. kesselringt’anus, H. nigricans, H. beinriebianus, H. garaventai, H. engleri, H. eriosy^oides und andere Hylocereus (Illa: 24): Großtrichterig blühende Arten, die von Mexiko über Mittclamcrika und die Antillen bis zum nördlichen Südamerika bzw. bis Nordperu verbreitet sind. Die Blüten sind nachts geöffnet, meist ziemlich großschuppig, weiß, erscheinen aber in der Kultur gewöhnlich nicht so gern wie bei der ähnlichen Gattung Selenicereus. Alle sind sehr schlanke, langtriebigc und meist auch klimmende Pflanzen. H. purpusii, H. ocamponis, H. polyrbi^us, H. costaricensis, H. undatns, H. trigonus, H. triangularis, H. calcaratus Islaya (Illb: 4:12): Erst in neuerer Zeit genauer bekannt gewordene Gattung aus der pazi- fischen Küstenregion Südperus und Nordchilcs, die Arten meist sehr blühwillig, die Blüten klein, meist gelb, aus einem mehr oder weniger breiten Filzschopf erscheinend, die Früchte rot, bei der Reife hohl, ohne Pulpa; die Samen entfallen der basalen Öff- nung. 1. grandis, I. mollendensis, I. bicolor, I. brevicylindrica, I. minor, I. copiapoides, I. pauci- spinosa, 1. grandiflorens, I. krain^iana Abb. 135 islaya grandiflorens var. spinosior 196
Isolatocereus (Illb: 1:1): Große Kaktccnbäumc Mittelmcxikos mit feinerer, d. h. nicht sehr derber Bestachclung, besonders die Jungpflanzen. Die zylindrisch-trichterigcn Blüten sind weiß, der Fruchtknoten mit Filz, gelegentlich fast fehlend und zuweilen auch mit vereinzelten Börstchcn ; die Frucht ist stachcllos. I. dumortieri Jasminocereus (Illb: 1:3): Große Säulenkakteen der Galapagos-Inscln, baumförmig, mit län- gerem Stamm und jährlich + eingeengten Trieben. Die nächtlichen Blüten sind ge- streift-gelblich oder rötlich. J. tbouarsii (erst neuerdings in Kultur) Krainfla (Illb: 2:2): Fein behaarte, kleinere Kugclkakteen Mexikos, den Mamillaricn ver- wandt, mit verhältnismäßig großen, eine deutliche Röhre bildenden, + purpurnen Blüten und hakigen Mittelstachcln. K. guel^mviana, K. longiflora Lemaireocereus (Illb: 1:1): Eine mittelmcxikanische Gattung, hochstrauchig, nicht sehr starke Triebe, mit brüchigem Fleisch, die Bestachclung ziemlich lang und stechend. Die glockigen Blüten sind mit Haaren und Borsten dicht bedeckt, entstehen am Tricbendc, sind nächtlich und weiß, die Frucht ziemlich groß und bcstachclt. Möglicherweise gibt cs eine zweite, noch größere Art. L. bollianus Lepidocorypbantba (Illb: 2:2): Eine Polster bzw. dichte Gruppen bildende Gattung aus der Verwandtschaft der Coryphantba, also mit wäßrigen Früchten, größeren rötlichen Blüten und Furchen auf den Warzen. Die Furchen reichen aber nur über die halbe Warzcnlänge und aus ihrem Ende entstehen Jungsprossen. Im Gegensatz zur glattfrüchtigcn Cory- phantha haben die Früchte zum Teil einzelne Schüppchen. Heimat: Südstaaten der USA bis Nordmexiko. E. macromeris, L. runyonü Lepismium (Illa: 18): Sehr schlanktricbige, rund-, flach- oder kantiggliedrige Epiphyten, deren Fruchtknoten in der Tricbarcole versenkt ist, so daß später zum Teil große Narben Zurückbleiben, wenn nicht dickere Filzpolstcr in den Areolen gebildet werden. Heimat: Brasilien. Dreikantige Triebe: E. cruciforme (w. anceps ist flachgliedrig) Rundliche Triebe: E. gibberulum, E. puniceo-discus, L. grandiflorum, L. floccosum, L. dissimile, L. mega- lanthum (Blüten bis 4 cm 0!) Drciflächig-vcrkantctc Triebe: E. paradoxum Dreiflächig-fortlaufende Triebe: E. trigonum Leptocereus (Illb: 1:11): In Westindicn (Kuba, Haiti, Santo Domingo und Puerto Rico) ver- breitete schlankgliedrige, strauchigc oder baumförmige Säulenkakteen mit ziemlich dünnen Rippen und Tagblüten, deren Röhren glockig-zylindrisch und + bcstachclt sind, ebenso die Frucht. Wenig in Kultur. E. assmgens, L. arhoreus, L. quadricostatus, L. grantianus T97
Leucbtenbergia (IIIb: 2:1): Nur eine Art. Die Pflanzen bilden über einem im Alter derbrübigen (stammartigen) Körper allseits schräg aufwärts abstehende lange Dreikantwarzen mit bastfadenähnlichen Stacheln. Die schönen gelben Blüten entstehen in der Mitte, auf den jüngsten Warzen. Heimat: Mexiko. .L. principis Leucostele (Illb: 3:1): Dick-baumförmigc, weich- und weißborstige, wenig verzweigende Pflanzen mit scheitelnahen, großen, weißen Tagblüten, diese behaart und am Frucht- knoten mit feinen Borsten. Heimat: Wahrscheinlich Bolivien. L. rivierei Lohivia (IIIb: 4:98): Breitrunde, einzelne oder sprossende, zum Teil auch ziemlich plattrunde bis längliche Pflanzen, in einigen Fällen sogar niedrig-zylindrisch, mit meist reich er- scheinenden, bunten Tagblüten, diese trichtcrig, verschieden lang, behaart, ebenso die kleineren Früchte. Manche Arten bilden ein auffällig gefärbtes Hymen, eine hautartige Verwachsung an der inneren Blütenwand, woraus die oberen Staubfäden entspringen, oft in lebhaft kontrastierender Farbe zur eigentlichen Blütenfärbung, die von weiß über gelb bis rot in allen Übergangstönen reicht. Einige Arten variieren stark in der Blüten- farbe. Heimat: Mittelperu bis Südperu (vereinzelt), Bolivien bis Nordargentinien. Mit innen zusammengeneigten Blütenblättern: 1L. pentlandii (und Varietäten), L. ivestii Mit schmalspitzen schräg aufgerichteten oder nicht sehr weit öffnenden Blüten: .L. mistiensis, L. caespitosa, L. bermanniana, D lauramarca Mit mehr radförmig öffnenden Blüten: Breite, größere Polster bildend oder weniger verzweigend, aber tief im Boden sitzend: D. boliviensis, L. ivegbeiana, L. bigginsiana, L. ebrysoebete, L. rapbidacantba, L. varzans, L. rossii (und Varietäten), L. leucorbodon Kleine Polster bildend, reich sprossend, Blüten seidig-rot: L. bertriebiana, L. bingbamiana (Blüten blaurot), L. allegraiana Abb. 136 Lobii’ia rebutioides var. citriniflora 198
Später längliche Arten mit prächtigen, zum Teil variablen Blüten: L. baageana, L. ebrysantha, L. polaskdana, L. cylindrica, L. elongata, L. caineana (Blüte violettpurpurn) Schlankzylindrische Arten: L. sbaferi, L. cylindracea Kugelig-polstcrbildcndc, klcinköpfigerc oder mehr cinzcln-flachkugeligc Arten: L. pseudocacbensis, L. nealeana, L. aracbnacantba, L. drijveriana (und Varietäten), L. emmae, L. kuebnriebii Langrübigc, kleinköpfige Pflanzen mit Dolchstachcln: TL. pugionacantba Ziemlich gedrückt-runde Arten mit kurzen roten oder gelblichen Blüten: Blüten überwiegend rot: L. breviflora, L. cinnaharina, L. cbereaiiniana Blüten meist hellgelb: L. claeysiana, L. kuppe riana Längliche, mäßig große Pflanzen, etwas sprossend, Stacheln fein, zum Teil borstig und dicht, viele verschiedene Blütenfarben: TL. famatimensis (und Varietäten, darunter die feinborstigen var. densispina, var. setosa, var. leucomalla), L. scoparia Klcin-rundköpfige Polstcrpflanzcn in verschiedenen Blütenfarben: L. rebutioides (und Varietäten) Abb. 137 Lopbocereus sargentianus 199
Pflanzen mit zuweilen gehakten und oft längeren Stacheln: o o E. backebergii, L. wrigbtiana (sehr schlankröhrige Blüten), L. marsoneri, L. rubescens Pflanzen mit (längeren) Hakenstacheln und auffällig kontrastierenden Blütenhymen (Staubfäden-Verwachsung): L.jajoiana (rote Blüte; gelbe Blüte: v. nigrostomd), L. vatteri, L. uitewaaleana Kürzer-hakcnstachlige Arten mit meist roten Blüten: L. polycepbala, L. sebreiteri, L. nigrispina (Typus gelb-, Varietät rotblühend), L. sanguiniflora, L. cacbensis Überwiegend gedrückt-runde bis kurz-längliche Pflanzen mit feiner Bcstachclung und zierlichen Blüten: L. t lege Ilana, E. peclardlana, L. scbieliana Lopbocereus (Illb: 1:5): Von unten verzweigende, ziemlich derbtriebige Pflanzen verschie- dener Höhe, mit oder ohne schopfartige Borstenbildung am blühenden Scheitel, die Blüten klein, + rosa, trichterig, nächtlich und nur beschuppt, die Früchte rot. Es können in den Areolen mehr als eine Blüte gleichzeitig entwickelt werden. Die Verbreitung ist auf Südarizona (USA) bis Nordwestmexiko und Niederkalifornien beschränkt. Eine Art wächst zu Beginn stets schein-monströs, wird aber im blühbaren Alter normal- triebig. Stets normaltriebig: E. sebotti, L. sargentianus, E. gatesii Knt'zax'gp monströs-triebig: E. mieckleyanus Lophophora (Illb: 2:3): Einzelne oder stark sprossende Pflanzen, wcichfleischig, bläulich- oder gelblichgrün, mit starker Rübenwurzel, stachcllos, aber aus den Areolen + starke Filzbüschel, diese im Scheitel verdichtet und daraus die kleinen, weißen, rosa oder blaß- gelben Blüten. Heimat: Mittelmexiko bis Texas. E. wilHamsii, L. eebinata, E. lutea (alle mit Varietäten) Abb. 138 ,, Malacocarpus macrocantbus1 ‘ ( Wigginsia macrocantba) 2.0)0)
Loxantboccreiis (Illb: 3:32): Nur in Peru beheimatete, schlanktriebigc und meist später lie- gende bzw. dann wieder aufgerichtete Säulenkakteen mit feinerer bis sehr derber Bc- o o stachclung und + gekrümmtröhrigen bis s-förmig gebogenen, trichterig öffnenden, roten Tagblüten. Frucht kugelig, verhältnismäßig klein. E. bystrix, L. jajoianus, L. keller-badensis, L. paebyeladus, L. piscoensis, L. faustianus, jL. ferniginens, E. enlalianus, L. granditessellatus, E. sitlcifer, E. gracilispinus, E. pullatus, L. eriotriebus, L. acantburiis, L. multifloccosus, L. sextonianus, L. gracilis, L. splendens, L. crassiserpens, E. cullmannianus Macbaerocereus (Illb: 1:2): Kriechende bis dichtstrauchig aufgerichtete Pflanzen, zum Teil wild bestachelt, mit zierlich-röhrigen rosa bis weißen Blüten, die wohl nachts, aber noch in den Tag hinein geöffnet sind; Frucht rot, stachelig. Verbreitung: auf Nordwest- mexiko (einschließlich Niederkalifornien) beschränkt. M. eruca, M. gummosus Maibiienia (I: 5): Niedrige, rundliche Polster bildende Pflanzen mit + kurzzylindrischen, länger andauernden Blättchen und rundlichen Trieben; Blüten ziemlich groß; Samen schwarz, glänzend, soweit bekannt. Winterhärte Pflanzen aus den höheren Kordilleren- lagen des südlicheren Chile und dem südwestlichen Andengebiet Argentiniens. M. pbilippi, M. poeppigii, M. valentinii, M. patagonica „Malacocarpus“ (Illb: 4:13): Zur Zeit Brittons und Roses eine Sammelgattung, galt sic später allein für anfangs breitrunde, später kugelige, selten verlängernde Pflanzen mit einem Wollschopf im Scheitel (aber kein echtes Cephalium, nur vermehrte und später wieder abfallende Wollhaare), gelben Blüten mit roten Griffelnarben und fleischigen, länglichen Beeren, die bei der Reife hervorgeschoben werden; Samen schwarz. Die Verbreitung erstreckt sich von dem südlicheren Brasilien über Uruguay bis in das östliche Argen- tinien, eine Art in Kolumbien. Der jetzt gültige Gattungsname ist Wigginsia. W. vorwerkiana (kolumbianische Art), W. tepbracantba, W. erinacea, W. sessiliflora, corynodes, W. arecbavaletai, W. macrocantba Mamillaria (Illb: 2: etwa 350): Die angegebene Artcnzahl umfaßt nur solche Pflanzen, die heute mit Sicherheit bekannt sind. Daneben gibt cs noch eine größere Anzahl unzu- reichender älterer Beschreibungen, die bisher als undefinierbar gelten müssen. Die Mamillarien lassen sich in drei Sektionen teilen: 1. mit Milch, 2. nur innen bzw. schwächer milchend, 3. mit wäßrigem Saft. Die Pflanzen blühen nicht im Scheitel, son- dern + im Kranz unter demselben, d. h. aus dem Vorjahrstricb. In allen Sektionen gibt cs Entwicklungsstufen mit Hakcnstachelbildung. Die Blüten sind klein bis Verhältnis- mäßig groß, aber stets kurzröhrig, ihre Form reicht von kurz-trichterig-glockigcr (oben + wc^t geöffneter Saum) bis zu weit- und brcitglockigcr bis breittrichteriger Gestalt. Die Früchte sind fast alle + rötlich gefärbt, von kugclig-keuliger bis lang- keuligcr Form, die Samen braun oder schwarz. Einige Arten haben Haare neben den eigentlichen Stacheln, andere Fiedcrstacheln. Die Stachelfarben reichen von weiß über gelb, braun bis schwarz, in allen denkbaren Übergängen, mitunter sind sie auch + rot getönt, oder wenigstens die mittleren. Die Mamillaricn sind im allgemeinen gutwüchsig, nur wenige brauchen gepfropft zu werden, wenngleich Pfropfen bei einer Anzahl auch zu einem viel stattlicheren Wuchs führt (wie man ihn zum Teil selbst am Standort bei alten Exemplaren kaum sieht), und der Blütenreichtum ist größer. Wo später Scheitelwollbildung auftritt, ist diese dann bei älteren Pfropfungen auch viel ansehnlicher. Keine Art bildet Furchen auf den War- zen. Die Blüten erscheinen aus der Axillc (der Vertiefung zwischen den Warzen), in der eine Reihe von Spezies auch + Borsten aufweisen. Sehr unterschiedlich — mehr 201
