Author: Neitzel S.  

Tags: geschichte deutschlands   deutsche kriege  

ISBN: 978-3-8437-2370-1

Year: 2020

Text
                    
Das Buch Soldaten sind Krieger, die kämpfen und auch töten müssen. Soldaten leben in einer eigenen Welt. Begriffe wie Tapferkeit, Gehorsam und Kameradschaft sind für sie so aktuell wie eh und je. Das Bedürfnis nach authentischen Vorbildern ist groß, das gilt auch für die Bundeswehr. Doch in welcher Tradition stehen deutsche Soldaten? Der Autor Sönke Neitzel, geboren 1968, war nach Lehrtätigkeiten in Mainz, Karlsruhe, Bern und Saarbrücken Professor für Modern History an der University of Glasgow und Professor für International History an der London School of Economics (LSE). Seit 2015 hat er den deutschlandweit einzigen Lehrstuhl für Militärgeschichte/ Kulturgeschichte der Gewalt am Historischen Institut der Universität Potsdam inne. Zuletzt erschien von ihm und Harald Welzer der Bestseller »Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben«, der in 19 Sprachen übersetzt wurde.
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Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte Propyläen
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Inhaltsverzeichnis Über das Buch / Über den Autor Titel Impressum Einleitung I. Auf dem Weg zur Weltmacht. Das Militär im Kaiserreich (1871–1918) Blut und Eisen Kolonien Armee Inneres Gefüge Tribal cultures Schikanen Kriegsplanungen Weltenbrand Wie siegen? Anpassung von Strategie und Taktik Verbrechen Fazit II. Armee der Niederlage. Die Reichswehr in der Weimarer Republik (1918–1933) Staat im Staate? Aus der Niederlage lernen Sozialstruktur und tribal cultures
Fazit III. Im Zeichen des Totalen Krieges. Die Wehrmacht im Dritten Reich (1933–1945) Auftakt Wehrgemeinschaft Selbstgleichschaltung Kriegsvorbereitung Operationen Der Sprung ins Dunkle: Polen Siegeslauf in Frankreich Hybris und Nemesis: Der Feldzug gegen die Sowjetunion Der Kampf gegen die Westmächte 1941–1944 Der letzte Akt: 1944/45 Kohäsion Opfertum Tribal cultures Menschenführung Primärgruppen Verbrechen Polen: Ouvertüre zum Vernichtungskrieg »Normalkrieg« im Westen 1940/41 Vernichtungskrieg in der Sowjetunion Signaturen der Gewalt Fazit
IV. Friedensarmee im Kalten Krieg. Die Bundeswehr der Bonner Republik (1955–1989) Eine andere Armee braucht das Land Das Ringen um die innere Ausrichtung der Streitkräfte Truppenalltag Skandale und tribal cultures Kulturkampf Der gespielte Krieg I Von der massive retaliation zur flexible response Endlich einsatzbereit? Flexible response – die Lösung der Probleme? Wehrmacht in neuem Gewande? Entspannungspolitik und Friedensbewegung Reformen Bildungsoffensive Grenzen der Inneren Führung Zwischen »Gammeldienst« und Leistungsgrenze Der gespielte Krieg II Die beste Wehrpflichtarmee der NATO Kriegsnah ausbilden Rückkehr zum Bewegungskrieg West-östliche Wahrnehmungen Traditionen Fazit
V. Außen preußisch – innen sowjetisch. Die Nationale Volksarmee der DDR (1952–1990) Volk in Waffen Armee der Partei Kriegsplanung und Bündnispolitik Die beste NSWP-Armee des Warschauer Paktes Fazit VI. Zwischen »Friedensdividende« und Auslandseinsatz. Die Bundeswehr der Berliner Republik (1990 bis heute) Neue Welt, neue Aufgaben Armee der Einheit Eine kleinere Bundeswehr braucht das Land Erste Kampfeinsätze Die Schatten der Wehrmacht Die Bundeswehr in Afghanistan Verantwortung für den Norden Afghanistans Die Sicherheitslage verschärft sich Der Kampf um die Provinz Kunduz 2009 Rückschläge, Erfolge, Abzug – 2010 bis 2014 Tribal cultures Der Krieg in Afghanistan im politisch-gesellschaftlichen Diskurs Afghanistan – eine Bilanz Die Rückkehr des Kalten Krieges? Bedingt einsatzbereit
»Die Wehrmacht hat nichts mit der Bundeswehr gemein« Resümee Dank Karten Bildteil Anhang Dienstgrade Wehrmacht und Bundeswehr (Heer) Militärische Gliederung Verteidigungshaushalt der Bundesrepublik Deutschland von 1955 bis 1989 Abgeordnete des Reichstags (MdR) sowie des Bundestags (MdB), die Militärdienst geleistet haben Anmerkungen Quellen und Literatur 1. Quellen 2. Literatur Verzeichnis der Abkürzungen Bildnachweis Feedback an den Verlag Empfehlungen
Einleitung »Die Wehrmacht ist in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr. Einzige Ausnahme sind einige herausragende Einzeltaten im Widerstand. […] Das ist eine Selbstverständlichkeit, die von allen getragen werden muss« – diese deutlichen Sätze sprach Ursula von der Leyen am 3. Mai 2017. In der Krise um den unter Terrorverdacht stehenden Oberleutnant Franco Albrecht galt es, rasch klare Worte zu finden. Jedwede Verdächtigungen, dass der Geist längst vergangener Tage hinter den Kasernenmauern geduldet würde, sollten im Keim erstickt werden. Doch wer sich jenseits der beschwichtigenden Ministerialrhetorik ernsthaft mit den Streitkräften beschäftigte, konnte die Spuren der Vergangenheit kaum übersehen. Die Wehrmacht steckte von Anfang an in der DNA der Bundeswehr, und man kam auch im 21. Jahrhundert nicht ganz von ihr los. Das musste auch die Ministerin zur Kenntnis nehmen, als sie mit ihrer Entourage die Kaserne des Jägerbataillons 291 im elsässischen Illkirch besuchte, wo Franco Albrecht zuletzt Dienst getan hatte. Für die Bundeswehr war es peinlich genug, dass er trotz seiner offensichtlich rechtsextremen Gesinnung nicht vom Dienst suspendiert worden war. Doch damit nicht genug. Von der Leyen registrierte empört, dass ein Aufenthaltsraum der Kaserne mit allerlei Zeichnungen, Sinnsprüchen, Waffen und Ausrüstungsgegenständen aus den Zeiten der Befreiungskriege und der Wehrmacht ausgeschmückt war. Mit der lieb gewordenen Vorstellung vom deutschen Soldaten als global social worker, der als Retter, Vermittler und Beschützer weltweit hilft, Konflikte friedlich beizulegen, hatte diese Raumgestaltung herzlich wenig zu tun. Hier ging es um eine 1
ganz andere Berufsidentität: jene des Kämpfers, der sich in eine weit zurückreichende Ahnenreihe von Kriegern stellt. Manche halten diejenigen, die Bilder von heldenhaften Landsern in ihre Dienstzimmer hängen, schlicht für Nazis. In der Tat gehen Rechtsradikalismus und Verherrlichung der Wehrmacht fast immer miteinander einher. Doch zur Erklärung soldatischer Identitäten trägt dieser Befund wenig bei. Untersuchungen von Verfassungsschutz und MAD zeigen, dass vielleicht drei Prozent der Soldaten einem rechtsradikalen Milieu zuzuordnen sind und damit ungefähr so viele wie in der Gesamtgesellschaft.1 Weit mehr Bundeswehrsoldaten dürften die Wehrmacht aber nach wie vor für einen legitimen Teil ihrer Tradition halten; wohl auch jene, die in Illkirch den Raum ausschmückten. Das mag man empörend finden, aber warum ist das überhaupt so? Verständlicher wird diese Haltung, wenn man das Militär als eine Welt mit eigenen Werten und Normen versteht, die zwar von Gesellschaft und Politik mitgeprägt wird, aber doch einen besonderen sozialen Kosmos bildet. Die reale oder potenzielle Erfahrung vom Kämpfen, Töten und Sterben unterscheidet die Streitkräfte fundamental von anderen gesellschaftlichen Gruppen. Aus der Perspektive des Soldaten haben Begriffe wie Tapferkeit, Pflichterfüllung und Kameradschaft eine viel größere Bedeutung als für einen Versicherungskaufmann oder Parlamentarier. Wer das Kämpfen in den Mittelpunkt seiner beruflichen Identität stellt, sucht sich besondere Vorbilder. In der Bundeswehr ist das zwar nur eine Minderheit, weil viele Soldaten aufgrund ihrer Tätigkeiten – als Techniker, Seeleute, Fahrer oder Verwaltungsbeamte – eher zivile Identitäten haben. Aber die Kämpfer sind keineswegs ausgestorben. Im elsässischen Illkirch waren sie 2017 offensichtlich noch zu finden. Hier 2
dienten Männer und Frauen, die sich für den archaischeren Teil des Soldatenberufs entschieden hatten. Dass sich Soldaten in ihrem Selbstverständnis auf den Krieg ausrichten und dafür die passenden Vorbilder suchen, ist eigentlich eine banale Erkenntnis. Die Deutschen aber haben sich mit ihr nach dem Zweiten Weltkrieg schwergetan. Der Kulturbruch war so tief, die Verbrechen waren so unfassbar, die Niederlage auch moralisch so total, dass sich ihr Verhältnis zum Militär grundlegend änderte. Zu Pazifisten wurden die meisten zwar nicht, aber Gesellschaft und Politik blickten kritischer als zuvor auf ihre Soldaten, suchten sie einzuhegen, ein Stück weit zu zivilisieren und nicht zuletzt von der Vergangenheit abzugrenzen. Freilich sind Wunschbild und Realität zweierlei. Alle deutschen Staaten haben versucht, ihren jeweiligen politisch-gesellschaftlichen Rahmen möglichst umfassend auf ihre Armeen zu übertragen: das Kaiserreich ebenso wie die Weimarer Republik, die Nationalsozialisten ebenso wie die Kommunisten. Das funktionierte mal mehr, mal weniger gut. Vollständig gelang es nie, auch nicht in der Bundesrepublik. Dafür waren die Deutungsangebote, die die Politik für die jeweilige Rolle des Militärs zu bieten hatte, meist zu abgehoben, zu theoretisch; sie entsprangen einer Vorstellungswelt, mit der die Soldaten nicht viel anzufangen wussten. Das Militär blieb immer auch eine Welt für sich, die über die politischen Brüche hinweg erstaunlich beständig war. Zu einem tieferen Verständnis der Streitkräfte wird man nur kommen, wenn man ihre spezifische Kultur analysiert – jene Normen, Werte, Haltungen und Überzeugungen, die ihr Denken, Sprechen und Handeln bestimmen.2 Die internen Debatten über soldatische Tugenden und Traditionen gehören ebenso dazu wie die Art und Weise, 3
wie über Kriege nachgedacht wird – und wie sie geführt werden. Für die Männer und Frauen, die den Aufenthaltsraum im elsässischen Illkirch gestaltet hatten, waren die ausgestellten Waffen und Leitsprüche gewiss nicht nur dekorative Artefakte; sie hatten Bedeutung für ihre soldatische Gegenwart. Doch was hatte das 2010 aufgestellte Jägerbataillon mit den Soldaten weit zurückliegender Zeiten zu tun? Gibt es überhaupt Kontinuitäten im militärischen Denken und Handeln, die bis tief ins 19. Jahrhundert zurückreichen? Wie unterscheiden sich die institutionellen Normen und Werte der monarchischen Kontingentarmeen, der Wehrmacht und der Bundeswehr? Gab es trotz denkbar unterschiedlicher Erfahrungen in Krieg und Frieden ähnliche Vorstellungen von den Pflichten und Aufgaben des Soldaten? Und sollte man Armeen nicht auch von ihrem professionellen Selbstverständnis her beurteilen? Was haben, so kann man fragen, ein Leutnant des Kaiserreichs, ein im Nationalsozialismus sozialisierter junger Wehrmachtoffizier und ein Zugführer der Task Force Kunduz des Jahres 2010 gemeinsam? Das vorliegende Buch geht diesen Fragen in einem Längsschnitt nach. Ausgangspunkt ist das Jahr 1871. Die militärischen Traditionen deutscher Armeen reichen zwar noch weiter zurück, zu den preußischen Reformern aus der Zeit der Napoleonischen Kriege und teilweise noch darüber hinaus. Doch die große Zäsur in der modernen deutschen Militärgeschichte stellten zweifellos die Siege in den Einigungskriegen von 1864, 1866 und 1870/71 dar. Sie waren nicht nur eine wichtige Voraussetzung für die Gründung des ersten deutschen Nationalstaats, sondern sie veränderten auch das Verhältnis der Deutschen zu ihrem Militär grundlegend. 4
Die bürgerlich-liberale Kritik an den Streitkräften wich einer schier grenzenlosen Bewunderung. Die Siege gegen Österreich und Frankreich manifestierten zudem einen German Way of War: Schnelle, blitzartige und risikoreiche Angriffsoperationen waren seit 1866 das Merkmal preußisch-deutscher Kriegführung. In der historischen Forschung wird seit Langem diskutiert, ob die deutsche Militärkultur auch durch eine besondere Gewaltkultur gekennzeichnet sei. Isabel Hull, MacGregor Knox oder Dirk Bönker argumentierten3, Deutschland habe seine Kriege in den Kolonien und in Europa von 1870 bis 1918 radikaler und brutaler geführt als die übrigen europäischen Großmächte. Dadurch seien kulturell tief verankerte Handlungsmuster entstanden, die später der Nationalsozialismus zu nutzen verstand. Der Weg nach Auschwitz begann nach dieser Lesart bereits im Kaiserreich, etwa mit dem Genozid an den Herero. Das Buch wird die deutschen Kriegsverbrechen in eigenen Unterkapiteln behandeln, zur These eines deutschen Sonderwegs eine eigene Position beziehen und auch aufzeigen, wie Bundeswehr und NVA mit dem unrühmlichen Erbe der Wehrmacht-Verbrechen umgegangen sind. Untersuchungen, die den Kontinuitäten des deutschen Militärs nachspüren, enden zumeist 1945.4 Der heiße Krieg hat stets mehr Aufmerksamkeit gefunden als der Kalte. Dadurch wurden Bundeswehr und NVA in der historischen Forschung auf eigenartige Weise von ihren Vorläufern abgekoppelt. Die vorliegende Darstellung reicht hingegen bis zur Gegenwart. Sollte es so etwas wie eine nationale Militärkultur Deutschlands wirklich gegeben haben, dann ist zu fragen, was mit ihr nach 1945 passierte, was von ihr überdauerte, was geändert oder umgedeutet wurde. Das Trauma zweier verlorener Weltkriege, die Teilung Deutschlands, die 5
Blockkonfrontation und die atomare Bedrohung formten ganz neue und höchst komplexe Rahmenbedingungen. Die Welt der Bundeswehr war eine völlig andere als die ihrer Vorgänger. Sie musste keine Kesselschlachten schlagen, keine Rückzüge organisieren, verübte keine Verbrechen. Dafür musste sie mit einem rasanten gesellschaftlichen Wertewandel5 zurechtkommen und sich fragen lassen, inwieweit sie in Zeiten der potenziellen atomaren Apokalypse überhaupt noch eine Existenzberechtigung hatte. Man probte zwar den Ernstfall, lebte aber im tiefen Frieden. Die Bundeswehr war gewissermaßen in einer doppelten Ambivalenz gefangen: Sollte sie vom Krieg oder vom Frieden her gedacht werden, und sollte sie sich in die lange Tradition deutscher Militärgeschichte stellen oder nicht? Eigentlich schlossen sich beide Optionen aus, dementsprechend heftig wurde um sie gerungen. Um die außenpolitischen Anforderungen des Kalten Krieges zu erfüllen, lief es in der Praxis notgedrungen auf einen Kompromiss zwischen militärischer Binnenlogik und innenpolitischen Vorbehalten hinaus. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem vermeintlichen Ende der Geschichte schien sich das Militär in seiner klassischen Form überlebt zu haben. Die doppelte Ambivalenz löste sich auf: Nun ging es nicht mehr darum, sowjetische Panzerarmeen in der norddeutschen Tiefebene zu stoppen, sondern in der Rolle des Entwicklungshelfers oder Polizisten an internationalen Einsätzen teilzunehmen. Auch die Vorbilder aus alten Tagen schienen ausgedient zu haben. Doch mit den heftigen Gefechten in Afghanistan in den Jahren 2008 bis 2011 kehrte der Kämpfer zurück ins Selbstbild der Truppe, mit der Ukrainekrise 2014 dann auch der Kalte Krieger. Und wie sich nicht zuletzt in Illkirch zeigte, war man die Geister der Wehrmacht noch nicht losgeworden. 6
Die außen- und innenpolitischen Rahmenbedingungen Deutschlands veränderten sich in den vergangenen 150 Jahren mehrfach fundamental. In der Binnenwelt des Militärs gab es bei allem Wandel aber bemerkenswerte Kontinuitäten, etwa im grundsätzlichen Verständnis vom Krieg und dem daraus abgeleiteten Führungsdenken. Es dominierte die Vorstellung, dass sich der Krieg der Rationalität und damit weitgehend auch der Planbarkeit entziehe. Nur der gebildete Generalist, so war man von Moltke d. Ä. bis Beck überzeugt, würde im Ernstfall als Führer den Anforderungen des Krieges gerecht werden können, nur er würde militärische Erfolge erzielen, die es der Politik ermöglichten, als gleichberechtigter Akteur in der internationalen Staatenordnung zu agieren. An dieser Auffassung änderte sich auch in der Bundeswehr grundsätzlich nichts.6 Die Ausbildung von Generalstabsoffizieren zu breit gebildeten Generalisten folgt bis heute diesem Prinzip. Eine Stunde null gab es also für die Streitkräfte ebenso wenig wie für alle anderen Bereiche von Staat und Gesellschaft. Gewiss war die Bundeswehr keine Wehrmacht in neuem Gewande. Die Pervertierung des Opfergedankens gab es nicht mehr, auch keine Weltmachtfantasien und keinen Willen zur totalen Kriegführung. Krieg war aber auch weiterhin ein Handwerk, und so veränderte sich im Führungsverständnis wie auf der untersten taktischen Ebene des Heeres zunächst wenig. Dieser Befund gilt auch für die Logik der Kohäsion der Streitkräfte, die amerikanische Soziologen im Zweiten Weltkrieg als Forschungsfeld entdeckten. Seither ist heftig darüber gestritten worden, was Soldaten dazu motiviert, ihrem Handwerk nachzugehen. Heute ist weitgehend unstrittig, dass mehrere Faktoren zusammenwirken. Da ist zum einen der Zusammenhalt der sogenannten Primärgruppen – jenes Personenverbunds, zu dem der engste soziale Kontakt besteht. 7
Im Militär werden damit Einheiten bis zur Größe einer Kompanie (rund 120 Mann) beschrieben. Die Befragung von Wehrmachtsoldaten in amerikanischer Gefangenschaft zeigte, dass der Zusammenhalt auf dieser horizontalen Ebene für die Motivation eine wichtige Rolle spielte.7 Zusätzlich gestärkt wurde das Band dieser kleinen Kampfgemeinschaften, wenn die gleiche soziale oder landsmännische Herkunft bestand oder es gemeinsame Erfahrungen in Ausbildung und Einsatz gab. Brachen die Primärgruppen auseinander, etwa durch hohe Verluste, oder wurden Einheiten so schnell aufgestellt, dass sich soziale Bindungen erst gar nicht einstellen konnten, wurde die Bereitschaft zum Kämpfen geschwächt. Soldaten fochten aber nicht nur für ihre Kameraden. Der amerikanische Soziologe Charles C. Moskos betonte zu Recht die Bedeutung des größeren sozialen Systems: Je enger der Bezug zu Staat, Gesellschaft und zur Institution der Streitkräfte, desto höher die Bereitschaft, für diese in den Kampf zu ziehen. Es spielt also eine Rolle, ob man sich mit dem Staat, dem man dient, identifiziert, ob die Armee als effizient, die Offiziere als tapfer, ihr Verhalten als gerecht empfunden werden. Sodann ist der Auftrag, sind Anlass, Ziel und Erfolgsaussicht des Einsatzes von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Wer glaubt, in einem gerechten Feldzug zu kämpfen, ist anders motiviert als derjenige, von dem die politische und militärische Führung verlangen, in einem offensichtlich sinnlosen oder gar verbrecherischen Krieg sein Leben zu riskieren.8 Und wer glaubt, den Kampf siegreich bestehen zu können, kämpft motivierter als derjenige, der in einer längst verlorenen Schlacht als Kanonenfutter verheizt wird. Horizontale und vertikale Ebene bilden im Idealfall ein festes Kohäsionsgeflecht, das Soldaten auch in schwieriger 8
Lage motiviert, ihren Auftrag zu erfüllen. Über die Grundstruktur dieses Modells sind sich Soziologen und Geschichtswissenschaftler weitgehend einig. Unterschiedlich bewertet wird nach wie vor die Relevanz einzelner Faktoren.9 So hat Omer Bartov argumentiert, dass für Wehrmachtsoldaten die NS-Ideologie und nicht die Primärgruppen der ausschlaggebende Motivationsfaktor gewesen sei.10 Etliche Historiker – darunter auch der Verfasser – haben dem widersprochen und dafür plädiert, die Bedeutung der Primärgruppen hervorzuheben und den ideologischen Faktor nicht überzubewerten.11 Auch im Falle der Bundeswehr lässt sich trefflich über die Bedeutung einzelner Aspekte dieses Modells streiten.12 Dass beide Kohäsionsebenen ihre Bedeutung haben, wird man angesichts der reichhaltigen internationalen Forschungsergebnisse kaum bestreiten können. Entscheidend ist, dass sich das Grundprinzip des Modells auf alle deutschen Armeen übertragen lässt und so interessante Vergleichsmöglichkeiten eröffnet. Die Darstellung geht chronologisch vor und nimmt die Streitkräfte des Kaiserreichs, der Weimarer Republik, des NSRegimes, der Bonner Republik, der DDR und schließlich der Berliner Republik in eigenen Kapiteln in den Blick. Gut die Hälfte des Buches handelt von der Zeit nach 1945. Dieser Zeitabschnitt ist von der Geschichtswissenschaft bislang am wenigsten bearbeitet worden, obwohl es zu ihm die meisten Quellen gibt. Bundeswehr und NVA haben aus den Jahrzehnten des Kalten Krieges mehr Akten hinterlassen, als ein Mensch in seinem Leben lesen kann. Auch kommende Generationen dürften also noch genügend Stoff zum Forschen haben. Für die Zeit nach 1990 ist die Aktenüberlieferung spärlicher, weil die meisten Dokumente einer 30-jährigen Schutzfrist unterliegen und der Forschung noch nicht zur 9
Verfügung stehen. Es ist aber möglich, Unterlagen vorzeitig freigeben zu lassen, und ein guter Geist im Verteidigungsministerium hat mir die allermeisten meiner Anträge auf Akteneinsicht dankenswerterweise genehmigt. Zudem habe ich mit rund 200 Zeitzeugen gesprochen, die mir viel Erhellendes zur Bundeswehr und zu den Auslandseinsätzen berichtet haben. Einige von ihnen konnte ich zitieren, die meisten aber sind noch aktive Soldaten und wollen lieber anonym bleiben. Jedes der sechs Kapitel untersucht die jeweiligen Streitkräfte aus drei unterschiedlichen Perspektiven. Zu Beginn werden die von Politik und Zivilgesellschaft gesetzten Rahmenbedingungen skizziert. In jeder Epoche bildeten Verfassung, historische Erfahrung, internationale Machtkonstellationen sowie technische und wirtschaftliche Entwicklung einen ordnenden und organisierenden Referenzrahmen. Er bestimmte darüber, welchen Stellenwert Politik und Gesellschaft den Streitkräften zubilligten, wie viel Geld für die Rüstung ausgegeben, wer aus welchen Gründen rekrutiert wurde. Innergesellschaftlich fächerte sich dieser Referenzrahmen weiter auf; so hatten etwa Sozialdemokraten schon im Kaiserreich einen anderen Blick auf das Militär als Mitglieder konservativer Parteien. Gleichwohl gab es eine epochenspezifische Haltung ihm gegenüber. Wer 1908 oder 1938 oder 1988 seinen Einberufungsbescheid bekam, reagierte darauf zeitbedingt ganz unterschiedlich. 1988 stellte man sich geradezu selbstverständlich die Frage, ob man zur Bundeswehr gehen, Ersatzdienst leisten oder sich die Sache irgendwie ganz ersparen sollte. 1908 oder 1938 stellte sich diese Frage nicht. Alle jungen Männer gingen zum Militär; es war eine Pflicht, die man nicht unbedingt liebte, die zu erfüllen aber praktisch jeder bereit war. 10
Eine zweite Perspektive widmet sich dem inneren Gefüge der Streitkräfte. Die höheren Stäbe waren mehr oder minder intensiv bemüht, dem Primat der Politik Rechnung zu tragen und die politischen Vorgaben in militärische Verordnungen und Vorschriften zu übertragen. Bereits die mittleren Führungsebenen aber folgten eher einer innermilitärischen Logik und versuchten, allzu störende politische Vorgaben von der eigenen Profession fernzuhalten. Hier trafen Einflüsse von außen, althergebrachte Traditionen sowie pragmatische Anpassungen an die Notwendigkeiten einer Massenorganisation in Krieg und Frieden aufeinander. So entstand ein Referenzrahmen des Militärs, der das Binnengefüge der Streitkräfte strukturierte und organisierte. Jeder, der zum ersten Mal eine Kaserne betrat, lernte die daraus folgenden Regeln schnell und begriff meist nach wenigen Wochen, wie das System funktionierte. Hier geht es darum nachzuzeichnen, welches Bild vom Soldaten, seinen Pflichten und Tugenden die Streitkräfte in den jeweiligen Epochen entwickelten, was oben angeordnet und unten ausgeführt wurde. Alle Kapitel thematisieren beispielsweise das Ausmaß an Drill, Schikane und Missbrauch der Soldaten. Romane wie »Im Westen nichts Neues« oder »08/15« haben dem Typus des Schleifers literarischen Ausdruck verliehen. Es wird danach zu fragen sein, in welchem Maße dieses populäre Bild der Realität entsprach. Einen bislang kaum beachteten Teil der Binnenstruktur der Streitkräfte bilden die verschiedenen Waffengattungen, ab 1955 Truppengattungen genannt. Sie formten einen eigenen Habitus, schufen eigene Traditionsbilder und Riten, wodurch die soziale Struktur der Streitkräfte zusätzlich ausdifferenziert wurde. Mit Einführung der feldgrauen Uniform 1909 waren die Waffengattungen nur noch durch farblich unterschiedlich 11
gestaltete Schulterstücke, Kragenspiegel und Rangabzeichen zu erkennen. Seither war die Waffenfarbe zur Abgrenzung und damit zur Identitätsstiftung von besonderer Bedeutung. Bis heute ist der Begriff »Fehlfarbe« als Bezeichnung für andere Truppengattungen jedem Bundeswehrsoldaten geläufig. Exemplarisch werden hier Infanterie/Jägertruppe und Kavallerie/Panzertruppe untersucht, die den Kern der Kampfverbände des Heeres bildeten. Ihre Ausrichtung auf das Gefecht formte eine Kriegerkultur, die über alle politischgesellschaftlichen Zäsuren hinweg ein hohes Maß an Kontinuität aufwies, wie zuletzt auch Philipp Münch für die Bundeswehr darlegte.13 Wer die Gestaltung des Aufenthaltsraumes in Illkirch verstehen will, muss hier ansetzen. In gewisser Weise ähneln die Truppengattungen den tribal cultures amerikanischer Ureinwohner, etwa der Apachen oder Comanchen, deren Untergruppen sich in Lebensweise, Dialekt und sozialer Zusammensetzung abgrenzten, äußerlich voneinander unterschieden und miteinander rivalisierten. Gleichwohl unternahmen sie gemeinsame Kriegszüge und fühlten sich derselben Gemeinschaft zugehörig.14 In den europäischen Armeen der Moderne bildeten sich ganz ähnliche tribal cultures aus.15 Der Begriff tribe ist hier nicht im wörtlichen Sinne als »Stamm«, sondern sinnbildlich zu verstehen. Besondere Bedeutung bei der Ausbildung dieser tribal cultures kam den Regimentern und Bataillonen zu. Hier wurden sie gelebt und je nach Tradition des Verbandes, sozialer Zusammensetzung des Offizierkorps und Garnisonsort weiter ausdifferenziert.16 Für den Zusammenhalt der Streitkräfte waren diese tribal cultures von herausragender Bedeutung. Sie verbanden die Primärgruppen mit der 12
Gesamtorganisation, waren damit eine Transmissionsriemen zwischen »oben« und »unten«. Art In einer dritten Perspektive wird die handwerkliche Ebene des Militärs beleuchtet. Wie dachte man in den Stäben den Krieg und vor allem: Wie wurde er schlussendlich geführt? Untersucht werden Strategien und Doktrinen, die Fähigkeit, neue Konzepte zu entwickeln, aus Erfahrungen zu lernen und sich den sich wandelnden Rahmenbedingungen in Krieg und Frieden anzupassen. Schon hierüber hätte man ein eigenes Buch schreiben können. Um den Rahmen nicht zu sprengen, beschränkt sich die Darstellung hier auf die wesentlichen Aspekte, räumt etwa mit alten Mythen über die taktische Leistungsfähigkeit der Wehrmacht auf und wirft einen kritischen Blick auf den militärischen Wert der Bundeswehr. Im Fokus dieses Buches stehen ganz bewusst die Landstreitkräfte. Zweifelsohne wäre es lohnend gewesen, auch Luftwaffe und Marine einzubeziehen. Auch hier gab und gibt es tribal cultures, man denke nur an die habituellen Unterschiede zwischen Kampffliegern, Transportfliegern und Angehörigen der Flugabwehrraketentruppe. Was beim Heer die Fallschirmjäger, waren bei der Marine die Schnellbootfahrer, denen ein besonders robuster Habitus nachgesagt wurde. Die Marine der Bundeswehr hatte ihre ganz eigenen Probleme mit der Tradition. Das reichte vom Umgang mit den in Nürnberg 1946 verurteilten Großadmiralen Erich Raeder und Karl Dönitz bis hin zur unlängst diskutierten Frage, ob in der Aula der Marineschule Flensburg eine Büste von Admiral Rolf Johannesson stehen darf, der kurz vor Kriegsende mehrere Todesurteile unterschrieb. Für die Schwerpunktsetzung der vorliegenden Untersuchung spricht gleichwohl, dass das Heer in der deutschen Militärgeschichte stets die größte und wichtigste 13
Teilstreitkraft war. Hier zeigen sich auch die deutlichsten Kontinuitätslinien, weil sich das militärische Handwerkszeug im Vergleich zu den anderen Teilstreitkräften am wenigsten veränderte. So ist es nicht verwunderlich, dass die in der Bundesrepublik geführten großen Debatten um Tradition und Identität der Streitkräfte fast immer vom Heer ausgingen. Letztlich ging es stets um die Frage, wie es die Bundeswehr mit dem Kämpfen, Töten und Sterben hielt – eine Frage, die die Landstreitkräfte im Besonderen betraf. Der Buchtitel »Deutsche Krieger« beschreibt diese archaische Seite des Soldatenberufs. Dessen raison d’être, der Krieg, ist gewissermaßen der Fixpunkt der vorliegenden Untersuchung. 14
I. Auf dem Weg zur Weltmacht. Das Militär im Kaiserreich (1871–1918) Blut und Eisen Preußen löste die Deutsche Frage mit seiner Armee. In den siegreichen Kämpfen gegen Dänemark (1864), Österreich (1866) und Frankreich (1870/71) entschied es den lange schwelenden Konflikt um die Gründung eines deutschen Nationalstaats in der Mitte Europas in seinem Sinne: Am 18. Januar 1871, kurz vor Beendigung des Krieges gegen Frankreich, proklamierten die deutschen Fürsten in Versailles den preußischen König zum Deutschen Kaiser. Nach der ersten Reichstagswahl vom 3. März 1871 stimmte die neue Volksvertretung, der Reichstag, mit überwältigender Mehrheit für die neue Verfassung. Das Deutsche Reich war eine konstitutionelle Monarchie, ein monarchischer Bund von 25 Mitgliedern, genauer von vier Königreichen, sechs Großherzogtümern, fünf Herzogtümern, sieben Fürstentümern, drei freien Städten und dem Reichsland Elsaß-Lothringen. Die drei Königreiche Sachsen, Bayern und Württemberg behielten ihre eigenen Armeen, deren Kommandogewalt erst im Kriegsfall auf den preußischen Kriegsminister überging. Die Streitkräfte der kleineren Bundesstaaten standen bereits im Frieden unter preußischem Kommando oder wurden ins preußische Heer eingegliedert. Zwar waren das sächsische, bayerische und württembergische Heer auf dem Papier eigenständig, doch da sich Ausbildung und Ausrüstung überall an den preußischen Standards ausrichteten, lief es de facto 15
doch auf eine Kaiserliche Armee hinaus. Die 1872 aufgestellte Kaiserliche Marine war dann von vornherein eine Institution des Deutschen Reiches und nicht seiner Bundesstaaten. Der Kaiser hatte gemäß der im April 1871 in Kraft getretenen Reichsverfassung eine überaus starke Stellung: Er war die oberste Instanz des Reiches, ernannte den Kanzler, der nur ihm verpflichtet war. Die Regierung war damit der parlamentarischen Kontrolle weitgehend entzogen, der Reichstag konnte lediglich über das Budgetrecht Einfluss auf die Politik nehmen. Auf das direkt dem Kaiser unterstehende Militär- und Marinekabinett, das alle Personalfragen der Streitkräfte regelte, und auf die Operationsplanung des Generalstabs hatten weder das Parlament noch der Reichskanzler unmittelbaren Zugriff. Hinzu kam, dass sowohl der Generalstabschef als auch die Kommandierenden Generäle über das Immediatrecht beim Kaiser verfügten. In der Reichsverfassung war das Militär somit nicht dem Primat der Politik, sondern dem Primat der Krone unterworfen. In der Praxis hing viel vom Geschick und Willen des Reichskanzlers ab, sich auch in militärischen Fragen beim Kaiser Gehör zu verschaffen. Der erste Reichskanzler Otto von Bismarck ließ nie einen Zweifel aufkommen, dass er das Staatsschiff lenkte. Das galt nicht nur im Frieden. Auch in den Kriegen 1866 und 1870/71 setzte er sich in allen Streitpunkten gegen die Militärs durch, weil Wilhelm I. ihm stets folgte. Später ignorierte er alle Präventivkriegsforderungen der Generalstabschefs. Unter Wilhelm II. war das Zusammenspiel komplizierter. Die Außen- und Militärpolitik seit 1890 zeigt jedoch, dass auch in dieser Zeit die Kanzler die zentralen Figuren blieben. Alle wichtigen Entscheidungen – etwa die Flottenpolitik seit 1898 oder die Heeresvermehrungen – wurden von den Reichskanzlern ausdrücklich gebilligt oder 16
gar von ihnen vorangetrieben.1 Eines der wenigen Gegenbeispiele ist die Flottennovelle von 1912, die Theobald von Bethmann Hollweg aussetzen wollte, um einen englandfreundlicheren Kurs einzuschlagen. Er konnte sich aber gegen den Leiter des Reichsmarineamtes, Staatssekretär Alfred von Tirpitz, nicht durchsetzen, da dieser die Unterstützung des Kaisers hatte. Diese politische Niederlage blieb jedoch Episode. Der Reichskanzler spielte im Deutschen Reich zwar nicht de jure, aber de facto die Schlüsselrolle, zumal Wilhelm II. nach der Daily-Telegraph-Affäre von 1908 zu größerer politischer Zurückhaltung genötigt wurde. Während der französische Staatspräsident Raymond Poincaré Überlegungen seines Generalstabs, im Falle eines Krieges mit Deutschland in das neutrale Belgien einzumarschieren, schlicht ablehnte, akzeptierte Bethmann Hollweg ähnliche Planungen seiner Militärs.2 Dass er solchen Überlegungen nicht Einhalt gebot, lag weniger an der überbordenden Macht der Militärs als an seiner zögernden Persönlichkeit. Als versierter Innenpolitiker vertraute er in militärischen wie in außenpolitischen Fragen, in denen er wenig bewandert war, dem Rat von Fachleuten. Staatssekretär Alfred von Kiderlen-Waechter ließ er etwa freie Hand in der Zweiten Marokkokrise 1911. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs hätte Bethmann Hollweg angesichts eines wankelmütigen Kaisers den Angriff auf Belgien verhindern können, wenn er es denn gewollt hätte. Im Kaiserreich gab es also trotz des von der Verfassung vorgegebenen, auf den Kaiser zugeschnittenen Rechtsrahmens den Primat der Politik. Doch anders als in Frankreich oder Großbritannien musste die konkrete Ausgestaltung stets aufs Neue ausgehandelt werden. Das Militär hatte durch den direkten Zugang zum Kaiser und die beschränkte 17
Zuständigkeit des Parlaments mehr Spielräume als in anderen Ländern, und diese wirkten sich – wie noch zu zeigen sein wird – in den Kolonialkriegen besonders verheerend aus. Und dennoch blieb der Einfluss der Streitkräfte, etwa auf die Außenpolitik des Reiches, begrenzt. Das zeigte sich gerade auch in der Julikrise 1914: Den »Sprung ins Dunkle« beschlossen weder Generalstabschef Helmuth von Moltke noch Kriegsminister Erich von Falkenhayn, sondern Reichskanzler Bethmann Hollweg.3 Nicht folgenlos für das Verhältnis von Politik und Militär blieb die Tatsache, dass sich das Kaiserreich in der politischen Praxis immer mehr in Richtung parlamentarischer Monarchie entwickelte. Im Reichstag wuchs der Einfluss der Sozialdemokratie unaufhaltsam – sie stellte 1912 bereits die größte Fraktion. Es waren insbesondere die Sozialdemokraten, aber auch die Linksliberalen, die in den Parlamentsdebatten das Militär ins Licht der Öffentlichkeit rückten, die internen Missstände, aber auch die brutale Kriegführung in den Kolonien scharf kritisierten. Das Parlament konnte zwar weder den Kriegsminister noch den Generalstabschef entlassen. Aber diese Debatten erregten große öffentliche Aufmerksamkeit und erzwangen 1907 gar eine Reichstagswahl. Politische Führung und Generalität konnten sie also nicht ignorieren, mussten Stellung beziehen, was mal mehr, mal weniger überzeugend gelang. Als Reichskanzler Bethmann Hollweg in Loyalität zum Kaiser die milde Bestrafung übergriffiger preußischer Soldaten im elsässischen Zabern 1913 im Reichstag verteidigte, sprach ihm das Parlament mit großer Mehrheit das Misstrauen aus – ein zuvor undenkbarer Vorgang. Der Kanzler blieb zwar im Amt, aber der Vorfall verdeutlichte das Selbstbewusstsein der Abgeordneten, von denen nur noch die Konservativen in Nibelungentreue Kaiser und Armee zur Seite 18
standen. Angesichts dieser Verhältnisse konnte die Reichsleitung nur noch mit dem Parlament und nicht gegen dieses regieren. »In qualitativer Hinsicht«, so urteilt FrankLothar Kroll, »unterschied sich der Deutsche Reichstag der Vorkriegswelt jedenfalls kaum noch von den Volksvertretungen der meisten anderen konstitutionellen oder parlamentarisch verfassten Monarchien in Europa.«4 Die SPD stand der Monarchie traditionell ablehnend gegenüber. Dazu gehörte auch massive Kritik an den Streitkräften.5 Soldatenmisshandlungen beispielsweise wurden von den Sozialdemokraten öffentlichkeitswirksam im Reichstag und in der Presse angeprangert. Doch arrangierte sich August Bebels Partei im Laufe der Zeit mehr und mehr mit dem Militär. Ihre eigene Diktion war von Kampfbegriffen durchsetzt, und sie stand mitnichten den Streitkräften als solchen fern. Gehorsam, Disziplin und die Erziehung zur Wehrhaftigkeit wurden durchaus gutgeheißen. Man wollte aber keine aristokratische Elitetruppe, sondern ein kriegsbereites Volksheer. Man war gegen Paradedrill, aber nicht gegen Gefechtsdrill. Der SPD ging es vor allem um die gesellschaftliche und technische Modernisierung der Armee. Sie unterstützte daher die allgemeine Wehrpflicht und sah in einer demokratischen Heeresverfassung, die Soldatenmisshandlungen und eine spezielle Militärgerichtsbarkeit ausschloss, die Voraussetzung für militärische Schlagkraft. Seit der Jahrhundertwende wich die Fundamentalkritik am preußischen Militär immer mehr einer Kritik im Detail. So stimmte die SPD 1913 der Finanzierung der Heeresvorlage zu.6 In den Schlüsselfragen einer Vergrößerung und Professionalisierung der Armee gingen bürgerliche Offiziere wie Erich Ludendorff und sozialdemokratische Reformer wie Eduard Bernstein 19
gewissermaßen eine Allianz ein. Dieser Wandel der SPD gipfelte in der Zustimmung zu den Kriegskrediten am 4. August 1914. Den Helden des Krieges von 1870/71 konnte im Kaiserreich niemand entkommen. Noch im kleinsten Dorf gab es ein Denkmal zu Ehren der Gefallenen. Und dies nicht nur in Preußen. Überall im Land erzählte man sich stolze Geschichten über die Schlachten bei Wörth oder Gravelotte. Der Sedantag war nationaler Feiertag, an dem die Kriegervereine illustre Aufmärsche veranstalteten und das siegreiche Volk feierte. Kritische Stimmen waren nirgendwo zu hören. Selbst Theodor Fontane, der als einziger Zivilist umfassend über die Kriege von 1864 bis 1871 schrieb, wagte keinen Widerspruch und verfasste ein für den heutigen Leser unendlich ermüdendes Heldenepos.7 Das hohe Prestige des Militärs wirkte sich auf viele Bereiche des gesellschaftlichen und politischen Lebens aus. Die preußische Hofrangordnung von 1878 legte fest, dass die Feldmarschälle über dem Ministerpräsidenten standen, die Generäle über den Staatsministern. Während Offiziere per se als hoffähig galten, waren zivile Beamte erst ab dem höheren Dienst zugelassen. Die Uniform war in der Öffentlichkeit hoch angesehen, und der Militärdienst war auch für das einst so kritische Bürgertum eine Selbstverständlichkeit. Millionen Deutsche waren in Kriegervereinen organisiert. Kriegsspielzeug für Kinder war populär, ebenso wie der Matrosenanzug als Ausweis der Flottenbegeisterung. Das Husarenstück des Schustergesellen Friedrich Wilhelm Voigt, der sich 1906 als Hauptmann der Garde verkleidet erst einen Trupp Soldaten unterstellte und dann die Stadtkasse von Köpenick raubte, belegt den Vorrang des Militärs vor allem Zivilen eindrucksvoll. Man stelle sich nur vor, heutzutage 20
würde ein Hauptmann des Wachbataillons auf einem Berliner Bürgeramt erscheinen und am Kassenschalter die Herausgabe des Bargelds verlangen. Sehr weit würde er mit einem solchen Ansinnen nicht kommen. Wie sehr militärische Prinzipien von Gehorsam und Unterordnung die deutsche Zivilgesellschaft im Kaiserreich vermeintlich prägten, hat Heinrich Mann in seinem 1914 fertiggestellten Roman »Der Untertan« literarisch verarbeitet. Sein Protagonist Diederich Heßling gilt vielen bis heute als meisterhaft beschriebene Verkörperung einer nationalistischen, antidemokratischen, autoritären und militärhörigen Gesellschaft, die bereits den Nationalsozialismus erahnen ließ.8 Jedoch erscheint das Bild des mit Blut und Eisen geschmiedeten Obrigkeitsstaates, in dem das Militärische von der Zivilgesellschaft Besitz ergriffen hat, doch allzu eindimensional.9 Benjamin Ziemann hat zu Recht angemerkt, dass wir über die Wahrnehmungswelt der breiten Bevölkerung noch viel zu wenig wissen. Kaiserreden, Sedanfeiern und Lehrpläne bieten keine hinreichenden Belege für die Mentalität von Schülern, Lehrern oder Wehrpflichtigen.10 Man muss sich somit davor hüten, vom Sender auf den Empfänger zu schließen, schließlich kann eine Ansprache, die das Militär verherrlicht, auf ganz unterschiedliche Weise verstanden werden. Es gibt Indizien, die die Vorstellung einer Dominanz des Militärischen in der Zivilgesellschaft des Kaiserreichs fragwürdig erscheinen lassen. Die Streitkräfte umfassten nie mehr als ein Prozent der Bevölkerung – im Verhältnis genauso viel wie in der Bundesrepublik des Kalten Krieges –, und die Hälfte der wehrpflichtigen Männer wurde überhaupt nicht eingezogen. Gewiss, die Kriegervereine hatten drei Millionen Mitglieder11, aber viele Deutsche blieben ohne jede 21
Militärerfahrung. Trotz des Sozialprestiges hatte selbst die Attraktivität der höheren Soldatenlaufbahn klare Grenzen. So gelang es dem Heer nie, den Offiziermangel zu beseitigen. Von 24 000 Posten waren 1913 2000 unbesetzt.12 Die 120 000 Reserveoffiziere zumeist bürgerlicher Herkunft13 wurden lange als eine Art Transmissionsriemen zur Übertragung militärischer Werte in die Zivilgesellschaft betrachtet. Was sie in der Kaserne lernten, gaben sie vermeintlich in Unternehmen, Behörden, Schulen und Universitäten weiter. Carola Groppe hat darauf hingewiesen, dass sich in den Tagebüchern und Briefwechseln deutscher Industriellenfamilien dafür kaum Belege finden lassen. Es ist auch fraglich, ob ein Reserveoffizier, der gerade einmal ein Jahr Wehrdienst leistete und innerhalb von sechs Jahren an drei mehrwöchigen Übungen teilnehmen musste, sich in seinem Denken und Handeln einer militärischen Normenwelt unterwarf.14 Am dezidiert zivilen Habitus scheint die Militärzeit nicht viel geändert zu haben, zumal die aus dem Wirtschaftsund Bildungsbürgertum stammenden Reserveoffiziere schon in ihrer Ausbildung weitgehend unter sich blieben und für sie die gesellschaftlichen Vorzüge des Dienstes in einem der angesehenen Garde- oder Kavallerieregimenter zumeist im Vordergrund standen. Mit der militärfachlichen Qualifikation haben es die Reserveoffiziere nicht immer besonders ernst genommen. Die Begeisterung für Uniformen, Paraden und wilde Reiterattacken war gewiss vorhanden, blieb aber meist auf den Moment beschränkt und drang nicht in den zivilen Alltag ein. So hielt der Unternehmer Paul von Cosman seine 1889 als Leutnant der Reserve abgehaltene Übung für ein »harmloses Kriegsspiel«15 – von der in den Vorschriften geforderten »immerwährenden Erhaltung der Kriegstüchtigkeit« war bei ihm wenig zu spüren. 22
Die andere Brücke vom Militär in die Zivilgesellschaft bildeten die ehemaligen Unteroffiziere, die nach zwölf Jahren Dienstzeit in der Regel in die mittlere Verwaltungslaufbahn übernommen wurden. Doch sie stellten keineswegs die Mehrheit der Beamtenschaft, und es ist nicht hinreichend untersucht, inwieweit sie ihr neues ziviles Arbeitsumfeld im Sinne ihrer militärischen Erfahrung prägten oder umgekehrt von diesem im zivilen Sinne beeinflusst wurden. Einen weiteren Hinweis, dass das Militärische die gesellschaftlichen Umgangsformen im Kaiserreich kaum dominiert haben kann, offenbart die Anstands- und Benimmliteratur der Zeit, die das Salutieren oder Hackenschlagen vielfach als überflüssig und unschicklich bezeichnete und alles schneidig Stramme bei der Begrüßung ausdrücklich vermieden sehen wollte.16 Die These einer durchgreifenden Militarisierung der Gesellschaft ist also kaum haltbar.17 Die Streitkräfte wurden vom Bürgertum als ein organischer Teil der Gesellschaft betrachtet. Militärdienst galt als Bürgerpflicht. Jeder sollte seinen Beitrag zur Verteidigung von Staat und Nation leisten, und das fiel den Bürgersöhnen angesichts der privilegierten Bedingungen als EinjährigFreiwillige offenbar nicht besonders schwer. Sie mussten – nach Absolvierung einer Eignungsprüfung – nur ein Jahr Wehrdienst leisten, konnten das Regiment und den Zeitpunkt ihres Dienstantritts frei wählen und sich am Ende ihrer Dienstzeit zum Reserveoffizier qualifizieren. Die Kosten für den Militärdienst mussten sie jedoch selbst tragen. Nur in den ersten Wochen waren die Einjährigen zusammen mit den übrigen Mannschaften untergebracht, dann wohnten sie außerhalb der Kasernen in Privatquartieren. Auch ihre Grundausbildung erfolgte getrennt von den übrigen Soldaten. Offizierkorps und Bürgertum rückten näher zusammen als je 23
zuvor, wozu die Vergrößerung, Professionalisierung und Technisierung der Streitkräfte erheblich beitrugen. Wie im Militär die Ansicht vorherrschte, die Schule der Nation zu sein, sah das Bürgertum seine Leitbilder von Professionalität, Pflichterfüllung und Einsatzfreude im Militär verwirklicht.18 Doch trotz mancher Überschneidung verschmolzen die Milieus nicht – das Berufsoffizierkorps besaß ebenso einen eigenen Werte- und Normenkern wie etwa das Bildungsbürgertum. Die wachsende Rolle des Bürgertums zeigte sich auch im rasanten sozialen Wandel in den Streitkräften. Waren 1871 noch 75 Prozent der preußischen Offiziere Adelige, so sank dieser Anteil bis 1913 auf rund 30 Prozent. In der bayerischen Armee war er traditionell niedriger, 1913 waren es gerade einmal neun Prozent. Die Geschichte dieses Wandels ist bislang meist als grimmiges Rückzugsgefecht adeliger Hardliner erzählt worden. In der Tat verteidigten diese die Armee als ihre exklusive Bastion gegen eine soziale Öffnung. Nur so glaubten sie die unbedingte Treue zum König und die Zuverlässigkeit im Kampf auch gegen innere Feinde gewährleisten und damit ihren Standesgenossen ein exklusives Betätigungsfeld sichern zu können. 1913 bremste der Kriegsminister sogar die Aufrüstungspläne des Generalstabs, weil er um die soziale Kohäsion des Offizierkorps fürchtete. Auf den sozialen Wandel hatten solche Manöver aber keinen Einfluss, denn die zentrale Richtungsentscheidung war schon 1844 getroffen worden. Seitdem war in Preußen die gymnasiale Primarreife, also die erfolgreich abgeschlossene 11. Klasse, die Voraussetzung für den Einstieg in die Offizierslaufbahn. Es gab zwar allerlei Ausnahmebestimmungen, und von 1861 bis 1872 war die Regelung gar suspendiert. Doch die langfristigen Folgen 24
dieses Schrittes lassen sich gar nicht hoch genug bewerten. Das Militär wurde zum Teil einer Staatselite, zu der nur diejenigen Zugang erhielten, die entsprechende strenge Bildungsvoraussetzungen erfüllten. Über dieses Privileg verfügten Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem Adelige, erst mit der fortschreitenden Industrialisierung seit den 1880er-Jahren aber auch immer breitere bürgerliche Schichten. Der Kaiser bestärkte diese Entwicklung 1890 mit einem Dekret zur gezielten Öffnung des Offizierkorps für Bürger- und Beamtensöhne.19 Seit der Jahrhundertwende hatten dann immer mehr Offizieranwärter sogar das Abitur, also den Abschluss der 13. Klasse vorzuweisen, 1912 bereits 65 Prozent.20 Zum Vergleich: Nur zwei Prozent eines Schülerjahrgangs machten 1912 Abitur.21 Wie die anderen Angehörigen des Staatsdienstes gehörten Offiziere im Kaiserreich also zur Bildungselite. Da diese am Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr vom Bürgertum dominiert wurde, veränderte sich dementsprechend die soziale Struktur des Offizierkorps. Bis dieser Wandel jedoch auch auf der höchsten Ebene ankam, vergingen noch Jahrzehnte. General wurde man erst mit 50, also nach rund 30 Dienstjahren. 1880 entstammten 51 Prozent der Leutnante der preußischen Armee dem Bürgertum, und es dauerte bis 1913, bis sie die hohen Dienstgrade der Obersten und Generäle erklommen hatten.22 Der Adel hatte in dieser Periode statistisch gesehen keine besseren Karrierechancen.23 Leistung und der Zugang zur Bildung waren somit die entscheidenden Stellschrauben. Es gab aber auch die Sorge vor einem Zustrom aus unerwünschten Kreisen. So gab es strenge Abschottungstendenzen gegen Juden. Bis 1913 hatten die Armeen des Kaiserreichs keinen einzigen aktiven jüdischen 25
Offizier und nur eine Handvoll Reserveoffiziere, obwohl Zehntausende Deutsche jüdischen Glaubens als EinjährigFreiwillige dienten. Im Zarenreich war die Lage ähnlich.24 Die meisten anderen Großmächte, etwa Italien, Frankreich oder Österreich-Ungarn, hatten jüdische Berufsoffiziere, auch wenn diese dort ebenfalls Diskriminierungen unterworfen waren.25 Während die Auffüllung aller freien Offizierstellen nicht gelang, konnte der Mangel an Unteroffizieren seit der Jahrhundertwende durch bessere Bezahlung und gute Beförderungsbedingungen behoben werden.26 Bei der Rekrutierung der Mannschaften gab es – anders als bei Offizieren und Unteroffizieren – ein Überangebot. Obwohl sich die Personalstärke der Armee in 40 Friedensjahren von 425 000 Mann 1875 auf 795 000 Mann 1914 beinahe verdoppelte, wurde nur rund die Hälfte aller jungen Männer eingezogen. Die Auswahlkriterien konnten entsprechend hoch angesetzt werden, auf körperliche Gesundheit wurde besonderer Wert gelegt. Ein überproportionaler Anteil der Mannschaften kam aus ländlichen Gebieten; unter der Stadtbevölkerung war der Anteil der Arbeiterschaft überproportional hoch, besonders unter jenen, die auf dem Land geboren und aufgewachsen waren.27 Eine gezielte soziale Rekrutierung gab es bei den Mannschaften nicht. Relevant war vor allem die physische Qualifikation, obwohl die Militärführung große Sorge vor einer Unterwanderung durch die Sozialdemokratie hatte und den Soldaten den Besitz von sozialdemokratischen Schriften oder den Besuch von politischen Versammlungen verbot. Wie viele Sympathisanten der SPD es in den Reihen der Soldaten gab, ist nicht bekannt. Dass sich ihre Zahl erheblich vermehrte, ist angesichts der vielen Wehrpflichtigen aus dem Arbeitermilieu naheliegend. Allerdings hatte das keine 26
weitergehenden Folgen. Selbst wenn das Militär bei Ausständen zur Unterstützung der Polizei ausrückte, etwa als beim großen Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet 1912 5000 Soldaten nach Dortmund, Hamm und Recklinghausen verlegt wurden, gab es keine Verbrüderung von Soldaten und Arbeitern.28 Die Armee blieb ein zuverlässiges Instrument des Staates. Auch blieben solche Einsätze im Innern die große Ausnahme.29 Meist reichte die Mobilisierung als Drohkulisse aus, um einen Ausstand zu beenden. Der Einsatz der Streitkräfte im Innern war zu jener Zeit in ganz Europa üblich, wobei er in Deutschland zurückhaltender gehandhabt wurde als in Frankreich und vor allem in Russland.30 Kolonien Das Deutsche Reich wurde zwischen 1883 und 1885 Kolonialmacht in Afrika und erwarb vier sogenannte Schutzgebiete. Um die Jahrhundertwende begannen die Deutschen, in den riesigen Territorien ihren Herrschaftsanspruch mit aller Macht durchzusetzen. In Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, und in Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, Ruanda und Burundi, kam es zu Aufständen, die blutig niedergeschlagen wurden. Für die deutsche Militärgeschichte sind diese Kolonialkonflikte deshalb relevant, weil die Eskalation der Gewalt, etwa bei der Niederschlagung des Herero-Aufstands in Deutsch-Südwestafrika, vor allem von angelsächsischen Autoren als Beleg für einen »German Way of War« interpretiert wird – eine entgrenzte Kriegführung, die sich im Ersten Weltkrieg fortsetzte und in den »Bloodlands« des Zweiten Weltkriegs ihren Höhepunkt erreichte.31 Im Fokus der Betrachtung stehen dabei einerseits die Doktrin der schnellen Vernichtungsschlacht, andererseits die mangelnde Kontrolle des deutschen Militärs durch die Politik. 27
Als Gouverneur Theodor Leutwein damit scheiterte, dem Aufstand der Herero durch Verhandlungen Einhalt zu gebieten, wurde ihm das Kommando über die Schutztruppe entzogen und im Mai 1904 Generalleutnant Lothar von Trotha übertragen. Dessen Ernennung an sich war schon ein Skandal, da sich sowohl Generalstabschef Alfred von Schlieffen als auch der Reichskanzler gegen ihn ausgesprochen hatten. Für Personalfragen war aber ausschließlich das dem Kaiser unterstellte Militärkabinett zuständig. In DeutschSüdwestafrika angekommen, ging es Trotha um eine rasche militärische Niederschlagung des Herero-Aufstands. Damit folgte er der gängigen deutschen Militärdoktrin, einen langen Krieg durch eine schnelle Vernichtungsschlacht zu vermeiden. Seit den Erfolgen in den Einigungskriegen war diese Doktrin geradezu ein Dogma, und ihr folgte auch Trotha. Doch die Schlacht am Waterberg im August 1904 wurde kein zweites Sedan. Die Herero konnten aus der Einkesselung entweichen, und Trotha hoffte nun, sie durch eine rasante Verfolgung besiegen zu können. Als auch dies nicht gelang und sich die Überlebenden in die Omaheke-Wüste zurückzogen, schienen seine Pläne gescheitert. Die Herero würden, so glaubte er, dort ausharren oder auf alten Handelspfaden nach Botswana entkommen. Da er in ihnen weiterhin eine Bedrohung sah, erließ er am 2. Oktober 1904 seinen berüchtigten Schießbefehl, mit dem er verhindern wollte, dass die Herero in die deutsche Kolonie zurückkehrten. Auf die männlichen Herero, so der Befehl, sollte das Feuer eröffnet werden, Frauen und Kinder sollten mit Schüssen über ihre Köpfe hinweg zurück in die Wüste getrieben werden.32 Wenn er sie schon nicht militärisch besiegen konnte, wollte Trotha sie zumindest aus der Kolonie vertreiben. So wäre das Problem des Aufstands gelöst und zugleich sein Unvermögen, den Herero 28
auf militärischem Wege beizukommen, geschickt vertuscht worden. Von August bis Oktober hatte sich die Kriegführung der deutschen Truppen durch eine situative Dynamik bereits massiv radikalisiert. Als Trotha schließlich erkannte, dass die Herero in der Omaheke-Wüste elendig zugrunde gingen, unternahm er nichts und überschritt damit endgültig die Grenze zum Genozid. Die Doktrin der Vernichtungsschlacht kann diese Eskalation freilich nicht hinreichend erklären. Wäre die Schlacht am Waterberg so verlaufen, wie Trotha es gehofft hatte, wäre der Krieg schnell beendet gewesen. Erst als sich der Erfolg nicht einstellte, begannen die Dinge aus dem Ruder zu laufen. Zu bedenken ist auch, dass andere Offiziere wie der entmachtete Gouverneur Leutwein oder Ludwig von Estorff, einer der Abteilungskommandeure der Schutztruppe, Trotha für seine radikale Kriegführung scharf kritisierten. Sie strebten eine Verhandlungslösung an. Estorff gehörte vor seiner Versetzung nach Südwest immerhin zum erlauchten Kreis der Offiziere im Großen Generalstab. Welcher dieser Männer war nun typisch für das deutsche Militär? Zweifellos war Trotha der entscheidende Faktor für die Eskalation der Kriegführung, wie Matthias Häussler auf Grundlage von dessen erstmals vollständig zugänglichen Tagebüchern kürzlich nachwies.33 Und angesichts von Trothas Disposition für radikale Lösungen wirkte es sich fatal aus, dass er nur dem Generalstab unterstellt war. Der Reichskanzler war freilich nicht ganz aus dem Spiel. Der Gouverneur der Kolonie unterstand der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts, das wiederum Kanzler Bernhard von Bülow verantwortlich war. Insofern hatte dieser durchaus eine Handhabe, sich in den Gang der Dinge einzumischen. Trotha vermochte vor Ort zwar Gouverneur Leutwein an den Rand zu 29
drängen34, doch Bülow konnte er auf Dauer nicht ignorieren, auch wenn der Kaiser ihm versprochen hatte, nur vom Generalstab Anweisungen zu empfangen. Die verworrenen Befehlsverhältnisse führten freilich dazu, dass das politische Berlin erst im Oktober 1904 erfuhr, dass die Kriegführung in der Kolonie außer Kontrolle geraten war. Der Reichskanzler erwirkte daraufhin die Aufhebung des Schießbefehls vom 2. Oktober. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Herero aber bereits in der Omaheke-Wüste verendet. Bemerkenswert ist, dass Trotha trotz seiner verheerenden Kriegführung nicht abgelöst wurde, sondern erst ein Jahr später, im November 1905, ein geordneter Wechsel von Gouverneur und Schutztruppenkommandeur stattfand. Trotha wurde sogar mit dem höchsten preußischen Orden ausgezeichnet, dem Pour le Mérite, dann aber aus dem aktiven Dienst entlassen. Man kann argumentieren, dass sein Verhalten in Berlin offenbar nicht als so außergewöhnlich angesehen wurde, dass eine sofortige Ablösung gerechtfertigt erschien.35 Das mag auch daran gelegen haben, dass er der Kandidat des Kaisers war, den man nicht desavouieren wollte. Es lässt sich gewiss anführen, dass die imperiale Kriegführung der Europäer stets sehr grausam und die Zahl genozidaler Verbrechen erheblich war. Man denke nur an die Ausrottung der tasmanischen Urbevölkerung durch britische Siedler in den 1830er-Jahren oder an die Indianerkriege in Nordamerika im 18. und 19. Jahrhundert. Doch will man das Verbrechen an den Herero einordnen, helfen derart allgemeine Vergleiche nicht weiter, man muss vielmehr auf ähnlich gelagerte Kriegszüge zur selben Zeit blicken. Bei der Niederschlagung des Matabele-Aufstands 1896/97 im heutigen Simbabwe durch britische Truppen, im Burenkrieg 1899 bis 1902 oder während der französischen Pazifizierung der 30
Elfenbeinküste zwischen 1893 und 1911 kam es zwar zu exzessiven Gewaltakten. Es gab auch Militärs, die wie Trotha zu allem fähig waren.36 Es gab aber keine genozidale Gewalt, und dies ist ein gewichtiger Unterschied. In all diesen Konflikten ging es darum, den Widerstand des Gegners zu brechen, ihn aber als Entität zu erhalten. Das lag ganz entscheidend daran, dass in Frankreich und Großbritannien sowohl das Kolonialministerium als auch der zivile Gouverneur vor Ort eine wesentlich stärkere Stellung als in den deutschen Kolonien hatten und das Militär straff kontrollierten. Zeitraum, Ziele und Methoden der kolonialen Kriegführung wurden von den zivilen Instanzen vorgegeben, die ein eminentes Interesse an der Erhaltung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Kolonien hatten. Somit war der letzten Stufe der Gewalteskalation ein Riegel vorgeschoben. Dieses Sicherungselement gab es auf deutscher Seite nicht. Die Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt war schwach und mit der Stellung des britischen Kolonialministeriums nicht zu vergleichen. Die Kolonialkriegführung 1904/05 im heutigen Namibia ist ein prägnantes Beispiel für die besondere Stellung des Militärs im Deutschen Reich. Indem Kaiser Wilhelm II. die Bekämpfung des Aufstands in die Hände des Generalstabs in Berlin legte, war der Politik die Kontrolle über das Geschehen in der Kolonie in den entscheidenden Wochen entzogen. Gewiss war die Zivilmacht nicht gleichbedeutend mit einem Ende der Gewalt. So starben in den zivil kontrollierten Internierungslagern ab Herbst 1904 Tausende der überlebenden Herero und Nama. Aber eine solche Radikalisierung, wie sie Trotha betrieb, wäre unter zivilem Kommando nicht vorstellbar gewesen. 31
In Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, schlug die Schutztruppe zur selben Zeit den Maji-Maji-Aufstand nieder. Dabei kamen sogar noch mehr Menschen ums Leben als bei der Niederschlagung des Herero-Aufstands. Die Opferzahlen werden auf bis zu 250 000 geschätzt. Und doch folgte die Kriegführung hier einer anderen Logik als in DeutschSüdwestafrika. Die zivilen Instanzen wurden hier nie entmachtet, den Rebellen stand es frei, sich zu ergeben, und an einer Ausrottung der Bevölkerung hatten die deutschen Kolonialherren kein Interesse, weil sie diese als Arbeitskräfte ausbeuten wollten. Einer der wichtigsten Katalysatoren der Brutalisierung ging zudem nicht von der Metropole – dem Eingreifen des Generalstabs –, sondern von einer situativen Anpassung an die Gewaltkultur der Region aus. Die Aufstandsbekämpfung wurde von einer afrikanischen Söldnertruppe durchgeführt, die den Kampf nach eigenen Regeln eines vorkolonialen Raub- und Beutekriegs führte, in dessen Folge die meisten Opfer verhungerten, weil sie sich nicht mehr mit Lebensmitteln versorgen konnten. Die Schweizer Historikerin Tanja Bührer prägte hierfür den Begriff der »Afrikanisierung« der Gewalt.37 Die deutsche Kolonialkriegführung war gewiss brutal und grausam. Sie offenbart, dass die Eskalation beziehungsweise Eindämmung von Gewalt von einem Wechselspiel aus konstitutionellen Rahmenbedingungen, Dispositionen der men on the spot, militärischen Doktrinen und vor allem einer situativen Gewaltdynamik bestimmt wurde. Anders gesagt: Es gab gewiss nationale Spezifika, doch diese waren immer nur einer von vielen Faktoren, die über das jeweilige Ausmaß von Gewalt entschieden. Insofern führt kein direkter Weg von der Schlacht am Waterberg und Trothas Schießbefehl nach Auschwitz. 32
Armee Inneres Gefüge Das Kaiserreich war ein Land im Wandel, modern und rückwärtsgewandt zugleich. Was das Militär betrifft, so war am beständigsten wohl das Selbstbild der Armee als Schule der Nation, die die Staatsbürger zu Kaisertreue, Vaterlandsliebe, Gottesfurcht, Gehorsam und Pflichttreue erzog. Erklärter Gegner der Armee war die Sozialdemokratie, und die Streitkräfte sahen es nicht zuletzt als ihre Aufgabe an, den wachsenden Einfluss der SPD einzudämmen. »Wer zu den Sozialdemokraten desertiert, verschreibt seine Seele dem Bösen!« Treue müsse auch »gegen Wühler und Volksverführer« bewiesen werden, hieß es in einem Kommentar zu den Kriegsartikeln von 1902.38 Die sich seit Langem vollziehende Metamorphose der SPD von der Revolutionspartei, die Monarchie und Kapitalismus abschaffen wollte, zu einer staatstragenden Partei, die eine eher pragmatische Politik verfolgte, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verbessern, wurde von den meisten Militärs nicht erkannt. Es gibt keine verlässlichen Angaben zur politischen Haltung deutscher Soldaten im Kaiserreich, zumal während des Wehrdienstes das aktive Wahlrecht ruhte. Jedoch ist es aufgrund der Ergebnisse der Reichstagswahlen mehr als wahrscheinlich, dass die Zahl der Soldaten mit einer politischen Affinität zur Sozialdemokratie massiv anstieg. Alle Maßnahmen, dies zu verhindern – etwa der gezielte Einsatz von Militärpfarrern oder ein vaterländischer Geschichtsunterricht –, scheiterten. In der Praxis interessierten sich die jungen Rekruten weder sonderlich für christliche Werte noch für die Heldengeschichten einer hohenzollerischen 33
Meistererzählung. Auch fehlte den meisten jungen Offizieren die politische und pädagogische Bildung, um eine solche Erziehungsaufgabe leisten zu können. Als General Hermann von Eichhorn 1905 im XVIII. Armeekorps in Frankfurt/Main sozialpolitischen Unterricht abhalten ließ, kritisierten viele Offiziere einen solchen Versuch der Einflussnahme als von vornherein wirkungslos und fürchteten, dass redegewandte Sozialdemokraten unter den Soldaten die Offiziere bloßstellen könnten. Schließlich verbot der Kaiser im Januar 1910 diese Form des Unterrichts in den Streitkräften.39 Auch der Geschichtsunterricht scheint nicht besonders erfolgreich gewesen zu sein. So hielt der Kommandierende General des II. Bayerischen Armeekorps im Dezember 1894 fest, der »größte Teil der Offiziere« halte sich »mehr oder weniger mechanisch an den toten Buchstaben der verschiedenen für diesen Unterricht bestehenden Lehrbücher« fest. Man brächte nur an den Mann, was dieser zur »äußerlichen Erfüllung seiner Pflichten zu wissen […] hat«.40 In den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs rückte das Heer zunehmend von der Idee ab, die Schule der Nation zu sein. Die politischen Erziehungsversuche wurden aufgegeben, die Ausbildung konzentrierte sich nun ganz auf das militärische Handwerk. Man hatte erkannt, dass es trotz aller Bemühungen nicht gelang, einen nennenswerten politischen Einfluss auf die Rekruten auszuüben. Offensichtlich stellten sozialdemokratische Soldaten auch keine Gefahr für die Streitkräfte dar. Im Gegenteil, sie waren oft überdurchschnittlich gebildet und leistungsfähig.41 Die Ausbildungsvorschriften wurden liberaler, zielten vor allem auf ein besseres Miteinander in den Kompanien und rückten von der übermäßigen Betonung von Drill und Regelwerk ab. Im Mittelpunkt stand der »kriegerische Geist« der Soldaten, ob 34
diese nun gottesfürchtig und kaisertreu waren oder nicht.42 Dieser Wandel vollzog sich vor allem in den Kompanien und Bataillonen. Teile der Militärpublizistik und sicher auch etliche Generäle blieben bei der allzu idealistischen Vorstellung, durch die Dienstzeit die Liebe zu Gott, Kaiser und Reich zu fördern oder bereits Irregeleitete wieder auf den rechten Weg zu führen.43 Versuche, die Werte der Staatsordnung auf die Soldaten zu übertragen, sind in allen deutschen Wehrpflichtarmeen zu finden. Im Kaiserreich waren sie wenig erfolgreich.44 Im Alltag motivierten die Soldaten keine wohlmeinenden Vorträge und kein Kasernendienst, sondern Sport und militärisches Handwerk. Der Malergeselle Wilhelm Janeke, der von 1892 bis 1894 seinen Wehrdienst im sächsischen Jägerbataillon Nr. 12 ableistete, war immer froh, wenn es ins Feld hinausging. »Es war mitunter eine wahre Lust, wenn man an einem duftenden, schönen Sommermorgen singend durch eine romantische Gegend marschierte, umgeben von tatkräftiger, gesunder, lachender Jugend, die, von keiner Sorge bedrückt, sich ihres Lebens freute, die infolge guter Kameradschaft dennoch manch’ sauren Dienst zu fröhlichem Spiel gestaltete«, schrieb er in seine Memoiren. Diebisch freute er sich, dass es ihm auf einer Übung einmal gelang, einer Ulanenpatrouille die Pferde wegzunehmen, »die wir jedoch für ein kleines Lösegeld in einem nahen Gasthaus wieder herausgaben«.45 Seine Kameraden und er wollten Vorgesetzte, die fachliche Vorbilder waren, sich um die alltäglichen Bedürfnisse kümmerten und sie nicht mit übertriebenem Formalismus schikanierten. So hatten die Männer den Ehrgeiz, in der Ausbildung die beste Inspektion zu sein und ihrem Oberjäger zur ausgelobten Prämie von 30 Mark zu verhelfen, denn der 35
war »kein schlechter Mensch« und hat »uns nie unnötig gequält«.46 Und als sie am 23. April 1893 am Geburtstag des sächsischen Königs zur Parade nach Dresden kommandiert waren, »galt es unserem Jungführer Leutnant v. B., ein Mensch von hoher, edler Gesinnung, zu zeigen, daß auch wir seiner würdig seien. Wir wußten, daß er zum Divisionsgeneral in einem Verwandtschaftsverhältnis stand. Hierauf bauend beschlossen wir, beim Vorbeimarsch alles herzugeben, was Beine und Stiefel vermöchten«, erinnerte sich Janeke.47 In der Theorie der Vorschriften sollte der Militärdienst Mut, Tapferkeit, Ehre, Wagemut, Kaltblütigkeit, Entschlossenheit und Willensstärke vermitteln.48 Inwieweit dies wirklich erreicht wurde, ist für eine Friedensarmee kaum zu beantworten, zumal jeder Soldat solche Normen und Tugenden wohl auch anders interpretierte. Als Wilhelm Janeke in einer Übung einmal die Führung seiner Gruppe übernehmen musste und sich in einer schwierigen taktischen Situation sogleich wagemutig unter Hurra-Gebrüll dem Manöverfeind entgegenwarf, war das wohl eher seinem Temperament und seiner Naivität zu verdanken als der Indoktrination seiner Vorgesetzten. Sein Leutnant kommentierte in »ergötzlichen Worten« seinen Angriff mit vernichtender Kritik.49 Viele der jungen Männer scheinen sich der militärischen Welt problemlos angepasst zu haben. Statt über Kaiser, Religion oder das Verhältnis von Verfassung und Militär nachzudenken, wollten sie, so Janeke, schlicht »tüchtige Jäger« sein.50 Zeitgenössische Stimmen stellten die Dienstzeit als eine wichtige Phase der Charakterund Persönlichkeitsbildung im Übergang von der Jugend zum Erwachsenenalter heraus. Die körperlichen Belastungen und das Gefühl der Kameradschaft erfüllten viele mit Stolz. Man gehörte nun dazu, hatte »gedient«. Freilich gelang es nicht 36
allen, die Belastungen des Militärdienstes ohne Weiteres wegzustecken. Für manche war diese Zeit die schlimmste ihres Lebens. Körperliche Schinderei, psychische Demütigung, Stumpfsinn, Langeweile, aber auch die Herausforderung, mit Männern unterschiedlicher Schichten auf engstem Raum ohne Privatsphäre zusammenzuleben51, waren zuweilen geradezu traumatische Erfahrungen. In den ersten Wochen durften die Rekruten die Kasernen nicht verlassen. »Wohl waren etliche unter uns, die diese Freiheitsbehinderung nicht drückte«, schrieb Janeke über seine ersten Wochen als Wehrpflichtiger im November 1892. »Andere hingegen empfanden es als Schmach, fühlten sich als Gefängnisinsassen, und zu letzten gehörte auch ich.«52 Der kanadische Soziologe Erving Goffman hat solche Negativerfahrungen in den 1960er-Jahren beschrieben. Er prägte dafür den Begriff der Totalen Institution. Die Verhinderung einer individuellen Lebensgestaltung, die Reduktion auf die neue soziale Rolle, die Disziplinierung durch Demütigungs- und Entmündigungsrituale führten zur Abtötung des alten und zum Aufbau eines neuen Ich. Goffman hatte ursprünglich geschlossene psychiatrische Anstalten untersucht, zählte zu Totalen Institutionen aber auch Gefängnisse oder das Militär.53 Etliche Soziologen sind ihm gefolgt und haben seine Theorie verfeinert und ausgebaut.54 Jedoch ist fraglich, ob der Prozess der Entindividualisierung hinter den Kasernenmauern in geradezu totaler Wirkungsmächtigkeit stattfand.55 Auf den ersten Blick mochte dies durch Uniform, Gemeinschaftsunterkunft und genormten Tagesablauf so erscheinen. Auch das endlose Exerzieren war im Kaiserreich ganz bewusst darauf ausgerichtet, Gehorsam und innere Ordnung zu erzwingen.56 Und dennoch konnte die Institution Militär die Männer wohl nur äußerlich und nur für 37
die ersten Wochen wirklich umfassend beherrschen. Sie behielten während des Wehrdienstes zweifellos ihre Persönlichkeit, nahmen in der Zwangsgemeinschaft soziale Rollen ein, übernahmen vielfältige Aufgaben mit unterschiedlichem sozialem Prestige – als Hilfsausbilder, MGSchütze oder Gehilfe des Kompaniefeldwebels. Schon die bald vergebenen Spitznamen für Kameraden und Vorgesetzte ließen die Individualität stets durchschimmern, und rasch bildete sich eine soziale Hierarchie auch bei den Mannschaften heraus. Der Kasernenhof wurde nicht zum Schmelzofen der Identitäten.57 Das belegen auch die ganz unterschiedlichen Deutungen des Militärdienstes in den kaiserlichen Armeen, wie sie etwa Ute Frevert herausgearbeitet hat. Gewiss empfanden viele die ersten Wochen als harten Einschnitt.58 Danach aber waren die Erfahrungen sehr unterschiedlich – abhängig von der Einheit, in der man den Dienst leistete, von Kameraden, Vorgesetzten, aber auch von der eigenen Einstellung zum Militär und der Kompetenz, sich in einem neuen sozialen Umfeld zurechtzufinden. Insbesondere die Lebensrealität der zumeist aus vermögenden und gebildeten Familien stammenden EinjährigFreiwilligen ist mit dem Begriff der Totalen Institution nicht treffend beschrieben. Die privilegierten Bedingungen, unter denen sie ihren Dienst ableisten konnten, verdeutlichen, dass die Klassenschranken der wilhelminischen Gesellschaft auch im Militär omnipräsent waren. Richard von Kühlmann, der spätere deutsche Außenminister, leistete seinen Wehrdienst 1893 als Einjähriger bei den Bamberger Ulanen ab, wo zur selben Zeit schon etliche nähere und fernere Verwandte als Offiziere Dienst taten. Die Einheit war eines der drei vornehmsten Regimenter in Bayern, und der Spitzname »SektUlanen« zielte nicht ganz zu Unrecht auf ein finanziell 38
abgesichertes, ausgiebiges Kasinoleben. Kühlmann bemerkte in seinen Memoiren gleichwohl, dass die ersten Wochen in der Armee »nicht leicht« gewesen seien. Die körperliche Anstrengung und die ungewohnten Eindrücke der Mannschaftsquartiere blieben ihm im Gedächtnis. Als er dann ein Zimmer außerhalb der Kaserne bezog und sich an die neue Umgebung gewöhnt hatte, gehörten Exerzieren, Felddienst oder Schießen bald zum Alltag, der durch viele Ausritte und ein gutes Verhältnis zu den Offizieren des Regiments nicht allzu fordernd war. Kühlmann fühlte sich der Gemeinschaft des Regiments dann auch zeit seines Lebens verbunden.59 Die normalen Rekruten leisteten ihren Dienst unter weit weniger angenehmen Bedingungen. Kühlmanns Militärzeit unterschied sich zweifellos signifikant von derjenigen Wilhelm Janekes.60 Tribal cultures Wie das Beispiel Richard von Kühlmanns zeigt, war Militär nicht gleich Militär. Die militärischen Aufgaben und Traditionen, die soziale Zusammensetzung und das Alltagsleben der Streitkräfte wiesen eine feine Binnendifferenzierung auf. Ganz offensichtlich galt dies zunächst für die beiden großen Teilstreitkräfte Heer und Marine, die im Kaiserreich auch organisatorisch vollkommen getrennt waren und eigene Welten darstellten. Aber auch innerhalb des Heeres bildeten die Waffengattungen von Infanterie, Kavallerie und Artillerie sowie die Pionier-, Nachrichten- und Versorgungstruppen eigene Kulturen aus. Diese Gemeinschaften unterschieden sich in ihren Ritualen, ihrem Habitus, ihrem Prestige und grenzten sich nach außen durch eigene Uniformen und Abzeichen voneinander ab. Sie schworen einen Eid auf ihren Landesfürsten, aber auch auf den Kaiser, und fühlten sich – über landsmannschaftliche Unterschiede hinweg – als deutsche Soldaten verbunden. 39
Zugleich bildeten sie eine Art tribal culture, eine identitätsstiftende Kultur, die in den Regimentern durch Tradition, soziale Zusammensetzung des Offizierkorps und das gesellschaftliche Leben am Garnisonsort weiter ausdifferenziert wurde.61 Die Infanterie bildete die große Masse des Heeres. Der Dienst galt als hart und entbehrungsreich, im Alltag wurde auf das Formale viel Wert gelegt. Die Garnisonen lagen zumeist außerhalb der größeren Städte. Das soziale Prestige wurde auch durch die Geschichte der jeweiligen Einheit geprägt. Nur bei acht preußischen Regimentern reichte die Tradition bis vor die Niederlage von 1806 zurück. Das älteste war das Grenadier-Regiment »König Friedrich der Große«, das 1626 aufgestellt worden und im ostpreußischen Rastenburg stationiert war. Rund die Hälfte der Infanterieeinheiten der Friedensarmee des Jahres 1914 war in den Befreiungskriegen der Jahre 1813 bis 1815 oder mit der Heeresreform in den 1860er-Jahren entstanden, konnte sich also auf ruhmreiche Feldzüge und Schlachten berufen. Die andere Hälfte wurde nach 1871 gebildet und erlebte ihre Feuertaufe erst 1914. Das Heer verfügte auf der Ebene der Korps auch über 20 Jägerbataillone als leichte Infanterie zum Kampf in unwegsamem Gelände. Jägerverbände wie das sächsische Jägerbataillon Nr. 12, in dem Wilhelm Janeke seinen Wehrdienst absolvierte, sahen sich traditionell als Elite des infanteristischen Kampfes und hatten viele Freiwillige aus der Forstwirtschaft in ihren Reihen. Der Ton galt als weniger scharf als bei der Infanterie. Die exklusivste Waffengattung war die Kavallerie. Der Hochadel fand hier sein Refugium62 und konnte das Erbe des Rittertums pflegen. Obwohl es im Kaiserreich nur noch eine Einheitskavallerie gab, wurden die alten Bezeichnungen und Uniformen von Kürassieren, 40
Dragonern, Husaren, Ulanen und Jägern zu Pferde beibehalten. Reitergeist, Wagemut und Entschlussfreudigkeit galten als wichtige Tugenden. Die Attacke mit Lanze und Säbel spielte in Ausbildung und Manövern eine große Rolle, obwohl schon aus der Erfahrung von 1870/71 erkennbar gewesen war, dass sich diese Art der Kampfführung überlebt hatte. Der abgesessene Kampf zu Fuß war bei der Kavallerie aber schon habituell verpönt. Bei den 107 Kavallerieregimentern gab es sozial große Unterschiede. So waren bei den 4. Ulanen in Thorn von 27 aktiven Offizieren 19 Landwirtsöhne, von den 39 Reserveoffizieren 30 Landwirte.63 Der Adel war selbst bei der Kavallerie also nicht überall tonangebend, sondern konzentrierte sich bei den Regimentern in den Residenzstädten. Die Selbstrekrutierung wurde dadurch begünstigt, dass das Offizierkorps eines Regiments per Wahl selbst darüber bestimmen konnte, wen es in die eigenen Reihen aufnahm. Ob Adel oder nicht, in der Kavallerie dienten sehr viel mehr vermögende Offiziere als in der Infanterie. Der Comment von Männern, die nicht auf eine Karriere beim Militär angewiesen waren, mag einen Beitrag dazu geleistet haben, dass der Umgangston moderater und das Formale weniger stark ausgeprägt war. Dazu trug auch der tägliche Umgang mit den Pferden bei, wobei die Grenzen zum Sport vielfach fließend waren. Der erfolgreichste Rennreiter des Deutschen Reiches war denn auch ein Offizier: Rittmeister Otto Suermondt. Wenngleich es auch in der Kavallerie einen Unterschied zwischen Adel und Bürgertum gab, war derjenige zwischen Arm und Reich wohl noch schärfer. »Dem GardeUlanen-Offizier von Potsdam stand der reiche bürgerliche Kavallerist von Saarburg näher als der arme adelige Infanterist von Magdeburg«,64 bemerkte ein Stabsoffizier. Der sozial 41
exklusivste Verband der preußischen Armee war das in Berlin und Potsdam stationierte Gardekorps.65 Es bestand aus zwei Infanterie- und einer Kavalleriedivision und verfügte über moderne Unterstützungseinheiten. Bei manchem Regiment waren durch die enge Verbundenheit mit dem Haus Hohenzollern alle Offiziere Adelige. Die Artillerie zog als technisch dominierte Waffengattung besonders viele Abiturienten aus dem Bürgertum an. Viele der bekannten Generäle der Wehrmacht dienten im Kaiserreich bei der Artillerie, darunter Wilhelm Keitel, Friedrich Fromm, Franz Halder oder Ludwig Beck. Die Gründe für die Wahl dieser Waffengattung waren sehr unterschiedlich. Das Reiten bei der bespannten Artillerie spielte bei denen, die sich den finanziell aufwendigen Dienst als Offizier in einem Kavallerieregiment nicht leisten konnten, gewiss eine Rolle. Bei Ludwig Beck waren wohl die Familientradition und sein Interesse an Mathematik ausschlaggebend. Der aus einer angesehenen Wiesbadener Industriellenfamilie stammende Beck hätte gewiss die Möglichkeit gehabt, in ein prestigeträchtiges Kavallerieregiment aufgenommen zu werden. Er wählte aber ein preußisches FeldartillerieRegiment in Straßburg, was Ausdruck seines bürgerlichen Habitus war.66 Die Pionier-, Nachrichten- und Nachschubtruppen waren in Militär und Gesellschaft am wenigsten angesehen. Das Militär bezog Ruhm, Ehre und Anerkennung aus dem Kampf, und in der Gesellschaft des Kaiserreichs hätte wohl niemand bezweifelt, dass das Gefecht die eigentliche Bewährungsprobe des Soldaten war. Die logistische und technische Unterstützung galt demgegenüber als zweitrangig und machte auch nur fünf Prozent des Heeres aus.67 Nur wenige Offiziere dieser Versorgungstruppen schafften den Aufstieg in höhere 42
Positionen außerhalb ihrer Heimatverbände.68 Am untersten Ende standen die für den Nachschub zuständigen TrainBataillone, die vielfach vernachlässigt wurden und oft das am wenigsten geeignete Personal zugewiesen bekamen.69 Insgesamt existierten 1914 viel weniger Waffengattungen als 1944 oder 2014. Dafür waren am Vorabend des Ersten Weltkriegs aber das Sozialprestige und die Tradition der einzelnen Regimenter viel ausgeprägter als zu späteren Zeiten. Zumindest in der preußischen Armee waren die Heldenerzählungen von den Schlachten des Großen Kurfürsten oder Friedrichs des Großen bis hin zu den Befreiungs- und Einigungskriegen omnipräsent.70 Schikanen Bestandteil der tribal cultures der Waffengattungen waren spezifische Aufnahmerituale, wie sie Wilhelm Janeke 1892 als Rekrut erlebte. Eines Abends, nach vielleicht vier Wochen Grundausbildung, der Dienst war zu Ende, die Oberjäger bis zum Feldwebel hatten nach stiller Übereinkunft das Kompanierevier verlassen, war es merkwürdig ruhig in der Freiberger Kaserne. »Plötzlich ertönte ein Hornsignal und dann ein Marsch, von Signalhörnern geblasen. Die Tür ward aufgerissen. Herein strömten, unter verwegenen Sprüngen, mit wüstem Gepolter und wilder Janitscharenmusik, ein halbes Hundert sonderbar verkleideter Gestalten, die, gleich über Schemel und Tische hinweg, wie die Katzen die Schränke erkletterten. Und dann durchbrauste, einem Orkan gleich, ein entsetzliches, furchtbares Getöse unsere Stube. Mundharmonika’s, Signalhörner, große Blechkesseln mit Deckeln, Kochgeschirre, Signalpfeifen und dicke Knüppel, mit denen sie gegen die Schränke den Takt schlugen. Ein Zeremonienmeister rief: ›Ihr sollt heute geloben, daß Ihr es unseren einstigen Kameraden gleichtun wollt. Bekennet daher, 43
daß Ihr gewillt seid, gute, ehrenvolle Kameradschaft zu pflegen, daß Ihr gewillt seid, Feigheit, Lug und sonstige Nichtswürdigkeiten aus Euren Reihen auszumerzen! Versprecht Ihr dieses? Jawohl! So seid Ihr denn aufgenommen in den großen Jägerbund, der alle Gaue Deutschlands umspannt und dem überall Ehre und Achtung gezollt wird! Ein Horridoh den wackeren Jägern.‹ Aber damit war es nicht getan. Der Zeremonienmeister verkündete: ›Als äußeres Zeichen, gleichsam dem Ritterschlag des Mittelalters entsprechend, werdet Ihr Euch heute der üblichen Einschärftung zu unterziehen haben. Einen Akt, dem seit Jahrzehnten, von Euch aufwärts bis zum ältesten Feldwebel, sich sämtliche Angehörige der Kompanie unterzuordnen hatten.‹ Der erste Mann wurde aufgerufen und mußte vor einen Schemel treten. Zwei Mann packten ihn, drückten seinen Oberkörper herunter, sodaß sein Hinterteil recht prall und stramm sich spannte. Während er in dieser Stellung einen Augenblick erwartungsvoll verharrte, sagte der Zeremonienmeister: ›Zwei Hiebe!‹ Zweimal klatschte es mit dem Koppel, und der nächste trat vor. Manche sprangen schon nach dem ersten Schlag auf, fühlten sich ans Hinterteil und protestierten lautstark gegen eine solche Mißhandlung. Doch es nützte ihnen nichts, sie hatten sich nur lächerlich gemacht. […] Diese verweichlichten Jünglinge müssen erzogen werden! Noch einen Hieb, hieß es dann! Danach mußte einer nach dem anderen noch an einem Salzhering lecken und eine Geldspende in die ›Opferkasse‹ entrichten, von der sich die alte Mannschaft Bier und Zigarren gönnte.« Wilhelm Janeke bekam gar drei »furchtbare« Schläge und wähnte sich als Opfer eines Racheaktes wegen seiner vermeintlichen Aufmüpfigkeit. Zwei Tage später erkundigte sich der Hauptmann, ob die Sache für sie ein Spaß gewesen sei 44
oder sie sich belästigt gefühlt hätten. »Fast die gesamte Mannschaft hatte den Vorfall jedoch als Spaß aufgefasst.«71 Janeke freilich hatte die Sache nur mit Widerwillen ertragen. Für ihn zementierte die »Einschärftung« nur die soziale Hackordnung, unter der er besonders litt. Er gab sich alle Mühe, ein guter Soldat zu sein, galt bei seinem Kompaniechef rasch als »bester Rekrut« und zog doch immer wieder alle Schikanen auf sich, weil er sich nicht stillschweigend unterordnen wollte. »Ich will anerkennen, daß unsere höheren Vorgesetzten, die Offiziere, auch in uns Rekruten den Menschen achteten und für unser vorgeschriebenes Zuvorkommen stets einen leisen Dank bezeugten. Aber je weiter nach unten, desto schlimmer wurde es. […] Der Wäschekammersergeant ließ uns oft zwei bis drei Stunden in der Kälte stehen, die Oberjäger verlangten ständig Ehrerbietungen. Da es unter den Rekruten auch wehrhaftere Naturen gab, artete das auch mal in eine Schlägerei aus. War die alte Mannschaft dann der Meinung, daß ein Rekrut, ob seines Frevels, seine volle Bezahlung noch nicht erhalten habe, dann überfielen sie ihn des Nachts im Bett, unbekümmert darum, daß etliche von ihnen hinterher in Arrest wanderten.«72 Die von Wilhelm Janeke überlieferten Schikanen gehörten zum Alltag in den Kasernen des Kaiserreichs. Die dokumentierten Misshandlungen reichten von rüden Beleidigungen bis hin zur Nötigung, den eigenen Kot zu essen. In extremen Fällen kam es sogar zu Todesfällen. Auf dem Torpedoboot D 7 wurde 1910 ein Kadett gezwungen, kurz nach dem Löschen der Feuer in den Kessel zu klettern, um die Roste abzuklopfen. Er verstarb dabei an einem Hitzschlag. Der Delinquent wurde gefasst und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.73 Die Sozialdemokraten nutzten solche 45
Missbrauchsfälle als willkommene Anlässe für parlamentarische und publizistische Generalangriffe auf die Armee. Generalität und Regierung versuchten sie stets als Einzelfälle herunterzuspielen und auf eine funktionstüchtige Militärjustiz zu verweisen. Intern mehrten sich am Ende des 19. Jahrhunderts die Stimmen, die ernsthafte Schritte zur Verminderung der Schikanen forderten. 1898 führte das preußische Kriegsministerium eine verbesserte Beschwerde- und Militärstrafgerichtsordnung ein, und seit den 1890er-Jahren wurde in einer Flut von Vorschriften, Anordnungen und Ermahnungen vor der Misshandlung von Untergebenen gewarnt.74 Die Vorstellung, Disziplin durch »Furcht und Abschreckung« zu erreichen, verschwand seit der Jahrhundertwende zusehends aus dem offiziellen Schrifttum. Der Schleifer wurde als Vorgesetzter missachtet.75 Gehorsam sollte aus Einsicht geleistet werden, nicht aus brutalem Zwang. Gewalt entsprach nicht dem seit 1890 propagierten Offiziersbild. Die Prügelstrafe war daher strikt verboten.76 Die Ehre der Soldaten sollte nicht verletzt werden. Derlei Bemühungen scheinen durchaus Wirkung gehabt zu haben. Zwischen 1903 und 1913 halbierte sich die Zahl der Verurteilungen wegen Beleidigung oder Misshandlung im Deutschen Heer und in der Kaiserlichen Marine von 957 auf 511 Fälle nahezu, obwohl die Zahl der Soldaten im selben Zeitraum um mehr als dreißig Prozent anstieg.77 Freilich vermitteln diese Zahlen angesichts von zuletzt rund 900 000 Soldaten in Heer und Marine nur ein ungenügendes Bild der Realität hinter den Kasernenmauern. Die Dunkelziffer dürfte die Zahl der Misshandlungen, die offiziell zur Verhandlung kamen, bei Weitem überstiegen haben. Ein weiteres Indiz, dass die Misshandlungen tatsächlich abnahmen und der 46
Umgangston sich verbesserte, sind jedoch die Stärkung der praxisorientierten Gefechtsausbildung auf den Übungsplätzen und die Abschwächung des Kasernenhofdrills seit der Einführung des neuen Exerzierreglements 1906.78 Doch warum gelang es nicht, die Soldatenmisshandlungen ganz zu beseitigen? Vier Punkte waren hierfür ausschlaggebend: 1. Gehorsam und Disziplin, aber auch Gewalt als Erziehungsmittel waren als gesellschaftliche Normen weithin akzeptiert. Kinder und Jugendliche durften in Familie und Schule79 körperlich gezüchtigt werden, ebenso Knechte, Mägde und Auszubildende. Obwohl im Militär offiziell streng verboten, wurden Ohrfeigen, Tritte und Schläge von vielen geduldet und als probates Erziehungsmittel betrachtet.80 2. Etliche Verantwortliche waren mit der Ausbildung der Rekruten überfordert. Die Kompaniechefs hatten im Frieden viel Büroarbeit zu leisten und schoben die Dienstaufsicht gerne auf Unteroffiziere ab. Diesen fehlte es vielfach an Autorität und charakterlicher Eignung, um die zuweilen wenig motivierten Wehrpflichtigen auszubilden. 3. Auf dem Kasernenhof gab es nur eine geringe Bindung von Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften. Sie lebten in voneinander weitgehend abgeschotteten Welten. Anders als an der Front gab es hier kein wirkliches Gemeinschaftsgefühl über die Dienstgradgruppen hinweg. 4. Die Möglichkeit, die eigene Machtposition auszunutzen, war allgegenwärtig, nicht nur für Offiziere und Unteroffiziere gegenüber den Mannschaften, sondern auch innerhalb der Mannschaftsdienstgrade, wie es Wilhelm Janeke erlebt hatte. In den zwei bis drei Jahren Wehrpflichtzeit bildete sich eine Hierarchie heraus, in der die Alten ganz oben standen und die 47
jungen Rekruten drangsalierten. Die Binnendifferenzierung konnte sich auch gegen landsmannschaftliche Minderheiten oder die finanziell besser gestellten bürgerlichen EinjährigFreiwilligen richten. Dieses Phänomen der mit rüden Methoden durchgesetzten Machtverhältnisse war schicht- und bildungsunabhängig und kam auch in den elitären Kadettenanstalten vor. Schikanen richteten sich vor allem gegen die unterste Stufe der militärischen Hierarchie, die Mannschaften. Sie konnten in allen Phasen der Dienstzeit vorkommen und waren nicht auf bestimmte Einheiten oder Regionen beschränkt. Die häufigste Form war sicher nicht die rohe Gewaltanwendung, sondern es waren Urlaubssperre, endloses Strafexerzieren oder unwürdige Reinigungsarbeiten wie das Polieren des Klosettrohres. Auch das Erzwingen von Gefälligkeiten aller Art gehörte dazu. Gleichwohl scheint es sich in besonderem Maße um das Kasernenhofproblem einer Friedensarmee gehandelt zu haben.81 An der Front veränderte sich das soziale Binnengefüge. Dort bildeten Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften Überlebensgemeinschaften, in denen die Rangunterschiede zwar nicht verschwanden, sich aber doch relativierten. Die Vorgesetzten konnten nun weit mehr als auf dem Kasernenhof durch Fürsorge und Vorbild soziale Anerkennung gewinnen, was ihnen ihre Führungsrolle erleichterte. So konnte sich eine Kohäsion herausbilden, die den Machtmissbrauch einschränkte. Dieses Phänomen war zu einem gewissen Grad sogar bei der fortgeschrittenen Kompanieausbildung oder bei den großen Herbstmanövern im Frieden zu beobachten.82 Schikanen und Missbrauch blieben ein Dauerproblem der Friedensarmee, sie traten in unterschiedlicher Form in allen deutschen Armeen auf und tun dies bis zum heutigen Tage. 48
Und bis heute verursachen Berichte darüber mit großer Zuverlässigkeit öffentlichkeitswirksame Skandale. So auch im Kaiserreich. 1903 erregte etwa der Roman »Aus einer kleinen Garnison« die Gemüter, der die Zustände im Train-Bataillon 16 im lothringischen Forbach schilderte. In schillernden Farben war von der hanebüchenen Ungerechtigkeit von Vorgesetzten, von Schulden, Ehebruch und Duellen im Offizierkorps zu lesen. Der Roman avancierte zum internationalen Bestseller, weil sein Verfasser Oswald Bilse als aktiver junger Offizier ein Insider war. Der öffentliche Prozess gegen ihn vor dem Militärgericht in Metz offenbarte, dass er mit seiner Schilderung wohl kaum übertrieben hatte. Dennoch wurde er zu sechs Monaten Haft wegen Beleidigung Vorgesetzter und Ausschluss aus der Armee bestraft. Den Whistleblower abzuurteilen – das war ein gefundenes Fressen für eine skandalhungrige Öffentlichkeit. Dass der Roman in Deutschland verboten wurde, heizte die Affäre nur weiter an und führte schließlich dazu, dass er in Österreich nachgedruckt und in großer Zahl ins Reich eingeführt wurde. Bald waren über 100 000 Exemplare verkauft. Wie bei anderen Skandalen auch reagierten Krone, Regierung und Militär nach außen mit Abschottung und Beschwichtigung. Intern griff man aber durchaus durch. Immerhin wurden sechs von neun Offizieren der betreffenden Einheit aus der Armee entlassen, und Kaiser Wilhelm II. forderte in einer internen Anweisung von seinen Kommandierenden Generälen, mit noch größerem Eifer über Moral und Disziplin der Truppen zu wachen.83 Häufig jedoch hatten die Missetäter eher milde Konsequenzen zu befürchten.84 Die Kommentatoren in der Presse hielten Zustände wie in Forbach zumeist für bedauerliche Einzelfälle. Man ist daher geneigt, Reichskanzler Leo von Caprivi recht zu geben, der im 49
Februar 1892 im Reichstag äußerte, dass »solche Misshandlungen« – damals ging es um die Zustände in der sächsischen Armee – generell nicht aus der Welt zu schaffen seien, weil es immer rohe und heftige Menschen gebe.85 Zweifellos verbesserte sich die Behandlung der Soldaten im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts erheblich, vor allem, weil sich die Maßstäbe der akzeptablen Umgangsformen im Militär verschoben. Eine skandalfreie Armee wird es auf absehbare Zeit dennoch nicht geben, weil sich das Verständnis davon, was denn überhaupt eine Schikane sei, über die Jahrzehnte ebenso veränderte. Die meisten der heutigen Eingaben an den Wehrbeauftragten wären von einem Wehrpflichtigen im Kaiserreich wohl überhaupt nicht als problematisch wahrgenommen worden. Es gab also epochenspezifische Signaturen von Missbrauch und auch nationale Besonderheiten. Vor 1918 war das Phänomen in den Armeen Österreich-Ungarns wohl noch ausgeprägter als im deutschen Kaiserreich. Die außerordentlich standesbewussten adeligen K.-u.-k.-Offiziere traten zuweilen wie Feudalherren auf. Die Nationalitätenfrage und die klassenkämpferische Haltung mancher Arbeiter aus Wien oder Böhmen verschärften das Problem weiter. Bei den slawischen Mannschaften hatte sich ein ausgeprägter Hass gegen deutsche und ungarische Offiziere entwickelt. Körperstrafen wie das »Anbinden« oder das »Schließen in Spangen« waren in der K.-u.-k.-Armee bis 1917 erlaubt.86 Und auch in den Streitkräften Frankreichs oder Großbritanniens ging es im Zeitalter des Imperialismus rau zu. Ein wichtiger Indikator für das Ausmaß der körperlichen und seelischen Belastungen während des Militärdienstes sind die Selbstmordzahlen. Diese waren 1890 in der preußischen Armee doppelt so hoch wie in der deutschen Gesellschaft. Sie 50
nahmen dann zwar kontinuierlich ab, blieben aber stets höher als bei Zivilisten. Am höchsten war die Selbstmordrate generell bei Einjährig-Freiwilligen und Unteroffizieren; in den Jahren 1903 bis 1908 lag sie bei 76 bzw. 74 von 100 000 Personen. Bei den Mannschaften lag sie mit 32 weniger als halb so hoch. Während es bei den Rekruten die Belastungen des Dienstes, die Furcht vor Strafe oder die Schikanen durch Vorgesetzte und Kameraden waren, die die jungen Männer in den Tod trieben, waren es bei den Einjährig-Freiwilligen und den Unteroffizieren eher Ehrenfragen wie ausbleibende Beförderung, aber auch Verschuldung oder Alkoholexzesse.87 Die Kavallerie wies im Deutschen Reich die höchste Selbstmordrate aller Waffengattungen auf, obwohl oder gerade weil sie die sozial exklusivste Teilstreitkraft war. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Schikanen nicht der einzige Grund dafür waren, sich während des Militärdienstes das Leben zu nehmen, sondern dass das Ehrverständnis ebenfalls eine große Rolle spielte. Ein Blick auf das Ausland zeigt, dass die Selbstmordrate in der österreichisch-ungarischen Armee mit Abstand am höchsten war, während sie um die Jahrhundertwende in Frankreich und Großbritannien etwas niedriger lag als in Deutschland.88 Erstaunlicherweise wies die zaristische Armee die niedrigste Rate aller Großmächte auf. Die Missstände in den Streitkräften zerstörten weder die Kohäsion in der Armee noch die Verbindung von Zivilgesellschaft und Militär nachhaltig. Dafür war die Erfahrungswelt von Millionen Deutschen, die das Militär im Kaiserreich durchliefen, zu heterogen. Sie begegneten Schleifern und Cholerikern ebenso wie väterlichen Vorgesetzten oder solchen, die besonders schneidig waren.89 Wilhelm Janeke erlebte in ein und derselben Kompanie einen wohlwollenden adeligen Leutnant mit menschenfreundlicher 51
Gesinnung, dem die Rekruten nach kurzer Zeit hohe Achtung zollten, einen Oberjäger mit »absonderlichem Wesen«, einen Gefreiten, der ein »prächtiger Kerl« war, einen Leutnant, der so gar nichts Militärisches an sich hatte, einen Hauptmann, der zum Tyrannen mutierte, und dessen gutmütigen Nachfolger.90 Im Alltag zeigte sich auch, dass das Heer seine Soldaten keineswegs zu stumpfen Befehlsempfängern, sondern zu selbstständig denkenden und handelnden Soldaten erziehen wollte, wie es die Felddienstordnung aus dem Jahr 1908 explizit formulierte.91 Ob das immer gelang, mag dahingestellt sein, aber der mitdenkende Soldat war zweifellos ein Ideal der kaiserlichen Streitkräfte, was mancher auch so erlebt haben dürfte. Viele erkannten aber auch, dass selbst der Drill seinen Sinn haben konnte. Die Waffe blind zu beherrschen und auf Befehle automatisch zu handeln, ohne nachdenken zu müssen, sollte auf dem Schlachtfeld die Überlebenschancen erhöhen92, aber auch helfen, Angst und Tötungshemmungen zu überwinden.93 Kriegsplanungen Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Der Pulverdampf der letzten Schlachten war kaum verzogen, die prunkvollen Paraden abgehalten, die Kriegsbeute eingebracht, da dachte der Generalstabschef schon wieder über die Zukunft nach. Dass Frankreich durch die Niederlage von 1871 nicht dauerhaft geschwächt war, davon war Helmuth von Moltke überzeugt. Ein weiterer Krieg der beiden Erbfeinde schien ihm unvermeidbar. Aber wie sollte in Zeiten des Volkskriegs eine schnelle Entscheidung erzwungen werden, wie es die deutsche Doktrin vorsah? Moltke erkannte, dass keine noch so brillant geschlagene Schlacht in einem großen Krieg Deutschland den Sieg bringen würde. Der Konflikt könnte nur politisch oder in einem langen Abnutzungskrieg entschieden werden. Die 52
Bedeutung dieser Erkenntnis war gar nicht hoch genug einzuschätzen. Doch als er hochbetagt am 14. Mai 1890 im Reichstag davon sprach, dass der nächste Krieg ein siebenjähriger oder ein dreißigjähriger werden würde, verhallten seine düsteren Vorahnungen ungehört.94 Seine Nachfolger – für kurze Zeit Alfred von Waldersee, dann Alfred von Schlieffen und schließlich sein Neffe Helmuth von Moltke d. J. – befassten sich lieber mit der Suche nach dem vermeintlich perfekten Operationsplan, der das Unmögliche möglich machen sollte. Getreu dem Motto: Wenn die Rahmenbedingungen schwieriger werden, dann muss eben unsere Führungskunst noch besser werden. Doch sie alle scheiterten daran, ein überzeugendes Konzept für einen schnellen Sieg zu präsentieren. Die Großmächte des Industriezeitalters waren nicht mehr mit einem Schlag in einem kurzen Feldzug zu besiegen, zumal dem Deutschen Reich seit den 1890er-Jahren ein Zweifrontenkrieg drohte. Um die Grenzen des Möglichen einzugestehen, fehlte dem Generalstab das Verständnis für die finanzielle, ökonomische, personelle und auch außenpolitische Dimension eines großen Krieges – Bereiche, die nicht ihm, sondern dem Militärkabinett, dem Kriegsministerium oder dem Reichskanzler unterstellt waren. Eine politischstrategische Planung des Zukunftskriegs gab es bei keiner Großmacht und schon gar nicht im Deutschen Reich, wo der Kaiser diese Aufgabe hätte koordinieren müssen. Der Austausch von Politik und Militär, etwa von Staatssekretär Gottlieb von Jagow mit Moltke d. J. im Mai 1914, blieb Episode und konnte eine Gesamtplanung nicht ersetzen. Selbst innerhalb des Militärs gab es wenig Koordination. Heer und Marine lebten in eigenen Welten, und der Generalstab war 53
letztlich nicht mehr Planungsbehörde.95 als eine kleine operative Aus heutiger Sicht erscheint es geradezu fahrlässig, den Realitäten nicht stärker ins Auge gesehen zu haben. Allerdings hätte dies von den Militärs nichts weniger gefordert, als der Politik unmissverständlich mitzuteilen, dass es in einem europäischen Konflikt keine militärische Lösung geben könne und folglich alle Erwartungen auf einen schnellen Sieg im Ernstfall nicht erfüllt werden könnten. Zu einer solchen Demontage des eigenen Berufsstands war niemand bereit. So plante der Generalstab weiter den Krieg gegen Frankreich und Russland, arbeitete an minutiösen Aufmarschplänen, träumte von der einen Vernichtungsschlacht, die alles entscheiden würde.96 Eine Ebene tiefer, im Bereich der militärischen Taktik, war der Lerneffekt deutlich größer. Aufmerksam wurden die Kriegserfahrungen anderer Mächte studiert, etwa im Burenkrieg oder im russisch-japanischen Krieg 1904/05, aber auch die Neuerungen etwa der französischen oder russischen Armee ausgekundschaftet.97 Dementsprechend wurden Doktrinen und Vorschriften weiterentwickelt, die Ausbildung verbessert und neue Waffen eingeführt, allen voran das Maschinengewehr und die schwere Feldartillerie. Gemäß den Kriegsplänen des Generalstabs wurde die Taktik des Heeres ganz auf den Angriff ausgerichtet, »seit jeher die Hauptkampfweise der Deutschen«, wie es 1909 hieß.98 In Kenntnis der blutigen Schlachten des Ersten Weltkriegs erscheint die Betonung der kühnen Tat, der Entschlossenheit und Kaltblütigkeit, mithin der moralischen Qualitäten des Infanteristen, der ein wahrer Krieger sein sollte, befremdlich. Leitsätze wie »Vorwärts auf den Feind, koste es, was es wolle«99 oder die Anpreisung der todesmutigen Attacken bei 54
Saint-Privat oder Wörth 1870 als historische Vorbilder100 scheinen den Tod Zehntausender geradezu fahrlässig herbeigeführt zu haben. Dabei wollten Generalstabschef von Schlieffen und sein Nachfolger Moltke d. J. Frontalangriffe wie 1870 unbedingt vermeiden, da sie sehr wohl die Stärke der gegnerischen Verteidigung erkannten. Sie glaubten, diese überwinden zu können, wenn man beweglich, flexibel und aggressiv vorging, die eigenen Kräfte auf die schwachen Punkte des Gegners konzentrierte und die Infanterie ausreichend durch Artillerie unterstützte. Die Risiken und Probleme von Frontalangriffen wurden auch in der Ausbildung junger Offiziere101 klar benannt. Man war keineswegs blind für neue Erkenntnisse, und das Exerzierreglement von 1906 war eine Reaktion auf den russisch-japanischen Krieg. Da alle Kriegsplanungen auf der Offensive beruhten, lag auch auf der unteren taktischen Ebene hier der Schwerpunkt. Freilich enthielt das Exerzierreglement von 1906 auch einen Abschnitt zur Defensive, der erstaunlich modern und flexibel anmutet. 1917/18 sollte man auf die dort niedergelegten Verteidigungsvorschriften zurückkommen. Das Problem waren also weniger mangelnde Erkenntnisse und veraltete Theorie, sondern die Umsetzung der gültigen Vorschriften in die Praxis der Ausbildung.102 Ein Frontalangriff auf einen mit Maschinengewehren bewaffneten Gegner in einer gut ausgebauten Stellung würde in ein Blutbad ausarten. Das war allen Militärtheoretikern klar. Doch wie sollte eine ausreichende Flexibilität in der Offensive in die Köpfe von Subalternoffizieren und Soldaten gelangen, wenn diese nur die glorreichen Bilder der siegreichen Attacken aus dem Krieg 1870/71 vor Augen hatten? Ute Frevert hat auf den Umstand hingewiesen, dass das Töten in 55
der Routine einer Friedensarmee vollkommen ausgeblendet wurde. Es kam in den Erzählungen von 1870/71 nicht vor, auch in den Vorschriften nicht. Auch das Sterben wurde eher verklärt, etwa in den populären Gemälden des Krieges. Im Mittelpunkt der Erinnerung stand stets der Held. Der Tod war gewiss gegenwärtig in den vielen Ehrenmalen zum Gedenken an die Gefallenen, und in den Vorschriften wurde unbedingter Gehorsam bis in den Tod gefordert.103 Die Vorstellung vom Krieg aber blieb abstrakt. Die tatsächliche Waffenwirkung war in den Manövern kaum darstellbar. Obwohl die Qualität der Übungen seit 1906 deutlich gesteigert werden konnte, dienten sie vor allem den Stäben dazu, praktische Führungserfahrungen zu sammeln. Über die blutigen Schlachten der jüngeren Vergangenheit erfuhren die Soldaten dabei kaum etwas.104 Kriegsgemäßes Verhalten, insbesondere Improvisation und Flexibilität, konnte wohl geübt werden, war aber, wie sich zeigen sollte, im Frieden kaum wirklich zu erlernen. In den Offensiven des August 1914 wurden Angriffe dann zu hastig, ohne Aufklärung und Artillerievorbereitung blindlings durchgeführt, obwohl in der Ausbildung immer wieder davor gewarnt worden war. Ein großes Problem war zudem die hohe Anzahl von Reserveoffizieren und -unteroffizieren, die im Frieden nur unzureichend ausgebildet werden konnten. Im Krieg mangelte es vielen von ihnen daher an Initiative und Flexibilität, um die anspruchsvolle Aufgabe etwa der Führung einer Kompanie auf dem Schlachtfeld zu erfüllen.105 Gesellschaftlich-kulturelle Umstände trugen zu diesen Defiziten nicht unerheblich bei. Reserveoffiziere rekrutierten sich aus der Gruppe der Einjährig-Freiwilligen. Doch schon deren Ausbildung war, gemessen an den Maßstäben der Kriegstauglichkeit, unzureichend. Ein Jahr war schlicht zu 56
kurz, um den Männern das militärische Handwerkszeug zu vermitteln, zumal der Dienst nicht allzu hart war und es viele Annehmlichkeiten und Privilegien gab. Die wenigen Reserveübungen konnten diese Defizite später kaum ausgleichen. Andererseits war dieses System ein wichtiger Bestandteil der engen Beziehungen von Zivilgesellschaft und Armee. Letztlich war es eine Kompromisslösung zwischen militärischer Effizienz und gesellschaftlicher Rücksichtnahme, wie sie in vielen Friedensarmeen zu finden war. Am wenigsten gelang die Anpassung an die modernen Verhältnisse bei der Kavallerie. Die Zeit der Reiterattacken war lange vorbei, aber die Vorstellung, ungeordnete Infanteriehaufen niederzureiten, war trotz intensiver und kontroverser Diskussionen in der Militärpublizistik106 nicht aus den Köpfen mancher Kavallerieoffiziere zu bannen. Die Reiterei passte sich gleichwohl ein Stück weit an die neuen Begebenheiten an und leistete in der Aufklärung und beim Flankenschutz 1914/15 gute Dienste. Doch war sie mit nahezu 100 000 Mann (1913) vollkommen überdimensioniert. Die tribal culture der Kavallerie stand der Umwandlung in eine Art berittene Infanterie, die die Pferde nur zum Marsch nutzte, aber zu Fuß kämpfte, im Wege. Den Kampf zu Pferde in der überlieferten Form aufzugeben war für die meisten Offiziere kaum vorstellbar. Zu eng war er mit dem in militärischen wie gesellschaftlichen Kreisen tief verankerten elitären Habitus und einer speziellen Werte- und Normenwelt verbunden, die durchaus einen romantischen Einschlag hatte.107 Der Blick auf die Streitkräfte des Kaiserreichs verdeutlicht die Herausforderungen einer Friedensarmee, sich dem ökonomischen, gesellschaftlichen, sozialen und technischen Wandel der Zeit anzupassen. 1871 war das Deutsche Reich ein Agrarland, 1914 hatte es sich in einer globalisierten Welt als 57
Wirtschaftsmacht etabliert, Großbritannien den Rang als führende Industrienation abgelaufen und wurde nur noch von den USA übertroffen. Die Welt wandelte sich rasant, und darauf musste die Armee reagieren – und zwar auf drei Ebenen: Das höhere Offizierkorps musste erstens über den Krieg der Zukunft nachdenken, eine Vorstellung von den Konflikten kommender Jahrzehnte entwickeln und versuchen, darauf konzeptionell eine Antwort zu finden. Was sollte wie mit welchen militärischen Mitteln erreicht werden? Welche Schlussfolgerungen waren aus dem technischen Fortschritt für das »Denken« des Krieges zu ziehen? Zweitens war sicherzustellen, dass das, was bei der Generalität gedacht wurde, auch bei den Soldaten ankam. Gelang es also, die theoretischen Konzepte in die Praxis umzusetzen? War die Ausbildung effizient und die Armee kriegstauglich? Waren die Soldaten bereit, für ihr Land in den Kampf zu ziehen? Wie stand es um Kohäsion und Moral der Truppe? Und drittens galt es, sich auf den gesellschaftlichen Wandel einzustellen, neue Eliten und Schichten in die Armee zu integrieren. Nimmt man die drei Ebenen gemeinsam in den Blick, ergibt sich eine durchwachsene Bilanz. Die Streitkräfte des Kaiserreichs waren gut ausgebildet und modern ausgerüstet, die Soldaten zumeist motiviert. Die Armee war eine lernende Organisation, auch wenn sie dabei an ihre Grenzen stieß.108 Sie war ganz auf den großen Krieg in Europa ausgerichtet, und sie war – trotz aller diesbezüglichen Reden Wilhelms II. – keine Bürgerkriegstruppe.109 Die Kriegspläne entsprachen dem »Imperativ der Offensive«110, waren aber zu wenig mit politischen Konzepten unterlegt. Eine effiziente Koordination von Staat und Armee gab es nicht, ebenso wenig ein ganzheitliches Nachdenken über den Krieg, der von der Generalität im Wesentlichen auf das Schlagen einer perfekten 58
Umfassungsschlacht reduziert wurde. Die Sozialstruktur befand sich im steten Wandel, und das Offizierkorps der Armee öffnete sich zunehmend dem Bürgertum. Die feudale Prägung111 hatte erheblich an Wirkung verloren, war aber im Alltag noch zu erkennen. Das Problem der Soldatenmisshandlungen verringerte sich im Laufe der Jahre zwar, blieb aber virulent. Weltenbrand Wie siegen? Noch bevor der erste Schuss fiel, hatte das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg diplomatisch verloren. Die Reichsleitung erwies sich in den letzten Julitagen 1914 als schlechter Pokerspieler. Was wäre wohl passiert, wenn man nicht zum Angriff im Westen übergegangen wäre, sondern nach der Mobilmachung schlicht abgewartet hätte? Doch solche Optionen wurden in Berlin nicht diskutiert – nicht von der Politik und nicht von den Militärs. Nachdem 1913 der noch auf Moltke d. Ä. zurückgehende Ostaufmarschplan fallen gelassen worden war, gab es nur noch eine Karte, die man im Ernstfall spielen wollte: der rasche Angriff durch das neutrale Belgien nach Nordfrankreich, um irgendwo zwischen Nancy und Paris die französischen Streitkräfte in einer gewaltigen Schlacht zu zerschlagen. Bismarck hätte eine politisch derart folgenschwere Verengung der militärischen Operationsplanung wohl nie akzeptiert. Aber Bethmann Hollweg war kein Bismarck. Und der Generalstab hatte keinen Sinn für die diplomatischen Chancen, die eine Verteidigungsstrategie zweifelsohne geboten hätte. Auch die Option, einen ermatteten Gegner in einer Gegenoffensive zu schlagen, fand keinerlei Beachtung. Krieg bedeutete nach dem damaligen Weltbild Sieg oder Niederlage. Schließlich kannte 59
die Geschichte des 19. Jahrhunderts kein einziges Beispiel, dass der Verteidiger einen Konflikt gewonnen hätte. Wenn man schon den Sprung ins Dunkle wagte, dann für die Chance eines Sieges, um die vermeintliche Einkreisung des Reiches zu sprengen. Mit der Offensive zwang man dem Gegner das eigene Handeln auf, konnte darauf hoffen, ihn zu Fehlern zu veranlassen und so den Sieg zu erzwingen. Heute wissen wir, dass es trügerische Hoffnungen waren, dass Generalstab und Reichsleitung dem Denken ihrer Zeit verhaftet blieben. Zu tief war der Kult der Offensive im deutschen militärischen Denken verankert. Und richtig ist auch: Alle Großmächte bliesen im Sommer 1914 blindlings zum Angriff – und alle scheiterten damit. Der Vormarsch bis zur Marne, die alliierte Gegenoffensive, der Wettlauf zum Meer und der Zusammenbruch der letzten Angriffe im November 1914 bei Ypern sind vielfach erzählt worden.112 Anders als 1870 war die deutsche militärische Führung der französischen nicht überlegen. Die Oberbefehlshaber der deutschen Armeen und Generalstabschef Moltke waren kein eingespieltes Team. Im Gegenteil: Allerlei Egoismen schwächten die Umsetzung des Feldzugsplans. Es zeigte sich einmal mehr, dass es mit der viel gepriesenen Auftragstaktik so eine Sache war, da die Führer vor Ort in ihrem Drang nach vorne kaum zu bremsen waren und dabei offenbar mehr den eigenen Ruhm als das operative Gesamtkonzept im Kopf hatten. Dieser Befund galt für den kleinen Leutnant ebenso wie für den General. »Viele Leute verloren völlig den Kopf«, schrieb Leutnant Hermann Balck 1915 rückblickend über den Kriegsausbruch. »Andere machten die unmöglichsten Dinge. So stellte sich Oberst Friedrich Wilhelm zur Lippe als Kommandeur des I. R. 74 an die Spitze einer Handvoll Leute und versuchte das Fort 60
Boncelles zu stürmen. Ein völlig intaktes und modernes Panzerfort. Dieser Versuch kostete dem Prinzen das Leben.«113 Und der bayerische Kronprinz Rupprecht hätte als Befehlshaber der 6. Armee eigentlich versuchen müssen, die Franzosen tiefer nach Lothringen hinein und damit in die Falle zu locken. Stattdessen befahl er seinen Truppen vorzeitig den Angriff, der nur unnötige Verluste kostete.114 Der kanadische Historiker Holger Herwig ist der Ansicht, dass selbst bei einem deutschen Sieg an der Marne sich an der strategischen Gesamtsituation nicht viel geändert hätte. Der Stellungskrieg hätte dann nur 40 Kilometer weiter südlich stattgefunden. In der Tat lag ein entscheidender deutscher Sieg bei der damaligen Konstellation wohl außerhalb des Möglichen. Dafür war Frankreich militärisch zu stark, hatte trotz aller Schwierigkeiten aus der Niederlage von 1870/71 zu viel gelernt und wurde von General Joseph Joffre zu kompetent geführt.115 Auch auf taktischer Ebene offenbarten sich bald erhebliche Probleme, und es zeigte sich einmal mehr, dass eine Friedensarmee nur bedingt auf einen Krieg vorbereitet werden kann. Ausbildungsdefizite, insbesondere bei den Reservisten, kosteten viele Opfer. Zu den hohen Verlusten trug auch ganz erheblich bei, dass die Kommandeure ihre Soldaten auf dem Vormarsch durch Frankreich permanent zur Eile antrieben. Bewegung und Geschwindigkeit sollten den Sieg bringen. Eine angemessene Aufklärung und ausreichende Artillerievorbereitung blieben dabei oftmals auf der Strecke.116 Solche überhasteten Angriffe gab es auch an der Ostfront. So griff Generaloberst Hermann von François am 18. August 1914 »in einer Art Hybris, sich als alleiniger Retter Ostpreußens zu gerieren«117, die russischen Verbände mit seinem Korps ohne weitere Rücksprache an und stürzte damit 61
die gesamte Verteidigung Ostpreußens in eine schwere Krise. Bekanntermaßen ging die Sache am Ende glimpflich aus. Der neue Armeebefehlshaber Paul von Hindenburg und sein Stabschef Erich Ludendorff vermochten in den letzten Augusttagen die russischen Armeen auszumanövrieren und ihnen in der Schlacht von Tannenberg eine empfindliche Niederlage beizubringen. Im 18. Jahrhundert wäre dies eine Entscheidungsschlacht gewesen, doch 1914 war damit nur ein örtlicher Erfolg errungen. Als Ende 1914 die Kämpfe an der Westfront im Stellungskrieg erstarrten, waren bereits rund 820 000 deutsche Soldaten gefallen, verwundet oder in Gefangenschaft geraten, davon 18 000 Offiziere.118 Die Munition war verschossen, der Kriegsplan gescheitert, und niemand wusste, wie es weitergehen sollte. Den anderen Großmächten erging es kaum anders – überall waren die hoffnungsvoll erwarteten Offensiven im Abwehrfeuer zusammengebrochen. Auf oberster Ebene begann nun ein jahrelanges Tauziehen um die richtige Strategie zur Beendigung des Krieges. Lag der militärische Schwerpunkt im Osten oder im Westen? Wie und mit wem sollte nach einem diplomatischen Ausweg gesucht werden? Und lohnten sich die diplomatischen Risiken eines verschärften U-Boot-Krieges? Um diese drei Fragen rang eine Vielzahl von Kräften in Militär und Politik. Je nach Konstellation setzte sich mal diese, mal jene Gruppe durch. Bemerkenswert ist, dass Deutschland schon früh die diplomatische Karte ins Spiel brachte. Erich von Falkenhayn, der neue Generalstabschef, erkannte im November 1914, dass man unmöglich alle Gegner würde besiegen können. Er strebte einen Separatfrieden mit Russland an, um alle Kräfte auf Frankreich und Großbritannien richten zu können.119 Erreicht wurde freilich nichts, und auch spätere Friedensfühler liefen 62
ins Leere. Einerseits, weil die Entente kein Interesse an einer vorzeitigen Beendigung des Krieges hatte, und andererseits, weil die deutschen Initiativen allzu zaghaft waren. In Berlin hatten sich unterdessen die Falken durchgesetzt, die ganz auf die militärische Karte setzten. Am 9. Januar 1917 wurde die Aufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges beschlossen. Die Marineführung glaubte, damit Großbritannien binnen sechs Monaten in die Knie zwingen zu können. Dabei war es vollkommen unrealistisch, die englische Volkswirtschaft in so kurzer Zeit derart zu schädigen, dass London würde einlenken müssen. Und doch behaupteten selbst renommierte Volkswirtschaftsprofessoren in ihren Gutachten für die Admiralität genau das. Kaiser, Reichskanzler und Auswärtiges Amt hatten sich zwei Jahre lang immer wieder gegen eine verschärfte Seekriegführung gestemmt. Das Völkerrecht verbot eine Versenkung von Handelsschiffen ohne Vorwarnung – vielmehr musste zuvor die Ladung kontrolliert und die Besatzung in Sicherheit gebracht werden. Wollte man diese Regeln beachten, war ein effektiver Seekrieg mit den kleinen U-Booten kaum durchführbar. Nur wenn alle Schiffe im Blockadegebiet warnungslos angegriffen und versenkt werden könnten, so argumentierte die Admiralität, würde der U-Boot-Krieg für Großbritannien zur tödlichen Gefahr werden. Doch die USA waren nicht bereit, diese Verletzung der Londoner Seerechtsdeklaration von 1909 hinzunehmen, und drohten mit Kriegseintritt. Die U-Boote waren im strategischen Denken der Obersten Heeresleitung (OHL) wie auch in Teilen der deutschen Öffentlichkeit über die Jahre zu einer Art überirdischer Geheimwaffe avanciert, die – wenn nur aller rechtlichen Bindungen entledigt und in großer Zahl eingesetzt – den Krieg 63
würde entscheiden können. Diese Eskalation war umso bizarrer, als die U-Boot-Kommandanten sie gar nicht gefordert hatten. Im Gegenteil: In ihren Berichten stellten sie klar, dass sie durchaus in der Lage waren, nach der international anerkannten Prisenordnung erfolgreich Handelskrieg zu führen. Doch Admiralität und OHL wollten solche moderaten Töne nicht hören. Es ging längst nicht mehr um die rationale Analyse militärischer Taktik, sondern um den Glauben, den Schlüssel zu einem Siegfrieden in der Hand zu halten. So beging Deutschland seinen mit Abstand größten strategischen Fehler und begann am 1. Februar 1917 den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Im April erklärten die USA, wie vorauszusehen war, Deutschland den Krieg. Das Ringen war damit entschieden, woran auch der Zusammenbruch Russlands im Verlauf des Jahres 1917 nichts mehr änderte. Hätte sich Berlin anders entschieden, so argumentiert Holger Afflerbach, wäre das Reich also auf Präsident Wilsons Friedensinitiative im Dezember 1916 eingegangen und hätte darauf verzichtet, den Seekrieg zu eskalieren, wäre daraus »mit einiger Wahrscheinlichkeit der Frieden ohne Sieg hervorgegangen«.120 Das Beispiel des U-Boot-Krieges zeigt, wie sich im Verlauf des Krieges die Gewichte zugunsten des Militärs verschoben. Die im August 1916 installierte Dritte Oberste Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff war dennoch keine Militärdiktatur121, wie vielfach zu lesen ist. Eine solche Deutung verkennt, dass der Kaiser, der Reichskanzler, das Auswärtige Amt und selbst der Reichstag 1917/18 keineswegs aus dem Spiel waren. Wilhelm II. war im Tagesgeschäft gewiss eine schwache Figur, doch in zentralen Fragen behielt er sich die Entscheidung vor.122 Man sollte in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, dass die Verfassung nicht 64
geändert wurde. Gleichwohl hatte die OHL einen Gestaltungsspielraum, wie ihn das Militär in Deutschland nie zuvor und nie danach besaß. Zwischen 1916 und 1918 war aus dem Primat der Politik ein Primat des Militärs geworden. Eine Diktatur war das Reich deswegen aber nicht. Anpassung von Strategie und Taktik Die deutsche Armee erlitt im Ersten Weltkrieg horrende Verluste. Zwei Millionen deutsche Soldaten fielen auf den Schlachtfeldern. 40 Prozent der Berufsoffiziere, die 1914 ins Feld gezogen waren, überlebten den Krieg nicht. 1916 gab es auf Kompanieebene praktisch keinen Offizier der Vorkriegsarmee mehr. Sie waren entweder gefallen oder in höhere Positionen aufgerückt. Der Friedensoffizier als Anführer seiner Männer im Kampf war nirgendwo mehr zu finden. Reserveoffiziere, erfahrene Unteroffiziere, die zu Feldwebelleutnants befördert wurden, und junge Leutnants wie Ernst Jünger oder Hermann Balck füllten die Lücken. Trotz dieser dramatischen Umwälzung der sozialen Zusammensetzung der Streitkräfte blieb die deutsche Armee bis zum Sommer 1918 eine effektive Kampforganisation. Ungeachtet aller Defizite und Probleme war sie vor allem erstaunlich lernfähig.123 Im August 1914 war das Heer ganz auf den Bewegungskrieg und eine minutiös geplante Offensive ausgerichtet. Damit war es im November 1914 vorbei, quasi über Nacht fand man sich in einem Stellungskrieg wieder. Diesen führten die Deutschen 1915 an der Westfront mit reduzierten Mitteln recht erfolgreich, während der Schwerpunkt im Osten lag, wo man Russland eine große Niederlage beibrachte, Polen überrannte, schließlich auch Serbien besetzte. 1916 war auf taktischer Ebene das Jahr der Krise, denn erst scheiterten die Angriffe bei Verdun, dann 65
wankten im Sommer die deutschen Verteidigungslinien an der Somme unter dem unerwartet heftigen Ansturm der Entente. Jetzt zeigte sich, dass Falkenhayn die taktischen Anpassungen an die Bedingungen des dritten Kriegsjahres nicht weit genug vorangetrieben hatte. Schwere Verluste waren die Folge und auch manche bange Stunde, ob es Briten und Franzosen nicht doch gelingen würde, die Front zu durchbrechen. Ludendorff passte die Truppen ab August 1916 besser an die Bedingungen des industriellen Artilleriekriegs an. Die Verteidigungslinien bekamen mehr Tiefe. Nun wurden drei Linien mit jeweils mehreren Grabensystemen angelegt, wobei die vorderen Stellungen nur dünn besetzt waren und die letzte Stellung außerhalb der Reichweite der gegnerischen Geschütze lag. Gelände sollte nicht um jeden Preis gehalten werden, Ausweichen und rascher Gegenangriff waren das Gebot der Stunde. Das kaiserliche Heer stellte sich immer besser auf die Verteidigung ein. Briten und Franzosen rannten trotz immer größeren Aufwands an Mensch und Material letztlich erfolglos gegen die deutschen Stellungen an. 1915, 1916, 1917 – immer das gleiche Bild. Auch die Italiener scheiterten in elf Offensiven an den österreichisch-ungarischen Stellungen am Isonzo im heutigen Slowenien. Die größte taktische Herausforderung des Ersten Weltkriegs war somit der Durchbruch durch ein tief gestaffeltes Grabensystem, das der Gegner mit vielen Truppen und noch mehr Artillerie verteidigte. 1917 waren alle kriegführenden Mächte mit ihrem Latein am Ende. Die Überwindung der Defensive schien trotz eines schier unbegreiflichen Aufwands schlicht unmöglich zu sein. Millionen von Toten und endlose Kraterlandschaften zeugten davon. Schließlich gelang es dem deutschen Heer, in einer Art taktischem Bewegungskrieg das Problem zu lösen. Dank einer 66
engen Koordinierung von Infanterie und Artillerie, der Aufstellung spezieller Sturmtruppen und einer flexibleren Angriffstaktik erzielten die Deutschen Durchbrüche an vormals hart umkämpften Frontabschnitten, etwa am Isonzo im Oktober 1917 und in den Frühjahrsoffensiven von März bis Juni 1918 an der Westfront.124 Ungelöst blieb der schnelle Bewegungskrieg, der auf den Durchbruch eigentlich hätte folgen müssen, doch in einer weitgehend vormotorisierten Zeit nur schwer zu realisieren war. Lkw, Panzer und Schlachtflugzeug waren zwar schon erfunden, aber technisch noch zu unausgereift und in zu geringer Zahl vorhanden, als dass man schon 1918 die Operationen des Jahres 1940 hätte führen können. Die Deutschen konnten das am allerwenigsten, denn sie hatten die Entwicklung des Panzers verschlafen125 und verfügten noch nicht einmal über genügend gut genährte Pferde, um ihre Artillerie rasch nach vorne zu bewegen. So konnten sie aus dem Umstand, dass ihnen ein Durchbruch gelang, keinen kriegsentscheidenden Nutzen ziehen, weil ihnen die technischen Mittel für operative und strategische Erfolge fehlten.126 Selbst der Umstand, dass die kaiserliche Armee das blutige Handwerk des Krieges effizienter ausübte und ihren Gegnern mehr Verluste zufügte, als sie selber erlitt127, brachte aufgrund der numerischen Überlegenheit der Entente keinen entscheidenden Vorteil. So blieben die erfolgreichen Durchbruchsschlachten Pyrrhussiege, die – wie im Falle der Frühjahrsoffensive 1918 – rasch die letzten Reserven des Heeres verbrauchten. Die Alliierten gingen das Problem der schier unüberwindlichen Defensive schließlich durch die Weiterentwicklung des Panzers an, der 1918 technisch einigermaßen zuverlässig und in großer Zahl verfügbar war. Aber auch damit gelang es ihnen nur, das deutsche Heer langsam zurückzudrängen. 67
Die alte Armee ging auf den Schlachtfeldern des Weltkriegs unter. Mit der Mobilisierung von 13 Millionen Männern entstand eine neue Massenarmee, deren Erfahrungswelt durch die industriellen Materialschlachten geformt wurde. Die alten Traditionen aus den Befreiungs- und Einigungskriegen verschwanden zusehends. Vorbilder waren nun zunehmend Soldaten aus dem Weltkrieg.128 Eine militärische Elite im eigentlichen Sinn gab es kaum mehr. Die aktiven Friedensdivisionen wurden bei der Mobilmachung mit Reservisten aufgefüllt, erlitten bald horrende Verluste, wurden immer wieder aufgefrischt, mussten kriegserfahrene Soldaten an Neuaufstellungen abgeben und unterschieden sich bald nicht mehr von den Reservedivisionen. Selbst erfahrene und hochbewährte Regimenter mit einer stolzen Geschichte gingen im Grabenkrieg zugrunde. Als Leutnant Hermann Balck im November 1916 wieder bei seinem alten elitären Jägerbataillon 10 eintraf, das er nach seiner Verwundung im Dezember 1914 verlassen hatte, kannte er dort praktisch niemanden mehr.129 In Verdun hatte das Bataillon zuvor schwere Verluste erlitten. Gewiss waren nicht alle Soldaten an der Westfront eingesetzt, und der Krieg im Osten oder auf dem Balkan hatte einen anderen Charakter, wenngleich die Verluste dort in manchen Monaten sogar höher waren als im Westen. An der Ostfront gab es deutlich weniger Artillerieeinsatz und viel mehr Bewegung der Fronten, wodurch der Krieg wieder »Spaß machte«, wie Artillerieleutnant Rudolf Herms am 5. Mai 1915 in sein Tagebuch schrieb.130 Es gab Kampfformen, die im Westen schon lange nicht mehr vorstellbar waren, etwa Gefechte mit Kosaken, die durch die Front sickerten und überraschend die Artilleriestellungen angriffen.131 Ebenfalls 1915 zog Hermann Balck westlich Warschaus in die Schlacht. 68
»Dort schoss ich auch meinen ersten Russen«132, notierte er zufrieden über sein erstes Gefecht. Und im September 1915 konnte er vermelden, dass man von den Russen über den kleinen Krieg der Patrouillen und Spähtrupps doch schon einiges gelernt hätte.133 Balck hatte Glück, dass er im April 1918 nur kurz in Flandern eingesetzt war, wo seine Kompanie beim Sturm auf den Kemmelberg überraschend die feindlichen Linien durchstieß. Dann wurde er durch eigenes Artilleriefeuer verwundet und musste nicht erleben, wie seine Männer in den folgenden Tagen schwere Verluste erlitten. Die allermeisten deutschen Soldaten hatten nicht so viel Glück. Die meisten Divisionen des Heeres kämpften eine erhebliche Zeit in Frankreich oder Belgien, sodass die Erfahrung der Materialschlachten allgegenwärtig war. Die Wucht der modernen Artillerie und der Maschinengewehre führte zu einer zuvor nicht gekannten Verdichtung der Gewalt. Es war diese konzentrierte Gewalt auf kleinem Raum, die das millionenfache Kriegserlebnis so entsetzlich machte, nicht die absolute Zahl der Gefallenen. Die Monate des Bewegungskriegs an der Westfront – zu Beginn und am Ende des Krieges – waren die verlustreichsten überhaupt, und doch wirkten sie auf die Psyche der Soldaten weniger stark als die langen Monate des Stellungskriegs. Diesen gab es zwar auch an der Ostfront, etwa auf Gallipoli, an der Saloniki-Front und am Isonzo. Doch an der Westfront erreichte der industrialisierte Krieg der Massenheere auf engstem Raum seinen blutigen Höhepunkt. Im Stellungskrieg schrumpfte die Erfahrungswelt der Soldaten auf einige Hundert Meter Grabenlabyrinth zusammen, auf die Unterstände und Stollen. Das Leben spielte sich unter der Erde ab. »Der moderne Infanterist ist Erdarbeiter, Bergmann, Zimmermann«, notierte Ernst Jünger 69
1915 in sein Tagebuch.134 Freilich war die Zeit in der vordersten Linie begrenzt, 48 Stunden, manchmal sechs, sieben Tage, je nach Frontabschnitt, dann wurde eine Ruhestellung bezogen. Hier konnte man zwar wieder aufrecht gehen, sich waschen und ausschlafen, doch lagen die meisten dieser Ruhestellungen immer noch in Reichweite der schweren Artillerie – ganz ungefährlich war es also auch hinter der Front nicht. An der Westfront tobten nicht nur alles verschlingende Materialschlachten. An vielen Abschnitten der Front war es ruhig. Gelegentliche Artillerieduelle und Stoßtruppunternehmen ins Niemandsland beherrschten das Tagesgeschehen.135 Der gegnerische Soldat blieb meist unsichtbar oder tauchte nur schemenhaft am Horizont auf. In Nahkämpfen Mann gegen Mann fiel nur ein Prozent der Soldaten. Ernst Jünger war nach seiner Verwundung in der Somme-Schlacht entsprechend frustriert über diesen »ewigen Artilleriekrieg«. Er bekam in zweieinhalb Jahren kaum einen Gegner zu sehen, obwohl er sich oft an vorderster Front befand. In seinem Tagebuch beschreibt er geradezu genüsslich, wie er im März 1917 dann endlich einen Engländer deutlich im Visier seines Gewehres erblickte und ihn mit einem »trefflichen« Schuss tötete.136 Einen Gegner zu sehen, ihn bekämpfen zu können, am besten mit sichtbarem Erfolg, hieß für einen Moment aus der Ohnmacht herauszutreten, den Stellungskrieg nicht nur passiv zu erdulden, sondern aktiv den militärischen Auftrag zu erfüllen. So wird verständlich, dass Leutnant d. R. Hermann Reinhold im August 1917 die folgenden Zeilen über seine Erlebnisse in der Schlacht von Arras an seine Familie schrieb: »[Man] schießt […] mit jauchzender Freude in lebende Massen junger Menschen 70
hinein, und je mehr blutend zusammenbrechen, desto größer die Begeisterung.«137 Diese Anpassung an die Logik des Krieges ging erstaunlich schnell. Sie brauchte nur wenige Wochen. »Die Franzosen machen auch hin und wieder Angriffe«, schrieb der Artillerist Rudolf Herms bereits am 25. September 1914 in sein Tagebuch. »Dann lassen wir sie hübsch herankommen, und wenn sie recht schön zu fassen sind, so wischen wir sie mit ein paar Gruppen Schrapnells von der Landkarte. Sehr saubere Arbeit! Gestern hat unsere 2. Bttr. auf Infanterie geschossen, in deren vorderster Linie Turkos waren. Bei den ersten Schrapnells warfen die die Hände hoch, um Gnade bittend. Na, Gefühlsduselei hat man sich Gott sei Dank abgewöhnt. Also wurde weitergemetzelt.« Als eine weitere Welle Franzosen angriff, »hat unsere Infanterie mit ihren Maschinengewehren reine Arbeit gemacht. So gehört sich das. Erst ordentlich Schrapnells für die grobe Arbeit und dann Musketiere und Masch.-Gewehre, um den Rest zu verputzen. Die nötigen Nerven haben unsere Kerls jetzt auch.«138 Die Kampfkraft einer Division und damit ihre Chance, auf dem Schlachtfeld Erfolg zu haben, wurden mehr noch als von der Qualität der Ausbildung oder der Moral der Soldaten von der Zahl der ihr zugewiesenen Artillerie bestimmt. Der einzelne Soldat, seine soldatischen Tugenden, all das spielte vor allem an der Westfront nur eine untergeordnete Rolle. Immerhin gelang es den Deutschen über den Krieg hinweg, einen Teil ihres Heeres so aufzufüllen und auszurüsten, dass es angriffsfähig blieb. 1918 gelang das noch für vielleicht 60 Divisionen, während die übrigen als Stellungseinheiten an ruhige Abschnitte verlegt wurden. Die US Army bewertete 1917/18 von 251 deutschen Divisionen etwa 40 als »first class«. Wenngleich die Kriterien für eine solche Bewertung 71
nicht klar sind und gewiss keinen wissenschaftlichen Standards entsprechen, erhält man zumindest einen Hinweis auf die qualitative Angleichung deutscher Verbände. In der ersten Kategorie finden sich nämlich nicht nur die 1. Gardedivision als »one of the very best German divisions«139, von der nur wenige Soldaten in Gefangenschaft gingen, oder die 17. Infanteriedivision, die schon 1866 im Deutschen Krieg gekämpft hatte. Auch die 1914 aufgestellte 13. Reservedivision oder die erst 1915 gebildete 50. Infanteriedivision wurden als »first class« bezeichnet. Ordensverteilungen liefern einen weiteren Hinweis, dass die Unterschiede zwischen den Einheiten nicht sehr groß waren. So bekam an der Westfront keine Division mehr als acht Pour le Mérite verliehen, die 79. Reservedivision brachte es auf sieben, die 2. Garde-Infanteriedivision auch nur auf sechs. Eine ähnliche Verteilung ergibt sich bei dem höchsten an Unteroffiziere und Mannschaften verliehenen preußischen Tapferkeitsorden, dem Goldenen Militärverdienstkreuz.140 Gewiss sind auch Orden kein trennscharfes Merkmal für die Qualität militärischer Einheiten, da die Vergabe nicht nach objektivierbaren Kriterien erfolgte. Sie sind aber zumindest ein Indiz, dass eine relativ große Zahl von Verbänden aus Sicht der höheren Führung recht ähnlich kämpfte.141 Die Zahl der intrinsisch motivierten Soldaten war bei der 1. Gardedivision gewiss höher als bei einer durchschnittlichen Landwehrdivision. Aber selbst bei den motiviertesten Kämpfern machte sich unter den Belastungen des Krieges dumpfe Niedergeschlagenheit breit. Nach acht Wochen erbitterter Kämpfe vor Verdun war von der hoffnungsfrohen Stimmung der sorgfältig zusammengestellten Verbände, die teilweise aus den ältesten preußischen Divisionen bestanden, nichts mehr zu spüren. Stabsarzt Dr. Alfred Bauer, der Leiter 72
des Hauptlazaretts bei Verdun, schrieb zwei Monate nach Beginn des Angriffs am 23. April 1916 in sein Tagebuch: »Sehr viele Leichtverwundete; manche, denen fast nichts fehlt, die nur eine Gelegenheit suchen, von der Front fortzukommen. Die Truppe macht in der Tat einen vollkommen demoralisierten Eindruck, der doch sehr zu denken giebt; keine Spur von irgendwelcher Begeisterung oder Pflichtauffassung mehr. Was für ein Unterschied gegen die erste Zeit. Der Krieg dauert zu lange. Jetzt giebt es keinen Drang zur Front mehr, nur durch Zwang halten sie noch aus und suchen sich ihm auf jede Weise zu entziehen. Simulation, Selbstverletzungen, angeblich natürlich ohne Absicht, sind an der Tagesordnung und leider herrscht auch bei vielen Offizieren gar keine hoffnungsfreudige Stimmung. Wirklich, das sind keine Krieger mehr, das ist zum großen Teil eine zur Schlachtbank geführte Herde.«142 Die tribal cultures der alten Armee verloren auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs an Kontur. Die Kavallerie verschwand beinahe vollständig von der Bildfläche und büßte damit auch ihre prominente Stellung in Militär und Gesellschaft ein. Die meisten Einheiten mussten ab 1916 ihre Pferde an die Artillerie oder den Nachschub abgeben, wurden entweder ganz aufgelöst oder zu Kavallerie-SchützenDivisionen für den Kampf zu Fuß umgebildet. Aus der Masse des Heeres stachen nur wenige Spezialverbände wie das Alpenkorps – dem auch Hermann Balcks Jägerbataillon Nr. 10 angehörte – oder die 18 Sturmbataillone hervor. Diese bestanden aus unverheirateten Freiwilligen, die höchstens 25 Jahre alt, besonders gut ausgerüstet und für den Nahkampf im Stellungskrieg ausgebildet waren. Sie dienten einerseits als Lehrverbände, die andere Einheiten in der neuen Angriffstaktik ausbildeten143, kämpften aber auch selber an 73
den Brennpunkten. Sie waren an der speziellen Bewaffnung – Pistolen, kurze Karabiner, Flammenwerfer und 1918 auch die ersten Maschinenpistolen – und durch besondere Uniformteile und Ausrüstungsstücke, etwa die lässig über Kreuz getragenen Brotbeutel für die Handgranaten oder die Wickelgamaschen, schon äußerlich zu erkennen. Kleine Trupps von sechs bis acht Mann sollten die feindlichen Linien infiltrieren, starke Verteidigungsstellungen umgehen, schwache Grabenstellungen aufrollen und rasch ins Hinterland vorstoßen.144 Schon im Krieg umwehte die Sturmtruppen der Nimbus einer verschworenen Kriegergemeinschaft, gar eines neuen Menschentypus, »ein Mann in höchster Steigerung aller männlichen Eigenschaften. […] Es ist eine ganz neue Art von Kriegern. […] In Allem und Jedem für den Kampf gerüstet, ohne irgendwelche überflüssige Zutat. Und doch umwittert die Gestalten der Hauch der Romantik, das alte Bild der Ritter wird in uns wach«, hieß es dazu im November 1917 in der Berliner Börsen-Zeitung.145 Dieser Mythos wurde nach dem Krieg weiter kräftig gepflegt.146 Der Begriff der Elite wurde während des Ersten Weltkriegs nicht gebraucht, er ist eine spätere Zuschreibung.147 Auch Ernst Jüngers viel zitierte Adelung der Stoßtruppführer als »Fürsten des Grabens«, als verwegene Kämpfer des Grabenkrieges mit den »harten, entschlossenen Gesichtern […], die der Stunde gewachsen waren«, war erst in seinem 1920 veröffentlichten Roman »In Stahlgewittern« zu finden. Seine Tagebücher enthalten nichts dergleichen.148 Der Habitus des Kriegers blieb nicht auf die wenigen Sturmbataillone begrenzt. Er war bei etlichen Soldaten der regulären Infanterieeinheiten ohnehin vorhanden. Aber die neue Infanterietaktik bewirkte zumindest bei den intrinsisch motivierten Soldaten Veränderungen im Selbstbild, 74
sie konnten jetzt aktiver und selbstständiger auf dem Schlachtfeld agieren. Allerdings kennen wir vor allem die späteren literarischen Zuschreibungen, wissen aber kaum etwas über die zeitgenössischen Reflexionen der Stoßtruppkämpfer, die im Herbst 1918 andere gewesen sein mögen als noch ein halbes Jahr zuvor. Die körperlichen und seelischen Belastungen des jahrelangen Abnutzungskriegs, die gewaltigen Verluste und die schlechte Versorgungslage stellten die deutsche Armee vor enorme Herausforderungen, um die Kampfmoral zu erhalten. Oberst Albrecht von Thaer schrieb unter dem Eindruck der Somme-Schlacht im August 1916 an seine Frau: »Jedenfalls hat der Herrgott unserem Volk so gute Soldaten beschert, wie’s wohl noch nie gegeben hat. Sie wissen doch alle, daß ein Korps nach dem anderen erst hier verbluten muß wie eine Zitrone in der Presse, bis es wieder abreisen darf. Das dauernde Aushalten in dieser Hölle mit diesem Bewußtsein ist eine Anforderung ungeheurer Art. Ich glaube kaum, daß ich mit meinen Nerven für lange ihr gewachsen wäre.«149 Gewiss kam es vor, dass sich Soldaten im Trommelfeuer der Materialschlachten ergaben, anstatt weiterzukämpfen. Es machte sich auch Hass auf Offiziere breit, die im Hinterland gut versorgt und ohne Gefahren lebten. Anders als in der französischen oder russischen Armee kam es bei den deutschen Streitkräften aber nicht zu Meutereien. Es gelang erstaunlich lange, die Moral der Truppe aufrechtzuerhalten.150 Die Loyalität zur Nation, vor allem aber zur Einheit und zu den Kameraden blieb den gesamten Krieg über hoch. Das lag zum einen daran, dass die Männer eine beachtliche Resilienz entwickelten und die permanente Lebensgefahr immer wieder erfolgreich verdrängten.151 Zum anderen gab es eine ganze Reihe von wirkungsvollen Fürsorgemaßnahmen wie die 75
Feldpost, Urlaub und vor allem ein seit 1916 intensiv praktiziertes Rotationssystem, sodass die Soldaten nicht zu lange in der vordersten Linie lagen. Das Fronterlebnis schweißte die Männer auch mit ihren Unteroffizieren und Leutnanten zusammen. »Schützengrabensozialismus« wurde das später ein wenig despektierlich genannt.152 Gewiss blieben die Standesunterschiede zu den Offizieren bestehen, es gab auch Schikanen und Missbrauch.153 Aber typisch war eher, dass sich viele der unteren Offiziersränge durch Leistung und Fürsorge unter denselben extremen Bedingungen auszeichneten und ihnen von der Truppe deshalb gewisse Privilegien zugestanden wurden. Dass die hohe Generalität in der Obersten Heeresleitung oder an der Spitze einer Armee ein anderes Leben führte, war gemeinhin akzeptiert. Der eigentliche Zorn richtete sich gegen die Bataillons-, Regiments- und Divisionskommandeure, die in der vordersten Stellung kaum zu sehen waren und sich mit ihren Stäben das Leben vermeintlich allzu leicht machten.154 Missgunst und Hass waren wohl auch darin begründet, dass es in der vordersten Linie bald kaum mehr Offiziere gab, weil sie aufgrund der hohen Verluste rasch höhere Aufgaben erfüllen mussten. Eine Rotation von Stabsoffizieren in Frontkommandos gab es kaum, und so haben die meisten von ihnen in der Tat den vordersten Graben nie gesehen. Hitler zielte auf dem Höhepunkt seines Streits mit Generalstabschef Franz Halder genau auf diesen Punkt ab. »Was wollen Sie, Herr Halder, der Sie nur, auch im ersten Weltkrieg, auf demselben Drehschemel saßen, mir über die Truppe erzählen«, brüllte er diesen im September 1942 an. »Sie, der Sie noch nicht einmal das schwarze Verwundetenabzeichen tragen.«155 Halder wusste der Überlieferung nach darauf nichts zu antworten und stand den Tränen nahe. Er hatte in der Tat die 76
Kriegsjahre nur in Stäben hinter der Front verbracht und war – anders als Hitler – auch nie verwundet worden. Die Ordenspolitik vergrößerte die Distanz zwischen Frontsoldaten und Etappe noch weiter.156 Die Auszeichnungen waren wie kaum etwas anderes Ausdruck einer Klassengesellschaft. Sie wurden vor allem an höhere Offiziere verliehen, die sich kaum den Gefahren der vordersten Linien aussetzen mussten. Das Eiserne Kreuz II. Klasse wurde hingegen so inflationär verliehen, dass es keinen Wert mehr besaß – rund 5,4 Millionen Mal. Somit erhielten 40 Prozent aller Soldaten diesen Orden. Höhere Auszeichnungen erhielten die Mannschaftsdienstgrade kaum. Nur 472 Eiserne Kreuze I. Klasse gingen bis Sommer 1918 an einfache Soldaten. Und dabei entschieden allzu oft gute Beziehungen zu den Stäben im Hinterland über die Verleihung und nicht etwa besondere Tapferkeit. Auch der Gefreite Adolf Hitler vollbrachte als Meldegänger keine Heldentaten und hatte die Auszeichnung mit dem EK I am 4. August 1918 vor allem dem Regimentsadjutanten zu verdanken, der ihn gut kannte.157 Dass sich die Offiziere mehrheitlich der Gefahr entzogen, davon konnte keine Rede sein. Die Todesrate der Reserveoffiziere war mit 15,7 Prozent höher als bei den einfachen Soldaten (13,3 Prozent), und bei den aktiven Offizieren war sie mit 24,7 Prozent fast doppelt so hoch.158 Allerdings betraf dies überproportional die unteren Offiziersränge. Lediglich 63 deutsche Generäle fielen im Ersten Weltkrieg an der Front, im Zweiten waren es 292.159 Und doch führten die internen Spannungen nicht dazu, dass die Streitkräfte dysfunktional wurden. Die Gemeinschaft der Frontkämpfer wurde in der Weimarer Zeit zwar mythisch überhöht, aber sie war kein Hirngespinst rechter Propagandisten. Die gemeinsame Fronterfahrung trug in 77
erheblichem Maße zur Kohäsion der deutschen Einheiten bei. Die große Politik dürfte für den Zusammenhalt keine wesentliche Rolle gespielt haben, wenngleich sich dies bei einer Gesamtzahl von 13 Millionen Soldaten empirisch nicht belegen lässt. Aus der Feldpostbrief-Forschung ist aber bekannt, dass die Soldaten kaum über Politisches schrieben.160 Die Stimmungsberichte der Divisionen des Heeres zeigen ein ähnliches Bild. Als Ludendorff am 1. Mai 1917 von den Truppenteilen Meldungen anforderte, wie die Lage im Innern Deutschlands und die Kriegsziele gesehen würden, bekam er zu hören, dass sich »ein grosser Teil der Mannschaften weitreichenden Gedanken nicht« hingeben würde und die Kriegsziele vielen »gleichgültig« seien (6. Armee). »Um Kriegsziele kümmert sich der einfache Mann wenig. Er macht sich keine Gedanken, wie sich sein Loos nach dem Friedensschluss gestaltet. […] Er wünscht nur den Frieden, weil er eben nur an sich, höchstens noch an seine Familie denkt«, hieß es von der 1. Bayerischen Reservedivision.161 In welchem Ausmaß der soziale und politische Protest in der Heimat gerade 1918 auch die Truppen an der Westfront erfasste und damit zum Zusammenbruch beitrug, ist nach wie vor umstritten. Während Benjamin Ziemann an der These eines verdeckten Militärstreiks festhält162, wonach sich Hunderttausende Soldaten in der Etappe herumdrückten und versuchten, dem Dienst an der Front zu entkommen, ist Alexander Watson der Ansicht, dass es weder eine politische Radikalisierung noch einen verdeckten Militärstreik gab. Er erklärt den Zerfall der Streitkräfte mit der psychischen und körperlichen Überforderung der Soldaten. Auch die Offiziere hätten unter den Belastungen gelitten und ihre Truppen geordnet in die Gefangenschaft geführt. »Human resilience, not military discipline, had finally reached its limits.«163 Beide 78
Phänomene schließen einander freilich nicht aus, und der partielle Zusammenbruch des deutschen Eisenbahnnetzes hinter der Front trug das Seine dazu bei, dass die Soldaten nicht mehr zu ihren Einheiten kamen.164 Das Ende kam dann ohnehin schnell: Am 8. August 1918 durchbrachen britische und französische Truppen bei Amiens die deutschen Linien, unterstützt von über 400 Panzern. Ludendorff sprach vom »schwarzen Tag des deutschen Heeres«, vor allem, weil sich Teile der deutschen Truppen widerstandslos gefangen nehmen ließen.165 In den folgenden hundert Tagen büßte das deutsche Westheer immer mehr an Kampfkraft ein, auch wenn sich manche Einheiten wieder erholten.166 Hermann Balck wusste noch Ende September 1918 stolz zu berichten, dass das Jägerregiment 2 den Engländern »zweifellos weit überlegen« sei und 40 Mann ein kriegsstarkes englisches Bataillon aus seiner Stellung geworfen hätten. »Die Stimmung der englischen Truppe wird in diesem Winter sicher nicht besser, wenn sie in der riesigen Wüste vor der Hindenburglinie überwintern müssen. Jetzt 20 frische Divisionen und die [rennen] dann den ganzen Kram über den Haufen, das ist unser aller Ansicht.«167 Doch wenige Tage nach diesem Eintrag durchbrachen britische Truppen die Hindenburglinie. Frische Divisionen gab es nicht mehr. Am 9. November waren von 179 nur noch sieben voll einsatzbereit.168 Der Krieg war verloren.169 Verbrechen Am 22. August 1914 erlebte der Arzt des ReserveInfanterieregiments 78, Alfred Bauer, die Kämpfe um das südbelgische Charleroi. Er notierte in sein Tagebuch: »Nun befahl der Oberst, welcher zufällig bei unserm Bataillon war, die methodische Durchsuchung der Häuser, namentlich solcher, wo ausgehobene Dachpfannen und Schießscharten in 79
den Fensterläden die Anwesenheit von Franktireurs vermuten ließen. Haus für Haus wurden die Türen mit dem Kolben eingeschlagen und die Bewohner herausgetrieben; wurde jemand mit der Waffe oder mit rauchgeschwärzten Händen gefunden, so wurde er über den Haufen geschossen oder mit dem Bajonett niedergestochen und das Haus den Flammen übergeben. Leider wurden die meisten Heckenschützen nicht erwischt; bis die verschlossene Haustüre unter den Kolbenstößen zusammengebrochen war, hatten sie längst durch eine Hintertüre die Flucht ergriffen; man fand dann nur noch das Gewehr an der Schießscharte und daneben oft die Patronen sorgfältig aufgeschichtet; daß es sich nicht um reguläre Truppen handeln konnte, sah man aus der Art der Gewehre. Schrotflinten, Scheibenbüchsen mit fingerdicken Bleikugeln waren die Mordinstrumente, mit denen nach uns geschossen wurde. Es ist ja im höchsten Grade zu bedauern, daß bei solchen Gelegenheiten die eigentlichen Rädelsführer meistens nicht erwischt werden und daß dann Unschuldige dafür büßen müssen. […] Wenn die Leidenschaften und Urinstinkte erst einmal geweckt sind, wenn die Menschenbestie erst Blut geleckt hat, dann ist es schwer, ihr Zügel anzulegen, dann verwischen sich die schmalen Grenzen zwischen Notwehr und Totschlag.« Als Bauer einen im Sterben liegenden Dragoner versorgte, wurde er selbst von einem »Mann in mittleren Jahren, mit dem typischen dunklen Knebelbart« beschossen. »Ich habe später eidlich zu Protokoll gegeben, daß es erstens zweifellos ein Zivilist war, der auf mich schoß, ferner, daß eine augenscheinliche Verletzung der Genfer Convention vorlag; der Betreffende mußte, da es sich um eine Entfernung von höchstens 10–12 Meter handelte, unbedingt sehen, daß ich mich um einen Verwundeten bemühte, da ich ihm außerdem 80
die linke Seite zuwandte, so war die weiße Armbinde mit dem roten Kreuz deutlich zu erkennen.«170 Der deutsche Einmarsch in Belgien und Nordfrankreich war von einer ungeheuren Gewalteskalation begleitet, der vor allem im August 1914 5000 bis 6500 belgische und französische Zivilisten zum Opfer fielen. Bauers Zeilen schildern exemplarisch die Ereignisse aus deutscher Sicht: Belgische Zivilisten hätten sich illegalerweise am Kampf gegen die deutschen Truppen beteiligt, die daraufhin mit exzessiver Gewalt antworteten. Unter Historikern wurde über die Frage, ob es belgische Franktireurs überhaupt gab oder ob die Berichte über sie nicht auf Einbildung beruhten, gerade in jüngster Zeit wieder heftig gestritten. Während die einen allenfalls wenige Einzelfälle von zivilem Widerstand für plausibel halten, sehen andere im Widerstand der als Soldaten kaum zu erkennenden belgischen Garde Civique einen gewichtigen Grund für die Eskalation.171 Wir wissen nicht, ob am 22. August 1914 tatsächlich ein belgischer Zivilist danach trachtete, Alfred Bauer mit einer Schrotflinte zu töten. Wahrscheinlicher ist, dass es sich um einen Angehörigen der Garde Civique handelte, den Bauer nicht als solchen erkannte. Wie auch immer man das Ausmaß der Franktireurs einschätzt – sicher ist, dass die deutschen Soldaten alles andere als besonnen reagierten. Offensichtlich waren die meisten der Ansicht, dass es legitim sei, auf frischer Tat ertappte Zivilisten augenblicklich niederzuschießen und ihr Haus anzustecken. Ähnlich wie das ReserveInfanterieregiment 78, das in Charleroi seine Feuertaufe erlebte, verhielten sich viele deutsche Einheiten. Es grassierte eine regelrechte Partisanenpsychose unter den unerfahrenen Truppen, die überall Hinterhalte witterten und vielfach mit brutaler Gewalt antworteten. »Für heute Abend werden 81
weitere Unruhen in Oneux [östlich von Lüttich] befürchtet. Wir von der Artillerie sind für Niederlegung des Ortes und Austreibung der Bevölkerung unter Belassung von Geiseln, wie das bis jetzt von unseren Truppen gehandhabt ist. Leider ist aber Ortskommandant ein Major vom Rgt. 92, der sich nicht dazu entschließen kann und sich begnügt hat, die Häuser niederbrennen zu lassen, aus denen gestern Nacht geschossen wurde. Unglaubliche Gefühlsduselei«, notierte Leutnant Rudolf Herms am 10. August 1914 empört in sein Tagebuch. Als er zwei Wochen später mit seiner Batterie durch Tamines ritt, sah er den Ort eines deutschen Massakers, Hunderte von füsilierten und verwundeten Belgiern lagen in dem brennenden Ort. Außerhalb kamen sie »durch einen Waldhohlweg voll von deutschen und französischen Leichen, da dort ein erbitterter Infanteriekampf getobt hatte. Trotz der schrecklichen Anblicke kann ich nicht sagen, daß ich übermäßig erregt gewesen wäre, wenngleich ich sonst schon nicht sehen mag, wenn ein Huhn geschlachtet wird. Die Leichen wirken wie Wachspuppen […] wie sie so daliegen in den verschiedensten Stellungen.«172 Anders als Bauer reflektierte Herms in seinen Aufzeichnungen nicht, ob es wirklich gerechtfertigt war, die belgischen Zivilisten zu töten. Für ihn stand das außer Frage. Der Anblick ihrer Leichen gehörte zum Krieg dazu wie der von gefallenen regulären Soldaten. Erst als die Fronten erstarrten, beruhigte sich die Lage. Zu ähnlichen Vorfällen kam es im August 1914 auch beim Einmarsch russischer Truppen nach Ostpreußen, wo 1500 deutsche Zivilisten getötet wurden173, und österreichischungarischer Einheiten nach Serbien, später dann auch in Polen und Galizien.174 Dass sich diese Gewaltausbrüche zur selben Zeit in unterschiedlichen Armeen zeigten, lässt das Argument einer spezifischen deutschen Gewaltkultur nicht sehr plausibel 82
erscheinen. Auch das immer wieder herangezogene Argument, dass die französischen Franktireurs von 1870/71 eine Art Traumaerfahrung mit Langzeitwirkung für das deutsche Militär gewesen seien, die 1914 eine Gewaltdisposition ganz wesentlich befördert hätte, ist nicht schlüssig.175 Der Franktireurkrieg 1870/71 war in seiner Dimension viel zu klein, als dass er die zentralen Erfahrungen des Sieges und der äußerst blutigen Schlachten der regulären Armeen hätte überlagern können.176 Das Widerstandsrecht der Zivilbevölkerung war vor 1914 vor allem ein Thema bei den großen Völkerrechtskonferenzen.177 Da die Deutschen den kommenden Krieg offensiv zu führen gedachten, also eine potenzielle Besatzungsmacht waren, wollten sie nur den Einsatz regulärer Streitkräfte anerkennen und damit zugleich einen Beitrag zur Einhegung des Krieges leisten. Die kleinen Staaten vertraten aus nachvollziehbaren Gründen genau die gegenteilige Auffassung.178 Guerillakriege waren immer weit brutaler als der Kampf regulärer Armeen gewesen, wie unter anderem das Beispiel der Napoleonischen Kriege zeigte. Gängige deutsche Rechtsauffassung war, dass der Widerstand der Zivilbevölkerung als Kriegsrebellion, Schädigung und Gefährdung der Besatzungsmacht und Kriegsverrat aufzufassen sei, wogegen nur die »rücksichtslosesten Maßregeln« helfen.179 Die vom Generalstab herausgegebene Schrift »Kriegsbrauch im Landkrieg« bezeichnete 1902 die Exekution französischer Zivilisten in Bazeilles im September 1870180 als legitim, da diese nicht ausreichend als Kombattanten gekennzeichnet gewesen seien. Das Niederbrennen von Dörfern wurde mit dem Verweis auf ein ähnliches Verhalten von Napoleon und Wellington als legitime Reaktion auf zivilen Widerstand betrachtet.181 Es wurde auch 83
von der Möglichkeit gesprochen, Geiseln zu nehmen. Allerdings gab es in den deutschen Militärvorschriften keine konkreten Anweisungen, ob und unter welchen Bedingungen Geiseln erschossen werden durften und wie genau auf feindliche Freischärler zu reagieren sei. In diesen Fragen half auch das Völkerrecht nur bedingt weiter, da bis 1949 diesbezüglich keine Einigung erzielt werden konnte. Immerhin gestand die Haager Landkriegsordnung von 1899 der Zivilbevölkerung in Artikel 2 ausdrücklich zu, bei Herannahen des Feindes zu den Waffen zu greifen, wenn sie diese offen führte, unter einem Kommando stand und ein aus der Ferne erkennbares Abzeichen trug. Allerdings war nicht geregelt, was zu passieren hatte, wenn dagegen verstoßen wurde.182 Da es kein internationales Strafrecht gab, griffen dann die nationalen Regeln. Wenngleich einschlägige deutsche Handbücher durchaus Bezug auf die Haager Landkriegsordnung nahmen, umschifften sie Artikel 2 zumeist. In einem Kommentar zu den Kriegsartikeln von 1902 – den Berufspflichten deutscher Soldaten – hält der Autor lediglich fest, dass gegen Einwohner, die sich am Kampf beteiligen, nur auf ausdrücklichen Befehl der höheren Führung vorgegangen werden dürfe und ein solcher Schritt streng begrenzt werden müsse. Es gab auch ein ausdrückliches Plünderungsverbot.183 Die Regeln und Vorschriften waren allesamt nicht sehr klar, und wir wissen nicht, was davon überhaupt bis zur Truppenebene durchdrang.184 Im August 1914 bildete sich in einer Mischung aus Euphorie, Angst, Frustration und Zeitdruck eine situative Gewaltdynamik, die sich nur durch das rigorose Einschreiten der Offiziere hätte eindämmen lassen. Offenbar passierte aber genau das Gegenteil. Als Orientierung diente nicht die Haager 84
Landkriegsordnung, die den Belgiern ausdrücklich ein Widerstandsrecht zubilligte, sondern ein Kriegsbrauch, der genau dies verweigerte. General Ernst von Hoiningen185 ordnete für das Badische Armeekorps beim Wiedereinrücken in das von den Franzosen geräumte Mülhausen an, dass »Soldaten [sic!] und Zivilisten, die auch nur den geringsten Widerstand leisten, sofort zu erschießen sind«.186 Auch Hermann Balck, der den Vormarsch mit dem Jägerbataillon 10 erlebte, war davon überzeugt, dass ziviler Widerstand sofort mit dem Tod zu bestrafen sei. Enttäuscht zeigte er sich, als am 10. August in Louveigné ihm verdächtige Zivilisten nur zu Straßenarbeiten »verknackt« wurden, und zwei Wochen ließ er später vier vermeintliche Spione kurzerhand exekutieren.187 Die Deutschen waren mit solch rigiden Maßnahmen nicht allein. Die zaristische Armee war von vornherein entschlossen, in Ostpreußen ein hartes Besatzungsregime zu etablieren188, und die österreichisch-ungarische Armee ging 1914 bei ihren Offensiven gegen Serbien mit großer Radikalität gegen reale oder vermeintliche Freischärler vor.189 An allen Fronten war es zu diesem Zeitpunkt Kriegsbrauch, Freischärler zu exekutieren.190 Das exzessive und wahllose Töten von Zivilisten on the spot, ohne jedes Gerichtsverfahren, war freilich auch nach zeitgenössischer Wahrnehmung zweifellos ein Kriegsverbrechen. Die Rechtsvorschriften, die örtlichen Kampfbedingungen, die ethnische und religiöse Konfliktaufladung und vor allem das Ausmaß des zivilen Widerstands waren in Belgien, Ostpreußen und Serbien unterschiedlich. Doch alle drei Invasionsarmeen waren nur zögerlich gewillt, den Exzessen ihrer Truppen einen Riegel vorzuschieben. Ob sich britische oder französische Truppen in vergleichbarer Situation ähnlich verhalten hätten, ist Spekulation. Die britischen Vorschriften 85
waren zumindest deutlich moderater als die deutschen.191 Das Verhalten der französischen Streitkräfte, die bei der nur wenige Tage dauernden Besetzung des elsässischen Mülhausen ebenfalls Zivilisten erschossen und 3000 Frauen, Kinder und alte Männer deportierten192, deutet darauf hin, dass sich die Armeen der europäischen Großmächte in entsprechenden Situationen ähnlich verhielten. Die Schreckensnachrichten, die Hunderttausende ostpreußische Flüchtlinge im Deutschen Reich verbreiteten, und vor allem die Verkündung der völkerrechtswidrigen193 britischen Seeblockade führten schon im Spätsommer 1914 zu einem weitverbreiteten Gefühl, dass Deutschland sich wie eine belagerte Festung in einem Existenzkampf um Sein oder Nichtsein befände. »The blockade did more than any other action to radicalize the conflict«194, meint der britische Historiker Alexander Watson. Großbritannien erschien als der perfideste und gefährlichste Gegner, dem man ohnmächtig gegenüberstand. Daher verwundert es kaum, dass man Ziviltote als Kollateralschäden in Kauf nahm, als deutsche Schlachtkreuzer im November und Dezember 1914 vier Städte an der britischen Ostküste angriffen, um Teile der britischen Flotte in eine Falle zu locken. 137 Zivilisten kamen ums Leben, als die Schiffe mit ihrer Mittelartillerie Küstenbatterien, Bahnhöfe und Radiostationen beschossen. Ein nennenswertes militärisches Ergebnis brachte diese Operation nicht, in Deutschland jubelte man aber, dass nun auch Großbritannien den Krieg zu spüren bekomme, während die britische Presse die Deutschen als Mörder von Frauen und Kindern darstellen konnte.195 In ähnlichem Kontext müssen auch die Bombenangriffe deutscher Zeppeline auf britische Städte im Januar 1915 und die Verwendung von Chlorgas im April 1915 gegen britische Streitkräfte gesehen werden. 86
Im Falle des U-Boot-Krieges ist die Sache noch virulenter. Reichskanzler Bethmann Hollweg sah sich 1915 von »weitesten Kreisen in Berlin« und der öffentlichen Meinung so sehr unter Druck gesetzt, dass er schließlich nachgab, damit man ihn nicht der Englandfreundlichkeit bezichtigte. Im Februar 1915 begann die Marine den Handelskrieg gegen die zivile britische Schifffahrt, die nun ohne Vorwarnung angegriffen wurde, was gegen das Völkerrecht verstieß.196 Dieser Schritt wurde im September 1915 nach der Versenkung des britischen Passagierdampfers »Lusitania« zwar wieder zurückgenommen, aber der Glaube, mit den Unterseebooten ein Mittel zum »Endsieg«197 in Händen zu halten, war weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit fortan nicht mehr auszutreiben. Rechtliche oder moralische Fragen – immerhin starben durch deutsche U-Boote 28 000 zivile alliierte Seeleute – spielten dabei kaum eine Rolle. Das Gefühl, sich in einem nationalen Existenzkampf zu befinden, gegen das ultimativ Böse und Verschlagene zu kämpfen und keinen diplomatischen Ausweg zu sehen, öffnete die Büchse der Pandora. Andererseits gab es das Moment der Mäßigung, das im Zweiten Weltkrieg auf deutscher Seite fehlte: Nach Protesten im In- und Ausland wurden die 60 000 ins Reich verschleppten belgischen Zwangsarbeiter 1917 zurückgeschickt.198 General Erich von Falkenhayn verhinderte im November 1917 durch Intervention beim osmanischen Verbündeten ein Pogrom an den palästinensischen Juden, und nach Gewaltexzessen bei der Aufstandsbekämpfung in der Ukraine mäßigten sich deutsche Truppen im Kampf gegen die Bolschewiki 1918, um den Aufstand nicht weiter anzufachen, nachdem sie noch im Juni desselben Jahres in Taganrog 2000 Gefangene exekutiert hatten.199 Die Besatzungspolitik General 87
Hans von Beselers im polnischen Generalgouvernement war deutlich milder als jene des Befehlshabers Ost im heutigen Litauen.200 Aber auch dort war man von den Zuständen der Jahre 1941/42 unter NS-Herrschaft weit entfernt. Und auf den schleichenden Zusammenbruch der Kampfmoral im Herbst 1918 reagierte man – anders als im Herbst 1944 und Anfang 1945 – nicht mit Gewalt gegen die eigenen Truppen. 1914–18 wurden 48 Todesurteile gegen eigene Soldaten vollstreckt, 1939–45 waren es 20 000.201 Gemessen am deutsch-französischen Krieg von 1870/71 war die deutsche Kriegführung im Ersten Weltkrieg deutlich radikaler. Freilich waren die Umstände auch ganz andere. 1914–18 war kein eingehegter kurzer Krieg wie diejenigen des 19. Jahrhunderts, sondern in dem vierjährigen Ringen entfalteten hochgerüstete Industrienationen ein ungeahntes Zerstörungspotenzial. Die allseitige Hasspropaganda sprach – erstmals im Kampf christlicher Nationen gegeneinander – dem Gegner ab, auf der gleichen zivilisatorischen Stufe zu stehen, was einen frühen diplomatischen Ausgleich unmöglich machte. Von der Gewalteruption des Zweiten Weltkriegs war man jedoch noch weit entfernt. Vergleicht man die Verbrechen der kriegführenden Mächte, so fällt auf, dass der Krieg an der Ostfront, wie der Historiker Peter Lieb feststellte, generell radikaler war als an der Westfront. Hier wurden mehr Zivilisten getötet und deportiert, starben vor allem deutlich mehr Kriegsgefangene202, und es gab mehr Zerstörungen bei Rückzügen. Das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn und Russland haben sich allesamt schwerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht, wobei zumindest bis 1917 die Deutschen einen weniger entgrenzten Krieg führten als die beiden anderen Großmächte.203 Im Westen war es genau andersherum. Hier eskalierte das Deutsche Reich 88
stärker als seine Gegner. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass Frankreich und Großbritannien keine Besatzungsmächte waren und sich Deutschland in einer ökonomisch ungleich schlechteren Lage befand. Jörn Leonhard sieht in letzterem Punkt einen der entscheidenden Gründe, warum britische und französische Gefangene ab 1916 in Deutschland schlechter behandelt wurden als deutsche im Gewahrsam der Westmächte.204 Dort, wo zumindest ansatzweise vergleichbare Rahmenbedingungen herrschten, weisen die Mechanismen der Eskalation im Ersten Weltkrieg – mit Ausnahme des osmanischen Genozids an den Armeniern205 – mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede auf. Guerillapsychosen gab es vor allem zu Beginn des Krieges überall bei den Offensiven unerfahrener Truppen; Massensterben von Kriegsgefangenen gab es überall dort, wo die Verwaltung unterentwickelt und die Versorgungslage schlecht war. Zur Ermordung von Zivilisten kam es zumeist dort, wo es reale oder vermeintliche Aufstände gegen Besatzungsmächte gab. Fazit Kaum eine Epoche der deutschen Geschichte präsentierte sich aus zeitgenössischer wie auch aus heutiger Sicht ambivalenter als das Deutsche Kaiserreich von 1871 bis 1918. Es verkörperte Rückwärtsgewandtheit und Moderne, Aufbruch und Stillstand gleichermaßen. Sosehr sich die Gelehrten darüber einig sind, mit dem Kaiserreich einen besonders vielschichtigen Forschungsgegenstand vor sich zu haben, so sehr gehen die Meinungen über das »Zweite Reich« auseinander. Während etwa Jörg Fisch und Matthew Jefferies der Ansicht sind206, dass im internationalen Vergleich die Entwicklung Deutschlands kaum anders verlaufen sei als in anderen europäischen Staaten, sehen Volker Berghahn oder Volker Ullrich das Kaiserreich weitaus kritischer und betonen 89
die Besonderheiten: politische Rückständigkeit und demokratiefeindliche Tendenzen, die dem Dritten Reich den Weg bereiteten.207 Ambivalent war auch die Rolle des Militärs im Kaiserreich. Die Siege in den Einigungskriegen ließen die Kritik der Liberalen verstummen und ebneten einer Glorifizierung des Militärischen den Weg. Auch die Sozialdemokraten arrangierten sich zunehmend mit der Armee. Sie kritisierten aber scharf die Missstände, plädierten für eine soziale Modernisierung und nutzten dafür geschickt die Bühne des Reichstags und die vielfältige Presselandschaft. Verfassungsrechtlich hatten die Streitkräfte eine Sonderstellung inne. Nur ihr Budget war der parlamentarischen Kontrolle unterworfen. Ansonsten waren sie nur dem Kaiser verpflichtet. In der politischen Praxis hing viel davon ab, ob es dem Reichskanzler gelang, beim Kaiser das Primat der Politik gegenüber den Militärs durchzusetzen. Bismarck hat sich die Zügel nie aus der Hand nehmen lassen, wobei ihm zugutekam, dass Kaiser Wilhelm I. im Zweifel immer seinem Rat folgte. Der seit 1888 regierende Wilhelm II. mischte sich stärker in die Politik ein, weshalb die vier Reichskanzler, die von 1890 bis 1917 im Amt waren, ihren Einfluss auf das Militär immer wieder mühsam aushandeln mussten. In welchem Umfang dies gelang, hing sehr von der jeweiligen Persönlichkeit ab. Reichskanzler von Bülow entglitt während der Niederschlagung des Herero-Aufstands zeitweise die Kontrolle, und Bethmann Hollweg konnte sich 1912 in Fragen der Flottenrüstung nicht gegen Admiral von Tirpitz durchsetzen. Das darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass in den großen Entscheidungen von Krieg und Frieden der Reichskanzler stets den Hut aufhatte. Es war Bethmann Hollwegs Entscheidung, die Logik des Militärischen zu akzeptieren, wie sie etwa im deutschen Aufmarschplan von 90
1914 festgelegt war. Er vertraute den Generälen und kümmerte sich nicht um Alternativen. Der Generalstab aber versäumte es sträflich, seine Zweifel an den eigenen Möglichkeiten mit der Politik zu teilen und eine brauchbare Strategie für ein Krisenszenario zu entwickeln. Die Auftaktoffensive des August 1914 scheiterte unter gewaltigen Verlusten. Anders als 1870 erwies sich der französische Generalstab als den Deutschen überlegen. Im weiteren Verlauf des Krieges zeigte sich dann aber, dass das Kaiserreich über eine moderne und vor allem erstaunlich lernfähige Armee verfügte. Sie lernte im Westen schnell die Defensive und verteidigte sich erfolgreich gegen die Angriffe der Briten und Franzosen. An den anderen Fronten blieben die Deutschen offensiv und schlugen die zaristische, die serbische, die rumänische und die italienische Armee. Und sie lösten schließlich sogar das anspruchsvollste militärtaktische Problem der Zeit: den Durchbruch einer schwer befestigten Stellungsfront auch im Westen. Außerdem gelang es trotz hoher Verluste, die Kohäsion und die Schlagkraft der Truppen vier Jahre lang aufrechtzuerhalten. Auch wenn es etwa aufgrund der Klassengegensätze zu erheblichen Verwerfungen in der Truppe und stellenweise geradezu zu Hass auf die Offiziere kam, gab es keine Meutereien wie etwa in den französischen oder russischen Streitkräften. Der Krieg, so resümierte unlängst Holger Afflerbach, war also keinesfalls von Anfang an entschieden, vielmehr blieb sein Ausgang offen. Deutschland konnte ihn gegen die numerische Übermacht der Entente zwar nicht gewinnen, es bedurfte aber schwerer strategischer Fehlentscheidungen, um den Krieg letztlich zu verlieren.208 Wäre die Reichsleitung auf das Friedensangebot des amerikanischen Präsidenten Wilson vom 22. Januar 1917 eingegangen und hätte sie auf den 91
uneingeschränkten U-Boot-Krieg verzichtet, wäre es wohl auf ein Remis hinausgelaufen. Doch Berlin entschied sich anders, und mit dem Kriegseintritt der USA im April 1917 war der Kampf zugunsten der Entente entschieden. Die Hoffnung der Obersten Heeresleitung, die Westmächte im Frühjahr 1918 schlagen zu können, noch bevor die amerikanischen Truppen ihre Kraft entfalten würden, erwies sich als illusorisch. Die taktische Expertise konnte keinen strategischen Sieg erringen. Ohne den Ersten hätte es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben. Beide Konflikte sind eng miteinander verzahnt. Jene Politiker und Generäle, die zwischen 1939 und 1945 an den Schaltstellen der Macht saßen, waren vom Ersten Weltkrieg und seinen Folgen tief geprägt: Hitler, Stalin, Churchill, Roosevelt, de Gaulle – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Aber auch bei den ganz normalen Bürgern hatte der Weltenbrand von 1914–18 tiefe Spuren hinterlassen. Der Siegeszug der Bolschewiki in Russland, der Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus in Italien und Deutschland waren eine Folge davon. Im Lichte der neuesten Forschung erscheinen die Unterschiede beider Kriege jedoch größer als die Gemeinsamkeiten. Der Erste Weltkrieg war ein Konflikt eigener Logik, in dem es – vereinfacht gesprochen – eine kategoriale Ähnlichkeit im Denken und Handeln der Großmächte gab. Das betrifft die Verantwortung für den Ausbruch des Krieges209 ebenso wie die Kriegsverbrechen oder die Kriegsziele. Vor allem: Die Monarchen der Jahre 1914 bis 1918 führten einen anderen Krieg als die Diktatoren der Jahre 1939 bis 1945. 92
II. Armee der Niederlage. Die Reichswehr in der Weimarer Republik (1918–1933) Staat im Staate? Am 9. November 1918 brach die alte Ordnung des Deutschen Reiches wie ein Kartenhaus zusammen. Aber noch war offen, was stattdessen kommen würde. Wer konnte sich im Ringen um die Macht in Deutschland durchsetzen: die gemäßigten Sozialdemokraten, die radikale Linke oder doch die alten Eliten? Unklar war auch, wie sich die sechs Millionen Soldaten, die nach den Bedingungen des Waffenstillstandsvertrags in kürzester Zeit demobilisiert werden mussten, mit den veränderten politischen Realitäten abfinden würden. In den zerfallenen Vielvölkerreichen Russland und Österreich-Ungarn tobten blutige Bürgerkriege. Von dort aus drohten Gewalt und Terror nach Deutschland überzugreifen. Und auch die äußere Integrität des Staates schien gefährdet. Am 11. November war der Waffenstillstand unterschrieben worden, und seit Januar 1919 verhandelten die Siegermächte in Versailles über einen Friedensvertrag. Wo die künftigen Grenzen Deutschlands verlaufen würden, war vollkommen offen. Unterdessen versuchten die neu entstehenden Staaten Ost- und Südosteuropas mit Waffengewalt ihren Teil der Beute zu sichern. In dieser unwägbaren Lage hatten für die Regierung in Berlin die innere und äußere Sicherheit absolute Priorität. Es kam darauf an, sich gegen die revolutionsbereite radikale Linke, aber auch gegen Ansprüche des neuen polnischen 93
Nationalstaates zu verteidigen. Aber wie? Die nur schwach bewaffnete Polizei war kaum in der Lage, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, und von der einstmals so stolzen Armee war im Winter 1918/19 nicht mehr viel übrig. Die meisten Soldaten wollten nur noch nach Hause. Die aus Frankreich und Belgien zurückkehrenden Einheiten lösten sich meist auf, sobald sie den Rhein überquert hatten. So kooperierten die provisorischen, dann die regulären Regierungen der neuen Republik mit dem, was an bewaffneten Kräften noch vorhanden war: Reste der Armee, aufgefüllt mit einem Sammelsurium an Milizverbänden, gemeinhin Freikorps genannt.1 Daraus bildete sich im März 1919 eine 400 000 Mann starke vorläufige Reichswehr, die dann im März 1921, nach Inkrafttreten des Versailler Vertrags und der dort geforderten Truppenreduzierung auf 100 000 Mann, ihre endgültige Form erhielt. Der sozialdemokratische Reichswehrminister Gustav Noske und der württembergische General Walther Reinhardt als Chef der Heeresleitung waren sich bewusst, dass sich aus diesen Kräften kaum eine republikanische Vorzeigearmee würde aufstellen lassen. Aber sie versuchten zumindest Streitkräfte zu schaffen, die der Republik pragmatisch-loyal ergeben waren. Die Chancen dazu waren durchaus vorhanden, denn die Freikorps waren keineswegs nur die protofaschistischen Kampfbünde, zu denen sie später gemacht wurden. 1919 waren viele ihrer rund 400 000 Mitglieder wohl schlicht aus ökonomischen Gründen bei der Fahne, viele waren nicht Veteranen des Weltkriegs, sondern Ungediente und Freiwillige, und es gab auch liberale und sozialdemokratisch orientierte Milizen und Bürgerwehren.2 Die Regierung versuchte, wenn auch mit überschaubarem Erfolg, Volkswehren aufzustellen, um den bewaffneten 94
Verbänden eine politisch breitere Basis zu geben. Bis November 1923 schlugen diese Regierungstruppen zahlreiche Aufstände von bewaffneten Spartakisten und streikenden Arbeitern nieder, kämpften in Posen und Oberschlesien gegen polnische Verbände, im Baltikum auf Bitten Großbritanniens gegen die Rote Armee und stellten sich schließlich auch gegen den Hitler-Putsch in München. Dass es die Republik im November 1923 überhaupt noch gab, lag auch an der Reichswehr und ihren Helfern. Aber der Preis war hoch: Insbesondere die Niederschlagung der Unruhen in Berlin im März 1919, der Münchner Räterepublik im Mai 1919 und des Ruhraufstands von 1920 artete in Exzesse der Regierungstruppen aus.3 Tausende Menschen starben. Das Ausmaß der Gewalt auf beiden Seiten war allerdings weit geringer als in vielen anderen Ländern Mittelund Osteuropas. 1918/19 fand in Deutschland eine »demokratisch legitimierte Reform-Revolution« statt, wie Dieter Langewiesche es unlängst treffend formulierte.4 Diese »milde Revolution« ermöglichte einen humaneren Übergang vom Krieg zum Frieden als in den meisten anderen Verliererstaaten des Ersten Weltkriegs. Sie war auch deshalb weniger gewalttätig, weil sie nur in begrenztem Maße in die gesellschaftlich-wirtschaftlichen Strukturen eingriff. Gerade im Hinblick auf das konservative Offizierkorps ist dies oft kritisiert worden. Immerhin schreckten während des KappPutsches im März 1920 Generalstabschef Hans von Seeckt und andere Generäle davor zurück, die Republik zu verteidigen. Aus heutiger Sicht war es wohl ein Fehler, dass es die Regierung in dieser Situation nicht zum Schwur kommen ließ und den Truppen den Befehl gab, sich der putschenden Marinebrigade Ehrhardt entgegenzustellen. Dazu hatte Reinhardt als Oberbefehlshaber des Heeres geraten, und drei 95
Viertel der Reichswehr hätten wohl zur Regierung gestanden.5 Aber es kam anders. Das Kabinett rief einen Generalstreik aus, der den schlecht vorbereiteten Putsch rasch zu Fall brachte. Er entfremdete aber auch das Militär weiter von der Republik, spaltete Arbeiter und Soldaten, zumal der Aufstand im Ruhrgebiet vollkommen außer Kontrolle geriet und der folgende Ruhrkampf brutal niedergeschlagen wurde. Gustav Noske musste zurücktreten, und die SPD verzichtete fortan auf das Wehrressort. So verständlich dieser Schritt politisch war, so unglücklich war er rückblickend, da die Sozialdemokratie damit wichtigen Gestaltungsspielraum aufgab. Der neue Reichswehrminister Otto Geßler von der linksliberalen DDP war schwach und nutzte die Möglichkeiten seines Amtes nie aus.6 Als starker Mann ging von Seeckt als neuer Chef der Heeresleitung aus der Krise hervor.7 Der ehemalige Gardeoffizier haderte zeitlebens mit dem Untergang der Monarchie und der Abschaffung der Wehrpflicht. Er war gewiss nicht der geeignete Mann, um die Armee mit den neuen politischen Verhältnissen zu versöhnen. Im Gegenteil: Er betonte stets die Eigenständigkeit des Militärs, das er aus den parteipolitischen Kämpfen heraushalten wollte. Unpolitisch war er keineswegs. Er sah die Weimarer Republik wohl eher als Übergangsphase bis zur Errichtung eines starken Präsidialsystems. Putschpläne hegte er indes nicht. Als sich ihm in der Krise des Winters 1923/24 die Chance bot, eine Militärdiktatur zu errichten, kämpfte er für die Autorität der Regierung und gab die ihm übertragene vollziehende Gewalt im Februar 1924 zurück.8 Die Entfremdung von Reichswehr und Republik war schon Anfang der 1920er-Jahre unübersehbar. Die Sozialdemokratie konnte ihre ambivalente Haltung zur Armee nie wirklich überwinden und ging seit 1920 auch öffentlich erkennbar auf 96
Distanz. Das Militär wiederum fühlte sich von der Republik nicht ausreichend wertgeschätzt, obwohl man sie doch verteidigt hatte.9 Zudem lastete man die Folgen des Versailler Vertrags der Regierung an. Die Auflösung der Freikorps im Baltikum und der so schmerzlich empfundene Verlust Westpreußens, Posens und Ostoberschlesiens trafen auf heftigen Widerstand. Die Reduzierung der Reichswehr auf 100 000 Mann nahm vielen, die nie etwas anderes gelernt hatten, als Soldat zu sein, ihre wirtschaftliche Existenz. Freilich hatte die Regierung gar keine andere Wahl, als die Vorgaben der Alliierten umzusetzen, da sich Deutschland seit dem Waffenstillstand und der erzwungenen Auslieferung allen schweren militärischen Geräts nicht mehr verteidigen konnte. Als im Januar 1923 60 000 französische und belgische Soldaten das Ruhrgebiet besetzten, um deutsche Reparationen einzutreiben, wurde hektisch geprüft, ob die Reichswehr einen befürchteten weiteren Vormarsch dieser Truppen ins Innere Deutschlands würde aufhalten können. Das Ergebnis war ernüchternd: Man hatte ihnen nichts entgegenzusetzen. Die Erfahrung von Niederlage und Revolution war für die politische Radikalisierung vieler Offiziere weit bedeutender als der Erste Weltkrieg. Der »Bolschewismus« avancierte 1919/20 zum Feindbild Nr. 1, dem je nach Auslegung Spartakisten, Kommunisten, Arbeiter, Republikaner oder Juden zugerechnet wurden. Gemeint war aber auch der äußere Feind, die sowjetischen Bolschewiki, denen man bei den Kämpfen im Baltikum gegenübergestanden hatte.10 Bei manchem war schon der Boden für die spätere Allianz mit dem Nationalsozialismus bereitet. »Unsere Zeit schreit nach einem Reformator oder einer neuen Religion«11, meinte der 26-jährige Leutnant Hermann Balck im April 1920. Er war der festen Überzeugung: »Das Leben ist Kampf und da der Bürger 97
nicht kämpfen will, ist er zum Untergang verurteilt. Die jugendliche Kraft der Arbeiterschaft, geleitet durch die Erfahrung und Durchbildung des altpreussischen Offizierkorps. Dem gehört die Zukunft.«12 Balck, der im Zweiten Weltkrieg zu einem der prominentesten NS-Generäle aufstieg, dürfte mit seiner Vorstellung einer Allianz von Reichswehr und Industriearbeiterschaft für das Offizierkorps des Jahres 1920 untypisch gewesen sein. Populärer war gewiss sein Verdikt, dass man »von der Demokratie los« müsse.13 Doch noch waren die Weichen nicht gestellt, noch gab es durchaus die Chance, Armee und Republik zu versöhnen. Das am 1. Januar 1921 erlassene Wehrgesetz hob gleich im ersten Satz den Bezug der Reichswehr zur Republik hervor. Die Soldaten legten einen Eid auf die Verfassung ab, die auch in den Berufspflichten explizit als Bezugspunkt genannt wurde.14 Reichswehrminister Geßler, der erste Zivilist in diesem Amt, sprach am 31. Dezember 1923 in seiner Neujahrsansprache ausdrücklich davon, dass die Reichswehr der »unerschütterliche Grundstein der verfassungsmäßigen Ordnung«15 sei. Der Chef der Heeresleitung Wilhelm Heye drückte sich drei Jahre später ganz ähnlich aus.16 Die Kontingentheere der Vergangenheit gab es nicht mehr, und mit dem Reichswehrministerium wurde das Nebeneinander von Kriegsministerium, Militärkabinett und Generalstab abgeschafft. Der Primat der Politik war damit eindeutig gestärkt. Oberster Befehlshaber war der Reichspräsident, dessen Anordnungen der Gegenzeichnung des Reichswehrministers bedurften, der wiederum dem Parlament verantwortlich war. Dass man nicht mit allen Traditionen brach, etwa die Reichskriegsflagge mehr an die Symbolik des Kaiserreichs als an die der Republik angelehnt war, kann angesichts der 98
politisch-gesellschaftlichen Kontinuitäten im Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik nicht überraschen. Das kaiserliche Militärstraf-, Diziplinar- und Beschwerderecht etwa wurde im Februar 1919 in die vorläufige Reichsverfassung übernommen.17 In den Regimentern blieb es bei der Wahl von Offizieren, wodurch die untere militärische Ebene nach wie vor erheblichen Einfluss auf die Zusammensetzung des Führerkorps hatte.18 Das allgemeine Vorgesetztenverhältnis und die strengen Ehrvorstellungen19 erstreckten sich auch auf außerdienstliche Belange. Wer zum Beispiel heiraten wollte, musste wie schon im Kaiserreich um eine dienstliche Erlaubnis nachsuchen. Das war bei keinem anderen Staatsdiener so. Der Soldat hatte also noch immer einen rechtlichen Sonderstatus.20 Auch in Österreich21, in Ungarn oder 1922 in Italien knüpften die Armeen an die Zeit vor 1914 an. Einen umfassenden Bruch vollzog zu diesem Zeitpunkt nur die Rote Armee in der Sowjetunion. Die Reichswehr war nach dem Willen der Siegermächte nicht mehr als eine gut bewaffnete Grenzpolizei. Zu ernsthaften Kriegshandlungen war sie nicht in der Lage. Deutschland seines militärischen Potenzials zu berauben war das erklärte Ziel Frankreichs, was nach den Erfahrungen der vergangenen fünfzig Jahre nicht ganz unverständlich war. Aber niemand konnte ernsthaft erwarten, dass sich die Deutschen damit abfinden würden. Das hatte Preußen 1807 in ähnlicher Lage auch nicht getan und sollte Vichy-Frankreich 1940 ebenfalls nicht tun. Die restriktiven Bestimmungen des Versailler Vertrags22 forderten Widerspruch geradezu heraus. Die Wehrlosigkeit nicht hinzunehmen war weitgehend gesellschaftlicher Konsens. Nach dem Kapp-Putsch redeten vor allem die bürgerlichen Parteien der wechselnden Regierungskoalitionen einer Wehrhaftmachung das Wort und 99
versuchten so, das nationale Lager mit der Republik zu versöhnen. Die Ausbildung von Piloten und Panzersoldaten erfolgte fortan in der Sowjetunion, von der man auch Artilleriemunition bezog.23 Die Entwicklung von – ebenfalls verbotenen – U-Booten verlegte man in die Niederlande. Im Geheimen wurden Mobilmachungspläne ausgearbeitet, die Aufstellung von Grenzschutzmilizen als eine Art personeller Reserve vorbereitet und Waffenlager angelegt. Im Untergrund wurde die sogenannte Schwarze Reichswehr gebildet, sodass man im Ernstfall auf mehr als die erlaubten 100 000 Mann des Heeres zurückgreifen konnte. Die Milizen waren dabei fest in die Strukturen der zivilen und militärischen Behörden in den östlichen Provinzen des Reiches eingebunden. Die wechselnden Regierungen trugen diese Maßnahmen mit, weil sie vor allem gegen erwartete polnische Einfälle gewappnet sein wollten. Beim Kampf um Oberschlesien 1921 waren diese Bürgerwehren, auch »Grenzschutz Ost« genannt, das einzige wirksame Mittel, um die Integrität des Reiches zu verteidigen, weil die reguläre Reichswehr nicht eingreifen durfte. Daher wollte man auch in Zukunft auf diese Praxis, neben der legalen Armee bewaffnete Verbände aufzustellen, nicht verzichten. Das verstieß zwar gegen den Versailler Vertrag und auch gegen die Weimarer Reichsverfassung. Doch die Interessen des Staates standen für die Militärs wie auch für weite Teile des politischen Spektrums über dem Recht. Als die SPD nach fünf Jahren Opposition, in denen sie zunehmend auf Distanz zur Reichswehr gegangen war, 1928 wieder in die Regierung eintrat, schloss sie sich dem breiten gesellschaftlichen Wehrkonsens an und trug die neue materialund kostenintensive Rüstung mit – etwa den Bau des Panzerkreuzers A.24 Die Parteipresse allerdings blieb 100
militärkritisch, und zu einer einheitlichen Linie konnte die Sozialdemokratie nie finden. Der neue Reichswehrminister Wilhelm Groener versuchte ab 1928 die Armee stärker an die Republik heranzuführen. Er wollte auf die gemäßigte politische Linke zugehen, ohne die nationale Rechte zu verprellen. Mit diesem Versöhnungskurs wollte er die geplante Aufrüstung innenpolitisch absichern, die die Reichswehr moderner und leistungsfähiger machen sollte. Auch außenpolitisch setzte er auf Verständigung und Verhandlung. Er beendete das Denken in rein operativen Notwendigkeiten, wie es Seeckt betrieben hatte, und nahm viel stärker auf das politisch Mögliche Rücksicht. Jetzt wurden auch die Entscheidungsträger im Parlament umfassender in die Geheimrüstung einbezogen.25 Diese verstieß nach wie vor gegen den Versailler Vertrag, war aber nun viel stärker als zu Beginn der 1920er-Jahre der politischen Kontrolle unterworfen. Doch der Vernunftrepublikaner Groener kam letztlich zu spät ins Amt. Die Polarisierung der Parteien war bereits zu weit fortgeschritten, und auch viele Offiziere erreichte er mit seinem Ausgleichskurs nicht mehr.26 Die politische Linke hielt seine Reformbemühungen für Lippenbekenntnisse, und das nationale Lager warf ihm das Paktieren mit der verhassten Republik vor. So musste er scheitern und wurde im Mai 1932 von Kurt von Schleicher aus dem Amt gedrängt. Dessen Plan einer Zähmung der NSBewegung durch Kooperation sollte bekanntermaßen in einem Desaster enden. Jenseits der offiziellen Regierungspolitik war den Nationalsozialisten auf regionaler Ebene längst ein Einbruch in die geheimen Grenzschutzverbände gelungen. Die Weltwirtschaftskrise hatte auch im Osten Deutschlands verheerende Folgen. Viele Männer hatten nun andere Sorgen 101
als das verdeckte Engagement für die Milizen. Diese waren nur noch durch den Eintritt von SA-Leuten aufrechtzuerhalten, die die republikanisch gesinnten Mitglieder allmählich hinausdrängten. Alle Regierungspräsidenten – auch jene von der SPD – stimmten darin überein, dass ein von der SA dominierter Grenzschutz besser sei als gar keiner. Die konkrete Ausgestaltung der Rekrutierung und Bewaffnung wurde von den Regionalverwaltungen getragen, denen die äußere Sicherheit ebenfalls wichtiger war als der Republikschutz. In gewisser Weise, so Rüdiger Bergien, entwickelte sich in den Grenzprovinzen ein deep state, der von der Öffentlichkeit nicht mehr kontrolliert wurde. Hier paktierten staatliche Akteure mit rechtsradikalen Paramilitärs und unterhöhlten die Republik.27 Im November 1932 kam es zum Schwur. Der neue Reichswehrminister von Schleicher versammelte die Heeresführung zu einem Planspiel in Berlin.28 Kanzler Papen war es nicht gelungen, eine parlamentarische Mehrheit für seine Regierung zu finden, sodass alles auf eine Kanzlerschaft Adolf Hitlers als Führer der mit Abstand stärksten Reichstagsfraktion hinauslief. Eine der letzten Optionen, um die Nationalsozialisten von der Macht fernzuhalten, war die Ausrufung des Ausnahmezustands, die Entmachtung des Reichstags und damit der Bruch der Verfassung. Schleicher wollte von den Generälen wissen, ob sie eine Präsidialdiktatur außerhalb der Verfassung militärisch absichern würden. Ein Einschreiten gegen die KPD konnten sich diese noch vorstellen, aber nun ging es um mehr; Schleichers Pläne würden womöglich auf einen auch von SPD und NSDAP getragenen Generalstreik hinauslaufen. Dann stünde die Reichswehr plötzlich gegen siebzig Prozent der Bevölkerung. Nach den Erfahrungen bei den Kämpfen um das Berliner 102
Stadtschloss im Dezember 1918 und dem dilettantischen Kapp-Putsch wollte sich die Armeeführung nicht gegen das Volk stellen. Im Gegenteil: Die von ihr so ersehnte Wehrhaftmachung Deutschlands verlangte nach dem Schulterschluss mit weiten Teilen der Bevölkerung. Diese Massenbasis war aber nur mit der NSDAP zu erreichen.29 Die allzu pessimistische Einschätzung der Militärs machte alle Pläne Papens zunichte, gegen den Reichstag zu regieren. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Kurt von Schleicher übernahm das Kanzleramt, scheiterte aber mit seinen Plänen, die NS-Bewegung zu spalten. Und als er den Notstand ausrufen wollte, um so in letzter Minute die NSDAP von der Macht fernzuhalten, stellte sich Reichspräsident Hindenburg gegen ihn und ernannte am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler.30 Scheiterte die Republik also, überspitzt formuliert, an der Reichswehr, die ein demokratiefeindlicher Staat im Staate war und im entscheidenden Moment die Republik nicht verteidigte? Wohl kaum. Der Niedergang der Demokratie zwischen 1930 und 1932 wurde nicht von sinistren Generälen orchestriert. Es waren die Wähler, die den Radikalen in den Parlamenten ihre Stimme gaben. Hinzu kamen die Unfähigkeit der Parteien zu Kompromissen und nicht zuletzt ein Reichspräsident, der im Mai 1932 dem Zentrumspolitiker Heinrich Brüning das Vertrauen entzog. Damit stürzte die letzte halbwegs stabile Regierung.31 Die Reichswehr hatte 1932 keinen entscheidenden Einfluss auf den Lauf der Dinge. Man kann ihr vorwerfen, dass sie im November 1932 die Gefahr eines Massenaufstands überschätzte und dass General Schleicher allzu naiv seine Ränkespiele betrieb. Entscheidend war aber, dass Hindenburg – anders als Kanzler Stresemann 1923 – nicht den Notstand ausrief. Hätte er es getan, wäre die 103
Reichswehr wohl noch im Januar 1933 zum Schutz des Staates aus den Kasernen ausgerückt. Entsprechende Planungen gab es, sie richteten sich vor allem gegen die von der NSDAP geführten Landesregierungen.32 Der Begriff »Staat im Staate« ist gleichwohl fest mit der Reichswehr verbunden. Er fehlt in keiner Fernsehdokumentation, keinem Zeitungsartikel und steht sogar im aktuellen Traditionserlass der Bundeswehr, obwohl die Historiker spätestens seit den Forschungen Michael Geyers aus den 1970er-Jahren von ihm abgerückt sind.33 Er ist im 18. Jahrhundert erstmals nachzuweisen, war aber zunächst nur wenig verbreitet. Auch im Kaiserreich war er kaum gebräuchlich34, wurde zuweilen als Schlagwort gegen alle möglichen Gruppen verwendet: den Katholizismus, die Juden, die Polen, die Kirche, diverse Parteien, die Gewerkschaftsbewegung, den Eisenbahnerverband, die Polizei und auch die Armee. Im Zusammenhang mit Letzterer benutzte ihn 1907 Karl Liebknecht.35 Der Begriff etablierte sich dann 1918–20 in der politischen Linken, um vor einem konservativen Militär zu warnen, das einer demokratiefeindlichen Werte- und Normenwelt huldige und eine innenpolitische Gefahr darstelle.36 Doch die Reichswehr war kein Staat im Staate. Dies anzunehmen verkennt den Charakter des Weimarer Staates. Es gab viele, die mit der Republik haderten, und die Reichswehr war mitnichten eine isolierte Gruppe in einem Meer rechtstreuer Demokraten. Die Koalition aus SPD, DDP und Zentrum, die für die Verfassung verantwortlich zeichnete, verlor schon 1920 ihre Mehrheit, und bürgerliche Parteien wie die DVP und erst recht die ultrakonservative DNVP hatten andere Vorstellungen vom Staat. Ihr Kandidat – Paul von Hindenburg – gewann im April 1925 die Präsidentenwahl. 104
Und Ende der 1920er-Jahre war der Rechtsruck auch im Zentrum unübersehbar, während die linksliberale DDP in der Bedeutungslosigkeit versank. Angefangen vom Reichspräsidenten bis hinunter zu den Provinzialverwaltungen gab es viele Beamte, die sich zwar dem Staat und der Nation verpflichtet fühlten, der Republik aber abwartend kritisch oder gar offen ablehnend gegenüberstanden. Das eher pragmatische Verhältnis der Reichswehr zum Recht war auch bei zahlreichen Politikern und zivilen Beamten anzutreffen. Niemand von ihnen sah die Umgehung des rechtlich bindenden Versailler Vertrags als Problem an. Im Gegenteil: Der Zentrumsabgeordnete Heinrich Köhler ordnete als Vorsitzender des Rechnungsunterausschusses des Reichstags die Finanzierung der Geheimrüstung an. Er war stolz, »bei der Wiederwehrhaftmachung unseres Volkes« mitgeholfen zu haben.37 Rüdiger Bergien hat überzeugend dargelegt, dass diese »Wehrhaftmachung« von weiten Teilen der Gesellschaft mitgetragen wurde, obwohl sie gegen geltendes Recht verstieß. Die Interessen der Nation hatten Vorrang vor der Einhaltung von Verträgen, die nur unter Zwang abgeschlossen worden waren. Die Reichswehr war also in guter Gesellschaft. Viele Deutsche in der Weimarer Republik teilten die Werte und Normen der Reichswehr, ihre reservierte Haltung gegenüber der Republik, ihr konservatives Verständnis von Nation und Staat. So rekrutierten sich die Mitglieder des »Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten«38, mit 300 000 Mitgliedern eine der großen rechten Sammlungsbewegungen, die eng mit der Reichswehr kooperierte, zu einem überproportionalen Teil aus dem mittleren Bürgertum.39 Anders als die NS-Bewegung wollten die Stahlhelmer keinen Umsturz. Der Staat sollte reformiert, die Republik in ein 105
Präsidialsystem umgewandelt werden. Der Stahlhelm vertrat allerdings nicht die Mehrheit der Veteranen. Er war nur der zweitgrößte Wehrverband der Weimarer Republik und rangierte, was die Mitgliederzahl betrifft, deutlich hinter dem der SPD nahestehenden Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold.40 Die Aufspaltung in politisch ganz unterschiedlich ausgerichtete Veteranenverbände spiegelte sich auch in den divergierenden Narrativen über den Weltkrieg. Es gab eine eher kritisch-distanzierte Richtung41, die die Sinnlosigkeit und Grausamkeit der Kämpfe anprangerte und vor allem zu Beginn der Weimarer Republik von einer deutlichen Mehrheit der Veteranen vertreten wurde. Aber es existierte von Anfang an auch ein nationalistisch-verklärendes Narrativ. Dessen Spektrum reichte von der Huldigung des stillen Heldentums im Erdulden des Stellungskriegs, wie sie für Reichswehr und Stahlhelm typisch war, bis zur Mystifizierung des Krieges als Geburtsstätte eines neuen Menschen, wie ihn die NSDAP und die faschistischen Bewegungen überall in Europa schon bald hervorbringen würden.42 Die Zahl der Abgeordneten, die in der Armee gedient hatten, stieg von 22 Prozent 1919 auf knapp 54 Prozent 1932. Eine höhere Dichte ehemaliger Soldaten im Parlament hat es zwischen 1871 und 2020 nur in der Adenauerzeit gegeben. Selbst beim Zentrum und der SPD hatte rund die Hälfte der Parlamentarier einmal die Uniform getragen, in der DNVP waren es zwei Drittel, in der NSDAP drei Viertel.43 Auch 1932 saßen jedoch nur 34 ehemalige Offiziere im Reichstag, davon 19 bei der NSDAP und neun bei der DNVP. Die meisten Abgeordneten hatten ihre Militärund Kriegserfahrungen also als Mannschaften oder Unteroffiziere gemacht. Der hohe Anteil ehemaliger Soldaten bedeutete jedoch nicht, dass der Reichstag mehrheitlich die Ansichten 106
der Reichswehr teilte. In KPD und SPD gab es dezidierte Gegner, die die Reichswehr scharf kritisierten und ihr reaktionäres Verhalten vorwarfen. Zugleich wurden die Streitkräfte von den Nationalsozialisten als Söldnertruppe der verhassten Republik attackiert. Die Reichswehr war gewiss kein repräsentatives Abbild der Weimarer Gesellschaft. Sie stand in der Mitte des rechten politischen Spektrums, wobei es verlässliche empirische Angaben zur politischen Haltung des Offizierkorps ebenso wenig gibt wie zu den Mannschaften und Unteroffizieren. Alle Indizien weisen aber darauf hin, dass zumindest die Stabsoffiziere am ehesten der DNVP und der DVP nahestanden. Bei den jüngeren Offizieren gab es Sympathisanten der extremen Rechten, und die Generäle wollten Anfang der 1930er-Jahre das von der NSDAP mobilisierte Potenzial zur Wehrhaftmachung des Staates nutzen. Dennoch gelang es den Nationalsozialisten bis 1933 nicht, in der Armee in größerem Ausmaß Fuß zu fassen. Da es 1918/19 einen beinahe nahtlosen Übergang von der konstitutionellen Monarchie zur Republik gegeben hatte, trifft zu, was Reichswehrminister Otto Geßler im Rückblick schrieb: »Woher hätten auf einmal alle die leidenschaftlichen und überzeugt demokratischen, republikanischen und womöglich sozialistischen Offiziere kommen sollen!«44 Ein wirklich republikanisches Führerkorps der Reichswehr stand in der Tat nicht zur Verfügung. Und doch stellt sich rückblickend die Frage, ob es die Chance für eine Entwicklung gegeben hat, die die Reichswehr stärker mit der Republik hätte versöhnen können. So war das Offizierkorps 1919 noch keineswegs in sich geschlossen. Es gab restaurative Militaristen, pragmatische Technokraten und verfassungsloyale Attentisten. Die zweite Gruppe hatte mit 107
dem Chef der Heeresleitung Walther Reinhardt 1919/20 die Führung inne. Hans Seeckt gehörte zur dritten Gruppe, die sich schließlich durchsetzte.45 Obwohl genaue Angaben fehlen, muss man davon ausgehen, dass in den folgenden Jahren die politische Geschlossenheit der Reichswehr zunahm. Dezidierte Republikaner sind zumindest in Führungspositionen nicht bekannt. Zwischen 1920 und 1928 fehlten Persönlichkeiten wie Reinhardt und Groener, um die moderaten Kräfte im Offizierkorps zu stärken und die Armee in pragmatischer Weise stärker an die Republik zu binden. Doch selbst wenn dies gelungen wäre, wäre der Lauf der Geschichte wohl kein anderer gewesen. Die Streitkräfte folgten den Befehlen ihres Oberbefehlshabers, des Reichspräsidenten, und der war Ende Januar 1933 willens, mit der Ernennung Hitlers eine Regierung der nationalen Sammlung durchzusetzen. Hätte er sich anders entschlossen und wäre Schleichers Plänen gefolgt, eine vom Militär abgesicherte Präsidialdiktatur zu errichten, hätte die Reichswehr dem nicht im Wege gestanden. Das Schicksal des Reiches hing in diesen Wochen und Monaten also nicht von der Frage ab, wie republikanisch die Streitkräfte waren, sondern welche Politik die Staatsführung verfolgte.46 Aus der Niederlage lernen Die Sicherung des Deutschen Reiches auf absehbare Zeit, darum sollte es im Ersten Weltkrieg gehen. Doch nichts davon hatte die Armee erreicht. So war zu fragen, welche militärfachlichen Schlussfolgerungen sie aus der Niederlage ziehen würde. Der 1919 eingerichtete Untersuchungsausschuss des Reichstags zur Klärung der Ursachen des deutschen Zusammenbruchs trug viel amtliches Material und auch kritische Gutachten zusammen. Das 1924 gegründete Reichsarchiv dominierte bald als eine Art 108
kriegswissenschaftliche Abteilung des verbotenen Generalstabs mit seinen Publikationen die offizielle Geschichtsschreibung über den Ersten Weltkrieg. Im Vergleich zur Heldengeschichtsschreibung des Kaiserreichs über die Kriege von 1864 bis 1871 leistete es deutlich mehr Aufarbeitung und Kritik. Der jüngere Moltke und die von ihm vermeintlich vergebene Chance auf einen großen Sieg an der Marne kamen besonders schlecht weg, etwas milder gingen die Autoren mit Erich von Falkenhayn um, während Hindenburg und Ludendorff, die Helden der Schlacht bei Tannenberg, weitgehend sakrosankt waren.47 Um die entscheidenden und schmerzhaften Themen machten die Veröffentlichungen des Reichsarchivs aber einen Bogen. Letztlich waren sie Verteidigungsschriften, um die Leistungen des Militärs positiv herauszustellen. Dies galt besonders für die handlichen Bände über einzelne Schlachten, die sich beim Publikum großer Beliebtheit erfreuten.48 Für den militärischen Fachdiskurs waren diese Arbeiten aber nicht die einzige Quelle. In den Militärzeitschriften wurden die Gründe für die Niederlage breiter und kontroverser debattiert.49 Die Gretchenfrage, ob der moderne Krieg nicht generell vermieden werden müsse, weil er kein politisches Problem lösen konnte und es für Deutschland trotz aller taktisch-operativen Finessen schlicht unmöglich war, gegen eine ressourcenmäßig weit überlegene Koalition zu gewinnen, wurde allerdings vermieden. Die Ideen der friedlichen Koexistenz, der evolutionären Weiterentwicklung des Pariser Friedenssystems oder der Schiedsgerichtsbarkeit, wie sie sich im Vertrag von Locarno abzeichneten, kamen bei der Reichswehrführung nicht an. Wie schon im Kaiserreich war dem Militär nicht daran gelegen, die Rolle der Streitkräfte als politisches Mittel infrage zu stellen. Im militärischen Fachdiskurs ging es 109
vielmehr darum, aus Vergangenem so zu lernen, dass man den nächsten Krieg gewann. Zentraler Referenzpunkt war dabei stets der Weltkrieg, der frühere Epochen vollständig überlagerte.50 Eine weitverbreitete Lehre war, dass es nur mit einer umfassenden Mobilisierung von Militär und Gesellschaft gelingen würde, die alte Großmachtstellung wiederzuerlangen.51 Gewiss teilte nicht jeder die Meinung des Leiters der Operationsabteilung, Joachim von Stülpnagel, der einen solchen Schritt nur als Vorstufe zum Weltmachtstatus ansah. Hans von Seeckt dachte eher an die gewaltsame Revision des Versailler Vertrages und einen begrenzten Revanche- und Befreiungskrieg.52 Auf dieser Linie bewegte sich auch der spätere Befehlshaber des Ersatzheeres Friedrich Fromm, der 1925 als Major im Reichswehrministerium Dienst tat. Er sprach zwar von einem Zusammenschluss der europäischen Kultur gegen den Bolschewismus und einer deutschen Führerschaft in diesem Kampf.53 Dabei ging es ihm aber um die Grenzen von 1914 und nicht um Lebensraum in Hitler’schen Dimensionen. Angesichts eines gerade einmal zehn Divisionen umfassenden Heeres, das bis 1927 strengen Rüstungskontrollen der Siegermächte unterlag, hatten diese Vorstellungen wenig mit der Realität zu tun. Aber sie offenbarten die Visionen und Planungen für die mittlere Zukunft. Dass mit der Reichswehr kein Krieg geführt werden konnte, war jedem klar. Ohne schwere Artillerie, ohne Panzer, ohne Luftwaffe und mit einer überdimensionierten Kavallerie war mit den 100 000 Mann nicht viel anzufangen. Die geheimen Planungen sahen daher vor, die sieben Infanterieund drei Kavalleriedivisionen als Kader für eine rasche Verdreifachung des Heeres zu verwenden. Für Seeckt waren 110
die angestrebten 300 000 Mann ein Eliteheer, das im Falle eines Krieges mit einer Großmacht zwar durch ein Massenheer ergänzt werden müsste, aber dank seiner Professionalität die entscheidende Rolle spielen würde. Für die jungen Generalstabsoffiziere führte die Vorstellung, dass diese – im Vergleich zu den riesigen Armeen des Weltkriegs – kleine, hoch spezialisierte Elite einen militärischen Konflikt entscheiden könnte, in die Irre. Ihrer Meinung nach musste die Reichswehr in einem Volksheer aufgehen, mit dem dann der industrialisierte Massenkrieg der Zukunft geführt werden konnte.54 Doch bald bremste Reichswehrminister Groener ihre allzu kühnen Vorstellungen und passte die Planungen den politischen Realitäten an. Die Überlegungen für einen Krieg im Westen wurden aufgegeben, die Sicherung Ostdeutschlands in den Mittelpunkt gestellt. Groener koordinierte zudem Marine und Heer im Sinne einer einheitlichen Kriegführung und dachte über die Mobilisierung und Versorgung der Bevölkerung in einem zukünftigen Konflikt nach.55 So unterschiedlich die Konzeptionen für ein Elite- oder Massenheer waren, so sehr kreisten seit dem Amtsantritt Seeckts auf operativer Ebene alle Pläne um das »Evangelium der Beweglichkeit«.56 Die schnelle Einkesselung und Vernichtung feindlicher Armeen war im Ersten Weltkrieg zwar nur im August 1914 in Tannenberg gelungen – trotz aller Erfolge bei späteren Schlachten. In Zukunft sollte aber durch eine verbesserte Beweglichkeit und Führungsfähigkeit die Umfassungsschlacht wieder möglich sein, wobei sie Teil von sowohl offensiven als auch defensiven57 Kriegsszenarien und planungen war; auch Konzeptionen für Durchbruchsoperationen wurden entwickelt.58 Befördert wurde diese Doktrin des Bewegungskriegs einerseits von der Denktradition des deutschen Generalstabs spätestens seit den 111
Einigungskriegen, andererseits aber auch von der geopolitischen Lage Deutschlands. So erschien es kaum vorstellbar, dass man in Zukunft einen statischen Abnutzungskrieg würde gewinnen können. Einzig Walther Reinhardt glaubte, dass die bloße Steigerung der Feuerkraft der Schlüssel zum Erfolg sei. Mit seiner Ablösung im März 1920 war dieser Gedanke aber passé; die Vorschriften, Ausbildungsprogramme und Planungen liefen alle in Richtung Bewegungskrieg und Gefecht der verbundenen Waffen.59 Nur so meinte man die materielle Unterlegenheit ausgleichen zu können. So weit die Planungen. Doch wie stand es tatsächlich um die Leistungsfähigkeit der Reichswehr? War sie wirklich das sorgfältig ausgebildete Eliteheer? Immerhin war es der Anspruch, die 76 000 Mannschaften, 19 000 Unteroffiziere und 4000 Offiziere so zu qualifizieren, dass sie die Aufgaben der nächsthöheren Führungsebene erfüllen konnten, um im Ernstfall einen raschen Aufwuchs sicherzustellen.60 Nach Abflauen der inneren Unruhen konnte sich die Reichswehr von 1924 an in Ruhe der Ausbildung ihrer Soldaten widmen. So benötigte ein Offizieranwärter vom Eintritt bis zur Beförderung zum Leutnant in der Regel vier Jahre – deutlich länger als in der Kaiserzeit oder auch heute in der Bundeswehr. Die Reichswehr befasste sich intensiv mit den taktischen Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg und leitete daraus die Ausbildung möglichst flexibler, eigenständig führender Offiziere und Unteroffiziere ab.61 Die Personalauswahl des Heeres wurde seit 1929 durch ein psychologisches Prüfverfahren mit einem Intelligenz- und Wissenstest unterstützt, und es gab die Möglichkeit, besonders qualifizierte Offiziere zum Hochschulstudium freizustellen.62 James Corum ist der Ansicht, dass die Reichswehr das beste 112
militärische Ausbildungssystem der damaligen Zeit entwickelte.63 Zweifellos brachte das System aus Training in den Verbänden, Lehrgängen an den Waffenschulen, regelmäßigen Manövern und Kriegsspielen die Leistungsfähigkeit von Truppe und Führung auf ein sehr hohes Niveau. Jedoch sollte man nicht übersehen, dass auch die Reichswehr mit den typischen Problemen einer Friedensarmee zu kämpfen hatte. Schon im Dezember 1925 kritisierte Seeckt die »überhandnehmenden bürokratischen Sitten«.64 Auch in der Berufsarmee gab es einen »lebhaften Führer- und Mannschaftswechsel« durch Versetzungen, Beförderungen oder Abgänge. Das Gruppenkommando 2 bilanzierte für das Jahr 1925, dass der Ausbildungsstand nur in bescheidenem Maße weiterentwickelt werden konnte. Zudem wurde moniert, dass die Erfahrungen über die Wirkung feindlichen Artilleriefeuers schon wieder vergessen waren. Auch die Schießkunst der eigenen Artillerie bedürfe noch »sehr der Steigerung«. Die Führer würden das Gefühl für das Gelände verlieren und seien zu sehr von dem nur im Frieden reichlich vorhandenen Kartenmaterial verwöhnt. Die Befehlsgebung sei außerdem zu langsam, die Aufklärung zuweilen spärlich.65 Harsche Kritik gab es auch an der Kavallerie, die sich viel zu wenig mit der Gefechtsausbildung befasste und die meiste Zeit mit der Verfeinerung der Reitausbildung verbrachte.66 Schließlich darf nicht vergessen werden, dass die Zahl der Soldaten mit Kampferfahrung über die Jahre rapide abnahm. 1930 schieden die letzten Mannschaften und Unteroffiziere aus, die den Ersten Weltkrieg an der Front erlebt hatten.67 Eines der größten Hemmnisse war zweifellos die Unterfinanzierung, die Zahl und Umfang der Manöver und selbst die verfügbare Übungsmunition stark einschränkte. Die 113
Veranschaulichung moderner Kriegsmittel wie Panzer und Flugzeuge konnte entweder gar nicht oder nur provisorisch geleistet werden, da die Reichswehr über solche Waffen nicht verfügte. Die vermehrte Rüstung ab Ende der 1920er-Jahre verbesserte zwar den Ausrüstungsstand erheblich, war aber für das geplante 300 000-Mann-Heer nicht ausreichend. So gab es 1933 noch erhebliche Lücken und nur für wenige Großkampftage Munition.68 Trotz dieser schwierigen Umstände blieb der Anspruch bestehen, die Soldaten im Sinne eines Kaderheeres für die nächsthöhere Aufgabe zu qualifizieren.69 Das scheint insbesondere bei den Offizieren auch gelungen zu sein. Bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein stellten die Reichswehroffiziere das Rückgrat von Generalität und Stabsoffizierkorps. Mit Abstrichen galt dies auch für die Unteroffiziere, die in den 1930er-Jahren zumeist in Offiziersränge aufrückten. Ein besonders prominentes Beispiel ist Ludwig Heilmann. Im Februar 1921 trat der 18-jährige Würzburger in das fränkische Infanterieregiment 21 ein, durchlief die Unteroffizierslaufbahn und schied am 3. Februar 1933 nach Ablauf seiner Dienstzeit als Feldwebel und Zugführer aus. Gut ein Jahr später wurde er als Oberleutnant reaktiviert, diente dann sechs Jahre als Kompaniechef in verschiedenen Infanterieeinheiten, trat nach dem Frankreichfeldzug zur Fallschirmjägertruppe der Luftwaffe über und machte schließlich 1944 als Regimentskommandeur und Verteidiger von Monte Cassino von sich reden.70 Heilmann war gewiss kein intellektueller Kopf, war »geistig durchschnittlich veranlagt«, wie es in seiner Beurteilung hieß. Er hatte aber das Kriegshandwerk von der Pike auf gelernt und zeigte sich im Zweiten Weltkrieg aufgrund seiner langjährigen Erfahrung auch »schwierigsten Lagen« gewachsen. Sein 114
Werdegang mag für einen ehemaligen Feldwebel der Reichswehr ungewöhnlich sein, zeigt aber, dass deren Qualifizierungsanspruch eingelöst wurde. Fraglich ist jedoch, ob es gelang, auch Soldaten aus den Mannschaftsdienstgraden zu »selbständigen und selbstbewussten, hingebenden und verantwortungsfreudigen Führern« zu erziehen.71 Friedrich Fromm stellte 1925 für die 3. Division fest, dass nur etwa 15 bis 25 Prozent diese Anforderungen erfüllten.72 Einerseits wurde offenbar immer noch nach den alten Mustern der Wehrpflichtarmee rekrutiert. Andererseits war der Dienst insbesondere als Mannschaftssoldat in der Reichswehr wohl auch nicht attraktiv genug. »Persönlichkeiten mit hohen Führerqualitäten an Charakter und Intelligenz«, so Fromm, »kommen einfach nicht zu uns trotz vollster Passion für den Soldatenberuf, weil sie nicht Lust haben: 12 Jahre lang Pferde zu putzen, Treppen zu scheuern, Kartoffeln zu schälen, Rollkutscher zu spielen, in dumpfen Massenquartieren zu schlafen, schlecht angezogen herumzulaufen und dann noch zum Dank nach 12 Jahren ohne Unterkommen auf der Straße zu liegen.«73 Sozialstruktur und tribal cultures Im November 1918 umfasste das Offizierkorps des kaiserlichen Heeres 150 000 Mann. Die allermeisten waren Reserveoffiziere und verließen nach dem Waffenstillstand die Armee. 38 000 aber waren Berufsoffiziere74, und es stellte sich bald die Frage, wer in das auf 4000 Mann begrenzte Offizierkorps der Reichswehr übernommen werden sollte. Dazu gab es durchaus unterschiedliche Auffassungen. Seeckt warf dem Personalamt vor, in erster Linie die bewährten Frontoffiziere zu berücksichtigen, weil der Generalstab angeblich unpopulär sei. Er trat dem mit allem Nachdruck 115
entgegen und bestritt im Sommer 1919 in einem Schreiben an den preußischen Kriegsminister75 den Gegensatz von Frontund Generalstabsoffizieren während des Weltkriegs. Es müsse auch bedacht werden, was Offiziere »in der schwersten Zeit zwischen November 1918 und heute geleistet haben«. Es seien vor allem die Generalstabsoffiziere gewesen, die sich in einer Zeit der Krise rückhaltlos in den Dienst des Vaterlandes gestellt hätten, während die Truppenoffiziere »unauffindbar, beurlaubt, verschwunden« waren. Da die Reichswehr ein Kaderheer sein sollte, waren für Seeckt die hoch qualifizierten Generalstabsoffiziere wichtiger als kampferfahrene Truppenoffiziere, von denen ohnehin knapp die Hälfte erst während des Krieges Offizier geworden war, weshalb ihnen der richtige Stallgeruch der Friedensarmee fehlte. Wenngleich sich Kriegsminister Reinhardt den Einlassungen Seeckts prinzipiell anschloss76, blieb die Personalpolitik insgesamt ausgewogen. Von 4000 Reichswehroffizieren waren schließlich knapp 500 ehemalige Offiziere, die während des Krieges zumindest zeitweise eine Generalstabsstelle innegehabt hatten, somit rund zwölf Prozent.77 Ein Blick in die erhaltenen württembergischen Akten zeigt, dass man eine Mischung aus Front- und Stabserfahrungen anstrebte. Es wurden Listen erstellt, welche Offiziere für die Übernahme in die Reichswehr infrage kamen. An oberster Stelle der sogenannten Würdigkeitsreihenfolge der Majore stand mit Theodor Sproesser der ehemalige Kommandeur des württembergischen Gebirgsbataillons. Mit Freiherr Seutter von Lötzen folgte ein Generalstabsoffizier ohne große Truppenerfahrung.78 Auf der Würdigkeitsliste der Infanteriehauptleute stand der hoch ausgezeichnete und kampferprobte Erwin Rommel nur an zweiter Stelle hinter Eugen Hahn, der im Weltkrieg vor allem im Stab der 26. 116
Division tätig gewesen war. Die meisten aufgelisteten Hauptleute waren keine reinen Troupiers, sondern hatten die längste Zeit in Adjutanten- oder Stabsfunktionen Dienst getan. Mit Hauptmann Friedrich Zickwolff war aber auch ein dritter Offizier des kampferprobten Gebirgsbataillons darunter. In der Würdigkeitsreihenfolge der Oberleutnante79 stand wieder ein Generalstabanwärter an erster Stelle, danach folgten aber erfahrene und in der Regel hoch ausgezeichnete Frontoffiziere wie Wilhelm Speidel, der zuletzt die Sturmabteilung der 27. Division geführt hatte. Offenbar wurde darauf geachtet, Offiziere mit möglichst vielseitiger Erfahrung auszuwählen. Auffallend ist nämlich, dass die meisten neben ihrer Zeit an der Front auch Kenntnisse der Stabsarbeit zumindest auf der unteren Ebene mitbrachten. Speidels Bruder Hans stand ebenfalls auf der Liste. Der spätere Viersternegeneral der Bundeswehr war ab 1914 Zugführer und ab August 1916 Bataillonsadjutant gewesen.80 Von jenen Offizieren, die mit dem höchsten preußischen Orden Pour le Mérite ausgezeichnet worden waren, fanden rund zehn Prozent ihren Weg in die Reichswehr. Auch von den wenigen ausgezeichneten Truppenoffizieren des Heeres wurden nur rund zehn Prozent in die Reichswehr übernommen: 1924 waren es gerade einmal sechs Hauptleute, ein Oberleutnant und ein Leutnant81, darunter der württembergische Hauptmann Erwin Rommel, der preußische Hauptmann Ernst Busch und der bayerische Oberleutnant Ferdinand Schörner. Alle drei stiegen später in der Wehrmacht zum Feldmarschall auf. Diese Zahlen zeigen, dass einige der erfahrensten Krieger durchaus übernommen, aber bei der Auswahl nicht unbedingt gezielt bevorzugt wurden. Gleiches gilt für die Mitglieder der Sturmbataillone. Vom traditionsreichen brandenburgischen Sturmbataillon Nr. 3 117
waren 1925 noch zwei ehemalige Offiziere und ein Offizieranwärter in der Reichswehr tätig. Die prominentesten Köpfe wurden aber nicht übernommen. Major Willy Rohr etwa, der »Erfinder« der Sturmtruppen, wurde 1921 verabschiedet. Im Offizierkorps der frühen Reichswehr war also eine große Bandbreite an Lebensläufen und Erfahrungen vertreten.82 Dabei legte man durchaus Wert darauf, zumindest einen Kern an fronterfahrenen Kriegern von der alten in die neue Armee zu überführen. Denn auch von den hoch ausgezeichneten Unteroffizieren der Garde und der Sturmbataillone fand ein erklecklicher Anteil den Weg in die Reichswehr und stieg dort in Offiziersränge auf.83 Eine andere Frage ist, ob auch politische Gründe bei der Auswahl eine Rolle spielten. So lassen sich prominente Sozialdemokraten benennen, die Frontoffiziere im Ersten Weltkrieg waren und entlassen wurden. Julius Leber, später Reichstagsabgeordneter der SPD und als Widerstandskämpfer 1945 hingerichtet, ist der bekannteste Fall. Es erscheint aber fraglich, ob man angesichts der zurückhaltenden Übernahme von Frontoffizieren von einer verpassten Chance der Demokratisierung der Armee sprechen kann.84 Denn diese waren nicht per se Republikaner. So musste der Eroberer von Fort Douaumont und prominente Freikorpskämpfer Cordt von Brandis aufgrund seiner Beteiligung am Kapp-Putsch ebenfalls den Hut nehmen. Es hat vielmehr den Anschein, dass die Übernahme vor allem nach fachlichen Kriterien erfolgte, wobei persönliche Netzwerke zweifellos eine Rolle spielten. An jungen Offizieranwärtern musste man zumindest in den frühen Jahren der Reichswehr jeden einstellen, der verfügbar war, da die Zahl der Interessenten niedrig blieb. Erst ab 1924 besserte sich die Lage spürbar, sodass nun entsprechend streng ausgewählt werden konnte.85 Seitdem galt wieder der schon 118
für das Kaiserreich zutreffende Befund, dass der Zugang zur höheren Soldatenlaufbahn vor allem über Bildung – nun das Abiturzeugnis86 – geregelt war. Das zeigte sich auch in der sozialen Zusammensetzung des Offizierkorps. Der Adelsanteil sank bis 1926 von dreißig auf 20,5 Prozent, stieg aber bis 1932 wieder leicht auf 23,8 Prozent an. Gewiss spielten hier auch militärspezifische Aspekte eine Rolle, etwa die Unterschiede in den einzelnen Waffengattungen. So blieb der Anteil des Adels in der Kavallerie wie auch im diplomatischen Dienst überproportional hoch.87 Von den 84 000 jüdischen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg kämpften, wurden nur sehr wenige in die Reichswehr übernommen. Kurz nach Hitlers Machtübernahme wurden siebzig Soldaten wegen ihrer jüdischen Abstammung entlassen.88 Die hier im Ersten Weltkrieg erreichten Integrationsfortschritte wurden also wieder zurückgedreht. Allerdings gab es auch unter den insgesamt – von 1919 bis 1933 – 1795 Abgeordneten des Reichstags nur rund vierzig Parlamentarier jüdischen Glaubens, von denen sich lediglich 15 offen zum Judentum bekannten.89 Organisatorisch war die Reichswehr eine vollkommen neue Armee. Die alten Waffengattungen und damit die tribal cultures blieben zwar erhalten. Durch die Aufstellung neuer Infanterie- und Kavalleriedivisionen endeten aber die alten Regimentstraditionen. Der preußische Kriegsminister Reinhardt glaubte nicht anders handeln zu können, weil »in weiten Schichten […] die alte Armee unter Führung ihres Offizierkorps als Hort der Reaktion angesehen« würde. Das lasse sich nicht von heute auf morgen ändern, und es sei »durchaus verständlich, daß die Tradition des kaiserlichen Deutschlands dem Republikaner eine Gefahr bedeutet«. Angesichts dieser Lage sei es daher besser, »unter 119
entschiedener Lösung von unserer militärischen Vergangenheit der jungen Republik ein junges republikanisches Heer zu schenken«.90 Die organisatorische Transformation von 1919 war tiefgehender als diejenige von 1807 – als infolge des Friedens von Tilsit schon einmal die Masse der Verbände aufgelöst worden war –, aber weniger einschneidend als 1945/55. Gleichwohl wurden die Verbindungen zur kaiserlichen Armee nicht vollständig gekappt. So wurden die Traditionen der alten Regimenter an Kompanien der Reichswehr verliehen, die die alten Truppenfahnen, teilweise auch Bräuche und Riten übernahmen.91 Somit war die alte Armee in den Garnisonen noch präsent – etwa in Erinnerungsräumen, bei Festen und Paraden.92 Hans von Seeckt förderte diese Präsenz mehr als Walther Reinhardt. Doch auch er machte in seinem Traditionserlass vom 24. August 1921 deutlich, dass sich jeder Soldat in erster Linie als Mitglied seines neuen Truppenteils fühlen sollte93, und so erscheint es mehr als zweifelhaft, dass die Tradition der alten Verbände wirklich weiterlebte94, zumal nur noch wenige Veteranen eine greifbare Verbindung herzustellen vermochten. Der bereits erwähnte Richard von Kühlmann hatte 1893 seinen Einjährig-Freiwilligen-Dienst beim 1. UlanenRegiment »Kaiser Wilhelm II.« in Bamberg abgeleistet. In derselben Kaserne trat 1926 der junge Claus Schenk Graf von Stauffenberg seinen Militärdienst an. Dort lagen nun Teile des neu gebildeten Reiter-Regiments 17, dessen 1. Eskadron die Tradition der Kaiser-Ulanen weiterführte, während die anderen Eskadronen die Überlieferung der übrigen bayerischen ReiterRegimenter pflegten. Eine historisch gewachsene Identität des Reiter-Regiments 17 konnte sich so kaum ausbilden. 1928/29 tauschten die Eskadronen auch noch die 120
Traditionstruppenteile, wodurch die Künstlichkeit der Traditionskonstruktion offensichtlich wurde. Graf von Stauffenberg erlebte gewiss noch eine Militärwelt, die den Reitergeist hochhielt und vergangene Waffentaten beschwor. Aber es war doch eine gänzlich andere Welt als diejenige Kühlmanns von 1893. Die Verleihung von Traditionen an Kompanien der Reichswehr diente in der Praxis wohl vor allem dazu, den Mannschaften Referenzpunkte für ihre soldatische Identität an die Hand zu geben. Und solange sie nicht selber in den Kampf zogen, lag der Rückgriff auf die Armeen des Kaiserreichs am nächsten.95 Eine weitere wichtige Funktion der Traditionsverleihung bestand darin, die in Vereinen organisierten Veteranen in die generationenübergreifende Kameradschaft des Militärs zu integrieren. Dass diese Verbindung von altem und neuem Offizierkorps der Nähe zur Republik nicht gerade förderlich war, liegt auf der Hand.96 Reichswehrminister Groener versuchte dann auch gegen eine allzu offen gepflegte Monarchieverherrlichung vorzugehen. So verbot er etwa im März 1928 in Offizierheimen und Bordmessen das Kaiserhoch, da dies als Demonstration gegen die Republik gedeutet werden müsse. Auch ordnete er die Auflösung des in Kiel ansässigen Kaiserlichen Yachtklubs an und entließ Admiral Wülfing von Ditten, der für den in die Kritik geratenen Besuch des Prinzen Heinrich auf dem Kreuzer »Berlin« verantwortlich war.97 Diese Einwirkungsversuche blieben aber weitgehend erfolglos, weil die deutliche Hinwendung des Ministers zur Republik für die Sozialisation weiter Teile des Offizierkorps zu spät kam. Mit gelegentlichen Truppenbesuchen etwa an der Infanterieschule in Dresden konnte Groener die Abneigung der Truppe gegen die Bürogeneräle im Reichswehrministerium nicht beheben.98 121
An der Infanterieschule war auch der schwer kriegsversehrte Hans-Valentin Hube tätig, Autor eines in der Truppe viel gelesenen Handbuchs für den Infanteristen. Das Bekenntnis zur Demokratie fiel darin denkbar schwach aus. Dem deutschen Soldaten, so Hube, stehe das Vaterland höher als die jeweilige Staatsform, und in diesem Sinne würde der Eid auf die Verfassung geleistet. Die Soldaten sollten der Republik wie das leuchtende Vorbild ihres Reichspräsidenten dienen.99 Die militärische Werte- und Normenwelt der Kaiserzeit veränderte sich nach 1919 nur wenig. Von Kaisertreue und Gottesfurcht war zwar nicht mehr die Rede. Aber der klassische Kanon von Ehre, Treue, Gehorsam, Pflichterfüllung, Mut, Tapferkeit, Kameradschaft und Vaterlandsliebe wurde in den einschlägigen Vorschriften, Erlassen und Handbüchern immer wieder beschworen. Seeckt betonte beispielsweise in einem Erlass zu den Grundlagen der Erziehung des Heeres: »Wahre Ehre kann ohne Treue bis in den Tod, unerschütterlichen Mut, feste Entschlossenheit, selbstverleugnenden Gehorsam, lautere Wahrhaftigkeit, strenge Verschwiegenheit und ohne aufopfernde Erfüllung selbst der anscheinend kleinsten Pflichten nicht bestehen.«100 Besonders hob er hervor, dass der Soldat für den Kriegsfall da sei und sich im Frieden unablässig auf diesen vorbereiten müsse. Nur eine harte Truppe, die Hunger, Durst und fehlenden Schlaf ertragen könne, sei einsatzfähig.101 Und Hans-Valentin Hube schrieb in seinem Handbuch, der Infanterist müsse alle kriegerischen Mannestugenden des Körpers, des Geistes und der Seele besitzen. Nur dann werde er zum wahren Krieger. Mitleid, Weichheit, Parteinahme mit dem Herzen seien rücksichtslos auszuschalten, wenn das Wohl des großen Ganzen es erfordere.102 Entsprechend wurde körperliche Ertüchtigung in der Reichswehr großgeschrieben. 122
Schwimmen, Fechten, Turnen, Leichtathletik waren die klassischen Sportarten. Auch Jogging, damals Waldlauf genannt, gab es bereits. Der voll ausgebildeten Truppe wurden Märsche bei vollem Gepäck von bis zu achtzig Kilometern in zwei Tagen abverlangt.103 Die Reichswehr war gleichwohl keine Kaiserarmee in neuem Gewande. Sie prägte vielmehr eine eigene Militärkultur aus. So institutionalisierte Walther Reinhardt die im November 1918 entstandene Funktion der Vertrauensleute.104 Als gewählte Vertreter der Mannschaften fungierten diese in allen Fragen der Disziplin, aber auch des Solds als Vermittler zwischen Soldaten und Führung. Ihr Einfluss im Garnisonsalltag ist empirisch kaum zu belegen.105 Man kann diese neue Funktion aber als Zeichen dafür interpretieren, dass die Reichswehr nicht einfach dort weitermachen wollte, wo die kaiserliche Armee 1918 aufgehört hatte. Gerade auch die Vertrauensleute sollten die Kohäsion der Armee stärken und deutlich machen, dass die Sorgen der Soldaten ernst genommen wurden. Sie waren ein Puzzlestein in dem größeren Prozess der Weiterentwicklung der Menschenführung und der Förderung der Truppenmoral. So wurde die Führung auch nicht müde zu betonen, dass Gehorsam und Motivation in der neuen Armee über Vertrauen und Kameradschaft erreicht werden müssten. Noch als Generalquartiermeister hatte Wilhelm Groener bereits im März 1919 betont, dass bei der Auswahl der Offiziere Verständnis für die Untergebenen zu berücksichtigen sei.106 Und Seeckt stellte im Januar 1921 heraus, dass durch die gegenseitige Unterstützung von Vorgesetzten und Untergebenen Fehltritte Einzelner rechtzeitig verhütet werden müssten.107 Eine weitere Maßnahme zur Festigung der Kohäsion war die Einreihung von Offizieranwärtern in die Truppe. Während 123
der ersten fünfzehn Monate mussten sie als Mannschaftsdienstgrade den normalen Dienst mitmachen, wobei sie allerdings nach wenigen Wochen eine eigene Stube bekamen, wie der spätere Generalinspekteur der Bundeswehr Ulrich de Maizière von seiner Ausbildung im Infanterieregiment 5 in Stettin zu berichten wusste.108 Verbessert wurde auch die Lebensqualität in den Kasernen. Unteroffiziere erhielten Einzelzimmer, Mannschaften lagen nur noch mit vier bis acht Mann auf einer Stube. Zudem erhielten alle Soldaten die gleiche Verpflegung, die Bevorzugung der Offiziere fiel weitgehend weg. In der Grundausbildung der Rekruten wurden der Kasernenhofdrill und die Formalausbildung im Vergleich zum Kaiserreich stark reduziert; die meiste Zeit wurde auf die Beherrschung und Handhabung der Waffen verwandt. »Auf formales Exerzieren ist möglichst wenig Zeit zu verwenden«, hieß es in einer Anweisung der Heeresleitung vom September 1932.109 Für die militärische Haltung der Rekruten sei es völlig ausreichend, wenn diese beim Antreten zum Dienst geübt werde, so ein Merkblatt des Truppenamtes.110 Gefechtsdrill hingegen wurde großgeschrieben, und man war bemüht, die Manöver so kriegsnah wie möglich zu gestalten.111 Auch in der Reichswehr gab es Missbrauch und Schikane. Im Mai 1925 bemängelte das Truppenamt, dass die Kompaniechefs ihre Unterführer nicht immer ausreichend im Griff hätten. Gerade der innere Dienst liege ganz in der Hand der Unteroffiziere, die ihn »in vielen Fällen nach eigenem Gutdünken« handhabten. »Unsitten aus der Vorkriegszeit wie dauernder Gebrauch grober Schimpfworte, kleinliches Schikanieren der Mannschaften reißen ein.« Die Verantwortlichen seien vor allem ältere Unteroffiziere, die den Mannschaften das Leben unnötig schwer machten.112 Hans 124
von Luck berichtete davon, dass er als Offizieranwärter die Flure und Toiletten seines Kasernenblocks mit Zahnbürsten reinigen musste, am Wochenende keinen Ausgang erhielt oder als Mutprobe auf Befehl eine Flasche Rum zu leeren hatte.113 Die soziale Dynamik hierarchisch aufgebauter militärischer Kleingruppen war in der Reichswehr somit prinzipiell keine andere als in der kaiserlichen Armee. Und dennoch gab es auch hier wichtige Veränderungen: Die Zahl der Rekruten war durch den Versailler Vertrag auf 5000 pro Jahr begrenzt, während im Kaiserreich jedes Jahr 300 000 eingerückt waren. In der Reichswehr trafen Unteroffiziere also viel seltener auf Rekruten. Es gab weniger Fluktuation, somit mehr Zeit, dass Kompanien und Züge zu einer Einheit zusammenwachsen konnten. Zumindest nach den offiziellen Zahlen nahmen Misshandlungen im Vergleich zum Kaiserreich ab: Waren es 1913 noch 64 offiziell verhandelte Fälle pro Jahr und pro 100 000 Soldaten, so fiel diese Zahl zwischen 1922 und 1926 auf 30 bis 44 Misshandlungen, Beleidigungen und sonstige Fälle vorschriftswidriger Behandlung Untergebener, darunter ein bis sechs besonders schwere Fälle, die mit Gefängnisstrafen geahndet wurden.114 Der Chef der Heeresleitung stellte im Dezember 1926 klar, dass solche Verfehlungen nicht zu dulden seien, und forderte die Soldaten nachdrücklich zur Beschwerde auf, sollten sie sich in ihrer Ehre durch Vorgesetzte verletzt fühlen.115 Natürlich konnten solche Anweisungen Misshandlungen nicht gänzlich abstellen, zumal es auch in der Reichswehr eine Dunkelziffer gegeben haben muss. Anders als im Kaiserreich spielten solche Vorkommnisse in der Öffentlichkeit und in den Reichstagsdebatten aber keine große Rolle. Der spektakulärste Zwischenfall war dann auch nicht auf Schikane zurückzuführen. Im März 1925 ertranken bei einer Übung 125
durch die Verkettung unglücklicher Umstände achtzig Rekruten in der Weser, als sie in Panik eine Fähre zum Kentern brachten.116 Die Selbstmordrate stieg in der Reichswehr anfangs kontinuierlich an und erreichte 1924 mit 132 Fällen ihren Höhepunkt. Sie war damit fast dreimal so hoch wie in der männlichen Zivilbevölkerung. Danach näherten sich die Werte immer weiter an, bis die Rate 1930 im Militär nur noch minimal über der zivilen lag.117 Gründe für die hohe Quote in den frühen 1920er-Jahren, die auch deutlich höher lag als im Kaiserreich, dürften eher drohende Entlassungen oder die allgemeine Unsicherheit angesichts der gesellschaftlichen Umbrüche gewesen sein als eine strukturelle Misshandlung von Soldaten. Fazit Die Niederlage von 1918 hatte Staat und Gesellschaft schwer erschüttert. Tausende kamen ums Leben, als in Berlin, im Ruhrgebiet, in München oder Mitteldeutschland die Regierungstruppen mit Brachialgewalt gegen Kommunisten, Sozialrevolutionäre und streikende Arbeiter vorgingen, nachdem diese zu den Waffen gegriffen hatten. Gewiss war das Ausmaß der Gewalt in den meisten Verliererstaaten Mittelund Osteuropas ungleich höher als in Deutschland.118 Man denke nur an den russischen Bürgerkrieg, in dem acht bis zehn Millionen Menschen starben. Immerhin haben die auf Befehl der SPD-geführten Regierung und des SPDReichswehrministers Gustav Noske einschreitenden Regierungstruppen dafür gesorgt, dass die schwer gebeutelte junge Republik nach fünf Jahren ruhigere Fahrwasser erreichte. Doch das Verhältnis der politischen Linken zum Militär blieb in der Folge angespannt. Das darf aber nicht 126
darüber hinwegtäuschen, dass es in der Weimarer Gesellschaft einen breiten Wehrkonsens gab, der die geheime Mobilisierung von Grenzschutzmilizen im Osten ebenso ermöglichte wie die geheimen Rüstungsprojekte, etwa mit der Sowjetunion. Die SPD trug all dies mit, als sie auf Reichs- und Länderebene in der Regierungsverantwortung stand, und sie wusste dabei eine Mehrheit der Deutschen hinter sich. Ein Staat im Staate war die Reichswehr also nicht. Dauerhaft opponierte eigentlich nur die KPD gegen sie. Und doch stand die Armee – diplomatisch formuliert – der Republik distanziert-abwartend gegenüber, nicht anders als andere Teile der Gesellschaft rechts von der politischen Mitte. Demokraten im Offiziersrock gab es kaum. Loyal war die Reichswehr vor allem dem Reichspräsidenten gegenüber, und von diesem hing wesentlich ab, inwieweit sie zum Schutz der Republik eingesetzt wurde. Ein Handeln gegen das Staatsoberhaupt kam für die Streitkräfte nicht infrage, weder gegen Friedrich Ebert 1923/24 noch gegen Paul von Hindenburg 1932/33. Als Letzterer den Widerstand gegen die NSDAP aufgab und Hitler zum Reichskanzler ernannte, war von der Reichswehr kein Widerstand zu erwarten. In ihrem Binnenkosmos beschäftigte sich die Reichswehr intensiv und notgedrungen mit den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs. Auf der strategischen Ebene ging es vor allem um die Überwindung der engen Grenzen des Versailler Vertrags, mittelfristig aber auch um die Wiederaufrichtung einer deutschen Großmachtstellung, auch mit militärischen Mitteln. Vieles davon waren Gedankenspiele, da Vorstellungen von einer umfassenden Mobilisierung von Staat und Gesellschaft für den nächsten Krieg angesichts der strengen Begrenzungen des Versailler Vertrages allzu theoretisch waren und die Überlegenheit der potenziellen Gegner allzu drückend schien. 127
Auf operativer Ebene setzte sich die Weiterentwicklung des Bewegungskriegs zulasten der Feuerkraft durch. In der taktischen Ausbildung wurden Erfolge erzielt, zumal die Soldaten wegen fehlender Aufstiegschancen lange auf denselben Posten verblieben. Die Auslese bei Beförderungen war streng, weshalb die Reichswehroffiziere und unteroffiziere handwerklich ein exzellentes Niveau aufwiesen. Doch mit den klassischen Problemen einer Friedensarmee hatte auch die Reichswehr zu kämpfen, Klagen über zu viel Bürokratie und eine oftmals nicht mehr kriegsnahe Ausbildung waren an der Tagesordnung. 128
III. Im Zeichen des Totalen Krieges. Die Wehrmacht im Dritten Reich (1933–1945) Auftakt Wehrgemeinschaft Hitler und die NSDAP mussten von der Bedeutung der Streitkräfte nicht erst überzeugt werden. Die NS-Bewegung entstand aus der Erfahrung des Ersten Weltkriegs. Sie war in ihrem Denken und Handeln ganz auf Kampf und Krieg ausgerichtet, die ihr eigentlicher Daseinszustand waren. Die mystifizierte Frontkämpfergemeinschaft war für sie die Gesellschaftsform der Zukunft und Teil des nationalen Heilsversprechens.1 So gehörte der Antipazifismus ebenso zum Nationalsozialismus wie Antibolschewismus, Antisemitismus, Antiparlamentarismus und Antiindividualismus. Nur vier Tage nach seiner Ernennung zum Kanzler traf sich Hitler mit der Reichswehrführung und stellte in einer längeren Rede anlässlich eines Abendessens in der Dienstwohnung des Chefs der Heeresleitung, Kurt von Hammerstein-Equord, Eckpunkte seiner innen- und außenpolitischen Pläne vor. Die Generäle vernahmen, dass die Streitkräfte von nun an die wichtigste Einrichtung des Staates seien, dass es eine Verquickung von Heer und SA nicht geben werde und dass sich die Armee nicht um die Innenpolitik zu kümmern brauche.2 Auch die Aufrüstung und die Wiedereinführung der Wehrpflicht kündigte Hitler an. Der Wehrwille müsse mit allen Mitteln gestärkt werden. All das, was die Generäle stets gefordert hatten, schien auf dem 129
Wunschzettel des neuen Reichskanzlers zu stehen. So schlugen sie dankbar in dessen ausgestreckte Hand ein. Das Projekt der Wehrhaftmachung des Volkes war bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs das wichtigste Verbindungsglied von NSDAP und Streitkräften.3 Nie zuvor und nie danach wurde das Militär in der Öffentlichkeit so positiv dargestellt. Das lag zweifellos auch daran, dass es – anders als im Kaiserreich oder in der Weimarer Republik – in der Diktatur keine Möglichkeit mehr gab, offen Kritik zu üben. Die SPD- und KPD-nahe Presse war schon im Februar 1933 verboten worden. Reguläre Reichstagssitzungen, im Kaiserreich ein Ort auch des öffentlichen Spotts über das Militär, gab es seit März 1933 nicht mehr. Der Reichstag trat bis zum Ende des Dritten Reiches überhaupt nur noch neunzehn Mal zusammen und war kein Ort kontroverser Debatten mehr. Das Anti-KriegsMuseum des Pazifisten Ernst Friedrich wurde im März 1933 von einem Trupp SA-Männer verwüstet, Friedrich emigrierte bald darauf nach Belgien. Mit der sukzessiven Gleichschaltung von Film, Radio und Publizistik wurden militärkritische Stimmen aus der Öffentlichkeit verdrängt. Auch vom Buchmarkt verschwand alles Unliebsame. Erich Maria Remarques Bücher wurden – neben zahlreichen anderen – alsbald verboten und am 10. Mai 1933 wegen angeblichen Verrats an den Soldaten des Weltkriegs in aller Öffentlichkeit verbrannt. Die Verfilmung seines Bestsellers »Im Westen nichts Neues« wurde ebenso verboten wie der Antikriegsfilm »Westfront 1918« von Georg Wilhelm Pabst. Dasselbe galt für die Kunst: Die Bilder von Max Beckmann, George Grosz oder Otto Dix galten als »gemalte Wehrsabotage« und wurden aus den Museen entfernt, die Maler mit Malverboten belegt.4 An die Stelle dieser »undeutschen« Kunst trat die epische 130
Verklärung des Weltkriegs. Dieser sei ein notwendiger Opfergang gewesen, der die seelische und geistige Auferstehung des deutschen Volkes im Nationalsozialismus bewirkt habe. Die NS-Bewegung sei angetreten, den Schandvertrag von Versailles hinwegzufegen und zu vollenden, was damals nicht gelungen war. So wurde der Bogen gespannt von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs über Hitlers Revisionspolitik bis zur Besetzung Frankreichs 1940, getreu dem Motto: Ihr seid nicht umsonst gefallen. Was die Veteranen einst begannen, werde nun vom »Führer« vollendet.5 Die ehemaligen Weltkriegssoldaten genossen im Dritten Reich eine herausgehobene öffentliche Stellung, etwa freien Eintritt in öffentlichen Einrichtungen oder Ehrenplätze bei öffentlichen Veranstaltungen. Der Volkstrauertag wurde 1934 zum Heldengedenktag umgewandelt; Kriegsteilnehmer erhielten ein Ehrenkreuz, ein gewaltiges Reichskriegsmuseum auf der Berliner Museumsinsel wurde geplant. Als Sinnbild des Veteranen galt der Frontkämpfer; als solchen wussten sich auch führende Nationalsozialisten zu inszenieren. Hitler trug demonstrativ das Verwundetenabzeichen und das Eiserne Kreuz I. Klasse als Ausweis seiner Kampferfahrung.6 In der Großen Kunstaustellung in München waren seit 1937 die Werke einer NS-konformen Malerei zu sehen, etwa das Gemälde »Die letzte Handgranate« von Elk Eber, eine Stilisierung des Kriegers, wie sie auch in zahllosen Büchern, Zeitschriften und Denkmälern gezeigt wurde. Hans Zöberleins 1931 erschienenes Buch »Der Glaube an Deutschland« wurde in der NS-Zeit zum hunderttausendfach verkauften Weltkriegsbestseller, die Verfilmung erreichte 1934 ein Millionenpublikum. Edwin Erich Dwinger, schon zu Weimarer Zeiten ein erfolgreicher Schriftsteller, schrieb jetzt NS- 131
konforme Romane, charakterisierte etwa die Mitglieder der Freikorps als heroische Protofaschisten7, die die nun gefeierten Werte wie Härte, Kameradschaft, Tapferkeit und Opfermut bereits vorgelebt hatten. Über die Wirkung dieser Bücher, Ausstellungen, Bilder oder Filme sind gesicherte Aussagen nicht möglich. Trotz des medialen und propagandistischen Feuerwerks wurden die Deutschen gewiss nicht alle zu mustergültigen Mitgliedern einer wehrhaften Volksgemeinschaft. Zudem muss die NSkonforme Darstellung von Militär und Krieg ins Verhältnis zur gesamten Buch-, Film- und Kunstproduktion gesetzt werden. In der Großen Kunstausstellung in München machten diese Themen 1938 gerade einmal 1,7 Prozent aus, und der Anteil wuchs auch im Krieg nicht über gut sieben Prozent hinaus. Vierzig Prozent der Gemälde zeigten Landschaften im Stile des 19. Jahrhunderts.8 Gleichwohl war das Regime bemüht, die Militarisierung des Lebens und die »Wehrhaftigkeit des Volkes« möglichst umfassend zu gestalten. Transmissionsriemen waren dabei neben den gleichgeschalteten Medien vor allem die Massenorganisationen der Partei. Deren Spanne reichte von der Hitlerjugend, dem Bund Deutscher Mädel oder der SA über angeschlossene Verbände wie die Deutsche Arbeitsfront oder die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt bis zu betreuten Verbänden wie dem Reichskriegerbund. Eine wichtige Rolle spielte auch der sechsmonatige Reichsarbeitsdienst, den bis 1940 drei Millionen Männer durchliefen. Eine Mehrheit zumindest der männlichen Deutschen war bei Kriegsausbruch in einer dieser Organisationen Mitglied.9 Zwar gab es viele Zwangsmitgliedschaften und auch opportunistische Gründe für einen Beitritt. Doch die von Partei und NS-Verbänden 132
ausgehende Tendenz zur sozialen Disziplinierung war unübersehbar. Militarisierte Inszenierungen von Großveranstaltungen wie Parteitagen, Erntedankfest, Heldengedenktag und selbst Sportfesten trugen das Ihre zur Veränderung des Referenzrahmens bei. Der ambivalente Umgang mit Militär und Krieg in der Weimarer Republik wich einer gänzlich positiven Darstellung. Dieser Prozess kam nicht über Nacht und dauerte mehrere Jahre, war bei Kriegsausbruch aber weitgehend abgeschlossen. Die Masse der wehrfähigen Bevölkerung machte jedoch bis 1939 gar keine Militärerfahrung. Die Wehrpflicht wurde erst im Oktober 1935 eingeführt und dauerte zunächst nur ein Jahr, ab 1936 dann zwei Jahre. Von den zehn Millionen Männern der Jahrgänge 1900 bis 1913 hatten 1939 lediglich 770 000 eine dreimonatige Kurzausbildung erhalten, der Rest war nie Soldat gewesen.10 Die verhaltenen Reaktionen bei Kriegsbeginn am 1. September 1939 zeigen, dass die deutsche Bevölkerung trotz aller Propaganda den Krieg keineswegs herbeiwünschte, auch wenn sie gegenüber NS-Staat und Militär loyal war. »Net grad laute Begeisterung, aber doch fühlbar gute Einstellung«, schrieb Oberstleutnant Heinrich Eberbach nach Verkündung der Mobilmachung über die Haltung der Bevölkerung.11 Ab September 1939 veränderten sich die Verhältnisse grundlegend. Durch die schrittweise Massenmobilisierung und die immer stärkere Ausrichtung der Gesellschaft auf den Krieg wurden die Deutschen Teil einer Wehrgemeinschaft – ob sie wollten oder nicht. In Film, Radio, Publizistik und Kunst spielte das Militär nun eine noch wichtigere Rolle als zuvor, wobei die Unterhaltung rein quantitativ nach wie vor dominierte. Die Dominanz des Militärs in der NSWochenschau, die stark ansteigende Produktion von 133
Kriegsfilmen, Sonderausstellungen, eine geradezu explodierende Produktion einschlägiger Bücher oder Sammelalben, aber auch das allgegenwärtige Kriegsspielzeug verstärkten die positive Präsenz der Wehrmacht in der Öffentlichkeit. Das Bild des heroischen Kämpfers wurde beschrieben, besungen, gemalt, in Bronze gegossen und auf Zelluloid gebannt.12 Jagdflieger und U-Boot-Fahrer wurden zu Heldenfiguren stilisiert, deren Popularität bei den Jugendlichen mit derjenigen heutiger Fußballstars zu vergleichen ist. Werner Mölders, Adolf Galland oder Günther Prien waren »cool« – auch wenn es das Wort im zeitgenössischen Sprachgebrauch noch nicht gab. Die Uniform war bald aus dem Straßenbild nicht mehr wegzudenken. Das Deutsche Reich war von einem dichten Netz von Kasernen überzogen, in denen Verbände für den Fronteinsatz ausgebildet wurden. Alle in Deutschland stationierten Soldaten waren dem Ersatzheer unterstellt, das zusammen mit dem Feldheer die Landstreitkräfte bildete. Seine Stärke wuchs von knapp einer Million 1939 auf 2,5 Millionen 1944 an. Hinzu kamen die Fronturlauber und die vielen Verwundeten sowie Hunderttausende Soldaten der Luftwaffe, die in der Heimat an den Flakgeschützen, Scheinwerferbatterien oder Radarstellungen im Kriegseinsatz standen. Insgesamt dienten rund achtzehn Millionen Männer und 500 000 Frauen in Wehrmacht und Waffen-SS, Hundertausende im sogenannten Wehrmachtgefolge wie der Organisation Todt sowie in der Endphase des Krieges rund 700 000 im Volkssturm. Die Volksgemeinschaft als Kampfgemeinschaft, als eine klassenlose Gesellschaft, in der es keinen Dünkel mehr gab, in der Konfession und soziale Herkunft keine Rolle mehr spielten, war gewiss ein Wunschbild, das es in der sozialen 134
Realität so nie gab. Sie blieb eine Verheißung, die aber auf große Teile der Gesellschaft eine mobilisierende Kraft ausstrahlte.13 Für das Militär war die Idee der Volksgemeinschaft eines der wichtigsten Verbindungsglieder zum Nationalsozialismus14, und es war die Wehrmacht, die diese Idee am konsequentesten verwirklichte. Anders als in der Zivilgesellschaft war in ihr – wie noch zu zeigen sein wird – der schnelle Aufstieg wirklich möglich, wenn man sich durch Leistung bewährte. Dadurch unterschied sich die Wehrmacht auch von der kaiserlichen Armee, in der es noch starke Klassenschranken gegeben hatte. So kam es nicht von ungefähr, dass sie ihren Soldaten als effiziente Organisation erschien, auf die man stolz sein konnte und der man bis kurz vor Kriegsende loyal ergeben war. Kritik gab es sehr wohl an einzelnen Missständen15, aber nicht an der Institution als solcher. Selbstgleichschaltung Die Reichswehr fügte sich geräuschlos in den nationalsozialistischen Staat ein. Der Chef der Heeresleitung, Kurt von Hammerstein-Equord, war der einzige prominente General, der Anfang 1934 seinen Abschied nahm. Alle anderen waren hoch erfreut über die Chancen, die die anvisierte nationale Einigung und die Mobilisierung des Landes zur Wiedererlangung der einstigen Großmachtstellung boten.16 Hitler selbst hatte das Bild des auf zwei Säulen – NSBewegung und Reichswehr – ruhenden Staates geprägt.17 Damit war den Streitkräften eine herausgehobene Rolle zugewiesen, die manchen an die glücklichen Tage des Kaiserreichs erinnerte.18 Reichswehrminister Werner von Blomberg und sein Stabschef Walter von Reichenau forcierten mit aller Kraft die Verschmelzung der Armee mit dem neuen Staat und die Beeinflussung der Soldaten im Sinne der NS- 135
Bewegung. Symbolisch wurde dies im Februar 1934 durch die Aufnahme des Hakenkreuzes in die Uniform und den Ausschluss jüdischer Soldaten sowie ein halbes Jahr später durch den neuen Eid auf Hitler vollzogen. Von Anfang an verstand es der Diktator geschickt, die Militärführung zu umgarnen. Die Wertschätzung, die er insbesondere Blomberg entgegenbrachte, schmeichelte diesem; schließlich hatte es eine derart ausgeprägte Militärzuneigung eines Kanzlers in der Geschichte des Deutschen Reiches noch nicht gegeben. So meinte Reichenau in einer Epoche zu leben, »wie sie seit dem großen Kurfürsten« nicht mehr da gewesen sei.19 Der Schulterschluss mit Hitler diente der Reichswehrführung auch zur Absicherung der eigenen Machtposition. Mit der Liquidierung der SA-Führung Ende Juni 1934 schien diese sichergestellt. Als einzige staatliche Organisation war die Reichswehr keiner Gleichschaltung unterworfen. Weder wurden ihr Parteipolitiker vor die Nase gesetzt, noch mischte sich die Partei anfangs in die inneren Angelegenheiten ein.20 Die Generäle, allen voran Reichswehrminister Blomberg, erkannten aber nicht, dass es dabei nicht bleiben würde, dass das Militär in der Diktatur auf Dauer keine eigenständige Kraft bilden konnte, sondern sich bedingungslos würde unterordnen müssen. Allzu lange gab sich Blomberg der Illusion hin, Einfluss auf Hitler ausüben zu können.21 Die Vorstellung von den zwei Säulen des Staates war indes schon in staatsrechtlicher Hinsicht Unsinn. Die NSDAP war seit Sommer 1933 die einzige Partei in Deutschland, ihr Führer war Reichskanzler und ab August 1934 in Personalunion auch Reichspräsident. Eine Besonderheit war gewiss, dass Blomberg als Reichswehrminister im aktiven Militärdienst verblieb.22 Doch er spielte im ohnehin machtlosen Kabinett keine große Rolle. 136
Unterdessen mühte er sich redlich, die Wehrmacht zu einer nationalsozialistischen Armee umzuformen. Der neue Referenzrahmen der Streitkräfte23 war keineswegs festgefügt und starr, sondern glich eher einer Vielzahl von Stimmen, die im Detail durchaus unterschiedliche Akzente setzten. Das lässt sich beispielhaft anhand der Vorschriften und Publikationen zeigen, die die Wehrmacht in hohen Auflagen an ihre Soldaten verteilte. Die Autoren waren nicht nur Generäle, sondern oft auch Truppenoffiziere, was einmal mehr verdeutlicht, in welchem Ausmaß das Offizierkorps der Reichswehr die politische Neuorientierung unterstützte. Die »Berufspflichten des deutschen Soldaten«, traditionell eines der zentralen Dokumente, die das Wertefundament der Streitkräfte festlegten, wurden im Mai 1934 von Hindenburg und Blomberg neu erlassen. Wie in den älteren Versionen aus der Weimarer Republik war von Treue, Gehorsam, Kameradschaft, Ehre und Pflichterfüllung zu lesen. Selbst in der von SPD-Reichswehrminister Noske verantworteten Fassung von 1919 waren »kühner Mut und unerschütterliche Tapferkeit« als »Kennzeichen des echten Mannes und die Quellen des Erfolges«24 genannt worden. Auch die Forderung, bis zur Opferung des Lebens seine Pflicht zu tun, fand sich schon in der Weimarer Republik25, die Brandmarkung von Feigheit als »schimpflich« schon im Kaiserreich.26 Jedoch war 1934 ein neuer Zungenschlag nicht zu übersehen: Der Kampf stand in dem neuen Pflichtenkatalog in einer Weise im Vordergrund, wie es in keiner anderen Fassung seit den Einigungskriegen zu finden gewesen war. Unterstrichen wurde dies noch dadurch, dass als höchste Soldatentugend nicht etwa Treue27, sondern »kämpferischer Mut« herausgestellt wurde, 137
der »Härte und Entschlossenheit« erfordere.28 Die beiden letzteren Begriffe tauchten hier erstmals auf. Ein weiteres Beispiel für die Veränderung des Referenzrahmens ist das bereits erwähnte Handbuch »Der Infanterist« von Hans-Valentin Hube. Es erschien erstmals 1925, wurde in den folgenden Jahren mehrfach aufgelegt und kam 1935/36 in einer überarbeiteten Neuausgabe heraus. Hube war neben seinen Truppenkommandos schon in den 1920erJahren mehrfach an der Infanterieschule in Dresden tätig gewesen; am neuen Standort Döberitz war er seit 1935 für fast fünf Jahre ihr Kommandeur. Er prägte als Lehrer also jene Generationen von Offizieren, die im Zweiten Weltkrieg die Führungsschicht der Kampftruppen stellten. Die Neuausgabe seines Buches ging weit über ein bloßes Lippenbekenntnis zum neuen NS-Staat hinaus. In ihr war von »germanischem Staatswesen«, »germanischem Rasseerbgut« und vom »Volksheer des Dritten Reiches« die Rede. Als Grund für einen Krieg wurde die Raumnot genannt. Der Krieger müsse für die großen Ideen von Vaterland und Rasse sterben, müsse das letzte Opfer an »Gut, Blut und Leben« bringen, wenn der »Führer« es verlange. Der Krieg wurde als Stahlbad der Nation, die Schlacht als prägendstes Ereignis im Mannesleben herausgestellt.29 Den Vorgesetzten müsse bedingungslos gehorcht werden. Das war NS-Ideologie reinsten Wassers; alle diese Passagen fehlten in den Ausgaben von 1925 und 1928. Interessant ist freilich auch, was nicht verändert wurde. Im Kapitel »Großkampftage« über ein wohl fiktives kriegsgeschichtliches Beispiel aus dem Ersten Weltkrieg wurde nicht ein Komma hinzugefügt. Geschildert wird der Kampf einer Kompanie an der Westfront, die im feindlichen Artilleriefeuer aushielt und große Verluste erlitt. Die Verzagten begannen zu wanken, aber die Tapferen dachten auch unter 138
widrigsten Bedingungen nicht ans Aufgeben. Sie fanden Hoffnung in der Kameradschaft, wurden schließlich durch einen großen Gegenangriff entsetzt und leisteten so einen wichtigen Beitrag für einen Sieg. Die Moral von der Geschichte war also: Der Wille triumphiert!30 Eine solche Betonung kriegerischen Geistes kam auch im Nationalsozialismus gut an und musste nicht verändert werden. Friedrich Altrichter, einer der führenden deutschen Wehrpsychologen seiner Zeit, wirkte von 1929 bis 1933 ebenfalls als Lehrer an der Infanterieschule. 1934 war er Bataillonskommandeur im berühmten Infanterieregiment 9. Seine Adjutanten dort waren Henning von Tresckow und Wolf Graf von Baudissin. 1935 veröffentlichte Altrichter das Buch »Das Wesen der soldatischen Erziehung«, von dem bis 1943 beachtliche 45 000 Exemplare gedruckt wurden.31 Im Vergleich zu Hube leistete sein Werk eine analytische und akademische Reflexion zur Theorie und Praxis soldatischer Motivation. Es war gemäßigter im Duktus, von Germanentum, Raumnot und Stahlbädern war hier nichts zu lesen. Aber letztlich ging es um dasselbe: die Verbindung des Soldaten mit Staat und Volk, die Ausdruck in der vorbehaltlosen Bejahung der NS-Weltanschauung finden müsse, damit die Wehrmacht – ähnlich wie Partei, SS oder SA – zum organischen Teil des Ganzen werde. Dem Soldaten müsse dieser Zusammenhang im staatsbürgerlichen Unterricht vermittelt werden, um ihn so zu einem Kämpfer für die nationalsozialistischen Ideen auszubilden. Das Verständnis von Volksgemeinschaft, Antimarxismus und Rassegedanken sei zur Ausbildung der seelischen Antriebskräfte des Soldaten von großer Bedeutung. Altrichter erkannte also, dass der militärische Wert einer Truppe auch davon abhing, wie eng diese mit Nation, Staat 139
und Bevölkerung verbunden war. Und er formulierte diese Erkenntnis nicht abstrakt, sondern bezog sich immer wieder explizit auf den NS-Staat und seine Ideologie. Aus heutiger Sicht befremdet diese bedingungslose Hingabe an die Diktatur. Die Abschaffung des Rechtsstaats, Tausende von Morden an Regimegegnern, der Ausschluss der Juden aus der Volksgemeinschaft – all dies schien nicht von Bedeutung zu sein. Im Gegenteil, es waren für die allermeisten Militärs und wohl auch für Altrichter erforderliche Maßnahmen, um die nationale Einheit herzustellen und die Streitkräfte zu neuer Größe emporzuheben. In der Literatur ist viel darüber reflektiert worden, warum das Offizierkorps dieses Unrecht akzeptierte. Im Referenzrahmen des Militärs spielte das Recht als ein über allem stehendes Gut freilich eine eher untergeordnete Rolle. Viel wichtiger war die Schaffung einer Ordnung, die endlich die Phase der nationalen Demütigung der 1920er-Jahre beendete und den Aufbau schlagkräftiger Streitkräfte sicherstellte. Letztlich ging das Offizierkorps im Krieg wie im Frieden mit Rechtsordnungen pragmatisch um, je nachdem, welchen Nutzen man aus der Befolgung, Dehnung oder dem Bruch des Rechts ziehen konnte. Wichtiger war die Loyalität zu Staatsoberhaupt, Nation und Volk. Nach Ansicht der meisten Offiziere handelte Hitler im Interesse des Volkes – wie er das machte, habe die Militärs nicht zu interessieren. Nachdem sich die Reichswehr einmal entschlossen hatte, dem »Führer« und Reichskanzler loyal zu dienen, machte die Pfadabhängigkeit menschlichen Handelns die Revision dieser Entscheidung immer unwahrscheinlicher. Nach dem Ausbleiben von Protesten gegen die Ermordung der ehemaligen Generäle Kurt von Schleicher und Ferdinand von Bredow während des sogenannten Röhm-Putsches 1934 rückte 140
eine solche Umkehr vollends in weite Ferne. Freilich lag das Hauptaugenmerk der Streitkräfte sowieso nicht auf der Innenpolitik, und die Rechtsbrüche des NS-Systems ließen sich im militärischen Alltag leicht ignorieren. Der Ausschluss jüdischer Soldaten aus der Wehrmacht etwa betraf nur siebzig Personen, da diese schon in der Weimarer Republik nicht rekrutiert worden waren.32 Der Bruch internationaler Verträge, etwa die Rheinlandbesetzung im März 1936, wurde nicht weiter problematisiert, weil die Interessen der Nation schon seit 1919 höher bewertet wurden als die aus der Niederlage hervorgegangene Rechtsordnung. Im Sinne des Zwei-SäulenModells lag die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik bei Hitler und der NSDAP. Die Streitkräfte hatten sich darum zu kümmern, dass aus dem kleinen Häuflein der Reichswehr rasch eine schlagkräftige Streitmacht wurde. Und genau an diesem Punkt setzten Offiziere wie Altrichter mit ihren Publikationen an. Er sah seine Aufgabe darin, die Grundlagen für eine mustergültige Kampfgemeinschaft der Soldaten zu legen. Er betonte die Relevanz von Geist, Disziplin und handwerklichem Können und skizzierte als Idealtypus des Offiziers einen umfassend gebildeten, gerechten und tapferen Führer, der sorgsam auf die individuellen Stärken und Schwächen der ihm anvertrauten Soldaten Rücksicht nahm. Altrichters Darlegungen unterscheiden sich im Grundsatz nicht von heutigen Analysen zur Kampfkraft und Moral militärischer Einheiten, die – wenngleich mit völlig anderer politischer Ausrichtung – die horizontale und vertikale Kohäsion der Truppe herausstellen.33 Dem von Altrichter und auch von Hube skizzierten Idealbild dürfte kaum je ein Offizier entsprochen haben. In der Praxis des schnellen Heeresaufbaus der 1930er-Jahre waren solche Ansprüche erst recht nicht zu realisieren. Wo sollten die 141
hoch qualifizierten Menschenführer, die zugleich gläubige Nationalsozialisten sein sollten, auch alle herkommen? Zudem ist zu fragen, welche Wirkung solche Publikationen überhaupt hatten. Einen Hinweis liefert die Ausgabe von Hubes Handbuch »Der Infanterist«, die einst dem Fahnenjunker und späteren Historiker Helmuth Rönnefarth gehörte.34 Die einzigen Unterstreichungen und Anmerkungen tätigte er bezeichnenderweise im Abschnitt über den Infanteriegefechtsdienst. Man sollte also den Einfluss solcher Handbücher nicht zu hoch bewerten. Wer das NS-System ablehnte, konnte die politischen Abschnitte geflissentlich ignorieren und zu den Praxiskapiteln vorblättern, wie es Rönnefarth offenbar machte. Wer die soldatische Existenz hingegen in den politischen Zusammenhang stellen wollte, fand hier, was er suchte. Die erwähnten Publikationen sind für den Historiker vor allem ein Beleg dafür, wie sehr die Streitkräfte als Institution mit dem NS-Staat verschmolzen; über ihre Wirkung wissen wir aber wenig. Jenseits des offiziösen Schrifttums hatten die handelnden Offiziere durchaus eigene Vorstellungen davon, wie »der« Soldat zu sein habe. Die letzte Verantwortung etwa für den wöchentlichen nationalpolitischen Unterricht hatte der Kompaniechef, dem es selbst überlassen blieb, wie er seine Aufgabe ausfüllte. Im Alltag dürfte dies sehr unterschiedlich gehandhabt worden sein.35 Vor allem aber: Trotz aller politischen Treuebekundungen ihrer Führung war die Wehrmacht in erster Linie eine militärische Organisation, in der es um die Beherrschung des militärischen Handwerks ging. So verlangte selbst Blomberg, dass innerhalb der Streitkräfte einzig und allein die militärische Eignung und Leistung ausschlaggebend seien. Angehörige von SA und SS hätten sich unterzuordnen und könnten keinesfalls einen 142
Anspruch auf Sonderbehandlung geltend machen.36 Die politische Einstellung wurde erst im Herbst 1942 in die Personalbeurteilung des Heeres und der Kriegsmarine aufgenommen und blieb auch dann – wie noch zu zeigen sein wird – weitgehend ohne Einfluss. In den Ausbildungsbefehlen des württembergischen Generals Hermann Geyer, immerhin Befehlshaber eines Wehrkreises, findet sich kein Wort zur Politik oder zur NS-Bewegung. Umso mehr ging es um die besondere Haltung des Offiziers, der nicht nur selbst, sondern auch mit Frau und Familie dem Korps verbunden sein müsse. Geyer hielt fest, dass nicht zu viel Zeit für den Formaldienst aufgewendet werden dürfe, alles »kleinlich Kommissige« abzustreifen sei37 und man sich auf »das Kriegsmäßige« zu konzentrieren habe.38 Es fehlte die zeittypische Diktion der Härte, ja, Geyer befahl sogar, dass die Rekruten »wenigstens 8, möglichst 9 Stunden Nachtschlaf« haben sollten und der Dienst nicht in »übermäßiger Hetze« stattzufinden habe.39 Auch Carl Hilpert setzte 1936 als Regimentskommandeur ganz eigene Akzente. Er beklagte sich vor allem über die mangelnde geistige Bildung des Offiziernachwuchses. Die Wehrmacht sei keine Vereinigung, die ausschließlich Körperkultur betreibe, betonte er. Wer alles Geistige und Kulturelle ablehne, sei als Offizier nicht geeignet. Er sprach von einem »ganz unfassbaren Mangel an einfachsten und bisher selbstverständlichsten Bildungselementen«; die Jugend interessiere sich nur noch für das, was in der Schule verlangt oder bewertet werde. »Was soll man z. B. sagen, wenn ein junger Mann, der in die Oberprima aufsteigt, noch nie Schillers Wallenstein gelesen hat, ja von ihm überhaupt nichts weiß? Oder wenn ein anderer, der Offizier werden will, in den letzten Jahren überhaupt kein Buch über den Weltkrieg gelesen hat? Nach einem größeren Geschichtswerk fragt man gar 143
nicht, da viele in Geschichte nur ›genügend‹ haben.« Jeder junge Offizier müsse eine gute Zeitung lesen. »Wer sich hierzu immer nur schieben oder gar treiben lässt, hat bei uns keinen Platz.«40 Hube und Altrichter waren nach ihrer Verwendung an der Infanterieschule Truppenkommandeure und dürften in ihrer Erziehungsarbeit viel NS-konformer als Hilpert und insbesondere als Geyer gehandelt haben. Letzterer galt bald als politisch unzuverlässig, wurde 1939 vorzeitig entlassen, dann wieder reaktiviert und Ende 1941 erneut verabschiedet.41 Ähnlich erging es Generalleutnant Theodor Groppe, einem hoch ausgezeichneten Frontoffizier des Ersten Weltkriegs, dessen Haltung als streng gläubiger Katholik nicht den Anforderungen »an einen Offizier der nationalsozialistischen Wehrmacht« entsprach.42 Der neue Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, war sich nur allzu bewusst, dass es im Offizierkorps mit der »Reinheit und Echtheit der nationalsozialistischen Weltanschauung, in der es sich eigentlich von niemandem übertreffen lassen« dürfe, nicht immer zum Besten stand. Im Dezember 1938 bemängelte er, dass die Erziehung der Offiziere zu einem »einheitlichen nationalsozialistischen Geiste« immer noch nicht von allen erkannt sei.43 Wenn schon das Offizierkorps der Wehrmacht überaus heterogen war und zunächst auch Männer geduldet wurden, die ganz offensichtlich nicht den politischen Leitlinien entsprachen, so traf dies wohl noch weit mehr auf die Soldaten zu. Deren politische Haltung dürfte aber kaum durch Bücher oder staatspolitischen Unterricht, sondern durch Elternhaus, Schule und HJ geformt worden sein. Und bei aller Bejahung der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, dem überwältigenden Zuspruch zu Hitler und der Freude etwa über 144
den Anschluss Österreichs bedeutete dies nicht, dass alle nun begeistert zur Fahne rannten. So beklagte sich im April 1938 das in Bayern liegende VII. Armeekorps bitter über die mangelnde Wehrfreudigkeit der Bevölkerung, die für die bedenkliche Anzahl von Fahnenflüchtigen mitverantwortlich sei.44 Jenseits der Propaganda war man also auch fünf Jahre nach der NS-Machtergreifung noch ein gutes Stück vom gepriesenen Ideal der nationalsozialistischen Wehrmacht entfernt. Das betraf auch die Behandlung der Soldaten. Auf das vertrauensvolle Verhältnis von Offizieren zu ihren Mannschaften wurde von der obersten Führung viel Wert gelegt.45 Missbrauch und Schikanen widersprachen dem vielfach beschworenen Geist des Frontkämpfertums und der Volksgemeinschaft. Doch im Friedensbetrieb verfielen etliche Offiziere und Unteroffiziere in ein Verhalten, das man eigentlich überwunden haben wollte. Unablässig wurde darauf hingewiesen, dass Misshandlungen und »törichte Erziehungsmethoden« zu unterlassen seien, dass es keine kränkenden Anspielungen auf den Zivilberuf geben dürfe, sondern die jungen Soldaten mit Takt, Fürsorge und Vertrauen zum charaktervollen Kämpfer zu erziehen seien. Übertriebener Drill und eintöniges Exerzieren hätten zu unterbleiben, stellte das VII. Armeekorps klar.46 Obwohl die Wehrmacht mehr noch als die kaiserlichen Streitkräfte oder die Reichswehr versuchte, gegen Beleidigungen und Misshandlungen von Untergebenen vorzugehen, und ein Divisionskommandeur schon jeden Versuch einer Misshandlung mit aller Schärfe zu ahnden drohte47, konnten die Schikanen nicht abgestellt werden. Unteroffiziere ließen die Rekruten auf die Spinte klettern, unter Betten kriechen, bei Nichtigkeiten 50 Kniebeugen machen oder jagten sie bei Wind und Wetter um 145
den Kasernenblock. Derlei geschah vor allem in der Grundausbildung.48 Hinzu kam, dass in großer Eile Verbände aufgestellt und bald wieder auseinandergerissen wurden, um den Kern neuer Einheiten zu bilden. So fehlte oft die Zeit, um die Kompanien und Bataillone zusammenwachsen zu lassen. Unter solchen Bedingungen blieben die Offiziere und Unteroffiziere ihren Mannschaften fremd. Zudem fehlte es in den Jahren des hektischen Heeresaufbaus schlicht an qualifiziertem Personal. Das Offizierkorps wuchs von gut 4000 Mann 1933 auf 22 600 Ende 1938 an, das Unteroffizierkorps von 20 000 auf 150 000.49 Dabei konnte kaum die gleiche sorgfältige Persönlichkeitsprüfung an den Tag gelegt werden wie in den 1920er-Jahren. Ungeeignete Vorgesetzte kränkten die Rekruten und schikanierten sie immer wieder in einer Weise, die strafrechtlich kaum zu fassen war.50 Allerdings war auch der Umgang etwa in den Fabriken in den Dreißigerjahren rau.51 Insofern unterschied sich das Militär wohl nur graduell von anderen Milieus. Dieser Befund wird durch die Zahl der Selbstmorde bestätigt, die von 1933 bis 1939 nicht anstieg. Mit rund 45 Fällen je 100 000 Soldaten lag die Quote genauso hoch wie 1931/32 und ungefähr gleich hoch wie in der Zivilgesellschaft. Die Ursachen der Selbstmorde wurden in der Wehrmacht recht genau erfasst, wobei heute nicht mehr beurteilt werden kann, wie verlässlich die Kategorisierungen waren. Selbstmorde wegen Bestrafung, Zurechtweisung durch Vorgesetzte oder Überdruss am Wehrdienst kamen jeden Monat vor, stachen aber im Vergleich zu Liebeskummer oder Schulden nicht hervor. Ein weiteres Indiz für mögliche Schikanen ist die Zahl der Unfälle. So beklagte sich der Oberbefehlshaber des Heeres im Sommer 1935 über zu viele Todesfälle durch Hitzschlag und 146
Ertrinken. Offensichtlich würden die Ausbilder die neuen Rekruten nicht mit der notwendigen Vorsicht an die körperlichen Belastungen heranführen.52 Zwar liegen für Juni und Juli 1935 keine Zahlen vor, aber von August 1935 bis zum Kriegsausbruch 1939 bewegten sich die tödlichen Unfälle konstant zwischen 84 und 106 Fällen pro 100 000 Soldaten. Sie waren damit etwas häufiger als in der Reichswehr, deren Unfallquote zuletzt bei 76 pro 100 000 Soldaten gelegen hatte.53 Die meisten Unfälle passierten im Hochsommer. Fälle von Hitzschlag oder sonstiger Überanstrengung waren aber eher selten, die Mehrheit der Rekruten kam in den heißen Monaten durch Ertrinken außerhalb des Dienstes um. Und bald waren Verkehrsunfälle die häufigste Unfallursache. Eine Kultur von Schikane und Missbrauch kann aus diesen Zahlen nicht herausgelesen werden. Kriegsvorbereitung So fest der Wille der Militärs war, sich in den neuen Staat einzufügen und rasch eine schlagkräftige Wehrmacht aufzubauen, so unklar blieb die Frage, welchem strategischen Zweck diese eigentlich dienen sollte. Für den Generalstabschef des Heeres Ludwig Beck ging es vor allem um die Wiedererlangung der an Polen verlorenen Gebiete, wobei ihm Hitlers ausufernde Lebensraumideen und sozialdarwinistisches Denken fremd waren.54 Zudem erschien Frankreich als der natürliche Gegner beim Aufstieg Deutschlands zur mitteleuropäischen Großmacht. Jedoch gab es – anders als vor dem Ersten Weltkrieg – keine Planungen für einen Angriff auf den westlichen Nachbarn. Aufgrund ihrer Schwäche plante die Wehrmacht nach Westen hin defensiv und stellte lediglich Überlegungen an, wie ein französischer Angriff gekontert werden könnte. Offensiv ausgerichtet war man hingegen nach Osten. Ab 1935 gab es Planspiele für die 147
Besetzung der Tschechoslowakei und Österreichs, bald sogar Erwägungen, im Bündnis mit Polen einen Krieg gegen die Sowjetunion zu führen.55 Luftwaffe und Marine befassten sich seit Frühjahr 1938 in Studien mit einem möglichen Krieg gegen Großbritannien. Das alles waren Fingerübungen der militärischen Stäbe, die auf Anregungen Hitlers zurückgingen, aber auch eigener Initiative entsprangen. Eine Grand Strategy gab es jedoch nicht. Die Kräfte der Wehrmacht waren nach Ansicht aller militärischen Experten trotz der ungestümen Aufrüstung noch viel zu schwach, um ernsthaft die Auseinandersetzung mit einer Großmacht riskieren zu können. Seit 1935 kam es in außenpolitischen Fragen deshalb zu Differenzen der Wehrmachtführung mit Hitler. Doch die Zahl derer, die überhaupt noch wagten, Kritik anzumelden, wurde immer geringer. Im Februar 1938 hatte Hitler im Nachgang der Krise um Reichskriegsminister Werner von Blomberg und den Oberbefehlshaber des Heeres Werner von Fritsch selbst das Oberkommando über die Wehrmacht übernommen und die institutionelle Eigenständigkeit des Militärs beendet. Als halbwegs kritischer Kopf blieb nur noch Ludwig Beck übrig. Der Besetzung Österreichs im März 1938 hatte er noch zugestimmt. Auch einen Angriff auf die Tschechoslowakei befürwortete er prinzipiell, jedoch nicht, wie von Hitler vorgesehen, im Herbst 1938, da er fest mit dem Eingreifen der Westmächte rechnete. Das Risiko schien den potenziellen Erfolg nicht zu lohnen. Als Beck merkte, dass Hitler seine Warnungen vor einer weiteren Eskalation der Lage ignorierte und er sich mit seiner militärfachlichen Kritik an einem Angriff auf die Tschechoslowakei auch bei seinen Generalskameraden isolierte, trat er im August 1938 zurück.56 Sein Nachfolger, Franz Halder, hielt Kontakt zur 148
Militäropposition um General Erwin von Witzleben, der erwog, Hitler im Falle eines Angriffsbefehls auszuschalten. Das auf dem Höhepunkt der sogenannten Sudetenkrise am 29. September 1938 geschlossene Münchner Abkommen zwischen Italien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland führte in letzter Minute zu einer friedlichen Einigung und zur Annexion des Sudetenlandes durch das Deutsche Reich. Der drohende Krieg fiel vorerst aus, damit waren auch alle Überlegungen der Opposition Makulatur. Halder war nun weniger denn je gewillt, sich gegen Hitlers Pläne zu stellen und sein gerade erworbenes Amt aufs Spiel zu setzen. Er folgte dem Befehl zum Einmarsch in die Tschechoslowakei am 15. März 1939 ohne jedes Zögern.57 Das Hauptaugenmerk der Militärführung lag seit 1934 indes nicht auf der Außenpolitik und schon gar nicht auf den innenpolitischen Veränderungen, sondern war ganz auf die Organisation einer beispiellosen Aufrüstung fokussiert. Das Friedensheer umfasste im Januar 1933 sieben Divisionen mit insgesamt 100 000 Mann; es wurde schrittweise auf 21, nach Einführung der Wehrpflicht 1935 auf 36, schließlich auf 40 Divisionen erweitert. Zudem war die Mobilmachung von 54 weiteren Divisionen im Kriegsfall vorzubereiten.58 Auch die neue Spitzengliederung der Wehrmacht war ein viel diskutiertes Thema, das in einem »Krieg der Denkschriften« ausgefochten wurde. Die Lösung war ein für den Nationalsozialismus typischer Kompromiss zwischen einer einheitlichen Führung im Oberkommando der Wehrmacht (OKW) einerseits und starken Teilstreitkräften andererseits.59 Das Heer stand in seinem operativen Denken ganz in der Tradition des preußischen Generalstabs. Militärische Führung wurde nach wie vor als eine Art Kunst betrachtet, deren Fokus die perfekt geschlagene Schlacht war, unter weitgehender 149
Ausblendung der wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Seit Ende 1934 wurde mit dem Entschluss, eine Panzerwaffe aufzubauen, der Weg zur Kriegführung mit schnellen Truppen eingeschlagen. Der Aufbau der ersten drei Panzerdivisionen erfolgte ab Oktober 1935. Damit waren die strukturellen Grundlagen für den Bewegungskrieg gelegt. Allerdings gab es heftige Diskussionen über die konkrete Ausgestaltung der operativen Doktrin. So forderte mancher – anders als 1914 –, die Rolle der Verteidigung nicht außer Acht zu lassen. Die Panzer- und Angriffsfraktion konnte sich aber mehr und mehr durchsetzen. Dabei spielte Heinz Guderian eine wichtige, aber keinesfalls die alleinige Rolle.60 Der Einsatz der neuen Panzerwaffe im operativen Schwerpunkt und deren Unterstützung durch die Luftwaffe sollten selbst einen Zweifrontenkrieg schnell zugunsten Deutschlands entscheiden. Mit der Entwicklung dieser neuen Art der Kriegführung war die Wehrmacht viel weiter fortgeschritten als die Armeen der anderen Großmächte. Ob das im Frieden Konzipierte allerdings im Ernstfall funktionieren würde, war nicht klar. Die Erfahrungen der Panzerwaffe im Spanischen Bürgerkrieg waren begrenzt.61 Erst der Einmarsch in Österreich und Tschechien 1938/39 bot Gelegenheit, wichtige Erkenntnisse in größerem Stil zu sammeln. Sie offenbarten, dass es in der Führung und Abstimmung großer beweglicher Verbände noch viel zu tun gab und der Wehrmacht die Zeit davonlief. Selten gingen deutsche Streitkräfte so unvorbereitet in einen Krieg wie 1939. In nur sechs Jahren war aus der kleinen Reichswehr ein 2,6-Millionen-Heer hervorgegangen. Es war unmöglich, eine so große Anzahl von Soldaten in so kurzer Zeit gut auszubilden und auszurüsten. Von den 54 Divisionen, 150
die die Wehrmacht zum Angriff auf Polen aufmarschieren ließ, bestanden viele aus unerfahrenen oder vergleichsweise alten Soldaten, die noch mit Maschinengewehren aus dem Ersten Weltkrieg kämpften. Motorisiert waren überhaupt nur fünfzehn Divisionen, alle anderen zogen wie zu Kaisers Zeiten zu Fuß und mit Pferden in die Schlacht. Die Deutschen konnten zwar die beeindruckende Zahl von 3600 Panzern aufbieten, aber die meisten davon waren für einen modernen Krieg zu schwach bewaffnet. Es war also keineswegs gewiss, ob die Wehrmacht in der Praxis das umsetzen konnte, was ihr Generalstab am Kartentisch geplant hatte. Und zweifellos war die polnische Armee ein ernst zu nehmender Gegner. Sie verfügte über 1,3 Millionen Soldaten und 750 – jedoch zumeist veraltete – Panzer, und sie hatte 1920/21 im Krieg gegen die Rote Armee bewiesen, dass sie zu kämpfen verstand.62 Ein erheblicher Nachteil war jedoch die geografische Ausgangslage, die einen deutschen Zangenangriff sehr erleichterte. Zudem wählte der polnische Generalstab die denkbar ungünstigste Aufstellung der eigenen Truppen. Grenznah aufmarschiert, mussten sie eine 1900 Kilometer lange Frontlinie verteidigen. So gab es zu wenig eigene Reserven, keine klaren Schwerpunktsetzungen und eine konfuse Mobilmachung. Die Frage, ob es überhaupt legal war, Polen anzugreifen, wurde von der nationalkonservativen Militärelite nicht gestellt. Ihr erschien es legitim; schließlich war das Land seit den Grenzkämpfen 1919/21 der Feind Nummer eins, und Bedenken, dass der Angriff das Eingreifen der Westmächte und damit einen großen Krieg zur Folge haben könnte, wurden nicht mehr laut.63 Das Vertrauen, dass es Hitler nicht zuletzt durch den Pakt mit Stalin schon richten werde, war offensichtlich grenzenlos.64 151
Operationen Der Sprung ins Dunkle: Polen In den frühen Morgenstunden des 1. September 1939 überschritten die deutschen Divisionen aus Pommern, Ostpreußen, Schlesien und der Slowakei die polnische Grenze. In einer doppelten Zangenoperation sollten die polnischen Streitkräfte westlich und östlich der Weichsel umfasst und zerschlagen werden. In heftigen Gefechten durchbrach die Wehrmacht die polnischen Stellungen. Die motorisierten Divisionen stießen rasch ins Hinterland vor. Sie weiteten die taktischen Erfolge aus und rissen so die gesamte gegnerische Verteidigung ein. Nach wenigen Tagen befanden sich die polnischen Streitkräfte überall auf dem Rückzug. Am 6. September fiel Krakau, am 8. September erreichten die ersten deutschen Panzer die Vororte Warschaus, wurden hier aber vorerst zurückgeschlagen. Die polnischen Pommern- und Posen-Armeen versuchten aus der drohenden Umklammerung in Richtung Osten auszubrechen, überrannten in der Schlacht an der Bzura Teile einer deutschen Infanteriedivision, machten 1500 Gefangene, blieben dann aber im Feuer rasch herbeieilender deutscher Reserven stecken. Am 19. September mussten sich die Reste der beiden Armeen ergeben. Mittlerweile hatte die Wehrmacht aus Ostpreußen und Schlesien vorstoßend bei Brest-Litowsk eine zweite Zange geschlossen. Die Lage Polens wurde zunehmend hoffnungslos, zumal Großbritannien und Frankreich keinerlei Anstalten machten, ihr Versprechen einer Entlastungsoffensive im Westen einzulösen. Dann trat am 17. September auch noch die Sowjetunion in den Krieg ein, wie im Hitler-Stalin-Pakt vereinbart, und besetzte in den folgenden Tagen den kaum verteidigten Osten Polens. In Warschau hielten sich die Verteidiger unter heftigem deutschem Bombardement noch bis 152
zum 28. September. Die letzten polnischen Soldaten legten am 6. Oktober ihre Waffen nieder. Einen Tag zuvor bereits hatte Hitler vor dem Belvedere in Warschau seine Siegesparade abgehalten. Zweifellos hatte er mit einem Erfolg gerechnet; das Tempo der Operationen kam dann aber doch überraschend. Der Begriff »Blitzkrieg« machte die Runde. Später meinten Historiker gar, es habe eine regelrechte deutsche Blitzkrieg-Strategie gegeben: in schnellen Feldzügen die europäischen Mächte nacheinander zu schlagen, um so die Übermacht der Alliierten zu besiegen. Heute weiß man, dass es 1939 nichts dergleichen gab. Hitler hatte am 1. September 1939 keinen großen Kriegsplan, weil er gar nicht mit einem Eingreifen der Westmächte rechnete. Erst nach dem unerwartet schnellen Sieg über Frankreich im Mai/Juni 1940 begannen Hitler und die Wehrmachtführung über die unmittelbare Zukunft hinauszudenken. Daher kann man eigentlich erst ab dem Winter 1940/41 von einem expliziten Blitzkriegsplan des Deutschen Reiches sprechen, wobei der Begriff selber in den deutschen Akten nur sehr selten auftaucht.65 Tatsächlich war der Feldzug gegen Polen ein Blitzkrieg – im Sinne einer Operationsführung, die auf Schnelligkeit, Bewegung und die rasche Vernichtung der feindlichen Armeen setzte.66 Das operative Grundverständnis des deutschen Militärs hatte sich seit den Einigungskriegen im 19. Jahrhundert also nur wenig verändert. Mit sechs Panzer- und neun motorisierten Infanteriedivisionen sowie der Unterstützung durch die Luftwaffe waren aber erst jetzt die technischen Mittel vorhanden, um einen modernen Bewegungskrieg auch in die Tat umzusetzen. Schon im Ersten Weltkrieg war eine ähnlich große Umfassungsoperation in Polen angedacht, angesichts der mangelnden Beweglichkeit 153
der Infanterie aber fallen gelassen worden. Ganze fünfzehn Divisionen machten 1939 den Unterschied aus. Ohne die schnellen Verbände hätte die Wehrmacht diesen Feldzug aller Wahrscheinlichkeit nach zwar auch gewonnen. Er wäre aber eher wie diejenigen 1915 in Polen oder 1916 in Rumänien verlaufen, hätte also einige Monate gedauert, deutlich mehr Verluste gekostet, und wahrscheinlich hätten sich weit mehr polnische Soldaten der Gefangennahme durch eine Flucht nach Rumänien entziehen können. Die Wehrmacht war 1939 als einzige Armee der Welt in der Lage, einen weiträumigen Bewegungskrieg zu führen; der Erfolg wirkte überwältigend. »Innerhalb von achtzehn Tagen hat jene erstaunliche Kampfmaschine, die die deutsche Armee darstellt, Polen überrannt, seine Armeen vernichtet, seine Regierung vom polnischen Boden verjagt«, notierte der amerikanische Journalist William L. Shirer am 21. September 1939 in sein Tagebuch.67 Er hatte seit 1934 kritisch aus Berlin berichtet. Von der Wehrmacht aber war er offenbar so beeindruckt, dass er den NS-Propagandaslogan vom »Feldzug der 18 Tage« auch in die 1941 veröffentlichte Version seines Tagebuchs übernahm. Das Bild des blitzartigen Sieges einer schier übermächtigen Armee war bald in aller Munde. Die Realität sah freilich anders aus. Trotz aller Erfolge und der mit 10 000 Gefallenen vergleichsweise geringen Verluste waren die eklatanten Schwächen einer allzu schnell aufgebauten Friedensarmee nicht zu übersehen. Die Erfahrungsberichte der Wehrmacht deckten diese schonungslos auf. Es gab gravierende Mängel beim raschen Ausnutzen günstiger taktischer Lagen, Probleme bei der Koordination von Artillerie und Infanterie, zu viel Sorglosigkeit bei der Sicherung und ein geradezu »unkriegsmäßiges Verhalten«68 bei der Aufklärung und beim 154
Tarnen. Die mangelnde Ausbildung im Nahkampf und das ungeschickte Verhalten in Wald- und Ortsgefechten wurden kritisiert – da seien die Soldaten des »polnischen Bauernvolkes«69 geschickter als die überwiegend in Städten aufgewachsenen Deutschen.70 Ein Fünftel der deutschen Divisionen war erst im August 1939 aus kurzzeitig ausgebildeten Männern zusammengestellt worden. Dort machte sich der Mangel an gut ausgebildeten Offizieren und Unteroffizieren besonders bemerkbar. Nur die wenigen wirklichen Führerpersönlichkeiten, hieß es in einem Erfahrungsbericht, hätten dafür gesorgt, dass diese Einheiten ihre Aufgaben erfüllten. Die Kritik bezog sich jedoch nicht nur auf die rasch aufgestellten Mobilmachungsdivisionen der zweiten und dritten Welle. Selbst über die schon 1934 formierte 21. Infanteriedivision hieß es, dass der durchschnittliche Infanterist den körperlichen und seelischen Herausforderungen nicht gewachsen sei. Auch bei dieser Einheit machten einzelne Offiziere, Unteroffiziere und wenige Mannschaften den Unterschied aus71, und auch die Erfolge solcher Einheiten beruhten weit überproportional auf der Tapferkeit und Initiative der jungen aktiven Offiziere, war in einem anderen Erfahrungsbericht zu lesen.72 Sie erlitten dann auch die höchsten Verluste. Die 24. Infanteriedivision verlor 27,8 Prozent ihrer Offiziere und 13,4 Prozent ihrer Unteroffiziere und Mannschaften. Viele ältere Stabsoffiziere hatten im Frieden zwar gute Dienste als Ausbilder geleistet, im Krieg fehlte es ihnen aber an Schwung und »mitreißendem Einfluss«. Das VIII. Korps bemerkte, man müsse endlich die Lehre berücksichtigen, nur erstklassige Leute – »ganze Kerle« – zur Infanterie einzuziehen. Bei den Reservedivisionen seien zu viele »zage Naturen und weich aussehende Büro- 155
pp.menschen«. Aber nur ein »ganzer Mann« hätte die Truppe schnell in der Hand und sei den Herausforderungen des Kampfes gewachsen.73 Erstaunlich kritisch wurden auch die HJ und die SA beurteilt. Die jungen Männer wären auf den Fahrten und in den Jugendheimen zu sehr verwöhnt worden, hätten nicht gelernt, sich selbst zu helfen und eigenständig zu handeln. Selbstkritisch hielten die internen Erfahrungsberichte fest, dass die deutsche Infanterie des Jahres 1939 insgesamt einen deutlich schlechteren Angriffsgeist als 1914 oder 1918 gezeigt habe. Das III. Korps fand dafür auch eine Erklärung: 1914 sei eine »friedenssatte Truppe« in den Kampf gegangen, die den Krieg von 1870/71 mehr erahnt hätte, als dass sie davon wusste. Viele Soldaten des Jahres 1939 hingegen hätten selbst den jahrelangen »Nervenkampf« im Ersten Weltkrieg erlebt.74 Die Infanterie kämpfe daher nun vorsichtiger, sogar »zu wenig«. Der Mann »geht zwar vor, aber weiß im feindlichen Feuer nicht, was er machen soll. Entweder lässt er sich totschießen, oder verkriecht sich in kleinen Haufen hinter Deckungen.«75 Der entschlossene Angriff mit lautem Hurra müsse daher mehr gelehrt werden.76 Im September 1939 zeigte sich wie schon 1914, dass keine noch so gute Ausbildung eine Wehrpflichtarmee auf die Herausforderungen des Krieges vorbereiten konnte. Das Töten und Sterben lässt sich nicht einüben. Die deutschen Soldaten waren anfangs übernervös, reagierten zuweilen panisch, als sie zum ersten Mal in Artillerie- oder MG-Feuer gerieten. Wilde Meldungen über riesige feindliche Truppenverbände wechselten sich ab mit Hilferufen nach Artillerieunterstützung. Immer wieder kam es zu heftigem »Angstschießen«, insbesondere in der Nacht oder in Wäldern.77 »Der verbildete moderne Mensch« habe »viele, auch für den neuzeitlichen 156
Kampf wertvolle Naturinstinkte verloren«, meinte Walter von Reichenau schon 1936.78 Ganz unrecht hatte er damit wohl nicht. Den meisten Männern fiel es schwer, sich im Chaos der Schlacht zurechtzufinden. Sie waren so sehr von den ungewohnten Sinneseindrücken und der Angst erfasst, dass sie das Geschehen um sich herum nur schemenhaft wahrnahmen. Sie befanden sich im »fog of combat«, wie der amerikanische Soziologe Randall Collins es nannte.79 Um als Gruppe im Kampf zu funktionieren und die Waffen überlegt einzusetzen, war aber ein klarer Blick auf das Geschehen notwendig. Doch dazu waren allzu viele im Schock der ersten Gefechte kaum in der Lage. Umso wichtiger waren jene abgebrühten und kaltblütigen Männer, die trotz Lärms und Todesgefahr die Übersicht behielten. Sie waren die eigentlichen Dirigenten der Gewalt, sagten den Kameraden, wann und auf wen sie schießen sollten, wann sie vorzustürmen und wann in Deckung zu gehen hatten. Ihnen machte auch das gezielte Töten nichts aus. Diese violent few waren die Korsettstangen, die in der Schlacht über das Wohl und Weh einer Kompanie entschieden. Wurden sie getötet oder waren zu wenige von ihnen vorhanden, verloren die Einheiten bald ihre Kampfkraft und gerieten leicht in Panik. Jedoch erscheint die auch von Randall Collins vertretene These, dass im Krieg rund 80 Prozent aller Soldaten vor lauter Angst und Tötungshemmungen ihre Waffen nicht gezielt auf ihre Gegner abfeuern, allzu undifferenziert und überzogen. Sie trifft weder auf Polen noch auf die übrigen Kriegsschauplätze des Zweiten Weltkriegs zu.80 Collins bezieht sich auf die Untersuchungen S. L. A. Marshalls, eines amerikanischen Kriegsberichterstatters und Militärhistorikers, der im Zweiten Weltkrieg nach Gefechten Interviews mit US-Infanteristen führte.81 Doch er vernachlässigt in seiner Analyse die konkrete 157
Kampfsituation, die Befehlslage, die Infanterietaktik und die Schießausbildung, die in den Armeen des Zweiten Weltkriegs sehr unterschiedlich waren. War den Soldaten eingetrichtert worden, gezielt nur auf einen Gegner zu schießen, oder sollten sie reichlich in Richtung Feind schießen, um diesen niederzuhalten und überrennen zu können? Hatte man ihnen in der Ausbildung wirklich beigebracht, wie sie sich im Gefecht zu verhalten hatten? Es gibt also zahlreiche Erklärungen dafür, warum Infanteristen im Gefecht nicht ihre Waffe abfeuerten. Auch Faktoren wie körperliche Erschöpfung oder mangelnde Bereitschaft zu kämpfen, etwa weil man den Krieg ohnehin für verloren hält, können eine Rolle spielen. Im Nachhinein ist das Zusammenwirken all dieser Faktoren kaum zuverlässig zu bestimmen. Angst und Unerfahrenheit führen in der Schlacht wohl eher dazu, dass unkontrolliert alles unter Beschuss genommen, dass eher zu viel als zu wenig geschossen wird. Auch kann sich ein Soldat im Chaos des Gefechts ganz unterschiedlich verhalten, je nach Situation.82 Wer an einem Tag vor Angst erstarrt, kann am nächsten mit Bedacht einen Gegner töten. Ein deutscher Infanterist, der in Polen seine Feuertaufe erlebte und den Krieg bis zum Ende mitmachte, dürfte so viele höchst widersprüchliche Situationen erlebt haben, dass sich daraus kaum ein einheitliches Bild formen lässt. Dass es trotz der unübersehbaren Probleme der Wehrmacht in Polen nicht zu schweren Krisen und noch größeren Verlusten kam, lag aus Sicht deutscher Beobachter vor allem daran, dass die polnischen Streitkräfte auf höherer Ebene schlecht geführt wurden und dass Polens Artillerie und Panzertruppe deutlich unterlegen waren. Auch eine aktivere polnische Luftwaffe hätte erhebliche Verluste verursachen können, weil es durch schlechte Marschdisziplin der 158
motorisierten Verbände zu gewaltigen Staus gekommen sei.83 Die deutschen Berichte zeugen immer wieder von großer Anerkennung des Kampfgeistes und der Tapferkeit der polnischen Soldaten. Selbst ein Mann wie Ferdinand Schörner – damals Regimentskommandeur in der 1. Gebirgsdivision – erkannte dies an. In einem Vortrag vor italienischen Alpini bemerkte er, dass der Polenfeldzug »kein Spaziergang« gewesen sei. Schließlich habe seine Division über 1400 Tote und Verwundete zu beklagen gehabt. Er lobte die Leistungen der polnischen Offiziere bis zur Ebene der Regimentskommandeure und betonte die außerordentliche Tapferkeit der einfachen Soldaten.84 Die Bilanz des Polenfeldzugs war für das deutsche Heer also gemischt. Die Doktrin des Bewegungskriegs mit motorisierten Kräften und des Gefechts der verbundenen Waffen brachte den schnellen Erfolg. Die taktischen Führungsgrundsätze des Heeres hatten sich bewährt, ebenso Waffen und Ausrüstung. Die Wehrmacht hatte ihre Feuertaufe bestanden und wertvolle Kriegserfahrung gesammelt. Die Truppe hatte nach Meinung der meisten Stäbe trotz aller Probleme »Vorzügliches« geleistet.85 »Eine Fülle von kleineren und größeren Heldentaten Einzelner haben den Stolz und das Selbstvertrauen gehoben.«86 Durch die Strapazen des Kampfes, der Märsche und des Biwakierens seien die Truppen »härter« geworden. Die breite Masse der Soldaten erfüllte brav ihre Pflicht, sehnte sich aber gewiss nicht nach dem Einsatz. In einem Erfahrungsbericht des XI. Korps heißt es dann auch, dass zu viel vom Frieden geredet und zu sicher damit gerechnet werde, dass der Krieg bald beendet sei.87 Siegeslauf in Frankreich Nach dem Sieg über Polen war der Generalstab des Heeres ratlos. Frieden mit den Westmächten war nicht in Sicht, doch 159
einen Angriffsplan gegen den Angstgegner Frankreich gab es auch nicht. Unterdessen drängte Hitler, den Angriff noch vor Jahresende zu starten. Dagegen lief die militärische Führung Sturm. Bevor überhaupt daran gedacht werden könnte, so ihr Argument, müssten erst die Ausbildungsund Ausrüstungsmängel beseitigt werden. Das stimmte zwar, aber dahinter stand, dass die Generalität prinzipiell gegen einen Angriff auf Frankreich war. Sie hatte die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs nicht vergessen, und der Polenfeldzug hatte nach ihrer Meinung gezeigt, dass das Heer des Jahres 1939 von der Kampfkraft der Truppen von 1914 noch meilenweit entfernt war. Wie sollte da ein Sturmlauf gegen die stärkste Militärmacht Europas gelingen? »Beschämend ist das schlechte Urteil unserer Generäle über ihre eigene Truppe«, notierte der Kommandeur des Schützenregiments 1, der 46-jährige Oberstleutnant Hermann Balck, in sein Tagebuch. »Im ganzen Polenfeldzug hat es keinen ernsthaften Rückzug gegeben, kein Versagen der Führung. Im Vergleich dazu die Panik des XVII. AK bei Gumbinnen 1914, das Versagen von Truppe und Führung bei Lüttich, der Nervenzusammenbruch in der Marneschlacht. Im Herbst 14 war die deutsche Armee fertig, totgesagt, angriffsunlustig, während jetzt die Truppe tatenfroh ist. All das ist vergessen.« Nun räche sich, meinte Balck, dass die alte Armee 20 Jahre lang in »bengalischer Beleuchtung« gesehen worden sei.88 Die ganze Skepsis drückte sich in den ersten Plänen des Generalstabs des Heeres aus, die wenig inspirierend waren und vom Ansatz her an den Schlieffenplan aus dem Jahr 1906 erinnerten. Doch während Schlieffen siegesgewiss in einer großen Umfassungsschlacht Frankreich schlagen wollte, traute der Generalstab des Zweiten Weltkriegs seinen eigenen Fähigkeiten nicht. Die Planungen sahen 160
lediglich eine Besetzung der neutralen Niederlande und Belgiens und von Teilen Nordfrankreichs vor, um die geografische Ausgangslage für den Luft- und Seekrieg gegen Großbritannien zu verbessern. Mehr sei nicht erreichbar, so glaubte man. Die Generäle begriffen selbst noch nicht, was sich soeben in Polen abgespielt hatte – und welche militärischen Machtmittel sie in Händen hielten. Erst als Teile des Aufmarschplans durch den Absturz eines deutschen Verbindungsflugzeugs im Januar 1940 in alliierte Hände fielen, konnte sich General Erich von Manstein mit seinem später so bezeichneten Sichelschnittplan bei Hitler und schließlich auch bei Generalstabschef Halder durchsetzen. Demnach sollte die Heeresgruppe B genau das machen, womit die Alliierten wohlweislich rechneten: einen Angriff auf die Niederlande und Belgien durchführen, während die Heeresgruppe A mit der Masse der Panzerkräfte durch die Ardennen vorstieß und so den französischen und britischen Truppen in den Rücken fiel. Das war ein riskanter Plan, denn er sah vor, dass motorisierte Divisionen auf kleinen Straßen die unwegsamen Ardennen durchqueren und nach nur fünf Tagen bei Sedan die Maas überschreiten mussten. Gelang dies nicht, wäre die Überraschung dahin, und die Front würde womöglich wieder im Stellungskrieg erstarren. Falls aber das Unwahrscheinliche glücken würde, sollten die Panzer sofort dreihundert Kilometer quer durch feindliches Gebiet mit einer ungedeckten Flanke bis zum Kanal vorpreschen. Die Oberbefehlshaber aller drei Heeresgruppen hielten das für ein irrsinniges Vabanquespiel. Während weite Teile der Generalität zauderten, konnte der tatendurstige Regimentskommandeur Hermann Balck den Angriff gar nicht erwarten, freute sich, diese Zeit auf der Höhe seiner Kräfte 161
noch erleben zu können, und war im März 1940 überzeugt, dass es ein »großes Jahr« werden würde.89 In den Morgenstunden des 10. Mai 1940 begann der Angriff. Die deutschen Panzerdivisionen erkämpften sich am 14. Mai bei Sedan überraschend problemlos den Maasübergang und erreichten fünf Tage später bei Abbeville die Kanalküste. Die französische Abwehrfront fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Die Soldaten der schnellen deutschen Divisionen erlebten den Vormarsch wie im Rausch. »Nun geht es vorwärts. Der Feind ist weg. Kein Widerstand. Wir fahren und fahren«, notierte Balck am 16. Mai, als sein Regiment von der Maas in Richtung Westen vorstieß. »Zurückgehende französische Formationen moralisch fertig. Widerstand nur noch ganz vereinzelt.«90 Das Gros der alliierten Verbände war wie geplant in die Falle getappt und in Belgien eingeschlossen. Als die deutschen Panzerverbände vor Dünkirchen angehalten wurden, gelang es den Alliierten noch in letzter Minute, 338 000 Soldaten über See zu evakuieren. Am 4. Juni begann die zweite Phase des Frankreichfeldzugs. Die deutschen Divisionen durchbrachen nach schweren Gefechten die französischen Verteidigungsstellungen an der Somme, worauf es für die motorisierten Verbände erneut kein Halten mehr gab. Paris fiel am 14. Juni, Brest in der Bretagne vier Tage später. Am 22. Juni unterzeichnete die französische Regierung den Waffenstillstandsvertrag. In nur sechs Wochen waren die Westmächte von der Wehrmacht in einem beispiellosen Siegeslauf niedergeworfen worden. 1,9 Millionen Gefangene und eine unübersehbare Beute an Waffen und Wirtschaftsgütern waren in deutscher Hand. Frankreich war reduziert auf den Rumpfstaat von Vichy und seine Kolonien. Das britische Expeditionskorps war vom Kontinent vertrieben 162
und hatte praktisch seine gesamte Ausrüstung verloren. Die Wehrmacht verlor 49 000 Gefallene, über 110 000 Verwundete, 1500 Flugzeuge und 700 Panzer. Das waren durchaus empfindliche Einbußen, wobei die personellen Verluste etwas höher lagen als im Krieg 1870/71. Angesichts der vielen Zweifel der obersten Führung war die Schnelligkeit und Absolutheit dieses Sieges für Bevölkerung und Soldaten geradezu atemberaubend. Die Skepsis gegenüber der eigenen Leistungsfähigkeit, die nach dem Polenfeldzug so deutlich zu spüren war, ging im Siegestaumel unter. Über die Generalität ergoss sich eine wahre Flut von Orden und Beförderungen. Nach dem Sieg über Polen im Oktober 1939 war niemand zum Feldmarschall befördert worden, im Juli 1940 hingegen gleich zwölf. Eine kritische Analyse des Feldzugs fand nicht statt. Ein Mantel des Schweigens deckte sich vor allem über die größten operativen Probleme. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass sowohl Hitler als auch die Oberbefehlshaber der Armeen und Heeresgruppen das Potenzial der schnellen Divisionen nicht verstanden hatten und auch nervlich dem Risiko der Operation nicht gewachsen waren. So waren den Panzerdivisionen zu wenige Vormarschstraßen zugewiesen worden, ein Verkehrschaos in Eifel und Ardennen war die Folge. Die oberste Führung hatte auch nicht an die Möglichkeit des raschen Maasübergangs geglaubt. Als dieser dann doch überraschend schnell erkämpft worden war, sollten die Panzer auf die nachfolgende Infanterie warten. Doch General Heinz Guderian setzte sich über die Befehle hinweg und befahl eigenmächtig den weiteren Vormarsch. Dieser Ungehorsam war für den schnellen Erfolg entscheidend, weil so koordinierte Gegenmaßnahmen der Alliierten verhindert werden konnten und die französische Verteidigungsfront eingerissen wurde. Die Panzerdivisionen 163
hatten, so meldete Guderian am 17. Mai, trotz überstandener schwerer Kämpfe und teilweise starker Verluste »einen gewaltigen Drang nach Vorwärts«.91 Der weitere Angriffsverlauf bis an den Kanal war ganz vom Spannungsverhältnis zwischen den ungestüm nach vorn stürmenden Kommandeuren und dem ängstlichen Zögern der höheren Führungsebene gekennzeichnet. Die Panzergeneräle kümmerten sich bald nicht mehr um ihre Anweisungen und glaubten selber zu wissen, was zu tun sei. Guderian wurde wegen Missachtung von Befehlen sogar kurzzeitig abgesetzt. Generalmajor Erwin Rommel trieb dieses Verhalten auf die Spitze. Er führte die 7. Panzerdivision wie ein Stoßtruppführer immer direkt von vorne, und die übergeordneten Stäbe wussten zeitweise nicht, wo er überhaupt war. Bezeichnenderweise hatte Rommel während seines Sturmlaufs auf den italienischen Monte Matajur im Oktober 1917 genauso gehandelt.92 Im Mai 1940 waren die selbstständig agierenden Truppenführer die eigentlichen Sieger. Da ihnen der Erfolg recht gab, ging der Generalstab stillschweigend darüber hinweg.93 Das Rivalitätsdenken und die Unfähigkeit der oberen Führungsebenen, die Dynamik des Bewegungskriegs voll zu begreifen, waren für die Alliierten Glück im Unglück. Hitler und die Heeresgruppe A hielten die Panzer am 17. Mai kurz und dann am 23. Mai für ganze drei Tage an, weil sie Angst hatten, es mit dem Bewegungskrieg zu weit zu treiben.94 Nur deshalb gelang es den Alliierten überhaupt, ihre Truppen über Dünkirchen zu evakuieren. Verwässert wurde der ursprüngliche Plan Mansteins auch dadurch, dass aus der Bewegung kein Vorstoß über die Somme hinaus angeordnet wurde. So gelang es den französischen Streitkräften vorübergehend, eine neue Abwehrfront an Somme und Aisne 164
aufzubauen. Die Deutschen siegten also nicht wegen, sondern trotz ihrer höheren Führung. Lediglich Generalstabschef Halder stand im Mai 1940 ganz hinter dem riskanten Plan und seiner Ausführung. Aber auch er konnte in die Operationsführung der Heeresgruppen und Armeen nicht immer eingreifen. Selbst Infanteriedivisionen beklagten, dass die übergeordneten Stäbe die Ausnutzung sich bietender Chancen gezielt unterbinden würden.95 Halder war vor allem gegen Hitlers Eingriffe machtlos. Freilich hatte er aus gekränkter Eitelkeit selbst dafür gesorgt, dass der Spiritus Rector des gesamten Feldzugsplans, Erich von Manstein, im Januar 1940 seinen Posten als Chef des Stabes der wichtigen Heeresgruppe A verlassen musste und nun an entscheidender Stelle fehlte. Sein Nachfolger Georg von Sodenstern hatte keine Erfahrung mit der Führung schneller Verbände und war mit seiner Aufgabe mental überfordert. So hätte für die Alliierten alles noch katastrophaler enden können, wenn die deutsche Führung an einem Strang gezogen hätte. Doch hatte die Wehrmacht auch vielfach schlicht Glück, etwa damit, dass sich aufseiten der Alliierten niemand so recht um die Verteidigung der Ardennen kümmerte und die belgischen Truppen bei Kriegsbeginn sogar abgezogen worden waren. Der Vormarsch zur Maas gelang nur deshalb so schnell, weil dieses Gebiet beinahe feindfrei war. Dennoch hatte sich die Wehrmacht auf taktischer Ebene den alliierten Streitkräften als überlegen erwiesen. Vorwärtsdrang, Initiative und Risikobereitschaft waren die Markenzeichen der Truppenführer vom Divisionskommandeur bis hinunter zu den Zugführern, die – so hielt es ein Erfahrungsbericht fest – zum »frischen Zupacken« erzogen waren.96 Das half, örtliche Schwierigkeiten zu überwinden, Schwächemomente des 165
Gegners auszunutzen und den Vormarsch in Gang zu halten, ja, auch das Glück zu erzwingen. Die Geschwindigkeit des deutschen Angriffs stellte alles bislang Dagewesene in den Schatten. Die 7. Panzerdivision brachte es auf eine Tageshöchstleistung von 340 Kilometern. Auf eine solche Art der Operationsführung waren die Alliierten nicht vorbereitet. »Wir sind mit einer Armee von 1918 gegen eine deutsche Armee von 1939 in den Krieg gezogen«, meinte der französische Oberbefehlshaber General Weygand später treffend.97 Zwar kämpften die französischen Truppen immer wieder tapfer gegen die Wehrmacht, wovon nicht zuletzt die hohen deutschen Verluste Zeugnis ablegen, aber um ihre Moral stand es nicht zum Besten. Nach deutschen Durchbrüchen schwand der Zusammenhalt der Einheiten rasch, oftmals entstand Panik, und die führungslosen Männer ließen sich bald gefangen nehmen. »Der französische Soldat [war] erheblich schlechter als der polnische«98, notierte das XIV. Armeekorps. Die britischen Soldaten hingegen wurden von den Deutschen als »hochwertige Kämpfer« beschrieben, die körperlich in hervorragender Verfassung waren, zäh und verbissen fochten und in der Regel erst im Nahkampf geschlagen wurden.99 Sie machten aber nur etwas mehr als zehn Prozent der alliierten Truppen aus. Der folgenschwere Haltebefehl vor Dünkirchen entsprang der Sorge der Heeresgruppe A vor einer nicht existierenden Flankenbedrohung und dem Wunsch nach Schonung der arg strapazierten Panzerverbände. Oft ist darüber spekuliert worden, was passiert wäre, wenn es diesen Haltebefehl nicht gegeben hätte und die Masse der britischen Expeditionsstreitkräfte in deutsche Gefangenschaft geraten wäre. Nur dann hätte überhaupt die Chance bestanden, dem strategischen Ziel des Feldzugs – der Ausschaltung 166
Frankreichs und Großbritanniens – näherzukommen. Falls je die Aussicht auf einen politischen Ausgleich zwischen London und Berlin bestand, dann in jenen kritischen Maitagen 1940. Die verheerenden Nachrichten aus Frankreich ließen Teile des britischen Kabinetts und des Unterhauses zweifeln, ob es Sinn machte, den Kampf fortzusetzen. Erst nachdem sich das britische Expeditionskorps ab dem 26. Mai nach Dünkirchen hatte zurückziehen können und sich abzeichnete, dass eine Evakuierung möglich war, konnte Premierminister Winston Churchill seine Widersacher – allen voran Außenminister Lord Halifax – auf Linie bringen. Was also wäre passiert, wenn es am 23. Mai keinen Haltebefehl gegeben hätte? Wenn vielleicht nicht alle, aber doch die meisten der in Frankreich stationierten britischen Soldaten in deutsche Gefangenschaft geraten wären? Ob ein solcher Schock ausgereicht hätte, den gerade erst eingesetzten Churchill zu stürzen und einen Waffenstillstand mit Deutschland zu schließen, erscheint aus heutiger Sicht eher fraglich. Lord Halifax war ganz offensichtlich nicht der Politiker, der entschlossen genug war, um nach der Macht zu greifen.100 Großbritannien wäre zudem auch ohne sein Expeditionskorps stark genug gewesen, um sich die Deutschen vom Leibe zu halten. Es wird oft vergessen, dass das britische Heer im Mai 1940 1,6 Millionen Mann umfasste – nur ein Viertel davon war in Frankreich eingesetzt. Gewiss waren dies die besten Truppen, aber wehrlos war England auch ohne seine Expeditionsstreitkräfte beileibe nicht, zumal es noch auf die Ressourcen des Empire zurückgreifen konnte. Auch die Royal Air Force war noch intakt. Weitgehend unbeachtet ist indes geblieben, dass die Royal Navy während des Norwegenfeldzugs im April/Mai 1940 nur mit Glück einer Katastrophe entgangen war. Schon 1939 waren etliche große 167
britische Kriegsschiffe nicht versenkt worden, weil die deutschen U-Boot-Torpedos nicht funktionierten. Im April und Mai 1940 erreichte diese Torpedokrise aber ihren Höhepunkt, als Angriffe auf zwei Schlachtschiffe, 14 Kreuzer und zehn Zerstörer, die in den norwegischen Fjorden sorglos den deutschen U-Booten vor die Rohre liefen, scheiterten. Nur die mangelhafte Erprobung der Torpedos in Friedenszeiten bewahrte die Royal Navy vor einem Desaster. Zwar hätten diese Verluste ihr nicht das Rückgrat gebrochen. Sie wären psychologisch aber ein außerordentlich heftiger Schlag gewesen und hätten die Lage im Mai 1940 zusätzlich beeinflusst. Für die Briten hätte also im Frühjahr und Sommer 1940 alles noch schlimmer kommen können. In der bedrängten Lage tat Churchill das einzig Richtige: Er behielt die Nerven und war zu Recht davon überzeugt, dass sich Großbritannien erfolgreich verteidigen konnte.101 Wie sich bald zeigen sollte, fehlten Deutschland die Mittel, um England in einem Luftund Seekrieg niederzuringen. Und an die Chance einer erfolgreichen Landungsoperation glaubten selbst die deutschen Führungsstäbe nicht.102 Im allgemeinen Siegestaumel vermied das Heer eine grundlegende Auseinandersetzung mit den Problemen des Westfeldzugs. Das bedeutete aber nicht, dass man lernunwillig war. Die Heeresführung interessierte sich vor allem für die taktischen Erfahrungen, und alle Verbände mussten darüber ausführlich berichten. Insgesamt sah man sich auf dem richtigen Weg. Die Ausbildung im Generalstab, in Kriegsakademie und Kriegsschulen hatte sich erneut bewährt. Jedoch habe man, gaben Fedor von Bock und Hans Günther von Kluge einschränkend zu bedenken, unter besonders günstigen Bedingungen gekämpft, die keineswegs als allgemeingültig für den weiteren Krieg angesehen werden 168
könnten. Die schlechte Kampfmoral der Franzosen, das gute Wetter, das Überraschungsmoment, die eigene Luftüberlegenheit, aber auch das gute französische Straßennetz seien wichtige Faktoren für den schnellen Erfolg gewesen. Fehlten diese Voraussetzungen, würden manche Erfahrungen des Westfeldzugs nicht mehr gelten. Auch das XVI. Armeekorps hielt eine starke, modern ausgestattete und ausgebildete Luftwaffe für unerlässlich, um eine Schlacht und einen Feldzug zu gewinnen.103 Von grundlegenden Mängeln bei der Truppe war – anders als noch in Polen – diesmal kaum die Rede, auch wenn hier und da durchaus Kritik geübt wurde. Die soldatische Härte und der Angriffsgeist der motorisierten Infanteriedivisionen seien stellenweise unzureichend gewesen, monierte etwa von Kluge für die 4. Armee. Auch die Ausbildung im Wald- und Ortskampf sowie bei Nacht sei noch nicht ausreichend.104 Die Soldaten müssten sich mehr eingraben und besser tarnen, kritisierte Erwin Rommel.105 Die 6. Armee betonte, dass bei der Infanterie immer nur wenige gute und tapfere Leute die Erfolge erringen würden, und auch das nur unter den richtigen Führern. Das Übrige seien »Füllsel, Bediener rückwärtiger Waffen, Munitionsträger«.106 Erneut wurde also darauf hingewiesen, dass die Infanterie die besten Männer brauchte. An der Artillerie wurde kritisiert, dass sie nicht nur mit der Panzertruppe, sondern selbst mit der Infanterie oft nicht Schritt halten könne und zu langsam bei den Stellungswechseln sei; auch fehle die nötige Tatkraft der Offiziere, die zu selten unmittelbar von vorne führten und zu oft Planschießen ohne ausreichende Beobachtung anordneten. Die Bekämpfung der feindlichen Artillerie sei insbesondere bei den Schnellen Truppen unzureichend gewesen.107 Der Munitionsaufwand von rund 88 000 Tonnen war nicht unerheblich und lag fast 169
viermal so hoch wie im Polenfeldzug.108 Zwar hatte die Artillerie noch ihre Bedeutung, auch wenn die Luftwaffe bei der Unterstützung der vorauseilenden Panzerspitzen eine wichtige Rolle spielte. Unübersehbar war aber, dass die Wehrmacht ihre Akzente auf Bewegung und nicht auf Feuerkraft setzte. Die taktischen Erfahrungen des Frankreichfeldzugs wurden gebündelt, in neuen Richtlinien verarbeitet und im November 1940 an die Truppe ausgegeben. Generalstabschef Halder stellte die »Kühnheit des Entschlusses« und das »rücksichtslose Durchstossen ohne Scheu vor Flankengefährdung« als die zentralen Erfolgsgaranten heraus.109 Damit schwor er das Heer auf die Praxis der schnellen Verbände ein und ging über die eher konventionellen Lehren von Feuerzusammenfassung, Schwerpunktbildung und Führen von vorne110 deutlich hinaus. Zögern und Zaudern sollte es in den entscheidenden Momenten eines Feldzugs nicht noch einmal geben. Hitler hatte sich unterdessen nach Osten gewandt und gab schon am 31. Juli 1940 bekannt, als Nächstes die Sowjetunion zerschlagen zu wollen – ein aus damaliger Sicht durchaus konsequenter Schritt: Mit Großbritannien stand ein ressourcenintensiver und langwieriger Konflikt bevor, der angesichts der Schwäche der deutschen Kriegsmarine auf die Schnelle nicht zu gewinnen war. Gelang es hingegen, in einem schnellen Feldzug die Sowjetunion niederzuwerfen, hätte man sich nicht nur des ideologischen Erzfeindes entledigt, sondern die Ressourcen für einen langen Krieg gesichert und eine gefährliche Flankenbedrohung ausgeschaltet. Weder im Innoch im Ausland glaubte man nach dem Siegeslauf in Frankreich, dass irgendeine Armee der Welt es mit der Wehrmacht zu Lande würde aufnehmen können.111 Zum 170
ersten Mal in diesem Krieg dachten Hitler und die Militärführung nun über den nächsten Feldzug hinaus und stellten so etwas wie eine Strategie auf: Bis Sommer 1941 sollte ein Teil der deutschen Soldaten wieder in die Fabriken zurückkehren, um dort die Waffen herzustellen, mit denen sie dann die Rote Armee vernichten würden. Nach deren Niederschlagung könnten sie erneut an die Werkbänke zurückkehren, um die Waffen für den Kampf gegen Großbritannien und gegebenenfalls die USA zu produzieren. Dieses Konzept hatte den Vorteil, die vollständige Mobilisierung der Heimatfront zu vermeiden und die Belastung der heimischen Bevölkerung so gering wie möglich zu halten. So konnte man darauf verzichten, bislang unabkömmlich gestellte Arbeiter dauerhaft als Soldaten einzuziehen, deutsche Frauen in die Rüstungsfabriken zu beordern oder gar im großen Stil Zwangsarbeiter ins Reich zu deportieren. Hybris und Nemesis: Der Feldzug gegen die Sowjetunion I. Das Scheitern der Offensive 1941/42 Die Rote Armee sollte grenznah in gewaltigen Kesselschlachten vernichtet werden. Anschließend, so die Planung, würde die Wehrmacht schnell nach Osten bis zu einer Linie Archangelsk-Astrachan vorstoßen. Der sowjetische Staat würde unter diesen Schlägen wie ein Kartenhaus zusammenbrechen, ihm wären alle Kraftquellen genommen, um dem Deutschen Reich noch einmal gefährlich zu werden. Wie in Frankreich basierte der Angriff auf dem Überraschungsmoment und einem riskanten Plan, der alles auf eine Karte setzte. Denn würde der Feldzug wider Erwarten länger dauern, musste der Wehrmacht schnell die Luft ausgehen. Das hatte die Erfahrung in Polen und Frankreich 171
gezeigt. Die Verluste der Panzerdivisionen waren bei ihren ungestümen Vorstößen erheblich gewesen. Mannschaftsstärken sanken nach vier Wochen auf fünfzig bis sechzig Prozent ab. Es gab Schützenregimenter, die schon in den ersten drei Wochen nahezu vierzig Prozent Verluste hatten.112 Das Heer war ein Sprinter, für einen Marathonlauf fehlten alle Voraussetzungen. Als die Wehrmacht in den Morgenstunden des 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, stand sie im Zenit ihres Könnens und ihrer Kraft. Sie hatte wertvolle Erfahrungen sammeln können, die Verluste waren gemessen an der Gesamtstärke von mittlerweile vier Millionen Mann überschaubar und deutlich geringer als zum selben Zeitpunkt des Ersten Weltkriegs. Die Ruhepause nach dem Frankreichfeldzug war für Ausbildung und Zusammenwachsen neu aufgestellter Divisionen genutzt worden. Die Ausrüstung hatte sich weiter verbessert. Die unbrauchbaren Panzer I waren aussortiert, von den bewährten Panzern III und IV standen wesentlich mehr zur Verfügung. Und mit der neuen 5-cm-Pak 38 gab es auch ein leistungsfähigeres Panzerabwehrgeschütz. Gewiss konnten nicht alle Divisionen mit neuem Gerät aus deutscher Produktion ausgestattet werden. Etwa zwanzig Prozent aller Einheiten waren mit französischen Beutefahrzeugen und waffen ausgerüstet. Die taktischen Lehren des Bewegungskriegs waren zum Allgemeingut von Soldaten und Führung geworden und würden, so die Hoffnung, alle eventuellen Defizite ausgleichen. Die Wehrmacht versammelte mit 3,3 Millionen Mann, 3580 Panzern und 2000 Flugzeugen eine Streitmacht, die noch größer war als jene im Mai 1940. Es war in gewisser Weise die deutsche »Grande Armée« – die größte deutsche Armee, die je zu einem Angriff 172
aufmarschierte. Und niemand zweifelte daran, dass ein weiterer schneller Siegeslauf bevorstand. Hermann Balck ärgerte sich, mit seiner 2. Panzerdivision noch in Reserve gehalten zu werden. »Vielleicht hat es aber doch sein Gutes und wir kommen noch zum Nachstoss heran, wenn die anderen fertig sind mit ihrem Material. Kaukasus, Bagdad, Turkestan wäre auch nicht übel«, schrieb er am 22. Juni 1941 in sein Tagebuch.113 Obwohl die Sowjetunion von vielen Seiten vor dem Angriff gewarnt worden war, glaubte Stalin nicht an einen Überfall. Die Überraschung – eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg eines Angriffs – gelang also. Wieder stießen die deutschen Panzerverbände tief auf feindliches Gebiet vor. Eine Kesselschlacht folgte der nächsten, die NS-Wochenschau kam mit ihren Siegesmeldungen kaum hinterher. Bis Jahresende waren 3,9 Millionen sowjetische Soldaten von der Wehrmacht gefangen genommen worden. Die Rote Armee des Juni 1941 gab es fünf Monate später nicht mehr; sie hatte insgesamt 4,5 Millionen Mann an Toten, Verwundeten und Gefangenen, dazu 20 500 Panzer und 21 000 Flugzeuge verloren.114 Jeder anderen Streitmacht hätten solche Verluste das Rückgrat gebrochen. Doch die Sowjetunion besaß eine nicht für möglich gehaltene Fähigkeit, immer neue Verbände aufzustellen, ihre Schlüsselindustrien rasch nach Osten zu verlagern und den Vormarsch der Wehrmacht im Blut der eigenen Leute zu ersticken. Die Rotarmisten wehrten sich verbissen gegen die deutschen Angreifer. Zwar gingen Millionen in Gefangenschaft, doch oft erst nach wochenlangen Kämpfen. Ungewohnt waren für die Deutschen die harten und verlustreichen Kämpfe in Dörfern und Wäldern. Die Wehrmacht wich, so hieß es in den Erfahrungsberichten der 173
Roten Armee, dem Nahkampf mit Bajonett und Handgranaten aus, verließ sich lieber auf ihre moderne Waffentechnik. Daher schätzten die Sowjets die Kampfkraft der deutschen Infanterie niedriger ein als im Ersten Weltkrieg. Sie sei oft nicht aktiv genug und nur von »mittelmäßiger Zähigkeit«. Umso mehr wurde die Fähigkeit der Wehrmacht gefürchtet, ihre Kräfte auf einen Schwerpunkt zu konzentrieren, stets die weiche Stelle an der Front zu suchen und an den Nahtstellen zweier Verbände ohne Rücksicht auf Flankenbedrohung schnell durchzubrechen.115 Diese Einschätzungen bestätigten den Befund aus dem Polenfeldzug, dass die deutschen Soldaten den technisierten Bewegungskrieg und den Kampf der verbundenen Waffen gut beherrschten, eher archaische Kampfformen aber nicht ihre Stärke waren. Die Rotarmisten, zumeist Bauern, erschienen den Deutschen als »Naturmenschen von großer Härte und Grausamkeit«; freilich lernten sie rasch von ihnen, wie man in den Weiten dieses Landes überlebte und Krieg führte. So wurde in den deutschen Erfahrungsberichten immer wieder darauf gedrungen, sich dem Leben in der Natur besser anzupassen und den Kampf Mann gegen Mann intensiver zu schulen.116 Nach drei Monaten stand die Wehrmacht nicht wie geplant an der Wolga und am Weißen Meer, sondern erst östlich von Smolensk und inmitten der Ukraine. Die Verluste waren fast jeden Monat höher als im gesamten Frankreichfeldzug. Allein in der ersten Woche fielen 25 000 deutsche Soldaten, im Juli dann über 63 000. Bis Ende September war eine halbe Million Mann tot oder verwundet. Langsam, aber sicher ging der Wehrmacht die Puste aus. Doch ein Ende der Kämpfe war nicht in Sicht. Im Gegenteil: Der deutsche Feldzugsplan war bereits im Herbst 1941 gescheitert, da die Masse der Roten Armee nicht wie vorgesehen in der ersten Phase vernichtet 174
werden konnte. Außerdem konnte weder die Rüstungsindustrie die steigenden Materialausfälle ersetzen noch die Personalbewirtschaftung die Menschenverluste. Die Wehrmacht siegte sich in Russland zu Tode, was auf deutscher Seite durchaus erkannt wurde. Am 6. August nahm Oberst Heinrich Eberbach an einer Kommandeurbesprechung teil, auf der ein Stabsoffizier der Heeresgruppe über die größere Lage berichtete. »Ich musste paar mal schlucken, bis es mir hinunterging«, schrieb Eberbach an seine Frau. »Dabei ist alles klar, und ich habe bisher nur die Augen davor zugemacht. Überschrift: der Nachschub. Wir spüren ja, wie der fehlt. Auch die Bahnen hier sind ja nicht sehr leistungsfähig, es geht darum nicht mehr so schnell vorwärts. Wir werden bis zum 15., vielleicht 20. hier liegen bleiben. Was bleibt dann noch an Zeit? Höchstens 6 Wochen. Was kann man in dieser Zeit noch schaffen? Petersburg, Moskau, Odessa, höchstens noch Charkow. Wenn alles gut geht. Und dann ist der Krieg aus? Nein. Der Bolschewismus wird weiterkämpfen. Der Winter wird ihnen helfen.« Eberbach hoffte, den Winter mit seiner Brigade in einer russischen Panzerkaserne in Ruhe zu verbringen und dann im Frühjahr ’42 wieder einzugreifen. »Was wird das endgültige Ziel sein? Die Wolga. Und dann denkt der Führer an eine bewaffnete Ostgrenze, so wie früher die Deutschordensritter. Die würden dort halten und Jahr für Jahr ein Stück weiter greifen. Ist ganz schön gedacht. Aber – Amerika, England, die Heimatfront. Man bereitet den Angriff auf England vor. Aber mit Entlassung von Soldaten ist es dann nicht. […] Und wie lange reichen unsere Vorräte? Aber ich seh ein, dass es anders einfach nicht geht. Ob der Führer das alles vorausgeahnt? Es sind zu viele Fragen. Aber es handelt sich ja nur darum zu leben oder zu sterben. Es muss durchgehalten 175
werden. Ein Zusammenbruch Russlands würde freilich sehr helfen. Aber seit ich hier bin, glaub ich daran nicht mehr.«117 Friedrich Fromm, der Befehlshaber des Ersatzheeres, wurde seit August 1941 immer skeptischer und äußerte schon im Oktober 1941, dass der Krieg beendet werden müsse.118 Solch weitreichende Schlussfolgerungen vermochte ein Kommandeur wie Eberbach nicht zu ziehen. Denn was sollte die Konsequenz aus diesen bösen Vorahnungen sein? In dem mit aller Härte ausgetragenen ideologischen Vernichtungskrieg konnte es nach Ansicht von Eberbach keinen Ausgleich geben. Und so zerstreute er wie so viele seine Zweifel und hoffte, dass die Sowjetunion doch noch zusammenbrechen und alles gut werden würde. Seine Division war dabei, als die Wehrmacht im Oktober 1941 in der Doppelschlacht von Wjasma und Brjansk noch einmal über 670 000 Gefangene machte. Die Rote Armee erreichte nach dieser Niederlage den Tiefpunkt ihre Leistungsfähigkeit. Der Mannschaftsstand war auf 2,8 Millionen abgesunken.119 Doch aus sowjetischer Sicht war das Schlimmste bald überstanden. Neue Reserven konnten aus dem Fernen Osten herangeführt werden, und die ersten britischen Panzerlieferungen waren eine willkommene Hilfe.120 Auf deutscher Seite stellte sich die Frage, ob es nicht höchste Zeit war, eine Winterstellung anzulegen und den erschöpften Truppen eine Ruhepause zu gönnen. Hauptmann Herbert Zetzsche war nach dem langen und verlustreichen Vormarsch auf Moskau »völlig herunter«, und seine Gedanken kreisten für einen kurzen Moment um das Unvorstellbare, das Scheitern des Unternehmens »Barbarossa«: »Hat es im Weltkrieg oder in einem irgendwann vorhergegangenen Krieg bei einer Truppe solche Schwierigkeiten gegeben und trotzdem ist der Sieg davongetragen worden? Man will 176
glauben, aber der müde Mensch ist zu ausgeschöpft, um noch Energie zum Zusammennehmen zu haben.« Und selbstkritisch fragte er: »Sind wir zu schlapp, um einen wirklichen Krieg zu bestehen? Eigentlich kann uns nur noch ein Wunder helfen!« Um sich sogleich selber zu beruhigen: »Aber warum soll das Wunder nicht kommen, nachdem es schon so oft auf unserer Seite war.«121 Wenige Tage später hoffte er, dass man vor Weihnachten »hier zu einem Abschluss« käme, und hielt seine Männer am Grab eines Kameraden an, das Letzte zu geben, bis der Endsieg errungen sei. Zetzsche kam bald darauf mit verschleppter Ruhr und Gelbsucht in ein Lazarett. Sein Bataillon wurde aufgelöst, weil kaum noch jemand am Leben war. Generalstabschef Halder und der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte, Fedor von Bock, wollten auf den erbärmlichen Zustand ihrer Truppen keine Rücksicht nehmen, sondern in einer letzten Kraftanstrengung zumindest noch Moskau einnehmen. Nach der Erfahrung von Dünkirchen sollte es keinen zweiten Haltebefehl, kein Zaudern im vermeintlich entscheidenden Moment mehr geben. Beide waren der Realität vollends entrückt, setzen sich gegen die skeptischen Armeebefehlshaber durch und beraubten sich der letzten Chance, die völlig ausgelaugte Truppe noch halbwegs auf den Winter vorzubereiten.122 Anfang Dezember erlahmte die deutsche Offensive vor den Toren Moskaus; die sowjetische Gegenoffensive traf die Wehrmacht vollkommen unvorbereitet. Aufgrund der taktischen Überlegenheit der deutschen Truppen, ihrer Luftherrschaft und einer mangelnden Schwerpunktbildung der Roten Armee gelang es zwar, den »Napoleon-Winter« zu überstehen. Doch bis Ende März 1942 hatten sich die Verluste der Wehrmacht auf über eine Million Mann summiert. Und obwohl die Rote Armee selbst in der 177
Winteroffensive deutlich höhere Verluste als die Wehrmacht hatte, versiegte ihre Kraft nicht.123 Hitler hatte sich in der Winterkrise vor Moskau erstmals massiv in die Operationsführung eingemischt, einen Haltebefehl gegeben124, den Oberbefehl über das Heer selbst übernommen und vor allem die allzu widerspenstigen Panzergeneräle entlassen.125 Er war überzeugt, dass die Sowjetunion am Ende ihrer Kräfte war und ein weiterer Schlag den Widerstand endgültig brechen würde. So hoffte er, 1942 das Unternehmen »Barbarossa« abschließen zu können, noch bevor sich der inzwischen erfolgte Kriegseintritt der USA bemerkbar machen würde.126 Die Sommeroffensive 1942 zielte durchaus auf einen neuralgischen Punkt der Sowjetunion: Neunzig Prozent ihres Erdöls kamen aus dem Kaukasus, wurden von dort über das Kaspische Meer und die Wolga ins Innere des Landes verschifft. Würde diese Kraftquelle abgeschnitten, müssten die wehrwirtschaftlichen Folgen erheblich sein. Doch diesmal verstieß die Wehrmacht eklatant gegen die eigenen Grundsätze: Die Überraschung schlug fehl, und die Schwerpunktbildung war weit weniger klar als etwa im Mai 1940, weil sich Hitler nicht zu einer riskanten Konzentration aller vorhandenen Kräfte entscheiden konnte. Zudem blieb die operative Zielsetzung mit den Zielen Stalingrad und Kaukasus verschwommen und überdehnte die wenigen verfügbaren Kräfte, zumal nach dem Beginn der Offensive sogar noch Divisionen abgezogen wurden. Während sich Hitler zunehmend in der Rolle des Feldherrn gefiel, enthielt sich Stalin dilettantischer Eingriffe in die Kriegführung. Zudem hatte die Rote Armee von den Deutschen gelernt. Sie vermied nun große Kesselschlachten, sondern zog sich geordnet und schnell zurück. Nur in der Donsteppe bei Kalatsch gelang den deutschen Truppen im 178
August 1942 noch einmal eine klassische Zangenoperation. Mit 57 000 Gefangenen war der Erfolg aber vergleichsweise mager. Die Operationen der Wehrmacht hatten schon jetzt ihre einstige Wirksamkeit verloren. Der deutsche Angriff versandete wenige Wochen später in Stalingrad und im Kaukasus. Und wie 1941 unterschätzte die Generalität auch diesmal die Rote Armee. Die Einkesselung und Vernichtung der 6. Armee in Stalingrad zeigte, dass die Sowjets die Deutschen mittlerweile mit ihren eigenen Methoden schlagen konnten.127 In den kritischen Tagen des Winters 1942/43 drohte gar der gesamte Südflügel der Ostfront aus den Angeln gehoben zu werden. Doch die ganz große Katastrophe konnte noch einmal abgewendet, mit einer riskant und mutig geführten Gegenoffensive die Front stabilisiert werden. Die deutschen Panzerverbände zeigten hier noch einmal ihr ganzes Können. Und manchem stiegen die eigenen Erfolge schon wieder zu Kopfe. »Wir sind mit diesen Soldaten nie zu schlagen. Wer diese völlig hoffnungslosen Situationen durchgestanden hat und gesehen hat, wie sich die sichere Niederlage in Sieg verkehren lässt, der wird nie am siegreichen Kriegsende zweifeln«, notierte Hermann Balck.128 Mit seiner 11. Panzerdivision gelang es ihm immer wieder, kleinere sowjetische Verbände einzukreisen und zu zerschlagen. »So kam es dann zu der geplanten völligen Vernichtung der Russen. In früheren Zeiten hätte man geschrieben, der Schwertarm erlahmte vor Morden. Heute ist es prosaischer. Die Mg. Munition ging zu Ende. Zu Hunderten und Tausenden lagen die Russen erschlagen auf der Stelle. Geschütz an Geschütz stand zusammengeschossen oder verlassen im Feld. Dazu geringe eigene Verluste. Schließlich wurden dann doch Gefangene gemacht, etwa 1000 Stück. Es war zuviel des 179
Mordens.«129 Die Bilder eines erbarmungslos geführten Kampfes zeigten selbst für einen alten Krieger wie Balck Wirkung. Sie nährten aber auch das eigene Überlegenheitsgefühl, obwohl die Gesamtlage deprimierend war. II. In der Defensive 1943/44 Als die Kämpfe im April 1943 abflauten, stellte sich einmal mehr die Frage, wie es weitergehen sollte. Eine Strategie gab es schon lange nicht mehr. Niemand hatte eine Vorstellung davon, wie der Krieg zu einem Ende geführt werden sollte. In puncto Kräfteverschleiß war die Lage vergleichbar mit dem Frühjahr 1918, als nach gut dreidreiviertel Jahren zwischen 1,4 und 1,6 Millionen Soldaten gefallen waren.130 Und wie im März 1918 konnte auch im Sommer 1943 ein nennenswerter Teil des Heeres noch einmal angriffsbereit gemacht werden. Hitler und die Generalität besprachen die Möglichkeit, der Roten Armee die Initiative zu überlassen und die zu erwartende Offensive mit aufgefrischten Divisionen im Bewegungskrieg zurückzuschlagen. Doch schließlich setzte sich die Option durch, selber mit einem regional begrenzten Angriff auf den Frontbogen bei Kursk den Sowjets eine Niederlage zuzufügen und damit auch ein politisches Signal zu setzen. Diesmal hörte Hitler, wie Roman Töppel herausgearbeitet hat, sehr wohl auf seine militärischen Ratgeber; den Entschluss zur Offensive trafen er und die militärische Führung nach intensiven Gesprächen gemeinsam. Am 5. Juli 1943 trat die Wehrmacht mit 800 000 Mann und 2400 Panzern zum Angriff an. Der deutsche Vormarsch traf auf abwehrbereite sowjetische Streitkräfte und blieb nach wenigen Tagen stecken. Um kaum eine Operation des Zweiten Weltkriegs ranken sich mehr Mythen als um das Unternehmen »Zitadelle« – so der deutsche Deckname. In der 180
Memoirenliteratur gilt die Operation als Inbegriff von Hitlers Inkompetenz. Dieser habe die deutschen Panzerdivisionen im Angriff auf eine gut vorbereitete Verteidigung verheizt. Erst seit Kurzem liegt eine differenzierte Aufarbeitung der Schlacht vor131, die deutlich macht, dass die Rote Armee Verluste im Verhältnis 1 : 4 bis 1 : 6 erlitt. Mehr hätte die Wehrmacht auch mit einer anderen Taktik nicht erreichen können. Auch mit dem »Schlagen aus der Nachhand« (Manstein) – einer beweglich geführten Verteidigung, die zur Gegenoffensive überging, sobald der gegnerische Angriff seinen Kulminationspunkt überschritt – wären keine für die Wehrmacht günstigeren Verlustverhältnisse zu erreichen gewesen.132 Im Sommer und Herbst 1941 war die Relation durch die hohen Gefangenenzahlen noch vorteilhafter gewesen. Doch mittlerweile hatte die Rote Armee viel dazugelernt und verfügte über große Reserven, sodass an Kesselschlachten wie zu Beginn des Feldzugs nicht mehr zu denken war. Erich von Manstein glaubte freilich weiter an die Möglichkeit, durch einen defensiv geführten Bewegungskrieg gegen die Rote Armee ein Remis zu erkämpfen und dabei große Teile der besetzten Gebiete zu behaupten. Doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Selbst im August 1943, als die Wehrmacht durch die Auffrischung im Frühjahr noch vergleichsweise stark war, so viel Munition wie nie zuvor und nie danach in einem Monat verschoss (250 000 Tonnen), der Roten Armee gewaltige Verluste zufügte und Tausende ihrer Panzer zerstörte, musste sie vor der gegnerischen Übermacht weichen. Am 23. August gaben die deutschen Truppen Charkow, die viertgrößte sowjetische Stadt, auf. Danach gab es kein Halten mehr. Von August 1943 bis März 1944 führte die Rote Armee ununterbrochene Offensiven vor allem gegen 181
den Südflügel der deutschen Ostfront. Ein strategischer Durchbruch gelang dabei zwar nicht, aber die Wehrmacht wurde Schritt für Schritt rund tausend Kilometer vom Donezbecken bis an die rumänische und polnische Grenze zurückgedrängt. Im täglichen Abwehrkampf zerrann die Kampfkraft der deutschen Truppen. Die monatlichen Verlustzahlen waren im Herbst 1943 und Frühjahr 1944 nicht höher als 1941. Aber die Kontinuität der hohen Ausfälle raubte der Wehrmacht jede Chance, Luft zu holen und ein weiteres Mal eine Schlagkraft aufzubauen, die der Roten Armee auch nur ansatzweise hätte gefährlich werden können. Es fehlte die Ruhepause, die es nach dem Polen- und Frankreichfeldzug gegeben hatte. Inzwischen reagierte die Rote Armee so flexibel, dass selbst die Vernichtung allzu weit vorgepreschter sowjetischer Panzerkorps nur noch in Ausnahmefällen gelang. So war im Februar 1943 die Panzergruppe Popov zwischen Dnjepr und Dnjestr zerschlagen worden. Im August 1944 wurde nördlich von Warschau das 4. sowjetische Panzerkorps, das sich zu weit vorgewagt hatte, durch einen deutschen Gegenangriff vernichtet. Im Oktober 1944 ereignete sich Ähnliches in Siebenbürgen133, doch solche Erfolge blieben letztlich Episode. In keiner dieser Schlachten gelang es der Wehrmacht, mehr als 20 000 Gefangene zu machen. In einem Krieg der Massenarmeen waren das nicht mehr als Nadelstiche. Wie sehr sich die Verhältnisse geändert hatten, zeigte die sowjetische Offensive auf Kiew im November 1943. Manstein konnte mit fünf Divisionen und 400 Panzern zwar einen Gegenstoß führen und Shitomir zurückholen, war aber zu schwach, um die ukrainische Hauptstadt neuerlich zu erobern oder gar größere Teile der vorrückenden Roten Armee zu zerschlagen. 182
Fünf deutsche Panzerdivisionen waren 1940 oder 1941 eine gewaltige Streitmacht gewesen; im Herbst 1943 drangen sie nicht mehr als vierzig Kilometer vor. Die Rote Armee ließ sich nicht mehr im großen Stil ausmanövrieren und zwang der Wehrmacht einen Abnutzungskrieg auf, aus dessen Würgegriff sie sich nicht mehr befreien konnte. Die Kampfkraft selbst der besten Panzerverbände schmolz dahin wie das Eis in der Sonne.134 Die Heeresgruppe Süd zählte im Februar 1944 vierzehn Panzer- und zwei Panzergrenadierdivisionen und war trotzdem nicht in der Lage, die Front zu halten. Allzu viele Generäle glaubten mit überlegener Führungskunst die zahlenmäßige Stärke der Roten Armee ausgleichen zu können, wie es noch im Frühjahr 1943 gelungen war. Keiner von ihnen befasste sich je mit der wirtschaftlichen Dimension dieses Ringens oder errechnete, wie hoch die feindlichen Verluste hätten sein müssen, damit der Roten Armee und nicht der Wehrmacht die Kräfte schwanden. In der Memoirenliteratur werden vor allem Hitlers Starrsinn, sein Halten um jeden Preis für die Niederlagen der Jahre 1943/44 verantwortlich gemacht. Wenngleich der Diktator in der Tat manche Fehlentscheidungen zu verantworten hatte, waren die Dinge in der Realität doch komplexer. Der Generalstabschef des Heeres und die Befehlshaber der Heeresgruppen und Armeen waren sich oftmals uneinig, was zu tun war, zumal der deutsche Nachrichtendienst meist keine zuverlässigen Aussagen über die nächste sowjetische Großoffensive treffen konnte.135 Bei nüchterner Betrachtung sollte man den Einfluss Hitlers nicht übermäßig hoch gewichten. Selten stellte er sich gegen Empfehlungen sämtlicher militärischen Ratgeber, und in der Praxis unterliefen viele Kommandeure die Haltebefehle 183
ohnehin. Den daraus folgenden Tatsachen musste auch Hitler sich fügen. Erstaunlich ist, wie optimistisch manche Befehlshaber die Lage vor Ort immer noch einschätzten. Als Hermann Balck im November 1943 mit einem Panzerkorps den deutschen Gegenangriff westlich des Dnjepr führte, notierte er in sein Tagebuch: »Operativ ging es gut. Namentlich die 1. Pz. Div griff mit altem stürmischem Schwung an, rannte alles über den Haufen. […] Ich stoße nun konzentrisch auf Shitomir und hoffe es bald zu haben. Dann kehrt und auf Kiew. Hoffentlich wird es die Wende des Feldzuges.«136 Doch dann musste auch er einräumen, dass »der Russe einen ungeheuer geschickten Rückzug vollführt hat«.137 Gleichwohl glaubte Balck, dass er dem Sowjet durch den Gegenangriff die »Grundlagen seiner Winterschlacht« zerschlagen habe. Doch nur wenige Wochen später brach eine neue Offensive los und machte seine Hoffnungen zunichte. Sein geradezu trotziger Glaube, doch noch siegen zu können, wurde aber selbst dadurch nicht erschüttert. Im Winter 1943/44 meinte er zu erkennen, dass bei der Roten Armee der Boden des Fasses sichtbar würde, da ihr allmählich die Soldaten ausgingen. Was jetzt noch kämpfen würde, seien »Kinderregimenter«. Am Silvesterabend 1943 schrieb er: »Halten wir jetzt durch, siegen wir.«138 Mansteins Einschätzung mag nüchterner gewesen sein, aber auch er wollte nicht wahrhaben, dass die Wehrmacht nicht mehr die Kraft hatte, die Rote Armee in der Ukraine aufzuhalten. Gewiss, die Verluste der Sowjets blieben stets deutlich höher als die der Deutschen. Im Frontalltag gab es daher trotz der Rückzüge ständig die Erfahrung, dass Angriffe des Gegners zurückgeschlagen wurden. Dies galt insbesondere für die Heeresgruppe Nord, die im Stellungskrieg lange Zeit gar nicht zurückweichen musste, aber auch für die Heeresgruppe 184
Mitte, die bis zum Frühjahr 1944 eine sowjetische Großoffensive nach der anderen abwehren konnte und sich nur langsam rund 200 Kilometer zurückzog.139 Das führte zu der paradoxen Situation, dass sich Teile der Wehrmacht ihr Überlegenheitsgefühl bewahrten. Insbesondere die sowjetische Infanterie sei »miserabel«140, hieß es immer wieder. Aber auch die Taktik der Panzer sei »ganz schlecht«, meinte der 20jährige Leutnant Ferdinand von Senger und Etterlin von der 24. Panzerdivision, der später in der Bundeswehr Karriere machte und zum NATO-Oberbefehlshaber Mitte aufstieg. »Wie die Reiterhorden Dschingis-Khans kommen diese schwarzen Biester aus den Tiefen des Ostens und suchen uns zu überfluten. […] Sie kommen in Massen angebraust und werden in Massen, oft tief im Hinterland, wo sie wie blinde Hühner herumkurven, abgeschossen.«141 Gerade bei den Panzerdivisionen war die Stimmung auch im Winter 1943/44 noch gut. Sie hatten zwar viele Ausfälle hinzunehmen und schrumpften auf Kampfgruppen mit nur wenigen Panzern zusammen. Es blieben aber immer noch genügend Waffen übrig, um sich erfolgreich zu wehren. Ohnmachtsgefühle gab es kaum, die eigenen Gegenangriffe hoben die Moral. »Müde Panjereiter, Infanteristen ohne Waffen, ja ohne Koppel, schleppen sich mit Sack und Pack nach hinten. Ein eisiger Wind weht über die Schneefelder, farblos der Himmel. […] 1812!«, notierte Senger und Etterlin im Februar 1944 in sein Tagebuch. Eine sowjetische Großoffensive hatte tiefe Einbrüche in die deutsche Front erzielt. Der Kommandeur appellierte an Senger und seine Soldaten, »nicht vom schlechten Beispiel der Infanterie um uns herum angesteckt zu werden. Wir sind noch eine gute Truppe«.142 Die Division ging kurze Zeit später zu mehreren Gegenangriffen über. Senger schrieb an seine Frau: »Wir haben schwere, aber 185
schöne Tage hinter uns. Sie brachten uns endlich mal wieder grosse Angriffserfolge. Ihr könnt Euch wohl kaum vorstellen, was es heisst, einen grossen Angriff erfolgreich zu bestehen. Nach Monaten der Verteidigung, wo man immer gezwungen ist, auf den Feind zu warten, um ihn dann im mühsamen Ringen jeden Fußbreit Boden streitig zu machen, endlich wieder das Gesetz des Handelns bei uns. Endlich wieder Bilder wie bei den grossen Vormärschen in der Steppe: Rasende SPW [Schützenpanzerwagen] mit Schneefontänen hinter sich, tausende fliehender Russen, wilde Jagd hinterher, an brennenden LKWs, frisch überfahrenen Geschützen und Panzerbüchsen vorbei, über Löcher und Bunker immer vorwärts, alles überfahrend und niederwalzend. […] Es war ein herrlicher Tag, eine Kavallerie Attacke alten Stils.«143 Senger war bewusst, dass auch seine 24. Panzerdivision »nicht mehr den Gehalt wie früher« hatte, »aber sie ist doch den meisten anderen haushoch überlegen«.144 Der junge Leutnant von Senger und Etterlin machte ganz andere Erfahrungen als der durchschnittliche Infanterist. Während 1916/17 praktisch alle deutschen Divisionen eine Zeit lang die Hölle der Materialschlachten erlebten, klafften die Erfahrungswelten der Wehrmachtverbände im Allgemeinen und selbst derjenigen an der Ostfront weit auseinander. Der gewaltige personelle Aderlass machte sich vor allem bei den regulären Infanteriedivisionen bemerkbar. Sie waren schon nach der Winterschlacht 1941/42 nur noch ein Schatten ihrer selbst, konnten aber – anders als die meisten Panzerdivisionen – nicht zur Auffrischung herausgezogen werden. Sie blieben an der Front und mussten sich damit behelfen, kleinere Einheiten für kürzere Zeit ins Hinterland zu verlegen und ihnen dort etwas Ruhe zu gönnen. Unter dem permanenten Ansturm der Roten Armee und der ständigen 186
Überlastung psychischer und körperlicher Kräfte nahm ihre Kampfkraft rapide ab. Der Ersatz war zu schnell und zu schlecht ausgebildet145, sodass immer weniger erfahrene Soldaten übrig blieben. In welcher Lage sich die Infanterieverbände befanden, macht ein Bericht über den Kampf um Rschew im Herbst 1942 deutlich. Das II. Bataillon des Infanterieregiments 18 verlor von August bis Ende Oktober 1942 740 Mann und wurde damit praktisch vollständig aufgerieben. Von den Männern, die am 1. August in die Schlacht gezogen waren, blieben drei Monate später nur noch 49 übrig. Das Bataillon erhielt im selben Zeitraum zwar 594 Mann Ersatz, die jedoch keinerlei Kampferfahrung hatten und nicht lange überlebten. Unter den zugewiesenen Offizieren etwa befanden sich zwei Leutnante des Bodenpersonals der Luftwaffe, die noch nie im Gefecht gestanden hatten. Drei Tage nach ihrem Eintreffen an der Front wurden sie in ihrem ersten Gefecht getötet. Die meisten Mannschaften waren ehemalige Rüstungsarbeiter mit siebenwöchiger Ausbildung, die noch nie eine scharfe Handgranate geworfen hatten. »Die Leute taten vollauf ihre Pflicht«, schrieb Bataillonskommandeur Major Stefan-Heinrich Höke, und er wusste, wovon er sprach. Er war 1924 als Mannschaftssoldat in das Regiment eingetreten, hatte das Handwerk des Infanteristen von der Pike auf gelernt und wurde als einer der wenigen Feldwebel der Reichswehr 1932 Offizier. Er war längst zu einem Krieger geworden, der wusste, wie man an der Front überlebt. Umso verzweifelter blickte er auf seine Soldaten: »Das Fehlen jeglicher Erfahrung im Nahkampf mit dem Russen, die ungenügende Ausbildung in der Handhabung der Waffe in der Bewegung, wie an manchen Stellen auch das Versagen der Unterführer, mußte […] mit ungewöhnlich hohen 187