Abb. 139 Mamillaria fraileana Abb. 140 Mamillaria albiflora als die Wollflockcnbildung in den Areolen (Warzenspitze) ist auch die Bildung von Axillcnwolle und dementsprechend das Aussehen der Scheitel. Bei stärker wollcbildcn- den Arten ist dieser wollig, und die Axillen können in der Blütenzonc einen + starken Wollkranz bilden, andere haben kaum oder nur zu Anfang etwas Wolle, bzw. finden sich alle denkbaren Übergänge. Durch den Artenreichtum und die Verschiedenheit der Wollbildung, der Stachelfär- bung, der Blütengröße und -färbe eignen sich die Mamillarien gut für Spczialsammlungcn, die in älteren, gut gepflegten Stücken einen vielfarbigen, prächtigen Anblick bieten. Die Verbreitung der Gattung reicht von den südlicheren USA über Mexiko (ein- schließlich Niederkalifornien) südlich bis Guatemala, über Westindien (zwei Arten) bis zur Nordküste Venezuelas, Curagao und das südöstliche bzw. südlichere Kolumbien. Mamillaria ist die größte Kakteengattung. Mit Milchsaft: Ohne Mittelstacheln: M. compressa, M. confusa, M. karwinskiana, M. praelii, M. winteriae, M. ^ahniana, M. magnimamma (weißblütig), M. centricirrha (rotblütig) Mit Mittclstacheln: Mittelstacheln gerade: M. carnea, M. orcuttii, M. polythele, M. woburnensis, M. confusa, M. mystax, M. sem- pervivi, M. bucareliensis, M. melanocentra, M. nivosa (honiggelbe Stacheln), M. sar- torii, M. ^uccariniana, M. bachmannii, M. scrippsiana, M. geminispina, M. ritteriana, M. hemisphaerica, M. applanata, M. ^eyeriana, M. brauneana* M. hahniana (behaart), 202
M. woodsii (stärkere Haarbildung), M. cbionocepbala, M. parkinsonii, M. beyderi, M. formosa Mittclstachcln gehakt: M. unciata Nur innen mit + Milchsaft: Mittclstachcln gerade: M. celsiana, M. elegans, M. perbella, M. vaupelii Mit + hakigen Mittclstachcln: M. rek.oiana, M. rek.oi, M. guerreronis, M. pseudorekm Mit wäßrigem Saft: Mittclstachcln meist fehlend: M. kewensis, M. durispina, M. napina (groß-purpurblütig), M. lanata, M. gracilis (zierlich-kleine Gruppen), M. elongata (und mehrere Varietäten, zylindrisch- triebige Gruppen mit gelben Stacheln), M. bumboldtii, M. viperina (dünntriebig), M. lenta, M. plumosa (Ficdcrstachcln), M. anreilanata (klein, gelb- und weißhaarig), M. sebiedeana, M. dumetorum Mit Mittclstachcln: Mittclstachcln gerade: M. bidalgensis, M. viereckdi, M. picta, M. rhodantba, M. inaiae, M. spbacelata (weiß), M. ma^atlanensis, M. wiesingeri, M. donatii, M. alhilanata (weiß und behaart), M. boff- manniana, M. pringlei (gelbe Borsten), M. slevinii, M. conspicua, M. spinosissima (dicht und fcinstachlig, zum Teil rotstachlig), M. albicoma, M. candida, M. multiceps (Gruppen kleiner Körper), M. prolifera (im Gegensatz zu der vorigen mehr bräun- lich bcstachcltcn Art bildet diese gleiche Gruppen mit mehr weißer Bcstachclung, bzw. die mittleren Stacheln statt bräunlich: weißlich), M. calacantba, M. pseudo- perbella, M. fuscata, M. densispina, M. microbelia Abb. 141 Mamillaria tetracentra 20$
Mittelstacheln gelegentlich hakig: M. giieldemanniana, M. M. verbaertiana Einzelne Mittclstachcln stets gehakt: M. wildii, M. anribamata, M. capensis, M. erytbrosperma, M. fraileana, M. glocbidiata, M. pygmaea, M. swinglei, M. mainae, M. carretii, M. saffordii, M. sbeldonii, M. neo- coronaria, M. blossfeldiana, M. ivrigbtii (selten; großblütig), M. wilcoxii (selten; groß- blütig), M. ^eilmanniana, M. multiformis, M. erectobamata, M. multibamata, M. longi- coma, M. bombycina, M. scheidweileriana, M. microcarpa, M. bocasana, M. painteri, M. sinistrohamata, M. moelleriana, M. jaliscana Die genannten 112 Arten sind eine Auswahl seit längerem bekannter Spezies, die den Hauptgruppen aller unterscheidbaren wichtigsten Merkmale angehören und im allge- meinen gutwüchsig sind. Außerdem sind in jüngerer Zeit noch eine Anzahl weiterer Arten gefunden worden. Während eine Großzahl der obigen in den älteren Handbü- ehern beschrieben wurden, sind die Beschreibungen der nachfolgenden bisher nur in botanischen Fachblättcrn und Kaktccnzcitschriftcn der verschiedenen Länder veröffent- licht worden, oder sic wurden bisher nicht klassifiziert. Eine zusammenfassendc Be- schreibung konnte erst in meinem Handbuch der Kaktccnkundc ,,Dic Cactaceae“, Band V, erfolgen: Mit Milchsaft: Weißlich bcstachcltc Arten: M. microthele, M. vonwyssiana Nicht weißlich bcstachclt, ohne Borsten in den Axillcn, ohne Hakenstachcln: M. floresii, M. marksiana, M. mexicensis, M. neoschwargeana, M. pseudoscrippsiana, M. rubida, M. trobartii Nicht weißlich bcstachclt, aber (zum Teil erst später) mit Borsten in den Axillcn: M. canelensis, M. bastifera, M. mixtecensis, M. nejapensis, M. neomystax, M. tolimensis Nur schwach milchend: Weißlich bcstachclt: Stacheln gerade: M. pseudocrucigera Mit oder ohne Hakenstachcln: M. duoformis, M. rossiana (braune Mittclstachcln, meist gehakt) Mit wäßrigem Saft: Mit kleineren Blüten: Gcradstachlig (mittlere), ohne Axillcnborstcn: Hell- oder weißstachlige Arten: M. multidigitata, M. fuauxiana, M. martine^ii, M. neobertrandiana, M. sebwar^ii, M. solisioides, M. subtilis Nicht auffälliger hellstachlig: M. ingens, M. neophaeacantha, M. subdurispina Gcradstachlig, mit Axillcnborstcn: M. mollendorffiana, M. pilispina, M. scbieliana Stacheln zuweilen + hakig (die mittleren): M. bella, M. wuthenauiana Mittelstacheln: einer stets hakig : M. aureoviridis, M. calleana, M. pennispinosa (behaarte Stacheln) 204
Abb. 142 Manullopsis senilis Abb. 143 Matucanayanganucensis Mit größeren Blüten: Stacheln alle gerade: M. albiflora (wcißstachlig) Stacheln: 1 mittlerer hakig (z. T. nur vereinzelt in höherem Alter): M. alamensis, M. boolii, M. marnierana, M. pseudoalamensis, M.yaquensis Diese Übersicht von 42 überwiegend neueren Arten verzeichnet auch nur bekanntere Namen gutwüchsiger Arten. Mamillopsis (III b: 2:2): Im westlichen Mexiko bis in die winterlichen Schneelagen hinauf verbreitete Gattung. Die Pflanzen sind durch ihre weiße Bestachelung und leicht gelb- lich getönten hakigen Mittelstachcln sowie die lang- und ziemlich derbröhrigen roten Blüten — die leider in der Kultur nicht häufig erscheinen— sehr schön. Im Gegensatz zu früheren Ansichten wachsen die Pflanzen wurzelecht ganz gut (auf abzugreicher Erde) und sind dann auch ansehnlicher als zu stark treibende Pfropfungen. Die Samen sind ziemlich groß, rund und schwarz. M. senilis Marginatocereus (Illb: 1:1): Mexikanische Säulenkakteen mit geringer Bestachelung, später reihenweise untereinander blühend, zuweilen zwei Blüten gleichzeitig aus einer Areole. Die Pflanzen sind Nachtblühcr, aber frühmorgens sieht man die Blüten noch geöffnet. Lange glaubte man, cs gäbe nur eine Form. Der Typus blüht länger und weiß, einige Borsten nur an der Röhre; eine Varietät hat kleinere rosarote Blüten, eine andere aus Oaxaca ist noch wenig bekannt. M. marginatus (und var. gemmatus^ Marniera (Illa: 2): Blattkaktcen mit großen Blüten, am Fruchtknoten mit ziemlich festen Borsten. Heimat: Mittclamcrika. M. macroptera, M. chrysocardium 205
Marsballocereus (Illb: 1:2): Säulige bis stark-hochstrauchigc Arten, die von den USA (Ari- zona) über das nordwestliche bzw. westliche Gebiet Mexikos (einschließlich Nieder- kalifornien) bis Kostarika verbreitet sind bzw. die zweite Art nur in Kostarika. Der Fruchtknoten + steifstachlig, die Frucht bcstachclt. Af. tburberi, M. aragonii. Wahrscheinlich gehören noch weitere Arten hierher. Matucana (Illb: 3:13): Eine Gattung aus dem mittleren Hochperu, mit nicht sehr deutlich gchöckcrtcn Rippen, die Stachelbekleidung ist ziemlich dicht und überwiegend weiß- lich oder die mittleren Stacheln bräunlich, zum Teil schwärzlich, alle nicht sehr kräftig. Einige Arten sind mehr kugelig, andere werden später säulig. Die schönen roten bis lachsfarbenen Blüten sind trichterig, mit breiterem und meist stärker schiefem Saum, die Röhre und der Fruchtknoten zwar beschuppt, sonst aber kahl. M. baynei, M. breviflora, M.yanganucensis (und Varietäten), M. multicolor, M. bystrix, M. blancii, M. cereoides, M. elongata, M. comacepbala, M. ber^ogiana Mediocactus (Illa: 6): Schlanke aufrechte oder anlehnendc Cerccn mit großen, weißen trich- terigen Blüten, die Röhren in den Achseln mit Haarborsten, mit stärker gchöckcrtcm Fruchtknoten, der zumindest anfangs kahl sein kann, später aber zum Teil auch Sta- cheln bildet, je weiter die Frucht reift, die meist größer und rot ist. Heimat: Ostperu, Bolivien, Paraguay, Brasilien, Argentinien. M. coccineus, M. bassleri Mediolobivia (Illb: 4:17): Kleine Pflanzen, überwiegend reicher sprossend, aus dem Hochland Boliviens und Nordargentiniens, mit roten oder gelben, zierlichen Trichterblüten, die Wolle und einige Borsten tragen. Die Griffel entweder ganz frei oder sind schwach unten mit der Röhre verwachsen. Die Frucht ist rund und klein. Abb. 144 Mediolobivia euantbema var. fricii 206
Abb. 145 Melocactus bnaI/aHcaeHsis-Sch<ypt Kugelige Pflanzen, Blüten + apfclsincngclb oder rot: M. aureiflora (Blüten apfelsinengelb, braunborstig; Varietät mit orangcroten Blüten: var. rubelliflora^ Varietäten mit bläulichroten bzw. roten Blüten: var. rubiflora, var. sarotbroides), M. elegans (mit dichten, kleinen Warzen ; Blüten hellgelb) + Längliche Pflanzen: Mit gelben Blüten: Körper mehr zylindrisch (im Alter): M. conoidea, M. schmiedcbeniana (und Varietäten) Körper nur etwas verlängert: M. braebyantba, M. auranitida Mit roten Blüten in verschiedenen Farbtönen: Af. pygmaea, M. pectinata (und Varietäten), M. neopygmaea, M. baefneriana, M. euantbema (und Varietäten), M. costata, M. eucaliptana, M. ritteri, M. nigricans Melocactus (Illb: 2:39): Meist kugelige, zum Teil gedrückt-runde, selten später mehr säulig werdende Arten mit einer weiten Verbreitung: Ostmexiko, Westindien, nördliches Südamerika mit den Inseln Margarita und Cura^ao sowie Trinidad, Nordostbrasilicn, Kolumbien bis Mittclpcru (Pazifikscitc); in Ekuador nur im Süden. Die Pflanzen bilden einen filzigen und borstendurchsetzten Schopf, aus dem ziemlich kleine, glockig-trich- tcrige rote Blüten erscheinen, später klein- bzw. schlankkculige rote oder weiße Früchte. Für die Kultur eignen sich besser gepfropfte Sämlingspflanzen, die recht gut wachsen. Schopflosc Importpflanzen kann man leicht pfropfen, dagegen sind schopftragende Exemplare nur selten befriedigend anzukultivieren; meistens gehen sie ein. Eine Eigen- art der Gattung ist, daß einige Arten sogar geteilte Schöpfe oder darüber Neutriebe mit dann wieder entstehenden Schöpfen bilden können, die letzteren in einigen Fällen zylindrisch und zum Teil bis 30 cm lang. Eine der interessantesten Kaktccngattungcn und wohl die erste kugelige Gattung, die in Europa bekannt wurde, zumal die Arten auf den Antillen herdenwcisc auftreten können. M. coronatus, M. intortus, M. communis, M. ^ehntneri, M. lemairei, M. unguispinus, M. obtusipetalus, M. bellavistensis, M. fortale^ensis, M. oaxacensis, M. jansenianus, M. macrocanthos, M. oreas, M. bahiensis, M. peruvianus, M. amoenus, M. maxonii, M. neryi, M. melocactoides 207
Es sind nur diejenigen Arten genannt, die in neuerer Zeit auch aus Samen aufgezogen wurden oder von denen Samen mitunter im Handel angeboten wurden. Micranthocereus (IIIb 1:1): Eine gruppenbildende Gattung mit nur einer Art, nicht sehr groß, schlanktricbig und die einzelnen Zweige dicht nebeneinander aufstrebend, weiß bc- stachelt, die Blütenregion aus ccphaliumartig dicht und herablaufcnd entstehenden Filz- büschcln, aus denen viele kleine, rosa gefärbte Blüten und ebensolche kahle, glatte Deckclfrüchtc erscheinen. Heimat: Nordostbrasilicn, in trockenem Gebiet. M. polyantbus Mila (IIIb: 3:12): Erst in jüngster Zeit mehr bekannt gewordene Gattung aus dem mittleren Hochperu, zum Teil tiefer herabsteigend, gruppenbildend, weichflcischig, die Stacheln überwiegend fein, zum Teil borstig oder mit Haarborsten durchsetzt, nur in einem Fall etwas kräftiger. Die kleintrichtcrigen gelben Blüten tragen in den Achseln noch feinen Haarfilz, die Früchte sind so gut wie kahl, bzw. runde, saftige Beeren. M. pugionifera (die einzige nicht dichter bcstacheltc Art), M. nealeana, M. caespitosa, M. fortale^ensis, M. cereoides, M. kubeana, M. albisaetacens, M. brevisaeta Mitrocereus (IIIb: 1:2): Sehr große Ccrcen aus dem östlichen Mittelmexiko, stammbildcnd, mit aufrechten, dicken Trieben, die an älteren Exemplaren entweder einen dicken Filz- schopf (aber kein Cephalium) oder einen solchen von weicheren Stacheln tragen; Blüten (nächtlich) und Frucht behaart und beborstet. M.fulviceps (gclbstachlig), M. ruficeps (+ rotstachlig) MonvilJea (IIIb: 1:19): Meist sehr schlanktricbigc, aufrccht-strauchigc Pflanzen, die ziemlich weit verbreitet sind: in Brasilien, Venezuela, Nordperu, Ekuador, an den Ostanden- Abb. 146 Moraivet^ia doel^iana 208