Verlusten bezahlt werden.« Erfahrene Infanteristen, die auch schwierigste Situationen meistern konnten, seien kaum mehr vorhanden. »Die kaum ausgebildeten Ersatzmänner stehen oft hilflos in dem Haufen der ihn [sic] umgebenden sehr guten neuzeitlichen Kampfmittel und weiß [sic] sie vielfach nicht zu gebrauchen. […] Wie wenige Uffz. und Mannschaften können am MG 34 die verheerende Feuerkraft dieser Hauptabwehrwaffe ausnutzen!«146 Erst als das Bataillon am 24. Oktober aus der Front gezogen wurde, bekam der Kommandeur mehrere Wochen Zeit, Gruppen, Züge und Kompanien neu zu formieren, wieder Ausbildung zu betreiben und einen halbwegs einsatzfähigen Verband zu bilden. Das Bataillon kämpfte noch bis März 1943 in Rschew, dann gab die Wehrmacht die Stadt auf; es folgten monatelange Abwehrkämpfe im Mittelabschnitt der Ostfront. Kampfkraft und Zusammenhalt konnten dabei noch einigermaßen gewahrt werden. Erst im Sommer 1944 wurde es beim Untergang der Heeresgruppe Mitte vernichtet; dabei fiel am 28. Juni auch Stefan-Heinrich Höke. Anderen Einheiten erging es noch schlechter. Das Grenadierregiment 258 der 112. Infanteriedivision stand seit Sommer 1943 an den Brennpunkten der Abwehrkämpfe um den Frontbogen bei Orel. Unter großen Anstrengungen gelang den deutschen Truppen der Rückzug. Dennoch beurteilte der Regimentskommandeur die Leistung seiner Männer äußerst kritisch. Er monierte, dass die Härte deutscher Soldaten in jeder Beziehung zu wünschen übrig ließ und in keiner Weise derjenigen von 1914–18 entspreche. »Ich erinnere dabei an die großen Materialschlachten des ersten Weltkrieges«, schrieb Hans Viebig, »in denen die Truppen mitunter mehrere Tage lang ununterbrochen im Trommelfeuer sich befanden, enorme Verluste hatten und trotzdem den Angreifer abschlug [sic]. Ich 188
habe wiederholt Fälle beobachtet, wo Soldaten des Regiments mit leichten Verwundungen zurückkamen, ohne dass sie ihre Waffen mitbrachten.« Viebig empörte sich weiter, dass nach einem Angriff, »der vielleicht nur eine Stunde gedauert hat«, die Truppe nicht mehr in der Lage gewesen sei, »das Zurückfluten der Russen auszunützen«, und dies nur »durch mangelnde Härte«. Sein äußerstes Missfallen traf die 3. Kompanie. Mehrere Männer hätten Feigheit vor dem Feind gezeigt, und der Gefreite Brückmann sei in einem besonders krassen Fall durch ein Standgericht zum Tode verurteilt worden. Bis die Kompanie ihre Ehre wiederhergestellt habe, sei sie von jeder Vergünstigung ausgeschlossen. Und weiter hieß es: »Gegen jeden Soldaten, der aus Feigheit zurückgeht oder beim Angriff nicht vorwärtsgeht, lasse ich in Zukunft ein Standgericht zusammentreten. Solche Zustände kommen beim Gren. Rgt. 258 in Zukunft nicht noch einmal vor.«147 Ihre Ehre scheinen die Soldaten des Regiments in den Augen des Kommandeurs bald wiederhergestellt zu haben. Weitere Kritik ist zumindest nicht überliefert. Freilich war wenige Wochen später auch kaum noch jemand am Leben, sodass das Regiment im November 1943 aufgelöst wurde. Viebig wurde ein Jahr später in den Vogesen schwer verwundet. Er überlebte als einer der wenigen seines Regiments den Krieg und starb 1961 im Alter von 64 Jahren. Der Fall zeigt, dass das Grenadierregiment 258 schon im Sommer 1943 dem Ansturm der Roten Armee nicht mehr gewachsen war, und dies, obwohl die Einheit zuvor monatelang kaum Kämpfe zu bestehen gehabt hatte. Die Einheiten mussten mit zu wenigen Soldaten zu breite Frontabschnitte überwachen. Ein General rechnete 1943 aus, dass ein normaler Landser selbst an einem ruhigen Frontabschnitt kaum mehr als drei Stunden am Stück schlafen 189
konnte.148 Dringend wurde gefordert, wie im Ersten Weltkrieg regelmäßiger von der Hauptkampflinie in Bereitschafts- und Ruhequartiere zu rotieren. Doch gerade zu Zeiten sowjetischer Offensiven erwies sich das als vollkommen illusorisch. Von der 126. Infanteriedivision waren die Überlebenden der Kämpfe im Januar 1944 zu neunzig Prozent lazarettreif, weil sie wund gelaufene Füße und Erfrierungen ersten und zweiten Grades hatten. Doch eine Ablösung war nicht möglich, da die Division es gerade noch auf 921 Mann in den vordersten Gräben brachte.149 Zudem war unübersehbar, dass die deutschen Verbände 1943 nicht mehr passend ausgerüstet waren. In Gliederung und Bewaffnung hatte es seit 1918 nur vergleichsweise wenige Fortschritte gegeben. Vor allem die Feuerkraft war zu schwach, um gegen die sowjetische Übermacht zu bestehen. Der Karabiner 98k wurde als »vorsintflutlich« bezeichnet, seine Ablösung durch das Sturmgewehr dringend gefordert. Es mangelte an Granatwerfern, Maschinengewehren und Panzerabwehrwaffen. Die schlechte Waffenausstattung steigerte die Verluste, wodurch vor allem erfahrene, »krisenfeste« Unteroffiziere fehlten, jene Krieger also, die den unerfahrenen Soldaten im Kampf die Angst nahmen und ihnen sagten, was zu tun war. Major Gerlach von Gaudecker-Zuch empörte sich im August 1943 darüber, dass dem Ersatz aus der Heimat das Überlegenheitsgefühl gegenüber den Bolschewisten fehle. »Es darf nicht sein, wie man es leider oft erlebt hat, dass es heißt, die Russen kommen, die Russen kommen, sondern der Soldat im Loch muss darauf warten und sich freuen, wenn die Russen kommen, um sie vernichten zu können.«150 Die Heeresführung erkannte durchaus, dass der Wert insbesondere der Fußtruppen stark zurückgegangen war, 190
sprach im September 1943 gar von einem »Infanterieproblem«, warnte vor einem Niedergang dieser Waffengattung.151 »Der deutsche Infanterist ist abgekämpft, apathisch, zahlenmäßig stark geschwächt, mit Führern und Unterführern dünn besetzt«152, hieß es im Sommer 1943 in einem Bericht von der Ostfront. Die Männer seien »eingeschüchtert«.153 Auf einen Kilometer Frontabschnitt kämen nur noch fünfzig, höchstens hundert Infanteristen. Die Truppe sei so ausgeblutet, dass ihr das Rückgrat gebrochen sei, hieß es in einem Bericht aus dem November 1943.154 Doch alle Versuche gegenzusteuern blieben Kosmetik. Die Rüstungsproduktion erlaubte es trotz neuer Höchststände nicht, die Divisionen mit den geforderten Waffen auszustatten, vor allem mit den dringend benötigten Sturmgeschützen155, um sich der sowjetischen Panzer zu erwehren. Erfahrene Krieger, die der außerordentlichen nervlichen Belastung der Kämpfe gewachsen waren, wurden zunehmend Mangelware. Alle Appelle, die Ausbildung im Ersatzheer müsse besser und vor allem härter werden, halfen nichts. »Der in langfristiger Ausbildung zur Härte, Selbständigkeit und Entschlussfreudigkeit erzogene Einzelkämpfer ist nur noch selten anzufinden«, schrieb der Kommandierende General des II. Armeekorps im August 1943.156 Unter dem Druck der Verluste dauerte die Ausbildung eines Rekruten vom erstmaligen Betreten der Kaserne bis zum Abmarsch an die Front oftmals nicht mehr als vier Monate.157 In so kurzer Zeit konnten beim besten Willen keine Soldaten herangebildet werden, die ihr Handwerk auch unter größtem Stress beherrschten. Man behalf sich mit Nachschulungen direkt an der Front, aber deren Erfolg blieb begrenzt, zumal es bald auch an Ausbildern mangelte. Oft war der Vorwurf zu hören, dass die Eliteverbände der Waffen-SS, des Heeres und der 191
Luftwaffe mit Männern »vollgepfropft« seien, die als Unteroffiziere in der Infanterie fehlten. Wenngleich bei solchen Vorwürfen immer ein gerüttelt Maß an Neid, Missgunst und Rivalität zu berücksichtigen ist, erscheinen sie im Kern stichhaltig. Während es im Ersten Weltkrieg gelang, die Qualität des Heeres auf einem einigermaßen einheitlichen Niveau zu halten und einen erheblichen Teil auch zum Angriff zu befähigen, klaffte die Leistungsfähigkeit der Verbände im Zweiten Weltkrieg immer weiter auseinander. Eine reguläre Infanteriedivision des Jahres 1943/44 war – anders als 1917/18 – zum Angriff kaum mehr in der Lage. Relativ wenige Panzer-, SS- und Fallschirmjägerdivisionen blieben erstklassig und agierten als Feuerwehr, während die Infanteriedivisionen weder in gleichem Maße ausgerüstet wurden noch entsprechenden Personalersatz erhielten. Sie bekamen, was übrig war, getreu dem Motto: »Infanterie kann jeder.«158 Das Oberkommando des Heeres musste im September 1943 zugeben, dass die Infanterie »außer den größeren Anstrengungen und der höchsten Wahrscheinlichkeit des Heldentodes« nichts zu bieten habe.159 Auch Frontzulagen, Urlaubsbegünstigungen oder die im November 1942 extra für die Infanterie eingeführte Nahkampfspange vermochten ihr schlechtes Prestige nicht zu heben. Wie sollte sich die Infanterie als Königin der Waffen fühlen, bemängelte ein Regimentskommandeur, wenn sich Waffen-SS und Panzerverbände in der Öffentlichkeit als Garden und Auserwählte präsentierten? »Kaum eine Frau oder Mädel ist heute noch […] stolz darauf, dass der Mann, Sohn, Freund oder Bruder gerade bei der Infanterie ist, wohl aber wenn er Flieger, Panzer- oder SS-Mann ist, wo es die vielen Ritterkreuze gibt, wo er fliegt oder fährt, aber nicht zu marschieren braucht«160, bemerkte der Chef einer 192
Ausbildungsabteilung im August 1943. General der Infanterie Hermann Geyer hatte auf diesen Umstand schon im September 1941 hingewiesen161 und traf den Nagel auf den Kopf, als er im April 1944 feststellte162, dass mit Eliteverbänden allein moderne Feldzüge nicht mehr zu führen seien, weil die Gegner mit Massenheeren kämpften und die Deutschen ausgedehnte Fronten zu verteidigen hätten. Die Infanterie war die mit Abstand größte Truppengattung; sie umfasste im Herbst 1943 immerhin 151 Divisionen, darunter gewiss noch einige erstklassige Verbände wie die 1. oder die 21. Division, deren Zahl aber sehr überschaubar war.163 Ihre nachlassende Kampfkraft blieb auch der Roten Armee nicht verborgen. So hieß es in einem Erfahrungsbericht der 1. Ukrainischen Front vom Januar 1944, dass im Vergleich zu früheren Jahren die unzureichende Ausbildung, gesunkene Moral und mangelnde Zähigkeit deutscher Fußtruppen festzustellen seien. Die Infanterie verlasse sich vor allem auf die Unterstützung von Panzern und Artillerie, ohne die sie nur unentschlossen agiere und selten angreife.164 Zur permanenten Überforderung kam verschärfend hinzu, dass die Wehrmacht mit den ohnehin geringen Ressourcen viel zu leichtfertig umging. Anders als im Ersten Weltkrieg gab es zu wenig Rotation der Divisionen zwischen den Hauptkampfzonen und ruhigeren Frontabschnitten. Die Einheiten wurden vielfach so lange im Kampf gelassen, bis sie vollkommen ausgeblutet waren. Schon im Herbst 1943 mussten zahlreiche Infanteriedivisionen aufgelöst werden, weil sie so zusammengeschmolzen waren, dass das innere Gefüge zusammenbrach, die letzten erfahrenen Soldaten gefallen waren und sich eine Auffrischung nicht mehr lohnte. Den in der Heimat neu aufgestellten Verbänden fehlten diese Männer. Offenbar gelang es ohne sie nicht, die im ruhigen Frankreich 193
aufgestellten Divisionen ausreichend auf die Kämpfe an der Ostfront vorzubereiten. »Ein gegenüber den Ostdivisionen erstaunlich geringer Kampfwert und erhebliche Verluste waren die Folge«165, hieß es im Bericht eines Offiziers des Generalstabs des Heeres. Görings Weigerung, 250 000 Soldaten der Luftwaffe an das Heer abzugeben, und seine Entscheidung, diese stattdessen in 21 Luftwaffenfelddivisionen zum Einsatz zu bringen, führten 1943 zur Katastrophe. Diese unerfahrenen Verbände erlitten horrende Verluste, und auch als Göring schließlich im Herbst 1943 der organisatorischen Überführung ins Heer zustimmen musste, konnten die grundlegenden Mängel nicht beseitigt werden. Bei der sowjetischen Offensive vor Leningrad Anfang 1944 »versagte« die 10. Luftwaffenfelddivision »völlig«.166 Der Verband löste sich im Kampf geradezu auf, obwohl er – wie es in einem internen Bericht indigniert hieß – nicht im Schwerpunktabschnitt lag. Aber auch das Heer betrieb mit seinen Kräften Raubbau, setzte Verbände oft übereilt und unüberlegt ein und bezahlte dies mit Verlusten, die man sich nicht leisten konnte. Die Beispiele sind Legion.167 Einer der bekanntesten Fälle ist der überhastete Einsatz der aus Frankreich herangeführten 25. Panzerdivision, die im November 1943 noch während des Ausladens gegen einen sowjetischen Durchbruch bei Kiew angesetzt wurde. Innerhalb von nur zwei Wochen fielen 1242 Mann aus, 42 Panzer und 59 Schützenpanzer gingen verloren. Kommandeur Adolf von Schell hatte keinerlei Osterfahrung und war erstmalig seit 1918 im Fronteinsatz.168 Er führte unglücklich, brach körperlich zusammen und wurde bald abgelöst.169 Bereits im Frühjahr 1944 musste die zerschlagene Division aufgrund der weiterhin hohen Verluste herausgezogen und in Dänemark neu aufgestellt werden. 194
Der Kampf gegen die Westmächte 1941–1944 Der Bewegungskrieg hatte sich 1940 als das Erfolgsrezept im Kampf gegen die hochgerüsteten Westmächte erwiesen. Auch 1941 hatten diese den deutschen schnellen Verbänden kaum etwas entgegenzusetzen. Die Niederringung der griechischen Streitkräfte, die durch ein 60 000 Mann starkes britisches Expeditionskorps unterstützt wurden, gelang innerhalb von drei Wochen. Erneut »siegte unsere Kühnheit, um nicht zu sagen bodenlose Frechheit«, triumphierte Hermann Balck.170 Das Selbstbewusstsein kannte keine Grenzen. »Unsere Truppe ist halt einzigartig«, notierte General Vietinghoff.171 Die Kämpfe gegen die Briten und ihre Commonwealth-Truppen gingen dann in Nordafrika weiter. Auf diesem Nebenkriegsschauplatz zeigten sich wie unter einem Brennglas die Stärken und Schwächen der deutschen Kriegführung. Der Erfolg der Wehrmacht basierte nicht nur auf dem raschen Durchbruch und dem Ausmanövrieren des oftmals allzu schematisch vorgehenden Gegners, sondern auch auf der Schockwirkung der schnellen Verfolgung, die die gegnerische Verteidigung alsbald zusammenbrechen ließ. Dem Gegner wurden in einem schnellen Streich sozusagen Schwert und Schild aus der Hand gerissen und der Wille genommen weiterzukämpfen. Die Schlacht ist »mehr ein Totschlagen des feindlichen Mutes als der feindlichen Krieger«172, schrieb Clausewitz. Gelang das nicht und dauerte der Kampf länger an, geriet die Wehrmacht aufgrund ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit und beschränkten Feuerkraft schnell in eine schwierige Lage. Der Kampf in Nordafrika offenbarte, dass alle Kühnheit und taktische Finesse zum Erfolg nicht ausreichten, wenn der Feind nach den ersten Schlägen nicht zusammenbrach. Zwar gelang es Rommel 1941/42 immer wieder, seine Gegner 195
auszutricksen, aber der finale Erfolg blieb dem risikofreudigen General versagt. Weder glückte die eine große Vernichtungsschlacht, die den Feldzug mit einem Streich siegreich beendete, noch gelangen der Durchbruch an den Nil und damit die Aushebelung der britischen Stellung in Ägypten. Der ungeduldige Rommel stürmte kurz nach seiner Ankunft in Tripolis im März 1941 mit den schwachen Kräften wie von der Leine gelassen los, überrannte die Cyrenaika und kam wenige Wochen später an der libysch-ägyptischen Grenze zum Stehen, weil der Handstreich auf die Festung Tobruk scheiterte. Zum ersten Mal hatte es ein Panzergeneral mit der Kühnheit zu weit getrieben.173 Im Mai/Juni 1942 manövrierte die Deutsch-Italienische Panzerarmee die Alliierten erneut aus und konnte diesmal sogar Tobruk einnehmen. Rommel preschte sogleich weiter nach Ägypten, um das Schockmoment auszunutzen, und stand nur zehn Tage später 500 Kilometer östlich an der letzten britischen Verteidigungslinie vor Alexandria am kleinen Wüstenbahnhof El Alamein. Doch die Briten behielten – anders als die Franzosen 1940 – in dieser kritischen Lage die Nerven und stoppten Rommels erschöpfte Truppen. Das Vabanquespiel war nicht aufgegangen – auch weil die Deutschen im entscheidenden Moment die Funksprüche des amerikanischen Militärattachés Bonner Fellers nicht mehr mitlesen konnten und damit ihre beste nachrichtendienstliche Quelle verloren. In der Materialschlacht vor den Toren El Alameins zermürbte der britische Oberbefehlshaber Montgomery Ende Oktober 1942 die Kraft der Achsenmächte. Und die konnten von Glück sagen, dass es ihnen in den folgenden Wochen überhaupt gelang, sich bis nach Tunesien zurückzuziehen. Im Februar 1943 schien zum letzten Mal ein Hauch von Blitzkrieg auf. Rommels Truppen gingen zum Gegenangriff 196
über, stießen in vier Tagen über 100 Kilometer bis an die algerisch-tunesische Grenze vor und fügten am Kasserinpass den unerfahrenen amerikanischen Truppen Verluste zu, die das Fünffache der eigenen betrugen. Diese weitgehend vergessene Operation »Frühlingswind«, an der auch Oberstleutnant Claus Schenk Graf von Stauffenberg teilnahm, war der letzte deutsche Angriff auf die Westalliierten, der halbwegs als Erfolg gewertet werden konnte. Bis Dezember 1944 scheiterten ausnahmslos alle Gegenoffensiven, zumeist nach nur wenigen Kilometern. Damit war die militärische Lage im Westen und Süden noch trostloser als im Osten. Dort fand die letzte große Gegenoffensive, in deren Verlauf Charkow zurückerobert wurde, zwar auch bereits im Februar 1943 statt. Aber örtliche Erfolge wie am Kasserinpass gab es im Kampf gegen die Rote Armee noch bis zum April 1945. Doch warum verlor die Wehrmacht auf den Kriegsschauplätzen im Mittelmeerraum und in Frankreich ihre einst so gefürchtete Angriffsfähigkeit? Sizilien Am 13. Mai 1943 kapitulierte die Heeresgruppe Afrika. 250 000 deutsche und italienische Soldaten gingen in Gefangenschaft. Hitler hatte sich bis zum Schluss beharrlich geweigert, die Truppen aus Tunesien zu evakuieren. Sein Starrsinn hatte den Diktator damit um jene Truppen gebracht, die den Alliierten mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg in Sizilien hätten entgegentreten können. Nun stand man sozusagen nackt da. Zwar gab es auf der Insel rund 200 000 italienische Soldaten, die aber bis auf wenige Verbände nicht für den Fronteinsatz bestimmt waren. Die Wehrmacht kratzte gerade einmal zwei Divisionen mit gut 27 000 Mann zusammen.174 Als die Alliierten in den frühen Morgenstunden des 10. Juli 1943 in der Bucht von Gela und bei Syrakus an 197
Land gingen, trafen sie zunächst auf zweitklassige italienische Truppen, deren Widerstand schnell gebrochen wurde.175 Jedoch waren die Achsenmächte nicht wehrlos. Im Hinterland von Gela standen mit der Infanteriedivision »Livorno« und der Panzerdivision »Hermann Göring« zumindest auf dem Papier zwei kampfstarke Verbände zur Verfügung. Deren Gegenangriffe am 10. Juli waren freilich vollkommen unkoordiniert und endeten in einem Fiasko. Die Division »Hermann Göring« war eine Luftwaffeneinheit. Reichsmarschall Göring hatte früh dafür gesorgt, eigene Bodentruppen aufzustellen. Neben den als Elitetruppe geltenden Fallschirmjägern schuf er sich sein eigenes Regiment, das dann zu einer Division ausgebaut wurde. Sie hatte zum Teil schon in Tunesien gekämpft, sich durchaus bewährt und war nun neu aufgestellt worden. In ihren Reihen gab es im Sommer 1943 aber etliche unqualifizierte Offiziere, die mit der Führung eines Angriffs vollkommen überfordert waren. Der Kommandeur des Panzerregiments, Walter Straub, war im entscheidenden Moment an einem Hexenschuss erkrankt, sein Stellvertreter wurde bald darauf verwundet. Auch der Kommandeur des einzigen Panzergrenadierregiments war der Lage nicht gewachsen und wurde bald abgelöst.176 Der deutsche Verbindungsoffizier im italienischen Armeeoberkommando, Fridolin von Senger und Etterlin, eilte zur Division und organisierte für den 11. Juli einen neuen Angriffsversuch. Diesmal wurde ein US-Bataillon überrannt, und die Lage schien für die Amerikaner kritisch zu sein. Doch schließlich blieb der Angriff im heftigen Abwehrfeuer stecken. Die Deutschen hatten 630 Tote und Verwundete zu beklagen, die Italiener sogar über 2000. Die größte offensive Operation der Achsenmächte während der Kämpfe um Sizilien war 198
gescheitert. Zum ersten Mal im Zweiten Weltkrieg machten Kriegsschiffe in einer Landschlacht den entscheidenden Unterschied. Und dabei handelte es sich keineswegs um eine riesige Armada: Zwei amerikanische Kreuzer und sechs Zerstörer gaben an jenem Tag mit ihren 60 Geschützen rund 2300 Schuss ab.177 Hinzu kamen gerade einmal 26 Haubitzen der US-Feldartillerie178; alliierte Luftunterstützung gab es nicht. Die deutschen Geschütze traten kaum in Erscheinung.179 Zweifellos stellte der Angriff auf einen abwehrbereiten Gegner, der von eigenen Kriegsschiffen unterstützt wird, eine Herausforderung dar. Doch die Verhältnisse im Juli 1943 waren nicht mit der alliierten Landung in der Normandie ein Jahr später zu vergleichen. Teile der amerikanischen Truppen waren unerfahren, und der Einsatz von Artillerie ist im Krieg allgemein üblich. Vielmehr zeigte sich, dass die Division »Hermann Göring« den Anforderungen der Kämpfe auf Sizilien schlicht nicht gewachsen war. Ihr Kommandeur sah sich dann auch zu harschen Worten genötigt. In einer von den Amerikanern erbeuteten Mitteilung an die Truppe hieß es: »In den vergangenen Tagen habe ich die bittere Erfahrung gemacht, Szenen zu beobachten, die eines deutschen Soldaten unwürdig sind, insbesondere eines Soldaten der Division ›Hermann Göring‹. Unter hysterischem Gebrüll kamen Männer ins rückwärtige Gebiet gerannt, weil sie die Detonation eines einzigen Schusses gehört hatten, der irgendwo in der Ferne abgefeuert worden war. […] Ich möchte festhalten, dass nicht nur die jüngeren Soldaten, sondern auch Unteroffiziere und Feldwebel sich kopfloses Verhalten haben zuschulden kommen lassen. Panik, Panzerfurcht und die Verbreitung von Gerüchten sind mit den schärfsten Maßnahmen zu unterbinden. Feigheit und Rückzug ohne 199
Befehl sind auf der Stelle zu bestrafen, notfalls auch mit Waffengewalt. Gegen solche Saboteure des Befreiungskampfes unserer Nation werde ich die strengsten kriegsgerichtlichen Maßnahmen anwenden, und ich werde nicht zögern, in schwerwiegenden Fällen Todesurteile auszusprechen.«180 200
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Die Erfahrung mit der Division »Hermann Göring« offenbarte, dass es keine gute Idee war, unter dem Kommando der Luftwaffe eine Panzerdivision aufzubauen. Hier wiederholten sich die Probleme, die schon bei den Luftwaffenfelddivisionen an der Ostfront zutage traten.181 Doch gegen die Aufstellung militärischer Sonderformationen durch Göring, den zweiten Mann im Staate, konnte die Wehrmacht nichts ausrichten. Die Fehlschläge vom 10./11. Juli waren zudem nicht nur mit der Unerfahrenheit einer Division zu erklären.182 Die Wehrmacht hatte generell kein Konzept, wie man auf die gut schießende feindliche Artillerie reagieren sollte. Auch wäre es notwendig gewesen, sofort alle irgendwie verfügbaren Kräfte zum schnellen Gegenangriff zusammenzufassen – auch wenn dies ein Risiko für andere Frontabschnitte bedeutet hätte. Doch die deutsche Führung traute sich zunächst nicht, die 15. Panzergrenadierdivision aus dem Westen Siziliens heranzuziehen; als dies dann doch geschah, war es für einen Angriff zu spät.183 In nuce war damit die ganze Problematik der kommenden deutschen Offensivkriegführung gegen die Westalliierten beschrieben: keine kühnen Reaktionen auf operativer Ebene, zu langsames Reagieren, wenn es auf Stunden ankam, Ignorieren der schlachtentscheidenden Rolle der Artillerie und mangelnde Ausbildung der eigenen Truppen im taktischen Bereich. Die 202
Schlussfolgerungen des Oberkommandos des Heeres aus dem Misserfolg blieben freilich blass. Dort meinte man, dass künftig ein »beherzter« Gegenstoß und die Verbesserung der Nachtausbildung die Sache schon richten würden.184 Salerno Nach der Eroberung Siziliens durch die Alliierten erwartete die Wehrmachtführung weitere Landungen auf den nur schwach verteidigten Inseln Sardinien und Korsika, in Kalabrien sowie zwischen Neapel und Salerno. Letztere Region bot sich für eine große amphibische Operation geradezu an: Sie lag in Reichweite alliierter Jagdflugzeuge, die Strände waren für eine Anlandung gut geeignet, und das Straßennetz erlaubte einen schnellen Vormarsch ins Hinterland. Als Einheiten der britischen 8. Armee am 3. September 1943 an der Südspitze des italienischen Stiefels bei Reggio übersetzten, zogen sich die deutschen Truppen hinhaltend kämpfend nach Norden zurück. Der Raum NeapelSalerno sollte aber unbedingt gehalten werden, um südlich von Rom eine stabile Abwehrfront aufzubauen. Mehr schien angesichts der politischen Lage nicht machbar zu sein. Italiens Waffenstillstandsabkommen mit den Alliierten wurde am Abend des 8. September bekannt, woraufhin Hitler die Operation »Achse« auslöste. Die Wehrmacht bemächtigte sich umgehend der Kontrolle des Landes und entwaffnete das Millionenheer italienischer Soldaten. Zu diesem Zeitpunkt war die Region zwischen Gaeta und Salerno mit drei deutschen Divisionen vergleichsweise stark gesichert. Die Luftaufklärung erkannte zudem die herannahende alliierte Landungsflotte. Am 8. September deutete alles auf eine Invasion im Golf von Salerno oder im Golf von Neapel hin. »Die gesamte Landeflotte liegt ausser Sicht der Küste vor dem Golf von Salerno«, schrieb der 203
Kommandeur des XIV. Panzerkorps am Abend in sein Tagebuch. »Ich erwarte den Angriff für morgen früh. […] Sie sollen dann ihren Dämpfer bekommen.«185 Tatsächlich gingen in den frühen Morgenstunden des 9. September zwei britische Divisionen im Norden und zwei amerikanische im Süden der Bucht von Salerno an Land. Die 16. Panzerdivision verteidigte diesen 45 Kilometer breiten Abschnitt186, und es gab den ganzen Tag über heftige Kämpfe. Doch der Verband war zu schwach, um die Anlandung zu verhindern.187 In den folgenden Tagen zog das Oberkommando der 10. Armee erst die bei Neapel liegende Division »Hermann Göring«, dann die aus dem Süden heraneilende 29. Panzergrenadierdivision und schließlich noch Teile der 26. Panzerdivision sowie der 15. und 3. Panzergrenadierdivision zusammen.188 Am 13. September starteten die Deutschen einen großen Gegenangriff, der zunächst gut vorankam. Freudig wurde sogleich eine Erfolgsmeldung über den Äther geschickt: »Nach 4-tägiger Abwehrschlacht Feindwiderstand im Zusammenbrechen. 10. Armee in zügiger Verfolgung auf breiter Front.«189 Nun komme es darauf an, den Gegner restlos zu vernichten, zumal die Funkaufklärung schon melde, dass Salerno geräumt würde. »Damit scheint die Schlacht um Salerno beendet zu sein«, hieß es reichlich voreilig im Kriegstagebuch der 10. Armee. Auch General Balck war optimistisch, glaubte bei weiterem Angriff unbedingt an einen Erfolg. »Engländer kämpften schlecht.«190 In dem ganzen Verhalten ihrer Infanterie erkenne man, dass der Krieg bei ihnen nicht populär sei. Doch schon bald machte sich Ernüchterung breit. Von einem Sieg konnte keine Rede sein. Der deutsche Angriff blieb nach wenigen Kilometern im Artilleriefeuer stecken. Ebenso erging es allen weiteren Versuchen in den nächsten beiden Tagen, den Brückenkopf 204
noch einzudämmen. Die Alliierten hatten zudem Verstärkung erhalten, sodass die Krise aus ihrer Sicht schon am 14. September überstanden war. Vier Tage später brach die Wehrmacht die Schlacht ab, da die britische 8. Armee aus Kalabrien aufgeschlossen hatte. Die deutschen Truppen zogen sich auf die Gustav-Stellung südlich von Rom zurück, die sie bis Mai 1944 verteidigten. Warum gelang es der Wehrmacht nicht, die Alliierten zurück ins Meer zu werfen und ihnen eine empfindliche Niederlage beizubringen, obwohl bald Kräfte von sechs schnellen Divisionen versammelt waren? Zwar waren diese nicht alle voll aufgefüllt und mit allen Teilen verfügbar, dennoch war die Kampfkraft der Wehrmacht bei Salerno erheblich. Die deutschen Befehlshaber vor Ort waren fast ausnahmslos Veteranen der Blitzfeldzüge, hatten britische Verbände 1940/41 vor sich hergejagt und viel Erfahrung in der Führung schneller Einheiten auch in kritischen Lagen gesammelt. Ihre Truppen waren ausgeruht und vielfach kampferfahren. Als gängige Erklärung für die Niederlage dienten die alliierte Luftüberlegenheit und vor allem die gegnerische Schiffsartillerie.191 Beides spielte zweifellos von Anfang an eine große Rolle, wenngleich die deutsche Luftwaffe in diesen Tagen alles zur Unterstützung der deutschen Truppen im Raum Salerno einsetzte, was im Mittelmeerraum noch zur Verfügung stand. Doch trotz etlicher Erfolge konnte sie weder den Alliierten die Luftherrschaft streitig machen noch das Eingreifen der gegnerischen Flotte in die Landkämpfe verhindern.192 Freilich war die Wirkung der alliierten Luftstreitkräfte anfangs noch begrenzt, weil deren Jagdflugzeuge am Rande ihrer Reichweite operierten. Erst als es nach vier Tagen gelang, im Brückenkopf Flugplätze 205
anzulegen, nahm die Bedeutung von Luftnahunterstützung zu.193 Viel entscheidender war die Rolle der Schiffsartillerie. Sie wurde vom ersten Tag an als wesentlicher Grund für das Scheitern deutscher Gegenangriffe genannt. So schrieb die 16. Panzerdivision, dass der Artillerieeinsatz des Gegners alle bisherigen Vorstellungen übertroffen habe.194 Die Alliierten konnten im Golf von Salerno sieben leichte Kreuzer, zwei Monitore und rund dreißig Zerstörer zur direkten Unterstützung der britischen und amerikanischen Landetruppen versammeln. Diese stellten mit rund 200 Rohren mittlerer Artillerie eine beachtliche Feuerkraft dar.195 Im Vergleich zu den Materialschlachten des Ersten Weltkriegs erscheint die Zahl der Geschütze nicht sehr hoch. Doch Schätzungen zufolge verschossen sie innerhalb von acht Tagen über 11 000 Tonnen Granaten zur Unterstützung der Landungstruppen.196 Damit verbrauchte allein die alliierte Schiffsartillerie vor Salerno knapp 50 Prozent der Munitionsmenge, die die Wehrmacht im gesamten Polenfeldzug einsetzte. Hinzu kam noch die reguläre Landartillerie. In Salerno zeichnete sich also ab, was sich schon vor El Alamein im Oktober 1942 oder auf Sizilien im Juli/August 1943 angedeutet hatte: Die Wehrmacht war gegen die alliierte Feuerkraft weitgehend machtlos. Interessanterweise sind keine Dokumente überliefert, die diesen Befund reflektieren; es blieb bei Forderungen an Luftwaffe und Kriegsmarine, die alliierten Kriegsschiffe auszuschalten.197 Diese kreuzten in der Bucht von Salerno ganz dicht unter Land, manchmal weniger als einen Kilometer von der Küstenlinie entfernt, und wurden offenbar nie ernsthaft von deutscher Artillerie behelligt. Obwohl schon in einem Führerbefehl vom 17. August als Schwerpunkt der 206
Landung der Raum Neapel-Salerno erkannt war198, gab es keinerlei Vorbereitungen, besonders weitreichende Artillerie in den Raum zu verlegen, um damit die feindlichen Kriegsschiffe zu bekämpfen.199 Auch Überlegungen, vor allem bei Nacht anzugreifen, um die Wirkung des feindlichen Artilleriefeuers zu minimieren, scheint es nicht gegeben zu haben. Allem Anschein nach machte sich Generalfeldmarschall Albert Kesselring als Oberbefehlshaber Süd keine Gedanken darüber, wie eine alliierte Großlandung abzuweisen sei, obwohl seine Truppen zwei Monate zuvor auf Sizilien vor demselben Problem gestanden hatten. Ihn beschäftigte vor allem die Frage, wie angesichts des drohenden Seitenwechsels der Regierung Badoglio die Kontrolle zumindest über Mittelitalien gewonnen werden konnte.200 Süditalien glaubte man angesichts dieser Lage ohnehin nicht halten zu können. Die Vorbereitungen sahen vielmehr vor, dass sich die südlich von Rom liegende 10. Armee im hinhaltenden Kampf zurückziehen und möglichst viel Beutegut nach Norden abtransportieren sollte. Bemerkenswerterweise reagierte das vor Ort liegende XIV. Panzerkorps in den entscheidenden Stunden nur zögerlich, obwohl sein Kommandeur Hermann Balck geradezu als Inkarnation deutscher Blitzkriegführung galt. Aufgrund der schlechten Nachrichtenverbindungen zwischen den deutschen Stäben kam es einmal mehr darauf an, wie die Kommandeure vor Ort agierten. Eigentlich waren deren schnelle Entscheidungen im Sinne der Auftragstaktik und des Führens von vorne die Stärke der Wehrmacht, hatten oftmals den Erfolg gebracht. Doch als die alliierten Truppen am 9. September morgens um 3:30 Uhr den Strand der Bucht von Salerno betraten, blieb die kühne Reaktion der Verbände des XIV. Panzerkorps aus: keine schnelle Schwerpunktbildung 207
aller Kräfte, kein Vorwärtsdrängen, keine Führung von vorne, so wie es die deutsche Doktrin eigentlich bestimmte. Balck lag zu diesem Zeitpunkt mit gebrochenen Rippen im Krankenbett, weil sich sein Fieseler Storch zwei Tage zuvor beim Start überschlagen hatte. Aber offenbar gab es auch keinen Plan, im Falle einer Landung sofort alle Verbände des Korps an einem Abschnitt zur Abwehr zu versammeln. Die 16. Panzerdivision kämpfte bis zum Abend des 11. September weitgehend allein und verlor deshalb wichtige Verteidigungspositionen. Die Division »Hermann Göring« lag keine 80 Kilometer entfernt und die 15. Panzergrenadierdivision auch nur rund 120 Kilometer nördlich. Aber weil in den Köpfen der deutschen Führungsstäbe das Gespenst weiterer Landungen herumgeisterte und in den entscheidenden Stunden Kräfte zurückgehalten wurden, ging wertvolle Zeit verloren.201 Dabei spielte Balck eine zentrale Rolle, da er – anders als von der 10. Armee gewünscht – nicht alle seine Kräfte sofort nach Salerno warf.202 Hinzu kam, dass die aus dem Süden heraneilende 29. Panzergrenadierdivision, die schon Tage vor der Landung in den Raum südlich Salernos befohlen worden war, sechzig Kilometer vom Schlachtfeld entfernt fast zwei Tage lang mit leeren Tanks liegen blieb. Der Oberquartiermeister der Heeresgruppe hatte den Treibstoffbedarf für den Marsch auf den gebirgigen Straßen falsch berechnet. Hilfe schien in greifbarer Nähe, da nur wenige Kilometer von den Spitzen der Division entfernt in der Hafenstadt Sapri eine Tankpeniche mit 250 Tonnen Benzin und Diesel an Bord lag. Doch der Kapitän versenkte das Schiff, als er irrtümlich annahm, eine alliierte Landungsflotte nähere sich. Nur mühsam gelang es, Ersatz zu beschaffen und die Panzergrenadierdivision wieder beweglich zu machen. Deren Vorhut erreichte erst am 11. September das 208
Gefechtsfeld.203 Und erst zwei Tage später erfolgte ihr Gegenangriff zusammen mit Teilen der 16. Panzerdivision. Die 10. Armee behauptete, bei einem früheren Eingreifen wäre »der Sieg von Salerno sicher gewesen«204, zumal auch das Eingreifen der Division »Hermann Göring« durch Betriebsstoffmangel entscheidend aufgehalten worden sei. Dieses Urteil mag übertrieben sein und war wohl Teil eines nachträglichen blame game. Aber zweifellos wirft es ein fragwürdiges Bild auf die Wehrmacht, wenn im entscheidenden Moment einer Gegenoffensive den heraneilenden Divisionen das Benzin ausgeht. Man befand sich ja nicht in den Weiten der Donsteppe, Hunderte Kilometer von der nächsten Bahnlinie entfernt, sondern in Italien, wo man sich trotz aller Transportprobleme seit geraumer Zeit eingerichtet hatte.205 Als die Wehrmacht nach vier Tagen dann endlich zum Gegenangriff überging, hatte sie ihre Truppen immer noch nicht an einer Stelle massiert, und die Operation zerfiel letztlich in Attacken von ein bis zwei Bataillonen mit Unterstützung von jeweils 20 bis 30 Panzern. An der Ostfront mochten solche Kampfgruppen Erfolg haben.206 Vor Salerno aber kam der Angriff nicht nur zu spät, es fehlte ihm auch an Durchschlagskraft. Vor allem gab es kein Konzept, wie man dem feindlichen Artilleriefeuer begegnen konnte, dessen Heftigkeit alle überraschte. Nur eine schnelle Verstärkung der eigenen Abwehr und ein konzentrischer Nachtangriff 24 oder spätestens 48 Stunden nach der Landung hätten die Alliierten wirklich in Schwierigkeiten bringen können. Das bedeutet freilich auch, dass der Ausgang der Schlacht am Morgen des 9. September noch offen war. Anders als im Juni 1944 in der Normandie besaßen die Alliierten noch keine so erdrückende Überlegenheit, dass jeder Widerstand von vornherein 209
hoffnungslos war. Insbesondere die amerikanischen Truppen hatten nur wenig Kampferfahrung. Die 36. USInfanteriedivision erlebte in Salerno gar ihre Feuertaufe. Obwohl sie in Überzahl war, setzten ihr die deutschen Truppen schwer zu. Eines ihrer Regimenter wurde im Kampf um die kleine Gemeinde Altavilla von einem einzelnen Bataillon der 29. Panzergrenadierdivision zerschlagen. In deutschen Akten findet sich daher immer wieder der Hinweis, die eigene Truppe sei der feindlichen Infanterie überlegen.207 Das dürfte tendenziell durchaus zutreffend gewesen sein. Doch selbst wenn es einzelnen Kampfgruppen gelang, die Alliierten zu überrennen, die Lage nach Einschätzung des amerikanischen Oberbefehlshabers Mark Clark am 13. September »extremely critical«208 war und es auf dem Höhepunkt der deutschen Gegenangriffe sogar Vorbereitungen zur Räumung gab, blieben diese Erfolge doch Episode. Die deutschen Kräfte waren zu schwach, um die Alliierten ernsthaft zu gefährden. Auch auf der untersten taktischen Ebene verlief nicht alles zur Zufriedenheit der deutschen Militärführung. Die Panzerfahrer seien so unerfahren, dass sie sich rasch festfuhren und vom Gegner abgeschossen wurden209, hieß es in einem Bericht. Auch wurde gefordert, die Soldaten müssten im Gefecht mehr mit Gewehr und MG schießen und dürften die Abwehr feindlicher Angriffe nicht allein den schweren Waffen überlassen.210 Balck monierte, dass die Truppe zu jung und unerfahren sei und es teilweise schlechte Führer gäbe. Die Soldaten würden kleinere Krisen aus eigener Kraft nicht überwinden.211 Zudem warf er der 10. Armee vor, nicht straff und klar geführt und die Schwerpunktbildung auf dem Gefechtsfeld verpasst zu haben. Freilich trug er daran, wie bereits erwähnt, ein erhebliches Maß an Mitverantwortung. 210
Noch während der Schlacht begannen die deutschen Dienststellen, Schuldige für die Niederlage zu identifizieren. Die Armee beklagte schon früh, dass sie weder eine Quartiermeisterabteilung habe noch über ausreichende Nachrichtenmittel verfüge, um ihre Einheiten zu führen.212 Doch dass die Wehrmacht ganz offensichtlich nicht genug Feuerkraft aufbringen konnte, der Angriff ihrer Truppen vor allem nicht präzise genug von der eigenen Artillerie unterstützt wurde, thematisierte man nicht.213 Die oberen Stäbe reichten die Verantwortung für den gut kaschierten Misserfolg nach unten durch. Als Sündenbock wurde schließlich der Kommandeur der 16. Panzerdivision, Generalmajor Rudolf Sieckenius, ausgemacht. Er wurde am 1. November von seinem Kommando entbunden, in die Führerreserve versetzt und erhielt fortan nur noch Kommandos über eine Infanterie- und schließlich über eine drittklassige Sicherungsdivision. Am 28. April 1945 fiel er bei den Kämpfen im Kessel von Halbe südlich von Berlin.214 Offiziell galt die Schlacht von Salerno trotz aller zutage getretenen Mängel als Erfolg. Die deutschen Truppen waren nicht abgeschnitten worden, hatten die Alliierten zunächst zurückgeschlagen und konnten in den folgenden Wochen in Ruhe eine Verteidigungsfront aufbauen. Balck freute sich, dass »die Kerle gründlich einen auf die Nase bekommen haben« und teilweise »recht böse zerpflückt« worden seien.215 Die deutschen Verluste beliefen sich auf 3500, die der Alliierten auf 9000 Mann.216 Das Verhältnis von 1 : 2,75 war ein beachtliches Resultat, da die Wehrmacht meist in Unterzahl kämpfte und über weniger Artillerie und Luftunterstützung verfügte. Jedoch: Am Kasserinpass in Tunesien im Februar 1943 hatte das Verhältnis noch 1 : 5 betragen. Die Alliierten lernten hinzu. 211
Anzio Nach dem Abbruch der Schlacht von Salerno zog sich die Wehrmacht auf eine Verteidigungslinie rund 120 Kilometer südlich von Rom zurück. Hinter den Kulissen tobte unterdessen ein heftiger Strategiestreit zwischen Briten und Amerikanern. Während Roosevelt alle Anstrengungen auf die Landung in der Normandie im Sommer 1944 richtete, war Churchill vor allem am Mittelmeerraum und einer schnellen Eroberung Italiens interessiert.217 Er konnte schließlich durchsetzen, dass Schiffsraum für eine Landung von zunächst zwei Divisionen 90 Kilometer hinter der deutschen Frontlinie zur Verfügung gestellt wurde. So sollte die deutsche Verteidigung ausgehebelt und Rom alsbald eingenommen werden. Als dann in den Morgenstunden des 22. Januar 1944 alliierte Truppen nördlich und südlich von Anzio an Land gingen, trafen sie auf keinen Widerstand. Die Deutschen waren seit fünf Tagen ganz auf die Abwehr der ersten MonteCassino-Offensive konzentriert und von der Landung vollkommen überrascht.218 Doch der amerikanische Oberbefehlshaber John P. Lucas nutzte das Momentum nicht. Er wollte erst einmal den Brückenkopf sichern; ein rascher Vorstoß auf Rom oder auf die 20 Kilometer entfernten Albaner Berge erschien ihm zu riskant. Die Wehrmacht hatte also Glück im Unglück. Die Untätigkeit der Alliierten verschaffte ihr Zeit, um alle irgendwie verfügbaren Kräfte aus Italien, Frankreich und Jugoslawien aufzubieten. Nach drei Tagen waren mehrere deutsche Divisionen vor Ort und verhinderten die ersten Versuche der Alliierten, den Brückenkopf auszuweiten. Anfang Februar begannen die Deutschen ihre Gegenangriffe. Unter großen Verlusten gelang es zunächst, einen Frontvorsprung der Briten auszuräumen und diese einige 212
Kilometer zurückzudrängen. Am 16. Februar, also knapp vier Wochen nach der Landung, startete Operation »Fischfang«. Ziel dieser groß angelegten Offensive war es, den Brückenkopf zu spalten und die Alliierten wieder ins Meer zurückzuwerfen. Was in Salerno nicht geglückt war, sollte nun mit sorgfältiger Vorbereitung klappen. Die Bedeutung dieser Operation für das Selbstverständnis der Wehrmacht kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Gewiss, sie fand an einem Nebenkriegsschauplatz statt, und die Zahl der eingesetzten Soldaten war niedriger als etwa bei der Kesselschlacht von Tscherkassy, die zum selben Zeitpunkt an der Ostfront tobte. Doch der Kampf um Anzio/Nettuno hatte einen hohen symbolischen Wert: Gelang es nicht, den Brückenkopf zu beseitigen, würde Rom auf Dauer kaum zu halten sein. Noch wichtiger war aber, dass Hitler und die Wehrmachtführung zeigen wollten, wozu ihre Streitkräfte noch fähig waren. Seit Februar 1943 hatte es im Kampf gegen Briten und Amerikaner nur Rückzüge gegeben.219 Nun galt es, den Beweis zu erbringen, dass man sie auch noch besiegen konnte, um damit zugleich ein wichtiges politisches Signal zu geben.220 Die Gefechte in den ersten 14 Tagen gaben bereits einen Vorgeschmack auf die Heftigkeit des bevorstehenden Kampfes, und die Spuren des vierten Kriegsjahres waren unübersehbar.221 Selbst erfahrene Einheiten wie die 29. Panzergrenadierdivision, die seit Sizilien dabei war, hatten viele unzureichend ausgebildete junge Soldaten in ihren Reihen. »Die meisten haben die Schnauze voll«, bemerkte der Gefreite Gerhard Schubert. Er war ein Veteran der Division, war an der Ostfront verwundet worden und kam nun in Italien wieder an die Front. Er meinte auch, dass die Offiziere zu jung und nicht mutig genug seien. Gewiss ist diese Stimme nicht 213
repräsentativ, aber sie zeigt doch, dass es um die innere Struktur selbst alter Einheiten nicht zum Besten stand.222 Allen war bewusst, dass man einen verteidigungsbereiten Gegner angreifen musste. Hier vor Anzio konnte es keine Überraschung geben, keine kühnen Manöver von Panzerverbänden. Die Führung versuchte den Angriff bestmöglich vorzubereiten. Besonderes Augenmerk wurde diesmal auf die Artillerieunterstützung gelegt, die so umfangreich wie nie war. 452 Rohre waren zusammengezogen, darunter auch zwei riesige 28-cmEisenbahngeschütze, die zusammen mit etlichen 17-cmBatterien die alliierten Kriegsschiffe vertreiben sollten. Das Niederhalten der feindlichen Artillerie und die Unterstützung der eigenen Infanterie wurden sorgsam geplant. Zudem wurde das Neueste an Waffentechnik aufgeboten, was deutsche Rüstungsschmieden zu bieten hatten: ferngelenkte Sprengpanzer, Sturmpanzer zur Unterstützung der Infanterie, Panzerjäger vom Typ »Ferdinand« mit ihrer weit reichenden 8,8-cm-Kanone, ferner Tiger- und Panther-Panzer. Und da die Generäle um die Bedeutung dieses Angriffs wussten, verschärfte sich auch der Duktus ihrer Befehle. Restloser persönlicher Einsatz wurde verlangt, unnachgiebiges Vorgehen gegen Schwächen, Fehler und Versagen.223 Hitler ging noch einen Schritt weiter, sprach von »fanatischem Willen und heiligem Hass«, von dem die deutschen Truppen durchdrungen sein müssten.224 Die Aussichten der Operation wurden trotz aller Schwierigkeiten von der höheren Führung günstig, von den Generälen an der Front aber eher kritisch beurteilt.225 Als die Operation »Fischfang« am Morgen des 16. Februar um 6:30 Uhr begann, war Albert Kesselring auf den vorgeschobenen Gefechtsstand der 10. Armee geeilt, um das 214
Aufrollen des Brückenkopfes selbst mitzuerleben. Doch ihm gefiel nicht, was er sah: Die deutsche Infanterie geriet sogleich in schweres Artilleriefeuer, erlitt hohe Verluste und konnte sich nur mühsam vorwärtskämpfen. »Das ganze Gelände nur ein Blutbad – weiter nichts«, erinnerte sich ein Oberfeldwebel.226 Zu allem Übel schien auch noch die Sonne, ganz entgegen der Wettervorhersage. Die alliierte Luftwaffe griff pausenlos die deutschen Angriffsspitzen an. Der von tagelangem Regen aufgeweichte Boden machte den Einsatz von Panzern und allem herbeigeschafften Spezialgerät unmöglich. Wie im Ersten Weltkrieg kam es nun auf das Zusammenspiel von Infanterie und Artillerie an. Immerhin spielte die feindliche Schiffsartillerie – anders als in Salerno – keine besondere Rolle227, umso mehr dagegen die reguläre Artillerie der Briten und Amerikaner. Die Deutschen schafften es trotz hohen Munitionsaufwands nicht, diese tödliche Bedrohung auszuschalten.228 Schon am dritten Tag mussten die noch in Reserve gehaltenen 29. Panzergrenadier- und 26. Panzerdivision eingesetzt werden, um die feindlichen Linien doch noch zu durchbrechen. Aber auch ihr Einsatz verpuffte. Der Kontakt zu den beiden am weitesten vorgestoßenen Bataillonen ging verloren. Draht, Funk, Melder, Offiziere – niemand kam in dem mörderischen Artilleriefeuer mehr zu den Männern durch.229 Sie wurden von amerikanischen Gegenangriffen bald aufgerieben, kaum einer überlebte. Am 20. Februar brach die Wehrmacht den Angriff ab. Sie war nur vier Kilometer vorangekommen und hatte nach offiziellen Angaben 5400 Verluste230 erlitten. Die Alliierten büßten 3500 Mann ein. Beide Seiten hatten damit seit Beginn der Landung jeweils knapp 20 000 Mann verloren. Als neun Tage später weiter östlich ein neuer Angriff von vier Divisionen befohlen wurde, kam dieser gerade einmal 800 215
Meter voran, obwohl diesmal das schlechte Wetter den Einsatz der alliierten Luftwaffe verhinderte. Alle Anstrengungen, die Alliierten ins Meer zurückzuwerfen, waren vergebens geblieben. Feldmarschall Kesselring war außer sich. Er glaubte an eine Überschätzung des Feindes durch die Truppe, meinte gar eine »unverständliche Zurückhaltung« festzustellen und forderte, dass die Soldaten ihr altes Selbstvertrauen wiedergewinnen und wie früher »von ungestümem Vorwärtsdrang« beseelt sein müssten. Er beschimpfte die örtlichen Befehlshaber, warf ihnen mangelnden Druck und Defätismus vor.231 Das zeigte freilich nur, wie weit der Oberbefehlshaber Süd mittlerweile von der Realität entfernt war. Generaloberst Mackensen fuhr mit Josef Moll, seinem Feindnachrichtenoffizier, an die Front. Dieser hielt seine Eindrücke fest: »Da tat sich nichts mehr. Die Soldaten hockten in ihren Schützenlöchern und blieben trotz wiederholter Aufforderung, doch anzugreifen und vorwärts zu gehen, einfach liegen. Ich war von diesem Eindruck wohl derart schockiert, dass ich, mich an den Generaloberst wendend, sagte: ›Wir haben den Krieg endgültig verloren‹. Meinem Oberbefehlshaber, diesem Hünen von Gestalt, standen Tränen in den Augen. Er blieb mir seine Antwort schuldig.«232 Mackensen machte nach diesen Eindrücken Kesselring darauf aufmerksam, dass der junge Ersatz den Kämpfen nicht gewachsen war, weil er zu schlecht ausgebildet sei und es an erfahrenen Führern und Unterführern fehle. Die Beseitigung des Brückenkopfes sei mit diesen Truppen schlicht nicht zu erreichen.233 Doch für den Moment hatten beide Seiten ihre Kräfte erschöpft. Es folgte ein zweieinhalbmonatiger Stellungskrieg, bis die Alliierten im Mai 1944 aus ihrem Landekopf ausbrachen und wenig später Rom einnahmen. 216
Wie bei Salerno wurde schon während der Schlacht eifrig protokolliert, warum der Angriff nicht funktionierte, warum diese oder jene Chance ausgelassen worden sei. Die Aktennotizen von Heeresgruppe, Armee oder Korps wurden immer auch mit dem Ziel erstellt, dem jeweils anderen die Schuld für den Misserfolg zuzuschieben. Richtig ist sicherlich, dass die Deutschen weniger Munition zur Verfügung hatten als ihre Gegner, die Luftunterstützung schwach war und das schwierige Gelände den Einsatz ihrer überlegenen Panzerwaffe verhinderte. In der Nachkriegsbetrachtung wurde vor allem Hitler für das Scheitern verantwortlich gemacht.234 Ein genauer Blick in die Akten zeigt jedoch, dass dieser sich von militärischen Argumenten durchaus überzeugen ließ und vielmehr in den Streit verschiedener Führungsstäbe eingriff – was seine Aufgabe als Oberster Befehlshaber war. Die Gründe für den Misserfolg lagen also tiefer, wie in den Worten General Mackensens bereits angeklungen war. Das deutsche Heer war ganz offensichtlich nicht mehr angriffsfähig, konnte nicht mehr leisten, was man von ihm erwartete. Für den Stabschef der Heeresgruppe Süd, Siegfried Westphal, war das Scheitern der Operation »Fischfang« – glaubt man seiner Nachkriegsdarstellung – ein Wendepunkt, eine Art »schwarzer Tag des deutschen Heeres«.235 Erich Ludendorff hatte diese Formulierung für den 8. August 1918 geprägt, als es britischen Panzern gelungen war, die deutschen Linien zu durchbrechen und Tausende Gefangene zu machen. Für die Oberste Heeresleitung war das ein Schock gewesen, weil ihr dämmerte, dass die deutsche Defensive die Fähigkeit verloren hatte, den alliierten Angriffen zu trotzen. Insofern hatte Westphals Analogie zum Ersten Weltkrieg in der Tat etwas für sich. Doch im Unterschied zu damals war die Wehrmacht im Frühjahr 1944 sehr wohl noch 217
verteidigungsfähig. Wie im August 1918 verlor sie aber den Glauben an ihre Fähigkeiten. Ganz offensichtlich hatten sich alle Hoffnungen, die Alliierten doch noch besiegen zu können, wenn der Angriff nur sorgfältig genug vorbereitet war, als trügerisch erwiesen. Wie aber wollte man die drohende alliierte Landung in Frankreich zurückschlagen, gar den Krieg zu einem glücklichen Ende bringen, wenn man noch nicht einmal in der Lage war, einen örtlich begrenzten Angriff zum Erfolg zu führen? Als Westphal am 6. März 1944 auf dem Obersalzberg über die Lage vor Anzio vortrug, war das Gewicht seiner Worte Hitler sehr wohl bewusst. Dass die Infanterie nicht mehr angriffsfähig sei, kam einer Bankrotterklärung gleich, die der Diktator nicht akzeptieren wollte.236 Die Schwierigkeiten müssten eben überwunden werden, hieß es. Dem Artilleriekrieg von Amerikanern und Briten waren auch vermeintlich hervorragende deutsche Verbände nicht gewachsen. In Anzio stand das Lehrregiment der Infanterieschule Döberitz im Zentrum der Offensive. Trotz vieler frontbewährter Soldaten in seinen Reihen schlug sein Angriff nicht durch. Es erlitt hohe Verluste, geriet nach dem Ausfall vieler Offiziere und Unteroffiziere in Panik und wich unkontrolliert 500 Meter zurück – damals eine Todsünde. Es folgte sogar eine offizielle Untersuchung, warum die hohen Erwartungen nicht erfüllt worden waren. Doch alle Stellen waren um Beschwichtigung bemüht. Man schob das Versagen auf die außergewöhnlich schlechten Rahmenbedingungen; die Ausbildungsgrundsätze der Infanterieschule seien nicht zu beanstanden.237 Einem weiteren Eliteverband erging es ähnlich. Das Fallschirmjäger-Lehrbataillon, das am 12. September 1943 in einer spektakulären Aktion Benito Mussolini vom Gran Sasso befreit hatte, wurde bereits am 218
ersten Angriffstag »aufgerieben und hatte bald nur noch gut 50 Mann Gefechtsstärke«.238 »Die Alliierten führen Krieg mit der Artillerie, während wir mit Gewehren und Blut antreten«, bemerkte ein deutscher Fallschirmjäger, der vor Anzio in Gefangenschaft geraten war, ernüchtert.239 Am Brückenkopf von Anzio kämpfte auch eines der prestigeträchtigsten deutschen Regimenter: Das berühmte I. R. 9 aus Potsdam, das die Tradition der kaiserlichen Gardeverbände weiterführte, war 1942 als Panzergrenadierregiment 9 in die 26. Panzerdivision eingegliedert worden und beteiligte sich an allen Angriffsoperationen im Februar 1944. Doch auch diese Einheit war nach vier Jahren Krieg längst nicht mehr auf dem alten Leistungsstand. Der im Dezember 1943 eingetroffene Ersatz war für den in Italien so wichtigen Nachtkampf – zum Schutz vor alliiertem Artilleriefeuer – gar nicht, in der Handhabung des MG nur unzureichend geschult. Der Ausbildungsstand des Regiments fiel – wie bei allen infanteristischen Einheiten der Division – durch die Verluste an erfahrenen Offizieren, Unteroffizieren und älteren Mannschaften im Winter 1943/44 deutlich ab. So haperte es an der Zusammenarbeit der verschiedenen Waffengattungen im Angriff.240 Als das Regiment zusammen mit anderen hektisch an den Brückenkopf geworfenen Teilen der Division am 31. Januar einen ersten Gegenangriff unternahm, verlief dieser reichlich chaotisch. Die Armee beklagte sich, dass bei der Division »nichts klappt«, und selbst ihr 1. Generalstabsoffizier musste zugeben, dass sie »versagt« habe.241 Der erfahrene Kommandeur Smilo von Lüttwitz war zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg aus dem Urlaub zurück nach Italien. Sein Stellvertreter hatte offenbar nicht die Fähigkeit, den übereilten Angriff zu koordinieren. Wenn schon vermeintliche 219
Eliteverbände242 den Aufgaben nicht gewachsen waren und im Artilleriefeuer den Zusammenhalt verloren, so galt dies erst recht für weniger exquisite Einheiten wie die 65. oder die 362. Infanteriedivision.243 Hitler forderte, dass nach den Fehlschlägen von Anzio der Kampf nun nach dem Vorbild des letzten Kriegsjahres 1918 zu führen sei. Es müssten Sturmbataillone ausgebildet und die Stellungen des Gegners durch stärkste Artillerie zerschlagen werden. Doch man konnte nicht einfach den Schalter umlegen. Im Ersten Weltkrieg hatte man mehr als zwei Jahre gebraucht, um Taktiken der Sturmtruppen zu erlernen und zu verfeinern.244 Das Pionierbataillon der 26. Panzerdivision war im Februar 1944 noch nicht einmal in der Lage, Minen zu räumen oder Brücken zu bauen, weil es keine Unteroffiziere und Mannschaften gab, die dafür ausreichend geschult waren. Aufgrund der hohen Verluste hatte das Heer am Vorabend der Schlacht von Anzio/Nettuno so viel an Substanz verloren, dass es mehr und mehr an Funktionsfähigkeit einbüßte. In puncto Ressourcenverschleiß war man auf dem Stand von Oktober 1918 angekommen. Bis einschließlich Januar 1944 hatten die Deutschen 1,94 Millionen Tote zu beklagen, hinzu kamen rund 500 000 Gefangene und Millionen Verwundete, die noch nicht genesen waren.245 Dies entsprach in etwa den gesamten Verlusten des Ersten Weltkriegs. Dem deutschen Heer fehlte im Februar 1944 schlicht die handwerkliche Fähigkeit, eine so schwierige Aufgabe wie den Angriff auf einen abwehrbereiten und exzellent ausgerüsteten Gegner zu meistern. Und dies galt nicht nur für die Infanterie, sondern auch für die Artillerie. An der Ostfront war sie die Stütze der Abwehr sowjetischer Angriffe. Dem Kampf gegen Briten und Amerikaner war sie aber nicht gewachsen. Die Westalliierten hatten eine hohe Kunst im Einsatz ihrer 220
Geschütze entwickelt und führten den Feuerkampf mit einem schier unerschöpflichen Munitionsvorrat. Zudem schoss ihre Artillerie präziser und arbeitete besser mit der Infanterie zusammen. Anzio offenbarte die großen Probleme der Wehrmacht auf diesem Gebiet. Die internen Berichte lesen sich dann auch wenig schmeichelhaft: Die Artillerieführung sei nicht straff genug gewesen und müsse viel stärker zusammengefasst werden, es werde zu viel nach Plan und zu wenig auf erkannte Ziele geschossen, die Feuerleitung durch Funk sei »völlig unbekannt«, es fehle an Tornisterfunkgeräten, die Ausbildung der Funker sei schlecht, die der vorgeschobenen Beobachter müsse verbessert werden246, hieß es im Bericht eines Divisionskommandeurs. Zudem kam es vor Anzio zu Unstimmigkeiten über die Frage, ob denn vor allem die feindliche Artillerie niedergehalten oder die eigene Infanterie unterstützt werden sollte. Der örtliche Artillerieführer, der immerhin Kommandeur der traditionsreichen Artillerieschule in Jüterbog gewesen war, verlor gar den Überblick über die verfügbaren Munitionsbestände.247 Von der Bewegung zur Feuerkraft Die Wehrmacht hatte den Artilleriekrieg verlernt. Das Wissen um diesen entscheidenden Teil des Stellungskriegs, den das deutsche Militär im Ersten Weltkrieg bis zur Perfektion beherrschte, war wohl schon in der Zwischenkriegszeit verloren gegangen. Seeckt hatte ganz auf den Bewegungskrieg gesetzt, und schwere Artillerie war der Reichswehr ohnehin verboten gewesen. Spätestens mit dem Frankreichfeldzug 1940 hatten sich Operationen mit motorisierten Verbänden und taktischer Luftunterstützung als das Erfolgsrezept etabliert. Es ging nun nicht mehr um Feuerkraft, sondern um Schnelligkeit. Der Nimbus der Siege der Jahre 1939 bis 1941 wirkte so lange 221
nach, dass eine Anpassung an die Gegebenheiten der zweiten Kriegshälfte zu langsam und nicht systematisch genug erfolgte. Das galt für die übergeordnete Doktrin ebenso wie für eine Neuausrichtung der Taktik. Auch im Rüstungsbereich versuchte man weiterhin, quantitative Nachteile durch die Qualität der eigenen Waffen auszugleichen. Gerade an der alles dominierenden Ostfront schienen die Gesetze des Bewegungskriegs weiterhin gültig zu sein, weil auch die Rote Armee dieser Doktrin verhaftet war und sie Gelegenheit zu lokalen Gegenangriffen bot. Doch der Krieg gegen die Westalliierten war anders. Das hatte sich schon im Oktober 1942 vor El Alamein angekündigt. Briten und Amerikaner strebten nicht nach der großen Kesselschlacht, den schnellen, kühnen Vorstößen, sondern suchten wie 1914– 18 die Deutschen im Stellungskrieg zu zermürben. Das mochte anachronistisch erscheinen, und günstige Gelegenheiten, der Wehrmacht vernichtende Niederlagen zu bereiten, wurden dutzendweise vertan. Insbesondere die Briten scheuten das Risiko und suchten mit zunehmender Dauer des Krieges die eigenen Verluste so klein wie möglich zu halten. Aber sie beherrschten den Artilleriekrieg, und dem hatten die Deutschen nur wenig entgegenzusetzen. Die Wehrmachtführung hat den Wandel des Landkriegs erst spät reflektiert. Anders als im Ersten Weltkrieg war sie nicht in der Lage, neue Anforderungen frühzeitig zu antizipieren und sich dann darauf einzustellen. So blieben die Schlussfolgerungen aus den Erfahrungen des alliierten Artillerieeinsatzes blass. Eine wirklich neue Konzeption für den Kampf in der zweiten Kriegshälfte wurde nicht erarbeitet. Das Lernen ging nicht über die Erstellung kleinteiliger Erfahrungsberichte hinaus, deren analytische Tiefe gering war.248 Im Sommer 1943 wurden bei den Armeen 222
Sturmbataillone aufgestellt, die aber mit denen des Ersten Weltkriegs nur den Namen gemein hatten. Anders als jene hatten sie keine spürbaren Auswirkungen auf den Ausbildungsstand und die Kampftechnik der Truppe. Nach der bitteren Erfahrung von Anzio erkannte der Wehrmachtführungsstab zwar, dass etwas geschehen musste.249 Aber weder die Nachtausbildung der Infanterie noch die Bekämpfung der feindlichen Artillerie wurden konzeptionell vorangebracht. Ein nebensächlich erscheinendes Detail sagt viel über die mangelnde Lernfähigkeit der Wehrmacht aus: Deutsche Berichte bemerkten immer wieder, dass die Alliierten in großer Zahl Nebelmunition verschossen und insbesondere die Briten diese denkbar einfache und sehr wirkungsvolle Taktik nutzten, um die eigenen Truppen vor feindlichen Beobachtern und damit vor gezieltem Artilleriefeuer zu schützen. Auf deutscher Seite wurden solche Methoden nicht genutzt und entwickelt. Einen Nachfolger Georg Bruchmüllers, jenes legendären Obersts, der 1916/17 das deutsche Artillerieschießverfahren revolutionierte250, gab es in der Wehrmacht nicht. Man mag einwenden, dass die alliierte Materialüberlegenheit und die schwierigen Nachschubverbindungen etwa in Italien den Ausgang der Kämpfe ohnehin entschieden hätten.251 Das ist richtig, doch bleibt bemerkenswert, dass die Wehrmacht als Organisation auf einer höheren Ebene nur begrenzt lernfähig war. Einen Wissens- und Erfahrungstransfer von der Front in Italien nach Frankreich scheint es nicht gegeben zu haben. So kann es nicht verwundern, dass sich im Juni 1944 in der Normandie alle Rückschläge aus Italien potenziert wiederholten. Der so ungestüme Panzergeneral Rommel sah als Einziger klar, dass man 1944 anders Krieg führen musste als 1940. Die Zeit der 223
großen Panzervorstöße war vorbei, weshalb er alle schnellen Divisionen an der Küste versammeln wollte. Doch der Oberbefehlshaber West, Gerd von Rundstedt, der schon 1940 die Zeichen der Zeit nicht erkannt hatte, versagte auch diesmal und glaubte, wie zu besten Blitzkriegszeiten den angelandeten Gegner in einer großen Kesselschlacht vernichten zu können. Hitler entschied sich als Oberbefehlshaber für einen Kompromiss zwischen der Konzeption Rommels und derjenigen Rundstedts, und so nahm das Unheil seinen Lauf. Der letzte Akt: 1944/45 Seit Herbst 1943 nahm die Leistungsfähigkeit der Wehrmacht mit rasanter Geschwindigkeit ab. Entsprechend stiegen die Verluste in astronomische Höhen: Von Januar 1944 bis Mai 1945 fielen rund zwei Drittel aller deutschen Soldaten. Nach außen wurde dieser Verfall zunächst dadurch verdeckt, dass die deutschen Truppen überall tief in Feindesland standen und in der ersten Jahreshälfte 1944 in der Defensive zunächst noch recht erfolgreich kämpften. Die alliierte Landung in Frankreich war mit großer Spannung erwartet worden, und die deutschen Militärs rechneten sich eine gute Chance aus, sie abzuschlagen. Doch als die Alliierten am Morgen des 6. Juni 1944 in der Normandie an Land gingen, stießen sie nur an zwei von fünf Landungsabschnitten auf heftigen Widerstand. Die deutsche Führungsebene gab an diesem Tag kein gutes Bild ab. Peter Lieb spricht gar von »Pleiten, Pech und Pannen«.252 Das betraf die unklare Führungsorganisation ebenso wie denkbar unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die Invasion abgewehrt werden sollte. Die 21. Panzerdivision konnte sich am frühen Morgen nicht zu einem geballten Schlag gegen die britischen Fallschirmjäger durchringen und führte dann am Abend des »längsten Tages«, wie der D-Day von den Amerikanern genannt wurde, einen 224
reichlich unkoordinierten Gegenangriff aus, der scheiterte. An den Strandabschnitten Omaha und Juno konnten die wenigen Hundert deutschen Verteidiger Amerikaner und Kanadier bis zum Mittag aufhalten. Doch sie bekamen zu wenig Verstärkung, und der Einsatz der in Reserve gehaltenen Kampfgruppe Meyer geriet zum Fiasko. Auch der Gegenangriff des Fallschirmjägerregiments 6 endete in einem Desaster. Dieser gut ausgebildete und ausgeruhte Eliteverband unter der Führung von Oberstleutnant August Freiherr von der Heydte verzettelte sich bei dem Versuch, den Utah Beach abzuriegeln. Sein I. Bataillon lief in den Hinterhalt einiger Dutzend amerikanischer Fallschirmjäger und wurde vollständig aufgerieben.253 Sehr bald aber fingen sich die deutschen Stäbe und Verbände und lieferten den Alliierten einen blutigen Abnutzungskampf. Dabei erlitten diese ebenso hohe Verluste wie die Wehrmacht – bis Ende Juli rund 120 000 Soldaten.254 In der Verteidigung kämpften die deutschen Truppen hier also zumeist geschickt, wobei ihnen die allzu schematische und risikoarme alliierte Vorgehensweise entgegenkam. Die geplante deutsche Gegenoffensive am 9. Juni aber wurde schon im Ansatz von der britischen Artillerie zerschlagen. Und auch in den folgenden Wochen gelang es nur noch, den Briten in einem größeren Gegenangriff die heftig umkämpfte Höhe 112 bei Caen zu entreißen. Alle Planungen, die alliierten Frontlinien zu durchbrechen, gar den Brückenkopf zu spalten und bis ans Meer vorzustoßen, blieben Makulatur. Und dass obwohl in der Normandie im Juli 1944 die besten Divisionen versammelt waren, die Wehrmacht und Waffen-SS noch ins Feld führen konnten, darunter neun Panzer- und Panzergrenadierdivisionen. Eine solche Streitmacht hatte der Heeresgruppe Mitte 1941 den Weg bis nach Smolensk 225
freigekämpft. Drei Jahre später reichte diese Kraft nur noch für einen fünf Kilometer tiefen Vorstoß auf eine örtliche Anhöhe. Der Ausgang des ungleichen Kampfes war also – anders als in Salerno – von vornherein klar. Fraglich war nur, wann die Alliierten die deutsche Front durchbrechen würden und ob es der Wehrmacht dann noch gelingen würde, sich geordnet zurückzuziehen. Die deutschen Kampftruppen gaben in der Normandie ein denkbar widersprüchliches Bild ab. Mal leisteten Einheiten kaum Widerstand und gingen rasch in Gefangenschaft, mal lieferte sich – wie am 13. Juni im Kampf um den kleinen Ort Bréville nördlich von Caen – ein ganz gewöhnliches Infanteriebataillon mit den britischen Angreifern einen so erbitterten Nahkampf, dass Freund und Feind praktisch ausgelöscht wurden.255 Und während das elitäre Fallschirmjägerregiment 6 am ersten Tag der Landung denkbar ungeschickt agierte und hohe Verluste erlitt, gelang Oberfeldwebel Alexander Uhlig am 23. Juli ein für die Normandieschlacht einmaliger Coup: Er führte eine vielleicht noch dreißig Mann starke Kompanie desselben Regiments zu einem Gegenangriff und nahm 265 in Panik geratene GIs gefangen. Diese Episode sollte für die Tradition der Fallschirmjägertruppe in der Bundeswehr im Übrigen noch eine gewisse Rolle spielen. Ein entsprechender Kunstdruck mit der Unterschrift des erst 2008 verstorbenen Uhlig war weit verbreitet und wurde noch 2017 im Offizierskasino einer Bundeswehrkaserne gesichtet. Nicht erwähnt wurde dabei freilich, dass Uhlig nur wenige Tage nach seinem Husarenstück in Gefangenschaft geriet. Für den Ausgang der Kämpfe in der Normandie spielten solche Episoden keine Rolle mehr. Ende Juli war die Kraft der Deutschen erschöpft, die Verteidigungslinien zerbrachen, 226
Amerikaner und Briten stießen in die Weiten Frankreichs vor und befreiten rasch den Großteil des Landes. Am 25. August rückten sie in Paris ein, am 11. September erreichten sie die deutsche Grenze. Die Rote Armee hatte unterdessen die Heeresgruppe Mitte zerschlagen und stand vor den Toren Ostpreußens. Die Verluste der Deutschen erreichten bislang unvorstellbare Dimensionen: Knapp 350 000 deutsche Soldaten starben allein im August 1944. Damit fielen in diesem einen Monat etwa so viele Männer wie im ganzen Jahr 1941.256 An allen Fronten war die Wehrmacht auf dem teils fluchtartigen Rückzug, es spielten sich apokalyptische Szenen ab, in der Panik der Niederlage schien es kein Halten mehr zu geben. Die Moral der Soldaten war auf einem Tiefpunkt angekommen.257 »Es geht zu Ende mit uns«,258 stellte Hauptmann Alexander Hartdegen fest. Gezeichnet vom hoffnungslosen Kampf gegen die erdrückende Übermacht, ging es vielen Landsern nur noch darum, das nackte Leben zu retten. Unmittelbar nach ihrer Gefangennahme standen sie noch ganz unter dem Eindruck der Niederlage. Es war die Rede von »total zerschlagenen Divisionen«,259 »irrsinnigen Befehlen«, davon, dass »die Leute da oben« wahnsinnig geworden seien und es nun rapide bergab gehe.260 Oberfeldwebel Blank meinte, dass alles »in den Arsch gehauen« sei.261 »Das ganze West-Heer ist fertig. Es ist Schluss«, waren sich die beiden Majore Beck und Viebig Ende August 1944 einig.262 Eine unbändige Wut entlud sich über die oberste Führung der Wehrmacht. Von den »Vollidioten«263 und »dummen Arschlöchern« wie Dönitz oder Rundstedt war die Rede, von dem »Schwein« Kluge, den man an die Wand stellen solle.264 Selbst einem so kriegserfahrenen und regimetreuen General wie Heinrich Eberbach hatten die Kämpfe in der Normandie 227
»den Boden ausgeschlagen«. Seine Hoffnungen auf eine Kriegswende waren dahin. »Ich kann nur sagen, dass die ganze Sache hoffnungslos ist«,265 meinte er im September 1944. Und Konteradmiral Hans-Udo von Tresckow sah einen Monat später eine »Götterdämmerung mit Pauken und Trompeten« heraufziehen.266 Eine vernünftige Regierung würde jetzt Schluss machen, waren sich Beck und Viebig einig. Doch in der Logik des NS-Staates konnte es keine Kapitulation, sondern nur den Kampf bis in den Tod geben. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 brachte auch in der Wehrmacht niemand mehr den Mut und die Kraft auf, sich gegen das Regime zu stellen. Mit brachialer Gewalt stellte die Wehrmachtführung die Disziplin der Truppen wieder her und brachte den alliierten Vormarsch mit letzter Kraft an den Reichsgrenzen zum Stehen. Generalleutnant Erwin Menny schrieb im Spätherbst 1944 in sein Tagebuch: »Als die Front im Westen zusammenbrach, als Frankreich und Belgien in wenigen Wochen verlorengingen, da glaubten wir alle, dass das Ende des Krieges nahe wäre. Unter dem Eindruck der furchtbaren Kesselschlachten in Frankreich hielten wir einen längeren Widerstand am Westwall nicht mehr für möglich. Es ist anders gekommen, denn ein Wunder geschah. Jetzt lebt die Hoffnung auf einen möglichen Sieg wieder auf.«267 Die Westalliierten hatten die Chance, den Krieg noch 1944 zu beenden, nicht genutzt. Sie ließen bei der Kesselschlacht von Falaise insbesondere die Stäbe der deutschen Truppen entkommen, landeten am 15. August in Südfrankreich, als diese Operation schon längst keinen Sinn mehr machte, und schwächten unnötig den Vormarsch in Italien. Sie schafften es nicht, den Zugang zur Schelde rasch zu öffnen, um den unzerstört eroberten Welthafen Antwerpen 228
nutzen zu können. So fehlte es am nötigen Nachschub, um die Offensive weiter voranzutreiben, und die Kämpfe flauten im November 1944 ab.268 Trotz der hohen Verluste gab es in der Wehrmacht immer noch genügend intrinsisch motivierte Soldaten, die ähnlich wie Erwin Menny wieder Hoffnung schöpften und sich fieberhaft bemühten, die Atempause zu nutzen und wieder Ordnung in das Chaos zu bringen. Sie planten, verwalteten und optimierten die Kriegführung wie eh und je. So reiste der 29jährige Major Eike Middeldorf – er wird uns später noch als Bundeswehrgeneral begegnen – im November 1944 zur Heeresgruppe B an die Westfront. Als Referent zur Auswertung taktischer Kriegserfahrungen im Oberkommando des Heeres sollte er ergründen, warum alle deutschen Gegenangriffe im Raum Aachen und Arnheim gescheitert waren. Schlechtes Wetter hatte das Eingreifen der alliierten Luftwaffe verhindert, Artillerie-, Infanterieund Panzerverbände waren denen des Gegners zahlenmäßig sogar überlegen gewesen. Middeldorfs Befund war ernüchternd: »Der Stand der Ausbildung hat bei fast allen Divisionen einen derartigen Tiefstand erreicht, dass der Amerikaner uns […] hierin überlegen ist.« Die rasch aufgestellten Volksgrenadierdivisionen seien überhastet in den Einsatz geworfen worden und hätten kaum Zeit gehabt, als Verband zusammenzufinden. Viele Soldaten seien von Luftwaffe und Marine zum Heer abgestellt worden und hätten nur eine kurze Grundausbildung absolviert. Die Folge seien hohe Verluste »besten Menschenmaterials«, von 2000–4000 Mann je Volksgrenadierdivision. Manche Divisionen seien regelrecht »verheizt« worden. Angriffe würden daher nur noch gegen inneren Widerstand vorgetragen und abgebrochen, sobald die Offiziere ausfielen. In der Abwehr sei der Kampfwille aber 229
noch über dem »des Amerikaners«. Probleme gebe es auch bei der höheren Führung, die den Verbänden unsinnige Befehle geben würde, ohne auf den Zustand der Truppe und die örtlichen Bedingungen Rücksicht zu nehmen. Die hohen Verluste hätten zu einer regelrechten Vertrauenskrise geführt. Middeldorfs Bericht gipfelte in der Feststellung, dass Gegenangriffe von Verbänden größer als Divisionsstärke keinen Erfolg mehr haben könnten.269 Die Zeilen des jungen Majors waren eine denkbar realistische Beschreibung des Zustands des Heeres und eine kaum getarnte Bankrotterklärung. Da die Einstellung der Kämpfe im Denken der Wehrmacht keine Option war, solange die politische Führung dies nicht anordnete, ging es in der Logik des Verwaltungsapparates einfach weiter. Eine Vielzahl von Merkblättern und Anweisungen zur Verbesserung der Ausbildung wurde verfasst. Feldmarschall Model war bemüht, als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B in Lehrgängen das handwerkliche Können der Truppe zu schulen – ganz so, wie man es seit 1943 in Kampfpausen immer wieder versucht hatte. Während Middeldorf größere Angriffsoperationen ausgeschlossen hatte, befahl Hitler vier Wochen später die seit Langem geplante Offensive in den Ardennen. Die höhere Führung war zwar dagegen, fügte sich aber und versuchte, die Aufgabe so gut es ging zu erfüllen. Die Alliierten wurden von dem Angriff von zunächst 200 000 deutschen Soldaten und 600 Panzern vollkommen überrascht. Auch deshalb konnten diese bis zu 80 Kilometer vorstoßen, sogar die 106. US-Infanteriedivision einkesseln und vernichten. 8000 amerikanische Soldaten gingen in Gefangenschaft. Sieht man von der Schlacht um Bataan auf den Philippinen im April 1942 ab, war dies die größte Niederlage der US Army im Zweiten Weltkrieg. Doch Hitler 230
hatte sich den ganz großen Coup erhofft, glaubte gar, den Erfolg von 1940 wiederholen und die Alliierten im Norden Belgiens abschneiden zu können. Das war nicht nur aufgrund des knappen Benzins, der raschen Reaktion der Alliierten und ihrer Luftüberlegenheit, sondern auch aufgrund der mangelnden Qualität der deutschen Truppen reine Fantasterei. Vor allem die Waffen-SS-Verbände und die vielen Volksgrenadierdivisionen waren den handwerklichen Anforderungen einer komplexen Angriffsoperation nicht gewachsen. Die Ardennenoffensive brach unter großen Verlusten nach einer Woche zusammen270, und der Verwaltungsapparat der Wehrmacht ging sogleich daran, neue notdürftig ausgebildete Soldaten an die Front zu schicken und neue Merkblätter und Ausbildungsrichtlinien zu produzieren.271 Trotz der nicht zu übersehenden Auflösungserscheinungen blieb die Wehrmacht bis kurz vor Kriegsende eine halbwegs intakte Institution.272 Das höhere Offizierkorps erhielt ihre Strukturen auch nach den größten Niederlagen aufrecht und sah für sich keine Möglichkeit, dem Wahnsinn ein Ende zu bereiten – mochte die Gesamtlage auch noch so hoffnungslos, mochten die Befehle noch so unsinnig sein. So prononciert etwa der junge Major Middeldorf seinen Bericht im November 1944 auch verfasst hatte – er war ein kleines, aber wichtiges Rädchen im Oberkommando des Heeres, das bis Mai 1945 reibungslos funktionierte. An der Front stellte sich die Wehrmacht den alliierten Angriffen weiterhin in den Weg, obwohl sie ihnen kaum noch etwas entgegenzusetzen hatte. Im Januar 1945 zerschlug die Rote Armee die deutsche Ostfront und stieß binnen vierzehn Tagen von der Weichsel an die Oder vor. Es war der verlustreichste Monat des ganzen Krieges: Rund 450 000 deutsche Soldaten fielen. Zum Vergleich: Die 231
Vereinigten Staaten verloren im gesamten Zweiten Weltkrieg an allen Fronten 410 000 Soldaten. Angesichts dieser Zahlen kann man nur noch von einer »Kriegführung des Irrationalen«273 sprechen. Warum die Deutschen weiterkämpften, obwohl es dafür keinerlei militärische Grundlage mehr gab, lässt sich kaum auf eine griffige Formel bringen.274 Vielmehr sind die Mehrdimensionalität der »Endkämpfe« und das Ineinandergreifen verschiedener Ebenen zu berücksichtigen. Von zentraler Bedeutung sind zunächst die denkbar umfassende Bündelung aller staatlichen Macht in der Person des »Führers« und das enge Loyalitätsverhältnis zu einer kleinen Riege von Partei- und Militärführern, die es Hitler ermöglichte, seinen Willen zum Untergang Realität werden zu lassen. Die Mitglieder des engsten Kreises – Himmler, Goebbels, Göring und Speer – arbeiteten bis zum Ende fieberhaft dem Diktator zu und sorgten dafür, dass in ihrem Befehlsbereich alles in Reih und Glied in die Katastrophe marschierte. Mit der Ernennung Heinrich Himmlers zum Befehlshaber des Ersatzheeres und aller militärischen Dienststellen im Reich, der Ausdehnung des SSRüstungsimperiums, der Schaffung von Reichsverteidigungskommissaren und dem massiven Ausbau der Waffen-SS griff Hitler tief in den militärischen Bereich ein. Die Generalität war nach dem 20. Juli ohnehin gefügig wie nie und stand in der Radikalität ihrer Maßnahmen der NSDAP in nichts nach. Auch die NS-Parteikader auf regionaler und lokaler Ebene hatten die Brücken hinter sich längst abgebrochen. Sie konnten ihre Autorität meist bewahren und geboten noch im kleinsten Dorf über Leben und Tod. Hitler und seinem Regime kam auch zugute, dass der Staat bis zum 232
Schluss funktionierte, Verwaltung und Bürokratie ihre Arbeit versahen, als sei nichts geschehen. Die Osterpost wurde ebenso zugestellt wie die Einberufungsbefehle. Noch am 15. April 1945 wurde die Saison der Gauliga Hamburg durch einen 4 : 3 - Sieg des SC St. Pauli über den SC Victoria Hamburg ordnungsgemäß beendet. Dass die Macht des NSStaats nach dem 20. Juli 1944 einen neuen Höhepunkt erreichte, hatte mit der Ideologisierung der breiten Bevölkerung nur wenig zu tun. Im Gegenteil: Die Partei und zunehmend auch Hitler selbst waren unbeliebter denn je, und die nationalsozialistische Volksgemeinschaft begann sich in den letzten Kriegsmonaten aufzulösen. Übereinstimmung mit dem Regime gab es bei den meisten nur noch durch den Wunsch, die Heimat zu verteidigen – vor allem gegen die herannahende Rote Armee. Der NS-Staat war 1944/45 nicht wegen des Rückhalts in der Bevölkerung mächtiger denn je, sondern weil der Einfluss der Partei krakenartig auf praktisch alle Lebensbereiche der Gesellschaft ausgedehnt wurde. Der beinahe totalen Mobilisierung und Militarisierung konnte sich angesichts der allgegenwärtigen Terrormaßnahmen kaum jemand entziehen. So war etwa der Volkssturm, so geringen militärischen Wert er letztlich hatte, für die Partei ein überaus wirkungsvolles Instrument, um die gesellschaftliche Kontrolle massiv zu erhöhen.275 Was die militärische Perspektive betrifft, kamen die letzten Monate des Krieges einer Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes gleich, vor allem in Hinblick auf die Hekatomben an Menschenleben, die dieses Ringen noch forderte. Das galt nicht nur für die Deutschen, sondern insbesondere auch für die Rote Armee. Deren Verluste waren mit knapp 800 000 Toten276 in den vier Kriegsmonaten 1945 zwar niedriger als die der Wehrmacht, überstiegen aber jene der Westalliierten 233
um das Zehnfache. Von der einst so erfolgreichen taktischen Finesse der Wehrmacht oder gar der Kultur des Bewegungskriegs war nicht mehr viel übrig. Zusammengewürfelte Verbände fochten mit untauglichen Mitteln einen aussichtslosen Kampf, der vielfach mehr einem Schlachtfest als einer militärischen Operation glich. Hier und da gab es noch vereinzelte Gegenangriffe, die in der NSWochenschau wie Großoffensiven gefeiert wurden. Die Rückeroberung des schlesischen Lauban am 9. März 1945 war so ein Fall. Doch als am 26. April 1945 in der letzten deutschen Panzeroperation Bautzen eingenommen und mehrere sowjetische und polnische Divisionen zerschlagen wurden277, gab es keine Wochenschau mehr. In der Verteidigung galt es nun schon als großer Erfolg, dass die seit Langem vorbereitete sowjetische Offensive an den Seelower Höhen für zwei Tage aufgehalten werden konnte. Am Lauf der Dinge konnte dieses letzte Aufblitzen einstigen handwerklichen Könnens nichts mehr ändern. Die Abwehrkämpfe des Jahres 1945 waren in jeder Hinsicht die schwärzeste Stunde der Wehrmacht. Die Skrupellosigkeit gegenüber den eigenen Soldaten und der eigenen Bevölkerung, mit der NS-Regime und Wehrmachtführung bis zuletzt Hand in Hand vorgingen, war kaum mehr zu überbieten.278 Umso bemerkenswerter ist es, welch geringen Stellenwert diese Schlüsselphase des Krieges im kollektiven Gedächtnis des Militärs zu Zeiten der Bundeswehr haben sollte, wie noch zu zeigen sein wird. 234
Kohäsion Die Wehrmacht erlitt im Zweiten Weltkrieg mehr als doppelt so hohe Verluste wie die kaiserlichen Truppen im Ersten, und doch brach sie im Innern nicht zusammen. Während des Krieges verschmolzen die Streitkräfte mit Staat, Gesellschaft und Militärführung zu einem festen Amalgam. Diese vertikale Kohäsion wurde gestärkt durch die tribal cultures der Waffengattungen sowie eine Leistungskultur und Menschenführung, die Härte und Fürsorge miteinander verbanden. Die Soldaten nahmen die Wehrmacht als eine effiziente Organisation wahr, der sie loyal ergeben waren, selbst wenn sie den Nationalsozialismus ablehnten. Auf der horizontalen Ebene gelang es bis zum Herbst 1944, den Zusammenhalt der Primärgruppen weitgehend aufrechtzuerhalten. So bildete sich eine extrem belastbare Struktur heraus, die selbst nach schweren Niederlagen wieder zu flicken war und nur in den allergrößten Krisenmomenten zerfiel. Für die Armee war dabei von Vorteil, dass es nicht zu einer völligen Verschmelzung mit dem NS-Staat kam und sie keine feldgraue Waffen-SS wurde. Es blieben genügend Nischen für all jene, die ein anderes Verständnis von Nation, Volk und Staat hatten als die NS-Eliten. So gelang es der Wehrmacht, mehr als siebzehn Millionen Männer unterschiedlichster politischer, sozialer und selbst nationaler Herkunft zu integrieren, darunter 1,3 Millionen Österreicher, 500 000 Polen, Hunderttausende Männer aus Südtirol, dem Elsass und Luxemburg, nicht zu vergessen die Volksdeutschen aus Osteuropa. Millionen Wehrmachtsoldaten stammten aus sozialdemokratischen, kommunistischen oder tief katholischen Milieus, die dem Nationalsozialismus wie dem Militär 235
eigentlich ablehnend oder zumindest reserviert gegenüberstanden. Die wenigsten von ihnen trugen die Uniform freiwillig. Sie waren keine intrinsisch motivierten Supersoldaten, erfüllten aber loyal die ihnen anvertrauten Aufgaben. Zusammen mit den Hunderttausenden von NSGläubigen bildeten sie einen Verbund, der seinen Zusammenhalt nicht durch Vorträge über Rassenideologie oder Lebensraum erhielt, sondern durch gemeinsame Vorstellungen von Vaterland, Pflichterfüllung und Soldatentum. Tapfer sollte man sein, als Vorgesetzter gerecht und fürsorglich, als Untergebener treu und loyal. Vor allem ging es darum, die zugewiesene Aufgabe gut zu erfüllen, ganz gleich, ob als Divisionskommandeur, Kompaniechef oder MGSchütze. Wer dies tat, stieg im System auf, wer den Anforderungen nicht gerecht wurde, musste mit Ablösung oder ausbleibender Beförderung rechnen. Gewiss verstanden es manche, sich politisch lieb Kind zu machen und so ihre Karriere zu befördern. Das ändert aber nichts an dem Befund, dass in der Binnenlogik der Institution Wehrmacht vor allem militärisches Können zählte. Dieses Können wurde angespornt durch ein ausgefeiltes System von Auszeichnungen, Tätigkeitsabzeichen und Ärmelbändern, deren Bedeutung jeder Schuljunge kannte und die auch die Besonderheiten der tribal cultures berücksichtigten. Wer in vorderster Linie sein Leben riskierte, wurde also mit reichlich Anerkennung belohnt. In geschickter Weise wurde so das gewünschte Verhalten, sich an der Front zu bewähren, gefördert. Erstmals in der deutschen Geschichte gab es keine Vorrechte für Offiziere. Alle Orden konnten nach halbwegs nachvollziehbaren Kriterien prinzipiell von allen erworben werden. Jedoch wurden sie zurückhaltend verliehen: 236
Selbst den am häufigsten verliehenen Orden, das Eiserne Kreuz II. Klasse, erhielten »nur« 15 Prozent aller Soldaten. Wie gut dieses System wirkte, zeigt eine Episode vom Juni 1942 aus Norwegen. Besatzungsmitglieder der deutschen Kreuzer und Schlachtschiffe beschwerten sich, dass sie zu viel im Hafen lagen. Sie hätten so keine Chance auf entsprechende Auszeichnungen, während die U-Boot-Fahrer regelmäßig »raus« fuhren und schnell das U-Boot-Kriegsabzeichen erwarben, das sie in der Heimat als Frontkämpfer auswies.279 Die heimlich abgehörten Gespräche deutscher Kriegsgefangener belegen, wie wichtig Orden für sie waren. Die Männer debattierten endlos darüber, wer, warum und wann welche Auszeichnung bekommen oder auch nicht bekommen hatte.280 Gewiss ging es dabei nicht immer gerecht zu, zumal sich die Kriterien im Verlauf des Krieges mehrfach änderten.281 Dennoch wurde das von der politischen und militärischen Führung geschaffene Anreizsystem – anders als im Ersten Weltkrieg – insgesamt als gerecht und fair bewertet. Ein Blick auf die Verleihungspraxis zeigt, dass die Betonung der Tapferkeit kein leeres Gerede war. Von den 4505 an Heeresangehörige verliehenen Ritterkreuzen gingen 210 an Mannschaften, 880 an Unteroffiziere, 1862 an Subalternoffiziere, 1553 an Stabsoffiziere inklusive Generäle.282 Zug- und Kompanieführer machten, ganz anders als beim Pour le Mérite des Ersten Weltkriegs, somit die größte Gruppe der Ordensträger aus; der Anteil der Verleihungen an Mannschaften betrug immerhin fünf Prozent. 2124 Orden gingen allein an Infanteristen der verschiedenen Dienstgrade, nur 82 an Offiziere in höherer Führungsfunktion. Bezeichnend ist auch, dass die vierte und höchste Stufe des Ritterkreuzes, das Goldene Eichenlaub, laut Stiftungsbestimmungen nur zwölfmal an bewährte 237
Einzelkämpfer vergeben werden sollte. Tatsächlich wurde die Auszeichnung nur einmal verliehen: an den Stukapiloten Hans-Ulrich Rudel. Und bei allem offiziellen Gerede von Opfermut wurde das Ritterkreuz nur in sieben Prozent der Fälle posthum vergeben. Die Ausgezeichneten waren keine Fanatisierten, die sich mit einem feindlichen Panzer in die Luft sprengten, sondern Kämpfer und Truppenführer, die Erfolge vorzuweisen hatten. Die Vergabe erfolgte nicht primär nach ideologischen, sondern nach genuin militärischen Kriterien. In dieser militärischen Leistungsgesellschaft kämpften Soldaten mit den unterschiedlichsten politischen Haltungen nebeneinander: Fritz Eschmann war 1909 geboren, stammte aus einer Arbeiterfamilie und gehörte in der Weimarer Republik der Sozialistischen Arbeiterjugend an. Er wurde 1936 Soldat und kämpfte als Infanterist seit dem Polenfeldzug an vorderster Front. Er war ein tapferer Soldat, stieg bis zum Hauptmann auf und wurde 1944 mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Nach dem Krieg saß er für die SPD im Bundestag.283 Dass es auf die politische Einstellung nicht ankam, musste auch der NS-Funktionär Theodor Habicht erkennen. Er baute in den 1920er-Jahren in Wiesbaden die NSDAP auf, organisierte im Juli 1934 das Attentat auf den österreichischen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und brachte es 1939 bis zum Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt. Interessanterweise meldete er sich trotz seiner NS-Treue nicht zur Waffen-SS, sondern kämpfte seit 1941 als Chef einer Infanteriekompanie in der Wehrmacht.284 Dort wurde ihm schnell klargemacht, dass er sich als militärischer Führer zu bewähren habe und dass ihm seine Rolle im NS-Staat dabei wenig half. So dauerte es mit seiner Beförderung zum Bataillonskommandeur bis zum November 1943.285 238
Wer sich an der Front und insbesondere in Krisen bewährte, konnte schnell in höhere Führungspositionen aufrücken, selbst wenn er dem NS-Regime kritisch gegenüberstand. Wilhelm von Thoma etwa konnte seine Abneigung gegen das NS-Regime nur schwer unterdrücken und stieg dennoch binnen neun Jahren vom Hauptmann bis zum General der Panzertruppen und Kommandeur des Deutschen Afrikakorps auf – immerhin einer der prestigeträchtigsten Posten der Wehrmacht. Er war persönlich tapfer, immer in der vordersten Linie zu finden und hatte sich als Kommandeur der 20. Panzerdivision in der Winterkrise 1941/42 besonders bewährt. An seiner Seite stand damals sein Zweiter Generalstabsoffizier Josef Moll, der spätere Inspekteur des Heeres der Bundeswehr. Moll schrieb am 10. Dezember 1941 in sein Tagebuch: »Am verheerendsten ist aber die Lage bei Rusa [westl. von Moskau]. Es scheint alles verloren zu sein. Das ganze IX. Korps ist in fluchtartiger Rückwärtsbewegung. Unter Rettung ihres nackten Daseins lassen sie Pferde, Kfz. und Waffen einfach stehen und laufen davon. Man spricht von ›Rette sich, wer kann‹. […] Die Verwundeten werden von verantwortungslosen Offizieren und Ärzten einfach auf die Straße gesetzt. Da sollen sie sehen, wie sie weiterkommen. […] Da tritt unser Kommandeur auf. Er ist weit und breit der einzige, der Mut hat und die Lage retten kann. […] Da begibt sich der Divisionsstab selbst nach Rusa in die vorderste Linie. Es hängt jetzt alles davon ab, die Bewegung zum Stillstand zu bringen, zu halten und zu schießen, ehe es zu spät ist. Der Eindruck aller Zurückfliehenden ist einfach verheerend. Tag und Nacht haben wir alle Hände voll zu tun, um mit schärfsten Mitteln die Zurückgehenden aufzufangen. […] So gelingt es uns, in 1½ Tagen mit einigen 100 Mann die ganze Front zum Halten zu bringen und damit die Lage zu retten. Nur dem mutigen und 239
tapferen Vorgehen meines Kommandeurs ist es zu danken, dass die Katastrophe nicht eintrat.«286 Der britische Historiker Liddell Hart interviewte Thoma später, als er sich in britischer Gefangenschaft befand, und beschrieb ihn als einen zähen, aber liebenswürdigen Charakter, einen Enthusiasten, der den Kampf aus purer Freude liebte. Im Mittelalter hätte er als fahrender Ritter sein Lebensglück gefunden.287 Thomas Kameraden wussten um seine politische Einstellung, schätzten ihn aber aufgrund seiner Tapferkeit und deckten ihn.288 Ähnliches gilt für Rudolf Schmidt289, der sogar Befehlshaber einer Panzerarmee wurde. Das im Herbst 1942 auch beim Heer eingeführte Beurteilungskriterium »politische Haltung« blieb für die Karriere der meisten Soldaten belanglos. Gewiss durfte man nicht offen Zweifel am Nationalsozialismus oder an Hitler äußern. Doch ob jemand in den Personalakten als »Nationalsozialist«, als »guter« oder gar als »gläubiger Nationalsozialist« bezeichnet wurde, der die NS-Weltanschauung auf seine Soldaten zu übertragen wusste, hatte auf die Karriere keinen nachweisbaren Einfluss. Der Leiter des Personalamts Rudolf Schmundt hielt im Juni 1943 dann auch entnervt fest, die politische Beurteilung werde so schematisch gehandhabt, dass eine Wertung daraufhin kaum noch erfolgen könne.290 Die Frontkommandeure hatten in der dezentralen Struktur der Streitkräfte eine bedeutende Stellung. Für die Beurteilung der Untergebenen war ihr Urteil maßgeblich und nicht – wie etwa in der US Army – die Entscheidung einer zentralen Personalabteilung in der Heimat.291 Damit wurde die Logik der Front ausschlaggebend für Beförderungen, Auszeichnungen und Versetzungen. Offenbar förderten auch stramm nationalsozialistisch eingestellte Vorgesetzte Untergebene, deren politische Haltung nicht NS-konform war. 240
General Wilhelm von Thoma und Generaloberst Rudolf Schmidt hatten gewiss nicht nur dezidierte Anti-Nazis zum Chef, während sie höhere Ränge erklommen. In Anbetracht der hohen Verluste wurde das Abitur als Einstiegsvoraussetzung im Oktober 1942 offiziell aufgehoben und die Abkehr von der Beförderung nach Anciennität verkündet.292 Jetzt sollte nur noch die militärische Leistung zählen. In der zweiten Kriegshälfte verfügten die jungen Offizieranwärter schon zu zwei Dritteln nicht mehr über eine abgeschlossene höhere Schulausbildung. Der Anteil der Arbeitersöhne stieg von fünf Prozent 1937 auf zwanzig Prozent 1943/44 an.293 Dazu trug bei, dass – anders als im Ersten Weltkrieg – nun auch sehr viele bewährte Unteroffiziere zu Offizieren befördert wurden. Der oben erwähnte Fritz Eschmann war einer von ihnen. Das Offizierkorps der Wehrmacht entsprach damit immer weniger einer Bildungs- als einer Kriegerelite. Bewährte Troupiers konnten nun rasch bis in höchste Ränge befördert werden. Die Rangstruktur verjüngte sich, aber Fälle wie der 30-jährige Generalmajor Erich Bärenfänger, der 35-jährige Generalleutnant Theodor Tolsdorff oder der 37-jährige Generalmajor Günther Pape, der später in die Bundeswehr ging, blieben dennoch die Ausnahme. Durch die politisch gewünschte und aufgrund der hohen Verluste militärisch notwendige soziale Öffnung war die Wehrmacht auf dem Weg zur NS-Volksarmee. Dieses Idealbild des Regimes erreichte sie aber bis 1945 nicht.294 Es ist vermutet worden, dass sich das System der bildungspolitischen und damit auch der sozialen Öffnung durchaus positiv auf den Kampfwert der Truppe auswirkte, weil auf diese Weise kampferfahrene Männer rasch die Karriereleiter emporkletterten und Kompaniechefs oder 241
Bataillonskommandeure wurden. Doch auf den höheren Kommandoebenen machte sich der Mangel an einer breiteren Qualifikation und Bildung vermutlich stärker bemerkbar. Genauere Studien dazu fehlen, aber der Verfall der Professionalität und insbesondere der Angriffsfähigkeit dürfte auch im Qualitätsabfall der im Schnellverfahren ausgebildeten Stabsoffiziere begründet sein. Die soziale Öffnung des Offizierkorps, die Beförderung nach Leistung und die Betonung der Frontbewährung entsprachen allesamt der NS-Weltanschauung und wurden von Hitler dezidiert gefördert.295 Das kann kaum überraschen, da deren Ursprünge – wie oben dargestellt – in der Mystifizierung der Frontkämpfergemeinschaft des Ersten Weltkriegs lagen. Dennoch wurde die Wehrmacht von der Truppe nicht als NSOrganisation wahrgenommen, wie die Gespräche von Tausenden abgehörter Soldaten in alliierter Kriegsgefangenschaft zeigen.296 Zu dieser Wahrnehmung trug bei, dass das militärische Wertesystem von Tapferkeit, Pflichterfüllung und Härte von einer großen Mehrheit der Soldaten positiv aufgenommen wurde, auch von denen, die dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstanden. Noch im letzten Kriegsjahr wurde die Wehrmacht als Institution schichtübergreifend deutlich positiver bewertet als das NSSystem.297 Lediglich der harte Kern der ehemals sozialistischen oder katholischen Arbeiterbewegung blieb auf Distanz. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die allermeisten Deutschen, somit auch die meisten Soldaten, die Kategorien teilten, mit denen das NS-Regime festlegte, wer zur Volks- und damit zur Wehrgemeinschaft gehörte und wer nicht: Juden, Sinti und Roma oder Homosexuelle blieben ausgeschlossen. Als Bedrohung der Wehrgemeinschaft galten im Krieg dann auch jene, die den Wehrdienst verweigerten, 242
denen Feigheit und Desertion vorgeworfen wurden. Dass solches Verhalten mit dem Tod bestraft wurde, stieß auf breite Akzeptanz. Erst die exzessiven Todesurteile gegen Deserteure am Kriegsende – das Gros der 20 000 Exekutionen fand 1944/45 statt – führten zu Kritik.298 In ihnen zeigte sich, welch radikal überzogene Vorstellung der NS-Staat vom Kämpfertum hatte und dass die Wehrmacht in der drohenden Niederlage längst mit ihm verschmolzen war. Opfertum Krieg, Kampf und Nationalsozialismus waren nicht voneinander zu trennen.299 Das lässt sich an der Norm des Opfertums exemplarisch zeigen. Die Bereitschaft zum Opfer war in der nationalsozialistischen Ideologie ein Selbstzweck. Entscheidend war nicht wofür, sondern dass ein Opfer gebracht wurde.300 Als sich Erwin Rommel nach der Niederlage vor El Alamein am 3. November 1942 zurückziehen wollte, funkte Hitler: »Der stärkere Wille [werde] über die stärkeren Bataillone« siegen. »Ihrer Truppe aber können Sie keinen anderen Weg zeigen als den zum Siege oder zum Tode.« Angesichts der militärischen Lage war das nichts anderes als die Aufforderung, auf dem Schlachtfeld zu sterben. Das Kapitulationsverbot der 6. Armee in Stalingrad war ein ähnlicher Fall. Zwar genehmigte Hitler in späteren Phasen des Krieges durchaus noch Rückzüge, aber die Häufigkeit von Befehlen, in denen es nur noch um das Opfer und nicht mehr um einen wie auch immer gearteten militärischen Sinn ging, nahm rasant zu. Dieses zentrale NS-Ideologem sickerte in einem komplexen und keineswegs gleichförmigen Prozess immer tiefer in die Wehrmacht ein. Da es zuweilen auch abgelehnt oder umgedeutet wurde, war der nationalsozialistische Opfergedanke in ganz unterschiedlicher Weise in den 243
einzelnen Teilen der Streitkräfte präsent – in der Waffen-SS mehr als im Heer, bei Eliteverbänden mehr als bei Luftwaffenfelddivisionen, bei den Kleinkampfverbänden der Marine mehr als bei den Schnellbootfahrern. In den offiziellen Verlautbarungen aber war er omnipräsent. Die Wehrmacht als Organisation verdeutlichte durch Handbücher, Vorschriften und Befehle, aber auch durch Personalbeurteilungen, dass Sentimentalitäten in der alltäglichen Begegnung mit dem Tod keinen Platz hatten. So ist nicht überliefert, dass jemals ein Offizier abgelöst wurde, weil seine Truppe zu hohe Verluste erlitten hätte. Im Gegenteil, hohe Verluste galten vielfach als Ausdruck der eigenen Kampfbereitschaft. Selbst ein General wie Hermann Geyer, der von Hitler aus politischen Gründen 1942 aus der Wehrmacht entlassen wurde, bediente sich dieser Logik, als sein Korps Ende August 1941 in eine heftige Gegenoffensive der Roten Armee am Frontbogen von Jelnja südlich von Smolensk geriet. Als es hieß, eine seiner Infanteriedivisionen sei »ausgerissen«, setzte Geyer alle Hebel in Bewegung, um den damals geradezu ungeheuerlichen und entehrenden Vorwurf auszuräumen. Nur ein Bataillon sei bei dem sowjetischen Gegenangriff durchbrochen worden, der Einbruch habe aber wieder beseitigt werden können, wenn auch mit fremder Hilfe. Dabei hätte er es belassen können, doch sein entscheidendes Argument, um die Ehre der Division zu verteidigen, war ein anderes: Seit Feldzugsbeginn habe die Division über 4000 Verluste gehabt. Es habe also am »Bluteinsatz« nicht gefehlt.301 Das Opfer erscheint hier regelrecht als Leistungsnachweis. Generalmajor Gerhard Graf von Schwerin verklärte das Opfer geradezu zum schöpferischen Akt. »Aus dem Herzblut von 2 Millionen Gefallenen des ersten Weltkrieges ist unser junges, grossdeutsches Vaterland erstanden. Aus den 244
Blutopfern des zweiten Weltkrieges wird seine neue Zukunft wachsen«, hielt er im März 1943 in einem Divisionsbefehl zum Heldengedenktag fest.302 Besonders prägnant verstand die Kriegsmarine ihre Opferbereitschaft herauszustellen, wodurch sie in Hitlers Gunst immer höher stieg, obwohl ihre militärische Rolle immer unbedeutender wurde. So erklärte Großadmiral Karl Dönitz im Oktober 1944 in einer Rede vor Gauleitern: »Eine Waffe, die zurückgehalten in den Häfen liegt, stirbt. Daß aber eine Waffe, die unter härtesten Bedingungen mit größtem Blutzoll kämpft, dass eine solche Waffe, die einen so harten Kampf besteht und auch beharrlich durchhält, ohne in ihrer Kampfmoral auch im Geringsten zu leiden, unsterblich ist und daß aus ihr selbst heraus immer wieder die neuen Kräfte heranwachsen und entstehen, die zu einer harten und heldischen Weiterführung des Krieges erforderlich sind.«303 Die allermeisten Marinesoldaten hätten eine solche Rede zumindest mit gemischten Gefühlen angehört. Auch sie wollten überleben. Aber Oberbefehlshaber Dönitz gab vor, was zu tun und zu lassen war. Und die meisten erfüllten die in sie gesetzten Erwartungen, insbesondere die U-Boot-Fahrer: 75 Prozent von ihnen starben auf See – die höchste Verlustquote aller Waffengattungen. An ihrer Loyalität zu Dönitz änderte das freilich nichts. Die Überlebenden blieben ihm bis zu seinem Tod 1980 treu verbunden. Allerdings gab es auch in der Kriegsmarine andere Stimmen: Der Führer der Schnellboote, Rudolf Petersen, lehnte Dönitz’ Radikalität strikt ab, ging mit den ihm anvertrauten Soldaten viel schonender um und wurde im Krieg dreimal gemaßregelt, weil er seine Verbände nicht risikovoller an den Feind führte.304 Und Hermann Geyer, der im September 1941 den »Bluteinsatz« als Argument zur Verteidigung der Ehre seiner 245
Infanteriedivision angeführt hatte, bemängelte zur selben Zeit, dass die Truppe noch »rückständige taktische Anschauungen und Gebräuche« pflegte. Angriffsgeist, Initiative, Unternehmungslust und Energie zu beweisen sei viel zu kräftezehrend. Die Verluste rechtfertigten seiner Meinung nach nicht die Erfolge, und durch das unüberlegte Kämpfen fehle es dann an »geschonter Kraft«, um blitzartig zuzuschlagen. Auch sei es unsinnig, den Feind frontal anzugreifen, wenn man ihn umgehen könne. Hier sei eine Änderung von Vorschriften und Erziehung dringend erforderlich.305 Der nationalsozialistische Opfergedanke widersprach seiner Vorstellung von militärischer Professionalität. Aber er wusste sich dieser Bilder zu bedienen, um eigene Interessen durchzusetzen. Die hier zitierten Beispiele verdeutlichen, dass sich die Generäle und Admirale der Wehrmacht unterschiedlich zum offiziellen Opfergedanken positionierten. Sie konnten ihn vorbehaltlos bejahen und verlangen, dass ihm gemäß gehandelt wurde (Dönitz), ihn ablehnen und für ihren eigenen Kommandobereich unterbinden (Petersen) oder aber je nach Bedarf zwischen Zustimmung und Ablehnung wechseln (Geyer). Opferwilligkeit galt im Übrigen auch für die höchsten Militärs persönlich. 849 von 3191 Generälen der Wehrmacht fielen, starben in der Gefangenschaft oder begingen Selbstmord. Im Ersten Weltkrieg waren es »nur« 166.306 Die Wahrscheinlichkeit, als General im Krieg ums Leben zu kommen, war damit statistisch gesehen beinahe genauso hoch (27 Prozent) wie für alle anderen Soldaten (34 Prozent). Die Wehrmacht legte großen Wert darauf, dass selbst höhere Offiziere von vorne führten, sich stets am Brennpunkt des Geschehens aufhielten und so in der Lage waren, rasch auf Veränderungen im Schlachtverlauf zu reagieren. Die Offiziere hatten den Soldaten stets Vorbild zu sein und auch selbst Opfer 246
zu bringen. Im Vergleich zum Ersten Weltkrieg führten sie ein nur wenig bevorzugtes Leben, und auch die Generalstabsoffiziere wurden immer für eine gewisse Zeit an die Front kommandiert. Der Wunsch, selbst im Kampf zu stehen, ging so weit, dass sich der hitzköpfige Feldmarschall Walter von Reichenau im Juli 1941 bei einem Frontbesuch persönlich an einem Sturmangriff beteiligte und das Infanteriesturmabzeichen verliehen bekam.307 Mag dies auch ein Extrembeispiel sein, so ist unverkennbar, dass sich die Stabsoffiziere der Wehrmacht weit mehr als diejenigen im Ersten Weltkrieg persönlich der Gefahr aussetzten.308 Der Kommandeur des Infanterieregiments 412 bezeichnete es gar als seine schönste Erinnerung, an der Spitze des I. Bataillons im Sturm »todesmutig« in die sowjetischen Gräben südlich von Leningrad eingebrochen zu sein.309 Dass die Stellung wieder geräumt werden musste, war dabei nicht von Belang. Entscheidend war die Tat. Er hatte sich mit der Maschinenpistole in der Hand an der Attacke beteiligt, darauf kam es an. Hier schwang noch ein beträchtliches Maß an Schlachtenromantik mit, eine spätestens seit den Einigungskriegen nachzuweisende Verherrlichung des Sturmangriffs, wie sie auch in der Literatur des Soldatischen Nationalismus der Weimarer Republik zu finden war.310 Tribal cultures Im Kohäsionsgeflecht der Wehrmacht spielten die tribal cultures der Waffengattungen eine große und bislang kaum beachtete Rolle. Für die Stabilisierung des Gesamtsystems waren sie ein wichtiges Bindeglied zwischen vertikaler und horizontaler Kohäsion. Im Zuge der fortschreitenden Waffenentwicklung und Technisierung des Militärs entstand in den Dreißigerjahren eine Vielzahl von neuen 247
Truppengattungen. 1935 wurden die »Schnellen Truppen« aufgestellt, in denen alle Kampfverbände zusammengefasst waren, die nicht zu Fuß ins Gefecht zogen. Die neuen Panzerverbände gehörten dazu, auch die Kradschützen und die motorisierte Infanterie, aus der dann 1942 die Panzergrenadiertruppe entstand. Kavallerieverbände gab es zwar noch, sie wurden aber bald zu Panzer- oder Aufklärungseinheiten umgewandelt.311 Innerhalb der Artillerie bildete die Sturmartillerie seit 1940 gewissermaßen einen eigenen sub-tribe, ebenso die Panzerjäger innerhalb der Panzertruppe. Mit der Einführung von Raketenwerfern – zur Tarnung Nebelwerfer genannt – entstand 1935/36 eine weitere Waffengattung, und die Luftwaffe stellte 1936 die Fallschirmjägertruppe auf. Jeder Truppengattung wurde eine sogenannte Waffenfarbe zugewiesen, die sich auf Schulterstücken, Kragen und Ärmeln der Uniformen wiederfand und als erkennbares Zeichen des tribe fungierte.312 Die Wehrmacht war sehr erfolgreich darin, den neuen Waffengattungen binnen Kurzem eine eigene Identität zu geben. Neue Uniformen, Lieder und Rituale trugen dazu ebenso bei wie der Umstand, dass die neuen tribes vergleichsweise klein waren und sich so gegenüber der Masse des Heeres abgrenzen konnten. Im Offizierkorps kannte man sich und bildete schnell stabile Netzwerke, die bis weit in die Bundeswehrzeit überdauerten. Entscheidend für die Kohäsion der Truppe war dann aber der baldige Kriegseinsatz, der die Verbände zusammenschweißte und schnell eine eigene Tradition schuf. Rückgriffe auf den Ersten Weltkrieg oder die Zeit davor verblassten nun rasch. Weit mehr als die kaiserlichen Streitkräfte tendierte die Wehrmacht dazu, Eliteverbände aufzustellen, die dann auf dem Schlachtfeld eine Schlüsselrolle spielten. So begründeten 248
die wenigen gut ausgerüsteten motorisierten Verbände ihren Nimbus. Die Masse der Infanteriedivisionen, die zu Fuß und mit Pferdewagen in die Schlacht zogen, war gewiss nicht minder tapfer. Im alles entscheidenden Bewegungskrieg aber waren sie Verbände zweiter Klasse, die hinterhermarschierten und das Werk der schnellen Truppen vollendeten. Die Herausbildung neuer tribal cultures wurde durch diese Zweiklassengesellschaft innerhalb der Wehrmacht befördert. Das gilt insbesondere für die Panzerdivisionen, aber auch für die Fallschirm- und Gebirgsjäger als Spezialverbände der Infanterie und schließlich für die Waffen-SS, die dem Heer nur taktisch unterstand und organisatorisch Teil der SS blieb. Den Anfang der Panzertruppe bildeten gerade einmal drei Divisionen, die 1935 teilweise durch die Umwandlung von Kavallerieverbänden entstanden. Es gab nie mehr als 22 Divisionen gleichzeitig, deren Kern jene knapp zwei Dutzend Panzerregimenter darstellten, die zwischen 1935 und 1940 aufgestellt wurden. Im Vergleich zur Infanterie, die während des Krieges über 400 Regimenter zählte, war die Panzertruppe also ein kleiner und exklusiver Verein. Die meisten ihrer höheren Offiziere entstammten traditionsreichen Reiterregimentern und kannten sich oft noch aus dem Ersten Weltkrieg. Die schwarze Panzeruniform war gemessen an den damaligen Verhältnissen modisch geschnitten und hob die Panzersoldaten schon optisch hervor. Der Totenkopf am Kragenspiegel verwies auf die Abzeichen an den ersten Kampfwagen aus dem Ersten Weltkrieg – und im Übrigen nicht auf die Tradition der beiden alten preußischen Leibhusarenregimenter aus dem 18. Jahrhundert Teil der Truppenidentität waren auch die Lieder, die seit 1935 entstanden und von denen »Ob’s stürmt oder schneit« noch heute das bekannteste ist. Es hat eine eingängige Melodie 249
und stellt in idealisierter Form dar, wie man sich den Kampf der im Aufbau befindlichen Panzertruppe vorstellte.313 Textzeilen, die später in der Bundeswehr für Aufregung sorgten, wie »Für Deutschland zu sterben ist uns höchste Ehr« oder »Dann wird uns der Panzer ein ehernes Grab«, waren in den Dreißigerjahren nicht anstößig und wurden wohl eher als Selbstverständlichkeiten empfunden. Schon in den Liedern des Kaiserreichs war davon zu hören, dass der Tod im Feld der »schönste« sei314, »ewigen Ruhm«315 verspreche, der Tod »freudig begrüßt« werde316 und man »für des Königs Ehr«317 gerne sterbe. Letzteres war auch in der inoffiziellen Nationalhymne des Kaiserreichs »Heil dir im Siegerkranz« besungen worden.318 Fürs Vaterland zu sterben war »höchstes Heldentum«319, ja »höchste Ehr«.320 Somit stand das Panzerlied »Ob’s stürmt oder schneit« in einer längeren Tradition, war aber auch mit der NS-Zeit kompatibel. Anders als andere Soldatenlieder der Zeit nahm es jedoch weder auf Hitler noch auf den Nationalsozialismus Bezug321 und konnte so als Lied der Panzertruppe Teil einer militärisch geprägten Kultur werden. Die Symbolkraft von Uniformen, Waffenfarben, Liedern und Ritualen für die Herausbildung einer tribal culture ist nicht zu unterschätzen. Ferdinand von Senger und Etterlin, der als junger Leutnant in der 24. Panzerdivision kämpfte, meinte im März 1944: »Ärmelstreifen, Div. Abzeichen, Sonderwaffenfarben, Propagandabetrieb. Das hält eine Truppe mehr zusammen als alle Disziplin.«322 Die größte formative Kraft hatte jedoch die soziale Praxis – also der soldatische Alltag im Krieg wie im Frieden. Aufgrund der starken Technisierung und der Erfahrung, erst als Speerspitze und dann als Feuerwehr an den Brennpunkten der Front eingesetzt zu werden, entwickelte die Panzertruppe ein Selbstverständnis, 250
das sich von der Masse der Infanterie abhob. Ihrer herausgehobenen Rolle auf dem Schlachtfeld entsprang seit dem Frankreichfeldzug auch eine besondere Wertschätzung in der Öffentlichkeit. Der Panzer wurde zum Symbol für die Technisierung des Krieges, für die Modernität und Dynamik des deutschen Siegeszugs. In der zweiten Kriegshälfte galt er trotz aller Niederlagen weiterhin als Symbol für die Überlegenheit deutscher Technik. Panzergeneräle wie Erwin Rommel oder Heinz Guderian waren 1940/41 die wohl populärsten Soldaten des Heeres. In späteren Jahren stellte die Propaganda dann eher den anonymen Panzermann heraus.323 Gleichwohl erreichten erfolgreiche Panzerkommandanten nie einen so hohen Bekanntheitsgrad wie Jagdflieger oder U-BootKommandanten, deren mediale Inszenierung schon 1940 einen ersten Höhepunkt erreichte. Panzermänner wie Michael Wittmann, Kurt Knispel, Otto Carius oder Hans Strippel ragten aus der Masse der hochdekorierten jungen Wehrmachtsoldaten nicht heraus. Einzig Wittmann war einmal in der Wochenschau zu sehen, kurz bevor er im August 1944 in der Normandie fiel. Seine Popularität war aber ein Produkt der Nachkriegszeit – worauf noch zurückzukommen sein wird. Die Fallschirmjägertruppe hatte keinen Vorläufer im Ersten Weltkrieg. Die Sowjetunion stellte als erstes Land überhaupt 1930 Luftlandetruppen auf, Deutschland folgte 1936. In Stendal wurden Fallschirmjägereinheiten unter der Ägide der Luftwaffe gebildet. Die Soldaten wurden aus der preußischen Landespolizei überstellt, weitere 1200 Mann kamen aus der SA-Standarte »Feldherrnhalle«, die Wachaufgaben für Partei und Staat erfüllt hatte und ebenfalls unter Görings Kommando stand.324 Der erste Kommandeur war Bruno Bräuer. Er hatte im Ersten Weltkrieg als Unteroffizier und Offiziersstellvertreter gekämpft und war 1920 zur Polizei 251
gewechselt. Die Stendaler Keimzelle hatte somit keinen genuin militärischen Hintergrund. Das Braunschweiger Fallschirmjägerbataillon bestand hingegen aus Freiwilligen des Heeres. Sein erster Kommandeur war Richard Heidrich, der als sächsischer Infanterieoffizier seit 1914 eine Laufbahn in der Truppe absolviert hatte und 1919 in die Reichswehr übernommen worden war. Später war er Taktiklehrer an der Infanterieschule in Dresden. Heidrich hatte das infanteristische Handwerk von der Pike auf gelernt und formte in diesem Geist seine Einheit. 1938 wurden die Braunschweiger und Stendaler Fallschirmjägerverbände in der 7. Fliegerdivision der Luftwaffe zusammengefasst. Deren Kommandeur Kurt Student hatte ebenso wenig Erfahrung mit Landstreitkräften wie sein Stabschef Heinz Trettner, der in der Bundeswehr bis zum Generalinspekteur aufstieg.325 Wie schon die Panzertruppe, bekamen auch die Fallschirmjäger eine eigene Uniform und spezielle Stahlhelme, die sie schon optisch von anderen Soldaten abhoben. 1936 stiftete Göring das Fallschirmschützenabzeichen, das nach bestandenem Springerlehrgang verliehen wurde. Damit wurde schon früh ein sichtbares Zeichen geschaffen, wer die besonderen Herausforderungen der neuen Truppengattung gemeistert hatte und wer nicht. Nachdem sich der neue Verband etabliert hatte, wurden 1938 auch die passenden Lieder komponiert. »Rot scheint die Sonne« war das bekannteste, die jungen Fallschirmjäger lernten es spätestens auf der Springerschule in Stendal.326 Die Popularität des Liedes rührte aus der zeitgemäßen Beschwörung des Sprungeinsatzes, des besonderen Mutes und der Opferbereitschaft. So hieß es in der dritten Strophe: »Klein unser Häuflein, wild unser Blut/wir fürchten den Feind nicht und auch nicht den Tod/Wir wissen nur eines, wenn 252
Deutschland in Not/zu kämpfen, zu siegen, zu sterben den Tod.« Da es eine eigene Tradition noch nicht gab, führte das Braunschweiger Fallschirm-Infanteriebataillon die Tradition des Sturmbataillons Nr. 7 der kaiserlichen Armee weiter. Dieser symbolische Akt war Ausdruck des Wunsches, in der neuen Truppe einen besonders kämpferischen und elitären Habitus herauszubilden. In der Praxis spielte diese allzu konstruierte Verbindung aber keine nennenswerte Rolle.327 Anfangs sah es nicht so aus, als ob die kleine Fallschirmjägertruppe den Ansprüchen einer Elitetruppe gerecht werden könnte. Im Polenfeldzug gab es keinen Sprungeinsatz. Auf Drängen General Students wurden die Männer hastig und verstreut als Infanterie eingesetzt. Der Einsatz des III./Fallschirmjägerregiments 1 verlief dabei wenig vielversprechend. Bei einem Sicherungseinsatz in der Nähe von Radom kämpfte es reichlich »unkriegsmäßig« gegen versprengte polnische Einheiten. Zwei der Kompanien wurden überrannt, die Soldaten liefen panikartig auseinander und warfen ihre Waffen weg. General Wolfram von Richthofen notierte in sein Tagebuch: »Die Fallschirmer machen einen sehr schlechten Eindruck. Sie klauen und plündern alles und sind sehr undiszipliniert.«328 Die Enttäuschung über die Einsätze als Sicherungstruppe war bei den Soldaten groß. Einige ließen sich zur Infanterie versetzen, die Zahl der Freiwilligen nahm deutlich ab. Im Norwegen- und im Westfeldzug kam es dann zu den ersten Sprungeinsätzen. Trotz mancher Rückschläge329 spielten die Verbände bei der Besetzung Skandinaviens und vor allem der Niederlande eine zentrale Rolle. Besonders spektakulär war die Ausschaltung des belgischen Sperrforts Eben Emael durch 82 Fallschirmpioniere. Die Operation gilt bis heute als Prototyp eines Kommandounternehmens; sie wurde von der 253
NS-Propaganda groß herausgestellt und auch in der Bundeswehr bis weit in die Neunzigerjahre als beispielhaft gefeiert. Mit diesen Einsätzen hatten sich die Fallschirmjäger in Militär und Gesellschaft als neue Waffengattung etabliert. Die Verbände wurden in der Folge zahlenmäßig erweitert, und im Herbst 1940 wurde die erste vollwertige Division aufgestellt. Die Eroberung der Insel Kreta im Mai 1941 verlief aufgrund falscher Planung allerdings nicht wie vorgesehen.330 Die Fallschirmjäger sprangen in einen abwehrbereiten Feind und erlitten horrende Verluste. Das Grundproblem war, dass die Alliierten unter- und die eigenen Erfolge des Jahres 1940 überschätzt worden waren. So fehlte es »aufgrund eines selbstverschuldeten Blödsinns«331 an einer klaren Schwerpunktsetzung. Nur mit Glück gelang es, die Verteidiger am Flughafen Maleme im Westen der Insel zu überwältigen, Gebirgsjäger einzufliegen und Kreta dann rasch zu besetzen. Im Einsatz zeigten sich teilweise deutliche Unterschiede zwischen den aus dem Polizeidienst und den aus dem Heer hervorgegangenen Offizieren. Erstere waren mit der schwierigen Situation oftmals heillos überfordert und hatten ihre Truppe nicht ausreichend ausgebildet.332 Die Verluste von Kreta lasteten schwer auf dem gerade erst erworbenen Nimbus der Fallschirmjägertruppe. Während nach außen der »Sieg der Kühnsten«333 gefeiert wurde, war man sich intern sehr wohl darüber im Klaren, was alles schiefgelaufen war. So wurde vor allem die Ausbildung deutlich verbessert, und nach dem Vorbild des Heeres wurden 1942 für die Erdkampfverbände der Luftwaffe Schulen für Unteroffiziere und Offiziere eingeführt. Die mittlerweile gewonnene Kampferfahrung trug dazu bei, die Grenzen der Stendaler und Braunschweiger sub-tribes zu verwischen. Die bis Anfang 1944 aufgestellten vier Fallschirmjägerdivisionen 254
gehörten zu den kampfstärksten infanteristischen Verbänden der Wehrmacht. Sie zeichneten sich durch eine besonders hohe Kampfmoral aus, galten als »famose«334 und »kühne«335 Soldaten. Die Verteidigung von Monte Cassino von März bis Mai 1944 ist das bekannteste, freilich auch mythisch verklärte Beispiel ihres Könnens. Es gab aber auch andere Einsätze, in denen sich die Truppe besonders auszeichnete, etwa beim Kampf der 3. Fallschirmjägerdivision in der Normandie im Sommer 1944. Der Führung der Fallschirmjägertruppe um Kurt Student war es seit 1940 zweifellos gelungen, den Habitus einer Elite zu schaffen, der von den Soldaten in hohem Maße als Verpflichtung angenommen wurde. Das wird auch dadurch belegt, dass die Truppe überproportional viele Tapferkeitsauszeichnungen erhielt.336 Die »Zehn Gebote des Fallschirmjägers«337 stellten heraus, dass die Männer Auserwählte der deutschen Armee seien und die Verkörperung des deutschen Kriegers zu sein hätten. Ihre Aufgabe sei es, den Kampf zu suchen; die Schlacht sei ihre Erfüllung. Der Normenkatalog übernahm auch Hitlers Forderung an die Jugend von 1935, »behende wie ein Windhund, so zäh wie Leder, so hart wie Kruppstahl« zu sein. Die 1934 von Hindenburg und Blomberg erlassenen »Pflichten des deutschen Soldaten« wurden damit für die Fallschirmjäger noch einmal erheblich verschärft. Und während in den »10 Geboten für die Kriegsführung des deutschen Soldaten« noch vermerkt war, dass kein Gegner getötet werden dürfe, der sich ergibt, explizit auch kein Freischärler, hieß es in den Fallschirmjäger-Geboten, dass »gegen einen Partisanen kein Pardon« zu gewähren sei. Die »Zehn Gebote des Fallschirmjägers« sind ein beredeter Beleg, wie die NS-Ideologie mit ihrer Überhöhung des 255
Kampfes als Wert an sich Einzug in die Truppe hielt. Die Fallschirmjäger waren dafür zweifellos besonders empfänglich, weil solche Richtlinien ihren elitären Status festigten und zugleich dem Referenzrahmen der NSGesellschaft entsprachen. Die meisten Fallschirmjägeroffiziere der ersten Stunde, die im Verlauf des Krieges in hohe Kommandopositionen aufrückten, waren überzeugte Nationalsozialisten – nicht nur die vielen, die aus der Landespolizei kamen, sondern auch jene, die sich aus dem Heer freiwillig gemeldet hatten. Richard Heidrich und Bernhard Ramcke sind hier nur die prominentesten Beispiele. Zweifellos gelang es ihnen, die Kultur der Truppe nachhaltig zu beeinflussen.338 In zahllosen Befehlen wurden Opferbereitschaft, gläubiger Fanatismus und treue Ergebenheit zum Führer eingefordert. Die eigene Überlegenheit ergab sich für Männer wie Heidrich auch daraus, dass er die Westalliierten für weniger opferbereit hielt; sie seien auf Dauer schweren Verlusten nicht gewachsen.339 Gewiss entsprach nicht jeder Soldat dem vorgegebenen Ideal. Die heimlich abgehörten Gespräche von in Kriegsgefangenschaft geratenen Fallschirmjägern weisen aber darauf hin, dass die Ideologisierung dieser Truppe deutlich über derjenigen des Heeres lag, aber unter derjenigen der Waffen-SS.340 Dass die Fallschirmjäger oftmals unter schwierigsten Bedingungen besonders tapfer und buchstäblich bis zur letzten Patrone kämpften, hatte aber auch andere Ursachen. Ausrüstung, Ausbildung, die körperliche Fitness der im Schnitt sehr jungen Soldaten, die Erfahrung ihrer Führer und Unterführer gehörten ebenso dazu wie der verinnerlichte Korpsgeist und die Verehrung ihrer Generäle als Vaterfiguren. Und noch etwas kennzeichnete die tribal culture der Fallschirmjäger: ihre Stilisierung als Rabauken, die sich durch 256
»wilde Kampfeslust«341 auszeichneten und hinter der Front oder in der Heimat gerne über die Stränge schlugen. Heinz Jurascheck wusste schon aus dem Jahr 1940 von handfesten Prügeleien zwischen Fallschirmjägern, den wegen ihrer weißen Kragenspiegel »weiße Mäuse« genannten Soldaten vom Regiment »Hermann Göring« und der SS zu berichten. So ging manche Kneipe zu Bruch.342 Diesen Habitus bewahrte sich die Truppe den gesamten Krieg über. Die Fallschirmjäger seien »eine verwilderte Truppe«, schilderte etwa Oberst Hermann Keßler seine Erfahrungen in der Normandie 1944, »die sich alles erlauben können, weil jedwede Verfehlung gedeckt wird – wie bei der SS. [Sie] haben sich benommen wie die Schweine. Hinten in Avranches haben die die Tresore der Juweliere mit Hafthohlladungen gesprengt.«343 Schon in Italien war es zu zahlreichen Fällen von Plünderungen, Raub und sogar Mord gekommen, sodass Albert Kesselring nach dem Krieg davon sprach, die Fallschirmjägerdivisionen würden einer »abweichenden Art von Kriegführung« zuneigen.344 Die am klarsten konturierte tribal culture der Landstreitkräfte hatte sicherlich die Waffen-SS. Sie gehörte organisatorisch nicht zur Wehrmacht und war schon deshalb um einen besonderen Habitus bemüht. Zwar gab es im Verlauf des Krieges Annäherungen, doch Himmler wurde nicht müde, ein eigenes Wertesystem seiner Truppe zu beschwören, in welchem unbedingte Treue, fanatischer Kampfeswille und grenzenlose Opferbereitschaft eine zentrale Rolle spielten. Spezielle Uniformen, eigene Dienstränge, Abzeichen, Ärmelbänder und Lieder untermauerten diese eigene Kultur, die zumindest in den Kerndivisionen bis zum Kriegsende erhalten blieb. Schon früh stand die Waffen-SS in einem lebhaften Konkurrenzverhältnis zur Wehrmacht.345 Als 257
Reaktion auf die erstarkenden SS-Truppen bauten Heer und Luftwaffe dann 1942 mit den Divisionen »Großdeutschland«346 und »Hermann Göring«347 eigene Sonderverbände auf, die der SS-»Leibstandarte Adolf Hitler« Konkurrenz machen sollten. Für die Wehrmacht war zweifellos besonders frustrierend, dass es der Waffen-SS zunehmend gelang, sich in der Öffentlichkeit als die maßgebliche Kraft des Landkriegs zu präsentieren. Mit ihren Artikeln, Bildern und Radiobeiträgen verhalfen die SSPropagandakompanien der Waffen-SS zu einer überproportionalen Präsenz in den Medien. So wurden 1943 mehr als 40 Prozent der Zeitungsberichterstattung über die Ostfront von der Waffen-SS dominiert, obgleich sie zu diesem Zeitpunkt nur fünf von 120 Divisionen stellte.348 Dieses auch öffentlich ausgetragene Konkurrenzverhältnis führte an der Front nicht nur zu kritischen Bemerkungen in Erfahrungsberichten und Kriegstagebüchern. Zuweilen ging es auch handfest zu. Als General Hermann Balck im Januar 1944 eine Abordnung von 200 Soldaten der 7. Panzerdivision und der 1. SS-Panzerdivision »Leibstandarte Adolf Hitler« für zwei Tage in sein Hauptquartier einlud, wollten die Männer die Frage, wer die bessere Division sei, kurzerhand mit den Fäusten klären.349 Schon während des Krieges war vonseiten des Heeres häufig der Vorwurf zu hören, dass die Waffen-SS dilettantisch geführt werde, darum sehr hohe Verluste erleide und ihre Erfolge vor allem ihrer bevorzugten Ausrüstung verdanke. Die Forschung hat diese Vorwürfe mittlerweile weitgehend entkräftet. So waren die Verluste nicht signifikant höher als die des Heeres. Zwar gab es durchaus SS-Divisionen, die bevorzugt ausgerüstet wurden, das traf aber auch auf einzelne Einheiten des Heeres und der Luftwaffe zu. Mit der 258
militärischen Professionalität verhielt es sich wohl so wie beim Heer: Mit zunehmender Kriegserfahrung lernte man dazu, bis schließlich die Verluste die Qualität der Truppe massiv absenkten. Die SS-Verbände waren gewiss nicht die strahlende Elite, als die sie die Propaganda stilisierte, aber auch nicht die Dilettantentruppe, als die sie in mancher Heeresakte erschienen.350 Der signifikanteste Unterschied war wohl, dass SS-Einheiten auch noch in aussichtsloser Lage weiterkämpften und sich opferten, während die Heeressoldaten in der Regel irgendwann den Kampf aufgaben.351 Die deutlich höhere Ideologisierung der Waffen-SS352 ging auch einher mit einer signifikant höheren Gewaltbereitschaft.353 Menschenführung Die Loyalität der Soldaten zur Wehrmacht wurde durch eine ganze Reihe von Maßnahmen besonders gefördert. Zu nennen sind etwa der regelmäßige Postverkehr, Urlaub und eine gut ausgebaute Wehrbetreuung bis hin zu Bordellen.354 Für die Akzeptanz der Institution Wehrmacht war ebenso bedeutend, dass der soldatische Alltag im Krieg kaum von stupidem Formaldienst und Kasernenhofdrill, sondern vom Kampf und von seiner Vorbereitung geprägt war. Das führte etwa dazu, dass in mancher Division praktisch kein Soldat mehr einen Präsentiergriff beherrschte, da die Zeit für Wichtigeres genutzt wurde. Hermann Hoth befahl nach dem Polenfeldzug, für den Exerzierdienst nicht übermäßig viel Zeit zu verwenden.355 Walther von Brauchitsch verbot das Strafexerzieren schon im Juli 1940 generell.356 Es komme nicht mehr darauf an, den Paradesoldaten auszubilden, sondern allenfalls der Manneszucht zu genügen und ansonsten den Schwerpunkt auf die Handhabung der Waffen zu legen. Gefechtsdrill bedeute nicht, »Exerzierkünsteleien« ins Gelände zu verpflanzen oder 259
den gesunden Menschenverstand totzuschlagen, stellte das OKH im Januar 1944 fest.357 Solche Bemerkungen lassen darauf schließen, dass die Wehrmacht – wie die deutschen Armeen vor 1934 auch – Schikanen nicht hat verhindern können, obwohl diese in zahllosen Memoranden angeprangert und immer wieder Verständnis und Aufgeschlossenheit gegenüber den anvertrauten Männern gefordert wurden.358 Doch der aus dem Boden gestampften Wehrmacht fehlten die gut ausgebildeten und menschlich reifen Unteroffiziere. Gerade im Ersatzheer auf dem heimatlichen Kasernenhof kam es daher häufig zu Schikanen aller Art, vor allem, wie schon im Kaiserreich, während der Grundausbildung.359 An der Front ging es anders zu, und auch hier bemühte sich die Wehrmachtführung, die Misshandlung Untergebener zu bestrafen. Die Feldgerichte verurteilten etliche Missetäter zu Gefängnis und Rangverlust.360 So erging es etwa einem Batterieführer, der im April 1942 in Russland seine Kanoniere wegen geringfügiger Vergehen mit drei Stunden Strafexerzieren belegte und sie dabei so schikanierte, dass sich ein Soldat daraufhin erschoss.361 Solche Urteile wurden selbst noch kurz vor Kriegsende erlassen, als sich die Wehrmacht mit Aufrufen zum fanatischen Endkampf geradezu überschlug.362 Sie wurden jedoch in den allermeisten Fällen für die Zeit des Krieges ausgesetzt, weil jeder Mann an der Front gebraucht wurde. Viele Fälle von Schikanen dürften aber wohl gar nicht gemeldet worden sein.363 Dennoch: Demütigung und Schikane waren gewiss nicht die primäre soziale Erfahrung der Landser. Eine effiziente Kampfgemeinschaft braucht die Loyalität der Untergebenen zu ihren Führern. Sie lässt sich nicht auf Schikane aufbauen. In den oftmals chaotischen Kämpfen wäre es für die Soldaten ein 260
Leichtes gewesen, die Befehle eines unliebsamen Offiziers zu ignorieren, gar ihn zu töten. Solche Fälle kamen vor, blieben aber Episode. In amerikanischer Kriegsgefangenschaft gaben bei einer Umfrage knapp drei Viertel der Soldaten an, dass sie mit der Behandlung durch ihre Vorgesetzten zufrieden waren. Etwa zwei Drittel beurteilten die Qualität der Truppenoffiziere als gut, Unteroffiziere und Feldwebel erhielten sogar Zustimmungswerte von über 75 Prozent.364 Manch ruppiger Führungsstil wurde also toleriert, weil er sich kaum von dem unterschieden haben dürfte, was die Männer aus ihrer Arbeitswelt kannten. Dies galt auch für das paternalistische Führungsverständnis der Offiziere, das in der Praxis sehr unterschiedliche Formen annehmen konnte. Es gab solche, die von höheren Stellen dafür gerüffelt wurden, dass sie zu viel von ihrer Truppe verlangten – etwa Hermann Balck365 –, während anderen vorgeworfen wurde, ihren Männern zu viel Freiheiten zu lassen. Die Wehrmacht legte viel Wert auf die Auswahl der Truppenoffiziere und zögerte nicht mit einer Ablösung, wenn diese gerade in Krisen die Nerven verloren366 oder keine vorbildlichen, tapferen Führer waren, die das Vertrauen ihrer Männer besaßen. Dass ein Vorgesetzter Strenge und Fürsorge gleichermaßen beweisen musste, galt als selbstverständlich. Ebenso, dass es eine Distanz zwischen Offizieren auf der einen, Unteroffizieren und Mannschaften auf der anderen Seite gab. Dennoch nahmen Mannschaftsdienstgrade zumindest die Subalternoffiziere durchaus als Kameraden wahr, und an der emotionalen Bindung vieler höherer Offiziere zu ihrem Verband und den ihnen unterstellten Männern kann kein Zweifel bestehen. Oberstleutnant Heinrich Eberbach war das von ihm aufgestellte Panzerregiment 35 so sehr ans Herz gewachsen, dass er nur äußerst ungern der Kommandierung 261
zur nächsthöheren Aufgabe folgte. Im Juli 1941 schrieb er an seine Frau: »Und das Reg, unser Reg jetzt hergeben – Du weißt, wie ich mit ihm verwachsen bin. Es ist ja wie ein Kind von mir und einfach unglaublich schwer, nun das alles im Stich zu lassen.« Die neue Einheit sei ja schön und gut. »Aber es ist nicht mein Fleisch und Blut, sind nicht meine Offiziere und nicht meine Gefallenen.«367 Für ihn war der Aufbau seines Bamberger Regiments das schönste Ereignis seiner Militärzeit. Die alten Freundschaften im Offizierkorps und die Anerkennung seiner Soldaten sollten ihn bis ins hohe Alter begleiten.368 An der Front stellte sich zudem rasch ein von Pragmatismus geprägtes System ein, das mit den strengen Friedensvorschriften meist nur noch wenig zu tun hatte. Die Männer nutzten die Freiräume geschickt aus und passten sich manchen Lebensgewohnheiten vor Ort an. Bereits im Spanischen Bürgerkrieg hatte sich das Phänomen der »Verbuschung«, der kulturellen Assimilation gezeigt, und die dort eingesetzten Soldaten fanden sich nur schwer wieder in den heimatlichen Kasernenhof-Verhältnissen zurecht.369 Gewiss war die Bandbreite groß, und es hing sehr von den jeweiligen Offizieren ab, welche Art von Formalismus sie an der Front noch aufrechterhielten. Wie schnell sich außerhalb der eigenen Garnison die Disziplin lockerte, konnte Heinrich Eberbach schon im August 1939 beobachten. Er lag mit seinem Regiment seit Wochen in Oberschlesien in Bereitschaft und wartete auf den Angriffsbefehl auf Polen. »Dieses Herumliegen ist Gift«, notierte er am 30. August. »Betrunkene, Wilddieberei, Leichtsinnigkeiten sind die Folge.«370 Nach dem Polenfeldzug rügte der Oberbefehlshaber des Heeres die nachlassende Disziplin, das Hinwegsehen über Gesetz und Befehl. Mit der Tapferkeit allein sei es gerade für 262
den Offizier nicht getan, auch im täglichen Leben müsse er allen Anfechtungen widerstehen. Vor allem gelte es, die Sitte des Trinkens nicht wieder einreißen zu lassen.371 Die Wirkung solcher Appelle blieb begrenzt. Zechgelage372, Trinkzwang373, ein ungehemmter Umgang mit Frauen in den besetzten Gebieten bis hin zu Vergewaltigungen374 blieben ständige Begleiter der Truppen. Der Oberbefehlshaber des Heeres empörte sich bald darüber, dass mit Prostituierten Orgien gefeiert worden seien und dass Geschlechtskrankheiten gerade in Frankreich zu einem ernsten Problem für die Einsatzbereitschaft etwa von Marineverbänden geworden waren.375 Das Einkaufen in jüdischen Geschäften oder der Umgang mit Juden wurden ebenfalls scharf gerügt.376 In der Sowjetunion beklagte sich die 9. Armee schon nach drei Wochen über die vielen wilden Plünderungen.377 Die Männer tauchten in eine Welt ein, die mit den geordneten Verhältnissen in Deutschland immer weniger zu tun hatte. »Mit jeder Woche rückt die Heimat ferner und werden die Erinnerungen an zu Hause schwächer. Der Dreck, der Schlamm, die schlechten Wege, alles sind wir gewohnt, und damit ist alles selbstverständlich. Immer seltener schweifen die Gedanken nach Deutschland. Immer weniger beschäftigt man sich mit Urlaub, dem Kriegsende und anderen Wunschgebilden. Man muß ganz in der rauen Wirklichkeit bleiben, wenn man dem Krieg treu bleiben will«, schrieb Herbert Zetzsche im Oktober 1941 in sein Tagebuch.378 Der »Osttroupier« war bald schon an seinem Äußeren zu erkennen. Oberst von Lüttwitz fiel selbst auf, in welch »schäbiger Kleidung« er als Regimentskommandeur herumlief. Als im Februar 1942, mitten in der schlimmsten Krise, Generalmajor Hans-Georg von Zanthier als Befehlshaber einer Feldkommandantur wie aus dem Ei gepellt 263
»im nagelneuen Generalsrock« bei ihm im Gefechtsstand erschien, meinte Lüttwitz nur, dass er sich in diesem Aufzug nicht in der vordersten Linie blicken lassen dürfe.379 Etliche Generäle waren mit den lockeren Sitten und Gebräuchen der Truppe weniger nachsichtig als Lüttwitz. Dem Oberbefehlshaber der 4. Armee, Gotthard Heinrici, missfiel im November 1943, dass seine Soldaten mit offenen Mänteln, offenen Kragen, bunten Tüchern, ohne Koppel und Waffen umherliefen. Russinnen würden in den Fahrerhäusern sitzen, Soldaten sich nachts verbotenerweise in den Häusern der Einheimischen aufhalten und auf Märkten Marketenderwaren und andere Gegenstände verschachern.380 Bei der 320. Infanteriedivision am Südabschnitt der Ostfront waren im April 1944 kurz hinter der Front die Verhältnisse zum Leidwesen des Divisionskommandeurs noch schlimmer: »Soweit überhaupt noch Ehrbezeigungen gemacht werden, wird hierzu oft kaum die Pfeife aus dem Mund genommen oder gar aufrechte Haltung eingenommen. Häufig besteht die einzige Notiz, die ein Soldat von seinem Vorgesetzten nimmt, darin, daß er ihn mit den Händen in der Manteltasche und offenem Rock und Mantel dumm anglotzt. […] An den Straßenrändern ziehen einzelne Soldaten in kleinen Trupps oder ungeordneten Haufen entlang. Einige schleichen an Krückstöcken wie 80jährige Panjes, andere tragen eine zigeunerhaft verwahrloste Uniform. Manche tragen ihr Gewehr mit der Mündung nach unten, wie es allgemein nur vom November 1918 her in übelster Erinnerung geblieben ist.«381 Freilich kommandierte Generalleutnant Fritz Becker die kampferprobte Division schon seit September 1942, und doch war es ihm nicht gelungen, die Auswüchse der Truppenkultur abzustellen. Die Regimentsund Bataillonskommandeure duldeten solches Verhalten offenbar. 264
Das Laissez-faire war sicherlich im Hinterland ausgeprägter, aber durchaus auch bei der Fronttruppe zu beobachten. Gerade die jungen Soldaten wollten sich durch eine betont lässige Haltung den alten Veteranen im Habitus anpassen.382 Und offensichtlich lockerten sich auch bei den Offizieren die Sitten. »Der Führer der 3. Kp. – Leutnant, in Zivil Förster – zieht während einer dienstlichen Unterredung einen Dolch aus der Hosentasche und treibt Manicüre!«, hielt sein neuer Bataillonskommandeur Theodor Habicht entsetzt in seinem Tagebuch fest. Er stellte derlei Ungeheuerlichkeiten sofort ab und erwies sich als ein geradezu ordnungsfanatischer Offizier. Sein Vorgänger hatte legerere Umgangsformen toleriert.383 Der überwiegend pragmatische Umgang mit der formalen Disziplin war ein wichtiger Puzzlestein in der Ausbildung einer stabilen vertikalen Kohäsion. Die Soldaten vertrauten ihren Offizieren, weil diese sie zumeist nicht schikanierten und weil für alle dieselben Regeln der Frontgemeinschaft galten. Hass auf Offiziere, wie es ihn teilweise im Ersten Weltkrieg gegeben hatte, war in der Wehrmacht äußerst selten zu beobachten. Primärgruppen Die Kohäsion der Primärgruppen, also der kleinen Kampfgemeinschaften der Kompanien, Züge und Gruppen, war für die Durchhaltefähigkeit der Wehrmacht von zentraler Bedeutung.384 Daher bemühte man sich, durch eine möglichst einheitliche landsmannschaftliche Zusammensetzung der Verbände und die Zuführung von genesenen Verwundeten zu ihren alten Einheiten diese Primärgruppen möglichst intakt zu halten. Das gelang nicht immer und wurde gerade in Krisenzeiten bei der Aufstellung von Alarmverbänden oder bei Neuaufstellungen missachtet. Doch wie Christoph Rass gezeigt hat, gelang es der Wehrmacht trotz hoher Verluste bis 265
Herbst 1944, den Zusammenhalt der Primärgruppen weitgehend aufrechtzuerhalten. Jede Kompanie scharte sich um eine Kerngruppe erfahrener Obergefreiter und Unteroffiziere, die zumeist schon Jahre bei den Männern waren, den Ersatz in die Gruppe einführten, den Neuen in den schwersten Stunden des Kampfes sagten, was sie zu tun hatten.385 Die Primärgruppen waren sozialer Zufluchtsort und Familienersatz, boten Geselligkeit und Geborgenheit. In diesem Rahmen spielte sich Kameradschaft ab, stand man sich bei und half einander, den Krieg zu überstehen. Politische Fragen und NS-Ideologie spielten auf dieser Ebene kaum eine Rolle. Die abgehörten Gespräche deutscher Gefangener zeigen, dass gegenseitige Sympathie, Einsatz für die Gemeinschaft und militärische Kompetenz die »Währungen« der Primärgruppen waren. Das bedeutete zugleich, dass sie dysfunktional wurden, wenn sich die meist zufällig zusammengewürfelten Männer nicht vertrugen, es Egoismen gab oder Gruppenmitglieder ihre militärische Aufgabe nicht erfüllten. Die kleinen Kampfgemeinschaften waren immer auch von Gruppendruck, sozialer Kontrolle, von Zank, Streit und Cliquenbildung geprägt. Kameradschaft war durchaus eine Medaille mit zwei Seiten.386 Gewiss sollte man nicht späteren Verklärungen aufsitzen, aber der emotionale Bezug der Soldaten zu ihrem »Haufen« ist in den Quellen vielfach belegt. So auch bei Willy Peter Reese, der froh war, nach einer Verwundung »endlich wieder bei meiner alten Kp.« zu sein.387 Im Überlebenskampf an der Front gaben sie ihm Halt: »Gestern waren heftige Gefechte und vom Trommelfeuer haben wir unseren Teil abbekommen. Ich habe sehr gute Kameraden und bin ruhig.«388 266
Wenngleich die innere Struktur der Wehrmacht aufgrund ihrer hohen vertikalen und horizontalen Kohäsion außerordentlich widerstandsfähig war, stieß auch diese Belastbarkeit durch die enormen Verluste, die Rückzüge und Niederlagen an ihre Grenzen. Die für die Wehrmacht so typische landsmannschaftliche Rekrutierung der Divisionen ließ sich vielfach nicht mehr aufrechterhalten; ebenso brachen die solide Ausbildung und Qualifizierung zusammen. Dieser Verfall des sozialen Gerüsts geschah nicht über Nacht. Es gab neben Krisen auch Erholungsphasen, aber seit Herbst 1943 wies der Gesamttrend nach unten. Es ist kein Zufall, dass im November 1943 der Nationalsozialistische Führungsoffizier eingeführt wurde, der – ähnlich wie 1917 der vaterländische Unterricht – durch seine Schulungsarbeit die sich verschlechternde Moral der Truppen stabilisieren sollte, getreu dem Motto: Ein Nationalsozialist opfert sich und gibt den Kampf nicht verloren. Je schlechter die Kriegslage, desto intensiver wurde die NS-Ideologie als Heilsbringer beschworen.389 Die Truppenführer hatten sie ihren Soldaten einzuimpfen. »Jeder Führer hat seiner Truppe vorzuleben, vorzuglauben und, wenn es sein muß, vorzusterben«390, hieß es in einer internen Verlautbarung vom August 1944. Noch nachdrücklicher als zuvor wurden nun Fanatismus und Hass auf den Feind beschworen.391 Die Wirkung solcher Appelle blieb begrenzt, und auch der nach dem 20. Juli 1944 eingeführte Deutsche Gruß als offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus war nicht jedermanns Sache.392 Spätestens seit August 1944 ließ die Bereitschaft der einfachen Landser, sich für Führer und Vaterland totschießen zu lassen, merklich nach. Das zeigte sich insbesondere an ihrem mangelnden Willen anzugreifen. Hauptmann Werner Otto bemerkte dazu am 1. Januar 1945: »Der deutsche Soldat 267
ist ja auch nicht mehr gut. Der greift ja nicht mehr an. Den kriegen sie nicht mehr zum Angreifen. Kommt nicht aus den Löchern raus. Steht auf, schießt und legt sich wieder hin […] Die haben derartig die Schnauze voll. Er verteidigt noch, das ist alles. Er greift nicht an. Es ist nicht so, dass er Befehle verweigert, aber er geht vor, bleibt dann liegen, er will einfach nicht mehr.«393 General Edwin von Rothkirch und Trach nannte dieses Verhalten im März 1945 einen »stummen Streik« der Soldaten394, während sich andere Generäle über das »feige Zurückgehen«, über Selbstverstümmelungen oder die ständig steigende Zahl von Gefangennahmen empörten.395 Es blieb nicht bei Unmutsäußerungen und Appellen; im letzten Kriegsjahr stieg die Gewalt gegen die eigenen Soldaten exponentiell an. Vermeintliche Feiglinge waren nun quasi vogelfrei.396 Es gab Generäle wie Ferdinand Schörner, der zahllose kampfunwillige Soldaten kurzerhand aufhängen ließ, oder Hermann Balck, der nun das tat, was man seiner Ansicht nach im September 1918 versäumt hatte: gegen alle, die nicht kämpfen wollten, mit schärfsten Mitteln einzuschreiten.397 Schon im November 1944 hatte er einen Artilleriekommandeur kurzerhand erschießen lassen, weil dieser betrunken in seinem Gefechtsstand aufgefunden worden war. Und noch im April 1945 ließ er an der österreichischungarischen Grenze hart gegen »Drückeberger« durchgreifen.398 Im Chaos des Rückzugs sollte die Ordnung bewahrt, sollte vor allem bis zur letzten Patrone gekämpft werden. An der Ostfront führten die Angst vor sowjetischer Gefangenschaft und die Fanatisierung der Offiziere vielfach zur Kapitulationsverweigerung. So befahl SS-General Karl Pfeffer-Wildenbruch am Ende der Kämpfe um Budapest den überlebenden Soldaten am 11. Februar 1945 den Ausbruch. 268
Von 20 000 Mann kamen 18 000 in einem infernalischen Gemetzel binnen Stunden zu Tode.399 Pfeffer-Wildenbruch zog es vor, sich einen Tag später den sowjetischen Truppen zu ergeben.400 Derlei Verhalten gab es an der Westfront nicht. Wenngleich manche Stadt zäh verteidigt wurde, gab es hier einige wenige Offiziere wie Oberst Wilhelm Zierenberg oder Generalmajor Friedrich Stemmermann, die als Kampfkommandanten von Wiesbaden respektive Frankfurt/Main ihre Spielräume so ausnutzten, dass amerikanische Truppen beide Städte beinahe kampflos besetzen konnten.401 Sie wandelten dabei auf einem schmalen Grat: Wagten sie sich zu früh aus der Deckung, drohte die Todesstrafe.402 Kämpften sie bis zur letzten Patrone, drohte der Tod an der Front. Gewiss spielte das eigene Überleben als Motiv ihres Handelns eine entscheidende Rolle. Doch zumindest bei den Offizieren, die nicht aus der Kampftruppe kamen oder dem Nationalsozialismus reserviert gegenüberstanden, gab der Wunsch, kaum ausgebildete Soldaten nicht sinnlos zu opfern oder die Zerstörung von Städten kurz vor Kriegsende zu vermeiden, den Ausschlag. Für die meisten Stabsoffiziere stand jedoch außer Frage, dass man als Soldat den Kampf auch in auswegloser Lage nicht verweigern durfte und die Schlacht zumindest annehmen musste. Als Generalleutnant Hans Schaefer im Dezember 1944 in der Gefangenschaft von Mitarbeitern des USGeheimdienstes gefragt wurde, warum die Wehrmacht den hoffnungslosen Kampf nicht aufgeben würde, antwortete er: »Ich würde lieber heute als morgen Frieden haben, aber Sie können doch einen Offizier nicht dazu bringen, dass er einfach sagt, wir verabreden mit den Amerikanern: ›Ihr greift an, wir schießen nicht‹.«403 Verbrechen 269
Polen: Ouvertüre zum Vernichtungskrieg Die von der Wehrmacht in Polen begangenen Verbrechen lassen eine spezifische Gewaltkultur erkennen, die von vier miteinander verflochtenen Einflussfaktoren geformt wurde. Als Erstes ist hier der Referenzrahmen des NS-Staates zu nennen. Als Hitler im März 1939 den Befehl gab, den Angriff auf Polen vorzubereiten, ließ er keinen Zweifel daran, dass dort ein radikaler Krieg zu führen war, der das Land als Machtfaktor ausschalten sollte.404 Bei den Planungen blieb zwar noch viel im Ungefähren, aber nicht zuletzt die Aufstellung von Einsatzgruppen des Sicherheitsdienstes der SS und die Betonung des »Volkstumskampfes« deuteten das Kommende bereits an. Der größte Verbrechenskomplex waren dann auch die Morde der fünf Einsatzgruppen, die der Wehrmacht unterstellt waren. Sie begannen im September 1939 damit, die polnische Führungsschicht zu liquidieren, und töteten bis Frühjahr 1940 über 60 000 Polen, darunter 7000 polnische Juden.405 Zudem formulierte Hitler während der Kämpfe immer wieder seine Erwartungen an das Heer, mit »schärfsten Mitteln« etwa gegen Sabotage und Aufstände vorzugehen.406 Vor diesem Hintergrund müssen die Befehle des Oberkommandos des Heeres gesehen werden, das sich diesen Vorgaben anzupassen suchte. Als zweiter Einflussfaktor kam in Polen die Organisationskultur der Wehrmacht zum Tragen. Deren Vorschriften, Handbücher und Dienstanweisungen standen in einer längeren Tradition preußischer Streitkräfte. Schon im Kaiserreich hielt die Mehrheit der maßgebenden Militärs zivilen Widerstand für illegitim.407 Die im Juni 1939 erlassene Dienstanweisung für die Einheiten des Kriegsheeres folgte dieser Auffassung. Zwar waren damit keinesfalls alle Rechtsnormen aufgehoben, die Besetzten nicht zu Freiwild 270
erklärt. Aufgegriffene Freischärler durften nicht einfach erschossen, sondern mussten bei der Division abgeliefert und vor ein ordentliches Kriegsgericht gestellt werden408; Todesurteile waren vom Divisionskommandeur zu bestätigen. Auch waren Kriegsgefangene nach den Regeln der Genfer Konvention von 1929 zu behandeln. Doch bereits vor Beginn des Polenfeldzugs schienen etliche Kommandeure entschlossen, sich nicht an diese Rechtsnormen zu halten, zumal Hitler sie zur »größten Härte« anhielt.409 So ließ General Erich Hoepner, der spätere Widerstandskämpfer, seine Truppen Ende August 1939 wissen, dass angesichts des zu erwartenden Auftretens von polnischen Freischärlern »schärfste Massnahmen« aller Führer »am Platze« seien. Ziel des Verbandes sei die »erbarmungslose Vernichtung des Feindes«; im Kampf gegen einen hinterhältigen und grausamen Gegner, der Milde nur missverstehe, könne es keine Gnade geben.410 Selbst ein Mann wie Johannes Blaskowitz, der wenige Monate später bei Hitler gegen die Ermordung polnischer Zivilisten protestierte, erließ wenige Tage nach Kriegsbeginn am 4. September einen geharnischten Befehl, wonach »Meuchelmörder und Freischärler« ebenso zu erschießen seien wie Zivilisten, bei denen Waffen gefunden würden oder die sich in Häusern aufhielten, aus denen auf deutsche Truppen geschossen würde. Auf den Schuldbeweis könne verzichtet werden.411 Im gleichen Kontext muss auch der Rachebefehl General Walther von Brauchitschs vom 16. September 1939 gesehen werden. In einem Rundschreiben an die Armeen zitierte er einen Oberkriegsgerichtsrat mit erschütternden Details über die Ermordung von Volksdeutschen in Bromberg.412 Die an diesen Schandtaten beteiligten polnischen Truppen seien nun westlich Warschau eingeschlossen, und deren Verhalten sei, so 271
Brauchitsch, den gegen sie angesetzten deutschen Truppen bekannt zu geben. »Ein solcher Feind ist jeder Niedertracht fähig und verdient keine Schonung«, hieß es in dem Schreiben. Solche Anweisungen waren auf den ersten Blick mit dem geltenden Rechtsrahmen nicht vereinbar. In den »10 Geboten für die Kriegsführung des deutschen Soldaten«, die jeder Landser in seinem Soldbuch trug, hieß es etwa: »Der deutsche Soldat kämpft ritterlich. […] Grausamkeiten sind seiner unwürdig«, »Es darf kein Gegner getötet werden, der sich ergibt, auch nicht der Freischärler und der Spion«, oder: »Kriegsgefangene dürfen nicht mißhandelt oder beleidigt werden.« Doch man hatte vorsorglich eine Hintertür eingebaut. Es hieß dort nämlich auch: »Vergeltungsmaßregeln sind nur auf Befehl der höheren Truppenführung zulässig.«413 Und entsprechend waren die Befehle von Blaskowitz und Brauchitsch zu lesen. Nach dem Polenfeldzug passte das Oberkommando des Heeres die Vorschriften für den Umgang mit Freischärlern sogleich der bereits geübten exzessiven Praxis an. Diese seien nun generell im Kampf oder auf der Flucht zu erschießen; falls sie doch gefangen genommen würden, seien sie wie Verbrecher zu behandeln und in einem vereinfachten Verfahren von den Regimentern abzuurteilen.414 Wie die Rechtsvorschriften, Rundschreiben und Befehle tatsächlich umgesetzt wurden, hing drittens von der Disposition der Soldaten vor Ort ab. Hauptmann Happach, Kommandeur des II. Bataillons des Infanterieregiments 48, erhielt Brauchitschs Rachebefehl vom 16. September und gab daraufhin die Weisung, keine Gefangenen zu machen. Jeder Zug erhielt eine Ausführung der Anordnung.415 Jedoch lag die Einheit zu diesem Zeitpunkt gar nicht den genannten polnischen Verbänden gegenüber, sondern kämpfte in einem ganz anderen Abschnitt östlich der Weichsel vor dem 272
Warschauer Stadtteil Praga. Happach hätte den Befehl einfach zu den Akten legen können. Doch er hielt sich nicht lange mit Interpretationen auf und ordnete am 22. September an, polnische Soldaten, die sich ergeben wollten, zu erschießen. Ob es in diesem Fall wirklich noch zu Gefangenentötungen kam, wissen wir nicht, da das Bataillon bereits zwei Tage später aus der Front abgezogen wurde. Jedenfalls nutzte Happach seinen Spielraum bei der Befehlsgebung nicht im Sinne der Eindämmung von Gewalt.416 Offensichtlich hatte sich das Koordinatensystem von legitimer und illegitimer, von angemessener und exzessiver Gewaltanwendung seit dem Ersten Weltkrieg erheblich verschoben. Die massive Verschlechterung des deutschpolnischen Verhältnisses nach dem Ersten Weltkrieg hatte zu einer Radikalisierung der antipolnischen Stimmung im Deutschen Reich geführt, vor allem seit dem Frühjahr 1939. Daran hatte die NS-Propaganda gewiss ihren Anteil, aber – und das ist entscheidend – sie fiel bei den Soldaten auf fruchtbaren Boden. Nur so ist zu erklären, warum allein im September und Oktober 1939 rund 20 000 Polen außerhalb von Kampfhandlungen in Racheakten für vermeintliche oder reale Attacken aus dem Hinterhalt oder die Ermordung von Volksdeutschen sowie in zahlreichen Fällen von Lynchjustiz getötet wurden.417 Die Täter waren neben den Soldaten auch Angehörige des SD, der SS oder volksdeutscher Milizen. In der Zahl enthalten sind rund 3000 polnische Gefangene, die die Wehrmacht in den rund fünf Wochen andauernden Kämpfen tötete.418 Wut und Rachegefühle angesichts der eigenen Verluste oder vermeintlicher Missetaten des Gegners waren dabei die Motive – ein von der NS-Propaganda geschürtes kulturell-rassistisches Überlegenheitsgefühl kam hinzu. Die Gemengelage wird am Beispiel des 273
Panzerregiments 35 deutlich, das am 19. September eine eingeschlossene Kampfgruppe der eigenen Division freikämpfte. Der 43-jährige Oberstleutnant Heinrich Eberbach schrieb an seine Frau: »Deutsche Gefangene werden befreit. Polen hatten sie ganze Nacht in einem Tümpel stehen lassen bis zum Bauch im Wasser, paar erschossen, einem Geschlechtsteil abgeschnitten. Denn so sind die Polen. Viele haben Dum-Dum Geschosse. Die werden an die Wand gestellt. Masse ist stur und roh, mehr Vieh wie Mensch.«419 Eberbach hätte als Regimentskommandeur die Ermordung der Gefangenen verhindern können. Die Verwendung von DumDum-Geschossen war völkerrechtlich seit der Haager Landkriegsordnung zwar geächtet, aber eine Vorschrift, wonach der Besitz mit dem Tode bestraft werden konnte, gab es nicht. Eberbach sah dies gleichwohl als gerechte Strafe an. Seiner Meinung nach waren die Polen ohnehin »gemein und hinterlistig. Nur mit Härte kommt man bei ihnen durch«.420 Indem er das Verbrechen guthieß, schuf er einen Raum, in dem sich Wut und Rache, aber auch schiere Lust an Gewalt Bahn brechen konnten. Auch der Ausschluss der Juden aus der deutschen Volksgemeinschaft seit 1933 hatte seine Wirkung auf die Soldaten nicht verfehlt. Eberbach beispielsweise sprach nach dem Einmarsch in Polen wiederholt von »widerlichen«, »schauerlichen« Juden, von »widerwärtigem Untermenschentum« und »Judengeschmeiss«. Hinzu kamen die grenzenlose Verehrung Hitlers, die Überzeugung, er sei ein »Tausendsassa«, der es »schon recht machen« werde. Eberbach und der Stab des Panzerregiments 35 hörten am 19. September 1939 todmüde in der Kälte stehend Hitlers Rede in Danzig. Einen Tag später berichtete er an seine Frau: »Jeder verstehts und jeder glaubt. Und unser Sieg-Heil am Schluss 274
und unser Singen des Deutschl. und H. Wessel Liedes, beides spontan aus dem Augenblick, ist voll Ergriffenheit. Es war wie ein Dank, auch an Gott.«421 Gewiss war nicht jeder Regimentskommandeur so antisemitisch und führergläubig wie Heinrich Eberbach. Seine Haltung scheint aber typischer gewesen zu sein als jene von Theodor Graf von Sponeck, der in einem Erfahrungsbericht schrieb: »Schießen auf wehrlose Einwohner ohne Waffe ist gemeiner Mord.«422 Oder von Rudolf Hofmann, 1. Generalstabsoffizier des XIII. Armeekorps, der ebenfalls in einem Erfahrungsbericht beklagte, dass selbst Offiziere über die Rechtsverhältnisse im Feindgebiet, über das Verhalten gegenüber Freischärlern und Spionen sowie über die Behandlung von Gefangenen nicht orientiert seien. Diese Unkenntnis der Truppe führe zu Vergeltungsmaßnahmen, die zumeist völlig Unbeteiligte träfen und nur Nachteile brächten. Auch die Heranziehung einer SD-Einsatzgruppe in den Korpsbereich sah Hofmann kritisch. Und er mahnte an, dass bei der Verpflegung aus dem Lande auch auf die Ernährung der Zivilbevölkerung Rücksicht zu nehmen sei.423 Die kritischen Töne, die Sponeck und Hofmann anschlugen, blieben Ausnahmen. In Eberbachs Aufzeichnungen jedenfalls werden weder die Haager Landkriegsordnung noch die Genfer Konvention, auch nicht die Kriegssonderstrafrechtsverordnung vom 26. August 1939 erwähnt. Wir wissen nicht, ob er sie kannte; in seinen Reflexionen über den Krieg spielten sie zumindest keine Rolle. Doch trotz aller Ideologisierung gab es in seiner Disposition zur Gewalt Grenzen: Die Ermordung von Gefangenen blieb nach allem, was wir wissen, in seiner Einheit die Ausnahme. Mehrfach äußerte er Mitleid mit polnischen Frauen und Kindern424, sprach sogar mit Hochachtung von polnischen Soldaten, die sich tapfer 275
schlugen und auch in aussichtsloser Lage keine Opfer scheuten, insbesondere von General Juliusz Rómmel, dem Verteidiger Warschaus. Ihr Kampfesmut imponierte Eberbach.425 Die Wehrmacht hatte zweifelsohne eine ausgeprägte Affinität zur Gewalt, auch wenn nicht ständig und überall Gefangene erschossen und Zivilisten ermordet wurden. Dazu bedurfte es in der Regel eines Auslösers, einer spezifischen Situation. Damit ist der vierte und letzte Einflussfaktor für die besondere Gewaltkultur der Wehrmacht genannt. Die meisten Menschen sind in der Lage, zu quälen oder gar zu töten, wenn bestimmte Parameter gegeben sind. Das Töten fällt leichter, wenn es aus der Distanz erfolgt, von einer Autorität gefordert wird oder wenn der Täter sein Opfer als legitimes Ziel ansieht.426 Aber auch schmerzliche Verluste konnten schnell Momente herbeiführen, in denen die Gewalt eskalierte. So schrieb Eberbach über die Kämpfe am 3. September 1939: »Nun hat Stenglein den Wald erreicht und räumt auf. Ich fahr zu ihm, wir unterhalten uns, ich geb Befehl, da bricht er zusammen. Wir sehen M. G., das ihn beschossen, und schiessen es tot und überfahren es. Von da ab Kampf ohne Gnade.«427 Die Verwundung seines Abteilungskommandeurs in unmittelbarer Nähe hatte in Eberbach Wut ausgelöst; die Soldaten, die das polnische Maschinengewehr bedienten, wurden umgehend »totgeschossen«, mit dem Panzer niedergewalzt. Aus den Zeilen, die er einen Tag später niederschrieb, ist die Erregung noch deutlich zu spüren. Kampf ohne Gnade – keine Gefangenen also. Der Krieg hielt viele ungewohnte Sinneseindrücke bereit: neue Geräusche und Gerüche, das Leben in unbekanntem Gelände unter freiem Himmel, die Begegnung mit Menschen, deren Sprache und Kultur man nicht verstand. Erfahrene 276
Krieger konnten das alles lesen und deuten, wussten, was im Moment der Gefahr zu tun war. Neulinge reagierten auf die Unsicherheit oft mit Gewalt, die ihnen Halt gab, die Angst vertrieb und Ordnung im Chaos schuf. Die Reaktion auf reale oder eingebildete Franktireure war ein klassischer Fall, wie das Situative geradezu übermächtig wird. Die Soldaten standen im September 1939 zum ersten Mal im Gefecht; bald hielten sie jeden feindlichen Schuss für einen heimtückischen Freischärlerangriff. Sie antworteten mit zügelloser Gewalt, brannten wahllos Häuser nieder und ermordeten Tausende Einwohner. Zwar gab es durchaus polnische Zivilisten, die sich am bewaffneten Widerstand gegen die Wehrmacht beteiligten428, was nicht nur nach deutschem Kriegsrecht illegal war und mit dem Tode bestraft werden konnte.429 Doch hielten sich die deutschen Truppen kaum an die entsprechenden Regularien, die immer ein ordentliches Kriegsgerichtsverfahren vorsahen.430 Im Gegenteil, das »scharfe Durchgreifen« schien den Soldaten recht zu geben, denn die »Franktireursache« habe fast ganz aufgehört431, wie Eberbach am 18. September 1939 an seine Frau schrieb. Zudem gab es denkbar widersprüchliche Befehle, die einerseits strikte Disziplin, andererseits aber Härte gegen jedwede Form von Widerstand einforderten. Siebzehn Wehrmachtsoldaten wurden im September und Oktober 1939 wegen Plünderung zum Tode verurteilt, wohl einige Tausend wegen Disziplinlosigkeiten belangt.432 Hitler sorgte dafür, dass eine eigene SS-Gerichtsbarkeit aufgebaut wurde, weil er nicht wollte, dass Wehrmachtgerichte Männer der Waffen-SS aburteilten.433 Auch auf die Proteste von Generaloberst Johannes Blaskowitz gegen die Besatzungspolitik reagierte er abwehrend.434 Dieser wurde nicht mehr befördert und musste sich mit drittrangigen 277
Aufgaben begnügen. Im Offizierkorps verstand man sehr wohl, wohin die Reise ging, und passte sich an. Widerspruch bekam der eigenen Karriere nicht. Viele hielten zudem radikales Gewalthandeln für der Situation und dem Gegner angemessen, weshalb wohl auch später eine grundlegende Kritik an der Vernichtungspolitik in der Sowjetunion unterblieb. Die Bemerkungen von Blaskowitz, Hofmann und Sponeck zeigen jedoch, dass es die traditionellen Denkmuster vom fairen Kampf 1939 durchaus noch gab.435 Der Referenzrahmen des NS-Staates, die Organisationskultur der Wehrmacht, die Disposition der Soldaten und die situative Lage bestimmten ganz wesentlich, welche Gewalttaten verübt wurden und wie über sie geschrieben, gesprochen und gedacht wurde. Diese Verbindung von Tat und Diskurs lässt sich als Gewaltkultur bezeichnen, die konstituierend war für das, was im Krieg als legitim erachtet wurde und was nicht. Nicht alle Soldaten werden der gleichen Meinung gewesen sein; aber jeder Soldat war ein Rädchen im hochgradig arbeitsteiligen Gesamtgefüge, trug mit seinem Verhalten zur vorherrschenden Gewaltkultur bei. Doch trotz der erschreckenden Anzahl von Verbrechen tobte 1939 in Polen noch kein Vernichtungskrieg wie ab Juni 1941 in der Sowjetunion. Noch gab es keine systematische Ermordung von Gefangenen. Selbst die jüdischen Soldaten überlebten zumeist die Zeit in deutscher Gefangenschaft.436 Die Einsatzgruppen führten noch keinen Holocaust durch. Die polnischen Juden standen 1939 noch nicht im Fokus der Mordtaten. Auch wurden die Soldaten der Wehrmacht noch nicht durch verbrecherische, schon vor dem Feldzug erlassene Befehle zu Gewalthandlungen angehalten, die die Bestimmungen des Völkerrechts von vornherein außer Kraft setzten. Der Krieg in Polen war aber, wie Jan Behrends 278
festgestellt hat, eine Art Ouvertüre zum Vernichtungskrieg. Viele der späteren Organisations- und Verhaltensmuster waren hier schon angelegt.437 »Normalkrieg« im Westen 1940/41 Heinz Ersfeld erlebte seine Feuertaufe in Norwegen. Am 12. April 1940 ging es per Flugzeug von Hamburg nach Oslo. Sein Bataillon traf nach drei Tagen zum ersten Mal auf norwegische Truppen. Als die Männer über eine Landstraße vorrückten, »bekommen [wir] einen heftigen Feuerüberfall«, schrieb er in sein Notizbuch. Nach kurzer Zeit war das erste Gefecht überstanden, die Norweger rückten ab. Ähnlich verliefen auch die nächsten Tage. Norwegische Truppen leisteten an Straßensperren Widerstand, zogen sich nach meist kurzen Scharmützeln zurück, und der Schlagabtausch begann einige Kilometer weiter von Neuem. Die ersten Männer aus Ersfelds Kompanie fielen gleich am 12. April, aber die Verluste blieben im Vergleich zu anderen Kriegsschauplätzen noch überschaubar.438 Neun Tage später wurde frühmorgens ein größerer Angriff auf eine Straßensperre westlich des kleinen Dorfes Tobru, 100 Kilometer nördlich von Oslo, durchgeführt. Nach kurzem Kampf gelang es, den gegnerischen Truppen »schwerste Verluste« zuzufügen; 150 Gefangene wurden gemacht. Kurz darauf tobten in dem Dorf Häuserkämpfe. Gegen Mittag zogen sich die Norweger schließlich zurück. Ersfeld schrieb in sein Tagebuch: »Bei den Gefangenen befanden sich etwa 60 Zivilisten. Auf Anordnung des Batls.Kdr. werden 6 Zivilisten, die sich nachweislich bei dem Häuserkampf in Tobru beteiligt haben, als Freischärler angesprochen und kurz vor Gjövik erschossen.«439 Ersfeld kommentierte die Erschießung nicht weiter – sie erschien ihm wohl ebenso normal wie das Knattern der Maschinengewehre oder der Tod von Kameraden. Freischärler 279
werden erschossen, Kriegsalltag eben. Seine Einheit – das Infanterieregiment 236 – hatte vor April 1940 keine Erfahrung mit Freischärlern gemacht, da sie seit September 1939 in der Eifel gelegen hatte. In seinen Zeilen ist dennoch keinerlei Aufregung zu spüren. Das Gefecht war siegreich verlaufen, und die Feuertaufe lag schon eine Woche zurück. Doch warum wurden die sechs Zivilisten dann überhaupt noch am selben Tag füsiliert? Die für diesen Fall gültige Anordnung Brauchitschs vom 4. November 1939 hatte gefordert, Freischärler unverzüglich mit dem Tod zu bestrafen, und dafür ein Ad-hoc-Feldurteil vorgesehen.440 Nach geltenden deutschen Bestimmungen war die Tötung der sechs Zivilisten somit zulässig, wenn sie auf Anordnung des Regimentskommandeurs durchgeführt worden wäre. Dies scheint aber nicht der Fall gewesen zu sein. Zudem wurde Artikel 2 der Haager Landkriegsordnung gänzlich ignoriert, der der Bevölkerung eines angegriffenen Landes ausdrücklich das Widerstandsrecht zubilligte, wenn sie die Waffen offen trug und eine rudimentäre Kennzeichnung vornahm. Über die Prüfung solcher Sachverhalte und die Wahrung der Verhältnismäßigkeit war die Wehrmacht nach einem guten halben Jahr Krieg aber schon hinweg. Offensichtlich waren vor Ort alle davon überzeugt, dass es hier ums Prinzip ging und ziviler Widerstand auch in Norwegen augenblicklich mit der Todesstrafe zu ahnden sei. Gleichwohl blieb das Ausmaß deutscher Kriegsverbrechen nicht nur in Norwegen, sondern auch in Frankreich, dem nächsten Angriffsziel der Wehrmacht, im Vergleich zum Polenfeldzug begrenzt. Es gab keine Befehle, die noch vor Beginn des Feldzugs zu rigoroser Härte aufriefen, keine Flugblätter, die – wie im Falle Polens – Hass auf den Gegner schürten. Die allermeisten Divisionen wurden bei den 280
Kampfhandlungen nicht von Panik erfasst, da sie inzwischen Kampferfahrung gesammelt hatten. Außerdem ergaben sich die französischen Soldaten oftmals nach kurzem Gefecht. So kam es in der Regel erst gar nicht zu Situationen, die Exzesse hätten auslösen können. Dennoch kamen sie vor. So erschossen Wehrmachtsoldaten am 27. Mai 1940 westlich von Gent 86 belgische, einen Tag später südlich von Lille 114 französische Zivilisten.441 Die betreffenden Einheiten standen zum ersten Mal im Gefecht, glaubten sich von Freischärlern angegriffen und töteten dann wahllos. Die SS-Division »Totenkopf« erschoss Ende Mai mehr als 180 französische Zivilisten. SS-Verbände waren auch für die Hinrichtung britischer Kriegsgefangener verantwortlich. Hunderte, wenn nicht gar über 1000 französische Kolonialsoldaten wurden zudem von Einheiten der Waffen-SS, aber auch von Wehrmachtverbänden ermordet.442 Die NS-Rassenideologie dürfte die Bereitschaft zu solchen Gewalttaten erhöht haben. In den sechs Wochen des Frankreichfeldzugs kam es also sehr wohl zu Kriegsverbrechen. Ihr Ausmaß blieb aber hinter dem des Jahres 1914 zurück, als die deutschen Truppen sich in einem Franktireurkrieg wähnten und im gleichen Zeitraum über 5000 Zivilisten töteten. Vernichtungskrieg in der Sowjetunion Den Rubikon zum Vernichtungskrieg überschritten die Deutschen mit dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941. Es ist mittlerweile gut erforscht, wie Hitler die Wehrmacht auf diesen Vernichtungsfeldzug einschwor, wie die Generalität den Willen des Diktators entgegennahm und die exzessive Gewalt zur eigenen Sache machte, wie sie entweder selbst die Initiative ergriff oder willig Hitlers Anordnungen ausführte. Christian Hartmann hat acht Verbrechenskomplexe benannt, die den Vernichtungskrieg charakterisierten, wobei er 281
Völkermord, Kriegsgefangene, Partisanenkrieg und Ausbeutung eher dem Hinterland, Kommissarbefehl, Zivilbevölkerung, Kriegführung und Rückzug eher dem Frontbereich zuordnet.443 Dabei war die Wehrmacht meistens der Haupttäter, manchmal Unterstützer, selten nur Zuschauer; die Grenzen waren fließend. So wurde der Holocaust vor allem von den Einsatzgruppen der SS und ihren lokalen Helfern durchgeführt. Die Wehrmacht unterstützte ihn vor allem logistisch und brachte selbst etwa 50 000 Juden um.444 Das größte Verbrechen der Wehrmacht war der Massenmord an sowjetischen Kriegsgefangenen. Zwischen 2,5 und 3,3 Millionen von ihnen (44–58 Prozent) kamen in deutschem Gewahrsam ums Leben.445 Damit ist diese Opfergruppe in etwa so groß wie diejenige der ermordeten sowjetischen Juden. Der zweite große Verbrechenskomplex der Armee war die Tötung von bis zu 500 000 Zivilisten im Zuge der Partisanenbekämpfung. Und die Liste der weiteren Verbrechen ist lang: Die Wehrmacht exekutierte Tausende Politkommissare. Sie war auch für die Tötung Tausender psychisch Kranker verantwortlich. Sodann wurden die besetzten Gebiete wirtschaftlich extensiv ausgebeutet, sodass rund zwei Millionen Einwohner verhungerten, wobei die Belagerung Leningrads hier besonders heraussticht.446 An der Ostfront erreichte das Ausmaß der deutschen Verbrechen seinen Höhepunkt. Das heißt nicht, dass dort immer und überall Mord und Totschlag herrschten. Neben Phasen der Eskalation gab es auch solche der Deeskalation. Die Deutschen konnten sich auf eine breite Kollaboration stützen, deren Umfang und Motive je nach Ort und Zeit sehr unterschiedlich waren. Etwa eine Million sowjetische Bürger schloss sich der Wehrmacht als sogenannte Hilfswillige an, arbeitete als Lkw-Fahrer, Köche oder Pferdepfleger.447 Viele 282
sahen dies schlicht als die einzige Möglichkeit an, dem Hunger zu entkommen und zu überleben, andere wurden von ihrer Ablehnung des Kommunismus getrieben. Jürgen Kilian hat darauf hingewiesen, dass die Wehrmacht sich zeitweise durchaus um die einheimische Bevölkerung bemühte, Schulen teilweise wieder öffnete oder ein bescheidenes Kulturleben zuließ.448 Auch den Zusammenhang von Aktion und Reaktion gilt es zu beachten. Nicht zufällig eskalierte die Gewalt insbesondere in Weißrussland zu einem Zeitpunkt, als die Partisanen immer mehr zu einer Bedrohung der Versorgungswege wurden. Wo es keine Partisanen gab, blieb es, zumindest im Hinterland, meist ruhig.449 Insgesamt aber war die Disposition zur Gewalt an der Ostfront stets außerordentlich hoch, und es bedurfte oft nur geringfügiger Anlässe, um sie zum Ausbruch kommen zu lassen. Auch wenn man die Gewalteskalation früherer Epochen nicht aus dem Blick verlieren sollte, stellte der Krieg in der Sowjetunion zumindest für die europäische Geschichte einen Höhepunkt dar. Auf deutscher Seite kamen mehrere sich gegenseitig verstärkende Faktoren zusammen: Hitler und die NS-Führung standen zu Beginn des Russlandfeldzugs im Zenit ihrer Popularität und waren aus rasseideologischen Gründen entschlossen, sich über alle völkerrechtlichen Vereinbarungen hinwegzusetzen. Das Militär als Institution bildete keinen Gegenpol, sondern erwies sich als williger Diener des NSStaats. Die Wehrmachtführung wirkte wie ein Transmissionsriemen und gab den Gedanken des Vernichtungskriegs in Form von Befehlen, Regularien und Leitlinien an das Millionenheer weiter. Viele Offiziere und Mannschaften waren schon aus dem Polenfeldzug an Gewalt gegen Zivilisten gewöhnt. Sie war für sie nichts Außergewöhnliches mehr. So konnte der 283
Gerichtsbarkeitserlass vom 13. Mai 1941, der die sowjetischen Zivilisten praktisch für vogelfrei erklärte, auf fruchtbaren Boden fallen. Die Überzeugung, zu den »unerhörtesten scharfen Mitteln«450 greifen zu müssen, um die rückwärtigen Gebiete zu sichern, war im Ostheer Allgemeingut. Von Juni 1941 bis Februar 1942 wurden allein im Hinterland der Heeresgruppe Mitte 80 000 Menschen exekutiert, die man für Partisanen und ihre Helfer hielt. Der größte Teil der Hingerichteten waren wohl unbeteiligte Männer, Frauen und Kinder sowie versprengte Rotarmisten.451 Zudem ging die Wehrmacht bei ihren Rückzügen und der millionenfachen Deportation der Zivilbevölkerung extrem rücksichtslos vor.452 Wehrmacht und SS-Verbände waren zweifellos die wichtigsten Akteure im Vernichtungskrieg, aber nicht die einzigen. Zur Gewalteskalation trug erheblich bei, dass auch die Sowjets den Krieg mit großer Brutalität führten, sowohl gegenüber den deutschen Invasoren als auch gegenüber der eigenen Bevölkerung und den eigenen Soldaten.453 Zudem war auch die Sowjetunion Besatzungsmacht. Schon 1939/40 hatte sie in Ostpolen eine Herrschaft etabliert, der Zehntausende zum Opfer fielen.454 Jedoch gab es einen zentralen Unterschied: Die UdSSR wollte in Ostpolen eine Sowjetrepublik errichten. Die Einwohner erhielten die sowjetische Staatsbürgerschaft, waren zumindest formell gleichberechtigt und sollten zu Kommunisten umerzogen werden. Die gesellschaftliche Umgestaltung erfolgte hier nicht prinzipiell anders als in den übrigen Teilen des Sowjetimperiums. Die Bevölkerung hatte also die Chance zu überleben, wenn sie sich in das neue System einfügte und nicht zu den erklärten Klassenfeinden gehörte. Das Deutsche Reich hingegen wollte eine Herrschaft der Herrenrasse etablieren; die polnische Bevölkerung erhielt keinerlei Rechte, 284
ihr standen mit wenigen Ausnahmen nur Tod und Ausbeutung bevor.455 Ein weiterer Faktor der Gewalteskalation waren Bürgerkriege, die im Schatten des deutschen Ostfeldzugs geführt wurden, etwa jener im Westen der Ukraine, wo sich sowjetische Partisanen, polnische Heimatarmee und ukrainische Nationalisten einen blutigen Kampf lieferten.456 Timothy Snyder prägte dafür den Begriff der Bloodlands, die sich von Polen bis zur Ukraine erstreckten.457 Die Massengewalt in Osteuropa war allerdings zeitlich wie räumlich sehr unterschiedlich verteilt und auch in ihrer Typologie sehr verschieden. Man wird kaum sinnvoll argumentieren können, dass sich von Polen bis zur Ukraine ein einziger Gewaltraum erstreckte.458 Dennoch: Viele Orte und Regionen Osteuropas verwandelten sich zeitweise geradezu in Todeszonen. Die Verbrechen von Wehrmacht und SS werden aufgrund ihrer Monstrosität in Öffentlichkeit und Wissenschaft gemeinhin als das Kernstück des Krieges in der Sowjetunion gesehen. Aus einer solchen Perspektive geraten die eigentlichen Kampfhandlungen schnell aus dem Blick. Auch in Snyders Konzept der Bloodlands fallen sie aus der Betrachtung heraus. Doch wenn man das massenhafte Sterben auf den Schlachtfeldern ausblendet, versteht man die zeitgenössische Wahrnehmung und die spätere Erinnerung nicht. Im deutschsowjetischen Krieg kamen rund zehn Millionen sowjetische und etwa vier Millionen deutsche Soldaten an der Front ums Leben. Wie viele Zivilisten durch direkte Kriegshandlungen – Artilleriefeuer oder Bombenangriffe – getötet wurden, lässt sich nicht mehr rekonstruieren; eine hohe sechsstellige Zahl ist aber zu vermuten. In jedem Fall fanden in der Hauptkampflinie weit mehr Menschen den Tod als in den 285
Gefangenenlagern oder bei den Massenerschießungen. Für die zehn Millionen deutschen Soldaten, die in der Sowjetunion eingesetzt waren, stand die Gewalterfahrung an der Front im Zentrum ihres Kriegserlebnisses, zumal 85 Prozent von ihnen in der Gefechtszone kämpften. Und auch die rückwärtigen Dienste waren immer wieder in Kämpfe verwickelt, wenn die Fronten in Bewegung gerieten. Sicherungsverbände, die zunächst im Hinterland eingesetzt waren, fanden sich etwa in der Winterkrise 1941/42 schnell in der Hauptkampflinie wieder. Ein durchschnittlicher Soldat sah deutlich mehr eigene Kameraden auf die grausamste Art und Weise sterben als sowjetische Zivilisten. Auch der massenhafte Tod von Rotarmisten – durch Artilleriegeschosse zerfetzt, von Kugeln durchsiebt oder von Panzern niedergewalzt – verfehlte seinen Eindruck nicht.459 Die soldatische Erfahrung war in kaum vorstellbarer Weise geprägt von körperlicher und geistiger Erschöpfung durch die Kämpfe und endlosen Märsche. Schlafmangel, Hitze, Kälte, Dreck, Durst, Hunger und Läuse machten den Männern neben der allgegenwärtigen Todesgefahr zu schaffen. »Wie wird man sich nur vorkommen, wenn es mal Frieden gibt. Ein Bett, ein Bad, ein Spaziergang im Walde ohne Schießerei u. was es alles geben soll? Das sind oft unsere Träume«, schrieb Smilo Freiherr von Lüttwitz im Oktober 1941 an seine Frau.460 Und Willy Peter Reese schrieb: »Wir wollen sterben, um endlich einmal schlafen und vergessen zu können. […] Vergessen, alles vergessen, um Mensch zu bleiben. Vor Elend und Einsamkeit wünsche ich mir oft den Untergang der Welt.«461 Um all das irgendwie aus- und durchzuhalten, die zugewiesene Aufgabe ordentlich auszuführen und zu überleben, war der Zusammenhalt in der Gruppe, aber auch die Integration in die Institution Wehrmacht von größter Bedeutung. Gemeinsam 286
würde man alles durchstehen. Überleben, Essen, Schlafen. Die Gedanken kreisten darum, ob der Chef fähig oder unfähig, ob er tapfer oder feige war. Man sinnierte über das Handwerkszeug des Krieges, über Waffen, Panzer und Flugzeuge. Man schimpfte über den schlechten Nachschub, die zu geringen eigenen Kräfte. Manche Überlegung richtete sich auch auf Beförderungen, Lob und Auszeichnungen. Vom Gegner wurden am ehesten die tapfer und verbissen kämpfenden sowjetischen Soldaten beachtet. Mancher fürchtete sie, mancher verachtete sie, mancher erkannte rasch, dass von ihnen zu lernen war, wie man in diesem »verfluchten«462 Land kämpfen und überleben konnte. Dass im unerbittlichen Kampf oft keine Gefangenen gemacht, dass Kommissare erschossen wurden, war dabei kaum eine Notiz wert. So war es eben. Aus solchen Perzeptionsmustern folgte, dass viele der Kriegsverbrechen von den Beteiligten marginalisiert wurden. Was aus den Zivilisten in den brennenden Dörfern wurde, war meist nur ein flüchtiger Gedanke. Hauptmann Herbert Zetzsche, der als Kompaniechef einer Infanterieeinheit den Vormarsch auf Moskau mitmachte, streifte in seinen Tagebuchnotizen das Thema nur ein einziges Mal: »Es kam mir heute besonders zum Bewusstsein, wie sehr wir zu Landsknechten geworden sind. Hart und skrupellos sind wir, in vielem wie die Raubritter vor ein paar hundert Jahren. Alles, was wir brauchen, nehmen wir mit. Brot, Pferde, Hühner, Wagen, Kühe, Kartoffeln, das wird irgendwo geholt und kein Vorgesetzter fragt mehr, woher das Zeug kommt. Wir müssen oft dem Bauern die letzte Kuh nehmen […]. Menschlichkeit und Mitleid haben keinen Platz mehr im Herzen derer, die zum letzten Kampf mit dem Bolschewismus angetreten sind. Wir oder sie – so lautet die Parole.«463 287
Aufkommende Zweifel am eigenen Tun ließen sich mit Verweisen auf das Fehlverhalten Einzelner, auf Befehle und vor allem auf die Umstände verdrängen. Die Briefe Heinrich Eberbachs an seine Frau sind ein besonders eindrückliches Beispiel für den Primat des Kampfes. Er war mittlerweile zum Oberst befördert worden, aber an seiner Aufgabe hatte sich nichts geändert, und er zog mit seinem Panzerregiment 35 in die Schlacht. Er erlebte die verlustreichen Kämpfe unmittelbar mit, lag im Dreck, schlief kauernd im Panzer, hörte, wie die Geschosse sowjetischer Panzerabwehrgeschütze krachend auf den Stahlplatten seines Kampffahrzeugs einschlugen, ging zuweilen mit der Pistole in der Hand selber im Graben vor. Er tötete feindliche Soldaten und sah, wie seine Männer getötet wurden. Eberbach war mit 46 Jahren wieder ganz und gar Krieger. Und zwar so sehr, dass er fürchtete, sich zu Hause nicht mehr zurechtzufinden. In seinen Briefen werden die emotionalen Belastungen erkennbar, denen er sich manchmal kaum gewachsen sah. Dann ist von der Sorge um seine Männer die Rede, von denen er wie von einer zweiten Familie schrieb. Verluste trafen ihn hart, und er musste sich zwingen, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Er schrieb davon, dass seine Soldaten »auch ein bisl hart sind durch das tägl. abknallen von Gefangenen.464 Weil sie aus dem Hinterhalt schossen. Vor allem Mongolen. Sie sterben gelassen. Den jungen Soldätlein fällts manchmal schwer sie umzulegen. Aber es lohnt sich, wenn man die blutenden Kameraden sieht. […] Kommissare werden auch immer gleich umgelegt.«465 Für Eberbach gehörte das zu diesem Krieg dazu. Er zweifelte 1941 keinen Moment daran, dass es sich um einen gerechten Kampf gegen den Bolschewismus handelte, ja einen Kreuzzug, der bis in den Kaukasus, den Orient, bis in die Weiten östlich der Wolga geführt werden musste. Das Massensterben der Gefangenen oder das Hinmorden der Juden 288
erwähnte er mit keiner Silbe. Darüber sprach er erst, als er im August 1944 in britische Gefangenschaft geraten war. Aber auch dann standen die Verbrechen nicht im Mittelpunkt seiner Reflexionen, die sich eher um die Beendigung des Krieges und den demokratischen Neuaufbau Deutschlands drehten.466 Aus der Perspektive einfacher Soldaten ergibt sich ein ähnlicher Befund. Selbst bei einem so reflektierten Menschen und aufmerksamen Beobachter wie dem Gefreiten Willy Peter Reese, ein Büchernarr, der jede freie Minute mit dem Schreiben von Gedichten, Prosa und Briefen verbrachte, spielten die Verbrechen nur eine untergeordnete Rolle.467 Er sah zwar sowjetische Kriegsgefangene völlig zerlumpt an seiner Einheit vorbeiziehen und machte sich Gedanken, was aus ihnen werden sollte. Er war dabei, als die Kameraden russische Frauen misshandelten, den Bauern die letzte Kuh raubten und beim Rückzug die Dörfer in Flammen aufgehen ließen468, und das alles ließ ihn nicht kalt. Seine Zeilen beschreiben aber nicht den tatsächlichen Charakter des Vernichtungskriegs, wie wir ihn heute erfassen. Sie handeln von Verbrechen, wie sie in vielen großen Kriegen vorkommen, und hätten genauso gut 1812 oder 1915 geschrieben worden sein können. Stärker als das schlechte Gewissen, Unrechtes zu tun, waren die Eindrücke von den Kämpfen an der Front. Es waren diese Erlebnisse, die Reese sich »selber seltsam fremd« fühlen ließen.469 Immer wieder schrieb er von den apokalyptischen Seiten des Krieges und einer geradezu unheimlichen, magischen Anziehungskraft des Todes; dass er seiner Dämonie erliege, zuweilen sogar stolz auf das gefährliche Leben sei und auf das, was er zu ertragen hatte.470 »Die Leichen der ersten beiden russ. Wellen decken schon den Schnee. Aber ich bin ganz ruhig geworden, seit es endlich so weit ist. Das Gefecht 289
ist wie ein Aufatmen, eine Erlösung. Ich fühle wohl die Bedrohung, zugleich aber ein gehobenes Daseinsgefühl, das Bewusstsein zu leben und leben zu müssen. Es ist fast Pathos, eine duldende Leidenschaftlichkeit. Ich sehe alles übersachlich, überscharf, genau – Eine Pause ist eingetreten, unheimlich, beängstigend nach dem grauenhaften Lärm. Die anderen schlafen wie gefällt. Ich aber kann nicht vergessen. Draußen ist der Schnee nicht mehr weiß: er ist von einer schwarzen, grauen, braunen Kruste überzogen, von Pulverschleim, Erde und Staub. Und Blut. […] Einen Toten, der Volltreffer erhalten hatte, kratzten wir von der Grabenwand, wickelten den Haufen Fleisch und Gedärm in eine Zeltbahn – es ging. Aber jetzt würgt mich der Ekel. Alles ist wie eine unauslöschliche Vision – Es wäre vielleicht besser, verzweifelt zu sein.«471 In Reeses Aufzeichnungen lässt sich nachvollziehen, wie er sich als Intellektueller gegen die übermächtigen Eindrücke des Krieges wehrt, ihnen dann aber erliegt: »Töten und Sterben, Gefahr und Kampf sind die einzigen Realitäten und man muß Soldat sein, Innen und Außen, um darin leben zu können«, schrieb er am 10. November 1943 an seinen Freund Pitt.472 Die These Thomas Kühnes, wonach es im Dritten Reich eine Vergemeinschaftung durch Verbrechen – vor allem durch den Holocaust – gegeben habe, diese also sozial integrierend gewirkt hätten, erscheint somit wenig überzeugend. Der Massenmord, so Kühne, habe der Volksgemeinschaft des NSStaats ein Identitätsgefühl sui generis gegeben. Dem Regime sei es gelungen, gesellschaftliche Spaltungen durch die Vergemeinschaftung qua Verbrechen zu überwinden. Gewiss gibt es Beispiele dafür, dass sich Verbände, etwa die Einsatzgruppen, durch den Akt des Verbrechens in einer Kultur des Mitmachens als Gemeinschaft konstituierten und 290
festigten. Doch eine Vergemeinschaftung der gesamten deutschen Gesellschaft durch den Holocaust erscheint schon deshalb fraglich, weil die unmittelbare Tätergruppe zu klein und die Kenntnis der Shoa bei vielen Deutschen trotz aller verfügbaren Informationen zu diffus und zu fragmentiert war.473 Was die Wehrmachtsoldaten betrifft, so wurden sie durch den sozialen Akt des Kämpfens in einer Massenorganisation zusammengeschweißt.474 Im Zentrum ihrer Wahrnehmung standen die eigenen Entbehrungen, das Töten und Sterben in der Hauptkampflinie. Verbrechen oder Übertretungen zivilgesellschaftlicher Normen konnten sicherlich Teil dieser Gruppenkohäsion sein. Ihre Bedeutung darf aber nicht zu hoch gewichtet werden, schon weil viele dieser Verbrechen als vermeintliche Kriegsnotwendigkeit marginalisiert wurden. Signaturen der Gewalt Die außerordentlich hohe Bereitschaft zur Gewalt gegen Gefangene oder Zivilisten war zweifellos eine der Signaturen der deutschen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg. Sie war je nach Kriegsschauplatz unterschiedlich stark ausgeprägt. Auf dem Balkan kam die deutsche Kriegführung jener in der Sowjetunion recht nahe. Die Besetzung Griechenlands und Jugoslawiens im April 1941 war eine Notoperation aus militärstrategischen und bündnispolitischen Gründen.475 Man wollte die Gebiete mit möglichst geringem Aufwand verwalten, da sich bereits alle Aufmerksamkeit auf die Sowjetunion richtete. Weite Teile der beiden Länder wurden von Bündnispartnern kontrolliert, vor allem von den Italienern, aber auch von Bulgaren und Ungarn. Den serbischen Aufstand schlug die Wehrmacht im Herbst 1941 mit brachialer Gewalt nieder, erschoss über 20 000 Zivilisten als Geiseln, darunter fast alle männlichen serbischen Juden.476 Das brutale 291
Vorgehen hatte aus deutscher Sicht Erfolg, weil die serbische Widerstandsbewegung den Kampf gegen die Wehrmacht aufgab, um nicht noch mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung zu riskieren. Danach blieb es in Serbien bis 1944 im Vergleich zu anderen Landesteilen eher ruhig.477 Im übrigen Jugoslawien eskalierte jedoch bald der ethnisch-religiös aufgeladene Bürgerkrieg zwischen der mit den Achsenmächten verbündeten kroatischen Ustascha, den serbischen Tschetniks und vor allem den kommunistischen Partisanen Titos, wobei sich die Ustascha mit genozidalen Verbrechen an der serbischen Zivilbevölkerung hervortat.478 Die Besatzungstruppen Italiens, Bulgariens und Deutschlands waren mit unterschiedlichen Interessen und Methoden in den Konflikt involviert. Die Italiener gingen außer in Slowenien deutlich weniger radikal vor als die Deutschen, denen es vor allem um die ökonomische Ausbeutung des Landes, die Sicherheit der Verkehrswege nach Griechenland und der Küsten ging, wobei ihnen jedes Mittel recht war. Wehrmacht und SS machten vor allem auf dem Boden des heutigen Kroatiens und Bosniens immer wieder durch grausame Massaker von sich reden. Die Zahl der Opfer ist exakt nicht mehr zu bestimmen. Schätzungen zufolge kamen in Jugoslawien rund 300 000 Zivilisten durch Verbrechen der Besatzungsmächte ums Leben.479 Auch für Griechenland, wo spätestens ab Frühjahr 1943 ähnliche Verhältnisse herrschten wie auf dem übrigen Balkan, ist eine genaue Zahl schwer zu nennen. Im dortigen Partisanenkrieg kamen mindestens 35 000 Zivilisten und Guerillakämpfer zu Tode.480 In Italien und Frankreich war das Ausmaß der Gewalt deutlich geringer, weil der zivile Widerstand wesentlich schwächer war und die NS-Rassenideologie hier eine geringere Rolle spielte als in Jugoslawien und vor allem als in 292
der Sowjetunion oder in Polen. In Frankreich begann die Wehrmacht zwar schon 1941, auf Attentate der Résistance mit Geiselerschießungen zu reagieren, das Ausmaß der Gewalt war aber im Vergleich zu anderen Fronten noch gering. So gab es dort nur drei Monate lang, von Juni bis August 1944, einen groß angelegten Partisanenkrieg, auf den die Deutschen allerdings mit Brachialgewalt reagierten. Insgesamt fielen der deutschen Partisanenbekämpfung etwa 13 000–16 000 Franzosen zum Opfer, darunter, wie Peter Lieb aufgezeigt hat, 4000–5000 unbeteiligte Zivilisten. Weitere 61 000 Männer wurden aus politischen Gründen oder wegen Widerstandshandlungen in deutsche Konzentrationslager deportiert, wo etwa vierzig Prozent von ihnen umkamen.481 Mit Frankreich vergleichbar war die deutsche Besatzungsherrschaft in Nord- und Mittelitalien, die von September 1943 bis Mai 1945 dauerte. Ihr fielen etwa 10 000 Zivilisten zum Opfer, wie Carlo Gentile ermittelt hat; 30 000 Partisanen starben im Kampf oder wurden als Gefangene exekutiert. Ebenso viele Italiener wurden auf faschistischer Seite in Kämpfen oder bei Gewalttaten der Partisanen getötet.482 Wie in Frankreich zeigte sich auch hier, wie wirkungsmächtig jeweils konkrete Situationen und die Disposition spezieller Verbände waren. Die meisten Verbrechen wurden von Fronttruppen auf dem Rückzug oder bei Operationen unmittelbar hinter der Front verübt, wenn es galt, eine vermeintliche Bedrohung für die eigenen Einheiten auszuschalten. Die 16. SS-Division »Reichsführer-SS« und die Fallschirm-Panzerdivision »Hermann Göring« der Luftwaffe gingen dabei besonders grausam vor. Allein diese beiden Verbände ermordeten vierzig Prozent aller während des italienischen Partisanenkriegs getöteten Zivilisten; sie waren zudem die einzigen in Italien eingesetzten Einheiten, die auch 293
Frauen und Kinder umbrachten. Während etwa die 20. Luftwaffenfelddivision auf die Tötung ihres Divisionskommandeurs Wilhelm Crisolli durch die Resistenza im September 1944 gar nicht reagierte, brachte die SSDivision »Reichsführer-SS« zur selben Zeit in derselben Gegend binnen weniger Wochen über 2000 Zivilisten um.483 Freilich muss es auch in der Luftwaffenfelddivision gläubige Nationalsozialisten gegeben haben, zumal ihre Mannschaften aus jungen Jahrgängen der HJ-Generation rekrutiert wurden. Auch hatten etliche ihrer Offiziere und Unteroffiziere zuvor an der Ostfront gekämpft. Und dennoch formten sie eine Kultur, die sich deutlich von derjenigen der Waffen-SS-Verbände unterschied und in der Gewalt nicht die einzige Reaktion auf den Guerillakrieg war.484 In Frankreich wurden von den zehn größten Kriegsverbrechen deutscher Streitkräfte sieben von der Waffen-SS begangen.485 Es ist unübersehbar, dass Waffen-SSVerbände in der Regel eine weit höhere Disposition zur Gewalt besaßen als eine durchschnittliche Wehrmachtdivision. Trotz aller Radikalisierung der Wehrmacht blieben die Unterschiede zwischen Heer und Waffen-SS bis Kriegsende sichtbar. Doch wenngleich der Grad an Gewalt in Frankreich und Italien weit geringer war als in der Sowjetunion oder auf dem Balkan, waren es immer noch Tausende von Zivilisten, die die Wehrmacht auch hier umbrachte. Die Soldaten der Wehrmacht neigten im Zweiten Weltkrieg also viel eher zu radikalen Gewaltmaßnahmen als die kaiserlichen Streitkräfte im Ersten Weltkrieg. Das Element der Mäßigung gab es kaum noch. Zwar wurde etwa der Kommissarbefehl im Frühjahr 1942 aus taktischen Erwägungen ausgesetzt, und 1943/44 gab es immer wieder Befehle, die die Kriegführung zeitweise abzumildern 294
gedachten.486 Doch der Pfad der Gewalt wurde im Zweiten Weltkrieg nie wirklich verlassen. Die Radikalität der Kriegführung gehörte somit ebenso zur Signatur der Wehrmacht wie der Bewegungskrieg, die Auftragstaktik oder das Führen von vorne. Das zeigte sich auch gegenüber den eigenen Soldaten. Im Ersten Weltkrieg wurden 48 deutsche Soldaten wegen Fahnenflucht, Feigheit vor dem Feind, Plünderung und ähnlicher Delikte füsiliert. Diese Zahl wurde schon im ersten Kriegsjahr 1940 überschritten, bis Kriegsende waren es 18 000 bis 22 000.487 Die Tötung von Gefangenen Die Verbrechen der Wehrmacht sind mittlerweile gut untersucht. In den letzten Jahren hat sich die Forschung vermehrt bemüht, diese in den Kontext der Gewaltgeschichte der Moderne zu stellen.488 Zur Einordnung der Gewaltkultur der Wehrmacht eignet sich exemplarisch die Behandlung von Kriegsgefangenen. Dieser Komplex ist intensiv erforscht489; er war völkerrechtlich früher und genauer normiert als andere Bereiche der Kriegführung490 und lässt sich daher besonders gut vergleichen. Mit dem Aufkommen der Massenheere im Verlauf des 19. Jahrhunderts waren alle kriegführenden Mächte mit dem Problem konfrontiert, Hunderttausende von Gefangenen zu versorgen. 1870/71 wurden 300 000 Franzosen in deutschen Lagern vergleichsweise gut behandelt, nur wenige kamen ums Leben.491 Im Ersten Weltkrieg waren Russland und Österreich-Ungarn mit der Unterbringung und Verpflegung von Hunderttausenden von Gefangenen heillos überfordert. Die Sterberaten waren durch Fleckfieberepidemien und Mangelernährung erheblich. In russischen Lagern überlebte ein Viertel der Insassen nicht, in österreichisch-ungarischen Lagern gar dreißig Prozent, in deutschen fünf Prozent.492 295
Im polnisch-sowjetischen Krieg von 1920/21 starben 15 bis 25 Prozent der Gefangenen in den Lagern493, im Zweiten Weltkrieg kamen 27 Prozent der alliierten Soldaten in japanischer Gefangenschaft aufgrund von Unterernährung, Seuchen und Misshandlungen um. Noch schlimmer erging es den Angehörigen der chinesischen Streitkräfte, die sich den Japanern ergaben. Die allermeisten wurden noch in der Nähe des Gefechtsfelds getötet, der Rest in Zwangsarbeit verbracht, wo die Todesrate sehr hoch war. Während in der Sowjetunion anfangs wohl die meisten deutschen Gefangenen umgebracht wurden, stieg ihre Überlebenschance im weiteren Kriegsverlauf erheblich. Die Zahl der Toten ist bis heute unklar. 360 000 lassen sich sicher nachweisen, es könnte aber auch eine Million gewesen sein.494 Das Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen in den Lagern der Wehrmacht war somit kein singuläres Phänomen. Die quantitative Dimension, die außerordentlich hohe Todesrate von 43 bis 58 Prozent und die Intentionalität der Tötungen – etwa 80 000 Gefangene wurden in Gaskammern hingerichtet – stellen jedoch ein ganz eigenes Gewaltniveau dar, das nur noch mit der Behandlung gefangener chinesischer Soldaten durch die Japaner 1937–45 erreicht wurde.495 Die sowjetischen Soldaten erlitten von allen Gefangenen in deutschem Gewahrsam das bei Weitem schlimmste Schicksal. Auch wenn die Soldaten anderer Nationalitäten sehr unterschiedlich behandelt wurden, bewegten sich ihre Todesraten auf einem vollkommen anderen Niveau. Sie lagen zwischen einem (Briten) und vier Prozent (Polen).496 Soldaten starben aber nicht nur durch Hunger und Seuchen in den Gefangenenlagern; viele wurden auf dem Schlachtfeld kurzerhand niedergemacht, obwohl sie sich ergeben wollten. 296
Solche Fälle bewegten sich rechtlich in einer Grauzone, da nicht immer klar war, ob der Kampf beendet war und das Töten feindlicher Kombattanten damit zum Verbrechen wurde. Offensichtlich war es gefährlich, in der Hitze des Gefechts zu kapitulieren, wenn die emotionale Anspannung manche Kurzschlussreaktion hervorrufen konnte. Oftmals dauerte es eine Zeit lang, bis der Tötungsrausch abgeklungen war und der Gegner gefahrlos die Waffen strecken konnte. Manche Soldaten wurden auch ermordet, kurz nachdem sie in Gefangenschaft geraten waren. Es hing sehr von der konkreten Situation ab, ob Gnade gewährt wurde. Dabei spielte auch eine Rolle, ob sich die Soldaten in großen Verbänden ergaben oder in kleinen Gruppen, die häufiger das Ziel von Gewalt waren. Schon aus dem Ersten Weltkrieg ist belegt, wie Deutsche, Briten, Kanadier oder Franzosen ohne Pardon kämpften. Gefangene wurden erschossen, weil ihr Abtransport zu lästig oder gefährlich erschien, weil man Rache nehmen wollte oder weil es manchen Soldaten schlicht Spaß machte zu töten.497 Im Zweiten Weltkrieg war das Phänomen der Gefangenentötung an allen Fronten und in allen Armeen präsent. Doch das Ausmaß unterschied sich erheblich, und die Verhältnisse in der Sowjetunion stechen erneut deutlich heraus. Schon wenige Tage nach dem deutschen Überfall waren die »ungezählten am Vormarschweg liegenden [sowjetischen] Soldatenleichen […], die ohne Waffen und mit erhobenen Händen eindeutig durch Kopfschüsse aus nächster Nähe erledigt worden sind«, ein alltäglicher Anblick.498 Das war nicht allein eine Folge der Ideologisierung und der zahllosen Befehle, die die deutschen Soldaten zu rücksichtsloser Härte anhielten. Vielmehr führte der Umstand, dass die Rotarmisten in ihrem verzweifelten Abwehrkampf den Deutschen große Verluste zufügten und ihrerseits deutsche 297
Gefangene ermordeten und gelegentlich auch verstümmelten, rasch dazu, dass auf beiden Seiten die Gewalt eskalierte und kein Pardon gegeben wurde.499 Dennoch gab es auch im deutschen Ostheer noch ein Bewusstsein von Recht und Unrecht. So verurteilte ein Feldgericht einen Bataillonskommandeur zu zwei Jahren Gefängnis und Rangverlust, weil er, ohne selber bedroht zu sein, mehrere russische Gefangene getötet hatte. Seine Rechtfertigung, dass sein Bruder von Partisanen getötet worden war, schlug bei den Richtern offenbar nicht wesentlich zu Buche. Doch Hitler ließ dieses Urteil aufheben, weil es »vitalen Naturen« nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, wenn sie gegenüber »dem bolschewistischen Weltfeind« alle Gebote der Menschlichkeit fahren ließen.500 Mit solchen Anordnungen suchte die NSFührung immer wieder die Soldaten zu radikalisieren und jeden humanitären Impuls im Keim zu ersticken. Die Schlussfolgerungen für die Truppe lagen auf der Hand: Niemand wurde wegen Mordes an sowjetischen Gefangenen belangt, diese waren praktisch vogelfrei.501 Der andere Hotspot der Tötung von Gefangenen auf oder unmittelbar hinter dem Schlachtfeld war China. Es gab wohl keinen anderen Kriegsschauplatz, auf dem so viele Soldaten die Kapitulation verweigerten und an Ort und Stelle umgebracht wurden.502 Auch im Ringen von Japanern und Amerikanern um die Inselwelt des Pazifiks ging es äußerst brutal zu. Dass sich bis Ende 1944 nur 12 000 japanische Soldaten in amerikanischem Gewahrsam befanden, lag nicht nur daran, dass die Männer des Tennos buchstäblich bis zur letzten Patrone kämpften. Die amerikanischen Truppen töteten auch unzählige Japaner, die sich ergeben wollten. Ihre von Rassismus und Rachegelüsten angetriebene »The only good Jap is a dead Jap«-Mentalität trug erheblich zur Eskalation der 298
Gewalt im Pazifik bei.503 Ein amerikanischer IntelligenceOffizier sprach sogar von einer »U. S. Marine policy of extermination«.504 Wie die Wehrmacht zwischen europäischen und »asiatischen« Gegnern unterschied, verhielt sich auch die US Army in Europa anders als auf dem asiatischen Kriegsschauplatz. Die Deutschen wurden – anders als die Japaner – als kulturell gleichrangige Gegner betrachtet. Umfragen ergaben, dass nur fünf bis neun Prozent der amerikanischen GIs »really wanted to kill a German soldier«.505 Die meisten achteten die Wehrmachtsoldaten, zollten ihnen als tapfere Gegner Respekt. Allerdings darf man sich über die Kriegführung der amerikanischen Streitkräfte in Westeuropa keiner Illusion hingeben.506 Das Töten von Gefangenen wurde in spezifischen Situationen durchaus als legitim angesehen. Ein ungeschriebenes Gesetz des amerikanischen combat ethos507 lautete: »Surrender without fighting and all is well, but you don’t fight and kill some of our people and then surrender.«508 Wer als deutscher Landser den Gegner bekämpfte, konnte also nicht immer auf Gnade hoffen, wenn er die Waffen niederlegte. Ed Laughlin, der mit der 82. US Airborne Division in Europa kämpfte, erinnerte sich: »Wir bemerkten einen deutschen Soldaten, der an einem Ast aufgeknüpft worden war. Es war ein vorgeschobener Artilleriebeobachter, der Artillerie- und Mörserfeuer auf uns gelenkt hatte. Er hatte versucht, sich zu ergeben, wurde aber wegen der Tötung und Verstümmelung unserer Soldaten am eigenen Gürtel aufgehängt.«509 Ein bevorzugtes Ziel amerikanischer Gewalt waren Soldaten der Waffen-SS, die als ideologischer Gegner, aber auch aufgrund ihrer fanatischen Kampfesweise weit mehr als die normalen Heeresverbände den Hass der US-Truppen auf 299
sich zogen. Dass von ihnen nur relativ wenige in alliierte Gefangenschaft gerieten, lag – ähnlich wie bei den japanischen Truppen – nicht nur an ihrer Entschlossenheit, bis zum Letzten zu kämpfen, sondern auch daran, dass die Alliierten sie häufig on the spot umbrachten.510 Als den Amerikanern während der Ardennenoffensive bekannt wurde, dass Teile der SS-Division »Leibstandarte Adolf Hitler« bei Malmedy 74 GIs getötet hatten, erteilte General Omar Bradley mündlich den Befehl, in der nächsten Zeit keine Gefangenen der SS zu machen. Wie viele Männer diesem Racheakt zum Opfer fielen, lässt sich nicht mehr ermitteln; wahrscheinlich waren es viele Hundert. Die US-Truppen sahen den Befehl als Freibrief, jedweden deutschen Gefangenen umzubringen.511 Eine der ergiebigsten Quellen zu Gefangenentötungen sind die Memoiren von US-Veteranen. In ihnen wird bis heute so freimütig über das Töten geschrieben wie in kaum einem anderen Land der Welt.512 So brüstete sich einst auch Ernest Hemingway, eigenhändig einen Offizier der Waffen-SS umgebracht zu haben.513 Gewalt gegen Gefangene war in der amerikanischen Gesellschaft offenbar nicht so geächtet, dass man sie verheimlichen musste. Auch zeitgenössische USAkten bestätigen den Eindruck aus der Memoirenliteratur, dass Gefangene der US Army einem hohen Risiko ausgesetzt waren, noch auf dem Schlachtfeld exekutiert zu werden. In einem Bericht der 4. US-Infanteriedivision über die Landung am Utah Beach in der Normandie wurde über die GIs notiert: »Viele von ihnen schrieen wie Indianer, als sie ins Wasser sprangen. Tatsächlich hatten sich einige wie Indianerkrieger aufgeputzt, ihr Haar im Irokesenschnitt, die Gesichter mit Farbe beschmiert. Als das 3. Bn des 22. [Regiments] kurz vor Mittag seine erste Befestigung erobert hatte, mit 100 Gefangenen, wollten die Männer die Gefangenen 300
niederschießen. Sie waren so begierig, Deutsche zu töten, und ihr Tötungsimpuls, als sie ihre ersten lebenden Krauts sahen, war so stark, dass Col. Teague auf einen MG-Stand klettern musste, um zu seinen Männern zu sprechen und sie über den Umgang mit Gefangenen aufzuklären.«514 Ein vergleichbarer Bericht aus den Reihen der britischen Streitkräfte ist nicht bekannt. Es wäre für Soldaten des Vereinigten Königreichs wohl auch unvorstellbar gewesen, sich mit entsprechender Haartracht und Körperbemalung in die Schlacht zu stürzen. Die bislang verfügbaren Quellen lassen vermuten, dass die US-Streitkräfte auf dem westlichen Kriegsschauplatz mehr deutsche Kriegsgefangene getötet haben als etwa die britischen Verbände. Genaue Zahlen sind ebenso wenig bekannt wie die Frage, ob sich bestimmte Einheiten besonders hervorgetan haben.515 Auffallend ist gleichwohl, dass in britischen Memoiren oder internen Berichten nichts über Kriegsverbrechen zu erfahren ist. Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass britische Soldaten keine begingen, doch scheint ihre kulturelle Prägung eine andere gewesen zu sein. Auch in deutschen Akten und Memoiren über die Kämpfe gegen US-Truppen finden sich kaum Hinweise auf den Drang, Gefangene zu töten. Gleichwohl kam es auch bei den Gegnern im Westen durchaus zu Gefangenentötungen durch die Wehrmacht.516 Das Beispiel der Gefangenentötung auf dem Schlachtfeld zeigt, wie sich Soldaten unterschiedlicher Militärkulturen in vergleichbaren Situationen verhielten. Nach bisherigem Forschungsstand scheint sich auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen rasch ein von beiden Seiten getragener Kriegsbrauch herausgebildet zu haben. Während die Wehrmacht im Osten unter den Bedingungen eines besonders zähen und brutalen Kampfgeschehens Gefangene oftmals 301
kurzerhand erschoss, tat sie das im Westen in der Regel nicht. Gleiches gilt für die Amerikaner, die im Pazifik wesentlich brutaler vorgingen als in Europa. Die Ausnahme scheint die britische Armee gewesen zu sein, die weder im Pazifik noch in Europa an die Gewalteskalation anderer kriegführender Mächte heranreichte.517 Fazit Professionell und verbrecherisch – so könnte man das weitläufige Urteil über die Wehrmacht zusammenfassen. Gerade in der englischsprachigen Literatur werden diese beiden Seiten der Medaille beleuchtet und Kontinuitäten zu früheren deutschen Armeen herausgestellt – die Wehrmacht gewissermaßen als Endpunkt eines deutschen Sonderwegs, der mit den Einigungskriegen begann und im Zusammenbruch 1945 endete. Gewiss baute die Wehrmacht auf Vorläufern auf, unterschied sich aber auch signifikant von diesen. Kontinuitäten gab es etwa in der Vorstellung von der Illegitimität des zivilen Widerstands, der mit Geiselerschießungen zu beantworten war, oder von der Legitimität der Politik der verbrannten Erde. Doch die Gewalt gegen Zivilisten oder Kriegsgefangene, die Beteiligung am Holocaust und nicht zuletzt die Gewalt gegen die eigenen Soldaten stellten eine neue Dimension dar, die das im Ersten Weltkrieg Vorstellbare weit überstieg. So kam es nicht von ungefähr, dass ehemalige kaiserliche Besatzungsoffiziere, die 1914–18 in Polen eingesetzt waren, im Zweiten Weltkrieg als unbrauchbar galten, weil sie einst ihre Aufgabe nicht radikal genug ausgeführt hatten.518 Und 1914–18 gab es trotz aller Gewalteskalation etwas, das es 1939–45 nicht gab: ein Moment der Mäßigung, die Erkenntnis, zu weit gegangen zu 302
sein und die Gewalt begrenzen zu sollen. 1939–45 ging es allein um die Entgrenzung der Gewalt, und die Wehrmacht war einer der Katalysatoren dieser Entwicklung. Zwar gab es durchaus noch den »europäischen Normalkrieg«519, vor allem im Kampf gegen die Westmächte oder im Krieg zur See, und die Deutschen waren nicht die Einzigen, die Kriegsverbrechen begingen. Der Makel der entgrenzten, verbrecherischen Kriegführung aber blieb, und er wog schwer. Neben den Verbrechen war die militärische Professionalität ein Kennzeichen der Wehrmacht. Trotz ihrer totalen Niederlage 1945 wirkte der Nimbus ihres Siegeslaufs von 1939 bis 1942 lange nach, und noch heute gilt sie vielen als Inbegriff der Exzellenz im militärischen Handwerk. Der britische Militärschriftsteller Max Hastings schrieb gar von der »finest fighting army of the war«.520 Diesen Befund gilt es indes zu differenzieren: In der ersten Kriegshälfte war die Wehrmacht allen Gegnern überlegen, überrannte ganz Europa und konnte nur durch eigene Hybris und einen nicht für möglich gehaltenen Widerstandswillen der Sowjetunion gestoppt werden. Bis Herbst 1942 war sie die einzige Armee der Welt, die den Bewegungskrieg mit Panzern und motorisierten Verbänden beherrschte. Das kam nicht von ungefähr: Schnelligkeit, Auftragstaktik, Führen von vorne und das Gefecht der verbundenen Waffen gehörten seit den Einigungskriegen zur Signatur deutschen militärischen Denkens. Nun hatte das Deutsche Reich die technischen Mittel zur Verfügung, diese Prinzipien auch in die Tat umzusetzen. Dabei hatte die Wehrmacht durchaus mit Problemen zu kämpfen; vieles klappte nicht so wie am Kartentisch erdacht, zumal die Armee nach dem Machtantritt des NS-Regimes in nur wenigen Jahren aus dem Boden gestampft werden musste. So war man über den schnellen Sieg in Polen selbst 303
überrascht. Das OKH wertete die Erfahrungen sorgfältig aus und glaubte nicht, den Erfolg gegen Frankreich wiederholen zu können. Nachdem dies durch eine Mischung aus Glück, Können und haarsträubenden Fehlentscheidungen der Gegner dennoch gelang, schien es keine Grenzen mehr zu geben. Als die Wehrmacht im Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, stand sie im Zenit ihres Könnens. Doch trotz des rasanten Vormarschs gelang es ihr nicht, das riesige Land wie vorgesehen niederzuwerfen. Die Feldzüge in Polen und Frankreich basierten auf der Schockwirkung der Auftakterfolge, die dem Gegner nicht nur hohe Verluste zufügten, sondern auch seine Widerstandskraft brachen. Dies gelang in der Sowjetunion nicht, die trotz schwerer Niederlagen entschlossen weiterkämpfte. Damit war die deutsche Strategie am Ende, der Feldzugsplan schon im Herbst 1941 gescheitert. Taktisch schaltete die Wehrmacht schnell von der Offensive auf die Defensive um und zeigte schon im Winter 1941/42, dass sie auch in der Verteidigung geschickt kämpfen und die gegnerischen Angriffe stoppen konnte. Doch ab Sommer 1943 zwang die Rote Armee den Deutschen ihren Krieg auf und drängte sie mit ihrer schieren Masse und Feuerkraft Schritt für Schritt zurück. Die quantitativen Dimensionen hatten sich verschoben. Fünf bis sechs deutsche Panzerdivisionen waren 1941 noch eine Furcht einflößende Streitmacht gewesen, 1943/44 reichten sie gerade noch für örtliche Gegenangriffe aus. Im Abnutzungskrieg ging dem Deutschen Reich langsam, aber sicher die Puste aus. Bereits im Herbst 1943 sank die Kampfkraft der Infanterieverbände stark ab. Es gelang nicht mehr, die deutschen Divisionen mit ausreichend Feuerkraft auszustatten und den Personalersatz hinreichend auszubilden. Die Qualität der vielen schlecht 304
ausgerüsteten und abgekämpften Infanteriedivisionen und der wenigen gut ausgestatteten Panzerdivisionen klaffte immer weiter auseinander. Obwohl die Wehrmacht mit ihrem offensiven Latein schon im Sommer 1943 am Ende war, gelang es ihr an der Ostfront immer wieder, örtlich erfolgreiche Gegenstöße zu führen und sowjetische Verbände zu zerschlagen. Im Kampf gegen die Westmächte zeigte sich der Verfall der Professionalität viel deutlicher. Alle deutschen Gegenangriffe in Italien scheiterten und brachten die Alliierten nicht in Bedrängnis. Dabei zeigte sich, dass die Wehrmacht den Artilleriekrieg verlernt hatte, den die Deutschen im Ersten Weltkrieg noch so souverän beherrscht hatten. In der Einbindung der Artillerie in das Gefecht der verbundenen Waffen war sie ihren Gegnern ebenso unterlegen wie in der Bekämpfung der feindlichen Geschütze. Auch zeigten sich schon ab Sommer 1943 deutliche Ausbildungsmängel in schwierigen Gefechtslagen, nicht nur bei der Truppe, sondern auch bei den Stäben. Markenzeichen der Wehrmacht waren ihre Risikobereitschaft und die Fähigkeit gewesen, auf unvorhersehbare Lagen schnell zu reagieren. Doch beim Versuch, die alliierten Landungen auf Sizilien und im Golf von Salerno abzuwehren, zögerte man zu lange und versäumte einen mutigen Gegenschlag. Eigene Fehler und Zögerlichkeiten wurden auf dem Schlachtfeld nun unnachgiebig bestraft. Ein Lernprozess, wie der enormen alliierten Feuerkraft zu begegnen sei, war nicht zu erkennen. Die meisten Generäle verharrten in dem Glauben, die Wehrmacht könnte wie in alten Tagen die Westalliierten überrennen. Sie wollten in ihrem Gefühl der Überlegenheit nicht wahrhaben, dass ihnen Amerikaner und Briten ihren Krieg aufdrängten und nicht umgekehrt. Dabei brachten sich die Westalliierten durch ihr bewusst risikoarmes Vorgehen 305
immer wieder selbst um die Chance, der Wehrmacht vernichtende Niederlagen beizubringen, wodurch es den Deutschen oft gelang, die Front zu stabilisieren. Dass die Wehrmacht trotz der alliierten Materialüberlegenheit etwa in der Normandieschlacht im Juni/Juli 1944 keine höheren Verluste als der Gegner erlitt, förderte bei vielen Offizieren den Glauben, im soldatischen Handwerk nach wie vor überlegen zu sein. Doch die gescheiterten Gegenoffensiven gaben ein anderes Bild ab und offenbarten, wie geschickt und tapfer sich die Alliierten schlugen, wenn sie einmal in die Defensive gerieten. Die Vorstellung, die besseren Soldaten gehabt zu haben, hielt sich gleichwohl bis weit in die Nachkriegszeit und gehört zu den langlebigsten Mythen der deutschen Militärgeschichte. Die großen Probleme, sich auf die Bedingungen der zweiten Kriegshälfte einzustellen, betrafen nicht nur das Heer, sondern auch die Nachrichtendienste, die Luftwaffe und die Marine. Sie waren ein generelles Merkmal der Wehrmacht. Die deutschen Nachrichtendienste hatten in der ersten Kriegshälfte den Streitkräften gute Dienste geleistet und mit der Entzifferung der britischen Handelsschiffscodes oder des Funkverkehrs des amerikanischen Militärattachés in Kairo viele Erfolge erst möglich gemacht. Sie scheiterten jedoch an der größten intellektuellen Herausforderung des Krieges: dem Einbruch in die maschinellen Funkentschlüsselungsgeräte und der systematischen Wissensproduktion aus den Aussagen von Kriegsgefangenen. In beiden Bereichen entwickelten sich die Briten im Verlauf des Krieges zu Meistern ihres Faches, während die Deutschen bald vollkommen im Dunkeln tappten.521 So kämpfte die Wehrmacht in materiell unterlegener Position, ohne dem Gegner in die Karten schauen zu können. Sie wurde nicht nur von der Landung der Alliierten 306
in Anzio im Januar 1944 überrascht, sondern auch von deren Offensive bei Monte Cassino im Mai 1944, und wenig später ermöglichte ein völliger intelligence blackout, dass die größte Armada der Weltgeschichte unerkannt über den Kanal dampfen und am Morgen des 6. Juni 1944 vor der Küste der Normandie auftauchen konnte. Ähnlich erging es den Deutschen seit Sommer 1943 zumeist an der Ostfront.522 Die Luftwaffe sollte gemäß der in den 1930er-Jahren entwickelten Doktrin im künftigen Krieg eine eigenständige Rolle spielen. Von zentraler Bedeutung war dabei der Bomber, gegen den es vermeintlich kaum Abwehrmöglichkeiten gab und der das entscheidende Instrument zur Erringung der Luftherrschaft sein sollte. Jagdflugzeuge spielten in der Vorkriegsplanung nur eine untergeordnete Rolle. Diese Doktrin schien sich im Polen- und Frankreichfeldzug zu bestätigen. Die Luftwaffe glaubte, mit ihren Bombern die gegnerischen Fliegerstreitkräfte in den ersten Tagen am Boden vernichtet zu haben. Doch das war ein Trugschluss. Dass man dennoch die Luftüberlegenheit hatte erringen können, lag eher an der Desorganisation von Polen und Franzosen. Auch in der Luftschlacht um England gelang es nicht, die gegnerische Luftwaffe am Boden zu vernichten. Das Versagen der deutschen Doktrin lag angesichts der Widerstandsfähigkeit des britischen Fighter Command und der hohen eigenen Verluste auf der Hand. Das Instrument zur Erringung der Luftherrschaft war also nicht der Bomber, sondern der Jäger. Die Deutschen erkannten dies aber nicht rechtzeitig und versuchten, das Problem fortan durch die Entwicklung überlegener Technik in den Griff zu bekommen. Doch angesichts des technischen Kopf-an-Kopf-Rennens der hochindustrialisierten Großmächte war es illusorisch, ein Flugzeug zu entwickeln, mit dem sich auf längere Zeit ein entscheidender Vorteil erzielen ließ. 307
Großbritannien, die USA und Deutschland konstruierten zumindest im Bereich der Jagdflugzeuge ähnlich leistungsstarke Typen. Zudem überschätzte die Luftwaffenführung den Stellenwert der Technik: Im Luftkampf waren Taktik und fliegerisches Können des Piloten oftmals entscheidender als die Frage, in welchem Flugzeugtyp er saß.523 Noch entscheidender war die materielle Quantität, bei der die Deutschen immer mehr ins Hintertreffen gerieten. Erst unter dem Eindruck der totalen Niederlage trafen sie im Mai/Juni 1944 die grundlegende Richtungsentscheidung, fortan nur noch Jagdflugzeuge zu bauen. Viel zu lange hatte man an der ressourcenfressenden Bomberwaffe festgehalten. Ein markantes Beispiel ist der Bau von über 1100 Bombern des Typs He 177, in denen Material und Arbeitsstunden von je acht Jagdflugzeugen Me 109 steckten. Wegen des zu langen Festhaltens am Bomber verlor die Luftwaffe in der zweiten Kriegshälfte jede Möglichkeit, sich zumindest noch örtlich die Luftüberlegenheit zu erkämpfen. Die Marine war zur Adaption an die Verhältnisse der zweiten Kriegshälfte zwar in der Lage, aber auch sie erkannte die Zeichen der Zeit zu spät. Als Karl Dönitz im Januar 1943 ihr Oberbefehlshaber wurde, ließ er die gesamte maritime Kriegführung und Rüstung auf den U-Boot-Krieg und den Kampf im Küstenvorfeld umstellen. Es folgte die Entwicklung eines neuen, revolutionär leistungsfähigen U-Boot-Typs, der vor Kriegsende aber nicht mehr in nennenswerter Zahl zum Einsatz kam. So konsequent diese Fokussierung war, so bezeichnend ist, dass Dönitz und sein Stab sie erst dann vornahmen, als die hohen Verluste sie im Mai 1943 zwangen, die Schlacht im Nordatlantik abzubrechen. Bereits seit April 1941 waren die deutschen U-Boote der alliierten Abwehr ausgewichen, hatten sich in den Weiten des Atlantiks immer 308
neue Jagdgründe gesucht, um unter möglichst geringem Aufwand zu Erfolgen zu kommen. Dass man dem Gegner aber nicht auf ewig davonlaufen konnte, sondern in der Lage bleiben musste, auch gegen gut gesicherte Geleitzüge zu operieren, um strategisch wichtigen Schiffsraum zu versenken, wurde von der Kriegsmarine nicht erkannt. So erfolgte der Bau der neuen U-Boote zu spät, um sich auf den Kriegsverlauf noch auswirken zu können.524 Ob die Alliierten prinzipiell lernfähiger waren als die Deutschen, mag man mit Fug und Recht bezweifeln. Das starre Festhalten an der irrigen Erwartung, das Deutsche Reich durch Flächenbombardements zur Kapitulation zu zwingen, ist wohl das bekannteste Beispiel der institutionellen Weigerung, einen einmal eingeschlagenen Weg zu ändern.525 Jedoch waren die Alliierten aufgrund ihrer anfänglichen Unterlegenheit erheblichem Druck ausgesetzt, Reformen einzuleiten, die sich dann ab 1943 auszahlten. Beachtlich war insbesondere die Lernkurve der Roten Armee, der mit der Einkesselung und Vernichtung der 6. Armee bereits im Januar 1943 etwas gelang, was die Westalliierten erst im April 1945 schafften. Jedoch bezahlte sie ihre Erfolge mit horrenden Verlusten und schaffte es bis Kriegsende nicht, schonender mit ihren menschlichen Ressourcen umzugehen. Dass die Wehrmacht trotz der verheerenden Niederlagen des Sommers 1944 überhaupt noch existierte und fast ein Jahr lang weiterkämpfen konnte, bleibt bemerkenswert. Hier zeigte sich einmal mehr, dass sie – bedingt durch die enge Verbindung von NS-Staat, Gesellschaft und Streitkräften – ein extrem widerstandsfähiges Kohäsionsgeflecht besaß. Es gab gewissermaßen kein civil-military gap. Die Menschenführung, die Ausbildung, das Auszeichnungssystem, das Personalwesen mit seiner Beförderung nach Leistung – alles war darauf 309
ausgerichtet, eine möglichst hohe Effizienz im Kampf zu erzielen. Und darin war dieses System zweifellos auch erfolgreich. Die Wehrmacht integrierte Millionen von Männern, die aus den unterschiedlichsten Milieus stammten, unterschiedlichste politische Überzeugungen hatten und beileibe nicht alle stramme Krieger waren. Sie dienten aber der Institution bis ins Frühjahr 1945 hinein loyal. Keine deutsche Armee zuvor oder danach konnte ein vergleichbar festes Kohäsionsgeflecht aufweisen. Es war die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zu den irrsinnigen Endkämpfen 1944/45 kommen konnte. Noch erstaunlicher ist, dass trotz der nicht abreißenden Abfolge von Niederlagen und der Unfähigkeit, wieder offensiv zu werden, der Glaube an die eigene Überlegenheit erhalten blieb. Viele Soldaten waren noch im Sommer 1944 felsenfest davon überzeugt, bei einem Sieg über die Alliierten in der Normandie den Krieg gewinnen zu können. Dieser unerschütterliche Glaube war vor allem bei intrinsisch motivierten Männern zu beobachten, die bislang erfolgreich gekämpft hatten und deren Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus dazu beitrug, die Einsicht in die unvermeidliche Niederlage zu versperren. Hermann Balck gehörte zu ihnen ebenso wie Heinrich Eberbach.526 Die Wehrmacht war eine Armee der Extreme. Ihr verbrecherischer Charakter war ohne Beispiel in der deutschen Militärgeschichte, ebenso waren es ihre Erfolge und Niederlagen. Mit der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 hörte sie auf zu bestehen. Die Alliierten schienen gewillt, den Deutschen ihren Militarismus, oder was sie dafür hielten, auszutreiben. In den Nürnberger Prozessen, namentlich im Verfahren gegen die »Südost-Generäle« und gegen das OKW, zogen sie die führenden Wehrmachtgeneräle zur 310
Verantwortung, in den Spruchkammerverfahren wurden bekannte Kriegsverbrecher belastet. Doch die Politik der Verdammung hielt zumindest in den Westzonen nicht lange an. Die Vereinigten Staaten waren bald mehr daran interessiert, von der Wehrmacht zu lernen, wie man gegen die Rote Armee kämpfte. Im aufkommenden Kalten Krieg war der Nimbus einstiger Siege ein Türöffner auf dem Weg zur Wiedererlangung der Souveränität. 311
IV. Friedensarmee im Kalten Krieg. Die Bundeswehr der Bonner Republik (1955–1989) Eine andere Armee braucht das Land Der Aufbau von Streitkräften war einer der Hebel, mit denen die Bundesrepublik die Integration in die westliche Staatengemeinschaft und die Wiedererlangung der Souveränität würde erreichen können. Das war auch dem eingefleischten Zivilisten Konrad Adenauer bei seinem Amtsantritt als Bundeskanzler im September 1949 klar. Gut vier Jahre nach Kriegsende klangen solche Überlegungen zwar noch allzu utopisch. Doch der beginnende Kalte Krieg, der im Juni 1950 mit dem Ausbruch des Koreakrieges einen ersten Höhepunkt erreichte, veränderte die politische Großwetterlage entscheidend zugunsten Bonns. Ganz Westeuropa schien auf einmal von der sowjetischen Expansionspolitik bedroht zu sein. An eine konventionelle Verteidigung des Kontinents war angesichts der gewaltigen militärischen Übermacht der UdSSR nicht zu denken. Die russischen Panzer würde man wohl erst an den Pyrenäen aufhalten können, orakelten militärische Fachleute. Im August 1949 hatten die USA zudem das Atomwaffenmonopol verloren. Eine Stärkung der konventionellen Verteidigungsfähigkeit war unabdingbar, um im Ernstfall nicht vor ein fait accompli gestellt zu werden. Die junge Bundesrepublik musste somit in die Verteidigung Westeuropas eingebunden werden: aus geostrategischen Gründen, aber vor allem, weil deutsche Soldaten einen wesentlichen Beitrag im Kampf gegen die 312
Sowjetunion würden leisten können. Der Russlandkrieg war insbesondere bei den amerikanischen Militärs nicht vergessen, und sie bedienten sich gerne des operativen Know-hows ehemaliger Wehrmachtgeneräle, nach deren Rolle im NSSystem sie kaum mehr fragten. Und Adenauer war angesichts der außenpolitischen Chancen, die er in der Aufstellung deutscher Streitkräfte sah, weniger denn je gewillt, auf die ablehnenden Stimmen zur Wiederbewaffnung zu hören. Deutsche Divisionen gegen staatliche Souveränität – das war der Deal. Nachdem die Franzosen den von ihnen eingebrachten Vorschlag einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft selbst zu Fall gebracht hatten, wurde die Bundesrepublik im Mai 1955 in die NATO aufgenommen und erlangte einen Teil ihrer Souveränität zurück. Damit war sechs Jahre nach Gründung des Staates über den militärischen Hebel ein zentrales Ziel Adenauers erreicht. Das zweite große Ziel, die Wiedervereinigung, war unterdessen in weite Ferne gerückt und die Teilung Deutschlands auf unabsehbare Zeit zementiert. Der Handlungsspielraum des jungen westdeutschen Staates war freilich sehr begrenzt. Der Takt der Weltpolitik wurde von Washington und Moskau vorgegeben. Bonn konnte nur versuchen, durch Verlässlichkeit in günstigen Momenten eigene Akzente zu setzen. 1955 musste die Bundesrepublik zunächst darangehen, ihren Teil der Vereinbarung einzulösen: Innerhalb von nur drei Jahren sollte eine Streitmacht von zwölf Divisionen mit 500 000 Soldaten aufgestellt werden. Adenauer drängte aufs Tempo, um rasch ein außenpolitisch verwertbares Faustpfand in der Hand zu haben. Die neu zu gründende Bundeswehr war die Eintrittskarte in den transatlantischen Sicherheitspakt. Doch das Parlament pochte auf seinen verfassungsmäßigen Kontrollanspruch und lehnte 313
es ab, die notwendige Gesetzgebung im Hauruckverfahren durch die Instanzen zu peitschen. So war nicht das im Juni 1955 gegründete Bundesministerium für Verteidigung, sondern der Ausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit des Bundestages – der spätere Verteidigungsausschuss – der eigentliche Taktgeber.1 Als am 12. November 1955 die ersten 6000 Freiwilligen eingestellt wurden, war der rechtliche Rahmen wegen der intensiven parlamentarischen Debatten noch gar nicht fertig. Soldaten- und Wehrpflichtgesetz traten erst zwischen April und Juli 1956 in Kraft. Trotz aller Meinungsverschiedenheiten im Detail zogen Exekutive und Legislative in dieser Phase an einem Strang.2 Beide, Regierung und Parlament, wollten den Primat der Politik sichern, den Oberbefehl in zivile Hand legen, eine umfassende Kontrolle der Streitkräfte durch den Bundestag einführen. Dieser hatte nicht nur das Budgetrecht, sondern konnte sich in einem speziellen, im Grundgesetz verankerten Ausschuss mit allen Fragen der Streitkräfte befassen. Auch im Verteidigungsministerium sollte das Militärische dem Zivilen untergeordnet werden. Es gab keinen Generalstab, und der Generalinspekteur als höchster Soldat war nicht nur dem zivilen Staatssekretär, sondern auch dem höchsten zivilen Ministerialbeamten nachgeordnet. Der Rüstungsbereich war als Teil der zivilen Wehrverwaltung dem Zugriff der Generäle entzogen. Auf eine Militärgerichtsbarkeit hatte man bewusst verzichtet, es gab zivil geführte Truppendienstgerichte.3 Das Soldatengesetz legte fest, dass schon Brigadegeneräle ohne Angabe von Gründen in den vorzeitigen Ruhestand versetzt werden konnten. Bei zivilen Beamten war dies erst ab der Ministerialdirektorenebene, also zwei Stufen höher, möglich. 314
Im Soldatengesetz waren alle Sonderrechte von Soldaten abgeschafft. Fortan hatten sie dieselben Rechte und Pflichten wie alle anderen Bürger und wurden auf die Werte und Normen der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes verpflichtet. Von Gehorsam, Kameradschaft und Pflichterfüllung war zwar auch die Rede. Der Duktus des im Gesetz enthaltenen Pflichtenkatalogs unterschied sich aber erheblich von den Kriegsartikeln des Jahres 1902 oder den Berufspflichten des Soldaten der Jahre 1919 bis 1934. Ehre und Mut, Kämpfer- und Opfertum kamen nicht mehr vor, Treue und Tapferkeit standen nicht mehr im Zentrum der Werteordnung. Während in früheren Dekaden die Angehörigen der Streitkräfte vor allem zum aufopferungsvollen Kampf verpflichtet wurden, fehlte dem Soldatengesetz von 1956 dieses Pathos. Der Begriff des Vaterlandes war im ursprünglichen Textentwurf für die Eidesformel enthalten, wurde auf Vorschlag des SPDAbgeordneten Hans Merten aber gestrichen. In der endgültigen Eidesformel hieß es dann, dass die Soldaten der Bundesrepublik treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen hätten. Damit wurde der Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik für das geteilte Land reklamiert.4 Das Soldatengesetz sah ferner eine neue Wehrbeschwerdeordnung, die Wiedereinführung des Vertrauensmannes, die Gründung des Bundeswehrverbandes als Interessenvertretung der Soldaten und das nach schwedischem Vorbild geschaffene Amt des Wehrbeauftragten des Bundestages vor. Damit waren die Bürgerrechte der Soldaten institutionell so umfassend abgesichert wie nie zuvor. Die Botschaft war klar: Von den so geschaffenen Organisationsstrukturen sollte ein kraftvolles Signal ausgehen, 315
um die Kritiker der Wiederbewaffnung zu besänftigen. Die militärische Funktionstüchtigkeit war dabei allenfalls von sekundärer Bedeutung. Sie musste gewiss gewährleistet sein, weil die Streitkräfte nur dann außenpolitisches Gewicht hatten. In ihrem Rechts-, Werte- und Normenrahmen aber war die Bundeswehr vor allem als ein innenpolitisches Projekt konzipiert. Ein grundlegender Neuanfang wurde wenige Jahre nach Kriegsende nicht nur von der SPD als größter Oppositionspartei eingefordert. Weite Teile der CDU und selbst der militärfreundlichen FDP sahen dies im Prinzip ähnlich. Niemand wusste, ob diejenigen, die einst für Führer und Reich gekämpft hatten, auch der Bundesrepublik loyal dienen würden. Die schon zu Weimarer Zeiten verbreitete Befürchtung, dass sich die Armee zu einem »Staat im Staate« entwickeln könnte, war allenthalben zu spüren. Freilich basierte diese Formel nicht auf einer abgewogenen Analyse, sondern war eher eine Art Exkulpation der Politik. Gewiss hatte das Militär gehörigen Anteil an den Katastrophen der Weltkriege. Aber es waren der Reichskanzler und der Kaiser, die 1914 die Weichen zum Sprung ins Dunkle gestellt hatten, und der Primat der Politik war nie so umfassend durchgesetzt worden wie in der NS-Zeit. Die Frage, ob es in der Weimarer Republik einen »Staat im Staate« im engeren Sinne überhaupt gegeben hatte, wurde ernsthaft nicht gestellt. Das Schlagwort eignete sich einfach zu gut, um sich von der Vergangenheit abzugrenzen und einer militärkritischen Öffentlichkeit glaubhaft zu vermitteln, dass nun alles besser werden würde. Der Gegensatz zur NS-Zeit, als alles Militärische hymnisch verklärt wurde, konnte größer nicht sein. Nach Krieg, Verbrechen, Zerstörung, Flucht, Vertreibung, Teilung und Besetzung hatten die meisten Deutschen vom Militär die Nase 316
voll. Umfragen zeigen die Skepsis. Fünf Jahre nach Kriegsende konnte sich eine deutliche Mehrheit, zeitweise über drei Viertel, einen Dienst an der Waffe nicht mehr vorstellen – weder für sich noch für die Angehörigen. Seit 1950 verschaffte sich die Ohne-mich-Bewegung mit ihrer strikten Ablehnung der Wiederbewaffnung Gehör. Der aus Protest gegen Adenauers Wiederbewaffnungspläne zurückgetretene Innenminister Gustav Heinemann und der evangelische Theologe Martin Niemöller waren prominente Wortführer der Kritik. In der Öffentlichkeit gab es zuweilen hochemotionale Diskussionen. Adenauers Sicherheitsberater Theodor Blank wurde bei Auftritten mehrfach ausgebuht und mit Eiern beworfen. Allerdings verdichtete sich die Kritik nicht zu einer wirkungsvollen politischen Opposition. Die sozialdemokratischen, evangelischen und gewerkschaftlichen Milieus waren in sich zu sehr gespalten. Manche waren gegen die Wiederbewaffnung, weil damit die Einheit der Nation aufs Spiel gesetzt werde oder weil die Bundesrepublik im Bündnis nicht gleichberechtigt war. Andere waren aus pazifistischen Gründen dagegen, empfanden tiefe Gewissensnöte. Und wieder andere hielten sie angesichts der Bedrohung durch die Sowjetunion oder aus bündnispolitischen Gründen für unverzichtbar. Auch darf man von den öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen der Bewaffnungsgegner nicht auf die Meinung der gesamten Bevölkerung schließen. Die Deutschen wollten zwar selber keine Uniform mehr tragen. Aber die prinzipielle Zustimmung zur Aufstellung westdeutscher Streitkräfte war stets größer als die Ablehnung.5 Trotz der traumatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs waren die Westdeutschen keineswegs ein Volk von Pazifisten. Die Stimmungslage war weniger militärfeindlich, als es zeitweise schien, und schlug sich vor allem nicht in den Wahlergebnissen nieder. Adenauers 317
Christdemokraten gewannen sowohl die Bundestagswahl von 1953 als auch die von 1957, letztere sogar mit absoluter Mehrheit. Das belegt die Zustimmung zu deren konsequenter Politik der Westbindung mit dem Kernstück der Wiederbewaffnung. Trotz aller Vorbehalte gegenüber der militärischen Vergangenheit stand der Rückgriff auf die alten Wehrmachteliten nie ernsthaft infrage. Adenauer war klar, dass die Streitkräfte der Bundesrepublik zumindest so professionell sein mussten, dass sie international ernst genommen wurden. Überzeugte Demokraten mit höherem Dienstgrad, die nicht in der Wehrmacht gedient hatten, gab es kaum, und die wenigen waren mittlerweile zu alt. »Ich glaube, 20-jährige Generäle nimmt mir die NATO nicht ab«, soll Adenauer auf die Frage geantwortet haben, ob Hitlers Generäle auch die seinen wären.6 Im Personalgutachterausschuss wurden aber all jene einer besonderen Überprüfung unterzogen, die vom Dienstgrad Oberst aufwärts eingestellt werden sollten. Den allzu Belasteten blieb der Weg in die Bundeswehr versperrt. Von 553 Bewerbungen für die höheren Dienstposten wurden indes 85 Prozent angenommen. Zudem wurden 45 dienstgradniedrigere Offiziere der Waffen-SS eingestellt, auf die man aus fachlichen Gründen glaubte nicht verzichten zu können.7 Sie konnten allerdings nur Oberst werden, waren von den höheren Führungsposten also ausgeschlossen.8 Die DDR ging einen anderen Weg. Sie griff zwar anfangs auch auf Wehrmachtoffiziere und -generäle zurück, entließ diese aber bis Ende der 1950er-Jahre wieder.9 Die Abkehr von den alten militärischen Eliten war in Ostdeutschland also viel schärfer. Der Preis dafür war, dass die höhere Führung der Nationalen Volksarmee (NVA) bis in die 1970er-Jahre hinein zumeist in Uniform gesteckte Politiker ohne große militärische 318
Kenntnisse waren. Die Bundeswehr gewann durch den Rückgriff auf die alten Eliten zweifellos schneller militärische Relevanz und damit außenpolitisches Gewicht.10 Auch wenn Bonn also einen neuen rechtlichen und normativen Rahmen für die Streitkräfte schuf, wurde der vollständige Bruch mit der Vergangenheit vermieden. 1951 und 1952 gab Adenauer Ehrenerklärungen für die ehemaligen Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS ab. Dafür mussten sie sich verpflichten, die Werte und die Politik der Bundesrepublik und auch die hehren Motive der Attentäter vom 20. Juli anzuerkennen. Diese Ehrenerklärungen und das Bemühen um die Freilassung der noch in alliierter Haft befindlichen Offiziere mögen aus heutiger Sicht verstören. Sie waren aber wichtige Schachzüge, um die ehemaligen Berufssoldaten in den neuen Staat zu integrieren und die Fehler der Weimarer Republik zu vermeiden. Die alte Identität konnte so in eine neue überführt werden, wie der Historiker Agilolf Keßelring bemerkte.11 Die wenigen, die diesen Schritt nicht vollziehen mochten und von ihrer nationalsozialistischen Identität nicht lassen wollten, wie etwa Sepp Dietrich, HansUlrich Rudel oder Bernhard Ramcke, konnten nun leicht als Extremisten ausgeschlossen werden. Die Bundesregierung wählte in der damaligen innenpolitischen Lage einen geschickten Kompromiss. Schließlich waren die Wehrmachtveteranen schon aufgrund ihrer schieren Zahl in der jungen Republik überall präsent. Sie saßen in den Parlamenten und Ministerien, den Firmen und Verbänden, waren Ärzte, Anwälte und Journalisten.12 Neun Millionen Bundesbürger hatten selbst in der Wehrmacht gekämpft, Millionen waren für die Rüstungsindustrie tätig gewesen oder hatten dem sogenannten Wehrmachtgefolge, etwa der Organisation Todt, angehört. Nimmt man die 319
Familienangehörigen mit in den Blick, so waren die deutsche Gesellschaft und ihre Institutionen von der Wehrmachtvergangenheit nicht zu trennen. Gewiss waren die individuellen Erfahrungen in Krieg und Militär denkbar unterschiedlich. Viele hatten den Zwangsdienst gehasst, andere hatten einen sozialen Aufstieg erlebt und sprachen von der besten Zeit ihres Lebens. Eine Ächtung der Wehrmacht gab es nicht, das wäre letztlich auf eine Selbstverleugnung der Bevölkerung hinausgelaufen. Vielmehr versuchte sich die Mehrheit der Deutschen mit ihrer jüngsten Vergangenheit zu versöhnen. Jörg Echternkamp hat zu Recht argumentiert, dass die verbrecherische Dimension des Krieges ein offenes Geheimnis war und man in dieser Phase nicht von einer »SelbstViktimisierung« der Deutschen sprechen kann. So kamen bei den Versuchen, sich gegen Vorwürfe aus dem In- und Ausland zu verteidigen, stets Verbrechen und Unrecht ans Tageslicht.13 Zudem legten Historiker und Politikwissenschaftler wie Martin Broszat, Andreas Hillgruber und Karl-Dietrich Bracher in den Sechzigerjahren kritische Studien zur NS-Politik und zur Wehrmacht vor.14 Es gab intensive Debatten um den 20. Juli, und seit Gründung der Bundesrepublik verurteilten auch deutsche Gerichte vor allem Mitglieder der SS, die an der Shoah beteiligt waren: so etwa im Sobibor-Prozess 1950, im Ulmer Einsatzgruppen-Prozess 1958 und in den drei Frankfurter Auschwitz-Prozessen von 1963 bis 1968. Die Wehrmacht allerdings blieb von der deutschen Justiz weitgehend verschont. Die 1958 eingerichtete Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen bekam erst 1965 die Zuständigkeit auch für die Wehrmacht.15 Zuvor waren gleichwohl ein gutes Dutzend Generäle angeklagt und zumeist auch verurteilt worden, die während der Endkämpfe deutsche 320
Soldaten hatten exekutieren lassen.16 Die allermeisten schwer belasteten Täter der NS-Organisationen und der Wehrmacht kamen indes ungeschoren davon.17 Von den Prozessen und der breiten Presseberichterstattung ging aber ein wichtiges Zeichen der Abgrenzung von den NS-Verbrechen aus, das breite gesellschaftliche Zustimmung fand. 1958 waren 54 Prozent der Deutschen für eine Fortsetzung der Strafverfolgung von NS-Tätern.18 Die Veteranenorganisation der Waffen-SS, die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit (HIAG), konnte zwar vielfältige politische Kontakte aufbauen. Adenauer hatte ja versichert, dass seine Ehrenerklärung auch für die Soldaten der Waffen-SS gelte, soweit sie tapfer gekämpft hätten. Selbst SPD-Politiker wie Helmut Schmidt äußerten aus eigenem Erleben oder politischem Kalkül manch Schmeichelhaftes über die Waffen-SS. Und doch scheiterte die HIAG letztlich damit, ihre Veteranen als ganz normale Soldaten anerkennen zu lassen. Es kam nicht von ungefähr, dass Günter Grass oder Horst Tappert ihre SS-Zugehörigkeit ein Leben lang verheimlichten. Und in der Bundeswehr wollte man die Waffen-SS-Veteranen mit wenigen Ausnahmen auch nicht haben.19 Die Ächtung der SS als Organisation, aber auch einzelner besonders fanatischer Wehrmachtgeneräle wie Ferdinand Schörner, war zweifellos eine unhistorische Reduktion von Verantwortung und Schuld. Als Verkörperung des Bösen waren diese aber nützliche Antipoden, von denen sich die politisch durchaus diverse Gesellschaft abgrenzen konnte, um das Narrativ vom tapferen Soldaten hochzuhalten, der in einem sinnlos gewordenen Krieg missbraucht wurde. Darin konnten sich beinahe alle wiederfinden. Schließlich hatten auch diejenigen, die dem NS-Regime kritisch 321
gegenüberstanden, weitergekämpft und geglaubt, ihre soldatische Pflicht erfüllen zu müssen. Und viele waren stolz auf ihre soldatischen Leistungen. Für Eberhard Wildermuth, den ersten Bundesbauminister im Kabinett Adenauer, der 1949/50 zugleich auch als eine Art Schattenverteidigungsminister fungierte20, war es von großer Bedeutung, erst dann verwundet in Gefangenschaft gegangen zu sein, als britische Panzer im September 1944 seinen Gefechtsstand umstellten.21 Der 1890 geborene Reserveoffizier stammte aus einem linksliberalen, republikanischen Umfeld und gehörte zum weiteren Kreis der Verschwörer des 20. Juli. Er stand politisch viel weiter links als die meisten ehemaligen Berufsoffiziere, mit denen er über den Aufbau eines westdeutschen Verteidigungsbeitrags in Kontakt stand. Und er war sich bewusst, welche Verbrechen auch von der Wehrmacht zwischen 1939 und 1945 verübt worden waren.22 Doch nun ging es um den Wiederaufbau von Staat und Gesellschaft. Die Frage der persönlichen Schuld dürften sich in der Übergangszeit von Gefangenschaft und Heimkehr zwar manche gestellt haben. Mit dem Beginn eines neuen Lebensabschnitts in der Bundesrepublik konnten allzu tiefgehende Reflexionen über die Vergangenheit aber nur stören, zumal auch Wildermuth in Jugoslawien in Kriegsverbrechen verwickelt gewesen war. So wollten auch Adolf Heusinger und Hans Speidel ganz bewusst keine intensiveren Diskussionen über die Rolle der Generalität im Zweiten Weltkrieg, um die Wiederbewaffnung nicht zu gefährden.23 Nicht nur in Deutschland, sondern in vielen der am Zweiten Weltkrieg beteiligten Länder legte man sich die Vergangenheit so zurecht, dass das Erlebte mit den Nachkriegsgegebenheiten in Einklang gebracht und den durch 322
den Krieg tief erschütterten Gesellschaften eine positive Identität gegeben werden konnte.24 Dieser Prozess verlief in demokratischen Ländern konflikt- und facettenreicher als in Diktaturen. Aber ein allzu eindimensionaler Blick auf die eigene Vergangenheit war eben nicht nur in Jugoslawien oder der DDR zu beobachten, sondern auch in Frankreich und Italien, wo die Erzählungen von der Nation im Widerstand sich zum langlebigen Meisternarrativ entwickelten. Was die frühe Bundesrepublik betrifft, so kann dieser komplexe Prozess, sich die Vergangenheit zurechtzulegen, hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden.25 Er äußerte sich auf vielfältige Weise in Öffentlichkeit, Politik und Gesellschaft; in Gedenkstätten ebenso wie in Presseberichten oder Fernsehproduktionen, in Veteranenorganisationen und ihren Postillen ebenso wie in Bundestagsdebatten oder im Familiengespräch. Exemplarisch lassen sich die gesellschaftliche Haltung zur Wehrmacht und das öffentlich Sagbare am Erfolg zweier Bestsellerautoren verdeutlichen. Hans Hellmut Kirst veröffentlichte 1954 die Romantrilogie 08/15, die sich über zwei Millionen Mal verkaufte, in 24 Sprachen übersetzt und sogleich mit überwältigendem Erfolg verfilmt wurde.26 Die Bücher wurden als kraftvolles Plädoyer gegen den Militarismus und den menschenverachtenden Kommiss der Wehrmacht wahrgenommen. Der Film endete mit der Aufforderung, dass »nie wieder die Diktatur des 08/15-Geistes in deutschen Kasernen herrschen« solle. In einer Meinungsumfrage des Allensbacher Instituts äußerten dann auch sechzig Prozent der Befragten, dass die Ausbildung beim Militär im Vergleich zu früher geändert werden sollte. Danach gefragt, was denn geändert werden müsste, blieben die 323
meisten unkonkret. Erstaunlicherweise sagten nur 20 bis 25 Prozent, dass der Kasernenhofton verschwinden solle.27 Aus heutiger Sicht ist die Trilogie von Kirst freilich eher eine Verharmlosung des Krieges. Denn neben den Schikanen auf dem Kasernenhof und feigen Etappenoffizieren zeigt sie vor allem die Kameradschaft der Soldaten an der Front, beschreibt tapfere Krieger und fürsorgliche Offiziere und im letzten Teil die SS als Blitzableiter für das Böse. Im Film geriet die Darstellung der Charaktere noch holzschnittartiger. Der Bundesregierung kam der Roman inmitten der Wiederbewaffnungsdebatte sehr ungelegen. Der Verband deutscher Soldaten empfand die Ausführungen Kirsts als unflätige Kritik am Militär, zumal die Romane auch mit reichlich schlüpfrigen Szenen gespickt waren. Die Diskussion wurde von einer Fehde zwischen dem Autor und Franz Josef Strauß, damals Bundesminister für besondere Aufgaben, angeheizt, deren persönliche Antipathie noch aus den letzten Kriegstagen herrührte. Dabei wurde auch mit Boykottaufrufen und gegenseitigen Klagen nicht gespart, was dem Verkaufserfolg nur zuträglich gewesen sein dürfte.28 Die öffentliche Debatte um die Romane verdeckte freilich, dass Kirsts Narrativ die Institution der Wehrmacht nur oberflächlich angriff. Gewiss, Drill und Schikane wurden geradezu genüsslich ausgebreitet. Der außerordentliche Erfolg der Trilogie ist aber vor allem damit zu erklären, dass sich die ehemaligen Wehrmachtsoldaten und ihre Angehörigen nach der Lektüre als Opfer der NS-Kriegführung fühlen konnten. Nur an ganz wenigen Stellen deutete Kirst die verbrecherische Dimension des Krieges so an, dass der kundige Leser wusste, was gemeint war.29 Mehr als versteckte Hinweise auf den Vernichtungskrieg war seinerzeit nicht opportun. 324
Den zweiten wirkungsmächtigen Referenzpunkt im Diskurs über die Wehrmacht setzte seinerzeit Paul Schmidt alias Paul Carell. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer war während des Krieges Pressechef von Außenminister Joachim von Ribbentrop gewesen und etablierte sich nach 1945 unter dem Pseudonym Carell als erfolgreicher Schriftsteller und Journalist.30 Seit 1952 schrieb er in der Publikumszeitschrift Kristall Artikelserien über den Feldzug in Nordafrika, die alliierte Landung in der Normandie und den Krieg in der Sowjetunion. Zwischen 1958 und 1966 wurden daraus mehrere Bücher, die rasch Millionenauflagen erreichten und weltweit Verbreitung fanden. In seinen flüssig geschriebenen Werken konstruierte Carell das Bild einer taktisch-operativ überlegenen deutschen Armee, die vor allem am Dilettantismus Hitlers gescheitert sei. Von Verbrechen und Vernichtungskrieg war hier ebenso wenig die Rede wie von der Katastrophe des letzten Kriegsjahres, als das NS-Regime und seine Militärführung in einem widersinnig gewordenen Kampf Millionen Soldaten opferten. Er sprach damit jene Leser an, deren Identität an ein positives Bild der Wehrmacht gebunden blieb. Man mag heute über Carells Werke die Nase rümpfen. Seine wortgewaltige Beschwörung der handwerklichen Exzellenz der Wehrmacht war freilich ein wichtiges Bindemittel zwischen Militär und Gesellschaft.31 Die Deutschen erschienen als die besten Soldaten der Welt, die den Krieg zweifelsohne gewonnen hätten, wären die Alliierten nicht mit einer geradezu unfairen Materialüberlegenheit angetreten und hätte sich Hitler nicht immer wieder eingemischt. Eine solche Erzählung wurde dankbar aufgenommen; anders als die Dolchstoßlegende nach dem Ersten Weltkrieg, wonach die Heimat dem unbesiegten Heer in 325
den Rücken gefallen sei, hatte sie keine politische Konnotation und spaltete die Deutschen nicht. Im Gegenteil, sie einte sie über Parteigrenzen, Klassen und Dienstränge hinweg. Das Ausblenden aller negativen Aspekte des Kriegsgeschehens und der Fokus auf eine Heldenerzählung waren wichtige Hebel zur Integration der Wehrmachtveteranen in die Gesellschaft und den neuen Staat – nicht zuletzt in die neuen Streitkräfte. Sie trugen dazu bei, Wunden zu heilen und rechtsradikale Parteien in die politische Bedeutungslosigkeit abzudrängen. Selbst ehemals stramme Nationalsozialisten konnten so von FDP, CDU und CSU integriert und an die junge Republik herangeführt werden. Carells Narrativ wurde in zahllosen Publikationen und Memoirenwerken übernommen. Das lag freilich auch an den geschickt gewählten Themen, über die er schrieb: Mit dem ritterlichen Kampf in der Wüste, den harten Gefechten in der Normandie und den Schlachten in den Weiten der Sowjetunion ließen sich militärische Exzellenz und Opferbereitschaft gut verknüpfen. Und dies in einer Weise, die auch im Ausland weitgehend positiv aufgenommen wurde. Freudig druckten einschlägige Zeitungen eine angeblich aus Israel stammende Umfrage unter 1000 Militärspezialisten, derzufolge die deutsche Armee im Ersten und Zweiten Weltkrieg die beste der Welt gewesen sei.32 Mit seinen Büchern unterstützte Carell auch die Tendenz britischer und amerikanischer Autoren, die Wehrmacht zu einer quasi überirdischen Superarmee hochzuschreiben, um den eigenen Sieg nur noch strahlender erscheinen zu lassen. Nicht zufällig haben sich britische Autoren früh des Feldmarschalls Erwin Rommel angenommen.33 Da die Akten der Wehrmacht erst in den 1970er-Jahren von den Alliierten an die Bundesrepublik zurückgegeben wurden, waren die deutschen Historiker noch 326
nicht so weit, Carells Narrativ etwas Grundlegendes entgegenzuhalten. Das Bemerkenswerte ist freilich nicht, dass dessen Deutungsangebote so populär waren. Viel überraschender ist, dass sich der Mythos von der handwerklichen Exzellenz der Wehrmacht so lange halten und etwa in Computerspielen bis ins 21. Jahrhundert überdauern konnte. Auf diesen Befund wird noch zurückzukommen sein. Die Bücher von Kirst und Carell steckten ab, was öffentlich über die Wehrmacht sagbar war. Sie waren damit Ausdruck eines gesellschaftlichen Referenzrahmens, an dem sich die Bundeswehr zu orientieren hatte: Schleifer und Endsiegfanatiker durfte es nicht mehr geben. Die Armee sollte demokratischer und auch ein Stück weit ziviler werden. Doch am Bild des vorbildlichen deutschen Soldaten, der nur seine Pflicht getan hatte, wurde noch nicht gerüttelt. Es galt nach wie vor als Muster, an das angeknüpft werden konnte.34 In gewisser Weise schloss die Gesellschaft mit ihrer Armee einen Vertrag: Wir akzeptieren euch Wehrmachtveteranen in der Bundeswehr, verteidigen euch gegen Vorwürfe aus dem Inund Ausland. Dafür fügt ihr euch schweigend in die neue Ordnung ein, akzeptiert die Republik und habt politisch nichts zu melden. Und solange es keine Skandale gibt, mischen wir uns nicht in eure inneren Angelegenheiten ein. Sobald die Bundeswehr gegen diesen Gesellschaftsvertrag verstieß, bekam sie massiven Gegenwind zu spüren. Als 1957 fünfzehn Rekruten beim Durchwaten der Iller ertranken oder 1963 ein Soldat in Nagold beim Dauerlauf tot zusammenbrach, galten die Streitkräfte sogleich wieder öffentlich als Schleiferarmee à la 08/15.35 Und als der Wehrbeauftragte des Bundestages Hellmuth Heye in der Illustrierten Quick 1964 seiner Sorge Ausdruck gab, dass sich die Bundeswehr zu einem »Staat im Staate« entwickeln 327
könnte, war die öffentliche Aufregung erneut groß. Die Streitkräfte schienen wieder einmal den vorgegebenen Rahmen zu verletzen.36 Allerdings waren diese Skandale nur kurze Aufreger37, weil die Bundeswehrführung entweder sogleich scharf reagierte oder – wie im Fall Heyes – das Verteidigungsministerium sich derlei fundamentale Kritik verbat und Heye seinen Rücktritt einreichte. Weit höher schlugen die Wogen in der Frage der Atombewaffnung. Das Misstrauen des linksliberalen intellektuellen Milieus und der parlamentarischen Opposition gegenüber den nuklearen Verteidigungsplanungen von Bundesregierung und Teilen der Generalität gipfelte in einem Spiegel-Artikel vom 10. Oktober 1962 unter dem Titel »Bedingt abwehrbereit«. Das Hamburger Leitmedium hatte sich schon lange auf Verteidigungsminister Strauß eingeschossen, unterstellte ihm nun einmal mehr den Griff nach deutschen Atomwaffen und warf ihm Versagen beim Aufbau der konventionellen Schlagkraft der Bundeswehr vor. Sein Generalangriff galt zugleich Straußens Ambitionen auf die Nachfolge Adenauers. Bundesregierung und Bundesanwaltschaft warfen dem Blatt Landesverrat vor, durchsuchten die Redaktionsräume und nahmen Herausgeber Rudolf Augstein und mehrere Redakteure fest. Dies wurde als massiver Angriff auf die Pressefreiheit gewertet und provozierte einen wütenden Proteststurm. In der Fragestunde des Bundestages verwickelte sich Strauß in Widersprüche und musste nach Protesten der mitregierenden FDP am 19. November 1962 zurücktreten.38 Nur selten stand die Bundeswehr so im Rampenlicht wie in der sogenannten Spiegel-Affäre, einem der spektakulärsten politischen Skandale der frühen Bundesrepublik. Doch schon im Bundestagswahlkampf 1963 spielte der Vorfall keine 328
besondere Rolle mehr. Alle im Parlament vertretenen Parteien bekannten sich zur Bundeswehr.39 Auch in der Gesellschaft schien die neue Armee akzeptiert zu sein. Eine überwiegende Mehrheit fühlte sich von der Sowjetunion bedroht, und nur wenige junge Männer machten von dem Recht Gebrauch, den Wehrdienst aus Gewissensgründen zu verweigern. Das lag nicht nur an dem langwierigen Anerkennungsprozess. Noch war es gesellschaftlicher Konsens, dass man dem Staat zu »dienen« hatte. So folgten 99 Prozent dem Einberufungsbescheid.40 Das begann sich erst ab 1966 langsam zu ändern. Die Verweigerungszahlen stiegen nun moderat, ab 1968 dann sprunghaft an. Der seit 1970 so bezeichnete Zivildienst erhielt fortan immer größeren Zulauf. Doch wenn auch die relativen Veränderungen beachtlich waren, blieben die absoluten Zahlen überschaubar: Von den Männern des Jahrgangs 1950, die 1969 zum Wehrdienst gemustert wurden, stellten nur fünf Prozent einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. Und doch war unübersehbar, dass der zunehmende materielle Wohlstand, das steigende Bildungsniveau, die neuen Möglichkeiten der Massenkommunikation und die wachsende Mobilität in den westlichen Industriegesellschaften tief greifende kulturelle Veränderungen nach sich zogen. Der Soziologe Helmut Klages argumentierte, dass es um 1968 eine signifikante Verschiebung von Pflicht- und Akzeptanzwerten zu Freiheits- und Selbstentfaltungswerten gegeben habe.41 Mittlerweile sehen Historiker diesen Wertewandel als einen langfristigen Prozess, der schon in den 1950er-Jahren – und teilweise noch viel früher – einsetzte. Er verlief sowohl im internationalen Vergleich als auch in den verschiedenen Bereichen wie Familie, Arbeit, Bildung, Jugendkultur, Frauenbild oder Sexualmoral zeitlich durchaus 329
unterschiedlich. Die »Vorstellungen des Wünschenswerten«, um die Definition von Clyde Kluckhohn aufzugreifen42, veränderten sich auch im Bereich des Militärs nicht erst 1968, sondern schon seit dem 19. Jahrhundert immer wieder. Doch war dieser Wandel nach 1871 eher evolutionär; es gab eine breite gesellschaftliche Akzeptanz des Militärs, und die Pflicht zum Gehorsam bis hin zur Opferung des eigenen Lebens für das Vaterland wurde nicht infrage gestellt. Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs hatte diesen Grundkonsens zweifellos gelockert, aber noch nicht aufgelöst. In Umfragen rangierten Mut, Tapferkeit und soldatische Fähigkeiten schon Anfang der 1950er-Jahre zwar weit hinter Werten wie Fleiß, Tüchtigkeit und Strebsamkeit. Aber dies änderte nichts daran, dass die Westdeutschen die Existenz einer Institution akzeptierten, für die die erstgenannten Tugenden eine zentrale Bedeutung hatten. Erst die Jugendrebellion stellte diese ab Mitte der 1960er-Jahre infrage. Nie zuvor hatten das Bildungsbürgertum und die Mittelschicht in solcher Weise gegen das Militär Front gemacht. Bislang waren sie immer Unterstützer der Streitkräfte gewesen, was seit dem Kaiserreich insbesondere für die Studenten galt. Nun setzte die Kritik an den Wurzeln der bürgerlichen Leistungsgesellschaft an. Das Streben nach einer antiautoritären, enthierarchisierten Gesellschaft war das Gegenteil von allem, wofür das Militär und damit auch die Bundeswehr standen. Auch wenn sich die Proteste vor allem gegen die SpringerPresse, den Vietnamkrieg, die Notstandsgesetze und die NSVergangenheit der Elterngeneration richteten, gerieten schließlich auch die Streitkräfte ins Fadenkreuz der Außerparlamentarischen Opposition (APO). Für die Neue Linke war die Bundeswehr ein »Repressions- und 330
Manipulationsapparat« zur Herrschaftssicherung pseudoliberaler, faschistoider Eliten, was nicht zuletzt die 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze vermeintlich unter Beweis stellten, die das staatliche Handeln in Krieg und Krisen sicherstellen sollten. Als Endziel schwebten der APO die Auflösung der Bundeswehr und der Austritt der Bundesrepublik aus der NATO vor.43 Sie rief dazu auf, dass möglichst viele Wehrpflichtige nach ihrer Grundausbildung den Wehrdienst verweigerten, um den Streitkräften maximalen Schaden zuzufügen. Anderen wurde empfohlen, in der Armee zu bleiben und das System von innen auszuhöhlen. Diese Strategie schien zunächst durchaus erfolgreich zu sein. So waren 1968 zwanzig Prozent aller Kriegsdienstverweigerer Wehrpflichtige, die bereits Dienst taten, was die Bundeswehr besonders schmerzte. Vor den Kasernen kam es zu neunzig Flugblattaktionen und 24 Demonstrationen.44 Doch derlei Aktivitäten ebbten bald ab, als die APO im Herbst 1968 ihren Höhepunkt überschritten hatte und in Grüppchen verschiedenster Couleur auseinanderfiel. Die Ideen der Protestbewegung waren damit aber nicht aus der Welt. Sie veränderten in einem langen Prozess die Kultur des Landes und fanden in abgeschwächter Form Widerhall im parteipolitischen Raum, vor allem in der SPD und bei den Jusos. Diese schleichende Veränderung des gesellschaftlichen Referenzrahmens war für die Bundeswehr viel bedrohlicher als die medienwirksamen Protestaktionen, die gemeinhin mit dem Mythos »1968« verbunden werden.45 Denn für den Anstieg der Verweigerungszahlen war weniger die Agitation der APO als der evolutionäre Wertewandel verantwortlich.46 Für einen wachsenden Teil insbesondere der bildungsbürgerlichen Jugend schien der Zivildienst sinnvoller 331
und mit ihrer Lebenswelt eher vereinbar zu sein als die fünfzehn Monate Dienst hinter der Kasernenmauer.47 Die Generalität war über diese Entwicklung sehr besorgt, weil die Streitkräfte auf einen ständigen Zustrom neuer Soldaten angewiesen waren, um ihre Einsatzbereitschaft sicherzustellen. Je unpopulärer das Militär bei jüngeren Menschen war, desto schwieriger war es, den notwendigen Nachwuchs zu rekrutieren, zumal in Zeiten der Vollbeschäftigung niemand aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen war, sein Brot bei den Streitkräften zu verdienen. Keiner konnte damals die Dynamik der Entwicklung voraussagen, und mancher General fragte kritisch, wie kampffähig und -willig die Wehrpflichtigen überhaupt noch waren. Regierung und Parlament standen auch während der Studentenproteste hinter den Streitkräften.48 Aber niemand durfte erwarten, dass in Zeiten der beginnenden Entspannungspolitik von Kampf- oder gar Kriegsfähigkeit gesprochen wurde. Frieden, Bildung, Besoldungs- und Lohnstrukturen waren die Themen, die für die SPD nach ihrer Machtübernahme 1969 im Bereich der Sicherheitspolitik im Vordergrund standen.49 Neue Töne waren auch vom höchsten Verfassungsorgan zu vernehmen. Bundespräsident Gustav Heinemann, der einst vehement gegen die Wiederbewaffnung gekämpft hatte und dessen emotionale Distanz zum Militär unübersehbar war, meinte etwa, dass die Bundeswehr grundsätzlich bereit sein müsse, sich um einer besseren politischen Lösung willen infrage stellen zu lassen.50 Das war kein Plädoyer zur Abschaffung der Armee, wurde von vielen Berufssoldaten aber genau so verstanden. Sie zeigten sich enttäuscht, dass alle Appelle, etwa gegen militärfeindliche »Agitation« an den Schulen vorzugehen und zumindest den 332
Jugendoffizieren den Zugang zu ermöglichen, ungehört verhallten. Die Regeln waren klar: Nicht die Gesellschaft oder die Politik hatten auf die Streitkräfte zuzugehen, sondern diese mussten sich den neuen gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen. Die innenpolitische Dimension der Bundeswehr wurde in diesen Tagen einmal mehr deutlich. Sie hatte nur dann eine Existenzberechtigung, wenn sie sich bereit zeigte, mit der Zeit zu gehen. Verteidigungsminister Helmut Schmidt initiierte daher ein Reformprogramm, das von der Einführung von Haarnetzen bis zur Gründung von Bundeswehruniversitäten reichte. Diese Themen beherrschten die öffentliche Wahrnehmung ungleich mehr als die militärische Leistungsfähigkeit, auf die die Generalität fixiert war. Der Sturm, der 1968 durchs Land fegte, hat das zivilmilitärische Verhältnis gewiss belastet, aber nicht zerstört. Die geschilderten Veränderungen waren Teil eines schon länger andauernden Wandels, über den auch innerhalb der Bundeswehr heftig diskutiert wurde und der dort keinesfalls nur auf taube Ohren stieß. Das Ringen um die innere Ausrichtung der Streitkräfte Auch den Gründervätern der Bundeswehr, der scherzhaft als »Heilige Drei Könige« bezeichneten Gruppe um die ehemaligen Wehrmachtgeneräle Adolf Heusinger, Hans Speidel und Hermann Foertsch, war von Anfang an klar, dass es beim Aufbau der neuen Streitkräfte nicht nur um Ausrüstung, Strukturen und Doktrinen gehen konnte. Schon in ihrem ersten Besprechungsplan vom 5. Januar 1950, der die grundsätzlichen Fragen der Wiederbewaffnung skizzierte, machten sie deutlich, dass auch das Innenleben neu zu 333
gestalten sei.51 Adenauers militärischer Expertenrat aus fünfzehn ehemaligen Wehrmachtoffizieren, der sich dann im Oktober 1950 im Kloster Himmerod in der Eifel traf, hielt gar fest, dass im Bereich des inneren Gefüges »grundlegend Neues« zu schaffen sei. Die künftigen Soldaten sollten die demokratische Staats- und Lebensform bejahen, keine Sonderrechte mehr haben und ihr Handeln stets an der Wahrung der Menschenwürde ausrichten. Durch eine neue Straf- und Beschwerdeordnung und die Möglichkeit zur politischen Teilhabe sollten sie mehr Rechte erhalten. Wörtlich hieß es in der Himmeroder Denkschrift allerdings auch, dass »den Erfahrungen und Gefühlen des deutschen Volkes« und dem »wahren deutschen Soldatentum Rechnung zu tragen« sei.52 Niemand der Anwesenden wollte eine Kopie der Wehrmacht, aber die Formulierungen ließen doch offen, wie viel Veränderung nötig, nützlich und möglich sein würde. Der radikalste Vertreter eines Wandels war der 43-jährige Wolf von Baudissin – in Himmerod einer der Jüngsten und Dienstgradniedrigsten. Er hatte als junger Stabsoffizier im Frankreichfeldzug kurz Kampferfahrung gesammelt, war schon am 3. April 1941 in Nordafrika den Briten in die Hände gefallen und hatte die folgenden sechs Jahre in Australien in Gefangenschaft verbracht.53 Er war daher ungleich weniger von Krieg und Tod geprägt als die meisten anderen Offiziere der Aufbaugeneration, konnte somit unbelasteter und damit auch radikaler über den Neuaufbau nachdenken. Zudem war er intellektueller und viel weniger an einen militärischen Habitus gebunden als die anderen Führungskräfte. In seinem Verständnis sollte der Soldat ein freier demokratischer Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten sein, der seine Motivation nicht mehr aus der Loyalität zum Vaterland, zu einem Monarchen oder Führer zog. Vielmehr sollte der 334
Staatsbürger in Uniform54 durch den Geist des freiheitlichen Rechtsstaats motiviert werden, der auch in die Armee Einzug halten sollte. Militärisches Handeln sollte fortan also von demokratischer Gesinnung geleitet sein. Dies zu gewährleisten war die Aufgabe der Inneren Führung. Sie sollte die Identifikation mit den Werten und Normen von Gesellschaft, Staat und Streitkräften sicherstellen, den Bezug zum rechtmäßigen politischen Willen von Parlament und Regierung verdeutlichen, die Erziehung zur Kooperation fördern und Gehorsam aus Einsicht bewirken. Da das Nationalgefühl der Deutschen durch Teilung, Niederlage und Verbrechen verwundet blieb, bot sich der Verfassungsstaat für Baudissin als eine Art Ersatzvaterland an. Er nahm damit den Verfassungspatriotismus vorweg, der als Begriff erst 1970 vom Politikwissenschaftler Dolf Sternberger geprägt und fünfzehn Jahre später vom Philosophen Jürgen Habermas als unbedingte Alternative zu einem deutschen Nationalgefühl etabliert wurde.55 Freilich war das gesamtdeutsche Denken in der westdeutschen Bevölkerung im Allgemeinen und bei den Soldaten im Besonderen wohl noch bis weit in die Sechzigerjahre dominant. Erst seit den Siebzigerjahren etablierte sich allmählich ein Patriotismus, der sich auf die Verfassung der Bundesrepublik bezog. Baudissin war seiner Zeit also weit voraus. Für ihn konnte es nur einen möglichst vollständigen Bruch mit dem Alten geben.56 Doch damit stand er weitgehend allein. Im Herbst 1950 war somit nicht abzusehen, wie sich das Innenleben der künftigen Streitkräfte entwickeln würde, und noch weniger, dass die Innere Führung und der Staatsbürger in Uniform einmal die Markenzeichen der Bundeswehr werden würden. Bis 1958 blieb Baudissin als Referats- und Unterabteilungsleiter für die Innere Führung zuständig, bevor 335
er ein Truppenkommando übernahm und seine Karriere dann bei der NATO fortsetzte. Freilich war er nur ein Rädchen im großen Getriebe erst des Amts Blank, dann des Bundesministeriums für Verteidigung, und es musste sich zeigen, welche Rolle die anderen Kräfte, angefangen vom Minister bis hinunter zu den Referenten, spielen würden. Unstrittig war, dass es eine enge Verbindung von Militär und Gesellschaft anzustreben galt. Die Verhältnisse der Weimarer Republik galten allenthalben als abschreckendes Beispiel. Diesmal durfte an der vorbehaltlosen Anerkennung von Demokratie und Rechtsstaat kein Weg vorbeiführen. Auch in der Forderung nach einer Neustrukturierung der Bildung, etwa durch den Aufbau einer Wehrakademie, waren sich die wichtigsten Entscheidungsträger einig. Meinungsverschiedenheiten zeichneten sich jedoch schon früh bei der Frage ab, wie Militär und Gesellschaft verzahnt und wie die Soldaten motiviert werden sollten, in einem drohenden Atomkrieg die Bundesrepublik zu verteidigen. Baudissin zweifelte daran, dass die jungen Männer schon als fertige, hochmotivierte und pflichtbewusste Staatsbürger in die Streitkräfte eintreten würden und nur noch das militärische Handwerk erlernen mussten. Er war überzeugt, dass in dem ideologischen Konflikt zwischen liberaler Demokratie und Kommunismus nur derjenige Soldat die Freiheit verteidigen würde, der diese auch in der Armee erlebe. Ein Pluralismus der Auffassungen, die Achtung der individuellen Persönlichkeit, Chancen zur Mitgestaltung sowie die konsequente Minimierung von Fremdbestimmung würden ihm verdeutlichen, wofür es im »Weltbürgerkrieg« der Systeme zu kämpfen gelte. Nur der politische Soldat würde sich im Systemkonflikt bewähren.57 Die Bundeswehr sollte von der demokratischen Zivilgesellschaft geprägt werden und nicht 336
mehr umgekehrt als Schule der Nation das Militärische auf das Zivile übertragen.58 Daher lag Baudissins Fokus darauf, die innere Struktur der Bundeswehr so zu gestalten, dass es für die Wehrpflichtigen im Übergang vom Zivilleben zum Militärdienst möglichst wenige Brüche gab. Ihm waren alle Formen des klassischen soldatischen Habitus zuwider. Der Soldat, meinte er in seiner Abschiedsrede aus dem Ministerium im Juni 1958, müsse aus seiner konservativen und reaktionären Umhegung befreit werden, weil er durch sie in Gegensatz zu all dem geraten sei, was das Leben ausmache: die moderne Kunst, die Philosophie, aber auch liberale, demokratische und sozialistische Weltanschauungen bis hin zur alles verändernden Technik. Das Militär habe, so Baudissin weiter, in der Vergangenheit ein gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit gehabt, was etwa zu Beginn des Zweiten Weltkriegs erhebliche Verluste verursacht habe.59 Das gängige Leitbild der Bewährung des Soldaten im Krieg hatte für ihn ausgedient. Vielmehr sollte sich der Soldat für die Minimierung und Neutralisierung militärischer Gewalt einsetzen, den Krieg verhindern und sich im Frieden bewähren.60 Für Baudissin stand außer Frage, dass das Militär die Zivilgesellschaft weitgehend kopieren musste. Soldaten seien nichts anderes als Angehörige des Öffentlichen Dienstes, sagte er später einmal61, und die Bundeswehr sei nur ein notwendiges Übel.62 Er bestritt nicht, dass es Inkompatibilitäten von Krieg und Frieden gab, doch er sah diese als geringer an als viele andere seiner Mitstreiter. Auf die Frage, ob Soldaten nicht als Kämpfer ausgebildet werden müssten, um für den Krieg gewappnet zu sein, antwortete er, dass die Gesellschaft im Ernstfall mit einer Umschichtung der Wertehierarchie reagieren würde. Die Bürger würden dann schon zusammenrücken und kämpfen.63 337
Heinz Karst64 war seit 1951 ein enger Mitarbeiter Baudissins, zeitweise gar sein Stellvertreter. Beide zerstritten sich fünf Jahre später aus persönlichen Gründen, aber auch, weil Karst die Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachtete. Er hatte – anders als Baudissin – in Polen und der Sowjetunion an der Front gekämpft, war schwer verwundet worden. Diese Erlebnisse prägten ihn zweifellos tief. Beide fochten intellektuell auf gleicher Höhe, und beide publizierten viel über ihre Ideen.65 Karst war kein Gegner der Inneren Führung, sondern ein Kritiker ihrer Entwicklung. Die Armee war seiner Meinung nach nicht primär dazu da, die jungen Männer politisch zu formen. Dies sei Aufgabe der Gesellschaft, von der er sich einen kämpferischen Selbstbehauptungswillen und eine feste Solidarität mit den Streitkräften erwartete. Der Bürger sollte schon beim Eintritt in die Bundeswehr den Willen mitbringen, Freiheit, Recht und Menschenwürde zu dienen und dafür, wenn nötig, sein Leben hinzugeben. Aufgabe der Bundeswehr sei es dann, aus den jungen Männern harte Kämpfer zu formen, die siegen wollten. Nur so könne die Politik einen potenziellen Feind abschrecken und den Krieg verhindern. Karst trat für eine strenge christlich-patriotische Werteund Normenordnung ein. Wahrhaftigkeit, Tapferkeit, Verzichtbereitschaft, Treue in der Bindung, Herzlichkeit des Gefühls, Achtung vor der Menschenwürde, Vertrauen zum Mitmenschen waren für ihn ebenso wie Disziplin, Autorität und Gehorsam unverzichtbare Grundlagen, um Volk und Staat zu verteidigen. Das Innenleben der Bundeswehr sollte – anders als bei Baudissin – nicht auf Demokratieerfahrung, Frieden und Kriegsverhinderung fokussiert sein, sondern auf das Bestehen im Kampf. Obwohl auch er Schikanen strikt ablehnte66, seine Bindung an die Republik außer Zweifel 338
stand, er die Widerständler des 20. Juli gegenüber den übrigen Wehrmachtsoldaten heraushob67, die nationalsozialistische Überhöhung des Opfertums vehement ablehnte, einem hohen Bildungsideal das Wort redete, gar für die Einheit Europas plädierte, war sein Referenzpunkt also ein anderer als der von Baudissin. Überspitzt formuliert dachte der eine vom Krieg und der andere vom Frieden her. So unterstrich Karst immer auch die Eigengesetzlichkeiten des Soldatenberufs.68 Er war davon überzeugt, dass sich bei allen Parallelen und Verflechtungen die Lebenswelten von Zivil- und Militärgesellschaft nie vollständig angleichen ließen, wenn das Militär seine Funktionalität behalten sollte. Diese Unterschiede müssten akzeptiert werden.69 Soldatsein sei ein Beruf sui generis, der seine eigenen Regeln brauche.70 Für Karst war der Soldat immer der potenzielle Kämpfer im Krieg, und dies bedinge andere, extremere Herausforderungen für Motivation und Legitimation als bei einem Angestellten des Öffentlichen Dienstes. 1957 schrieb er, dass der Aufbau der Bundeswehr wenig lohne, wenn sie nicht den Willen habe, jede einzelne Division so zu disziplinieren und auszubilden, dass sie es mit drei sibirischen Garde-Schützendivisionen aufnehmen könne.71 Wenngleich auch Baudissin eine schlagkräftige Armee wollte, hätte er solche Worte kaum gewählt. Beide markierten mit ihren unterschiedlichen Auffassungen das Spannungsfeld zwischen Bürger und Krieger, um das in der Bundeswehr hinter den Kulissen bis heute gerungen wird.72 Der Streit um die innere Ausrichtung der Bundeswehr ist früh als Konflikt von Traditionalisten und Reformern apostrophiert worden. Dieses Begriffspaar wurde schon in den 1950erJahren von den eher liberalen Offizieren geprägt.73 Die Literatur hat dieses Deutungsschema von Gut und Böse 339
zumeist unkritisch übernommen, obwohl schon früh auf die Problematik dieser Dichotomie hingewiesen wurde. Dass sich die Protagonisten damals die Begriffe an den Kopf warfen, mag angesichts des bis ins Persönliche reichenden Streits um Macht und Deutungshoheit nicht überraschen. Sie heute zu verwenden führt indes nicht allzu weit. Offiziere wie Karst wollten keine Rückkehr zur Wehrmacht und auch nicht zur Reichswehr, sodass man sie am ehesten als Konservative74 bezeichnen kann. Und man muss noch einen Schritt weiter gehen: Der auch öffentlich ausgetragene Streit zwischen Baudissin und Karst verdeckte, dass es in der Auseinandersetzung um die innere Ausrichtung der Bundeswehr keine festgefügten Lager gab75, vielmehr etliche Schattierungen und eine im besten Sinne pluralistische Meinungsvielfalt. Die Positionen waren vielfach auch von institutionellen Erwägungen und persönlichen Motiven beeinflusst, und sie blieben über die Zeit nicht immer konstant. Die vollständige Umsetzung von Baudissins Plänen war angesichts der Rahmenbedingungen in Politik, Gesellschaft und Militär unrealistisch, so verständlich der Ruf nach einem Neuanfang auch war. Sie basierten letztlich auf einer idealistischen Vorstellung von der Motivation von Soldaten. Die Wehrpflichtigen der Fünfziger- und frühen Sechzigerjahre wollten gewiss gut behandelt werden. Sie waren wohl auch kritischer und prinzipiell weniger militärfreundlich als ihre Vorgänger in der Wehrmacht. Die Annahme jedoch, dass nur solche Soldaten eine militärische Konfrontation mit dem Ostblock bestehen könnten, die in den Streitkräften Pluralismus und die Achtung des Individuums erlebten, war allzu praxisfern, weil beides in einer Armee notgedrungen immer eingeschränkter war als im Zivilleben. Eine Studie aus dem Jahr 1964 zeigt, dass zwar 59 Prozent der 340
Wehrpflichtigen über zu viel Kasernenhofdrill klagten und 51 Prozent angaben, dass es »Schleifer« in der Bundeswehr gebe. Aber nur fünf Prozent hielten die Ausbildung für zu hart, und 69 Prozent erinnerten sich gern an ihre Zeit beim »Bund«.76 Eine andere Studie fragte danach, was die Wehrpflichtigen am meisten an der Bundeswehr störe. Verdienstausfall und die Trennung von Zuhause rangierten dabei klar vor dem Befehlston.77 Die oftmals rüden Umgangsformen störten die Mehrheit zweifellos, aber sie standen zugleich einer positiven Gesamtbilanz des Wehrdienstes nicht im Wege. Das mag auch daran gelegen haben, dass viele junge Männer an robuste Sitten und Gebräuche gewohnt waren, weil sie diese auch in ihrer Lehrzeit oder in der Familie erlebten.78 Baudissins Vorstellungen bildeten eine Art bildungsbürgerliches Avantgardekonzept, das nur sehr bedingt den gesellschaftlichen Realitäten der frühen Bundesrepublik entsprach. Die Bundeswehr konnte kaum liberaler als jene Gesellschaft sein, in die sie sich integrieren sollte.79 Der Verfassungspatriotismus war für die allermeisten Wehrpflichtigen zu abstrakt gedacht. Sie unterschieden sich wohl nur graduell und nicht prinzipiell von dem Handwerksgesellen Wilhelm Janeke, den wir im ersten Kapitel kennengelernt haben und der 1892 eingerückt war.80 Wie ehedem ging es vor allem darum, anständig behandelt zu werden und ansonsten seine Aufgaben gut zu erfüllen. Zu allen Zeiten ist die Bedeutung der Identifikation der Soldaten mit dem jeweiligen politischen System für ihre Motivation wohl überschätzt worden. Weder waren 1914 alle Soldaten kaisertreu, noch waren 1939 alle Nationalsozialisten. Und 1958 war die Haltung der meisten Wehrpflichtigen zum Grundgesetz eher indifferent. Trotzdem leisteten die ersten Generationen von Wehrpflichtigen – wie noch zu zeigen sein 341
wird – durchaus motiviert ihren Dienst, wenn dieser abwechslungsreich, fordernd und sinnvoll gestaltet war. Der Stolz auf das Geleistete und die Kameradschaft in der eigenen Einheit waren auch entscheidend für die Verpflichtung als Zeitsoldat.81 Die Binnenkohäsion der Primärgruppen, aber auch die Akzeptanz des Militärs und die Loyalität zum Vaterland scheinen also – wie zu Zeiten des Kaiserreiches oder der Wehrmacht – für die Motivation der Bundeswehrsoldaten eine wichtigere Rolle gespielt zu haben als die Identifikation mit dem politischen System der Bundesrepublik.82 Diesen Faktor hat Baudissin in seinen Überlegungen zur Inneren Führung jedoch kaum berücksichtigt. Ein weiterer Irrglaube war, dass der moderne Atomkrieg einen völlig neuen Soldaten erfordere. Die Zerstörungskraft der neuen Waffen, so die Annahme, führe zu aufgelockerten Gefechtsgliederungen, die Vollmotorisierung aller Verbände zu einem schnelleren Ablauf des Kampfes, und aufgrund der steigenden Technisierung der Truppen gebe es immer mehr Spezialisten, mit denen die Vorgesetzten in partnerschaftlicher Kooperation verkehren müssten, weil sie selber gar nicht mehr über das gesamte Fachwissen verfügten.83 Diese Argumentation erschien auf den ersten Blick plausibel und wurde in der Bundeswehr vielfach zur Abgrenzung von der Wehrmacht herangezogen. Zutreffend war sie freilich allenfalls für die Luftwaffe. Für die mit völlig veraltetem Gerät ausgerüstete Marine hingegen galt sie bis weit in die 1970erJahre gewiss nicht. Auch unterschieden sich die Dynamik der Gefechtsführung und die Waffentechnik einer Panzerdivision des Jahres 1944 kaum von Baudissins Panzergrenadierbrigade 4, die er von 1958 bis 1961 führte. Und das Heer übertraf – wie noch zu zeigen sein wird – die Kampfkraft der schnellen Einheiten der Wehrmacht wohl erst am Ende der 1960er-Jahre 342
signifikant. Gewiss wäre ein Atomkrieg in Zeiten der massive retaliation etwas anderes gewesen als der Kampf an der Ostfront. Aber im Denken der Truppe kam der nukleare Schlagabtausch kaum vor, weil er schlicht unvorstellbar war. Baudissin verkannte zudem die soziale Realität in der Wehrmacht, wenn er glaubte, dass dort immer nur stramm gehorcht wurde.84 Für ihn konnte der Leibeigene nicht plötzlich zum selbstständigen Denken angeregt werden.85 Mit solchen Aussagen stellte er das Selbstverständnis Tausender ehemaliger Wehrmachtveteranen infrage, für die es ein Leichtes war, ihm vorzuwerfen, dass er nur den Kasernenhof kennengelernt und von der Frontrealität im Zweiten Weltkrieg keine Ahnung hatte. Es war ja gerade Teil der preußischdeutschen Militärkultur, dass die Soldaten zum Mitdenken und zur Übernahme von Verantwortung erzogen werden sollten. Gewiss mag dies nicht immer umgesetzt worden sein. Es war aber doch vielfach gelebte Realität. Heinz Karst glaubte nicht daran, dass die Gesellschaft im Ernstfall einfach den Schalter umlegen könnte. Er war davon überzeugt, dass man nicht über Nacht zum Soldaten wurde. Deshalb zählte für ihn, sich im Frieden so gut es ging auf den Krieg vorzubereiten, das soldatische Handwerk zu lernen, sich aber auch an die Härten zu gewöhnen, soweit dies überhaupt möglich war. Er erfasste die Anforderungen des scharfen Einsatzes zweifellos klarer. Freilich musste die Bundeswehr nie die Probe aufs Exempel bestehen, und sie hätte ihre Abschreckungsrolle gewiss auch dann erfüllt, wenn Baudissins Konzept vollständig umgesetzt worden wäre. Karsts Vorstellung krankte daran, dass er zu sehr von einem Idealzustand zivil-militärischer Beziehungen ausging, der mit den Realitäten nur wenig gemein hatte. Eine hohe Wehrbereitschaft und die gesellschaftliche Anerkennung der 343
Streitkräfte waren aus Sicht der Militärs gewiss wünschenswert. Doch konnte man kaum erwarten, dass die Gesellschaft sich nach der Logik der Armee ausrichtete. Das hatte es in Friedenszeiten nie gegeben – nicht einmal zu Zeiten der Hochrüstung in den 1930er-Jahren. Die Westdeutschen begriffen sich in ihrer Mehrheit schlicht nicht als Verteidigungsgemeinschaft, trotz der ständigen Bedrohung im Kalten Krieg.86 Es herrschte eher ein kollektiver Fatalismus, und das Kabinett setzte aus guten Gründen andere Prioritäten, die mit der Lebensrealität der Bevölkerung mehr zu tun hatten als die Vorbereitung auf einen Atomkrieg. Ebenso gehörte es zur Konstitution einer liberalen Gesellschaft, dass es eine kritische Öffentlichkeit gab, in der die Streitkräfte vielfach hämisch kritisiert wurden. Und auch die Kriegsdienstverweigerung gehörte bald zur sozialen Realität der Republik. Karst war von solcherlei Freiheiten genervt und hielt sie für schädlich. Auch seine hohen Ansprüche an Bildung, Ethos und Motivation der Soldaten waren in der Praxis kaum einzulösen. Während Baudissin den konservativen Teil von Armee und Gesellschaft ausblendete, tat Karst dasselbe mit den linksliberalen Strömungen, was gerade bei den Wehrpflichtigen und den jungen Offizieren zu Problemen führen musste. Potenziell bestand bei seinem Modell die Gefahr, in einen Kulturpessimismus zu verfallen, nur die Armee als den Hort der wahren Werte anzusehen und sich damit in eine Welt zurückzuziehen, in der die sich verändernde Mehrheitsgesellschaft kaum mehr vorkam. Die Grundlagendokumente zur Inneren Führung aus den 1950er-Jahren waren dann ein Kompromiss beider Positionen. So war 1955 in der programmatischen Schrift »Vom künftigen deutschen Soldaten«, herausgegeben vom Verteidigungsministerium, vom »unerschrockenen, harten 344
Einzelkämpfer« die Rede, der aus Liebe zu Vaterland, Heimat und Demokratie der totalitären Welt entgegentrete. Zu lesen war von striktem Gehorsam und Pflichttreue, aber eben auch von der Würde des Menschen, der Rechtsstaatlichkeit und dem Auftrag, dass das Militär den Krieg zu verhindern habe. Die Verherrlichung des Soldatentodes fand sich ebenso wenig wie irgendeine Form der Privilegierung gegenüber Zivilisten.87 In einem ähnlich ambivalenten Duktus war das 1957 publizierte »Handbuch Innere Führung« gehalten.88 Man mag mit Fug und Recht bezweifeln, ob damit schon »grundlegend Neues« geschaffen wurde, wie es die Himmeroder Denkschrift fünf Jahre zuvor als Auftrag formuliert hatte. Eine Neuausrichtung im Vergleich zur Wehrmacht war aber unübersehbar, und dies nicht nur durch die Bezüge zu Recht, Freiheit und Menschenwürde. Auch von kühnem Angriffsgeist, unerbittlicher Härte und ähnlich martialischen Wendungen war in den Gesetzen, Handbüchern und Vorschriften nicht mehr die Rede. Der Krieg war nicht mehr der alleinige Maßstab, wenngleich die kämpferischen Eigenschaften des Bürgers nach wie vor betont wurden.89 Offensichtlich ging es mehr darum, den Referenzrahmen evolutionär weiterzuentwickeln. Die potenziellen Gegensätze zwischen den Rechten des freien Bürgers und den Pflichten des harten Kämpfers fielen angesichts des damals weitgehend konservativen Staats- und Gesellschaftsverständnisses noch nicht ins Gewicht. Baudissin musste froh sein, dass das klare Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat sowie die deutliche Ausweitung der Freiheiten des Soldaten – nicht zuletzt seines aktiven und passiven Wahlrechts – in zahlreichen neuen Gesetzen und Verordnungen verankert wurden. Für weiter gehende Reformen gab es anfangs weder in den Regierungsparteien noch im Verteidigungsministerium die 345
notwendige Unterstützung. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Richard Jäger, die Minister Theodor Blank und Franz Josef Strauß, Staatssekretär Josef Rust, aber auch einflussreiche Generäle wie Hans Speidel standen Baudissins Konzepten kritisch gegenüber. Selbst seinem Förderer Generalinspekteur Adolf Heusinger gingen sie letztlich zu weit. Eigentlich wollte niemand das innere Gefüge der Streitkräfte auf den Kopf stellen; lieber wollte man an Bewährtes anknüpfen und es mehr oder minder behutsam weiterentwickeln.90 In der Wehrmacht hatte es durchaus Aspekte gegeben, die mit dem neuen Programm kompatibel waren. Sie war mitnichten nur auf strikte Unterordnung ausgerichtet, sondern legte Wert auf Fürsorge, Einsicht zum Gehorsam und Aufrechterhaltung der Soldatenwürde.91 Ihr paternalistischer Führungsstil dürfte zudem ganz dem Gesellschaftsbild der Gründergeneration der Bundeswehr entsprochen haben. Als sich die Bundesregierung dazu entschloss, für den Aufbau der Bundeswehr in umfassendem Maße auf Wehrmachtveteranen zurückzugreifen, war ein evolutionärer Prozess vorgezeichnet. Man konnte erwarten, dass diese sich stillschweigend und loyal in die Demokratie einfügten, auch die zivile Kontrolle akzeptierten92, aber kaum, dass sie die Armee in eine freiheitliche Erlebniswelt verwandelten. Die Taktgeber des militärischen Wiederaufbaus im Verteidigungsministerium waren von ihren Kriegserfahrungen tief geprägt. Manche hatten noch die Materialschlachten des Ersten Weltkriegs erlebt, die meisten aber das Sterben an den Fronten des Zweiten. Sie dachten die Bundeswehr vom Krieg her. Das galt gerade auch für Generalinspekteur Heusinger, der hinsichtlich des Soldatenberufs erklärte: »Wer lernen muß, Gewalt anzuwenden bis zum Töten, übt keinen Beruf ›wie 346
jeder andere‹ aus.« Es sei auch nicht Aufgabe des Soldaten, den Krieg zu verhindern, sondern sich so gut als möglich auf diesen vorzubereiten. Heusinger war es ein Graus, dass unter dem »Staatsbürger in Uniform« in der Öffentlichkeit lediglich die Pflege eines schutzbedürftigen demokratischen Musterbürgers verstanden werde, nicht aber auch die Erziehung und Ausbildung eines entschlossenen Kämpfers für die unbarmherzigsten aller bisherigen Kriegsformen. Seiner Meinung nach musste die Innere Führung entideologisiert und als militärische Aufgabe betrachtet werden. Er betonte die wesensmäßigen Eigengesetzlichkeiten des Soldatenberufs, sprach in seinen Reden von kriegsnaher Ausbildung, Kriegstüchtigkeit und dem Aufbau von Schlagkraft. Heusinger forderte von seinen Kommandeuren, ein »opferwilliges, verzichtbereites Soldatentum« zu erziehen. Das verlange Unabhängigkeit von »zivilisatorischen Errungenschaften und Bequemlichkeiten«93. Der Primat des Zivilen habe auf den Geist der Bundeswehr eine bedenkliche Auswirkung. Die Armee könne nicht die Aufgabe von Kirchen, Elternhaus, Schulen und Gewerkschaften übernehmen und die geistigen wie moralischen Grundlagen der wehrpflichtigen Jugend formen. Dabei käme auch der tüchtigste Truppenführer an seine Grenzen und empfinde die ständige Überforderung mit Bitterkeit. Der gesicherte geistige Boden und die öffentliche Anerkennung sei für die Schlagkraft der Bundeswehr ein unerlässliches Fundament. Die Anerkennung von Recht, Freiheit und Menschenwürde stand für die Gründergeneration der Bundeswehr außer Frage. Sie genossen jedoch keinen Vorrang, sondern waren für die allermeisten angesichts der Bedrohung aus dem Osten gleichrangig mit den rein militärischen Aufgaben. Der Inspekteur des Heeres Hans Röttiger wies darauf hin, dass die 347
ernste und systematische Auseinandersetzung mit politischen Fragen keineswegs eine überflüssige Spielerei sei. Die Soldaten sollten »leidenschaftliche Verfechter des Widerstandswillens der freien Welt« sein. Nur ein guter Kämpfer im heißen Krieg sein zu wollen sei zu wenig, hielt er 1958 fest.94 Freilich ging es ihm dabei nicht vorrangig um die Herausbildung kritischer Geister oder um den möglichst weitgehenden Abbau überkommener Umgangsformen, wie es Baudissin vorschwebte. Röttiger war wie Heusinger und viele andere glühender Antikommunist, hatte mit Sorge die Niederschlagung der Aufstände in der DDR und in Ungarn verfolgt. Sie alle sahen sich dem alten Feind gegenüber. Und dabei waren sie nicht allein. In der westdeutschen Gesellschaft und nicht zuletzt in der oppositionellen SPD gab es seit der Berlin-Blockade von 1948/49 eine dezidiert antisowjetische Haltung.95 Auch im Bereich der Tradition ging es nicht um den radikalen Bruch mit der Vergangenheit, sondern um pragmatische Kompromisse.96 Eine völlige Abkehr von der Wehrmacht stand angesichts der Vergangenheit der führenden Offiziere nie zur Debatte. Heusinger hatte 1960 in einer Rede formuliert, dass sowohl die Erfordernisse der Zeit als auch »Überzeitliches das Antlitz des Soldaten« prägten.97 Und im ersten Traditionserlass von 1965 war von Dankbarkeit und Ehrfurcht vor den Leistungen und Leiden der Vergangenheit die Rede, von soldatischen Leistungen und menschlichen Bewährungen, von gewissenhafter Pflichterfüllung um des Auftrags willen. Jeder wusste, was damit gemeint war, auch wenn der Begriff Wehrmacht kein einziges Mal auftauchte. Aber auch der Widerstand aus Verantwortung fand seinen Platz, sodass der 20. Juli im offiziellen Traditionsbild fest verankert wurde. Hart war darum gerungen worden, wie jene, 348
die dem Eid auf Hitler bis zur letzten Minute gefolgt waren, und die wenigen, die ihr Gewissen über den Eid gestellt hatten, unter einen Hut zu bekommen waren und ob die Bedeutung des 20. Juli über die Tapferkeit an der Front gestellt werden sollte oder nicht. Das Ergebnis war ein Sowohl-als-auch. Es gab diesbezüglich wohl nur graduelle Differenzen zwischen Karst, Heusinger, Kielmansegg, Speidel oder auch de Maizière. Niemand von ihnen war für den vollständigen Bruch mit der Wehrmacht. Ein Traditionserlass, wie wir ihn heute haben, war damals unvorstellbar. Es ging um eine möglichst breite Integration der Veteranen aus dem letzten Krieg, und man kann mit Recht kritisch fragen, ob überhaupt jemand ausgeschlossen blieb. Bernhard Ramcke beispielsweise galt aufgrund seiner demonstrativen Nähe zum NS-Regime, aus der er keinen Hehl machte, eigentlich als Persona non grata. Dennoch entsandte Verteidigungsminister Schröder 1968 ein Ehrengeleit der Bundeswehr an das Grab des Fallschirmjägergenerals. Generalinspekteur Ulrich de Maizière hatte zwei Jahre zuvor zusammen mit Generaloberst a. D. Kurt Student das Ehrenmal der Fallschirmjäger in Altenstadt eingeweiht, welches an die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs erinnerte. Ausdrücklich bezog sich de Maizière dabei auf Einsatzbereitschaft, Mannesmut und Korpsgeist der Fallschirmjäger der Wehrmacht, an die es in der Bundeswehr anzuknüpfen gelte.98 Ramcke und Student waren einst gläubige Nationalsozialisten, hatten beide nur geringe militärische Führungsfähigkeiten und trugen die Verantwortung für Kriegsverbrechen ihrer Einheiten.99 Schon in den 1960er-Jahren waren beide umstritten, wurden von den Fallschirmjägerveteranen aber hochverehrt. Eine konsequente Abgrenzung der Bundeswehr gab es zu diesem Zeitpunkt nur 349
zu Hitlers ehemaligem Durchhaltemarschall Ferdinand Schörner und zur Waffen-SS. Als Sepp Dietrich, Generaloberst der Waffen-SS, im April 1966 auf dem Ludwigsburger Neuen Friedhof beigesetzt wurde, nahmen zwar 5000 zumeist ehemalige Kameraden an der Trauerfeier teil, die Bundeswehr blieb der Zeremonie aber fern.100 In ihrem Verhältnis zur Wehrmacht werden die Dilemmata einer an sich reformfreundlichen Gründergeneration vielleicht am deutlichsten. Heusinger, Speidel, de Maizière und Kielmansegg akzeptierten den zurückhaltenden Habitus des Militärs und die geradezu zivile Anmutung der ersten Uniformen. Bis 1965 verzichteten sie auf Truppenfahnen und anderes Brauchtum. Die Verklärung der Wehrmacht und damit der eigenen Geschichte war aber fester Bestandteil der von ihnen geprägten Bundeswehrkultur. Niemand sollte sich von den Soldaten des Zweiten Weltkriegs distanzieren, »die tapfer und ehrenvoll die Waffen führten gegen die bolschewistische Gefahr«101. Mit lupenreiner Weste war kaum jemand von der Gründergeneration aus dem Krieg gekommen. Über Kriegsverbrechen wurde offiziell nicht gesprochen. Es gab zwar manche Andeutungen, aber mehr musste und sollte dazu nicht gesagt werden.102 Auch der Fortbestand der Kameradschaft aus dem Krieg zahlte sich aus. So machte Karl Wilhelm Thilo, ehemaliger Ia der 1. Gebirgsdivision, trotz seiner Verstrickung in Kriegsverbrechen auf dem Balkan in der Bundeswehr Karriere.103 Ulrich de Maizière kannte ihn noch aus seiner Zeit im Oberkommando des Heeres. Baudissin sah diesen Umgang mit der Vergangenheit gewiss kritischer. So war ihm etwa Oberst Bern Oskar von Baer ein Dorn im Auge. Dieser hatte als Kommandeur der 1. Luftlandedivision für den 20. Mai 1957 den Befehl erteilt, an den Jahrestag der Landung 350
deutscher Fallschirmjäger auf Kreta 1941 zu erinnern und in Ehrfurcht ihres opferreichen Kampfes zu gedenken. In Zusammenarbeit mit dem Chef der Personalabteilung des Ministeriums gelang es Baudissin, Baer zum Stellvertreter herabzustufen.104 Dessen weiteren Aufstieg konnte er aber nicht verhindern. Baer gehörte wie Thilo zu einem alten OKHNetzwerk, war im Zweiten Weltkrieg hoch ausgezeichnet worden, hatte in Stalingrad gekämpft und im September 1943 den Gegenstoß der 16. Panzerdivision bei Salerno befehligt. In seiner Zeit als Ia der Division »Hermann Göring« war er im Sommer 1944 in Italien mit Massakern an der Zivilbevölkerung in Verbindung gekommen.105 Er nahm 1968 aufgrund gesundheitlicher Probleme als Generalmajor seinen Abschied. Truppenalltag In Gesetzen, Vorschriften und Erlassen wird das Wünschenswerte ausgedrückt. Die Realität in der Truppe war freilich zu allen Zeiten eine andere. Seit jeher hat ein Großteil der Soldaten auf allzu fordernde Vorgaben, sich an einer politischen Ordnung auszurichten, ablehnend reagiert, so auch in der Bundeswehr. Die Seminare an der Schule für Innere Führung wurden als »NSFO-Lehrgänge«, die Innere Führung als »Inneres Gewürge« verspottet. Reibungsverluste bei der Kommunikation mit den unteren Ebenen waren kaum zu vermeiden, zumal die Verlautbarungen des Ministeriums zuweilen mehr auf die Politik als auf die Truppe zielten.106 Unterschiedliche Auffassungen an der Spitze der Streitkräfte machten die Umsetzung nicht leichter.107 Wenn etwa im Handbuch für Innere Führung 1957 davon die Rede war, dass in diesem Konzept nur das fortgeführt werde, was man schon immer gemacht habe108, war das eine Einladung, die Dinge nach Gutdünken auszulegen. Und in der Tat gab es Offiziere, 351
die mit dem neuen Duktus wenig anfangen konnten. So wurde dem ersten Inspekteur des Bundesgrenzschutzes Gerhard Matzky nachgesagt, eine besonders konservative Haltung zu pflegen. Matzky wurde 1956 in die Bundeswehr übernommen und schied vier Jahre später altersbedingt aus. 1894 geboren, wurde er 1912 im schlesischen Oppeln Soldat. In seiner Abschiedsrede bemerkte er, dass von den »vorwiegend rational eingestellten Leitbild-Malern« nicht viel zu halten sei. Den versammelten Soldaten gab er vielmehr den Rat, dem geistigen Gehalt des Preußentums auch in der Bundeswehr den ihm gebührenden Platz zu erhalten. Schließlich sei es das »echt-innerlich empfundene Pathos«, das dem Soldatenberuf gegenüber allen zivilen Berufen seine besondere Weihe gebe.109 Konservatismus und mangelnde Bildung der Wehrmachtveteranen werden in der Literatur als Ursache für die Widerstände gegen die Innere Führung angeführt. Nur vierzig Prozent der rund 13 000 kriegsgedienten Offiziere110 der Bundeswehr konnten das Abitur vorweisen. Und nur die wenigsten hatten eine gründliche Friedensausbildung durchlaufen, etliche waren aufgrund ihrer Frontbewährung aus dem Unteroffizierstand zu Offizieren befördert worden. Sie wussten wohl, wie man an der Front überlebte, aber die Gestaltung des militärischen Friedensdienstes gemäß den Werten und Normen des Grundgesetzes sei ihnen fremd geblieben, heißt es. Sie hätten daher auf das zurückgegriffen, was sie von früher kannten: Schikane und übertriebener Drill.111 Eine solche Interpretation ist freilich allzu schematisch. Die Innere Führung hatte im Bereich der Menschenführung ihre Wurzeln in Erziehungskonzepten der 1920er- und 1930er-Jahre. Für viele Veteranen dürften Teile der Neuausrichtung daher so revolutionär nicht gewesen sein. 352
Sachverstand, Vertrauen, Willen zum gemeinsamen Handeln und Gehorsam aus Einsicht, das gab es auch schon in der Wehrmacht. Hermann Büschleb betonte etwa, dass die Innere Führung nur ein neuer Begriff für eine Vielzahl von Aufgaben sei, die nun nachdrücklicher gestellt würden.112 Seine Befehle zur Menschenführung, die er 1967 als Brigadekommandeur erließ und in denen von der Achtung vor der Ehre des Mannes und vom Kampf gegen Misshandlungen ebenso die Rede war wie von »rücksichtsloser Härte«, waren zu 95 Prozent mit dem identisch, was man 1942 im Heer zum selben Komplex lesen konnte.113 Die ehemaligen Wehrmachtoffiziere interpretierten die Innere Führung im Sinne einer Kontinuität im Umgang mit den Untergebenen. Inwieweit sie erfassten, dass sie mehr sein sollte als eine gute Menschenführung, mag dahingestellt sein. Auffallend ist gleichwohl, dass die Akzeptanz des Begriffs114 bei Veteranen mit höheren Dienstgraden besonders hoch war. Nach einer Studie aus dem Jahr 1964 bewerteten drei Viertel aller Stabsoffiziere – die praktisch alle aus der Wehrmacht stammten – die Innere Führung positiv. Am größten war die Ablehnung bei den Unteroffizieren auf Zeit, von denen keiner mehr aus der Wehrmacht stammte. 48 Prozent von ihnen meinten, dass die Innere Führung die Kampfkraft erheblich mindere.115 Je niedriger der Rang, desto näher war man in der Regel mit dem Alltag in der Truppe befasst und als desto lästiger, realitätsferner und unverständlicher empfand man die Innere Führung. So sahen es Kriegsgediente und auch solche Soldaten, die in den Fünfzigerjahren zur Bundeswehr kamen und zuvor keine Uniform getragen hatten.116 Dass selbst jüngeren Abiturienten das Grundgesetz noch »nicht ins Blut übergegangen« war117, wird anhand der Nagold-Affäre noch zu zeigen sein. 353
Zweifellos gab es auch kriegsgediente Offiziere, die sich nicht in der Bundeswehr zurechtfanden, mit ihren Aufgaben in der Friedensarmee überfordert waren und von neuen Umgangsformen nichts wissen wollten. Wie etwa Hauptmann Robert Lübke118, der im Krieg wegen seiner Tapferkeit vom Unteroffizier zum Offizier aufgestiegen war. Ein großer, mächtiger Mann mit stechend blauen Augen und stark geröteten Wangen119, der seinen Soldaten ein gerechter, aber auch strenger Vater sein wollte. »Seine cholerische Rücksichtslosigkeit war gepaart mit einer verschmitzten Bauernschläue und einem ebenso geraden wie unbeugsamen Naturell.« Lübke fiel dreimal durch die Stabsoffizierprüfung, blieb dann bis zu seinem frühen Tod 1965 Hauptmann und Chef der Ausbildungskompanie 14/2 in Hessisch-Lichtenau. Ecke Demandt120 lernte ihn während seiner beiden Dienstjahre in dieser Einheit kennen und mit ihm andere kriegsgediente Troupiers. Bei allen individuellen Unterschieden hätten sie, so Demandt, zwei unverrückbare Marken auf ihrer inneren Werteskala gehabt: den Tod und den Hunger. Dies hatte zur Folge, dass »sie in vielen Dingen wesentlich großzügiger waren als alle späteren, in anderen hart und unduldsam bis zur Manie. Beschimpfungen und alle Arten der Selbstjustiz waren, wenn überhaupt, Kavaliersdelikte, wer aber auch nur einmal vergaß, seine scharf geladene Waffe zu sichern, hatte die strengsten Disziplinarmaßnahmen zu gewärtigen. Kurz, Stil und Methode waren viel härter, dadurch jedoch in gewisser Weise authentischer. Die Freiheit des Einzelnen war größer, aber auch die Gefahr, in ihr umzukommen, und sei es seelisch.«121 Lübke hätte mit seinen Umgangsformen – durch zügellose Wutausbrüche brachte er selbst alte Unteroffiziere zum Weinen – freilich schon gegen die Vorschriften der Wehrmacht 354
verstoßen. Man darf vermuten, dass ihm der Begriff der Inneren Führung als Teufelszeug galt – so er ihn überhaupt kannte. Und doch bemerkte Ecke Demandt: »Keiner von uns kam auf den Gedanken, hier etwas hinterfragen zu wollen oder gar seine Würde verletzt zu fühlen. Das lag jenseits unseres Denkens und Empfindens – zumindest die Soldaten, die mit mir im gleichen Zug Rekruten waren.«122 Vieles von dem, was heute als Menschenschinderei gelten würde, wurde in den frühen Sechzigerjahren noch schlicht als gegeben akzeptiert. Eine Umfrage aus dem Jahr 1964 ergab, dass sich nur ein bis zwei Prozent der Zeitsoldaten und Wehrpflichtigen entwürdigend, rund sechs Prozent herablassend behandelt fühlten.123 Wenn die Gruppen- und Zugführer es verstanden, gemeinschaftsstiftende Erlebnisse zu schaffen, die Wehrpflichtigen nach subjektivem Empfinden fair und menschlich zu behandeln, ihren Erlebnishunger, die Abenteuerlust, das Naturerleben und nicht zuletzt die Kameradschaft124 anzusprechen, war die Erfahrung oft sehr positiv. Dann waren die jungen Männer auch bereit, große Strapazen auf sich zu nehmen. Ecke Demandt etwa berichtet in seinen Erinnerungen in höchsten Tönen von Stabsunteroffizier Lehmann und dessen Infanteriegefechtsausbildung: »Bis zu meinem Tode werde ich es nicht verlernen, das MG 42 in Stellung zu bringen. Zielauffassung, 2–3 kurze Feuerstöße, Deckung, Stellungswechsel und wieder von vorn. Wir übten das, als ginge es um die Weltmeisterschaft im MG-Schießen. Nie waren wir ihm gut genug und wahrlich, wir haben uns geschunden, es ihm gleich zu tun. Da sprang er mitten im Anschlag der Waffe dazwischen, fegte den Schützen zur Seite und überprüfte, ob auch richtig über Kimme und Korn gezielt wurde, oder er rannte auf die Feindseite, warf sich in Deckung, 355
befahl uns, ihn ins Visier zu nehmen, wenn er auftauchte, und kontrollierte mit Fernglas und Stoppuhr, wie lange wir brauchten, ihn aufzufassen und den ersten Feuerstoß mit Manövermunition auf ihn abzugeben. Wie hat er uns gehetzt, bei den nahezu wöchentlichen, nächtlichen Alarmübungen: Blaulicht im Zimmer, Alarmstuhl, Waffe im Spind, MG in der Waffenkammer empfangen, hinaus in die Nacht, 2 km weit so schnell die Füße tragen in unsere vorbereiteten Stellungslöcher am Ostrand des Walbergs. Am Ende des Atems und der Kraft, schweißtriefend in den oft halb mit Regenwasser angefüllten Kampfständen und dann stundenlanges, regungsloses Warten in Kälte und Nässe auf einen Feind, der nicht kam. Es gab Augenblicke, in denen wünschte ich mir den Feind herbei, allein, damit diesen Alarmübungen durch sein Erscheinen ein Ende gesetzt werde.«125 Und doch machte er stets mit, eiferte seinem Zugführer Lehmann nach, den er noch Jahrzehnte später als Vorbild bezeichnete. Unteroffizier Lehmann gelang es, seine Männer für den Dienst in der Bundeswehr zu motivieren. Es ist eher unwahrscheinlich, dass er sich je mit den Prinzipien der Inneren Führung auseinandergesetzt hat. Die wenigsten taten es und wandten lieber Methoden an, die ihnen schlüssig erschienen – ob sie nun mit den Vorschriften vereinbar waren oder nicht. Solange sie dabei gewisse Grundregeln beachteten, wurde das auch geduldet. Die Alltagsprobleme der frühen Bundeswehr waren viel zu überwältigend, als dass dem Bereich des inneren Gefüges größere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Es stellte sich nämlich als vollkommen illusionär heraus, innerhalb der versprochenen drei Jahre zwölf Divisionen aufzustellen. Wenngleich Verteidigungsminister Strauß bald realistischere Planungen vorlegte, machte der Kanzler doch erheblichen Druck, weil nur eine schnell 356
aufwachsende Bundeswehr außenpolitisches Gewicht hatte. Die als bedrohlich empfundene Sicherheitslage – Ungarnaufstand, zweite Berlinkrise, Kuba – tat ein Übriges, um auf zügiges Wachstum zu drängen. Das politische Ziel war 1965 endlich erreicht: Die 12. Panzerdivision konnte als letzter Großverband der NATO assigniert werden. Bonn hatte damit seine Zusage erfüllt. Der Preis der Eile war hoch. Die Armee musste buchstäblich aus dem Nichts wiederaufgebaut werden. Anfangs fehlte es an allem: Die Bereitstellung von Material und Personal kam nur langsam voran, die Unterbringung war katastrophal. In den alten Kasernen saßen inzwischen die Alliierten oder zivile Verwaltungsbehörden. Auch Schießbahnen und Truppenübungsplätze mussten neu eingerichtet werden. Es fehlte an Munition, Ausrüstung, oftmals an den banalsten Gebrauchsgegenständen. Die ersten Uniformen und Stahlhelme erwiesen sich bald als unpraktisch und wenig alltagstauglich.126 Da mehr Wehrpflichtige zur Verfügung standen, als gebraucht wurden, entschied ab 1959 ein Losverfahren über die Einberufung, was viel Unmut verursachte. Mancher kaum Taugliche wurde Soldat, während viele intelligente und leistungsfähige junge Männer um den Dienst herumkamen. Die Kreiswehrersatzämter wiesen den Verbänden teilweise vollkommen ungeeignete Mannschaften zu, die den geistigen und körperlichen Anforderungen nicht gewachsen waren.127 In jeder Einheit, so Carl-Gero von Ilsemann, gebe es notorische Störenfriede, die durch Unbotmäßigkeiten, Nachlässigkeiten und Missachtung der Ausgangsbeschränkung die Nerven ihrer Vorgesetzten strapazierten und die Disziplin schädigten. »In Zukunft muß es gelingen, diese schlechten Elemente schneller zu eliminieren, entweder, indem sie frühzeitig aus der Bundeswehr 357
ausgestoßen werden, oder indem man sie in Sondereinheiten zusammenfaßt«, notierte er.128 Vor allem aber fehlten ausreichend qualifizierte Unteroffiziere und Offiziere. Bei den Hauptleuten und Leutnanten war der Mangel am größten. Deren Aufgaben mussten oftmals von zu jungen Unteroffizieren erfüllt werden, die wiederum von kaum qualifizierten Mannschaftssoldaten ersetzt wurden. Teilweise stand den Bataillonen nur ein Drittel des notwendigen Führungspersonals zur Verfügung.129 Etliche Kompanien hatten nur einen einzigen Offizier, der vor allem mit Verwaltungsarbeiten beschäftigt war und sich nicht um die Ausbildung seiner Männer kümmern konnte. Es gelang zwar in den 1960er-Jahren, mehr Offizieranwärter einzustellen, aber die Zahlen konnten mit der rasanten Heeresvermehrung nicht Schritt halten. Von 1959 bis 1962 stieg der Umfang der Landstreitkräfte von rund 125 000 auf 250 000 Mann an, um in den folgenden drei Jahren auf 275 000 zu wachsen. Die ständige Neuaufstellung von Verbänden führte zu Personalfluktuationen und Umgliederungen, sodass es den wenigen Offizieren kaum möglich war, eine stabile Kohäsion ihrer Einheiten aufzubauen. »Was heute leider vielerorts zählt, sind Materialerhaltung und einige Manöverleistungen. So werden viele Chefs dazu gezwungen, Meister des Vordergrunds zu sein und die Ausbildung der Kompanie zu vernachlässigen. Viele resignieren, da sie vollauf damit beschäftigt sind, den Karren am Laufen zu halten. […] Das organische Wachsen der Einheit ist oft unmöglich«, schrieb ein junger Kompaniechef 1963.130 Man springe von einem Schwerpunkt zum anderen und lasse ersteren dann wieder völlig außer Acht, weil man alle Kraft braucht, um auf den dritten überzuspringen, so Oberstleutnant Ernst-Hasse von Langenn-Steinkeller im Januar 1963. Die Kompaniechefs und 358
Bataillonskommandeure waren hin- und hergerissen zwischen dem Geforderten und dem Machbaren. Im Alltag hatten sie zu wählen »zwischen formellem Gehorsam und Verantwortungslosigkeit. Die dazwischenliegenden Schleichwege, die weitgehend gegangen und jeweils oben nicht bemerkt werden, sind ein fauler Kompromiss.«131 Das Vertrauen in die politische und militärische Führung war innerhalb der Bundeswehr daher schon früh angeschlagen.132 »Wir wissen und merken nicht«, schrieb Langenn-Steinkeller, »ob überhaupt, und wenn, ob bis zur letzten Konsequenz unsere höchste Generalität die unbedingt notwendigen militärischen Forderungen gegenüber dem Politischen – und innerhalb des Ministeriums gegenüber der Ministerialbürokratie – vertritt. Wir glauben nicht, daß dies geschieht.«133 Da irrte er freilich. Die Zustandsberichte der 1960er-Jahre waren voll von drastischen Schilderungen der Probleme in der Truppe. Wenn man der Heeresgeneralität dieser Zeit eines nicht vorwerfen kann, dann, dass sie die Dinge schönredete.134 Doch löste das Niederschreiben die Probleme nicht. Gewiss gab es manche Anpassung, etwa 1962 die Verlängerung der Wehrdienstzeit von zwölf auf 18 Monate, die Aufstellung von speziellen Ausbildungskompanien oder die Einrichtung von zentralen Unteroffizierschulen 1964. Das waren aber Tropfen auf dem heißen Stein, die sich angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen kaum auswirkten. Langenn-Steinkeller beklagte: »Zum Trost kann man hören ›All dies weiss man oben, all dies steht in einem Bericht des Inspekteurs des Heeres‹. Dies aber ist ein magerer Trost – er entlastet das eigene Verantwortungsgefühl wenig, wenn man auch oben weiss, dass wir ein Scheinunternehmen darstellen. Entlasten tut nur, wenn wir erkennen, dass Entscheidendes getan wird.« 359
Langenn-Steinkeller war 47 Jahre alt und stellvertretender Kommandeur einer Brigade, als er diese Zeilen niederschrieb. Im Krieg hatte der hoch ausgezeichnete Kavallerist und Panzeraufklärer vier Jahre an den Brennpunkten der Ostfront gekämpft, trug die Nahkampfspange und war viermal verwundet worden. In der Bundeswehr hatte er verschiedene Truppenkommandos inne, war aber auch Lehroffizier an der Schule für Innere Führung. Für ihn war klar, dass eine Armee, die sich ernst nimmt, sich nur an ihrer voraussichtlichen Bewährung im Krieg messen lassen musste. Doch der Maßstab der Bundeswehr sei ihre Unzulänglichkeit. »Für den Gegner werden wir zum papierenen Drachen.« »Warum geht eigentlich nicht einmal ein General nach Haus«, fragte er rhetorisch, »weil er sich gegen die Unzulänglichkeiten aufbäumt? Wie soll man Verantwortung mit dem entsprechenden Risiko unten verlangen, wenn es einem nicht vorgelebt wird? Ist es für einen General nicht leichter, Risiken auf sich zu nehmen, als für einen Hauptmann oder Oberstleutnant? Können wir uns noch ernst nehmen – oben nimmt man uns doch offensichtlich nicht ernst und wie sollen wir den Uffz und Mann davon überzeugen, daß seine Diensterfüllung Sinn hat?«135 Es waren Stimmen der Frustration, vom Staat vor eine unlösbare Aufgabe gestellt worden zu sein. Die Truppenoffiziere hatten offensichtlich eine ganz andere Perspektive auf die Dinge als die Bundesregierung und das Verteidigungsministerium. Für die Politik war der Zweck erfüllt, sobald eine Einheit der NATO einsatzbereit gemeldet werden konnte. Die Details interessierten ebenso wenig wie die Frage, wie kampfkräftig der Verband im Ernstfall wirklich sein würde. Und auch der Generalinspekteur sah zum schnellen Aufstellungstempo angesichts der angespannten 360
internationalen Lage keine Alternative. So war im Truppenalltag für die Offiziere kein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen. In gewisser Weise ähnelte die Situation derjenigen der Wehrmacht in den Zeiten der Hochrüstung vor 1939. Beide Armeen mussten binnen kürzester Zeit eine große Streitmacht aufbauen und – wenn auch unter ganz unterschiedlichen Umständen – ihre Soldaten für den Dienst in den Streitkräften motivieren. Der schnelle Aufwuchs führte in beiden Fällen dazu, dass es zu wenige und in der Menschenführung schlecht qualifizierte Unteroffiziere und Offiziere gab, sodass Gewalt und Missbrauch insbesondere in der Grundausbildung zum Alltag in beiden Armeen gehörten. Belastbare Zahlen über Verstöße der Vorgesetzten in der Bundeswehr des Kalten Krieges sind heute kaum mehr zu ermitteln. In den Jahresberichten des Wehrbeauftragten sind solche Fälle nur exemplarisch dokumentiert.136 Die Disziplinarberichte vermerkten die Zahl der offiziell gemeldeten »besonderen Vorkommnisse«. Unter diesem Begriff wurden Misshandlungen von Untergebenen, aber auch Fahnenflucht, Sachbeschädigung, Schlägereien und Angriffe auf Vorgesetzte subsumiert. Die erfassten Fälle der Misshandlung von Untergebenen waren mit 31 (1964) bei einer Gesamtstärke von 425 000 Mann sehr niedrig137 und weit geringer, als der Wert der oben zitierten Umfrage (siehe S. 281) vermuten lässt. Das zeigt, dass es große Hemmschwellen gab, sich zu beschweren, oder dass die Kompanien bestrebt waren, die Vorfälle intern zu regeln. Dennoch stiegen die offiziell erfassten Fälle seit Anfang der 1960er-Jahre an. Bei unerlaubter Abwesenheit und vor allem bei Tätlichkeiten gegen Vorgesetzte gab es teilweise hohe Zuwachsraten.138 Die Selbstmordrate hatte demgegenüber keinen direkten Bezug zu den inneren 361
Zuständen der Streitkräfte. Sie blieb in etwa so hoch wie in der Zivilgesellschaft. Seit Gründung der Bundeswehr gab es jährlich knapp zwanzig Fälle pro 100 000 Soldaten; diese Zahl schwankte bis Anfang der 1980er Jahre kaum. Das Niveau war somit halb so hoch wie in der Wehrmacht oder der Reichswehr. Kontinuierlich angestiegen sind hingegen die Selbsttötungsversuche – von knapp fünfzig pro 100 000 Soldaten im Jahr 1957 über 100 in den Sechzigerjahren bis auf 250 im Jahr 1980.139 Der Anstieg der »besonderen Vorkommnisse« liefert allerdings einen empirischen Beleg dafür, dass es um die innere Verfasstheit der Streitkräfte nicht zum Besten stand.140 Das Offizierkorps reagierte auf die tagtäglichen Überforderungen und die wachsenden Missstände hinsichtlich Disziplin und Moral der Truppe mit dem Ruf nach mehr Härte, forderte mehr Rechte sowie eine Absage an allzu locker empfundene Umgangsformen.141 Im Truppenalltag wurden die Vorschriften vielfach einseitig streng ausgelegt und die Wehrpflichtigen zuweilen nach Gutdünken schikaniert. Manche Ausbilder glaubten wohl wirklich, dass es sich beim »Maskenball« – dem Wechsel von Kampf-, Ausgeh- und Sportanzug in größtem Tempo und unter geschrienen Kommandos – um eine sinnvolle Ausbildung handelte. Zumindest sie hatten Spaß dabei.142 Es gab aber auch die andere Seite der Medaille: Aus Unsicherheit, was überhaupt noch erlaubt war, ließen manche den Dingen ihren Lauf.143 Der Spiegel schilderte 1957 genüsslich eine Köpenickiade des 19-jährigen Grenadiers August Hagemann, der sich allen freundlich gehaltenen Anweisungen seiner Vorgesetzten entzog. Der Begriff der »Weichen Welle« wurde damals zum ersten Mal publizistisch als Synonym für die Innere Führung verwendet.144 Eine solche Auslegung war gewiss nicht 362
beabsichtigt, weder von Baudissin noch von irgendeinem anderen.145 Es gibt aber genügend Hinweise, dass die neue Doktrin jenseits der Verspottung aus Unsicherheit in der Tat zu einer überängstlichen Zurückhaltung im Truppenalltag führen konnte.146 So empfanden in einer Umfrage aus dem Jahr 1964 20 Prozent der befragten Wehrpflichtigen die Ausbildung als zu weich.147 Skandale und tribal cultures Unter diesen Rahmenbedingungen war der erste Skandal nur eine Frage der Zeit. Am 3. Juni 1957 ertranken fünfzehn Rekruten des Luftlandejägerbataillons 19 beim Versuch, die Hochwasser führende Iller zu durchqueren.148 Das Entsetzen über das Unglück war groß. Verteidigungsminister Strauß und etliche Generäle eilten an den Ort des Geschehens. Divisionskommandeur Bern von Baer durchwatete die Iller in Badehose, um sich persönlich einen Eindruck von der Fließgeschwindigkeit zu verschaffen. Die Untersuchung legte die Verkettung unglücklicher Umstände, das Versagen einzelner Unterführer und die strukturellen Defizite der frühen Bundeswehr offen. Die Flussdurchquerung war vom Bataillonskommandeur Alfred Genz ausdrücklich verboten worden. Der vielfach ausgezeichnete Fallschirmjäger, der von allen involvierten Personen wohl die längste Zeit an der Front verbracht hatte, hielt von solchen Abenteuern nichts. Aber es fehlte an einer klaren und unmissverständlichen Befehlsgebung, um die Anordnungen bis auf die unterste Ebene durchzusetzen. Der 24-jährige Stabsunteroffizier Dieter Julitz, der an diesem Tag stellvertretend den Zug Rekruten führte, wusste von der Anordnung des Kommandeurs wahrscheinlich nichts. In seinem Übereifer, von dem auch seine Wehrpflichtigen nicht frei waren, meinte Julitz, die 363
Flussdurchquerung anordnen zu sollen, weil man so etwas im Krieg auch machen müsse. Das eigentliche Problem der Bundeswehr war, dass die Posten vom Gruppenführer bis zum Kompaniechef mit Männern besetzt werden mussten, die für diese Aufgabe nicht ausreichend geschult waren, um den Tatendrang ihrer Untergebenen in vernünftige Bahnen zu lenken. Alle am IllerUnglück beteiligten Führer und Unterführer waren eher unterdurchschnittlich beurteilte Soldaten. Über viele Jahre sorgfältig ausgebildete Feldwebel fehlten ebenso wie erfahrene Kompaniechefs. In der Wehrmacht hatte es solche Leute durchaus gegeben, aber viele von ihnen waren nun entweder zu alt oder hatten im Zivilleben ein Auskommen gefunden. Nicht zu unterschätzen war auch der Einfluss amerikanischer Ausbilder, auf die die Bundeswehr in der Anfangsphase zurückgreifen musste. Auch Dieter Julitz hatte einen Dreiwochenkurs an der amerikanischen Fallschirmspringerschule in Augsburg absolviert und war dort in einer Weise gedrillt worden, wie es das in der Bundeswehr eigentlich nicht mehr geben sollte.149 Wenige Jahre später offenbarte ein erneuter Zwischenfall die strukturellen Defizite, aber auch den bis heute kaum bekannten Einfluss der Alliierten auf die Ausbildung in der Bundeswehr. Am 25. Juli 1963 stand für die Rekruten der Ausbildungskompanie 6/9 im württembergischen Nagold ein Eingewöhnungsmarsch über fünfzehn Kilometer auf dem Programm. Die jungen Männer waren erst seit drei Wochen im Dienst, viele waren der Belastung in der Sommerhitze nicht gewachsen. Vier brachen bewusstlos zusammen. Gerd Trimborn erlitt während einer Laufschritteinlage kurz vor dem Ziel einen Kreislaufkollaps und starb eine Woche später im Tübinger Uniklinikum. Die gerichtsmedizinische 364
Untersuchung ergab ein Leber- und Nierenleiden, das weder ihm noch den Ausbildern bekannt gewesen war. Für die Staatsanwaltschaft lag deshalb kein Verschulden Dritter vor. Die Überprüfung des Todesfalls deckte freilich skandalöse Zustände in der Kompanie auf.150 Im Mittelpunkt stand der 27-jährige Kompaniechef Jürgen Schallwig. Er stammte aus einem bürgerlichen Elternhaus – sein Vater war Wirtschaftsprüfer – und trat nach dem Abitur an einem mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium 1956 in die Bundeswehr ein. Schallwig durchlief zunächst eine Ausbildung als Panzergrenadier und kam drei Jahre später als Zugführer zur Fallschirmjägertruppe. Er hatte geduldet, dass insbesondere die als Hilfsausbilder eingeteilten Gefreiten die Rekruten nach Gutdünken schikanierten. Sie mussten Beschimpfungen und Schläge erdulden, aus nichtigen Anlässen bis zur Erschöpfung Liegestütze machen, durch Dreckhaufen kriechen und ihre Spinde entleeren. Schallwig und elf seiner Ausbilder wurden angeklagt und zu Strafen zwischen sieben Tagen Arrest und neun Monaten Gefängnis verurteilt.151 Der Kommandierende General Leo Hepp löste die Kompanie auf, deren Gebaren er als eine Schande für das ganze II. Korps betrachtete.152 Das Medienecho war noch größer als beim Iller-Unglück, weil sich der 08/15-Geist, wie er von Hellmut Kirst in seinen Romanen beschrieben worden war, in Nagold offenbar in Reinkultur erhalten hatte.153 Sogar der Bundestag befasste sich mit dem Fall. Die Schlagzeile von den »Schleifern von Nagold« machte die Runde. Wie ist dieser Fall zu erklären? Die selbstständige Ausbildungskompanie unterstand dem stellvertretenden Brigadekommandeur im 25 Kilometer entfernten Calw. Schallwig konnte relativ ungestört schalten und walten, da in seiner Kaserne niemand für ihn zuständig 365
war. Er war mit seiner anspruchsvollen Aufgabe allerdings völlig überfordert und hätte nie Chef der Einheit werden dürfen. Schon 1959 hatte er sich als Zugführer gegenüber Rekruten im Ton vergriffen und war durch distanzlose Kommentare zur NS-Zeit aufgefallen.154 Einen Lehrgang zum Kompaniechef absolvierte er nicht. Offenbar strebte er die Führung einer selbstständigen Ausbildungseinheit auch gar nicht an, sondern wollte viel lieber eine reguläre Jägerkompanie führen, wo er unter der Anleitung eines erfahrenen Bataillonskommandeurs gestanden hätte. Seine Vorgesetzten erkannten die Schwächen Schallwigs nicht, zeigten sich vielmehr von seinem Tatendrang beeindruckt. »Hart in seinen Forderungen, ist er auch hart gegen sich selbst«, hieß es in einer Beurteilung. Mehrfach wurde angesprochen, dass er sein überschäumendes Temperament in den Griff bekommen müsse. Doch kein Geringerer als der Divisionskommandeur attestierte ihm, dass er auf einem guten Weg sei und Förderung verdiene.155 Dass er sich als Chef der Ausbildungskompanie 6/9 zu wenig um seine ebenfalls schlecht qualifizierten Ausbilder kümmerte und zu viel Zeit mit der ihm ungewohnten Verwaltungsarbeit verbrachte, fiel offenbar keinem Vorgesetzten auf. Interessant ist freilich, dass niemand der Beschuldigten Kriegserfahrung hatte. Mehr noch als die Wehrmacht scheint in diesem Fall die Kriegerkultur französischer Fallschirmjäger als Vorbild gedient zu haben, was durch einen Offizieraustausch mit der französischen Springerschule in Pau und die Nutzung gleicher Flugzeuge des Typs Noratlas gefördert worden war. Schallwig erwarb neben dem amerikanischen auch das französische Fallschirmspringerabzeichen, das in der Truppe als besondere Auszeichnung galt. Die Härte der französischen Parachutistes galt als vorbildlich und war durch die Einsätze im Indochina- 366
und Algerienkrieg ohnehin in aller Munde. In der deutschen Fallschirmjägertruppe wurden mit Begeisterung Jean Lartéguys Romane Die Zenturionen und Die Prätorianer gelesen. Sie waren 1961 ins Deutsche übersetzt worden und glorifizierten die Einsätze in Südostasien und Nordafrika. Schallwigs Brigadekommandeur, Oberst Gerhart Schirmer, hatte die Bücher seinem Offizierkorps gar zur Lektüre empfohlen, wohl auch zur Stimulierung eines Elitedenkens. Ähnlich populäre Romane über die deutschen Fallschirmjäger im Zweiten Weltkrieg gab es nicht. Es wurde daher schnell Usus, dass sich die jungen Offiziere mit »mon Capitaine« oder »mon Lieutenant« ansprachen. Sie begannen sich mit Lartéguys Narrativen zu identifizieren, wonach man nur mit größter persönlicher Härte gegen sich selbst und andere im Kampf gegen einen gnadenlosen Feind überleben könne.156 Andere Ausbilder der Nagolder Kompanie hatten ihre Männlichkeits- und Härterituale an der Luftlandeschule im bayerischen Altenstadt gelernt. Die dortigen Lehrgänge waren stark von der Kultur amerikanischer Instruktoren geprägt, die in den Anfangsjahren der Bundeswehr die Fallschirmspringer ausgebildet hatten. Auf Krafttraining legte man großen Wert. Für kleine Verfehlungen wurden häufig Liegestütze, Kniebeugen oder Wechselsprünge angeordnet.157 In der Fallschirmjägertruppe der Wehrmacht gab es solche Praktiken nicht. Hier wurde mehr Wert auf Bodenturnen zur Förderung der Körperbeherrschung gelegt.158 Dass eine militärische Formation im Dauerlauf ein Lied anstimmte, war ebenfalls von der US Army übernommen worden. Und gerade die jungen Soldaten strebten nach Vorbildern und eiferten dem Nimbus französischer und amerikanischer Eliteeinheiten nach. Das bedeutet freilich nicht, dass die kriegsgedienten deutschen Fallschirmjäger auf ihre Einheiten keinen Einfluss hatten. 367
Doch das Singen der alten Lieder oder die Feier des KretaTages am 20. Mai159 änderten nichts daran, dass mittlerweile eine neue Kultur entstanden war, in der sich französische und amerikanische Einflüsse mit Wehrmachttraditionen vermischten.160 Gleichwohl waren letztlich die alten Fallschirmjägeroffiziere dafür verantwortlich, dass in den Luftlandeeinheiten der Bundeswehr ein besonders robustes Klima herrschte. Kollektive Schlägereien mit anderen Einheiten galten gewissermaßen als gute Sitte.161 Kriegsgediente kannten das Rabaukentum noch aus ihrer eigenen Vergangenheit und taten offensichtlich wenig, um dies abzustellen. Die Vorkommnisse in der Ausbildungskompanie 6/9 waren keine Einzelfälle. Zwischen 1962 und 1964 wurden in der 1. Luftlandedivision auch aus anderen Teileinheiten Schikanen und Missbrauch bekannt. Gewiss gab es auch in anderen Verbänden ähnliche Fälle162, aber durch die Nagold-Affäre standen vor allem die Fallschirmjäger im Licht der Öffentlichkeit. Alle Anordnungen der Kommandeure, die Dienstaufsicht zu verbessern, den »Schleifertyp« auszumerzen, den Rekruten gegenüber Gerechtigkeit walten zu lassen und die Belastungen nur schrittweise zu steigern163, fruchteten offenbar nicht viel. Ein Jahr nach den Vorfällen von Nagold starb erneut ein Rekrut der Division. Der 20-jährige Anton Deigl erlitt beim Dauerlauf in voller Ausrüstung an einem heißen Sommertag einen Hitzschlag.164 Anders als zuvor ging die Division nun gleich an die Presse, leitete eine staatsanwaltliche Untersuchung ein und versuchte, nichts zu verheimlichen.165 Ein Medienskandal wurde vermieden, doch die Skepsis blieb. »Es besteht der Eindruck«, hieß es in einem internen Vermerk des II. Korps, »daß viele der alten Fallschirmjäger der früheren Luftwaffe noch nicht geistig im 368
Heer integriert sind«, während die jungen Leutnante in Anlehnung an die Romane Jean Lartéguys sich von »verweichlichten« Vorgesetzten und einer schwachen Politik im Stich gelassen und »geopfert« fühlten, weil die nur auf die Öffentlichkeit schielten.166 Dass sich die beiden großen öffentlichen Skandale dieser Anfangsjahre der Bundeswehr auf Vorkommnisse in der 1. Luftlandedivision bezogen, konnte für diesen Verband nicht folgenlos bleiben. Die FAZ sah in den Fallschirmjägern geradezu die Antithese zum Staatsbürger in Uniform und stellte in den Raum, ob man sie nicht gleich auflösen sollte.167 Ein solcher Schritt stand zwar nicht ernsthaft zur Debatte. Aber mancher Offizier hätte sich wohl gefreut, wenn man den Verband lieber früher als später »zum alten Eisen geworfen« hätte168, zumal der Sprungeinsatz nicht mehr in die mitteleuropäischen Kriegsszenarien passte.169 Die Luftlandedivision müsse, so hieß es weiter, in den personellen Blutkreislauf der übrigen Heeresdivisionen eingefügt werden, damit sie keinen abgekapselten Fremdkörper mehr bilde.170 Das Netzwerk der Wehrmachtveteranen wurde nun systematisch aufgelöst, Walter Gericke, Kommandeur der Division, im Frühjahr 1965 in den einstweiligen Ruhestand versetzt.171 Kein ehemaliger Fallschirmjäger wurde mehr Kommandeur der Division, und auf der Brigadeebene schieden 1969 die letzten Kreta-Veteranen aus. Auch in den folgenden Jahrzehnten vergab man aus Angst vor einer unerwünscht hemdsärmeligen tribal culture die hohen Kommandeursposten zumeist an Offiziere aus anderen Truppengattungen. Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel stellte sich vor die Truppe, verurteilte aber auch die mangelnde Dienstaufsicht, Ungehorsam und einen falsch verstandenen 369
Elitegedanken. Vor allem betonte er, dass für die Soldaten Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde im Alltag sichtbar werden müssten.172 In ähnlichem Ton kommentierte auch Generalinspekteur Heinz Trettner, ein ehemaliger Fallschirmjägergeneral der Wehrmacht, den Fall. Geradezu im Sinne Baudissins meinte er, durch eine gute Ausbildung müsse erreicht werden, dass der junge Soldat, der noch nicht mit einem voll ausgereiften staatsbürgerlichen Bewusstsein in die Streitkräfte eintrete, sich nach achtzehn Monaten Wehrdienst als vollwertiger Staatsbürger fühle und als Gewandelter den Uniformrock wieder mit dem Zivilanzug vertausche. Nur ein so gebildeter und innerlich gereifter Soldat entspräche dem modernen Bild vom unerschütterlichen Kämpfer für Freiheit und Recht.173 Auch Heeresinspekteur Alfred Zerbel betonte, dass die Ausbildung in der Wahrung der Menschenwürde und im Schutz der Gesundheit ihre Grenzen finde, Machtmissbrauch durch aufmerksame Dienstaufsicht verhindert und mehr von der Möglichkeit der Beschwerde Gebrauch gemacht werden müsse.174 Indem er einen zähen, naturverbundenen, selbstständigen und kämpferischen Soldaten verlangte, hatte seine Stellungnahme aber schon einen anderen Zungenschlag als die des Ministers. Je niedriger die Hierarchiestufe, desto mehr beschwor der Duktus der Befehle und Anordnungen die Härte des Kampfes.175 Man kann sich daher zu Recht fragen, was von des Ministers Worten eigentlich bei der Truppe ankam. Zumindest hat der Gedanke, dass der Soldat, der Recht und Freiheit verteidigt, diese im dienstlichen Alltag erfahren müsse, bis zur NagoldAffäre keinen Eingang in das Schriftgut der 1. Luftlandedivision gefunden.176 Minister von Hassel verkannte wohl auch die Beharrungskräfte der tribal cultures, wenn er meinte, dass es in der Bundeswehr nach neun Jahren keine 370
eigenmächtigen Interpretationen der Inneren Führung mehr geben dürfe. Die kulturellen Identitäten der Truppengattungen ließen sich nicht mit einem Federstreich von oben verändern. Die Soldaten pflegten Sitten und Gebräuche, für die Waffenstolz und ein bestimmter Habitus wichtiger waren als Vorgaben aus dem Ministerium. Regelrechte Stammeskulturen gab es nicht nur bei den Fallschirmjägern, sondern im Prinzip bei jeder Truppengattung der Bundeswehr. Alle hatten eigene Riten, Lieder und Traditionen, wobei diese bei den Kampftruppen besonders stark ausgeprägt waren. Die Rolle der tribal cultures für den Zusammenhalt und die Motivation der Soldaten darf nicht unterschätzt werden. Sie sind elementarer Bestandteil der Kohäsion, und sie boten gerade in Zeiten kontroverser gesellschaftlicher Debatten über das Militär ein Stück Heimat und Identität. Das drückte sich etwa in den Waffenfarben der Kragenspiegel aus, und manches Abzeichen aus Wehrmachtzeiten wurde in nur wenig veränderter Form übernommen – bei den Fallschirmjägern etwa der stürzende Adler oder bei den Gebirgsjägern das Edelweiß. Bei der Artillerie und den Pionieren wurde weiterhin die Heilige St. Barbara als Schutzpatronin verehrt, ein uralter Brauch, der im deutschen Raum seit dem 18. Jahrhundert nachweisbar ist. Die allermeisten Lieder aus der Zeit vor 1945, nicht nur, aber auch solche der Wehrmacht, wurden nach wie vor gesungen. Dies geschah ganz unabhängig vom ersten offiziellen Liederbuch, das 1958 vom Verteidigungsministerium herausgegeben wurde und nach Meinung etlicher Soldaten eher für Pfadfinder oder Volksschulkinder geeignet war.177 Die ersten Generationen der Kampftruppen waren besonders sangesfreudig; sie schmetterten die alten Gassenhauer, darunter auch das Fallschirmjägerlied mit dem Refrain »Narvik, Rotterdam, 371
Korinth und das heiße Kreta sind Stätten unserer Siege«.178 Es ging dabei nicht nur um die eingängige Melodie. Neben dem Stolz auf vergangene Leistungen, in deren Tradition man sich sah, spielten auch Emotionen und Habitus eine große Rolle. Wenn es hieß: »Ja wir greifen immer an, Fallschirmjäger gehen ran. Sind bereit zu wagen«, dann entsprach das dem ureigenen Selbstverständnis dieser Truppengattung. Zum Liedgut der Bundeswehr regten sich schon damals kritische Stimmen in Politik und Gesellschaft, sodass das Verteidigungsministerium 1968 Lieder verbot, die Eroberungsgedanken zum Ausdruck brachten, Gefühle der Verbündeten verletzten, den Krieg verherrlichten oder ein übertriebenes Pathos pflegten. Da es keinen adäquaten Ersatz179 gab, wurden die verbotenen Lieder bis weit über das Ende des Kalten Krieges hinaus gesungen. Mit den Vorschriften nahm man es dabei nicht so genau. Während die Wehrmacht den Gesang als Instrument zur Formung der tribal cultures bewusst genutzt hatte, scheute die Bundeswehr davor zurück. Die Mischung aus Ignoranz, Skepsis und zuweilen auch erstaunlicher Toleranz spiegelte freilich ihre ganze Zerrissenheit wider, die in allen Fragen der Identitätsbildung bis heute anzutreffen ist. Während man auf unterster Ebene in vielfältiger Weise an die Wehrmacht anknüpfte, gab es keine offizielle Übernahme von Verbandstraditionen. So hatte die 1. Panzerdivision der Bundeswehr mit derjenigen der Wehrmacht nur die Bezeichnung gemein. Ansonsten gab es weder bei der landsmannschaftlichen Zusammensetzung noch bei den Abzeichen oder Wahlsprüchen irgendwelche Anknüpfungspunkte. Anders als in der Reichswehr führten die Bundeswehreinheiten keine Tradition aufgelöster Verbände der alten Armeen fort. Es gab aber Patenschaften mit 372
Veteranenorganisationen, die meist durch denselben Standort begründet waren. Der Charakter solcher Verbindungen hing sehr von den persönlichen Initiativen vor Ort ab. In manchen Kasernen gab es gar keine Kontakte zu Veteranen, in anderen sehr intensive. Die Kameradschaftsvereine richteten mit Erinnerungsstücken Traditionsräume, zuweilen gar kleine Garnisonsmuseen ein. Diese Praxis diente der Verbindung über die Generationen hinweg und auch der Integration der ehemaligen Wehrmachtsoldaten in die Gesellschaft. Eng waren solche Beziehungen bei der 1. Gebirgsdivision der Bundeswehr, die wie der gleichnamige Verband der Wehrmacht aus Oberbayern rekrutiert wurde, dieselben Kasernen nutzte und etliche alte Kämpfer in ihren Reihen hatte. Dies war allerdings eine Besonderheit, denn die Division repräsentierte die gesamte Truppengattung. In den meisten anderen Fällen entwickelten sich nicht die Divisionen, Brigaden oder Bataillone, sondern die Schulen zu Orten der Identitäts- und Traditionsbildung. 1961 wurde etwa an der Panzertruppenschule im niedersächsischen Munster ein Ehrenhain für die Panzerverbände der Wehrmacht eingeweiht, aber auch an die preußischen Kavalleriegeneräle Seydlitz und Zieten erinnert und so eine Brücke bis ins 18. Jahrhundert geschlagen. Munster ist bis heute der Ort, an dem sich die tribal culture der Panzertruppe mit ihrer spezifischen Mischung von Altem und Neuem am besten studieren lässt. Gleiches kann man für die Infanterieschule im fränkischen Hammelburg oder die Luftlandeschule im oberbayerischen Altenstadt sagen. Die Herausbildung von tribal cultures der Truppengattungen wurde von der obersten Führung weder aktiv gefördert noch gebremst, sondern eher toleriert. General Leo Hepp löste zwar die Kompanie Schallwigs erbost auf und 373
bemerkte 1964, dass sich in Erziehung und Ausbildung Verfahren eingebürgert hätten, die mit den Grundsätzen und Befehlen der Bundeswehr nicht vereinbar seien. Doch diese fielen ja nicht vom Himmel und waren ihm zuvor offenbar nicht aufgefallen. Hepp war seit Oktober 1961 Kommandierender General des II. Korps. Ohne seine Zustimmung wurde bei den Luftlandeeinheiten keine wichtige Personalentscheidung getroffen. Noch im April 1962 hatte er die Erziehung des Offizierkorps durch den damaligen Divisionskommandeur Hans Kroh ausdrücklich gelobt.180 Entweder wusste Hepp nicht, was in seinem Kommandobereich geschah, oder – was wahrscheinlicher ist – er ließ den ihm unterstellten Offizieren bei der Ausbildung freie Hand, solange der Verband bei Einsatzbereitschaft und Gefechtsfähigkeit weit überdurchschnittliche Leistungen zeigte. Hepps Verhalten steht beispielhaft für die obere Führung der Bundeswehr. Solange niemand Aufsehen erregte, interessierte man sich mehr für die Aufstellung neuer Verbände, zumal die meisten Generäle an manch markigem Lied oder robustem Habitus nichts Verwerfliches finden konnten. Das Iller-Unglück und die Nagold-Affäre schwächten die Position der Bundeswehr in der Politik und in der Öffentlichkeit, weil diese Vorfälle genau das zu bestätigen schienen, was die Kritiker schon immer befürchtet hatten. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmuth Heye, goss weiter Öl ins Feuer, als er im Juni 1964 in einer dreiteiligen Artikelserie in der Illustrierten Quick die Missstände in der Bundeswehr scharf angriff.181 »Der Trend zum Staat im Staate ist unverkennbar. […] Für die Bundeswehr ist es fünf Minuten vor zwölf«, schrieb Heye und: »Wir Reformer stehen in einem Kampf um Sein oder Nichtsein der Inneren Führung.« Und im 374
Hinblick auf die jungen Offiziere und Unteroffiziere, die ihre Soldaten misshandelten, fragte er rhetorisch: »Sind sie die Massus von morgen?«182 Damit spielte er auf den französischen Fallschirmjägergeneral Jacques Massu an, der 1958 wesentlichen Anteil am Sturz der IV. Republik gehabt hatte und dem Putschpläne nachgesagt worden waren.183 Heye wusste genau, welche Assoziationen er wecken musste, um Aufsehen zu erregen, und zündete eine »publizistische Atombombe«184. Da er auch noch Verteidigungsminister von Hassel persönlich angriff, driftete die Diskussion rasch ins Emotionale und Politische ab. Die regierende CDU, der Minister, sein Staatssekretär, aber auch der Generalinspekteur verteidigten sich geschlossen gegen die Vorwürfe Heyes. Sie warfen ihm insbesondere die Form der Veröffentlichung vor. Die oppositionelle SPD nahm die Vorlage dankbar auf und griff die Regierung scharf an. Heye stand zwischen allen Stühlen, war bald isoliert und trat im Oktober 1964 von seinem Amt zurück. Die Befürchtung, dass die Bundeswehr auf dem Weg sei, ein Staat im Staate zu werden, war Unsinn. Aber Heye hatte recht mit seiner Bemerkung, dass Missbrauch und Schikane zugenommen hatten.185 Und gewiss gab es genügend Offiziere, die die einschlägigen Handbücher und Weisungen nicht lasen und selber zu wissen meinten, wie man eine kriegsbereite Truppe ausbildet. Ebenso richtig war, dass ein Gutteil der Offiziere und Unteroffiziere die Grundsätze der Inneren Führung als selbstverständlich erachtete und zu verwirklichen suchte, wie Heye festhielt. Die Artikelserie war Ausdruck seiner Frustration, als Wehrbeauftragter vom Parlament nicht ernst genommen zu werden. Selbst auf die in seinem offiziellen Jahresbericht mit »großem Ernst« vorgetragenen Hinweise, dass es politische Kräfte gebe, die 375
die Verwirklichung der Inneren Führung bekämpfen würden, war keine Reaktion erfolgt. Heye verkannte aber, dass er mit seinem Frontalangriff auf den Minister, die konservativen Kräfte in der CDU/CSU und einen Teil des Offizierkorps in seiner Fraktion auf Granit beißen musste. Es war zweifellos ein mühsamer Weg, das neue Amt des Wehrbeauftragten in der politischen Kultur der Bundesrepublik zu verankern. Mit einem sachlicheren Artikel hätte er wahrscheinlich mehr erreicht. Verteidigungsminister von Hassel setzte unterdessen seinen Kurs gemäßigter Reformen fort. Die von der Generalität gewünschte Verschärfung der Disziplinarbefugnisse kam nicht, auch nicht die von Heinz Trettner angestrebte Änderung der Spitzengliederung, die dem Generalinspekteur mehr Einfluss im Ministerium beschert hätte. Er wollte sich nicht damit abfinden, dass er in der internen Rangfolge noch hinter den zivilen Abteilungsleitern stand. Als die Zulassung von Gewerkschaften in den Kasernen von Staatssekretär Karl Gumbel an Trettner vorbei angeordnet wurde, trat dieser – und mit ihm sein Schulkamerad Generalmajor Günther Pape – aus Protest zurück. In jenen Zeiten aufgewühlter Diskussionen und Debatten um die Ausrichtung der Bundeswehr gab es eigentlich nur einen einzigen Fall, in dem sich die Militärs auf ganzer Linie gegen die Politik durchsetzen konnten: die Starfighter-Affäre. Die Luftwaffe bekam die Handhabung dieses hochgezüchteten Überschalljägers nicht in den Griff, und die Unfallzahlen nahmen dramatische Ausmaße an. Allein 1965 stürzten 27 Maschinen ab, 17 Piloten kamen dabei ums Leben.186 Ohne die nötigen umfassenden Befugnisse zur Finanzierung, Wartung und zum Betrieb des anspruchsvollen Flugzeugs und im Gefühl, zu wenig politische Rückendeckung zu haben, 376
nahm Luftwaffeninspekteur Werner Panitzki 1966 seinen Hut.187 Sein energischer Nachfolger Johannes Steinhoff stellte dem Minister Bedingungen und musste zwei Mal mit Rücktritt drohen, um nicht im Kompetenzchaos zwischen Zivilverwaltung und Militär aufgerieben zu werden. Er bekam schließlich alle Vollmachten, hebelte den Vorrang der zivilen Abteilungen im Ministerium aus, zog alle Verantwortung an sich und konnte so die Krise überwinden.188 Der schwer kriegsversehrte General war ein Beispiel dafür, dass sich auch Wehrmachtoffiziere wandeln und den neuen Gegebenheiten anpassen konnten. Er stand für moderne Managementmethoden, ein modernes Menschenbild, eine konsequente Internationalisierung der Truppenkultur und galt als Mann der Zukunft.189 Damit war er auch für eine kritische Öffentlichkeit tragbar. Er war bis heute der einzige Inspekteur, der die Übernahme seines Amtes an Bedingungen knüpfen konnte und es schaffte, sich gegen den Primat des Zivilen im Ministerium durchzusetzen. Das gelang ihm freilich nur, weil der Minister unter massivem öffentlichem Druck stand, die Starfighter-Krise zu lösen. An den Machtverhältnissen im Ministerium veränderte sich dauerhaft nichts, zumal Steinhoff 1971 zur NATO weiterzog und dort Vorsitzender des Militärausschusses wurde. Kulturkampf Das Heer stand zur selben Zeit ebenfalls vor großen Problemen, wobei es um sein Kriegsgerät noch am besten stand. 1966 war der neue Leopard-Panzer ausgeliefert worden, der sich rasch bewährte. Die eigentliche Herausforderung war der gesellschaftliche Wertewandel, der das Heer am heftigsten traf. Die größte und am wenigsten technisierte Teilstreitkraft hatte den niedrigsten Anteil an Freiwilligen. Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer stieg spürbar an, die Agitation der 377