Hanken Perus, in Paraguay und Nordargentinien. Die zierlichen, mittelgroßen nächt- lichen Trichterblüten sind beschuppt, sonst kahl, die Früchte vcrschicdcngcstaltig: länglich, rund oder birnenförmig. Die Blütenfarbe ist durchweg weiß, zum Teil schwach grünlich. M. cavendisbii, M. paxtoniana, M. spega^ffiniana, M. baageana, M. pbatnosperma, M. diffusa, M. jaenensis, M. maritima, M. calliantba Morawetffa (Illb: 3:1): Eine Gattung aus dem mittleren Hochperu, insofern interessant, als sic den südlichen Oreocereus-Arten nahcstcht, aber als einzige Gattung des südlichen Großareals einen Schopf bildet, der am Tricbcndc entsteht, borstig und wollig ist und gelegentlich durchwachsen werden kann, dann aber, soweit bekannt, nicht mehr blüht. Die purpurnen Blüten sind sehr schrägsaumig, die Früchte wie die des Oreocereus gelb- grün, hohl, basal öffnend und dann die lockeren Samen entlassend. Die Triebe sind beim Typus behaart, bei einer Varietät ohne Haare. M. doelffana Myrtillocactus (Illb: 1:4): Eine in Mittclmcxiko und Niederkalifornien sowie in Guatemala beheimatete Gattung von später + baumförmig wachsenden Pflanzen, zum Teil wild bcstachclt, bei einigen Formen die Zweige schön blau bereift; die Blüten sind am Tage geöffnet, klein, kurztrichtcrig und können bis zu 9 gleichzeitig aus einer Areole ent- stehen, die Blütcnblättcr sind grünlichweiß, kremweiß oder hcllrosa, die Früchte klein und rund; sic sind eßbar und auch getrocknet im Handel. M. geometri^ans, M. cocbal, M. sebenkii Navajoa (Illb: 2:2): Kleine Kugclkaktccn mit Warzen und seltsam verkrümmten korkigen Stacheln sowie ziemlich klcintrichtcrigcn Blüten. Neuerdings in Kultur. IV. peeblesiana Neoabbottia (Illb: 1:1): Erst strauchigc, dann meist baumartige Pflanzen, die nur auf der Insel Hispaniola (Haiti und Dominikanische Republik) vorkommen. Die nicht sehr dicken Triebe haben schmale Rippen. Die eigentümlichen nächtlichen und einen un- angenehmen Geruch ausströmenden Blüten sind zylindrisch, mit sehr schmalem Saum und entstehen sowohl unterhalb der Triebspitze wie (meistens) auf derselben und dann aus dichtem Filz, der darauf schließen läßt, daß solche Triebe zeitweilig im Wachstum zum Stehen gekommen sind. Die grünen, länglichen Früchte sind dickwandig und ge- rieft, die Samen schwarz. Die Gattung steht wohl den baumförmigen Leptocereus-Arten nahe. IV. paniculata Neobesseya (Illb: 2:6): Meist sprossende und zum Teil größere Gruppen bildende Pflanzen, die der Gattung Corypbantba nahcstchen. Sic haben die gleichen Warzen mit einer Furche darauf, und die Blüten werden auch im Scheitel gebildet, sic sind gelb oder rosa, mit schmalen Blütenblättcrn, diese glattrandig oder gewimpert. Zum Unterschied von Corypbantba sind die Früchte nicht grün, nicht wäßrig und auch nicht braunsamig, son- dern meist rund bis schwach ovoid, rot, fleischig, die Samen schwarz. Die Verbreitung reicht von Britisch-Kolumbicn über die mittleren USA nach Texas (nicht in Arizona) und von dort nach Nordmexiko (Coahuila). IV. wissmannii, IV. similis, IV. missouriensis, IV. asperispina, IV. rosiflora (diese mit rosa Blüten, die übrigen mit gelben) Neobinghamia (Illb: 1:4): Nur in Peru bzw. in dessen pazifischen Wüstenregionen behei- matete Pflanzen, von unten verzweigend, kräftig-triebig, mit Haarbildung im Scheitel, 14 Backeberg, Wunderwelt, 4. A. 2OQ
Abb. 147 Neocbilenia andreaeana 210
zum Teil dichtfilzig, später mit ringartigen, pelzkragcnförmigcn oder unregelmäßig verteilten filz- oder haarförmigen und zusammenhängenden Bildungen, aus denen die Blüten, zum Teil stufig untereinander, erscheinen, ebenso die rundlichen Früchte. Die Blüten sind trichtcrig, nur mittelgroß, tiefrosa oder bräunlich, auch weiß, zum Teil noch unbekannt. N. climaxantba (und Varietäten), TV. niultiareolata, TV. villigera, TV. mirabilis (mit roten Stacheln, die übrigen mit mehr gelblich hornfarbenen) Neobuxbaimiia (Illb: 1:4): Pflanzen verzweigt, nur in einem Falle einzeln. Die Verbreitung zieht sich quer durch das südlichere Mexiko von nahe dem Pazifik bis nahe zum Atlan- tik. Die nächtlichen Blüten sind zylindrisch-trichtcrig bis zylindrisch-glockig; Röhre und Fruchtknoten anfangs kahl, bei der Fortschreitenden Fruchtreife werden zuneh- mend Borsten gebildet; die Frucht hat einen Deckel und reißt meist oben auf. An der Frucht sind später + dünne Stacheln vorhanden. Die Blüten sind weißlich oder rötlich. TV. tetet^o, TV. polylopba, TV. scoparia, TV. me^calaensis (besser zur Gattung P^ooksbya gehörend, auch, da sic von den vorstehenden Arten durch die Bildung nur ein- zelner Säulen abweicht) Neocardenasia (IIIb: 3:1): Nur aus einer Art bestehende Gattung aus dem östlichen Bolivien, baumförmig, mit kräftigem Stamm. Die Blüten entstehen aus verdickten Areolen und sind mit derben Borsten bekleidet, zuweilen können auch zwei nebeneinander entstehen, sic sind rosa und am Tage offen. Die ziemlich große Frucht ist beborstet, eiförmig, mit rosa Fleisch; die Samen sind dunkelbraun. TV. ber^pgiana Neocbilenia (Illb: 4:55): Die angegebene Zahl bezeichnet nur die beschriebenen Arten. Sie Abb. 148 Neogowesia agarioides 14* 21 I
werden zum Teil auch unter dem Synonym Chileorebutia geführt. Die Pflanzen wachsen nur in Chile. Ihre Blüten sind trichtcrig, mit mehr oder weniger Haarbildung in den Achseln, weißlich, gelblich oder rot> die haarflockigen Früchte bei der Reife ziem- lich hohl, die Samen entfallen aus einer basalen Öffnung. Wie bei den Gattungen Neo- porteria und Copiapoa gibt cs auch hier Zwergarten mit langen Halsrübcn, die Rippen zum Teil aus Warzenreihen bestehend, die aber an gepfropften Pflanzen unten + Zusam- menhängen können. N. cbilensis, IV. andreaeana, N.fusca (und Varietäten), N.jussieui, IV. fobeana, N. oc- culta, N. napina, IV. reicbei, N. mebbesii, IV. nigriscoparia, IV. odieri, IV. esmeraldana,- IV. pseudo reich ei, IV. eriocephala, IV. krausii, IV. mitis und andere Neodawsonia (Illb: 1:3): Nur in einem Fall verzweigte, sonst unverzweigt wachsende, aber basal sprossende säulige Pflanzen mit eigenartigen Haarschöpfen am Scheitel, die durch- wachsen werden und eine Zeitlang stchcnblciben. Die Blüten sind trichterig-röhrig, nur ca. 4-—5 cm lang, rosa. Die kleine rosa Frucht ist kugelig, mit kleinen Stächclchcn versehen und reißt oben auf; die Samen sind dunkelbraun. IV. totolapensis, IV. apicicephalium Neogomesia (Illb: 2:1): Eine sehr merkwürdige kleine nordmexikanische Pflanze, einer win- zigen Agave ähnelnd, mit eigentümlich runzlig gemusterten Blattwarzcn, auf denen die dickfilzigen Areolen ein Stück vor deren Ende sitzen. Die glockig-trichtcrigen Tag- blüten sind ziemlich groß, 5 cm lang. Die kugelige Frucht ist rot, ca. 2,5 cm lang. IV. agavioides Neolloydia (Illb: 2:8): Meist länglich werdende Pflanzen aus Kuba (eine Art), USA (Texas) und Nordamerika, der Gattung Corypbantba insofern nahestehend, als auf den Warzen Abb. 149 Neoporteria niamillarioides 212
eine Furche gebildet wird, doch sind die Früchte kleiner, nicht wäßrig, die Farbe (im Gegensatz zu den roten Früchten von Neobesseya und YLscobaria) trübe gefärbt, papier- artig auftrocknend. Die Blüten sind ansehnlich, grüngelb, gelblichrosa, gelb oder pur- purviolett. TV. ceratistes, TV. conoidea, TV. matebualensis, TV. pulleineana, TV. grandiflora, TV. odorata, TV. cubensis Neoporteria (Illb: 4:22): Eine (was die Blütenform und -färbe anbetrifft) sehr einheitlich charakterisierte Gattung chilenischer Kugelkaktecn. Im Alter werden die Körper zum Teil sehr lang, fast cercoid. Die Bestachclung ist sehr unterschiedlich, steif bis borsten- artig, weiß, gelb, braun oder schwarz. Die Blüten haben eine sticligc Röhre und schlank- lanzcttlichc Blütcnblätter, deren innere bis zum Abblühen zueinander geneigt sind; in den Achseln ist nur noch geringer Filz, oben werden Borsten gebildet. Bei der Reife sind die oft rötlichen, länglichen Früchte hohl, der Same entfällt der basalen Öffnung. TV. nigriborrida, TV. castaneoides, TV. subgibbosa, TV. gerocephala (früher: TV. senilis'), TV. nidus, TV. villosa, TV. atrispinosa und andere Neoraimondia (Illb: 3:4): Mittclhohc bis sehr hohe (10 m), von unten verzweigende Pflan- zen aus der pazifischen Region Perus, mit dicken, wenigkantigen Trieben, von etwa 2000 m Höhe bis unmittelbar an das Meer hinabsteigend. Die blühbaren Areolen ent- wickeln seltsame, später oft zylindrische Blütenkurztriebe mit Filzarcolcn, auf denen die heller oder dunkler purpurn, auch rosa oder weiß gefärbten Blüten entstehen, die kurze Stächclchcn haben, ebenso die Frucht. TV. arequipensis, TV. gigantea (weiß blühend), TV. roseiflora (halbhoch, rosa blühend) Neoiverdermannia (Illb: 4:2): Fleischig-rübigc, kleinere Kugelkaktecn aus Bolivien, Nord- argentinien und dem hohen Nordchile, mit + höckrigcn Rippen, die Höcker über- wiegend kinnförmig vorgezogen, die Blüten weiß oder rosa, klein, kahl, die Frucht sehr klein, mit wenigen Samen. Die beiden Arten mußten neuerdings zu Weingartia gestellt werden: W. vonverkii, W. chilensis Nopalea (II: 10): Den Opuntien in der Triebform ähnelnde strauchigc bis fast baumförmige Pflanzen, zum Teil aber auch liegend. Die Blüten sind eigentümlich geschlossen, Staub- Abb. 150 Notocaclui rutilans 2IJ
beutel und Griffel hervorragend. Die Früchte sind bestachelt oder nicht bestachelt, meist rot, wie die Blüte, zum Teil eßbar. Die Verbreitung reicht von Mexiko bis Panama. N. cocbenillifera, IV. auberi, IV. dejecta, IV. nudel Nopa/xoebia (Illa: 2): Buschige Epiphyten Mexikos, die Triebe blattartig verlängert, mit rundlichem Stiel. Die Blüten entstehen zum Tricbcndc hin, rosa und reichlich oder rcinrot und weniger reichlich. Die kürzere Röhre ist schmal beschuppt und kahl. Die reinroten Blüten sind offcntrichtcrig, die rosa gefärbten haben eine zweite innere Serie wie ein geschlossenerer Trichter. Bei wärmerem Kulturstand sehr dankbare Blühcr. Die Pflanzen bilden aber bei zu kühlem Stand leicht Flecken; härter sind die mit ihnen als einem Eltcrtcil gezogenen Bastarde, die schon seit langem in Europa gezüchtet wurden. N. pbyllantboides, IV. ackermannii Notocactus (Illb: 4:16): Kugelige bis kurzsäulige Pflanzen, deren Verbreitung von Nord- bis Mittel- und Ostargentinien und über Uruguay bis Südbrasilicn reicht. Man kann zwei Artengruppen unterscheiden: mit kugeligen, fleischigen und aufreißenden Früch- ten und mit bei der Reife dünnwandig verlängernden und zum Teil hohlen, unten zer- fallenden. Die Blüten sind mit sehr wenigen rötlich blühenden Ausnahmen gelb, die Narben normalerweise dunkelrot, selten gelblich. Das Stachclklcid ist gewöhnlich dicht (Ausnahme: z. B. N. ottonis), cs ist weiß oder rötlich, gelb oder braun gefärbt. Die Gattung gehört zu den dankbarsten Blühern ; oft zeigen schon winzige Sämlinge einzelne Blumen. Die Arten wachsen wurzelecht gut; wo das Wachstum zu langsam ist, fördert cs die Pfropfung, auch den Blütenreichtum. Die schwarzen Samen sind matt. IV. scopa (und Varietäten, zum Teil braun-, sonst rot- und weißstachlig), IV. ottonis (und Varietäten), IV. rutilans (lachsrötlich blühend), IV. muricatus, IV. apricus, IV. tabularis, IV. mueller-melcbersii, IV. concinnus, IV. submammulosus (und die Varietät var. pampeanus), IV. werdermannianus, IV. berteri (rote Blüte), IV. mammulosus, IV. floricomus (und Varietäten), IV. minimus (winzig, sehr langsam wachsend). Alle angeführten Arten sind in den Sammlungen und im Handel vertreten. Nyctocereus (Illb: 1:6): Dünntriebige aufrechte oder anlchncndc Pflanzen, meist aus der (dann zuweilen etwas verdickten) Schcitclzonc des Vorjahrswuchscs blühend. Die Blü- ten sind weiß, ziemlich groß, nächtlich und bestachelt, die Samen groß und schwarz. Heimat: Mexiko, Guatemala, Nikaragua. IV. serpentinus, IV. oaxacensis, IV. cbontalensis Obregonia (Illb: 2:1): Flachrundc Pflanzen mit breiten, an der Spitze auswärts gebogenen und gespitzten Schuppenwarzen. Die Blüten sind ziemlich klein und erscheinen im Scheitel; die Frucht ist eine weiße, nackte Beere. Die interessanten Pflanzen lassen sich später nicht mehr pfropfen, höchstens als junge Sämlinge. Das empfiehlt sich, weil Importen nur schwer umzugewöhnen sind und keine pralle Sonne vertragen. Heimat: Nordmexiko. 0. denegrii Opuntia (II: ca. 245): Unter Opuntia versteht man heute nur noch die flachrund-tricbigcn, normalblütigcn Arten; vordem waren auch alle kugelig- oder zylindrisch-tricbigcn Spezies mit cinbczogcn worden. Die Aufteilung hat die Übersieht sehr erleichtert. Die Opuntien haben meist radförmige, verschieden große Blüten, gewöhnlich am Frucht- knoten mit dünneren Stacheln oder nur mit Glochidcn (winzige Widcrhakcnstachcln). Bei einigen Arten sind die Blütenblättcr aufgerichtet, zum Teil die Blüten sehr klein, meistens aber ansehnlich und bei den verschiedenen Arten von gelb bis rot, über orange, in allen denkbaren Übergängen gefärbt. Die Früchte sind meist größer, rund, eiförmig oder etwas länglich, dickwandig. Bei vielen Arten bilden die oft violetten, gelben oder 214