Studentenbewegung gegen die Bundeswehr nahm ab 1967 erheblich zu. Junge Männer schienen immer weniger bereit, die Entbehrungen des Militärdienstes auf sich zu nehmen. Es kam vor, dass Wehrpflichtige sich zwanzig Mal unerlaubt von der Truppe entfernten und von ein paar Tagen in der warmen Arrestzelle vollkommen unbeeindruckt zeigten. Die Zahl der Freiwilligen fiel auf einen historischen Tiefstand, sodass sich auch die Zahl der länger dienenden Mannschaften, Unteroffiziere und vor allem jüngeren Offiziere auf einem dramatisch niedrigen Niveau bewegte.190 Stellten 1967 nur rund sechzig Offizieranwärter einen Antrag, als Soldat auf Zeit entlassen zu werden, waren es 1968 schon 543.191 Der als intellektuell und abgeklärt geltende Generalmajor Ernst Ferber befand sich als Kommandeur der 2. Division mit dem Einzugsraum Marburg und Frankfurt im Zentrum der Jugendproteste. Er schrieb in einem Brandbrief, dass die Zahl der Verweigerungen nur die Spitze des Eisbergs sei und es ein Vielfaches an Soldaten gebe, die ähnlich gesinnt seien. Die Truppe allein könne dem nicht mehr Einhalt gebieten. »Wir brauchen bewußte und kritische Staatsbürger, aber solche, die bereit sind, für ihren Staat Opfer zu bringen.«192 Im Führungsstab des Heeres liefen alarmierende Meldungen ein. Das innere Gefüge sei in einem labilen Zustand. Die 12. Panzerdivision sprach von einer »gesteuerten Zersetzung« der Bundeswehr, forderte entschiedene Maßnahmen der Politik, sonst könne die Frage, »wofür wir dienen«, nicht mehr überzeugend beantwortet werden.193 »Bald wird, wenn dies so weitergeht, die Bundeswehr immer weniger Truppe und immer mehr eine gallertartige Soldateska ohne Vertrauen zum Staat und mit wenig Vertrauen zu den Vorgesetzten, die an ihre Karriere denken und denen das Schicksal der Truppe im Kern gleichgültig ist«, notierte Oberst Friedrich Beermann im März 378
1968 in sein Tagebuch.194 Der Kommandeur der Artillerieschule Idar-Oberstein, Ulrich Boes, sprach gar davon, dass die Bundeswehr staatsbürgerliche Klippschüler aufnehme, die nicht dienen, sondern verdienen wollten und die den demokratischen Freiheitsbegriff als Bindungslosigkeit des Individuums begriffen. »In diesem Zustand, kaum an eine andere Autorität gewöhnt, als an die der roten Ampel, der gebührenpflichtigen Verwarnung oder des Kraftfahrprüfers, wird solcher ›Staatsbürger‹ Soldat und Vorschriften ausgesetzt, die auf Selbstdisziplin und Selbstverantwortung aufgebaut sind, die ihm ein Übermaß an Freiheit lassen, wo er durch strenge Regelung gerade des Inneren Dienstes Halt und Sicherheit benötigt und z. T. auch erwartet.«195 Im westfälischen Ahlen hatte Oberstleutnant Welge Anfang 1969 die Aufgabe, im Ausbildungszentrum des Territorialheeres eine Kompanie Reservisten zu schulen. Keine leichte Aufgabe, wie sich bald herausstellte. Das Abholkommando traf auf dem Bahnhof Hamm auf rund fünfzig zum Teil stark angetrunkene Männer. Diese empfingen die Soldaten mit wilden »Achtung«-Rufen, grölten »Die Fahne hoch«, pinkelten auf den Bahnhofsvorplatz, pöbelten Frauen an und beschimpften den Busfahrer als Militarist. Nur mit Mühe gelang es, am ersten Tag die Reservisten einzukleiden und zu bewaffnen. Welge und seinen Ausbildern schallten beim ersten Antreten Gejohle und Zwischenrufe entgegen: »Hier sieht es aus wie im KZ« oder »Nazimethoden«. Manche Offiziere wurden mit »Herr Lametta« angesprochen. Offensichtlich waren nur die wenigsten aus Einsicht in die Notwendigkeit des militärischen Dienstes bei der Sache, wie es in einem Bericht hieß. »Wenn man bedenkt, daß alle Reservisten bereits eine 12- oder 18-monatige militärische Ausbildung und Erziehung erhalten haben«, so Welge, »klingt 379
es wie Hohn, wenn man im Soldatengesetz die einschlägigen Paragraphen oder gar Absätze im Handbuch Innere Führung nachliest.« Kaum jemand hatte Lust, den dort festgelegten Pflichten nachzukommen. Neben den materiellen Nachteilen waren nach Welges Ansicht reine Bequemlichkeit und die Ablehnung jeder Autorität für die Haltung der Reservisten verantwortlich. »Worte, Diskussionen und Sonntagsreden werden die […] Einstellung nicht ändern können. Wenn nicht alle verantwortlichen staatlichen Stellen und Politiker einschl. dem Deutschen Bundestag, dem Herrn Wehrbeauftragten und der Bundesregierung bald geeignete Maßnahmen ergreifen, ist im Verteidigungsfall (sprich: Krieg, mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen) ein Einsatz dieser Soldaten kaum denkbar.«196 Welge hatte bereits zwei Monate zuvor gemeldet, dass es nicht verwundern dürfe, wenn Vorgesetzte bei rüpelhaftem Benehmen der Reservisten die Nerven verlieren. Man könne angesichts der Situation nur mit Mühe Zorn, Grimm, Wut, Scham und auch Verachtung unterdrücken. Welge selber soll an dem geschilderten Tag »weiß wie eine Kalkwand« gewesen sein und hatte nach eigener Aussage nur mit äußerster Beherrschung »Schlimmeres« verhindern können. Wenn nicht bald Taten der Verfassungsorgane erfolgten, blieben nur noch Resignation oder die NPD, »wie ein nicht unerheblicher Teil aller Dienstgrade äußert«.197 Angesichts solcher Berichte verwundert es nicht, dass der im Oktober 1968 ins Amt gekommene neue Heeresinspekteur Albert Schnez ernste Zweifel hatte, ob das Heer seinen Auftrag noch durchführen könne, zumal zu allem Übel noch chronische Personalprobleme hinzukamen, die zu einem »nicht ausreichenden Ausbildungsstand« geführt hätten. Er sprach von »Auflösungserscheinungen«198 und meinte, dass seit Bestehen der Bundeswehr ihr Zustand noch nie so kritisch 380
gewesen sei wie zur Jahreswende 1968/69.199 Generalinspekteur Ulrich de Maizière wollte sich dem »bemerkenswert negativen Urteil« von Schnez nicht anschließen; er meinte, dass die Landstreitkräfte zumindest »bedingt einsatzbereit« seien. Beruhigend konnte aber auch das nicht sein. Die Debatte über die massiven Disziplin- und Nachwuchsprobleme der Bundeswehr wurde durch den Wahlkampf 1969 weiter angeheizt. Nachdem die NPD bereits in sechs Landtagen saß, war nun ihr Einzug in den Bundestag zu befürchten. Die Polarisierung der Gesellschaft zwischen APO und Rechtsradikalen blieb auch in den Streitkräften nicht ohne Folgen. Sorgenvoll wurde beobachtet, dass zahlreiche Offiziere Mitglied der NPD geworden waren, sie im Wahlkampf unterstützten oder sich als deren Kandidaten aufstellen ließen. Die prominentesten Fälle waren Fallschirmjägeroberst Gerhart Schirmer, Kapitän zur See Ernst Thomsen und Oberst Walter Kopp.200 Insgesamt hatten sich 33 Soldaten, darunter 23 Offiziere, bei der Bundestagswahl für die NPD aufstellen lassen, immerhin ein Drittel aller Soldaten, die für eine der antretenden Parteien kandidierten.201 Friedrich Beermann war zu diesem Zeitpunkt der einzige aktive General mit SPD-Parteibuch. Die politische Entwicklung in den Streitkräften machte ihm große Sorgen. Die jüngeren Offiziere, so Beermann, fühlten sich angesichts der drückenden Probleme von ihren Vorgesetzten und den politischen Parteien im Stich gelassen. Es sei besser, sie ließen mit ihrer NPD-Kandidatur Dampf ab und äußerten ihre Kritik im parlamentarischen Rahmen, als dass sie im Geheimen konspirierten.202 Durch die radikale Studentenbewegung dämmere an den Universitäten ein »schrecklich inhumanes Zeitalter« herauf.203 Die Bundeswehr werde von APO und 381
SDS unterwandert. Beermann glaubte, dass ein Drittel der Reserveoffiziere die DDR für einen besseren Staat hielten, und fragte sich, ob bald die Abiturienten in den Streitkräften meuterten.204 Würden die Massenmedien die APO wie bisher unterstützen, »so wird der Drang in dem Offizierkorps, den Staat zu stürzen«, nicht ausbleiben.205 Beermann ließ die Angst vor einer »griechischen Lösung« nicht los206, womit er auf die Machtübernahme der Militärjunta in Athen im April 1967 anspielte. Über solche Ideen wurde in der Bundeswehr unter Kameraden offen geredet. Der G3 der 3. Panzerdivision, der »sehr begabte« Major i. G. Karl-Heinz Prange, sprach im Stab offen von »Umsturz« – als Reaktion auf die Aufrufe des Studentenführers Rudi Dutschke zur subversiven Tätigkeit in der Bundeswehr. Wenige Monate später war Beermann in einem Stab in Mönchengladbach tätig, wo noch deutlicher gesprochen wurde. Oberstleutnant Dr. jur. Schroeder – Beermann zufolge »ein Nazi reinen Wassers«207 – meinte im Kasinogespräch, dass man in die APO hineinschießen solle. Er lobte die Waffen-SS als Vorkämpfer Europas und wetterte gegen die Demokratie, die unfähig sei, einen wehrhaften Staat zu gründen. Und andere Offiziere äußerten: »In Griechenland hat das Militär das Volk vor dem Bolschewismus gerettet.«208 Während Beermann für jüngere Offiziere wie Prange noch Verständnis aufbrachte, weil ihr Abdriften letztlich nur eine Reaktion auf die Probleme der Bundeswehr und das mangelnde Wissen über den Nationalsozialismus sei, betrachtete er die Führungsebene kritisch. Die beiden 1968 an die Spitze des Heeres berufenen Generäle Hellmut Grashey209 und Albert Schnez210 hielt er zwar organisatorisch für außerordentlich befähigt, politisch aber für eine Gefahr. Schnez sei in der Substanz ein Faschist211, Grashey mentalitätsmäßig eine Mischung aus Nazi und 382
Reichswehroffizier.212 Im Februar 1969 notierte er gar in sein Tagebuch: »Wer wird ihn [den Militärputsch] durchführen? Karst? Grashey? Schnez?«213 Diese Urteile waren gewiss heillos übertrieben. Sie lassen sich aus Beermanns großer Distanz zum konservativen Offizierkorps erklären. Er hatte nach dem Krieg Jura studiert und promoviert, wurde dann einer der wichtigsten wehrpolitischen Berater der SPD, bevor er 1959 wieder in die Streitkräfte eintrat. Dort blieb er als enger Vertrauter Baudissins aufgrund seiner parteipolitischen Bindung, aber auch aufgrund seiner dezidiert wehrmachtkritischen Haltung eher isoliert. Grashey hielt am 19. März 1969 an der Führungsakademie eine Rede zur Lage der Bundeswehr. Zur Inneren Führung vertrat er die Ansicht, dass es den kooperativen Führungsstil schon immer gegeben habe und »das ganze Konzept der Inneren Führung nur als neu verkauft wurde, um die SPD für die Wiederbewaffnung zu gewinnen. Aber jetzt könnte man doch endlich die Maske vom Gesicht nehmen und sagen: ›Ja, bitte, es war ja schon immer da‹. Und alle unnötigen Auswüchse dieses ganzen theoretischen Gebildes, die könnte man endlich mal kappen.«214 An dieser Stelle vermerkte das Protokoll »starken Beifall«. Grashey drückte offenbar das aus, was viele Zuhörer dachten, und stellte damit vor seinen Generalstabsoffizieren infrage, dass die Innere Führung etwas grundlegend Neues sei. Das war nicht vollkommen falsch, reduzierte das Konzept aber zu sehr auf die Menschenführung und blendete aus, dass es vor allem um die Übertragung von Werten und Normen des Grundgesetzes in die Streitkräfte ging. Zudem war es schlicht Unsinn, dass die Innere Führung nur eingeführt wurde, um die Zustimmung der SPD zu gewinnen. 383
Während sich der Generalinspekteur Grashey zur Brust nahm, versuchte die Regierung vergeblich, die Rede herunterzuspielen. Die Presse bekam Wind davon, und die Empörung war entsprechend groß. Innerhalb des Offizierkorps war es jedoch zu einer breiten Solidarisierung mit Grashey gekommen, weshalb es der Verteidigungsausschuss aus Sorge, der NPD noch mehr Wähler zuzutreiben, bei einer Rüge beließ. Beermann fühlte sich freilich in seinen schlimmsten Befürchtungen bestätigt.215 Für ihn war die Behandlung der Grashey-Affäre symptomatisch für das »feige« Vorgehen der Politik, die vor der »Reaktion« zurückweiche.216 Sein Versuch, die Gewerkschaften gegen Grashey aufzuwiegeln, schlug fehl.217 Dieser wurde nach der Ernennung des neuen Verteidigungsministers Helmut Schmidt zum Jahresende 1969 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Die Sorge vor einem Militärputsch ließ Beermann – übrigens ebenso wie Baudissin – aber auch nach dem Wahlsieg der SPD nicht los. Wenn es so weit sei, sehe er sich mit diesem »Zelle an Zelle« sitzen oder gar von fanatisierten Marineoffizieren liquidiert.218 Wolf Graf von Baudissin war nach seiner Pensionierung 1968 in die SPD eingetreten und nahm nun auch öffentlich dezidiert gegen die konservativen Strömungen im Offizierkorps Stellung. In einem Fernsehinterview äußerte er im Mai 1968, dass sich die Bundeswehr sehr wohl zu einem Staat im Staate entwickeln könne. Außerdem bekundete er, Offiziere seien »politisch zurückgeblieben«, wenn sie sich durch den Satz provoziert fühlten, dass die Bundeswehr ein notwendiges Übel sei. Allen bisherigen Verteidigungsministern warf Baudissin Mangel an eindeutiger Führung vor.219 Eine Mitgliedschaft im SDS war für ihn kein Grund, junge Offiziere aus der Armee auszuschließen. Schließlich wandte er sich dezidiert gegen die Fixierung der 384
Streitkräfte auf den Kampf. Selbst Artur Weber, der auf seinen Vorschlag einst der erste Leiter der Schule für Innere Führung geworden war, wurde es nun zu viel. Er rückte von Baudissin ab und veröffentlichte im September 1969 zehn offene Briefe gegen dessen Positionen, was der Polarisierung im Offizierkorps weitere Nahrung gab.220 Während heftig über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Bundeswehr gestritten wurde221, musste Verteidigungsminister Gerhard Schröder daran gelegen sein, konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Im Mai 1969 gab er eine Analyse über die innere Lage des Heeres in Auftrag, und Generalinspekteur Ulrich de Maizière ließ prüfen, ob und welche Vorschriften und Gesetze geändert werden müssten, um der desolaten Lage Herr zu werden. Diesem Auftrag kam ein Memorandum mit einer schonungslosen Analyse nach, das als Schnez-Studie bekannt wurde.222 Das Heer könne in einer zunehmend wehrfeindlichen Gesellschaft, die teilweise offen gegen die Streitkräfte agitiere, mit eigenen Mitteln die Verteidigungsfähigkeit des Landes nicht mehr garantieren, hieß es dort. Die Wehrdienstverweigerung und die sinkende Zahl von Freiwilligen gefährdeten den Personalbestand, der mangelnde Rückhalt in der Politik schwäche die Moral der Truppe. Das Papier verglich den inneren Zustand der Bundeswehr mit dem der französischen Armee im Jahr 1940. Sosehr man den Staat und die im Grundgesetz verankerten Prinzipien von Freiheit, Recht und Menschenwürde bejahe, den Primat der Politik und die parlamentarische Kontrolle anerkenne, müsse gleichwohl eine Reform an »Haupt und Gliedern, an Bundeswehr und Gesellschaft«223 gefordert werden. Im Kern schlug die Studie vor, die Wehrdienstverweigerung zu erschweren, Beschwerdemöglichkeiten der Soldaten einzuschränken, den 385
Vorgesetzten mehr Rechte zu geben und Politik wie Gesellschaft zu einem stärkeren Bekenntnis zum Verteidigungsauftrag zu bewegen. Dies sollte durch Anpassungen der Wehrdisziplinarordnung, des Soldatengesetzes und des Gesetzes für den Wehrbeauftragten erreicht werden. Schnez forderte gar, das Grundgesetz zu ändern, um die Gewissensfreiheit bei der Wehrdienstverweigerung einzuschränken und den Auftrag der Streitkräfte deutlicher zu formulieren. Die Schnez-Studie war eine Kollektivarbeit und fasste die Meinung der Spitze der Landstreitkräfte prägnant zusammen. Sechs Autoren verfassten je ein Kapitel.224 Dann wurde die Studie den Kommandierenden Generälen der drei Korps vorgelegt225, und auch fünf Kompaniechefs kommentierten sie, darunter Helge Schulenburg, der als Sprecher der Hauptleute von Unna ein Jahr später noch von sich hören lassen sollte. Erhalten haben sich auch die Kommentare des Amtschefs des Truppenamtes, Generalleutnant Hubert Sonneck, und seines Stabschefs, Brigadegeneral Jürgen Wittmann, der insbesondere die politischen Forderungen abmildern wollte, damit aber nicht durchdrang.226 Im ersten Entwurf gab es einen noch deutlicheren Bezug zu den Werten und Normen des Grundgesetzes. Die Forderung nach einer Reform an Haupt und Gliedern war bereits enthalten, doch der provokante Zusatz »an Bundeswehr und Gesellschaft«, der den politischen Charakter des Appells unterstrich, fehlte. Wer diese Worte später hineinredigierte, ist nicht mehr feststellbar. Generalinspekteur de Maizière war mit dem Papier zufrieden; es enthalte erwägenswerte Überlegungen und viele auch von ihm vertretene Gedanken und Forderungen, sei in einigen Punkten aber zu pessimistisch. Auch Staatssekretär Karl-Günther von Hase – ehemals Berufsoffizier, Major der 386
Wehrmacht und Ritterkreuzträger – war der Ansicht, dass die Studie ein klarer, stringenter Diskussionsbeitrag sei.227 Zunächst verschwand das als geheim eingestufte Dokument in den ministeriellen Schubladen, doch Anfang Dezember 1969 wurden Teile davon an die Süddeutsche Zeitung weitergegeben.228 Als schließlich Bundestagsabgeordnete Einblick verlangten, gab das Ministerium die Studie frei.229 Verteidigungsminister Schmidt nahm die Autoren ausdrücklich in Schutz. Wenn die Führung des Heeres zu rückhaltloser Stellungnahme aufgefordert werde, dürfe man sich über das Ergebnis nicht wundern.230 Doch diese Klarstellung konnte die Kritik nicht bändigen. Bald fegte ein Sturm der Entrüstung durch die Republik, und die Medien demontierten das Papier genüsslich. Von einem »abstrusen Gedanken-Panorama«231 war die Rede, Schnez erinnere an Ludendorff232, sein Rücktritt und auch der von Karst wurden gefordert.233 Es wurde vor Ewiggestrigen, Generalen mit Nazi-Mentalität und Kommissmethoden gewarnt. Für manchen Kritiker der Bundeswehr war damit der Beweis erbracht, dass die Militärs nur auf eine günstige Gelegenheit warteten, um die Demokratie abzuschaffen.234 Schmidt und seine Staatssekretäre hielten sich mit Äußerungen bewusst zurück.235 Einerseits war ihnen die Demontage durch die Presse recht, weil so die konservativen Generäle in einer Weise in die Schranken verwiesen wurden, wie das Ministerium es kaum tun konnte, ohne einen kollektiven Rücktritt befürchten zu müssen. Andererseits konnte Schmidt kaum alle Verantwortlichen vor die Tür setzen, ohne das Vertrauen der Generalität zu verlieren. So sah er sich wiederum Angriffen ausgesetzt, er würde nicht hart genug durchgreifen. 387
Die Schnez-Studie versetzte viele Leser in Schnappatmung, da sie die Bundeswehr vor allem als ein innenpolitisches Projekt verstanden. In dieser Perspektive war das Maß aller Dinge die geräuschlose Integration in die Gesellschaft. Mit ihren Vorschlägen hatten sich die Heeresgeneräle politisch geäußert und damit für Kommentatoren insbesondere aus dem linken politischen Spektrum ihre Befugnisse überschritten. Die Studie entsprang freilich einer militärischen Logik. Betrachtet man sie aus der Perspektive der als dramatisch schlecht wahrgenommenen Kriegsfähigkeit der Bundeswehr, kann man sie auch als einen ungewöhnlich ehrlichen Beitrag für eine offene Debatte innerhalb der Streitkräfte werten. Der militärische Rat wurde in schonungsloser Deutlichkeit an die politische Leitung herangetragen. Schnez trat gewissermaßen als Sprecher breiter Teile der Kampftruppe auf und vertrat gegen massive öffentliche Kritik seine Haltung. Gewiss stand er nicht für die Bundeswehr insgesamt. In der Luftwaffe und in der Marine gab es andere Problemlagen, und man äußerte sich dort viel zurückhaltender.236 Bemerkenswert ist freilich, dass Generalinspekteur de Maizière die Studie weitergab und Schnez, seinen Jahrgangskameraden aus den Tagen der Infanterieschule, nicht dazu aufforderte, sie zu entschärfen. Jedem der Mitwirkenden musste klar sein, dass kein Minister und vor allem kein Parlament sich auf einen solchen Maßnahmenkatalog einlassen würde. Warum dann solch weitgehende Forderungen? Die sechs Bearbeiter dachten die Bundeswehr vom Krieg her. Aus ihrer Sicht standen Demokratie, Partnerschaft und kooperativer Führungsstil nicht im Widerspruch zu den Streitkräften als potenzielle Kampf-, Schicksals- und Notgemeinschaft. Unverändert war für sie der Geist der Kameradschaft, den sie in etlichen Kampfbataillonen 388
und -kompanien des letzten Krieges erlebt hatten, Vorbild für die Gestaltung des militärischen Lebens. Aus ihrer Perspektive war die Kohäsion der Primärgruppen für die soldatischen Leistungen wichtiger als staatsbürgerliche Einsicht. Soziale Anerkennung und den Drang nach Erlebnissen, Spannung und Abenteuer sahen die Autoren als zentrale Motivationskraft für Soldaten.237 Damit brachten sie zum Ausdruck, was viele in der Kampftruppe von den Kompaniechefs bis zu den Kommandierenden Generälen dachten.238 Insofern war die Schnez-Studie die kulminierte Reaktion einer konservativen Erfahrungs- und Wertegemeinschaft auf den gesellschaftlichen Wertewandel, den mancher als Anfang vom Untergang des Abendlandes betrachtete und deshalb zu grundlegenden Maßnahmen riet. Interessanterweise rieten die amerikanischen Militärs trotz der langmähnigen deutschen Wehrpflichtigen, die in der NATO als »German Hair Force« verspottet wurden, Albert Schnez zur Gelassenheit.239 Aus heutiger Sicht kann man über die politische Naivität etlicher Aussagen der Studie nur den Kopf schütteln. In einer pluralistischen Gesellschaft konnte die Regierung von den Medien nicht verlangen, den Verteidigungsauftrag der Streitkräfte zu verdeutlichen. Die Forderung, »historisch falsche Schilderungen der soldatischen Vergangenheit durch die Publizistik durch das Informations- und Pressezentrum unter Heranziehung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes rasch und unmissverständlich richtigzustellen«240, war abwegig. Die Generalität war am allerwenigsten in der Lage zu definieren, was historisch richtig war, weigerte sie sich doch, ihrer eigenen Verantwortung für Verbrechen und militärische Misserfolge ins Auge zu blicken.241 Das Militärgeschichtliche Forschungsamt hatte sich zudem der wissenschaftlichen Grundlagenforschung 389
verschrieben, nicht der Korrektur eines wie auch immer gearteten Bildes des deutschen Soldaten. Ebenso wäre die Rolle des Wehrbeauftragten konterkariert worden, wenn der Disziplinarvorgesetzte von einer Eingabe hätte unterrichtet werden müssen. Politisch naiv war vor allem der Duktus, der den Kritikern der konservativen Generäle in die Hände spielte. Bis heute wird vor allem die Forderung nach einer Änderung von Gesellschaft und Bundeswehr an Haupt und Gliedern kritisiert. Solche Vorschläge standen den Militärs in der Bundesrepublik nicht zu. Die Studie enthielt gleichwohl zahlreiche sinnvolle Vorschläge vor allem zur Verbesserung der Disziplin, um die desolaten Zustände zu beenden und die Armee wieder kriegsfähiger zu machen. Diese mögen uns heute übertrieben erscheinen. Doch sie hielten zumeist nur fest, was viele Truppenoffiziere schon lange gefordert hatten. Das Bekanntwerden der Schnez-Studie löste eine große Debatte nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch innerhalb der Bundeswehr aus.242 Schließlich ging es im Grunde um das große Thema der zivil-militärischen Beziehungen und um die Frage, was den Soldatenberuf im Kern ausmacht. Brigadegeneral Beermann bewertete die Studie erstaunlich wohlwollend, obwohl er die Autoren in seinem Tagebuch als Teil einer kommenden Militärjunta bezeichnet hatte. Doch auch er war im Krieg Soldat gewesen, wusste, wie die Truppe dachte, und machte sich angesichts des desolaten moralischen Zustands der Streitkräfte Sorgen. Einen Tag vor Weihnachten 1969 traf er sich mit dem 38-jährigen Major Prange, der einst einer seiner Stabsoffiziere gewesen war und nun ein Bataillon führte. Obwohl sie politisch unterschiedlicher Auffassung waren, schätzte er den offenen, ehrlichen, gegen die Gleichgültigkeit rebellierenden Charakter Pranges. Über die Begegnung schrieb er in sein Tagebuch: »Der Traum dieser 390
jungen Pragmatiker: Endlich eine Armee, die funktioniert wie die Reichswehr oder die Nationale Volksarmee. Macht’s der Schmidt, wird sich dies für die SPD auszahlen, schafft er es nicht, kommt der Ruf nach dem starken Mann. Ich glaube, so denkt wohl im Querschnitt der größte Teil des Kommandeursbestands der jüngeren Generation, während die älteren – abgestumpft – die Karre laufen lassen und auf ihre baldige Pensionierung warten. Am widerlichsten ist ihm die Schicht der Gummilöwen, die vielleicht an Stelle von Schnez und Karst treten könnten und die schon in ihren Startlöchern warteten, meint Prange.«243 Als Beermann im Spiegel die »sehr scharfen Angriffe Rudolf Augsteins« auf den von ihm »ganz und gar nicht geschätzten Schnez« las, war er hin- und hergerissen. Gewiss sei es heute nicht mehr möglich, den Soldaten zu sagen, wie süß und ehrenhaft es sei, für das Vaterland zu sterben. Aber »die Armee nur als Abschreckungselement – so lehrt die Baudissinsche Schule – läßt die Soldaten letztlich fragen, wozu die ganze Ausbildung? Ich soll abschrecken ist zweifellos nicht genügend und nicht simpel genug, um dies einer Panzerbesatzung geschweige denn einer Infanteriegruppe beizubringen und bei ihnen den für alle Soldaten notwendigen Geist der Selbstaufgabe im Ernstfall zu erzeugen. Die Wurzel der Bundeswehrmisere, die Schnez so ausführlich, wenn auch im traditionellen Denkstil schildert, liegt in der Tat daran, daß die Empfindungen und Gefühle der Großstadtgesellschaft insbesondere den Soldaten zu einem überflüssigen Wesen gemacht haben.«244 Beermann schämte sich fast, dass er als Sozialdemokrat diese Zeilen in sein Tagebuch schrieb. »In meinen Gefühlen und Empfindungen kann ich wohl den preußischen Offizier nie ganz ablegen.«245 Bedrückt über den Zustand der Armee, meinte er in schwermütiger Stimmung am 391
Silvesterabend 1969 zu seiner Lebenspartnerin, »daß wohl eines Tages die Sowjets hier alles mehr oder weniger kampflos überrollen werden«246. Freilich blickten längst nicht alle so trüb in die Zukunft.247 Der neue stellvertretende Inspekteur des Heeres, Ernst Ferber, sah sehr klar die Probleme, vor denen das Heer stand, insbesondere den dramatischen Offiziersmangel. Er betonte aber auch, dass sich die Lage 1969 gebessert habe. Zwar würden die älteren und mittleren Jahrgänge das Anliegen der Schnez-Studie stützen, und auch viele Jüngere würden so denken. Die Hamburger Leutnante aber seien im Strudel der Meinungen zu gefährlichen Fehlschlüssen gekommen.248 Er spielte damit auf acht junge Leutnante an, die am 18. Dezember 1969 im Rahmen eines Seminars der Hamburger Heeresoffizierschule II Baudissins Buch »Soldaten für den Frieden« behandelt hatten und bald »Leutnante 70« genannt wurden. Für eine Podiumsdiskussion mit dem Autor formulierten sie neun Thesen. Nach der Veranstaltung wurden diese als Flugzettel in der Bundeswehr verteilt und gelangten bald an die Öffentlichkeit.249 Sie lehnten ein besonderes Ethos des Offizierberufs ebenso ab wie die Verpflichtung auf Traditionen, die nur aus »epigonaler Reproduktion« bestanden. Sie verlangten, dass das Verhalten jedes Vorgesetzten von den Untergebenen grundsätzlich infrage gestellt werden könne. Von Kampf, Krieg, Härte und Strenge war nicht die Rede, dafür von der Gestaltung des Friedens und der Mündigkeit der Untergebenen. An den drei Heeresoffizierschulen und der Kampftruppenschule in Munster wurde über die Thesen diskutiert. Das Meinungsbild war zwischen Zustimmung und Ablehnung in etwa ausgeglichen. Man erarbeitete Formulierungsvorschläge, die gemäßigter daherkamen.250 Der kritisch-liberale Grundton aber blieb erhalten. Die Leutnante 392
70 sahen sich bewusst als Gegenpol zu den Autoren Schnez-Studie im Allgemeinen und zu Heinz Karst Besonderen. Ihre Thesen waren eine Steilvorlage für Presse, schien sich doch nun auch in der Bundeswehr heftiger Generationenkonflikt anzubahnen. der im die ein Doch damit nicht genug: Im Mai 1970 stellten dreizehn Wehrpflichtige ihre Thesen »Soldat 70« der Presse vor. Sie wurden von der Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Soldaten unterstützt, deren Ziel es war, die Proteste der Studentenbewegung in die Streitkräfte zu tragen und diese damit zu schwächen.251 Die meisten waren Mitglieder der DKP und des SDS; dementsprechend wetterten sie gegen Schmidt als reaktionären Minister der Generale, de Maizière als ehemaligen Oberstleutnant der »Naziwehrmacht« und dagegen, dass »alte und neue Nazis« in der Bundeswehr »frech und offen« Propaganda machten. Sie forderten den Austritt aus der NATO, ein Ende der »Hetze gegen die Sowjetunion, gegen die DDR und alle anderen sozialistischen Länder«, die Senkung der Truppenstärke um die Hälfte und eine völlige Entmilitarisierung und Abrüstung. Damit war für de Maizière das Maß voll. Die Verbreitung der Schrift wurde verboten, da sie die Institution Bundeswehr grundsätzlich infrage stellte. Die Aktionen der »Soldat 70«-Gruppe fanden in den Streitkräften keinen größeren Anklang, weil sie allzu offensichtlich von linksradikalen Ideen beeinflusst waren. Die Leutnante 70 hingegen wollten die Streitkräfte nicht abschaffen, sondern liberalisieren. Sie sahen sich als Teil des gesellschaftlichen Wertewandels, dem sich die Bundeswehr nicht verschließen könne. Politisch standen sie zumeist der SPD nahe.252 Die meisten von ihnen dienten später nicht in den Kampftruppen.253 Sie verkörperten die neue sozialdemokratische Seite des Offizierkorps, das traditionell 393
eher den konservativen Parteien zuneigte. Sie bildeten wohl keine Mehrheit254, waren aber Symbol einer neuen Zeit, in der im Offizierkorps der Fokus auf Krieg und Kampf nachließ. Auch in der Generalität bahnte sich ein Generationswechsel an. 1969/70 wurden in einer großen Pensionierungswelle nicht weniger als 54 Generäle in den vorzeitigen Ruhestand geschickt.255 Dies galt – und gilt noch heute – als Befreiungsschlag von Minister Helmut Schmidt, der auf diese Weise die konservativen Unruhestifter vor die Tür gesetzt habe. Doch eine solche Argumentation greift zu kurz. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen256, hatte die Pensionierungswelle keinen politischen Hintergrund. Sie entsprach vielmehr dem Wunsch, die Pyramide der Stabsoffiziere zu verjüngen und mehr Zug in den Kamin der Personalpolitik zu bringen.257 So traf es selbst den ersten SPDGeneral Friedrich Beermann, der 1952 den Begriff des »Staatsbürgers in Uniform« geprägt hatte. Er wurde Ende 1969 im Alter von 57 Jahren frühpensioniert. Beermann fühlte sich »wie ein räudiger Hund von seiner Stelle verjagt«, aber auch ein Brief an seinen Förderer Schmidt änderte nichts mehr.258 Nur Inspekteur Schnez – den Baudissin für einen »Krebsschaden«259 hielt – konnte sich halten und ging erst 1971 mit dem Erreichen der regulären Altersgrenze von sechzig Jahren in Pension.260 Die neu in die Spitzenpositionen aufrückenden Generäle waren zumindest etwas jünger als ihre Vorgänger. Vor allem aber waren sie spürbar weniger zum Protest bereit und fügten sich widerspruchslos in die vorgegebene Ordnung. Verteidigungsminister Schmidt nahm im Frühjahr 1970 eine kritische Bestandsaufnahme der Bundeswehr vor und veranstaltete zahlreiche Regionaltagungen, Diskussionsrunden und Konferenzen. Die Ergebnisse gingen in das Weißbuch 394
1970 ein, in dem ein zufriedenstellendes Bild vom Zustand der Bundeswehr gezeichnet wurde. Die Kampfkraft sei trotz aller Mängel befriedigend; viele Verbesserungen in der Versorgung, der Wohnungssituation und der Besoldung wurden angekündigt. Aus Sicht der politischen Führung mochte sich die Lage nach dem Tiefpunkt von 1968 tatsächlich etwas entspannt haben. Doch viele Verbesserungen kamen bei der Truppe noch nicht an und brauchten Zeit. Entsprechend enttäuscht waren die Soldaten.261 So änderte sich an der Überlastung des Rahmenpersonals zunächst kaum etwas. Wochenarbeitszeiten von über 60 Stunden waren die Regel.262 Verstöße gegen die Disziplin nahmen in den meisten Einheiten sogar zu. »Der junge Soldat versucht sich in verstärktem Maße der soldatischen Ordnung zu entziehen, und viele Vorgesetzte sind im Durchsetzen dieser Ordnung unsicher geworden«, beobachtete der Kommandeur der 11. Panzergrenadierdivision Hans-Heinrich Klein. Autoritätsfeindlichkeit, militärisches Desinteresse und die mangelnde Einsicht vieler Wehrpflichtiger, aber auch der Mangel an qualifizierten Offizieren und Unteroffizieren hätten Erziehung und Bildung erheblich erschwert. »So steht z. B. der Erfolg im staatsbürgerlichen Unterricht in keinem angemessenen Verhältnis zum Aufwand. Diese Entwicklung hängt mit den Tendenzen im öffentlichen Bildungswesen zusammen. Die Truppe ist außerstande, ihr mit eigenen Mitteln Einhalt zu gebieten.«263 Das übergeordnete I. Korps gab zu Protokoll, dass die Aufgabe der Kompaniechefs, die ihnen anvertrauten Staatsbürger zu einsatzwilligen, tüchtigen Soldaten zu erziehen, wie es die Vorschriften verlangten, immer schwieriger werde.264 Das lag freilich auch daran, dass im Alltag die politische Schulung meist aus nur einer Wochenstunde zur Tagespolitik oder zur Verfassung bestand, womit beim besten Willen keine verteidigungsbereiten und 395
staatsbewussten Soldaten zu formen waren. Die Truppe war mit der Aufgabe, ihren Angehörigen die Notwendigkeit des Verteidigungsbeitrags zu vermitteln, überfordert. Die meisten Offiziere hielten anderes für wichtiger und hatten wohl auch mehr Interesse am Waffenhandwerk.265 In der Praxis war man also keineswegs über den Berg. Nur wenige Truppenkommandeure bewerteten die Lage vorsichtig positiv.266 Der Kommandeur der 7. Panzergrenadierdivision, Generalmajor Eike Middeldorf, war der pessimistischste von allen. Als ausgewiesener Taktikfachmann war er ganz auf die Kampffähigkeit seines Verbandes fixiert, um die es seiner Meinung nach nicht zum Besten stand. Die permanente Überforderung durch zu wenig Personal, die unsicheren Laufbahnaussichten, das Gefühl, mit der schlechten Disziplin weitgehend alleingelassen zu werden, parteipolitische Meinungsverschiedenheiten und das prinzipielle Infragestellen der Sinnhaftigkeit der Bundeswehr führten zu Enttäuschung, Resignation und Verbitterung im Offizierund Unteroffizierkorps, hielt er in seinem Zustandsbericht fest.267 Ähnlich wie Graf Baudissin die jungen Leutnante an der Heeresoffizierschule angeregt hatte, ihre Ansichten zu Papier zu bringen, forderte auch Middeldorf im November 1970 25 seiner Kompaniechefs auf, ihre Kritik niederzuschreiben. Ungewöhnlich war, dass hier ein Divisionskommandeur unter Umgehung des Dienstweges mehrfach direkt mit seinen Hauptleuten diskutierte.268 Die Männer stellten heraus, dass sie allesamt Kinder der Bundesrepublik seien, aber endlich die Ausrichtung der Streitkräfte auf die »Erfordernisse der militärischen Einsatzbereitschaft und Schlagkraft« erwarten würden. Dazu gehörten – wie schon in der Schnez-Studie – die Klärung und Verschärfung des Disziplinarrechts, ein klares Bekenntnis von 396
Staat und Gesellschaft zur Verteidigung, die Beseitigung von überbordender Bürokratie und ein Ende der permanenten Überforderung der Truppe, die wider besseres Wissen geduldet werde. Der politischen Führung wurde vorgeworfen, die Gefahr aus dem Ostblock bewusst herunterzuspielen, die Kampfkraft der Bundeswehr zu vernachlässigen und gar keine effektive Ausbildung zu wollen. Scharf wandten sie sich gegen die Politisierung der Armee.269 Mit ihrer teilweise drastischen Kritik an der Verteidigungsbereitschaft waren die Hauptleute nicht allein. Sie drückten nur in ungeschminkter und zuweilen rüder Form aus, was zu diesem Zeitpunkt viele in der Bundeswehr, aber auch in der Bevölkerung dachten.270 Generalinspekteur de Maizière kam im Januar 1971 nach Augustdorf, um mit den Hauptleuten zu sprechen. Bei allem Verständnis für Überforderungen und Ausbildungsmängel suchte er die politischen Vorwürfe zu zerstreuen. Doch die jungen Offiziere ließen sich nicht besänftigen. Ihr Vertrauen zur höchsten Führung war offenbar zerstört, und entsprechend offensiv vertraten sie ihre Haltung. Die Debatte bewegte sich für den Generalinspekteur am Rande des Zumutbaren.271 Oberleutnant Happach forderte gar den Rücktritt der militärischen Führung, die sich einer klaren Stellungnahme verweigere.272 De Maizière warb dafür, die gesellschaftlichen Veränderungen als Hauptgrund für die aktuellen Probleme zu sehen. Doch seine Kritiker vermissten ein klares Bekenntnis zur Verbesserung der Lage und hatten das Gefühl, ihr Protest werde wegmoderiert. Ihr Sprecher, Hauptmann Helge Schulenburg, verlangte sogar, ihre Thesen dem Verteidigungsminister und dem Verteidigungsausschuss vorzulegen. Die vorgesetzten Stellen bemühten sich daraufhin tatsächlich, ein Gespräch mit Minister Schmidt zu vermitteln. Doch alle Versuche, die Hauptleute bis dahin zum Stillhalten 397
zu bewegen, scheiterten. Selbst Generalmajor Middeldorf273, der den Protest zweifellos angestachelt hatte, gelang es nicht, den Deckel auf dem Topf zu halten. Als Schmidt sich weigerte, eine Delegation der Hauptleute kurzfristig zu empfangen, reichten sie ihre Denkschrift an die Westfälischen Nachrichten weiter, die am 19. März 1971 den ersten Artikel zum Thema veröffentlichten.274 Es folgte eine Welle von Presse- und Fernsehberichten. Die Hauptleute wurden vom Spiegel interviewt, der daraus sogar eine Titelgeschichte machte.275 Mehr Aufmerksamkeit ging nicht. Es gab reißerische Reportagen, aber auch manch ausgewogene, kluge Darstellung.276 Die Aktion galt als Affront für die politische und militärische Führung, doch man nahm sie zum Anlass, um die Probleme der Bundeswehr zu thematisieren und zuweilen auch anzuprangern. Schmidt sah sich eine Woche später im Bundestag gezwungen, eine Erklärung zur Sicherheitspolitik abzugeben, und wies jede Kritik zurück. Die CDU-Opposition ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, die Sicherheitspolitik der Regierung anzugreifen. Die Sorgen der Kompaniechefs und die vermeintlich desolaten Zustände in der Bundeswehr wurden genutzt, um den Verteidigungsminister zu attackieren.277 Freilich war die SPD für die Lage kaum verantwortlich zu machen, da sie erst seit sechzehn Monaten die Verantwortung trug. Schmidt war gleichwohl verärgert, sich wegen ein paar undisziplinierter Hauptleute im Bundestag Versagen vorhalten lassen zu müssen. Drei Tage nach dem Showdown im Plenarsaal wusch er den Generälen auf einer Kommandeurbesprechung den Kopf und spielte den Ball zurück an die hohen Offiziere: Wie es denn sein könne, dass Hauptleute glaubten, die Führung sei an einer effizienten Ausbildung nicht interessiert oder würde die Bedrohung aus 398
dem Osten kleinreden – und dies angesichts eindeutiger Aussagen im Weißbuch?278 Er zerpflückte die meisten Punkte der Hauptleute von Unna als maßlos übertrieben und polemisch. »Die Jungen« hätten ja seine Sympathie, aber man müsse sich schon fragen, ob sie geistig klar genug geführt würden. Sichtlich genervt vom entstandenen Rummel erklärte Schmidt, dass es nun darauf ankomme, nicht herumzukritisieren, sondern konstruktiv Vorschläge zu machen, wie und was verbessert werden könne. Seine Ansprache war eine Machtdemonstration, zumal er den Text an die Presse gab.279 Damals dürfte auch der letzte General verstanden haben, dass dieser Minister die Bundeswehr am kurzen Zügel führte. Der Protest war gleichwohl auf die oberste Ebene gelangt, was dazu beigetragen haben mag, dass die Regierung einen Brief von Bundeskanzler Willy Brandt an die Ministerpräsidentenkonferenz der Länder veröffentlichte.280 Schon im November 1970 hatte Brandt gefordert, mehr für die Anerkennung der Bundeswehr etwa in den Schulen zu tun. So begegnete das Kabinett öffentlich den Anschuldigungen, die sowohl in der Schnez-Studie als auch bei den Hauptleuten von Unna eine Rolle spielten, dass die politische Führung sich nicht ausreichend hinter den Verteidigungsauftrag stellen würde. Manchem General fiel es schwer, auf die zuweilen polemische Kritik der Hauptleute gelassen zu reagieren. General Hans Hinrichs etwa empörte sich: »Es mag als chic gelten, zorniger Hauptmann zu sein. Dafür sollte man sich aber zunächst durch Geist und Leistung qualifizieren.«281 Freilich bestand an der fachlichen Qualifikation der Kompaniechefs kein Zweifel. Diese Offiziere waren ein tragendes Element der Bundeswehr.282 Sie hatten sich im Ton 399
vergriffen, aber sie sprachen einem nicht unerheblichen Teil der Kampftruppe aus der Seele.283 Deshalb gingen die oberen Führungsebenen in ihren öffentlichen und internen Stellungnahmen meist recht pfleglich mit den Hauptleuten von Unna um.284 Sie wurden weder strafrechtlich noch disziplinar belangt.285 Zweifellos gab es in der regierenden SPD Entspannungspolitiker, die keine große Bedrohung aus dem Osten mehr erkannten. Man denke nur an Egon Bahrs Pläne einer neutralisierten mitteleuropäischen Sicherheitszone. Und es gab auch in den Medien Stimmen, die prinzipiell gegen die Bundeswehr eingestellt waren und sich über jedweden soldatischen Habitus lustig machten. Doch solche Meinungen waren in einer pluralistischen Gesellschaft legitim, ja konstitutiv. Dass die Führung wider besseres Wissen die permanente Überforderung der Truppe duldete, war sicherlich zu kurz gegriffen. Derlei Probleme waren in den internen Berichten wiederholt dargelegt worden und sind bis zum Inspekteur des Heeres gelangt. »Die Kp/Bttr Chefs tragen infolge der angespannten Personallage die Hauptlast. Die Stützung dieser jungen, zumeist idealistischen und engagierten Offiziere ist dringend geboten, um sie vor einem Absinken in Resignation oder Radikalismus zu bewahren«, hieß es etwa im Zustandsbericht des Heeres vom 2. März 1971.286 Auf der Ebene des Generalinspekteurs wurden die Probleme allerdings sehr viel weniger drastisch formuliert, wie in dem von Ulrich de Maizière im Juni 1971 erlassenen Zustandsbericht der Bundeswehr nachzulesen ist.287 Hätte der als renitent geltende Wortführer der Hauptleute von Unna, Helge Schulenburg, diese Zeilen gelesen, er hätte sich in seinem Urteil über de Maizière wohl bestätigt gefühlt.288 Aus der Perspektive des Generalinspekteurs mochte manches Problem in der Tat 400
weniger dramatisch erscheinen als aus jener eines Kompaniechefs. Für die Bundeswehr aber kam es darauf an, diese Wahrnehmungsdifferenz möglichst klein zu halten und den Kontakt zur Truppe nicht zu verlieren. Helmut Schmidt reagierte geschickt auf die Herausforderung. Er setzte drei große Tagungen mit Hauptleuten und Kompaniechefs an, die im April, Mai und Juni 1971 in Koblenz, Neubiberg bei München und Hamburg stattfanden. Niemand konnte ihm vorwerfen, dass er sich der offenen Kritik nicht stellen würde. Der Protest wurde dort im Chor der unterschiedlichen Meinungen, Appelle und Kommentare wirkungsvoll zerredet und lief sich schließlich tot.289 Auf den Tagungen herrschte – anders als in der Schule in Hamburg290 oder im Kasino in Unna – kein sich selbst verstärkendes, sondern ein sich gegenseitig bremsendes Meinungsklima. Schmidt war auch der richtige Mann, um die Veranstaltungen mit Bravour zu bestehen. Seine sicherheitspolitische Expertise war unbestritten, und jeder wusste, dass er im Krieg auch Frontoffizier gewesen war.291 Er brachte seine rhetorische und intellektuelle Kraft zur Geltung und erreichte, dass es keine Solidarisierungswelle mit den Hauptleuten von Unna gab. Damit war der Höhepunkt der vierjährigen Debatte überschritten. Die Lage in den Kompanien war zwar nicht wirklich besser geworden, aber die öffentliche Debatte hatte gezeigt, dass die politische und militärische Führung daran arbeitete, die Zustände zumindest mittelfristig zu ändern. Bald wurden allzu große Unsinnigkeiten, etwa die Einführung eines Haarnetzes, rückgängig gemacht. Die intensiven und emotionalen Debatten der Jahre 1968 bis 1971 zeigten, wie sehr der gesellschaftliche Umbruch auf die Streitkräfte abfärbte. Ebenso wie andere staatliche 401
Institutionen, allen voran die Universitäten, durchlief die Bundeswehr in jener Zeit einen schmerzhaften Selbstfindungsprozess. Sie musste alte Gewissheiten infrage stellen und sich neu kalibrieren, ohne ihren Kernauftrag aus dem Blick zu verlieren. Wahrscheinlich verlief dieser Prozess in der Bundeswehr noch konfliktreicher und spannungsgeladener, weil sie in einer doppelten Ambivalenz gefangen war. Die innen- und außenpolitischen Erfordernisse sowie die militärische Logik bedingten, dass die Armee zugleich vom Frieden und vom Krieg her gedacht werden musste. Das führte einerseits zur Abgrenzung von der Vergangenheit, andererseits aber auch zur Anknüpfung an diese, ja zuweilen auch zu ihrer Verklärung. Die Konflikte waren dabei vorprogrammiert. Da diese Ambivalenzen nicht aufzulösen waren, ging es darum, sich mit ihnen bestmöglich zu arrangieren und den Zusammenhalt der Gesamtorganisation zu wahren. Dass dies eine beachtliche Herausforderung war, hatten die ersten fünfzehn Jahre der Bundeswehr deutlich gezeigt. Erstens war der Habitus der Streitkräfte heterogener denn je. Vereinfacht gesprochen, trat der Prototyp des Verteidigungsbeamten neben den des Kämpfers. Wenngleich es zwischen beiden Polen zahlreiche Grautöne gab, waren die unterschiedlichen Kulturen klar erkennbar, nicht zuletzt durch ein unterschiedliches Berufs- und Traditionsverständnis. Beide Typen hatte es schon immer gegeben. Doch über Hunderte von Jahren war der Krieger – neben den »Halbgöttern« des Generalstabs292 – das Leitbild gewesen. Jetzt aber ließ ihn die rasant fortschreitende Technisierung der Bundeswehr schon zahlenmäßig in den Hintergrund treten. Waren in der Wehrmacht noch 85 Prozent Kämpfer, waren es in der Bundeswehr 1964 angeblich nur noch 29 Prozent.293 Die unterschiedlichen Kulturen waren gewissermaßen ein Abbild des breiten Aufgabenspektrums einer Friedensarmee – von den 402
Schulen, der Territorialverwaltung, den NATO-Stäben bis hin zur Kampftruppe. In der Praxis blieb die Herausforderung, auf der horizontalen Ebene eine stabile Binnenkohäsion zu wahren. Zweitens wiesen die Debatten auf eine wachsende Diskrepanz auf der vertikalen Ebene hin, also zwischen der Truppe und der militärischen und politischen Führung. Der Vorwurf der Hauptleute von Unna, dass die hohen Offiziere sich dem Zeitgeist anpassten und nur politische Rücksichten nehmen würden, um die eigene Karriere nicht zu gefährden, war gewiss übertrieben. Diejenigen, die solche Vorwürfe äußerten, hatten keinen Einblick in das Tun der obersten militärischen Führung und vor allem in deren begrenzte Spielräume. Die Auseinandersetzungen zeigen aber, dass es unter den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der damaligen Bundesrepublik eine Herausforderung war, »oben« und »unten« zusammenzuhalten. Drittens zeigte sich aber auch, dass sich in der Bundeswehr eine bemerkenswert offene Diskussionskultur entwickelt hatte. Es war möglich, selbst höchste Dienstgrade zu kritisieren und grundlegende Regeln infrage zu stellen, ohne Nachteile in der eigenen Karriere befürchten zu müssen.294 Es gab auch eine Vielzahl von Fachzeitschriften, in denen interessierte Soldaten, Reservisten und Bürger ihre Meinungen zum Thema austauschen konnten.295 Letztlich ging die Bundeswehr aus den heftigen Konflikten gestärkt hervor, weil sie sich nicht auseinanderdividieren ließ.296 Das zeigte sich auch darin, dass sie gegen politischen Radikalismus weitgehend immun blieb. Die NPD erhielt bei der Bundestagswahl 1969 von Soldaten prozentual nicht mehr Stimmen als von Zivilisten. Das Wahlverhalten von Angehörigen der Streitkräfte war 403
unauffällig. Offiziere tendierten mehrheitlich zur CDU/CSU, Unteroffiziere zunehmend zur SPD.297 Freilich gab es auch weiterhin Soldaten in den rechtsextremen Splitterparteien, deren Zahl aber den niedrigen dreistelligen Bereich wohl nie überstieg.298 Die Volksparteien schafften es offenbar, auch stramm konservative Soldaten weiter an sich zu binden. Allerdings kam es unabhängig von der Parteimitgliedschaft weiterhin zu rechtsradikalen und antisemitischen Vorfällen. Aussprüche wie »Mit dem dreckigen Gewehr können Sie nicht einmal mehr einen Juden erschießen«299 kamen durchaus vor. Es hing stark von den Vorgesetzten ab, ob in solchen Fällen disziplinarisch eingeschritten wurde. Viele Entgleisungen dürften geduldet beziehungsweise im »vordisziplinaren« Raum intern gemaßregelt worden sein. 404
Der gespielte Krieg I Von der massive retaliation zur flexible response Die Bundeswehr hatte eine öffentliche und eine geheime Seite. Alles, was mit dem inneren Gefüge zu tun hatte, wurde breit und gerne debattiert: die Stellung der Soldaten zur Demokratie, ihre Tradition oder ihre Motivation. In den großen Bundeswehrskandalen ging es im Kern um diese Fragen. Über die eigentliche Aufgabe der Streitkräfte, die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt, erfuhr die Öffentlichkeit nur wenig. Die allermeisten Strategiepapiere und alle Zustandsberichte der Bundeswehr blieben geheim. Was die Generalität für den Ernstfall im Detail plante, blieb ebenso im Dunkeln wie die Frage, ob die Bundeswehr ihre Aufgaben überhaupt hätte erfüllen können. Über Jahrzehnte investierte die Bundesrepublik im Durchschnitt 3,6 Prozent des BIP in ihre Streitkräfte. Von 1955 bis 1989 waren das – gemessen am heutigen Geldwert – rund 625 Milliarden Euro.300 Aber was wurde dadurch eigentlich erreicht? War die Bundeswehr ihren Aufträgen gewachsen, trug sie also ihren Teil zur Abschreckung bei? Oder war sie bloß ein Instrument der politischen Willensbekundung, ohne ernsthaften militärischen Wert? 1952 führte die NATO die Strategie der massive retaliation ein, die auf der abschreckenden Wirkung des überlegenen amerikanischen Nuklearwaffenarsenals basierte. Lokal begrenzten Angriffen sollte konventionell begegnet werden. Griff der Gegner aber mit Großverbänden an, musste er mit einem umfassenden Atomschlag rechnen. Die Aufgabe der Bundeswehr war es, den konventionellen »Schild« so zu stärken, dass es im Ernstfall überhaupt genügend Zeit gab, damit das atomare »Schwert« der Amerikaner zuschlagen 405
konnte. Besondere Rücksicht auf den neuen Allianzpartner wurde in den Kriegsplanungen dabei nicht genommen. Als die NATO im Juni 1955 den Atomkrieg in Deutschland übte, errechnete sie, dass im Ernstfall 345 Atomsprengköpfe 1,7 Millionen Menschen töten und 3,5 Millionen verletzen würden.301 Westdeutschland war also nicht mehr als eine Pufferzone, in der sich die Bundeswehr mit zweitklassiger amerikanischer Ausrüstung302 verschleißen würde. Eine sinnvolle Strategie konnte dies aus deutscher Sicht kaum sein.303 Albert Schnez war 1960 der erste deutsche Offizier, der Einblick in die Einsatzpläne für die amerikanischen Nuklearwaffen bekam. Entsetzt schrieb er an Verteidigungsminister Franz Josef Strauß: »Teile der Bundeswehr mochten zwar den extensiven atomaren Schlagabtausch der ersten Tage eines europäischen Atomkriegs überstehen und zusammen mit den verbliebenen NATO-Verbündeten anschließend einen fraglichen Sieg erringen; dazu hätte man aber letztlich das der Zerstörung preisgegeben, was man eigentlich verteidigen wollte.«304 Der Aufbau eines Zivilschutzes für den Fall eines Atomkriegs wurde von den deutschen Behörden gar nicht erst in Angriff genommen, weil er nicht finanzierbar war und der Bevölkerung aus nachvollziehbaren Gründen das Verständnis für eine Strategie des Untergangs fehlte. Die Bundesrepublik stand vor der Quadratur des Kreises: Der extensive Nukleareinsatz musste im Verteidigungsfall unbedingt vermieden werden, um das eigene Land nicht binnen weniger Tage in eine atomare Wüste zu verwandeln. Auf der anderen Seite musste die Schwelle zum Einsatz von Atomwaffen niedrig gehalten werden, um den Ostblock wirkungsvoll von einem Angriff abzuschrecken. »Der Verzicht auf eine starke 406
konventionelle Komponente machte den defensiven Charakter der Strategie aus. Sie vermied die endlosen Materialschlachten vergangener Tage, freilich um den Preis, im Ernstfall kollektiv unterzugehen«305, brachte es der Historiker Dieter Krüger auf den Punkt. Die Bundeswehr und die deutsche Sicherheitspolitik waren häufig Gegenstand von Titelgeschichten des »Spiegel«. Die hier gezeigte Auswahl reicht von der Ausgabe, die 1962 die »Spiegel«-Affäre ins Rollen brachte (links oben), bis zur Ausgabe über die »Hauptleute von Unna«, 1971 (unten rechts). 407
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Die Bundeswehrführung musste die NATO-Planungen notgedrungen akzeptieren, da sie im Bündnis noch kein Gewicht hatte. Die konventionelle Kampfkraft der neu aufgestellten Verbände war noch so überschaubar, dass ein Angreifer ohnehin nur mit Atomwaffen aufgehalten werden konnte. 1960 sprach man in internen Papieren davon, dass nur die Hälfte des Heeres allenfalls für »zeitlich begrenzte Abwehraufgaben bedingt geeignet sei«. Bescheidener konnte man es im offiziellen Duktus kaum ausdrücken. Von den zwölf Divisionen des Heeres befand sich 1960 eine in Aufstellung, sechs hatten nur einen geringen und fünf einen mittelmäßigen Kampfwert.306 Munition war nur für wenige Tage vorhanden, und die Ausbildung litt unter dem eklatanten Mangel an länger dienenden Soldaten und an der kurzen Wehrdienstzeit von zwölf Monaten. Auch die Ausrüstung mit veralteten amerikanischen Panzern und technisch wenig ausgereiften Schützenpanzern trug nicht gerade zur Steigerung der Kampfkraft bei. Die Kampfaufträge stünden daher »in keinem Verhältnis zu Zustand und Möglichkeiten«. Um gegenüber den Verbündeten zumindest den Eindruck von halbwegs leistungsfähigen Verbänden zu erwecken, bekamen Einheiten, die an NATO-Übungen teilnahmen, Personal und Material aus 409
anderen Verbänden zugewiesen. Und trotzdem sah es oft düster aus. Im Februar 1960 nahmen zum ersten Mal zwei deutsche Brigaden an einem Wintermanöver der US-Armee teil. Das Zusammenspiel von Panzer und Grenadieren funktionierte schlecht, die Offiziere zeigten zu wenig Initiative. Das Panzerbataillon 54 hatte rund 100 kaum ausgebildete Soldaten in seinen Reihen und konnte froh sein, dass die ungeübten Fahrer keine Unfälle verursachten. Ein kriegserfahrener Oberst meinte zu diesen Zuständen, dass es keinen Sinn mache, mit solchen Soldaten in ein Manöver zu fahren, »wenn nicht bewusst der Zustand einer Truppe wie etwa im Jahre 1944 angestrebt wird«307. Die internationalen Pressebeobachter waren indes zufrieden und ließen sich allzu leicht etwas vorgaukeln. Die New York Times schrieb gar, dass »die Saat der vergangenen militärischen Größe wieder aufgehe«308. Der Zwang, Jahr für Jahr Theater zu spielen, belastete die Offiziere indes stark.309 Der 30-jährige Oberleutnant Siegfried Storbeck schrieb 1963 erbittert über die Lage in seinem Panzerbataillon: »Unsere Manöver: Viel zu groß. Meine Richtschützen schlafen im Turm – kein General ist je in den Turm hinter die Optik geklettert, um sich vom Richtschützen sein Ziel zeigen zu lassen. […] Um nicht aufzufallen, werden die paar Besten gerade immer da ins Blickfeld gerückt, wo man hinguckt.« Und weiter: »Die Schwierigkeiten werden immer größer, unsere Armee wird schlechter, wenn man nicht einsieht, daß wenig aber besser im Ernstfall mehr bedeuten als viel und schlecht! Primitive Forderungen werden nicht erfüllt. Meine Panzer stehen draußen, Tag und Nacht, es gibt keine Hallen, dafür einen Segen von Broschüren über allen möglichen Nonsens, der gelehrt werden soll.« Storbeck wollte zu einer Armee gehören, die »gut ist«.310 Neben der 410
schlechten Ausrüstung und dem Personalmangel fehlte es manchem Offizier auch an der nötigen Haltung. Nicht alle waren so motiviert wie Siegfried Storbeck. Manche fühlten sich im Büro wohler als bei ihren Männern im Gelände. Das Gebot der körperlichen Härte werde vielfach nicht beachtet, meinte Generalmajor Artur Weber. »Unmäßige Leibesfülle behindert die Beweglichkeit bei der Führung, unförmige, fettleibige Soldaten strömen kein Vertrauen aus auf Menschen, die wir verteidigen sollen.« Zwar könne man Führungsqualität nicht nach der Taillenweite bemessen und von einem 50jährigen Oberstleutnant oder 45-jährigen Stabsfeldwebel keine »Pagenfigur« erwarten. Nötig seien aber »Kompaniechefs und Zugführer, die in krisenhafter Lage selbst einen Stoßtrupp führen können, und Bataillonskommandeure, die beim Gegenstoß mit der Reservekompanie in den Feind einbrechen können«.311 Die westdeutsche Armee hatte den sowjetischen Truppen wenig entgegenzusetzen. Gleichwohl träumte die aus dem Oberkommando des Heeres stammende Gründergeneration davon, bei einem Angriff des Ostblocks gar selber offensiv zu werden, den Gegner in einer weiträumigen Kesselschlacht zu vernichten und dabei tief auf das Gebiet der DDR vorzustoßen.312 Doch in der Realität hätte nur der massive Einsatz von Atomwaffen die sowjetische Armee aufhalten können; ein solcher war daher das übliche Szenario für NATOÜbungen.313 Auch Graf von Baudissin spielte bei einer Übung seiner Panzergrenadierbrigade 4 reichlich Atomsprengköpfe ein: »Der Feind setzte bei Angriffsbeginn zahlreiche ASprK vorwiegend niedriger KT-Werte, besonders gegen eigene Art Stellungen und Pz Ansammlungen ein. Eigene Führung bekämpfte mit ASprK bis 50 KT den Übersetzverkehr bei Boizenburg und Lauenburg«314, hieß es in der Lage seines 411
Manövers »Raubkammer«. Über die Folgen des ausgedehnten Einsatzes von Atomwaffen schien sich kaum jemand Gedanken zu machen. Die Soldaten nahmen diese Lagen nicht ernst, weil die Manöverleitung sie nicht mit den Problemen des Atomkriegs konfrontierte. So erschienen die Nuklearwaffen nur als eine Art erweiterte Artillerie.315 1958 erhielt das deutsche Heer von den Amerikanern nuklear bestückte Kurzstreckenraketen und schwere Artillerie, die amerikanische Atomgranaten verschießen konnte. Der Hauptschlag sollte indes von der Luftwaffe geführt werden. Dazu standen 1961 bereits acht Jagdbomberstaffeln bereit316, die – zusammen mit den Alliierten – den Angriff der Sowjets spätestens an der Rhein-Linie im Feuer der Nuklearwaffen verglühen lassen sollten.317 Zu dieser Zeit begann bereits die Ausrüstung mit dem Hochleistungsflugzeug Starfighter, das in den kommenden Jahren das Rückgrat der atomaren Abschreckung der Bundeswehr bildete. Die Luftwaffe war in der Phase der massive retaliation also die wichtigste Teilstreitkraft der jungen Bundeswehr.318 Spöttisch meinte deren Inspekteur, dass man das Heer nur noch zur Bewachung der Flughäfen benötige. Die Planungen sahen in der Tat eine sehr defensive Rolle der noch schwachen Landstreitkräfte vor, die nur noch als eine Art Stolperdraht fungierten. Die Vorstellung, in einem schnell eskalierenden Nuklearkrieg weite Teile der eigenen Bevölkerung auszulöschen und die Menschheit insgesamt dem Untergang preiszugeben, erschien vielen Generälen allerdings als widersinnig. Die Zahl der Kritiker nahm seit Anfang der 1960er-Jahre parallel zu ähnlichen Bedenken in den USA zu. Dabei bildeten sich ungewöhnliche Allianzen: Graf von Baudissin und Generalinspekteur Heinz Trettner – die in Habitus, Traditionsbild und soldatischem Rollenverständnis 412
kaum unterschiedlicher hätten sein können – sprachen sich beide für eine Kriegführung aus, die Szenarien der subversiven Kampfführung und des konventionellen Gefechts, den begrenzten ebenso wie den globalen Atomkrieg berücksichtigte.319 Dabei spielten gewiss auch Wunschvorstellungen eine Rolle. Man wollte dem Heer wieder mehr Gewicht geben und die Verteidigung schon an der Elbe aufnehmen, um das eigene Land nicht zum Schlachtfeld werden zu lassen. Die Bundeswehr war somit Teil eines neuen Denkens in der NATO, das in den Strategiewechsel zur flexible response mündete. Diese wurde zwar erst 1968 offiziell implementiert, hatte aber seit dem Amtsantritt John F. Kennedys 1961 zunehmend das operative Denken der westlichen Allianz bestimmt.320 Doch auch die neue Ausrichtung konnte das strategische Dilemma der Bundesrepublik nicht lösen, im Gegenteil: Einen sowjetischen Großangriff nicht mehr automatisch mit einem strategischen Nuklearschlag zu beantworten hieß im Klartext, dass Washington den Krieg zunächst auf Europa begrenzen würde, um ein Übergreifen auf das Territorium der Vereinigten Staaten zu verhindern. Für die Bundesrepublik kam es in einem solchen »begrenzten Krieg« darauf an zu verhindern, dass Raum für Zeit geopfert wurde. Eine zu zögerliche Verteidigung hätte nämlich dazu führen können, dass die Sowjetunion Teile Westdeutschlands eroberte und eine atomare Antwort der NATO ausblieb, weil man Zeit für eine politische Konfliktlösung gewinnen wollte. Am Ende, so die Befürchtung von General Schnez, wäre das auf eine Teilung der Bundesrepublik hinausgelaufen, die wir »als freier Staat nicht mehr überstehen«.321 Um ein solches Szenario zu verhindern, musste die Bundeswehr die Abwehrschlacht direkt an der Grenze 413
aufnehmen, den Warschauer Pakt östlich der Weser stoppen und dann zum raschen Gegenangriff übergehen, um den Feind wieder zurückzuwerfen.322 Dabei sollten möglichst keine taktischen Atomwaffen eingesetzt werden. Generalinspekteur de Maizière meinte 1969 zu seinen Offizieren: »Stellen Sie sich einmal einen Kampf in Mitteleuropa vor, in dem diese 7000 Atomkörper wirklich gezündet würden. Die Folgen können nicht in unserem Interesse liegen.«323 In den Manövern der Bundeswehr spielte der Einsatz von taktischen Atomwaffen seit 1967 nur noch eine untergeordnete Rolle und war nicht mehr Teil der Routine.324 Die Freigabe von Nuklearsprengköpfen, führte de Maizière seinen Generälen vor Augen, sei eine Entscheidung von höchster politischer Bedeutung, die einer qualitativen Veränderung des Krieges gleichkomme. Eine solche Demonstration wäre immer auch mit einer politischen Erklärung der NATO verbunden, um den Konflikt einzudämmen. Es sei unverhältnismäßig, 25 oder 40 Atomköpfe einzusetzen, bloß um 36 oder 48 Stunden Zeit zu gewinnen. Umgekehrt dürfe deren Einsatz aber auch nicht erst erfolgen, wenn alle konventionellen Mittel aufgebraucht seien. Die Regeln für den Einsatz von Atomsprengköpfen wurden seit 1966 in der Nuclear Planning Group der NATO auf höchster politischer Ebene besprochen. Über diesen Hebel versuchte Bonn, die nuklearen Einsatzpläne der NATO den eigenen Interessen anzupassen.325 Endlich einsatzbereit? Die Überlegungen waren klar: Je stärker die konventionelle Kampfkraft der Bundeswehr war, desto eher würde man in einem Verteidigungsfall auf Atomwaffen verzichten können. Doch wie stand es Ende der Sechzigerjahre um die Kampfkraft der Bundeswehr, die immerhin 40 Prozent der Landstreitkräfte der NATO in Mitteleuropa stellte? Mittlerweile waren alle 414
zwölf Divisionen des Feldheeres aufgestellt. Sie waren zum Großteil schon mit dem modernen Panzer Leopard 1, neuer Artillerie und verbesserten Fernmeldegeräten ausgerüstet. Knapp 3700 Kampfpanzer, 1100 Jagdpanzer326, 4550 Schützenpanzer und knapp 1000 Geschütze stellten einen beachtlichen Kampfwert dar. 80 bis 85 Prozent des Großgeräts waren ständig einsatzbereit327, und die Hälfte der Verbände wurde von der NATO intern als »gut« bewertet. In den Depots lagerte ausreichend Munition für zwei Wochen »Großkampf«.328 Seit 1967 führte die Bundeswehr jährlich eine große Korpsgefechtsübung mit Zehntausenden Soldaten durch, um ihren Leistungsstand zu evaluieren, sich aber auch vor der Öffentlichkeit, den Alliierten und den offiziellen (und inoffiziellen) Beobachtern aus dem Warschauer Pakt zu präsentieren. Die Manöver zeigten, dass sie eine ernst zu nehmende Streitmacht geworden war. Ihre Generäle konnten große Truppenmassen führen, die Ausrüstung war überwiegend modern, die Soldaten waren zumindest während der Übungen motiviert. Der britische Botschafter in Bonn schrieb 1969 ans Foreign Office: »Die Einschätzung des letzten Jahres, dass die Bundeswehr trotz ihrer Schwierigkeiten und Mängel ein gutes Bild abgeben wird, wenn es ums Kämpfen geht, kann mit wachsender Zuversicht bestätigt werden; es besteht kein Zweifel, dass die dringlichsten Probleme mit Nachdruck und Einfallsreichtum angegangen werden.«329 Auch der Schweizer General Georg Züblin, der 1967 an der Übung Hermelin II teilnahm, war trotz mancher Kritikpunkte von der deutschen »Panzerei« begeistert.330 Die Friedensstärke war mittlerweile auf 475 000 Mann angewachsen. Im Verteidigungsfall würden 700 000 Reservisten dazukommen. Zu deren Einberufung brauchte 415
man freilich Zeit. Auch die Panzerund Panzergrenadierdivisionen des Feldheeres bestanden zu einem knappen Drittel aus Reserveverbänden und waren aus dem Stand nicht voll einsatzbereit. Noch schlimmer sah es im Territorialheer aus, das die Versorgung sicherstellen und die rückwärtigen Gebiete gegen Sabotageakte und Luftlandeverbände schützen sollte. Es bestand zu 80 Prozent aus Reserveverbänden. Einem Überraschungsangriff war die Bundeswehr also in keinem Fall gewachsen. Manches Bataillon der Kampftruppen an der deutsch-deutschen Grenze hatte gar kein eigenes Depot und musste die scharfe Munition erst von weither heranschaffen. So hätte es in etlichen Fällen bis zu vierzig Stunden gedauert, bis die Panzer ihren Marsch in Richtung Front beginnen konnten. Zudem: Die NATO hatte in ihrem Emergency Defence Plan genau festgelegt, wo die deutschen Verbände ihre Verteidigungsräume beziehen sollten. Doch diese lagen teilweise in erheblicher Entfernung von den Kasernen. Man hätte zwischen 15 und 60 Stunden benötigt, um sie zu erreichen.331 Die Versorgungstruppen brauchten ohnehin zehn bis vierzehn Tage, um voll einsatzbereit zu sein, weil auch sie meist aus Reservisten bestanden.332 Ohne diese Mobilisierungszeit wäre dem Heer nach 72 Stunden die Munition ausgegangen. Und die Luftwaffe war in der konventionellen Rolle zu schwach, um den Landstreitkräften mit ihrem Einsatz Zeit zu erkaufen.333 Albert Schnez meinte freilich, dass die Sowjetunion im Falle eines Angriffs auf die NATO nach möglichst hoher Überlegenheit streben und man ihre umfangreichen Vorbereitungen daher mit Sicherheit erkennen würde. Jedoch sei fraglich, ob die politische Führung rechtzeitig Konsequenzen aus einer Spannungszeit ziehen werde. 416
Doch die Generalität sorgte sich nicht nur um eine rechtzeitige Mobilmachung. Brigadegeneral Hermann Büschleb war generell der Ansicht, dass Regierung und Parlament nicht den Willen hatten, den Auftrag der Streitkräfte im Frieden und im Krieg erfüllbar zu machen. »Das Heer trägt diesen Makel schon über 10 Jahre mit sich herum. Das darf aus staatspolitischer Verantwortung heraus nicht so bleiben.« In der Tat waren die Probleme vielfältig: Die Zusammenarbeit mit der Luftwaffe sei bislang kaum geübt worden, und die Bundeswehr habe den Schutz gegen feindliche Tiefflieger »völlig vernachlässigt«.334 Das Fernmeldewesen sei unmodern, die technische Führungsfähigkeit der Stäbe stehe auf einem Tiefpunkt.335 Die Befehlsgebung sei zuweilen schwach, es werde zu viel palavert und nicht klar genug angewiesen.336 Es fehle der konventionellen Artillerie an Feuerkraft, es gebe zu wenig Infanterie337, und einem ABCAngriff sei die Bundeswehr nicht gewachsen.338 Die ärztliche Versorgung der Soldaten sei so ungenügend, dass man schon raune, die Generäle müssten sich im Kriegsfall weigern, einen Schießbefehl auszuführen.339 Zudem habe der Kampfgeist nachgelassen, hieß es im Februar 1969 im Zustandsbericht des Heeres.340 Dies betreffe insbesondere die Wehrpflichtigen, die den Dienst meist als Zeitverschwendung betrachteten und deren Ausbildungsstand große Lücken aufweise. Die Gefechts- und Verbandsausbildung sei trotz aller Anstrengungen und Fortschritte nicht ausreichend, weil etwa 50 Prozent der Offiziere und Unteroffiziere fehlten. Zudem gebe es nur »katastrophale« Trainingsmöglichkeiten im freien Gelände, und die Truppenübungsplätze seien zu klein.341 Der Gefechtswert der Truppe sei so weit gesunken, dass sie im Ernstfall ihren Auftrag nicht oder nicht voll erfüllen könne.342 417
Die Bundeswehr war 15 Jahre nach ihrer Gründung nominell zwar nahezu vollständig aufgestellt. Sie litt aber unter den üblichen Problemen einer Friedensarmee: Effizient war eine vollmotorisierte Streitmacht nur, wenn Artillerie, Panzer, Grenadiere und auch die Luftwaffe wie die Rädchen in einem Uhrwerk ineinandergriffen. In ihrer Doktrin war Geschwindigkeit Trumpf. Nur wer in Bewegung war, würde dem feindlichen Feuer, gar atomaren Einschlägen entgehen können. Dazu musste aber der Informationsfluss von den Stäben bis zum letzten Panzer funktionieren, Entschlüsse mussten schnell und mutig gefasst, Lagen rasch erkannt werden. Zudem mussten ein 22-jähriger Zugführer ebenso wie ein 58-jähriger General Gespür für die jeweiligen taktischen Lagen haben. Und die Soldaten mussten ihre Waffen und Geräte routiniert bedienen können. Dies zu erreichen war enorm anspruchsvoll, zumal in der Bundeswehr eine ständige Personalfluktuation herrschte. Wehrpflichtige kamen und gingen, die meisten Unteroffiziere schieden schon nach zwei oder vier Jahren wieder aus. Die erste Generation erfahrener Feldwebel hatte die Bundeswehr nach zwölf Jahren Dienstzeit schon wieder verlassen und riss eine empfindliche Lücke. Die Offiziere durchliefen nach einem eng getakteten Plan ihre Laufbahn. Wenn in der Kampftruppe jemand vier Jahre auf seiner Position blieb, war dies schon außergewöhnlich lange. So verwundert es kaum, dass das Getriebe der Bundeswehr zwar lief, aber reichlich knirschte. Vieles konnte ohnehin nicht im Hörsaal, sondern nur im Feld, bei Manövern geübt werden. Zwar wurde im großen und kleinen Rahmen häufig trainiert. Der Truppe wurde auch »viel gutes Wollen«343 attestiert. Aber die kriegsnahe Ausbildung stieß im Frieden doch an ihre Grenzen. Die Waffenwirkung war nicht realistisch darstellbar, das hatten schon die kaiserliche Armee und die Wehrmacht bitter lernen müssen. Wie sollte man auch einen Atomschlag 418
spielen? Selbst der Effekt herkömmlicher Waffen war nur ansatzweise vermittelbar, sodass den Soldaten etwa das Verständnis für die Wirkung der Artillerie fehlte. Während der Manöver winkten Soldaten den mit großem Gedonner heranjagenden Tieffliegern fröhlich zu, anstatt in Deckung zu gehen. »Luftangriffe sind keine zivilen Flugtage«, meinte ein General dazu sarkastisch.344 In solchen Situationen zeigten sich einmal mehr die Naivität und Bequemlichkeit, mit denen es jede Friedensarmee zu tun hat. Niemand verspürte allzu große Lust, sich öfter als notwendig einzugraben, bei einer Rast Sicherungen aufzustellen und sich ständig zu tarnen. All das machte Arbeit, war mühsam und lästig – zumal, wenn man in den hektischen Manövertagen kaum geschlafen hatte. Und da in einer Übung – anders als im Krieg – die meisten Nachlässigkeiten ungestraft blieben, führten sich viele Soldaten eher auf wie interessierte Beobachter eines militärischen Schauspiels denn als Kämpfer, die den Ernstfall trainieren.345 Den kriegsgedienten älteren Offizieren standen deswegen zuweilen die Haare zu Berge. Der selbstbewusste Satz der Jägertruppen »Im Wald bin ich König« könne doch mit einer einzigen »Konfiguration von Napalm-Bomben ad absurdum geführt werden«346, meinte etwa der Inspizient der Infanterie, Alfred Ritz. Offiziere wie er wiesen immer wieder darauf hin, dass es auf Sorgfalt auch bei Kleinigkeiten ankam. Alles andere »kostet Blut«347. Doch trotz aller Passion, die viele Soldaten auch in den gesellschaftlich turbulenten Sechzigerjahren zeigten, wies ihr handwerkliches Können erhebliche Lücken auf. Stete Aufklärung, der Blick für das Gelände, die Zusammenarbeit der Waffengattungen – bei all diesen grundlegenden Aufgaben zeigten sich die typischen Mängel einer Wehrpflichtarmee im Frieden.348 419
Er sei erschrocken, schrieb Heinz Günther Guderian, wie viele Fehler beim Schießen gemacht würden. »Unsere Besatzungen sind nicht eingespielt. Sie sind zu langsam, ihnen ist der Gebrauch der Richtmittel, der Entfernungsmesser, die richtige Munitionswahl, das Zusammenspiel zwischen Kommandanten und Richtschützen nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Es fehlt den Truppenoffizieren an Routine und am Drill der Besatzungen. Es wird geschludert und man freut sich, wenn es knallt, genau wie früher beim Gewehr- oder MG-Schützen, der sinnlos in die Luft ballert, ohne Visier gestellt zu haben oder zu zielen. Wir dulden diese Schlamperei.«349 Guderian wusste, wovon er sprach. An der Seite von Heinrich Eberbach hatte er in Polen und Frankreich als junger Panzeroffizier gekämpft und 1944 als Generalstabsoffizier einer Panzerdivision in der Normandie die alliierte Luftüberlegenheit erlebt. In der Bundeswehr war er zuletzt General der Kampftruppen. Auch die Personalplanung wurde kritisiert: »Kommandeurstellen dürfen nicht als ›Karriereschleusen‹ in einer Laufbahnplanung gesehen werden. Ausbildung und Schulung des Führerkorps müssen von ihrer sterilen, akademischen und theorieverhafteten Art zurückfinden zur Praxis, zur Natur und zu dem wahren Soldatenhandwerk eines militärischen Führers, das mit steigender Verantwortung auch hohe geistige Forderungen stellt.«350 Zuweilen haperte es sogar bei der Auftragstaktik und dem Führen von vorne, mithin beim Heiligtum handwerklichen Selbstverständnisses der deutschen Armeen seit den Einigungskriegen.351 Hätte die Bundeswehr am Ende der Sechzigerjahre wirklich kämpfen müssen, wäre ihr wohl eine bittere Lektion erteilt worden. 1969 stufte die NATO die Fähigkeiten der Bundeswehr für den Ernstfall nur als »limited, although close to moderate« 420
ein.352 Das Urteil deutscher Generäle war noch kritischer. Die Streitkräfte seien im Hinblick auf den Auftrag »für das Volk und für Europa noch torsohaft«, schrieb Hermann Büschleb zur selben Zeit.353 Neidisch blickte man auf die israelische Armee, die 1967 im Sechstagekrieg eindrucksvoll unter Beweis gestellt hatte, was sie konnte. Die Israelis seien die neuen Preußen, raunte man sich zu, und das Gerücht machte die Runde, ein amerikanischer General habe behauptet, die israelische Armee könne die ganze Bundeswehr »unangespitzt« in den Boden rammen.354 Selbst der zurückhaltende Generalinspekteur Ulrich de Maizière musste einräumen, dass das Heer nur »bedingt einsatzbereit« war.355 Die Führung des Heeres registrierte die Probleme sehr genau. Manöver wurden detailliert ausgewertet, die Inspizienten der Waffengattungen besuchten emsig die Truppen und schilderten schonungslos die Lage. Auf Kommandeurtagungen besprach die Generalität, wie nachgebessert werden konnte. Das alles floss in die Jahresausbildungsweisung des Heeresinspekteurs ein. So ordnete man für 1970 vermehrte Übungen auf Kompanie- und Bataillonsebene an, um die Verbände stärker zusammenzuschweißen.356 Solche gezielten Maßnahmen zeigten kurzfristig durchaus Wirkung, ohne allerdings die strukturellen Probleme zu lösen. Freilich waren die Landstreitkräfte der meisten in Mitteleuropa stationierten NATO-Partner in einer ähnlichen Lage. Die Verbände der britischen Berufsarmee wurden insgesamt ebenso bewertet wie die deutschen, die niederländischen und belgischen Wehrpflichtarmeen noch schlechter. Nur die Leistungsfähigkeit der US-Kräfte bekam mit dem Prädikat »high« die mit Abstand beste Note der NATO.357 Flexible response – die Lösung der Probleme? 421
Während das Heer fieberhaft versuchte, an Kampfkraft zu gewinnen, um einen konventionellen Degen zu schaffen und dadurch den Einsatz des atomaren Schwertes zu vermeiden, wehrte sich die Luftwaffe mit Händen und Füßen gegen die neue Strategie der flexible response. Es ging dabei auch um die privilegierte Stellung als primus inter pares, die sie bis dahin genossen hatte. Doch seit Mitte der 1960er-Jahre musste sie sich zähneknirschend in die neue Aufgabe fügen. Die Luftstreitkräfte mussten nun stärker als zuvor die ungeliebte Rolle der Heeresunterstützung übernehmen und sollten im Ernstfall auch feindliche Flugzeuge am Boden zerstören. Der technisch anspruchsvolle Starfighter war jedoch als herkömmlicher Jagdbomber denkbar ungeeignet, zumal nur Bomben zur Verfügung standen, wie sie noch im Zweiten Weltkrieg verwendet worden waren. Die zu erwartenden Verluste waren so hoch, dass die Geschwader nach wenigen Tagen vollständig aufgerieben worden wären. Ersatz hätte es kaum gegeben, dafür war die Ausbildung der Piloten viel zu aufwendig. Die Luftwaffe würde im Ernstfall mit dem kämpfen müssen, was sie hatte. Deshalb bestand die Sorge, nicht mehr genügend Kräfte für den nuklearen Gegenschlag zur Verfügung zu haben.358 Eine entscheidende Stärkung des Heeres war von der Luftwaffe also nicht zu erwarten. Sie gelang aber auch deshalb nicht, weil die Alliierten ihre Streitkräfte in Europa reduzierten und dadurch den Gewinn an Kampfkraft durch die Bundeswehr teilweise wieder zunichtemachten.359 Auch wenn die Bundesrepublik immerhin erwirkt hatte, dass die NATO die Verteidigungslinie vom Rhein an die Elbe vorschob, war jedermann klar, dass nach wie vor nur unter Einsatz taktischer Atomwaffen ein Ansturm des Warschauer Paktes aufzuhalten war.360 Das hätte für Mitteleuropa und 422
insbesondere für Deutschland nichts anderes als die totale Vernichtung bedeutet. Die Sprengkraft der damaligen taktischen Nuklearwaffen übertraf jene der Hiroshima-Bombe deutlich. Friedrich Beermann war 1968 als deutscher Bevollmächtigter im Bereich der Northern Army Group Central Europe für die Sicherung des rückwärtigen Gebiets, die Fernmelde-, Pionier- und Sanitätsunterstützung in Norddeutschland zuständig. Im August 1968 bekam er Einblick in den neuen Emergency Defence Plan der NATO. Wenn dieser ausgeführt werde, so notierte er in sein Tagebuch, würde die »Bundesrepublik alsbald in eine Schutthalde verwandelt«361. Ein knappes Jahr später hörte er einen »recht interessanten« Vortrag des Oberbefehlshabers der NATOStreitkräfte in Mitteleuropa, General Jürgen Bennecke. »Er nimmt neben den klassischen 3 Vorstößen (Richtung Ruhr, Frankfurt und weiter südlich) jetzt auch einen durch die Norddeutsche Tiefebene Richtung Amsterdam und, unter Neutralitätsverletzung Österreichs, in den süddeutschen Raum [an]. Naiv – aber mit heller H. J.-Quex-Stimme vorgetragen war seine Schilderung über Atomeinsatz pp. Als ob die Truppen dann noch imstande wären zu kämpfen, oder ob es dann noch einen Sinn hätte zu kämpfen. Aber dies auszusprechen grenzt wohl an Vaterlandsverrat.«362 Die »barbarischen Aussichten« von Verseuchungen und abnormen Mitteln, »die die Menschen auf Generationen gefährden, sind keine Kriegsmittel mehr, deren Verwendung durch irgendeinen Zweck geheiligt werden könnte«, meinte Beermann. Doch er haderte selber mit dieser Erkenntnis. »Dann also lieber ›rot‹ als ›tot‹? Nun, das wäre die Selbstaufgabe! Aber ich frage, ob nicht die moralische Vorbereitung auch eines Partisanenkrieges die bessere Lösung sei. Man läßt die Armee des Gegners herein und begrüßt ihn 423
dann an allen Enden, so wie die Algerier es getan haben? Immerhin würde dann […] eine Lösung gefunden, die zwischen Auslöschung großer Bevölkerungsmassen und Eingestehen der Niederlage liegt.« Bei einem äußerst brutalen Gegner sei diese Alternative aber nicht sehr verlockend, und als Abschreckung wirke eine derartige Konzeption nicht.363 Der General versuchte, seine Zweifel gegenüber seinem Stab zu verbergen, und blieb während eines Manövers bei der offiziellen Haltung, dass durch militärische Tüchtigkeit und Abwehrbereitschaft in allen Disziplinen die Abschreckung aufrechtzuerhalten sei. Für ihn gehörte aber auch die konventionelle Kampfbereitschaft dazu. Tatsächlich glaubte er in seiner tiefen Skepsis, dass eine »weitgehend zersetzte Bundeswehr« die Sowjets geradezu einladen würde, eines Tages alles mehr oder weniger kampflos zu überrollen.364 Während der Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 wurde er von einer großen Nervosität gepackt. Da er die Lage nicht überblickte, befürchtete Beermann, dass die Sowjets durch Truppenverstärkungen nun mit rund vierzig Divisionen aus dem Stand angreifen könnten. »Wir haben nichts gemacht, weder die Belgier noch die Niederländer herangeführt, noch durch Einziehung von Reservisten – wie drüben – die Truppe auf Kriegsstärke gebracht. Es kann eine Riesenpleite geben, falls sie antreten.«365 Maßnahmen zur Mobilmachung hatte die Bundesregierung freilich bewusst nicht ergriffen, um die Sowjetunion nicht zu provozieren. Es gab aber Ausgangssperren am Wochenende, und manch einer geriet in helle Aufregung. Carl-Gero von Ilsemann hatte Mühe, die aufgescheuchten Troupiers seiner Panzergrenadierbrigade 1 wieder einzufangen. »Meine Panzerpionierkompanie konnte ich gerade noch daran hindern, nach einer nächtlichen Alarmübung feldmarschmäßig zu 424
einem Demonstrations-Mot-Marsch durch Süd-Niedersachsen auszurücken und dabei womöglich unseren letzten Sprit zu verbrauchen. In einem Standort wollte man gemeinsame Streifen mit dem BGS einsetzen. Die Sanitätskompanie ließ alles Gepäck verladen, wodurch vor allem die Kranken im San-Bereich in Aufregung versetzt wurden. Sie warteten wohl schon auf die am Fenster auftauchenden Russen.«366 Doch damit nicht genug. Am ersten Wochenende nach dem sowjetischen Einmarsch in die Tschechoslowakei hatte Ilsemann alle Hände voll zu tun, »um meine Kameraden abzubremsen, damit die vordersten Teile der Brigade nicht in ungestümem Angriffsschwung die Zonengrenze überschritten. Wenn von oben befohlen wird, einige Maßnahmen in den Alarmkalendern zu überprüfen, dann fangen die Bataillone an zu packen«.367 Der Kommandierende General des in Bayern stationierten II. Korps sah die Lage ebenfalls als sehr ernst an und hielt »Übertritte von tschechischen Truppenteilen über die Grenze und Eingreifen des Russen zum Gewinnen von Faustpfändern für durchaus möglich«. Karl Wilhelm Thilo konnte von seinen Generalskollegen zwar bald wieder beruhigt werden. Auch den obersten Spitzen der NATO war früh bewusst, dass kein Angriff zu befürchten war. Aber jedem war klar geworden, dass man rasch an die eigenen Grenzen gestoßen wäre, wenn es eine Offensive des Warschauer Paktes gegen die Bundeswehr gegeben hätte.368 Heeresinspekteur Albert Schnez wie auch Verteidigungsminister Helmut Schmidt beurteilten die neue Strategie der flexible response skeptisch, da sie das Abschreckungspotenzial insgesamt eher verminderte und die Wahrscheinlichkeit eines sowjetischen Angriffs ihrer Meinung nach erhöhte.369 Dass sich die USA für Westdeutschland wirklich in einen globalen Atomkrieg und damit in die 425
Selbstvernichtung stürzen würden, wurde in Bonn bezweifelt. Doch gab es zum Vertrauen in die Abschreckungswirkung der amerikanischen Atomwaffen keine Alternative, denn Deutschland hatte keinen Zugriff auf Kernwaffen und blieb trotz aller Anstrengungen konventionell schwach. Bundeskanzler Adenauer hatte zeitweise auf eine europäische Atomstreitmacht gesetzt, um unabhängig von den Amerikanern über ein eigenes Abschreckungspotenzial zu verfügen. Doch diese Pläne scheiterten am Widerstand Charles de Gaulles, der in den 1960er-Jahren im nationalen Alleingang eine französische Atomstreitmacht, die »Force de frappe« aufgebaut hatte. Immerhin erreichten die kleineren NATOStaaten und die Bundesrepublik durch massiven Druck, dass die USA ihre Truppenstärke in Europa nicht reduzierten und die atomaren Sprengköpfe sogar von 2500 auf 7200 aufstockten. Damit schien eine wirkungsvolle Abschreckung sichergestellt.370 Dass das Militär im Ernstfall das eigene Land nicht würde schützen können, galt für die Bundeswehr der Sechzigerjahre ebenso wie für die hoffnungslos unterlegene Reichswehr der Zwanzigerjahre. Doch wurde mit dem drohenden Atomkrieg die Sinnfrage des Militärs ungleich drastischer gestellt als in allen anderen Friedensepochen zuvor. Gewiss konnte man argumentieren, dass ein Krieg gar nicht mehr geführt werden konnte. Doch was sollte für die Streitkräfte die Konsequenz daraus sein? An eine konventionelle Abrüstung dachte in der Politik niemand wirklich, weder in Deutschland noch anderswo. Im Gegenteil: Aufrüstung erschien als eine Möglichkeit, um die Handlungsoptionen im Krisenfall zu erweitern. Und niemand konnte die Absichten des Warschauer Paktes mit letzter Sicherheit vorhersagen. Heute wissen wir, dass die Sowjetunion keineswegs der sicherheitspolitische 426
Hasardeur war, der nur auf eine günstige Gelegenheit wartete, seine Panzerarmeen auf den Westen loszulassen. Die großen Krisen von Berlin 1948/49 bis Prag 1968 verdeutlichen dies. Aber die enorme militärische Stärke Moskaus war nicht wegzudiskutieren. Generalinspekteur Friedrich Foertsch war während der Berlinkrise 1961 überzeugt, dass die Sowjetunion nach wie vor die Weltrevolution anstrebe und sich Europa einverleiben wolle. Für ihn standen gewissermaßen »die Türken vor Wien«371. Es schien also ratsam, sich auf ein breites Spektrum an möglichen Kriegsszenarien vorzubereiten.372 Wehrmacht in neuem Gewande? In den Divisionen und Brigaden des Heeres vermied man es, den Sinn des eigenen Tuns allzu sehr infrage zu stellen, und konzentrierte sich lieber auf das, was man selber beeinflussen konnte: die Leistungsfähigkeit der konventionellen Kampftruppen. Man vergrub sich in der heimeligen Welt der tribal cultures. Hier war man unter sich, sprach die gleiche Sprache, hatte ähnliche Ziele und Vorstellungen. Überlegungen zur Abschreckung und zur Verhinderung des Krieges überließ man getrost den Politikern, um sich derweil auf das militärische Handwerk zu konzentrieren. Auf dieser Ebene hatte sich im Vergleich zur Wehrmacht am wenigsten verändert. Ganz gleich, ob in den Führungsstäben der große oder kleine Atomkrieg als das wahrscheinlichste Konfliktszenario angenommen wurde oder der große oder begrenzte konventionelle Schlagabtausch, auf der unteren Ebene übte das Heer den schnellen Bewegungskrieg mit gepanzerten Verbänden. Den Zahn der eigenen Offensive in die DDR hatte die NATO der Bundeswehr bald gezogen373, aber es blieb deren Aufgabe, mit weit unterlegenen Kräften gegen die sowjetische Armee anzutreten. Und dies war 427
letztlich genau das, was die allermeisten Führungskräfte der Bundeswehr als junge Offiziere im Zweiten Weltkrieg auch gemacht hatten. Obgleich die Sowjets bekanntermaßen den Krieg gewonnen hatten, kultivierten die deutschen Veteranen ein erstaunliches Überlegenheitsgefühl, das sich aus dem Stolz speiste, einst alle Armeen Europas geschlagen zu haben.374 Generalmajor Artur Weber suchte diesen Stolz 1961 auf seine 12. Panzerdivision zu übertragen: »Die Sowjets werden uns zahlenmäßig stets überlegen sein. Unsere Führung auf dem Schlachtfeld wird aber überlegen bleiben, wenn wir unsere Auftragstaktik pflegen u. den selbständig handelnden Führer u. Unterführer kultivieren. Dieser Führungskunst ist es zu danken, daß im 2. Weltkrieg 5 ½ Millionen sowjetische Soldaten – Soldaten der angeblich unbesiegbaren Sowjetarmee – vor uns als Gefangene die Hände hochgehoben haben! Darum geht es!«375 Weber echauffierte sich über einen Leutnant, der während eines Manövers mit seinen Soldaten in einen Ort »eingebrochen« war. Als dieser seinem ungeduldigen Vorgesetzten erklärte, dass er auf einen neuen Auftrag warte, wurde das Gespräch »einseitig hart«. Solche Trägheit dürfe es in seiner Division nicht geben! »Weichendem Feind wird unverzüglich nachgestoßen. Von kühnen Leuten sind oft gerade in Augenblicken des Erfolges Ritterkreuze allein mit flinken Beinen u. guten Lungen zu gewinnen.« Und Weber erklärte weiter: »Es geht natürlich nicht um Ritterkreuze, sondern darum, Blut zu sparen.« Bei forschem Zupacken würden einem »Erfolge in den Schoß fallen, die wenige Stunden später schwere Opfer kosten«.376 Die Nachricht an seine Offiziere war klar: Es galt, den Führungstraditionen treu zu bleiben. Seine Soldaten sollten wissen: »Vom Iwan lassen wir uns doch nicht 428
fertigmachen.«377 Der gut ausgebildete deutsche Soldat sei den Sowjets auch bei Dunkelheit gewachsen und überlegen – das müsse man den Wehrpflichtigen unbedingt vermitteln. Es gelte in Not und Gefahr anständig zu »stehen«, »wie es deutsche Soldaten eh und je getan haben«.378 Und natürlich müsse man »härter als der Gegner« sein.379 Weber kannte den Krieg von der Ostfront 1942. Als Erster Generalstabsoffizier erst einer Jäger- und dann einer Infanteriedivision hatte er den Vormarsch in den Kaukasus und dann die harten Kämpfe südlich von Stalingrad erlebt. Ende Januar 1943 war er mit den Überlebenden der 6. Armee in Gefangenschaft gegangen und als einer der wenigen 1950 zurückgekehrt. Seine Großspurigkeit gegenüber der sowjetischen Armee diente dazu, das Selbstbewusstsein der eigenen Männer zu stärken. Ganz erfolglos scheinen solche Töne der kriegsgedienten Vorgesetzten nicht gewesen zu sein. Immerhin meinten 60 Prozent der ehemaligen Bundeswehrangehörigen 1964 in einer Umfrage, dass die Bundeswehr einen sowjetischen Angriff abwehren könne.380 Diese Haltung basierte auf der auch in Wehrmachtakten immer wieder anzutreffenden Vorstellung, dass man »dem Russen« überlegen sei. Doch wie konnte ein solcher Glaube in den 1960er-Jahren immer noch in den Köpfen herumspuken? Schließlich war die Wehrmacht in Stalingrad eingekesselt und vernichtet worden. Am Beispiel von Artur Weber lässt sich verdeutlichen, wie bruchstückhaft der Wissenstransfer von der Wehrmacht zur Bundeswehr war und wie selektiv die Realität der Front vermittelt wurde. Eine systematische Auswertung von Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg gab es in der Bundeswehr nicht. Generalinspekteur Adolf Heusinger riet 1959 schlicht dazu, jene Studien zu lesen, die ehemalige deutsche Stabsoffiziere 429
für die Historical Division der US Army geschrieben hatten.381 Doch diese waren naturgemäß einseitig, weil die Verantwortlichen von einst kaum die Richtigen waren, um das eigene Denken und Handeln kritisch aufzuarbeiten. So ging es in den Ausführungen eher darum, ein positives Bild von der Leistungsfähigkeit des Heeres im Allgemeinen und der eigenen Person im Besonderen zu zeichnen.382 Da das 1957 gegründete Militärgeschichtliche Forschungsamt es dezidiert ablehnte, sich mit anwendungsorientierten Analysen zu befassen, und zudem sich die Wehrmachtakten noch in der Hand der Alliierten befanden, erfolgte der Wissenstransfer vor allem über jene Wehrmachtveteranen, die in der Bundeswehr Karriere machten und bis in die Generalsränge aufstiegen. Doch was hatten die Führungskräfte der Bundeswehr eigentlich im Zweiten Weltkrieg erlebt? Wodurch waren sie geprägt? Schon ein exemplarischer Blick auf die Biografien der Kommandeure des Heeres in den Jahren 1969/70 weist auf einen interessanten Befund hin: Ihre Fronterfahrung hatten diese meist als junge Zugführer und Kompaniechefs in der Zeit der deutschen Siege errungen; danach durchliefen sie dann den spöttisch »Schnellbleiche« genannten, verkürzten dreimonatigen Generalstabslehrgang und wurden in Stabsfunktionen im Oberkommando des Heeres, in Korps oder Divisionen verwendet. Unter den 15 Kommandierenden Generälen und Divisionskommandeuren der Zeit 1969/70 gab es überhaupt nur zwei, die in der Wehrmacht keine Generalstabsausbildung durchlaufen hatten und ausschließlich in Truppenkommandos verwendet worden waren.383 Und nur einer von ihnen hatte sich auch 1944/45 inmitten des Schlamassels befunden: Werner Ebeling erlebte den Zusammenbruch der Ostfront als 32-jähriger Regimentskommandeur in der 58. Infanteriedivision in 430
Ostpreußen. Er war hoch ausgezeichnet und hatte 1361 Tage an der Front gestanden, von 1411 überhaupt möglichen.384 Gewiss hatten auch Offiziere in den Stäben Niederlagen und Rückzüge erlebt und dem Tod ins Auge gesehen. Aber ihre Perspektive war doch eine andere als die der Fronttruppen. Sie publizierten nach dem Krieg dann auch über Taktik und Operation385, während Ebeling das Buch »Kämpfen und Durchkommen. Der Einzelkämpfer – kriegsnahe Ausbildung für das Verhalten abseits der Truppe« schrieb und Romane verfasste, in denen er seine Erlebnisse vom Kämpfen und Töten verarbeitete.386 Es lohnt sich daher, all jene Wehrmachtveteranen einmal genauer zu betrachten, die in der Bundeswehr in den Generalsrang aufstiegen und damit diese Institution in besonderer Weise prägten. Diese Gruppe umfasste beim Heer 466 Personen.387 29 Bundeswehrgeneräle der Jahrgänge 1894 bis 1900 hatten im Zweiten Weltkrieg nicht mehr an der Front gekämpft, sondern waren zuvor schon in höhere Stabsfunktionen vor allem beim OKH aufgerückt. Auch die 179 Männer der Jahrgänge 1901 bis 1914 waren vor allem in Stabsfunktionen eingesetzt gewesen. Die Hälfte von ihnen hatte ihre Kampferfahrungen in der Phase der Blitzsiege gemacht, und nur rund zehn Prozent waren 1943/45 noch in Frontkommandos, zumeist als Regimentskommandeure eingesetzt. Und selbst bei der Jahrgangskohorte 1915–1920 erlebte nur ein Fünftel die Zeit ab 1943 bei den Kampftruppen. Viele andere befanden sich zu diesem Zeitpunkt schon in Schulen und anderen rückwärtigen Verwendungen oder kurierten in Lazaretten ihre Verwundungen aus. Rund die Hälfte jener Offiziere, die ab 1943 noch Frontkommandos innehatten, waren zudem Angehörige von Panzer- und Panzergrenadierverbänden. Sie erhielten den besten 431
Nachwuchs, waren oft noch gut ausgestattet und hatten daher immer wieder auch Erfolgserlebnisse. Nur ein Drittel diente in Infanterieeinheiten, und dann zumeist bei den wenigen erstklassigen Divisionen dieser Truppengattung. Von den 54 späteren Bundeswehrgenerälen, die zumindest zeitweise den Krieg in Italien erlebt hatten, waren nur neun in Funktionen vom Bataillonskommandeur abwärts tätig gewesen. Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Schlacht in der Normandie. Von der Ohnmacht eines schlecht ausgerüsteten Infanterieverbandes hatten die meisten späteren Bundeswehrgeneräle keine Vorstellung. Echte »Frontschweine«, also Männer, die viele Jahre in unmittelbarer Nähe der Hauptkampflinie überlebt hatten, gab es unter den 466 kriegsgedienten Heeresgenerälen gerade einmal zwölf. Den Zusammenbruch 1945 erlebte im vordersten Graben nur ein signifikanter Teil der Jahrgänge ab 1921, die erst im Verlauf der Siebzigerjahre in die höchsten Verwendungen der Bundeswehr aufrückten. Zu diesem Zeitpunkt war die Kultur der Bundeswehr längst gefestigt. Die militärische Führungsspitze verfügte also nicht über ein halbwegs repräsentatives Kriegserlebnis. Das hatte eine ganze Reihe von Gründen: In der Bundeswehr gab es ein gut funktionierendes Netzwerk der Generalstabslehrgänge des Heeres. Man kannte sich, half einander in die höchsten Posten und schloss diejenigen aus, die nicht den richtigen Stallgeruch hatten.388 Zudem hatten viele Frontoffiziere die Apokalypse des letzten Kriegsjahres nicht überlebt. Und jene, die noch einmal davongekommen waren, hatten vom Militär oftmals genug und strebten nach einer zivilen Karriere. Die desaströsen Niederlagen der zweiten Kriegshälfte waren also nur abgefedert in den Führungsetagen der Bundeswehr präsent. Die Doktrin vom Bewegungskrieg, die sich in der 432
ersten Kriegshälfte so bewährt hatte, konnte ungebrochen implementiert werden. Dass die Wehrmacht den Artilleriekrieg verlernte, dass Bewegung gegen Feuerkraft nichts ausrichten konnte, dass das Heer es versäumte, seine Taktik an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen, dass es um die Führungsfähigkeiten der schnell ausgebildeten Generalstabsoffiziere oft nicht zum Besten stand – eine nüchterne Betrachtung all dieser Erfahrungen aus der zweiten Kriegshälfte fehlte in der Bundeswehr weitgehend. Ein gutes Beispiel dafür ist Josef Moll, von 1965 bis 1968 Inspekteur des Heeres. Als Dritter Generalstabsoffizier der 14. Armee erlebte er 1944, gewissermaßen als Beobachter vom vorgeschobenen Armeegefechtsstand, den Artilleriekrieg am Brückenkopf von Anzio. Er schrieb darüber eindrücklich an seine Frau.389 Von ihm sind aber keine Initiativen bekannt, über die Grenzen der operativen Führungskunst der Wehrmacht und die Vernachlässigung der Artillerie nachzudenken. Und dies, obwohl er bereits während des Krieges ein kritischer Geist war. Die Niederlagen der Jahre 1943/45 hatten zumindest bei denen, die in der Bundeswehr in höhere Positionen aufrückten, ihr in der ersten Kriegshälfte gewonnenes Selbstvertrauen nicht grundlegend erschüttert. Zugespitzt formuliert, kam die Bundeswehrgeneralität nicht über das Narrativ von Paul Carell hinaus, der die letzte Kriegsphase ausblendete und seine Leser mit allzu bitteren Schlussfolgerungen verschonte. Fridolin von Senger und Etterlin war einer der wenigen ehemaligen hohen Wehrmachtoffiziere mit Einfluss, die schon 1951 vor falschen Schlüssen aus der Vergangenheit warnten: »Die von der deutschen Generalität vielfach vertretene […] Theorie, dass der kräftemäßig verlorene Krieg durch Rückzüge und Wiedererlangung der Bewegungsfreiheit noch hätte gewonnen 433
werden können, gehört in das Gebiet der Verkennung des wahren Wesens moderner Kriege, der Selbstüberschätzung und damit auch der gefährlichen Legendenbildung, als daraus falsche Schlüsse in Bezug auf die Aussichten, einen einfallenden Ostgegner mit unterlegenen Kräften abzuwehren, gezogen werden könnten.«390 Senger hatte – für einen Wehrmachtgeneral ungewöhnlich – vor dem Ersten Weltkrieg in Freiburg und Oxford Jura studiert, war 1950 an der Abfassung der Himmeroder Denkschrift beteiligt, Mitglied im Personalgutachterausschuss und im Beirat für Innere Führung. Für den aktiven Dienst war er aber zu alt, er starb schon 1963. Seine Mahnung ging im Chor der verklärenden Stimmen unter. Das operative Geschäft versahen in der Bundeswehr andere. Der Glaube an die operativ-taktische Überlegenheit gehörte fest zur Identität der Bundeswehr; er bezog sich aber nicht nur auf die Wehrmacht, sondern reichte zumindest bis ins 19. Jahrhundert und das Führungsdenken seit 1866 zurück. Dieses Selbstverständnis des Heeres war schon 1960 im ersten großen Manöver »Wintershield« mit der US Army zu erkennen. Die deutschen Offiziere mokierten sich über die »sehr starre« amerikanische Befehlstaktik, die der Truppe bis zum Bataillon alles haarklein vorschreibe und so jede Initiative unterdrücke. Die Bundeswehr war sichtlich stolz auf ihre Tradition der Auftragstaktik und unverändert dem Ideal einer beweglichen Kampfführung verpflichtet.391 Zu diesem Zeitpunkt sahen die Planungen der NATO vor, die Bundeswehrverbände wie an einer Perlenschnur an der innerdeutschen Grenze aufmarschieren zu lassen, um in den Verteidigungsstellungen einen sowjetischen Angriff möglichst lange aufzuhalten. Für das große Operieren fehlten noch die Kräfte. Aber im Kleinen ging es um die alte Doktrin der beweglichen Kampfführung mit gepanzerten Verbänden. In 434
der Ausbildung lag schon 1961 der Schwerpunkt auf dem Gegenangriff. Intern wurde bezeichnenderweise von »Vorwärtsverteidigung« gesprochen. Und je mehr Divisionen das Heer aufstellte, je mehr sich die NATO-Strategie hin zur flexible response entwickelte, desto mehr Gewicht bekam das Operieren in größeren Räumen und in größerem Maßstab. Ulrich de Maizière stellte 1967 das frühzeitige Anpacken des Gegners heraus, forderte ein hohes Maß an Mobilität, Flexibilität und Wendigkeit. Mit der gesteigerten Feuerkraft müsse nun weitläufiger operiert und über den Emergency Defence Plan der NATO hinausgedacht werden.392 Initiative und Beweglichkeit seien die Grundvoraussetzungen für den Erfolg im Kampf gegen eine Übermacht. »Daher lege ich hierauf einen besonderen Nachdruck.«393 Indem de Maizière in diesem Zusammenhang auch von der »Kunst der Kriegführung« sprach, stellte er sich bewusst in die Tradition von Clausewitz und Moltke d. Älteren und der von ihnen systematisierten Vorstellung, das Chaos der Schlacht ließe sich nur in einem geradezu schöpferischen Akt des Feldherrn beherrschen.394 Der Inspekteur des Heeres Albert Schnez verdeutlichte, wie im Ernstfall gekämpft werden sollte: ein kurzes Verzögerungsgefecht an der Grenze, dann rasch in eine hart geführte Abwehr. Als schwierigste Frage galt, wann »der große, kühne, kräftige Gegenangriff« zu führen war. Auch Schnez ging es um die militärische »Kunst«, den Kulminationspunkt einer Schlacht zu erfühlen.395 Und Generalleutnant Gerd Niepold, Leiter der Übung »Großer Rösselsprung«, in der 1969 zwischen Rhein, Weserbergland und Vogelsberg 60 000 Soldaten munter hin und her manövriert wurden, meinte: »Die Kriegskunst scheint mir doch nicht so fürchterlich veränderlich.« Schließlich sei alles schon mal da gewesen: »Im Kaisermanöver 1907 findet sich 435
schon der Rote Riegel nördlich Warburg und ein ähnlich gelagerter Angriff der Blauen Kräfte.«396 Dass sich die höheren Stabsoffiziere in einer langen Tradition preußischdeutschen Generalstabsdenkens sahen und ihre eigene Prägung auf der Kriegsakademie nicht verhehlten, liegt auf der Hand. Deshalb lehnte de Maizière auch ein rein defensives Konzept, wie es SPD-Staatssekretär Karl Wilhelm Berkhan im Hinblick auf die Brandt’sche Entspannungspolitik forderte, entschieden ab; es blieb bei kosmetischen Zugeständnissen. Die Doktrin der Vorwärtsverteidigung wurde in Vorneverteidigung umbenannt, das klang weniger aggressiv. Und bei der Übung »Gutes Omen« verzichtete man 1971 darauf, dass die rote Manöverpartei den Warschauer Pakt darstellte.397 Auch unter dem Damoklesschwert eines zumindest mit taktischen Nuklearwaffen geführten Krieges blieb die überlieferte Führungskultur der Landstreitkräfte erhalten. Alle Vorschriften beruhten auf der Vorstellung von Auftragstaktik, dem Gefecht der verbundenen Waffen und der beweglichen Kriegführung mechanisierter Heeresverbände, eine Tradition, die sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen lässt.398 Gewiss wurden die Vorschriften und Verfahrensweisen im Detail weiterentwickelt und an die neuen Waffen angepasst. Doch die finanziellen Grenzen der konventionellen Rüstung engten den Spielraum so ein, dass das Heer geradezu auf den alten Gedanken gestoßen wurde, die zahlenmäßige Unterlegenheit durch Schnelligkeit und überlegene Führungskunst zu kompensieren. Dies schien auch im Kalten Krieg das Gebot der Stunde, wollte man eine militärische Alternative zur Drohung mit dem kollektiven nuklearen Untergang aufzeigen. Da sich das Verständnis vom Kriege nicht grundlegend geändert hatte, knüpfte auch die Vorstellung vom Wesen des 436
Soldaten an lange Traditionslinien an. Der Begriff der Härte tauchte bis 1970 noch oft in den Akten auf.399 »Nur ein zu äußerster Härte erzogener, gut disziplinierter Soldat, der vom Willen zum Erfolg beseelt ist und durch Rückschläge nicht entmutigt wird«, könne den Anforderungen eines modernen Krieges gerecht werden. So war es in der »Konzeption des Heeres« von 1969 nachzulesen, einem der wichtigsten Grundlagendokumente der Streitkräfte.400 Erfreut wurde bei der Übung »Hermelin II« bemerkt, dass die Führer nach zwei bis drei Tagen eine Entschlossenheit bewiesen, die im Kriege stets erste Erfordernis sei. Sie hätten ihre abwägende, unsichere Haltung abgelegt, die der tägliche Dienst mit einer Vielzahl von Vorschriften, Bestimmungen, Erlassen, Richtlinien, Weisungen und Befehlen in fataler Weise fördere. Eifrig, pflichtbewusst und gehorsam habe der Soldat zu sein.401 Auch der Einklang zwischen Führer und Truppe habe sich auf den Übungen erfreulicherweise eingestellt. Dieser habe einst die hohe Schlagkraft der Wehrmacht bis zu deren Kapitulation entscheidend bestimmt.402 Begrüßenswert sei auch der Stolz der Soldaten auf die neuen Leopard-Panzer, »einem rein deutschen Erzeugnis. […] Dieses Selbstbewusstsein ist ein erfreuliches Zeichen. Es war einst die Triebfeder für die großen Erfolge der deutschen Panzertruppe.«403 Während in Fragen der Menschenführung mancher General durchaus darum kämpfte, »alte Zöpfe« und den »Unsinn« vergangener Tage abzustreifen, bestand am Kern des Selbstverständnisses kein Zweifel. »Mein Ziel ist es, aus diesem Großverband ein Korps zu machen, das im Gefecht bestehen kann. Alle anderen Dinge treten zurück«, stellte Otto Uechtritz als Kommandierender General des I. Korps im Oktober 1968 klar.404 Generalmajor Heinz Günther Guderian 437
sah dieses Grundverständnis angegriffen. Das Selbstverständnis der Kampftruppen werde »von den Modernen und denen, die es sein wollen, von den Schwarmgeistern in den eigenen Reihen, erst recht von der Umwelt in Frage gestellt«. Es gebe in einer Armee die unterschiedlichsten Soldatentypen – Spezialisten, Manager, Druckknopfkrieger, technische Funktionäre. Doch die Kampftruppen seien nicht an diesen Maßstäben zu messen. Ihr Kernauftrag sei nun einmal das Gefecht Panzer gegen Panzer und Mann gegen Mann, und das erfordere den Führer, Erzieher und Ausbilder, der junge Menschen zu »kampfgewillten und kampffähigen Soldaten« mache. Dieser Auftrag des Heeres werde, so Guderian, immer mehr zerredet. Die Folge sei, dass die Gefechtsausbildung leide und die Kampftruppen den schlechtesten Ersatz des ganzen Heeres bekämen. Sie seien aber kein notwendiges Übel und kein Anachronismus, sondern der Kern des ganzen Unternehmens. Und weil dies so war, blieb die mythisch verklärte Wehrmacht der Referenzpunkt. So schrieb Werner Krieger, ein kampferprobter Oberst, der seinem Namen im Zweiten Weltkrieg alle Ehre gemacht hatte, 1969 über die Haltung seiner Soldaten während einer Übung: »Die Wehrmacht hätte kein besseres Bild abgegeben als die 11. PzGrenDiv in diesen Tagen.«405 Entspannungspolitik und Friedensbewegung Der 21. Oktober 1969 war für die SPD der Anfang einer neuen Zeitrechnung. Erstmals seit 1930 war wieder ein Sozialdemokrat Kanzler, und Willy Brandt formulierte in seiner Regierungserklärung den Anspruch einer neuen Ära des demokratischen Aufbruchs. Inwieweit das Jahr 1969 wirklich eine Zäsur war, gar eine zweite Gründung der Bundesrepublik, wird von Historikern unterschiedlich bewertet.406 Unstrittig 438
ist, dass die neue Regierung in vielen Bereichen Reformen voranbrachte, die zuweilen Anstöße aus der Zeit der Großen Koalition aufnahmen, aber auch eigene Akzente setzten. Das gilt insbesondere für die Außenpolitik. Die Verträge mit Moskau, Warschau, Prag und schließlich Ostberlin, in denen die Bundesregierung die Oder-Neiße-Linie als deutschpolnische Grenze und die DDR als Staat anerkannte, stellten das Verhältnis zum Ostblock auf eine neue Grundlage. Man habe auf nichts verzichtet, was nicht ohnehin verloren war, erklärte Brandt. Doch den Status quo zu akzeptieren und die Wiedervereinigung von der politischen Agenda zu streichen stellte einen gewaltigen Schritt dar, der innenpolitisch hoch umstritten war. Das Viermächteabkommen über Berlin 1972 und der Beitritt beider deutscher Staaten zur UNO 1973 waren weitere Schritte zur Entspannungspolitik, die 1975 mit der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte in Helsinki ihren Höhepunkt erreichte.407 Die Supermächte hatten unterdessen Abrüstungsverhandlungen begonnen. Mit der Begrenzung der Abwehrraketen (ABM-Vertrag 1972) und dem Einfrieren der Aufrüstung mit strategischen Atomwaffen (SALT I 1972) erzielten sie einen ersten großen Erfolg. Gewiss waren damit die Systemunterschiede und die prinzipielle Blockkonfrontation nicht aufgehoben. Auf beiden Seiten war freilich der Wille deutlich erkennbar, in friedlicher Koexistenz zu leben. Taktgeber der großen Politik waren Washington und Moskau, aber Bonn hatte mit seinen innen- wie außenpolitisch misstrauisch beäugten Initiativen zur globalen Entspannung erheblich beigetragen. Die Bundeswehr wurde dadurch keineswegs überflüssig, zumal niemand an eine konventionelle Abrüstung dachte. Im Gegenteil: Der Verteidigungshaushalt wuchs zwischen 1971 und 1974 zwischen 2,5 und 7,5 Prozent. 439
Die neue Regierung investierte also viel Geld in die Streitkräfte. Diese erreichten nun die schon 1955 geplante Stärke von 495 000 Mann, und es wurden erhebliche Mittel in die Modernisierung von Waffen und Gerät gesteckt. Diese Anstrengungen waren auch ein Signal in Richtung NATO, dass man trotz Ostpolitik weiter als zuverlässiger Partner zur westlichen Allianz stand. Das innenpolitische Signal war nicht weniger deutlich: Die Bundeswehr sollte am gesellschaftlichen Fortschritt teilhaben: an der Bildungsreform, an mehr demokratischer Mitbestimmung und an der Ausweitung des Sozialstaats. Das Verteidigungsministerium wurde nach den Vorstellungen Helmut Schmidts umorganisiert. Mit Theo Sommer berief er einen promovierten Historiker und Journalisten als Chef des neuen Planungsstabes. Die Gründung der beiden Hochschulen der Bundeswehr und die Anhebung der Besoldung waren klare politische Signale. Diese Reformen waren bitter nötig, denn wenn es nicht gelang, die Bundeswehr zu einem attraktiven Arbeitgeber zu machen, würde den Streitkräften irgendwann der Nachwuchs an länger dienenden Soldaten ausgehen. Die Nachwuchsprobleme gerade bei den Offizieren waren bei Amtsübernahme der neuen Regierung enorm, und sie hielten – wie in den anderen westlichen Industrieländern – noch bis Mitte der Siebzigerjahre an. Dann erst drehte sich der Wind. Die Verkürzung der Wehrpflicht von achtzehn auf fünfzehn Monate ab Januar 1973 war ebenfalls ein deutliches innenpolitisches Signal. Die NATO-Forderung wurde damit unterschritten, was viele führende Militärs kritisch sahen. Doch im Vergleich mit den Bündnispartnern stand die Bundeswehr noch gut da; so dauerte die Wehrpflicht in Frankreich nur zwölf Monate, in Belgien nur neun. Ein wichtiger Punkt war allerdings, dass durch die verkürzte 440
Wehrpflicht mehr junge Männer eingezogen werden konnten. Und durch den Ausbau des Zivildienstes wurden nun alle halbwegs Tauglichen tatsächlich zum Dienst herangezogen. Damit bekam man das Problem der Wehrgerechtigkeit, das in den Sechzigerjahren für viel Unmut gesorgt und unter dem schon das Kaiserreich gelitten hatte, endlich in den Griff. Auch die Sozialstruktur des Offizierkorps veränderte sich. Dies war jedoch kein Ergebnis einer gezielten politischen Steuerung durch die Sozialdemokratie wie bislang vermutet wurde. Vielmehr ergab sie sich durch den verbesserten Zugang zur Bildung: Breitere Kreise der Bevölkerung legten das Abitur ab und erwarben damit die Qualifikation zur Offizierslaufbahn.408 Unter den SPD-Verteidigungsministern der Jahre 1969 bis 1982 – Helmut Schmidt, Georg Leber und Hans Apel – gab es nun auch mehr Generäle mit SPDParteibuch. Aber im engeren Sinne politische Beförderungen waren die Ausnahme, und die meisten hohen Offiziere blieben eher CDU-nah. Geradezu revolutionär war freilich, dass mit Karl Schnell 1977 erstmals in der Bundesrepublik ein General beamteter Staatssekretär wurde.409 Gegen diese Entscheidung gab es erhebliche politische Widerstände. Der auch bei den Soldaten beliebte ehemalige Gewerkschafter Georg Leber aber hatte keine Berührungsängste. Sein Nachfolger Hans Apel war da schon zögerlicher. Er war der erste ungediente Verteidigungsminister der deutschen Geschichte, und seine habituelle Distanz zum Militär war allenthalben spürbar.410 Nach den bewegten Sechzigerjahren waren die Siebziger für die Bundeswehr eine eher ruhige Zeit ohne viele Affären. Sie verschwand zwar nicht aus den Debatten, hatte aber doch einen nachrangigen Stellenwert. Lediglich der Besuch des einstigen Fliegerhelden und offen rechtsextremen Hans-Ulrich Rudel in einer badischen Kaserne erregte 1976 die 441
Öffentlichkeit und führte zum Rücktritt von zwei Generälen. Ansonsten fügte sich die Bundeswehrführung in den ihr vorgegebenen Rahmen. Auch außenpolitisch darf ihr Gewicht nicht zu hoch veranschlagt werden. Sie spielte in den großen internationalen Verhandlungen keine Rolle. Der nuklearen Bedrohung hatte sie nichts entgegenzusetzen, und selbst im konventionellen Bereich stand sie dem potenziellen Gegner geradezu hilflos gegenüber. Nach drei Tagen Kampf würden in Westdeutschland die Lichter ausgehen – davon waren alle Experten überzeugt. Die Bundeswehr war also Teil des Pflichtprogramms. Die Kür – das, was wirklich zählte – war die Entspannungspolitik. Dieser Kurs entsprach nicht nur außenpolitischer Vernunft, sondern auch einem gesellschaftlichen Klima, das ältere Strömungen wie den Kampf gegen die Wiederbewaffnung und die atomare Aufrüstung der Fünfzigerjahre, vor allem aber den Aufbruch der 68er-Bewegung aufnahm. Egon Bahr, außenpolitischer Berater Willy Brandts, träumte von einem mitteleuropäischen Sicherheitssystem, in dem die BeneluxStaaten, die Bundesrepublik, die DDR, die ČSSR und Polen die Gegensätze von Kapitalismus und Kommunismus überwinden und gemeinsam eine Art demokratischen Sozialismus entwickeln sollten.411 Durchsetzbar waren solche Projekte gewiss nicht. Sie zeigen aber, dass selbst Teile des politischen Establishments in der Sowjetunion keine Bedrohung mehr, sondern einen Partner sahen. Als mit Helmut Schmidt ein Realpolitiker ins Kanzleramt einzog, verschwanden diese Ideen dort vorerst.412 Auch ihm war zwar an der Fortsetzung der Entspannungspolitik gelegen, aber er machte sich keine Illusionen über die Bedrohung, die nach wie vor von der Sowjetunion ausging. 442
Als Moskau sein Arsenal an Mittelstreckenraketen modernisierte und ab 1976 SS-20-Raketen stationierte, war Schmidt alarmiert, weil er das atomare Gleichgewicht und die Abschreckung als wichtigste Garanten der Sicherheit betrachtete, die mit den neuen Raketen in eine gefährliche Schieflage zu geraten schienen. Die SS 20 bedrohten nur Europa, nicht die USA. Würde es durch Verhandlungen nicht gelingen, diese Waffen abzurüsten, werde auch das westliche Bündnis nachrüsten müssen, verdeutlichte er in seiner berühmten Londoner Rede im Juli 1977. Schmidt wollte damit auch verhindern, dass Europa sicherheitspolitisch von Amerika abgekoppelt wurde. Einen auf Europa begrenzten Atomkrieg wollte er von vornherein unmöglich machen. Nur wenn Moskau selber von Mittelstreckenraketen bedroht wäre, so die Überlegung, ginge von den SS 20 keine Bedrohung mehr aus. Zwei Jahre später vereinbarten die Außenminister der NATO den sogenannten Doppelbeschluss. Ihm zufolge sollten amerikanische Pershing-2-Raketen und Marschflugkörper in der Bundesrepublik, Italien, den Niederlanden und Großbritannien stationiert werden, falls es nicht gelang, in Verhandlungen die Sowjetunion dazu zu bringen, ihre SS 20 abzuziehen. Kanzler Schmidt erwies sich als verlässlicher Partner der Allianz – gegen einen immer stärkeren Widerstand aus der eigenen Partei, die in puncto Sicherheitspolitik stetig nach links gewandert war.413 Auf dem Berliner Bundesparteitag im Dezember 1979 hatten die Delegierten Schmidt noch gestützt, aber bald wurde die Kritik immer lauter. Als 1981 300 000 Menschen in Bonn gegen die Nachrüstung demonstrierten, waren auch fünfzig SPD-Bundestagsabgeordnete dabei. Schmidt verlor rasant an Rückhalt. Zu seinem Sturz im Oktober 1982 trug die sicherheitspolitische Entfremdung vom 443
Koalitionspartner – die FDP befürwortete die Nachrüstung – wesentlich bei. Einmal in der Opposition, konnten die kritischen Stimmen in der Sozialdemokratie nicht mehr gebannt werden. Bei der großen Demonstration im Bonner Hofgarten im Oktober 1983 marschierte auch der SPDVorsitzende Willy Brandt mit, und Oskar Lafontaine forderte nicht weniger als den Austritt aus der militärischen Integration der NATO.414 Auf dem Kölner Parteitag im November 1983 war Schmidt in einer geradezu gespenstischen Weise isoliert. Nur noch dreizehn Delegierte votierten zusammen mit ihm für die Stationierung der amerikanischen Raketen, 386 dagegen. Der Protest gegen die atomare Nachrüstung vereinte Milieus ganz unterschiedlicher Art: neben Sozialdemokraten und Gewerkschaften vor allem christliche Gruppen aus der evangelischen Kirche, Anarchisten, Kommunisten, freie Intellektuelle und Umweltaktivisten. Hunderttausende beteiligten sich an Massendemonstrationen in Hamburg, Bonn, Bochum und Berlin, die auch Ausdruck von Modernitätsskepsis, Zukunftsängsten und einer neuen Protestkultur waren. Hinzu kam eine dezidiert kritische Sicht auf die deutsche Geschichte. Da von deutschem Boden zwei Weltkriege ausgegangen waren, habe das Land eine besondere Verpflichtung, sich für den Frieden einzusetzen.415 Das Ordnungssystem des Kalten Krieges mit seinem Schema von Gut und Böse, Schwarz und Weiß überzeugte diese Menschen nicht mehr.416 Sie wollten die Entspannungspolitik der Siebzigerjahre fortsetzen und einen Weg aus der Blockkonfrontation finden. Hochgerüstete Streitkräfte erzeugten für sie keine Sicherheit. Im Gegenteil: Das Konzept der Abschreckung erschien als ein unverantwortliches Spiel mit dem Feuer, das die Welt in den nuklearen Abgrund zu stürzen drohte. Der NATO-Doppelbeschluss von 1979 wirkte 444
da wie ein Fanal zum Widerstand – und dies nicht nur in der Bundesrepublik. Die Friedensbewegung war ein transnationales Phänomen des Westens und erfasste in deutlich abgemilderter Form sogar die andere Seite des Eisernen Vorhangs. Da beide Supermächte den Globus ohnehin mehrfach hätten vernichten können, erschien eine Nachrüstung von Mittelstreckenraketen unnötig und unsinnig. Das Misstrauen gegenüber den Vereinigten Staaten und den Militärs schürte Ängste, in den Stäben der NATO würde womöglich kühl mit der Möglichkeit eines Atomkriegs gespielt. Entsprechende Äußerungen manches Pentagon-Strategen gossen Öl ins Feuer. Diffuse Untergangsängste spiegelten sich in Filmen wie »The Day After« oder »War Games« wider. Viele Friedensaktivisten bezweifelten, dass die Sowjetunion aggressive Absichten haben könnte. Aus ihrer Sicht war das bis an die Zähne bewaffnete Land rein defensiv ausgerichtet. Und so protestierte man gegen die amerikanische Intervention in Nicaragua417, nicht aber gegen die Besetzung Afghanistans durch die Sowjets oder die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen. Der Krefelder Appell vom November 1980 forderte von der Bundesregierung, die Zustimmung zur Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen zurückzuziehen, den »selbstmörderischen Rüstungswettlauf« zu beenden und sich für eine alternative Sicherheitspolitik einzusetzen. Bis 1983 unterschrieben ihn vier Millionen Bürger. Sie wussten nicht, dass er unter maßgeblichem Einfluss der SED zustande gekommen war, die über die von ihr finanzierte Deutsche Friedens-Union eine antiamerikanische Stoßrichtung durchsetzen konnte. Hinweise auf die sowjetischen SS 20 enthielt der Appell nicht. Freilich waren die vier Millionen 445
Unterzeichner mehrheitlich keine Kommunisten, wie Frank Bösch betont hat.418 Sie waren zweifellos ehrlich um Frieden und Abrüstung bemüht. Selbst die Handlanger der DDR konnten die so heterogene Friedensbewegung nicht wie eine Marionette steuern. Gleichwohl spielte die ostdeutsche Subversionsarbeit eine nicht zu unterschätzende Rolle. Geschickt verstärkte sie die Tendenz einer allzu einseitigen Kritik an den Vereinigten Staaten und der NATO. Aus heutiger Sicht ist bemerkenswert, dass die Existenz des größten Militärpotenzials, das je in der Menschheitsgeschichte mobilisiert wurde – nämlich dasjenige des Warschauer Paktes –, in den Debatten der Friedensbewegten kaum eine Rolle spielte. Gewiss gab es auch Stimmen, die von der Sowjetunion Schritte zur Abrüstung einforderten. Sie waren im Diskurs aber kaum vernehmlich.419 Kanzler Helmut Kohl war ohnehin entschlossen, einen proamerikanischen Kurs zu steuern, und hielt an der Nachrüstung fest – auch, als es im Oktober 1983 in Bonn zur größten Demonstration in der Geschichte der Bundesrepublik kam und 500 000 Menschen gegen die Stationierung der USMittelstreckenraketen auf die Straße gingen. Das war Wasser auf die Mühlen Moskaus, wo man – nach allem, was wir wissen – zwar keine militärischen Angriffspläne hegte, aber politisch auf die Spaltung des Westens und die Zurückdrängung des amerikanischen Einflusses hinarbeitete. Für Kohl waren die Protagonisten der damaligen Friedensbewegung »schlicht und einfach Vaterlandsverräter«420. Damit meinte er wohl nicht nur jene, die nachweislich im Sold Erich Mielkes standen, sondern auch jene Teile von SPD und Grünen, die mit der Idee eines Vaterlandes, das es gegen die kommunistische Diktatur zu schützen galt, nichts mehr anfangen konnten. Kohl gewann die 446
Bundestagswahl von 1983 deutlich gegen den SPDKandidaten Hans-Jochen Vogel. Dafür gab es viele Gründe, aber ganz offensichtlich bestand die westdeutsche Bevölkerung nicht nur aus Friedensaktivisten. Eine Mehrheit war vom Ordnungssystem des Kalten Krieges durchaus noch überzeugt.421 Im November 1983 begann die Stationierung amerikanischer Pershing-2-Raketen in Baden-Württemberg. Die Massendemonstrationen hielten an, auch wenn die Teilnehmerzahlen nun rapide abnahmen. Die Friedensbewegung hatte ihren Zenit überschritten. Bis heute wird darüber gestritten, welche Langzeitwirkung sie hatte. Manche sehen sie als Vorkämpfer der Zäsur von 1989/91, da dank ihrer Existenz Gorbatschow von der Friedfertigkeit des Westens überzeugt werden konnte. Allerdings erscheint es plausibler, den Rüstungsanstrengungen der NATO, dem Doppelbeschluss und den öffentlichkeitswirksamen Plänen zur Raketenabwehr im Weltraum (SDI) einen weit größeren Einfluss auf den Zusammenbruch der Sowjetunion zuzumessen.422 Die NATO zwang den Kreml in eine Hochrüstung, der er wirtschaftlich nicht gewachsen war. Und auch der INF-Vertrag, in dem die beiden Supermächte 1987 die Verschrottung ihrer Mittelstreckenraketen vereinbarten, wäre kaum zustande gekommen, wenn die Vereinigten Staaten 1983 auf die Stationierung verzichtet hätten. Schmidt und Kohl wiesen also den richtigen Weg. Wirkungslos war die Friedensbewegung dennoch nicht. Sie hatte innenpolitisch und innergesellschaftlich erhebliche Folgen, was sich nicht zuletzt in der anhaltend kritischen Haltung zur Bundeswehr zeigte.423 Um die westdeutschen Streitkräfte ging es in den erregten Debatten der frühen 1980er-Jahre allerdings nur indirekt. Dominierendes Thema der Außen- und Sicherheitspolitik 447
waren die Atomwaffen der Supermächte. Durch die fundamentale Kritik am Prinzip der Abschreckung, die Forderung nach allgemeiner Abrüstung und die pazifistische Kritik am Militär geriet dann aber auch die Bundeswehr ins Visier der Friedensbewegung. Forderungen nach ihrer Abschaffung, zumindest aber nach ihrer weiteren Demokratisierung und Zivilisierung machten die Runde.424 Als die Bundeswehr zum 25. Jahrestag des NATO-Beitritts im Mai 1980 ein öffentliches Gelöbnis mit 1200 Rekruten im Bremer Weser-Stadion veranstaltete, protestierten 10 000 Demonstranten lautstark und zunächst friedlich. Doch die Situation eskalierte bald, und das beschauliche Bremen erlebte eine Straßenschlacht, wie es sie dort noch nie gegeben hatte. Molotow-Cocktails und Steine flogen in Richtung Polizei, und einige Hundert Protestler versuchten, das Weser-Stadion zu stürmen, was nur mit Mühe verhindert werden konnte. Der Bundespräsident wurde per Helikopter eingeflogen, da der Landweg zu unsicher schien. Das Gelöbnis konnte dann wie geplant durchgeführt werden. Verletzt wurden 257 Polizisten, drei Soldaten und mindestens 50 Demonstranten. Die meisten hatten friedlich protestieren wollen, aber die Organisatoren waren keineswegs pazifistisch orientiert. Die von der DDR finanzierten DKP-nahen Friedensgruppen sowie Autonome und Maoisten wollten die Bundeswehr und die NATO insgesamt in Misskredit bringen. Das gelang zwar nicht, aber der militante Protest war dennoch ein Erfolg: In den nächsten zehn Jahren wurden Gelöbnisse nur noch hinter Kasernenmauern durchgeführt, obwohl zwei Drittel der Westdeutschen mit der öffentlichen Form des Rituals einverstanden waren.425 Auf die Bundeswehr wirkte dieser Rückzug wie eine barsche Zurückweisung. »Sind wir Soldaten die Trottel der Nation? Wollen die überhaupt verteidigt werden?«, fragten sich etliche Soldaten, und auch, ob dies 448
noch das Land sei, für das sie einmal die Uniform angezogen hatten.426 Die Krawalle von Bremen waren nur die Spitze des Eisbergs. »Der Beitrag der Streitkräfte zur Sicherung des äußeren Friedens in Freiheit wurde im öffentlichen Bewusstsein zunehmend weniger anerkannt«, schrieb Generalinspekteur Jürgen Brandt 1981 frustriert. »Damit nahm auch die Einsicht in die Notwendigkeit von Streitkräften ab. Zudem wirkten die veränderte Einstellung zu Autorität und Pflicht sowie der Rückgang formaler Ordnungsprinzipien in der Gesellschaft sich auch in den Streitkräften aus und erhöhten innere Vorbehalte zusätzlich.«427 Die Umfragen zeigten jedoch ein ambivalentes Bild. Hohe Zustimmungsraten erhielt die Bundeswehr als Institution. Rund drei Viertel der Befragten meinten, ihre Existenz sei sehr wichtig oder wichtig, nur gut sechs Prozent hielten sie für gefährlich oder überflüssig.428 Immerhin meinten 57 Prozent, dass sich die Bundesrepublik militärisch gegen einen Angriff wehren sollte. Falls dabei auch Atomwaffen eingesetzt werden würden, waren zwei Drittel allerdings dagegen. Anders sah es bei der Frage aus, selber Militärdienst zu leisten. 54 Prozent der befragten jungen Männer zwischen 18 und 24 Jahren sagten, sie würden das nur ungern tun, lediglich sechs Prozent gaben 1980 an, gerne Soldat sein zu wollen. Hinzu kam, dass man den Streitkräften nicht viel zutraute. 1980 glaubte nur ein Drittel der Bevölkerung, dass die Bundeswehr in der Lage sei, das eigene Land zu verteidigen.429 Der Sieg Helmut Kohls bei der Bundestagswahl 1983 änderte an diesem Befund nichts grundsätzlich. Die von Kohl angekündigte, von linker Seite befürchtete und von Konservativen gerade auch aus der Kriegsgeneration erwartete430 »geistig-moralische Wende« blieb im 449
Wesentlichen aus. Mehr noch als beim Regierungswechsel von 1969 dominierte die Kontinuität zumindest der gesellschaftlichen Haltungen. Das Gros der Bundesbürger hielt die Bundeswehr weiter für eine wichtige staatliche Institution, aber die Skepsis gegenüber dem Militärdienst blieb bestehen, zumal ab 1984 das Gefühl rapide abnahm, von der Sowjetunion bedroht zu werden.431 Der Zivildienst hatte sich längst zu einer weithin akzeptierten Ersatzlösung für all jene entwickelt, denen eine zivile Tätigkeit sinnvoller erschien als der Dienst an der Waffe. Im Übrigen nahm auch die Zahl der Bundestagsabgeordneten rapide ab, die selbst Militärdienst geleistet hatten – sei es bei der Wehrmacht oder der Bundeswehr. 1969 war mit rund 64 Prozent ein Allzeithoch seit 1919 erreicht. 1982 gab nur noch ein knappes Drittel der männlichen Parlamentarier an, einmal Uniform getragen zu haben.432 In den heftigen Debatten, die rund um den 40. Jahrestag des Kriegsendes geführt wurden, ausgelöst durch den Besuch des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Bitburg am 5. Mai und die Rede Richard von Weizsäckers am 8. Mai 1985, war das Verhältnis der Bundeswehr zur Wehrmacht kein Thema. Die Grünen als die in dieser Hinsicht aktivste Oppositionspartei stellten ihre erste Kleine Anfrage zu diesem geschichtspolitischen Kontext erst im Juni 1987 im Bundestag; Anlass war das vom Heeresamt herausgegebene Buch Kriegsnah ausbilden433, das an Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg anknüpfte. Ansonsten konzentrierten sie ihre parlamentarische Kontrollfunktion in puncto Bundeswehr ganz auf Fragen des Atomwaffeneinsatzes, der Manöver und der Kriegsplanungen.434 450
Reformen Bildungsoffensive Die Bundeswehr wurde von Anfang an in das innenpolitische Reformprogramm der sozialliberalen Regierung einbezogen. Überall im Land entstanden neue Universitäten, und im Oktober 1973 erhielten auch die Streitkräfte in Hamburg und München ihre eigenen Hochschulen. Das Studium war für alle jungen Offiziere nun verpflichtend.435 Auch für die Unteroffiziere wurden die Weiterbildungsmöglichkeiten deutlich erweitert. Neu war die Möglichkeit, in der Dienstzeit die Meisterausbildung in einem Handwerksberuf abzuschließen. So mauserte sich die Bundeswehr allmählich zu einer attraktiven Weiterbildungsinstanz, die vielen Soldaten den sozialen Aufstieg ermöglichte und den Zeitsoldaten nach dem Ausscheiden die Eingliederung in die zivile Berufswelt erleichterte. Öffentliche Debatten um die Innere Führung gab es nun nicht mehr. Es gab keine zweite Heye-Affäre, keine neue Schnez-Studie, keinen Aufstand der Hauptleute. Doch unter der Oberfläche rumorte es noch. Etliche Offiziere waren mit dem Kurs der sozialliberalen Regierung alles andere als einverstanden. Sie befürchteten das Abdriften in eine sozialistische Gesellschaft und eine lebensbedrohliche Gefährdung des eigenen Staates durch die Ostpolitik436, und sie kritisierten den SPD-Vordenker Egon Bahr und die Jusos – was in weiten Teilen des konservativen Lagers zu dieser Zeit üblich war. Generalmajor Richard Reichenberger, der wenige Jahre später zum stellvertretenden Inspekteur des Heeres aufstieg, sah 1973 »zu viele Kräfte am Werk, die entweder von Utopia kommen oder nach Utopia wollen und damit zielgerichtet den Neutralismus anstreben. Mir schwant Schlimmes!«437 Von den »Nichtskönnern von Bahr über 451
Brandt bis Baudissin«438 war die Rede. Manch einer befürchtete, dass das Heer Zug um Zug in eine sozialistische Truppe umgewandelt werden sollte, deren Schlagkraft kaum noch interessiere.439 Hermann Büschleb hatte es im Frühjahr 1971 geschafft, die Verhältnisse in der 7. Panzergrenadierdivision in Unna zu beruhigen, deren Hauptleute den öffentlichen Aufstand geprobt hatten. Den gesellschaftlichen Wertewandel und die gewollte Ausrichtung der Streitkräfte auf den Frieden sah er gleichwohl skeptisch. »Die Soldaten sind nur noch Funktionsträger im Frieden.«440 Sie seien »materiell verseucht, lustlos, ohne Ideale«.441 Es fehle in der Ausbildung an »tatsächlicher Härte, Gewöhnung an Durchstehen von Anstrengungen, Panikabwehr, Selbstdisziplinierung, körperlicher Haltung«.442 Allenthalben waren Klagen über den Wandel im Offizierkorps zu hören, das sich nach Ansicht jener, die im »alten Geist« der Aufbauzeit den Dienst versahen, zu sehr auf den Frieden einstellte.443 Dazu passte die Kritik an den Hochschulen der Bundeswehr. Schier endlos hatte man in den Sechzigern über mehr Bildung diskutiert. Selbst konservative Denker wie Heinz Karst waren der Ansicht, dass die Streitkräfte mit der Akademisierung der Gesellschaft Schritt halten mussten. Freilich gab es die Sorge, sich damit die Zustände an den zivilen Universitäten in die Streitkräfte zu holen oder die jungen Offiziere zu truppenfern zu erziehen.444 Solche Befürchtungen gab es beileibe nicht nur in den Kampftruppen des Heeres.445 Aber dort war die Kritik besonders scharf, weil nun alle Offiziere studieren mussten, selbst wenn sie es gar nicht wollten. Der erfahrene Troupier drohe auszusterben, hieß es. Der junge Fallschirmjäger-Oberleutnant Fritz Zwicknagel prophezeite, dass Nichtakademiker im Heer keine 452
entscheidenden Positionen mehr einnehmen würden und die Kunst der Führung brotlos werden würde.446 So weit kam es indes nicht, da die ersten studierten Offiziere447 erst nach dem Ende des Kalten Krieges in höhere Führungspositionen aufrückten. Eine Mehrheit von ihnen hatte das Studium sowieso befürwortet. An den Hochschulen in Hamburg und München bildeten sich rasch drei Gruppen: Die einen wollten Berufsoffizier werden und sahen das Studium als eine gute Möglichkeit, ihre Bildung zu verbessern und in übergeordneten Zusammenhängen zu denken. Der Fokus der zweiten Gruppe war ganz auf den späteren Zivilberuf ausgerichtet. Diese Männer waren oftmals nur deshalb in die Bundeswehr eingetreten, um den Numerus clausus zu umgehen und mit Gehalt studieren zu können. Sie hatten eine hohe Studienmotivation, strebten nach einer möglichst guten Diplomnote und interessierten sich wenig für die Rolle als Soldat. Die dritte Gruppe identifizierte sich mit dem Militär; das Studium war für sie eine Art Lehrgang, der zu absolvieren war, bevor man endlich Aufgaben in der Truppe übernehmen konnte. Das Selbstverständnis dieser drei Gruppen klaffte weit auseinander. Während die einen zuweilen eine Militarisierung des Studiums kritisierten, klagten die anderen über einen Mangel an Soldatentum.448 Hinzu kamen Spannungen zwischen dem Lehrpersonal und den Studenten, weil manche der jungen Offiziere sich dem betont militärkritischen Duktus mancher Dozenten nicht beugen wollten. Werner von Scheven, ein kluger und besonnener Offizier, der sich immer wieder in Stabsfunktionen mit der Inneren Führung befasste, blickte trotz aller Vorteile der Bildungsoffensive mit Sorge auf die Entwicklung der Hochschulen der Bundeswehr: »Mehr als nur einzelne Professoren der einschlägigen Fachbereiche nehmen ihre 453
Aufgabe mit emanzipatorisch-gesellschaftsverändernden Ambitionen wahr, die den soldatischen Erziehungszielen entgegengerichtet sind.« Pluralität in der Erziehung sei schön und gut, führe aber auch zum Verlust an beruflichem Konsens, an Homogenität im Wertebewusstsein und im Führungsverständnis. Gemeinsame Grundüberzeugungen, so Scheven, hätten funktionale Bedeutung für den Krieg, auf den man sich vorzubereiten habe. Es sei daher bedenklich, wenn sich die militärspezifische Berufskultur auflöse und stattdessen Bürokratismus und Technokratisierung zwangsläufig zunähmen.449 Auch Hans-Dieter Bastian, ein Bonner Religionspädagoge, der intensiv über die Bundeswehr forschte, äußerte sich 1984 deprimiert über einen Besuch an der Hochschule in Hamburg. Es gebe kaum militärische Inhalte im Lehrprogramm, da die Professoren der Erziehungsund Gesellschaftswissenschaften diesen Stoff geradezu empört ablehnten. »Sieht man im Bild des Offiziers den Führer, Erzieher und Ausbilder, dann kann die Studienphase in Hamburg nur als kontraproduktiv bezeichnet werden«450, resümierte er. Die Bundeswehrhochschulen waren zivil-militärische Zwitterwesen, in denen sich das spannungsreiche Verhältnis von Gesellschaft und Militär wie in einem Brennglas bündelte. Sie sollten eine freie akademische Ausbildung bieten, ohne dabei den Status ihrer Studenten als Offiziere aus den Augen zu verlieren. Doch die vielfach dezidiert militärkritischen Dozenten hatten ganz andere Vorstellungen von der Lehre als viele Offiziere inner- und außerhalb der Universität. Sie befürchteten stets, dass die Militärs die Grundlagen der akademischen Ausbildung schleifen würden. Es gab sogar die Sorge, dass Offiziere mit Hochschulstudium nach ihrer Bundeswehrzeit in hohe Positionen in der Wirtschaft und 454
Verwaltung aufrücken könnten. Wer konnte schon sagen, ob sich auf diese Weise nicht Verhaltensweisen der Streitkräfte auf die Zivilgesellschaft übertrugen, sich gar Netzwerke ehemaliger Offiziere in Firmen und Behörden bildeten?451 Zu Anfang gab es also zahlreiche Vorbehalte. Die Akademisierung der Offiziersausbildung brauchte Zeit, um sich durchzusetzen. Aber sie war zweifellos eine wichtige Errungenschaft und wurde schließlich in den Streitkräften akzeptiert. An der Dreiteilung der Studentenschaft hat sich indes bis heute nichts geändert.452 Grenzen der Inneren Führung Die Reaktionen auf die Einführung des Bundeswehrstudiums zeigten, dass mit dem Abflauen der großen öffentlichen Skandale die innere Zerrissenheit des Offizierkorps keineswegs überwunden war. Das betraf auch die Haltung zur Inneren Führung. Einer ihrer Protagonisten war Carl-Gero von Ilsemann. Er war ein außerordentlich kluger und reflektierter Zeitgenosse, avancierte 1969 zum Pressesprecher Helmut Schmidts und stieg bis zum Kommandierenden General auf. Begonnen hatte er seine Karriere im Referat Graf von Baudissins. Das Thema der Inneren Führung hatte ihn auch in seinen Truppenverwendungen immer besonders interessiert. Sein Buch über die »Bundeswehr in der Demokratie« war ein kräftiges Plädoyer für die Praxistauglichkeit dieses Konzepts.453 Die Wirkung solcher Publikationen blieb – ähnlich wie bei entsprechenden Vorschriften – jedoch begrenzt. Während im Heer jeder mit der Auftragstaktik oder dem Führen von vorne etwas anfangen konnte, blieb der Begriff der Inneren Führung schwammig. Die meisten verstanden darunter lediglich den vernünftigen Umgang mit den Soldaten. Selbst der zivile Leiter des Planungsstabes im Verteidigungsministerium, 455
Walter Stützle, sah das so. Er hielt das Konzept für ein zeitloses Denkmodell. Konkret anwendbar sei nur die zeitgemäße Menschenführung.454 Freilich ging die Idee der Inneren Führung weit darüber hinaus. Sie sollte die Identifikation mit den Werten und Normen von Gesellschaft, Staat und Streitkräften sicherstellen und den Bezug zum rechtmäßigen politischen Willen von Parlament und Regierung verdeutlichen. Doch dieser Anspruch blieb für den Truppenalltag zu abstrakt. Das Konzept verkam zur »puren Theologie«455, war vielfach nicht mehr als eine »Beschwörungsformel«456, und seine Dogmatisierung führe zu bloßen Lippenbekenntnissen, so war zu hören. Das lag auch daran, dass die Innere Führung durch eine Vielzahl von Vorschriften bis ins Kleinste reglementiert wurde. Diese Kodifizierung erlaubte zwar Kontrolle. Aber eine demokratische Gesinnung im Geiste des freiheitlichdemokratischen Rechtsstaates457 ließ sich kaum vorschreiben. Sie war nur in einem steten Prozess zu erreichen. Dazu brauchte es Freiräume, vor allem die Möglichkeit, die Dinge auch unterschiedlich zu interpretieren. Doch die Regelwut stand dem im Wege. Dafür wusste jedermann, was in die Zustandsberichte geschrieben werden musste: Überall war vom kooperativen Führungsstil die Rede, was immer der einzelne Offizier darunter verstehen mochte. In jedem Fall klang es gut, und »oben« wollte man es so hören. Im militärischen Verwaltungsalltag wurde unter Innerer Führung ein Bündel von »weichen Themen« subsumiert, etwa das Disziplinarund Beschwerdewesen, die Kriegsdienstverweigerung und die Politische Bildung. In die Militärische Führungslehre war sie nicht integriert, sondern wurde als Fremdkörper angesehen. Nur wenige Kommandeure, die sich persönlich für das Thema 456
interessierten, füllten das sterile Konzept mit Leben. Das bedeutet freilich nicht, dass die Soldaten keine Demokraten waren. Für viele wurde schlicht zu viel Aufhebens um derlei Konzepte gemacht. Manches kam ihnen wie eine weltfremde Heilslehre vor, über die sich hinter vorgehaltener Hand beißender Spott ergoss. Über die Seminare am Zentrum für Innere Führung schrieb ein Oberstleutnant, der es immerhin bis zum Kommandeur eines Panzeraufklärungsbataillons und Referenten im Führungsstab der Streitkräfte brachte: »Tage der ritualisierten Hilflosigkeit, Gebetsmühlen, tonnenweise guter Wille, heilige Einfalt. Der Kaiser aber bleibt nackt, unerbittlich nackt. Sie mögen so viel Papier bedrucken, wie sie wollen. Und doch ist all das nichts als der traurige Reflex der gebrochenen Identität des deutschen Volkes – der krampfhaft klägliche Versuch der politischen Entschuldigung für die Existenz der Armee.«458 Ein fester Bestandteil der Inneren Führung war das Konzept des Staatsbürgers in Uniform, des mündigen Bürgers, der aus innerer Überzeugung seinen Dienst in den Streitkräften leisten sollte. Die Wehrpflichtigen traten indes nicht aus staatsbürgerlicher Einsicht in die Armee ein, sondern schlicht, weil sie es mussten.459 In der Schule hatten sie nichts von den hehren Konzepten der Bundeswehr gehört. Das gültige Leitbild vom Staatsbürger werde von keinem Erziehungsinstitut und keiner Jugendorganisation mehr geteilt, stellte von Ilsemann fest. Die meisten Vertreter von Kirche, Bildung und Jugendarbeit würden ein Bild des Konsumbürgers mit beschränkter Haftung vermitteln, der sich selbst verwirklicht. Der Staat werde dabei auf ein Dienstleistungsunternehmen reduziert.460 »Idee und Tradition der allgemeinen Wehrpflicht haben in diesem Land bald keine tragfähige Grundlage mehr. Wir leben von 457
Selbstverständlichkeiten, die keine mehr sind«461, schrieb Werner von Scheven 1983. Diese Worte waren in ihrer Absolutheit gewiss überspitzt, trafen aber den Trend der Zeit. Die Zahl der Wehrdienstverweigerer stieg kontinuierlich. 52 Prozent der Abiturienten entschieden sich ohnehin für den Zivildienst. In gewisser Weise entwickelte sich die Bundeswehr trotz Wehrpflicht zu einer Freiwilligenarmee.462 Es war abzusehen, dass sich Ende der Achtzigerjahre die Lage dramatisch zuspitzen würde, wenn die geburtenschwachen Jahrgänge eingezogen werden würden. Aus Sicht der Bundeswehr musste also dringend etwas unternommen werden. Es gab allerlei Werbemaßnahmen, um das Image der Streitkräfte zu verbessern, etwa die Finanzierung einschlägiger Publikationen. Ein besonders anschauliches Beispiel ist »Das große Buch der Bundeswehr« aus der Feder von Oberstleutnant Hans von Gottberg.463 Beim Schulbuchverlag Ensslin & Laiblin464 erschienen, erzählte es für ein jüngeres Publikum die deutsche Militärgeschichte von den Germanen bis zur Bundeswehr als bruchlose Abfolge von Abenteuergeschichten. Etliche Beschreibungen von Waffen und Kriegsgerät galten einer technikbegeisterten Leserschaft. Das Buch lieferte ein haarsträubend schöngefärbtes Narrativ über die Wehrmacht, den Krieg an sich und die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr. Der Leser konnte sich eigentlich nur begeistert zur Fahne melden – so vermutlich die Erwartung. Leider wissen wir über die Wirkung dieser und etlicher ähnlicher Publikationen nichts Genaues. Den gesellschaftlichen Trend konnten sie gewiss nicht aufhalten, und es ist zu vermuten, dass derlei Schriften ohnehin nur von denen gelesen wurden, die schon eine positive Einstellung zum Militär hatten.465 Ergänzend zu seinen publizistischen Maßnahmen versuchte das Verteidigungsministerium, die 458
Bildungspolitik der Länder über die Kontaktgruppe der Kultusministerkonferenz in die Pflicht zu nehmen. Dort verlautbarte ein Offizier, dass die Erziehung zum Dienen der originäre Auftrag der Schule sei. Die Streitkräfte würden erwarten, dass die Schule ihre Schüler zu staatsbejahenden Bürgern erzieht, zu Treue, Gehorsam und Mut, zu Männern, die zur Kameradschaft fähig seien.466 Doch solche Vorstellungen gingen an den gesellschaftlichen Realitäten vollkommen vorbei. So musste die Bundeswehr notgedrungen versuchen, mit eigenen Mitteln das nachzuholen, was Staat und Gesellschaft nicht leisten konnten und wollten. In- und außerhalb des Unterrichtsraums galt es insbesondere die Wehrpflichtigen davon zu überzeugen, dass es sich lohne, die freiheitlichdemokratische Grundordnung zu verteidigen. Es ging nicht mehr um Begriffe wie Vaterland oder Heimat, der Verfassungspatriotismus sollte es nun richten. Doch die Idee, dass die jungen Wehrpflichtigen die Streitkräfte als eine demokratische Institution erlebten, die ihre Liebe zum politischen System weckte, war von vornherein eine realitätsferne Kopfgeburt. Für dienstältere Berufssoldaten mochte dies funktionieren, weil sie eine hohe Loyalität zu Staat und Armee entwickelt hatten. Aber wie sollten in einer militärischen Organisation Freiheit und Mitsprache für Wehrpflichtige erlebbar gemacht werden, wie es die Theorie der Inneren Führung vorsah? Selbst wenn die Vorgesetzten mit ihren Untergebenen als Team arbeiteten – wie etwa auf den Schiffen und Booten der Marine –, war der Unterschied zur Zivilgesellschaft nicht aufzulösen. Der Kommandeur des Zentrums für Innere Führung, Werner Lange, beklagte 1980, selbst die Zeitsoldaten würden ihre Motivation kaum aus der Überzeugung ziehen, dass der 459
demokratische Staat erhaltens- und schützenswert sei. Relevant sei vielmehr die Aussicht auf einen festen Arbeitsplatz, ein gesichertes Einkommen und eine gute, auch im zivilen Leben nützliche Ausbildung. Für Lange war die fehlende sittliche oder politische Motivation eine Art geistige Niederlage, die eine militärische nach sich ziehen würde. Er fühlte sich gar an den französischen Antikriegsslogan Mourir pour Dantzig?467 vom Mai 1939 erinnert. Alle materiellen Rüstungsanstrengungen seien wertlos, wenn den Männern nicht klar sei, wofür sie eigentlich Soldat seien.468 Wundern konnte man sich über diese Einschätzung angesichts der kritischen gesellschaftlichen Debatten freilich nicht. Die Streitkräfte waren schlicht nicht in der Lage, staatsbürgerliches Pflichtbewusstsein und sicherheitspolitische Bildung zu vermitteln, wenn sich Schule und Elternhaus dafür nicht oder nur noch am Rande interessierten. Zwar wurde die Stundenzahl für die Politische Bildung während des 15monatigen Grundwehrdienstes immer weiter erhöht, doch die Gruppen- und Zugführer, mit denen die Wehrpflichtigen vor allem zu tun hatten, waren mit der Aufgabe der Sinnstiftung zumeist heillos überfordert.469 Wie sollten junge Unteroffiziere, die selbst kaum länger als ein Jahr die Uniform trugen, vermitteln, dass es sich lohne, die Demokratie zu verteidigen? Selbst die Kompaniechefs waren oft nicht ausreichend qualifiziert, um einen guten staatsbürgerlichen Unterricht zu geben.470 In der Praxis fiel der Unterricht über die »weichen« Themen oft aus oder wurde auf den Freitagmittag gelegt, wenn die Aufmerksamkeit ohnehin mehr dem Wochenende galt. Mehrere Studien belegten, dass es der Bundeswehr trotz aller Bemühungen nicht gelang, den Wehrpflichtigen den Sinn ihres Dienstes begreiflich zu machen.471 Kluge Köpfe erkannten dann auch, dass die 460
Ausbildungsziele für die Politische Bildung der Mannschaften zu hoch gesteckt waren und ein Scheitern vorprogrammiert war.472 Freilich war es schon dem Kaiserreich nicht gelungen, seine Soldaten politisch zu erziehen und ihnen Gottesfurcht und Kaisertreue beizubringen. Erinnert sei nur daran, dass der staatspolitische Unterricht 1910 aufgegeben wurde. Der NSStaat hatte seine Soldaten gewiss stärker politisiert, aber auch ihm gelang es nicht, aus der Wehrmacht die gewünschte NSVolksarmee zu machen. Von allen hier untersuchten Beispielen betrieb die NVA den größten Aufwand der politischen Einflussnahme, aber selbst sie schaffte es nicht, die Wehrpflichtigen zu treuen Sozialisten zu erziehen, worauf noch einzugehen sein wird. Die größere Bedeutung dürften die Politische Bildung und die Innere Führung für die Außendarstellung gehabt haben. Sie galten als Beleg für den Bruch mit der Vergangenheit, für moderne, zukunftsgewandte Streitkräfte, und sie waren geradezu ein Markenzeichen473 für die Demokratisierung der Bundeswehr. Begreift man diese auch und gerade als ein innenpolitisches Projekt, das seine Legitimation nicht zuletzt aus seiner Demokratiefähigkeit zog, wird deutlich, wie wichtig dieses Image für die Bundeswehr war, nicht zuletzt, um sie vor Kritikern aus Politik und Gesellschaft zu schützen. Für die Bündnispartner spielte diese demonstrativ herausgestellte Demokratisierung übrigens keine Rolle, dort war man eher an den harten Fähigkeiten interessiert. Zumindest der britische Militärattaché machte sich über die neuen Konzepte lustig und meinte ironisch: »›Demokratisch‹ – dies ist vermutlich das am meisten strapazierte Adjektiv in ihrer Sprache.« Und: »Der einzige Zweifel, ob das Konzept des ›Staatsbürgers in Uniform‹ wirklich funktioniert, rührt von den endlos 461
wiederholten Versicherungen in den oberen Etagen, dass es das tut.«474 Zwischen »Gammeldienst« und Leistungsgrenze Wenn es schon nicht gelang, den Wehrpflichtigen den gewünschten Verfassungspatriotismus zu vermitteln, musste die Bundeswehr wenigstens versuchen, diese durch eine interessante und abwechslungsreiche militärische Tätigkeit zu motivieren und so an die Institution zu binden. Dabei gab es durchaus Erfolge zu vermelden. So wurde zeitweise die Hälfte aller Offiziersbewerber unter den Wehrpflichtigen geworben.475 Allerdings blieben solche Rekrutierungszahlen gemessen an der Gesamtzahl der Einberufenen doch eher niedrig und dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der Bundeswehr schwerfiel, bei der Dienstgestaltung ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Dabei war der Alltag hinter den Kasernenmauern kaum auf einen Nenner zu bringen: Eine Panzerkompanie des Heeres, ein Zerstörer der Marine oder eine Flugabwehreinheit der Luftwaffe waren ganz unterschiedliche Kosmen mit eigenen Sitten und Gebräuchen. Am beliebtesten war ohnehin die Luftwaffe, hier meldeten sich die meisten Freiwilligen. Am schlechtesten sah es beim Heer aus, wo man am ehesten einen rauen Umgangston und einen langweiligen Dienst vermutete, wobei wiederum zwischen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften zu unterscheiden ist. Die Offiziere waren umso zufriedener, je mehr Verantwortung und Freiraum sie hatten. Dies galt vor allem für die Bataillonskommandeure. Viele Veteranen erinnern ihr Kommando über rund 800 Mann, viele Fahrzeuge und Panzer als ihre beste Zeit in den Streitkräften.476 In dieser Position hatten sie noch viel Kontakt zu den Soldaten, waren nah an rein militärischen Aufgaben, und der Gestaltungsspielraum 462
war vergleichsweise groß. Bei höheren Kommandos verlor man schnell die Bodenhaftung und war zunehmend mit Schreibtischarbeit befasst, auf den Ebenen darunter wurden die Spielräume massiv eingeschränkt. Kompaniechefs klagten etwa über die zu hohe Aufgabendichte. Obwohl sie sechzig und mehr Stunden arbeiteten, hatten sie oftmals zu wenig Zeit für ihre Soldaten, was sich negativ auf die Stimmung auswirkte. Zudem gab es in der Bundeswehr seit den Siebzigerjahren einen Beförderungsstau. Die unorganische Altersstruktur rührte noch von den Aufbaujahren her, als überproportional viele Männer der Jahrgänge 1936 bis 1944 als junge Offizieranwärter eingestellt worden waren. Diese Schieflage betraf nun vor allem die Kompaniechefs. Die Konkurrenz unter den Hauptleuten war daher besonders groß und führte dazu, dass sie möglichst viele messbare Leistungen vorzeigen wollten. So wurden mit viel Aufwand Statistiken etwa über den Klarstand des geradezu zu Tode gepflegten Materials erstellt. Etlichen Vorgesetzten fehlten der Wille und die Fantasie bei der Dienstgestaltung477, aber auch der Mut und die Bereitschaft, gerade den Mannschaften eigenverantwortliche Tätigkeiten zu übertragen. Klagen über Gammelei, permanente Unterforderung durch einen monotonen technischen Dienst oder nicht endende Reinigungsarbeiten waren allgegenwärtig.478 Viele Wehrpflichtige im Heer fühlten sich weder als Mensch noch als Staatsbürger angesprochen.479 Sechzig Prozent meinten 1982 gar, sie würden wie unmündige Kinder behandelt.480 Im Gefechtsdienst würde ihnen beigebracht, als Milan-Schützen selbstständig Entscheidungen zu treffen, doch man traue ihnen nicht zu, allein in den Keller zu gehen, um Wäsche zu tauschen.481 Die Erhebungen zur Stimmungslage ergaben in den Siebziger- und Achtzigerjahren 463
immer wieder dasselbe Bild: Die Wehrpflichtigen taten sich schwerer mit der Eingliederung in die militärische Welt als in den Fünfziger- und Sechzigerjahren und reagierten empfindlicher auf die Trennung von zu Hause, die Einschränkung gewohnter Umgangsformen, den rauen Ton.482 Man wollte heimatnah und möglichst berufsnah eingesetzt und sinnvoll beschäftigt werden, einen Beitrag leisten und sich nicht in einer öden Beschäftigungstherapie wiederfinden. Viele Soldaten beklagten sich darüber, dass die Vorgesetzten oft hilflos auf die Vorschriften verwiesen und nicht erklären konnten, warum etwas so und nicht anders gemacht werden musste. Ein Kompaniefeldwebel, der immer nur drohte, nach Fehlern suchte und nie lobte, konnte seine Soldaten kaum für die Bundeswehr begeistern. Etliche Rekruten meinten, dass sie auch ohne das ständige Gebrüll das Verlangte tun würden.483 Zweifellos hatten die Wehrpflichtigen ganz andere Vorstellungen von einem angemessenen Umgangston als manche Vorgesetzte, die an einer kraftvollen Standpauke nichts Schlimmes finden konnten. Und doch war unverkennbar, dass sich die Sitten und Gebräuche auch im Heer liberalisiert hatten. Choleriker und Schreihälse waren eher die Ausnahme als die Regel, und der Umgangston war zumeist umgänglicher geworden. Im Bereich der Menschenführung hat die Innere Führung zweifellos ihre größte Wirkung entfaltet. Freilich gab es auch in den Achtzigerjahren noch immer Kompaniefeldwebel, die die Erziehung nach ganz eigenen Vorstellungen im vordisziplinaren Raum durchführten. So ist von einer Einheit überliefert, dass Untergebene, die etwas angestellt hatten, in den Keller zitiert und dort mit Ohrfeigen bestraft wurden. Mancher Rekrut bekam auch noch eine Abreibung mit der Kopfbedeckung seines Zugführers, wenn er sich beim Laden 464
seines Gewehrs ungeschickt angestellt hatte. In anderen Einheiten wurden renitente Soldaten dadurch bestraft, dass sie vor dem Kompaniegebäude in der sogenannten Dackelgarage, dem Zweimannzelt ohne Boden, schlafen mussten. Beim Stubendurchgang die Kleiderstangen aus dem Spind herauszunehmen und die Innenflächen durchzupusten, um auf Putzversäumnisse hinzuweisen, kam auch in den Achtzigerjahren noch vor.484 Im Vergleich zum Kaiserreich und zu den Erlebnissen eines Wilhelm Janeke war das Spektrum der Schikanen aber kleiner und harmloser geworden. Davon weiß sein Urenkel Niels Janeke zu berichten.485 Er wurde am 1. Juli 1981 im Pionierbataillon I in Holzminden Soldat, 90 Jahre nach seinem Urgroßvater. Und doch ähnelten sich die ersten Eindrücke: der Praxisschock, das ungewohnte Aufstehen um fünf Uhr morgens, nur Kaltwasser in den Waschräumen, Geschrei, Hektik und Gebrüll, das endlose Wechseln der Uniform unter Zeitdruck, Gefreite, die mangelnde Kompetenz mit Lautstärke wettmachten und die Mannschaften drangsalierten, unablässig Liegestütze machen ließen und um den Kompanieblock jagten. Die Spinde wurden zwar nicht mehr umgeschmissen, aber doch alle Sachen herausgeworfen, wenn ein Ausbilder unzufrieden war. Ausgang gab es, wie 1892, in der ersten Zeit am Wochenende nicht. Niels Janeke fühlte sich anders als sein Urgroßvater aber nicht wie im Gefängnis. Zu ausgefüllt waren die Tage, zu erschöpft sank man abends ins Bett. Am besten gefiel ihm die spannend angelegte Gefechtsausbildung: Eine Art Landserromantik machte sich breit. Streife und Patrouille zu laufen, nachts Hinterhalte zu legen, ein erstes Mal als Gruppenführer eingeteilt zu werden, das machte ihm ebenso Spaß wie seinem Urgroßvater, der freudig berichtete, wie er 465
einer Dragonerpatrouille einmal die Pferde entwendet hatte. Und auch 1981 gab es gute Vorgesetzte. Als solche galten wie eh und je Unteroffiziere, die menschlich zugewandt, kompetent und handwerklich gut waren. »Beispielgebend« waren nur einige wenige, meint Niels Janeke rückblickend. Die jungen Pioniere hielten als eine Art Schicksalsgemeinschaft zusammen, halfen sich, die Strapazen zu überstehen. Auch die Erfahrung der Kameradschaft war etwas Positives. Allerdings: Wie vor 100 Jahren gab es den »Heiligen Geist«, eine Art Kollektivbestrafung. Wer aus der Reihe tanzte, die Gemeinschaft allzu sehr belastete, Mist baute, der wurde nachts zwangsweise geduscht. Prügel gab es 1981 nicht mehr. Niels Janeke spricht heute abgeklärt über seine Grundausbildung: »Es ging auch darum, körperlich und psychisch abgehärtet zu werden, Dinge auszuhalten, wegzustecken. Es war eine ganz gute Schule für mich und die anderen, und niemand ist wirklich zusammengebrochen. Wir wurden leidensfähig und haben trotzdem im Pionierhandwerk das gelernt, was wir lernen sollten.«486 Freilich war er Offizieranwärter, wusste also, dass er bald aufsteigen und Teil des Systems werden würde. Seine Motivation war eine andere als die eines Wehrpflichtigen. Werner von Scheven stellte in seiner Rolle als Beauftragter für Erziehung und Ausbildung 1985 eine permanente Motivationskrise, Interessenlosigkeit, Apathie und Schlaffheit bei vielen Wehrpflichtigen fest.487 46 Prozent von ihnen erschien der Militärdienst schlicht als vertane Zeit.488 Sie arrangierten sich von Montag bis Freitag so gut es ging mit der Bundeswehr, um am Wochenende in das Leben zurückzukehren, das sie fünf Tage zuvor verlassen hatten. Ein soldatisches Selbstverständnis konnte sich unter diesen Umständen nicht entwickeln. Jeden Freitag nach Dienstschluss 466
leerten sich die Kasernen in Windeseile, und alles begab sich auf die »NATO-Rallye«489. Die ganze Frustration über den Dienst entlud sich jeden Sonntagabend in den Zügen, die rund 230 000 Wehrpflichtige zurück in ihre Garnisonen brachten. Wenn um 21:20 Uhr der D-Zug aus Darmstadt in den Frankfurter Hauptbahnhof einfuhr, um die nächste Ladung Soldaten aufzunehmen, die er im Norden Hessens wieder ausspuckte, erzitterte die Luft vom Gejohle und von den Gesängen. Wehe dem zivilen Reisenden, der einfach nur nach Kassel fahren wollte und sich unversehens mit fünf Panzerpionieren in einem Abteil wiederfand. Die Bundeswehr spielte solche Zustände in ihren offiziellen Verlautbarungen stets herunter.490 Anders klangen die Feldjägerberichte. Im Verwaltungsduktus wurden erhebliches Grölen und Lärmen, Belästigung von Mitreisenden, Hinauswerfen leerer Flaschen, Beschmutzung von Sitzbänken und Abteilen, Beschädigung und Zerstörung von Türen und Fenstern vermerkt.491 Auch ein wohlmeinender Beobachter konnte bei solchen Szenen nicht den Eindruck haben, dass hier hoch motivierte junge Männer freudig den Kasernen entgegenstrebten, um willig und brav ihren Dienst zu versehen. Es verwundert daher kaum, dass viele Soldaten am Ende ihrer Dienstzeit negativer über die Bundeswehr dachten als am Anfang.492 Und dennoch waren die Wehrpflichtigen erstaunlich leistungswillig, wenn sie gefordert wurden. Sie konnten bis zur Erschöpfung marschieren, ohne Schlaf auskommen, Nässe und Kälte ertragen. In der Grundausbildung sah es nach Überwindung der ersten Anpassungsschwierigkeiten mit der Motivation daher noch am besten aus. Im Alltag der Stammeinheiten nahm der Spannungsbogen aber meist rapide ab und konnte oft nur in den Manövern wiederaufgebaut werden. Auch viele Unteroffiziere und Offiziere hatten es sich 467
im Kasernenalltag bequem gemacht und vermieden allzu große Anstrengungen. Selbst in Kampfkompanien gab es Chefs mit beeindruckender Körperfülle, die sich beim Gefechtsdienst die Schuhe nicht schmutzig machten und nie beim Sport zu sehen waren. Motivierend wirkte das kaum. Dies galt noch viel mehr für die vielen Unterstützungseinheiten. Dort war das soldatische Selbstverständnis zuweilen bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Wer den geruhsamen Alltag in einer Instandsetzungskompanie erlebte, bekam einen Eindruck davon, wie viele Verteidigungsbeamte es in den Streitkräften gab. Gewiss erfüllten sie den fachlichen Kernauftrag, etwa die Reparatur von Lastwagen und Panzern. Alles darüber Hinausgehende ließ sich aber leicht umgehen. Die Kompaniebesichtigungen mutierten zu gut gemachter Schauspielerei, die militärische Leistungsfähigkeit eher vorgaukelte, als dass sie tatsächlich vorhanden gewesen wäre. Und alle machten mit: der Oberst und Kommandeur der Brigadeeinheiten, der Major als Kompaniechef, die Zugführer und die Soldaten. Der Oberst konnte zufrieden melden, dass in seinen Einheiten alles zum Besten stand, und die Kompanie hatte ein Jahr Ruhe. Wundern konnte sich der Sehende darüber, dass auch jene das Goldene Leistungsabzeichen trugen, die selten auf dem Sportplatz und noch seltener auf dem Schießstand gesichtet wurden. Und beim obligatorischen Fünfkilometerlauf joggten die Soldaten einfach eine Runde weniger und erreichten so alle in den geforderten 23 Minuten das Ziel. Der Zugführer konnte daraufhin stolz eine Erfolgsmeldung abgeben. In vielen Einheiten hatte sich längst ein System etabliert, die geforderten Normen geschickt zu erfüllen und es sich ansonsten in der überbürokratisierten Armee bequem zu machen. Mit der immer wieder verlangten abwechslungsreichen und fordernden Gestaltung des Dienstes 468
hatte all das wenig zu tun. Mit der von der Generalität geforderten Kriegstüchtigkeit noch viel weniger. Viele Wehrpflichtige entwickelten eine beachtliche Findigkeit, sich bei der erstbesten Gelegenheit »abzuseilen«, um allen Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen. Andere kamen »völlig unbedarft, mit nichts als dem HSV im Kopf«493 in den Kasernen an. Eine wirkliche Notwendigkeit, kampftüchtig zu werden, war vielen Soldaten auch nicht recht einsichtig. Der Ernstfall war für die meisten nur als atomarer Weltuntergang vorstellbar. So fehlte vielen der Glaube an die Erfüllbarkeit des eigenen Auftrags.494 Wenn man eine Überlebenszeit von nur sieben Minuten hatte, wie allgemein zu hören war, warum sollte man sich im Hier und Jetzt das Leben schwer machen? Wenn es wirklich losgehen sollte, würde man eh nicht lange überleben. Gewiss konnte mancher Brigade- und Bataillonskommandeur vor Selbstbewusstsein kaum laufen und meinte, die Sowjetarmee quasi im Alleingang besiegen zu können. Noch heute geraten manche Zeitzeugen ins Schwärmen, wie professionell die Bundeswehr des Kalten Krieges gewesen sei und was man – im Vergleich zu heute – doch alles bewegt habe. Bei den Wehrpflichtigen dachten viele aber anders. Der Spruch »Wir können nur so lange kämpfen, bis eine richtige Armee kommt« dürfte ihre Stimmungslage zutreffender beschrieben haben als die meisten Äußerungen zur Inneren Führung in den Zustandsberichten.495 Selbstverständlich trifft dieses Urteil nicht auf alle Einheiten zu, und das Heer bestand keineswegs nur aus demoralisierten Bürosoldaten. Die Bundeswehr als Institution funktionierte auch in ihrem militärischen Auftrag. Die Panzer waren einsatzbereit, und die Wehrpflichtigen konnten mit ihnen fahren und schießen. Auch gab es Unterschiede zwischen Garnisonen mit ländlichen und großstädtischen 469
Einzugsgebieten. Die Bandbreite der Leistungsfähigkeit und willigkeit war sicher groß, und ein guter Kompaniechef konnte seine Wehrpflichtigen durchaus motivieren und zu einer selbstbewussten Einheit formen. So bedankte sich der Gefreite Jörg Ottersbach 1985 bei dem Chef seiner Panzeraufklärungskompanie »für das erfolgreiche NichtPraktizieren des Gammeldienstes, das Kennenlernen der eigenen Leistungsgrenze und des eigenen Verhaltens bei besonderen Belastungen«.496 Es gab selbst Nachschubeinheiten, die jeden Morgen zum Joggen ausrückten, auch noch die verrücktesten Schießübungen absolvierten und kraftvoll eigens komponierte Lieder schmetterten. Dies ändert aber nichts an dem grundlegenden Befund, dass die Stimmung in der Truppe insgesamt weit negativer war als offiziell zugegeben. Aus der Sicht eines Bataillonskommandeurs verrichteten die meisten Soldaten »brav« ihren Dienst.497 Was die »braven« Männer wirklich dachten, war den Kommandeuren nicht immer geläufig. Und selbst wenn sie es ahnten, gaben sie schon aus Eigeninteresse keinen ehrlichen Bericht über Geist, Moral und Haltung des Verbandes ab, sondern schönten die offiziellen Zustandsmeldungen.498 Selbst die Inspizienten konnten sich allenfalls ein flüchtiges Bild davon machen, wie gut eine Kompanie schoss, wie oft sie zu Nachtübungen ausrückte und ob die Feldwebel die Vorschriften aufsagen konnten. Kaum einer von ihnen vermochte aber tatsächlich die Stimmung und Moral der Mannschaften zu erfassen. So meinten etliche Kommandeure, dass sich ihre Soldaten nur wenig für die Friedensbewegung interessierten. Das Gegenteil war freilich oft der Fall.499 Die Welt der Gefreiten blieb den höheren Offizieren verschlossen. »Häufig sehen sie die tatsächliche Stimmungslage in den Einheiten erst, wenn eigene Söhne ihnen im Originalton darüber berichten.«500 470
Allerdings war die Bundeswehrführung weder blind noch ignorant. Als Anfang der Achtzigerjahre immer mehr Presseberichte über Aufnahmerituale, Mangel an Kameradschaft und gar Misshandlung von Wehrpflichtigen publiziert wurden, befragte man rund 2800 Vertrauensmänner von Mannschaften und Unteroffizieren. Dabei kam heraus, dass es in knapp der Hälfte der Einheiten eine ausgeprägte soziale Hierarchie gab, in der die dienstälteren Mannschaften ungeliebte Dienste wie das Revierreinigen auf die »Neuen« abwälzten. Spitznamen wie Jungfuchs, Rotarsch oder Koffer waren allgemein üblich. Die Hälfte der Befragten gab an, dass es manchmal zu entwürdigenden Behandlungen durch Unteroffiziere oder ältere Mannschaften käme. In knapp einem Drittel der Einheiten kam es zu regelrechten Schikanen, vor allem durch gewaltsames Duschen, aber auch durch Prügel. Knapp ein Drittel sagte, dass es bei Fehlverhalten zuweilen zu Selbstjustiz komme. Betroffen waren Außenseiter, Überkonforme und Einzelgänger. Insgesamt wurde die Kameradschaft nur von einem guten Drittel als gut bezeichnet. Vorgesetzte wurden bei Zwischenfällen nicht eingeschaltet, auch die Vertrauensleute nur in der Hälfte der Fälle. Von Aufnahmeriten berichteten vor allem die Unteroffiziere; dreißig Prozent von ihnen sagten, dass es in ihrer Einheit so etwas gäbe.501 Die Befragung zeigte auch die Nachteile der 1973 eingeführten quartalsweisen Auffüllung der Verbände, die dazu führte, dass die älteren Mannschaften eine höhere soziale Stellung einnahmen und ihre jüngeren Kameraden unter Druck setzen konnten. Wenn eine Kompanie während des gesamten Wehrdienstes zusammenblieb, wie das ab Juli 1982 wieder der Fall war, konnten sich solche Hierarchien erst gar nicht bilden. 471
Neben solchen Befragungen gab es noch andere Instrumente, um sich ein halbwegs realistisches Bild von der Stimmung der Truppe zu machen. Das Amt des Beauftragten für Erziehung und Ausbildung des Generalinspekteurs (BEA) war 1970 von Helmut Schmidt just zu diesem Zweck ins Leben gerufen worden. Der Beauftragte reiste das ganze Jahr von Kaserne zu Kaserne, sprach ungezwungen mit allen Dienstgraden und sammelte Eindrücke vom General bis zum Gefreiten. Seine Berichte waren eine wichtige Ergänzung derjenigen des Wehrbeauftragten des Bundestages und der offiziellen Zustands- und Inspektionsmeldungen. Sie ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und waren daher ein vor der Öffentlichkeit streng gehütetes Geheimnis. Sie verschwanden aber nicht in irgendeiner Schublade, sondern wurden in der Regel im Militärischen Führungsrat besprochen. Die oberste Spitze der Bundeswehr versuchte, auf die Berichte über schlechte Stimmung und Unzufriedenheit etwa mit einer besseren Freizeitgestaltung, einer Aufwertung der politischen Bildung und der gezielten Schulung von Vorgesetzten in der Menschenführung zu reagieren. Ende der Achtzigerjahre schien sich zumindest der Umgangston in den Einheiten des Heeres verbessert zu haben.502 Aber auch der Rückgang der Meldungen über besondere Vorkommnisse deutete an, dass sich die Zustände in den Kasernen aufhellten. Darunter fielen sowohl Verfehlungen der Soldaten, etwa Fahnenflucht, Diebstahl oder tätliche Angriffe auf Vorgesetzte, als auch Misshandlungen Untergebener. Gewiss waren diese Zahlen keine exakte Abbildung der Realität, da die meisten Verfehlungen nach wie vor im vordisziplinaren Raum geregelt wurden. Interessant ist jedoch der Trend: Seit 1960 stiegen die Zahlen kontinuierlich an, erreichten 1973 ihren Höhepunkt, um danach bei nur geringen 472
Schwankungen stetig zurückzugehen. Die Disziplinarmaßnahmen nahmen allein in den zehn Jahren von 1977 bis 1986 um mehr als die Hälfte ab (1977: 67 029, 1986: 27 688).503 Die gemeldete Zahl von Misshandlungen durch Vorgesetzte erscheint angesichts einer Armee von 500 000 Soldaten überraschend niedrig. So wurden von 1976 bis 1986 jährlich nur durchschnittlich 42 Fälle gemeldet. Die Tendenz war auch hier fallend. 1986 vermerkte die Statistik mit 25 Fällen den niedrigsten Wert seit 1960.504 Liest man die Berichte des Wehrbeauftragten des Bundestages, muss die Dunkelziffer freilich erheblich höher gewesen sein. Täter waren fast ausschließlich Unteroffiziere, die vielfach unter Alkoholeinfluss standen. Interessanterweise erschienen Vorgesetzte in der Statistik häufiger als Opfer tätlicher Angriffe ihrer Untergebenen als umgekehrt. Keinen nennenswerten Bezug zur Bundeswehr scheinen die Selbstmordfälle gehabt zu haben. Die Quote lag mit 15 bis 20 Fällen pro 100 000 Soldaten halb so hoch wie in der Zivilgesellschaft.505 Die Gründe lagen – soweit bekannt – fast ausschließlich im privaten Umfeld. Die Statistiken zeigten also in die richtige Richtung und waren zumindest ein Indikator, dass die Maßnahmen zur Verbesserung des inneren Gefüges nicht wirkungslos waren. Spektakuläre Fälle wie das Iller-Unglück 1957 oder die Nagold-Affäre 1963 wiederholten sich nicht. Dennoch war zumindest der Beauftragte für Erziehung und Ausbildung nicht zufrieden. 1987 bemerkte er, dass das »positive Leistungspotential bei Mannschaften und Unteroffizieren durch Mängel in der Führung (Geringschätzung, Gängelung, Nichtbeteiligung etc.)« zu wenig genutzt werde.506 Währenddessen nahm die Bürokratisierung durch die unreflektierte Übernahme von Maßnahmen aus der Wirtschaft 473