Abb. 151 Opuntia durangensis roten Früchte, die ebenso zahlreich wie die Blüten sind, noch einen länger andauernden Schmuck der Pflanzen. Die Verbreitung der Gattung reicht von Kanada bis in das süd- liche Argentinien, doch ist insofern eine gewisse Zweiteilung erkennbar, als in Süd- amerika im Raum der mehr tropischen Region eine Lücke von West nach Ost klafft. So treten vom südlichen Nordperu bis Nordbrasilicn hinüber, im tieferen Südperu und in Chile überhaupt keine Opuntien auf, dafür im Hochland von Südperu aber, über Bo- livien bis Nordargentinien, sehr niedrige, klcincr-tricbigc Arten (die Reihe „Airampoae“ mit schönen, größeren und seidig schimmernden Blüten, oft auch mit bunter Bestache- lung). Die in Argentinien, Paraguay, Uruguay und Brasilien beheimateten Opuntien größeren Wuchses, die wie die „Airampoae“ als Vertreter der südlichen Großver- breitung angesehen werden müssen, sind den Merkmalen nach deutlich (von allen nörd- liehen) zu unterscheiden; ihre Areolen sind meist auffällig weiß und oft von dunkler grünen oder rötlichen Flecken umgeben. Opuntia ist die zweitgrößte Kakteengattung; im südlichen Mittelamerika und in Westindicn ist die Artcnzahl geringer. Auf den Gala- pagos-Inscln wächst eine eigentümliche, dünnstachligc und sehr variable Spezies, deren Formen von niedrigen, strauchigen bis zu hohen baumförmigen reichen; sic gehören zweifellos der nördlichen Gruppe an. Die Früchte einiger Arten sind ein besonders bei den Einheimischen sehr beliebtes Obst; einige duften angenehm. Nördliche Gruppe, A: Größere Blüten: Kleinere, niedrigere, zuweilen schmalglicdrigcrc und oft auch kriechende Pflanzen: 0. airassavica, 0. repens, 0. pestifer, 0. pnbescens, 0. drummondii, 0. antillana, 0. de- ciunbens, 0. tuna Größcr-tricbigc, Kolonien bildende Arten : 0. st rieta Breitere und niedrige Gruppen bildende Arten: -f- 0. cotnpressa, 0. grandiflora, + 0. butnifusa, 0. tortispina, 0. macrorhi^a, -f~ O.fra- 215
gilis, -|- O. rutila, -|- O. rhodantba, -|- O. jiiniperina, O. bystricina, -|- O. polyacantba, O. basilaris (und Varietäten) Die mit einem -|- versehenen Arten sind aueh in Europa winterhart. Höhere, strauchige bis + baumförmige Arten: O. berge riana, O. elatior, O. banburyana, O. gosseliniana (und Varietät var. santa- ntap O. macrocentra, O. a^urea, O. occidentalis, O. engelmannii, O. atrispina, O. pbaea- cantba (und Varietäten), O. covillei, O. vaseyi, O. pailana, O. pilifera, O. spinulifera, O. lasiacantba, O. byptiacantba, O. streptacantha, O. eichlamii, O. undulata (große, ziem- lich kahle, glänzendgrüne und gewellte Triebe), O. crassa, O. ficus-indica, O.danceo- lata, O. maxima (diese und die drei vorhergehenden stachcllos), O. leucotricha (mit Borstcnstachcln), O. tomentosa (samtig), O. sebeeri (eine der schönsten: dicht gelb und fein bestachelt), O. orbiculata (als Sämling zuerst ganz weißhaarig), O. lincl- beimeri (und Varietäten), O. galapageia, O. cblorotica, O. lingniformis (ziemlich schmal- lange Triebe), O. littoralis, O. procumbens, O. aciculata (und die rotblühende Varietät var. orbiculatdp O. microdasys (ohne Stacheln, nur mit + gelblichen bis weißen Glochidcn), O. rufida (mit braunen Glochidcn), O. pyenantba (Varietät: var. mar- garitana, eine schöne rotbraun und kurz bcstachclte Art mit ebenso gefärbten Areolen) Nördliche Gruppe, B: Kleinere Blüten: Sehr schmale Blütcnblättcr: O. glaucescens, O. stenopetala, O. marnierana (alle mexikanisch). O. maebridei (Nord- peru) Radförmig bis etwas aufgerichtet stehende Blütenblätter, die Pflanzen meistens stachcllos: O. inamoena, O. quipa Südliche Gruppe: Niedrige, gruppenbildende Pflanzen {„Airampoae“}: O. soebrensii, O. tilcarensis, O. albisaetacens, O. erectoclada, O. longispina (und Varie- täten), O. armata Höhere Arten: O. cordobensis, O. qiumilo, O. vulgaris (früher: O. monacantbdy O. paragitayensis, O. are- cbavaletai, O. ebakensis, O. elata, O. cardiosperma, O. canterai Nicderliegcnde bis kriechende Arten : O. canina, O. kiska-loro, O. stenartbra, O. anacantba, O. iitkdlio, O. retro rsa Diese vorgenannten 86 Spezies sind mehr als ein Viertel der gesamten Artenzahl und übersteigen bei weitem die Unterbringungsmöglichkeiten in den durchschnittlichen Sammlungen. Im allgemeinen sind auch die Opuntien nicht so beliebt, weil sic — wenn nicht in sonnigen und wärmeren Gegenden ausgepflanzt - kaum blühen. In Südcuropa gehören sic dagegen zu den reichsten und schönsten Blühcrn. Eine Reihe von ihnen lohnt, in den Kollektionen vertreten zu sein, wegen der eigenartigen Form und oft auch Bestachelung, sowie wegen der mitunter reizvollen Farbe der Triebe und Stacheln. Daher habe ich die Aus Wahlmöglichkeit größer gehalten, zumal in den verschiedenen Gegenden erfahrungsgemäß nicht selten andere Arten als anderswo zu erhalten sind. Oreocereus (Illb: 3:6): Behaarte niedrigere oder höhere Säulenkakteen aus den Kordillcrcn- gcbictcn von Peru, Nordchile, Bolivien und Nordargentinien, mit bunten Stacheln, roten und schiefsaumigen Blüten und runden, kugeligen, gelblichen Früchten, die hohl sind und die Samen bei der Reife aus einer basalen Öffnung entlassen. Einige Arten 216
Abb. 152 Oreocereus trollii Abb. 153 Oroya neoperuviana 2I7
sind variabel. Meist sind die Triebe ziemlich dick, bei einer Art mehr strauchig und etwas dünner. O. maximus (die dickste Art), O. neocelsianus (variable Stacheln), O. fossulatus (strau- chig), O. bendriksenianus (und Varietäten, zum Teil dicht behaart; alle niedrige Kolonien bildend), O. trollii (die niedrigste Spezies) Oroya (Illb: 4:5): Kugelkakteen aus dem mittleren Hochperu, später zum Teil ziemlich groß- kugelig oder auch flach bleibend. Die Stacheln sind von weiß über rotbraun bis zitronen- gelb oder heller gelb gefärbt. Die schönen, nur kleineren Blüten erscheinen im Scheitel und sind meist mehrfarbig, d. h. zur Spitze dunkler rötlich getönt als nach dem Innern zu; eine Art blüht gelb. Die rundlichen Früchte sind bei der Reife hohl und entlassen die matten schwarzen Samen aus einer basalen Öffnung. 0. peruviana (reich blühend), O. subocculta, O. neoperuviana (und Varietäten), O. bor- chersii (einzige gelbblühende Art) Pacbycereus (Illb: 1:7): Dicke und meist hohe Cereen Mexikos (einschließlich Niederkali- fornien), mit dicht befilzten, + glockig-trichterigcn Nachtblüten und bald trocken werdenden befilzten (sehr kurz und schwach bis) stärker bestachelten Früchten. Die Pflanzen gehören zu den größten Cereen des Nordens; sie können über 10 m hoch werden. P. pringlei, P. calvus, P. pecten-aboriginum, P. grandis, P. weberi, P. orcuttii (selten) Parodia (Illb: 4: ca. 92): Eine der schönsten Kugelkakteengattungen Südamerikas, meist reich und gern blühend. Die Verbreitung reicht weit: von Bolivien über das nördliche Argentinien und Paraguay bis Süd- und Mittelbrasilien. Die Blüten sind gelblich bis dunkelrot, orange, korallenfarben oder in Übergangstönen gefärbt. Die Früchte sind meist klein, dünnwandig auftrocknend. Es gibt eine Gruppe mit etwas größeren schwar- zen Samen und eine zweite mit sehr feinen braunen. Die nachstehend aufgeführten Na- men sind nur eine kleine Auswahl der vielen bis heute bekannt gewordenen Arten. Nach der Form der Mittelstacheln kann man folgende Dreiteilung wählen : Mit zumindest 1 Hakenstachel: P. aureispina, P. alacriportana, P. sebuet^iana, P. sanguiniflora, P. microsperma (und die Varietät var. macrancistrdp P. carminata, P. erytbrantba, P. sanagasta, P. setifera, P. mutabilis (und Varietäten), P. catamarcensis, P. scopaoides, P. schwebsiana, P. brevi- hamata, P. maassii (und Formen mit besonders langen und oft stark gekrümmten Hakenstachcln), P. mairanana Mit oben nur + gebogenen Mittelstacheln: P. aureicentra, P. stuemeri, P. rubicentra, P. tilcarensis (und die Varietät var. giganted), P. gutekunstiana, P. columnaris, P. ritteri Mit stets nur geraden Mittelstacheln: P. ayopayana, P. comarapana, P. cbrysacantbion (dicht gelbstachlig, Stacheln sehr fein), P. nivosa (ganz weißstachlig), P. faustiana (weiße Stacheln mit dunkleren Mittelstacheln), P. rigidispina, P. saint-pieana, P. microtbele Pediocactus (Illb: 2:2): Kugelkakteen aus den USA, von dem Staate Washington bis Neu- mexiko (nicht in Arizona und Texas). Die Pflanzen sind in der Heimat winterhart. Meist sind sie rötlich bestachelt, etwas verjüngt-rund. Die nicht großen Blüten erschei- nen reich im Schopf und sind gelb-grünlich-rosa bis rosa oder weiß gefärbt. Gelegent- lich in Kultur. P. simpsonii, P. bradyi 218
Peireskia (1: 8): Wenig in den Sammlungen vertretene blättertragendc Arten, seltener (als bei Pdbodocactus') baumartig, überwiegend strauchig, zum Teil kletternd. Man unter- scheidet eine Untergattung mit gestielten und eine mit fast sitzenden Blüten; die ersteren sind größer, die letzteren viel kleiner. Die meist rundlichen Früchte sind verschieden groß, zum Teil auch noch beblättert, einige eßbar. Verbreitung: Von USA (Florida) über das wärmere Mexiko und Mittelamerika, Westindien, Nord- und Ostküste Süd- amerikas, Matto Grosso und Nordargentinien, die kleinblütigen Arten in Nordperu bzw. im mittleren andinen Gebiet bis Ostbolivien. Von Phodocactus durch oberständigen Fruchtknoten unterschieden. P. aculeata (Pfropfunterlage für dünntriebige Kakteen), P. vargasii, P. dia^romeroana Von P. aculeata gibt es eine hübsche buntblättrige Form: var. godseffiana, die man mit ihren dünnen Trieben durcheinander gebogen kultiviert. Peireskiopsis (II: 12): Strauchige bis baumförmige Pflanzen Mexikos und Guatemalas mit meist größeren, sukkulenten Blättern, die wie bei Peireskia und Pbodocactus abfallen. Die Blüten sind opuntienartig, ebenso die Samen (während die der Peireskioideae weich- schaliger sind). Die P.velutina dient zur Jungsämlingspfropfung; in Japan und Süd- europa erzielt man damit ein geradezu unwahrscheinlich rasches Wachstum; außerdem sind die nach dem Umpfropfen (auf andere normale Unterlagen) verbleibenden Stümpfe reichlichen Nachwuchs hervorbringende Mutterpflanzen. P. velutina, P. diguetii, P. rotundifolia, P. porteri, P. spathulata, P. aquosa Pelecyphora (Illb: 2:2): Nur zwei Arten, mit kammförmig anliegenden Stacheln, diese nicht stechend, bei einer Art ähnelt die Arcolenbestachelung etwas einer Kellerassel, bei der anderen täuschend der der Gattung Solisia (die aber milcht). Die Blüten entstehen im Scheitel und sind purpurn oder weißrosa, die Früchte klein. P. aselliformis, P. pseudopectinata (früher öfter im Handel, erst kürzlich wieder ein- geführt) Peniocereus (Illb: 1:9): Dünne Cereen mit dicken Rübenwurzeln und weißen, trichterigen, bestachelten, nächtlichen Blüten und meist rötlichen, länglichen und + bestachelten Früchten. Einige Arten haben eine andere Jugendform. Die Blüten des P. greggii sollen sich in seiner Heimat überwiegend in ein und derselben Nacht öffnen und duften. Ver- breitung: Südliche USA bis Nord-, Mittel- und Südwestmexiko. P. maculatus, P. rosei, P. fosterianus. P. greggii, P. diguetii, P. jobnstonii, P. macdou- gallii Pfeiffera (Illb: 3:4): Kleine halbepiphytische Sträucher mit wenigkantigen, schlanken Trie- ben. Blüten klein, weiß, Fruchtknoten bestachelt. Früchte klein, bestachelt, rosa durch- scheinend. Verbreitung : Im nördlichen und nordöstlichen Argentinien und in Ostbolivien. P. iantbotbele Pbellosperma (Illb: 2:1): Nur eine Art aus den südwestlichen USA (Arizona, Coloradowüste) und Mexiko (nördliches Niederkalifornien). Die Pflanzen werden später länglich und haben Warzen; eine oder alle Mittelstacheln sind gehakt. Die Blüten sind verhältnis- 'mäßig groß, trichterig, bis 4,5 cm lang, purpurn; die Frucht ist rot, die Samen haben einen großen, korkigen Nabel. Wurzelccht halten sich die Pflanzen nicht gut. P. tetrancistra Phyllocactus (siehe unter Pipiphyllum) Pilocantbus (Illb: 2:1): Eine kleine Art aus den USA (Arizona), die, weil im Grase wachsend, nur schwer zu Anden ist und daher erst neuerdings bekannt wurde. Zuerst sind die 219
Abb. 154 Pilocanthus paradinei Abb. 155 Pilosocereus chrysacanthus Stacheln kurz, später werden sie ziemlich lang und feinborstig, fast haarartig. Die wei- ßen Blüten sind radförmig geöffnet und erscheinen etwas scheitelfern. Die Pflanze läßt sich leicht pfropfen und vermehren, denn beim Umpfropfen verbleibende Stümpfe sprossen sehr reichlich. P. paradinei Pilocopiapoa (Illb: 4:1): Eine erst in jüngster Zeit entdeckte, große Polster bildende chile- nische Gattung. Die Blüten sind kurzröhrig, brcitglockig und behaart. P. solaris Pilosocereus (Illb: 1:63): Säulenkakteen mit weiter Verbreitung: Von Mexiko über Guate- mala sowie Westindien, einschließlich Florida und Bahamas sowie Cura^ao, nach Süd- amerika hinunter, bis Nordperu und Mittelbrasilien. Die auch als Pilocereus bezeichnete Gattung wurde eine Zeitlang zu Cephalocereus einbezogen, doch werden keine echten Cephalicn gebildet, sondern nur mehr oder weniger viele bzw. längere Haare aus blüh- baren Areolen; es gibt aber auch Arten ohne solche Haarbildung. Der Artenzusam- menhang der Gattung ist sowohl durch die Kennzeichen der Haarbildung (und sei cs, neben den haarlosen Arten, wenigstens durch + lange Scheitclhaare) wie die kahlen, glockig-trichterigen Blüten gegeben und vor allem durch die meist etwas runzligen, gedrückt-runden Früchte, die innen oft rot gefärbt sind. Die haarlosen Arten haben wenigstens in Blütenform und Frucht die gleichen Kennzeichen. Nur bei einer Spezies finden sich in den Röhrenachscln noch geringe Filzspuren, bei allen anderen ist jegliche Bildung dieser Art völlig reduziert. Bei manchen Spezies ist die Wollhaarbildung in der Blütenregion ziemlich stark und hat wohl deshalb dazu geführt, daß sic zu der ehemali- gen Sammclgattung Cephalocereus einbezogen wurden. Erst die exakte Trennung nach 220
Abb. 156 Pseudolobivia polyancistra Abb. 157 Pterocactus decipiens einheitlichen Merkmalen hat mehr Klarheit in die bestehenden Unterschiede bei den „Cepbalocerei“ gebracht. Arten ohne jegliche Haarbildung: P. pentaedropborus, P. bradei (hellblau) Arten mit Haarbildung am Scheitel oder an den blühbaren Areolen, mehr oder weni- ger lang (zuweilen werden die Stacheln der Blütenregion auch etwas umgcwandclt, d. h., sie sind länger und dünner bzw. elastischer): P. aurisetus, P. gounellii (starkstachlig), P. robinii (anfangs leuchtend blau), P. arra- bidae, P. piaubyensis, P. glaucescens (wie auch der vorige schön blau getönt), P. ca- tingicola, P. glaucocbrous (verhältnismäßig schlank, blau bereift), P. cbrysacanthns (gelbstachlig), P. collinsii (schlanker, dichtstachlig), P. moritsyanus, P. cometes, P. palmeri (starke Wolle in der Blütenregion), P. leucocepbalus (Spitzen und Blüten- zone reichlich bewollt), P. lanuginosus (anfangs hellblau, gelbstachlig), P. royenii, P. alensis (blau und stark wollig), P. nobilis (schlank, wüchsig), P. barbadensis Polaskda (Illb: 1:1): Eine mittelmexikanische, baumförmige Art. Die auffällig kleinen Blüten haben stark abwärts gerichtete weiße Hüllblätter; die Frucht ist stachlig. P. cbichipe Pseudoespostoa (IHb: 1:2): Nicht sehr hohe, gruppenbildende Pflanzen, die von der Basis verzweigen und dicht wattig behaart sind. Das Ccphalium wird, auf den Trieben kurz unterhalb des Scheitelpunktes beginnend, ohne Naht entwickelt. Die trichtcrigcn Blü- ten sind weiß, die Früchte sehr gering behaart; sic reißen seitwärts auf. Die Samen sind (im Gegensatz zlp denen der ähnlichen, aber nicht basal verzweigenden und größeren Gattung PLspostoa mit stumpfen Samen) glänzend. Verbreitung: Pazifische Seite Mittcl- perus und nordwärts. P. melanostele (und Varietäten), P. nana 221
Pseudolobivia (Illb: 3:23): + Breitkugelige bis überwiegend flachrunde Pflanzen aus Boli- vien und Nordargentinien, eine Reduktionsstufe der Tricbocereen, der Blütenform nach ULcbinopsis verwandt, die behaarten Röhren aber schlanker und zum Teil auch viel kürzer (Übergang zu Pobivia), die Rippen nicht selten — wie bei Robivia — beilförmig ge- höckert bzw. geteilt. Die Blüten öffnen teilweise auch am Tage und sind weiß, rosa bis blut- und karminrot sowie gelb gefärbt. Einige Arten entwickeln Hakenstacheln, zum Teil nur als Jugendform, später sind sie gerade, bei anderen bleiben die hakigen Mittel- stacheln unverändert erhalten. P. longispina (und var. nigra), P. ferox, P. potosina, P. ancistropbora, P. polyancistra, P. kratochviliana, P. bamatacantba, P. obrepanda, P. rojasii, P. kermesina, P. carmineo- flora, P. aurea (und Varietäten), P. wilkeae Pseudorbipsalis (III a: 3): Buschig verzweigte Epiphyten mit blattartigcn Langtrieben. Blüten einzeln, mit kurzer Röhre und spreizenden Hüllblättern; Samen schwarz. Eine inter- essante Gattung, aber selten in Kultur. Vorkommen: Mexiko, Kostarika, Jamaika. P. bimantoclada, P. macrantba (3 cm breite, zierlich-blättrig spreizende Blüten) Pseudo^ygocactus (Illa: 1): Seltener brasilianischer Epiphyt mit zygocactus-ähnlichcn Trieb- teilcn. Die Blüten sind nicht größer als die der Rbipsalis und entstehen am Triebende. Die Gattung ist also gleichsam ein Zwischengenus zwischen Rbipsalis und Zygocactus. Heimat: Brasilien. P. epipbylloides Pterocactus (II: 7): Kleine, verzweigende Arten aus dem mittleren und südlicheren Argen- tinien, mit zylindrischen Trieben und großer Rübenwurzel. Die mäßig großen, breit- trichterigen Blüten entstehen im Tricbcnde, so daß dieses die Frucht enthält. Nur wenige in Kultur. P. australis, P. pumilus, P. tuberosus, P. decipiens Pygmaeocereus (Illb: 3:3): Zwcrgige Cereen mit kurzen Stacheln und schlanken, weißen Nachtblüten. Heimat: Südperu. P. bylesianus, P. rowleyanus Pyrrbocactus (Illb: 4:11): Kugelige bis (meistens) verlängerte Pflanzen aus dem westlichen Nord- und Mittel-Argentinien mit überwiegend kräftigerer Bestachelung. Die scheitel- nahen Blüten sind kurzröhrig, + urnenförmig oder etwas glockig-trichterig und an Röhre und Fruchtknoten mit Borsten bedeckt, soweit bekannt. Die Stachelfarben sind weißlich, braun, rötlich oder dunkel. P. strausianus, P. catamarcensis, P. um ade ave, P. setiflorus, P. melanacanthus Quiabentia (II: 5): Strauchigc oder baumförmige Pflanzen aus Ostbolivien, dem argentini- schen Chaco und Nordostbrasilien. Die Zweige sind rund, scharf stechend bestachelt und zur Wachstumszeit mit kräftiger sukkulenten, rippenlosen Blättern versehen. Die großen rosa oder roten Blüten scheinen stets (wie bei Pterocactus) aus dem Triebendc zu entstehen und öffnen radförmig. Die Samen sind, soweit bekannt, dick und glatt. Qu. cbacoensis (häufiger in Kultur) Ratbbunia (Illb: 1:4): Strauchige Pflanzen, die von der mittleren bis zur nördlichen West- küstenregion Mexikos beheimatet sind. Die roten Blüten haben eine etwa 5—~1 cm lange Röhre, mit + geradem oder schrägem Saum. Die Früchte sind, soweit bekannt, rot, mit rotem Fruchtfleisch und glänzendschwarzen Samen. R. alamosensis, R. neosonorensis, R. kerberi Raubocereus (Illb: 3:1): Sperrig verzweigende, hochstrauchige Pflanzen, bis 4m hoch, mit eigentümlich flächig gefelderten Rippen und starken, hellgrauen, anfangs karminroten Stacheln. Die leicht glockig-trichtcrigcn Nachtblüten sind etwa 10 cm lang, weiß, 222
Abb. 158 Rebutia senilis Abb. 159 Reicheocactus pseudoreicheanus schwarz behaart. Die himbeerroten Früchte haben zinnoberrotes Fruchtfleisch; Samen klein, glänzend schwarz. Heimat: Nordperu. R. riosaniensis Kebutia (III b: 4:16): Kleine, meist etwas gedrückt-runde Pflanzen, deren Verbreitungsge- biet von Ostbolivien bis nach Nordargentinien reicht. Die Bestachelung ist feinnadelig, bis fast borstig, gelblich, weiß oder bräunlich. Die zierlich-trichterigen Blüten sind nur klein beschuppt, sonst kahl; sie erscheinen meist ziemlich tief am Pflanzenkörper und gewöhnlich in größerer Zahl. Die Frucht ist klein, dünnwandig und trocknet auf. Auch die Samen sind klein, matt oder glänzend. Anfangs waren nur rote Blütentöne bekannt; später kamen violette bis lilarosa und gelbe Farben hinzu. Eigentümlich ist, daß einige Arten selbstfruchtend, d. h. mit eigenem Pollen bestäubbar (selbstfertil) sind, andere nur mit dem Pollen anderer Individuen Frucht ansetzen (sclbststeril). Bei einigen ist der Griffel unten etwas mit der Röhre verwachsen. Die Arten sind im allgemeinen wur- zelecht gutwüchsig; gepfropft ergeben sie größere Exemplare bzw. Gruppen mit sehr reichem Blütenansatz. Sie sind für den Liebhaber ideale Pflanzen. Rote Blüten: R. minuscula, R. grandiflora, R. chrysacantba (Stacheln leicht gelblich), R. xantho- carpa (mit Varietäten; hat die kleinsten Blüten), R. krain^iana, R. senilis (weiß- borstig oder [die Varietäten] lockerer und kürzer bestachelt, zum Teil auch vio- lettrote oder lilarosa Blüten, wie auch bei R. xantbocarpabp R. violaciflora (bräunliche Stacheln), R. kariusiana (Blüte rosa) Gelbe Blüten: R. senilis nm. kesselringiana und var. sieperdaiana, R. marsoneri ^eicheocactus (Illb: 4:3): Kleinere bis mäßig große Pflanzen, teils mit winzigen, teils größeren Höckern und feineren oder größeren Stacheln. Die Blüten sind hell- bis kräftig-gelb, kurztrichtcrig und ziemlich stark behaart, jedoch völlig borstenlos. Die Heimat war bis- her lange unbekannt, doch stammen die neueren Funde aus Chile. Der Typus der Gat- tung (R. pseudoreicheanus'} wurde nicht selten mit der ähnlichen Neocbilenia reicbei ver- wechselt, die aber Borsten an den Blüten hat. R. pseudoreicheanus, R. neoreichei, 1k. florihundus 223
Rbipsalidopsis (III a: 1): Zweigestaltige kleine Epiphyten aus Brasilien. Zuerst entsteht ein winziger Strauch mit fast rundlichen, 4—5kantigen kleinen Trieben, an den Kanten zart gelblichweiß bestachelt, dann flachen die Triebe ab und bilden flachkculige Glie- der mit breiten Endareolcn, aus denen die Neutriebe und kleinen rosa Trichterblüten entstehen. Es scheint auch Formen mit dunklergrünen und oft an den Kanten rot über- laufenen Trieben zu geben. Nach der Abflachung entstehen mitunter auch Erhebungen wie eine seichte dritte Kante. Der Gliedform und dem Blütenursprung nach steht die Gattung Zygocactus nahe, ist aber durch die regelmäßigen Blüten und die Zweigestaltig- keit unterschieden, auch von Ppiphyllopsis, mit der sie Borsten und regelmäßige Blüten in den Endareolen gemeinsam hat, aber die Borsten viel kürzer, hell und spreizender. Die Varietät ist sch wach wüchsig. R. rosea (und var. remanens} Rbipsalis (Illa: 62): Auf Bäumen, Felsen oder an der Stammrinde lebende Epiphyten, häufig auch in feuchteren Gebieten, einige jedoch in mehr trockenen, gewöhnlich sehr reich verzweigt und hängend. Die Blüten entstehen nicht endständig, höchstens + gipfelnah; sie sind weiß, grünlichweiß, gelblich oder rosa bzw. rötlichpurpurn. Die brcitblättrigen Arten können zum Teil bis 7 Blüten gleichzeitig aus einer Areole bilden. Die Früchte sind kleine, runde Beeren in verschiedenen Farben, von weiß über rot bis fast schwarz, zum Teil auch goldgelb. Die Verbreitung reicht weit: von Florida her über Mittel- amerika und Westindien nach Südamerika hinab, bis Nordperu, Ostbolivien und in Argentinien mehr im Osten bis zum Staate Buenos Aires sowie in Ostbrasilien. Man unterscheidet vier Untergattungen, nach der Triebgcstalt: Mit ganz runden Trieben, diese kräftiger bis sehr dünn, borstenlos: R. mesembryantbemoides, R. cereuscula (beide Arten dicht verzweigt), R. clavata, R. capilliformis (sehr dünn), R. penduliflora (dünn), R. cassutba (sehr lang werdend), R. teres, R. badrosoma, R. minutiflora (sehr kleine Blüten) Rundtriebig, stets mit Borsten: R. aculeata, R. lumbricoides Mit gekanteten, aber nicht blattflachen Trieben: R. pentaptera, R. micrantba, R. tondu^ii, R. triangularis Mit flachen, blattartigen Trieben: R. boulletiana, R. warmingiana, R. gonocarpa, R. rbombea, R. angustissima, R. ramulosa, R. purpusii, R. elliptica, R. loren^iana, R. goebeliana, R. robusta, R. paebyptera (diese und die vorige mit breiten, welligen Blatttriebcn, die der letzteren Art rot über- laufen), R. ob longa, R. crispata, R. crispimarginata Einige in der Alten Welt (südliches Afrika, Madagaskar bis Ceylon) vorkommende Arten sind etwas von den neuweltlichen unterschieden. Rhodocactus (I: 16): Blättcrbildende Arten, denen von Peireskia gleichend, aber mit unter- ständigem Fruchtknoten. Heimat: Tropisches Amerika. R. bleo, R. grandifolius, R. saebarosa, R. antonianus Ritterocereus (Illb: 1:9—13): Meist großstrauchigc bis baumförmige Säulenkakteen, zum Teil auffällig bereift. Die Blüten sind nächtlich, trichterig, weiß bis rosa; Röhre und Frucht- knoten rcichschuppig, aber nur mit wenig Filz; die Früchte sind oft rot bei der Reife, mit Stacheln besetzt, die zuletzt abfallen. Einige Arten sind den Blüten nach noch nicht genau bekannt, weswegen die Angabe der Artenzahl ,,9—13“ lautet. Die Verbreitung der Gattung reicht von Mexiko über Westindicn und CuraQao bis zur Küste des nörd- lichen Südamerika. 224