eher noch zu. So sollte nun der »Manager in Uniform« Sicherheit produzieren und sich dabei an Kosten-NutzenBerechnungen messen lassen. Alles Mögliche und Unmögliche wurde erfasst, berechnet und bewertet. Alles sollte überprüfbar und dokumentiert sein. Die Zustandsmeldungen wurden immer länger, bis sie bald nicht mehr handhabbar waren.507 »Selbst ein Loch in der Feldhose eines Soldaten verlange eine schriftliche Stellungnahme«, beklagte ein Kommandeur.508 Schon die Beschaffung einer einfachen Zange war ein Verwaltungsakt der höheren Art, sodass jeder, der bei gesundem Verstand war, nur den Kopf schütteln konnte.509 Die Forderungen nach weniger Reglement, Perfektion und Schriftverkehr, auch nach weniger Versetzungen510, um die Kräfte auf die zentralen Bereiche von Ausbildung und Erziehung konzentrieren zu können, waren eigentlich uralt. Doch die Diskrepanz von Auftrag und Mitteln blieb bis zum Ende des Kalten Krieges bestehen. Die Bundeswehr war ein Supertanker, der seinen Kurs nur sehr langsam veränderte. Der gespielte Krieg II Die beste Wehrpflichtarmee der NATO Die strategische Ausrichtung der westlichen Allianz veränderte sich nach Einführung der flexible response bis zum Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Die Leitidee war stets, den Warschauer Pakt sowohl mit atomaren als auch mit konventionellen Streitkräften abzuschrecken. Die Bundeswehr hatte immerhin erreichen können, dass die Verteidigungslinie der Allianz an die deutsch-deutsche Grenze vorverlegt worden war. In den Siebzigerjahren rang man darum, gemeinsam mit den Alliierten auch tatsächlich am »Vorderen Rand der Verteidigung«, dem VRV, eine wirkungsvolle Abwehr 474
aufzubauen, um möglichst viel vom Territorium der Bundesrepublik zu schützen. Schon aus bündnispolitischen Gründen sah das operative Konzept daher vor, dass die westdeutschen Divisionen mit gutem Beispiel vorangehen und im Falle einer Mobilmachung rasch an den VRV vorrücken, sich dort eingraben und verbissen verteidigen sollten. So wollte man Niederländer, Belgier und Briten aus ihren zumeist weit im Westen Deutschlands liegenden Garnisonen an die Front ziehen. Dem Warschauer Pakt sollte auf diese Weise deutlich gemacht werden, dass er bei einem Angriff auf die Bundesrepublik sofort auf den Widerstand ihrer Bündnispartner stoßen würde. Das Konzept entsprach zwar nicht der deutschen Tradition eines freien und beweglichen Operierens, erschien aus politischen Gründen aber sinnvoll. Dem entsprach auch die neue Heeresstruktur 3, die aus zwei Panzergrenadierverbänden Jägerdivisionen machte, die sich in den waldreichen Mittelgebirgen Hessens und Bayerns verschanzen sollten. 475
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Viel wichtiger als die Doktrin, mit der man den Gegner abschrecken und im Ernstfall in den Krieg ziehen wollte, war die Frage, ob die Bundeswehr überhaupt fähig war zu kämpfen. Gewiss war bis Ende der Sechzigerjahre viel erreicht worden, wenn man bedenkt, dass die Streitkräfte praktisch aus dem Nichts aufgebaut worden waren. Aber mit Zustandsbeschreibungen wie »bedingt abwehrbereit« konnte man sich kaum zufriedengeben. Ziel musste es sein, ein so großes Potenzial aufzubauen, dass ein großer Angriff des Warschauer Paktes mit rein konventionellen Mitteln mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg grenznah zurückgeschlagen werden konnte.511 Doch von diesem Ziel war man noch in der ersten Hälfte der Siebzigerjahre weit entfernt. Mit dem Einmarsch in die Tschechoslowakei waren sowjetische 478
Divisionen 1968 bis an den Bayerischen Wald vorgerückt und hatten damit ihre Ausgangsposition deutlich verbessert. Das größte Problem war nach wie vor die Dauer der Mobilmachung. Während die Truppen des Warschauer Paktes aus der DDR und der ČSSR praktisch ohne Vorwarnzeit antreten konnten, brauchten selbst die an der Grenze dislozierten Brigaden der Bundeswehr sechs bis zwölf Stunden, um kampfbereit zu sein. Einem Überraschungsangriff war man nicht gewachsen. Auch der Einsatzwert der verbündeten Landstreitkräfte der NATO war ohne Vorwarnzeit »sehr gering«512. Bundeskanzler Brandt schrieb dem obersten Heeresgeneral ins Stammbuch, dass er alles tun solle, um so lange wie möglich zu verteidigen und einen schnellen Zusammenbruch unbedingt zu vermeiden.513 In einer Bundeswehrstudie aus dem Jahr 1972 hieß es aber, dass man noch nicht einmal in der Lage sei, der Regierung im Verteidigungsfall ausreichend Zeit für die Entschlussfassung zum Einsatz von Atomwaffen zu erkämpfen. Die deutschen Truppen würden einen Angriff nur etwa zwei bis drei Tage lang unter erheblichen Verlusten und beträchtlicher Raumaufgabe auffangen können. »Sie sind dann nicht mehr imstande, den Feind zur Bildung von A-Zielen zu zwingen oder den eigenen A-Einsatz auszunutzen.«514 Nach einer Modellrechnung brauchte die NATO fünfzig Divisionen, um einen Angriff des Warschauer Paktes grenznah und ohne Einsatz von Atomwaffen aufzuhalten.515 Es gab aber nur 24, darunter die zwölf deutschen. Und kein Land der westlichen Allianz war gewillt, seine Landstreitkräfte in der Bundesrepublik zu verdoppeln. Auf dem Höhepunkt der Entspannungspolitik war ein Angriff auch kaum wahrscheinlich, und eine Hochrüstung war weder gesellschaftlich durchsetzbar noch angesichts der ersten 479
Ölkrise finanzierbar. Die Bundeswehr konnte nur versuchen, im Rahmen des Gegebenen ihre Schlagkraft schrittweise zu verbessern.516 1973 hatte die israelische Armee im Jom-Kippur-Krieg gezeigt, dass sie dank westlicher Waffentechnik und besserer Ausbildung die zahlenmäßig überlegenen und mit modernem sowjetischem Kriegsgerät ausgerüsteten Streitkräfte der arabischen Staaten besiegen konnte.517 Zwar war die Situation im Nahen Osten nicht ohne Weiteres auf Mitteleuropa übertragbar, und die sowjetischen Divisionen besaßen eine wesentlich höhere Kampfkraft als die ägyptischen oder syrischen. Aber der Weg in die Zukunft war damit klar gewiesen: Die westliche Allianz musste versuchen, im beginnenden Zeitalter der Mikroelektronik einen technologischen Quantensprung zu machen und den ökonomisch unterlegenen Warschauer Pakt abzuhängen. Der Kampfpanzer Leopard 2, der Flakpanzer Gepard, die Panzerabwehrraketen TOW und Milan oder der Jagdbomber Tornado waren die bekanntesten von vielen Waffensystemen einer neuen Generation, die in den 1970er- und frühen 1980erJahren eingeführt wurden.518 Die Aussicht auf das moderne Gerät ließ manchen General optimistischer in die Zukunft blicken. Ernst Ferber, der deutsche NATO-Oberbefehlshaber Mitte, meinte 1974, dass man die sowjetische Kampfkraft nicht überschätzen solle. »We should be more self-confident, and even more important we should encourage the troops under our command.«519 Trotz aller Probleme habe man etliche qualitative Vorteile, und es gebe nun eine bessere Chance, die Verteidigungsschlacht »over a certain period« erfolgreich zu führen.520 Zu dem etwas optimistischeren Blick passte auch, dass man in einem entscheidenden Bereich die Perzeption den Fähigkeiten 480
anpasste: Die Mobilisierung der eigenen Streitkräfte war früh als Achillesferse erkannt worden. Nun hieß es, der Warschauer Pakt könne gar nicht aus dem Stand antreten. 1973 glaubte man, mit einer Warnzeit von wenigstens drei Tagen rechnen zu können.521 Für einen Großangriff mit den Zielen Rhein und Ostseeausgänge würden die Sowjets sogar acht bis zehn Tage Vorbereitung benötigen, meinte Verteidigungsminister Georg Leber.522 Ein Überraschungsangriff sei zwar theoretisch möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich.523 Solche Einschätzungen beruhigten die Gemüter, und niemand schien mehr fürchten zu müssen, an einem Samstagmorgen plötzlich von sowjetischen Soldaten geweckt zu werden. Mitte der Siebzigerjahre erreichte die Bundeswehr einen ersten Höhepunkt ihrer Kampfkraft. Endlich war die stets geplante Personalstärke von 495 000 Mann erreicht, die Zahl der Kampfbrigaden im Heer von 33 auf 36 erhöht worden. Der Bestand von knapp 3700 schweren Panzern war erheblich modernisiert worden. So gab es nun 2385 Leopard 1, und unter den 4770 Schützenpanzern waren 2100 moderne Marder. Die nach wie vor überschaubare Zahl von 1200 Artilleriegeschützen war durch gut 200 Raketenwerfer verstärkt worden.524 Die drängendsten Personalprobleme waren weitgehend gelöst. Die Lage bei den Offizieren war durch die hohe Bewerberzahl gut, und der Bestand an Unteroffizieren hatte mit achtzig Prozent vom Soll seine bislang höchste Quote erreicht.525 Zudem gab es inzwischen einen Stamm erfahrener Zugführer und Kompaniechefs. Die Brigadekommandeure waren zum Teil noch kampferprobte Wehrmachtveteranen.526 Die Ausrüstung war im internationalen Vergleich modern, die Ausbildungsverfahren eingespielt. Es war gewiss kein Zufall, dass 1973 erstmals seit zehn Jahren wieder ein deutsches Team die Canadian Army 481
Trophy gewann, ein prestigeträchtiger Schießwettbewerb von Panzern aus allen NATO-Armeen, die in der Bundesrepublik stationiert waren.527 Während der großen Korpsgefechtsübungen waren Mitte der Siebzigerjahre meist lobende Töne zu hören. Die Truppe habe eine hohe Leistungsfähigkeit bewiesen und sich als motiviert, einsatzwillig und diszipliniert präsentiert. Auch auf den ewigen Problemfeldern wie der Aufklärung, der Tarnung oder der Flugabwehr habe man einen Schritt nach vorn gemacht.528 Die Einsatzbereitschaft wurde in der zurückhaltenden Sprache der Zustandsberichte erstmals als »befriedigend« bewertet, und man glaubte, dass das Heer bei rechtzeitiger Mobilmachung auch konventionell seine Aufträge »zunächst erfüllen« könne.529 Auch die Luftwaffe hatte durch eine Reihe von substanziellen Maßnahmen ihre Kampfkraft erheblich verbessert und wurde teilweise mit »gut« bewertet. Einzig bei der Marine sah es wegen veralteter Schiffe noch düster aus.530 Aber alles in allem trug die Bundeswehr erheblich dazu bei, dass die Allianz ihre Kampfkraft in Mitteleuropa als »satisfactory« einschätzte und davon ausging, nach ausreichender Vorwarnzeit rund eine Woche lang erfolgreich kämpfen zu können.531 Der britische Militärattaché meinte 1976: »Speaking in a strictly military sense, the [German] Army is probably the best NATO conscript Army.«532 Natürlich gab es auch weiterhin Probleme. Doch an welchem Maßstab konnte man die Truppen überhaupt messen? Keine Wehrpflichtarmee war im Frieden je perfekt ausgerüstet und ausgebildet gewesen, nicht die kaiserliche Armee und schon gar nicht die Wehrmacht. In einer so großen, hochtechnisierten Organisation drückte es immer an der einen oder anderen Stelle. Und so blieb es nicht aus, dass gerade in 482
den großen Manövern immer noch Schwächen zutage traten. Die Beweglichkeit und Feuerkraft der Panzer werde nicht voll ausgenutzt, der Wille zur wendigen und entschlossenen Führung des Kampfes sei nicht fest genug, hieß es etwa 1976 in einer internen Beurteilung.533 Es fehle an Vorwärtsdrang, und die Verteidigung sei zu statisch. Freilich war es schwer, all das auf den beengten Standortübungsplätzen zu lernen.534 Auch waren die Panzerbesatzungen meist nicht lange genug beisammen, um wirklich zu einer Kampfgemeinschaft zusammenzuwachsen und vor allem die technischen Möglichkeiten ihrer Waffen voll ausreizen zu können. Zu ändern war das kaum, denn durch Lehrgänge, Beförderungen und vor allem die »verwürfelte Auffüllung« der Wehrpflichtigen gab es ständig Bewegung im Personalkörper. Während früher eine Kompanie die gesamte Wehrdienstzeit zusammenblieb und so ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln und ihren Ausbildungsstand stetig steigern konnte, wurden seit 1973 neue Soldaten quartalsweise eingestellt und entlassen. Auf diese Weise wollte man die Sollstärke einer Kompanie stabil halten. Zuvor war diese durch Abkommandierungen oder Lehrgänge vor allem im letzten Quartal stets gesunken. Jetzt aber gab es in den Kompanien viermal im Jahr ein Kommen und Gehen, die horizontale Kohäsion der Primärgruppen wurde geschwächt, und alle Soldaten hatten einen unterschiedlichen Ausbildungsstand. Außerdem musste das Großgerät geschont werden, um es für den Ernstfall einsatzbereit zu halten. So durften Leopard-Panzer nicht mehr als 1000 Kilometer pro Jahr fahren. Simulatoren gab es zur damaligen Zeit noch nicht. Immerhin gelang es nach langen Verhandlungen, einen Teil der Gefechtsausbildung ins Ausland zu verlegen, wo es viel bessere Übungsbedingungen gab. Seit 1974 trainierte das Heer im kanadischen Shilo in der Provinz Manitoba, einem Gelände, das mit 400 Quadratkilometern 483
zehnmal so groß war wie die verfügbaren Plätze in Deutschland. Es ähnelte der norddeutschen Tiefebene, und hier konnten Verbände bis zur Größe eines Bataillons im scharfen Schuss üben. Doch selbst ein realistisch angelegtes Gefechtsmanöver kann der Wirklichkeit des Krieges niemals entsprechen. An diese Diskrepanz erinnerten kriegsgediente Offiziere ihre Soldaten mitunter in drastischen Worten. So zum Beispiel Franz Pöschl, Jahrgang 1917, der die Abschlussbesprechung des großen Herbstmanövers 1977 mit folgenden Worten begann: »Es werden wieder Erinnerungen wach an Zeiten, in denen der Tod in seiner grausigsten, diabolischsten Erscheinungsform unser Gefährte war. Mit allen Fasern unseres Herzens hingen wir am Leben und wußten doch, daß uns der Tod bereits an die Hand gefaßt hatte. Wir stellten uns gegen den Menschen und vernichteten ihn, um dem Tod zu wehren, und wir fühlten doch, daß wir den Tod damit nicht getroffen hatten. Er ließ die Maschinenwelt der Vernichtung weiter in allen Variationen spielen: konstruiert, gebannt, bedient und gerichtet von einer Armee technisch geschulter Intelligenz. Und er siedelte uns an in einer Zone der vollkommen organisierten Vernichtung. Wie könnte ich auch die Augenblicke vergessen, da wir zerrissene Gliedmaßen mit dem Taschenmesser von dem noch lebenden Körper trennten, ein unentwirrbares Gemisch von Fleisch und Stoff auf die Zeltbahn hoben. Selbst den rauhesten und abgebrühtesten Frontsoldaten trieb es Tränen der Verzweiflung in die Augen, wenn plötzlich Kameraden, mit denen man eben noch gesprochen hatte, als zerfetzte Leichenmassen irgendwo im Geäst der verstümmelten Bäume hingen. Endlos wäre das grausige Bild auszumalen, ohne auch nur mit einem Ton von der Wahrheit abzuweichen. Wer darf von Standhaftigkeiten 484
reden, der dieses Gesicht des Krieges nicht wirklich selbst erlebt hat?«535 Pöschl war als Kommandierender General der Bundeswehr eine ungewöhnliche Erscheinung, weil er nie eine Generalstabsausbildung besucht und als Gebirgsjäger im Krieg fast ausschließlich an der Front gestanden hatte. Es war diese existenzielle Erfahrung des Tötens und Sterbens, die die Älteren kritisch auf das Können der Jüngeren blicken und sie ermahnen ließ, besser zu werden und auf Kleinigkeiten zu achten, die im Ernstfall über Leben und Tod entschieden. Am schärfsten urteilten zu dieser Zeit die Inspizienten der Waffengattungen über den Zustand der Truppen. Sie waren qua Amt gehalten, Missstände aufzudecken, und sie waren allesamt erfahrene Troupiers, die 1944/45 in der Phase der höchsten Verluste an der Front gekämpft hatten. Sie hatten unmittelbar erlebt, was es bedeutet, mit einer unzureichend ausgebildeten Truppe in den Kampf zu ziehen. Unter ihnen galt Horst Zobel als ein besonders kritischer Geist.536 Er hatte ab 1939 alle Feldzüge mitgemacht und noch im Frühjahr 1945 vor Küstrin und an den Seelower Höhen gekämpft. Als Inspizient der Panzertruppe war für ihn maßgeblich, ob die Truppe ihre Waffen so beherrschte, dass sie bereits am ersten Tag einer bewaffneten Auseinandersetzung ein Gefecht bei Tag und Nacht bestehen konnte.537 Dieses Ziel wurde trotz aller Fortschritte Mitte der Siebzigerjahre nur bedingt erreicht. Die Schießleistungen waren durchwachsen, und die Kommandeure führten nicht mehr so selbstverständlich und souverän von vorne, wie das eigentlich verlangt wurde. Zwar war der Leistungsstand in den Verbänden insgesamt gestiegen, und es gab auch handwerklich exzellente Offiziere. In summa fehlte es aber an Praxiserfahrung, um mit den von Clausewitz so bezeichneten Friktionen des Krieges fertigzuwerden.538 485
Trotz aller Übungen blieb die Bundeswehr eine Friedensarmee, die den Krieg nicht wirklich abbilden konnte. Auch etliche hohe Generäle, die noch im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatten, schütteten Wasser in den Wein. Sie waren der Meinung, dass die Ausbildung noch besser werden müsse, »wenn wir mit qualitativ überlegenen Waffen eine zahlenmäßige Unterlegenheit ausgleichen und unserer Führungskunst zum Erfolg verhelfen wollen«539. Im Klartext bedeutete dies, dass die Möglichkeiten einer Verteidigung ohne Atomwaffen nach wie vor eher pessimistisch beurteilt wurden. In ihrem strategischen Leitkonzept hielt die Bundeswehr 1973 sogar fest, dass die Allianz »nie« mit konventionellen Kräften einen Angriff in Mitteleuropa würde aufhalten können.540 Auch der an sich optimistische Ernst Ferber musste zugestehen, dass das Risiko, nach kurzer Zeit Nuklearwaffen einsetzen zu müssen, nach wie vor »hoch« sei. 1975 kursierten in der NATO Planspiele, die das filmreife Szenario eines erfolgreichen sowjetischen Überraschungsangriffs auf die Bundesrepublik skizzierten, durch den zwei Drittel des Landes binnen weniger Tage überrollt wurden.541 Gewiss dienten solche Horrorszenarien immer auch dazu, die Mitgliedstaaten zu mehr Rüstungsanstrengungen zu veranlassen. Doch im Verteidigungsministerium in Bonn gab es durchaus Offiziere, die trotz einer etwas diplomatischeren Sprache letztlich in das gleiche Horn stießen: Die qualitativen Vorteile würden die zahlenmäßige Unterlegenheit zwar abschwächen, aber nicht ausgleichen. Die Verteidigung gegen eine groß angelegte Aggression sei nur unter günstigen Umständen für eine begrenzte Zeit zu führen. Unter diesen Bedingungen sei es kaum möglich, verlorenen Raum zurückzugewinnen. 486
Insgesamt seien die Erfolgsaussichten der Abwehr eines Angriffs in Mitteleuropa sehr gering.542 1980 hieß es in einer Lagebeurteilung, dass das deutsche Heer um 230 000 Mann vermehrt werden müsste, um einen Angreifer in der Nähe der Grenze zu stoppen und verlorenes Gelände wieder einzunehmen. Mit den vorhandenen Kräften sei das schlicht unmöglich. Die ersten Verstärkungen aus den USA bräuchten trotz aller Vorbereitungen mindestens fünf Tage, um auf dem Schlachtfeld einzutreffen, und dies werde auch nur den amerikanischen Truppen in Süddeutschland helfen.543 Nachdem sich die Franzosen 1966 aus den militärischen Strukturen der NATO zurückgezogen hatten, war ihr Einsatz nicht mehr in vorderster Front geplant; man erhoffte sich ihre Unterstützung lediglich beim Auffangen zurückweichender deutscher Truppen. Doch wie und wann der französische Staatspräsident seine Truppen und vor allem Nuklearwaffen einsetzen wollte, blieb unklar.544 Auch im Führungsstab des Heeres kam man 1980 zu einer ernüchternden Einschätzung der Lage: Man werde unter Aufgabe von rund einem Drittel des Bundesgebiets, hoher Verluste der Truppe und der Zivilbevölkerung den Zusammenhang der Verteidigung zu halten versuchen. Die Ballungsräume um Hamburg und München würden sehr früh unmittelbar bedroht sein. Spätestens mit dem Eingreifen der Kräfte der sowjetischen 2. Strategischen Staffel sei eine Krise zu erwarten. Ein Angriff des Warschauer Paktes könne mit konventionellen Mitteln nur verzögert, aber nicht abgewehrt werden.545 Die NATO urteilte sogar noch pessimistischer.546 Zu diesem Zeitpunkt war die stete Aufwärtsentwicklung der Kampfkraft der Bundeswehr zum Stehen gekommen, und der Trend hatte sich umgekehrt. Die Probleme in der Ausbildung hatten sich deutlich verschärft. Das Heer sei nur 487
»noch ausreichend« befähigt, seinen Auftrag im Verteidigungsfall zu erfüllen, hieß es 1979 in einem Zustandsbericht.547 Es leide unter »teilweise unbefriedigendem Führungskönnen, sinkendem Ausbildungsstand, unzureichenden Stellenbesetzungen, Mängel in der sanitätsdienstlichen Versorgung, zu geringer Munitionsbevorratung, ungenügenden Aufklärungsmitteln und Ersatzteilmängeln«.548 Im I. Korps wurde 1981 ein Tiefpunkt erreicht und der Ausbildungsstand teilweise sogar mit »mangelhaft« bewertet, was auch daran lag, dass viele Übungen aus Finanzknappheit abgesagt werden mussten.549 Das 1973 eingeführte verpflichtende Studium an den Bundeswehrhochschulen war ein wichtiges Investment in die Bildung der jungen Offiziere, die nach nur fünfzehn Monaten militärischer Ausbildung in ein dreijähriges Studium wechselten. Dadurch fehlte es ihnen aber in den ersten Verwendungen als Zugführer oder bald darauf als Kompaniechef an praktischer Erfahrung. Das neue Bildungskonzept sah außerdem so viele Lehrgänge vor, dass die Hälfte der Offiziere sich ständig auf Weiterbildungen befand und in ihren Einheiten fehlte.550 Das Wissen über den Ablauf von Kampfhandlungen nahm nicht nur bei den jungen Offizieren immer mehr ab.551 Selbst den Panzerkommandanten wurden mangelnde taktische Grundfähigkeiten attestiert.552 Die Schießausbildung der Panzertruppe, hieß es im Zustandsbericht Heer von 1981, reiche nicht aus, um wirklich kriegsfähig zu werden; es fehle am »guten, alten Gefechtsexerzieren«, damit die jungen Führer die Abläufe automatisieren könnten. Die tragenden Kräfte im täglichen Dienst seien die erfahrenen Feldwebel, von denen es aber zu wenige gebe.553 Die Leistungsfähigkeit der Truppe ruhe auf den Bataillonskommandeuren, denen »beachtliches Können und vorbildliche Haltung« attestiert wurde. Auch die 488
wenigen älteren, nichtstudierten Kompaniechefs wurden herausgestellt.554 Aber auch sie konnten nicht verhindern, dass der Ausbildungsstand insgesamt als unbefriedigend galt.555 Der Inspizient der Panzertruppe bemerkte 1983, dass sie im 27. Jahr ihres Bestehens trotz Zulaufs an modernem Gerät insgesamt nicht schlagkräftiger geworden sei, und machte dafür vor allem eine fehlerhafte Personalführung und Ausbildungsstruktur verantwortlich.556 Die Panzertruppe erhielt nur die Note »ausreichend«, die Panzerjägertruppe und die Panzerspähtruppe wurden mit »mangelhaft« beurteilt.557 Bei der Artillerie sah es etwas besser aus, doch auch hier gab es Bedenken. Eine Vorstellung von der eigenen Kampfkraft fehle völlig, und das Feuer der gegnerischen Artillerie werde unterschätzt. Geeignete Munition zur Bekämpfung gepanzerter Fahrzeuge, die siebzig Prozent der zu erwartenden Ziele ausmachten, sei nicht vorhanden. Ob die deutsche Artillerie der zahlenmäßigen Überlegenheit der Ostblockstaaten durch wendigere Führung gewachsen sei, erschien dem Inspizienten zudem fraglich.558 Damit stand man in den Kampftruppen teilweise wieder vor ähnlichen Problemen wie in den Sechzigerjahren. In ihren negativen Auswirkungen hatte sich die Kultur der Friedensarmee aber eher noch verschärft. Im Alltag, so schrieb der Inspizient der Panzertruppe, würde jedes Detail reglementiert, und Auftragstaktik sei vielfach nur noch ein Lippenbekenntnis, »weil bloßer Befehlsvollzug des brütenden Nachdenkens enthebt und Kritik des Befehlenden ausschließt«.559 Mit Sorge dachte Kurt von Schweinitz daran, wie seine Soldaten sich wohl in einem Krieg schlagen würden. Als Kommandeur einer Panzerbrigade befürchtete er, dass die Führer und Unterführer gar nicht mehr in der Lage seien, selbstständig zu handeln, und bezweifelte, dass sie den 489
»Anforderungen der Stunde« gewachsen wären. Schweinitz forderte, »den technokratischen Trend, die philisterhafte Engigkeit und den staatlichen Indifferentismus« zu überwinden.560 Selbst in der Kampftruppe war also unübersehbar, dass sich das Gros der Soldaten an den vielfach gemächlichen Friedensbetrieb angepasst hatte. Vom Jobdenken war die Rede, von allzu viel Bequemlichkeit. »Wo Soldaten nicht geführt, sondern organisiert, verwaltet oder gar nur zum eigenen Fortkommen benutzt werden, ist der Zusammenhalt des militärischen Verbandes gefährdet«, war auf einer Bundeswehrtagung zu vernehmen.561 Der Krieg werde nicht nur von Politikern, sondern auch von etlichen Soldaten lediglich als abstraktes Phänomen gedacht.562 Mit der langen Friedenszeit nahm auch die Bürokratisierung unaufhaltsam zu. Die Vorschriften wurden immer umfangreicher, im Heeresamt wurde zuweilen zehn Jahre lang über sie beraten. Der Kontroll-, Prüf- und Inspektionswahn führte zu einer Überlastung gerade der Führer und Unterführer. Es gab kaum mehr Handlungsspielräume, und der Alltag war nur durch selektiven Gehorsam zu bewältigen, da man alle Anforderungen sowieso nicht erfüllen konnte.563 Kriegsnah ausbilden Die Bundeswehrführung hatte die Probleme erkannt und unter der Leitung des ehemaligen Generalinspekteurs Ulrich de Maizière eine Kommission zur Untersuchung der »Führungsfähigkeit und Entscheidungsverantwortung« eingesetzt. In deren Abschlussbericht hieß es 1979, dass die Vorbereitung auf den Kampf nicht mehr überall das vordringliche Ziel der Ausbildung sei. Man versuche, Führungsaufgaben vordergründig mit formalen organisatorischen Mitteln zu lösen, wesentliche Elemente der Menschenführung seien in den Hintergrund getreten.564 490
Generalinspekteur Jürgen Brandt nahm den Ball auf und versuchte 1980, neue Akzente zu setzen. In seiner Weisung für Ausbildung, Erziehung und Bildung in den Streitkräften ging es nur am Rande um Innere Führung und eine politische Bildung, die die Grundwerte als verteidigungswürdige Güter »erkenn- und erlebbar machen« sollte.565 Im Mittelpunkt stand die Rückbesinnung auf das Kämpfen. Der lange Friedensdienst, so Brandt, verleite dazu, intellektuelle Fähigkeiten überzubewerten. Im Gefecht wiege der Charakter schwerer als der Verstand. Pflichtbewusstsein, Disziplin, Entschlossenheit, Härte, Kameradschaft, Vertrauen müssten die Haltung jedes Einzelnen bestimmen; die Vorgesetzten müssten diese Tugenden vorleben. Wichtig sei auch Disziplin: Schlaffes Auftreten, uneinheitlicher Anzug und Ungenauigkeiten aller Art würden oft kritiklos hingenommen oder als Zeichen für eine unverkrampfte Haltung gewertet. Brandt wollte dies nicht länger dulden und verlangte, scharf gegen jede Missachtung militärischer Formen vorzugehen. Die Disziplin sei der Grundpfeiler des Militärs. Auch verlangte er, den Männern Vorbilder beispielhaften Soldatentums nahezubringen, um ihnen Orientierungshilfe zu geben – darunter verstand er neben der Aufbaugeneration der Bundeswehr auch Beispiele aus der Wehrmacht.566 Die Kriegserfahrung der Briten im Falklandkrieg 1982 beförderte die Kritik am Zustand der Bundeswehr. Die britischen Offiziere hätten mit Fantasie und »aggressivem Mut« das Gesetz des Handelns an sich gerissen und immer wieder flexibel auf unerwartete Situationen reagiert. »Sind wir dazu noch fähig?«, fragte eine deutsche Auswertung des Krieges rhetorisch. Die hohe Leistungsfähigkeit der britischen Soldaten zeige, dass die eigene Sportausbildung kaum ausreiche, um die körperlichen Belastungen eines Krieges zu 491
bestehen.567 Auch die Erkenntnis, dass sich »die entscheidenden soldatischen Tugenden« in der kleinen Gruppe entwickeln, sei auf den Falkland-Inseln eindrucksvoll bestätigt worden.568 Das Zentrum für Innere Führung hielt fest: »Für den Durchhalte- und Leistungswillen im Gefecht war die Geborgenheit in der Kampfgemeinschaft […] ausschlaggebend. Jede militärische Ausbildung muß diese Erkenntnisse bereits im Frieden berücksichtigen.«569 Gewiss hatten auf den Falkland-Inseln die besten Infanterieverbände der Briten gekämpft. Diese bestanden allesamt aus Berufssoldaten mit ausgeprägtem soldatischem Selbstverständnis und hohem Berufsethos. Der Vergleich mit diesen Einheiten offenbarte der Bundeswehr, wie weit sie mit ihren Wehrpflichtverbänden in der Praxis von der Kriegstauglichkeit entfernt war. Die britischen Kriegserfahrungen auf den Falkland-Inseln schienen die Initiative Jürgen Brandts nur zu bestätigen. Sie blieb auch deswegen nicht ohne Folgen, weil der neue Verteidigungsminister Manfred Wörner bald ins gleiche Horn stieß.570 So kam es nicht von ungefähr, dass das Heeresamt 1985 das Buch »Kriegsnah ausbilden« herausgab.571 Nach dem Ausscheiden der Kriegsgeneration sollte es den jungen Soldaten dabei helfen, »von der Disco auf das Gefechtsfeld umzudenken«572. Wegen der Bezüge zur Wehrmacht erregte das Buch in der Öffentlichkeit bald Aufsehen.573 Werner von Scheven dachte als Kommandeur freilich genauso und ordnete für seine Panzerbrigade 15 an, durch »Literatur, Befragungen, Filmauswertungen usw. eine realistische Vorstellung vom Gefechtserlebnis zu entwickeln«. Er forderte in der Ausbildung mehr Drill, mehr Schießausbildung, mehr Schanzen, mehr Disziplin und die Förderung der Initiative. Er verwies gar auf Lawrence von Arabien, der in seinen 492
Memoiren die Haltung der »prachtvollen« deutschen Soldaten im Asienkorps gelobt habe.574 Die Konzentration auf die Gefechtsausbildung zeigte im Verlauf der Achtzigerjahre langsam Wirkung. Zumindest in den Augen der oberen Führung war diese nun wieder befriedigend. Das lag auch an etlichen organisatorischen Verbesserungen der neuen Heeresstruktur 4, die mehr und kleinere Kampfverbände schuf, wodurch die Offiziersdichte erhöht wurde. Außerdem wurden die Einheiten der Kampftruppen seit Juli 1982 wieder kompanieweise mit Rekruten aufgefüllt, sodass diese binnen 15 Monaten zu einer engen Gemeinschaft zusammenwachsen konnten.575 Zu Kommandanten von Kampf- und Schützenpanzern wurden nun erfahrene Feldwebel ernannt und nicht mehr nur junge Unteroffiziere, die mit der Vielzahl der modernen Waffen oft überfordert waren.576 In der Ausrüstung machte das Heer wohl den größten Schritt nach vorne. Im Bereich der elektronischen Kampfführung, der Luftverteidigung und der Infrastruktur verbesserte sich die Lage erheblich. Neue Panzer, Hubschrauber und Minen, von denen in den Siebzigerjahren nur gesprochen wurde, waren inzwischen verfügbar und verstärkten die Abwehrfähigkeit der Bundeswehr entscheidend. Der hochmobile und nachtkampffähige Kampfpanzer Leopard 2 wurde ausgeliefert und war der ganze Stolz des Heeres. Mit dem Tornado stand ab 1980 auch ein sehr leistungsfähiger Jagdbomber zur Verfügung. Rund 250 000 Tonnen Munition lagerten in den Depots, mit denen man zumindest die ersten zehn Tage eines Großkampfes auszukommen glaubte.577 Die Sowjetunion nahm die technologische Aufrüstung der NATO schon früh mit Sorge zur Kenntnis. In Moskau befürchtete man, die konventionelle 493
Überlegenheit und den Anschluss in der Mikroelektronik zu verlieren. Eine Reaktion darauf war die Modernisierung des Arsenals an nuklearen Mittelstreckenraketen durch die SS 20.578 Rückkehr zum Bewegungskrieg Die Einführung einer breiten Palette an konventionellen Hightech-Waffen der ersten Generation und die Bemühungen um eine bessere Ausbildung wurden in die Entwicklung einer neuen Doktrin der Beweglichkeit eingebettet. Nachdem die Vereinigten Staaten ein Jahrzehnt lang ganz auf den Krieg in Vietnam fokussiert gewesen waren, wandten sie sich nun wieder der Lage in Zentraleuropa zu. Hier standen die USTruppen nicht Guerillakämpfern gegenüber, sondern den bis an die Zähne bewaffneten Panzerarmeen des Ostblocks. Man versuchte, die Rückschläge in Ostasien zu analysieren und einen Weg für einen erfolgversprechenden Kampf gegen den Warschauer Pakt in Mitteleuropa zu finden. Geradezu obsessiv studierten die Amerikaner nun den Bewegungskrieg der Wehrmacht; die bis heute zu beobachtende tiefe Bewunderung für deren handwerkliche Fähigkeiten hatte hier einen ihrer Ursprünge. Ein wichtiger publizistischer Wegbereiter dieses Lernens vom ehemaligen Feind war der israelische Historiker Martin van Creveld579. Sein Buch »Kampfkraft« entstand 1979/80 zunächst als Studie für das Pentagon und wird bis heute breit rezipiert. Creveld verwies darin auf Defizite in der amerikanischen Führungsstruktur, die zu starr und unflexibel sei, um mit Krisenlagen fertigzuwerden.580 Im Vergleich dazu sei die Wehrmacht eine dezentrale Organisation gewesen, die den Truppenführern viel Entscheidungsfreiheit gelassen habe. Im Mai 1980 lud das US Army War College gar den 86jährigen Hermann Balck und dessen einstigen Chef des Stabes Friedrich Wilhelm von Mellenthin zu einem viertägigen 494
Symposium nach Pennsylvania ein. Sie wurden dort als »two of the world’s most distinguished living commanders of forces in battle« begrüßt, und man hörte ihnen aufmerksam zu. Der in Südafrika lebende Mellenthin hatte auch auf Englisch über seine Kriegserfahrungen geschrieben und so den zurückgezogen lebenden Balck erst bekannt gemacht. Dass dieser wegen Kriegsverbrechen 1948 von einem deutschen und 1950 von einem französischen Gericht verurteilt worden war, störte nicht weiter. Nun sollten die beiden ehemaligen Wehrmachtgeneräle den Amerikanern ihr Können präsentieren. In einem Kriegsspiel wurde ihnen das Kommando über die 3. US-Panzerdivision übertragen. Zusammen mit der 4. US-Infanteriedivision, die vom Befehlshaber des US Army Training and Doctrine Command, General Glenn Kay Otis, geführt wurde, sollte das Fulda Gap581 gegen die sowjetische Armee verteidigt werden. Balck und Mellenthin setzten in ihrem Plan ganz auf Risiko, wollten die sowjetischen Streitkräfte vor Fulda abwehren und nördlich der Stadt tief in die Bundesrepublik vorstoßen lassen, um ihnen danach in die Flanke zu fallen. US-General Otis löste seine Aufgabe mit weniger Geländeverlust. Aber auch er wollte Teile des Frontabschnitts zäh verteidigen, um an anderer Stelle nachzugeben und dort zum Gegenangriff anzusetzen. Den amerikanischen Offizieren schien der gewagte Ansatz von Balck bedenkenswert: »In the hands of average commanders, it would probably be a disaster. In the hands of a Balck, working with a von Mellenthin, it is an option with distinguished historical precedent.«582 Raum zum Manövrieren war nach Auffassung der NATO in Mittelhessen jedoch nicht vorhanden. Die amerikanischen Offiziere lauschten den Ausführungen der deutschen Veteranen gleichwohl aufmerksam. 495
Aus heutiger Sicht ist erstaunlich, dass die hochbetagten Männer von führenden amerikanischen Militärs als Fachleute akzeptiert wurden. Doch was hatten die sowjetischen Streitkräfte der Achtzigerjahre mit der sowjetischen Streitkräfte des Zweiten Weltkriegs zu tun? Balck und Mellenthin argumentierten, dass sich die Kultur der Roten Armee nicht grundsätzlich verändert haben könne. Diese würden auf überraschende Störungen ihres geplanten Angriffsverlaufs daher noch immer sehr empfindlich reagieren – ihren Zuhörern schien das plausibel zu sein. Beide waren der Auffassung, dass die westlichen Soldaten ihren sowjetischen Gegnern in puncto Initiative und Reaktionsschnelligkeit überlegen seien. Das schmeichelte zweifellos ihren amerikanischen Gesprächspartnern, und man war sich einig, dass die Analyse der beiden Wehrmachtveteranen aufmerksam geprüft und durchdacht werden müsse. General George S. Blanchard, soeben pensionierter Kommandeur des amerikanischen Heeres in Europa, war nach dem Kriegsspiel denn auch der Ansicht, dass die deutsche Auftragstaktik »deserved emphasis in U. S. training«.583 Man kann sich fragen, was ein 86-jähriger ehemaliger Wehrmachtgeneral davon wissen konnte, wie 1980 das Fulda Gap zu verteidigen war. So abwegig es auf den ersten Blick erscheint: Bei dem Treffen in Pennsylvania ging es den Amerikanern darum, Grundlegendes über Handwerk und Führungskunst des Panzerkriegs zu lernen. Balck und Mellenthin hatten ihr militärisches Können im Kampf gegen die Rote Armee zweifellos bewiesen. Ihr Erfahrungsschatz erschien der US Army wertvoll. Kein Amerikaner hatte je gegen Sowjets gekämpft, und in der Führung von Panzerverbänden bestanden nach eigener Ansicht erhebliche Defizite. Das Kriegsspiel am Army War College und die 496
Untersuchung van Crevelds flossen in ein größeres Studienprogramm ein, an dessen Ende die neue AirLandBattle-Doktrin stand. Sie verband wesentliche Merkmale der deutschen Kriegführung des Zweiten Weltkriegs (Beweglichkeit, Initiative) und der US-Streitkräfte (Feuerkraft) mit den technischen Möglichkeiten der 1980erJahre. In beweglicher Kampfführung sollten hochmobile Panzerdivisionen in Verbindung mit intensiver Luftunterstützung den Angriff der 1. Strategischen Staffel des Warschauer Paktes zurückwerfen. Zugleich sollte durch massive Luftangriffe auf Verkehrswege und Truppenansammlungen in der DDR, Polen und Weißrussland die 2. Strategische Staffel noch im Anmarsch zerschlagen werden.584 Man schöpfte neue Zuversicht und glaubte, angesichts der vermeintlichen taktischen Inflexibilität der sowjetischen Streitkräfte und ihrer technischen Unterlegenheit erstmals auch konventionell gegen die Russen erfolgreich sein zu können. Selbst die Briten erlernten nun den maneuvre warfare, an dessen Durchführung sie im Zweiten Weltkrieg kläglich gescheitert waren und der ihnen auch im Kalten Krieg bis dahin habituell ungewohnt blieb.585 Auch die Bundeswehr war Teil des neuen Trends zum operativen Denken.586 Die beiden deutschen Generäle Ferdinand von Senger und Etterlin und vor allem HansHenning von Sandrart gaben dem Heer neue Impulse und wollten sich von dem General Defence Plan der NATO lösen, den sie als zu starr empfanden. Sie forderten, über die ersten Verteidigungsgefechte hinauszudenken und die Gegenoffensive in einer operativen Dimension zu planen, auch große Risiken einzugehen, um die Initiative wiederzugewinnen.587 Es ging ihnen darum, die Defensive stärker als Ganzes zu denken, örtlich Schwerpunkte zu bilden, 497
Kräfte frei zu verschieben, die geplanten Verteidigungsräume des ersten Gefechts zu vergrößern und nicht als starre Festungslinie zu denken.588 Es ging auch um die Rückgewinnung der Initiative mit einer »aggressiven, beweglichen Operationsführung im Raum«. »Schöpferische Führungskunst […] war einst die Stärke des deutschen Heeres und seines Generalstabs. Sie muß es bleiben und dort, wo sie verlorengegangen ist, muß sie es wieder werden«, erklärte Sandrart auf der Übung »Trutzige Sachsen« 1985.589 Er war durchaus für das »standhafte Halten« der grenznahen Verteidigungsräume. Sein Hauptaugenmerk aber lag stärker als bei den Vorgängern auf dem überraschenden Gegenangriff, der mit schnellem, wuchtigem Stoß den Feind vernichten sollte. »Die Verteidigung braucht das blitzende Schwert des Angriffs. Dies hat uns im großen operativen Maße Manstein zum letzten Mal 1943 durch die berühmte Rochade bei der Heeresgruppe Süd vorexerziert«590, stellte er 1986 heraus. Die Truppenführung als Kunst, dieser klassische Eckpfeiler des German Way of War, war aus dem Denken der Heeresführung nie ganz verschwunden591 und kam in den Planungen der obersten Generalität nun wieder stärker zur Geltung.592 Das Rad wurde dabei nicht neu erfunden, im Gegenteil: Es wurde an alte Vorbilder angeknüpft. Sandrarts Vorgaben erinnerten an die Truppenvorschriften eines Hans von Seeckt oder Ludwig Beck aus der Reichswehrzeit. Diese Akzentverschiebung war zunächst nur »Generals talk«, und nur die höheren Stäbe und einige ausgewählte Offiziere waren darin involviert.593 Erst mit der neuen Operativen Leitlinie für das Deutsche Heer von 1987 wurde das Prinzip des flexiblen Operierens in einem offiziellen Papier niedergelegt.594 Als Sandrart 1987 zum NATO-Oberbefehlshaber Mitte ernannt wurde, war er endlich in der Position, auch die konkrete 498
Operationsplanung für den Ernstfall zu flexibilisieren.595 Die unteren Ebenen, also die Bataillone und Brigaden, wurden von dieser Debatte übrigens nicht näher berührt. Schließlich wurde hier seit den Sechzigerjahren der schnelle und flexible Kampf gepanzerter Verbände als »Kern des Heeres«596 geübt. Interessanterweise behandelte die Bundeswehr die Artillerie ähnlich wie die Wehrmacht eher stiefmütterlich. Die Bekämpfung der feindlichen Geschütze war eine der großen Schwächen der Jahre 1943/44 gewesen. Sie schien auch in den 1980er-Jahren angesichts der geringen Rohrzahl und des geringen Vorrats an Munition nur in engen Grenzen möglich.597 Die Vernachlässigung der artilleristischen Feuerkraft war neben dem »Dogma der Beweglichkeit«598 eine erstaunliche historische Kontinuität, und dies obwohl etliche Generalinspekteure und selbst Henning von Sandrart von Haus aus Artilleristen waren. Allerdings zeichnete sich auch hier ab Mitte der Achtzigerjahre durch eine verbesserte Organisation, die Einführung moderner Munitionsarten und neuer Raketenwerfer eine Trendwende ab. Das Vertrauen in die »Kriegstüchtigkeit« des Heeres, die Fähigkeit, »Freiheit und Recht unserer Völker« zu verteidigen und damit den Warschauer Pakt abzuschrecken, wurden Mitte der Achtzigerjahre spürbar größer.599 Die Bundeswehr gewann an Selbstbewusstsein. Offen wurde nun davon gesprochen, dass die Truppen an ihre eigenen Möglichkeiten glauben und mit Stolz auf ihre Leistungen blicken sollten.600 Unter gewissen Umständen traute man sich nun zu, es auch mit der 2. Strategischen Staffel der sowjetischen Streitkräfte aufzunehmen. Allerdings waren die Lagebeurteilungen der Generalität auch jetzt keinesfalls euphorisch. Eine gewisse Skepsis, ob man einen konventionellen Großangriff aufhalten konnte, blieb bestehen, und dies wohl auch, weil trotz vieler 499
Verbesserungen in der Ausbildung die klassischen Probleme einer Friedensarmee nicht beseitigt werden konnten.601 Die besten Aussichten rechnete man sich noch bei den in Nordhessen liegenden Verbänden aus. In der norddeutschen Tiefebene und in Süddeutschland sei die Verteidigung nur zeitlich begrenzt erfüllbar. Dort bliebe das Problem, dass einem Angriff durch Österreich hindurch keine ausreichenden Kräfte entgegengesetzt werden könnten, hieß es im Zustandsbericht Heer von 1986.602 Selbst wenn es gelänge, den ersten Ansturm der in der DDR und der ČSSR liegenden Verbände aufzuhalten, habe man es bald mit der 2. Strategischen Staffel des Warschauer Paktes zu tun. Und die könne nur abgewehrt werden, wenn es die NATOLuftstreitkräften schafften, die Überlegenheit zu erkämpfen und die Heranführung der sowjetischen Reserven zu stören. Zudem hing dann alles davon ab, ob es den Amerikanern gelingen würde, ausreichende Verstärkungen über den Atlantik zu fliegen, und ob sich die gesamte französische 1. Armee am Abwehrkampf beteiligte. Henning von Sandrart schien der Sache selbst nicht ganz zu trauen.603 Der Zwang zur nuklearen Eskalation sei keineswegs gebannt, meinte er. Darüber hinaus erschien fraglich, ob ein konventioneller Krieg auf deutschem Boden überhaupt führbar war. Die Auffassung, dass er ähnliche Verwüstungen zur Folge hätte wie ein Atomkrieg, war weitverbreitet und wurde auch von Generalinspekteur Wolfgang Altenburg geteilt. Truppenführer dachten teilweise anders und plädierten eher gegen mentale Vorbehalte.604 Aber auch für sie dürften solche Planungen vor allem Gedankenspiele gewesen sein. Die gesteigerte konventionelle Kampfkraft war vor allem ein Mittel der Abschreckung – um einen Krieg zu verhindern und nicht, um ihn zu führen. West-östliche Wahrnehmungen 500
Die Abschreckung, für die über Jahrzehnte ein gigantischer Aufwand getrieben wurde, war nach Ansicht der Bonner Hardthöhe bitter notwendig. Die Bundeswehr nahm die Sowjetunion stets als einen aggressiven Staat wahr, der eine »weltumspannende ideologische, politische und militärische Dominanz« anstrebte.605 Moskau war nie vom offiziellen Ziel der Weltrevolution abgerückt, und die Streitkräfte des Warschauer Paktes waren zum Angriff aufmarschiert. Sie hatten eine beeindruckende Einsatzbereitschaft, und die NATO bewertete ihre Kampfkraft als hoch. Selbst als die Sowjetunion 1985 ihre Doktrin von Angriff auf Verteidigung umstellte und dem Land im Rüstungswettlauf mit der NATO die Luft ausging606, traute man dem Wandel nicht recht.607 Die Bundeswehrführung glaubte zwar nicht daran, dass Moskau es auf einen globalen Atomkrieg anlegen würde, aber man wollte dies auch nicht vollkommen ausschließen. Außerdem waren in der NATO viele Warnungen im Umlauf, dass der Ostblock zum Angriff übergehen könnte, sollte die Allianz in ihrer Entschlossenheit zur Abschreckung nachlassen.608 Manche hielten eine regional begrenzte Aktion oder eine konventionell geführte Offensive für denkbar. Über die konkreten sowjetischen Absichten wusste man während des Kalten Krieges im Westen aber nichts. Der BND zählte zwar zuverlässig die Panzer des Ostblocks und klärte über Truppenverschiebungen auf.609 Er konnte aber weder Leonid Breschnew noch Juri Andropow in die Karten schauen. Einen Meisterspion im Kreml hatte die NATO nicht. Doch was wissen wir heute über die Angriffsplanungen des Warschauer Paktes? Gab es je die Intention, in einem günstigen Moment bis an den Rhein oder gar an den Atlantik vorzustoßen und Westeuropa in die kommunistische Hemisphäre zu integrieren? Immerhin stieß man nach der 501
Wiedervereinigung in der DDR auf generalstabsmäßige Vorbereitungen für einen Angriff auf die Bundesrepublik. Die Blücher-Orden waren schon geprägt, das Besatzungsgeld gedruckt und die Landkarten bereitgestellt. War das alles nur ein Pokerspiel, in dem man mit militärischen Drohgebärden politische und wirtschaftliche Vorteile im Ringen der Systeme erkaufen wollte?610 Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs wollte die Sowjetunion unbedingt vermeiden, einen künftigen Krieg auf eigenem Territorium auszutragen. Geschützt durch ein Glacis von Vasallenstaaten, galt es den Kampf offensiv auf das Gebiet des Gegners zu tragen. Dies entsprach der sowjetischen Militärdoktrin der Dreißigerjahre mit ihrer Betonung der Offensive. Dementsprechend bereitete der sowjetische Generalstab Angriffspläne vor. In den Sechziger- und Siebzigerjahren plante man tatsächlich, mit sechzig sowjetischen Divisionen und weiteren sechzig der Verbündeten unter massivem Einsatz von Nuklearwaffen Westeuropa in einer Art Blitzkrieg in zwei Wochen zu überrollen. Für eine Besetzung der Bundesrepublik wurden dabei fünf bis sieben Tage veranschlagt. Die Möglichkeit eines rein konventionellen Angriffs scheint man erwogen, aber verworfen zu haben.611 Ende der Siebzigerjahre wurden die Prognosen über die Erfolgsaussichten der eigenen Offensive gegen die Bundesrepublik zurückhaltender, da man die verbesserte Technologie der NATO sehr ernst nahm. Mehr als 100 bis 150 Kilometer würde man in den ersten fünf Tagen nicht vorankommen, hieß es nun.612 Ob eine solche Operation als originäre Aggression oder – so die offizielle Lesart – als Reaktion auf eine vermutete Bedrohung durch die NATO geplant wurde, ist angesichts verschlossener russischer Archive nicht zu beantworten. Wie 502
im Westen gab es auch in der Sowjetunion in den verschiedenen Phasen des Kalten Krieges sehr unterschiedliche Auffassungen über die Ziele und Formen einer offenen Konfrontation der Blöcke. Generalstabschef Nikolai V. Ogarkov sprach sich 1977 beispielsweise für die Strategie eines Nuklearkriegs aus, den er durchaus für gewinnbar hielt. Leonid Breschnew lehnte eine solche Option vier Jahre später ab.613 Ausgehend von den bislang zugänglichen Quellen muss man die Sicherheitspolitik der Sowjetunion in Europa gewiss defensiver betrachten, als dies zur Zeit des Kalten Krieges getan wurde. Zweifellos strebte Moskau nach einer Ausdehnung seines Einflusses, etwa in Afrika; dabei mögen auch Vorstellungen vom Sieg des Kommunismus in der Blockkonfrontation eine Rolle gespielt haben. Aber ein großer Krieg scheint für die Generationen der sowjetischen Staatsführer der Nachkriegszeit keine Option gewesen zu sein. Die Stationierung der SS 20 war eine Reaktion auf eine angenommene konventionelle Überlegenheit der NATO und aus sowjetischer Sicht somit defensiv.614 Auch die Invasion in Afghanistan war kein Auftakt zum Marsch an den Indischen Ozean, wie im Westen vielfach gemutmaßt. Die sowjetischen Militärs haben, wie wir heute wissen, vor der Intervention gewarnt. Dass das Politbüro nach längerem Zögern schließlich aus Angst vor einem Übergriff des militanten Islam auf den Süden des eigenen Landes und einem Festsetzen der CIA in Afghanistan agierte, ist von der Auslandsaufklärung der Bundeswehr nicht erkannt worden.615 Diese betonte, eher noch als der BND, das Bild der gefährlichen Sowjetunion. Wenngleich keine Hasspropaganda verbreitet wurde, war das Feindbild doch klar. Dass man dabei die Intentionen Moskaus wohl zu offensiv bewertete, war für eine militärische 503
Institution nicht überraschend, deren Aufgabe es war, das Land zu schützen und sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Und welchen Eindruck machte die Bundeswehr auf ihre Gegner? Trug ihre Leistungsbereitschaft dazu bei, den Warschauer Pakt abzuschrecken und damit den Frieden zu sichern? Oder nahm man in Moskau und anderswo im Ostblock nur die amerikanischen Atomraketen ernst und hielt die westdeutsche Armee für eine Feierabendtruppe ohne großen Kampfwert? Beantworten lässt sich dies bislang nur für die DDR. Die politische Ebene Ostberlins nahm die Bundeswehr als Teil eines aggressiven Bündnisses wahr616, das den eigenen Staat bedrohte. Die Militäraufklärung der NVA berichtete hingegen in beachtenswerter Nüchternheit über die Manöver, die Ausrichtung und die Fähigkeiten der Bundeswehr und ihrer Bündnispartner. In den Analysen wurde zumindest zwischen den Zeilen deutlich, dass die NATO defensiv aufgestellt war und keinesfalls einen Überfall auf den Warschauer Pakt plante.617 Zwar enthielten die Berichte immer auch die obligatorischen politischen Referenzen, wonach die Manöver die aggressiven Absichten des »BRDImperialismus« und dessen Streben nach Stabilisierung der imperialistischen Machtverhältnisse belegten. Die Bundeswehr würde ihre Soldaten auf den »Kurs der Aggressionsvorbereitungen des Bonner Staates« einschwören, hieß es an anderer Stelle. Solche Bemerkungen waren aber auffallend selten, und konkrete Mutmaßungen über einen bevorstehenden Angriff auf die DDR wurden nicht angestellt. Über die großen Schwächen, die in den bundeswehrinternen Papieren so ausführlich diskutiert wurden, findet sich in den Akten der NVA interessanterweise nur wenig, insbesondere nicht zu den Defiziten in der 504
Ausbildung und bei der Motivation.618 Die militärische Auslandsaufklärung der DDR bewertete die Kampfkraft der Bundeswehr somit höher, als diese es selber tat.619 Insbesondere der technische Qualitätssprung bei den Panzerabwehrwaffen wurde Anfang der 1980er-Jahre bei der NVA mit Sorge wahrgenommen, und man schloss daraus, dass die Kampfkraft der westdeutschen Divisionen um 30 bis 50 Prozent gestiegen sei.620 Die Akten des sowjetischen Militärgeheimdienstes GRU stehen der Forschung leider nicht zur Verfügung. Blickt man aber durch die Brille der NVA auf die westdeutschen Streitkräfte, so haben diese ihren Auftrag zur Abschreckung zweifellos erfüllt. Traditionen Die Strategie der NATO ebenso wie die konkreten Operationsplanungen wurden im Verlauf des Kalten Krieges modifiziert. Während es auf der oberen militärischen Ebene also durchaus Veränderungen gab, immer wieder angepasst, abgestimmt und neu justiert wurde, herrschte auf der unteren Ebene, bei den Brigaden, Bataillonen und Kompanien, eher Kontinuität im Denken vor. Hier, auf der taktischen Ebene, dominierte eine Vorstellung vom Bewegungskrieg, die sich in ihren Grundzügen seit dem Kaiserreich erstaunlich wenig verändert hatte. Gefordert wurden ein dynamisch drängender und wendig entschlossener Führungsstil, Vorwärtsdrang, das Streben nach Initiative, Siegeswillen, zielstrebiges, zupackendes Handeln ins Ungewisse, Einfallsreichtum, das Führen von vorne und schließlich Pflicht- und Einsatzfreude. Der Gardeleutnant des Jahres 1908, der Sturmtruppenführer 1917, der Panzeroffizier 1941 – sie alle hätten sich in dieser Beschreibung wiedergefunden. Dabei entspricht sie keineswegs einem allgemeingültigen Soldatenbild. Mut zum Risiko, rasche Initiative und Beweglichkeit waren Aspekte, die 505
zumindest in dieser Ausprägung weder bei Franzosen noch bei Amerikanern oder Briten zu finden waren. Bei allen habituellen und politischen Unterschieden gab es im Offizierkorps der Kampftruppen des Heeres vom Kaiserreich bis zur Bundeswehr im Kalten Krieg eine bemerkenswert große Schnittmenge im professionellen Selbstverständnis. Diese Kontinuität ermöglichte auch die kameradschaftliche Verbindung zwischen Generationen von Soldaten, weil sich auf der handwerklichen Ebene etwa eines Grenadierbataillons nur wenig geändert hatte. Generalleutnant Werner Lange bilanzierte 1984 anlässlich des Manövers »Flinker Igel«, man habe nichts von dem verlernt, was den deutschen Offizier und Unteroffizier »schon immer« ausgezeichnet habe.621 Die im Kalten Krieg vorherrschende Auffassung vom militärischen Handwerk legte den Brückenschlag zur Wehrmacht, aber auch zur Reichswehr und zu den Armeen Preußens und des Kaiserreiches nahe. Ganz im Sinne des Gründungskompromisses der Bundeswehr und unterstrichen durch den ersten Traditionserlass 1965 galten soldatische »Tüchtigkeit und Kampfentschlossenheit« daher explizit als traditionswürdig. Soldatisches Können spielte bei der Namensgebung von Kasernen eine deutlich größere Rolle als etwa der Widerstand gegen den Nationalsozialismus.622 Daran änderte sich auch unter der SPD-Regierung grundsätzlich nichts.623 So wurden 1970 nach dem Panzerjäger Diedrich Lilienthal, 1975 nach dem Jagdflieger Hans-Joachim Marseille und 1977 nach den Panzergenerälen Oswald Lutz und Adelbert Schulz Kasernen benannt. Gewiss war es den meisten Soldaten eher gleichgültig, wie ihre Standorte hießen. In der Namensgebung spiegelte sich eher die Haltung der höheren Offiziere wider, von denen die Vorschläge kamen und für deren Selbstbild historische Vorbilder von Bedeutung waren. 506
Sie waren es auch, die die tribal cultures konstituierten und das Traditionsbild formten. Mustergültig lässt sich dies bei der Neugründung der Jägertruppe im Jahr 1973 nachvollziehen. Diese auf den Ortsund Waldkampf spezialisierten Infanterieverbände hatte es in der Bundeswehr zuvor nur im Territorialheer gegeben. Es waren Verbände, die im Ernstfall mobilgemacht werden sollten, im Frieden aber nur aus wenigen Mann Rahmenpersonal bestanden. Nun glaubte man aber im aktiven Friedensheer eine kampfstarke Jägertruppe aufbauen zu müssen, die sich in den waldreichen Gebieten Nordhessens und Bayerns eingraben und gegen die Rote Armee verteidigen sollte.624 Mit viel Pathos wurden Bezüge zu den Jägertruppen von 1813, 1870/71 und des Ersten Weltkriegs hergestellt. Die Jägerverbände durften als eine der ersten Einheiten der Bundeswehr das Barett mit dem goldenen Truppenabzeichen tragen, das flächendeckend erst 1982 eingeführt wurde.625 Zudem pflegten sie – wie schon zur Kaiserzeit – ein weidmännisches Brauchtum. Die Jagdhornbläser gehörten zu jedem offiziellen Anlass dazu, und auch der eigene Schlachtruf »Horrido Joho!« stellte die Verbindung zu alten Zeiten her. Der Zweite Weltkrieg war in diesem Fall unterrepräsentiert, da die Jägertruppe in der Wehrmacht keine große Rolle gespielt hatte. Anfang der Achtzigerjahre blieben nach erneuten Umstrukturierungen nur zwei neu aufgestellte aktive Jägerbataillone übrig, die sich sogleich daranmachten, die kulturelle Identität der Truppengattung weiterzutragen. Das Jägerbataillon 66 in Wentorf bei Hamburg stellte sich in die Tradition der berühmten Lützower Jäger aus den Befreiungskriegen, also jener Truppe, auf deren Uniform die schwarz-rot-goldene Bundesflagge zurückgeht. In der Kaserne 507
des Jägerbataillons 67 in der Nähe von Itzehoe zeigten Wandzeichnungen die Ahnenreihe der Jägertruppe von der Zeit Friedrichs des Großen über die Befreiungskriege bis zur Gegenwart. Das Bataillon übernahm die Tradition des kaiserlichen Reservejägerbataillons 18 aus Lauenburg. Man webte dessen Fahne nach, die fortan im Kasino hing und während der Rekrutengelöbnisse mitgeführt wurde. Veteranen aus dem Bataillon gab es zwar keine mehr, aber kundige Referenten des Deutschen Jägerbundes e. V. wussten die Truppe über Tradition und Brauchtum zu unterrichten. Das Beispiel zeigt, dass es durchaus ohne die Wehrmacht ging, wenn andere Bezüge näherlagen. Doch die Jägertruppe war eine Ausnahme, und das 19. Jahrhundert spielte im Heer insgesamt nur eine untergeordnete Rolle. Dass auch der Bezug zum Ersten Weltkrieg seine Tücken hatte, bekam 1976 die Luftwaffe zu spüren. Sie hatte Anfang der Sechzigerjahre drei Geschwader nach den Fliegerassen Oswald Boelcke, Max Immelmann und Manfred von Richthofen benannt. Dies hatte allerdings auch schon die Wehrmacht getan, weshalb deren Veteranenverbände Kontakte zu den Bundeswehrgeschwadern pflegten. 1976 veranstaltete das Aufklärungsgeschwader »Immelmann« der Bundeswehr auf seinem Fliegerhorst Bremgarten bei Freiburg ein Treffen mit den Veteranen des gleichnamigen Stukageschwaders. Eingeladen war auch Hans-Ulrich Rudel. Der »ewige Nazi«626 war von 1941 bis 1945 in diesem Verband geflogen; er war schon zu Kriegszeiten eine Legende gewesen und trug als Einziger den höchsten Tapferkeitsorden der Wehrmacht. Aus seiner engen Bindung zum Nationalsozialismus hatte er vor, aber auch nach 1945 kein Hehl gemacht. Seit den 1950erJahren bewegte er sich in rechtsextremen Kreisen. Für die Protagonisten des Treffens, darunter der nicht kriegsgediente 508
Geschwaderkommodore, aber auch der CDU-Obmann des Verteidigungsausschusses Manfred Wörner, zählte nur Rudels herausragende Tapferkeit als Wert an sich. Die sozialdemokratische Leitung des Ministeriums nahm das Erscheinen Rudels in der Bundeswehrkaserne zähneknirschend hin. Die Sache weitete sich dann zum Skandal aus, weil zwei hohe Luftwaffengeneräle nach dem Treffen in einem Pressegespräch die Einladung Rudels in einem kruden Vergleich damit rechtfertigten, dass mit Herbert Wehner schließlich auch ein ehemaliger Kommunist im Bundestag sitze.627 Eine aufgeregte öffentliche Diskussion über das Geschichtsverständnis der Streitkräfte war die Folge. Es wurden Stimmen laut, die die Tradition der Bundeswehr auf die Zeit nach 1945 beschränken wollten. Diese Position war allerdings selbst in der SPD umstritten.628 Als 1980 der Große Zapfenstreich in Bremen zur Zielscheibe öffentlicher Proteste wurde und sich die Stimmen mehrten, mit dem Vergangenen zu brechen, reagierte Verteidigungsminister Hans Apel. Im September 1982 trat der neue Traditionserlass in Kraft.629 Dieser hob die Bindung der Bundeswehr an das Grundgesetz hervor und betonte deren Eigentradition. Über die Wehrmacht hieß es, sie sei in den Nationalsozialismus »teils schuldhaft verstrickt« gewesen, »teils schuldlos missbraucht« worden; jedenfalls könne »ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich keine Tradition begründen«. Als traditionswürdig wurden vor allem solche Zeugnisse, Haltungen und Erfahrungen bezeichnet, »die als ethische und rechtsstaatliche, freiheitliche und demokratische Traditionen auch für unsere Zeit beispielhaft und erinnerungswürdig sind«. Damit war eine deutliche Distanz zur Wehrmacht hergestellt, ohne die Verbindung ganz zu kappen. Gewissenhafter Gehorsam, treue 509
Pflichterfüllung, Kameradschaft und der Wille zum Kampf wurden weiterhin als traditionswürdig eingestuft. Viele Einzelheiten der verbrecherischen Kriegführung der Wehrmacht waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt – aber an der Dimension der Verbrechen konnte schon damals kein Zweifel bestehen. Solche Erkenntnisse sickerten aber nur sehr langsam in die Bundeswehr ein. Der neue Traditionserlass war in seiner Sprache zurückhaltend und verharmloste den aktiven Part der Wehrmacht eher noch. Mithilfe des neuen Begriffs des militärischen Brauchtums sowie des Verweises auf die Nutzung soldatischer Erfahrungen in der Ausbildung tat man so, als hätte die Zeit vor 1945 mit der Tradition der Bundeswehr nichts zu tun. Freilich klärte der Erlass nicht, wie konkret mit dem Erbe der Wehrmacht umzugehen sei und wo die roten Linien zu ziehen waren. Mit dieser diffizilen Aufgabe sollten sich die Kommandeure herumschlagen, das Ministerium war aus dem Schneider. Eine fundierte Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Traditionen für die Truppe fand nicht statt; noch weniger wurde gefragt, warum diejenigen, die sich dafür interessierten, zumeist bei der Wehrmacht landeten. Für die Klärung dieser Fragen hatte man offenbar weder Interesse noch Zeit. Der Erlass wurde in so großer Hektik geschrieben, dass man sogar den Bezug zum 20. Juli 1944 vergaß. Letztlich zielte das Dokument auf den politischen Raum ab. Das Bedürfnis der Truppe nach Vor- und Leitbildern spielte keine Rolle. Der neue Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU) war mit dem Erlass, den ihm sein SPD-Vorgänger in letzter Minute ins Nest gelegt hatte, ohnehin unzufrieden und ordnete sogleich eine Überarbeitung an. Nunmehr sollten die militärische Erfahrung in ganzer historischer Breite berücksichtigt, die traditionswürdigen Haltungen und Taten 510
Einzelner von der Institution der Wehrmacht getrennt, der Widerstand hervorgehoben und das Gedenken an die Opfer der Weltkriege herausgestellt werden.630 Eine Kommission erarbeitete mehrere Entwürfe, die aber zwischen Militärischem Führungsrat, dem Beirat Innere Führung und dem Ministerbüro so lange hin und her geschoben wurden, bis die Sache Ende 1985 im Sande verlief. Hinter verschlossenen Türen wurde um das richtige Maß von Distanz und Nähe zu den Wehrmachtsoldaten gestritten. Der Kommandeur des Zentrums Innere Führung, Adalbert von der Recke, war der Meinung, dass man die Wehrmacht nicht pauschal aus der Tradition verbannen könne, weil die Soldaten des Zweiten Weltkriegs für das Selbstverständnis vieler Bundeswehrsoldaten wesentlich seien und ebenso dazugehörten wie der Widerstand und die Geschichte seit 1955. Dietrich Genschel, Stabsabteilungsleiter für Innere Führung, war ganz anderer Meinung. Er merkte kritisch an, was denn die Bundeswehr mit Leuten wie »Reichenau, Manstein, Jodl, Keitel …« verbinde.631 Freilich war auch im Militärischen Führungsrat keine Einigung darüber zu erzielen, wie die Verantwortung der Wehrmacht für Kriegsverbrechen von der »Haltung und Leistung« jener Verbände und Soldaten getrennt werden konnte, die »ehrenhaft gekämpft haben«.632 Das Ringen um die Textentwürfe führte zumindest dazu, dass fortan deutlicher zwischen der Wehrmacht als Institution und den einzelnen Soldaten differenziert wurde. Handwerklich aber war das Heer derart eng mit der Wehrmacht verwoben, bezog sich so sehr auf Führungslehre, Vorschriften und zumindest Teile des Wertekanons, dass die Jahre 1935 bis 1945 aus der gelebten Tradition nicht wegzudenken waren. Ähnlich dachte auch Minister Wörner. Im März 1983 verabschiedete er den Inspekteur der Luftwaffe, Friedrich 511
Obleser, mit folgenden Worten in den Ruhestand: »Ihre Tapferkeit und Ihre soldatische Leistung im Zweiten Weltkrieg wurden mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Sie gehörten zu den Idolen meiner Kindheit. Sie haben für Ihr Vaterland gekämpft und sind von einem verbrecherischen Regime schmählich getäuscht worden.«633 Der Minister machte seine Haltung immer wieder deutlich, etwa 1985 beim Treffen des Bundes der Fallschirmjäger oder im Juli 1987 am Gebirgsjägerdenkmal auf dem Hohen Brendten.634 Auch der Inspekteur des Heeres, Hans-Henning von Sandrart, schloss 1984 in einer Rede am Ehrenmal des Heeres in Koblenz »die tapferen Soldaten der Kriege« in die Tradition des Heeres dezidiert mit ein.635 Im selben Jahr nahm Sandrart an den Feierlichkeiten zum 40. Todestag Erwin Rommels teil und würdigte dessen soldatische Tugenden und militärische Fähigkeiten: den Oberleutnant, der 1917 den Monte Matajur erstürmte, den Autor des Buches »Infanterie greift an«, den erfolgreichen Panzerkommandanten in Frankreich und Nordafrika. »Er bleibt im Herzen und im Sinn der deutschen Soldaten«, so Sandrart.636 In der Panzertruppenschule in Munster wurde zu dieser Zeit ein 350-jähriges Traditionsverständnis gepflegt, in dem die Wehrmacht einen prominenten Platz einnahm. In jedem Hörsaal war der Weg einer Panzerdivision im Zweiten Weltkrieg mit Wanddarstellungen nachgezeichnet, und es gab sogar eine kleine Ausstellung über SS-Hauptsturmführer Michael Wittmann, dem angeblich erfolgreichsten Panzerkommandanten des Zweiten Weltkriegs. Dieses Beispiel zeigt vielleicht am klarsten, wie man auf unterer Ebene zwischen Institution und Person, zwischen Handwerk und politischem System unterschied. Tapferkeit und Kameradschaft wurden von vielen Soldaten unverändert als 512
soldatische Tugenden betrachtet, die nicht erst durch eine ethische, rechtsstaatliche oder demokratische Zielsetzung traditionsfähig wurden.637 In Munster schien daher auch niemand auf den Gedanken zu kommen, dass Wittmann als Vorbild ungeeignet sein könnte, weil er seit 1936 Mitglied der späteren Waffen-SS war und die längste Zeit in der SSDivision »Leibstandarte Adolf Hitler« gedient hatte. Zweifellos war er ein erfolgreicher Panzerkommandant, doch gab es andere, die nicht der Waffen-SS angehört hatten und – wie etwa der weitgehend unbekannte Kurt Knispel – noch erfolgreicher gewesen waren. Wittmann war so populär, weil alle Welt Paul Carells Bestseller »Sie kommen« gelesen hatte, in dem Wittmanns Husarentat im Kampf um die französische Ortschaft Villers-Bocage im Juni 1944 in den buntesten Farben ausgemalt wurde. Das Beispiel zeigt, wie stark in der Truppe das Bedürfnis nach historischen Vorbildern vorhanden war, mit denen man sich als Panzerkommandant, Zugführer oder Kompaniechef identifizieren konnte – mit Kämpfern also, die das vorgelebt hatten, wofür man selbst ausgebildet wurde. Gewiss dachten nicht alle Soldaten so. Den meisten Wehrpflichtigen war die Traditionsfrage vollkommen gleichgültig oder sie empfanden sie eher als störend.638 85 Prozent der Offiziere und 61 Prozent der Unteroffizier glaubten aber nicht, dass die Rolle des Militärs im Nationalsozialismus einer Traditionsbildung entgegenstand, wie eine Studie aus dem Jahr 1985 zeigte. Und die überwiegende Mehrheit der Zeit- und Berufssoldaten wollte lieber mehr Tradition als weniger, meinte, »dass andere Nationen nicht solche seelischen Blähungen haben wie wir«.639 Vor allem beispielhaftes Verhalten aus den Weltkriegen sollte herausgestellt werden.640 Die bundeswehreigenen Traditionen spielten demgegenüber nur 513
eine untergeordnete Rolle; nur ein knappes Drittel hatte die entsprechende Frage überhaupt beantwortet.641 In den Achtzigerjahren zogen das CDU-geführte Verteidigungsministerium und ein Großteil des Offizierkorps des Heeres in Traditionsfragen an einem Strang. Die Kritik am Buch »Kriegsnah ausbilden« durch die Grünen wurde ebenso abgeschmettert642 wie jene an dem aus Wehrmachtzeiten stammenden Panzerlied »Ob’s stürmt oder schneit«. 1984 hatte sich der Panzerschütze Franz Schober geweigert, das Lied zu singen, da der »Hitler-Faschismus den Interessen der Reichen diente, so dass das Singen eine Verhöhnung der Toten des 2. Weltkrieges« bedeute. Das Truppendienstgericht wies seine mehrfachen Beschwerden jedoch ab. Auch in Koblenz weigerte sich ein Wehrdienstleistender einzustimmen und wurde wegen Ungehorsams zu einer Arreststrafe verurteilt. Davon bekam die lokale Presse Wind, und der Vorfall landete im Fernsehen. Den Wehrbeauftragten erreichten daraufhin etliche Eingaben, worauf er anregte, die Teile des Lieds zu überprüfen, in denen vom Vorstoß »tief in die feindlichen Reihen« die Rede war (2. Strophe) und der Panzer als »ehernes Grab« (4. Strophe) bezeichnet wurde. Solche Texte seien mit dem Verteidigungsauftrag einer Friedensarmee nicht zu vereinbaren. Das Lied war 1958 in einer abgeschwächten Form in das Liederbuch der Bundeswehr aufgenommen worden. Die ursprüngliche dritte Strophe, die das Sterben für Deutschland als höchste Ehre besang, wurde schon damals gestrichen. Die übrigen Strophen erfreuten sich aber weiter großer Beliebtheit. Werner von Scheven, in dessen Brigade einer der Protestler Dienst tat, meinte dazu: »Vom Panzerlied hängt nicht das Wohl und Wehe der deutschen Panzertruppe ab, schon gar nicht von der 4. Strophe. Es ist jedoch festzustellen, dass es bis 514
heute eines der am meisten freiwillig gesungenen und bekanntesten Soldatenlieder im Heer ist. […] Gerade die 4. Strophe wird immer wieder gesungen. Dies ist aber keine Heldenverehrung. Analogien sind im deutschen Volks- und Fahrtenliederbestand reichlich zu finden. Eine Streichung der 4. Strophe ist kein Verlust, kann aber eher das Gegenteil der Absicht bewirken.«643 Andere Generäle wurden noch deutlicher. Rasch bildete sich eine Gruppe, die vom Inspekteur des Heeres über den Kommandeur des II. Korps und der 10. Panzerdivision bis zum General der Kampftruppen reichte. Letzterer schrieb, das Lied entspreche der Mentalität der Panzertruppe und der gültigen Forderung, schnell und erfolgreich zu kämpfen. »Die 4. Strophe stellt dar, daß der Tod den Panzersoldaten eben im Panzer treffen kann. […] Dies wird in einem Kriege auch so sein.« Es gehe nicht um die Verherrlichung des Soldatentodes, sondern um die Beschreibung einer realen Situation.644 Minister Wörner schloss sich den Argumenten an. Doch als das neue Liederbuch dann in zweiter Auflage erschien und 1991 in den Druck ging645, war schon eine neue Zeit angebrochen. Die 4. Strophe, die die Generalität in den Achtzigern noch mit Verve verteidigt hatte, wurde bei dieser Gelegenheit gestrichen, in der Truppe aber weiterhin gesungen.646 Fazit Die Blockkonfrontation, die Teilung Deutschlands, die atomare Bedrohung und die Erfahrung von zwei verlorenen Weltkriegen formten ganz neue und höchst ambivalente Rahmenbedingungen für den Aufbau der Bundeswehr. Das westdeutsche Militär war gewissermaßen mit einer doppelten Ambivalenz konfrontiert: Sollte die Bundeswehr vom Krieg oder vom Frieden her gedacht werden, und war es opportun oder nicht, sich in die Tradition einer langen Militärgeschichte 515
zu stellen? Die jeweiligen Alternativen schlossen sich im Grunde aus, dementsprechend heftig wurde darum gerungen. In der Praxis lief der Entscheidungsprozess auf einen Kompromiss zwischen militärischer Binnenlogik und innenpolitischen Vorbehalten hinaus, um die außenpolitischen Anforderungen zu erfüllen. Außenpolitisches Projekt Das Versprechen, gegen erhebliche innenpolitische Widerstände eine Armee aufzubauen, war ein kraftvolles politisches Signal an Frankreich, Großbritannien und vor allem die Vereinigten Staaten. Ab Mitte der Sechzigerjahre wurden die vollmundigen Zusicherungen der Fünfzigerjahre dann auch eingelöst, und spätestens jetzt war die Allianz in Europa ohne die Bundeswehr nicht mehr zu denken. Bonns Streitkräfte waren weit mehr als nur Hilfstruppen. Sie waren zwar beinahe vollständig der NATO assigniert, aber strukturell so eigenständig und militärisch so relevant, dass die Bundeswehr auch politisch Gewicht hatte. So trug sie dazu bei, dass die Bundesrepublik international mehr Einfluss bekam und seit den Sechzigerjahren auch die Strategie der Allianz mitbestimmte. Das Militär war für das deutschamerikanische Verhältnis zweifellos einer der wichtigsten Pfeiler. Angesichts der von den USA kritisch beäugten Ostpolitik und der gesellschaftlichen Proteste gegen die Nachrüstung war die Bundeswehr das überzeugendste Zeichen von Bündnistreue und Verlässlichkeit. Ihre Existenz und Effizienz boten überhaupt erst die Voraussetzung, die alliierten Truppen in der Bundesrepublik zu halten, sie gar bis an die innerdeutsche Grenze vorrücken zu lassen, um der Sowjetunion zu signalisieren, dass sie im Falle eines Angriffs auf Deutschland gegen das westliche Bündnis insgesamt würde kämpfen müssen. Der Marburger Historiker Eckart 516
Conze stellte seine Geschichte der Bundesrepublik unter die Überschrift »Die Suche nach Sicherheit«. In diesem Sinne war die Bundeswehr Teil der Staatsräson. Militärisches Projekt Um außenpolitische Wirkung zu erzielen, musste die Bundeswehr eine leistungsfähige Armee sein. Zumindest musste sie als solche wahrgenommen werden. Diese Aufgabe wurde voll erfüllt. Trotz aller Kritik sind die westdeutschen Streitkräfte von den Alliierten ernst genommen worden. Der britische Militärattaché in Bonn schrieb 1980: »The Bundeswehr is in the top ranks of the West’s armed forces.« Im Krieg werde sie »hard and effectively« kämpfen.647 Die Zustandsberichte der Bundeswehr waren hingegen weit kritischer als die der Alliierten und – soweit wir wissen – selbst der Gegner. Das Heer kam in der internen Bewertung nie über den Zustand »befriedigend« hinaus, die Luftwaffe immerhin zeitweise auf »gut«. Weit schlechter sah es bis Mitte der Siebzigerjahre bei der Marine aus, die nur über hoffnungslos veraltetes Gerät verfügte und der sowjetischen Ostseeflotte in keiner Weise gewachsen war. Die Zustandsmeldungen zeigen, dass die Bundeswehr in der Zeit des Kalten Krieges nie so leistungsfähig war, wie sie eigentlich sein wollte. Doch trotz aller Defizite war die Bundeswehr eine lernende Organisation – man denke nur an die vier zwischen 1955 und 1990 erlassenen Heeresstrukturen, die Reformen des Ausbildungswesens oder den Übergang von »verwürfelter« zu kompanieweiser Auffüllung der Truppe. Mit großer Energie wurde versucht, die Dinge besser zu machen, optimale Strukturen aufzubauen. Es gab ein ausgefeiltes Berichtswesen und ein bemerkenswertes Maß an Offenheit und Kritikfähigkeit. Schonungslos war man bemüht, Probleme und 517
Schwächen aufzudecken und dann mit neuen Ausbildungsschwerpunkten abzustellen. Dabei stieß man immer wieder an die Grenzen dessen, was in Friedenszeiten umsetzbar war. Die Übungsmöglichkeiten, die Finanzmittel, aber auch die Führungsfähigkeit junger Vorgesetzter blieben limitiert. Anders als amerikanische, britische, französische oder italienische Soldaten, die immer wieder kämpfen mussten oder sich zumindest mit großem Engagement an gefährlichen Missionen beteiligten, pflügte die Bundeswehr allenfalls durch die Lüneburger Heide. In den anderen Armeen der NATO erzeugte der Ernstfall Druck, förderte die Ausrichtung auf den Kernauftrag. In der Bundeswehr nahm der gefühlte Druck, vielleicht wirklich einmal kämpfen zu müssen, stetig ab, je länger der Kalte Krieg dauerte. Daher gab es kaum Zwang zu pragmatischem Handeln, keine Niederlagen, aus denen man lernen konnte, keine Siege, die neues Selbstbewusstsein schufen. Mangels eigener Kampferfahrungen blieb insbesondere das Heer im militärischen Handwerk auf seine Vorgänger bezogen und erbte von ihnen die Betonung des schnellen Bewegungskriegs, der eine lange Tradition in der preußischdeutschen Militärgeschichte hatte, zwischen 1939 und 1942 aber seinen Höhepunkt erlebte. Dass die Wehrmacht mit ihrer Fixierung auf die Bewegung und ihrer Missachtung der (artilleristischen) Feuerkraft ab Sommer 1943 mit ihrem Latein auch im taktischen Bereich am Ende war, wurde in der Bundeswehr jedoch nicht reflektiert. Ein Grund dafür dürfte die Kriegserfahrung jener Spitzenmilitärs gewesen sein, die bis in die Siebzigerjahre die Schlüsselstellen besetzten. Eine überproportional hohe Anzahl von ihnen kam aus dem Generalstabsdienst, wo die alten Führungstraditionen gepflegt 518
wurden, und hatte die Zeit der katastrophalen Niederlagen zumeist nicht an der Front verbracht. Die teilweise enge personelle Verbindung zur Wehrmacht wurde im Kalten Krieg auch deshalb geduldet, weil die Bundeswehr in politisch-strategischer Hinsicht eine vollkommen andere Armee war. Niemand wollte mehr einen Angriffskrieg führen, um verlorene Gebiete zurückzuholen, wie es selbst der Generalstabschef und spätere Widerstandskämpfer Ludwig Beck in den Dreißigerjahren nicht ausschließen mochte. Wie sehr sich die Deutschen und ihre Streitkräfte gewandelt hatten, brachte 1961 der britische Luftwaffenattaché J. N. Tomes auf den Punkt: »People ask whether the leopard can change his spots. The answer is that there has been a mutation in Germany and the animal is different from what he was before.«648 Unter dem Damoklesschwert des Atomkriegs beherrschten im Großen sowieso ganz andere Fragen das militärische Denken. Die zentrale Frage war, ob Kriege überhaupt noch führbar waren. Zu Zeiten der massive retaliation gewiss nicht, zu Zeiten der flexible response war dies zumindest theoretisch denkbar. Den Verantwortlichen der Bundeswehr war aber bewusst, dass selbst ein konventioneller Krieg das eigene Land zerstören würde. Erstmals in der deutschen Geschichte ging es also nicht darum, nach günstigen Rahmenbedingungen für den Kampf zu suchen, sondern ihn um jeden Preis zu vermeiden. Dies blieb für den Habitus der Streitkräfte nicht ohne Folgen. Der Frieden war der Ernstfall, Krieg war im Zeitalter des atomaren Overkills schlicht nicht vorstellbar. In der Truppe redete man zwar noch Mitte der Achtzigerjahre kraftvoll der Kriegsfähigkeit das Wort, um den Gegner abzuschrecken. Aber selbst innerhalb der Armee empfanden viele ein solches Gebaren als unangebracht, manche gar als reaktionär. Mit 519
einer Mischung aus Anerkennung und Neid blickten jene, die sich dem militärischen Auftrag auch emotional verpflichtet fühlten, auf andere Armeen: auf deren ungebrochenes Selbstverständnis, deren soldatischen Habitus, auch deren Respekt vor den deutschen militärischen Leistungen der Vergangenheit.649 Innenpolitisches Projekt Die Armee wurde in der Bundesrepublik von Anfang an mit großem Misstrauen beäugt. Zwar war nie eine Mehrheit gegen die Wiederbewaffnung, aber nach der Erfahrung von Krieg und Verbrechen stand vielen Deutschen nicht der Sinn nach Streitkräften. Deren Image war vor allem bei der politischen Linken denkbar negativ. Seit den Erfahrungen der Weimarer Republik wurden Soldaten als potenzielle Gefahr für die Demokratie gesehen. Wenn es also wieder Streitkräfte geben sollte, mussten diese umfassend eingehegt werden: durch Regierung und Parlament, aber auch durch eine Struktur, in der Zivilbeamte Schlüsselstellungen im Verteidigungsministerium bekleideten und über Personal und Rüstung wachten. Die Militärs hatten im Staat nichts zu melden, sollten am besten schweigend ihre Arbeit tun. Und sie hatten eine Bringschuld, mussten unter Beweis stellen, dass sie der Republik loyal dienten. Es reichte nicht, die Rekruten zu guten Soldaten auszubilden wie in den meisten anderen NATO-Staaten. Sie mussten auch zu überzeugten Staatsbürgern und Demokraten erzogen werden. Und je weniger Schauergeschichten die ehemaligen Wehrpflichtigen erzählten, desto eher konnte man dem militärkritischen Teil der Gesellschaft vermitteln, dass die Bundeswehr nicht nur eine Armee für die Demokratie, sondern gar ein Hort der Demokratie war. 520
Freilich waren die Rahmenbedingungen zur Erfüllung dieses doppelten Zieles viel ungünstiger als in anderen Ländern. In der Bundesrepublik waren signifikant weniger Bürger gewillt, mit der Waffe in der Hand die Demokratie zu verteidigen. Hinzu kam, dass in den Siebziger- und Achtzigerjahren der Sinn der Friedenssicherung mit militärischen Mitteln überhaupt angezweifelt wurde. Beide Aspekte wurden durch den gesellschaftlichen Wertewandel befördert, der es von vornherein erschwerte, junge Rekruten in einer auf Befehl und Gehorsam beruhenden Organisation zu treuen Verteidigern der Republik zu erziehen. An diesem Anspruch musste die Bundeswehr dann auch scheitern. Vieles, was demonstrativ nach außen getragen oder in Zustandsberichten gemeldet wurde, war schlicht Schönfärberei. In den ersten 15 Jahren der Bundeswehr war das zivilmilitärische Verhältnis angespannt. Etliche öffentliche Skandale säten Misstrauen und nährten den Verdacht, dass mit den Streitkräften etwas nicht stimmte. Umgekehrt war auch die Bundeswehr mit den Verhältnissen in Gesellschaft und Politik unzufrieden, die es aus ihrer Sicht unmöglich machten, ihren Auftrag zu erfüllen. Gerade das Heer war von der wachsenden Skepsis gegenüber allem Militärischen betroffen, und man konnte 1968/69 in der Tat bezweifeln, ob es verteidigungsbereit war. Zu diesem Schluss musste man zumindest kommen, wenn man die Bundeswehr vom Krieg her dachte und einem robusten Soldatentum das Wort redete. Freilich gab es nicht nur zwischen den Streitkräften und dem linksliberalen Milieu Spannungen. Auch innerhalb der Bundeswehr gab es ganz unterschiedliche Berufsauffassungen, die quer durch die Teilstreitkräfte und Generationen gingen, 521
wie der Konflikt um die Leutnante 70 und die Hauptleute von Unna zeigte. Ab Anfang der Siebzigerjahre kam die Bundeswehr dann mehr und mehr zur Ruhe. Öffentliche Affären gab es jetzt praktisch nicht mehr. Das lag weniger daran, dass es keine Diskrepanzen zwischen Gesellschaft und Militär mehr gab, sondern eher an einer vorsichtigeren Kommunikation der Streitkräfte. Man zog sich in die Welt der tribal cultures zurück, regelte die Dinge nach eigenen Vorstellungen. Die Streitkräfte wussten nun, wie sie mit dem Staat und der öffentlichen Meinung möglichst skandalfrei zu kommunizieren hatten. Und selbst wenn es Fehltritte gab, die an die Presse oder das Fernsehen gelangten, wusste man geschickt zu deeskalieren. Um die Konzepte der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform wurde nicht mehr gerungen. Die Streithähne Baudissin und Karst waren im Ruhestand und fanden keine Nachahmer. Gewiss war etwa die Personallage inzwischen besser als 1968, sodass es objektiv weniger zu klagen gab. Es kam aber auch eine andere Spitzengeneralität ins Amt, die nicht unbedingt weniger konservativ war, aber doch geländegängiger im politischen Raum agierte. Dadurch erreichte man, dass die Armee weitgehend in Ruhe gelassen wurde und in den Kasernen ihrem militärischen Handwerk nachgehen konnte. In den Siebzigerjahren wurde das Militär durch den gesellschaftlichen Wandel bunter und sozial heterogener. Und es wurde auch sozialdemokratischer: Mehr Generäle traten in die SPD ein, vor allem das Unteroffizierkorps wählte nun mehrheitlich links. Freilich: Im militärischen Alltag spielte Parteipolitik kaum eine Rolle. Wichtiger war, ob jemand die Streitkräfte vom Frieden oder vom Krieg her dachte. Ersteres war der Gesellschaft eher vermittelbar, und viele Soldaten 522
entwickelten eine Identität, die mit dem Krieger wenig, mit dem Verteidigungsbeamten aber umso mehr zu tun hatte. Ab etwa 1980 setzte eine Gegenbewegung ein, um die militärische Leistungsfähigkeit der Bundeswehr wieder zu stärken. Dass die Streitkräfte nun wieder stärker vom Krieg her gedacht wurden, blieb aber im Wesentlichen eine militärinterne Angelegenheit und wurde in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, zumal es auf der Linie der neuen schwarzgelben Regierung lag. Die Kampftruppen blieben naturgemäß am stärksten auf den Krieg ausgerichtet, und besonders beim Heer war der Bezug zur Zeit vor 1945 nach wie vor stark ausgeprägt. Hier hatte sich im militärischen Handwerk – anders als etwa bei der Luftwaffe – am wenigsten verändert. Gesellschaftlich wurde diese Ausrichtung in der Anfangszeit der Bundeswehr noch nicht sonderlich skandalisiert. Die Wehrmachtveteranen waren zu dieser Zeit nicht nur in den Streitkräften noch vertreten, sondern auch in allen anderen Bereichen der Gesellschaft von der Politik über die Wirtschaft bis zu den Universitäten. Wenngleich die Bundeswehr in ihrem Traditionsbild Vergangenem anhing, war sie eine Armee, die voll in die Demokratie integriert war und alle Spielregeln loyal befolgte. Und jenseits aller Debatten um Begriff und Inhalt funktionierte die Innere Führung in einem Kernbereich: Im Umgang von Vorgesetzten mit ihren Untergebenen machte die Bundeswehr zweifellos erhebliche Fortschritte. Missbrauch und Schikane konnten zwar nie vollkommen abgestellt werden, aber seit den frühen Siebzigerjahren nahmen die Disziplinarvergehen stetig ab, und die Umgangsformen liberalisierten sich. 523
V. Außen preußisch – innen sowjetisch. Die Nationale Volksarmee der DDR (1952– 1990) Volk in Waffen Der Aufbau des Sozialismus im Osten des geteilten Deutschlands musste auch mit militärischen Mitteln gesichert werden. Daran bestand für die Führung der SED kein Zweifel. Bereits 1948 wurden militärisch bewaffnete Einheiten der Polizei aufgestellt1, die den Schutz des Regimes in einem möglichen Bürgerkrieg sicherstellen sollten. Die Verteidigung gegen die Westmächte übernahmen die Streitkräfte der Sowjetunion, die rund eine halbe Million Soldaten in Ostdeutschland stationierte. Mit der Aufstellung einer regulären ostdeutschen Armee zögerte Stalin auch noch nach Gründung der DDR im Oktober 1949. Sicherheitspolitische Vorbehalte, wie sie etwa Frankreich gegen deutsche Soldaten in der Bundesrepublik hegte, hatte er zwar nicht. Schließlich war in Ostberlin ein kommunistischer Staat etabliert worden, den Moskau fest im Griff hatte und der konsequent mit den deutschen Militärtraditionen brach. Eine DDR-Armee hätte aber bei den diplomatischen Manövern auf der internationalen Bühne zu diesem Zeitpunkt nur gestört. Denn der sowjetische Diktator wollte sich die Option offenhalten, eine Westbindung der Bundesrepublik zu verhindern. So schlug er in seiner Note vom März 1952 vor, ein neutrales vereinigtes Deutschland zu schaffen. Ob der Vorstoß wirklich ernst gemeint war, ob er ein verklausulierter Versuch war, Deutschland als Ganzes in den 524
Ostblock zu integrieren, oder ob Stalin mit seiner Note nur Amerikanern, Briten und Franzosen die Schuld an der Teilung Deutschlands zuschieben wollte, ist unter Historikern nach wie vor umstritten.2 Nach einem ergebnislosen Notenwechsel war den vier Siegermächten dann endgültig klar, dass die längst vollzogene Teilung des von ihnen besetzten Landes nicht mehr rückgängig zu machen war. Erst jetzt ging die Sowjetunion konsequent daran, die DDR zu bewaffnen3, wie es zuvor schon in den Volksdemokratien Polens, Ungarns und der Tschechoslowakei geschehen war.4 Ab Juli 1952 stellte die DDR eine Kasernierte Volkspolizei auf. Damit begann de facto der Aufbau einer Armee, auch wenn sie aus politischen Gründen noch nicht so heißen durfte. Sie unterstand dem Innenministerium und umfasste zunächst 50 000 Mann. Die Kosten für die nun folgende Aufrüstung waren erheblich und eine zusätzliche Belastung für die von Kriegszerstörungen und Demontage schwer gezeichnete ostdeutsche Wirtschaft. Sie trug zur Krise der DDRVolkswirtschaft bei5, die schließlich in den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 mündete. Kasernierte Volkspolizei und Staatssicherheit erwiesen sich schnell als zu schwach, um den Protest Hunderttausender unter Kontrolle zu bekommen, die nicht nur eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation, sondern auch freie Wahlen forderten. Die Rote Armee musste eingreifen und schlug die Proteste blutig nieder.6 Dieser Volksaufstand wurde zum Trauma für die DDR-Führung. Die Revolte war von Arbeitern ausgegangen, was in der Logik des Regimes nicht sein konnte, weil der sozialistische Staat vorgeblich die Interessen der Arbeiter und Bauern repräsentierte. Nach offizieller Lesart konnte der Aufstand also nur durch »Konterrevolutionäre« aus dem Westen verursacht worden sein, gegen die es sich fortan besser zu schützen galt. 525
Die bewaffneten Sicherheitsorgane wurden reformiert und weiter ausgebaut. Im Januar 1956 schließlich wurde die mittlerweile etwa 120 000 Mann zählende Kasernierte Volkspolizei in die Nationale Volksarmee (NVA) umgewandelt. Die offizielle Gründung von Streitkräften war für die DDR – wie auch für die Bundesrepublik – ein Zeichen eigener Souveränität und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur angestrebten völkerrechtlichen Anerkennung. Es galt, das SED-Regime nach innen abzusichern und das außenpolitische Gewicht Ostberlins zu mehren.7 Der möglichst rasche Aufbau einer schlagkräftigen Bündnisarmee sollte einen Beitrag dazu leisten, sich »den Freunden« – wie die Sowjetunion in der DDR-Alltagssprache genannt wurde – als sozialistischer Musterschüler zu empfehlen. Im Vergleich zu den anderen Ostblockstaaten hinkte die DDR in ihrer militärischen Entwicklung jedoch hinterher. Diese hatten schon während des Zweiten Weltkriegs über Truppen verfügt, die an der Seite der Roten Armee gekämpft hatten8 und als Kern für die neuen sozialistischen Armeen dienten. In der Öffentlichkeit wurde die ostdeutsche Sicherheitspolitik stets als Reaktion auf westliche Maßnahmen dargestellt. So wurde die NVA drei Monate nach der Bundeswehr offiziell aufgestellt, und die DDR trat auch erst im Januar 1956 dem Warschauer Pakt bei, acht Monate nachdem die Bundesrepublik Mitglied der NATO geworden war. Die Gründung einer Armee entsprach indes einer Eigenlogik; sie war nach der Teilung Deutschlands und der Verschärfung des Kalten Krieges aus Sicht der Sowjetunion wie auch der DDR-Führung folgerichtig. Moskau wie auch Ostberlin fühlten sich im Systemkonflikt mit dem »Imperialismus« permanent existenziell bedroht.9 Zudem 526
diente die Armee bis zum Bau der Berliner Mauer im August 1961 der Herrschaftssicherung nach innen. Erst danach konzentrierte sie sich ganz auf ihre militärischen Aufgaben und überließ die innere Sicherheit der Bereitschaftspolizei, den bewaffneten Kampfgruppen der Volkseigenen Betriebe und den Grenztruppen, die formal indes auch der NVA angehörten. Die Bevölkerung der DDR war leidgeprüft vom letzten Krieg und stand, nicht anders als die Bundesdeutschen, der Aufstellung von Streitkräften mit gemischten Gefühlen gegenüber. Die Stimmungsberichte der SED zeigen, dass es mit der Popularität des Militärs nicht allzu weit her war.10 Auch deshalb baute die DDR als einziger Ostblockstaat eine Freiwilligenarmee auf und führte zunächst keine Wehrpflicht ein. Die SED-Führung befürchtete, dass sich die Rekruten dem Wehrdienst durch Flucht nach Westberlin entziehen könnten und der fortwährende Exodus aus dem Land noch weiter anschwellen würde. Die Zahl der Freiwilligen belegt die Zurückhaltung gegenüber der neuen Armee: Bis Ende 1956 meldeten sich nur 7300 junge Männer zum Dienst in der NVA. Diese bestand also fast ausschließlich aus ehemaligen Angehörigen der Kasernierten Volkspolizei.11 Nach dem Mauerbau wurde 1962 dann doch die Wehrpflicht eingeführt, alle tauglichen jungen Männer wurden nun eingezogen. Ein Recht auf Verweigerung gab es nicht. Doch auf Druck der Kirchen – sie spielten bei der Artikulation einer kritischen Haltung zu den Streitkräften in der sozialistischen Diktatur eine herausgehobene Rolle – wurde 1964 die Möglichkeit geschaffen, einen waffenlosen Wehrdienst als sogenannter Bausoldat abzuleisten. Dieser Dienst war mit erheblich erschwerten Bedingungen und Schikanen verknüpft, weshalb sich nur wenige für ihn entschieden. Während insgesamt mehr als 2,5 Millionen DDR- 527
Bürger Wehrdienst leisteten, gab es bis 1990 nur etwa 15 000 Bausoldaten.12 So hart deren Los auch war, die Möglichkeit eines waffenlosen Dienstes gab es nirgendwo sonst im Ostblock. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren entschlossen sich viele Hundert Soldaten vor allem aus politischen Gründen zur Flucht in den Westen. Auf dem Höhepunkt im Jahr 1953 desertierten 1940 Männer, 1962 waren es trotz Mauerbaus immer noch 564. Prominentester Flüchtling, weil einer der ranghöchsten, war Oberstleutnant und Regimentskommandeur Martin Löffler, der im September 1962 die Grenzbefestigungen überwand.13 Daraufhin wurden die Sicherheitsmaßnahmen rigoros verschärft, sodass die Zahl der Fahnenflüchtigen auf 75 im Jahr 1968 fiel.14 Fahnenflucht gab es übrigens auch in die andere Richtung, wenngleich in weit geringerer Zahl.15 Gekämpft wurde in der DDR immer und überall.16 Das Kämpferische steckte der sozialistischen Gesellschaft sowjetischer Prägung gewissermaßen in den Genen, und die Militarisierung erfasste alle Ebenen, vom Kindergarten über Sport, Schule, Hochschule, Betriebe bis zur Freizeit.17 Allen voran galt dies für die Jugendorganisation FDJ und die paramilitärische Gesellschaft für Sport und Technik (GST), die die Begeisterung für technisierte Sportarten wie Fliegen oder Tauchen geschickt zur Werbung für die Streitkräfte zu nutzen verstand. Der 1. Mai war in der Propagandarhetorik ein »Kampftag« für den Frieden, und 1979 wurden Soldaten zur Hilfestellung bei der Schneekatastrophe in den »Winterkampf«18 geschickt. Die DDR war eine der am stärksten militarisierten Gesellschaften in Friedenszeiten.19 Bereits in den Sechzigerjahren hatten zwei Drittel der 528
Wehrpflichtigen eine vormilitärische Ausbildung durchlaufen, ein Drittel war Mitglied der GST. Für viele war daher die militärische Umgebung kein Neuland mehr, als sie in den Kasernen ihren Wehrdienst antraten. Zudem passte sich mit der politischen und wirtschaftlichen Konsolidierung der DDR in den Sechzigerjahren die weit überwiegende Mehrheit der jungen Männer an die gegebenen Umstände an. In einer Umfrage unter 1600 ehemaligen Wehrdienstleistenden bei der Volksmarine erklärten 1971 drei Viertel der Befragten, die Erfahrung des Armeedienstes würde sich positiv auf ihr weiteres Leben auswirken. Lediglich zwölf Prozent hielten den Wehrdienst für verlorene Zeit.20 Das war im Vergleich zur Bundeswehr ein gutes Ergebnis, wobei über die Zuverlässigkeit der Statistik nichts bekannt ist und im Heer die Befragung möglicherweise anders ausgefallen wäre. Die Umfrage zeigt gleichwohl, dass sich die internationalen Jugendproteste von 1968 – anders als in der Bundesrepublik – kaum auf die Wehrbereitschaft der DDR-Jugend auswirkten.21 Die NVA war gewiss nicht die beliebteste Institution des Staates, aber von einer generellen Ablehnung kann keine Rede sein. In einer großen Umfrage des ostdeutschen Instituts für Meinungsforschung aus dem Jahr 1977 gaben bis zu drei Viertel der DDR-Bürger an, dass sich in den Erzählungen von Freunden und Bekannten über die Wehrdienstzeit Positives und Negatives in etwa die Waage hielten oder gar das Positive dominiere.22 Die Militarisierung der Gesellschaft sollte dafür sorgen, nicht nur die NVA, sondern den überdimensionierten Sicherheitsapparat insgesamt hinreichend mit Nachwuchs zu versorgen. Noch wichtiger war jedoch die damit einhergehende Kontrolle und Disziplinierung der Gesellschaft 529
im Sinne des Sozialismus. »Die Militarisierung diente nicht dem Militär, sondern dem Machtausbau der Partei«23, formulierte der Historiker Heiner Bröckermann. Auch wenn diese These den Sachverhalt zuspitzt, trifft sie den Nagel auf den Kopf. Eine der wichtigsten ideologischen Sozialisationsinstanzen der kontinuierlichen Indoktrinierung vom Kindergarten bis zum Studium war der Wehrdienst selbst.24 Zumindest war die militärische Führung der Ansicht, dass die politische Gesinnung umso gefestigter werde, je länger die jungen Männer bei der NVA dienten. Für diese Ansicht spricht, dass der Grad der SED-Mitgliedschaft der Wehrpflichtigen in der Armee erheblich zunahm. Auch systemkonforme Antworten bei Umfragen nahmen während des Militärdienstes deutlich zu. Allerdings hielt dieser Effekt nicht lange an und war wohl eher auf Konformitätsdruck als auf echte Überzeugung zurückzuführen.25 So waren die Gründe für einen Parteieintritt vielschichtig und dürften in hohem Maße pragmatischer Art gewesen sein, um im späteren beruflichen Werdegang keine Nachteile zu gewärtigen. In der Forschung herrscht Einigkeit, dass der Effekt der sozialistischen Dauerindoktrination auch im Wehrdienst weit hinter den Erwartungen von Partei- und Armeeführung zurückblieb. Der NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979 über die Stationierung neuer Atomraketen auf westdeutschem Boden förderte Anfang der Achtzigerjahre das Gefühl der DDRBevölkerung, bedroht zu sein, und erhöhte zugleich die Akzeptanz der NVA. Andererseits rückte nun eine Alterskohorte ins wehrpflichtige Alter, die dem Staat eher distanziert gegenüberstand und die Flucht ins Private suchte.26 Auch der 1978 eingeführte Wehrunterricht für die höheren Schulklassen vermochte diese Generation kaum für die 530
Streitkräfte zu begeistern.27 Da der Wehrdienst aber unumgänglich war, gehörte er zum festen Bestandteil der Lebensplanung junger Männer. Man arrangierte sich mit dem Unvermeidbaren und versuchte, die achtzehn Monate möglichst unbeschadet zu überstehen. Kritische Töne zu Militär und Aufrüstung kamen ab Ende der Siebzigerjahre von der langsam entstehenden Friedensbewegung, die eng mit der evangelischen Kirche verbunden war. Der Kreis der Kritiker bestand im Kern aus ehemaligen Bausoldaten28 wie dem populären Pfarrer Rainer Eppelmann, der durch eine Ironie des Schicksals der letzte Verteidigungsminister der DDR werden sollte. Forderungen nach Umbenennung des Faches Wehrkunde in Friedenskunde wurden laut. »Militärische Propaganda und Werbung« sollten ebenso ein Ende haben wie die »Verherrlichung des SoldatSeins«.29 Ende der Siebzigerjahre waren rund 20 Prozent der DDR-Bevölkerung der Meinung, dass die Bundesrepublik eine aufrichtige Politik der Entspannung betreibe. Das war angesichts der staatlichen Propaganda gegen den »westdeutschen Imperialismus und Militarismus« zweifellos ein hoher Wert, bedeutete aber auch, dass 80 Prozent der gegenteiligen Meinung waren.30 Systemgefährdend war die ostdeutsche Friedensbewegung also noch nicht. Ein spürbarer Rückgang der Zustimmung zum Militär war erst ab Mitte der Achtzigerjahre zu beobachten. Die Politische Hauptverwaltung der NVA kam im Juni 1983 zu einem besorgten Befund: »Die Skepsis der Jungen gegenüber jeder Art des Wehrdienstes wächst. Die Wehrbereitschaft lässt spürbar nach. Die NVA hat ein geringes Ansehen in der Bevölkerung.«31 Mit dem Amtsantritt Michail Gorbatschows 1985 und der von ihm eingeleiteten Abrüstungs- und Entspannungspolitik war die Notwendigkeit einer 531
hochgerüsteten Armee zum Zweck des Friedenserhalts immer weniger nachvollziehbar. Allerdings äußerten selbst 1989 noch 52 Prozent der wehrdienstleistenden Soldaten, dass sie bereit seien, sich für die Politik der SED einzusetzen. Und 74 Prozent fühlten sich mit der DDR als Vaterland verbunden. Angesichts des unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruchs des SED-Regimes waren das erstaunlich hohe Zahlen.32 Armee der Partei Die NVA war Teil der Herrschaftssicherung der SED nach außen, aber auch nach innen. Alle militärischen Grundsatzentscheidungen wurden daher vom jeweils starken Mann der Partei getroffen, 1950 bis 1971 von Walter Ulbricht, dann von Erich Honecker als Generalsekretär des Zentralkomitees der SED.33 Staatspräsident Wilhelm Pieck und der Vorsitzende des Ministerrats hatten keine nennenswerte Macht im Staat und blieben daher auch für das Militär ohne Einfluss. Der Minister für Nationale Verteidigung, Armeegeneral Heinz Hoffmann, war Mitglied im mächtigen Politbüro der SED, dem eigentlichen Machtzentrum der DDR.34 Er sah sich zwar durchaus als Interessenvertreter der NVA, der er von 1961 bis 1985 vorstand. Am Primat der Politik, präziser gesagt der SED, änderte das aber nichts. Berührungsängste mit aktiven Generälen in politischen Funktionen hatte man in der DDR – anders als in den westlichen Staaten – nicht. Doch Hoffmann war ohnehin mehr Politiker als Soldat. Wie seine Genossen in der Staatsführung war er bereits in der Weimarer Republik in die KPD eingetreten, hatte sich seit 1935 im sowjetischen Exil befunden und während des Spanischen Bürgerkriegs in den Internationalen Brigaden aufseiten der Republikaner gekämpft. In der Sowjetunion wirkte er unter anderem als Lehrer an einer Antifaschistischen Frontschule für deutsche 532
Kriegsgefangene. Er hatte also den gleichen Stallgeruch wie die anderen Spitzenpolitiker der DDR. Auch für die Besetzung anderer Schlüsselpositionen im Ministerium für Nationale Verteidigung und in der NVA war die politische Zuverlässigkeit wichtiger als militärische Fachkenntnis. Es ging in erster Linie darum, ideologisch gefestigte, dem Regime loyal dienende Streitkräfte aufzubauen. Wie notwendig das war, hatte nicht zuletzt der Ungarnaufstand von 1956 gezeigt, bei dem sich die ungarische Volksarmee auf die Seite der Aufständischen geschlagen hatte. Daher ging die DDR bei der Personalrekrutierung einen anderen Weg als die Bundesrepublik. Unter 17 600 Offizieren der NVA befanden sich im Jahr 1956 nur knapp 500 ehemalige Offiziere der Wehrmacht. Die meisten von diesen waren zwischen 1945 und 1950 in die Sicherheitskräfte eingetreten, waren also gewissermaßen schon Veteranen des jungen sozialistischen Staates.35 Nur vier ehemalige Wehrmachtgeneräle wurden übernommen, darunter Generalleutnant Vincenz Müller, der 1944 in sowjetische Gefangenschaft geraten war und als Chef des Hauptstabes so etwas wie der Generalstabschef der NVA wurde36, und Generalmajor Arno von Lenski, ein Kavallerieoffizier, der als Kommandeur der 24. Panzerdivision in Stalingrad von der Roten Armee gefangen genommen worden war. Als Panzerexperte leistete er der jungen sozialistischen Armee wertvolle Dienste. Doch bereits 1958 waren alle höheren Offiziere der Wehrmacht wieder aus der Volksarmee entlassen worden. Nach dem Ungarnaufstand war das Misstrauen gegen diese Männer zu groß. Es blieben die Hauptleute, Leutnante und vor allem Unteroffiziere, die zumeist schon in sowjetischer Gefangenschaft radikal mit ihrer Vergangenheit gebrochen und sich dem 1943 von den Sowjets gegründeten 533
Nationalkomitee Freies Deutschland angeschlossen hatten. Sie verschrieben sich ganz dem neuen System und machten teilweise eine steile Karriere in der NVA. Eine Übertragung von Teilen der Wehrmachtkultur auf die Armee der DDR gab es daher nicht.37 Der stramm sozialistischen Ausrichtung der Streitkräfte entsprach der klare Bruch mit der militärischen Vergangenheit. Die Auseinandersetzung mit dem Erbe der Wehrmacht blieb der NVA somit erspart. Ihre Tradition orientierte sich an den Matrosen der Novemberrevolution 1918, den Mitgliedern der Roten Ruhrarmee 1920, den kommunistischen Kämpfern der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg, an Kommunisten, die in NS-Konzentrationslagern ums Leben gekommen waren, und an den Mitgliedern des Nationalkomitees Freies Deutschland. Aus früheren Epochen galten die Bauernkriege des 16. Jahrhunderts, die preußischen Reformer, insbesondere Scharnhorst, sowie die badischen Soldaten der Revolution von 1848/49 als traditionswürdig. Sie entsprachen mehr oder minder der marxistisch-leninistischen Lehre des gesellschaftlichen Fortschritts und des Kampfes der Unterdrückten gegen eine feudale Obrigkeit.38 Nach diesen Vorbildern wurden Kasernen benannt, aber auch Ehrennamen für Divisionen, Regimenter und Bataillone vergeben. Eine Anknüpfung an die Krieger der Wehrmacht war in der DDR offiziell somit nicht möglich.39 Inoffiziell gab es solche Bezüge aber durchaus. Das beste Beispiel ist der Roman »Die Stunde der toten Augen« von Harry Thürk. 1957 veröffentlicht, beschrieb er die Erlebnisse einer Aufklärungseinheit deutscher Fallschirmjäger an der Ostfront im Winter 1944/45. Der Roman trug autobiografische Züge und wurde kurz nach seinem Erscheinen wegen »pronazistischer« Tendenzen auf den Index gesetzt. Dadurch 534
wurde er aber nur noch populärer. Die wenigen in Umlauf befindlichen Exemplare wurden bis in die Achtzigerjahre von Hand zu Hand weitergereicht. Das Buch genoss bei der Aufklärungstruppe und bei den Fallschirmjägern der NVA einen geradezu »bibelartigen«40 Status. Obwohl als Antikriegsroman deklariert, lasen es die Soldaten vor allem wegen der realistisch anmutenden Kampfszenen. Der Roman besaß auch deshalb Kultstatus, weil er sich nicht in den üblichen ideologischen Phrasen von der heldenhaften Roten Armee, von NS-Verbrechen und kommunistischen Überläufern erging, sondern vom blutigen Handwerk des Frontkämpfers erzählte. Offensichtlich war es genau das, was die Soldaten lesen wollten. Dass die Romanfiguren gegen die Rote Armee kämpften, war dabei nebensächlich. Die Geschichte hätte genauso gut an der Westfront spielen können. Thürk, vom Spiegel als »Konsalik des Ostens« betitelt, schrieb nach seinem erfolgreichen Debüt linientreue Romane über Krieg, Spionage und Kriminalfälle und avancierte zum erfolgreichsten Schriftsteller der DDR. In der NVA aber erreichte keines seine Bücher eine solche Popularität wie »Die Stunde der toten Augen«. Der Roman wurde 1994 erfolgreich wieder aufgelegt und stand sogar auf der ostdeutschen Bestsellerliste des Neuen Deutschland.41 Harry Thürks Roman war eine der wenigen Möglichkeiten in der DDR, weitgehend ideologiefrei vom Kämpfen, Töten und Sterben der Wehrmacht zu lesen. Offiziell war dieses Kapitel der deutschen Militärgeschichte tabu. Der einzige Bereich, in dem die NVA unumwunden an die Wehrmacht anknüpfte, war ausgerechnet die Uniformierung. Schaftstiefel, Reithosen, Kragenspiegel, Schulterstücke und die Übernahme des 1945 nicht mehr eingeführten neuen Wehrmachtstahlhelms verliehen den sozialistischen Soldaten das Erscheinungsbild 535
von »roten Preußen«. Stechschritt und Paraden unterstrichen diesen Eindruck noch. Die SED wollte sich damit einerseits von der Bundeswehr mit ihrem amerikanischen Uniformschnitt abgrenzen, andererseits zumindest äußerlich an ein nationales Erbe anknüpfen und so eher konservativ gesinnte Bürger für die sozialistische Armee gewinnen. Moskau hatte explizit zu diesem Schritt ermutigt. Nachdem sich die Uniformen der Kasernierten Volkspolizei stark an sowjetische Vorbilder angelehnt hatten, sollten die NVASoldaten wie Deutsche und nicht wie Rotarmisten aussehen. Dass Uniformen und Brauchtum an die Wehrmacht erinnerten, wurde von vielen Soldaten und Bürgern allerdings kritisch gesehen.42 Bezüge zur Wehrmacht gab es auch bei den Waffenfarben. Das Weiß der Infanterie, das Rosa der Panzertruppe, das Gelb für die Nachrichtenverbände und das Schwarz der Pioniere waren schon vor 1945 eingeführt worden. Und wie eh und je waren diese Farben weithin sichtbare Zeichen der jeweiligen tribal culture. Der junge Infanterist Udo Beßer wusste, dass er angetrunkene Offizierschüler anderer Waffenfarben meiden musste: »Der Verbündete des (weißen) ›Muckers‹ war der (rosa) Panzermann und seine Gegner waren die (schwarzen) Pioniere und die (gelben) Nachrichtensoldaten«, die sich für etwas Besonderes hielten. Die Rivalitäten schlugen zuweilen in Gewalt um, wobei es gute Sitte war, sich nicht mit Soldaten der eigenen Waffenfarbe zu prügeln.43 Von Anfang an bemühte sich die NVA, die tribal cultures neu zu prägen. So veränderte man die Zuordnung zu den Waffenfarben, legte etwa Aufklärer und motorisierte Schützentruppen zusammen und reduzierte auch die Zahl der Waffengattungen. Das in der Bundeswehr so populäre Panzerlied »Ob’s stürmt oder schneit« wurde in der NVA nicht 536
gesungen. Stattdessen wurde »Spaniens Himmel« angestimmt, eines der populärsten Lieder der DDR über den Spanischen Bürgerkrieg. Mit neuen Emblemen und Auszeichnungen wurde versucht, eine neue Truppenkultur zu schaffen; es gab Leistungsabzeichen, eine Schützenschnur in drei Klassen und die Militärsportabzeichen. Für die tribal cultures waren die Klassifizierungsspangen von großer Bedeutung, weil diese in drei Stufen für vorbildliche Leistungen innerhalb der Waffengattungen, also etwa an Angehörige der Panzertruppe, vergeben wurden. Eine Besonderheit war, dass auch Truppeneinheiten hohe Auszeichnungen erhalten konnten, etwa den Karl-Marx-Orden als höchste zivile und den Scharnhorst-Orden als höchste militärische Auszeichnung. So sollte Stolz auf gemeinsam Erreichtes gefördert werden. Auch den sozialistischen Wettbewerben kam große Bedeutung zu. Jedes Jahr wurden die beste Einheit und der beste Truppenteil gekürt, die beispielsweise besondere Schieß-, Marsch- oder Manöverleistungen gezeigt hatten oder deren Ausrüstung und Unterkünfte in besonders gutem Zustand waren. Dem Sieger winkten Abzeichen und Geldprämien. Die Auszeichnungen wurden an der Truppenfahne mit einer Ehrenschleife vermerkt. Gewiss waren – wie in der Bundeswehr auch – den meisten Wehrpflichtigen Auszeichnungen und Fahnen reichlich egal. Auch konnten sie mit den KPD-Funktionären und Widerstandskämpfern, nach denen ihre Einheiten und Kasernen benannt waren, zumindest als militärische Vorbilder wenig anfangen. Selbst die Kämpfer des Spanischen Bürgerkriegs oder die sowjetischen Sieger des Zweiten Weltkriegs taugten dafür nur bedingt. Es fehlten Kriegshelden, wie sie in allen anderen Armeen kultiviert wurden: erfolgreiche Panzerkommandanten, Jagdflieger oder Infanteristen, mit denen sich die Soldaten identifizieren 537
konnten. Viel aktiver als die Bundeswehr bemühte sich die ostdeutsche Armee daher um die Herausbildung einer eigenen Tradition. Sie glich den Mangel geschickt durch die gezielte Herausstellung der eigenen Leistungsfähigkeit und der eigenen Geschichte aus. So gelang es ihr, eine Identität zu schaffen, in der die Bezüge zur Zeit vor 1945 für die Soldaten kaum eine Rolle spielten. Gleichwohl war selbst die NVA nicht frei von Rechtsextremismus, der sich in antisemitischen Äußerungen, dem Singen von NS-Liedern oder Hakenkreuzschmierereien äußerte. Wie für alle Missstände machte die Armeeführung dafür »die gesteigerte ideologische Diversion und subversive Tätigkeit des Feindes sowie die zunehmende Faschisierung in der BRD« verantwortlich44 und reagierte hilflos mit noch mehr »Rotlichtbestrahlung«45, wie die ideologische Schulung im Truppenjargon hieß. Doch die tiefere Ursache für rechte Gesinnung scheint nicht ein Mangel, sondern ein Überfluss an Ideologisierung gewesen zu sein. Rechtsextremismus war in dieser Lesart die maximale Provokation gegenüber der herrschenden Lehre.46 Wenngleich die NVA preußisch aussah, war sie im Innern durch und durch sowjetisch. Zum Zweck der Kontrolle schuf die SED eine politische Parallelstruktur in den Streitkräften. Es gab Parteigruppen in den Verbänden, und auf jeder Kommandoebene wurden Politoffiziere installiert.47 Sie waren für die ideologische Schulung zuständig und übten eine Kontrollfunktion aus. In den ersten Jahren führte diese Doppelspitze von militärischer und politischer Führung zu erheblichen Rivalitäten. Diese wurden schließlich dadurch behoben, dass die Kommandeure als militärische Fachleute die uneingeschränkte Kommandogewalt erhielten. So sollte die Professionalität der Streitkräfte sichergestellt werden. Doch da 538
die Politstellvertreter dem nächsthöheren SED-Organ unterstanden, blieb es dabei, dass die Partei über einen eigenen Kontroll- und Meldeweg in den Streitkräften verfügte. Außerdem baute die Staatssicherheit ein Netz von hauptamtlichen und informellen Mitarbeitern in der NVA auf, sodass es eine doppelte Überwachung gab.48 Die Trennung von Kommandeuren und Politstellvertretern war nicht allzu strikt. Letztere waren ebenfalls Offiziere, wenngleich ihre fachliche Qualifikation geringer war.49 Ihre Arbeit half jenseits der Kontrollfunktion zweifellos auch, den Alltag der Soldaten erträglicher zu gestalten. Sie organisierten Sport- und Freizeitveranstaltungen für die Männer, die wegen der ständigen Gefechtsbereitschaft die Kasernen kaum verlassen konnten. Zudem waren die NVA-Offiziere seit den späten Sechzigerjahren zu weit über 90 Prozent Mitglied der SED, und schon auf der mittleren Führungsebene gab es im Selbstverständnis der Kommandeure keine Trennung von Partei und Armee. Ihrer Berufsauffassung gemäß konnten sie beide Rollen in sich vereinigen.50 Auf der Ebene darunter dominierten trotz Parteimitgliedschaft eher die militärische Logik und ein professionelles Selbstverständnis, das weniger stark durch ideologische Einflüsse bestimmt war. Die politische Arbeit war für die unteren Offiziersränge oftmals notwendiges Übel und keine Herzensangelegenheit.51 Garant einer zuverlässigen Parteiarmee war für die NVAFührung eine im Vergleich zu anderen deutschen Armeen grundlegend andere Sozialstruktur. Anfangs rekrutierte sich das höhere Offizierkorps zu einem hohen Anteil aus den politischen Kadern des Staatsapparats. Diese stammten vor allem aus der Arbeiterschaft und verfügten meist nur über einen niedrigen Bildungsabschluss. 1956 hatten gut 80 Prozent der Offiziere maximal acht Jahre Schulbildung absolviert. 539
1973 lag dieser Wert immer noch bei rund siebzig Prozent.52 Die NVA brach also mit der preußisch-deutschen Tradition der Elitenrekrutierung, mit dem Abitur als Voraussetzung für den gesellschaftlichen Aufstieg.53 Damit löste sie das Versprechen der Chancengleichheit auch für bildungsferne Teile der Gesellschaft ein.54 Doch der allmähliche Wandel der DDR zu einer Dienstleistungsgesellschaft und die damit verbundene Bildungsexplosion führten seit den Siebzigerjahren dazu, dass immer mehr Abiturienten auch in den Streitkräften Einzug hielten. Zudem wurden 1971 die Offiziershochschulen gegründet. Die Akademisierung machte auch vor der NVA nicht halt. In den Achtzigerjahren hatten dann bereits drei Viertel der Offizieranwärter eine höhere Schulbildung.55 Jedoch wurde nach wie vor Wert darauf gelegt, einen möglichst hohen Anteil der militärischen Führer aus dem Milieu der Arbeiterschaft zu rekrutieren, wobei man diesen Begriff immer breiter auslegte. Nimmt man den Beruf des Vaters als Anhaltspunkt, stammten 1956 knapp drei Viertel der Offiziere aus der Arbeiterklasse. 1989 war dieser Wert auf 59 Prozent gesunken.56 Über die Jahre näherte sich die soziale Zusammensetzung des Offizierkorps derjenigen der SEDMitgliedschaft an. Das kam nicht von ungefähr, denn die Bereitschaft, in die Streitkräfte einzutreten, war in diesem Milieu überdurchschnittlich hoch.57 Im Vergleich zu den anderen deutschen Armeen des 20. Jahrhunderts hatte die NVA ein weit überdimensioniertes Offizierkorps; auch in diesem Punkt orientierte sie sich an der sowjetischen Armee. 1956 betrug der Anteil der Offiziere an der Personalstärke der Streitkräfte zwanzig Prozent; bis 1989 stieg er auf 24 Prozent. Zum Vergleich: Die kaiserliche Armee kam mit drei Prozent aus, die Reichswehr mit vier, die Bundeswehr mit sieben bis neun Prozent.58 Den enormen 540
Bedarf an Offizieren zu decken war eine große Herausforderung, da die NVA mit den anderen Sicherheitsbehörden konkurrierte und zivile Berufe deutlich attraktivere Arbeitsbedingungen boten.59 So fehlten 1973 5500 Offiziere oder 14 Prozent des Bedarfs. Um die Reihen aufzufüllen, wurde vermehrt auf gut qualifizierte Unteroffiziere zurückgegriffen. Deren Aufstiegschancen waren so gut wie nie zuvor und nie danach in der deutschen Militärgeschichte. Das bedeutete jedoch, dass dem Unteroffizierkorps viele fähige Köpfe verloren gingen und die weniger Qualifizierten als Berufsunteroffiziere in der Truppe blieben. Da es zu wenige Interessenten für diese Laufbahn gab – Anfang der Siebzigerjahre war ein Drittel der Stellen nicht besetzt60 –, musste praktisch jeder Bewerber eingestellt werden61, obwohl 1975 vierzig Prozent nicht den Anforderungen entsprachen.62 Es war ein Teufelskreis, der bis zum Ende der NVA nicht durchbrochen werden konnte. Der Unteroffiziersstand hatte ein denkbar schlechtes Ansehen, wozu auch die Lebensbedingungen während der dreijährigen Dienstzeit beitrugen. Anders als Berufsoffiziere und -unteroffiziere waren die Unteroffiziere auf Zeit in den Kasernen untergebracht und durften nicht in privaten Quartieren wohnen.63 Aufgrund ihres jungen Alters von 18 bis 21 Jahren waren die Männer sowohl mit der Menschenführung als auch mit den technischen Aufgaben häufig überfordert. Der Dienstrang verlieh ihnen zwar eine gewisse Amtsautorität, die aber nicht ausreichte, um von den Wehrpflichtigen vorbehaltlos als Vorgesetzter anerkannt zu werden. In der Praxis führte dies entweder zu einer unerwünschten Kumpanei mit den Wehrpflichtigen oder zu übertriebener Härte im Ausbildungsbetrieb.64 Immerhin verfügten die Unteroffiziere auf Zeit im Gegensatz zu den Berufsunteroffizieren über eine 541
breitere Qualifikation und Bildung. Die Verpflichtung zu drei Jahren Dienst erleichterte in der DDR vieles. Daher gingen zahlreiche Abiturienten diesen Weg, etwa um zum begehrten Studium zugelassen zu werden. Auf diese Weise entstand eine Trennlinie in der Hierarchie: Die Berufsoffiziere und -unteroffiziere zeichneten sich durch eine hohe Identifikation mit der Armee und vor allem auch mit der Partei aus.65 Bei den Unteroffizieren auf Zeit und den Wehrpflichtigen waren eher eine passive Anpassung, eine eingeschränkte Loyalität zur Armee und insbesondere eine Distanz zur omnipräsenten Ideologisierung festzustellen. Der Bundesnachrichtendienst urteilte im Jahr 1969 nahezu punktgenau, dass 100 Prozent der Offiziere, 60 Prozent der Unteroffiziere und 13 Prozent der Mannschaften Parteimitglied seien.66 »Während die Uffz. trotz Parteimitgliedschaft politisch farblos und die Mannschaften uninteressiert bis ablehnend waren, fand das Regime im OffzKorps starken Rückhalt.«67 Dieser Befund wird durch NVA-interne Umfragen bestätigt.68 Angesichts des großen Aufwands bei der ideologischen Schulung war das eine ernüchternde Bilanz. Zweimal pro Woche gab es je zwei Stunden politische Erziehung, der sich niemand entziehen konnte, wenn er sich nicht dem Verdacht der Unzuverlässigkeit aussetzen wollte. Die gebetsmühlenartige Wiederkehr von Allgemeinplätzen der sozialistischen Ideologie vermochte jedoch kaum jemanden zu begeistern. Immerhin konnte die NVA vermelden, dass 1964 rund die Hälfte der Wehrpflichtigen zum Ende ihrer Dienstzeit der Meinung war, dass der Bundeswehrsoldat ihr Feind sei.69 Mehr aber auch nicht. Die ideologische Schulung besaß oft nur noch rituellen Charakter, zumal – wie überall in der DDR – Theorie und Praxis auseinanderklafften. Frank Hagemann 542
urteilt, dass das gesellschaftspolitische Erziehungsprojekt der SED, die NVA als weltanschauliche Schule der Nation aufzubauen, bereits Ende der 1960er-Jahre gescheitert war.70 Die unbeabsichtigte Wirkung des politischen Unterrichts bestand vor allem darin, die allermeisten Armeeangehörigen in politische Lethargie zu versetzen.71 Die Mängel in der ideologischen Schulung wurden zumeist mit der Diversion des Klassenfeindes erklärt und mit noch mehr politischem Unterricht beantwortet. Radikale Hasspropaganda gegen die Bundesrepublik und immer neue ideologische Offensiven erreichten gewiss die überzeugten Kommunisten, trugen bei politischen Mitläufern aber eher dazu bei, dass die SED ihre Glaubwürdigkeit verlor. Parteiund Armeeführung waren gewissermaßen in einem ideologisch genährten Autismus gefangen, der den Blick für die tatsächlichen Probleme des inneren Gefüges verstellte.72 Die ideologischen Scheuklappen wirkten sich nicht nur auf die politische Schulung aus, sondern waren ein generelles Problem für die Menschenführung in der NVA. Offiziere und Unteroffiziere erhielten eine Ausbildung, die auf zeitgemäße Vermittlungskompetenzen wenig Wert legte. Das Äußern einer eigenen Meinung war nicht vorgesehen und wurde eher als unzulässige Abweichung vom richtigen Kurs gedeutet denn als wünschenswerte Beteiligung an einem Gedankenaustausch. Für den Dienst in der Truppe war neben der allgegenwärtigen Ideologisierung die permanente Gefechtsbereitschaft der NVA ein prägendes Merkmal. 85 Prozent der Soldaten hatten ständig in der Kaserne zu sein. Waffen und Ausrüstung waren immer einsatzbereit. Aus militärischer Perspektive hatte dies den Vorteil, dass die Streitkräfte von einem Moment auf den anderen in die Schlacht ziehen konnten. Das ging einher mit der Lehre vom marxistisch-leninistischen Kämpfer, der mehr 543
leiste, eine höhere Pflichtauffassung habe, größere Härten ertrage und gründlicher auf den Krieg vorbereitet sei als der bürgerliche »Söldling«73 der »imperialistischen BRD-Armee«, die das wiederzugewinnen trachte, was die Wehrmacht verloren hatte.74 Ein Indikator für die Härte der Ausbildung war die Zahl der tödlichen Unfälle. Diese war mit weit über 100 pro Jahr etwa doppelt so hoch wie in der westdeutschen Armee.75 Für einen Wehrpflichtigen war die NVA somit weit mehr als die Bundeswehr eine totale Institution.76 Während der 18 Monate Dienstzeit gab es nur wenige Tage Urlaub, der Kontakt zu Freunden und Verwandten war in der Regel nur per Post möglich. Private Freiräume gab es kaum. Der Wehrpflichtige Eckhard Ullrich schrieb 1971/72 in Briefen an seine Freundin und seine Eltern, dass ihm das Leben in der Kaserne »ohne all das, was ich früher hatte, konnte und durfte«, so entsetzlich schwerfalle. Er fühle sich »für anderthalb Jahre gefangen«, tagtäglich von Strafe bedroht. Immer wieder schrieb er von Schleifern und dem schlechten Essen.77 Es gab aber auch »prima« Gruppenführer und Zugführer, die »nicht zu wüst« waren.78 Vor allem aber lassen seine Briefe Stolz erkennen, Herausforderungen gemeistert oder militärische Aufgaben gut bewältigt zu haben. Große Manöver schienen Ullrich Spaß zu machen, eine willkommene Unterbrechung des eintönigen Kasernendienstes. Die »wüste Platzpatronenschlacht« irgendwo zwischen Magdeburg und Potsdam war »das einzig Vernünftige«.79 Und auch in der NVA, so ist zu lesen, begann sich der Ton nach der Grundausbildung zu lockern.80 In der Schilderung des ersten Schocks in der Kaserne, des Bemühens, Strafen zu entgehen und zugewiesene Aufgaben korrekt zu erledigen, der Ignoranz gegenüber dem politischen 544
Unterricht, aber auch in der Bandbreite des Alltags von größten körperlichen Anstrengungen über exzessiven Alkoholkonsum bis hin zur Gammelei unterscheiden sich die Briefe Ullrichs nicht prinzipiell von den Erfahrungen der Wehrpflichtigen in der Bundeswehr. In gewisser Weise erinnern sie sogar an Wilhelm Janekes Dienstzeit im Kaiserreich. Willkürlich verordnete Liegestütze, Rennen um den Kompanieblock, kleinliche Stubenkontrollen, das Ausräumen des Spinds, endlose Wachdienste waren Erfahrungen, die junge Soldaten in allen deutschen Armeen machten. Ebenso das Herbeisehnen des Wehrdienstendes und das Fehlen jedweder Reflexion über den Sinn des Ganzen. Und doch waren die Lebensumstände für einen Wehrpflichtigen der NVA im Jahre 1971 zweifellos rauer als in der Bundeswehr zur selben Zeit. Haarnetze gab es in der sozialistischen Armee nicht und auch keine Freizeit am Wochenende. Der Historiker Rüdiger Wenzke argumentiert, dass die Wehrpflichtigen der NVA keinen Hass auf den Klassenfeind, sondern auf ihre Offiziere gehabt hätten.81 Ob dieses Urteil wirklich zutrifft, ist empirisch kaum zu belegen. Zweifellos war die Bandbreite an Offizierspersönlichkeiten in der NVA groß und ließ sich nicht auf verbohrte sozialistische Kommissköpfe reduzieren. Viele verstanden es durchaus, ihre Soldaten für den Dienst zu begeistern, und begegneten ihnen mit »gepflegten Umgangsformen«.82 Und nicht alle Wehrpflichtigen empfanden ihren Dienst als negativ. Es gab auch positive Erfahrungen von Kameradschaft83 und Waffenstolz, wenngleich solche Erlebnisse für viele nicht im Vordergrund standen. Und wenn es auch Pflichtbewusstsein, Leistungsbereitschaft und Loyalität gegenüber der als Vaterland betrachteten DDR84 gab, so ist nicht zu übersehen, 545
dass der allzu strenge Dienst, die harschen Lebensbedingungen und die Indoktrinierung die Verbundenheit mit der Institution NVA schwächten. Neben diesen Rissen auf der vertikalen Ebene gab es auch Probleme bei der horizontalen Kohäsionsbildung. Unter den Wehrpflichtigen bildete sich rasch ein Hierarchieverhältnis heraus, basierend auf der Länge der absolvierten Dienstzeit. Die Entlassungskandidaten (EK) des letzten Diensthalbjahres herrschten über die »Neuen«. Diese waren Schikanen aller Art ausgesetzt und mussten den dienstälteren Mannschaften unangenehme Dienste und Pflichten abnehmen. Gewalttätigkeiten und Erniedrigungen waren an der Tagesordnung.85 Ähnliche Vorkommnisse hat es in allen deutschen Armeen gegeben, und teilweise wurden sogar dieselben Begriffe verwendet: Als »Koffer« und »Rotärsche« wurden auch in der NVA die Neulinge bezeichnet, als »Vize« jene im vorletzten Diensthalbjahr. Die Hierarchisierung scheint in der NVA aber besonders ausgeprägt gewesen zu sein und existierte in abgeschwächter Form sogar bei den Unteroffizieren auf Zeit.86 Das lag einerseits am System der halbjährlichen Einberufungen, das automatisch zu einer Hierarchie im Sozialgefüge der Mannschaften führte. Andererseits wurden Disziplin, Gehorsam und Leistungsbereitschaft in der NVA besonders strikt eingefordert, wodurch der Druck auf die Mannschaftssoldaten besonders groß war. Im »Ratgeber für den Soldaten« war noch 1981 von »bedingungsloser Unterordnung unter den Willen des Vorgesetzten« die Rede.87 Zudem war auch die soziale Abgrenzung von Stabsoffizieren, Subalternoffizieren und Unteroffizieren mit und ohne Portepee stark ausgeprägt. So verwundert es kaum, dass es auch bei den Mannschaften zu einer starken Binnendifferenzierung kam. 546
Alle Appelle der vorgesetzten Dienststellen, diesen Missständen entgegenzuwirken, blieben erfolglos. Da sich mehr als 80 Prozent der jüngeren Offiziere überlastet fühlten und die langen Dienstzeiten beklagten88, duldeten sie das EKSystem im Sinne einer Herrschaftsstabilisierung, zumal es gewährleistete, dass von den Neuen niemand aus der Reihe tanzte. Zur Aufrechterhaltung der hohen Gefechtsbereitschaft waren sie auf das Wissen und Können der erfahrenen Mannschaften angewiesen. Die NVA-Führung kritisierte, dass insbesondere die jüngeren Unteroffiziere und Offiziere die Auswüchse der EK-Bewegung entweder bagatellisieren und als »dumme Jungenstreiche« abtun oder aber mit Kollektivstrafen überreagieren würden.89 Das EK-System hätte sich freilich nur abschaffen lassen, wenn die NVA von der halbjährlichen Einberufung der Wehrpflichtigen abgerückt wäre. Doch Pläne, die Verbände kompanieweise aufzufüllen, gab es nicht. So blieb nur übrig, die größten Missetäter von Militärgerichten aburteilen zu lassen. Immerhin gab es in der NVA ein Beschwerderecht, und mehr als 2000 Eingaben pro Jahr betrafen den Bereich der Menschenführung.90 Die Kommandeure wussten also über die Missstände in ihren Einheiten Bescheid.91 Auf die Selbstmordrate scheint die EK-Bewegung keinen Einfluss gehabt zu haben. Wie in der Bundeswehr bewegte sie sich auch in der NVA seit den Siebzigerjahren zwischen 18 und 25 Suiziden pro 100 000 Soldaten und lag damit niedriger als in der jeweiligen Zivilgesellschaft.92 Vom angestrebten Ideal »sozialistischer Beziehungen« der Soldaten untereinander war man in der Praxis weit entfernt. Einheitliches Handeln und enge Verbundenheit in der Gemeinschaft sowie die Einbeziehung des Kollektivs in Fragen der Leitung und Planung blieben vielfach marxistisch- 547
leninistische Theorie.93 Eine Untersuchung aus dem Jahr 1973 offenbarte, dass mehr als die Hälfte der Wehrpflichtigen das Niveau der »sozialistischen Beziehungen« für niedrig oder sehr niedrig befand und nur jeder Zehnte für hoch oder sehr hoch.94 Und 1981 gab gut die Hälfte der Befragten an, nur das Nötigste zu tun und vor allem nicht auffallen zu wollen.95 Allerdings war das System immer noch so effizient, dass die Mannschaftssoldaten loyal ihren Dienst taten. Auf den Manövern zeigten sie gute Leistungen, sodass der NVA sowohl von der Sowjetunion als auch von der NATO ein hoher Kampfwert zugesprochen wurde. Im Übrigen waren die inneren Zustände in der NVA deutlich besser als bei den sowjetischen Streitkräften. Das dürfte manchem NVASoldaten durch die gemeinsamen Übungen und Freundschaftsbesuche deutlich geworden sein.96 Kriegsplanung und Bündnispolitik Die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten glaubten im Kalten Krieg Mächten gegenüberzustehen, die aufgrund ihres aggressiven Imperialismus friedensunfähig seien.97 Sie gingen daher stets von der Angriffsabsicht der NATO aus. Ein Krieg der beiden Systeme war nach dieser Lesart nahezu unausweichlich; die Frage war nur, wann und wie er geführt werden würde. In jedem Fall galt es, ständig auf alles vorbereitet zu sein. Für die Sowjetunion waren der deutsche Überraschungsangriff vom 22. Juni 1941 und der darauffolgende lange Krieg auf eigenem Territorium eine traumatische Erfahrung. So etwas durfte sich auf keinen Fall wiederholen. In der Chruschtschow-Ära strebte die UdSSR zunächst nach nuklearer Parität mit den Vereinigten Staaten. Die Strategischen Raketentruppen waren in den Fünfzigerund frühen Sechzigerjahren daher die wichtigste Teilstreitkraft der Sowjetarmee. Im sowjetischen Kriegsbild, dem sich alle 548
Mitglieder des Warschauer Paktes anzupassen hatten, wäre ein Schlagabtausch mit der NATO rasch in einen globalen Atomkrieg gemündet. Die konventionelle Kriegführung spielte in den Planungen Moskaus in dieser Zeit keine Rolle. Infolge der Kubakrise von 1962, die die Welt zumindest in der Wahrnehmung der Teilnehmer an den Rand des Supergaus geführt hatte, wandelte sich die Strategie sowohl der westlichen als auch der östlichen Allianz. Tatsächlich hatte der sowjetische Generalstab schon länger eine Flexibilisierung der Kriegsplanungen gefordert; nun fand er Gehör. Die konventionellen Truppen erhielten mehr Gewicht, und seit Ende der 1960er-Jahre fanden unterschiedliche Szenarien, vom globalen Atomkrieg bis zum örtlich begrenzten konventionellen Krieg, Eingang in die Planungen. Diese sahen vor, einen Angriff der NATO innerhalb kürzester Zeit mit den Truppen der 1. Strategischen Staffel auf dem Territorium der DDR zum Stehen zu bringen, um dann zusammen mit den Verbänden der 2. Strategischen Staffel zum Gegenangriff überzugehen und den Gegner auf seinem Gebiet zu schlagen. In einem Blitzkrieg sollte die Rote Armee rasch an den Rhein und dann weiter nach Amsterdam, Brüssel und Paris vorstoßen. Je nach Szenario sollte dabei eine unterschiedliche Zahl von Atomwaffen eingesetzt werden, etwa um eine Bresche für die Panzerverbände zu schlagen. In den Planungen und Manövern deutete sich zunehmend eine Präferenz für den konventionellen Krieg an. Zeitweise glaubte man sogar, durch einen schnellen Vormarsch den Kernwaffeneinsatz der NATO unterlaufen oder zumindest unwahrscheinlich machen zu können. Die sowjetischen Panzerarmeen sollten in enger Zusammenarbeit mit Marine und Luftwaffe – amphibische Operationen, Luftlandungen und massive taktische 549
Luftunterstützung waren geplant – die in der Bundesrepublik stationierten NATO-Verbände rasch überrollen.98 Die Konventionalisierung der Kriegsplanungen seit den Sechzigerjahren brachte die verbündeten Streitkräfte – NichtSowjetische Warschauer Pakt-Armeen (NSWP) genannt – ins Spiel. Insbesondere Polen, die DDR und die Tschechoslowakei erhielten nun mehr Gewicht, wenn auch nicht mehr Mitsprache.99 Die Bündnispartner der Sowjetunion stellten bald rund ein Drittel aller Divisionen des Warschauer Paktes in Europa und knapp die Hälfte aller Divisionen der 1. Strategischen Staffel.100 Die meisten NSWP-Armeen wurden Mitte der 1960er-Jahre dem Bündnis assigniert; erst dadurch wurde die östliche Allianz auf operativer Ebene mit Leben erfüllt. Seit dieser Zeit nahm auch die Zahl von Großmanövern der Paktarmeen zu. Nach gut zehn Jahren intensiver Übung war gegen Ende der Siebzigerjahre die Bündniskriegführung bis ins Detail eingespielt.101 Der Gefechtswert der konventionellen Streitkräfte des Warschauer Paktes erhöhte sich zeitgleich durch umfangreiche Rüstungsprogramme. Das betraf einerseits die Modernisierung der Waffensysteme, aber auch die Zahl der Geschütze und Raketenwerfer, der Panzer und Fahrzeuge stieg erheblich, außerdem wurden gewaltige Munitionsvorräte angelegt. Die konventionelle Feuerkraft konnte so deutlich erhöht werden und war jener der NATO bald um mehr als das Doppelte überlegen.102 Zwar blieb ein Qualitätsunterschied zwischen der Sowjetarmee und ihren Bündnispartnern bestehen; das neueste Gerät erhielt stets die Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in der DDR. Dennoch waren die Verbündeten durchaus modern ausgerüstet und für die NATO ernst zu nehmende Gegner. 550
Das größere Gewicht der NSWP-Streitkräfte ließ sich auch daran ablesen, dass sie nun höhere Kommandoposten erhielten. Die polnische Volksarmee bekam eine Front (Heeresgruppe) unter eigener Führung zugewiesen und sollte im Kriegsfall an der nördlichen Flanke einen Angriff der NATO abweisen und dann in Richtung Hamburg-Bremen sowie Hamburg-Jütland vorstoßen.103 Für die NVA waren zunächst nur zweitrangige Sicherungsfunktionen vorgesehen.104 Ihre Divisionen wären im Kriegsfall auf die sowjetischen Armeen aufgeteilt worden.105 Erst im Verlauf der Siebzigerjahre tauchten in den Planspielen zwei NVA-Korps, dann zwei NVA-Armeen auf, die sogleich immer wichtigere Aufgaben zu erfüllen hatten. So sahen die Operationsplanungen Anfang der 1980er-Jahre vor, die 5. NVA-Armee im Kriegsfall an vorderster Front den Stoß südlich von Hamburg durch die norddeutsche Tiefebene bis an die niederländische Grenze führen zu lassen.106 Dieser Aufgabe entsprach seit 1978 dann auch die Einführung der modernen T-72-Panzer in der NVA.107 Wenngleich die NVA ihre Kampfkraft erheblich steigerte, sie sich geradezu zu einer sozialistischen Musterarmee mauserte und in den operativen Planungen eine wachsende Rolle spielte, blieb ihr politisches Gewicht in der Allianz begrenzt. Und dies, obwohl die DDR-Regierung erheblichen finanziellen Aufwand trieb, um ihr Staatsgebiet zur logistischen Operationsbasis für den nächsten Krieg auszubauen. Vor allem Rumänien, aber auch Polen erstritten sich größere militärische Eigenständigkeit und vertraten ihre Interessen gegenüber der Sowjetunion selbstbewusster als die DDR.108 Gewiss, Rumänien lag an der Peripherie der Blockkonfrontation und wurde daher von Moskau am längeren Zügel geführt. Und die polnische Volksarmee war weit größer 551
als die NVA und hatte schon deshalb mehr Gewicht. Sie besaß einen eigenen Generalstab, der auch unabhängig von Moskau plante.109 In Polen gab es eine Generalstabsakademie, an der sogar sowjetische Offiziere studierten. Aufgrund des historischen Antagonismus beider Länder, der nach wie vor virulent war, und der Schlüsselrolle Polens als Durchgangsland für die sowjetischen Truppen in der DDR, ging Moskau mit seinem westlichen Nachbarn behutsam um und ließ ab den Sechzigerjahren eine gewisse Nationalisierung der polnischen Streitkräfte zu.110 Eine zu enge Kontrolle hätte die Kohäsion des Bündnisses geschwächt. Deshalb schickte die Sowjetunion auch keine Truppen, als die Proteste der Gewerkschaft Solidarność 1980 die Herrschaft der polnischen KP bedrohten. General Wojciech Jaruzelski verhängte den Ausnahmezustand, löste die Probleme mit massiven Repressionen aus eigener Kraft und hielt so die sowjetischen Panzer draußen. Gewiss vermochte weder Polen noch ein anderer Satellitenstaat die grundsätzlichen Machtverhältnisse im Warschauer Pakt zu verschieben. In einem Geheimvertrag von 1980 verpflichteten sich alle NSWP-Länder außer Rumänien, ihre Streitkräfte im Kriegsfall direkt dem sowjetischen Generalstab zu unterstellen.111 Dieser blieb also das entscheidende Machtzentrum des Bündnisses und nicht das Vereinte Oberkommando, das als gemeinsamer Generalstab eher eine koordinierende Funktion ausübte – und ebenfalls stets von einem sowjetischen General geführt wurde.112 Auch der Oberkommandierende der dem Warschauer Pakt assignierten Streitkräfte war immer ein sowjetischer Marschall. Die DDR entsandte zunächst nur einen Verbindungsoffizier in das Vereinte Kommando. Mit der Budapester Reform des 552
Bündnisses erhielten die kleineren Staaten 1969 mehr Mitspracherechte und stellten fortan je einen Stellvertretenden Stabschef. Auf den unteren Ebenen dienten rund zwei Dutzend NVA-Offiziere im Vereinten Kommando. Ihr Einfluss blieb aber überschaubar, und eine ostdeutsche Handschrift im Bereich der Kriegsplanungen war nicht zu erkennen. Zeigten sich Ansätze einer DDR-Doktrin, schob Moskau sofort einen Riegel vor.113 Zudem wachten auch nach 1969 sechs bis acht sowjetische Militärberater in den höheren Stäben, den Divisionen und Raketenbrigaden darüber, dass die sowjetischen Pläne umgesetzt wurden.114 Das bedeutete nicht, dass die Generalität der NVA keine eigenen Vorstellungen hatte, wie der kommende Krieg zu führen war. Auf taktischer Ebene und in der Ausbildung gab es durchaus einen ostdeutschen footprint. Zudem legte die Operationsabteilung der 5. NVA-Armee in den frühen Achtzigerjahren in sowjetischem Auftrag auch selbst ausgearbeitete Pläne für die Kampfführung vor.115 Doch zweifellos wären im Ernstfall alle wesentlichen Anweisungen vom sowjetischen Generalstab gekommen. Bislang sind keine Überlegungen Moskaus bekannt geworden, von sich aus einen Angriff auf die westliche Allianz zu führen, etwa um Westeuropa in den sowjetischen Machtbereich einzugliedern. In den bekannten Planspielen wurde stets ein Angriff der NATO angenommen, wobei man teilweise davon ausging, dass es zu tiefen Einbrüchen in das Gebiet der DDR kommen würde.116 In den großen Manövern wurden aber nicht Verzögerung und Gegenangriff geübt, wie es bei einer beweglichen Verteidigungstaktik zu erwarten gewesen wäre. Vielmehr ging es in den Übungsszenarien zumeist darum, eine zur Verteidigung vorbereitete Stellungslinie des Gegners zu durchbrechen, was eher für das 553
Einüben eines Präventivangriffs auf die Bundesrepublik sprach.117 Gewiss lässt sich nicht unmittelbar von Manövern auf Operationspläne schließen. Ohne Einblick in die sowjetischen Generalstabsakten bleibt weiter unklar, mit welchen Kriegsszenarien man in Moskau in den verschiedenen Phasen des Kalten Krieges wirklich rechnete. Da der »imperialistische« Westen per se als »immer aggressiver« bewertet wurde, wäre ein Angriff auf die NATO in der Logik des kommunistischen Systems zu rechtfertigen gewesen.118 Den Befehl dazu hätte aber nur der sowjetische Staats- und Parteichef geben können. Nach derzeitigem Kenntnisstand hatten weder Chruschtschow noch Breschnew derartige Absichten. Doch erst in den Achtzigerjahren spielte die Verteidigung der DDR in den Planungen eine größere Rolle. Seit 1983 wurden längere Defensivphasen eingeübt, bevor man zum Gegenangriff überging. Ab 1987 ging der Warschauer Pakt unter dem Einfluss der wachsenden ökonomischen Probleme und der Entspannungspolitik Michail Gorbatschows dann zu einer reinen Verteidigungsdoktrin über. Ein NATO-Angriff sollte nun in der Tiefe des Territoriums der DDR zum Stehen gebracht werden.119 Im Vergleich zur DDR hatte die Bundesrepublik auf den verschiedenen politischen und militärischen Ebenen deutlich mehr Einfluss auf die Verteidigungsplanungen ihrer Allianz. Dreimal stellte Westdeutschland im Kalten Krieg den Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses, sprach in der Nuclear Planning Group mit, besetzte auf allen militärischen Entscheidungsebenen wichtige Posten. Mit dem Oberbefehlshaber über die NATO-Streitkräfte in Mitteleuropa verfügte Bonn zudem über eine zentrale Position für die Operationsplanung. Die föderale NATO-Struktur war aus politischer Hinsicht ein Vorteil für die Bundesrepublik. Sie 554
ermöglichte, das militärische Gewicht der Bundeswehr in sicherheitspolitischen Einfluss umzumünzen. Doch aus rein militärischer Sicht hatte der Warschauer Pakt den Vorteil auf seiner Seite. Hier lag alles in einer Hand, es gab keine mühsamen Abstimmungsprozesse und viel geringere Unterschiede in den Militärkulturen. Die Armeen des Ostblocks waren deutlich stärker sowjetisiert als jene der NATO amerikanisiert. Das westliche Bündnis stand zwar stets unter dem Oberkommando eines US-Generals, und es gab auch gemeinsame Technikstandards. Doch im Vergleich zum Warschauer Pakt hatten die NATO-Mitgliedsländer ein Vielfaches an unterschiedlichem Gerät, und die Generalstabsausbildungen, Doktrinen und Führungskulturen unterschieden sich teilweise erheblich voneinander. Hinzu kam, dass mit Frankreich ein wichtiger Bündnispartner nicht in die militärische Struktur integriert war, die NATO also nicht sicher wusste, wie sich Paris im Ernstfall verhalten würde. Die an der deutsch-deutschen Grenze stationierten Korps aus fünf verschiedenen Nationen waren außerdem relativ autonom, und im Kriegsfall bestand die Gefahr, dass sie mehr für sich als im Verbund kämpften. Erst in den Achtzigerjahren wuchs die NATO in Mitteleuropa in der Operationsführung wirklich zusammen.120 Der Warschauer Pakt hatte diesen Punkt deutlich früher erreicht. So vorteilhaft die Strukturen des Warschauer Paktes für die Sowjetunion waren, sosehr schränkten sie die Spielräume ihrer Bündnispartner ein. Das galt in besonderem Maße für die DDR. Den strikten Vorgaben aus Moskau entsprechend, folgte die NVA dem sowjetischen Kriegsbild und damit auch dem sowjetischen Modell der Offizierausbildung. Diesem lag die Vorstellung zugrunde, dass das Gefecht mit modernen Methoden berechnet werden konnte, der Krieg gewissermaßen 555
ein Handwerk sei. Der Generalstabsoffizier war demnach ein Spezialist, der seinem Oberbefehlshaber zuarbeitete; die operativen Entscheidungen traf dieser alleine. Dementsprechend ging es in der NVA nicht darum, Stabsoffiziere zu Generalisten auszubilden, die zwischen politischen und militärischen Verwendungen im In- und Ausland hin und her wechselten. Die allermeisten NVAGeneräle hatten nie Verwendungen außerhalb der DDR und daher kaum Gelegenheit, fachliche Breite zu entwickeln. Das traf auch für die höhere Generalität zu. Einblick in die politisch-strategische Gesamtplanung hatten im Grunde genommen nur drei Personen: der Minister für Nationale Verteidigung, der Chef des Hauptstabes und der Chef der Abteilung Operativ des Hauptstabes.121 Für die höheren Positionen der NVA standen, wie bereits erwähnt, in den Anfangsjahren keine Militärexperten zur Verfügung, da diese nur aus der Wehrmacht hätten stammen können und die DDR-Führung politische Zuverlässigkeit höher gewichtete als fachliches Know-how. Die ersten beiden Generalskohorten waren daher fachlich und intellektuell nur bedingt für ihre militärischen Aufgaben qualifiziert.122 Das änderte sich erst, als jene Generation, die um 1960 in die Streitkräfte eingetreten war, in den 1980er-Jahren in höhere Verwendungen aufrückte. Sie war das Produkt eines Professionalisierungsprozesses des Offizierkorps, der – durchaus bürgerlich und im Widerspruch zur herrschenden Klassenlehre – auf Bildung und Leistung beruhte. Dank seiner verfügten die NVA-Offiziere zunehmend über eine hohe Expertise auf ihrem jeweiligen militärfachlichen Gebiet, etwa der Panzertruppe oder der Artillerie. In dieser Fachkenntnis waren sie ihren bundesdeutschen Pendants vermutlich sogar überlegen, da die Bundeswehr an der von Clausewitz und 556
Moltke stammenden Führungslehre festhielt, wonach der Krieg nicht berechenbar sei und nur der »geniale« Geist eines hochgebildeten Generalisten das Chaos der Schlacht beherrschen könne. In diesem Verständnis war Truppenführung eine Kunst und kein Handwerk. Dementsprechend breit war die dreißigjährige Karriere eines Bundeswehroffiziers angelegt, bevor er General wurde. Die westdeutschen Generalisten lernten in ihrer Laufbahn zwar viele Tätigkeitsbereiche kennen, beherrschten im Vergleich zu den ostdeutschen Spezialisten aber möglicherweise keinen richtig. Welches System – das der NVA oder das der Bundeswehr – eine höhere Leistungsfähigkeit der Streitkräfte im Kriegsfall garantierte, ist im Wesentlichen eine Glaubensfrage. Die Probe aufs Exempel fand glücklicherweise nie statt. Keine der deutschen Armeen wurde während des Kalten Krieges je im scharfen Gefecht eingesetzt. Dies gilt auch für die NVA, von der zu lesen war, sie würde ihre Soldaten etwa in den Bürgerkrieg nach Angola schicken. Doch die sensationellen Meldungen über »Honeckers Afrika-Korps« waren allesamt Zeitungsenten. Die DDR wollte sich nicht in die Konflikte in Afrika, Mittelamerika oder Asien hineinziehen lassen. Es blieb bei der Entsendung einer Handvoll von Beratern und einem Transportflugzeug nach Mosambique in den Achtzigerjahren. Sehr aktiv war man hingegen bei Waffen- und Ausrüstungslieferungen an die sozialistischen Bruderländer von Nicaragua über Ägypten, Syrien bis nach Äthiopien. Zudem wurden rund 3000 ausländische Militärs aus 19 verschiedenen Ländern von Vietnam bis Chile in der DDR ausgebildet.123 Die beste NSWP-Armee des Warschauer Paktes 557
Die Sowjetunion wollte mit der Aufstellung der NVA rasch eine sozialistische Bündnisarmee mit hohem Kampfwert am Westrand ihres Einflussgebiets zur Verfügung zu haben. Doch die Umwandlung der Kasernierten Volkspolizei (KVP) in schlagkräftige Streitkräfte brauchte erhebliche Zeit. Die geringsten Schwierigkeiten bereitete die organisatorische Neugliederung. Auch die Personalübernahme verlief im Wesentlichen unproblematisch, wenn man einmal von den 500 Offizieren der KVP absieht, die es ablehnten, in der NVA Dienst zu tun.124 Problematischer war das Ausbildungsniveau der Truppe, das lange Zeit schlecht blieb. Auch die von der Sowjetunion zur Verfügung gestellte Ausrüstung war drittklassig, weil heillos veraltet. Ein Großteil des Geräts stammte noch aus dem Zweiten Weltkrieg und war von der Sowjetarmee ausgemustert worden.125 Nach Einführung der Wehrpflicht erreichte die NVA im Verlauf der Sechzigerjahre ihre Sollstärke von knapp 170 000 Mann. Das Heer bestand nach sowjetischem Vorbild aus zwei Panzer- und vier motorisierten Schützendivisionen, die zusammen mit etlichen Unterstützungseinheiten rund 110 000 Mann zählten. Im Mobilmachungsfall wären fünf weitere Divisionen hinzugekommen, deren Material in Depots eingelagert war. 1965 verfügte die NVA mit 1600 Panzern und 700 Geschützen über eine beachtliche Feuerkraft, die gemessen an ihrer Mannschaftsstärke doppelt so hoch war wie die der Bundeswehr.126 Schon Anfang der Sechzigerjahre war sie so aufgestellt, dass sie an großen Manövern des Warschauer Pakts teilnehmen konnte.127 In der Bundeswehr nahm man die NVA bald als schlagkräftige Armee wahr. 1965 hieß es in einer offiziellen Beurteilung: »Die NVA-Landstreitkräfte sind eine mit modernsten Waffen ausgerüstete und nach neuzeitlichen 558
Grundsätzen geführte Teilstreitkraft, die im Rahmen der ersten strategischen Staffel des Warschauer Paktes eingesetzt werden kann.« Das Offizierkorps sei für seine Aufgabe qualifiziert und politisch sehr zuverlässig. Die Unteroffiziere auf Zeit hingegen würden gemessen am Anspruch der NVA noch erhebliche Mängel in fachlicher und politischer Hinsicht aufweisen. Bei den Mannschaften sei der angestrebte Typus des »sozialistischen Kämpfers« noch sehr selten, mindestens 70 Prozent der Wehrpflichtigen hätten politische Vorbehalte. Aber auch bei ihnen sei ein wachsender Waffenstolz feststellbar. Die NVA verfüge somit über einen »guten bis ausreichenden inneren Kampfwert« für die Anfangsphase eines Krieges. Sie könne prinzipiell gegen jeden Gegner eingesetzt werden. Bei einem Einsatz gegen die Bundeswehr, so glaubte man in Bonn, könne es aber zu Krisen kommen. »Harter, zügiger Einsatz in vorderer Linie, der keine Zeit zum Nachdenken läßt, und möglichst beiderseitige Einrahmung durch sowjetische Truppen werden wahrscheinlich die besten Leistungen garantieren.«128 Die NVA selbst überprüfte in einem engmaschigen Evaluationsverfahren ständig die Leistungsfähigkeit ihrer Truppen und konnte in den Sechzigerjahren ein stetig ansteigendes Niveau feststellen. Die meisten Divisionen wurden nun als »gefechtsbereit« gemeldet. Allerdings erfüllten nicht alle Verbände die Erwartungen. So wurde die Gefechtsausbildung der 4. Mot. Schützendivision 1967 in einem harschen Bericht als »ungenügend«, die Division als nicht gefechtsbereit eingestuft. Der Karriere des Kommandeurs Joachim Goldbach schadete dieses Urteil nicht. Er stieg bis zum stellvertretenden Verteidigungsminister auf. Fünf Jahre später hatte sich die Erfurter Division dann auf ein 559
»befriedigend« hochgearbeitet, und Ende der Siebzigerjahre erhielt sie das Prädikat »gut«.129 Ab den frühen Siebzigerjahren wurde die Ausrüstung der ostdeutschen Landstreitkräfte grundlegend modernisiert. Die alten T-34-Panzer wurden aussortiert, die Artilleriebewaffnung wurde verdoppelt.130 Der zweite Modernisierungsschub erfolgte Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre.131 Wenngleich die NVA nicht die allerneuesten sowjetischen Waffen erhielt, war sie nun modern ausgerüstet. Eine Rüstungsindustrie für Großgerät gab es in der DDR nicht – auch nicht für den Lizenznachbau, wie es etwa in Polen oder der Tschechoslowakei der Fall war. Art und Umfang der Waffenlieferungen aus der Sowjetunion hingen somit davon ab, welche Technik Moskau für die DDR freigab, aber auch, welche Anschaffungen sich Ostberlin finanziell überhaupt leisten konnte. Die Wünsche Moskaus nach Waffenkäufen konnte die DDR bereits in den Siebzigerjahren nicht mehr voll erfüllen, obwohl sie bis zu acht Prozent ihres BIP für die Streitkräfte aufwendete.132 1979 urteilte der Bundesnachrichtendienst über die NVA: »Unter den im westlichen Vorfeld stehenden Kampfdivisionen sind neben den sowjetischen die NVA-Großverbände die kampfkräftigsten.«133 Der Ausbildungsstand wurde als sehr gut bezeichnet, der hohe Anteil der Nachtübungen, die harten Anforderungen und die eingehende ideologische Schulung wurden herausgestellt. Die Kampfkraft wurde höher als die der anderen NSWP-Armeen eingeschätzt. An diesem Urteil änderte sich auch in den folgenden Jahren nichts.134 Der BND bewertete die NVA damit positiver, als sie dies selbst zu tun pflegte. Deren offizielle Berichte waren zwar in einem grundsätzlich positiven Duktus gehalten und betonten stets, dass die politisch-ideologische Schulung die Erhöhung der 560
Kampfkraft gewährleiste. In der internen Evaluation kamen aber immer auch Defizite in der Gefechtsausbildung zur Sprache, die der BND so nicht erkannte.135 So ergab im Herbst 1983 eine Umfrage der Politischen Hauptverwaltung in der Truppe: »Zwei Drittel der Soldaten und drei Fünftel der Unteroffiziere haben Zweifel, ob sie mit ihrem Ausbildungsstand im modernen Gefecht bestehen können. Offiziere schätzen den Ausbildungsstand – gemessen an den Anforderungen des Gefechts – ähnlich ein.«136 Aufgrund der zunehmenden ökonomischen Probleme der DDR litt ab Anfang der Achtzigerjahre die Gefechtsbereitschaft spürbar. Rund 10 000 Soldaten mussten zum ständigen Arbeitseinsatz in die Betriebe geschickt werden. Das führte zu höheren Belastungen der verbleibenden Männer, aber auch zur Frustration etlicher Wehrpflichtiger, die aus ihren angestammten Betrieben in die NVA eingezogen wurden. Dort fehlten sie, nur um an anderer Stelle in der Wirtschaft eingesetzt zu werden.137 Wie in der Bundeswehr kam nun hinzu, dass die geburtenschwächeren Jahrgänge zur Einberufung anstanden und es an Wehrpflichtigen mangelte. Zunächst wurde dies mit dem vermehrten Einsatz von Reservisten ausgeglichen138, doch 1988 führte kein Weg mehr daran vorbei, die NVA um 10 000 Mann zu reduzieren und sechs Panzerregimenter aufzulösen. Propagandistisch wurde dieser Schritt als einseitige Abrüstung und bereitwillige Maßnahme für den Frieden verkauft. In den Jahren vor der Wiedervereinigung ließ die Kampfkraft der NVA somit spürbar nach, zumal sich auch die Loyalität der Mannschaften und Unteroffiziere verschlechterte. Die Zahl der Straftaten nahm zu139, und es gab wachsende Probleme bei der Nachwuchsgewinnung.140 Fazit 561
Die Nationale Volksarmee unterschied sich von allen anderen deutschen Armeen. Sie grenzte sich in umfassender Weise von der deutschen Militärkultur ab. Anders als die Reichswehr, die Wehrmacht oder die Bundeswehr übernahm sie von ihren Vorgängern wenig und orientierte sich ganz an der Sowjetarmee. Ihre Offiziere waren fast ausnahmslos Parteimitglieder, und das Ausmaß der zumindest auf dem Papier erreichten Ideologisierung war beispiellos. Dennoch war die NVA keine Parteiorganisation. Sie verfolgte durchaus institutionelle Eigeninteressen, und der Erfolg der »Rotlichtbestrahlung« blieb zumindest bei den Unteroffizieren auf Zeit und den Wehrpflichtigen begrenzt. Auf dieser unteren Ebene war man mehr am militärischen Handwerk und an erträglichen Lebensbedingungen interessiert. Im Vergleich zu den anderen Staaten des Warschauer Paktes betrieb die DDR den mit Abstand größten Aufwand, um den Anspruch an die Armee, politische Schule der Nation zu sein, umzusetzen. Die DDR zeigte, dass es möglich war, Streitkräfte auch ohne überkommene Traditionen und weitgehend ohne die Elite der Vorgängerarmee, in diesem Fall der Wehrmacht, aufzubauen. Angetreten mit dem Anspruch, eine Arbeiter- und Bauernarmee für den sozialistischen Staat zu bilden, hob die NVA die seit dem 19. Jahrhundert geltenden Bildungsschranken für das Offizierkorps auf und veränderte insbesondere in der Anfangszeit dessen soziale Zusammensetzung erheblich. Die Zahl der Offiziere war mit bis zu einem Viertel des Gesamtbestands sehr hoch, was zur Folge hatte, dass Unteroffiziere keine Führungsaufgaben übernahmen. Wenngleich sowohl die Bundeswehr als auch die NVA lange Zeit Schwierigkeiten hatten, qualifizierte Offiziere und vor allem Unteroffiziere zu finden, war die militärische Qualifikation des höheren Offizierkorps der NVA zunächst 562
deutlich schlechter als diejenige der Bundeswehr. Die strikte politische Ausrichtung bei der Personalauswahl wurde mit fehlender militärischer Professionalität und einer im Vergleich zur Bundeswehr schwächeren Kampfkraft erkauft. Dieser Nachteil wurde aber bis zum Ende der Sechzigerjahre ausgeglichen, zumal die Jugendproteste von 1968 in der DDR kaum Auswirkungen hatten. Zumindest im offiziellen Diskurs gab es keine zivil-militärische Diskrepanz, Staat und Armee waren auf einer Linie. Hitzige Debatten über das Traditionsbild der Truppe oder das Selbstbild des Soldaten, wie sie in der Bundeswehr geführt wurden, gab es ebenso wenig wie die Forderung, dass der Frieden der Ernstfall sei und die Kriegsbereitschaft nicht im Vordergrund zu stehen habe. Auch eine Schnez-Studie oder Hauptleute von Unna gab es in der NVA nicht. Das Bild des sozialistischen Kämpfers141, der »wachsam und gefechtsbereit«142 sein Kriegshandwerk »meisterhaft« beherrscht und so den Frieden sichert, war weitgehend unbestritten. Die militärische Professionalität der ostdeutschen Armee, ihre Ausrichtung auf den Kampf und ihre Gefechtsbereitschaft waren zweifellos bemerkenswert. Die NVA konnte wesentlich schneller mobilmachen als die Bundeswehr. Doch angesichts der Defensivstrategie der NATO, der westlichen Entspannungspolitik und der an den Wochenenden leeren Bundeswehrkasernen gab es eigentlich keinen Grund, über Jahrzehnte eine so hohe Gefechtsbereitschaft aufrechtzuerhalten. Man schwächte sich dadurch selbst, weil zu wenige Ressourcen für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Soldaten übrig blieben. Vor allem aber konnte sich die DDR angesichts ihrer begrenzten ökonomischen Spielräume eine modern ausgerüstete und allzeit kampfbereite Armee gar nicht leisten. Das Bemühen, 563
auch auf militärischem Gebiet ein Musterschüler Moskaus zu sein, trug am Ende nicht zum Schutz des Sozialismus bei, sondern zu seinem Zusammenbruch. Die DDR schlug mit ihrer sozialistischen Armee einen Sonderweg in der deutschen Militärgeschichte ein, nicht nur in politischer Hinsicht, sondern auch hinsichtlich ihrer ganz eigenen militärischen Kultur. Deshalb führte nach der Wiedervereinigung auch kein Weg von der NVA zur Bundeswehr, ebenso wenig wie ein Weg von früheren deutschen Armeen zur NVA geführt hatte. Das handwerkliche Können, der Waffendrill, die vorbildliche Kampfbereitschaft der NVA wurden weniger denn je benötigt. Die Welt war 1990 eine andere geworden. Der Krieger hatte scheinbar endgültig ausgedient. 564
VI. Zwischen »Friedensdividende« und Auslandseinsatz. Die Bundeswehr der Berliner Republik (1990 bis heute) Neue Welt, neue Aufgaben 1990 hatte die Bundesrepublik das im Grundgesetz vorgegebene Ziel der Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit erreicht. Was würde nun kommen? Neue Großmachtgelüste? Allen – insbesondere britischen und französischen – Befürchtungen zum Trotz stand weder den Deutschen noch ihrer Regierung der Sinn nach einem Paradigmenwechsel. Vielmehr hatten sich die außenpolitischen Konstanten der Bonner Republik tief in die westdeutsche Mentalität eingegraben: Man wollte keine neuen weltpolitischen Engagements, sondern die Fortsetzung der alten Politik. Nach der deutschen sollte nun die europäische Einigung vollzogen werden – und Helmut Kohl wies mit seiner Einwilligung in eine Europäische Währungsunion nach französischen Vorstellungen über die Verträge von Maastricht (1992) und Amsterdam (1997) den Weg in die Zukunft. Mit der Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung würde Europa einer politischen Union ein erhebliches Stück näherkommen. Kohl war davon überzeugt, dass es nur durch die konsequente Einbindung in supranationale Strukturen gelingen würde, die tiefe Skepsis der Nachbarn gegenüber dem wiedervereinigten Deutschland zu zerstreuen.1 565
Während mit der Europapolitik und der Westbindung also der bereits lange zuvor eingeschlagene Weg fortgesetzt wurde, stand man im Bereich der Sicherheitspolitik vor ganz neuen Herausforderungen. Im Zwei-plus-Vier-Vertrag war vereinbart worden, Deutschland massiv abzurüsten. Bundeswehr und NVA verfügten im März 1991 zusammen über 600 000 Soldaten; diese sollten in den kommenden vier Jahren auf 370 000 Mann reduziert werden. Der Bundeswehr stand ein weitreichender Umbau bevor, Verbände im Westen mussten aufgelöst, die Organisationsstrukturen auf den Osten ausgedehnt werden. Zudem galt es, die riesigen Waffen- und Munitionsdepots der NVA zu sichern und Schritt für Schritt abzubauen. Und nicht zuletzt standen noch über 300 000 sowjetische Soldaten auf dem Territorium der ehemaligen DDR, deren Abzug bis 1994 zu begleiten war und deren Hinterlassenschaft beseitigt werden musste. Man hatte also genug mit sich selbst zu tun. Doch quasi über Nacht sah sich die Bundesrepublik dem Drängen vor allem der Vereinigten Staaten ausgesetzt, sich nun – als voll souveräne Nation – auch außerhalb des eigenen Staatsgebietes militärisch zu engagieren. Als der Irak im August 1990 Kuwait annektierte, fand sich unter der Führung Washingtons rasch ein Militärbündnis von 34 Staaten zusammen, um – von der UNO legitimiert – die Souveränität des kleinen Golfstaates wiederherzustellen. Kanzler Kohl lavierte geschickt und konnte eine Teilnahme der Bundeswehr am Irakkrieg 1991 noch verhindern, ohne außenpolitisch allzu viel Porzellan zu zerschlagen. Die Bundesrepublik kaufte sich – wie übrigens auch Japan – frei und übernahm mit knapp siebzehn Milliarden Mark rund ein Fünftel der Kosten des Krieges. Nach dem Ende der Kampfhandlungen beteiligte sie sich an der Räumung von Seeminen im Persischen Golf. 566
Kohl war in dieser Zeit ganz auf die Vollendung der Wiedervereinigung fokussiert. Die Sowjetunion hatte den Zwei-plus-Vier-Vertrag noch nicht ratifiziert, sodass außenpolitische Zurückhaltung geboten schien; und am 2. Dezember 1990 standen die ersten gesamtdeutschen Wahlen an. Es wäre einem Vabanquespiel gleichgekommen, in dieser Situation etwa eine Panzerbrigade, die im Wesentlichen aus Wehrpflichtigen bestanden hätte, an den Golf zu verlegen. Ob das Grundgesetz den Einsatz deutscher Streitkräfte außerhalb des NATO-Gebietes überhaupt erlaubte, war hoch umstritten und noch nicht geklärt. Außerdem äußerte sich eine deutliche Mehrheit der Deutschen kritisch zur Beteiligung deutscher Soldaten am zweiten Golfkrieg, der einen zivilgesellschaftlichen Aufschrei (»Kein Blut für Öl«) auslöste. Die Proteste, die schon bei der Verlegung von achtzehn altersschwachen Alpha-Jets zum Schutz des NATO-Partners Türkei gegen mögliche irakische Angriffe aufflammten, zeigten, wie schwer sich nach dem Ende des Kalten Krieges nicht nur Teile der Gesellschaft mit der sich anbahnenden neuen Rolle taten, sondern auch die Bundeswehr. Etliche Offiziere quittierten angesichts der bevorstehenden Verlegung ihren Dienst. Gewiss waren dies Einzelfälle. Gleichwohl stellte sich Anfang der 1990er-Jahre die übergeordnete Frage, welche Rolle das wiedervereinigte Deutschland fortan in der NATO spielen würde und welche Aufgaben dabei die Streitkräfte übernehmen sollten. Eine Mehrheit der Bevölkerung war nach wie vor der Ansicht, dass die Bundeswehr eine notwendige Institution sei, die zur Landesverteidigung gebraucht wurde. Doch eine relative Mehrheit war 1991 der Meinung, dass die Wehrpflicht abgeschafft werden sollte. Die meisten konnten sich nur 567
langsam mit dem Gedanken anfreunden, dass sich ihr Land an UN-Friedensmissionen beteiligen sollte.2 Das Ende des Kalten Krieges und der Blockkonfrontation beflügelte vielmehr die Vision von einer friedlichen Welt ohne militärische Konflikte und der Verbreitung von Frieden, Freiheit und Wohlstand. Dass die Welt nicht friedlich war, dass es auch in den Neunzigerjahren zahlreiche bewaffnete Konflikte, gar Genozide gab, versuchten viele Deutsche zu ignorieren. Das wiedervereinigte Land musste erst mühsam die Rolle finden, die es in der internationalen Sicherheitspolitik spielen wollte. Auslandseinsätze der Bundeswehr hatte es bislang nur als humanitäre Katastrophenhilfe gegeben – etwa 1960 in Marokko. Die Bitte, sich 1964 in Zypern an der Blauhelmmission der Vereinten Nationen zu beteiligen, hatte die Bundesregierung abgelehnt. Erst im August 1989 rückte sie von dieser Linie ab und schickte mit zehn Beamten des Bundesgrenzschutzes erstmals uniformierte Kräfte in einen Auslandseinsatz – als Teil einer UN-Mission zur Sicherstellung freier Wahlen in Namibia. Die Koalitionsregierung aus CDU/CSU und FDP war der Ansicht, dass man unter dem Schirm der Vereinten Nationen auch Soldaten ins Ausland entsenden könne. Als die UNO in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Kambodscha die Verwaltung übernahm, stellte die Bundeswehr 1992/93 rund 150 Sanitätssoldaten für den Betrieb eines Feldlazaretts zur Verfügung. Die Grünen waren zu diesem Zeitpunkt noch gegen jedwede Beteiligung an Blauhelmmissionen, die SPD stimmte diesen 1992 im Zuge einer außenpolitischen Neupositionierung, der sogenannten Petersberger Wende, zu. Bundeskanzler Kohl wollte das deutsche Engagement Schritt für Schritt ausdehnen und dadurch mit der Zeit die Bevölkerung an die neuen Gegebenheiten gewöhnen. So 568
folgten 1992 die Beteiligung an der Seeüberwachung in der Adria zur Durchsetzung von Wirtschaftssanktionen und eines Waffenembargos gegen die Bundesrepublik Jugoslawien und 1993/94 im Rahmen der UN-Operation UNOSOM II die Entsendung von 1700 Soldaten nach Somalia, wo die Deutschen von ihrem Lager im Norden des Landes aus logistische und ärztliche Unterstützung leisteten. Die Beteiligung der Bundesrepublik an solchen Missionen der internationalen Staatengemeinschaft war das Ergebnis eines komplexen Aushandlungsprozesses zwischen der deutschen UN-Vertretung in New York, dem Auswärtigen Amt, dem Kanzleramt und dem Verteidigungsministerium. Es ging dabei in erster Linie um die Frage, ob und wie das außenpolitische Gewicht Deutschlands durch eine begrenzte Beteiligung gestärkt werden könne. Um die tatsächliche Lösung von humanitären Problemen etwa in Somalia ging es weit weniger. An anderen UN-Missionen, beispielsweise in Mosambik, beteiligte sich die Bundesrepublik nicht, obgleich sie aus humanitärer Perspektive ähnlich dringend waren.3 In den Fraktionen von SPD und FDP gab es zunehmend Zweifel, ob solche Einsätze überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar waren. Die Abgeordneten empörte außerdem die fehlende Beteiligung des Parlaments, weshalb sie beim Bundesverfassungsgericht Klage einreichten. Am 12. Juli 1994 entschied dieses in einem wegweisenden Urteil im Wesentlichen im Sinne der CDU/CSU. Die Obersten Richter stellten fest, dass sich die Bundesrepublik im Rahmen von »Systemen kollektiver Sicherheit« wie NATO und UN an militärischen Einsätzen auch außerhalb des Bündnisgebietes (out of area) beteiligen könne. Der Bundestag müsse aber mit einfacher Mehrheit zustimmen. Wie notwendig die Klärung dieser rechtlichen Fragen war, wurde im April 1994 nur zu 569
deutlich. In Ruanda eskalierte die Gewalt und mündete in einen Genozid an der Bevölkerungsminderheit der Tutsi. Sieben Mitarbeiter und vier Familienangehörige der Deutschen Welle waren in ihrem Sendegebäude in der im Chaos versinkenden Hauptstadt Kigali von Hutu-Milizen eingeschlossen. Die Bundesregierung stand der Lage einigermaßen hilflos gegenüber. Aufgrund der ungeklärten Rechtslage und wegen angeblich nicht vorhandener Kräfte zögerte sie einzugreifen.4 Schließlich mussten belgische Fallschirmjäger einschreiten und die Betroffenen außer Landes bringen. Wenngleich die Belgier ohnehin vor Ort waren, hatte sich die Bundesrepublik blamiert, weil sie noch nicht einmal in der Lage war, im Ernstfall ihre Staatsangehörigen im Ausland zu schützen. Nach dem spektakulären Scheitern der Mission in Somalia – bei der »Schlacht um Mogadischu« im Oktober 1993 starben achtzehn US-Soldaten – hatten die westlichen Staaten, allen voran die USA, jedes Interesse verloren, sich mit Bodentruppen in Bürgerkriegen zu engagieren. So sah die Welt dem Morden in Ruanda tatenlos zu. Im Fokus der Europäer stand zu diesem Zeitpunkt ohnehin der Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien vor ihrer Haustür. Die Kämpfe in Slowenien endeten 1991 rasch, aber in Kroatien und in Bosnien-Herzegowina entbrannte ein blutiger Bürgerkrieg. Die Volksgruppen der Serben, Kroaten und Muslime gingen in wechselnden Konstellationen mit größter Brutalität aufeinander los, und es sah zunächst so aus, als würde der serbisch dominierte jugoslawische Reststaat mit militärischer Gewalt Teile Kroatiens und weite Gebiete BosnienHerzegowinas unter seine Kontrolle bringen können.5 Die westliche Staatengemeinschaft reagierte auf den plötzlichen Ausbruch der Gewalt weitgehend ratlos, schien die Krise doch 570
so gar nicht in die Zeit der friedlichen Revolutionen und des demokratischen Aufbruchs zu passen. Die Vereinten Nationen stellten zwar 1992 eine mehrere Zehntausend Mann starke Schutztruppe auf (UNPROFOR), die sich aber bald als zahnloser Tiger entpuppte, weil sie nicht das Mandat hatte, Frieden zu erzwingen. Sanktionen, Waffenembargos oder Flugverbotszonen vermochten die Bürgerkriegsparteien, allen voran die bosnischen Serben, wenig zu beeindrucken. Zwar gab es einzelne Luftangriffe, um die UN-Friedenstruppen zu beschützen. Doch im Gegenzug nahmen serbische Milizen Hunderte von UN-Soldaten als Geiseln gefangen und drohten, sie zu exekutieren. Niemand war bereit, mit massiveren militärischen Mitteln zu intervenieren, am allerwenigsten die Deutschen. Angesichts der Verbrechen der Wehrmacht auf dem Balkan während des Zweiten Weltkriegs kam ein Kampfeinsatz deutscher Soldaten für keine der Regierungsparteien infrage. Die Bundesregierung wollte um jeden Preis vermeiden, in Europa alte Ängste zu wecken, indem man mit dem Säbel rasselte. Die Gewalt erreichte mit der Ermordung von 8000 muslimischen Männern und Jungen in der UN-Schutzzone Srebrenica im Juli 1995 einen traurigen Höhepunkt. Das niederländische Blauhelmbataillon hatte dem Treiben der Milizen des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladić tatenlos zugesehen. Srebrenica stand sinnbildlich für das Versagen der Europäer, den blutigen Bürgerkrieg vor ihrer Haustür zu beenden. Weder waren die 400 Niederländer ausreichend ausgerüstet, um der serbischen Übermacht standzuhalten, noch erhielten sie die angeforderte Luftunterstützung, weil man um das Leben der UN-Geiseln fürchtete.6 Freilich fehlte es dem holländischen Kommandeur Thomas Karremans auch an der Bereitschaft, aus einer 571