Abb. 160 RJripsalis boulletiana Abb. 161 Bätterocerens laevigatus R. bystrix, R. laevigatus, R. eicblamii, R. deficiens, R. griseus, R. pruinosus, R. montanus, R. martine^ii (die südamerikanischen Arten R. griseus und R. deficiens sind schwie- riger in der Kultur und lieben warmen Winterstand) Rooks bya (IHb: 1:1): Typisch einzelne hell- bis bläulichgrüne Säulen mit entweder wenigen schwarzen oder zahlreichen braunen Stacheln, im letzteren Falle elastischer. Die + schlanktrichtcrigcn Blüten erscheinen später zahlreich; sic sind an der Röhre kahl, am Fruchtknoten werden Fast borstendünne Stacheln gebildet. An der länglichen Frucht nimmt die Stachelbildung zu. Die nachts blühenden Pflanzen sind in Nordostmexiko (vielleicht auch im südwestlichen Trockengebict dieses Landes), in dichtem Busch, be- heimatet; sie wachsen in der Kultur gut. R. eupborbioides (und var. olfiersii) Roseocactus (IHb: 2:4): Bis auf Bodenhöhe cingcscnkt wachsende Kugclkaktccn mit dickem Rübenkörper und sehr einheitlichen (wenn auch verschieden großen) Warzen: sie sind dreikantig bis etwas rhombisch, bei drei Arten größer, bei einer kleiner, alle mit wolligen Furchcnarcolen in der Mitte. Die Blüten entstehen im Scheitel, sind ansehnlich, weiß, rosa und purpurn gefärbt. Die Verbreitung reicht von den USA (Westtexas) bis zum mexikanischen Staat San Luis Potosi hinab. R. fissuratus, R. lloydii, R. intermedius, R. kotseboubeyanus (und Varietäten) Roseocereus (Illb: 1): Hochstrauchige Pflanzen aus dem mittleren Ostbolivicn, weißstachlig. Die schönen, großen Trichterblüten sind weiß, nach unten zu stärker weiß behaart, die Früchte starkhöckrig. R. tepbracantbus 15 Backcbcrg, Wunder weit, 4. A. 225
Sclerocactus (III b: 2:6): Kugelige bis kurzzylindrischc Pflanzen aus den südlichen Vereinig- ten Staaten, mit weißlichen, rosa oder purpurnen Blüten. Die Mittclstachcln sind oft + abgeflacht, einige oder alle gehakt, seltener nur gebogen. Die meist länglichen Früchte sind, soweit bekannt, grünrosa bis rot, beschuppt und mit Filzbildung; sie öffnen am Grunde. Die verhältnismäßig großen Samen sind matt schwarz oder braun. Nicht alle sind leicht in der Kultur zu halten, sie sollten zumindest gepfropft werden. wbipplei, S. polyancistrus, S. parviflorus, S. franklinii Selenicereus (Illa: 24): Luftwurzeln bildende, sehr schlanke, wenig gerippte und manchmal fast runde, rankende bis anlehnendc, vielverzweigtc Säulenkakteen der mehr tropisch- subtropischen Region. Die Verbreitung reicht von Südtexas über Ostmexiko, Mittcl- amerika und Westindicn bis zur Nordküste von Südamerika. Die großen, weißen Blüten erscheinen oft gern und nicht selten in größerer Zahl. Röhre und Frucht sind + bc- stachelt. S. grandiflorus (und Varietäten), ballensis, S. coniflorus, S. brevispinus, S. pterantbusy S. kuntbianus, S. vaupelii, S. boeckmannii, S. macdonaldiae, S. bamatus, S. vagans, S. spinulosus, S. inermis, S. nelsomi Seticereus (Illb: 3:4): Gruppenbildende, später viclvcrzwcigte, halb liegende oder aufrccht- strauchige Säulenkakteen Nordperus und Südekuadors. Mit zunehmendem Alter bzw. beginnender Blühfähigkeit bilden die oberen Areolen längere Borsten aus, die zuletzt das Triebende völlig umhüllen. Daraus entstehen die roten oder hcllorangegclbcn Blü- ten in oft reicher Zahl. Die Röhre ist zylindrisch und etwas zusammengedrückt, der Blütensaum leicht schräg und wenig breit. Die zum Teil bis fast apfelgroß werdenden gelbgrüncn, runden Früchte tragen nur wenige Haare. Meist fehlen längere Mittcl- stacheln; die Bestachclung ist grau, goldgelb oder fuchsbraun. Sehr willige Wachscr und mit die schönsten und dankbarsten Ccrccn. + Liegend: S. icosagonus (gelbstachlig), S. humboldtii (fuchsbraun bestachelt; die Blüten mehr karmin, wie auch die Staubfäden). Aufrecht-strauchig: S. roe^lii (reich blühend), S. cblorocarpus Setiechinopsis (Illb: 3:1): Kleine, zylindrische Verwandte der Gattung Echinopsis, mit stark duftenden Nachtblüten, die eine lange, dünne Röhre und einen schmalblättrigen, breit und locker geöffneten Blütensaum haben. Der Griffel ist kürzer, als die Staubgefäße angeordnet sind; da die Pflanze selbstfertil ist, setzt sie daher leicht Früchte an. Diese sind fast trocken, spindelförmig, die Schuppen, wie auch am Fruchtknoten, oft borstig dünn ausgezogen. Nordostargentinien. 5*. mirabilis. Die Art wird am besten gepfropft, weil sic dann schneller wächst und reicher blüht Soebrensia (Illb: 4:7): Großkugclige (zuweilen Gruppen bildende) bis längliche und zum Teil dicksäulige Arten Nordargentiniens und des nordwestlichen Mittelargentinicns. Die hochstehenden Blüten sind starktrichterig, mittelgroß, tiefrot, heller- bis orange- gelb oder goldgelb. Der oft derbe Griffel trägt meist längere Narben. Die Röhre ist nur behaart. Die Bestachclung ist bei einigen Arten in den Farben variabel: von weiß über gelblich bis rot. Die kugeligen Früchte sind behaart. S. bruebii (kugelig), S. koretbroides (,,Kegelkugeln“, reicher sprossend), S. oreo- pepon, S.grandis, S. smnpana, S.formosa (und Varietäten) 226
Abb. 162 Selenicereus brevispinus in Blüte Abb. 163 Soehrensia korethroides Solisia (Illb: 2:1): Kleine, stets einzeln wachsende Kugelkakteen Mexikos, mit weißen, an- liegenden Stacheln, der Körper mit Milchsaft. Die größeren rosa Blüten entstehen seit- lich — nicht oben im Kranz, wie bei den verwandten Mamillarien —; die Früchte ver- bleiben, wie bei letzteren, bis zur Reife im Körper und werden dann hervorgeschoben. Wurzelecht ist die Art heikel, gepfropft wächst sie gut und ist dann auch leichter zu vermehren. Die Pflanzen wurden früher in großen Mengen eingeführt, sind aber wegen der Schwierigkeit, sic wurzclccht zu halten, meist bald wieder verschwunden. pectinata Stenocereus (III b: 1:2): Größere, verzweigende mexikanische Säulenkakteen mit kräftigen Trieben und nicht sehr langen Stacheln. Die Blüten entstehen um den Scheitel im Kranz, ziemlich zahlreich; sie sind spärlich beborstet, nächtlich, Röhre und äußere Blütcn- blätter rosa, innere weißlich. Da die äußeren Blütcnblätter länger auswärts gebogen sind, als die nächtliche Hochblüte dauert, hielt man die Pflanzen früher für Tagblüher mit rosa Blüten. Die kugeligen roten Früchte sind bestachelt. S. stellatus, S. treleasii Stepbanocereus (IIIbK: 1:1): Ein strauchiger Säulenkaktus aus dem Inneren Nordostbrasiliens, weiß bestachelt. Die etwas gebogenen, weißen, glockig-trichterigen Blüten sind nachts geöffnet. Das besondere Merkmal der Gattung sind die scheitelständigcn Borstenccpha- licn, die durchwachsen werden (und zum Teil noch unterhalb des jüngsten Schopfes 227 15*
blühbar bleiben sollen). Die großbccrige Frucht ist länglich, kahl und bläulichgrün, bereift. Zuweilen scheinen die Früchte auch rundlich zu sein. 3’. leucostele Stetsonia (Illb: 3:1): Ein großer Kaktccnbaum der argentinischen Pampas im Mittelwcstcn. Die Triebe sind leicht gebogen, anfangs schön bläulich. Die jüngeren Stacheln haben über den größten Teil ihrer Länge eine schwärzliche Färbung, später werden sic grau. Die schlanken, größeren Trichterblüten sind weiß, kahl, zum Fruchtknoten hin und an diesem dicht beschuppt. Alte Importtriebe bringen mitunter in den Sammlungen ihre Blüten hervor, die man sonst nur an den dickstämmigen alten Pflanzen sicht. S. coryne Strombocactus (Illb: 2:1): Flache bis kreiselförmige Einzelpflanzen, blau- bis graugrün, mit eigentümlichen, wie deformiert wirkenden rhombischen Warzenhöckern, diese oft oben wie abgestorben erscheinend, mit nur wenigen, borstenartigen Stacheln. Die Blüten werden bis 4 cm breit, entstehen im Scheitel und sind weiß bis schwach gelblich. Die trockene Frucht ist schmutzig braun, die Samen sind rotbraun und äußerst fein. Die Pflanze wächst bei vorsichtiger Behandlung auch wurzclccht, was vorzuzichen ist, da sie bei Pfropfung ihr eigentümliches Aussehen verliert und zu mastig-grün wirkt. Heimat: Mexiko. L. disciformis Stropbocactus (Illa: 1): Eine seltsame Pflanze aus Innerbrasilicn (Wälder bei Manaos). Die Triebe sind breit und flach und liegen den Stämmen hautartig an, die bcstacheltcn Areolen befinden sich am Rande. Die ziemlich langröhrigcn Blüten sind dünn bcstachclt und haben eine flach ausgebreitctc Hülle. Die Frucht ist ebenfalls bcstachclt. S. wittii Suhmatucana (Illb: 3:9): Kugelige Pflanzen aus dem mittleren Hochperu. Sie unterscheiden sich von der Gattung Matucana durch deutlich rundhöckrigc Rippen, festere Bcstachc- lung, diese auch offener, und + behaarte Blüten, die in Form und Farbe denen von Matucana ähneln. S. aurantiaca, S. currundayensis, S. ritteri, S. paucicostata Subpilocereus (Illb: 1:7): Baumförmige Säulenkakteen aus dem nördlichen Südamerika sowie von den Inseln Grenada, Margarita und CuraQao. Die mäßig großen, weißen Blüten sind kahl und haben an der Röhre eine Einengung. Die länglichen, dickwandigen Früchte enthalten größere, mattschwarzc Samen. S. repandus, S. russelianus (S. repandus wurde früher Pilocereus albispinus genannt, da die Areolen kurze Haarflocken bei allen Arten haben. Diese Spezies befindet sich öfter in Kultur) Sulcorebutia (Illb: 4:17): Gruppenbildende kleine Pflanzen mit einer gemeinsamen Rübcn- wurzel. Die Höcker tragen schmallange Areolen, die oben einen kleinen Furchenfort- satz haben. Die Blüten ähneln denen von Pebutia, sind ebenfalls sehr schlanktrichtcrig und kahl, rot oder gelb. Den Stachelbündeln fehlen zuerst, zumindest in der Kultur anfangs, die typischen längeren, sehr steifen Mittelstacheln, durch die sich die Gattung ebenso von Pebutia unterscheidet wie durch die alle Körper verbindende rübige Haupt- wurzcl. Heimat: Bolivien. 5*. steinbachii (blüht sowohl purpurn wie scharlachfarbcn), S. tiraquensis, S. glomeri- spina, S. menesesii, S. kruegeri, S. candiae, S. tarabucensis und andere Tacinga (II: 2): Ein merkwürdiger Klettcrstrauch des trockenen Nordostbrasilien. Die Zweige sind völlig rund bis fingerdick, anlchnend oder überbiegend; später nimmt die 228
Pflanze strauchigc Gestalt an. Die Glochidcn fallen bei Berührung in Schauern ab. o o Stacheln sind nicht vorhanden, doch bildet die Pflanze am wüchsigen Jungtrieb bis über 1 cm lange, sticlrundc Blättchen, die später abfallcn. Die zylindrischen Blüten ha- ben nur wenige, nach außen umgebogcnc Blütcnblättcr, zwischen diesen und den auf- gerichtet um den Griffel zusammengeneigten Staubfäden erscheinen Haare. Die Blüten- farbe ist grünlich, rötlichgrün oder purpurn. Wurzclccht wächst die Art bei uns nicht, auf Opuntia gepfropft jedoch ausgezeichnet und blüht dann sogar als Topfpflanze. T. funalis, T. ^ehntneri Tephrocactus (II: 80): + Zylindrische bis (überwiegend) kugelige Glieder bildende Gruppen- pflanzen, die von Mittclpcru bis in das nördlichere Chile, Bolivien und westliche Ar- gentinien, hier bis zur Magalhäcsstraßc hinab, verbreitet sind. Unter den kurzzylindri- schen Formen gibt cs + dicht weiß oder gelblich behaarte Arten. Die zylindrische Form ist Voraussetzung für die Bildung der oft hochkugeligen Polster, auch ist in sol- chen Arten bei Tephrocactus der Übergang zu dem Genus Austrocylindropuntia zu suchen, bei der sich teilweise tephrocactoide Formen finden, die in der Kultur jedoch sehr lang und dünn werden und meist viel längere Blätter bilden. Kommt so hier der eigentliche cylindropuntioide Charakter zur Ausbildung, werden längliche Tephrocactus nur bei mangelndem Licht etwas länger, während alle übrigen stets ihre Form behalten, auch unter ungünstigeren Umständen. Die Blüten ähneln normalen Opz/zz/zzz-Blüten, ebenso die kleineren Früchte. Die harten Samen sind meist + kugelig; sie keimen schlecht, doch soll dies durch vor der Aussaat längeres Aufweichen in kaltem Wasser vermieden werden können. Abb. 164 Tephrocactus rauhii 229
Länglich-tricbigc Arten : T. floccosiis (und Varietäten, weiß behaart), T. verticosns (weiß kräusclig behaart), T. lagopus (gelblich pinsclig behaart), T. raubii (behaart, einem kleinen Oreocereus ähnelnd), T. crinitus (kleinerköpfige, kräuselig behaarte Pflanzen), T. nigrispinns (purpurn-schwärzlichgrün), T. atroviridis, T. weben (und Varietäten, zum Teil lang-borstigstachlig), T. crassicylindricus (dicke, längliche Kugeln) Rundtricbigc Arten: T. articulatus (unbestachelt; die Varietäten tragen einzelne bis mehrere schmälere oder breitere Papierstacheln oder auch derbere, eine tannenzapfenähnliche Varietät ohne Stacheln), T. platyacantbus (Papicrstachcln), T. glomeratus (schmale, gebogene Flachstachcln), T. alexanderi, T. kuebnriebianus, T. sphaericus, T. corotilla (einzige Art mit anfangs weißlichen, dann rosa Blüten), T. dimorpbus, T. mirus, T. pentlandii (winzige Gruppen), T. bolivianus (große Gruppen), T. dactyliferus (graugrün), T. ful- vicomus, T. ^ehnderi, T. ignescens, T. minor, T. subinermis Sehr kleinkugcligc bzw. -körprige Pflanzen: T. conoideus, T. subterraneus, T. mandragora, T. minusculus Tbelocactns (Illb: 2:19): Kugelige Pflanzen mit deutlichen Höckern, länglichen Areolen und ansehnlichen, beschuppten Blüten, deren Hüllblätter weiß, gelb bis rot bzw. purpurn, mit Zwischentönen, sind. Die Bestachclung ist meist derber, zum Teil bunt (weiß, gelb, rot) oder asbestartig aufgerauht, zum Teil pfriemlich, auch braun. Eine Art hat abge- flachte, längere, sehr elastische Mittelstacheln. Die weißen bis roten Blüten und be- schuppten Früchte sind kahl. Die Verbreitung reicht von den USA (Texas) nach Mexiko hinein, wo die Südgrenze in der Linie Mexiko DF.—Quer6taro liegt. T. bexaedrophorus, T. heteroebromus (rotbunte Stacheln), T. rinconensis, T. lopbotbele, T. pbymatotbele, T. bueckii, T. tulensis, T. nidiilans, T. krain^ianus, T. bicolor, T. w eig- ne rianus, T. flavidispinus, T. bastifer, T. sebwar^ii, T. leucacantbus, T. ebrenbergii (alle in Kultur) Tbrixantbocereus (Illb: 1:3): Meist unverzweigte, schlanksäulige und höchstens bis manns- hohe Pflanzen mit feinnadeliger Bestachclung. Am Fuß tragen jüngere Pflanzen einen größeren Borstenring. Blühbare Exemplare haben ein Scitcncephalium aus grauer oder braunroter Wolle, mit Borsten durchsetzt. Die trichtcrigcn Blüten sind weiß und be- haart. Die behaarten Früchte reißen der Länge nach auf und haben größere braune und weiche Samen oder kleinere schwarze, härtere. Die beiden erwähnten Arten unterschei- den sich dadurch, daß die eine schwärzliche Mittclstachcln hat, die andere ist dicht, feiner und rein weiß bcstachclt, zuweilen mit + verlängerten und derberen Mittcl- stacheln. Heimat: Nordperu. T. blossfeldiorum (mit schwarzen Stacheln), T. senilis (weißstachlig, höchstens etwas dunkle Stachelspitzen, zum Teil mit + längeren Mittclstachcln) Tonmeya (Illb: 2:1): Kleine Pflanzen mit bastartigen Stacheln, winzigen Warzen und im Scheitel entstehenden weißen Blüten. Die Bestachclung ist einzigartig. Die braunrote (wenn reif) Frucht trocknet papierartig auf und öffnet mit Längsrissen. Die ziemlich großen Samen sind schwarz. Heimat: USA (Nordwest-Ncumexiko). T. papyracantba Tricbocereus (Illb: 3:47): Eine Gattung baumförmiger bis strauchigcr, größerer Säulen- kakteen mit weißen, großen und behaarten Trichterblüten (nur bei einer Art sind die Blütenblätter leicht rosa getönt). Die Stacheln sind meist kräftig, dunkel bis weißgrau. Die Triebe bilden zuweilen einen blauen Reif. Die Gattung ist neuerdings in zwei Untergattungen aufgctcilt worden: 230
Abb. 165 Thelocactus ebrenbergii 23 I
Abb. 166 Tbrixantbocereus blossfeldio rum Abb. 167 Toumeya papyracantba 1. andinc Pflanzen mit längeren Blüten, 2. chilenische Arten mit kürzeren und mehrere Tage offenen Blüten. Die Früchte der Trichocereus-hxxexx sind gewöhnlich ziemlich dickwandig, grün und behaart. Die Verbreitung der Gattung erstreckt sich von Ekuador über Peru und Boli- vien bis zum südlichen Mittelargcntinicn und Mittelchilc hinunter in auffällig großer Höhendifferenz, und zwar von fast Mccrcshöhc bis über 3000 m. Mit im allgemeinen größeren bzw. längeren Blüten, nicht mehrere Tage durchgehend geöffnet: T. terscbeck.ii, T. validus, T. iverdermanmaniis, T. tbelegonoides, T. peruvianus, T. cbalaensis T. taquimbalensis, T. knutbianus, T. paebanoi (fast stachcllos, eine der besten Pfropf- untcrlagcn, weil er nicht verholzt und nicht ausgesogen wird, auch gern durch Sprossen Nachwuchs liefert), T. macrogonus, T. bridgesii, T. cu^coensis, T. vollianus, T. spaebianus, T. shaferi, T. manguinii, T. scbickendantsji, T. neolamprochloriis, T. candi- cans (und Varietäten), T. purpureopilosus, T. strigosus (bunt fcinnadclig), T. tbele- gonus (mit gefelderten Rippen). Fast alle Arten sind in Kultur. Mit kürzeren, soweit bekannt mehrere Tage durchgehend offenen Blüten (nur aus Chile): T. cbilensis, T. litoralis, T. sk.ottsbergii, T. coquimbanus, T. nigripilis Turbinicarpus (Illb: 2:9): Kleine, meist einzeln wachsende Kugelkaktecn aus Nord- bis Mittclmcxiko. Die Rippen sind stark in warzige Höcker aufgelöst. Die Stacheln fallen später ab und sind anfangs weich, nicht stechend, zum Teil etwas verbreitert. Die ver- hältnismäßig ansehnlichen weißen oder rosa Blüten entstehen im Scheitel, die Narben sind oft rosa. Die kugeligen, beerenartigen Früchte sind völlig nackt und platzen durch Querreißen. Eine sehr geschlossene Artengruppe, die auch wurzclccht gut wächst, gc- 232
Abb. 168 Tricbocerens validus Abb. 169 Turbinicarpus polaskii
pfropft aber schneller, und dann blühen die Pflanzen auch leichter. Nach allen Merk- malen sollten sic nicht — wie cs hier und da geschieht — mit Toumeya verbunden werden, die andere Blüten- und Fruchtmerkmalc hat, wurzclecht gezogen auch empfindlich ist. Sehr zu empfehlende, dankbare Blühcr. 'Samen schwarz. T. macrocbele, T. polaskii, T. lopbopboroides, T. scbmiedickeanus, T. scbivar^ii, T. k.lin- kerianus, T. pseudomacrocbele (mit steifhaarigen Stacheln). Alle sind in Kultur. Utabia (Illb: 2:1): Wohl nur gelegentlich in Kultur, da sehr empfindlich. Die Art wird hier aber aufgeführt, da sic interessant ist, weil sie vorwiegend in Gips wächst, eine kräftige, + weißliche Bestachelung hat und Blüten mit gefransten äußeren und ganzrandigen gelblichen inneren Blütenblättern. Die grüne Frucht öffnet durch Längsrisse. Die ver- hältnismäßig großen Samen sind dunkel rotbraun. Verbreitung: USA (nur aus Nord- arizona und [?] Süd-Utah). U. sileri Vatricania (Illb: 1:1): Von unten verzweigende, kräftig-triebige Säulenkakteen aus dem zentralen Ostbolivicn. Bei Eintreten der Blühreife bildet die Art längere Borstenstacheln aus sowie ein heller bis dunkler gelbliches bzw. auch rötlichbraun gefärbtes Cephalium aus spreizenden steiferen Haaren und Wolle bzw. mit Borsten. Im Alter formen sich die gelben Stacheln (die mittleren meist dunkler) zu einer das Triebende umfassenden dichten und langborstigcn Haube um. Die nächtlichen Blüten sind dicht mit Haaren besetzt, unten zylindrisch, erweitern nach oben zu und öffnen im Hochstand mit um- biegenden, verhältnismäßig kurzen und spitzlichen Blütenblättern. Man hat neuerdings versucht, die Gattung mit der in sämtlichen Merkmalen abweichenden ULspostoa zu ver- einigen, was ganz abwegig ist; sie scheint ein Relikt der früher zweifellos mehr zusam- menhängenden „Cepbalocerei“ - Verbreitung zu sein und ist nicht nur dem abgelegenen Standort nach, sondern in allen Kennzeichen einzigartig. K. guentberi Weberbaiierocereus (Illb: 3:10): Die Pflanzen wachsen entweder hochkandclabrig, im unteren Teil sprossend, oder sind von unten her verzweigende Sträucher bis zu größerer Breite. Die Stacheln sind weißlich bis bräunlich, meist gelblich, feiner oder sehr wild (die mitt- leren). Die Blüten entstehen unterhalb des Scheitels, mit dichtstehenden Schuppen, in den Achseln kürzere Haare. Die Blütenöffnung ist cngtrichterig, entweder regelmäßig oder schiefsaumig, die Röhre dann bis s-förmig gebogen, die Hülle rot, sonst weiß bis bräunlich; die äußeren Blütcnblättcr sind meist stärker nach unten umgebogen. Die mäßig großen, wenig behaarten Früchte tragen viele Schüppchen. Die kleinen Samen sind schwarz. Zuweilen sehen Jugend- und Altersformcn sehr verschieden aus bzw. sind die Stacheln der Blütenregion viel feiner, kürzer und dichter. Eine sehr interessante Gattung zwischen den Sippen „Tricbocerei“ (mit trichterigen Nachtblüten) und ,,Lo- xantbocerei“ (den tagsoffenen sogenannten kolibriblütigen Cerccn mit enger Blüten- öffnung und oft stärker gebogenen Röhren). Die Verbreitung scheint nur auf Peru be- schränkt zu sein. W. raiibii, W. weberbaueri, W\ seyboldianus (rote Blüte), W. borridispinus (sehr stark bestachelt), W. winteriamis, W. albus Weberocereus (Illa: 4): Schlanke, kantige bzw. wenigrippige Epiphyten, nur verhältnismäßig kurz bestachelt, zum Teil sogar rund und undeutlich gerippt, die Blüten nicht sehr groß, nächtlich, rosa, am Fruchtknoten steifborstig, die Frucht behaart. Heimat: Kostarika und Panama. W. tunilla, W. biolleyi (rundlich) 234
Abb. 170 Weberocereus tunilla Abb. 171 Weingar tia neumanniana Weingartia (Hlb: 4:18): Anfangs kugelige, später teilweise + stark sich verlängernde Arten aus dem südlichen bis mittclöstlichen Bolivien, Nordargentinicn und vielleicht auch aus dem benachbarten Hochchilc. Die Stacheln sind meist nur nadclförmig, oft dichtste- hcnd und gebogen, zuweilen auch steifer. Die Arten haben z. T. Halsrübenwurzeln, wie sic auch bei anderen Gattungen mitunter auftreten. Die Arten, deren Standort be- kannt ist, blühen gelb bis orange oder rotorangc, eine Art (Herkunft?) purpurn. Einige Spezies blühen mehr zum Scheitel hin, andere auch stärker seitlich hinab und mitunter mit mehreren Blüten gleichzeitig aus einer Areole. Die Blüten sind verhältnismäßig klcin- trichtcrig, kurzröhrig und kahl, die Früchte klein und mit nur geringer Samenzahl. Die Samen sind schwarz. W. fidaiana, W. neumanniana (die kleinste Art), W. neocumingii, W. bediniana, W. vil- cayensis, W. ambigua (die einzige purpurn blühende Spezies, der Standort verschol- len, nur wenig in Kultur, im Gegensatz zu allen anderen). Neuerdings wurde noch eine der kleineren neumanniana ähnelnde Art cingeführt, mit derberen Höckern, als sic sonst entwickelt werden (iU. ambigua hat dagegen wellige, durchlaufende Rippen, ähnlich wie ein Ücbinofossulocactusy, deren Blüte ist rötlich. Siehe auch unter Neowerdermannia. : siche unter „Malacocarpus“. Wilcoxia (Illb: 1:8): Kleine Sträucher mit knolligen Wurzeln. Die Triebe sind dünn, kurz und anliegend bestachelt, die Epidermis mitunter papillös, oder behaart. Die mäßig großen Trichterblüten sind weiß, rot oder purpurrosa, behaart und überwiegend am Tage offen. Die wohl stets roten, + rundlichen Früchte sind zum Teil eßbar, fcinstach- lig und + wollig. Die Samen sind glänzend schwarz. Heimat: USA (Texas) bis Mittcl- mexiko und Niederkalifornien. W\ viperina, W. poselgeri, W. tamaulipensis (mittlere Stacheln schwarz), W. albiflora, striata, W. scbmollii (behaart), W. papillosa (wohl alle in Kultur) 235