moralischen Verpflichtung heraus für das Leben der muslimischen Zivilisten zu kämpfen. Immerhin waren die Niederländer nicht wehrlos, verfügten über Maschinengewehre und Mörser. Mutig und tapfer waren in diesem Fall aber weder die niederländischen Blauhelmsoldaten noch die Politiker in Brüssel, Paris oder Berlin, die sie in diese Lage gebracht hatten.7 Als am 28. August 1995 durch serbischen Mörserbeschuss auf dem Markale-Platz in Sarajevo 37 Zivilisten starben und das Fernsehen die schrecklichen Bilder verbreitete8, war für US-Präsident Bill Clinton das Maß voll. Die Vereinigten Staaten nahmen nun das Heft in die Hand. Sie setzten bei der UNO und ihren zumeist zögerlichen europäischen Bündnispartnern eine härtere Gangart durch. Eine dreiwöchige Luftoffensive der NATO (Operation Deliberate Force) und militärische Erfolge der Kroaten in der Krajina erzwangen einen Waffenstillstand, der im November 1995 in den Friedensvertrag von Dayton mündete. Dieser beendete den Bürgerkrieg und schuf ein unabhängiges BosnienHerzegowina, das fortan aus einem serbischen und einem kroatisch-muslimischen Teil bestand. Zur Überwachung und Sicherung des Friedens beauftragten die Vereinten Nationen die NATO mit der Entsendung einer Implementation Force (IFOR), die nach einem Jahr in eine Stabilisation Force (SFOR) umgewandelt wurde. Die Bundesrepublik war von der Eskalation der Gewalt in Jugoslawien ebenso überrascht worden wie andere europäische Nationen. Hinter den Kulissen wirkte die Bundesregierung an den diplomatischen Lösungsversuchen unterdessen eifrig mit. Um auf der politischen Bühne Einfluss auszuüben, war man nun durchaus bereit, sich in engen Grenzen auch mit Soldaten zu engagieren. Im Juni 1995 572
beschloss der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP die Beteiligung an der multinationalen Eingreiftruppe. Vierzehn deutsche Tornado-Flugzeuge kamen in der Operation Deliberate Force zum Einsatz, feuerten dabei aber keinen Schuss ab. Sanitäter verstärkten in den letzten Monaten noch die UNPROFOR. 573
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Schließlich engagierte man sich bei der IFOR- und der folgenden SFOR-Mission so umfassend wie noch nie. Deren 60 000 Soldaten sollten den Waffenstillstand überwachen, den Abzug der schweren Waffen kontrollieren und beim Wiederaufbau helfen. Die Bundesrepublik stellte rund 2600 Mann. Darunter waren auch erstmals Kampftruppen, die aber nur als show of force gedacht waren. Die IFOR-Truppen inspizierten über 800 Orte, machten 2500 Kilometer verminte Straßen passierbar und reparierten mehr als sechzig Brücken.9 Peacekeeping war das Wort der Stunde, und die Bundeswehr schien mit der Beteiligung an der SFOR ihre neue Rolle gefunden zu haben: Absicherung von freien Wahlen, Aufbau von staatlichen Strukturen, Befriedung der Konfliktparteien. Dies war kein Kampfeinsatz, in dem Krieger kämpfen, töten und sterben mussten, sondern eine Art rustikaler Polizeieinsatz mit Aufbaufunktion. Das Ganze war weitgehend friedlich und schien zudem Sinn zu machen. Aber ganz ungefährlich war der Einsatz auch nicht, allein schon wegen der vielen Landminen. Eine Mehrheit der Deutschen unterstützte mittlerweile solche Missionen.10 Die Zahl derjenigen, die generell gegen den Einsatz von Bundeswehrsoldaten außerhalb des NATOGebietes waren, lag 1996 nur noch bei 18 Prozent. Die Gesellschaft konnte sich mit der neuen Rolle des Militärs also 575
arrangieren, selbst die Wähler der Grünen. Allerdings waren in den neuen Bundesländern wesentlich mehr Menschen gegen internationale Einsätze der Bundeswehr als im Westen. Die Ost-West-Spaltung war deutlich (32 zu 14 Prozent ablehnende Stimmen)11 und nahm erst zu Beginn der 2000er-Jahre spürbar ab. Der Vertrag von Dayton hatte 1995 zwar den Konflikt in Bosnien befriedet. Über den Kosovo konnte jedoch keine Einigung erzielt werden, sodass Ende der Neunzigerjahre ein neuer gewaltsamer Konflikt ausbrach.12 80 Prozent der Bevölkerung des Kosovo waren Albaner, und seit dem Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien strebten sie ebenfalls nach Unabhängigkeit. Serbien versuchte genau dies zu verhindern, weil es das Gebiet als uralten Bestandteil des eigenen Landes betrachtete. Der gewaltfreie Widerstand der Kosovaren gegen die serbische Vorherrschaft wurde seit 1998 zunehmend von gezielten Angriffen der Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) auf die serbische Polizei abgelöst. Bei der UCK handelte sich um einen losen Verbund von Familienclans, der auch von Washington zunächst als terroristische Organisation eingestuft wurde – auch weil er sich vor allem aus der organisierten Kriminalität finanzierte. Belgrad ließ sich von den Aktionen der UCK freilich zu zügelloser Gewalt gegen Zivilisten hinreißen, sodass die Lage bald eskalierte. Fernsehbilder von getöteten Frauen und Kindern sowie die beginnende Flucht von Kosovaren aus ihrer Heimat setzten die internationale Gemeinschaft bald unter Druck. Ein neues Bosnien sollte unbedingt verhindert werden. Die Außenminister der USA, Russlands, Frankreichs, Großbritannien und Deutschlands suchten in der sogenannten Kontaktgruppe händeringend nach einer diplomatischen Lösung, doch die Konfliktparteien hielten sich nicht an 576
Abmachungen oder Versprechungen. Es musste also eine wirksame Drohkulisse her, die schon in Bosnien die Lösung gebracht hatte. Doch Moskau stand diesmal auf der Seite Belgrads und wollte keinen Präzedenzfall für die Einmischung der NATO in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten schaffen, zumal man befürchtete, dass das Bündnis dann womöglich auch in den Konflikten in Tschetschenien, Georgien oder der Ukraine intervenieren könnte. Der Weg zu einem UN-Mandat war damit blockiert. Allerdings strebten die USA zu diesem Zeitpunkt sowieso eine Lösung ohne die Vereinten Nationen an, da man sich von Russland nichts vorschreiben lassen wollte. Die Europäer aber wollten unbedingt ein Mandat der UN, auch weil sie so am ehesten ihre Interessen durchsetzen konnten. Sie hatten im Sicherheitsrat zwei ständige Sitze, und Deutschland wurde bei Involvierung der Vereinten Nationen als Vermittler für Russland gebraucht. Andererseits waren die europäischen NATO-Staaten nicht in der Lage, ohne die USA eine glaubhafte militärische Drohkulisse aufzubauen, um einen Frieden im Kosovo zu erzwingen. Zu wichtig waren die amerikanischen Satelliten, Tankflugzeuge und lasergesteuerten Bomben. Die immer noch beachtliche militärische Streitmacht Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands – zusammen immerhin rund eine Million Soldaten und mehr als 1000 Jagdbomber, Jäger und Aufklärungsflugzeuge – war ohne die Vereinigten Staaten offenbar nicht viel wert. So akzeptierte man zähneknirschend ein Vorgehen ohne UN-Mandat, weil Washington gedroht hatte, sich sonst aus der Konfliktlösung zurückzuziehen. Das Auswärtige Amt hatte die Drohung mit militärischen Mitteln mit Nachdruck vorangetrieben, um den jugoslawischen Präsidenten Milošević zum Einlenken zu 577
bewegen. Warnungen deutscher Generäle, man müsse die Drohung dann auch wahr machen, um glaubwürdig zu bleiben, verpufften ungehört – schließlich rechnete man fest damit, dass Milošević spätestens mit Beginn einer Luftoffensive einlenken würde. Im Oktober 1998 standen alle Zeichen auf Sturm. Sollte es nicht gelingen, Belgrad in letzter Minute zur Räson zu rufen, würde die NATO ohne UN-Mandat mit Luftangriffen beginnen. In Deutschland stand der Machtwechsel von Bundeskanzler Kohl zu Schröder bevor. Die scheidende und die designierte Bundesregierung entschieden gemeinsam, vierzehn Tornados in einen möglichen Kampfeinsatz zu schicken. Gerhard Schröder und der neue Außenminister Joschka Fischer mussten erkennen, dass die Dinge schon zu weit vorangeschritten waren, um ohne massiven politischen Schaden aus der Sache herauszukommen. Wollte sich Berlin in der NATO nicht vollständig isolieren, musste man nun mitziehen. Im Februar 1999 scheiterten die letzten Verhandlungen auf der Konferenz von Rambouillet, wo man Jugoslawien die Pistole auf die Brust gesetzt hatte. Da die Europäer uneins waren, die Serben und Kosovaren sich keinen Millimeter aufeinander zubewegten und Russland um jeden Preis ein UN-Mandat verhindern wollte, konnten die Vereinigten Staaten aus einer Position der Stärke ihre harte Gangart durchsetzen. Am 24. März 1999 begann die Operation Allied Force, an der sich 14 NATO-Staaten beteiligten.13 Anders als vier Jahre zuvor setzten deutsche Tornados nun ihre Waffen auch ein und beschossen mit ihren Raketen serbische Radarstellungen. Es handelte sich um nichts weniger als den ersten offiziellen Kampfeinsatz deutscher Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg.14 Anders als erwartet lenkte Milošević aber nicht ein, und die Angriffe zeigten weit weniger Wirkung als 578
erhofft. Es gelang vor allem nicht, die serbische Luftverteidigung auszuschalten. Die NATO-Maschinen mussten deswegen in großer Höhe fliegen und von einer großen Zahl von Flugzeugen zur Bekämpfung der serbischen Radar- und Raketenstellungen begleitet werden. Dies minderte die Effektivität der Operation weiter, weshalb die NATOStaaten innenpolitisch rasch unter Druck gerieten. Milošević wollte unterdessen Tatsachen schaffen, die UCK zerschlagen und den Kosovo wieder fest unter serbische Kontrolle bringen. Bei den Kämpfen wurde keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung genommen, und immer mehr Kosovaren flohen vor der Gewalt. Bis Ende Mai verließen 850 000 ihre Heimat. 140 000 Flüchtlinge kamen allein nach Deutschland. Die Allianz weitete die Luftangriffe zunehmend aus und bombardierte bald Ziele in ganz Jugoslawien. Dabei starben rund 500 Zivilisten. Erschütternde Fernsehbilder toter Frauen und Kinder wirkten nachhaltig auf die öffentliche Meinung. Insbesondere Joschka Fischer geriet auf dem Parteitag der Grünen im Mai 1999 in große, gar körperliche Bedrängnis. Von einem Farbbeutel getroffen, der sein Trommelfell zerriss, musste er seine ganze Autorität in die Waagschale werfen, um die Grünen in der Koalition zu halten. In der aufgeheizten Stimmung gelang es ihm durch eine fulminante Rede, die Mehrheit des Parteitags auf seine Seite zu bringen. Man habe sich der Mahnung »Nie wieder Auschwitz« verschrieben und könne als Partei daher nun nicht abseitsstehen. Der Holocaust und die historische Verantwortung Deutschlands waren die zentralen Argumente, sich an dem Krieg zu beteiligen. Freilich ging es im Kosovo nicht um die Verhinderung eines Völkermords – dieser drohte zu keinem Zeitpunkt. Vor der Luftoffensive waren maximal 300 Zivilisten von serbischen Polizeikräften getötet worden, 579
während der Luftschläge noch einmal gut 1000.15 Doch wusste niemand, welches Ausmaß die Gewalt noch annehmen würde, da die Luftoffensive kein schnelles Ende des Krieges bewirkte. Das Versagen der westlichen Staatengemeinschaft hatte das Massaker von Srebrenica und den Genozid in Ruanda möglich gemacht. Dass Fischer nun die stärksten moralischen Argumente bemühte, galt aber vor allem dem Ziel, die rotgrüne Koalition auf Kurs zu halten. Auch Verteidigungsminister Rudolf Scharping meinte in die Trickkiste greifen zu müssen und behauptete auf einer Pressekonferenz, es gebe einen serbischen Plan zur systematischen Vertreibung der albanischstämmigen Zivilbevölkerung. Den sogenannten Hufeisenplan gab es nicht, wohl aber eine von zahlreichen Verbrechen begleitete Vertreibungspolitik. Scharping stand unter so großem Rechtfertigungszwang, dass er sich zu unvorsichtigen Äußerungen hatte hinreißen lassen. Auch ein von ihm erwähntes Konzentrationslager in Priština existierte nicht. Bilder von getöteten Serben gab es im deutschen Fernsehen übrigens nicht zu sehen. Die Rollen von Gut und Böse waren für den Westen klar verteilt. Heute schätzt man, dass die UCK rund 1000 serbische Zivilisten tötete.16 Berlin hatte allen Grund, sich mit ganzer Kraft für eine baldige Beendigung des Konflikts einzusetzen. Denn: Sollten die Luftangriffe nicht das gewünschte Ergebnis bringen, war die Allianz entschlossen, in den Kosovo einzumarschieren. Für diesen Plan B waren von der NATO auch 16 000 deutsche Soldaten eingeplant.17 Ein solches Szenario musste unbedingt verhindert werden, da die rot-grüne Regierungskoalition den Einsatz von Bodentruppen nicht überstanden hätte. Außenminister Fischer hatte dann wesentlichen Anteil daran, 580
einen Ausweg zu finden. Er brachte die G8 als Verhandlungsforum ins Spiel, um Russland wieder einzubinden. Am 20. Mai 1999 signalisierte Milošević schließlich die Bereitschaft zu verhandeln. Man einigte sich darauf, die serbischen Soldaten aus dem Kosovo abzuziehen, eine internationale Militärpräsenz unter UN-Mandat zuzulassen, den Flüchtlingen die Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen und die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen sicherzustellen. Am 10. Juni schwiegen die Waffen. Zwei Tage später rückte die schwer bewaffnete KFOR mit 50 000 Mann ein, darunter auch die von der Bundeswehr geführte multinationale Brigade Süd mit 6000 Soldaten. Der Kosovo war damit unter das Protektorat der Vereinten Nationen gestellt. Die Aufgaben der mandatierten Truppen ähnelten jenen der SFOR. Fortan ging es darum, die beiden verfeindeten Volksgruppen auseinanderzuhalten und den Aufbau staatlicher Strukturen zu unterstützen. Die Bundesregierung konnte eine positive Bilanz ihres Engagements im Kosovo-Krieg ziehen. Man hatte die Bündnissolidarität gewahrt, an einer politischen Lösung mitgearbeitet und zuletzt bei der Beilegung des Konflikts sogar eine entscheidende Rolle gespielt. Das war nur möglich, weil Deutschland bereit gewesen war, sich an der Luftoffensive zu beteiligen. Die Luftwaffe flog zwar nur vier Prozent aller Einsätze. Das reichte aber aus, um politischen Einfluss auszuüben, zumal der Anteil von Briten und Franzosen auch nicht höher war.18 Nach Srebrenica und Ruanda war die deutsche Bevölkerung mittlerweile bereit, auch diese militärische Beteiligung zu unterstützen. In einer Umfrage lehnte nur ein knappes Drittel der Befragten die NATO-Luftangriffe ab.19 Die Skepsis gegenüber der Bundeswehr und der Wehrpflicht, 581
die zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung noch überwogen hatte, war einer deutlichen Zustimmung gewichen. Freilich hatte es bei den deutschen Einsätzen keine eigenen Verluste gegeben. Zudem: Die Tornados bekämpften serbische Luftverteidigungsstellungen, und ihre Luft-Boden-Raketen wurden von deren Radarabstrahlung ins Ziel gelenkt. Die Gefahr von Kollateralschäden war damit praktisch gleich null. Schreckliche Bilder, wie etwa die von den Folgen fehlgeleiteter amerikanischer Bomben, blieben aus. Für die Bundeswehr brachten die internationalen Krisen der Neunzigerjahre eine neue Legitimierung ihrer Existenz. Sie hatte außenpolitisches Gewicht gewonnen und konnte mit den vorhandenen Fähigkeiten einen wenn auch kleinen Beitrag zu den Einsätzen von UNO und NATO leisten. Unübersehbar war freilich, dass ganz andere Streitkräfte gebraucht wurden, als sie 1990 vorhanden waren. Nicht mehr der Kampf der verbundenen Waffen war gefordert, sondern eher Polizeimaßnahmen, bei denen es immerhin hilfreich sein konnte, aus einer 20-mm-Kanone ein paar Warnschüsse abzugeben. Mit den Szenarien des Kalten Krieges hatte das alles aber nichts mehr zu tun. Kohl soll Generalinspekteur Hartmut Bagger bei dessen letztem Kanzlerbriefing 1998 angefahren haben: »Hören Sie endlich mit Ihrem Geschwätz von der Landes- und Bündnisverteidigung auf. Das war vor zwanzig Jahren.«20 Ein neues Soldatenbild schien der neuen Zeit angemessener: der miles protector, der rettet, schützt und hilft und mit der Truppe von einst nur noch wenig gemein hatte. Dass der Kosovo-Einsatz sehr schnell in einen rustikalen Bodenkrieg hätte umschlagen können, bei dem man mit bewaffneten social workers nicht weit gekommen wäre, wurde dabei gern verdrängt.21 582
Der Neustart der deutschen Sicherheitspolitik ging einher mit einer gesellschaftlichen Selbstvergewisserung über die Rolle der Berliner Republik. Die Angst vor einem möglicherweise aufkeimenden Nationalismus drückte sich auch in einer kritischen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit aus. Die lebhaften und zuweilen hoch emotionalen Diskussionen um die Gestaltung der Neuen Wache, die Errichtung eines Holocaust-Mahnmals in Berlin oder Daniel Goldhagens Buch »Hitlers willige Vollstrecker« zeigten, dass eine neue Phase der Erinnerung an den Nationalsozialismus eingesetzt hatte.22 Für die Bundeswehr besonders relevant war die 1995 eröffnete Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht« des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS). Sie zeigte mit der Ermordung der serbischen Juden durch die Wehrmacht, dem Vormarsch der 6. Armee durch den Süden der Sowjetunion und der Besatzungspolitik in Weißrussland extreme Beispiele der Beteiligung deutscher Soldaten am NS-Vernichtungskrieg in den Jahren 1941–44. Damit war die Frage nach der Verantwortung der »gewöhnlichen Deutschen« für die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs gestellt. Die historische Forschung hatte die Dimension der Untaten längst herausgearbeitet, und dass die öffentliche Meinung noch 1995 von der »Lüge« einer »sauberen Wehrmacht« bestimmt gewesen sei – wie es im ersten Ausstellungskatalog hieß –, darf bezweifelt werden. Allerdings waren die Forschungsergebnisse der Historiker noch nicht Allgemeingut, und es gab immer noch viele Bundesbürger, die nicht wahrhaben wollten, dass die Wehrmacht eben keine ganz normale Armee gewesen war. Der verantwortliche Kurator Hannes Heer überzeichnete seinerseits die Rolle der siebzehn Millionen Wehrmachtsoldaten, was zu heftigen Kontroversen vor allem zwischen den Generationen führte. 1999 wurde die 583
Ausstellung wegen des unbekümmerten Gebrauchs von Fotoquellen und eines verlorenen Prozesses gegen den Historiker Rolf-Dieter Müller geschlossen. 2001 eröffnete eine zweite, weit differenziertere und mit mehr wissenschaftlichem Fachverstand erarbeitete Ausstellung, die aber weit weniger Zuschauer anzog. Wirkungsmächtiger blieb somit die erste, und die hoch emotionalen Debatten übten einen nachhaltigen Einfluss auf die öffentliche Meinung und das kulturelle Gedächtnis der Deutschen aus23 – und blieben auch für die Tradition der Bundeswehr nicht ohne Folgen.24 Die Ausstellung des HIS war sicher der wirkungsmächtigste Katalysator zur Neubewertung der Wehrmacht. Sie verstärkte freilich nur das, was in Forschung und Teilen der Öffentlichkeit ohnehin schon diskutiert wurde. So tobte in Füssen seit 1988 eine Debatte um die Umbenennung der Eduard-Dietl-Kaserne, die dann im November 1995 erfolgte – noch bevor die öffentliche Diskussion um die Wehrmachtausstellung richtig hochkochte. Von 1987 bis 1994 hatte es allein sechs Kleine Anfragen der Grünen und der PDS im Bundestag zur Traditionspflege der Bundeswehr gegeben. Verteidigungsminister Volker Rühe stellte 1996 nachdrücklich klar, dass die Wehrmacht als Organisation des Dritten Reiches kein Teil der Tradition sein könne, da sie in die Verbrechen des NS-Regimes verstrickt gewesen sei. Der einzelne Soldat könne aber sehr wohl traditionsbildend sein, womit er vor allem die Männer des 20. Juli, aber auch die »vielen Soldaten im Einsatz an der Front« meinte.25 Das war zwar nichts grundlegend Neues, aber der 1942 geborene Rühe brachte doch eine andere Tonalität in die Debatte als der acht Jahre ältere Manfred Wörner, der 1994 nach schwerer Krankheit gestorben war. Rühe war nie Soldat gewesen und hatte zweifellos eine größere Distanz zum 584
Militär als Wörner. Hinzu kam, dass die letzten Wehrmachtveteranen in den Neunzigerjahren aus den einflussreichen Positionen in Gesellschaft und Politik ausschieden. Die sechs letzten Bundestagsabgeordneten, die im Zweiten Weltkrieg noch Soldat gewesen waren, beendeten 1998 ihre parlamentarische Laufbahn, darunter auch Alfred Dregger, der konservative Wortführer der CDU.26 Die Akzeptanz einer neuen Rolle der Streitkräfte darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Militär an sich zumindest von einer politisch und kulturell einflussreichen Elite nach wie vor sehr kritisch gesehen wurde. Die Jusos forderten 1995 wie eh und je eine Entmilitarisierung des Staatswesens und damit auch die Abschaffung der Bundeswehr.27 Die öffentlichen Gelöbnisse zu deren vierzigjährigem Bestehen wurden von den Grünen, aber auch von der SPD scharf kritisiert, und Rudolf Scharping blieb als Oppositionsführer demonstrativ dem Großen Zapfenstreich am 26. Oktober 1995 im Bonner Hofgarten fern.28 Die Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik und die kritische Sicht auf die Wehrmacht lösten in den Neunzigerjahren die doppelte Ambivalenz der Streitkräfte zumindest auf der gesellschaftlich-politischen Ebene weitgehend auf: Ob man die Bundewehr vom Krieg oder vom Frieden her zu denken habe, ob sie an die Vergangenheit anschließen sollte oder nicht, schien nun klar und eindeutig beantwortet: weg von der Vergangenheit und hin zum friedlichen Peacekeeping. 51 Prozent der Deutschen meinten, dass sich die Streitkräfte ganz auf die Gegenwart ausrichten sollten.29 Und die neuen Aufgaben der Bundeswehr schienen dies ja nur zu bestätigen. Die Lebenswelt eines SFORSoldaten hatte mit der eines Landsers der Wehrmacht nichts mehr zu tun. 585
Armee der Einheit Der Wandel hatte sich schon angekündigt. Ein flüchtiger Blick auf die sinkenden Geburtenzahlen verdeutlichte, dass die Bundeswehr in den Neunzigerjahren ein massives Personalproblem bekommen würde. Die Zahl der Wehrpflichtigen musste dramatisch zurückgehen, selbst wenn sie – wie am 1. Juni 1989 eingeführt – statt fünfzehn nun achtzehn Monate Dienst tun sollten. Hinzu kamen die globalen politischen Veränderungen und die Rüstungskontrollverhandlungen in Wien, die auch von Bonn klare Schritte verlangten. Mitte Dezember 1989 beschloss die Bonner Regierung, die Stärke der Streitkräfte um gut 70 000 auf 425 000 Mann zu reduzieren. Die Divisionen und Brigaden des Heeres sollten alle erhalten bleiben, aber stärker als bislang gekadert, also im Ernstfall mit Reservisten aufgefüllt werden.30 Dass es also einen Umbruch geben würde, war auf der Hardthöhe jedermann klar. Aber niemand konnte ahnen, dass es für die Bundeswehr in den folgenden 25 Jahren permanent abwärtsgehen und sie am Ende nur noch ein Schatten ihrer selbst sein würde. Die Wiedervereinigung machte alle Zukunftspläne zur Makulatur. Die Streitkräfte mussten einerseits erheblich reduziert, die Wehrstrukturen andererseits auf die neuen Länder ausgedehnt werden. Die NVA hörte mit dem Ende der DDR auf zu bestehen. Ihre Truppenteile wurden von Kommandeuren der Bundeswehr übernommen, die meisten bis Jahresende 1990 aufgelöst. Es gab aber auch Einheiten, aus denen neue Verbände des Heeres und der Luftwaffe gebildet wurden. Die Berufs- und Zeitsoldaten der NVA wurden zunächst bis Jahresende vorläufig im Dienst belassen und hatten nach einer Eignungsprüfung die Möglichkeit, zunächst für zwei Jahre in der »Armee der Einheit« zu bleiben. Viele 586
schieden aber aus freien Stücken aus, weil für sie aus persönlichen oder politischen Gründen die Weiterverpflichtung keine Option war. Für die übrigen standen die Chancen auf dauerhafte Übernahme nicht schlecht. Etwa die Hälfte derjenigen, die sich bewarben, wurde angestellt. Von den am 3. Oktober 1990 verbliebenen 51 000 Berufs- und Zeitsoldaten wurden schließlich knapp 11 000 in die Bundeswehr übernommen. Allerdings nahm ihre Zahl in den kommenden Jahren durch Pensionierungen stetig ab. 2001 waren es noch 700031, 2020 sind es nur noch wenige Hundert. Von 2300 Berufsoffizieren, die aus der NVA übernommen wurden, brachten es bislang nur zwei bis zum Brigadegeneral.32 Gert Gawellek und Thomas Seifert sind unter den aktuell rund 200 Generälen und Admiralen die einzigen ehemaligen Soldaten der ostdeutschen Armee. Die Reste der NVA wurden in die in den neuen Bundesländern neu aufgestellte 13. und 14. Panzergrenadierdivision überführt. Beide Verbände hatten von Anfang an eine dezidiert ostdeutsche Identität. Sie waren in den alten Kasernen stationiert, ihre Wehrpflichtigen und die allermeisten der Zeitsoldaten kamen aus der Region. Ein Jahr nach der Wiedervereinigung umfassten die Truppen in den neuen Ländern noch 41 000 Mann. Davon stammten nur 2100, also gut fünf Prozent, aus dem Westen.33 Viele Einheiten hatten lediglich neue Bataillonskommandeure und zwei bis drei neue Offiziere und Feldwebel. Die Kompaniechefs und Zugführer kamen alle aus der NVA. Es war ein Zusammenprall der Kulturen, und die wechselseitige Fremdheit war offensichtlich.34 Wie im Brennglas zeigte sich, dass Armee nicht gleich Armee war, dass die innere Logik der deutschen Streitkräfte in Ost und West vollkommen unterschiedlich gewesen war. Die aus dem Grundgesetz 587
abgeleiteten Vorschriften, die Leitideen der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform, waren im Osten unbekannt. Anfangs fehlte auch das Personal, um den dringend notwendigen Unterricht über die neuen Rechtsvorschriften abzuhalten. Werner von Scheven schrieb im Oktober 1991: »Wir können in Kürze eine Askari-Armee im Osten Deutschlands hinstellen«, aber das Heer in den neuen Ländern »mit überzeugten Staatsbürgern in Uniform auszustatten ist eine Führungsaufgabe mit langem Atem«35. Der Zusammenbruch der sozialistischen Ordnung hatte viele ratlose Menschen hinterlassen, und keiner wusste so recht, wie es weitergehen sollte. Verbände wurden aufgelöst, andere aufgestellt, die Unterkünfte waren marode, und die Kommunikationsleitungen in den Westen mussten erst aufgebaut werden. Viele Kräfte wurden zur Bewachung der riesigen Waffen- und Munitionsdepots, der Materiallager und Fahrzeughallen benötigt.36 Die Hälfte der Wehrpflichtigen schob langweilige Wachdienste. Anfangs gab es kaum Gefechtsausbildung, weil die neuen Waffen aus dem Westen fehlten. Die Motivation war gering, und noch vorhandene Wehrdienstleistende hatten kein Vertrauen in die ehemaligen NVA-Vorgesetzten. Das seien »alte Stalinisten, die früher SED-hörig waren und jetzt vor Selbstmitleid zerflössen«37, hieß es. Die westliche Generalität hielt solche Urteile für übertrieben38 und würdigte das redliche Bemühen, sich den neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Aber das brauchte Zeit. Die Vermittlung der Inneren Führung blieb in der chaotischen Situation zu Beginn der 1990er-Jahre Stückwerk. Die Bewältigung des täglichen Dienstes war dringender.39 Im Vordergrund stand die militärische Ausbildung der Mannschaften. Wie die ehemaligen Wehrmachtsoldaten in den Fünfzigerjahren waren auch die ehemaligen NVA-Offiziere 588
unsicher, was unter Innerer Führung konkret zu verstehen war. Die zweiwöchigen Schnellkurse konnten nicht mehr als ein Anfang sein. Problematisch war auch, dass es ein Unteroffizierkorps, wie man es im Westen kannte, in der NVA nicht gegeben hatte.40 Daher fehlte es auf der mittleren Ebene an Führungsverantwortung, Einstellung und Ausbildung. Die Bundeswehr unternahm gleichwohl große Anstrengungen, die NVA-Offiziere und -Unteroffiziere mit den neuen Realitäten vertraut zu machen. Bis Ende 1991 hatten schon rund 5000 Mann ein Praktikum bei einem Truppenteil im Westen absolviert, um in die Führungsaufgaben und Verwaltungsabläufe eingewiesen zu werden. Mehr als 3000 durchliefen an den Schulen der Bundeswehr Ergänzungslehrgänge.41 Bis 1993 hatte man so alle ehemaligen NVA-Soldaten zumindest theoretisch auf den Stand der Dinge gebracht. Die regionale Durchmischung der Bundeswehr begann schon 1991, als Wehrpflichtige aus den neuen Ländern ihren Dienst in Kasernen in der alten Bundesrepublik ableisteten oder ehemalige NVA-Offiziere in die alten Länder versetzt wurden. Die Streitkräfte wurden ostdeutscher, und selbst bei den Gebirgsjägern im Allgäu war neben Bayerisch bald auch Sächsisch zu hören. 1996 leisteten gut 30 000 Soldaten42 aus den neuen Ländern ihren Dienst im Westen. Umgekehrt waren knapp 10 00043 aus dem Westen in die neuen Bundesländer versetzt worden. Anders gewendet: 1996 kamen 27 Prozent aller in den neuen Ländern dienenden Soldaten aus dem Westen, in den alten Bundesländern aber nur neun Prozent aus dem Osten.44 Eine stärkere Angleichung der regionalen Zusammensetzung gab es auch in den kommenden Jahren nicht. Das Panzergrenadierbataillon 411 im vorpommerschen Viereck setzte sich 2019 zu rund 90 Prozent aus Ostdeutschen 589
zusammen. Beim Aufklärungsbataillon 8 im niederbayerischen Freyung war es genau umgekehrt: 85 Prozent der Soldaten kamen aus den alten und fünfzehn Prozent aus den neuen Ländern. Standorte, die näher an der ehemaligen innerdeutschen Grenze lagen, haben einen stärker gemischten Personalbestand. So kamen 2019 von den Soldaten des Panzergrenadierbataillons 401 aus Hagenow im Westen Mecklenburgs mehr als ein Viertel aus dem Westen, davon besonders viele aus Schleswig-Holstein.45 Dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung rekrutierten die Kampftruppen des Heeres ihre Soldaten also vor allem regional – wie es uralte deutsche Militärtradition war. Allerdings stammten die Kommandeure der ostdeutschen Verbände weiterhin fast ausschließlich aus dem Westen. Von den sechs Bataillonskommandeuren der Panzergrenadierbrigade 41 »Mecklenburg-Vorpommern« waren 2019 alle in den alten Ländern geboren worden.46 Das Verteidigungsministerium wollte erst gar keine Diskussion um Ost- und Westdeutsche zulassen, sondern sich rasch als Vorreiter der Einheit präsentieren. Bereits im Mai 1996 vermeldete man stolz, dass die Bildung der Armee der Einheit vollzogen sei. »Es wird in der Bundeswehr kein Unterschied mehr gemacht, ob ein Soldat aus der ehemaligen NVA übernommen wurde oder ob er ein Soldat aus den alten Bundesländern ist. Die Bundeswehr war, bezogen auf die Integration der Menschen […] Vorreiter vor allen Bereichen aus dem öffentlichen Bereich.«47 Die Realität freilich sah anders aus, wie eine Befragung von west- und ostdeutschen Offizieren zeigte. Die Integration sei bislang »erst begrenzt gelöst«, hieß es im Juli 1995. Wie sollte es angesichts der Rahmenbedingungen auch anders sein? Der Befehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost, Jörg Schönbohm, hatte zwar die 590
Losung ausgegeben, dass »die Bundeswehr nicht als Sieger zu Besiegten, sondern als Deutsche zu Deutschen komme«. Dennoch fühlten sich viele ehemalige NVA-Soldaten auch fünf Jahre nach der Wiedervereinigung als Soldaten zweiter Klasse. Dazu trugen die Besoldungsunterschiede, die Rückstufung um mindestens einen Dienstgrad und die häufige Nichtanerkennung von Diplomen und Zertifikaten wesentlich bei.48 Und die langsam wachsende Sicherheit im Umgang mit der neuen Situation war bezeichnenderweise eher der Rückbesinnung auf die eigene Herkunft zu verdanken als dem Gewinn einer neuen Identität. Man hatte vergeblich gehofft, in die Armee der Einheit auch etwas Eigenes, etwas »Gutes« einbringen zu können, etwa die eigenen Erfahrungen bei der Gefechtsausbildung. Im Übrigen sahen die Soldaten aus dem Osten mehr Berührungspunkte der beiden Armeen als diejenigen aus dem Westen. Einig war man sich, dass am ehesten das militärische Handwerk eine Gemeinsamkeit sei, an die angeknüpft werden könnte, und die ostdeutsche Gefechtsausbildung galt auch bei »West-Soldaten« als vorbildlich.49 Allerdings ist nicht bekannt, dass irgendein substanzieller Aspekt der NVA Eingang in Bundeswehrvorschriften gefunden hätte.50 Die Selbst- und Fremdbilder bewegten sich also aufeinander zu, aber die Unterschiede waren auch fünf Jahre nach der Einheit noch erheblich. Die Umfrage aus dem Jahr 1995 stellte fest, dass bis zur völligen Angleichung noch rund acht bis zehn Jahre benötigt würden. Spätere Studien liegen nicht vor, aber alle Indizien deuten darauf hin, dass diese Schätzung realistisch war und dass erst in den frühen 2000er-Jahren die normative Kraft des Faktischen die NVA-Prägungen verblassen ließ. Dazu dürften auch die gemeinsamen 591
Auslandseinsätze beigetragen haben, zumal die Soldaten dann auch gleichen Sold erhielten. Während der Anteil ehemaliger NVA-Soldaten in der Bundeswehr bald nur noch einer homöopathischen Dosis entsprach, rückten Zehntausende in Ostdeutschland geborene Soldaten nach. 2001 kamen dreißig Prozent der freiwilligen Bewerber aus den neuen Ländern51, die zu diesem Zeitpunkt nur 18 Prozent der Bevölkerung stellten. Da die Annahmequote im Westen wie im Osten gleich war, wurde die Bundeswehr insgesamt also ostdeutscher. Auf den ersten Blick ist dies verwunderlich, denn die Umfragen zeigen, dass die Ostdeutschen eine kritischere Haltung zur Bundeswehr, zur NATO, zu den USA und zu den Auslandseinsätzen hatten.52 Zu erklären sind die Zahlen gewiss auch mit ökonomischen Gründen, denn die Bundeswehr hatte ihre Standorte oftmals in strukturschwachen Regionen und war dort ein wichtiger Arbeitgeber. Und doch stellt sich die Frage, ob Teile der ostdeutschen Bevölkerung nicht ein entkrampfteres Verhältnis zum Militär hatten und sich auch deswegen überproportional häufig zum Wehrdienst meldeten. In der DDR gab es kein 1968, eine kleinere Friedensbewegung und auch eine schwächere Ausprägung der »Kultur des Regenbogens« (Rödder), dafür aber eine viel stärkere Militarisierung des Alltags als in der Bundesrepublik. Dem Militär als Institution dürften somit viele Ostdeutsche unaufgeregter begegnet sein als die meisten Westdeutschen. Eine kleinere Bundeswehr braucht das Land Die Armee der Einheit war nicht nur eine Herausforderung für die ehemaligen NVA-Soldaten. Auch die Bundeswehr des Kalten Krieges verschwand in einem langen, schleichenden Prozess. Die anstehenden Reformen waren so umfassend, dass eigentlich alles anders wurde: die Strukturen, die Aufgaben, 592
die Ausrüstung und nicht zuletzt der Personalkörper, denn seit 2001 waren erstmals auch Frauen für alle Laufbahnen zugelassen.53 Die erste Zäsur war der Zwei-plus-Vier-Vertrag, der einen Abbau der Bundeswehr auch in den alten Ländern um ein Drittel von 495 000 auf 325 000 Mann festschrieb. Sechs von zwölf Divisionen wurden bis 1994 aufgelöst, zahlreiche Standorte geschlossen. Die umfassende Ausbildungshilfe für den Osten reduzierte die Einsatzbereitschaft der Verbände im Westen spürbar. Als geschlossene Großverbände waren sie nicht mehr einsatzbereit54, aber darum ging es auch gar nicht mehr. Alles war im Fluss, eine Strukturreform jagte die nächste: Der Heeresstruktur 5 von 1990 folgte drei Jahre später die Nachsteuerung 5N, 1997 dann »Neues Heer«. 2002 folgte die Struktur »Heer der Zukunft«, später dann »Heer 2011«. Anders als die Reformen in der Zeit des Kalten Krieges, die an den Standorten und an der Substanz der Landstreitkräfte nichts veränderten, sondern diese nur neu gliederten, waren diese fünf Reformen viel durchgreifender, denn es ging mit der Sollstärke permanent abwärts.55 Die im Zwei-plus-Vier-Vertrag ausgehandelten 370 000 Mann waren vier Jahre später schon wieder Makulatur. 1994 hieß es, die Bundeswehr solle bis zum Jahr 2000 auf 250 000 Mann abgebaut werden, und bald war auch diese Zahl nicht mehr zu halten. Die Streitkräfte hatten angesichts dieser Lage im Kabinett keine Priorität, und die anstehenden Aufgaben glaubte man auch mit weniger Soldaten erfüllen zu können. Übrig blieb am Ende eine Sollstärke von 170 000 Mann. Dem Heer blieben noch drei Divisionen mit acht Brigaden. Die Wehrpflicht wurde 1996 von zwölf auf zehn Monate reduziert, 2002 auf neun, 2009 auf sechs und 2011 ganz ausgesetzt. 593
Deutschland war von Freunden umgeben, so das allgemeine Empfinden in der Nachwendezeit. Das Schlagwort von der »Friedensdividende« machte die Runde. Der Anteil des Verteidigungsbudgets am Gesamthaushalt wurde halbiert, er sank von rund 20 Prozent zu Zeiten des Kalten Krieges auf rund zehn Prozent. Auch real sanken die Militärausgaben im ersten Nachwendejahrzehnt Jahr für Jahr. Die Bundeswehr stand vor der paradoxen Situation, mit weniger Soldaten und viel weniger Geld alles können zu sollen: Blauhelmeinsätze in fernen Gefilden, die Verteidigung des eigenen Landes, aber auch des NATO-Gebietes an dessen Flanken. Von logistischer Unterstützung bis zum Großkampf sollte alles leistbar sein. Allerdings konnte niemand den Streitkräften sagen, auf welche Art von Einsätzen sie sich konkret vorbereiten sollten und wie lange diese dauern würden. Die Bundeswehr wollte von der Politik Planungssicherheit, genaue Vorgaben, nach denen man sich ausrichten konnte. Die Beschaffung neuer Ausrüstung und Waffen dauerte Jahrzehnte, da konnte man schwerlich auf Sicht fahren. Doch Antworten auf diese Fragen konnte in den Neunzigerjahren in einer in Bewegung geratenen Weltordnung niemand geben. Also musste die Hardthöhe selbst sehen, wie sie zurechtkam. Das dramatisch sinkende Budget zwang dazu, sich auf das Vordringliche zu konzentrieren: die Sanierung der Kasernen im Osten etwa, dann vor allem die Auslandseinsätze mit ganz neuen Anforderungen. Es begann damit, dass es keine Wüstenuniformen gab. Es gab auch keine Satelliten zur Aufklärung oder zur Langstreckenkommunikation. Luftbetankungsfähigkeiten gab es nicht und auch keine Transportflugzeuge großer Reichweite und Nutzlast. Trotz der Verkleinerung musste also eigentlich viel Geld in die Modernisierung und Fähigkeitserweiterung der Streitkräfte 594
investiert werden. Gleichzeitig waren die Fixkosten erheblich. Sozial verträgliche Übergangsregelungen und steigende Personalkosten, um den Dienst attraktiver zu machen, wollten finanziert sein. Und dann waren da die teuren Prestigeprojekte wie der »Eurofighter«, die noch aus dem Kalten Krieg stammten, Milliarden verschlangen und auch deshalb nicht gestoppt wurden, um Verteidigungsminister Volker Rühe nicht zu beschädigen.56 So musste improvisiert werden: Die Landstreitkräfte wurden in Krisenreaktionskräfte und Hauptverteidigungskräfte geteilt. Auch wenn man eine enge Verzahnung beider Bereiche anstrebte, wurden letztere zugunsten der Einsatzverbände immer mehr ausgeschlachtet. Die Gebirgsund Fallschirmjäger, die Heeres- und Transportflieger oder die Fregattengeschwader der Marine standen nun hoch im Kurs. Auch Sanitäter, Pioniere und Logistiker wurden mehr denn je gebraucht, weil ihre Fähigkeiten international geschätzt wurden und sie sich auch innenpolitisch gut verkaufen ließen. Bei der Artillerie, der Panzertruppe und der Heeresflugabwehr wurde hingegen gespart. Große Übungen wie einst im Kalten Krieg fanden nicht mehr statt, und selbst im kleinen Rahmen nahm die Manövertätigkeit stark ab. Die Einbußen an Führungsfähigkeit waren »beträchtlich«57. Selbst bei der Handhabung von Waffen und Gerät waren die Probleme nicht zu übersehen.58 In etlichen Einheiten der Hauptverteidigungskräfte stand nur so wenig Munition zur Verfügung, dass man zusehends an der Ernsthaftigkeit der Ausbildung zweifelte. Viele fragten sich, ob es unter solchen Bedingungen noch sinnvoll war, Dienst in den Streitkräften zu tun. Das Heer meldete schon 1993, dass es keinen ausreichenden Ausbildungsstand mehr halten könne. Zudem fehlte es überall an moderner Informations- und 595
Kommunikationstechnik. Der Inspekteur des Heeres wollte zwar – ganz in deutscher Führungstradition – die »Kernzelle des Heeres«, die Kompanien, von unnötigem Verwaltungsballast befreien und ihnen größere Handlungsfreiheit geben. In der Praxis war jedoch meist das Gegenteil der Fall. Manchen Einheiten war durch die Überbürokratisierung und die ständigen Eingriffe von oben eine hinreichende Ausbildung ihrer Männer kaum mehr möglich.59 Der Luftwaffe ging es nicht viel besser. Deutsche Kampfpiloten flogen so wenig, dass sie weit hinter den geforderten NATO-Standards zurückblieben. Zudem waren die F-4 Phantom-Jagdflugzeuge und ihre Waffensysteme hoffnungslos überaltert.60 Auch die Marine sollte mehr Aufgaben mit weniger Schiffen erfüllen. Sie meldete Defizite bei der Fähigkeit zur U-Boot-Jagd und hatte für einen Kampfeinsatz zu wenige Raketen.61 Die ständigen Reformen führten zu manchem Chaos und lösten große Unsicherheit aus. Der Wehrbeauftragte sprach von »Frust« und »innerer Kündigung«62. Karrieren waren nicht mehr planbar, man wusste nicht, ob es klug war, sich an diesem oder jenem Standort mit der Familie niederzulassen. In den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung war die Bundeswehr zudem zu einem Gutteil mit sich selbst beschäftigt. Regelungen zur Frühpensionierung, die Frage nach der Übernahme als Berufsunteroffizier oder die Folgen von Standortschließungen beschäftigten viele Soldaten mehr als alles andere. Aber es gab auch Erfolgsmeldungen: Durch die Einführung computergestützter Gefechtsübungszentren konnte wesentlich realitätsnäher trainiert werden. Manchem Panzerkommandanten dämmerte es nun, wie dilettantisch man im Kalten Krieg zuweilen geübt hatte. 596
Mitte der Neunzigerjahre war der erste Umbau der Bundeswehr abgeschlossen, sodass sich die Verhältnisse allmählich konsolidierten und die Truppe wieder »Tritt« fasste.63 Die Einheiten übten nun wieder intensiv und steigerten nach Ansicht des Heeresführungskommandos das taktische wie operative Können.64 Die Verbände wuchsen zusammen, die Verwendungsdauer von Kompaniechefs und Bataillonskommandeuren wurde länger.65 Vor allem wirkten sich die ersten Auslandseinsätze positiv auf das Selbstbewusstsein etlicher Verbände aus und führten zu einem deutlichen Motivationsschub.66 »Die Leistungsbereitschaft der Truppe ist hoch. Selbstbewusstsein, Zusammenhalt und auch Stolz auf das eigene Können sind gewachsen«, hieß es im Zustandsbericht 1997.67 Nach einer Phase der Ungewissheit zeigte sich immer deutlicher, dass die Bundeswehr doch noch gebraucht wurde. Vor allem erfüllte sie nun Aufgaben, die gesellschaftliche Anerkennung fanden. In Somalia, Bosnien und dem Kosovo waren die Männer mit großem Engagement dabei.68 Das galt auch für die Wehrpflichtigen und Reservisten. Hinzu kam der Hilfseinsatz beim OderHochwasser 1997, der sich sehr positiv auf das öffentliche Ansehen der Streitkräfte auswirkte. Die Einsätze in Bosnien und dem Kosovo zeigten, dass das Zeitalter der schweren Waffen durchaus noch nicht vorbei war. Generalinspekteur Klaus Naumann hatte 1992 den enttäuschten Panzeroffizieren noch zugerufen, dass es in Zukunft nicht darum ginge, »an einer Operation Desert Storm Nr. 2 und Nr. 3« teilzunehmen.69 Freilich stand im KosovoKonflikt genau das zur Debatte. Der Angriff der NATO war schon geplant: der Hauptstoß dreier amerikanischer Divisionen, der Flankenangriff europäischer Verbände, darunter zwei deutsche Brigaden. Bei einer etwas anderen 597
außen- wie innenpolitischen Konstellation hätten sich deutsche Soldaten schnell in einem veritablen Bodenkrieg wiederfinden können. Glücklicherweise kam es dazu nicht. Doch dass es auch in der neuen Zeit für den Soldaten darauf ankam, kämpfen zu können – daran bestand für die Generalität nie ein Zweifel. Den Begriff der »kriegsnahen« Ausbildung hatte man zwar schon 1990 durch die milder klingende Formulierung »einsatznah« ersetzt.70 Am Kern des soldatischen Auftrags hielt man aber fest. Von »harter, fordernder und gefechtsnaher Ausbildung« sprach General Naumann 1992.71 Er kritisierte gar, dass der ernste Hintergrund des Berufes in den Friedensjahren des Kalten Krieges zu sehr aus dem Blick geraten sei, dass die Bundeswehr »ein bißchen Speck oder Rost« angesetzt habe, dass man mit der Erstarrung in Routine brechen müsse. Und: »Wer die letzte Konsequenz seines Berufes nicht bejaht, wird die Bundeswehr verlassen müssen.«72 Naumann hob hervor, dass Offiziere und Unteroffiziere neben der Aufgabe als Führer, Ausbilder und Erzieher ihrer Soldaten eben auch Kämpfer seien. Das müsse die Grundlage aller drei Teilstreitkräfte sein.73 Er verlangte eine stärkere Betonung soldatischer Tugenden und militärischer Fertigkeiten. Auch von der Rückbesinnung auf formale Disziplin, Drill und körperliche Leistungsfähigkeit war die Rede.74 Solche Worte wurden freilich je nach tribal culture mal ernsthafter und mal gelassener aufgenommen. Während des Somalia-Einsatzes war das gut zu erkennen. Die Fallschirmjäger sorgten im Lager von Belet Huen für die Sicherheit und waren schon am Haarschnitt, an ihrer durchtrainierten Figur und ihrer Sprache zu erkennen. Sie entsprachen dem Bild des Kriegers und verstanden sich auch so. Die anderen, die Nachschieber, Fernmelder und 598
Instandsetzer, verspotteten die Fallschirmjäger als »Fallobst« oder »Aufklatscher« und ernteten umgekehrt ob ihres zuweilen arg zivilen Habitus verächtliche Blicke und Kommentare.75 Der deutsche Unterstützungsverband baute Straßen und Schulen, behandelte einheimische Kranke und bohrte Brunnen. Mit Krieg hatte das alles nicht viel zu tun – das Verteidigungsministerium hatte sich bewusst eine Region ausgesucht, in der es keine Kämpfe rivalisierender Clans gab. Ein einziger Vorfall ereignete sich: Im Januar 1994 erschoss ein deutscher Wachsoldat einen Somali, der versucht hatte, ins Lager einzudringen.76 Ansonsten blieb es bei den Deutschen ruhig. Während die belgischen, italienischen und kanadischen UN-Soldaten in schwere Völkerrechtsvergehen verwickelt waren, benahmen sich die Deutschen beinahe vorbildlich.77 Der eine oder andere rauchte einen Joint zu viel, das war es dann aber auch. Erste Kampfeinsätze Es vergingen noch einige Jahre, bis deutsche Soldaten zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ihre Waffen wieder im Kampf einsetzen mussten. Weitgehend unbekannt ist, dass inoffiziell schon seit 1991 rund 200–300 Bundeswehrsoldaten als Freiwillige im jugoslawischen Bürgerkrieg kämpften. Insbesondere aus den Garnisonen in Süddeutschland fuhren viele Männer auf ein verlängertes Wochenende oder im Urlaub an die Front, um Kampferfahrung zu sammeln. Das war zwar illegal, wurde von den Vorgesetzten in vielen Fällen aber gedeckt, da man die Eigeninitiative als wertvolle Bereicherung der Gefechtsausbildung betrachtete. Etliche deutsche Soldaten, die auf kroatischer Seite mitkämpften, waren Fallschirmjäger, manche waren vor ihrer Bundeswehrzeit bei der Fremdenlegion gewesen. Abenteuer- und Kriegergeist standen 599
wohl im Mittelpunkt dieser Reisen an die Front, andere wollten den bedrängten Kroaten zu Hilfe eilen.78 Offiziell feuerte die Bundeswehr im März 1997 ihre ersten Schüsse ab. Als zu diesem Zeitpunkt die staatliche Ordnung in Albanien zusammenbrach, schickte die Bundesregierung in einer Ad-hoc-Aktion sechs Hubschrauber aus Bosnien nach Tirana (Operation »Libelle«), um deutsche Staatsbürger auszufliegen. Zum Schutz waren Panzergrenadiere mit dabei. Die Helikopter gerieten beim Anflug unter Beschuss von Handwaffen; der vorderste erhielt einen Treffer, der zwar keinen Schaden anrichtete, aber im Innenraum deutlich zu hören war und der Besatzung einen gehörigen Schreck einjagte. Nach der Landung sicherten die Infanteristen den Platz. Während eine große Menschentraube in die Hubschrauber drängte, näherten sich plötzlich zwei gepanzerte Fahrzeuge wild feuernd den Deutschen. Oberst Henning Glawatz zog kurzerhand seine Pistole und drückte ab. Gedacht war das als allgemeiner Feuerbefehl. Doch nichts geschah. »Schräg hinter mir«, erinnerte sich Glawatz später, »lag der MG-Schütze. Er war im Anschlag und zielte auf eines der Fahrzeuge, schoss aber nicht. Brüllend gab ich Zielansprache: ›Geradeaus, 80 Meter, weißes Kfz in Querfahrt, Feuer!‹ Immer noch nichts. ›Schieß doch, Junge, schieß!‹ Da schoss er endlich. Schlagartig eröffneten jetzt alle Sicherungskräfte das Feuer.«79 Die deutschen Soldaten gaben rund 250 Schuss ab, und nach einer halben Stunde war der letzte Hubschrauber wieder in der Luft. Mit an Bord 104 Zivilisten, darunter 21 Deutsche und einige Albaner, die sich unerlaubterweise mit hineingedrängelt hatten.80 Die Aktion war noch einmal glimpflich ausgegangen, und erst später wurde bekannt, wie viel Glück man gehabt hatte. Beim Überfliegen der 600
montenegrinischen Küste überraschte der Verband nämlich eine serbische Flugabwehrstellung, die über die Aktion nicht informiert war. Sie glaubte zunächst Feinde vor sich zu haben, weil die Maschinen aus Kroatien anflogen. »Fortunately the SFOR markings were clearly visible, and weapons remained tight. One can only speculate how close we came to a serious incident«, hieß es in einem SFOR-Bericht.81 Die Bundeswehr hatte gezeigt, dass sie auch unter schwierigen Bedingungen einen Auftrag rasch und schnell erfüllen konnte. Die Bilder vom triumphalen Empfang des zurückkehrenden Einsatzverbandes flimmerten über die Fernsehschirme. Von »Feuertaufe« war die Rede, die Bild-Zeitung schrieb gar von »Helden«, und Oberst Glawatz wurde fortan der »Löwe von Tirana« genannt. Die Operation »Libelle« blieb der spektakulärste öffentlich bekannte Einsatz deutscher SFOR-Soldaten in Bosnien. Das bedeutet nicht, dass die alle vier bis sechs Monate wechselnden Kontingente bei der Kontrolle des Friedensvertrags von Dayton keine anspruchsvollen Aufgaben zu erfüllen hatten. Anfangs war die Lage im Land noch unsicher. Vor allem die vielen Minen waren eine ständige Gefahr. Mehrere britische SFOR-Soldaten und etliche Zivilisten fielen ihnen zum Opfer. Es kam auch vor, dass deutsche Feldjäger Heckenschützen stellten und mit Schüssen vertrieben. Die Aufregung um solche Vorfälle war enorm und mündete stets in einen Papierkrieg. Die betreffenden Soldaten zogen es zuweilen vor, manche Ungeschicklichkeit kreativ zu entschärfen. So wurden zwei französische SFOR-Soldaten von detonierender Munition leicht verletzt. In der offiziellen Meldung war dann von einer explodierten italienischen Kaffeemaschine die Rede. Dass ukrainische SFOR-Soldaten ihren Sprit an serbische Milizen verhökerten, wurde auf den 601
höheren Ebenen ebenfalls geflissentlich übersehen, um keine diplomatischen Verwicklungen zu riskieren. So konnte der Schein gewahrt werden, um den es Minister Rühe ging: Der Einsatz sollte harmonisch, vor allem aber friedlich verlaufen. Schließlich hatte er Generalinspekteur Naumann gerüffelt, der öffentlich von einem Kriegseinsatz gesprochen hatte. Die Truppe ging mit den Wünschen des Ministers pragmatisch um. Man trat zuweilen bestimmt auf, um illegale Checkpoints aufzulösen oder die Einlagerung schwerer Waffen der serbischen und muslimischen Konfliktparteien in den Depots zu kontrollieren. Die Soldaten waren sich durchaus bewusst, dass sie keine Entwicklungshelfer waren, sondern dass es um einen militärischen Auftrag ging. Die Spuren von Krieg, Tod und Zerstörung waren in der Region auch kaum zu übersehen: bis auf die Grundmauern zerstörte Dörfer, gesprengte Brücken, Geschosseinschläge in den Hauswänden. Und mancher ehemalige Gastarbeiter wusste in gutem Deutsch von den Schrecken der Massaker zu berichten. Die Bundeswehr war auf alle Eventualitäten vorbereitet: Verstärkungskräfte wurden bereitgehalten, die rasch nach Bosnien verlegt werden konnten, falls dort die Lage eskalierte. Sicherheitshalber hatte man etwa den Bahntransport eines Panzerbataillons durch Ungarn bis nach Sarajevo vorbereitet.82 Umso missgestimmter waren viele Soldaten über die Einsatzregeln, die zwischen Krieg und Frieden nicht klar unterschieden. Einerseits mussten in bestimmten Gebieten die sackschweren Bristol-Schutzwesten getragen werden, selbst wenn die Truppe die Gegend als ruhig einschätzte. Andererseits war das Feldlager in Rajlovac anfangs so schlecht gesichert, dass selbst einige Kinder durch die SDrahtrollen hindurchschlüpften, einen Container aufbrachen 602
und mit ihrer Beute – einem Kassettenrekorder und einer Palette Bier – ungesehen entkamen. Einzelne Soldaten zogen es daher vor, unerlaubterweise ihre geladene Pistole mit in den Schlafsack zu nehmen. Gleichzeitig uferte die Militärbürokratie aus. Das Heeresführungskommando schreckte nicht davor zurück, sich nachts um drei Uhr telefonisch nach dem Zustand eines Hydraulikschlauches des Minenräumpanzers Keiler zu erkundigen. Über kleinste Vorfälle mussten ausführliche Meldungen geschrieben werden. Vor allem brach hektisches Treiben aus, wenn die Aktivitäten der SFOR zu Presseschlagzeilen führten. In gewisser Weise war es die Aufregung des Debütanten, die Angst auch der Politik, dass es Tote und Verwundete geben und so die fragile politische Zustimmung für solche Missionen verloren gehen könnte. Allen Unkenrufen zum Trotz entspannte sich die Sicherheitslage vor Ort zusehends. 2002 sprachen Soldaten gar von einer Ferienlagerstimmung in Rajlovac.83 Der Einsatz hatte offensichtlich wenig mit den Worst-Case-Szenarien der Ausbildung zu tun, und etliche Soldaten fühlten sich im Vergleich zu anderen Missionen unterfordert. Im deutschen Feldlager werde man »dick und fett«, meinte ein Soldat. Im Außenlager in Filipovici ging es rustikaler zu. Dort fühlten sich die Männer und Frauen wie »echte Soldaten«, hatten ein größeres Selbstbewusstsein und mehr Waffenstolz.84 Über die notorischen Drückeberger, die es verstanden, jedem Auslandseinsatz aus dem Weg zu gehen, hieß es: »Jeder Soldat, der in Deutschland Dienst leistet und in Spanien oder in der Türkei Urlaub macht, kann zumindest auch auf dem Balkan eingesetzt werden.«85 Allerdings darf man die kritischen Stimmen auch nicht überbewerten. Die deutschen Soldaten sahen, wie sich im Einsatzgebiet über die Zeit 603
manches zum Positiven wendete. Und von der Bevölkerung bekamen sie zu hören: »Wenn ihr weg seid, dann geht es wieder los.«86 Das motivierte. Der SFOR-Einsatz war ein Meilenstein in der Geschichte der Bundeswehr. Erstmals gingen auch Kampftruppen in den Auslandseinsatz. Und wenngleich sie nicht in eine Schlacht zogen, leisteten sie gerade in der Anfangsphase mit ihren schweren Waffen einen wichtigen Beitrag, den internationalen Verträgen Nachdruck zu verleihen und in BosnienHerzegowina den Frieden zu sichern. Das Kommando Spezialkräfte (KSK) erlebte hier im Übrigen seine Feuertaufe und nahm 1998 die ersten Kriegsverbrecher fest. Der Einsatz trug zum Ansehen der Bundeswehr innerhalb der NATO bei. Noch wichtiger war der Luftwaffeneinsatz über dem Kosovo im Frühjahr 1999. Deutsche Tornados feuerten über 280 Raketen ab. Erstmals mussten deutsche Soldaten verkraften, im Kampf getötet zu haben.87 Obwohl politisch heftig über diesen Einsatz gestritten wurde, bekam die Öffentlichkeit vom kämpferischen Teil der Mission nichts mit. Es gab keine Aufnahmen einschlagender deutscher Raketen oder toter serbischer Soldaten. Vielmehr beherrschten startende und landende Tornados und ein freundlich-sympathischer Geschwaderkommodore, der zuweilen vor die Kameras trat, das Bild. Am Boden fielen am 13. Juni 1999 Schüsse: An einem Checkpoint im kosovarischen Prizren eröffneten deutsche KFOR-Soldaten das Feuer auf zwei serbische Paramilitärs, die mit einem Lada eine Sperre durchbrachen. Leutnant David Ferk und sechs weitere Soldaten durchsiebten mit 400 Schuss das Auto. Die beiden Insassen starben. »Bloody Sunday« wurde der Tag später genannt. Eine gerichtliche Untersuchung konnte keine Verfehlung feststellen. Im Gegenteil: Der 604
Befehlshaber des Heeresführungskommandos, Generalleutnant Rüdiger Drews, war geradezu froh über den Schusswechsel. Endlich sei der Knoten geplatzt; der Zugführer habe von sich aus und mit dem Willen, sein Ziel zu treffen, das Feuer eröffnet. Auch wenn das Gefecht chaotische Züge angenommen habe, sei doch erfreulich, dass die Soldaten selbstständig, »gegen ihre Sozialisation als verwöhnte Individuen und Konsumenten« gehandelt hätten. Schließlich seien sie bis dahin immer davon ausgegangen, dass für die unappetitlichen Aufgaben ein anderer zuständig sei, so Drews.88 Rustikale Worte, die deutlich machen, dass zumindest die Führung des Heeres an dem potenziell gewaltsamen Tun ihres Berufes keinen Zweifel hatte und die Soldaten darauf vorbereitet wissen wollte. Bei den Fallschirmjägern, den Grenadieren oder den Panzermännern gehörte der Kampf ohnehin zu ihrem Selbstverständnis, obwohl es in den Neunzigern nichts wirklich zu kämpfen gab. Deshalb gab es häufig Klagen, dass es in der Ausbildung zu wenig Gefechtsdienst gebe, zu wenig Sport getrieben werde89 und die ideellen Werte des Soldatenberufs zu kurz kämen.90 Zehn Jahre nach der Wiedervereinigung hatte die Bundeswehr ein gutes Stück Weg zurückgelegt. Die NVA war abgewickelt, die Wehrstruktur auf die neuen Länder ausgedehnt, die Personalstärke auf rund 300 000 Mann reduziert worden. Die Umgangsformen hatten sich weiter liberalisiert, das geschlossene Führen zum Essen beispielsweise wurde abgeschafft, die Regeln im Innendienst wurden gelockert.91 Schikanen und Missbrauch kamen nur noch selten vor. Man hatte im Rahmen von UNO und NATO von der humanitären Hilfeleistung über das Peacekeeping bis zum Kampfeinsatz eine breite Palette von Operationen erfolgreich durchgeführt. Die Bundeswehr war schlanker und flexibler geworden. Sie 605
mehrte damit das außenpolitische Gewicht der Bundesrepublik. Für das Kanzleramt und das Auswärtige Amt war sie vor allem ein wirkungsvolles Instrument, um Bündnissolidarität zu beweisen und den deutschen Einfluss in den großen internationalen Organisationen zu wahren. Jedoch waren Auftrag und Mittel bei den Streitkräften wie auf Kante genäht und drohten, in dramatischer Geschwindigkeit auseinanderzudriften. Die Armee brauchte dringend Zeit zur weiteren Konsolidierung, und es war vor allem mehr Geld notwendig, um auch in Zukunft die wachsenden Verpflichtungen erfüllen zu können. Doch die Bundesregierung wollte das Budget nicht erhöhen, glaubte andererseits aber aufgrund von außenpolitischen Zwängen bei Auslandseinsätzen nicht abseits stehen zu können. Immerhin sprachen die Spitzenmilitärs eine deutliche Sprache und hielten mit ihrer Lageeinschätzung nicht hinterm Berg. Man müsse perspektivisch zwei mittlere und mehrere kleinere Operationen durchführen können, sei aber bereits jetzt in sechs mittleren und kleineren Missionen gebunden, hieß es in dem offiziellen Zustandsbericht von 2001. »Damit ist die Grenze der strukturellen und personellen Belastbarkeit erreicht, bei Spezialisten zum Teil bereits überschritten.« Es komme zu ersten Ermüdungserscheinungen und sinkender Bereitschaft, das hohe Tempo der Reformen mitzugehen. Die Belastungen für die einzelnen Soldaten seien enorm und dürften nicht überhandnehmen, um die Berufszufriedenheit nicht zu gefährden. Die Verlängerung der Einsatzdauer in Auslandsoperationen von vier auf sechs Monate werde von achtzig Prozent der Verbände abgelehnt.92 Die vorgesehenen 24 Monate zur Regeneration und Vorbereitung könnten bei Hubschrauberpiloten, Pionieren oder Elektronikern schon nicht mehr eingehalten werden. 606
Bereits um die Jahrtausendwende war die Bundeswehr spürbar überlastet, und die Stimmung rauschte in den Keller. Die überbordende Bürokratie, eine teilweise desolate Materiallage, der »museumsreife Bürostandard« und leere Versprechen zur Steigerung der Attraktivität des Soldatenberufs führten zu einem zunehmenden Vertrauensverlust.93 Die Truppe begegnete der politischen Leitung mit starken Vorbehalten94 und stand auch nicht mehr geschlossen hinter der militärischen Führung. »Die Innere Lage der Streitkräfte ist angespannt«, notierte Dieter Löchel, Beauftragter für Erziehung und Ausbildung.95 Die Zurückhaltung der Generalität werde »unverhohlen kritisiert«, und man verstehe nicht, warum der militärische Sachverstand nicht sichtbarer in den politischen Entscheidungsprozess eingebracht werde. Es müssten eben auch mal Aufträge abgelehnt werden. Hinzu komme, dass die Vorgesetzten die Aufträge oft nicht mehr erklären könnten und die Ruhe zur politischen Bildung fehle, die angesichts des stetig wachsenden Aufgabenspektrums dringender sei denn je. Wozu die Einsätze gut seien, welche soldatische Identität man habe, welche Vorbilder und Traditionen gelten sollten – mit solchen Fragen würden die Soldaten vielfach allein gelassen. »Auf Fragen erhält man keine substantiellen Antworten, sondern nur noch ›politisches Gelaber‹.«96 Die Einführung des neunmonatigen Wehrdienstes 2002 wurde vielfach mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen, da die jungen Rekruten aufgrund ihrer kurzen Dienstzeit kaum mehr sinnvolle Arbeiten verrichten könnten und nur noch als »Handlanger« einsetzbar seien. Zudem herrsche der Eindruck, dass bald nur noch »der Bodensatz der Gesellschaft« Wehrdienst leiste. Zuweilen bekamen selbst die Fallschirmjäger nur noch bedingt tauglich Gemusterte zugewiesen.97 607
Gewiss hatte die Bundeswehr seit 1990 viel erreicht, aber nun drohte die ganze Sache zu kippen. In einem unter Verschluss zu haltenden Non-Paper ohne Briefkopf wandte sich Gert Gudera, der Inspekteur des Heeres, im Jahre 2001 direkt an den obersten Soldaten Harald Kujat und wies auf die Konsequenzen der Finanzplanung hin. Man könne die Ausrüstung einer verstärkten Division für eine große Operation zur Bündnisverteidigung nur unter großen taktischoperativen Risiken sicherstellen und gefährde so die Verpflichtung gegenüber der NATO. Auch im Bereich der Einsätze gebe es erhebliche Fähigkeitslücken. Im IT-System des Heeres seien eklatante Defizite festgestellt worden, der unabdingbare Schritt zur Digitalisierung sei nicht einmal ansatzweise erreicht. Kein Großverband könne mehr schnell ablaufende, weiträumige Operationen im Gefecht der verbundenen Waffen führen. »Selbst die derzeit laufenden, räumlich zumeist statischen Einsätze sind nur aufgrund umfangreicher Beschaffungsmaßnahmen handelsüblicher Informationstechnik leistbar.« Auch die logistische Durchhaltefähigkeit und die Sicherstellung eines bestmöglichen Schutzes der Soldaten im Einsatz »können nicht angemessen rasch, beziehungsweise nur in Ansätzen, erfolgen«. Gudera warnte eindringlich, dass die seit Jahren anwachsende Unterfinanzierung zu schweren und nur mühsam zu behebenden Schäden in allen Bereichen und zu einem weiteren Substanzverlust im Heer führen werde. Das dürfe »vor dem Hintergrund der Glaubhaftigkeit unseres Verteidigungsbeitrages nach innen und außen sowie der Verantwortung für unsere Soldaten nicht hingenommen werden«98. Eine Antwort des Generalinspekteurs auf dieses Schreiben ist nicht überliefert. In seinem Zustandsbericht 2001 ließ er die 608
Probleme nicht unerwähnt, beschrieb sie aber viel weniger drastisch und legte den Schwerpunkt angesichts knapper Mittel auf die anstehenden Auslandseinsätze.99 Das war zehn Jahre nach der Wiedervereinigung das inoffizielle Ende der Bündnisverteidigung. Öffentlich sprach darüber niemand, aber intern konnte man zusehen, wie die Kernfähigkeiten der Streitkräfte eine nach der anderen verloren gingen. Die Marine war bald nicht mehr in der Lage, den klassischen Seekrieg zu führen, und der Luftwaffe gingen allmählich die erfahrenen Piloten aus.100 Freilich: Die sicherheitspolitische Lage war entspannt, ein Krieg nicht in Sicht. Nichts schien dagegen zu sprechen, die dringlichen Wünsche der Militärs auf die lange Bank zu schieben. Bemerkenswert ist, dass diese grundlegenden Fragen nicht intensiver diskutiert wurden. Im Jahr 2000 stellte das Verteidigungsministerium die meisten militärischen Fachzeitschriften wie etwa die Truppenpraxis ein und beraubte sich so selbst der Möglichkeit einer kritischen Meinungsbildung. Die Herausforderungen wurden immer größer, die verfügbaren Mittel immer geringer, und die Bundeswehrführung fügte sich schweigend. Gewiss wurde intern manch kritisches Papier erstellt, aber eine klare Ansage, dass bestimmte Aufträge unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht zu erfüllen waren, blieb die große Ausnahme. Der letzte Generalinspekteur, der sich getraut hatte, dem Minister sogar öffentlich zu widersprechen, war Klaus Naumann. So jemand werde ihm nie wieder ins Haus kommen, soll Volker Rühe über ihn gesagt haben. Naumann wird beinahe unisono als herausragende Persönlichkeit unter den Generalinspekteuren genannt, weil er deutlich seine Meinung sagte und sein Wort in der Politik Gewicht hatte. Man muss freilich relativieren, dass öffentlich geäußerte Kritik 609
keine Messlatte für die Generalität war. Selbst das alte Schlachtross Heinz Trettner, der 1966 als einziger Viersternegeneral in der Geschichte der Bundeswehr zurücktrat, hätte öffentlich niemals gegen seinen Minister gesprochen und ein solches Verhalten als illoyal abgelehnt. Und auch er hatte politisch notwendig erscheinende Schritte wie die allzu überstürzte Aufstellung von Divisionen vertreten, über die in der Truppe nur der Kopf geschüttelt wurde. Das eigentliche Problem war der interne Diskurs: wie Generäle in die Truppe hineinwirkten, wie sie sprachen, ob sie offen über Probleme redeten, ihre Zwänge erklärten. Darum stand es schon in den Sechzigerjahren nicht sonderlich gut. Später gab es zumeist genügend Geld, und der Zustand der Streitkräfte verbesserte sich zusehends. Das machte es leichter, Führungsverantwortung zu tragen. Doch in den Neunzigerjahren ging es darum, den Mangel zu verwalten. Und obwohl manch kritisches Wort etwa der Inspekteure fiel, schien die Generalität den Kontakt zu ihren Soldaten zusehends zu verlieren. In der Tat besaßen manche Spitzenmilitärs die besondere Begabung, an der Truppe vorbeizureden. Am Vorabend des Afghanistan-Einsatzes stand es daher nicht gut um das innere Gefüge der Bundeswehr: zu viele Aufträge, zu wenig Mittel, der absehbare weitere Abbau, bittere Rivalität der Teilstreitkräfte bei der Verteilung des Geldes und die fortschreitende Schwächung der vertikalen Kohäsion. Den Vorbildcharakter nahmen viele Soldaten ihrer militärischen Führung nicht mehr ab. Vermisst wurden vor allem kantige Persönlichkeiten, die gegenüber der Politik vernehmbar auch einmal Nein sagten.101 Die Schatten der Wehrmacht Im Kalten Krieg hatten sowohl die ehemaligen Wehrmachtoffiziere als auch die Ausrichtung der Streitkräfte 610
auf den Kampf dafür gesorgt, dass der Zweite Weltkrieg – und teilweise auch der Erste – nicht aus dem kollektiven Gedächtnis des Militärs verschwand. Zwar thematisierten hohe Vorgesetzte gerade in den Achtzigerjahren auch die dunklen Seiten der NS-Zeit und hoben hervor, dass Soldaten nicht nur missbraucht worden waren, sondern sich auch schuldig gemacht hatten. Aber der tapfere Landser taugte noch immer als Vorbild. In den Fluren, in den Kasinos, in den Traditionsecken, in den Liedern, in den Namen der Kasernen und nicht zuletzt in der Handreichung des Heeresamtes »Kriegsnah ausbilden« – die Wehrmacht war überall präsent. In den Neunzigerjahren geriet mit den gesellschaftlichen Debatten über die NS-Vergangenheit auch das Traditionsverständnis der Bundeswehr zunehmend in die Schlagzeilen. Stein des Anstoßes waren zunächst die Kasernen. 42 von ihnen waren noch 1992 nach Soldaten der Wehrmacht benannt, 41 nach Soldaten des Ersten Weltkriegs. Die umstrittenen Namenspatrone waren für Politiker etwa von Bündnis 90/Die Grünen ein gern genutzter Hebel, um die Bundeswehr als Institution in Misskredit zu bringen. Doch während man Vorwürfe aus dem linken politischen Lager gewohnt war, kritisierte mit Brigadegeneral Winfried Vogel auch ein hoher aktiver Offizier das Traditionsbild. Rasch entbrannte in den Fachzeitschriften der Streitkräfte ein wütender Streit über die Frage, wie man es mit der Wehrmacht halten sollte.102 Dass sie als Institution keine Tradition begründen konnte, darin waren sich die meisten Protagonisten einig. Es ging um die Frage, ob es einen klaren Schnitt geben und die Wehrmacht ganz aus der Tradition der Bundeswehr verschwinden sollte – oder eben nicht. Werner von Scheven, Kommandeur der Führungsakademie, wollte keine pauschale Ausgrenzung von Wehrmachtsoldaten aus der Tradition der 611
Streitkräfte. Soldaten und Truppenteile, die ihre Ehre und Unbescholtenheit widrigen Befehlen und Umständen zum Trotz bewahrt hätten, seien für die Bundeswehr durchaus überlieferungswürdig.103 Dies war cum grano salis auch die Haltung von Minister Rühe und Generalinspekteur Naumann. In der Debatte um die Umbenennung von Kasernen gingen die Begriffe wild durcheinander: Geschichte und Tradition sowie Überlieferung, Anerkennung, Achtung und Respekt militärischer Leistungen wurden nicht sauber auseinandergehalten. Dass eine grundlegende Klärung anstand, lag eigentlich auf der Hand, zumal die Kasernen ja nur Teil eines größeren Problems waren. 1992 empfahl auch der Petitionsausschuss des Bundestages eine Umbenennung zumindest der Liegenschaften in Füssen und Mittenwald. Männer wie die Gebirgsjägergeneräle Eduard Dietl und Ludwig Kübler waren offensichtlich keine brauchbaren Namenspatrone. Auch wenn damals noch keine wissenschaftlichen Biografien vorlagen, war ihre stramme NSHaltung bekannt und insbesondere bei Kübler auch die Verantwortung für Kriegsverbrechen in der Sowjetunion und auf dem Balkan.104 Die militärischen Leistungen der beiden Männer waren nicht so herausragend, dass sich eine Benennung dennoch aufgedrängt hätte. Letztlich waren es ihre Rolle beim Aufbau der Gebirgsjägertruppe der Wehrmacht und eine tiefe Verwurzelung im südbayerischen Milieu, die auch die Politik zunächst an Dietl und Kübler festhalten ließ. Verteidigungsminister Rühe wurde von der CSULandesgruppe und etlichen Lokalpolitikern bedrängt, dem öffentlichen Druck nicht nachzugeben, und lenkte erst ein, als das Thema den bevorstehenden Einsatz deutscher Soldaten in Bosnien zu belasten drohte. Im November 1995 wurden die beiden Kasernen in Allgäu- und Karwendel-Kaserne 612
umbenannt – harmloser ging es kaum. Eigentlich hätte es nahegelegen, nun alle Namen zu überprüfen, eine klare Haltung zu entwickeln und diese dann auch selbstbewusst zu vertreten. Doch das Verteidigungsministerium fürchtete eine generelle Debatte, meinte, ein bisschen Nachgeben sei die klügste Taktik, vergab so jede Gestaltungsmöglichkeit und ließ sich von den Kritikern treiben. 1992 sollte in der neuen Zentralen Dienstvorschrift zur Inneren Führung eigentlich ein Abschnitt zur Traditionsfrage enthalten sein. Der Entwurf stellte zwar keinen völligen Bruch mit der NS-Vergangenheit dar, war aber das Kritischste, was zu diesem Thema auf der Hardthöhe bis dahin zu Papier gebracht worden war. Doch im Ministerium regten sich Bedenken, und zugleich stellte sich die Frage, wie man es dann mit der NVA halten sollte. Kurz nach der Wiedervereinigung schien dieses Eisen noch zu heiß. So gab es keine Ausführungen zur Nationalen Volksarmee, und auch der Abschnitt über die Wehrmacht wurde schließlich nicht aufgenommen, was öffentlich bekannt wurde105 und dem neuen Minister Rühe einen Tadel des Verteidigungsausschusses einbrachte.106 Das Thema verschwand auch in den folgenden Jahren nicht von der Agenda und köchelte im Hintergrund weiter. Dem Wehrbeauftragten fielen 1995 zwei Fallschirmjägereinheiten auf, in denen unverhohlen an die Wehrmacht erinnert wurde. Eine der beiden war die Luftlandepionierkompanie 260 in Saarlouis. Deren Chef wurde unter anderem wegen dieser Vorfälle abgelöst und durch Niels Janeke ersetzt. Als dieser das Kommando übernahm, waren die Wände schon alle weiß gestrichen. Über die 35-jährige Geschichte der Kompanie, die Teil des NATO-Eingreifverbandes Allied Mobile Force war und unzählige internationale Übungen mitgemacht hatte, war 613
nichts zu sehen: kein Wandgemälde, keine Fotos, keine Lieder, keine Leitsprüche. Bis dahin war die Traditionspflege der Einheit ganz auf die Fallschirmjägertruppe der Wehrmacht ausgerichtet gewesen. Eben Emael, das belgische Sperrfort, das im Mai 1940 von Fallschirmpionieren im Handstreich erobert worden war, oder die Einnahme Kretas im Mai 1941 besaßen für die Fallschirmjäger mythische Bedeutung. Die Bundeswehrgeschichte schien demgegenüber geradezu langweilig. Kein Kampf, keine Bewährung im Extremen, keine Siege. Der Verband war eine verschworene Gemeinschaft, die sich über den Kampf, Sport und das Fallschirmspringen definierte. Der Zusammenhalt der Unteroffiziere und Offiziere hatte sich nicht zuletzt in unzähligen Trinkgelagen gefestigt. Die Kompanie unterstand dem stellvertretenden Brigadekommandeur Reinhard Günzel, der später in den Verdacht einer zu großen Nähe zu rechtsradikalem Gedankengut geriet und aus der Bundeswehr entlassen wurde. Offenbar hatte er die Verhältnisse lange Zeit geduldet. Inwieweit die Luftlandepionierkompanie 260 für die Fallschirmjägertruppe repräsentativ war, ist schwer zu beurteilen. In jeder Einheit waren die Dinge anders gelagert. Die Wehrpflichtigen einer Fallschirmjägerkompanie in Calw waren in den frühen 1990er-Jahren politisch denkbar ungefestigt. Die meisten waren zwar liberal oder konservativ geprägt, doch gab es auch einige Linksradikale und PDSWähler, vor allem aber etliche Rechtsextreme. Zahlenmäßig waren sie zwar in der Minderheit, führten aber das große Wort. Da wurde der Holocaust geleugnet, wurden antisemitische Parolen verbreitet, wurde die erste Strophe der Nationalhymne gesungen. Die unreflektierte Traditionspflege (Wandbemalung vom Luftlandeunternehmen auf Kreta 1941, Wehrmachtlieder) 614
bot den politisch orientierungslosen Soldaten keinesfalls demokratischen Halt. Die Grenzen zwischen naivem Nationalismus und offenem Rechtsextremismus waren fließend. Der Kompaniechef schaute zumeist weg. Doch als einer seiner Zugführer zu einer Übung in SS-Tarnuniform erschien, wurde es auch ihm zu viel: Vor der angetretenen Kompanie rüffelte er den Übeltäter. Gleichwohl hatte er die Einheit nicht im Griff. Das Gerede der Soldaten sei oft nur »blödsinniges Gelaber« gewesen, erinnert sich ein Zeitzeuge, Sprücheklopferei, um cool zu sein. Aber bei vielen, gerade auch bei etlichen Ostdeutschen, war es Ausdruck rechtsextremer Überzeugungen. Es kam wohl nicht von ungefähr, dass ein Zugführer davor warnte, DVU, NPD oder so einen »Scheiß« zu wählen.107 Etwas anders stellte sich die Lage bei einer Fallschirmjägereinheit im norddeutschen Wildeshausen bei Bremen dar. Auch dort gab es vereinzelt Mannschaften, die betrunken auf dem Marktplatz »Heil Hitler« brüllten, sich einen SA-Mann mit Hakenkreuzfahne auf den Unterarm tätowieren ließen oder einem türkischstämmigen Wehrpflichtigen mit schwarzer Schuhcreme ein Hakenkreuz auf die Wange malten. Doch der Kompaniechef ging dagegen vor, verhörte seine Soldaten und zog disziplinarische Konsequenzen. Einige erhielten einen strengen Verweis, andere wurden aus der Bundeswehr ausgeschlossen.108 Rechtsradikalismus sollte es in der Truppe nicht geben. Allerdings wurde in dem Bataillon eine von großem Pathos getragene Kämpferkultur gepflegt. Für manche Soldaten verschwammen da die Grenzen von geduldeter Traditionsbildung und politischem Radikalismus. Ähnlich wie in Calw hatte sich Anfang der Neunzigerjahre auch in Wildeshausen die Zusammensetzung der Truppe verändert. Es 615
waren nun viele Ostdeutsche in den Reihen der Kompanien, von denen manche eine spürbar andere Sozialisation mitbrachten. Das Fallschirmjägerbataillon 272 war erst 1971 aufgestellt worden, eine Bundeswehrtradition hatte sich nicht gebildet. In den Kompaniegebäuden hing kein einziges Bild von einem NATO-Herbstmanöver. Stattdessen wurde auch hier die Luftlandung auf Kreta in Wandmalereien als Heldenepos dargestellt. Von den alten Wehrmachtliedern wurden ganz selbstverständlich alle Strophen gesungen. Findige Landser hatten diese in das Liederbuch der Bundeswehr eingeklebt, um kein Aufsehen zu erregen. Und der Spruch »Klagt nicht, kämpft«, dessen Ursprung in der Wehrmacht liegen soll, war in der Fallschirmjägertruppe ohnehin der »Renner«.109 Mancher Soldat trug stolz das Abzeichen des Bundes der Fallschirmjäger e. V. an seinem Barett, weil es wie das Fallschirmschützenabzeichen der Wehrmacht aussah – nur ohne Hakenkreuz. In Wildeshausen hatte man sich in den Habitus einer militärischen Elite hineingesteigert und pflegte den Glauben, das beste Infanteriebataillon der Bundeswehr zu sein. Man legte Wert darauf, die Dinge anders zu machen. Beim »Stillgestanden« wurden – wie bis 1945 – die Finger lang gelassen und beim »Rührt Euch« die Arme hinter dem Rücken gekreuzt, wie es etwa bei französischen Fallschirmjägern Sitte war. Gewissermaßen als Markenzeichen galt es, dass die Kompanien in wüste Kneipenschlägereien mit anderen Truppenteilen verwickelt waren. Ähnlich wie in Saarlouis oder Calw war man stolz auf die Vorväter. Wenn die »alten Adler« von Kreta berichteten, lauschten viele Männer andächtig und bekamen geradezu leuchtende Augen. Die Veteranen hatten das erlebt, was man nur aus der Theorie kannte: Sie hatten im Feuer gestanden, konnten berichten, wie es war, wenn man am Fallschirm 616
hängend einen Steckschuss bekam und sich anschließend die Beinschlagader abbinden musste. Sie hatten das Chaos der Schlacht erlebt, die Angst und die Aufregung. Niemand nahm Anstoß daran, dass die militärische Leistung und das politische System nicht aufeinander bezogen wurden. Auch die studierten Kompaniechefs nicht, im Gegenteil: Sie wollten selbst Krieger sein, wollten das Pathos, die Mythen, die Leitbilder. Trotz Abitur und Hochschulabschluss lasen die Offiziere nicht Brecht oder Clausewitz, sondern Rommels »Infanterie greift an« oder »Der letzte Befehl ist heilig«110 über die Erlebnisse eines Fallschirmjägers im Zweiten Weltkrieg. Es ging nicht um eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Geschichte der Wehrmacht, sondern darum, sich diese passgenau zurechtzulegen, um Motivation für das eigene Tun zu gewinnen. Im Kalten Krieg hatten die Operationspläne vorgesehen, das Bataillon an den Brennpunkt der Schlacht in der norddeutschen Tiefebene zu werfen, und hinter vorgehaltener Hand unkte man, dass man dort wohl nur geringe Überlebenschancen gehabt hätte. Deshalb war Kreta so ein wichtiges Vorbild: schwere Verluste, eine unmögliche Aufgabe, die Überlegenheit des Gegners – und trotz allem siegen. Die Wildeshausener Fallschirmjäger glaubten im Ernstfall vor eine ähnliche Herausforderung gestellt zu werden. In dieser Logik unterschieden sie sich nicht von italienischen oder französischen Fallschirmjägern. Anfang der Neunzigerjahre verharrte das Bataillon noch immer in diesem Zustand, war noch nicht in der neuen Zeit angekommen. Das Retten, Schützen und Helfen der ersten Auslandseinsätze wurde nicht ernst genommen. Die Wildeshausener Kompanie gelangte ebenso wie die aus Saarlouis in den Bericht des Wehrbeauftragten, weil ein Oberfähnrich 1994 nach Abschluss der Grundausbildung die 617
»Zehn Gebote des Fallschirmjägers« von 1942 an seine Rekruten verteilt hatte. Er hatte diese einst im Mannschaftsheim der Luftlandeschule in Altenstadt erworben und offenbar nicht weiter über die Hintergründe nachgedacht. Diese Gebote waren ein beredter Beleg, wie im Zweiten Weltkrieg die NS-Ideologie mit der ihr eigenen Überhöhung des Kampfes als Wert an sich, aber auch die politische Radikalisierung Einzug in die Truppe gehalten hatte.111 Über die Eltern eines Rekruten bekam der Wehrbeauftragte von der Sache Wind, es gab eine Untersuchung. Die alten Lieder wurden nun verboten, die Wandbilder übermalt. Wenngleich die Truppe und ihre Offiziere trotzig reagierten und manches Spottlied dichteten, nahm die Sensibilität im Umgang mit der Wehrmacht nun spürbar zu. Die Vorfälle in Wildeshausen und Saarlouis schlugen nur deshalb keine höheren Wellen, weil der Wehrbeauftragte nur von mangelnder politischer Sensibilität und Unkenntnis der Vorschriften sprach.112 Die Verhältnisse in Calw scheinen hingegen gar nicht bekannt geworden zu sein. Gleichwohl stieg die Zahl der offiziell gemeldeten Vorfälle mit Rechtsextremisten deutlich an. Anfangs machte man noch die schwierigen Bedingungen in den neuen Bundesländern dafür verantwortlich.113 Aber daran allein konnte es kaum liegen. Wurden in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung noch 50 bis 60 Delikte pro Jahr gemeldet, waren es 1997 schon mehr als 200 und 1998 gar 319. Jeder einzelne Fall schürte den alten Generalverdacht, dass die Bundeswehr eine ewiggestrige Organisation und eine potenzielle Gefahr für die Demokratie sei. Der öffentliche Druck nahm erheblich zu, nachdem der Spiegel herausgefunden hatte, dass der mehrfach verurteilte Rechtsextremist Manfred Roeder zu einem Vortrag an der Führungsakademie eingeladen worden war. Fast 618
gleichzeitig berichtete der Stern über Feiern an der Luftlandeschule im oberbayerischen Altenstadt, wo betrunkene Unteroffiziere den »Deutschen Gruß« gezeigt hatten.114 An zwei anderen Standorten waren Videos einer allzu schikanösen Ausbildung für die Auslandseinsätze aufgetaucht, und in Detmold kam es zu ausländerfeindlichen Übergriffen von Soldaten. Die Opposition ließ einen Untersuchungsausschuss einrichten, der im Mai 1998 seinen Abschlussbericht vorlegte. Er konnte zwar keine rechtsextremen Netzwerke und keine Unterwanderung der Streitkräfte feststellen, zeigte sich aber unzufrieden über die Präventionsmaßnahmen gegen Extremismus. Die Abgeordneten hielten fest, dass in über 90 Prozent der bekannten Fälle Wehrpflichtige die Missetäter waren, die zumeist am Anfang ihrer Dienstzeit außerhalb der Kasernen Propagandadelikte begingen. Offiziere waren praktisch gar nicht, Unteroffiziere kaum beteiligt.115 Rechtsradikalismus war in den Neunzigerjahren ein Problem der gesamten deutschen Gesellschaft. Die tödlichen Anschläge von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen stehen beispielhaft dafür. Durch die Wehrpflicht übertrug sich das Phänomen auf die Bundeswehr. Die Zahl der vom MAD eindeutig als rechtsradikal Identifizierten überschritt allerdings nie den zweistelligen Bereich.116 Nimmt man jene hinzu, die mit rechtsradikalem Gedankengut sympathisierten, so lag die Zahl gewiss höher, blieb in der Masse der 300 000 Soldaten aber eine verschwindend kleine Minderheit. Da die Bundeswehr nach wie vor eine konservativ geprägte Organisation war117, kann es nicht verwundern, dass Rechtsradikale eine gewisse Nähe zu ihr verspürten. Die Frage war, ob Männer, die außerhalb der Verfassungsordnung standen, von bestimmten tribal cultures angezogen wurden. 619
Die üblichen Verdächtigen waren dabei die Fallschirmjäger. Doch solange es keine zuverlässigen Angaben über die identifizierten Rechtsextremen in der Bundeswehr und ihren Einheiten gibt, wird sich diese Frage nicht sicher klären lassen. Einerseits gab es auch Vorfälle bei der Luftwaffe und der Marine. Und auch beim Heer waren keinesfalls nur die Luftlandeverbände betroffen. Andererseits meinte selbst der Kommandeur der Luftlandeschule in Altenstadt, Oberst Friedrich Jeschonnek, »daß die Fallschirmjägertruppe anscheinend rechtsradikale Kräfte anziehe«118. Der Elitehabitus, das intensive Gefechtstraining und die gefühlte Nähe zur Wehrmacht scheinen dies in der Tat befördert zu haben. Freilich: Aussuchen konnten sich die Bataillone und Kompanien nicht, wer zu ihnen kam. Die Kreiswehrersatzämter wiesen die jungen Wehrpflichtigen den Verbänden zu, und ihre Auswahl scheint nicht immer glücklich gewesen zu sein. Die Bundeswehr musste reagieren.119 Staatssekretär Peter Wichert hatte schon den Entwurf für einen Erlass auf seinem Schreibtisch, der jeden Soldaten verpflichten sollte, einmal im Jahr eine Erklärung zu unterschreiben, dass er auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht. Als Generalinspekteur Bagger davon erfuhr, opponierte er entschieden. Er betrachtete dies als massive Misstrauensbekundung, schließlich hatten die Soldaten bereits einen Eid geleistet. Bagger rief die Inspekteure zusammen und drohte mit Rücktritt, sollte der Erlass verabschiedet werden. Die Runde stärkte Bagger in seltener Einmütigkeit den Rücken. Er telefonierte daraufhin mit Minister Rühe – beide kannten sich aus Hamburger Zeiten gut –, doch der zeigte sich zunächst uneinsichtig. »Sie können gar nicht zurücktreten«, hielt er ihm entgegen. Weil alle Inspekteure hinter Bagger 620
standen, konnte dieser sich aber letztlich durchsetzen, und Rühe ließ die Vorlage im Papierkorb verschwinden.120 Niemand erfuhr von dem Vorfall, und einen Treueerlass hat es in der Bundeswehr bis heute nicht gegeben. In diesen aufgewühlten Tagen wurde auch überlegt, die Fallschirmjägertruppe aufzulösen, weil sie sich uneinsichtig zeigte und die Angelegenheit nach eigenem Gusto regeln wollte. Zur selben Zeit gab es bei einigen NATO-Partnern durchaus ähnliche Vorgänge. Die Kanadier lösten 1995 ihr Fallschirmjägerregiment auf, nachdem bekannt geworden war, dass die Truppe in Somalia gefoltert hatte. Und auch die italienische Fallschirmjägerbrigade »Folgore« stand in dem Ruf, politisch rechtslastig und in ihrem Traditionsbild ganz dem Zweiten Weltkrieg verhaftet zu sein – was für die deutschen Fallschirmjäger Kreta bedeutete, war für die italienischen die Schlacht von El Alamein im Oktober 1942. Hinzu kamen in den Neunzigern Verbrechen in Somalia und Missbrauchsfälle in den eigenen Reihen.121 Im Vergleich dazu waren die Vorwürfe in Deutschland weniger gravierend, zumal sich die Fallschirmjäger in Somalia vorschriftsmäßig verhalten hatten. Nach intensiven Debatten in der Führungsebene des Verteidigungsministeriums entschloss sich Minister Scharping Ende der Neunzigerjahre gegen eine Auflösung der Truppe. Gleichwohl sollte der Rechtsradikalismus in der Bundeswehr wirksam bekämpft werden. Ein Maßnahmenkatalog wurde erstellt und die Truppe mit Unterstützung des MAD stärker aufgeklärt. Dabei gingen die Offiziere – zumindest nach den Aussagen des Beauftragten für Erziehung und Ausbildung – mit großem Engagement ans Werk und bekannten sich zu ihrer Verantwortung, dem Extremismus keinen Raum zu geben.122 Bildungsarbeit erhielt nun wieder mehr Aufmerksamkeit. Eine interne Erhebung 621
hatte nämlich ergeben, dass von vierzig Truppenteilen nur acht die Politische Bildung weisungsgemäß durchführten.123 In den Zeiten der Umbrüche und außergewöhnlichen Arbeitsbelastungen war diese als Erstes gestrichen worden. Die politische und militärische Leitung statuierte zudem öffentlichkeitswirksame Exempel, entließ oder versetzte beliebte Offiziere, in deren Einheiten es zu Vorfällen gekommen war. Manche Soldaten empfanden diese Maßnahmen als ungerecht und vorschnell. Ein Hauptfeldwebel der Luftlandeschule in Altenstadt meinte: »Keiner hat sich vor die Fallschirmjägertruppe gestellt und gesagt, ›was passiert ist, wird aufgeklärt, aber viele Fallschirmjäger leisten einen guten Dienst‹.« An der Schule sei eine völlig unsachliche Hysterie ausgebrochen, von einem »großen Bildersturm« war die Rede. »Sogar die Lehrsammlung, die bereits abgenommen war, wird in vorauseilendem Gehorsam umgestaltet.« Und ein anderer Feldwebel kommentierte: »Unsere Schulführung hat auf die Vorfälle reagiert, aber es hagelt Befehle, das ist unvorstellbar. Sogar während der kurzen Fahrt zum Flugplatz soll im Bus politische Bildung durchgeführt werden, da frage ich mich, ob das sinnvoll ist.«124 Dies zeigte, wie schwer es war, offensichtliche Missstände abzustellen, ausreichend deutliche Signale in Richtung Politik und Gesellschaft zu senden und zugleich das innere Gefüge nicht zu beschädigen. Der Inspekteur des Heeres hatte zwar die Parole ausgegeben, »behutsam« nachzusteuern und auf gar keinen Fall eine »Bilderstürmerei« abzuhalten. Doch genau dies war vielerorts offenbar der Fall125, und die Folgen waren absehbar. »Das Vertrauen in die politische Leitung blieb […] nachhaltig gestört«126, stellte der Beauftragte für Erziehung und Ausbildung kritisch fest. 622
Da Rechtsextremismus immer auch mit der Verherrlichung der NS-Zeit einherging, geriet bei der öffentlichen und parlamentarischen Aufarbeitung der geschilderten Vorfälle das Traditionsverständnis der Bundeswehr automatisch mit ins Visier. Der Fall in Wildeshausen verdeutlicht, dass die Grenze zwischen Kriegerpathos und Rechtsradikalismus fließend sein konnte und es eines Kompaniechefs bedurfte, der klare Grenzen zog und auch nicht davor zurückschreckte, das Truppengericht einzuschalten. Dies war zweifellos nicht überall gegeben. Allerdings gab es auch Fallschirmjägerverbände, in denen der Zweite Weltkrieg und die NS-Zeit kaum präsent waren.127 Viele Wehrpflichtige dürften sich ohnehin nur wenig dafür interessiert haben, welche Gemälde und Sprüche an den Wänden hingen und wo der Ursprung von Liedern oder Schlachtrufen lag. Sie nahmen diese als gegeben hin, waren zuweilen auch genervt, wenn Kameraden von den Heldentaten der Vergangenheit schwadronierten. Der zunehmend kritischere gesellschaftliche Diskurs über die Wehrmacht und der Mangel an politischer Unterstützung für Traditionslinien, die in die Zeit vor 1945 reichten, hätten ein Nachdenken über Traditionsarbeit in den Verbänden allerdings längst notwendig gemacht.128 Doch »Oberverdachtsschöpfer«129 standen bei der Truppe nicht hoch im Kurs, und die Überprüfung des Traditionserlasses nahm zuweilen tatsächlich skurrile Formen an. So war dem Beauftragten für Erziehung und Ausbildung Anfang der Neunzigerjahre vorsorglich eine Dienstlupe ausgehändigt worden, um bei seinen Besuchen das ordnungsgemäße Abkleben der Hakenkreuze auf alten Uniformen überprüfen zu können.130 Eine sinnvolle Strategie für den Umgang mit der Wehrmacht-Vergangenheit sah sicher anders aus. 623
Unter wachsendem politischem Druck musste das Heer im Dezember 1997 damit beginnen, sich systematischer mit dem Problem zu befassen. Zunächst stellte man fest, wie es um die Traditionsräume in den Kasernen bestellt war. Das meiste war dort gedankenlos zusammengewürfelt und stammte oft noch von alten Truppenkameradschaften der Wehrmacht, die sich in den Kasernen getroffen hatten. Die Sammlungen wurden nun rasch entrümpelt und vielfach auch ganz aufgelöst.131 Dann wurden 39 Bataillone der Panzertruppe über ihre Wünsche zur künftigen Traditionsarbeit befragt. Dabei zeigte sich, dass die Truppe offen für eine Fokussierung auf die Geschichte der Bundeswehr war. Sie erwartete aber auch, dass »traditionswürdige Elemente aus Wehrmacht und NVA« benannt würden und keine Epoche der deutschen Militärgeschichte ausgegrenzt werden sollte.132 Man wünschte sich außerdem Vertrauen in die Urteilsfähigkeit der Vorgesetzten vor Ort, keinen Aktionismus, und man hoffte auf eine gestraffte Handreichung in übersichtlicher und verständlicher Form. Die neue Führung der Luftlandeschule in Altenstadt meinte, dass man Bräuche und Traditionen behutsam und schrittweise auf die Zeit nach 1945 ausrichten müsse, aber aussagekräftige Beispiele für Tapferkeit aus dem Zweiten Weltkrieg unbedingt erhalten sollte.133 Die meisten dieser Wünsche wurden mit dem neuen »Leitfaden Traditionspflege«134 vom Juni 1999 aber verfehlt. Er war ein dickleibiges Monstrum, ein politisches Dokument, mit dem das leidige Thema aus der politischen Schusslinie gebracht werden sollte. Der Leitfaden schrieb vor, dass sich die Truppe in der Traditionspflege vor allem auf die Geschichte der Bundeswehr seit 1955 beziehen sollte: auf die Prinzipien der Armee im Bündnis, die Friedenssicherung durch Abschreckung, die 624
Tradition des Rettens und Helfens. Historisch galten die preußischen Reformer und der Widerstand gegen Hitler als akzeptabel. Dagegen war selbstverständlich nichts zu sagen, und alle diese Punkte standen der Armee der Republik gut zu Gesicht. Das Kämpfen hatte man damit aber aus dem offiziellen Traditionsbild des Heeres herausgestrichen, und dies ausgerechnet auf Anordnung von Helmut Willmann, jenes »Tiger-Willi« genannten Generals mit grobem Charme, der so großen Wert auf martialische Auftritte, Härte und Sport legte. Aus Sicht der Kampftruppe fehlte gewissermaßen der Kern der Sache. Im Leitfaden hieß es zwar, beispielhafte Leistungen von Soldaten oder Truppenteilen aus allen Epochen der Militärgeschichte könnten zur Traditionsbildung herangezogen werden, wenn Menschenwürde und Menschenrechte gewahrt blieben. Was dies aber konkret bedeutete, was erlaubt war und was nicht, blieb unklar, und im weiteren Verlauf des Dokuments wurde insbesondere um das Thema Wehrmacht ein großer Bogen gemacht.135 Der Vorschlag einer Arbeitsgruppe, stärker Vorbilder aus dem Ersten Weltkrieg oder den Kriegen aus dem 19. Jahrhundert heranzuziehen, um die kontaminierte Zeit von 1939 bis 1945 zu umschiffen, wurde nicht weiter verfolgt.136 Der gordische Knoten war also nicht zerschlagen, und die grundlegende Frage stand immer noch im Raum: Wie sollte eine Armee, die noch nie gekämpft hatte, insbesondere für ihre Kampftruppen eine lebendige Tradition schaffen, ohne auf historische Vorbilder zurückzugreifen? Und eine weitere Frage drängte sich bei der Lektüre auf: Warum war es vierzig Jahre nach Gründung der Bundeswehr überhaupt notwendig, so dezidiert auf die Eigentradition hinzuweisen? Warum hatte sich diese in vier Jahrzehnten nicht längst herausgebildet und war in Fleisch und Blut 625
übergegangen? Trotz mancher Ansätze hatte die Bundeswehr spektakulär darin versagt, sich eine eigene Tradition zu schaffen. Es gab kaum eigene Lieder, die auch gern gesungen wurden, keine wirklich prestigeträchtigen Auszeichnungen, dafür aber eine Bürokratie, die mit jeder neuen Strukturreform viel von dem bislang Gewachsenen zerschlug. Wahrscheinlich gab es kaum eine Armee auf der Welt, die so viel von einer eigenen Tradition sprach und im Alltag so wenig Sinn dafür aufbrachte. Und so wurden alle 20 Jahre die gleichen Säue durchs Dorf getrieben. 2017 folgte dann die nächste Runde der Suche nach der Eigentradition. Immerhin: Das Thema war erst mal abgeräumt, und die Wogen glätteten sich wieder. Die Aufmerksamkeit der militärischen Führung galt nun der nächsten Strukturreform, und für den Leitfaden zur Traditionspflege interessierten sich nur noch wenige. In der Panzertruppenschule Munster hatte man deshalb Spielraum für eine kreative Anpassung: Die chronikartigen Wandzeichnungen vom Weg der Panzerdivisionen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg verschwanden nicht etwa, sondern wurden um den Bezug zu Werten und Normen ergänzt, die man für überlieferungswürdig hielt. Der Grafik von der 4. Panzerdivision, in der einst Heinrich Eberbach gekämpft hatte, wurde beispielsweise die Parole »Durchhalten und Pflichterfüllung« hinzugefügt. Zur 24. Panzerdivision, der der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber Mitte Ferdinand von Senger und Etterlin als junger Leutnant angehört hatte, hieß es: »Selbständiges Handeln im Sinne der Auftragstaktik«. Und zur 26. Panzerdivision, die einst in Anzio eingesetzt war: »Kampfmoral«137. In Munster blieb die Wehrmacht also auch nach dem neuen Leitfaden sehr präsent, auch wenn die Entwicklung der gepanzerten Truppen der Bundeswehr nun 626
breiter dargestellt wurde. Die Darstellungen in den Hörsälen wurden dann erst 2007 abgehängt. Auch in der Debatte um die Kasernennamen tat sich erst mal wenig. Das meiste erledigte sich durch die Auflösung von Standorten von selbst. Eine klare Haltung und eigene Kriterien zum weiteren Vorgehen gab es nicht. Man glaubte wohl die Sache aussitzen zu können. Mit dieser Haltung war die Bundeswehr nicht gut beraten. Sie spielte ihren Kritikern die Bälle zu, die sich solche Steilvorlagen nicht entgehen ließen. Die Unentschlossenheit der Führung lag wohl auch daran, dass zumindest die Älteren alles ganz gut unter einen Hut bekamen: das Bekenntnis zur Verfassung, die Motivation, Deutschland zu dienen, aber eben auch, in der langen Tradition der eigenen Truppengattung zu stehen. 627
Die Bundeswehr in Afghanistan Der 11. September 2001 schuf eine vollkommen neue sicherheitspolitische Lage. Schnell verurteilte die UNO die Terroranschläge und erklärte es für legitim, gegen zukünftige terroristische Bedrohungen vorzugehen. Erstmals in ihrer Geschichte aktivierte die NATO den Bündnisfall. Berlin war sofort bereit, die amerikanisch geführte Operation Enduring Freedom (OEF) zu unterstützen, mit der man vom westlichen Indischen Ozean über Afghanistan bis zu den Philippinen den internationalen Terrorismus bekämpfen wollte. Deutschland beteiligte sich mit bis zu 3900 Mann und sandte damit ein kräftiges Signal der Bündnissolidarität. Die Hauptlast musste zunächst die Marine schultern, die im Arabischen Meer patrouillierte. Außerdem entsandte man ABC-Abwehrsoldaten und Sanitäter nach Kuwait. Der Schwerpunkt des amerikanischen Engagements lag freilich in Afghanistan, wo der Drahtzieher der Terroranschläge, Osama bin Laden, Unterschlupf gefunden hatte. Das radikalislamistische Regime der Taliban138 weigerte sich, diesen auszuliefern, worauf sich die USA mit dessen Gegnern, der sogenannten Nordallianz, verbündeten und dieser den Weg nach Kabul freibombten. Die Herrschaft der Taliban brach im Hagel amerikanischer Bomben und Raketen zusammen wie ein Kartenhaus. Im Dezember 2001 schien das Land weitgehend befreit. Die Anführer der Radikalislamisten waren größtenteils nach Pakistan geflohen, die überlebenden Kämpfer untergetaucht. Der US-Verteidigungsminister war zufrieden – er hatte dem Anschein nach bewiesen, dass man einen asymmetrischen Krieg schnell und billig mit Special Forces, der Luftwaffe und einheimischen Warlords gewinnen konnte. Am Wiederaufbau des zerstörten Landes war er nicht interessiert, dies sollte die Aufgabe der Bündnispartner sein. 628
Es folgte die erste internationale Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn. Schon der Konferenzort verdeutlichte die maßgebliche Rolle, die Deutschland zu diesem Zeitpunkt auf der sicherheitspolitischen Bühne spielte. Vertreter der Nordallianz und der wichtigsten afghanischen Exilgruppen – die Taliban waren nicht vertreten – vereinbarten unter Vermittlung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und der Bundesrepublik einen Fahrplan zum Aufbau eines demokratischen Staatswesens mit einer Interimsverwaltung unter dem Paschtunen Hamid Karzai. Eine Internationale Schutztruppe (ISAF) unter UN-Mandat sollte das erneute Aufflammen von Konflikten verhindern. Schließlich war die Ausarbeitung einer Verfassung vorgesehen, danach sollten Wahlen stattfinden. Auf einer Folgekonferenz in Tokio im Januar 2002 sagte die internationale Staatengemeinschaft 4,5 Milliarden Dollar Aufbauhilfen für die nächsten fünf Jahre zu. Auch die Mithilfe beim Aufbau staatlicher Organisationen wurde geregelt. Die USA erhielten die Verantwortung für die Armee, Italien für die Justiz und Deutschland für die Polizei. In Berlin war man außerordentlich zufrieden mit den Ergebnissen. Nach Meinung des Auswärtigen Amtes hatte das Land gute Chancen, den Bürgerkrieg zu überwinden. Allerdings war Konsens, dass die afghanischen Akteure diese Chance auch nutzen mussten, um »die zerstörerischen Verhaltensweisen der Vergangenheit dauerhaft zu überwinden«139. Ob die Afghanen wirklich bereit waren, ihre ethnischen und radikal-religiösen Identitäten ein Stück weit aufzugeben und sich für die Welt und eine nachbarschaftliche Zusammenarbeit zu öffnen, musste sich zeigen. Nach zwei Jahrzehnten des Krieges schienen sie – zumindest aus Sicht westlicher Diplomaten – offener denn je für einen Weg in die 629
Moderne. Allerdings waren Anfang 2002 im Süden und Osten des Landes noch 4–5000 Taliban und untergetauchte ausländische al-Qaida-Kämpfer aktiv. Marodierende Banden, Überfälle bis hin zu Guerillaoperationen sowie hartnäckig von Söldner-Milizen verteidigte Widerstandsräume prägten die unübersichtliche Lage. Das Auswärtige Amt war sich bewusst, dass Afghanistan noch auf Jahre hinaus Hilfe benötigen würde. Doch in diesem »Great Game« um Zentralasien sollten die Einsätze nicht zu niedrig sein. Es stand zu viel auf dem Spiel, meinte ein Diplomat.140 Die internationale Staatengemeinschaft wollte am Hindukusch genauso state building betreiben wie auf dem Balkan: Aufbau eines Zentralstaates nach einem Top-downProzess, von einer internationalen Schutztruppe abgesichert. Allerdings blieb der Einsatz zunächst auf Kabul begrenzt. Wegen der Größe Afghanistans stand eine militärische Präsenz im ganzen Land – so wie in Bosnien-Herzegowina oder im Kosovo – auf der Petersberger Konferenz nie zur Debatte. Der Aufbau der afghanischen Polizei und Armee kam aber nur schleppend voran. In den Provinzen entstand ein Machtvakuum, das die Taliban nutzten, um sich bald wieder in ihren angestammten Gebieten im Süden des Landes festzusetzen. Seit Anfang Dezember 2001 hatte es beim Fallschirmjägerbataillon 313 in Varel bei Bremen Gerüchte über eine Verlegung an den Hindukusch gegeben. Manche Soldaten mussten sich sechsmal von ihren Familienangehörigen verabschieden. Am 1. Januar 2002 landeten die ersten deutschen Offiziere in dunkler Nacht als Vorauskommando in Kabul.141 Unter ihnen auch Niels Janeke, der mittlerweile als Oberstleutnant im Einsatzführungskommando in Potsdam Dienst tat. Er wunderte 630
sich, dass eine Heerschar von Journalisten den Soldaten am Kabuler Flughafen auflauerte und der Mission die Anmutung einer Manövervorführung verlieh. Zwei Wochen später folgten die Fallschirmjäger aus Varel. Sie schlugen ihr Lager – das Camp Warehouse – in einem Industriegebiet im Osten Kabuls auf, das direkt an der Hauptverbindungsstraße nach Pakistan lag. Als Teil der Kabul Multinational Brigade gingen die deutschen Soldaten auf Patrouille, um Präsenz zu zeigen, reparierten die Infrastruktur, entschärften Munition, und die Sanitäter versorgten gelegentlich auch die einheimische Bevölkerung. Die Lage war entspannt, und die Soldaten fuhren mit ihren ungepanzerten Jeeps ohne Helm durch die Stadt. Ein längerer Aufenthalt am Hindukusch war zunächst nicht vorgesehen. Die Bundeswehr hatte genug mit dem Einsatz auf dem Balkan und den andauernden inneren Reformen zu tun. Nach sechs Monaten wollte man bis auf ein symbolisches Kontingent wieder abziehen. Die Amerikaner machten unterdessen unter dem OEFMandat Jagd auf die Taliban, wurden schon bald als Besatzer wahrgenommen und avancierten gewissermaßen zu den neuen Russen Afghanistans, wie ein deutscher General 2002 sorgenvoll feststellte. Die Deutschen hingegen waren mit ihrem wenig martialischen Auftreten beliebt. Sie pochten stets darauf, dass es bei ISAF um Schutz und nicht um Besatzung ging, und grenzten sich demonstrativ vom rustikalen Ansatz der Amerikaner ab. Einen Erfolg konnte es eigentlich nur geben, wenn man beide Missionen – OEF der Amerikaner und ISAF der UN bzw. ab 2003 der NATO – zusammendachte. Doch die beteiligten Staaten verfolgten mit ihrem Engagement ganz eigene Interessen, die nur bedingt etwas mit der Lage in Afghanistan zu tun hatten. Deutschland wollte mit der Entsendung von Soldaten Bündnissolidarität zeigen und sich 631
zugleich auf einen Einsatz beschränken, der innenpolitisch vermittelbar war. Was vor Ort wirklich gebraucht wurde, um den Aufbau eines Staates zu sichern, kam in dieser Logik nicht vor.142 Die Offiziere sollten selbst sehen, wie sie die wenig konkreten Aufträge zur Aufrechterhaltung der Sicherheit durchführten. Sie wussten über die Binnenverhältnisse der afghanischen Gesellschaft nur wenig, und die kulturellen und sprachlichen Barrieren waren enorm.143 Etlichen Soldaten war ohnehin nicht klar, was sie in dem Land sollten. Ein Stabsfeldwebel der Fallschirmjäger aus Varel meinte: »Ich akzeptiere, dass wir in den Einsatz müssen, aber manchmal fragt man sich schon, was wir mit Afghanistan am Hut haben. Erst bomben die Amerikaner alles kaputt, und andere müssen dann die Drecksarbeit machen. Und gegen wen wir kämpfen, ist mir auch nicht klar. Ich befürchte, dass sich das noch ausweiten wird, und keiner sagt irgendwann ›Stopp‹. Die Politiker sollten einfach mal die Füße stillhalten.«144 Verantwortung für den Norden Afghanistans Aus Sicht Berlins schien der Einsatz indes nach Plan zu verlaufen. Deutschland leistete wie auf dem Balkan seinen Beitrag, war hinter den USA und Großbritannien drittgrößter Truppensteller und mehrte so seinen politischen Einfluss im Bündnis. Auch mit dem Petersberger Prozess ging es voran. Die neue afghanische Präsidialverfassung wurde im Januar 2004 verabschiedet, und im Oktober desselben Jahres fanden erste Wahlen statt, die das Mandat von Übergangspräsident Hamid Karzai bestätigten. Weite Teile des Landes waren ruhig. Schon im Vorjahr hatten die UN – auch auf Initiative des Auswärtigen Amts – beschlossen, die ISAF-Mission in die Fläche auszudehnen, um den Aufbau staatlicher Strukturen nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in den Provinzen zu unterstützen. Nachdem sich die Bundesrepublik 2002/03 632
demonstrativ aus dem Irakkrieg herausgehalten hatte und die transatlantischen Beziehungen dadurch einen Tiefpunkt erreichten, war Kanzler Schröder nun bemüht, ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Doch er musste der US-Regierung das deutsche Engagement förmlich aufdrängen. In Washington wollte man die ISAF eigentlich auf Kabul beschränkt sehen, um im Land unter dem OEF-Mandat weiter ungestört die Taliban bekämpfen zu können. Schließlich stimmte die USRegierung zu, da sie immer mehr Kräfte in den Irak verlegen musste und eine Entlastung in Afghanistan daher wünschenswert erschien. Im Oktober 2003 übernahm die Bundeswehr ein US-Lager in Kunduz im Norden des Landes. Die Gegend wurde bewusst gewählt, um einem Kampfeinsatz möglichst aus dem Weg zu gehen.145 633
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Wenngleich sich nach über zehn Jahren Erfahrung mit Auslandseinsätzen in der taktisch-technischen Abwicklung mittlerweile eine gewisse Routine eingespielt hatte, hinterfragten etliche Soldaten die Sinnhaftigkeit solcher Missionen. »Vor allem älteren Soldaten geht es dabei weniger um die militärische Dimension, als vielmehr um die politische Zielsetzung der jeweiligen Einsätze und ihre erfolgreiche Realisierung im Rahmen eines Gesamtkonzeptes«, hieß es 2004 im Jahresbericht des Beauftragten für Erziehung und Ausbildung. Damit war vor allem die Operation in Afghanistan gemeint, wo den Soldaten die Fortschritte allzu gering erschienen. Enttäuscht zeigten sie sich, wenn selbst Mitglieder des Verteidigungsausschusses des Bundestags nur mit allgemeinen Floskeln wie »Wir haben da ureigenste Interessen« auf die Fragen der Offiziere antworteten.146 Brigadegeneral Walter Spindler, der 2004 die Deutsch- 635
Französische Brigade in Kabul führte, war geradezu verblüfft von der Ahnungslosigkeit mancher Abgeordneter, die ihn unbelastet von jeglichem Wissen über die ISAF-Mission in der afghanischen Hauptstadt aufsuchten.147 Für die Offiziere war das frustrierend. In keiner Rede eines Politikers durfte das Stichwort von der Parlamentsarmee fehlen. Doch viele Parlamentarier selbst aus dem zuständigen Fachausschuss waren nicht imstande, den Auftrag klar zu formulieren. »Bei Auslandsreisen werden durch die Politik in Ermangelung von Gesamtkonzepten und anderen Lösungsansätzen Soldaten als ›Kompensation‹ angeboten«148, so der Eindruck bei manchem vor Ort. Offenkundig gab es auch im vierten Jahr der ISAF-Mission ein Strategiedefizit, das die Soldaten vermehrt spürten. Im Rückblick wird deutlich, dass die internationale Staatengemeinschaft der Kultur und Geschichte Afghanistans viel zu wenig Rechnung trug. Aus heutiger Sicht ist zweifelhaft, ob sich der Balkan-Ansatz einer Staatenbildung von oben überhaupt auf Afghanistan übertragen ließ. Das Land war viel zu zerstritten und gespalten, als dass ein solcher Prozess wirklich hätte funktionieren können. Allzu vielen Warlords, Clanchefs und Provinzfürsten war die Idee der Loyalität zu einem Staat und seinen Rechtsprinzipien fremd, auch wenn sie nichts mit den Taliban gemein hatten. Die Herrschaft der Radikalislamisten war zwar in den meisten Regionen zusammengebrochen, sie waren aber noch nicht endgültig geschlagen. Zudem verfügten sie in Pakistan über Rückzugsorte und Rekrutierungsgebiete und konnten so in ihren traditionellen Hochburgen im Süden und Osten Afghanistans den Kampf fortsetzen. Es muss Spekulation bleiben, ob zu diesem frühen Zeitpunkt eine Einbindung der Taliban möglich gewesen wäre. Aber ohne zumindest den 636
Versuch unternommen zu haben, sie im Moment ihrer größten Schwäche in die Aufbaupläne der ISAF-Mission einzubinden, stand der Stabilisierungsprozess von vornherein auf einem wackligen Fundament. Es war ohnehin schon eine enorme Herausforderung, effektive staatliche Strukturen und nicht zuletzt Armee und Polizei in einem Land aufzubauen, in dem über siebzig Prozent der Bevölkerung Analphabeten waren.149 2001 hatte es noch geheißen, dass die internationale Gemeinschaft das Land mit erheblichen Geldmitteln unterstützen würde, wenn die Bereitschaft der Afghanen zum Frieden zu erkennen sei. Auf der Petersberger Konferenz war dieser Wille bei den dort versammelten Exil-Gruppen auch vorhanden. Aber die Realität im Land war eine andere. Und als die ISAF-Nationen einmal vor Ort waren, fehlte eine Exit-Strategie für den Fall, dass es mit dem Friedenswillen der Afghanen doch nicht so weit her war. Aus heutiger Sicht ist bemerkenswert, mit welchem Brustton der Überzeugung die NATO sich seit 2003 in einer so schwierigen Mission engagierte und dabei das durchaus vorhandene Expertenwissen über das Land weitgehend ignorierte. Obwohl auch das politische Berlin der Ansicht war, dass es sich vor allem um eine Wiederaufbaumission handelte, war die Bundeswehr von Anfang an der wichtigste deutsche Akteur im Land. Das Innenministerium unterstützte 2002 mit gerade einmal sechzehn Polizisten die Aufstellung der afghanischen Nationalpolizei.150 Die Zahl der Beamten blieb bis Mitte 2009 deutlich unter 100 und war angesichts der vollmundigen Verpflichtung, beim Aufbau der afghanischen Polizei Leitnation sein zu wollen, lächerlich gering. Auch das Engagement des Auswärtigen Amts sowie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und 637
Entwicklung (BMZ) blieb angesichts der Größe der Aufgabe bescheiden. Obwohl die Politik stets den zivilen Charakter der Operation unterstrich, überließ man das Feld weitgehend dem Verteidigungsministerium. Es war allerdings auch das einzige Ressort, das sofort eine größere Zahl an Personal an den Hindukusch verlegen konnte. Die Zivilmacht Deutschland hatte ihre zivilen Ressourcen zur Krisenbewältigung offensichtlich schlecht entwickelt. Und noch schlimmer: Es gab noch nicht einmal ein strategisches Konzept aus dem Kanzleramt, welche Ziele auf welchem Weg erreicht werden sollten. Lediglich Bündnissolidarität zu beweisen und so den Einfluss der Bundesrepublik zu unterstreichen war keine Strategie für den Einsatz in Afghanistan. Diese wurde jenseits schwammiger Formulierungen im Übrigen auch nicht im Bundestag eingefordert. Die Parlamentarier begnügten sich im Wesentlichen mit der Kontrolle der operativen Bedingungen und projizierten je nach politischer Ausrichtung ganz eigene Erwartungen in das deutsche Engagement. Das Kanzleramt versäumte es zudem, für eine klare Missionsstruktur zu sorgen, sodass niemand auf deutscher Seite die Gesamtverantwortung trug. Angesichts der mangelnden Koordination einer Vielzahl staatlicher Akteure, zu denen bald noch ein bunter Strauß von Hilfsorganisationen hinzukam, konnte es auch keine Einigkeit etwa bei der Vergabe von Aufbauprojekten geben. Erst 2006 stellte das Verteidigungsministerium in einem Weißbuch das Konzept der »vernetzten Sicherheit« vor.151 Darin hieß es, dass »zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung« von einem alle Bundesministerien umfassenden Ressortkreis umgesetzt würden. Das klang in der Theorie sinnvoll, doch in der Praxis war eine Koordinierung zwischen dem von der CDU geführten 638
Verteidigungsministerium und dem von der FDP geführten Auswärtigen Amt schon deshalb schwierig, weil die Bundesregierung keine ressortübergreifende Diskussion über eine Afghanistan-Strategie führte. Ein klärendes Wort der neuen Kanzlerin Angela Merkel gab es nicht, auch keine Festlegung auf gemeinsam zu erreichende Ziele.152 Ein großer diplomatischer Erfolg war es dann aber, dass die NATO auf ihrem Gipfel in Bukarest 2008 den vernetzten Ansatz übernahm.153 Auf diese Weise wurden der Militäreinsatz der Amerikaner und der State-building-Ansatz der UNO erstmals zu einem gemeinsamen Konzept zusammengeführt. Vor Ort in Afghanistan haperte es freilich mit der Umsetzung. Die Soldaten, Diplomaten und Entwicklungshelfer bemühten sich redlich, ihren Auftrag so gut wie möglich zu erfüllen. Tatsächlich gab es mit den Provincial Reconstruction Teams (PRT) auch eine vielversprechende Struktur. Die PRTs hatten einen militärischen und einen zivilen Leiter und sollten ressortübergreifende Aufbauarbeit in den afghanischen Provinzen leisten. Sie wurden zwischen 2004 und 2006 im ganzen Land aufgebaut, wobei das PRT Kunduz das größte war.154 Die deutschen Soldaten trafen im Januar 2004 in Kunduz ein. Das Personal reichte freilich noch nicht einmal dazu aus, ein Lagebild zu erstellen. Die Bundeswehr war in den ersten Jahren vor allem mit Selbstorganisation und Selbstschutz befasst und vermied es daher, in die örtlichen Strukturen einzugreifen. Die Kooperation mit den anderen Ressorts blieb überschaubar, da diese im Raum Kunduz personell kaum präsent waren, was die Idee der PRTs ad absurdum führte. 2006 waren gerade einmal zehn zivile Mitarbeiter der einschlägigen Ministerien vor Ort, aber 450 Soldaten. Das 639
BMZ stellte überhaupt erst im Juni 2008 einen Repräsentanten ab. Hinzu kamen Probleme mit der Unterordnung der zivilen Teile des PRT unter das militärisch geführte ISAFHauptquartier, der etwa die Mitarbeiter des Auswärtigen Amts nicht ohne Weiteres Folge leisten wollten.155 Angesichts der schwachen Kräfte handelte es sich um wenig mehr als Symbolpolitik. Man hoffte im politischen Berlin wohl, dass sich in Afghanistan alles irgendwie von selbst regeln werde. Die ursprünglich gestellte Aufgabe – Aufbau demokratischer Strukturen und Unterstützung guter Regierungsfähigkeit der Region – war von der Bundeswehr allein schlicht nicht zu erfüllen. Ohne die »notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten«156 war sie mit einer im Grunde unlösbaren Aufgabe konfrontiert, zumal die anderen Ressorts nur von 2010 bis 2012 die notwendigen Mittel zur Verfügung stellten. Die Politik ließ die Kommandeure des PRT Kunduz letztlich mit einem unrealistischen Mandat allein. Ihnen blieb daher kaum mehr übrig, als zu improvisieren. 2006 übernahm die Bundeswehr die Verantwortung für den ganzen Norden Afghanistans, eine Region knapp halb so groß wie die Bundesrepublik, in der etwa 6,7 Millionen Menschen lebten. Aus politischer Perspektive war dies zweifellos ein wichtiger Schritt, weil man so die Rolle als eine der Leitnationen des ISAF-Einsatzes unterstrich. Das Kommando im vergleichsweise ruhigen Norden zu übernehmen war zugleich ein Argument, sich den immer lauter werdenden Forderungen zu entziehen, Truppen in den heftig umkämpften Süden abzustellen. In Berlin fürchtete man nichts mehr als das Hineingleiten in einen Krieg. Demonstrativ wurde daher der beachtliche Umfang der deutschen Mission herausgestellt und gleichzeitig allen Hilferufen der Allianzpartner nach Truppenverstärkungen eine Absage erteilt. Dafür nahm die 640
Regierung in Kauf, dass die Kommentare der Alliierten immer garstiger wurden. »Es sei höchste Zeit, dass die Deutschen ihre Schlafplätze verließen und lernten, Taliban zu töten«, meinten kanadische Offiziere. Die Verbündeten wollten am liebsten »ein deutsches Grenadier-Bataillon in Kandahār sehen«157. Gleichwohl stellte Berlin lediglich sechs Tornado-Aufklärer zur Verfügung. Genau entgegengesetzt verhielten sich die Niederländer. Sie übergaben ihr im deutschen Einsatzgebiet gelegenes PRT in der Provinz Baghlan 2006 an die Ungarn, verlegten ihre Truppen ins Regionalkommando Süd und zogen an der Seite von Briten und Kanadiern in die Schlacht. Dabei ging es wohl auch darum, die Scharte von Srebrenica auszuwetzen. Seitdem war das holländische Militär immer wieder mit dem Vorwurf der Feigheit konfrontiert worden. Nun wollten die Niederländer beweisen, dass sie kämpfen konnten. Die Bundeswehr hatte unterdessen das Hauptquartier des Regional Command North158 in Masar-e Sharif aufgeschlagen. Bis zu achtzehn weitere Nationen stellten in dieser Region kleinere Truppenteile, vor allem Norweger, Schweden und Ungarn. Die Deutschen konzentrierten sich ganz auf ihre neue Aufgabe, zogen aus Kabul ab und überließen Camp Warehouse den Franzosen. Neben Masar-e Sharif bauten sie 2007 noch ein PRT in Faizābād im Nordosten auf. Im Zentrum der Aufmerksamkeit lag aber die Region um Kunduz, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, eines der fruchtbarsten und wirtschaftlich wichtigsten Gebiete des Landes. Die Bevölkerung zerfiel in viele Stammesgruppen, Sippen und Clans, bestehend aus Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Turkmenen und Hazara, sodass eine gemeinsame afghanische Identität kaum entwickelt war. Die Taliban bestanden im Kern aus Paschtunen159, die im Norden des Landes eine Minderheit 641
waren, im Raum Kunduz aber die Mehrheit der Bevölkerung stellten. Bei Weitem nicht alle Paschtunen waren Unterstützer der Taliban, diese fanden hier aber den größten Rückhalt – vor allem bei solchen Clanführern, die sich von der innerafghanischen Machtverteilung ausgeschlossen sahen. Neben den Taliban gab es noch etliche andere Gruppen, die gegen die Regierung in Kabul kämpften – etwa die Hizb-i Islami Gulbuddin (HIG), die älteste islamistische Partei Afghanistans. Eine weitere wichtige Widerstandsgruppe war die Islamische Bewegung Usbekistan (IBU), in deren Reihen Usbeken, Tadschiken, Turkmenen und Tschetschenen fochten. Die Bundeswehr sprach in ihrem Schriftverkehr daher bald nicht nur von Taliban, sondern zutreffender von Insurgents – Aufständischen. Als die Alliierten 2006 ein deutsches Engagement im hart umkämpften Süden forderten, waren auch der Norden und vor allem die Provinz Kunduz schon nicht mehr ruhig, und die wenigen Kräfte der Bundeswehr wurden hier dringend gebraucht. Es gab jeden Monat Anschläge mit selbst gebastelten Sprengkörpern, von Selbstmordattentätern und auch durch Beschuss mit Handfeuerwaffen oder Panzerfäusten. Die Bundeswehr ging von vier bis fünf bewaffneten Insurgent-Gruppen mit je drei bis acht Mann aus und wusste, dass diese mit den Taliban in Südafghanistan und in Pakistan in Kontakt standen. Man hatte also mit nicht mehr als zwanzig bis dreißig Männern zu tun, die vor allem in der Gegend um Kunduz Unruhe verbreiteten und jederzeit blutige Anschläge verüben konnten. So überstand eine deutsche Patrouille nur mit Glück am 27. Juni 2006 den Anschlag eines Selbstmordattentäters, bei dem zwei afghanische Zivilisten umkamen. Einen Tag später wurden Bundeswehrsoldaten beschossen und drei von ihnen leicht verletzt. Die Deutschen 642
reagierten auf diese Vorfälle sehr empfindlich, igelten sich in ihrem Lager ein und waren fortan nur noch mit gepanzerten Fahrzeugen unterwegs. Nach dem Anschlag dauerte es sechs Wochen, bis sich wieder eine Fußpatrouille aus dem Feldlager wagte. Die Taliban konnten also mit relativ geringem Aufwand den Bewegungsspielraum der Bundeswehr massiv einschränken. Den Amerikanern war diese Haltung zu passiv. Freilich war bald auch den Verantwortlichen auf deutscher Seite klar, dass der Auftrag des PRT nur mit einem aktiveren Vorgehen erfüllt werden konnte. Vom Feldlager aus ließ sich das nicht bewerkstelligen. Es war unumgänglich, möglichst viel in der Region präsent zu sein. Das ISAF-Hauptquartier in Kabul drängte darauf, »härter zuzuschlagen«, und auch der deutsche Kommandeur des Regional Command North sah die Hauptaufgabe der Soldaten in Kunduz nach den Anschlägen in der Bekämpfung der Opposing Militant Forces (OMT). »Ich weiß nicht, wie und mit welchen Mitteln das geschehen soll. Das PRT ist dazu kaum in der Lage. Sollen unsere Soldaten in die Dörfer gehen und Taliban suchen und erledigen? Hier bleiben wir auf Reaktion beschränkt, die allerdings massiv und aggressiv sein sollte. Nur wenn wir der Bevölkerung Sicherheit und Recht garantieren, können wir die Strukturen aufbrechen, in denen sich OMT und Taliban so geschützt bewegen können«, schrieb ein deutscher Stabsoffizier des PRT Kunduz im August 2006 in sein Tagebuch.160 Sicherheit und Recht zu garantieren war allerdings leichter gesagt als getan. Es erschien schon als ein Ding der Unmöglichkeit, die vielen lokalen Milizen zu entwaffnen. Die meisten verhielten sich zwar neutral, waren weder für noch gegen die Regierung, verfolgten aber ihre eigenen Interessen, vor allem im Drogenhandel. Sie händigten allenfalls alte Waffen aus, ließen 643
sich aber ihre Kampffähigkeit nicht nehmen. »Das Einsammeln von Waffen ist in diesem Land ohnehin vergebliche Liebesmühe. Nicht die Waffen, die Köpfe sind das Problem«161, so der erwähnte Stabsoffizier. Das komplexe Beziehungsgeflecht der Stammesfürsten und Clanchefs war für die Deutschen nur schwer zu durchschauen. Und selbst wenn dies durch das militärische Nachrichtenwesen und den BND gelang, blieb die Frage »Was tun?« immer noch nicht gelöst. Man hatte es zuweilen mit Polizeichefs zu tun, die Kinder entführten und illegale Checkpoints errichteten, um Geld einzutreiben; mit Gouverneuren, von denen es hieß, sie hätten in ihrem Palast Leute erschießen und eine Ehefrau blenden lassen. Es konnte auch passieren, dass Milizenführer, die auf der Target List von ISAF und OEF standen, putzmunter auf offiziellen Empfängen inmitten der High Society von Kunduz erschienen. Deutsche Offiziere mussten dann nicht nur dem Gouverneur, Polizeichef oder Bürgermeister zuprosten, sondern auch obskuren Lokalfürsten, die den deutschen Soldaten Hinterhalte legen ließen, aber auch unliebsame Talibangruppen an den afghanischen Geheimdienst NDS verrieten. Die Sache war zuweilen so skurril, meinte ein deutscher Stabsoffizier, dass sie wegen des mitunter spielerischen Umgangs mit Risiko, Kampf und Gefahr schon wieder etwas Faszinierendes hatte. US Special Forces nahmen 2006 etwa Amir Gul gefangen, einen ehemaligen Taliban, der sich im letzten Moment auf die Seite der Regierung gestellt hatte, aber immer noch in Anschläge verwickelt war. Auf Veranlassung von Präsident Hamid Karzai wurde er sogleich wieder freigelassen und spielte auch in den Folgejahren eine höchst zwiespältige Rolle. Wie sollten tragfähige Regierungs- und Sicherheitsstrukturen aufgebaut werden, fragte man sich im PRT Kunduz, wenn der 644
Präsident und seine Minister in Kabul nach westlichen Maßstäben zutiefst korrupt waren und sich ihre Macht zu sichern suchten, indem sie den lokalen Machthabern ihre Pfründe ließen? Weder die Bundeswehr noch die zivilen Hilfsorganisationen konnten solche Netzwerke aufbrechen. Demokratische Strukturen zu schaffen – als Ziel der Mission wurde dies in schön bebilderten PowerPoint-Briefings stets genannt – war angesichts dieser Lage illusorisch. Gleichwohl versuchten die Soldaten, bis in die entlegensten Gebiete der Region vorzudringen. Manche Dörfer hatten seit Jahren keinen Besuch eines Regierungsbeamten erhalten. Die Bundeswehr baute in diesen Gegenden beispielsweise Schulzelte auf und verteilte Unterrichtsmaterialien. Doch das war »noch nicht einmal der Tropfen auf dem heißen Stein«. Damit die Menschen Vertrauen in ihren Staat bekamen, musste letztlich die Regierungsfähigkeit der afghanischen Behörden verbessert werden. »Wie im Mittelalter müssten sie ständig umherreisen und zu den Leuten gehen, da die Leute so schwer zu den Behörden kommen«162, heißt es im Tagebuch des Stabsoffiziers aus Kunduz. Doch wie sollte man eine Verwaltung aufbauen, wenn zumeist die Bereitschaft fehlte, solche westlichen Strukturen überhaupt anzunehmen? Die Bundeswehr war trotz der zahlreichen Projekte, die sie unterstützte, mit ihren Aufträgen vollkommen überfordert. Manche Patrouillen wurden heftig mit Steinen attackiert, denn längst nicht überall waren Schulzelte willkommen. »Was auch immer die Bevölkerung denken mag, uns vertrauen tut sie nicht«, notierte der Stabsoffizier im Juli 2006.163 Dabei wurde von vielen verschiedenen Stellen viel Aufwand mit dem zivilen Wiederaufbau betrieben: Zwischen 2004 und 2006 flossen über 49,5 Millionen US-Dollar 645
Entwicklungshilfe in den Norden Afghanistans. Deutschland finanzierte davon 39 Millionen. Das PRT Kunduz hatte 2006 3,6 Millionen Euro für Projekte der zivil-militärischen Zusammenarbeit zur Verfügung. Wasseraufbereitung, der Bau von Straßen und Schulen gingen voran. Auch die Wirtschaft schien langsam in Schwung zu kommen.164 Eine beeindruckende Zahl von Nichtregierungsorganisationen war vor Ort, allen voran die Welthungerhilfe und die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Freilich hatten die zivilen Akteure ebenso ihre selbstreferenzielle Logik wie die Bundeswehr. So bekam ein Entwicklungsberater des BMZ mitgeteilt: »Sie sollen nicht helfen, sondern ›Projekte‹ beginnen!«165 Es ging oftmals um »Leuchtturmvorhaben«, die zu Hause gut vorzeigbar waren, und nicht um die meist viel wirkungsvolleren kleinen Hilfen, die sich aber schlechter vermarkten ließen. So konnte es vorkommen, dass man eine Schule baute und mit modernen Computern ausstattete, dann aber feststellen musste, dass die notwendige Stromversorgung fehlte. »Anstatt mit Tafeln zu arbeiten, muss auf Teufel komm raus die ›Zukunft‹ aufgebaut werden. […] Profilierungssüchte, wo man hinschaut«166, klagte ein Stabsfeldwebel. Gewiss waren manche Clanchefs erfreut über die bessere Infrastruktur, die ihnen die Deutschen bescherten.167 Doch nicht wenige betrachteten die ISAF und die internationalen Organisationen als eine Art nie versiegenden Geldautomaten. »Wir müssen diese Leute förmlich dazu zwingen, für ihre Stadt etwas zu tun. Hauptsache ihr Säckel ist und bleibt gefüllt. […] Unglaubliche Ignoranz gegenüber dem Notwendigen sowie dem Machbaren«168, beklagte das ein Soldat, der in Masar-e Sharif im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit tätig war. Als im Juni 2008 ein ungarischer Soldat ums Leben kam, notierte er in sein Tagebuch: »Die Totenglocke läutete und ließ 646
Nachdenklichkeit aufkommen. Dazu ein heißer Wüstenwind, sonst Stille. In diesen Momenten frage ich mich wofür. Ich bin nicht mehr überzeugt, dass wir jemals hier den nachhaltigen Erfolg haben werden, den unsere Politik versucht in der Heimat zu suggerieren. Was nützt es, den einfachen Menschen auf dem Lande zu helfen, und wir paktieren mit zwielichtigen Gouverneuren und suggerieren eine heile Welt. […] Eine so große Geldvernichtungsmaschinerie habe ich noch nicht erlebt.«169 Letztlich standen die Deutschen vor denselben Problemen wie viele Entwicklungshelfer in afrikanischen Ländern, wo sich mit Millionen von Euro vielerorts die schlimmste Not lindern ließ, sich die Mentalitäten aber nur sehr langsam veränderten, der Aufbau eines funktionierenden Staatswesens nur schleppend vorankam und der Rückfall in Krieg und Gewalt immer möglich war.170 Die Sicherheitslage verschärft sich Die Entwicklungsprojekte brauchten ein sicheres Umfeld. Der Kommandeur des PRT Kunduz, Oberst Gerhardt Brandstetter, schickte also Tag und Nacht Patrouillen aus. Zuweilen führte er regelrechte Operationen durch und schickte fünf Trupps gleichzeitig los. Es galt, mögliche Angreifer abzuschrecken und zu stören. Er hatte für diese Aufgabe insgesamt 450 Soldaten zur Verfügung. Davon waren allerdings nur gut 120 als Infanteristen, Feldjäger und Berater der afghanischen Armee einsetzbar. Der Rest war mit Versorgungs-, Verwaltungs- und Aufklärungsaufgaben im Lager befasst. Die Bundeswehr operierte oft allein, manchmal aber auch zusammen mit den »vormodernen Kriegern«171 der afghanischen Armee (ANA) und der Polizei (ANP). 647
Gelegentlich wurden die deutschen Patrouillen kurz beschossen. Man erwiderte dann das Feuer, aber die Aufständischen wichen sofort aus und waren rasch über alle Berge. Über deren Verluste gab es meist nur Gerüchte. Ein frustrierendes Geschäft, Erfolgserlebnisse waren rar. »Wäre schön, einen erwischt zu haben, muß man doch sagen«172, notierte ein Stabsoffizier im November 2006 nach einem Gefecht in sein Tagebuch. Immerhin hob der afghanische Geheimdienst zuweilen Waffenlager und Sprengstofffallen aus, und die Polizei nahm auch mal einen Verdächtigen fest. Doch was die afghanischen Behörden unternahmen und warum, blieb den Deutschen meist verborgen. Unklar war oft auch, ob sich die Dinge wirklich so zugetragen hatten, wie es etwa vom afghanischen Geheimdienst (NDS) berichtet wurde. An die entscheidenden Hintermänner kam man ohnehin nicht heran. Das PRT wusste wohl, dass unter den 250 000 Flüchtlingen, die aus den Südprovinzen und aus Pakistan allmählich in den Norden zurückkehrten, auch etliche Taliban waren. Diese verstanden es, unter den vielen arbeits- und perspektivlosen Rückkehrern Kämpfer zu rekrutieren. Und beim PRT reichten die Kenntnisse nicht aus, um den Aufbau neuer Widerstandszellen zu verhindern. Ein grundlegendes Problem war gewiss auch, dass von den deutschen Offizieren niemand die Landessprachen beherrschte. Und längst nicht alle Englisch-Dari-Dolmetscher, auf die man daher dringend angewiesen war, übersetzten gut, manche galten sogar als Sicherheitsrisiko. Zudem war die Einsatzdauer der Stäbe mit vier bis sechs Monaten eigentlich zu kurz. Bis sich ein Kommandeur eingearbeitet und zu den lokalen Größen Vertrauen aufgebaut hatte, war die Zeit beinahe schon wieder vorbei.173 Die zivilen Leiter der PRTs aus dem Auswärtigen Amt waren mindestens ein, maximal zwei Jahre vor Ort. Eine solche Dauer hielt die Bundeswehr nicht für zumutbar. Mit 648
jedem Kontingentwechsel ging Wissen verloren, in gewisser Weise musste jedes Mal das Rad neu erfunden werden. Über die zivil-militärische Zusammenarbeit im Raum Masar-e Sharif schrieb ein Stabsfeldwebel im Mai 2008 in sein Tagebuch: »Wir wissen hier rein gar nichts. Und das seit über 6 Jahren. Es gibt keine Kontinuität in der CJ9 [zivilmilitärischen Zusammen-] Arbeit. Datenbänke nicht vorhanden. Rudimentäre Exceltabellen, kaum auf dem neuesten Stand, doppelt und dreifach abgespeichert. Wir sind nicht in der Lage, Prognosen abzugeben.«174 In der Operationsführung und dem militärischen Nachrichtenwesen war es oftmals ähnlich. Zur mangelnden Kontinuität trug auch bei, dass sich die Kompetenzen der Kommandeure und ihrer Offiziere erheblich unterschieden. Neben ausgesprochenen Troupiers und erfahrenen Generalstäblern wurden auch Offiziere eingesetzt, die eher aus sachfernen Verwendungen kamen und mit der Führung multinationaler Verbände in einem so komplexen Umfeld heillos überfordert waren. Vor allem verwundert es, dass nur die Soldaten im Bereich des militärischen Nachrichtendienstes Sprachunterricht erhielten, nicht aber die Kommandeure der PRTs. Und selbst den Interkulturellen Einsatzberatern wurde das an sich unerlässliche Studium einer Landessprache oft verweigert. Neben dem unzureichenden Wissen um Land und Leute stand sich die Bundeswehr mit ihrer Auslegung der ISAF Rules of Engagement zuweilen selbst im Weg.175 Diese sahen etwa vor, dass die internationalen Truppen Aufständische festnehmen konnten. Da es sich nicht um einen Staatenkrieg handelte, galten sie nicht als Kriegsgefangene, sondern als Häftlinge, für deren Behandlung es selbstverständlich ebenfalls Regeln gab. Allerdings galten diese als 649
undurchdringlicher Dschungel, weshalb das deutsche Einsatzführungskommando die Weisung erteilte, nicht selbstständig und allein Aufständische zu ergreifen, sondern nur zusammen mit afghanischen Sicherheitskräften oder den Amerikanern. Entscheidend war, dass die Person niemals ausschließlich in deutscher Hand war, sodass Deutschland nicht zur Gewahrsamsmacht mit allen rechtlichen Folgen wurde. Brachten die Amerikaner einen verwundeten Gefangenen ins PRT zur medizinischen Versorgung, dann musste ein Amerikaner die gesamte Zeit beim Gefangenen bleiben, damit nicht der Eindruck entstehen konnte, der Gewahrsam wäre auf die Deutschen übergegangen.176 Man wollte sich also ganz und gar auf die Wiederaufbauarbeit konzentrieren und jede Involvierung in die Konflikte vermeiden. Doch wie sollte die Bundeswehr für Sicherheit sorgen, wie es der Auftrag vorschrieb, wenn sie identifizierte Taliban nicht dingfest machen durfte? Sinnvoll war das kaum, und vor Ort wurde dann auch mal weggeschaut, wenn die deutschen Verbindungsteams177 der afghanischen Armee bei einer Festnahme dabei waren. Auch die deutschen Weisungen, keine offensiven Aktionen durchzuführen, begrenzten die Operationen des PRT erheblich. »Hoffentlich wissen die Taliban das nicht«, unkte ein Offizier und meinte, dass wir »verlogen operieren« und noch »weit […] von einer echten Einsatzarmee entfernt sind«.178 Trotz aller Schwierigkeiten waren die offiziellen Lageberichte 2006 noch recht hoffnungsvoll. Als etwa die Obleute des Verteidigungsausschusses zu Besuch kamen, gab sich das PRT Kunduz überzeugt, seinen Auftrag erfüllen zu können. Die Soldaten würden sich mit ihrem Auftrag identifizieren, und die Materialausstattung sei gut. Dies war gewiss nicht falsch, aber private Aufzeichnungen 650
dokumentieren deutliche Zweifel. Ein Stabsoffizier fragte sich: »Können wir hier mit vielleicht 40 000 Soldaten in Afghanistan, was die Amerikaner im Irak mit 130 000 Soldaten nicht schafften? Umso länger man über unsere Möglichkeiten, die Fähigkeiten der Gegner und die Lage nachdenkt, umso mehr drängt sich der Eindruck auf, daß die Verbesserung von Regierungs- und Verwaltungstätigkeit der Schlüssel ist. Kann man das mit den jetzigen Leuten? Gibt es überhaupt eine Alternative?«179 Man wusste, dass man mit den verfügbaren Mitteln die Aktivitäten der Aufständischen nicht beenden, sondern nur erschweren konnte. »Nichts ist gelöst oder entschieden«180, notierte ein Stabsoffizier in Kunduz im September 2006 in sein Tagebuch. Immerhin konnte die Führung des PRT zufrieden sein, dass die Zahl der Anschläge im zweiten Halbjahr 2006 deutlich niedriger war als in den sechs Monaten davor. Und doch waren sich sowohl das PRT in Kunduz als auch das Einsatzführungskommando in Potsdam sehr bewusst, dass sich die Lage im Norden Afghanistans im Vergleich zu den Vorjahren grundlegend verschlechtert hatte.181 Dies wurde auch dem Generalinspekteur gemeldet, versickerte aber offenbar im politischen Raum. Die Äußerungen des Verteidigungsministers blieben von realitätsfernem Optimismus gekennzeichnet. Die Hoffnungen auf eine grundlegende Verbesserung der Lage erfüllten sich nicht. Im Gegenteil: 2007 waren die Taliban aktiver denn je. Ein Selbstmordattentäter tötete am 19. Mai auf dem Markt von Kunduz drei deutsche Soldaten, die gerade zum Einkaufen in die Stadt gefahren waren. Seit September 2007 wurde das Feldlager mit alten sowjetischen Raketen beschossen. Die waren zwar nicht sehr zielgenau, und manche explodierten nicht.182 Aber die Bedrohung war erheblich, und es schien nur eine Frage der Zeit, bis es zu den 651
ersten Verlusten kommen würde. Zunächst ertrug die Bundeswehr den Beschuss geradezu stoisch und blieb weitgehend passiv; das Feldlager wurde in eine Art Festung verwandelt, Bunker wurden errichtet, um die Soldaten zu schützen. Doch diese wollten den Gegenschlag. »Spätestens nach dem zweiten Bunkeralarm entwickelt auch der größte Philanthrop blutige Rachegelüste. Die militärisch einfachste Lösung, die hier von den Soldaten auch favorisiert wird, ist der groß angelegte Artillerie-Gegenschlag«183, schrieb ein Soldat nach Hause. Allerdings war es technisch nicht möglich, die Abschussstellen exakt zu orten, sodass die Angreifer mit den vorhandenen Mörsern nicht bekämpft werden konnten, ohne Zivilisten in Gefahr zu bringen. Immerhin erhielt das PRT Kunduz Verstärkung, und die nächtlichen Fußpatrouillen der Fallschirmjäger konnten den Raketenbeschuss deutlich verringern. Aber einen der Übeltäter dingfest zu machen gelang nicht. Es durfte auch nur auf diejenigen Afghanen das Feuer eröffnet werden, von denen eine direkte Bedrohung ausging. Machte sich ein Taliban oder ein einfacher Bauer nach dem Abschuss einer dieser 107-mm-Raketen auf den Weg zurück in sein Dorf, durfte man ihn nicht mehr behelligen. Dieses bizzare Vorgehen war das Ergebnis der deutschen Vorbehalte gegenüber den ISAF Rules of Engagement. Die Rechtsberater des Verteidigungsministeriums interpretierten den Einsatz in Afghanistan nämlich nicht als bewaffneten Konflikt und orientierten sich daher am deutschen Polizeirecht. Demnach durfte auf Fliehende nicht das Feuer eröffnet und Waffengewalt nur nach einem Warnruf angewandt werden. Die deutsche Interpretation der Einsatzregeln wurde auf einer mehrseitigen Taschenkarte zusammengefasst. Allerdings waren die dortigen 652
Erläuterungen doppeldeutig abgefasst. Einerseits wurde den eigenen Truppen größtmögliche Zurückhaltung auferlegt. Andererseits gab es Formulierungen, die eher im Sinne der Verbündeten zu lesen waren, die die aktive Bekämpfung des Gegners für selbstverständlich hielten.184 Im Verteidigungsministerium gab es zu dieser Zeit unterschiedliche Auffassungen vom Charakter des deutschen Afghanistan-Einsatzes. Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan wollte um jeden Preis den Schein der Peacekeeping-Operation aufrechterhalten: keine schweren Waffen, kein offensives Operieren, sondern konsequente Beschränkung auf die Aufbauhilfe. Wenn man von dieser Linie abweiche, würde man in einen gewaltsamen Konflikt hineingezogen, den man nicht gewinnen könne und der die innenpolitische Unterstützung kosten werde. Es gab aber auch andere Stimmen, etwa von Heeresinspekteur Hans-Otto Budde, der dafür plädierte, endlich die Lage vor Ort anzuerkennen und die Taliban offensiver und aggressiver zu bekämpfen. Die Meinungsverschiedenheiten gingen quer durch die politischen Lager, bei den Zivilisten wie den Offizieren. Im Kern ging es wieder einmal darum, ob man die Streitkräfte vom Frieden oder vom Krieg her dachte. Schneiderhan, SPD-nah und intellektueller Feingeist, hatte für den militärischen Habitus vieler Offiziere nicht viel übrig. Im kleinen Kreis nannte er Hans-Otto Budde auch mal »den Fahnenjunker«. Budde war konservativ und ein in der Wolle gefärbter Wildeshausener Fallschirmjäger. Vor seinem Amtsantritt als Inspekteur des Heeres hatte er in einem Interview mit der Welt erklärt: »Wir brauchen den archaischen Kämpfer und den, der den High-Tech-Krieg führen kann.«185 Budde dachte die Streitkräfte auch vom Kampf her, während Schneiderhan den Geist des politischen Berlins 653
verkörperte. Minister Franz Josef Jung hielt sich in dieser Lage an den Generalinspekteur. Beide trennte zwar das Parteibuch, aber der unsichere Minister dachte strikt in Hierarchien. Er führte keine Vieraugengespräche mit den Inspekteuren oder seinen Stabsabteilungsleitern, sodass Schneiderhan aus einer starken Stellung heraus den Informationsfluss zum Minister dosieren konnte und die Hilferufe von der Front spätestens in seinem Büro versandeten. Jung hatte zweifellos ein Herz für die Soldaten und nahm deren Sorgen ernst. Er wollte Kanzlerin Merkel keinen Ärger machen und hielt daher am Narrativ der »friedlichen Entwicklung« fest. Er hätte aber auch nicht das Gewicht gehabt, sich im Kabinett und gegen den Generalinspekteur für einen Politikwechsel in Afghanistan einzusetzen.186 Dies hätte vorausgesetzt, im Sinne des Weißbuchs alle involvierten Ministerien zu deutlich größerem Engagement und engerer Zusammenarbeit zu veranlassen sowie die militärische Lage anzuerkennen. Am Hindukusch konnten Soldaten allein die Wende gewiss nicht bringen. Die Möglichkeiten der Deutschen, das eigentliche Problem, nämlich die Herrschaftskonflikte verfeindeter Clan- und Milizenführer im Norden Afghanistans, zu lösen und über politischen oder wirtschaftlichen Druck etwa einen Ausgleich zwischen Taliban-Kommandeuren und Provinzgouverneur Mohammed Omar herbeizuführen, waren sehr begrenzt. So scheiterte selbst Außenminister FrankWalter Steinmeier damit, bei der Regierung in Kabul Omars Ablösung zu erreichen. Ohne zusätzliche Soldaten konnten die Deutschen vor Ort erst recht nichts ausrichten, weil sie sich über kurz oder lang gar nicht mehr bewegen konnten und damit auch das restliche Vertrauen der Bevölkerung verloren. 654
Doch das Verteidigungsministerium blieb passiv und lief fortan der Entwicklung hinterher. Das bekamen auch die Norweger zu spüren, die die Quick Reaction Force (QRF) des Regional Command North stellten, also jene schnelle Eingreiftruppe, die dorthin geschickt wurde, wo es brenzlig war. Als die Truppe im Mai 2008 gegen Taliban im Distrikt Ghormach im äußersten Nordwesten vorging (Operation Karez), wurde die in Aussicht gestellte Unterstützung durch deutsche Soldaten aus fadenscheinigen Gründen wieder abgeblasen. Es hieß, man könne die Grenze zum italienischen Regional Command West nicht überschreiten, weil dies durch das deutsche Mandat nicht gedeckt sei.187 Die deutschen Soldaten in Masar-e Sharif kamen sich wie Drückeberger vor. Sie wollten zusammen mit den Norwegern einen militärischen Beitrag zur Bekämpfung der Taliban leisten. Erhebliche Frustrationen waren die Folge. Ein Stabsfeldwebel schrieb: »Wofür haben wir jahrelang Luftlandungen im Kompanie- oder Bataillonsrahmen geübt, unterstützt mit Kampfhubschraubern? Für was? Wenn wer hier in den Bergen überhaupt eine Chance hat, dann Gebirgsjäger. Wenn nicht wir, wer dann? Aber wo sind sie, die Jäger? Weggespart, wegentschieden, totgeredet. Alles im Arsch! Politik ist nur noch ein Scheiß.«188 Und weiter: »Ein unglaublicher Gesichtsverlust, den wir hier miterleben müssen. […] Wir sind alle enttäuscht. Sogar die Hilfsorganisationen […] sind ›angepisst‹. Aber die Leute, die so was entscheiden, achten nur auf ihre Wähler, opportunistische Hunde. Ich finde für dieses Desaster keine Worte.«189 Die Norweger begannen die Operation dann allein und setzten auch Gebirgsjäger ein, die in dem Gelände zu kämpfen wussten. Zwei Tage nach Beginn des Unternehmens gab 655
Minister Jung dann doch die Erlaubnis, zumindest sechzig deutsche Sanitäter und Fernmelder zur Unterstützung zu entsenden. Da war der Schaden aber schon angerichtet. Zu diesem Possenspiel passte, dass dem Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr im März 2008 ein viel gesuchter Taliban-Kommandeur bei einem Zugriff entkam, weil es nicht auf ihn schießen durfte. »The Krauts are allowing the most dangerous people to get away and are in the process increasing the danger for the Afghans and for all foreign forces here«, kommentierte ein britischer Offizier aus dem ISAFHauptquartier in Kabul empört.190 Immerhin hob der Bundestag die Obergrenze des deutschen ISAF-Kontingents im August 2008 von 3500 auf 4500 Mann an. Doch eine ehrliche Lageanalyse der Regierung, die hätte offenlegen müssen, was mit den vorhandenen Kräften überhaupt zu erreichen war, erfolgte immer noch nicht. Das PRT Kunduz erhielt in Folge der Mandatserhöhung eine Verstärkung von dreißig Infanteristen – ein Tropfen auf den heißen Stein. Im November 2008 vermerkte Oberst Rainer Buske, dass »die vorhandenen Kräfte [in Kunduz] nur ausreichen, um auf niedrigem Niveau in einem eng begrenzten Raum den Gegner zu unterdrücken. Sie reichen nicht, um nachhaltig die Lage zu verbessern und zugleich Wirkung und Effekte in entlegenen Räumen zu erzielen. Dies führt zum Verlust des Lagebildes über Akteure, Kräfte und Raum.«191 Ein verheerendes Urteil über die eigenen Möglichkeiten! Um die zivile Komponente des deutschen Engagements stand es nicht viel besser. Gewiss hatte die Bundesregierung immer wieder die Ernsthaftigkeit des comprehensive approach, des umfassenden Ansatzes, betont. Im Mai 2008 hatten alle relevanten Ministerien sogar ein gemeinsames 656
Afghanistan-Konzept vorgelegt. Es gab sich selbstzufrieden192 und verschwieg die grundlegenden Probleme mit der korrupten Zentralregierung. Außerdem redete das Dokument die Sicherheitslage schön und ließ die Probleme unbeantwortet, die sich aus dem allzu passiven Verhalten der Bundeswehr ergaben.193 Die nationalen Vorbehalte schlossen offensive militärische Maßnahmen eigentlich aus, aber genau das war die Aufgabe der Quick Reaction Force, die die Deutschen im Juli 2008 widerwillig von den Norwegern übernehmen mussten. Der offenkundige Widerspruch wurde unter den Teppich gekehrt. Immerhin stieg die Bundesregierung nun endlich massiv in die Mission am Hindukusch ein und kündigte an, von 2009 bis 2014 über 420 Millionen Euro an Wiederaufbauhilfe zu investieren.194 Die Aufwendungen des Innenministeriums für die grundlegend wichtige afghanische Polizei blieben hingegen überschaubar. Die vielen schönen Worte konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Praxis noch immer keine konzertierte Strategie der Ministerien gab. Auswärtiges Amt und BMZ setzten Personal und Finanzen nach wie vor nach ihren jeweils eigenen Vorstellungen ein.195 Das Stufenmodell der gängigen amerikanischen Counterinsurgency-Doktrin (COIN), das zwar nie offizielle deutsche Doktrin wurde196, aber an das sich viele deutsche Kommandeure anlehnten, konnte somit immer noch nicht umgesetzt werden. Es sah vor, zuerst aufzuklären (shape), dann ein Gebiet freizukämpfen (clear), dieses anschließend zu halten (hold) und schließlich dort Wiederaufbau (build) zu betreiben. Zum »Hold« war die afghanische Armee nicht bereit und die Polizei zu schwach. Und für das »Build« fehlte ein koordinierter Ansatz ziviler Organisationen. Die Bundeswehr musste sich vor allem auf »Shape« beschränken. Selbst das »Clear« war angesichts der 657
überschaubaren Mittel und der strikt ausgelegten Einsatzregeln nur begrenzt möglich. Mit gerade einmal vier Infanteriezügen und den rund 120 Mann, die das PRT Kunduz für Operationen zur Verfügung hatte, war nicht viel zu erreichen.197 Als der Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei mit den Obleuten des Verteidigungsausschusses im Oktober 2008 zum wiederholten Male Afghanistan besuchte, ließen die Soldaten in Kunduz ihrer Frustration freien Lauf. Eindringlich und einhellig wurde die Sinnfrage gestellt. Es fehle an Klarheit, hielt Nachtwei anschließend fest, »warum wir hier sind. Unsere Auftraggeber müssen das plausibel machen. Wir nehmen nicht wahr, was wir schaffen. Wir sehen nicht, dass unsere Einsätze nachhaltig sind. Wir haben ganz, ganz selten Erfolgserlebnisse.«198 Einen Insurgenten habe man noch nie erwischt. Und wenn mutmaßliche Attentäter oder Drahtzieher doch mal gefasst würden, seien Verurteilungen die Ausnahme und baldige Freilassungen wegen der Korruption und Vetternwirtschaft die Regel. Die Soldaten fühlten sich von der Politik allein gelassen. Gefragt wurde auch nach einer Abzugsperspektive. Nachtwei, den ein Offizier in seinem Tagebuch als »klugen, klarsichtigen, nachdenklichen Mann«199 beschrieb, musste erkennen, dass die offiziellen Begründungen für den Einsatz, Terrorismus-Bekämpfung und Stabilisierung des Landes, für die Soldaten nur noch leere Worthülsen waren. »Als wir nach einigen Stunden auseinandergehen, hat es einiges an Verständigung und Klärung zwischen uns PolitikerInnen und den Soldaten gegeben. Es bleibt aber die alarmierende Erkenntnis, wie groß offenbar inzwischen die Kluft zwischen den Soldaten + Offizieren vor Ort und der politischen + militärischen Führung ist. Diese scheint ›Gehorsam aus Einsicht‹, wie es die Innere Führung gebietet, ausgesprochen schwer zu machen. Man ist 658
auf dem Weg, den Kampf um die Köpfe und Herzen in den eigenen Reihen zu verlieren«, bilanzierte Nachtwei nach seiner Rückkehr.200 Abgeordnete hatten naturgemäß einen anderen Blick auf Afghanistan als die Soldaten. Sie bekamen auf ihren Reisen erfolgreiche zivile Aufbauprojekte vorgeführt, sahen, dass es in diesem Bereich voranging: beim Bau eines großen Umspannwerkes, bei der Verbesserung des Trinkwassersystems, bei der Gründung von Lehrerbildungsstätten, in der Polizeiausbildung für Frauen und bei der Vergabe von Mikrokrediten. All das bekam kaum ein Soldat zu sehen. Doch die Maßnahmen hatten eben nicht dazu geführt, dass sich die Sicherheitslage verbesserte. Im Gegenteil, sie verschlechterte sich zusehends, und die Soldaten standen ihrer Aufgabe vor Ort ohnmächtig gegenüber. Zudem erhielt Kunduz 2008 bei der Bewertung von ISAF durch die Bevölkerung das zweitschlechteste Ergebnis aller afghanischen Provinzen.201 Und dies trotz aller unbestreitbaren Fortschritte bei Infrastruktur, Bildung und Wirtschaft. Oberst Rainer Buske war als Kommandeur des PRT Kunduz wie kaum ein zweiter Soldat in den Wiederaufbau involviert. Er hielt ungezählte Reden, sprach oft mit den lokalen Eliten. »All die wunderbaren Dinge, die man sich im Auswärtigen Amt und im Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit auf die Fahnen geschrieben hatte, wurden mit Pomp und Getöse zelebriert und eröffnet. Wirklich geholfen haben sie genauso wenig wie das berühmte Key Leader Engagement [Treffen mit den lokalen Würdenträgern]. Es waren dies alles Maßnahmen mit kurzem Effekt. Sie wurden von den Afghanen bereitwillig konsumiert. Sie machen sich in jeder Statistik und in der Regierungserklärung […] gut.« Sie änderten aber nichts daran, 659
dass die Afghanen jederzeit bereit waren, zur Gegenseite überzulaufen, weil die ISAF nur unzureichend Schutz vor den Taliban bieten konnte, so Buske.202 Der Kampf um die Provinz Kunduz 2009 Georg Klein war im April 2008 zum ersten Mal in Kunduz. Er begleitete damals den Kommandeur des Heeresführungskommandos. Die warnenden Berichte der Offiziere vor Ort waren ihm irgendwie übertrieben vorgekommen. Im Nachhinein, sagt Klein heute, war es der klassische Gegensatz von Front und Heimat: »Wir wollten einfach nicht glauben, was sie uns berichteten, und haben sie doch etwas von oben herab behandelt.«203 Nur wenige Monate später erhielt Klein die Nachricht, dass er bald selbst an den Hindukusch geschickt werden würde. Am 5. April 2009 übernahm er das Kommando über das PRT Kunduz. Der Tag und die folgende Nacht gaben ihm einen Vorgeschmack auf das Kommende: Raketen schlugen im Lager ein, es gab die ersten Kämpfe, ein amerikanisches Flugzeug wurde zur Unterstützung gerufen, donnerte aber nur demonstrativ im Tiefflug über das Gefechtsfeld, um abzuschrecken. Die Lage am Boden war unübersichtlich, zivile Opfer waren nicht auszuschließen. Kleins Stellvertreter, Oberstleutnant Robert Graf, meinte prophetisch: »Herr Oberst, Sie werden in Ihrer Zeit hier noch [Bomben] werfen.«204 Die Lage im Raum Kunduz sah nicht gut aus. Das PRT befand sich im Rundumschutz, und der Einsatz in der Fläche schien kaum möglich.205 »Insgesamt eher Belagerung statt Stabilisierung. Das hier ist COIN! Und wir brauchen mehr Kräfte«206, notierte ein Stabsoffizier über die Lage. Drei Wochen später waren mehrere Patrouillen nordwestlich von Kunduz zur Gesprächsaufklärung unterwegs, wollten sich zeigen und fragen, wie man den Dorfbewohnern 660
helfen könnte. Die afghanischen Sicherheitskräfte hatten einige Tage vorher hier operiert und gemeldet, das Gebiet sei sicher. Doch dem war nicht so: Rund sechzig Talibankämpfer legten einen komplexen Hinterhalt auf mehreren 100 Metern und nahmen die deutschen Soldaten auf der Rückfahrt unter Beschuss. Der 21-jährige Hauptgefreite Sergej Motz wurde getötet, als das Geschoss einer Panzerfaust sein Fahrzeug traf. Er war der erste deutsche Soldat, der seit dem Zweiten Weltkrieg bei einem Feuergefecht fiel. Und er war Russlanddeutscher. Sein Vater Viktor hatte einst als sowjetischer Soldat in Afghanistan gekämpft. Motz starb um 19:10 Uhr207, das Gefecht dauerte noch Stunden. Vier weitere Soldaten wurden verwundet. Die Männer mussten sich einigeln und konnten erst am nächsten Tag entsetzt werden. Der Tod von Sergej Motz war für seine Kameraden ein schwerer Schlag. Dabei hatten sie noch Glück im Unglück. In dem gut angelegten Hinterhalt hätte es noch viel schlimmer kommen können. Schuldgefühle führten dazu, dass man sich wechselseitig Vorwürfe machte. Die Soldaten des württembergischen Jägerbataillons 292, die draußen gegen die Taliban kämpften, fremdelten mit den Männern in der Operationszentrale, die vom thüringischen Panzerbataillon 393 gestellt wurden. Man kannte sich nicht, hatte im Vorfeld des Einsatzes nie zusammen geübt und war noch nicht zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen. Durch kluge und behutsame Führung gelang es Georg Klein, diesen Riss rasch zu kitten und die Kohäsion seiner Truppe so zu stärken, dass sie alle weiteren Herausforderungen gut durchstand.208 Die obersten Offiziere im Lager spürten den großen Druck der Verantwortung, als sich im Moment der Krise alle Blicke auf sie richteten. »Grundfrage: Wie geht es weiter, da sich die 661
Sicherheitslage weiter verschlechtert«, notierte einer von ihnen in diesen kritischen Tagen.209 Die Angriffe der Aufständischen waren nun komplexer, nicht mehr nur kurze Feuerüberfälle. Es wurden raffinierte Hinterhalte gelegt, deren Ziel es war, die deutschen Patrouillen zu vernichten.210 Das PRT Kunduz ließ seinen Soldaten nun mehr Handlungsspielraum, gestattete einer Kompanie, nachts nach einem Feuerüberfall nachzustoßen. Für die Männer war das befreiend, weil sie selber die Initiative ergreifen konnten und sich nicht auf den Straßen wie »Moorhühner« beschießen lassen mussten. Allzu forsche Offiziere, die es zu sehr darauf anlegten, ein Feuergefecht zu provozieren, wurden aber zur Vorsicht gemahnt. Die Sicherheit der Soldaten stand immer obenan.211 Desperados waren die Kommandeure der PRTs nicht – am allerwenigsten Klein. Die Taliban hatten sich unterdessen durch ausländische Freiwillige verstärkt, traten aggressiver auf und stellten sich zum Gefecht. Es gab nun praktisch jede Woche Kämpfe. Damit setzte auch eine Eskalation militärischer Gewalt ein. Am 15. Juni 2009 fuhr eine Patrouille der Afghanischen Nationalarmee (ANA) zusammen mit einem belgischen und amerikanischen Mentoring Team ins Zweistromland – ein Gebiet nördlich von Kunduz, das zu diesem Zeitpunkt von Aufständischen beherrscht wurde. Das PRT Kunduz hatte ausdrücklich davor gewarnt, aber die afghanischen Offiziere ließen sich von den Deutschen wenig sagen. Auf dem Rückweg geriet die ANA-Patrouille in einen Hinterhalt und musste sich einigeln. Die Munition ging bald zur Neige, und die Belgier baten in höchster Not um Unterstützung. Das PRT schickte eine Kompanie der eigenen Soldaten zum Gegenangriff und befahl zum ersten Mal einen scharfen Einsatz aus der Luft. Ein amerikanisches Erdkampfflugzeug 662
AC-10 Thunderbolt beschoss mit seinen Bordkanonen und Raketen die Aufständischen »heftig«.212 So wurde in letzter Minute Schlimmeres verhindert. »Ohne unsere Kräfte wären die ANA-Soldaten und die OMLT wohl aufgerieben worden«, hielt ein deutscher Offizier fest, der damals vor Ort war. Ihm war bewusst, dass nun eine Schwelle überschritten war. »Haben wir gestern unsere Unschuld verloren und ist das PRT Konzept am Ende?«, notierte er am Tag danach.213 Die Provincial Reconstruction Teams sollten Wiederaufbau betreiben, demokratische Strukturen und Good Governance fördern. Vom Einsatz einer tödlichen Waffe wie der Thunderbolt, die ursprünglich einmal dafür entwickelt worden war, sowjetische Panzerarmeen im Fulda Gap aufzuhalten, war nie die Rede gewesen. Das Regional Command North forderte vom PRT Kunduz, es möge aus der Umklammerung ausbrechen und gezielt gegen die Spitzen der Aufständischen vorgehen.214 Aber die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse reichten dafür nicht aus. Das KSK nahm 2009 zwar auch Talibanführer fest, aber im Raum Kunduz war dies noch nicht gelungen. Klein und seine Offiziere waren sich darüber im Klaren, dass es nur eine politische Lösung des Konflikts geben konnte.215 Doch die lag außerhalb ihrer Möglichkeiten, zumal sie noch nicht einmal den Kommandeuren der afghanischen Sicherheitskräfte glaubten trauen zu können. Dem PRT Kunduz blieb nichts anderes übrig, als zu versuchen, mit seinen bescheidenden Kräften wenigstens die Aufständischen in Schach zu halten und so gut es ging die örtliche 2. Brigade der afghanischen Armee zu unterstützen. Das war schwierig genug, denn man durfte die ANA nur beraten, ihr aber keine Befehle geben. Und aus deutscher Sicht war deren Vorgehen allzu dilettantisch. Die Afghanen griffen oft ohne jede Koordination an, gerieten in Hinterhalte und 663
erlitten vermeidbare Verluste. Es gab zwar das erfahrene belgische Mentoring Team, aber auch dessen Einfluss war begrenzt, zumal der örtliche afghanische Kommandeur unter hohem Druck des Gouverneurs in Kunduz und der Regierung in Kabul stand. Die Führung des PRT Kunduz war aber nicht gewillt, sich in halsbrecherische Aktionen hineinziehen zu lassen und dabei die Sicherheit der eigenen Soldaten zu riskieren.216 Man versuchte daher mit Engelsgeduld, das gemeinsame Vorgehen abzustimmen, auf eine sorgfältige Planung der Operationen zu drängen und so das Risiko zu minimieren. Das Verhältnis blieb jedoch schwierig, weil die Afghanen den Deutschen unablässig mangelnde Unterstützung vorwarfen. Der Gouverneur beschwerte sich sogar in Kabul über Klein.217 Der 23. Juni 2009 war wieder ein »sehr schlimmer Tag«218. Eine deutsche Patrouille sicherte eine Operation des KSK und geriet auf dem Rückweg ins Lager südwestlich von Kunduz in einen Hinterhalt. Ein Transportpanzer Fuchs wich dem Feuer aus, überschlug sich und stürzte in einen Wassergraben. Vier Mann konnten sich mit Mühe aus dem Fahrzeug retten, drei ertranken. Die Bergung zog sich über Stunden hin. »Bange Stunden mit weiteren Hinterhaltdrohungen im Raum Polizeistation. Heute die Stimmung im Lager und bei mir am Boden«, notierte ein Offizier.219 Auf der Trauerfeier sprach Oberst Klein offene und nachdenkliche Worte: »Ich fühle mit Entsetzen, Trauer und Schmerz für unsere Kameraden. Ich fühle mich für ihren Tod mitverantwortlich. Ich bitte Gott um Vergebung, dass es mir nicht möglich war, ihr Leben zu erhalten. Ich bitte Gott um Frieden für sie und Kraft für uns alle.«220 Trotz der Vielzahl von Gefechten war der Tod von Kameraden niemals eine Routineangelegenheit. Jeder Kommandeur wollte seine 664
Männer und Frauen unversehrt nach Hause bringen. Und das PRT Kunduz hatte nun schon vier Tote und zahlreiche Verwundete zu beklagen. Wie viele Männer würden in dem Einsatz noch umkommen? Der einzige Hoffnungsschimmer war in diesem Moment, dass das Lager seit siebzig Tagen nicht von Raketen beschossen worden war. Der Krieg ging unterdessen in einer Mischung aus Zurückhaltung und Forcierung weiter. General Stanley McChrystal, der neue amerikanische ISAF-Kommandeur, änderte im Sommer 2009 die taktische Direktive, um Opfer in der afghanischen Bevölkerung zu vermeiden und dafür die »hearts and minds« zu gewinnen.221 Zugleich drängte er die Deutschen aber, offensiver und aggressiver gegen die Insurgents vorzugehen. Ähnlich widersprüchliche Signale bekam das PRT Kunduz von deutscher Seite: Der Verteidigungsminister und der Generalinspekteur mahnten zur Vorsicht, und auch das Einsatzführungskommando in Potsdam wollte kein allzu hohes Risiko eingehen, während das der ISAF unterstehende Regional Command North auf offensivere Einsätze drängte. Auch die Afghanen wollten, dass die Bundewehr mehr kämpfte. Klein war in einer undankbaren Sandwichposition. Operierte er vorsichtig, setzte er sich Vorwürfen aus, zu passiv zu sein. Operierte er forscher und gab es dabei womöglich Verluste, war der Protest aus dem BMVg vorprogrammiert. Das PRT versuchte in dieser Lage einen Kurs der Mitte zu steuern, Auftrag und Risiko in ein vernünftiges Verhältnis zu setzen. Immerhin wurden im Juli 2009 die Taschenkarten angepasst, die jeder Soldat bei sich trug. Diese fassten auf einer DIN-A4-Seite die neue deutsche Interpretation der ISAFEinsatzregeln zusammen. Man erlaubte nun auch offensive Aktionen gegen die Aufständischen und nicht mehr nur die 665
Abwehr eines unmittelbaren Angriffs.222 Der Bundesregierung fiel dieser Schritt hin zu einer aktiveren Gefechtsführung überaus schwer, er war Teil eines quälend langsamen Prozesses, sich den Realitäten zu stellen. Dazu gehörten auf symbolischer Ebene auch die Stiftung der Tapferkeitsmedaille (2008) und die Errichtung eines Ehrenmals für die ums Leben gekommenen Bundeswehrangehörigen (2009). Letzteres wurde gegen teilweise erbitterten Widerstand innerhalb und außerhalb des Verteidigungsministeriums durchgesetzt.223 Im Juni 2009 sagte Minister Jung dann erstmals, dass man sich in einem Kampfeinsatz befinde, im Oktober sprach er erstmals von »Gefallenen«.224 Gewiss war die Lage im Norden Afghanistans auch im Sommer 2009 viel ruhiger als im hart umkämpften Süden und Osten des Landes. Aber eine ehrliche, offene Auseinandersetzung mit der Situation vermied das politische Berlin trotz Änderung der Taschenkarte und symbolpolitischer Zugeständnisse nach wie vor. Die Gründe lagen auf der Hand: Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan war bei der deutschen Bevölkerung unbeliebt. In einer Umfrage vom Juli 2009 sprachen sich 69 Prozent der Befragten dafür aus, die deutschen Truppen zurückzuholen.225 Man verstand Sinn und Zweck nicht und glaubte kaum, dass die »deutsche Sicherheit am Hindukusch verteidigt« werde, wie SPDVerteidigungsminister Peter Struck einst provokant formuliert hatte. Kanzlerin Merkel hatte den Einsatz von ihrem Vorgänger geerbt, und Sicherheitspolitik stand nicht im Zentrum ihres Interesses. Franz Josef Jung wiederum gelang es nicht, der Bevölkerung den strategischen Sinn des Einsatzes zu erklären. Wie der Teufel das Weihwasser scheuten er und seine Kabinettskollegen den Begriff »Krieg«. Das hatte einerseits juristische Gründe: Völkerrechtlich umschreibt der 666
Begriff Krieg den Konflikt zweier Staaten, und das passte auf die Vorgänge in Afghanistan offensichtlich nicht. Andererseits war die Haltung der Regierung psychologisch bedingt. Bei dem Schlagwort Krieg dachten die Deutschen an Stalingrad und Auschwitz, an massenhaften Tod und vor allem an Verbrechen. Diese Assoziationen wollte man unbedingt vermeiden, um die erneute Verlängerung des ISAF-Mandats durch den Bundestag nicht zu gefährden. Auch wollte sich die CDU/CSU angesichts kommender Wahlen nicht als Kriegspartei verunglimpfen lassen. Die Soldaten empfanden den Eiertanz um das K-Wort als Begriffsklauberei, reagierten mit Unverständnis, dass allzu lange von »getöteten« Soldaten und nicht von »Gefallenen« die Rede war. Für sie herrschte in Kunduz Krieg.226 Doch die Logik der Kampftruppen war mit dem Selbstbild der Republik nicht vereinbar. Daher hatte sich das Verteidigungsministerium auch lange gegen die Verlegung schwerer Waffen nach Afghanistan gewehrt. Erst unter dem Druck der Ereignisse gaben der Minister und der Generalinspekteur nach und verlegten 2006 eine Handvoll Schützenpanzer und 2008 auch Mörser an den Hindukusch. 2010 folgten Panzerhaubitzen und 2013 sogar Kampfhubschrauber. Anders als die Kanadier verzichtete man aber auf Kampfpanzer, wobei sich die deutschen Offiziere selbst nicht einig waren, ob man diese angesichts der Geländeverhältnisse in ihrem Gebiet überhaupt sinnvoll einsetzen konnte. Die Debatte darüber lief schon seit 2002.227 In Kunduz war die vordringlichste Aufgabe, die örtliche Sicherheitslage so zu stabilisieren, dass am 20. August 2009 die afghanische Präsidentschaftswahl durchgeführt werden konnte. Für die westliche Allianz wäre es einer Bankrotterklärung gleichgekommen, wenn der Wahlgang 667
aufgrund der schlechten Sicherheitslage hätte verschoben werden müssen. Die Bundeswehr unterstützte daher mit allen verfügbaren Kräften die Operation Oqab (Adler), bei der mehr als 800 afghanische Soldaten versuchten, die Aufständischen zumindest vorübergehend aus dem Raum Kunduz zu vertreiben. Gleich zu Beginn der Operation, am 19. Juli, gab es heftige Kämpfe. Die ANA hatte mehrere Tote und Verwundete zu verzeichnen, und zum ersten Mal setzten die deutschen Schützenpanzer Marder ihre 20-mm-Kanonen ein228, schossen auch die 120-mm-Mörser scharf. Zudem gaben die Deutschen erstmals einer US-Predator-Drohne den Feuerbefehl. Deren Hellfire-Raketen töteten bis zu zwanzig Taliban. Doch der afghanischen Armee reichte das alles nicht. Oberst Abdul Wakil, der örtliche Brigadekommandeur, warf der Bundeswehr immer noch Zögerlichkeit und mangelnde Unterstützung vor. Von den abenteuerlichen Absichten der afghanischen Armee, die Deutschen gegen einen zur Verteidigung vorbereiteten Feind anrennen zu lassen, wollte die PRT-Führung verständlicherweise nichts wissen. Empört notierte ein Offizier im Eifer des Moments in sein Tagebuch, Oberst Wakil sei ein »ahnungsloser Idiot«. Und: »Ist es dieses Land wirklich wert?«229 Über ein Security Meeting notierte er: »Längliche Vorstellung, wo überall Feind sei: eigentlich überall. Keine Priorisierung, keine Vorschläge. Danach dreieinhalb Stunden wilde Diskussion über mögliche kleine und große Operationen, ohne dass ein Wort über verfügbare Kräfte fällt. Großer Blick an uns und dann die Forderung, wir sollten endlich heftig bombardieren.«230 Immerhin konnten die Präsidentschaftswahlen im Raum Kunduz einigermaßen geordnet über die Bühne gebracht werden. Präsident Karzai wurde im Amt bestätigt, aber es hatte massiven Wahlbetrug gegeben. Vom einstigen Ziel der 668
ISAF, belastbare demokratische Strukturen aufzubauen und Good Governance zu fördern, war man im achten Jahr des Einsatzes weiter entfernt denn je. Und obwohl die Taliban im Kampf gegen die afghanische Armee und die Bundeswehr nicht unerhebliche Verluste erlitten, erlahmte ihre Kraft nicht. Sie erhielten einen nicht versiegenden Nachschub an Kämpfern aus dem Süden des Landes und aus Pakistan. Freilich: Gemessen an der Bevölkerungszahl war die Zahl der aktiven Insurgents gering. Im ganzen Norden waren es wohl nie mehr als 2000 – verteilt auf eine Region knapp halb so groß wie die Bundesrepublik. In der Region um Kunduz waren es vielleicht 600. Ihnen kam zugute, dass es keine einheitliche Strategie der afghanischen Armee, der Polizei und des Geheimdienstes sowie der ISAF gab und sie in den Provinzen rund um Kunduz sichere Rückzugsorte fanden, von denen aus sie jederzeit zuschlagen konnten. Der Kommandeur des Regional Command North, Brigadegeneral Jörg Vollmer, stand vor dem klassischen Dilemma, das die Aufstandsbekämpfung mit sich bringt: Einerseits mussten zivile Opfer vermieden werden, weil sonst jeder Rückhalt in der einheimischen Bevölkerung verloren ging, zumal die Mehrheit der Menschen in der Provinz Kunduz vom Krieg genug hatte und nur in Frieden leben wollte. Andererseits musste man zeigen, dass man in der Lage war, für Sicherheit zu sorgen. Die Aufbauhelfer sollten sich frei bewegen können, ohne ständig Anschläge befürchten zu müssen. Nur so konnte das Vertrauen in die staatlichen Instanzen wachsen. Vollmer wusste, dass die afghanischen Polizeikräfte dringend verstärkt werden mussten, damit der noch schwache Staat in der Fläche präsenter sein und in den von den Deutschen freigekämpften Gebieten dauerhaft für Sicherheit sorgen konnte. Doch darum stand es schlecht. 2008 669
hatte die afghanische Regierung gar Polizisten abgezogen und in den heiß umkämpften Süden verlegt. Vollmer forderte daher 2500 zusätzliche afghanische Polizisten. Diese sollten notfalls von den Deutschen bezahlt werden, da es Kabul offenbar am nötigen Willen und an den Finanzmitteln fehlte.231 Doch der Vorschlag wurde von der Bundesregierung lapidar beiseitegewischt. Immerhin konnte das Partnering, also die Ausbildung und der gemeinsame Einsatz mit der afghanischen Armee, intensiviert werden. Und die Bundeswehr verstärkte ihre Kräfte, operierte nun mit drei Kompanien, um örtlich ihre Gegner in die Defensive zu drängen. Dabei wurde erstmals auch die Panzerabwehrrakete Milan gegen Stellungen der Taliban eingesetzt, und ein amerikanischer B-1-Bomber warf 500-Pfund-Bomben ab.232 Von April bis September 2009 hatte es im Raum Kunduz 87 Sicherheitszwischenfälle gegeben233, wie es im Bundeswehrdeutsch hieß. Dabei wurde das gesamte verfügbare Waffenarsenal eingesetzt, und man glaubte etwa 120 Aufständische getötet zu haben. Manches ging schief, Patrouillen verfuhren sich, und zuweilen schossen ANA und Bundeswehr versehentlich aufeinander, wobei es glücklicherweise keine Verluste gab. Das gehörte zum Chaos des Krieges dazu, trotz allen Hightechs, mit dem man ausgerüstet war. Insgesamt hatte die Bundeswehr aber große Professionalität bewiesen. Fünf Feldwebel bekamen sogar die Tapferkeitsmedaille verliehen. Die Führung des PRT Kunduz lobte die große Ernsthaftigkeit bei den Befehlsausgaben und hob hervor, dass alle an einem Strang gezogen hatten, die Infanteristen ebenso wie die Instandsetzung, die oft nächtelang durcharbeitete, um die beschädigten Fahrzeuge wiederherzustellen. Die Kommandeure sahen die Anstrengung in den Gesichtern ihrer Soldaten, wenn die Patrouillen ins 670