Abb. 172 Wilcoxia scbmollii Zehntnerella (Illb: 1:1): Eine nur selten in den Kulturen auftauchcndc Art aus Nordostbrasi- licn, baumförmig, zuweilen mit kürzerem Stamm, die Äste schlank zulaufend. Die Blü- ten sind klein, nur 4 cm lang, im Inneren mit einem Haarring, die Blütcnblättcr winzig und weiß. Die kleine kugelige Frucht enthält sehr kleine, höckrigrauhc Samen von bräunlicher bis schwärzlicher Farbe. Z. squamulosa (Anscheinend gibt cs noch eine zweite ähnliche Art) Tygocactus (Illa: 1): Eine cpiphytischc Gattung aus Brasilien mit kurzen, aufeinandersitzen- den, blattdünncn und seitlich + stark gczähncltqn Gliedern. (Früher nannte man sic „YLpipbyllum“, doch kann dieser Name nur für die sogenannten „Pbyllokakteen“ oder ,,Blattkakteen“ verwandt werden, weil die erste beschriebene Art dazu gehörte). Die Artcnzahl ist umstritten, da die Triebform und Blütenfarbc recht variabel ist, die Blütcn- blätter von weiß über rosa bis zinnober und purpurn getönt, mitunter der Schlund und die zwischen den zweistufigen Blütenblättern befindliche glatte Röhre auch weiß. Die weißlichen Blüten sind nur bei schattigem Stand farblos, sonst zart rosa. Es gibt eine große Zahl von Formen, nach der verschiedenen Blütenfarbc und Triebgestalt bzw. -zähnelung, darunter zweifellos auch Bastarde. Die Früchte sind klein und rundlich. Z. truncatus (die weißblühende Form auch als Z. delicatus, die zinnobcrfarbcnc und weißröhrige als Z. altensteinii\ purpurn blühende gibt es mehrere, meist mit Gar- tennamen): Es gibt wurzelecht gut wachsende und ebenso empfindlichere Formen oder Rassen, die dann gepfropft werden. Zu sehr getriebene Pflanzen werfen bei Standwechsel leicht Triebe und Knospen ab. Hart kultivierte Stücke, die gut im Sommer an halbschattigem Stand im Freien aushalten, blühen oft reicher und werfen auch nicht ab. 236
Abb. 173 Tygocactus truncatus, seltene seitenblütige Form Epipbyllum- bzw. Phyllocactus- oder „Blattkaktus“-Bastarde gibt es in großer Zahl; manche haben überhaupt keine Eltcrteilc mit flachen Trieben, andere sind empfindlich oder neigen zu Fleckenbildung. Neuerdings ist die „Phyllokaktccnzucht“ in Europa — nicht in den Vereinigten Staaten — stark zurückgegangen, wohl nicht zu- letzt deswegen, weil die vielen neuen Kaktccnfundc, die starke Anzucht von Sämlingspflanzcn dieser und älterer Arten, die keine so großen Platzansprüche stellen, die Nachfrage nach den sperrigen Hybriden zurückgehen ließen. Man bemüht sich gegenwärtig in England, die Stammesgeschichtc der Bastarde zu klären und sic, wie überhaupt die sogenannten „Phyllohybridcn“, wieder populärer zu machen. Da aber Anzucht und Kultur sowie Auslese große Ansprüche an den Züchter und seine Platzvcrhältnissc stellen, eine gute Durchzüchtung auch längere Zeit in Anspruch nimmt, man überdies nicht alle Hybriden gleich behandeln kann, werden sich für sic wohl immer nur wenige interessieren, die über entsprechende Unterbringungsverhältnisse verfügen. Phyllo- kakteenfreunde werden in den Handbüchern Angaben über lohnende Arten finden. Das obige Verzeichnis der interessantesten und schönsten Kakteen ist zugleich eine Monographie des Wichtigsten, was man von ihnen wissen sollte. Zu der Auswahl der für die Kultur empfehlenswerten Arten wird vielleicht mancher Sammler sagen: sie ist für den mir zur Verfügung stehenden Platz zu umfangreich. Es gilt hierbei aber zu bedenken, daß eine Auslese reichlich bemessen sein muß, weil die Interessen der Kak- teenfreunde sehr vielseitig sind. Der eine liebt buntfarbige Säulen, der andere nur Kugelgestalten oder allein seltene und eigentümliche Gattungen, der dritte wünscht sich von allen ungewöhnlichen Formen einige Stücke, wieder andere sind Freunde eines ästhetisch wechselvollen Gesamtbildes, in Gestalt und Farbe. Und was die Na- men anbetrifft, so sei für den, der sich an Nomenklaturfragen stößt, noch einmal an 237
die Notwendigkeit auch der größeren Gattungszahl erinnert, denn systematische Glie- derungen sind nun einmal zur Klärung, nicht zur Verschleierung dessen da, worin sich die Artgruppen voneinander unterscheiden. Für gewissenhafte Sammler ist die Namensfrage also nicht unwichtig, und alle anderen mögen sie als notwendiges Übel betrachten. Im übrigen sagt Matthias Turb in seinem weiter vorn bereits zitierten Büchlein mit gelassenem Pessimismus: „Kritik geht unter, leibliche Geschlechter er- löschen, Systeme wechseln . . .“ Solange sie aber bestehen, müssen wir uns jedoch schon der Ordnung wegen an sie halten. Dabei hätte ich um ein Haar jene vergessen, die kein Kaktus interessiert, wenn er in fremden Sammlungen besser aussieht oder in seiner eigenen nicht schleunigst die Mühe der Pflege durch Blüten lohnt. Solche Kakteenfreunde — denen also alles an- dere, was um diese Pflanzen ist, als weniger wichtig erscheint — mögen sich der stach- ligen Konkurrenz gegenüber mit dem Spruch trösten, den einmal ein besitzstolzer Liebhaber schrieb: Dein Kaktus ist viel schöner wohl als meiner, Doch ist mein Kaktus größer noch als deiner. Die Blüten sind allein mir höchster Zweck, Und wenn du meinen siehst, dann wirfst du deinen weg! ( ACT VS ptandülorus (. II'.RC.E * ?rnn<lc ftcur Abb. 174 Se/enicereus grandiflorus Pierre Joseph Rcdoutc, der „Rafael der Blumen“, stach dieses Bild der berühmten „Königin der Nacht“ für die farbigen Tafeln in Augustus Pyramus De Candolles „Plantarum historia succLilentarum“ (bei Garncry, Paris, 1799—1829). Die ersten Kakteenbildcr in der Malerei sind eine Opuntia in Pieter Brucghels d. Ä. „Schlaraffenland“ und als Beispiel der Verwilderung in einer italienischen Landschaft im „Goldenen Zeitalter“ (um 1600), einem Gemälde in den Uffizien von Florenz. (Der Stich wurde aufgenommen nach einer Originalgabe von Alain White, USA, und Walter Heinrich, Coswig) 238
Abb. 175 Mexikanische Weihnachtskartc mit Madonna und Opuntia 239
Abb. 176 In dem Anblick großer Sammlungen verdichtet sich die „Wundcrwclt Kakteen“ zu einem eindrucksvollen Abbild dieses ebenso einmaligen wie bizarren und farbenschönen Einfalls der Natur (Tcilansicht der Kollektion Dr.-Ing. E. G. Schmucker, München) 240
Zehn Gebote für erfolgreiche Kultur 1. Einen lichten Stand wählen, Nordfenster vermeiden. Im Winter über der Zentralheizung gegen zu warme Trockcnluft isolieren und am Fenster vor zuviel Kälte schützen. 2. Im Frühjahr anfangs zu starke Sonnenbestrahlung verhüten (eventuell Scidcnpapier- auflage); später dann, wenn die Pflanzen nicht in kräftigem Wuchs sind und daher trockener gehalten werden müssen, Töpfe einfüttern (z. B. in feine Koksaschc), damit nicht durch ihre trockene Erhitzung die Saugwurzeln leiden. In der neuen Wachstums- periode bis zum sichtbaren Wuchsbeginn vorsichtig gießen. 3. Abzugreiche Erde nehmen; auswcchscln, wenn sic zu sauer riecht, Ballen dazu trocken abschüttcln. Dies möglichst vor neuer Wurzelbildung im Frühjahr, damit diese nicht leidet. Tote Wurzeln abstreifen; bei Wurzclfäulc zurückschncidcn und Wurzelstümpfe zuerst trocknen lassen. 4. Bei ziemlich neutralem Substrat (Einheitserde) vorschriftsmäßig mit anorganischer Düngcrlösung gießen (Dünger: mit wenig Stickstoff, mehr Kali und Phosphor); regel- mäßig wiederholen, je nach Wuchszustand. 5. Bei Kastcnkultur im Freien: wenn stärkerer Sonnenschein, die Fenster lüften, um zu starke Erhitzung zu vermeiden. Brcnnflcckc sind nicht zu beseitigen; sic verwachsen, wenn überhaupt, nur langsam. Vorbeugung: genügend Feuchtigkeit, das heißt gut feuchtkrümcligcr Erdzustand, solange die Wuchszcit dauert. 6. Manche Arten haben zwei Wachstumsperioden; auf den Schcitclwuchs achten und dem- entsprechend gießen: in der Hauptzcit kräftiger, im Spätsommer weniger, das heißt nur solange noch Anzeichen des Wachsens erkennbar sind. 7. Durch Umstoßen der Töpfe den Wurzclzustand im Ballen prüfen, besonders bei Stok- kungen; auf eventuellen Wurzcllausbcfall achten (Abhilfe: mit Wofatox oder E-605- Puder bestauben). Schild- und Wolläusc sowie Rote Spinne rechtzeitig mit erhältlichen Mitteln bekämpfen. Faulstcllcn der Pflanzen auf gesundes Fleisch zurückschncidcn, trocknen lassen. Bei Fäule der Pflanzenbasis diese wcgschncidcn (Achse darf keine Flecken mehr zeigen), Kopf pfropfen oder — wenn wüchsige Arten Schnittstelle zuerst trocknen lassen, dann Pflanze neu bewurzeln (leicht in Substrat cindrückcn, an- fangs nur mäßig feucht halten). 8. Seltenere Arten oder solche, die reicher blühen sollen, tief pfropfen. Austreibenden Un- terlagen die Kindel bei stärker bestachelten eher abschncidcn als bei Tricbocerens paebanoi, der gern Nachwuchs liefert, ohne ausgesogen zu werden. Die verbleibenden „Mutter- pflanzen“ (Stümpfe der gepfropften Art) ergeben bald ansehnliche Gruppen oder auch Vermehrung. 9. Den Sammlungsbcstand, wenn genügend Platz vorhanden, durch Sämlingsanzucht (am billigsten) vergrößern, in anfangs glasgedeckten Schalen und reichlich sandigem Ge- misch. Samen nur oberflächlich cindrückcn, höchstens ganz schwach überstreuen, mög- lichst lichtnah aufstcllen und nur (!) von unten feucht halten. Übergießen vcrschwcmmt die Samen. Rechtzeitig und nicht zu weit pikieren, später umpikicrcn und möglichst schon als Jungsämlingc auf junge Gw-Un ter lagen pfropfen, dann umpfropfen (stärkere Wachstumsbcschlcunigung). Je nach Sammlungsumfang Untcrlagcnrcscrvc rechtzeitig anziehen. 10. Winterstand nicht zu warm (möglichst nicht über 10 12 Grad, um Durchtreiben zu verhüten), aber auch nicht unter 4 Grad (einige „warme“ Pflanzen können zu nahe dem Gefrierpunkt Flecken bekommen oder sonst Schaden leiden). 16 B.ickcbcrg. Wunder weit. 4. A. 241
Literaturhinweise 1. Thomas Gann, „Mexico from the carlicst Times to the Conquest“, London 1936. 2. Codice Mcndocino, Tafel 19. 3. Hclia Bravo, „Olla divina, aludiendo al parccido de su forma con cstos utensilios“, in „Las Cactäccas entre los Antiguos Mcxicanos“ (Las Cactaccas de Mexico), 1937. 4. W. H. Prcscott, Tafeln zur Geschichte Altmcxikos (nach H. Bravo, 1937). 5. Curt Backeberg, „Stachlige Wildnis“, 1942. 6. Fray B. de Sahagun, „Historia General de las Cosas de Nueva Espaiia“, 1829. 7. Dr. Ramircz, „El Peyote“, Anales del Instituto Medico National, Mexico 1900. 8. M. Martinez, „Plantas Utilcs de la Rcpüblica Mcxicana“, 1928. 9. Viktor A. Rcko, „Magische Gifte“, Stuttgart 1938. 10. D. W. Prentiss und J. Morgan, „Anhalonium lewinii (Meseal Buttons)“, Thcrap. Gaz. XIX., 1895. 11. W. E. Dixon, „The physiological action of the Alealoides of the Anhalonium lewinii“, Journ. of physiology, XXX., London 1899. 12. W. H. Prcscott, „History of the Conquest of Mexico“, 1843. 13. F. Del Paso y Troncoso, „La Botänica entre los Nahuas“. 14. Mateo Lobcl, „Adversariis Stirpium“, 1570. 15. Sophicnausgahc, II. Abtlg. Naturw. Schriften, 13. Band, Weimar 1904. 16. Cactus and Succulcnt Journal of the Cactus and Succulent Society of America. 17. The Cactus and Succulcnt Journal of Great Britain, 1946. 18. W. H.Camp, „Distribution Patterns in Modern Plants and The Problems of Ancicnt Dispcrsals“ EcoL Mono- graphs, 17. 1947. 19. Ralph W. Chancy, „A Fossil Cactus from the Eocenc of Utah“, Amor. Journ. of Botany, 31: 8. 1944. 20. Otto Porsch, „Das Bcstäubungslcbcn der Kaktccnblütc“, Jahrbücher der Deutschen Kaktccn-Gcscllschaft, 1938/1—II. 242
Bildernachweis W. Andrcae: 105, 144; T. Asacda: 61; C. F. Baker: 46—47; Bcals: 24; A. Berger: 25; Blossfeld jr: 112; H. Bravo: 110; R. Chaney: 75 ; C. Conzatti: 76; Cours: 89; Y. Dawson: 51, 113 ; Descrt Magazine: 37 ; L. Diguct: 40; A. E. Field: 13; Fitzpatrick: 97; G. A. Frick: 38; Hcrtling: 54; J. T. Howell: 42; Jardin Exotiquc, Monaco: 33; Kraus: 128 ; M. Kroenlcin : 29 ; E. B. Kurtz: 103 ; Leguillon : 71; Lcmbckc: 104; D. dc A. Lima: 48 ; G. Lindsay: 70; H. Lowman: 34; Mociiio und Scsse: 41; Mold (Presse Mcdicolc): 12; Moortcn: 26; V. Morawetz: 28; Ritter von der Osten: 62; Ch. Polaski: 50, 64—65; W. Rauh: 44—45, 52—53, 55—60, 79, 81, 83, 87—88, 96, 100—102, 133, 135, 143, 145, 153, 164; W. Rausch: 136; F. Rivicrc: 2, 151; Romer: 23; J. N. Rose: 43, 162; F. C. Rost: 22; W. Schiel: 126; F. Schwarz: 106c; Small: 49; H. Stein: 138, 142; O. Voll: 106b, 173; E. Werdermann: 109, 111; R. S. Woods: 35. Alle übrigen Aufnahmen vom Autor. Die Abb. 114 zeichnete H. Oehme. Die folgenden Aufnahmen wurden gemacht: A: In den nachstehenden Botanischen und Sukkulentengärten: Botanischer Garten, Rio de Janeiro: 173; Huntington Botanic Garden, San Marino (USA): 109; Jardin Botaniquc „Les Cedrcs“, St. Jean-Cap-Fcrrat (Frankreich): 1, 116, 118, 121, 137, 157, 163, 165, 168; Jardin Exotiquc dc Monaco: 161; „Pinya de Rosa“ (Opuntien- und Sukkulcntcngarten F. Rivicrc de Caralt) Blancs (Spanien): 2, 151. B: In den bekannteren Großzüchtcrcin von: Dr. Karius, Muggensturm: 91; Kucntz, Frejus (Frankreich): 80; Pallanca, Bordighcra (Italien): 107; Pccheret, Antibes (Frankreich): 36; Saint-Pie, Asson (Frankreich): 84, 85b, 86; Stern, San Remo (Italien): 108; H. Thiemann, Bremen: 85c—d. 243