Lager zurückkehrten, bemerkten auch die Angst mancher, die in laufende Gefechte geschickt wurden und wussten, dass sie um ihr Leben würden kämpfen müssen. Allmählich hatte sich das ganze Lager an den Krieg gewöhnt. Bald schreckte niemand mehr auf, wenn irgendwo geschossen wurde. Der Kampf, der Beschuss, die Lebensgefahr gehörten zum Alltag.234 Am 3. September operieren nordwestlich, nördlich und östlich von Kunduz alle verfügbaren Kräfte des PRT. Zurück bleibt nur die Schutzkompanie, um das Lager zu sichern. Dort hat man kein gutes Gefühl dabei, sich so zu verzetteln, muss aber den Befehlen gehorchen. »Hoffentlich geht das alles gut!«, notiert ein Offizier in sein Tagebuch.235 Eine Kompanie gerät bald in einen Hinterhalt. Es gibt vier Schwerverwundete, sieben Fahrzeuge werden beschädigt, eines brennt nach Treffern von Panzerfäusten aus.236 In der Operationszentrale stehen die Männer in den Abendstunden unter dem Eindruck der Meldungen über die Kämpfe und der Sorge, die Soldaten am nächsten Tag heil ins Lager zurückzuholen. Da trifft die Nachricht ein, dass zwei Tanklaster entführt worden sind, die sich auf einer Sandbank im Kunduz-Fluss festgefahren haben. Erst verfolgt man das Geschehen mit Drohnen, doch bald bricht die Aufklärung ab. Um 00:15 Uhr entdeckt ein amerikanischer B-1-Bomber die beiden Sattelzüge. Auf den Bildern der Luftüberwachung sieht Georg Klein, wie Menschen offenbar Benzin abzapfen und auf Pick-ups verladen. Er befürchtet, dass es den Taliban gelingen könnte, die Laster wieder flottzumachen. Erst wenige Tage zuvor war in Kandahar mit einem Tanklaster ein Attentat im Stadtzentrum verübt worden, wobei 47 Menschen starben. Kleins Männer dringen darauf, die Fahrzeuge aus der Luft zu zerstören. Ein Informant am Boden, so heißt es später, gibt 671
die Nachricht durch, dass nur Taliban auf der Sandbank versammelt seien. Klein wartet. Die B-1 muss aus Spritmangel bald abdrehen. Erneut wird Luftunterstützung angefordert. Um 01:08 Uhr erscheinen zwei amerikanische F-15-Jagdbomber und kreisen über der Furt. Klein muss sich entscheiden. Weitere Luftunterstützung steht nicht zur Verfügung. Befiehlt er keinen Bombenabwurf, könnte es den Aufständischen womöglich gelingen, die Tanklaster flottzumachen und irgendwo zu verstecken. Später wird man ihn fragen, warum er seine Schutzkompanie nicht rausgeschickt habe, um die Lage zu klären. Doch es ist stockdunkle Nacht. Die Furt ist zwar nur sieben Kilometer entfernt, aber schwer zu erreichen, das Gelände ist unübersichtlich, gilt als »Indianerland«. Bei einem Bombenangriff gibt es kein Risiko für die eigenen Männer, und die Gefahr von zivilen Opfern scheint auch nicht gegeben. Das Ziel liegt auf einer Sandbank mitten im Fluss, das nächste Dorf ist knapp einen Kilometer entfernt. Der ideale Ort für einen Luftschlag, denkt Klein.237 Er nutzt seinen Handlungsspielraum maximal aus. In den Rules of Engagement und den Standard Operation Procedures der ISAF sind die Regeln für den Bombenabwurf nicht eindeutig beschrieben. Man kann sie so auslegen, dass ein solcher nicht nur bei direktem Feindkontakt (troops in contact), sondern auch bei akuter Bedrohung, einem imminent threat, erfolgen kann. Darauf beruft sich Klein.238 Um 01:49 Uhr befiehlt er den Angriff. Die US-Piloten werfen daraufhin zwei 227 kg schwere lasergesteuerte Bomben ab, die ihr Ziel punktgenau treffen. Wie viele Menschen bei dem Angriff starben, ist bis heute umstritten. Die Flugzeuge meldeten 56 Tote und vierzehn Flüchtende. Der Generalbundesanwalt in Karlsruhe, der ein Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen eröffnet 672
hatte, sprach in seinem abschließenden Bericht davon, dass »insgesamt von etwa 50 Toten und Verletzten auszugehen ist. Ein Abgleich der Namen auf den vorhandenen Listen ergibt zudem, dass sich nur ungefähr 50 Personen durchgängig wiederfinden.«239 Entschädigungen wurden für 91 Tote und elf Schwerverletzte gezahlt.240 Wer von den Getöteten zu den Taliban gehörte, ließ sich nicht mehr ermitteln. Die Auswertung des Generalbundesanwalts sprach von zwei namentlich bekannten Talibanführern, Kämpfern, aber auch Zivilisten aus den umliegenden Dörfern. Letztere waren von den Aufständischen aufgefordert worden, Benzin abzuzapfen. Die Liste der Afghan Human Rights Commission verzeichnete gar 22 Kinder unter 15 Jahren. Die Reaktionen der offiziellen afghanischen Stellen auf den Luftschlag waren positiv.241 Der Gouverneur von Kunduz beispielsweise, Mohammed Omar, hatte immer wieder Härte und Entschlossenheit von den Deutschen gefordert. Jetzt endlich, so hieß es, habe die Bundeswehr etwas gemacht. Der amerikanische ISAF-Kommandeur General McChrystal hingegen ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, die Deutschen, die die Amerikaner für ihr robustes Vorgehen immer kritisiert hatten, vorzuführen. Am 5. September besuchte er den Ort des Geschehens, sprach von schweren Fehlern, die nicht hätten passieren dürfen. Damit war die Affäre in der Welt. Das Informationsmanagement des Verteidigungsministeriums war unglücklich, die Presse spießte widersprüchliche Angaben genüsslich auf. Der Spiegel schrieb später von einem »deutschen Verbrechen«.242 Zahlen von bis zu 142 toten Zivilisten machten die Runde. Bald ging es nur noch um die Frage: Wer ist schuld? Alle Blicke richteten sich auf Oberst Klein. Aber auch der Kommandeur des Regional Command North, Jörg Vollmer, der Befehlshaber des 673
Einsatzführungskommandos, Rainer Glatz, der Generalinspekteur und der Minister mussten sich kritischen Fragen stellen. Minister Jung trat im November zurück und übernahm die politische Verantwortung für die unklare Kommunikation. Es folgten ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss243 und besagte Ermittlungen des Generalbundesanwalts. Klein wurde von allen Vorwürfen freigesprochen.244 Eine der entscheidenden Fragen war, ob er wusste, dass sich auf der Sandbank nicht nur Taliban, sondern auch Zivilisten, darunter Kinder, befanden. Er verneinte das entschieden, ebenso wie alle Zeugen dieser Nacht, und das Gegenteil konnte nicht bewiesen werden. Die kritischen Stimmen wiesen darauf hin, Klein habe damit rechnen müssen, dass Zivilisten vor Ort waren; auch hätten die festgefahrenen Tanklaster keine Gefahr für das deutsche Lager dargestellt, weshalb der Bombenangriff nicht angemessen gewesen sei.245 Doch letztlich war der Vorfall ein tragischer Irrtum, wie er trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nie ausgeschlossen werden kann. In Deutschland aber tat man sich schwer, dieser Realität des Krieges ins Auge zu sehen. Im Untersuchungsausschuss wichen die Parlamentarier der eigentlich entscheidenden Frage aus, was der Vorfall über den Charakter der Bundeswehrmission aussagte, die sie selbst beschlossen hatten. Noch im April 2009 hätte Klein den Bombenabwurf gewiss nicht angeordnet. Doch nach fünf Monaten Krieg erschien ihm dieser Befehl in der spezifischen Situation der Nacht des 3./4. September angemessen. Ende September 2009 übernahm Oberst Kai Rohrschneider in Kunduz das Kommando. Seine Stabsoffiziere und er waren zu Beginn wenig hoffnungsvoll. Die Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisationen verließen die Stadt nicht 674
mehr, weil die Lage auf dem Land zu unsicher war. Entwicklungshelfer gelangten nur noch per Flugzeug von und nach Kunduz. So konnte kein Vertrauen in die staatlichen Instanzen gefördert werden, vom hehren Ziel, demokratische Strukturen aufzubauen, ganz zu schweigen. Rohrschneider musste nun alles daransetzen, die Kontrolle über die Provinz zurückzugewinnen. Doch in seinem Stab war man sich unschlüssig, wie es gelingen sollte, die Aufständischen aus der Provinz Kunduz herauszudrängen. »Die Afghanen wünschen mehr Härte, aber wie soll das geschehen, gerade nach dem Luftangriff? Wenn wir über einen Hinterhalt informiert werden, sollen wir trotzdem hinfahren und versuchen, die Initiative zu gewinnen? Eine taktisch ebenso schwierige Frage wie ein ethisches Dilemma«246, notierte einer der Offiziere in sein Tagebuch. Nach wie vor war die Lage undurchsichtig: »Unklare Fronten, wechselnde Positionen und individuelles Streben nach Vorteilen und allgegenwärtige Unaufrichtigkeit kennzeichnen die Lage. […] Die Bevölkerung verbleibt passiv, hat kein Vertrauen zu irgendwem«247, bemerkte er weiter. Man wusste, dass der langjährige Gouverneur der Provinz Kunduz, Mohammed Omar, Beziehungen zum organisierten Verbrechen und zu den Aufständischen hatte. Er war ein bedeutender lokaler Machthaber, der eine sehr persönliche Agenda verfolgte. Maßnahmen gegen die Talibanstrukturen verzögerte, verriet oder verhinderte er. Der Luftschlag von Kunduz hatte den Insurgents offenbar nicht unerhebliche Verluste zugefügt. Spezialkräfte der Amerikaner setzten die Islamisten in den Wochen danach erheblich unter Druck, töteten unter anderem einen ihrer höchsten Anführer. Abgehörte Telefonate zeigten, dass sie in Angst vor den nächtlichen Zugriffen lebten. Dann nahmen östlich von Kunduz lokale Milizen die Sache selbst in die 675
Hand und erhoben sich gegen die Taliban, töteten oder vertrieben ihre Anführer – eine durchaus zweischneidige Situation, zumindest aus Sicht der legalistisch denkenden Deutschen. Das staatliche Sicherheitsmonopol wurde so untergraben, denn mit ein- bis zweitausend Mann waren die Milizen stärker als die afghanische Armee und Polizei.248 Aber für den Moment hatten sie den Taliban einen schweren Schlag versetzt. Die lokalen Eliten der Region Kunduz glaubten im Herbst 2009 an einen Wandel, hofften auf die Rückkehr der Sicherheit. Das ISAF-Hauptquartier in Kabul und das Regional Command North drängten die Bundeswehr zu aktiverem Vorgehen, sprachen von »angreifen«, »offensiv« und »gewinnen«. Doch in Berlin sah man das ganz anders. Generalinspekteur Schneiderhan mahnte zur Vorsicht, zur Vermeidung aller unnötigen Risiken. Dass mancher deutsche Offizier eher in den Kategorien der amerikanischen Counterinsurgency Strategy dachte, behagte ihm gar nicht. So befand sich das PRT Kunduz nach wie vor in einer Sandwichposition. Einer der Offiziere notierte: »Angreifen werden wir nicht. Es wäre auch taktisch Unsinn.« Dahinter stand die Einschätzung, dass ein Vorstoß nur etwas brachte, wenn man das Gelände auch behaupten konnte. Sich nach einer Schießerei wieder ins Lager zurückzuziehen, schien wenig zielführend, weil die Afghanen das als Niederlage deuten würden. Die Aufmerksamkeit der Bundeswehr richtete sich in den folgenden Monaten ganz auf den problematischen Distrikt Char Darah westlich von Kunduz. Man wusste zwar, dass das Dorf Isa Khel einen Hotspot der Taliban beherbergte, war aber gegen dieses Zentrum der Aufständischen nie konsequent vorgegangen. Das lag gewiss auch an den afghanischen 676
Sicherheitskräften – Armee, Polizei und Geheimdienst –, die alle ihre eigenen Ziele verfolgten und es oftmals an Entschlossenheit fehlen ließen. Eine solche Operation hätte nur Sinn gemacht, wenn diese dort anschließend die Kontrolle übernommen hätten. Doch die ANA war dazu nach wie vor nicht bereit, und die Polizei war für eine dauerhafte Präsenz in dem Unruhedistrikt viel zu schwach. So blieb den Deutschen nur eine Politik der kleinen Schritte. Langsam jedoch gewann die Bundeswehr, die im Raum Kunduz bald vier Infanteriekompanien einsetzen konnte, die Kontrolle zumindest über Teile von Char Darah. Man besetzte das Polizeihauptquartier, dann auch die Höhe 431, führte zahlreiche Gefechte gegen die Aufständischen. Es gab einige Verwundete, aber keine Toten. Dass man die Taliban nicht entscheidend schwächen konnte, hatte viele Ursachen. Die Bundeswehr war nur ein Player von vielen, eine wirkliche Koordination gab es nicht. Neben den afghanischen Sicherheitskräften gehörten auch amerikanische Spezialkräfte249 dazu, die nachts mit wechselndem Erfolg Jagd auf Taliban machten. Von deren Aktionen wussten die Deutschen oft nichts und wunderten sich, dass amerikanische Flugzeuge zu deren Unterstützung massive Angriffe auch auf Dörfer flogen, wo doch ihr Befehlshaber McChrystal sie nach der Bombardierung der Tanklaster so gerüffelt hatte. Oft wurde das PRT Kunduz erst informiert, wenn etwas schiefging. Als beispielsweise eines der Delta Force Teams in eine Sprengfalle geriet, musste die Bundeswehr rasch ausrücken, um vier schwer verwundete Amerikaner und ihr Fahrzeug mitten im »Indianerland« zu bergen. »Wir sind hier mittlerweile die Kavallerie, die immer kommt, um zu retten, wenn alles versagt hat«250, notierte ein Offizier. Zuweilen gerieten die amerikanischen Elitekrieger sogar mit ihren 677
Verbündeten aneinander. Ein Team der US Special Forces etwa ignorierte einen Kontrollpunkt deutscher Fallschirmjäger, pöbelte sie an, bedrohte und bespuckte die Männer, die sich aber nicht provozieren ließen. Mit anderen Teams arbeitete die Bundeswehr indes gut zusammen.251 Der Einsatz amerikanischer Spezialkräfte war Teil der USStrategie, um möglichst gezielt die Köpfe des Widerstands »herauszunehmen«, wie es in der Militärsprache hieß. Die Bundeswehr war da viel zurückhaltender. Hatten Soldaten des PRT Kunduz Aufständische gestellt, war ihr vornehmliches Ziel nicht, diese zu töten oder gefangen zu nehmen. Die Befehle sahen vielmehr vor, die Taliban zu verdrängen. So sollte der Bevölkerung gezeigt werden, dass man Herr der Lage war. Solange die Taliban nicht in selbstmörderischen Angriffen auf die Deutschen zustürmten, und das taten sie im Winter 2009/10 nach den blutigen Erfahrungen im Sommer nicht mehr, waren die Verluste der Aufständischen gering. Ein typisches Scharmützel ereignete sich am 11. Dezember 2009. Eine deutsche Fußpatrouille wurde von Aufständischen beschossen, das Feuer wurde erwidert. Vom Feldlager aus schossen 120-mm-Mörser mit Leuchtmunition, was ungefährlich war, aber Eindruck machte. Der »Gegner«, so wurde gemeldet, wich daraufhin auf drei Motorrädern und in einem Auto aus. »Ganz im Kleinen ein Erfolg«, hieß es im Stab. In den ISAF-Einsatzregeln hieß es eigentlich: »Pursue relentlessly, but protect civilian lives.« Die Anweisung zur unerbittlichen Verfolgung übernahmen die Deutschen offenbar nicht. Gewiss war es richtig, die Zivilbevölkerung zu schonen und Verluste der eigenen Truppen zu vermeiden. Und doch ist zu fragen, wie eine gewaltgesättigte afghanische Gesellschaft es wohl wahrnahm, dass sich die Bundeswehr zumeist ergebnislos mit Aufständischen herumschlug. So war es schon 678
ein außerordentliches Ereignis, als die Deutschen einmal glaubten, sieben Taliban getötet zu haben. »Das wären recht starke Verluste, aber bringt nicht wirklich weiter«252, bemerkte ein Offizier ehrlicherweise. Den Kompaniechefs der Infanterie war das zu wenig. Sie drängten auf ein aktiveres Vorgehen, wollten die »Indianerdörfer« einnehmen. Aus ihrer Sicht fehlte vor allem in Berlin der Wille zum Erfolg. Doch dem PRT-Kommandeur waren die Hände gebunden. Es scheiterte schon daran, dass es keine Hubschrauber gab, um Verwundete schnell auszufliegen oder überraschend in Char Darah zu erscheinen. Ohne diese Unterstützung waren allzu aggressive Operationen viel zu riskant. Von der gängigen COIN-Strategie Shape–Clear–Hold–Build erfüllte man also nur das Shape, die Identifizierung des Gegners und seiner Bedrohung. Clear – Säubern – konnte man mit den verfügbaren Kräften nur sehr bedingt. Schließlich mahnte auch das Einsatzführungskommando in Potsdam zur Vorsicht. In Kunduz notierte ein Offizier in sein Tagebuch: »Offensichtlich treibt alle die Sorge vor irgendwelchen Schlagzeilen in Deutschland um. So kann man keinen Krieg führen, bei allem Verständnis für politische Aspekte. Ich glaube auch nicht, daß man in Potsdam glaubt, einen Krieg zu führen.«253 Nach dem Bombenangriff auf die beiden Tanklaster war zudem der Genehmigungsweg der Luftunterstützung so langwierig geworden, dass man in Kunduz meinte: »Effektiv handeln kann man so kaum.«254 Und doch war der amerikanische Botschafter in Berlin, Philip Murphy, mit den deutschen Soldaten zufrieden. Auf einem Truppenbesuch im Januar 2010 in Afghanistan gewann er einen positiven Eindruck. Die deutschen Truppen seien zunehmend »offensive minded«, und die Bundeswehr sei »a 679
far cry from the static, defensively oriented territorial army of 20 years ago«255. Rückschläge, Erfolge, Abzug – 2010 bis 2014 Im März 2010 nahmen die Taliban-Aktivitäten wieder zu, Kämpfer und Kommandeure kehrten aus Pakistan in die Region Kunduz zurück. Die Stadt Kunduz und die großen Verbindungsstraßen waren zwar einigermaßen sicher, aber ein großes Problem war nach wie vor der Distrikt Char Darah, insbesondere dessen südlicher Teil, wo die Bundeswehr wieder »harte Tage« erlebte. Das PRT Kunduz hatte es also während des ruhigeren Winterhalbjahres trotz einer Personalstärke von rund 1000 Mann nicht geschafft, die Taliban-Kommandeure und ihre vielleicht 100 Gefolgsleute aus Isa Khel und Umgebung zu vertreiben. Kein deutscher Soldat hatte je seinen Fuß in den Ort gesetzt, der gerade einmal fünf Kilometer vom deutschen Feldlager entfernt lag.256 Die Kräfte waren zu schwach, um zeitgleich das Feldlager und den Flughafen zu sichern, die wenigen Verbindungsstraßen zu kontrollieren und mit Überlegenheit und vor allem dauerhafter Präsenz gegen die Aufständischen zu operieren. Die Forderungen nach Hubschraubern, mehr Pionierfähigkeiten und dem Einsatz weitreichender Artillerie wurden nicht erfüllt. Selbst das KSK war in Isa Khel ohne Hubschrauber mit seinem Latein am Ende. Der Einsatz blieb daher vorsichtig und langsam. Gerade bei größeren Operationen war der Abstimmungs- und Bürokratieaufwand enorm. Selbst die taktische Unterstützung mit 120-mm-Mörsern musste kompliziert beim Regional Command North genehmigt werden, auch wenn es nur um einen einzigen Schuss ging. Mit Schnelligkeit und Auftragstaktik hatte das alles nichts zu tun. So mussten die Deutschen im Frühjahr 2010 eine sehr nüchterne Bilanz 680
ziehen. Der schwammig formulierte offizielle Auftrag der ISAF lautete: »Protect the population while extending the legitimacy and effectiveness of the Government and decreasing the effectiveness of the insurgent elements.« Die Bundeswehr hatte sich redlich bemüht, diesen Auftrag auszuführen. Doch die Ereignisse am Karfreitag 2010 zeigten ihr schonungslos die Grenzen auf. Der neue Kommandeur Reinhardt Zudrop hatte am 29. März 2010 das Kommando in Kunduz übernommen. Vier Tage später rückte eine frisch nach Afghanistan verlegte Fallschirmjägerkompanie in den Unruhedistrikt Char Darah aus. Zwei Wochen zuvor hatte sie sich in der Nähe von Isa Khel bereits ein mehrstündiges Feuergefecht mit den Taliban geliefert und dabei ihre Feuertaufe bestanden. Wenige Tage später gelang es einem Dutzend Soldaten, zu Fuß in den Vorort der Rebellenhochburg vorzudringen und die Lage aufzuklären. Am Karfreitag, dem 2. April, rückte dann der Golf-Zug, rund dreißig Mann, wieder in den Vorort vor und wollte die Zufahrtsstraße von Sprengfallen räumen, um sich ungehindert mit Fahrzeugen in Richtung des Dorfes bewegen zu können. Man wusste, dass mit heftigem Widerstand der Taliban zu rechnen war, ging das Risiko aber ein. Bei der Erkundungsmission war schließlich alles gut gegangen. Doch nun war alles anders. Die Männer gerieten in einen gut vorbereiteten Hinterhalt. Ein heftiges Feuergefecht entbrannte, rasch war die ganze Kompanie in Gefahr. »Zeitweise glaubte ich nicht«, erinnerte sich ein Oberleutnant, »dass wir dort wieder rauskommen.«257 Stundenlang zogen sich die Kämpfe hin. Schlimm stand es insbesondere um den exponierten GolfZug. Die Männer verteidigten sich tapfer und zeigten, dass sie zu kämpfen verstanden. Aber sie hatten drei Gefallene und sieben Verwundete. Als sich die Soldaten vom Feind lösten, 681
wurde einer ihrer Dingos angesprengt und musste zurückgelassen werden. Schließlich traf Verstärkung ein, die Verwundeten wurden von amerikanischen Helikoptern in einer dramatischen Rettungsaktion ausgeflogen, die Taliban aus der Luft niedergehalten, sodass sich das Blatt wendete. Alle Positionen im südlichen Char Darah, die Höhen 431 und 432 sowie das Polizeihauptquartier, konnten zwar gegen angreifende Taliban gehalten werden. Der Vorstoß in Richtung Isa Khel aber war gründlich missglückt.258 Die Kompanie hatte die Taliban unterschätzt. Allerdings gab es zuvor und auch danach Operationen, die weit risikovoller angelegt waren und bei denen nichts passierte, Sprengfallen nicht detonierten, feindliche Geschosse die Soldaten nur ganz knapp verfehlten. Viele deutsche Einheiten hatten es in Afghanistan nur dem Zufall zu verdanken, dass sie keine Verluste hatten. An diesem 2. April hatten die Soldaten kein Glück. Das Karfreitagsgefecht war eine Niederlage, und der Tod von drei Kameraden wog schwer. Die Aufregung in den deutschen Medien war dementsprechend groß. Selbst die Kanzlerin wurde im Einsatzführungskommando in Potsdam ausführlich über den Vorfall informiert. Vor Ort rauften sich die Männer bald zusammen, sprachen über die Dienstgrade hinweg offen über das Erlebte. Sie alle waren Fallschirmjäger, wollten kämpfen, sich beweisen. Niemand von ihnen wollte sich verstecken. Die Kohäsion der Primärgruppen blieb intakt, und nach einer Woche war die Kompanie wieder auf Patrouille draußen. Während in Deutschland die Skepsis über den Sinn des Einsatzes wuchs, mahnte die militärische Führung – wie immer in solchen Fällen – zu größerer Vorsicht und Zurückhaltung, um nicht noch weitere Verluste zu riskieren. Besonders gravierend war, dass an jenem Karfreitag deutsche Panzergrenadiere auf dem Weg zum Schlachtfeld 682
versehentlich ein Fahrzeug der ANA beschossen und sechs afghanische Soldaten getötet hatten. Die Empörung der Afghanen war so groß, dass am Abend nur mit Mühe eine gewaltsame Eskalation verhindert werden konnte. Auch wenn die Deutschen keine Schuld traf, war der Vertrauensverlust immens. In den kommenden Monaten lagen die gemeinsamen Operationen erst mal auf Eis. An ein weiteres Zurückdrängen der Taliban war so nicht zu denken. Es ging fortan vor allem darum, zumindest das bislang Erreichte zu halten, zumal sich südlich von Kunduz im Raum Baghlan ein weiterer Schwerpunkt der Taliban-Aktivitäten gebildet hatte. Nur zwei Wochen nach dem Karfreitagsgefecht starben dort vier weitere deutsche Soldaten.259 Die Bundesregierung stand nun vor einem Dilemma. Sie hatte eine handfeste militärische Auseinandersetzung immer vermeiden wollen und sich erfolgreich dagegen gewehrt, Truppen in den Süden zu schicken. Doch nun war der Krieg mit Wucht in den Norden gekommen und schien kein Ende zu nehmen. Sich jetzt aber aus dem Staub zu machen hätte die Reputation schwer beschädigt, zumal Briten, Kanadier und Amerikaner viel schwerere Gefechte und ungleich höhere Verluste zu verkraften hatten – von den dramatischen Ausfällen bei den afghanischen Sicherheitskräften ganz zu schweigen.260 Man musste diese Herausforderung annehmen, wenn man weiter auf der internationalen Bühne mitspielen wollte. Präsident Barack Obama hatte die amerikanischen Verbände auch im Norden Afghanistans massiv verstärken lassen, und neben den deutschen Kompanien lag ab Sommer 2010 im Raum Kunduz auch ein amerikanisches Bataillon. Erstmals standen nun auch US-Kampfhubschrauber zur Verfügung. Unter dem Druck der Ereignisse beschloss Minister 683
Guttenberg noch im April 2010 während eines Frontbesuchs, drei Panzerhaubitzen nach Kunduz zu verlegen. Die deutschen Kräfte wurden neu strukturiert, sogenannte Ausbildungs- und Schutzbataillone gebildet, die für die gemeinsamen Operationen mit der afghanischen Armee zuständig waren. Die Bezeichnung war typisch deutsch und sollte möglichst harmlos wirken. Vor Ort nannte man sich nach amerikanischem Sprachgebrauch Task Force Kunduz, was militärischer klang. Anfang November gelang es endlich, ausreichende Kräfte zu versammeln und in der Operation »Halmazag« das südliche Char Darah freizukämpfen. Die Kämpfe tobten vier Tage lang, und unter dem Druck von deutschen, amerikanischen, afghanischen und belgischen Einheiten brach der Widerstand der Taliban zusammen.261 Allerdings konnte der harte Kern von rund 80 Kämpfern entkommen oder untertauchen. Ende Dezember 2010 zerschlugen amerikanische und deutsche Truppen dann auch noch nördlich von Kunduz eine Talibangruppe, wobei erstmals eine deutsche Kompanie aus der Luft angelandet wurde. Danach nahm der offene islamistische Widerstand in der Provinz Kunduz deutlich ab. Teile der Bevölkerung der Unruhedistrikte schienen froh zu sein, dass die Aufständischen abzogen. Sie zeigten den deutschen Soldaten Dutzende von versteckten Sprengfallen. Nach zwei Jahren heftiger Gefechte konnten sich die afghanischen Sicherheitskräfte und die Entwicklungshelfer nun wieder in dem Distrikt bewegen. Selbst in Isa Khel patrouillierten deutsche Soldaten weitgehend ungehindert.262 Straßen wurden geteert, die Stromversorgung ausgebaut, der Bau einer neuen Brücke über den Kunduz-Fluss begonnen, die Ende 2011 fertiggestellt und nach dem in der Nähe gefallenen deutschen Soldaten Mischa Meier benannt wurde. Dies 684
entsprach nach der gängigen COIN-Doktrin der Phase »Build«, und die Militärs waren froh, es endlich einmal so weit gebracht zu haben. Jedoch muss im Rückblick fraglich erscheinen, ob Straßen- und Brückenbau sowie der Anschluss mehrerer Dörfer an das Stromnetz die politische Konstellation in der Region wirklich verändert haben. Die Bevölkerung nahm solche Verbesserungen gewiss dankbar an, aber sie akzeptierte deswegen noch lange nicht den afghanischen Staat und die Regierung in Kabul.263 Mit den taktischen Erfolgen vor Ort kam man den strategisch-politischen Zielen des deutschen Engagements jedenfalls nicht näher.264 Die verbliebenen Insurgents wichen dem offenen Gefecht aus und verzichteten darauf, bestimmte Gebiete unter Kontrolle zu halten. Ganz ungefährlich war es im Raum Kunduz aber auch jetzt nicht. Vielmehr sorgten die Aufständischen durch Sprengfallen weiter für Unsicherheit. Doch den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten verlegten sie weiter nach Süden in den Raum Baghlan, durch den der gesamte Verkehr in Richtung Norden führte. Die Bundeswehr hatte dort weitere heftige Gefechte zu bestehen265, und es gelang den Taliban sogar, einen Schützenpanzer Marder zu zerstören, wobei ein deutscher Soldat ums Leben kam. Aber auch hier wendete sich das Blatt, und ab Herbst 2011 war auch dieser Distrikt für afghanische Verhältnisse weitgehend ruhig. Unterdessen hatte Präsident Obama angekündigt, bis Ende 2014 die amerikanischen Truppen aus Afghanistan abzuziehen, um den unpopulären Krieg endlich zu beenden. Den Militärs vor Ort war freilich allzu sehr bewusst, dass ein Rückzug für die von den Kämpfen schwer mitgenommene afghanische Armee und Polizei zu früh kam. Zudem spielten solche Ankündigungen nur den Taliban in die Hände, da diese nur noch abwarten mussten, bis sich die internationale 685
Staatengemeinschaft zurückzog und der militärische Druck nachlassen würde. Trotz aller Bekundungen, dass das Land kein failed state werden dürfe und ein langes Engagement erforderlich sei, gab es – soweit bekannt – keinerlei Bemühungen, Obama von den raschen Rückzugsplänen abzuhalten. Eine eigenständige Strategie hatten die Europäer nicht. Ihr Einsatz wurde in einem geradezu überwältigenden Ausmaß von den Vereinigten Staaten dominiert. Gemeinsam rein und gemeinsam raus, darauf reduzierte sich trotz aller schönen Worte letztlich auch die deutsche Strategie – und jene der NATO. Alles konzentrierte sich nun auf den logistisch enorm aufwendigen Abzug. Die Bundeswehr hielt sich mit Operationen zurück, unterstützte aber weiterhin die afghanische Armee. So war jene Kompanie, die im April 2010 das Karfreitagsgefecht geführt hatte, im Mai 2013 erneut vor Ort. Isa Khel wurde inzwischen wieder von den Taliban kontrolliert, und die deutschen Soldaten unterstützten mit ihren Schützenpanzern und Sanitätern die ANA dabei, das Dorf einzunehmen, wobei die Afghanen wenig zimperlich vorgingen. Für die Männer war es ein befriedigendes Gefühl, am Ort der einstigen Niederlage nun erfolgreich zu operieren.266 Gefechte wie in Isa Khel waren aber selten geworden. Bereits im Oktober 2012 hatte man das Feldlager in Faizābād aufgegeben, im August 2013 folgte der OP North und schließlich im Oktober das Feldlager in Kunduz. Nur der größte Stützpunkt in Masar-e Sharif blieb bestehen. Seit 2015 waren dort Soldaten der Nachfolgemission Resolute Support stationiert, die für die Bundeswehr eine reine Ausbildungsmission war. Mit Ausnahme der Spezialkräfte vom KSK blieben die Soldaten im Lager, und es gab auch 686
keine Mentoring Teams mehr, die die Afghanen ins Gefecht begleiteten. Direkte Unterstützung im Kampf konnten nur noch die Amerikaner leisten. Aber auch sie vermochten nicht zu verhindern, dass die Taliban im Oktober 2015 für rund zwei Wochen die Stadt Kunduz eroberten. Sie zerstörten dabei auch die Mischa-Meier-Brücke über den Kunduz-Fluss. Das zehn Millionen Euro teure Prestigeprojekt des deutschen Wiederaufbaus hatte den Zugang zum Distrikt Char Darah ermöglicht. Zwar gelang es der afghanischen Armee mit amerikanischer Unterstützung aus der Luft und am Boden, die Stadt Kunduz zurückzuerobern. Doch der Vorgang zeigt, wie fragil die Sicherheitslage ohne die massive Präsenz der ISAFTruppen war. Zwischen den Sicherheitskräften der Regierung und den Taliban herrschte ein Kräftegleichgewicht, an dessen Aufrechterhaltung die 16 000 Soldaten der NATO-Mission Resolute Support einen entscheidenden Anteil hatten. Deren Abzug begann nach den Friedensverhandlungen zwischen den USA und den Taliban in Doha im Frühjahr 2020. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die afghanischen Sicherheitskräfte allein in der Lage sein werden, den Taliban Paroli zu bieten. Doch scheint es momentan nicht die Absicht Washingtons zu sein, alle Truppen vom Hindukusch abzuziehen. So wird es auf absehbare Zeit wohl weiter ein labiles Gleichgewicht beider Seiten geben, zumal ein Großteil der Bevölkerung kein Interesse an einer Rückkehr der Radikalislamisten hat. Tribal cultures Der deutsche ISAF-Einsatz dauerte dreizehn Jahre. Die Zeit der intensiven Kämpfe von 2009 bis 2011 war somit eine Ausnahmeperiode, und selbst in dieser Zeit war nur eine Minderheit der deutschen Soldaten in Gefechte verwickelt. Dennoch: Der Luftschlag von Kunduz, die verwackelten Bilder der Helmkameras von stundenlangen Gefechten, die 687
Toten und Verwundeten prägen bis heute das Bild dieser Mission. Wäre es die ganze Zeit so ruhig wie in Bosnien gewesen, niemand würde heute noch über den ISAF-Einsatz sprechen. Je mehr Schreckensnachrichten zu vernehmen waren, desto nachdrücklicher stellte sich die Frage, was die Bundeswehr am Hindukusch eigentlich zu suchen hatte und ob der Preis nicht zu hoch sei. Afghanistan brachte den überwunden geglaubten Krieg zurück ins Bewusstsein der Bundeswehr. Es ging nicht mehr ums Abschrecken, Planen und Üben. Der Kampf mit seinen hässlichen Erscheinungen war nun Wirklichkeit geworden. Aber jene, die ihn im Auftrag von Regierung und Parlament führten, blieben der Gesellschaft und auch Teilen der Bundeswehr fremd. Die Soldaten der Infanterie- und Schutzkompanien, der Quick Reaction Force, des harten Kerns der Infanterie also, lebten in der Logik des Krieges, nicht in der des Friedens. Und sie nahmen den Auftrag des Kampfes an. Sie wollten geradezu ins Gefecht, »um denen in den Arsch zu treten«, wie es der Stabsgefreite Johannes Clair ausdrückte.267 Gerade die Fallschirmjäger kamen besonders »vorgespannt« nach Kunduz. Sie wollten erleben, wofür sie lange und hart trainiert hatten. Sich beweisen, den Kick des Adrenalins spüren, die Anspannung überwinden, die geradezu euphorischen Gefühle nach der Rückkehr ins Lager auskosten.268 Die Bewährung im Gefecht war in ihrer Welt das höchste Gut, übrigens auch für die studierten Kompaniechefs. Manche von ihnen stiegen auf, gehörten zu den Besten ihres Jahrgangs, besuchten den exklusiven Generalstabslehrgang. Aber im Rückblick sagen sie, die Kompanie im Gefecht zu führen sei die intensivste, herausforderndste und beste Zeit ihrer bisherigen Bundeswehrlaufbahn gewesen. Das galt für die Mannschaften und Unteroffiziere erst recht, und nicht nur der harte Kern der Infanterie dachte so. Auch von anderen Truppenteilen ist 688
überliefert, wie sie nach langem Innendienst »ganz krank« waren und wie es in ihnen »kribbelte«, wenn sich die anderen fertig machten, um den Taliban »ordentlich aufs Haupt« zu schlagen. Die Infanteriekompanien waren raue Männergesellschaften – Frauen waren in den Kampfeinheiten nur ganz vereinzelt eingesetzt –, die sich rasch mit selbst beschaffter Kleidung und Ausrüstung, lässigen Gesten und Blicken einen eigenen Habitus schufen. Manche imitierten Riten amerikanischer Soldaten, die man aus den Vietnam-Filmen kannte, etwa den eigenen Helm zu beschriften. »I fight for Merkel« – das gab es bald auch als Patch, den man sich am Ärmel befestigen konnte. Mancher hatte es lieber martialischer und bevorzugte ein Totenkopfsymbol. Häufiger zu sehen war das T-Shirt mit dem alten Fallschirmjägerspruch »Klagt nicht, kämpft«, das in Masar-e Sharif verkauft wurde und sich auch bei den Verbündeten großer Beliebtheit erfreute. Ein nicht bekannter Urheber hatte ein makabres T-Shirt mit dem Motiv der am 4. September 2009 zerstörten Tanklaster und dem Aufdruck des siebten Gebots »Du sollst nicht stehlen!« hergestellt. Es wurde zwar sogleich verboten, machte aber doch die Runde. Während das Verteidigungsministerium empört reagierte, war die Reaktion vor Ort gelassener. Auch höhere Offiziere hatten für diese Art von schwarzem Landserhumor ein gewisses Verständnis. Unterbunden werden mussten auch die vielen Anspielungen auf den Zweiten Weltkrieg. Die Afrika-KorpsPalme tauchte bald auf den Fahrzeugen auf, der Aufnäher »Deutsches Afghanistan-Korps« wurde aus dem Verkehr gezogen, weil er zu sehr an das Wehrmachtvorbild des Deutschen Afrika-Korps erinnerte. Manche griffen auf Metaphern aus der Science-Fiction-Welt zurück. So hießen die großen deutschen Hubschrauber CH-53 »Nazgul« nach den 689
bösen Schwarzen Reitern in der Verfilmung von Tolkiens »Herr der Ringe«.269 Wie so häufig war die Führung der Bundeswehr blind für den Umstand, dass sich die Soldaten habituell ihrer kriegerischen Umwelt anpassten. Man tat wenig, um diesen Prozess bewusst zu kanalisieren und aktiv zu steuern. Meist wurde mit Verboten reagiert, und viele höhere Offiziere hatten keine Ahnung, was ihre Soldaten draußen im Feld trugen und welche Musik sie hörten. Wie immer an der Front lockerten sich auch in Afghanistan die formalen Umgangsformen. Viele Soldaten trugen ein Sammelsurium von Ausrüstungsund eigenen Kleidungsstücken. Nachdem ein Offizier auf der Höhe 431 seine Fallschirmjäger inspiziert hatte, schrieb er in sein Tagebuch: »Die Truppe sah etwas wild aus, aber war guter Stimmung.« Er war voll des Lobes für seine Leute, beschrieb sie als »motiviert« und »leidensfähig«. Sie seien eine »exzellente Truppe«, die kämpfen »will«. Aber auch die Panzergrenadiere seien »wirklich feine Jungs, gut ausgebildet und hoch motiviert«.270 Die Soldaten beschrieben ihn hingegen als »gesitteten Offizier« mit Empathie für die Truppe, der manches durchgehen ließ, aber dann klare Grenzen setzte. Sie achteten ihn wegen seines taktischen Verständnisses, seiner klaren und durchdachten Führung und weil er mit draußen war. Die Grundlagen der Kohäsion von Truppe und Führung hatten sich in den letzten 100 Jahren nicht verändert. In ihrer sozialen Zusammensetzung waren vor allem die Kampftruppen, die in westdeutschen Garnisonen lagen, denkbar heterogen. Die Verbände rekrutierten sich zumeist aus Soldaten der Region und waren ein Spiegel der Einwanderungsgesellschaft. So diente der niedersächsische Abiturient Johannes Clair bei den Seedorfer Fallschirmjägern 690
neben zahlreichen Russlanddeutschen.271 Andere hatten serbische, persische, jordanische oder türkische Wurzeln. Die Russlanddeutschen waren in den westdeutschen Kampfeinheiten des Heeres besonders stark vertreten. Es gab Fallschirmjägerzüge, die zu mehr als einem Drittel aus Spätaussiedlern aus der Sowjetunion bestanden272, sodass man dort mit Russisch gut zurechtkam. Sie wurden von ihren Offizieren als exzellente Soldaten beschrieben: hart, robust, stoisch, zuweilen auch gewaltaffin. Sie hatten spürbar einen anderen kulturellen Hintergrund als die Bürgersöhne aus Düsseldorf, Hamburg oder Stuttgart. Etliche waren wohl in erster Linie Fallschirmjäger und erst dann Deutsche. Sie hatten zumeist auch andere Männlichkeitsbilder. Ein DeutschGeorgier, Gebirgsjäger, antwortete auf die Frage, wie er denn seine »biodeutschen« Kameraden sehe: »Die Bayern sind ok, aber die anderen sind Weicheier. Und die Deutschen sind nicht stolz. Ich bin stolz, Feldwebel in dieser Armee zu sein.«273 Zusammengeschweißt wurden sie alle durch die Kohäsion der tribal cultures und der Primärgruppen sowie durch die Erfahrung des Krieges. Etliche Kompanien waren schon lange zusammen, hatten die intensive Einsatzvorbereitung durchlaufen, wollten sich nun gemeinsam im Gefecht bewähren. Sie standen die Extremsituationen gemeinsam durch, wuchsen zu einer engen Kampfgemeinschaft zusammen.274 Ihnen ging es dann gut, wenn sie nicht passiv Gewalt erdulden mussten, sondern selbst agieren konnten275, selbst wenn sie sich damit einem höheren Risiko aussetzten. Deshalb drängten Zugführer und Kompaniechefs ihre Kommandeure, aktiver zu werden, auch mal ein Risiko einzugehen und vor allem härter zuzuschlagen. »Für mich steht es fest, lieber vor Gericht wegen 10 toter Zivilisten als nur einmal zu wenig geschossen und deshalb einen 691
Kameraden verloren zu haben. Wenn es der Führung nicht passt, können sie mich ja wieder nach Hause schicken«, schrieb ein Soldat in sein Tagebuch.276 Und weiter notierte er: »Feuergefechte beim Polizeihauptquartier an der Route ›Kamins‹, schon vier Tote auf Seiten der Taliban. Die wurden von einer Panzerfaust getroffen. Das hat mich so nicht weiter beunruhigt, da es ja keine Toten auf unserer Seite waren. Die Aufständischen lassen sich von normaler Munition kaum beeindrucken. Wir haben gehört, die haben vor Gewehrmunition keine Angst, weil sie dann noch am Stück sind. Deswegen hilft es viel mehr, wenn wir sie mit Sprengmitteln belegen. Wenn sie von einer Granate getroffen werden und zerfetzt werden, dann müssen danach ihre Freunde kommen und die ganzen Teile aufsammeln. Denn wenn sie nicht vollständig begraben werden, haben sie Probleme im muslimischen Himmel.«277 In dieser Logik des Kampfes glichen diese Soldaten denen der Wehrmacht oder auch denen der kaiserlichen Armeen des Ersten Weltkriegs. Die große Rolle der Kameradschaft278, der nonchalante Umgang mit dem Tod der Feinde, die Abwertung des Gegners, die ordnende Kraft der Gewalt – diese Formen der Kriegerkultur waren generationenübergreifend festzustellen. Ein Offizier notierte in sein Tagebuch: »Wir waren verdammt aufgekratzt, gleichzeitig aber auch müde und abgekämpft, und diese ganzen Turbanträger gehen einem mit der Zeit unheimlich auf die Nerven. Die Männer auf den Motorrädern mit den AK 47, die ihre Frauen in Burkas stecken, die Unschuldslämmer, die die RPG im Hof stehen haben und nur darauf warten, sie auf uns abzufeuern. Irgendwann auf diesem Ritt über die Piste sprach ich es aus und A. bestätigte es: ›Ich hätte wirklich Spaß daran, einen von denen einfach vom Motorrad zu schießen.‹«279 Als das Thema 692
später beiläufig in der Unterhaltung mit einem Truppenpsychologen aufkam, meinte der nur gelassen: »Is’ normal.« Besagter Offizier nahm nie an einem Gefecht teil und konnte daher seine Gewaltfantasien rasch wieder einfangen. In seinem Tagebuch blieben sie in dieser Deutlichkeit eine Ausnahme. Bei anderen, die um ihr Leben hatten kämpfen müssen, waren solche Fantasien viel stärker ausgeprägt. Ein Soldat, der am Karfreitagsgefecht von Isa Khel teilgenommen hatte, drückte es so aus: »Man baut einfach einen Hass gegen die Bevölkerung auf. Das ist natürlich ein Problem, das haben aber viele. Man möchte am liebsten auch alle normalen Afghanen ins Jenseits befördern. Das liegt daran, dass man die einfach nicht unterscheiden kann und dann baut man ein allgemeines Feindbild auf.« Zweifellos verschoben sich in der Hitze des Gefechts und vor allem im Guerillakrieg, in dem die Bevölkerung kaum von den Aufständischen zu unterscheiden war, die Maßstäbe. »Man hat dann nachher intern gesagt, ich weiß nicht, ob das von offizieller Seite abgesegnet war, dass bei solchen Vorfällen Leute mit Telefonen in der Hand zum Abschuss freigegeben werden. Die informieren den Feind über unser Vorgehen. Und genauso wird auf schreiende Zivilisten, die zwischen den Häusern laufen, geschossen. Weil man hat gesagt, dass bei einem solchen Gefecht kein normaler Zivilist einfach schreiend hin und her rennt.«280 Die Bundeswehrsoldaten waren Teil eines Gewaltraumes, ganz gleich, ob sie selbst kämpften oder nicht. Die Geschichten vom Töten gehörten bald dazu. Sie wurden eingeflochten in Gespräche über das Essen oder das Wetter – den Alltag eben. Einen deutschen Offizier hatte es in einen Außenposten der Schweden verschlagen. Dort entspann sich ein abendliches Gespräch. In seinem Tagebuch heißt es: »Bei 693
einer Patrouille war ein Gefechtsfahrzeug wegen eines zu spät erkannten Straßenschadens umgekippt, ohne daß es Verletzte gegeben hatte. Als sie [die Schweden] das Fahrzeug bergen wollten, gerieten sie unter Gewehr- und RPG-Beschuß. Sie erwiderten mit Maschinengewehr. Auf schwedischer Seite keine Verluste, aber ein Taliban getötet. ›Cut in the middle by our fire‹, fügte Hauptmann C. hinzu. Ich bemerkte, das sei in einer solchen Situation sicher ›satisfying‹. ›Yes‹ [sagte er] und lachte dabei. Die Schweden haben auf manchen ihrer Fahrzeuge schwere MG 50 lafettiert. Wir genossen abends das gute Essen und saßen danach noch eine Zeit lang auf der kleinen Veranda vor dem Haupthaus mit Blick auf zwei Schuppen, den Generator, die Antenne und einen Wachturm und rauchten. Unter Tarnnetzen standen zwei Gefechtsfahrzeuge. Ein Soldat fummelte am Motor herum. Beschauliches Soldatenleben – ein Lageridyll.«281 Der Grünen-Abgeordnete Winfried Nachtwei flog als Mitglied des Verteidigungsausschusses oft nach Afghanistan und besuchte dort die deutschen Truppen. Im Juni 2009 erlebte er deutlich den »soldatischen Grundmechanismus von Kriegen ›entweder wir oder die‹ und den kameradschaftlichen Zusammenhalt als elementaren Antrieb«. Er sorgte sich, wie die Soldaten mit den Gefechtserfahrungen umgehen würden: »Wie werden Staatsbürger in Uniform damit fertig – mit dem sich einbrennenden Film eines solchen Überlebenskampfes? Wie bewährt sich jetzt Innere Führung, die Bindung der Bundeswehr an die Werte des Grundgesetzes?« Um sich gewissermaßen von seinen Sorgen zu entlasten, schrieb er in seinen Reisebericht, dass »ein AFG-erfahrener dt. Diplomat in Kabul die ›entschlossene Besonnenheit‹ der Bundeswehrsoldaten«282 gelobt habe. Dies traf auf die Offiziere sicherlich zu. Doch die tribal culture der 694
Infanteristen war damit wohl nur verkürzt beschrieben. Ein ehemaliger Kommandeur der Task Force Kunduz meinte: »Im Gefecht sind meine Soldaten zuallererst Krieger und können nur so im Verbund von Herz und Verstand stabil bestehen; erst wenn es Ruhe gibt, Sinnhaftigkeit und Motivation des eigenen Handelns zu reflektieren, kann man dem Staatsbürger in Uniform begegnen, sofern man sich für die Menschen dahinter interessiert und sie ernst nimmt.«283 Es ist wenig überraschend, dass sich viele der damals politisch und militärisch Verantwortlichen mit der Kriegerkultur der Soldaten und den dazugehörenden Gewaltdiskursen schwertaten. Dabei soll nicht übersehen werden, dass es die Achtung des Gegners, die besondere Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung und ein positives Menschenbild sehr wohl gab284 – und zwar weit mehr als zu früheren Zeiten. Das lag am viel strikteren Regelwerk der Bundeswehr, das Gewalt nicht beförderte, sondern zähmte, und an der im Vergleich zu den Weltkriegen viel geringeren Dimension der Gefechte und Verluste. Es lag auch an dem Umstand, dass die Soldaten, selbst wenn sie sich noch so martialisch in Szene setzten, aus der postheroischen bundesrepublikanischen Gesellschaft kamen, in der das Töten und Sterben im Krieg besonders negativ besetzt war. So wären die Fallschirmjäger gewiss nicht auf die Idee gekommen, mit entschlossenem »Hurra« todesmutig in die feindlichen Stellungen einzubrechen, wie es in der Wehrmacht gang und gäbe war.285 Etliche Bundeswehrsoldaten hatten nach einer Reihe von Gefechten genug vom Krieg. Niemand wollte in diesem »Scheißland« sterben. »Ich dachte an Sinn und Sinnlosigkeit dieses Einsatzes, dachte über die Afghanen nach und über unseren reichlich gutmenschenhaften Ansatz. Die Afghanen 695
lachen sich wahrscheinlich über uns kaputt, wenn wir gegangen sind – jedenfalls Verbrecher wie Atta, Daud oder Dostum.286 Ich glaube, wie die meisten Soldaten will ich in erster Linie unversehrt nach Hause. Und im Gegensatz zu [Ernst] Jünger, der Frankreich wohl eigentlich mochte, mag ich Afghanistan überhaupt nicht, und ich glaube, an meiner Abneigung wird sich auch nichts mehr ändern. Sterben ausgerechnet für Afghanistan. Das wäre doch mehr als ärgerlich«, notierte ein Offizier in sein Tagebuch.287 Hauptmann Wolfgang »Wolle« Schröder wollte auch nicht für Afghanistan sterben. Aber er war zum Kämpfen nach Kunduz gekommen, um der Bundeswehr wieder mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen. Zwischen ihm und Michael L., dem Chef der Nachbarkompanie, herrschte eine Art Wettstreit unter Kameraden, wer die beste Kompanie führte, wer es besser schaffte, den Gegner möglichst ohne Verluste zu besiegen. Mancher Soldat sah den Tatendrang »Wolle« Schröders kritisch. Einige fragten sich, warum sie sich solch einer Gefahr aussetzen sollten, wenn die 3000 anderen Soldaten des Kontingents es nicht im gleichen Maße taten.288 Schröders damaliger Bataillonskommandeur jedoch war voll des Lobes, beschrieb ihn als einen der besten und kampferfahrensten Kompaniechefs der Bundeswehr. Seine Einheit leistete durch ihre Initiative zweifellos einen wichtigen Beitrag, um aktiver zu werden und die Taliban schließlich im südlichen Char Darah niederzukämpfen. Aber Schröder hatte auch großes Glück. Viele Gefechte hätten schlimm ausgehen können.289 Dass Schröder mit seinem ausgeprägten Kampfeswillen aus der Fallschirmjägertruppe kam, ist keine Überraschung. Die unterschiedlichen tribal cultures der Truppengattungen waren in Afghanistan deutlich sichtbar. Die Infanteristen 696
waren zweifellos gleichermaßen tapfer, aber die Fallschirmjäger betrachteten sich als Elite, galten als aggressiver als etwa die Gebirgsjäger, die in ihrer zumeist jovialen bayerischen Art, auch durch die kulturelle Prägung der Gebirgsausbildung, als zurückhaltender und besonnener beschrieben werden. Einen nachhaltigen Eindruck von Schröders Männern bekam Marcel Bohnert, als er im Oktober 2010 in Vorbereitung seines Einsatzes als Chef einer Panzergrenadierkompanie mit einigen Kameraden nach Afghanistan kam. Er konnte zu diesem Zeitpunkt die Geschichten über die Kämpfe nicht recht glauben und war durchdrungen von den offiziellen Erklärungen zu den Erfolgen des Wiederaufbaus und der Unterstützung der afghanischen Bevölkerung auf ihrem Weg in die Moderne. Auf dem kurzen Flug von Termez nach Masar-e Sharif war die Stimmung an Bord des Transall-Transportflugzeugs noch gelöst. Die Gespräche drehten sich um Kneipentouren und Freizeitangebote im weitläufigen Camp Marmal. Man konnte fast glauben, man fliege nach Mallorca. Kurze Zeit später ging es weiter nach Kunduz. Völliger Szenenwechsel: Die Leute an Bord waren ernst, sprachen davon, in den »Kessel« zu fliegen, stopften ihre Helme unter die Sitze, um einen Schutz gegen möglichen Beschuss zu haben. Es fühlte sich ein bisschen so an, als sei man auf dem Weg nach Stalingrad. Bohnert wurde rasch klar, dass Kunduz Front war. Am Rand des Lagers standen die zerschossenen Fahrzeuge, und ein sichtlich gezeichneter Oberst meinte, er solle sich keinen Illusionen hingeben, dass er alle seine Soldaten wieder mit nach Hause bringen würde. Ein Dingo brachte Bohnert dann ins Polizeihauptquartier des Distrikts Char Darah, wo »Wolle« Schröders 697
Fallschirmjägerkompanie lag. Bohnert erinnert sich: »Wir fühlten uns ein bisschen wie Grünschnäbel – mit unseren frisch angelegten Wüstentarnuniformen blickten wir auf eine unter den Strapazen des Feldlebens gestählte Truppe, die von ihrem Besuch sichtlich unbeeindruckt schien. Einige Soldaten sicherten das Umfeld aus Sandsackstellungen, andere reinigten ihre Ausrüstung, trainierten mit selbst gebauten Hanteln oder standen beisammen und sprachen über die Erlebnisse der letzten Tage. Sie agierten dabei wie im Flow – die Zahnräder einer eingeschworenen Gemeinschaft mit eigenem Kriegerhabitus. Einige wirkten aufgepeitscht, andere abgekämpft. Aber sie wussten sehr genau, wer sie waren. Sie waren die, die für den deutschen Staat an vorderster Front die Drecksarbeit erledigten. Und darauf waren sie verdammt stolz. Ihre Gesichter wirkten verwegen und ihre Blicke hatten eine durchdringende Stärke. Viele trugen Bärte. Ihre Haut war gebräunt von Sonne und Staub. An einigen Helmen waren Strichlisten mit der Zahl an Gefechten und Sprengfallen sichtbar.290 Patches mit Totenköpfen oder diabolischen Smileys signalisierten die Bereitschaft, es mit jedem Gegner aufzunehmen. In den kahlen Gemäuern seines provisorisch eingerichteten Gefechtsstandes standen wir mit dem Kompaniechef vor Luftaufnahmen umkämpfter Ortschaften. Er berichtete mit einer rhetorischen Klarheit, wie ich sie nicht kannte: offensive Operationen, Gefechte, Ansprengungen, Nachsetzen, Verwundete, Bewährung im Kampf – das Kriegshandwerk war für ihn und seine Einheit Alltag. Dann besuchten wir einen durch die Fallschirmjäger im Feindgebiet errichteten Vorposten. Das Leben auf dem zerfurchten Hügel Höhe 431 erinnerte an die matschigen Schützengräben der Weltkriege. Maschinengewehrmündungen ragten aus selbst gebauten Unterständen und Stacheldraht. Zwischen Feldbetten und eingeschweißten Verpflegungsrationen wehte eine kleine 698
deutsche Flagge, der die Witterung bereits ordentlich zugesetzt hatte. Ein Hauptfeldwebel berichtete uns von den Gefechten der Vortage und erklärte auf meine Frage, wie er und seine Truppe mit den Belastungen ihres Auftrages umgehen würden, dass es sein Selbstverständnis und das seiner Männer sei, möglichst weit vorn zu operieren und im Falle eines Feindkontaktes möglichst nah am Geschehen zu sein. Ich traute meinen Ohren kaum. Er berichtete von chaotischen Scharmützeln im unmittelbaren Nahbereich, davon, wie sie im Eifer des Gefechtes mal eine Handgranate mit einem Nebeltopf verwechselt hatten, von einer Kalaschnikow, die ein Aufständischer neben ihnen über eine Mauer hielt und wahllos in seine Gruppe feuerte, und von der Eintönigkeit, die sich schnell breitmachte, wenn es mal nicht ›knallte‹. Abseits aller Beschönigungen und Euphemismen, hier wurde klar, wie es nicht klarer hätte werden können: Hier waren Krieger am Werk. Und sie waren in ihrem Element: im Krieg.«291 Mit der Friedenswelt der Bundeswehr daheim hatte dies wenig zu tun. Bohnert wurde klar, dass er sich Illusionen über den Charakter der ISAF-Mission gemacht hatte, dass er den Veteranen nicht zugehört, die Zwischentöne in mancher Fernsehreportage ignoriert hatte. Er hatte sich in der offiziell vorgegebenen Welt eingerichtet, in der das Archaische des Krieges nicht vorkam. Er war ein miles protector, wie er im Buche stand. Doch im Kunduz des Jahres 2010 wurde der Staatsbürger zum Krieger. Von den Fallschirmjägern war er irgendwie auch fasziniert, geradezu stolz, dass es so etwas in der Bundeswehr noch gab: Männer, die den Kern des Soldatischen verkörperten, die unter primitiven Bedingungen und in ständiger Lebensgefahr lebten, als hätte es nie etwas anderes gegeben. Assoziationen zu längst vergangenen Zeiten waren allgegenwärtig, auch wenn man über das 699
Offensichtliche nicht sprach. Als Bohnert dann im Juli 2011 selbst mit seiner Kompanie nach Kunduz verlegt wurde, war er zwar von etlichen Illusionen befreit – aber den Habitus eines Fallschirmjägers übernahm er nicht. Er war Panzergrenadier eines stolzen Verbandes: des Lehrbataillons 92, das im April 1956 als eines der ersten der Bundeswehr aufgestellt worden war. Er blieb seiner tribal culture verhaftet, in der es im Vergleich zu den Fallschirmjägern zurückhaltender zuging. Geprägt durch die Gefechte waren indes nicht nur die Infanteristen, die im PRT Kunduz nie mehr als dreißig Prozent der dort stationierten Soldaten stellten. In den Patrouillen fuhren auch Sanitäter, Instandsetzer, Feldjäger, Aufklärer, Pioniere mit und gerieten unter Beschuss. Die Mentoring Teams waren mit den afghanischen Sicherheitskräften im Einsatz, und auch die Soldaten für die zivil-militärische Zusammenarbeit gerieten zuweilen in Hinterhalte. Die Zahl derer, die der Gefahr und der Bedrohung ausgesetzt waren, war also wesentlich größer als jener harte Kern von Kämpfern. Für die Soldaten und die Bundeswehr als Institution waren die Gefechte zweifellos ein außergewöhnliches Merkmal des Afghanistan-Einsatzes. Deshalb wurde im November 2010 eine »Einsatzmedaille Gefecht« gestiftet. Keine andere deutsche Armee ist je auf die Idee gekommen, eine solche Auszeichnung für Soldaten zu schaffen, die – so die Verleihungsbestimmungen – »mindestens einmal aktiv an Gefechtshandlungen teilgenommen oder unter hoher persönlicher Gefährdung terroristische oder militärische Gewalt erlitten haben«292. In früheren Zeiten galt die Teilnahme an Kampfhandlungen schlicht als normal. Für eine Friedensarmee hingegen war ein Gefecht ein herausragendes Ereignis, das besonders zu würdigen war. Für die Verleihung 700
wurden Gefechte von April 2009 an gewertet. Bis heute wurden rund 5400 Gefechtsmedaillen an Bundeswehrsoldaten verliehen.293 Auch wenn man jene hinzuzählt, die vor dem Stichtag an Kampfhandlungen teilgenommen haben, waren keine zehn Prozent der deutschen Soldatinnen und Soldaten am Hindukusch in Kämpfe verwickelt.294 Allerdings gab es keine allgemeingültige Definition, und die Verleihungskriterien für die Medaille wurden sehr weit ausgelegt, was diese in den Augen vieler Soldaten entwertete. In gewisser Weise wurde sie ähnlich wahllos verliehen wie das Eiserne Kreuz im Ersten Weltkrieg, das dadurch ebenfalls seine Bedeutung verloren hatte. Wie immer man den Begriff Gefecht definiert: Nur eine kleine Minderheit hat in Afghanistan direkte Kampfhandlungen erlebt. Doch unabhängig davon, ob man hinter dem Maschinengewehr lag oder nicht, bewegte man sich zumindest in Kunduz und Baghlan von 2009 bis 2011 in einem Gewaltraum, in dem es ständig Tote und Verwundete gab. Nicht nur die eigenen Leute waren betroffen, sondern auch die Alliierten und vor allem die Afghanen. Das Bewusstsein, sich in einem Krieg zu befinden, war Allgemeingut. Insofern bildete die bald übliche Bezeichnung von »Draußis« und »Drinnis« die Identitäten nur verkürzt ab. Es gab Scharfschützen, die zwar ständig draußen den Insurgents auflauerten, aber nie einen Schusswechsel erlebten. Und es gab Offiziere, die kaum das Lager verließen, aber auf den Bildschirmen ständig mit Tod und Gewalt in Berührung kamen. Ein Mitglied der legendenumwobenen Task Force 47 – jenes Verbandes, der in Kunduz die deutschen Spezialoperationen durchführte – schrieb geradezu erfreut in sein Tagebuch, dass er nach zwei Monaten in Masar-e Sharif »endlich« mal »raus« dürfe. Viele waren frustriert, über 701
Monate keinen Schritt aus dem Compound tun zu können und in fensterlosen Containern herumzusitzen. Andere waren froh, dass sie nicht ins »Indianerland« mussten, und wurden nachdenklich, wenn die angeschossenen Fahrzeuge zurückkamen, man die Verwundeten sah und für die Gefallenen Spalier stand, bevor sie in die Heimat zurückgeflogen wurden. Manche wurden ängstlicher, je länger sie im Lager waren. Sie überkam eine geradezu übertriebene Furcht, wenn sie dann doch einmal auf einem Konvoi mitgenommen wurden. Die Begriffe »Drinnis« und »Draußis« beschreiben also zwei Gruppen, die es zu einem gewissen Grad gab. Hinter der saloppen Formulierung lag die todernste Unterscheidung, wer der Gefahr ausgesetzt war und wer nicht. Aber man darf den Gegensatz nicht zu stark konturieren. Die Übergänge der Aufgabenbereiche waren fließend.295 Eine zentrale Rolle für den Habitus der Soldaten spielten die höchst unterschiedlichen Binnenkulturen der Camps. In Masar-e Sharif gab es kaum Kämpfe, das Lager war riesig, der umfangreiche Stab des Regional Command North lag hier, die Sanitätszentrale, auch viel Luftwaffe, die für die Transporte von und nach Afghanistan zuständig war. Das Camp galt als Etappe, als »Moloch-Raumschiff, wo man sich mit sehr großem Aufwand um sehr viele Nebensächlichkeiten kümmert«296. Der Müll wurde sorgfältig getrennt, den afghanische Arbeiter dann einsammelten, außerhalb des Lagers wieder zusammenschütteten, nach Brauchbarem durchsuchten und irgendwo verklappten. Offiziere, die – wie in Kunduz oder im OP North üblich – ihre geladene Pistole bei sich trugen, wurden hier zuweilen angeschaut, als kämen sie von einem anderen Stern. Es gab Betreuungseinrichtungen aller Art, die in ihrer Fülle so gar nicht zu Land und Leuten passten. Man konnte Tanzkurse besuchen und in einem gut 702
ausgestatteten Fitnessbereich trainieren. Ein Soldat schrieb dazu in sein Tagebuch: »Dieses Mazar-e Sharif ist doch immer wieder merkwürdig. Nun dieser neue Eindruck: 40 Leute, die sich in einer Halle auf Maschinen quälen. Irgendwo da draußen ist Afghanistan, Straßen, Dörfer, Einwohner, finden Operationen statt, wird gekämpft. Schwer vorstellbar, wenn man auf dem Fahrrad sitzt und nervtötende VIVA-PolenMusik hört.«297 Lähmend wirkten auf viele auch die schiere Größe des Stabes, die internen Machtkämpfe, die undurchschaubaren Strukturen. »Bedenkenträger staatlich organisiert und teuer bezahlt […] Diese Armee ist in den Stäben so verkommen und verstrickt in Bedenken, dass ein ›Wollen‹ sofort in ein ›Nichtkönnen‹ umschlägt«298, notierte ein Stabsfeldwebel. Die Folge war, dass mancher aus der zweiten und dritten Reihe einfach fatalistisch seine Zeit absaß und ungeduldig die verbleibenden Tage zählte. Kunduz hingegen galt als Front. Dort übte man selbst mit dem letzten Küchenbullen die Verteidigung des Camps, falls die Taliban versuchen sollten, das Lager zu überrennen. Noch rustikaler ging es im 2010 errichteten OP North bei Baghlan zu. »Das OP North war noch viel schlammiger als das PRT [in Pol-e Chomri]. Von der Straße überquert man ein Flüßchen und kommt dann sofort an das äußere Tor, dann bergauf durch den Bereich der afghanischen Kräfte. Weiter steil den Berg hinauf, rechts und links Fahrzeuge aller Art, darunter auch Marder und Bergepanzer. Die Fahrzeuge stehen teilgedeckt hinter Hescos und Erdwällen. Auf der Bergkuppe die Stellung der Panzerhaubitzen. Es gibt nur wenige Container, hauptsächlich Zelte. Im Kommandeur-Zelt lagen zwei schmutzige Teppiche. Dagegen ist PEK299 eine Oase. Starke Frontatmosphäre. […] Die Leute machen hier alle einen sehr entspannten Eindruck, 703
sind anscheinend viel zufriedener als in MeS – trotz Zeltunterbringung, EPA-Verpflegung, Alkoholverbot und viel höherer Gefährdung. Oder gerade deswegen«, notierte ein Offizier in sein Tagebuch.300 Ganz ähnlich war es in den vielen kleinen Außenposten, in denen deutsche Verbindungsoffiziere und kleine Detachements mit den verbündeten Ungarn, Norwegern oder Schweden hausten. Durch das Zusammenleben etablierte sich so etwas wie ein transnationaler Kriegerhabitus. Man tauschte T-Shirts und Aufnäher, hörte auf MP3-Playern dieselbe Musik. Am wildesten ging es bei den amerikanischen Special Forces zu. Ein deutscher Offizier berichtete 2011 vom US-Außenposten »Russian Hill« im südlichen Baghlan: »Die Männer trugen vorzugsweise Tanktops, Vollbärte und selbst zusammengestellte Waffen und Ausrüstung. […] Auf den amerikanischen Gefechtsfahrzeugen stand ›IED-Express‹. Ein Soldat hatte auf seiner Schutzweste tatsächlich den Aufnäher ›Major League Infidel’301. Die Befehlsausgabe bestand aus vielen ›Fucks‹ und ›Motherfuckers‹. ›Hold your fucking eyes open‹ war der letzte Satz. Wir besprachen uns kurz, dann fuhren wir, eskortiert von den Amis mit einem Polaris-Buggy, einem Amrap und einem Humvee. An der Mittelstange des Polaris-Überrollbügels hingen die Gewehrgranaten wie eine Lampionkette. Auf dem Weg nach L. sahen wir viele Afghanen mit Kalaschnikows. Rechts und links der Straße Bewässerungsgräben, ein Flüßchen, teilweise dichte Vegetation. Keine Wendemöglichkeit. Dort möchte man nicht angesprengt werden. Dafür schossen die Amis schon mit MG, da waren wir noch keine Viertelstunde unterwegs. Ich konnte allerdings keinen Feind ausmachen und registrierte auch keinen Beschuss. Wir unterbrachen den Marsch nicht.«302 704
Mit der neuen Erfahrung des Kampfes war auch die Vergangenheit plötzlich wieder präsent. In der Truppe wurde schon 2007 die Forderung nach der Neustiftung des Eisernen Kreuzes laut. Eine Petition erhielt immerhin 5000 Unterschriften. Historiker und Soziologen waren darüber empört – galt ihnen das Eiserne Kreuz doch als Symbol des deutschen Militarismus und deutscher Verbrechen. Für die Initiatoren gehörte es hingegen zum Kern des eigenen Selbstverständnisses, war das Symbol der Freiheitskriege von 1813 und Hoheitszeichen der Bundeswehr – stand also auch für die bundeswehreigene Tradition. Die wenigen Ordenskundigen gaben zu Recht zu bedenken, dass der Tapferkeitsorden sowohl 1870 als auch 1914 und 1939 nur in einem staatlich erklärten großen Krieg gestiftet worden war.303 Der Konflikt in Afghanistan war mit dem deutschfranzösischen Krieg oder gar den Weltkriegen gewiss nicht vergleichbar. Aber der Verteidigungsminister wollte den Wunsch der Truppe nicht ignorieren und stiftete 2008 das Ehrenkreuz für Tapferkeit als höchste Stufe des Ehrenkreuzes der Bundeswehr.304 Der neue Orden wurde bis heute nur 29 Mal verliehen. Der Politik waren die bei der Ordensdebatte wieder aufkommenden Assoziationen mit dem Zeitalter der Weltkriege besonders unangenehm, weil man gehofft hatte, dergleichen überwunden zu haben. Bei manchen Soldaten, die am Hindukusch eingesetzt waren, schwang der Vergleich mit den vergangenen Kriegen aber mit. »Heute ist der 115. Geburtstag meines Großvaters«305, schrieb ein Offizier 2011 in sein Tagebuch. »Was würde er zu all’ dem wohl sagen? Gegen Somme und Chemin des Dames ist das hier natürlich ein Witz. Aber Haltung und Verhalten der Soldaten sind wahrscheinlich sehr ähnlich – abgesehen von official versions 705
natürlich, Erfolgsgeschichten von Wiederaufbau und Hearts and Minds, die man aber selbst von Stabsoffizieren nur sehr selten hört.«306 Manche Offiziere lasen die Kriegstagebücher von Ernst Jünger, die Unteroffiziere eher »Im Auge des Jägers«, die Memoiren eines österreichischen Scharfschützen in der Wehrmacht. Gerade bei der Infanterie war der Zweite Weltkrieg als eine Art Hintergrundrauschen präsent. Besonders anspruchsvolle Aufgaben wurden schon mal als »Ritterkreuzauftrag« bezeichnet, und die Erinnerung an die Großväter diente manchem Kompaniechef dazu, die Männer an ihre Pflicht als tapfere Soldaten zu erinnern, sie zu motivieren und ihnen zu helfen, die Angst zu überwinden. Andere hielten sich an das Verbot von Wehrmachtbezügen und erinnerten die Männer lieber daran, dass sie einen Eid auf die Bundesrepublik Deutschland geschworen hatten. Auch die Gefechte riefen bei manchen Soldaten Erzählungen über die Schlachten des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung. »Heute kommt mir das so vor wie in den Berichten alter Kreta-Kämpfer: Eingeschlossen. Ohne Munition. Ohne Nachschub. Mit dem Rücken zur Wand. Überall lauert der Feind, über den du Nichts weißt. Als würden zwischen den Gefechten keine 69 Jahre liegen«307, schrieb ein Teilnehmer der Kämpfe bei Isa Khel. Dabei ging es den Soldaten nicht um einen historischen Vergleich der beiden Konflikte, sondern um die Erfahrungen und Emotionen in einer Gefechtssituation – und da gab es nicht nur aus Sicht der Soldaten, sondern auch objektiv Parallelen.308 Wie relevant solche historischen Bezüge waren, lässt sich empirisch kaum belegen. Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, dass sie bei den meisten keine oder nur eine nachgeordnete Rolle spielten. Der durchschnittliche Afghanistansoldat dachte kaum an Monte Cassino oder die Somme und las wohl auch keine historischen 706
Bücher. Er dachte an das Hier und Jetzt, an die Bewährung seiner Kompanie, seines Zuges und seiner Gruppe. Und die Krieger orientierten sich in der Mehrheit wohl eher am Habitus amerikanischer Spezialkräfte. Jedoch darf man diese Bezüge – wie es von offizieller Seite versucht wird – auch nicht unterschätzen. Sonst wären die Afrika-Korps-Palmen gar nicht erst als Emblem auf den Fahrzeugen aufgetaucht.309 Kampf, Verwundung und Tod wirkten sich nicht nur auf jene aus, die im Gefecht standen. Auch die Offiziere in den Stäben, in den PRT, im RC North oder im Hauptquartier der ISAF in Kabul waren Teil dieses Krieges. Auf sie wirkte die Gewalt indirekt, über die hektischen Stimmen an den Sprechfunkgeräten, die Drohnenbilder, über die dürren schriftlichen Meldungen von den Gefechten im ganzen Land und über die Statistiken von »Troops in Contact« (TIC) und »Improvised Explosive Devices« (IED), nicht zuletzt durch die Ansprachen, die manche mehrfach vor den Särgen zu halten hatten. Auf den Kommandeuren lastete die Verantwortung für Leib und Leben ihrer Soldaten schwer. Sie lebten immer in dem Bewusstsein, dass ihre Befehle den Männern und Frauen das Leben kosten konnten. Anders als die einfachen Landser hatten sie – je nach Dienststellung – einen Überblick über die Lage in ganz Afghanistan. Sie wussten, mit welcher Härte die NATO auch nach dem Juli 2009 diesen Krieg führte. Man kann bislang nur spekulieren, wie deutsche Offiziere mit dem Wissen über exekutierte Taliban, getötete Zivilisten, versehentlich oder gezielt zerstörte Dörfer umgingen. Sie sprechen darüber aus nachvollziehbaren Gründen nicht gern. »Auch wir erzählen nicht alles aus Afghanistan«, sagte Jörg Vollmer, der zweimal im RC North das Kommando hatte.310 707
Alles deutet darauf hin, dass es in den Stäben durchaus unterschiedliche Auffassungen von legitimer und illegitimer Gewalt gab, auch Meinungsverschiedenheiten über die Rolle der Amerikaner im Land. Es sind Fälle bekannt, wo deutsche Stabsoffiziere abgelöst werden mussten, weil sie das Vorgehen der Amerikaner nicht mit ihren Vorstellungen über den Charakter des Einsatzes in Einklang bringen konnten. Doch das dürfte eher die Ausnahme gewesen sein. Wenn bei Operationen der amerikanischen Spezialkräfte Zivilisten auch mal im dreistelligen Bereich umkamen, nahm man das hin. Mancher wunderte sich gewiss, dass darüber nicht gesprochen wurde. Doch keiner wollte sich mit den Amerikanern anlegen, von denen die Deutschen in vielerlei Hinsicht abhängig waren. Im Zweifelsfall waren es ihre Hubschrauber, die deutsche Verwundete ausflogen, ihre Flugzeuge, die schwer bedrängten deutschen Soldaten Luftunterstützung gaben. Und wenn USSpezialkräfte nachts Taliban-Kommandeure töteten, brachte das auch der Bundeswehr mehr Sicherheit. Die Deutschen waren insgesamt loyale Allianzpartner, die die nächtlichen Schattenkrieger mit Logistik, mit Absperrungen und auch mit Sanitätern unterstützten. Kognitive Dissonanzen gab es also auch bei hohen Offizieren, nicht nur bei einfachen Soldaten. Und die meisten entwickelten Strategien, um sich davon nicht allzu sehr beeinträchtigen zu lassen. Liest man Tagebücher deutscher Soldaten aus Afghanistan, so fällt auf, wie sehr selbst hoch gebildete Offiziere auf das Hier und Jetzt konzentriert waren.311 Gedanken über größere Zusammenhänge oder den Sinn der Mission sind seltene Einsprengsel in den Aufzeichnungen. Weit mehr Raum nehmen Schilderungen der dramatischen Bergkulisse des Marmal-Gebirges, des Hindukusch oder der beeindruckenden Hubschrauberflüge ein. Ausführlich wird über das Essen 708
geschrieben und über die endlosen Querelen mit der Bürokratie, aber auch über das engere soziale Umfeld, über Kameraden und Vorgesetzte – etwa über General K., der zuweilen die Nerven verlor, durch seine Unsicherheit und Sprunghaftigkeit alle irremachte und »wie im Führerhauptquartier« seine gefürchteten Monologe hielt. Fragt man heute Stabsoffiziere, ob sie sich in Afghanistan über den Sinn des deutschen Engagements unterhalten haben, ob man abends bei Kerzenschein und Bier im kleinen Kreis reflektiert hat, welche Erfolgschancen die Mission angesichts der strategischen Lage überhaupt hatte, erhält man fast immer die gleiche Antwort: Nein, über die grundlegenden Fragen sei nicht gesprochen worden. Man habe sich auf den täglichen Einsatzbetrieb konzentriert. Ständig sei etwas passiert, ein Problem zu lösen, ein Auftrag zu bewältigen oder in fast schon obsessiver Detailtiefe nach Potsdam und Berlin zu berichten gewesen. Ein Oberst bekannte: »Erst Jahre nach meiner Zeit im RC North habe ich über den strategischen Kontext und am Ende auch über Sinn und Unsinn des Afghanistan-Einsatzes nachgedacht.«312 Die Gedanken und Reflexionen von Hunderten von Stabsoffizieren, die in rund ein Dutzend Jahren im ISAF-Einsatz standen, lassen sich aus Mangel an Quellen bislang kaum differenziert beschreiben. Es scheint aber so zu sein, dass das Prinzip Hoffnung in den Stäben weit verbreitet war, dass man etwa darauf vertraute, mit dem Truppenaufwuchs und der großen Kampfkraft der Amerikaner im Jahre 2010 werde es schon gelingen, die Sicherheitslage so zu stabilisieren, dass die Afghanen Vertrauen in die Zentralregierung gewinnen würden. Dass sich selbst höhere Dienstgrade kaum die Sinnfrage stellten, ist eine interessante Parallele zu den Egodokumenten aus dem Zweiten Weltkrieg. Nach deren Lektüre drängt sich 709
dem heutigen Leser die Frage auf, warum die Offiziere der Wehrmacht sich der Einsicht in das offensichtliche Scheitern wie auch in den kriminellen Charakter des Krieges meist verschlossen haben. Die Pfadabhängigkeit menschlichen Handelns und der Wunsch, das eigene Tun nicht infrage zu stellen, scheinen damals wie heute geradezu übermächtig gewesen zu sein. Und doch gab es damals wie heute schonungslos ehrliche Reflexionen. So wie der Panzergeneral Wilhelm Ritter von Thoma den Krieg spätestens seit 1942 für verloren hielt313, dachten auch in Afghanistan manche Offiziere sehr kritisch und sehr grundsätzlich über ihren Krieg nach. »Ich führte heute«, notierte ein Offizier in sein Tagebuch, »wieder ein längeres Gespräch mit M. [einem schwedischen Offizier], in dem wir uns gegenseitig versicherten, daß dieser ganze Krieg zu einem absurden Theater geworden ist und gar keinen Zweck mehr hat. M. meinte, er sei in erster Linie wegen des Geldes hier, das er in Schweden derzeit nicht verdienen könne. Er beabsichtige aber nicht, noch einmal nach Afghanistan zurückzukehren. Zur Wiederaufbauhilfe und Entwicklung des Landes sagte er knapp und treffend: ›I couldn’t care less.‹ Aus dem Munde eines Intellektuellen mit Bart und Brille und langen Haaren, wie es in der schwedischen Armee erlaubt ist, mag das merkwürdig und unerwartet klingen, aber ich konnte ihm nur beipflichten. Straßen und Brunnen möchten hier alle haben, aber das hindert niemanden daran, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Das ist den Leuten hier nämlich scheißegal. Sie hassen uns und sich gegenseitig. Die Gebildeten sind für unsere Begriffe überwiegend korrupte Verbrecher, die einfachen Leute schlicht unzivilisiert. Unseren menschlichen Ansatz verachten die meisten nur, vorausgesetzt, sie verstehen ihn überhaupt. M. und ich waren uns einig: Man hätte, 710
nachdem man die Taliban 2001 herausgebombt hatte, einfach Schluß machen sollen.«314 Etliche deutsche Offiziere, die regelmäßigen Kontakt mit den verschiedenen Warlords, Provinzgouverneuren und Distrikt-Chiefs hatten, waren offensichtlich bald desillusioniert über die Verhältnisse im Land. Man saß mit Leuten wie Rasul Khan zusammen, der tief in die organisierte Kriminalität verstrickt war, mit Drogen und Waffen handelte, von den Deutschen auch mal forderte, die Paschtunen zu »vernichten«, und dabei zuweilen Hitler zitierte. »[Er] hat überhaupt keinen Charme, strahlte Rohheit und Primitivität aus. I. sagte später, wir könnten ihr eine große Freude machen, wenn wir ihn umlegten«315, notierte ein Offizier nach einer solchen Begegnung. Khan kam 2013 bei einem Bombenanschlag ums Leben – eine weit verbreitete Todesursache für Lokalfürsten jedweder Couleur in Afghanistan. Mancher Soldat wunderte sich auch, dass die Bundeswehr ab 2010 mit den Todfeinden von einst, der radikalislamischen Hizb-i Islami (HiG), verbündet war, weil diese sich gegen die Taliban gewendet hatte. Zugleich fürchteten die Deutschen, dass die in der afghanischen Regierung sitzende islamistische Dschamiat-Partei Anschläge auf ihre Truppen begehen könnte. »So verkehrt ist hier die Welt«316, bemerkte ein Offizier. Angesichts dieser Verhältnisse war selbst bei ehrlich Bemühten das Verständnis rasch aufgebraucht. Bei etlichen Soldaten war eine »nicht zu überbietende Geringschätzung« für die Afghanen unübersehbar. »Kuddel«, »Schmutzfüße«, »Eself…« waren gängige Bezeichnungen, und mancher meinte, man solle doch einfach eine Atombombe auf das Land werfen. Selbstverständlich gab es auch die »Afghanistanversteher«, die durch nichts von ihrem 711
Engagement für Land und Leute abzubringen waren. Aber die waren zumindest in der Zeit der angespannten Sicherheitslage eine kleine Minderheit. Der Krieg in Afghanistan offenbarte etliche Parallelen zum Zeitalter der Weltkriege. Das betraf vor allem die situative Wirkung der Gefechte, die Rolle der Primärgruppen und der tribal cultures, aber auch die Fremdheitsgefühle gegenüber der einheimischen Kultur, die zuweilen in Verachtung umschlugen. Und doch waren die Unterschiede größer als die Ähnlichkeiten. Am Hindukusch kämpften keine Wehrmachtsoldaten, und dort tobte auch kein totaler Krieg. Das Sterben wurde für die Deutschen nicht zur Normalität, sondern jeder Gefallene blieb ein außergewöhnliches Ereignis. Obwohl insgesamt in Afghanistan von 2001 bis 2014 wohl deutlich mehr als 100 000 Menschen umkamen, blieb für die Deutschen im Norden das Sterben der Gegner oder der Zivilisten eher abstrakt, als dass man es tatsächlich erlebte. Der situative Druck auf die Soldaten war also wesentlich geringer als in den Weltkriegen. Und wenngleich das Leben in der Heimat trotz Telefon und Internet weit entfernt schien, gab es doch immer das Bewusstsein, dass man bald in ein friedliches Leben zurückkehren werde. Viele leisteten den Dienst auch wegen der hohen Auslandsverwendungszulage und planten schon die Anschaffung des neuen Autos oder einer neuen Küche. Vor allem aber war die Kultur der Bundeswehr von der Begrenzung der Gewalt, nicht von deren Eskalation geprägt. Verluste waren kein Zeichen von Erfolg, sondern von Misserfolg. Auch den Heißspornen unter den Kompaniechefs war bewusst, dass sie zivile Opfer tunlichst vermeiden mussten. Gefangene Gegner oder gar Zivilisten kurzerhand an die Wand zu stellen oder Dörfer anzuzünden, mag in der Fantasie manches Soldaten in unmittelbarer 712
Kampfsituation herumgespukt haben. Dergleichen umzusetzen lag aber außerhalb jeder Vorstellung. Und so waren selbst hartgesottene Soldaten des KSK erschüttert, als ihnen Amerikaner nonchalant davon berichteten, wie sie gefangene Taliban exekutierten. Der Krieg in Afghanistan im politischgesellschaftlichen Diskurs Ein weiterer gewichtiger Unterschied zu vergangenen Zeiten war das Verhältnis der bundesrepublikanischen Gesellschaft zum Militär im Allgemeinen und zum Krieg am Hindukusch im Besonderen. Vor 1945 waren Soldaten Helden, genossen eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Begriffe wie Pflicht, Opferbereitschaft und Vaterland waren fest im gesellschaftlichen Wertekanon verankert. In der Gesellschaft der Bundesrepublik bedeuteten diese Begriffe wenig. Die Soldaten beklagten sich daher auch über mangelnde Anerkennung, darüber, dass ihre Lebensrealität daheim nicht ausreichend gewürdigt werde.317 Während der Heimatdiskurs in den Weltkriegen gar nicht martialisch genug sein konnte, war er im 21. Jahrhundert das glatte Gegenteil davon. Der ungelenke Umgang mit dem Kämpfen und Sterben, die Verweigerung insbesondere der Politik, das Offensichtliche beim Namen zu nennen oder auch nur die Einsatzregeln den Realitäten anzupassen, brauchten viel Vertrauen bei den Soldaten auf. Die Praxis der Inneren Führung, auf die man sich so viel einbildete, erlitt massive Schäden, weil ein Dienen aus Einsicht kaum möglich war, wenn Regierung, Bundestag und Militärführung nicht willens waren, realistische Aufgaben und Ziele zu formulieren, sich stattdessen in Worthülsen flüchteten und die Soldaten mit einem gefühlten Legitimitätsdefizit in 713
den Einsatz schickten. Verteidigte man am Hindukusch wirklich die Werte und Normen des Grundgesetzes, während man zugleich eine korrupte Regierung unterstützte, mit Kriminellen zusammenarbeitete und deren Drogengeschäfte absicherte?318 Kabinett und Parlament haben diese Fragen nicht beantwortet.319 Um überhaupt das Mandat durch das Parlament zu bringen, musste die Illusion eines Stabilisierungseinsatzes möglichst lange gewahrt werden, um auch SPD, FDP und Teilen der Grünen die Zustimmung zu ermöglichen. Ehrlichkeit und Klarheit hätten das Mandat gefährdet, das die Bundesregierung zur Demonstration ihrer Bündnistreue und zur Wahrung ihres internationalen Einflusses unbedingt aufrechterhalten wollte. Ein Rückzug kam schon deshalb nicht infrage, weil Deutschland als eines der fünf regionalverantwortlichen Länder damit die ganze Mission gefährdet hätte. Der Schaden in der NATO wäre unkalkulierbar gewesen. Minister Karl-Theodor zu Guttenberg erlangte gerade deshalb ungeahnte Popularität bei der Truppe, weil er sich nach dem Karfreitagsgefecht traute, die Dinge beim Namen zu nennen, und erstmals von kriegsähnlichen Zuständen in Afghanistan sprach.320 Er verstand es, auf die Soldaten zuzugehen, besuchte sie auch auf den Außenposten und hielt keine nichtssagenden Reden. Zweifellos wusste er sich in Szene zu setzen, aber er hatte als einer der wenigen Politiker einen Zugang zu den »Kämpfern«. Doch seine Beliebtheit änderte nichts daran, dass im April 2010 62 Prozent der Deutschen für einen Abzug der deutschen Truppen waren.321 Für den Afghanistan-Einsatz stimmten nur noch vierzehn Prozent.322 Diese hohe Ablehnung war nicht per se mit den Verlusten zu erklären. Auch eine liberale, wenig kriegerisch gesinnte Öffentlichkeit kann Verluste akzeptieren, wenn sie 714
deren Sinn versteht.323 Doch die deutsche Politik konnte nie wirklich überzeugend darlegen, dass die deutsche Sicherheit am Hindukusch verteidigt werden musste.324 Die militärische Führung hat sich am öffentlichen Diskurs über Afghanistan nicht prominent beteiligt, weil die politische und militärische Hausleitung dies nicht wünschte. Gerade nach Ereignissen wie dem Luftschlag von Kunduz wurden Maulkörbe verhängt. So erhielt Kai Rohrschneider einen Rüffel vom Generalinspekteur, als er in einem Presseinterview im September 2009 Oberst Klein verteidigte.325 Gelegentliche Wortmeldungen ließ das Ministerium später zwar zu, aber einen nennenswerten Beitrag zu einem kritischen Diskurs leisteten die Spitzenmilitärs nicht, das entsprach wohl auch nicht ihrem Selbstverständnis. Die Realitätsverweigerung trat auch in der vom Verteidigungsministerium herausgegebenen Zeitschrift für Innere Führung zutage. Ein kritisches Wort über den Afghanistan-Einsatz fand sich dort in den Jahren 2001 bis 2011 kaum. Stattdessen wurde ausschließlich von Frieden und Aufbauarbeit gesprochen.326 Die Militärführung war also Teil des Problems. Sie übte nicht etwa eine Brückenfunktion zwischen gesellschaftlich-politischem Diskurs und Truppe aus, sondern bremste diesen dringend notwendigen Austausch zumeist noch. So gab es kein relevantes Medium, in dem die Offiziere sich mit ihren Einsatzerfahrungen auseinandersetzen konnten. Wie passte es mit den hohen Bildungsidealen der Bundeswehr zusammen, dass man sich noch nicht einmal traute, in engerem Rahmen einen kritischen Diskurs zuzulassen?327 Die viel gescholtenen Medien gingen unbefangener mit dem Thema Afghanistan um als die politische und militärische Führung. Sie betrieben – anders als die Parteien im Parlament – zumeist auch kein ideologisches Schattenboxen, sondern 715
zeigten sich grundsätzlich offen für den Einsatz der Bundeswehr als Teil deutscher Außenpolitik. Es ging weniger um das grundsätzliche Für und Wider als um praktische Aspekte wie die Aufgabenstellung oder die Ausrüstung.328 Die Soldaten wurden vielfach als Opfer und Leidtragende beschrieben, wobei der Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg immer mitschwang. Doch ihr Töten und das durch sie verursachte Leid wurden weitgehend ausgeblendet.329 Zwischen 2009 und 2012 gab es auch eine Vielzahl von Radio- und Fernsehbeiträgen, die den Krieg am Hindukusch zum Thema hatten. Selbst der »Tatort« kam nicht daran vorbei und produzierte mit »Heimatfront« und »Fette Hunde«330 zwei Folgen zum Thema. Über die Qualität dieser Abendunterhaltung mag man streiten. Totgeschwiegen wurde Afghanistan im Fernsehen aber nicht. Vor allem die zahlreichen Dokumentationen und Reportagen331 zeigten ein halbwegs realistisches Bild des ISAF-Einsatzes. Die Journalisten stellten kritische Fragen an die Politik und übten sich in Solidarität mit den Soldaten, die vor Ort ihr Leben riskierten. Ein Reporter wie Uli Gack war wegen seiner differenzierten Berichterstattung bei den Soldaten in Afghanistan hoch angesehen. Keiner der damals verantwortlichen Generäle oder Politiker hat seine Erinnerungen veröffentlicht. Über wenige zumeist belanglose und zuweilen bemerkenswert unkritische Aufsätze in Sammelbänden332 geht ihr Beitrag nicht hinaus. Die Soldaten vom Stabsgefreiten bis zum Oberst waren nicht so schweigsam. Mittlerweile liegen mehrere Dutzend Sachbücher aus ihrer Feder vor. Johannes Clair schaffte es mit seinem Buch »Vier Tage im November« sogar auf die Bestsellerliste.333 Diese Veröffentlichungen sind höchst subjektiv und dramatisieren die Lage am Hindukusch 716
zuweilen. Und über allzu delikate Details wird auch hier nicht gesprochen. Vom »Wegmachen«, »Abknallen«, »Umlegen« oder »Reinholzen« ist kaum die Rede. Die Autoren verfassten diese Texte nach ihrer Rückkehr und passten sich dem in Deutschland öffentlich Sagbaren an. Während die Generäle schwiegen und sich ein paar Dutzend Soldaten und Offiziere ihre Erlebnisse von der Seele schrieben, reagierten manche Geistesund Sozialwissenschaftler mit großer Sorge auf die Prägungen der »Generation Afghanistan«. Elmar Wiesendahl glaubte eine Reduzierung der Bundeswehr auf den Willen zum Kampf und auf überzeitliches Kämpfertum zu erkennen. Es werde einem Tugendfundament das Wort geredet, das mit dem demokratischen und zivilgesellschaftlichen Wertekanon nicht vereinbar sei. Den miles bellicus würden vom Staatsbürger in Uniform Welten trennen, da Letzterer von der »tiefen Überzeugung« geleitet werde, »als Soldat für höchste demokratische Werte wie Menschenwürde, Freiheit und Gerechtigkeit einzustehen«. Je mehr sich ein militärisches Sonderethos herausbilde, desto mehr werde sich die Bundeswehr von der postherorischen Mehrheitsgesellschaft entfernen. Politik und militärische Führung müssten daher verhindern, dass vorgestrige Kriegskonzepte größere Bedeutung für die Konstruktion soldatischer Berufsidentitäten gewännen.334 Wiesendahls Ansichten waren Reflexe auf die seit Aufstellung der Bundeswehr virulente Frage, ob die Streitkräfte vom Frieden oder vom Krieg her zu denken seien. Er stand mit seinen Vorstellungen nicht allein. Demnach sollten Soldaten vor allem Diplomaten, Konstabler und Streetworker sein, die von einem humanitären Kosmopolitismus angetrieben sein müssten.335 Solche idealisierten Vorstellungen dürften selbst für die CIMIC- 717
Soldaten, also jene, die in der zivil-militärischen Zusammenarbeit tätig waren, kaum zugetroffen haben. Während die einen das Bild einer Landsknechttruppe an die Wand malten, die eine Gefahr für die Demokratie sei, und andere die Soldaten zu Entwicklungshelfern umdeuten wollten, gab es durchaus auch pragmatische Überlegungen zum Bild vom Soldaten. Diese kämen aus der Mitte der Gesellschaft, so der Theologe Gottfried Küenzlen, und seien daher selbstverständlich Mitbürger. Sie müssten sich auch so begreifen. Ihr zentraler Bezugspunkt sei die Nation, nicht Europa und nicht der Weltbürger in Uniform. Die »Reallagen« vor Ort führten zwangsläufig zu einer Wieder- und Neubesinnung auf soldatische Tugenden. Schließlich sei der Soldat nicht – zumindest nicht in erster Linie – Sozialarbeiter, Mediator und Diplomat.336 »Demokratische Krieger« nannte Andreas Herberg-Rothe die Verbindung von Zivilgesellschaft und dem aus ihr entspringenden Subsystem Militär, dessen Selbstverständnis aber in erheblichem Maße durch Kampf und militärische Werte bestimmt sei.337 Zwischen der Identität als Kämpfer und derjenigen als überzeugter Staatsbürger bestand in der Tat kein Gegensatz. Während man in Großbritannien, Frankreich oder den Niederlanden wohl nicht im Traum darauf käme, zwischen beiden Rollen einen Widerspruch zu erkennen, arbeiteten sich insbesondere Teile des linken politischen Spektrums in Deutschland daran ab. Nachdem die Hoffnung groß gewesen war, durch die UN-Einsätze der Neunzigerjahre das Kämpferische des Soldaten endlich in die Mottenkiste verbannt zu haben, war die Rückkehr des Krieges in Afghanistan für viele gewiss ein herber Schlag. Interessant ist gleichwohl, dass die Debatte, wie ein Soldat zu sein habe, in erheblichem Maße von den Streitkräften selbst geführt wurde und von dort in den öffentlichen Raum 718
ausstrahlte. Wiesendahl und Küenzlen waren an der Führungsakademie in Hamburg bzw. an der BundeswehrUniversität in München tätig. Freilich war Küenzlen mit seiner vermittelnden Position eher eine Ausnahme. Etliche Dozenten definierten sich vielmehr durch eine maximale Distanz zu den Streitkräften. Es fiel ihnen erkennbar schwer zu akzeptieren, dass der Soldatenberuf eben nicht einer wie jeder andere war338 und dass der Verweis auf den Verfassungspatriotismus zur Beantwortung der Sinn- und Motivationsfrage ganz offensichtlich nicht ausreichte. Aufgrund der weltanschaulichen und habituellen Gräben war der Dialog zwischen Lehrkörper und Soldaten zuweilen wenig produktiv. Davon zeugt insbesondere das Buch »Armee im Aufbruch«339, das jüngere Offiziere der Kampftruppen von der Universität der Bundeswehr in Hamburg 2014 publizierten. Darin setzten sie sich pointiert mit den für sie ungelösten Fragen nach soldatischer Identität im 21. Jahrhundert, Tradition und zivil-militärischen Beziehungen auseinander. Der Gang an die Öffentlichkeit war als Weckruf gedacht, eine provokante Aufforderung, sich einer Debatte über die Lebenswelten von Soldaten im Krieg zu stellen, die sowohl die militärische Führung als auch die Dozenten der Universität offenbar verweigert hatten.340 Die Veröffentlichung fand zunächst kaum Aufmerksamkeit. Erst als die FAZ den Autoren »geistiges Säbelrasseln« vorwarf, eine unbotmäßige Kritik an der Gesellschaft erkannte und zugleich bemängelte, dass »das Militärisch-Soldatische als eigener Reflexionsgegenstand« in der Lehre der BundeswehrUniversitäten fast gänzlich ausgespart werde341, brach im Verteidigungsministerium hektisches Treiben aus. Öffentliche Kritik fürchtete man wie der Teufel das Weihwasser, schließlich gab es seit 1955 eine ungeschriebene Regel: 719
Soldaten hatten schweigend ihre von der Politik vorgegebene Rolle zu akzeptieren und vor allem nicht die Gesellschaft oder die mythisch aufgeladene Innere Führung als Symbol der Integration des Militärs in den demokratischen Staat zu kritisieren.342 Gegen diesen Gesellschaftsvertrag hatten die jungen Offiziere verstoßen und ernteten nun heftigen Widerspruch, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern gerade aus der Bundeswehr. Man befürchtete einen Skandal wie 1971 bei den »Hauptleuten von Unna« und ängstigte sich, dass die ganze Institution in Verruf geraten könnte. Damals hatte immerhin der Generalinspekteur mit den Protestlern gesprochen. Nun wurde der nachgeordnete Bereich bemüht, um die Wogen zu glätten. Es gab etliche Diskussionsrunden, in denen im Wesentlichen versucht wurde, den Offizieren wie jungen Bengeln zu erklären, was sie doch bitte zu denken hätten. Teilnehmer berichten, dass eigentlich nur der damalige Generalarzt Ulrich Baumgärtner einen Draht zu ihnen fand. Jan-Philipp Birkhoff, der hart mit der reinen Lehre der Inneren Führung ins Gericht gegangen war, wurde besonders scharf kritisiert. Generalleutnant Martin Schelleis fand es geradezu »bestürzend, dass sich ein lebens- und dienstunerfahrener Offizier öffentlich zur Inneren Führung äußert«343. Sogar der MAD schaltete sich ein, fand aber nichts Bedenkliches an der Gesinnung des jungen Leutnants.344 Viele Kritiker realisierten nicht, dass Birkhoff eigentlich nur wiedergab, was in der Schlammzone des OP North 2011 von vielen gedacht worden war.345 Und dass es vielleicht einen Grund hatte, warum Soldaten, die dort unter einfachsten Bedingungen kämpften und ihr Leben aufs Spiel setzten, mit Politik und Gesellschaft haderten. Die Diskussionsveranstaltungen verdeutlichten einmal mehr, dass zumindest Teile der Generalität die Verbindung zur 720
Kampftruppe schon lange verloren hatten. Immerhin gelang es, den Druck aus dem Kessel zu nehmen und die unerwünschte Debatte versanden zu lassen.346 Dass die Bundeswehrführung irgendwelche grundlegenden Schlussfolgerungen aus dem Gesprächsbedürfnis der »Leutnante 2014« gezogen hätte, ist nicht bekannt. Im Gegenteil: Der Inspekteur des Heeres Bruno Kasdorf verbot im selben Jahr mit dürren Worten die Verwendung der Losung »Treue um Treue«. Damit setzte er ein deutliches Zeichen der Entschlossenheit, gegen die in Afghanistan gewachsene Truppenkultur vorzugehen. Öffentlich bekannt wurde der Spruch durch Clairs Buch »Vier Tage im November«, das 2012 erschienen war. Es zeigte, dass die Losung von Fallschirmjägern, die 2010 im Raum Kunduz gekämpft hatten, gern verwendet wurde, um sich gegenseitiger treuer Kameradschaft zu versichern.347 Worin aber lag der Sprengstoff des Spruches? Er entstand offenbar im Frühnationalismus des 19. Jahrhunderts im Umfeld der Burschenschaften, blieb in seiner Verwendung aber wenig spezifisch. Erst zur Zeit des Hochimperialismus und des Ersten Weltkriegs lässt er sich etwa im Umfeld des soldatischen Nationalismus und als Ausdruck der Frontkämpfergemeinschaft häufiger nachweisen.348 Aber auch die Verwendung durch die SPD ist belegt.349 Im Dritten Reich war »Treue um Treue« in vielfältiger Form in der Publizistik gebräuchlich, wenn auch nicht so häufig wie in der Zeit von 1890 bis 1920. Das 1934 gestiftete Ehrenkreuz für Frontkämpfer wurde in einem Etui verliehen, in das die Worte eingelassen waren. 1943 war die Losung in der Fallschirmjägertruppe gebräuchlich, war auf Tellern und Urkunden zu finden.350 721
Wie verbreitet der Spruch während des Dritten Reiches war, ist bislang nicht bekannt. Er scheint nie den Stellenwert vergleichbarer Leitsprüche der SS (»Unsere Ehre heißt Treue«) oder der Wehrmacht (»Gott mit uns«) gehabt zu haben, weshalb er in der Bundesrepublik lange als unverdächtig galt. Gleichwohl war es kein Zufall, dass der 1949 von Kriegsteilnehmern gegründete Bund der Fallschirmjäger e. V. »Treue um Treue« als Losung übernahm und bis heute zur Erinnerung an verstorbene Mitglieder verwendet. Über die ehemaligen Wehrmachtsoldaten fand sie dann Eingang in die Fallschirmjägertruppe der Bundeswehr, wurde aber auch außerhalb dieser Truppengattung zuweilen verwendet, etwa bei Grabreden.351 Selbst der Referatsleiter Innere Führung, Oberst Werner von Scheven, beschrieb 1979 mit diesen Worten das Loyalitätsverhältnis von Staat und Staatsbürger.352 Der Spruch gehörte also zum Zeichenvorrat der Bundeswehr und war Teil der Fallschirmjägerkultur. Niemand hatte an ihm Anstoß genommen, auch nicht während der Traditionsdebatten in den Neunzigerjahren. Seine vermehrte Verwendung in Afghanistan scheint vor allem einen situativen Kontext gehabt zu haben. Zeitzeugen schließen dezidiert aus, dass man sich damit in eine Kontinuität mit der Wehrmacht habe stellen wollen. Es lässt sich freilich kaum nachweisen, was die Männer in Momenten dachten, als sie sich »Treue um Treue« zuriefen. Da der Zweite Weltkrieg gerade bei vielen Fallschirmjägern immer präsent war, ist es durchaus denkbar, dass sich zumindest einige damit bewusst in eine historische Kontinuität stellten. Wahrscheinlicher ist, dass der unmittelbare Kontext der Gefechte in Afghanistan im Vordergrund stand und man sich vor dem Kampf gegenseitig seiner Kameradschaft versichern wollte.353 722
Als sich öffentliche Kritik an der Losung regte, musste die Heeresführung entscheiden, was sie höher gewichtete: die durchaus gegebene Verbindung zur kontaminierten NS-Zeit oder den Umstand, dass »Treue um Treue« ein organischer Teil der Fallschirmjägerkultur der Bundeswehr war und in Afghanistan eine emotionale Aufladung erfahren hatte. Der Inspekteur des Heeres entschied sich für die Abschaffung. Etliche aktive Generäle halten diese Entscheidung bis heute für falsch – einer hat dies auf einem Traditionsworkshop 2017 im kleinen Kreis sogar der Ministerin gegenüber geäußert.354 Ihnen war bewusst, dass solche Worte in der Kampftruppe einen hohen emotionalen Wert haben, dass sie Kohäsion begründen und ein Stück weit für die Kämpfe des Jahres 2010 stehen. Eigentlich war der Spruch eher eine Chance, die oft geforderte eigenständige Tradition der Bundeswehr zu begründen und dabei auch die Kampftruppe zu berücksichtigen. Diese Chance wurde vertan, zumal Kasdorf keine Alternativen anzubieten hatte. Die Losung war nach dem Verbot populärer denn je, scheint aber heute nur noch in der Generation verbreitet zu sein, die in Afghanistan kämpfte. Afghanistan – eine Bilanz Die Bundeswehr ist am Hindukusch erwachsen geworden. Erstmals in ihrer Geschichte war sie damit konfrontiert, den Krieg nicht nur zu spielen, sondern auch zu führen. Das stellte die Organisation vor enorme Herausforderungen. Eigentlich hatte man geglaubt, die quälenden Diskussionen über das Wesen des Soldaten und die Vergangenheit, die nicht vergehen wollte, hinter sich gelassen zu haben. Mit den Friedensmissionen schienen die Streitkräfte eine Aufgabe gefunden zu haben, die außenpolitisch nützlich und zugleich gesellschaftlich vermittelbar war. Und die Wehrmacht schien im Papierkorb der Geschichte entsorgt. Doch dann lief 723
Afghanistan aus dem Ruder, und man musste lernen, mit Tod und Verwundung umzugehen, auch die psychischen Langzeitfolgen zu bewältigen. Etwa fünf bis zehn Prozent der Soldaten erlitten im Einsatz eine Posttraumatische Belastungsstörung. Doch die allermeisten Frauen und Männer waren resilient genug, um die Belastungen durchzustehen.355 Die Truppe zeigte sich dem Einsatz in mehrfacher Hinsicht gewachsen. Sie bewies, dass sie zu kämpfen verstand und die Taliban zwischen 2009 und 2011 in den wichtigsten Regionen Nordafghanistans zurückzudrängen vermochte.356 Das Kriegerhandwerk hatte in den tribal cultures überdauert. Aber es ging nicht nur darum. Die Bundeswehr bewies durchaus Verständnis für die politische Dimension der ISAF-Mission und dachte keineswegs nur in militär-taktischen Kategorien.357 PRT-Kommandeure, Interkulturelle Einsatzberater, Verbindungsoffiziere und die Teams für das Mentoring der afghanischen Armee oder für die zivil-militärische Zusammenarbeit waren viel im Land unterwegs, versuchten sich, so gut es ging, mit den Leuten von der Entwicklungszusammenarbeit, dem Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium zu koordinieren. Ohne die Soldaten wären die erheblichen Fortschritte beim Aufbau von Infrastruktur, Bildung und Wirtschaft nicht möglich gewesen. Die Bundeswehr hatte bei ihrem Einsatz allerdings nur wenig Spielraum, bewegte sich in einem von Regierung und Parlament gesetzten engen Rahmen: Aufgaben, Richtlinien, Kontingentgrößen bis hin zur Bewaffnung waren politisch gesetzt und nur in einem langwierigen Prozess zu verändern. So waren den Kommandeuren vor Ort oft die Hände gebunden, und sie liefen den Realitäten eigentlich immer hinterher. Ob die Bundeswehr die Politik immer klar und nachdrücklich auf die Lage in Afghanistan und damit auf die 724
Notwendigkeit der Anpassung des Mandats an die Realitäten vor Ort hingewiesen hat, muss bezweifelt werden. Allerdings lässt sich der Informationsgang von den PRTs über das RC North, das Einsatzführungskommando, den Generalinspekteur bis hin zum Minister und schließlich ins Kabinett bisher nicht genau nachvollziehen. Das eigentliche Nadelöhr scheint wie in früheren Jahrzehnten der Generalinspekteur gewesen zu sein. Gleichwohl: Jeder politische Entscheidungsträger, der wissen wollte, was in Afghanistan los war, konnte sich leicht ein Bild machen. Selbst die reichlich deskriptiven Unterrichtungen der Obleute des Verteidigungs- und des Auswärtigen Ausschusses sprachen zwischen den Zeilen eine unmissverständliche Sprache. In gewisser Weise war die militärische Führung ebenso strategielos wie die Bundesregierung. Und auch auf der operativen Ebene machte die Bundeswehr Fehler, nutzte vorhandenes Wissen über das Land zu wenig und stieg zu spät und zu zaghaft in die Unterstützung der afghanischen Armee ein.358 Doch wie man es dreht und wendet: Für den Ausgang der ISAF-Mission war das alles nicht entscheidend. Entscheidend war der Glaube der internationalen Gemeinschaft, am Hindukusch einen starken Staat mit einer sauberen Verwaltung aufbauen zu können. Das aber sollte sich bald als Illusion erweisen. Eine grundlegende Änderung der Lage konnte die Bundeswehr unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht bewirken. Die Truppen hatten kaum Einfluss auf die regionalen Machtstrukturen und schon gar nicht auf die kulturellen Prägungen, etwa die traditionell schwach entwickelte Loyalität zur Regierung in Kabul. Gegen die Skepsis, die weite Teile der Landbevölkerung der Moderne entgegenbrachten, war kein Ankommen. Machtstrukturen, von denen alle profitieren, waren in einem Land mit einer solchen 725
Vielzahl von Loyalitäten kaum zu errichten – schon gar nicht von christlichen Ausländern, die noch nicht einmal die Landessprachen verstanden.359 Andererseits lässt sich gewiss sagen, dass zumindest in den Anfangsjahren die Chance einer Stabilisierung der Lage vertan wurde, weil man sich zu sehr auf die Stadt Kabul konzentrierte, zu spät in die Fläche ging und insgesamt zu wenig in den Wiederaufbau investierte. Vor allem Briten und Amerikaner setzten im Süden und Osten des Landes anfangs ausschließlich auf die militärische Karte. So gesehen trägt auch die Bundesregierung einen nicht unerheblichen Teil der Verantwortung. Sie stellte viel zu wenig Mittel für den Aufbau einer afghanischen Polizei zur Verfügung, und die Gelder für zivile Projekte flossen erst zwischen 2010 und 2012 reichlich. Heute ist zu fragen, ob beziehungsweise was die deutsche Politik und die Bundeswehr aus den Erfahrungen in Afghanistan gelernt haben. In der Tat wurden in den Ministerien die Erfahrungsberichte studiert, Ausbildungsweisungen angepasst, im Auswärtigen Amt gar eine Abteilung Krisenprävention, Stabilisierung, Konfliktnachsorge unter Leitung des ehemaligen Botschafters in Kabul gebildet. Ein gewisser Lernerfolg lässt sich in vielen Ressorts beobachten. Ob das Potenzial immer ausgeschöpft wurde, darf bezweifelt werden: Wenn man hört, dass Gefechtsberichte für die Ausbildung nicht frei verfügbar sind, die PRT-Kommandeure noch nie zu einem Erfahrungsaustausch zusammenkamen, manches Debriefing allzu knapp ausfiel, dann ist anzunehmen, dass die Bundeswehr im Lernprozess unter ihren Möglichkeiten blieb.360 Ob die politischen Ressorts mit einer grundlegend besseren Bilanz aufwarten können, erscheint ebenfalls zweifelhaft. 726
Weit bedeutender ist aber der Blick auf das sicherheitspolitische System insgesamt, also die Interaktion von Kanzleramt, Verteidigungsministerium, Auswärtigem Amt, Entwicklungshilfe- und Innenministerium, aber auch dem Parlament und von nachgeordneten Behörden wie dem BND. Noch steht die Zeitgeschichte erst ganz am Anfang ihrer Beschäftigung mit dem deutschen Engagement in Afghanistan. Momentan könnten diese Fragen wohl nur im Kanzleramt beantwortet werden, weil es der einzige Ort ist, an dem alle Stränge zusammenlaufen. Freilich ist dort keinerlei Interesse zu erkennen, sich mit Fehlern der Vergangenheit zu befassen. Und so scheint sich in Mali in gewisser Weise alles noch einmal zu wiederholen. Die Bundeswehr ist 2013 den Franzosen ähnlich strategielos nach Westafrika gefolgt wie 2001 den Amerikanern an den Hindukusch. Ob das derzeitige Nebeneinander von fünf Missionen, die von Frankreich, der UN, der EU (zwei) sowie der Afrikanischen Union getragen werden, wirklich effizient und zielführend ist, muss bezweifelt werden. Ähnlich wie in Afghanistan spielt die internationale Gemeinschaft mittlerweile eine zentrale Rolle für die Aufrechterhaltung des Staates. Ohne ihr Engagement würde Mali schnell ein Opfer militanter Extremisten werden. Jedoch ist es in den vergangenen sieben Jahren nicht gelungen, nennenswerte Fortschritte im Aufbau eines starken Staates und einer sauberen Verwaltung zu machen. Die Aufgabe in Westafrika scheint auf Generationen hin angelegt, und es stellt sich die Frage, ob die westliche Staatengemeinschaft dazu bereit ist – insbesondere, wenn sie mehr Todesopfer zu beklagen hätte. Die einzige wirkliche Lehre, die die Bundesregierung aus dem Afghanistan-Einsatz gezogen hat, ist, dass sich Deutschland nie wieder in einen Krieg hineinziehen lassen darf und man sich deshalb strikt auf eine 727
Ausbildungsmission konzentriert. Aber was macht Deutschland, wenn die Lage in Mali eskaliert? Kann es sich auf Dauer dem Drängen Frankreichs nach größerem militärischem Engagement entziehen? Und wie effizient ist die Ausbildung von malischen Soldaten, wenn es den deutschen Soldaten – anders als in Afghanistan – noch nicht einmal erlaubt ist, mit ihren »Schülern« an die Front zu gehen und sie dort zu unterstützen? Die Quadratur des Kreises wiederholt sich: die Bundeswehr aus außenpolitischen Gründen in eine Auslandsmission zu schicken, deren Aufgaben aber nicht von den Notwendigkeiten vor Ort, sondern von der Innenpolitik bestimmen zu lassen. Eine wirkliche Verbesserung für Mali wird schon aufgrund dieses Strukturfehlers kaum zu erreichen sein. Die Rückkehr des Kalten Krieges? Bedingt einsatzbereit Im Februar 2014 übernahmen russische Soldaten die Kontrolle auf der Krim. Nach einem rasch durchgeführten Referendum annektierte Präsident Putin die Halbinsel, die von 1774 bis 1954 Teil Russlands gewesen und dann der ukrainischen Sowjetrepublik zugesprochen worden war. Im April 2014 brach im Osten der Ukraine ein Bürgerkrieg zwischen der ukrainischen Armee und prorussischen Milizen aus, die von Moskau massiv mit Soldaten und Waffen unterstützt wurden. Der polnische Präsident sprach von einer russischen Invasion, und im Baltikum fürchtete man, dass Moskau bestrebt sein könnte, das alte Sowjetimperium wiederherzustellen. Die NATO wurde von Putins Schachzug kalt erwischt. Politikern und Militärs fehlte schlicht die Fantasie, dass die Landes- und Bündnisverteidigung je wieder auf der Agenda stehen könnte. Und um die Fähigkeiten dazu stand es schlecht: Die Europäer 728
hatten nach 1990 die Friedensdividende aus den Abrüstungsvereinbarungen nach Ende des Kalten Krieges eingestrichen, ihre Verteidigungsausgaben stark gekürzt und die Streitkräfte nach den Anforderungen der Out-of-areaOperationen umstrukturiert. Deutschland hatte 2001 die Landes- und Bündnisverteidigung de facto aufgegeben. Die Bundeswehr war seitdem darauf ausgerichtet, mit einem Rotationssystem Kontingente aus den unterschiedlichsten Einheiten für Bosnien, den Kosovo und Afghanistan bereitzustellen. Die Divisionen und Brigaden waren als geschlossene Verbände seit Anfang der 2000er-Jahre überhaupt nicht mehr einsatzbereit. Wofür auch? Im Einsatz ging es ums Retten, Schützen und Helfen, nicht ums Kämpfen. Und selbst als es in Afghanistan immer kriegerischer zuging, war das mit der Bündnisverteidigung nicht zu vergleichen. Man kämpfte am Hindukusch schließlich nicht gegen eine russische Panzerarmee, sondern gegen Gruppen von einigen Dutzend mäßig bewaffneter Tagelöhner und Bauern. Zur Hochzeit der Gefechte wurden dort 25 Schützenpanzer und fünf Panzerhaubitzen eingesetzt. In den Kategorien des Kalten Krieges war das nicht mehr als ein Augenzwinkern. Die Armeen der Demokratien haben in ihrer Geschichte immer wieder Phasen radikaler Abrüstung erlebt – man denke nur an die britischen und amerikanischen Streitkräfte in den 1920er- und 1930er-Jahren. Insofern war die Schrumpfung der Bundeswehr in historischer Perspektive nichts Außergewöhnliches. Bemerkenswert war vielmehr, wie kurzsichtig sie vorgenommen wurde, denn man beraubte sich zugleich der Möglichkeit, das Ruder wieder herumzuwerfen. Die Abschaffung der Wehrpflicht war da noch das kleinste Übel. Nur Estland, Norwegen, Griechenland und die Türkei haben sie heute noch. Sie war in Deutschland mit seinen 80 729
Millionen Einwohnern durch die Reduzierung der Truppenstärke auf 200 000 Soldaten nicht mehr gerecht anzuwenden. Die Verweigerungs- und Ausmusterungszahlen hatten längst ein Ausmaß erreicht, das die Wehrpflicht de facto aussetzte. Folgenschwerer waren die andauernden Strukturreformen, die zwischen 2000 und 2011 erheblich dazu beitrugen, der Armee das Rückgrat zu brechen: Seit der Jahrtausendwende gab es keine allgemeine Reserve für den Krisenfall mehr, und die Bundeswehr verlor ihre personelle Aufwuchsfähigkeit.361 Zudem glaubte man, die schrumpfenden Streitkräfte durch Zentralisierung besser und billiger führen zu können. Zu den vormals drei Teilstreitkräften Luftwaffe, Heer und Marine kamen 2000 zwei sogenannte Organisationsbereiche hinzu: die Streitkräftebasis und das Sanitätswesen362 mit Querschnittsaufgaben für die gesamte Bundeswehr. Was sich auf den ersten Blick sinnvoll anhörte, verkomplizierte in der Praxis die Verwaltungsabläufe erheblich. Kurze Zeit später ging die Materialverantwortung für das Großgerät von den Teilstreitkräften an das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung über. Dieses zivile Amt der Bundeswehrverwaltung war seinen Aufgaben – wie sich zeigen sollte – nicht gewachsen. Zu allem Übel wurde 2005 die Heeresinstandsetzungslogistik GmbH gegründet. Große Teile der Wartungsarbeiten, die die Kampfeinheiten bis dahin selbst durchführten, wurden an diese bundeseigene Gesellschaft ausgelagert. Hinzu kam, dass die Bundeswehr zu wenig Geld für die Ersatzteilbeschaffung ausgab, ihre Lagerbestände plünderte und schließlich die großen Depots ganz auflöste. Die neue Organisation funktionierte schon im tiefsten Frieden nicht richtig, wie sich an der anhaltend niedrigen Einsatzbereitschaft der Fahrzeuge und Flugzeuge 730
zeigte. An einen nationalen Krisen- und Spannungsfall mochte da niemand denken. 2010 setzte Minister zu Guttenberg eine von Frank-Jürgen Weise, dem Chef der Bundesagentur für Arbeit, geleitete Expertenkommission ein, die Reformvorschläge unterbreiten sollte. Etliche ihrer Empfehlungen wurden umgesetzt363 und das Verteidigungsministerium grundlegend umstrukturiert. Andere Vorschläge verfolgte man nicht, etwa die Bündelung aller relevanten Rüstungsstellen in einer Agentur für Beschaffung nach zivilem Vorbild. Hier fehlte der politische Wille im Kabinett, das Beschaffungswesen jenseits von eher kosmetischen Veränderungen grundlegend zu reformieren. Allerdings hatte auch die Kommission nicht den Stein der Weisen gefunden, und manche ihrer Ideen – wie die Ausgliederung der Inspekteure aus dem Ministerium – erwiesen sich als kontraproduktiv. Zudem war sie von der Idee der Zentralisierung und Anpassung an zivile Strukturmodelle durchdrungen. Es scheint fraglich, ob dieser Weg für die militärische Welt immer die beste Lösung ist, weil Marktmechanismen hier nur bedingt sinnvoll sind. In der Instandsetzung hat sich das von Weise geforderte Outsourcing an private Dienstleister eher als fatal erwiesen. Allen Beteiligten wurde mehr und mehr bewusst, dass die Rüstung eines der größten Probleme der Bundeswehr war. Komplexere Waffensysteme kamen fast immer zu spät, waren zu teuer und brauchten zu lange, um einsatzbereit zu sein. Das galt selbst für den militärischen Fahrzeugbau, der traditionell eine deutsche Stärke war. Der Schützenpanzer Puma war in seinem Entwurf allzu ambitioniert. Als 2010 die ersten Fahrzeuge ausgeliefert wurden, gab es zahllose Probleme insbesondere mit der Elektronik. Die volle Einsatzbereitschaft ist frühestens 2025 zu erwarten. Obendrein fehlen 731
funktionierende Gefechtssimulatoren, sodass sich die Ausbildung der Besatzungen erheblich verzögert.364 Gewiss sind nicht alle Rüstungsprojekte so stockend verlaufen. So gelang es Deutschland wesentlich schneller als etwa Großbritannien, seine Soldaten mit gepanzerten Fahrzeugen auszustatten, um sie in Afghanistan vor Sprengstoffanschlägen zu schützen. Gleichwohl ist die Kampfbereitschaft des Heeres durch die großen Probleme bei Schützenpanzern und Hubschraubern im Bereich der Bündnisverteidigung noch auf Jahre hinaus massiv beeinträchtigt. Die Gründe dafür liegen neben ineffizienten Strukturen auch darin, dass der eigentliche Zweck von Rüstungsprojekten – nämlich die rasche Herstellung alltagstauglichen Kriegsgeräts – oft aus dem Blick geriet. Innen- wie außenpolitische Faktoren, die Sicherung von Arbeitsplätzen oder die gewünschte internationale Kooperation waren meist wichtiger als die militärische Funktionstüchtigkeit. Hinzu kamen übertriebene technische Forderungen der Militärs, deren Machbarkeit von vornherein fraglich erschien und die die Kosten in die Höhe trieben. Außerordentlich lange Planungs- und Herstellungszeiten belasten die Projekte, die kein Ingenieur oder Offizier vom Anfang bis zum Ende mehr mitverfolgen kann. Die ersten Planungen für den Kampfhubschrauber Tiger365 stammen aus den frühen 1980er-Jahren, der Erstflug erfolgte 1991, der Einsatz 2014. Die Bewaffnung mit modernen Panzerabwehrraketen PARS 3 wurde dann endlich zwischen 2015 und 2018 geliefert, weist aber erhebliche technische Mängel auf. Die europäische Rüstungsindustrie ist für den Bedarf der nationalen Armeen zu kleinteilig strukturiert, und es erscheint unsinnig, dass jedes Land sein Großgerät in eigener Regie herstellt. Trotzdem gelang es bisher nicht, sich auf höchster 732
politischer Ebene auf eine grundlegende Neustrukturierung zu einigen. Wenn etwa die Franzosen die Flugzeuge, die Deutschen die Fahrzeuge und die Niederländer die Schiffe bauen würden, wären größere Serien und geringere Kosten denkbar. Aber kein Staat will auf Schlüsselbereiche seiner Industrie verzichten, zumal die Länder auch ganz eigene sicherheitspolitische Interessen haben und somit unterschiedliche Anforderungen an ihre Rüstungsgüter stellen. Frankreich denkt an den Einsatz in Westafrika und den Export, Deutschland eher an schweres Gerät für die Bündnisverteidigung und eine restriktivere Ausfuhrpolitik zumindest für schwere Waffen. Frank-Jürgen Weise forderte in seinem Kommissionsbericht zwar die Angleichung an europäische Exportrichtlinien – eine wirkliche Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland hat es hier bisher aber nicht gegeben. Da die großen Länder im Rüstungsbereich bislang nur zu kosmetischen Zugeständnissen bereit waren, blieben echte Synergieeffekte aus. Größere Fortschritte schien es bei der Weiterentwicklung der Binnenstrukturen zu geben. Thomas de Maizière gliederte 2012 mit dem Dresdner Erlass das Verteidigungsministerium neu und setzte damit einige Empfehlungen der WeiseKommission um. Die Entscheidungsprozesse wurden aber nicht merklich gestrafft, eher trat das Gegenteil ein. Bei einer sinkenden Zahl von Indianern gab es immer noch erstaunlich viele Häuptlinge. Obwohl sich die Personalstärke der Bundeswehr seit Ende des Kalten Krieges mehr als halbierte, stieg die Zahl der Generäle und Admirale sogar an: von 193 auf 211.366 Und weniger denn je gab es klare Verantwortlichkeiten. Wohin diffuse Strukturen führen, zeigt am eindrücklichsten die Misere des Segelschulschiffs Gorch Fock.367 Das 733
Aushängeschild der deutschen Marine liegt seit 2015 und damit seit über fünf Jahren in der Werft.368 Die Kosten für die Reparatur sind von zehn auf schätzungsweise 135 Millionen Euro gestiegen. Die Verantwortung für die Instandhaltung liegt beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung (BAAINBw).369 Dessen Kalkulationen basierten aber nicht auf einer genauen Analyse der Schäden, sondern lediglich auf Erfahrungswerten. Deswegen waren eine Verlängerung der Liegezeit und eine Kostensteigerung um 30 Prozent intern bereits mit Beginn des Vorhabens eingeplant. Die detaillierte Planung der Instandhaltung wurde vom Marinearsenal (MArs) übernommen. Wie im BAAINBw waren auch hier die koordinierenden Stellen dauerhaft überlastet, die zugehörigen Werkstätten kaputtgespart. Beteiligt war auch das Marineunterstützungskommando (MUKdo). Dieses sollte das MArs mit technischer Expertise unterstützen, war durch Personaleinsparungen dazu aber kaum in der Lage. Die Leistungsbeschreibung, auf deren Grundlage die Bremer Lürssen-Werft sich für die Reparatur bewarb, wurde von MUKdo und MArs ohne wirkliche Kenntnis des Zustands der Gorch Fock erstellt. Viele Mängel wurden erst während der Reparatur entdeckt, die Kosten explodierten, die Instandhaltung verzögerte sich. Dies ist besonders vor dem Hintergrund der fehlenden Ersatz- und Austauschteile dramatisch. Diese mussten ad hoc für horrende Mehrkosten und um den Preis deutlicher Verzögerungen von der Industrie beschafft werden. Das geldgebende BAAINBw hatte in die konkrete Durchführung aufgrund fehlender Weisungsbefugnis gegenüber dem MArs keinerlei Einsicht. Die Bewilligung von zusätzlichen Geldern basierte daher immer nur auf den Angaben der zuständigen Stelle im MArs. Die Einsatzflottillen 734
der Marine und das Marinekommando waren auf die zügige Überholung der Gorch Fock dringend angewiesen, weil alle Seeoffizieranwärter einen obligatorischen Teil ihrer Ausbildung auf dem Schiff absolvieren sollten. Sie hatten aber keinen Einfluss auf die Durchführungsplanung, Ersatzteilbevorratung oder Personalsituation weder des MArs noch des BAAINBw, die der Abteilung Ausrüstung im Ministerium unterstehen. Die Einsatzbereitschaft, für die der Inspekteur der Marine gegenüber dem Minister eigentlich verantwortlich ist, lag damit außerhalb seiner Befugnisse. Im Fall der Gorch Fock musste auch bedacht werden, dass der emotionale Wert des Schiffes so hoch ist, dass niemand in blauer Uniform der Abwrackung zugestimmt hätte. Der Skandal um die Gorch Fock war allerdings kein Einzelfall: 2018 waren sämtliche deutschen U-Boote in Reparatur, die Werftliegezeiten der Fregatten und Korvetten verdoppelten sich regelmäßig. Auch dafür waren die Gründe systemischer Natur. Abgesehen von fehlenden Ersatz- und Austauschteilen und überalterten Schiffen war auch der Instandhaltungsprozess ein Sinnbild für die Verantwortungsdiffusion innerhalb der Bundeswehr. Die nicht endenden Reformen, Transformationen und Neuausrichtungen führten seit 2000 zu einem immer steileren Sinkflug der Einsatzbereitschaft. In der klassischen Landesverteidigung konnten die Streitkräfte noch etliche Jahre von der Substanz leben, doch um 2013/14 waren sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. Das betraf nicht nur die schlechte materielle Lage. Die Bundeswehr hatte den »Großkampf« schlicht verlernt, und nur noch einige wenige Veteranen des Kalten Krieges erinnerten sich vage an die großen Herbstmanöver der 1980er-Jahre. Die Heereseinheitliche Taktische Weiterbildung war längst aufgegeben worden, 735
sodass auch das gemeinsame Verständnis vom Einmaleins des Landkrieges verloren ging. Kaum noch jemand hatte Erfahrung damit, wie man einen Großverband im Kampf führt. 2013 gab es ohnehin nur noch drei Heeresdivisionen, von den einst 36 Brigaden waren noch acht übrig.370 Und schon deren Gliederung zeigte, dass diese Einheiten längst nicht mehr dafür gemacht waren, geschlossen zu kämpfen. Es fehlte an Artillerie und Panzern. Im Vergleich dazu war die Aufklärungstruppe durch die Auslandseinsätze überdimensioniert. Die Panzerabwehrfähigkeit der Jägertruppe war nur gerade ausreichend, die Feuerunterstützung durch 120-mm-Mörser schwach. Vor allem gab es keine Heeresflugabwehr – man hätte sich im Ernstfall also gar nicht gegen feindliche Kampfhubschrauber verteidigen können. Und die Munition reichte gerade einmal für wenige Stunden intensiven Gefechts. Zu allem Überfluss verfügte die Deutsche Bahn nur noch über wenige Schwerlastwagen, um Panzer zu transportieren. Hätte Russland 2014 die baltischen Staaten angegriffen, was nach der Krim-Invasion befürchtet wurde, hätten die Deutschen nur zuschauen können, weil sie ihr heruntergewirtschaftetes Waffenarsenal noch nicht einmal dorthin an die Front bekommen hätten. Nun wurde auch dem Kabinett und den Regierungsparteien klar, dass eine desolate Bundeswehr verheerenden außenpolitischen Schaden anrichtete. Da die Finanzlage des Bundes mittlerweile günstig war, gelang es der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, für ihre »Trendwenden« im Bereich Finanzen, Material und Personal erheblich mehr Geld zu beschaffen. Doch am Zustand änderte sich erst mal wenig. Die Einsatzbereitschaftszahlen in den Bataillonen und Brigaden waren desaströs und glichen jenen aus dem letzten Kriegsjahr 736
1944. 2016 waren im Durchschnitt in der gesamten Bundeswehr 132 Leopard-2-Panzer, 222 Schützenpanzer Marder, 41 Panzerhaubitzen 2000, elf Raketenwerfer Mars, neun NH-90 Transporthubschrauber, neun Kampfhubschrauber Tiger, 41 Eurofighter und 28 TornadoJagdbomber einsatzbereit.371 Anders gesagt: Von dem wenigen noch vorhandenen Material war meist deutlich weniger als die Hälfte verfügbar. Das waren für eine Streitmacht mit 170 000 Soldaten und einem Etat von 34 Milliarden Euro erbärmlich niedrige Werte. Wohl niemals in der Geschichte des deutschen Militärs hat die Generalität den Zerfall der Kampfkraft so schweigend zur Kenntnis genommen wie in den vergangenen 20 Jahren. Spricht man hohe Offiziere darauf an, so lautet die Antwort beinahe unisono, dass die Politik dafür verantwortlich sei und man dieser selbstverständlich sehr deutlich die Meinung gesagt habe. Werden wir eines Tages also, wenn die Archive für die Jahre 2001 bis 2020 geöffnet werden, Stapel von wütenden Denkschriften und geharnischten Memoranden finden? Werden wir gar von Rücktrittsgesuchen lesen? Zweifel sind angebracht, zumal der überschaubare Kreis etwa der militärischen Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium selbst ein hohes Maß an Verantwortung für die Misere trägt. Und wer im Glashaus sitzt, wird kaum mit Steinen werfen. Manche der höheren Offiziere waren sich der Rolle durchaus bewusst, die sie als Teil des Systems spielten, etwa indem sie Vorlagen für eine sechsmonatige Wehrpflicht schrieben, obwohl sie eine so kurze Dauer für unsinnig hielten. Im Verteidigungsministerium hatte sich offenbar eine Kultur etabliert, dem antizipierten Wunsch der politischen Leitung zuzuarbeiten und kritische Stimmen bereits früh zu unterdrücken. Manche Beobachter meinen, dass sich diese 737
Tendenz in der Zeit von Minister Rühe in den Neunzigerjahren etabliert habe und während der Amtszeit von der Leyens auf die Spitze getrieben worden sei. Vieles spricht dafür, wobei man im Blick behalten sollte, dass Soldaten Laufbahnbeamte sind, die über die Aussicht auf Beförderung von der Politik leicht zu disziplinieren sind. Außerdem hat das Soldatengesetz schon 1955 eine wirkungsmächtige Möglichkeit geschaffen, das Militär zu zähmen. Bereits ein Brigadegeneral der Besoldungsstufe B 6 ist ein politischer Beamter, der ohne Angabe von Gründen in den Ruhestand versetzt werden kann. Bei Zivilisten greift dieser Vorbehalt erst weit höher, ab der Abteilungsleiterstufe B 9. Doch unabhängig davon, ob die Generäle widerständig oder opportunistisch oder beides waren, bleibt bemerkenswert, dass sich der Niedergang der Bundeswehr so reibungslos vollziehen konnte. Ein Grund dafür, dass die Öffentlichkeit wenig von der Misere mitbekam, lag darin, dass für die Out-of-area-Einsätze die Kräfte noch ausreichten: In Afghanistan gelang es schließlich, mehrere Gruppen von jeweils einigen Dutzend Aufständischen niederzukämpfen. Die Luftwaffe konnte Aufklärungsflüge über dem Irak durchführen und vor allem – darum ging es in erster Linie – ein Dutzend Luftbildanalysten stellen. Man übernahm auch turnusweise die Luftüberwachung im Baltikum. Dass man nur über lächerlich wenige Luft-LuftRaketen verfügte, fiel dabei nicht weiter auf. Und selbstverständlich konnte die Marine in bleierner Langeweile bei der UNIFIL-Mission vor der libanesischen Küste kreuzen. Offiziell sollten dabei Seegrenzen gesichert und Waffenschmuggel unterbunden werden, doch de facto meldeten die Deutschen nur vorbeifahrende Schiffe.372 Dazu brauchte man eigentlich weder Schnellboote noch Korvetten. Ein Polizeiboot hätte es auch getan. 738
Als der syrische Diktator Assad im April 2018 erneut Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzte, stand plötzlich die Frage im Raum, ob sich die Bundeswehr an einem militärischen Gegenschlag beteiligen könnte. Die Marine gab an, in der Lage zu sein, von ihrer UNIFILKorvette vier schwere Flugkörper abzuschießen – dies aber nicht empfehle, weil niemand wirklich Erfahrung im Landzielschießen habe und man nicht mit Gewissheit sagen könne, wo die Raketen einschlagen würden. Das Beispiel zeigt, wie schnell die Bundeswehr an ihre Grenzen kam, wenn es nicht um Ausbildungs- oder Aufklärungsmissionen ging. Aber das Unvermögen hatte auch Vorteile: So konnte Deutschland bei der NATO stets vorbringen, dass man gern einen Beitrag leisten würde, aber bei den entscheidenden Waffensystemen leider nicht up to date sei und sich auf Ausbildung und Sanität beschränken müsse. Man kann sich fragen, warum die deutschen Eurofighter-Piloten deutlich weniger Flugstunden als die britischen hatten und seit Jahren erheblich unter der NATO-Forderung von 180 Stunden im Jahr lagen. Wer wäre im Ernstfall wohl zuerst eingesetzt worden, die Briten oder die Deutschen? Ein Schelm, wer politische Absicht dahinter vermutet. Auf den Fluren des Kanzleramts, aber auch des Parlaments schien der unausgesprochene Konsens zu herrschen, dass Deutschland ein zweites Afghanistan nie wieder passieren dürfe und man um jeden Preis zur Politik der Friedensmissionen zurückkehren müsse. Und solange man nicht kämpft, fällt auch nicht auf, dass Flugzeuge und Munition fehlen. Die Krim- und die Ukrainekrise waren jene Momente der Wahrheit, als Berlin den militärischen Offenbarungseid leisten musste. Von der Leyens Trendwenden bewegten den Supertanker Bundeswehr gewiss in die richtige Richtung. Neue Panzer, 739
Schiffe und Hubschrauber wurden gekauft, der Verteidigungshaushalt stieg, auch unter dem Druck der USA, stark an. Ob es allerdings gelingt, wie geplant bis zum Jahr 2032 drei volle Divisionen, 25 Kampfschiffe, acht U-Boote und vier Task Forces der Luftwaffe einsatzbereit zu haben, wie es die Planungen des Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 2018 vorsehen, muss bezweifelt werden. Im Wesentlichen blieb es bei Ankündigungsrhetorik, die grundlegenden Strukturprobleme wurden nicht gelöst, allenfalls Verfahren im Detail verbessert. Und so bemängelte der Wehrbeauftragte nicht ganz zu Unrecht Jahr für Jahr, dass die Truppe von den Trendwenden kaum etwas zu spüren bekomme. »Die Wehrmacht hat nichts mit der Bundeswehr gemein« Beim Griff nach dem Verteidigungsressort ging es von der Leyen – wie manchem Minister zuvor – nicht wirklich um die Bundeswehr, sondern um die eigene Karriere. Die ganze Materie war ihr fremd. Sie misstraute den lang gedienten Spitzenbeamten, setzte etliche von ihnen vor die Tür und scharte ein eigenes Team von Vertrauten um sich, von denen jedoch auch niemand etwas vom Militär verstand. Rasch versuchte sie, auf ihr bekannten Feldern Akzente zu setzen, sich als Reformerin zu präsentieren. Sie bemühte sich darum, die Freiwilligenarmee attraktiver zu machen, mehr und besser qualifizierte Frauen und Männer zu gewinnen. Die Streitkräfte sollten dafür ein moderneres und zivileres Antlitz erhalten. Die Ministerin setzte sich für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein, für die Förderung von Frauen und Transgender, für Einzelstuben, sie beschaffte Flachbildschirme und Uniformen für Schwangere. Als sie 2014 deutsche Schiffe der UNIFIL-Mission im Hafen von Beirut besuchte, wurden an Bord hektisch Vorbereitungen für den hohen Besuch 740
getroffen. Gezielt beorderten die Kommandanten alle verfügbaren Frauen ins »Empfangskomitee«, auch wenn sie nicht zur Besatzung gehörten. »Der Ministerin wird ein völlig falsches Bild suggeriert«, schrieb ein Obergefreiter in sein Tagebuch. »Den Tross an Pressevertretern, den sie hinter sich herzog, nahmen wir auf unser B-Deck. Ein gackerndes Rudel Frauen in den Wechseljahren, die für seriöse Blätter wie ›Brigitte‹, ›Bild der Frau‹ oder auch die ›Cosmopolitan‹ schreiben.«373 Kein Minister hatte je einen größeren Pressetross bei einem Auslandsbesuch dabei. Und es wurde peinlich darauf geachtet, dass die Ministerin nicht mit einer Waffe abgebildet wurde.374 Die Soldaten nahmen die sozialen Verbesserungen dankbar in Anspruch. Aber viele waren der Meinung, dass von der Leyen die falschen Schwerpunkte setzte. Einzelzimmer, Flachbildschirme und Europäische Arbeitszeitrichtlinie klangen gut und machten für Bürosoldaten Sinn. Für die Kampftruppen aber waren sie kontraproduktiv. »Wir kämpfen gemeinsam, wir leben gemeinsam – wir brauchen keine Einzelstuben«, war von einem Infanteristen zu hören. In der Tat mutete es grotesk an, die Unterkünfte der Internetgeneration mit Flachbildschirmen auszustatten, während sich die Soldaten selber neue Splitterschutzwesten kaufen mussten, weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen war. Ähnlich verhielt es sich mit der Einführung der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie. Während des Kalten Krieges wurde die wöchentliche Dienstzeit in einer Fallschirmjägerkompanie mit bis zu 69,4 Stunden taxiert. Sollte das trotz immer komplexerer Einsätze nunmehr anders sein? Konnte man inklusive aller Überstunden nach 48 Stunden einfach nach Hause gehen? Ein hochrangiger Kommandeur gestand: 741
»Handwerklich werden wir unter diesen Bedingungen spürbar schlechter.« Die Ministerin konnte diese Welt nie verstehen. Während Guttenberg mit dem Eingeständnis, es herrsche »Krieg« in Afghanistan, der Truppe aus der Seele sprach, lautete von der Leyens entscheidender Satz: »Die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem.« Spätestens da riss das Band, zumindest bei all jenen, die seit Jahren eine heillos unterfinanzierte und von der Politik unbeachtete Organisation am Laufen hielten. Anlass der Äußerung war die Festnahme des mutmaßlich rechtsextremen Oberleutnants Franco Albrecht im April 2017, der verdächtigt wurde, einen terroristischen Anschlag vorbereitet zu haben.375 Es war gewiss ein Skandal, dass dieser trotz einer obskuren Masterarbeit mit eindeutig rassistischem Inhalt nicht vom MAD überprüft worden war. In der Bundeswehr gab es, wie der Fall belegte, nach wie vor Soldaten mit extremistischer Gesinnung. 2017 bearbeitete der MAD 343 Verdachtsfälle aus dem Bereich des Rechtsextremismus und 36 aus dem islamistischen Umfeld.376 Die Zahl der schweren Fälle, die zur Entlassung aus dem Dienst führten, blieb aber weiter sehr niedrig. 2017 waren es fünf, 2018 achtzehn Soldaten. Wie immer bei solchen Vorfällen wurde über weitverzweigte Netzwerke in den Streitkräften, gar eine Schattenarmee gemutmaßt, deren Existenz der MAD aber verneinte.377 Dass es Extremisten in der Bundeswehr gab, dass sie auch von Kameraden gedeckt wurden, etwa weil sie – wie Franco Albrecht – handwerklich gute Soldaten waren, ist unstrittig. Der Fall musste aufgeklärt werden, aber zu einem Generalverdacht gegenüber der gesamten Institution bestand kein Anlass. Etliche Soldaten fragten sich, warum Generalinspekteur Volker Wieker sie nicht in Schutz nahm. An der 742
Führungsakademie darauf angesprochen, meinte er, dass er der Ministerin seine Loyalität versichern wollte. Und genauso trat er in den folgenden Wochen auf: als Stimme seiner Herrin, die den Offizieren ordentlich die Leviten las. Damit handelte er sich den Spitznamen »Lakeitel« ein. Das war gewiss bösartig, hatte doch Wilhelm Keitel als Chef des Oberkommandos der Wehrmacht Hitler unterwürfig im Vernichtungskrieg gedient. Doch wer den Generalinspekteur in jenen Monaten auf Veranstaltungen erlebte, konnte nachvollziehen, warum es zu diesem hässlichen Beinamen kam. Wieker hätte zum Helden seiner Soldaten werden können, wenn er das Rückgrat gehabt hätte, sich vor sie zu stellen. Doch diesen Mut brachte er nicht auf. »Weak, Wieker« war als Verballhornung oft zu hören. Man sah ihn als Repräsentanten einer Generalität, die von den Soldaten zwar verlangte, im Ernstfall ihr Leben zu opfern, aber nicht die Charakterstärke besaß, der Ministerin die Stirn zu bieten. Es gab seinerzeit allerdings das Gerücht, dass die Inspekteure angesichts der heftigen Vorwürfe von der Leyens an Rücktritt dachten. Angeblich sollen zwei dafür und zwei dagegen gewesen sein, sodass die Sache abgeblasen wurde. Franco Albrecht, der die ganze Aufregung ausgelöst hatte, tat Dienst in der Leclerc-Kaserne im elsässischen Illkirch. Nachdem er festgenommen worden war, durchsuchte ein dreiköpfiger Trupp des Kommandos Heer die Kaserne. Alles wurde genau unter die Lupe genommen. Im Zimmer von Oberleutnant Albrecht fand man nichts Verwerfliches, auch nicht im Bataillonsstab, dem er angehört hatte. Schließlich wurde man doch noch fündig: Im Aufenthaltsraum für Unteroffiziere der 2. Kompanie des Jägerbataillons 291 hingen historische Wandmalereien und Waffen aus der Zeit der Befreiungskriege sowie des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Albrecht hatte diesen Raum höchstwahrscheinlich nie betreten, 743
aber er eignete sich gut zur Skandalisierung des Falles. Die Darstellung eines Wehrmachtsoldaten und das Ausstellen eines Stahlhelms und einer nachgebauten Maschinenpistole der Wehrmacht verstießen nämlich gegen die Vorschriften, da dergleichen seit 1999 nur noch zu Bildungszwecken gezeigt werden durfte. Der Verstoß schien eindeutig zu belegen, welcher Geist durch diese Kaserne wehte. Zumindest wurde diese Lesart medienwirksam inszeniert, nachdem die Ministerin am 3. Mai 2017 in Illkirch verkündet hatte: »Die Wehrmacht ist in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr […] Die Wehrmacht hat nichts mit der Bundeswehr gemein.« Das war historisch falsch und entsprach in dieser resoluten Form auch nicht dem geltenden Traditionserlass. Zudem: Wenn die Ministerin eine entschlossene Wächterin des Erbes der Bundeswehr hätte sein wollen, hätte sie gleich nach ihrer Amtsübernahme einen neuen Traditionserlass erarbeiten lassen können. Vorschläge dazu gab es seit Langem.378 Niemand, der die Bundeswehr kennt, konnte von der Gestaltung des Aufenthaltsraumes in Illkirch überrascht sein. Und niemand im Heer, auch nicht die Generalität, hatte daran wirklich Anstoß genommen. Solche Räume gehörten nach wie vor zur Truppenkultur, gerade der Infanterie. Hätte man zur Einordnung des Gezeigten in die Geschichte der Jägertruppe Beschriftungen aufgehängt, wäre sogar alles erlassgemäß gewesen. Doch mit Nachbesserungsvorschlägen mochte sich jetzt niemand herumschlagen. Wusste Volker Wieker, der die Ministerin an jenem 3. Mai begleitete, denn nicht, was in den Kasinos und Aufenthaltsräumen der Truppe hier und da noch hing? War er in seiner damals siebenjährigen Amtszeit als Generalinspekteur blind durch die Kasernen gelaufen? Wusste er nicht, dass »herausragende Einzeltaten aus unserer langen 744
Militärgeschichte« nach wir vor als Teil der Tradition erachtet wurden379 – also auch die Wehrmacht eine, wenngleich geringe, Rolle spielte? Wieder einmal ging es der Ministerin und ihrem Generalinspekteur nicht in erster Linie um die Belange der Truppe, sondern angesichts der berechtigten öffentlichen Aufregung um den terrorverdächtigen Franco Albrecht darum, die Verantwortung von sich zu schieben. So bauschte von der Leyen die Affäre um den festgenommenen Oberleutnant zu einem Haltungsproblem der ganzen Bundeswehr auf, um sich selber als Exorzistin zu inszenieren. Nach ihrem Interview wurden alle Stuben in den Kasernen nach Wehrmachtdevotionalien durchsucht. Schnell sollte vermeldet werden, dass sich nichts Verwerfliches finden lasse, Illkirch also ein Einzelfall war. Damit der Generalinspekteur am 10. Mai im Verteidigungsausschuss ein Unbedenklichkeitszeugnis ausstellen konnte, drückte man aufs Tempo. Hinter den Kasernenmauern brach ungeahnte Hektik aus. Es wurde gemalert und weggeschafft, was auch nur im Entferntesten historisch aussah. Bloß nicht auffallen, war die Devise. Kein Kommandeur hatte Lust, sich auf einen Konflikt mit der politischen und militärischen Leitung über Wandbilder einzulassen, den er nur verlieren konnte. In vorauseilendem Gehorsam wurde an der Bundeswehr-Universität in Hamburg ein Bild von Helmut Schmidt in Wehrmachtuniform abgehängt. Die Kollateralschäden der Hauruck-Aktion waren enorm. Das Vertrauen in die politische und militärische Führung erlitt massiven Schaden. Viele fühlten sich zu Unrecht unter Generalverdacht gestellt und empfanden die Durchsuchungen als übergriffig. Denn vieles an gewachsener Tradition – Bilder, Fahnen und Malereien, mit denen die Soldaten jahrzehntelang gelebt hatten – wurde gleich mit entsorgt. 745
Danach waren die Wände weiß. Und was sollte stattdessen dort hin? Die Bundeswehrführung erinnerte – wieder einmal – daran, dass es eine gute Idee sei, sich auf die eigenen Traditionen zu berufen. Das war seit Jahrzehnten gefordert worden, zuletzt in einem Leitfaden des Heeres aus dem Jahr 1999, doch nur wenig war passiert. Die Ministerin ordnete schließlich die Neufassung des Traditionserlasses an. Die Vorgabe war klar: Die Zeit vor 1945 war nicht mehr traditionswürdig, einzige Ausnahme: der militärische Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Öffentlichkeitswirksam fanden vier Workshops mit Offizieren und Experten zur Meinungsbildung statt. Nur die Soldaten wurden nicht gefragt. Der Generalinspekteur traute sich nicht, ein repräsentatives Meinungsbild einzuholen. Der Befund wäre interessant ausgefallen: Umfragen, die einige wenige Offiziere in Eigeninitiative in ihren Truppenteilen vornahmen, zeigten, dass zumindest die Infanterie die Wehrmacht nach wie vor als Teil ihrer Tradition ansah. Sie wurde durchaus kritisch gesehen, aber es bestand Konsens darüber, dass sie nicht völlig ausgeklammert werden dürfe. Auf die Frage »Welches sind für mich soldatische Prinzipien und wer hat sie für mich verkörpert?« wurden in einer Umfrage 57 Personen genannt, davon waren 28 Wehrmachtund nur neun Bundeswehrsoldaten. Eine pauschale Verurteilung und Distanzierung von Streitkräften, nur weil diese in »vordemokratischer Zeit« existierten, wurde als überzogen erachtet. Eine Armee könne sich nicht allein auf die eigene Tradition berufen, zumal die Infanterie der Bundeswehr im historischen Vergleich am wenigsten geleistet habe. Überaus kritisch wurde die militärische Führung gesehen, der man vorwarf, gegenüber der Politik soldatische Prinzipien nicht oder nicht ausreichend zu vertreten. Diese Umfrage, die dem Verfasser vorliegt, wurde zwar in einem kleinen Kreis hoher 746
Generäle des Heeres vorgestellt, aber ihre Ergebnisse wurden bezeichnenderweise nicht diskutiert. Stattdessen herrschte Schweigen im Saal, und man ging zur Tagesordnung über. Die Untersuchung verschwand als Verschlusssache in der Schublade. Eine ähnliche Befragung, wenn auch in kleinerem Rahmen, gab es im Stab des deutsch-niederländischen I. Korps. Selbst in diesem internationalen Umfeld wurde dafür plädiert, Soldaten der Wehrmacht als Teil der eigenen Tradition zu betrachten.380 Bei Marine und Luftwaffe waren die Bezüge zur Zeit vor 1945 gewiss schwächer ausgeprägt, aber auch hier bei etlichen Soldaten und Offizieren durchaus noch nachweisbar.381 Das heißt nicht, dass die gesamte Bundeswehr an der WehrmachtVergangenheit festhielt. Es kann vielmehr vermutet werden, dass eine Mehrheit mit der Zeit vor 1945 nichts mehr anfangen konnte oder wollte. Bei den Kampftruppen des Heeres und vor allem bei den intrinsisch motivierten Soldaten war die Lage aber offensichtlich eine andere. Auf die Frage, welcher Prozentsatz der deutschen Heeresgeneralität für sich persönlich die Wehrmacht als einen Teil ihrer Tradition betrachte, antwortete ein Insider: »Wahrscheinlich die Hälfte.« Solche Angaben sind indes nicht verifizierbar, zumal gerade hohe Offiziere sich nur hinter vorgehaltener Hand zu diesen Themen äußern. Sie wissen zu genau, was von ihnen erwartet wird. Bedauerlich ist es gleichwohl, dass weder die Bundeswehr insgesamt noch das Heer im Speziellen die Chance nutzte, sich ehrlich und offen mit der Traditionsfrage auseinanderzusetzen. Aber warum eigentlich nicht? Immerhin verteidigte Generalleutnant Jörg Vollmer Wehrmachtsoldaten gegen allzu pauschale Kritik. In einer Rede meinte er 2017, dass »die weitaus größte Zahl deutscher Soldaten […] genauso 747
ehrenhaft, genauso tapfer und genauso pflichtbewusst und treu wie die Soldaten aller anderen kriegsteilnehmenden Nationen« gekämpft habe.382 In seiner offiziellen Rolle als Inspekteur des Heeres war er sich aber nur allzu bewusst, dass die Traditionsdebatte angesichts der politischen Vorgaben nicht ergebnisoffen sein konnte. Er sah es als unmöglich an, mit dem Vorschlag an die politische Führung heranzutreten, herausragende militärische Leistungen einzelner Soldaten der Wehrmacht oder der kaiserlichen Armeen als Teil der Tradition der Bundeswehr anzuerkennen. Um Handlungssicherheit zu haben, und darum ging es Vollmer vor allem, schien es geboten, nur Bezüge zur Zeit nach 1955 zuzulassen. Der neue Traditionserlass von 2018 geriet nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Interventionen aktiver und ehemaliger Generäle und Politiker offener als erwartet. Er legte fest, dass die Tradition in allererster Linie aus der Geschichte der Bundeswehr selbst zu entnehmen sei. Allerdings ließ man die Tür für die Zeit vor 1945 einen Spalt weit geöffnet. Die Werte und Normen des Grundgesetzes seien ja nicht erst 1949 entstanden, wurde argumentiert. Hätten Soldaten vor 1945 im Sinne dieser Werte gehandelt, könnten sie als Vorbild dienen. Das gelte vor allem für den militärischen Widerstand gegen Hitler. Interessant ist, dass die moderne Stabsarbeit, das Führen von vorne und die Auftragstaktik ausdrücklich als erinnerungs- und bewahrungswürdig genannt werden. Es waren Generalstabsoffiziere, die diesen Erlass verantworteten, und niemand von ihnen hätte gern die Traditionslinien zu Clausewitz und Moltke d. Ä. gekappt. Gleichwohl: Mit den Werten und Normen des Grundgesetzes, die ja Grundlage und Maßstab des Traditionsverständnisses sein sollten, hatte das nichts zu tun. Wenn sich die Generalstäbler also die moderne 748
Stabsarbeit und ihren Moltke sicherten, hätten dann nicht auch für die im Erlass dezidiert genannte Bewährung im Gefecht historische Vorbilder zugelassen werden müssen? Und könnten dann nicht auch die Truppengattungen spezifische Errungenschaften aus dem 19. oder 20. Jahrhundert als erinnerungs- und bewahrungswürdig reklamieren, den viel beschworenen Reitergeist der Aufklärungstruppe etwa? Es ist ein Leichtes, auf die Inkonsistenzen des Erlasses hinzuweisen. Doch wenn man die Tradition der Bundeswehr nicht erst am 3. Oktober 1990 beginnen lässt, sind Unebenheiten nicht zu vermeiden, weil die Geschichte vor 1945 so sehr mit der Kultur der Bundeswehr verwoben ist, dass man nur mit Hilfskonstruktionen zu einem politisch verträglichen Traditionsbild gelangen kann. Man denke nur an die teilweise schwer belastete Gründergeneration der Bundeswehr oder an die zum Teil tief in die Wehrmachtverbrechen verstrickten Verschwörer des 20. Juli. Weil es also sowohl tiefe Zäsuren als auch unübersehbare Verbindungen zur Vergangenheit gibt, soll zwischen Geschichte, Anerkennung historischer Leistungen, Brauchtum und Tradition unterschieden werden. Den meisten Soldaten werden solche feinen Unterschiede fremd bleiben, und selbst die meisten Generäle werden sie nicht wirklich erklären können. Offen bleibt, wie in einer Kaserne die Anerkennung historischer Leistungen konkret aussehen soll. Angesichts einer Kultur, die in nicht unerheblichem Maße von der Angst geprägt ist, Fehler zu machen, und angesichts der vielen Probleme der Bundeswehr haben die Kommandeure anderes zu tun, als sich hermeneutisch mit der Auslegung des Traditionserlasses zu befassen. Schlimmer noch: Seit der Veröffentlichung der neuen »Richtlinien zum Traditionsverständnis«, so merkte ein Hauptmann aus einem 749
besonders geschichtsträchtigen Bataillon an, sei die Unsicherheit weitverbreitet, und anstelle eines souveränen Umgangs mit der Traditionsfrage herrsche Schweigen. Kein anderer Staat der Welt hat seine Verfassung zum Maßstab für die Traditionsarbeit seiner Streitkräfte erhoben und auf diese Weise faktisch alle früheren Epochen seiner Militärgeschichte ausgeschlossen. In Österreich ist die Wehrmacht als Organisation auch nicht traditionswürdig, aber selbstverständlich sind es die Streitkräfte der Habsburger Monarchie vor 1918 und die der Ersten Republik. In Italien sind die Zeit der sogenannten Republik von Salò und insbesondere faschistische Offiziere tabu, alles andere ist weitgehend unproblematisch. So wird in der italienischen Armee wie selbstverständlich der Tag von El Alamein zur Erinnerung an die Schlacht vor den Toren Alexandrias im Jahr 1942 als Beispiel besonderer Tapferkeit gefeiert. Die italienische Gesellschaft akzeptiert, dass das Militär eigene Vorbilder aus der Geschichte definiert. Zudem haben die italienischen Streitkräfte – unterstützt von der Politik – die Eigentradition viel stärker gefördert, und die internationalen Einsätze seit 1982 sind viel stärker in die DNA und vor allem in das kriegerische Selbstverständnis eingegangen.383 Und auch in Frankreich käme niemand auf die Idee, die Tradition der Streitkräfte ausschließlich an der Verfassung der V. Republik auszurichten. Vielmehr bekennt man sich stolz zu alten Regimentstraditionen, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen und nicht zuletzt in den Einheiten der deutschfranzösischen Brigade besichtigt werden können. In den Niederlanden wiederum ist man stolz auf seine Seehelden, die Admirale Maarten Tromp und Michiel de Ruyter aus dem 17. Jahrhundert – doch haben die etwas mit der aktuellen Verfassung des Landes zu tun? Alle genannten Staaten sind 750
liberale Demokratien wie die Bundesrepublik, und sie sehen es nicht als Gefahr an, wenn die Tradition ihrer Militärs in vordemokratische Zeiten zurückreicht. Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr kritisch mit seiner Geschichte auseinandergesetzt. Dabei wurde Auschwitz mitunter als Folge einer verunglückten Nationalstaatsentwicklung interpretiert. Die Reichsgründung am 18. Januar 1871 erscheint in dieser Perspektive als Ursünde, aus der die Katastrophe des Ersten und Zweiten Weltkriegs hervorging. Gewiss haben viele Historiker die These vom deutschen Sonderweg als unzutreffend zurückgewiesen, zumal dabei ein idealisiertes Bild Großbritanniens und Frankreichs gezeichnet wurde. Jedoch wird der Nationalstaat insbesondere in Teilen des linken politischen Spektrums ebenso kritisch gesehen wie die Monarchie und das Preußentum. Das gilt besonders für die Zeit seit der Wiedervereinigung, die den Deutschen zwar eine ungeteilte Nation zurückbrachte, zugleich aber auch die Angst vor sich selbst schürte. Anders als andere Armeen hat sich die Bundeswehr nie besonders intensiv um eine ideelle Verbindung zur Zeit vor 1918 bemüht. Zwar wurden im Kalten Krieg etliche Kasernen nach Politikern und Generälen Preußens oder des Kaiserreichs benannt. Das hatte aber eher rationale als emotionale Gründe. Die Traditionslinien der deutschen Armeen wurden zu oft unterbrochen, als dass ein Rückgriff auf weiter zurückliegende Zeiten wirklich getragen hätte. Zudem war die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg so dominant, dass die Zeit davor vollkommen verblasste. Sie ist jenseits des Geschichtsunterrichts heute allenfalls noch in den tribal cultures der Jagdflieger, der Jägertruppe und der Heeresaufklärungstruppe nachweisbar. 751
Aus der Zeit vor 1945 bleibt also im Grunde nur der militärische Widerstand gegen den Nationalsozialismus übrig. Aus politischer Sicht ist diese Engführung logisch. Dabei wird aber zu wenig bedacht, dass sich Zivilgesellschaft und Militär bei allen Interdependenzen eben auch unterscheiden. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung hat andere Wurzeln als das militärische Selbstverständnis der Truppengattungen. Deren militärische Vorläufer haben mit dem Hambacher Fest und der Paulskirche384 nicht viel zu tun. Die Trennung von politischem Kontext und Eigentradition des militärischen Handwerks, wie sie gerade in der Kampftruppe noch immer anzutreffen ist, sollte mit dem neuen Traditionserlass endlich aufgehoben und die Soldaten ganz auf ein politisches Traditionsverständnis eingeschworen werden. Gewiss täte die Bundeswehr gut daran, sich intensiver mit der eigenen Geschichte seit 1955 zu befassen und daraus das Traditionswürdige herauszudestillieren. Jedoch stellt sich die Frage, welchem Selbstbild das dienen soll. Wünschenswert wäre, alle tribal cultures abzubilden, vom Cyberkrieger bis zum Kommandosoldaten, um so durch Differenzierung alle zu integrieren. Seit Afghanistan ist es sogar möglich, den zuvor fehlenden Bezug zum Kämpfen in einen bundesrepublikanischen Traditionskanon aufzunehmen. Heeresinspekteur Vollmer betonte immerhin in einer Rede, dass der Kampf der »Wesenskern soldatischen Daseins« sei385, und 2014 betrachtete sich nahezu jeder zweite deutsche Offizieranwärter des Heeres auch als Kämpfer.386 Dennoch haben die Streitkräfte auf der institutionellen Ebene in den letzten zehn Jahren alles getan, um naheliegende Bezüge zu diesem »Wesenskern« möglichst schnell vergessen zu machen. Das lässt sich am prägnantesten an der höchsten Auszeichnung der Bundeswehr verdeutlichen. Zwischen 2009 752
und 2014 erhielten 29 Soldaten das Ehrenkreuz für Tapferkeit, drei davon posthum. Allerdings blieben die Bemühungen der Militärführung, die Träger und ihre Verdienste öffentlich zu würdigen, denkbar bescheiden. Und das, obwohl im neuen Traditionserlass dem Orden eine »besondere Bedeutung« zugemessen wird. Die Namen der Ausgezeichneten hängen lediglich auf einer Tafel im Treppenhaus vor dem Büro des Heeresinspekteurs im Kommando Heer in Strausberg. Zwar wurde über den im Karfreitagsgefecht schwer verwundeten Maik Mutschke in der Presse ausführlich berichtet387, und er ist auch auf Empfängen im politischen Berlin präsent. Doch die anderen Träger kennt außerhalb ihres privaten und beruflichen Umfelds kein Mensch. Ihre Taten sind vergessen. Das zehnjährige Jubiläum der ersten Verleihung verstrich, ohne dass der Bundespräsident, die Verteidigungsministerin oder der Inspekteur des Heeres sich dazu äußerten. Das Ehrenkreuz für Tapferkeit ist aus dem Bewusstsein der Bundeswehr weitgehend verschwunden. Doch wer hätte sich besser als Vorbild für eine Tradition geeignet, die sich selbstbewusst auf den Kampf bezieht, als die Träger dieser Auszeichnung? Diese Chance wurde vertan. Der Umgang mit dem Ehrenkreuz für Tapferkeit zeigt, wie schwer sich die Bundeswehr mit ihrer Rolle als Kampftruppe tut.388 Die Traditionsdebatte ist nur ein Beispiel dafür, in welchem Maße Teile der politischen und militärischen Führung in den vergangenen zehn bis 15 Jahren den Kontakt zu den Kampftruppen verloren haben. Die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und ihre Berater erkannten dieses Problem durchaus. Im Vergleich zu ihrer Vorgängerin änderte sie die Tonalität spürbar und versuchte, das zerrüttete Verhältnis von Politik und Militär zu kitten. Der neue Generalinspekteur Eberhard Zorn bewegte 753
sich in dieselbe Richtung, sprach viel mit Soldaten und galt bald als sympathisch, truppennah und beliebt. Abzuwarten bleibt, wie die Bundeswehr unter Zorns Führung die Möglichkeiten des neuen Traditionserlasses nutzt. Bislang scheint er das heiße Eisen, wo und wie der Kampf im Traditionskanon zu verorten ist, eher zurückhaltend anzufassen. Offenbar drängen vor allem die jüngeren Offiziere und auch einige wenige einsatzerfahrene Stabsoffiziere im Verteidigungsministerium darauf, diese Leerstelle zu schließen. So hat sich Zorn entschlossen, im Jahr 2020 neben 75 Jahren Auschwitz auch zehn Jahre Karfreitagsgefecht zum Thema der politischen Bildung der Bundeswehr zu machen, und die Ministerin gab am 2. April einen entsprechenden Tagesbefehl heraus.389 Es wird auch von den künftigen Einsätzen der Bundeswehr abhängen, wie sich das Traditionsbild mittelfristig weiterentwickelt. Bleibt es bei den Ausbildungsmissionen, wird die Kampferfahrung in Afghanistan bald verblassen. Und wie geht es mit den historischen Bezügen weiter? Einzelpersonen oder Waffentaten der Wehrmacht, die ein erklecklicher Teil der Kampftruppen heute noch als traditionswürdig ansieht, werden mit der Zeit an Bedeutung verlieren. Die jungen Soldaten, die heute in die Streitkräfte eintreten, wachsen in einer anderen Militärkultur auf als in den 1990er-Jahren, als in den Kasernen noch die Bilder von der Luftlandung auf Kreta hingen.390 Auch ihre militärische Lebenswelt hat mit Kampfeinsätzen nichts mehr zu tun. Die Kasernen, die noch die Namen von Soldaten der Wehrmacht oder des Kaiserreichs tragen, werden bald umbenannt sein. Und dabei wird es wohl nicht bleiben. Kritiker werden sich als Nächstes die Männer des 20. Juli und die Gründergeneration der Bundeswehr vornehmen. Man kann sich mit Recht fragen, 754
wie viel Verstrickung in die Verbrechen des NS-Regimes akzeptabel ist, um noch als Vorbild durchzugehen. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass es in 15 oder 20 Jahren wohl keine Tresckow- und keine Heusinger-Kaserne mehr geben wird, weil jene, die für das Vermächtnis dieser Männer in Gesellschaft und Politik streiten, immer weniger werden. Das Verteidigungsministerium jedenfalls hat bislang noch jede traditionspolitische Haltelinie nach kurzem Rückzugsgefecht aufgegeben. 755
Resümee Der Zweite Weltkrieg veränderte alles. Das unbegreifliche Ausmaß deutscher Verbrechen, Millionen Tote auf den Schlachtfeldern, ein Kontinent in Trümmern und der Makel der Niederlage verwandelten das Selbstverständnis der Deutschen. Begriffe wie Nation, Patriotismus und Vaterland waren fortan schwer belastet, das Verhältnis zum Militär war kontaminiert. Jahrhundertelang war der Krieg ein legitimes Mittel der Politik gewesen; Soldaten waren dazu da, für staatliche Interessen in die Schlacht zu ziehen. Doch nach zwei verlorenen Weltkriegen hatten die Deutschen genug. Seitdem sind die Jahre 1939/45 der Referenzpunkt im Umgang mit Krieg und Militär. Im Kaiserreich hatte man die Dinge noch ganz anders gesehen. Der deutsche Nationalstaat war das Ergebnis von siegreichen Kriegen gewesen, Heldenerzählungen und Kriegerdenkmäler waren allgegenwärtig. Das Militär genoss – wie bei den anderen Großmächten auch – hohes gesellschaftliches Ansehen. Dennoch war Deutschland mitnichten ein kriegslüsterner Staat. Auf diplomatischem Parkett betrieb das Kaiserreich die längste Zeit über viel Aufwand, um einen großen Konflikt zu vermeiden. Zugleich aber investierte es viel Geld in die Rüstung, und das Militär unternahm alles, um für den Fall der Fälle vorbereitet zu sein. Die Heeresleitung dachte darüber nach, wie der nächste Krieg zu führen sei, führte neue Waffen ein, modernisierte Doktrinen und Ausbildung. Als sich die politische Lage in Europa in den 1910er-Jahren zuspitzte, war es fatal, dass diejenigen Generäle, die an der Möglichkeit eines deutschen Sieges zweifelten, ihre Stimme nicht erhoben, um den großen Krieg unter allen Umständen zu vermeiden. Verhängnisvoll war vor 756
allem, dass Reichskanzler Bethmann Hollweg als die entscheidende Figur der deutschen Politik die Logik des Militärischen akzeptierte und im Juli 1914 den Sprung ins Dunkle wagte. Ab August 1914 taten die deutschen Soldaten das, was von ihnen erwartet wurde: Sie kämpften für Kaiser und Reich, für die Ehre ihres Regiments, für die Kameraden oder schlicht, weil sie es mussten. Sie taten es erfolgreicher und ausdauernder, als die eigene Führung es ihnen zugetraut hatte. Die kaiserliche Armee war die lernfähigste deutsche Streitmacht der vergangenen 150 Jahre, und sie löste schließlich sogar das anspruchsvollste militärtaktische Problem ihrer Zeit: den Durchbruch einer schwer befestigten Stellungsfront im Westen. Das hatte seinen Grund: Die preußisch-deutsche Armee hatte einst das moderne Generalstabsdenken entwickelt; die Verantwortung der Unterführer, das Gefecht der verbundenen Waffen, auch das Risiko spielten bei ihr eine bedeutendere Rolle als bei ihren Gegnern. Das Spezifische der deutschen Militärkultur bestand in dieser Zeit vor allem im taktischen Handwerk und in der Fähigkeit, ein vergleichsweise stabiles Kohäsionsgeflecht von Truppe und Führung aufzubauen. Doch trotz aller taktischen Überlegenheit konnte das Deutsche Reich den Krieg gegen die Übermacht dreier Großmächte nicht gewinnen. Dass es ihn verlor, lag am mangelnden politisch-strategischen Geschick der politischen und militärischen Führung – angefangen mit dem Vabanquespiel der Julikrise 1914 bis hin zur nicht ergriffenen Chance eines Kompromissfriedens im Januar 1917. Hinzu kam, dass die taktische Professionalität zur Überbewertung der militärischen Fähigkeiten auf strategischer Ebene beitrug. Allerdings haben auch andere Großmächte ihre 757
militärischen Möglichkeiten falsch eingeschätzt, man denke nur an das Zarenreich oder Italien. Als Beleg für eine besondere deutsche Militärkultur ist auf die deutschen Kriegsverbrechen verwiesen worden, die in gewisser Weise den Vernichtungskrieg der Wehrmacht vorweggenommen hätten. Das Deutsche Reich hat im Ersten Weltkrieg das Völkerrecht in der Tat auf vielfältige Weise verletzt. Das begann mit dem Bruch der belgischen Neutralität und der Tötung von rund 6000 belgischen und französischen Zivilisten, setzte sich mit der Bombardierung britischer Städte und der Zerstörung ganzer Landstriche in Frankreich fort und endete in der Exekution zahlloser Gefangener in der Ukraine 1918. Dennoch: In ihrer Qualität unterschieden sich die Kriegsverbrechen des Kaiserreichs nicht von denen anderer Mächte. Das wiederum heißt nicht, dass alle überall gleich handelten. Großbritannien oder Frankreich waren keine Besatzungsmächte, auch hatten sie durch den freien Zugang zum Weltmarkt ökonomisch einen viel längeren Atem als Deutschland, Österreich-Ungarn oder Russland. Zudem gab es unterschiedliche Auslegungen des Völkerrechts. So bestritt Deutschland vor 1914, anders als Russland oder Großbritannien, die Legitimität eines Widerstandsrechts der Zivilbevölkerung. Während des Krieges führten dann militärische Rückschläge, Feindbilder und situative Überreaktionen zu vergleichbaren Exzessen etwa der deutschen und russischen Streitkräfte, die wenig von der kriegsrechtlichen Fachdebatte der Vorkriegszeit erahnen ließen. Mit Ausnahme des Osmanischen Reichs und dessen Genozids an den Armeniern zeigte sich im Ersten Weltkrieg im Gewalthandeln der Großmächte durchaus eine kategoriale Ähnlichkeit. 758
Die Hypothek der Niederlage lastete schwer auf der jungen Republik, die 1919 aus den Trümmern des alten Reiches entstand. Noch traumatischer als der Waffenstillstand vom 11. November 1918 wirkten die Versailler Friedensbedingungen, die nicht nur die moralische Kriegsschuld und die Abtrennung eines Siebtels des Reichsgebiets festschrieben, sondern auch ein Gefühl der Wehrlosigkeit aufkommen ließen. Die Reichswehr war nicht mehr als eine bessere Grenzpolizei, die das geschrumpfte Reich gegen einen militärischen Gegner nicht schützen konnte. Niemand in Deutschland wollte diesen Zustand akzeptieren. Das Bedürfnis nach äußerer Sicherheit führte in der Weimarer Republik daher zu einem breiten gesellschaftlichen und politischen Wehrkonsens, der die geheime Mobilisierung von Grenzschutzmilizen im Osten ebenso ermöglichte wie geheime Rüstungsprojekte, etwa mit der Sowjetunion. Die Weimarer Parteien trugen all dies mit, ein Staat im Staate war die Reichswehr daher gewiss nicht. Aber eine demokratische Vorzeigearmee war sie auch nicht, und ihr Hadern mit der Republik ist vielfach belegt. Vielen Bürgern ging es freilich ebenso, nicht zuletzt dem Staatsoberhaupt, Reichspräsident Paul von Hindenburg. Im Rückblick erwies es sich als fatal, dass Walther Reinhardt 1920 als Chef der Heeresleitung zurücktrat und dass ein Mann wie Wilhelm Groener erst 1928 Reichswehrminister wurde. Beide hätten das Militär zweifellos enger an die Republik binden können. Doch am Lauf der großen Politik hätte dies wohl auch nichts geändert. Die Weimarer Republik scheiterte nicht am Militär, sondern an den Wählern, den Parteien und ihrem Präsidenten. Die Wehrmacht, die 1935 aus der Reichswehr hervorging, war eine Armee der Extreme. Das gilt sowohl für das Ausmaß der von ihr verübten Verbrechen als auch für den von ihr 759
perfektionierten Bewegungskrieg und ihre Bereitschaft zum kollektiven Untergang. Der Vernichtungskrieg, den sie im Osten führte, übertraf alles bisher Dagewesene in der deutschen Geschichte. Sie bildete mit dem NS-Staat ein unauflösliches Amalgam und übertrug dessen Radikalität auf ihre Kriegführung. Ihre Gewaltbereitschaft war präzedenzlos, das Moment der Mäßigung kam praktisch nicht vor. Handwerklich hatte die Wehrmacht aus dem Ersten Weltkrieg viel gelernt, auch wenn ein genauer Blick zeigt, mit wie vielen Problemen eine Armee zu kämpfen hatte, die in nur sechs Jahren – zwischen 1933 und 1939 – um das 25-Fache vergrößert worden war. Viele Soldaten waren ihren Aufgaben nicht gewachsen, und selbst etliche Generäle waren von der Geschwindigkeit und dem Risiko des Panzerkriegs überfordert. Doch trafen sie zunächst auf einen Gegner, der ihre Schwächen nicht ausnutzte und unter der Schockwirkung der schnellen Panzervorstöße zusammenbrach. Einen Sieg wie denjenigen über Frankreich 1940 hatte kein deutsches Heer je errungen. Die Folge war eine Hybris, die die Wehrmacht nicht nur den sowjetischen Gegner unterschätzen ließ. Es gelang ihr auch nicht, sich den gänzlich anderen Bedingungen der zweiten Kriegshälfte anzupassen: Das Heer setzte weiter auf das Dogma der Bewegung und erlag der Feuerkraft seiner Gegner. Am deutlichsten zeigte sich dies beim Kampf gegen die Westalliierten, etwa 1943/44 in Italien. Wie unter einem Brennglas offenbarte sich hier, dass die Deutschen den Artilleriekrieg verlernt hatten, jene Kampfform also, die sie im Ersten Weltkrieg noch meisterhaft beherrschten. Mehr noch als die Luftwaffe der Alliierten war es deren Artillerie, die alle deutschen Versuche im Keim erstickte, die Initiative zurückzugewinnen. Die Wehrmacht war nicht nur auf strategischer Ebene seit 1942 ohne Plan, sie stand auch in der 760
taktischen Lernfähigkeit erheblich hinter der kaiserlichen Armee zurück. Gelernt hatte man hingegen aus dem Zusammenbruch von 1918, aus den am Ende des Ersten Weltkriegs zutage tretenden Spannungen zwischen Offizieren und Mannschaften, zwischen Front und Heimat. Im Zweiten Weltkrieg waren Staat, Gesellschaft und Armee fester zusammengeschweißt denn je. Doch trotz ihrer NS-Hörigkeit funktionierte die Wehrmacht nach einer militärischen Logik, galt das Leistungsprinzip, das ihr selbst bei den vielen NS-kritischen Soldaten zu hohem Ansehen verhalf. So gelang es bis zum Herbst 1944 nicht nur, die Primärgruppen weitgehend intakt zu halten, auch deren Loyalität zur militärischen Führung war hoch. Die vom NSRegime idealisierte Frontkämpfergemeinschaft war in der Wehrmacht weitgehend Realität. Keine deutsche Armee besaß je eine größere horizontale wie vertikale Kohäsion. So war die Wehrmacht in der Lage, die enormen Verluste zu verkraften und dennoch nicht auseinanderzubrechen. Freilich hatte dies fatale Folgen: Da sie selbst nach den verheerenden Niederlagen des Sommers 1944 nicht zusammenbrach, führte sie einen Endkampf, dessen Verluste alles Vorstellbare überstiegen. So wurde sie zum Opfer ihrer selbst. Die Niederlage von 1945 war total – moralisch und militärisch. Das Deutsche Reich hatte unvorstellbare Verbrechen begangen, war geschlagen, besetzt und geteilt. Was blieb, war der Mythos von der militärischen Professionalität, der half, Millionen ehemaliger Soldaten in die Bundesrepublik zu integrieren und etwas zu bewahren, auf das man glaubte stolz sein zu können. Die Meistererzählung erfüllte ihren Zweck, und die Veteranen fügten sich weitgehend reibungslos in die neue Gesellschaft ein. Der Preis war eine verklärte Sicht auf die Vergangenheit: auf den 761
verbrecherischen Charakter des Krieges ebenso wie auf den Zerfall der militärischen Professionalität in der zweiten Kriegshälfte. Etwa fünf Prozent des Wehrmacht-Offizierkorps traten in den Fünfzigerjahren in die neue Bundeswehr ein. Gerade die höheren Dienstgrade unter ihnen beförderten diese Verklärung. Sie waren vor allem durch die Zeit der großen Siege der Jahre 1939/41 geprägt, als sie als jüngere Offiziere den kollektiven Rausch der »Blitzkriege« erfahren hatten. Den Untergang der Wehrmacht 1944/45, den Zerfall der Professionalität und den Höhepunkt der Verluste im letzten Kriegsjahr hatten sie in der Regel nicht mehr an der Front, sondern in Stabsfunktionen in der Heimat oder im Hinterland erlebt. Dies erklärt, weshalb insbesondere das Heer der Bundeswehr erstaunlich selbstbewusst auf seine neuen Alliierten im Westen und die alten Gegner im Osten blickte. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Wehrmacht fand in der Bundeswehr des Kalten Krieges weder im Hinblick auf das militärische Handwerk noch auf die Kriegsverbrechen statt. Die Bundesrepublik stand in Kontinuität zum Deutschen Reich. Eine Stunde null gab es nirgendwo in der Gesellschaft, auch nicht beim Militär. Und doch war die Bundeswehr eine Institution eigener Logik, die einen neuen Rechtsrahmen und eine neue Struktur erhielt. Weit umfassender als ihre Vorgänger war sie der zivilen Kontrolle unterworfen. Das Militär hatte eine Bringschuld, sollte zeigen, dass es nach Diktatur und Unrecht willens war, eine Armee der Republik zu werden. Dazu diente die demonstrative Abgrenzung von der Reichswehr als vermeintlichem »Staat im Staate«. Es galt, nicht nur eine Armee in der Demokratie, sondern eine Armee für die Demokratie aufzubauen. So entwickelte man das Konzept des »Staatsbürgers in Uniform« und die Innere 762
Führung; die Werte und Normen des Grundgesetzes sollten fortan auch in der Armee gelebt werden. So wollte man verhindern, dass Gesellschaft und Militär sich in verschiedenen Welten bewegten. Doch zugleich knüpfte man an Vergangenes an, etwa die alte Führungskultur, übernahm Vorschriften der Wehrmacht und sonnte sich im Mythos ihrer handwerklichen Exzellenz. Es gab also beides: Abgrenzung von der Vergangenheit und Anknüpfung an diese. Die Atomwaffen veränderten das Koordinatensystem des Militärs grundlegend. Langsam, aber sicher dämmerte den Generälen, dass im nuklearen Zeitalter der Krieg nicht mehr führbar war. Käme es je zur Konfrontation, dann bliebe nichts von dem übrig, was man eigentlich schützen wollte. Konnte der Kampf, den man nunmehr unter allen Umständen vermeiden musste, überhaupt noch Referenzpunkt der Streitkräfte sein? War nicht der Frieden der Ernstfall, weil es nie mehr zum Krieg kommen durfte? Musste die Armee nicht vor allem daran gemessen werden, wie demokratisch sie verfasst war, wie sehr sie sich an der Zivilgesellschaft ausrichtete? Andererseits: Eine abschreckende Wirkung ließ sich auch im Atomzeitalter nur mit Soldaten entfalten, die im Ernstfall in der Lage waren, in die Schlacht zu ziehen. Sollte man die Bundeswehr also vom Krieg oder vom Frieden her denken? Sollte man an die Vergangenheit anknüpfen oder sich abgrenzen? Aus dieser doppelten Ambivalenz ergaben sich heftige Spannungen, Diskussionen und Streitereien. Das Koordinatensystem der Streitkräfte war unschärfer, unklarer, widersprüchlicher denn je. In den hektischen Jahren des Aufbaus war es praktisch unmöglich, allen Anforderungen gleichzeitig gerecht zu werden: In Windeseile sollte aus dem Nichts eine Armee von 500 000 Mann aufgestellt werden, um das außenpolitische Gewicht der 763
Bundesrepublik zu mehren. Tapfere und harte Soldaten sollten es sein, die möglichst ebenso gut kämpfen sollten wie die mythisch verklärte Wehrmacht. Zugleich sollten sie in radikaler Abkehr von der Vergangenheit ihre Motivation aus der Demokratieerfahrung in der Armee ziehen. Nicht mehr fürs Vaterland sollten sie kämpfen, sondern für die Verfassung. Umstritten war vor allem, wie weit die Neuausrichtung des inneren Gefüges gehen sollte. Die Aufbaugeneration der Bundeswehr zimmerte mit Erlassen und Verordnungen einen Referenzrahmen, der ein Kompromiss verschiedener Positionen war und für eine gemäßigte Reform stand. Diese ausgleichende Vorgehensweise konnte aber nicht verhindern, dass der Streit auch öffentlich eskalierte. Wolf Graf von Baudissin und Heinz Karst erschienen dabei als Protagonisten zweier Lager, die mit den Begriffen »Reformer« und »Traditionalisten« kaum richtig beschrieben sind und die es in dieser reinen Form so nie gab.1 Im Kern ging es wieder um die Frage, ob die Streitkräfte vom Krieg oder vom Frieden her zu denken waren. In diesem Meinungsstreit wurde der Gegner möglichst schwarz gezeichnet. So war Karst für viele die Inkarnation eines reaktionären, für die Demokratie geradezu gefährlichen Militärs2, während Baudissin für manchen General die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik untergrub. Beide Seiten arbeiteten mit Feindbildern, die mit der Realität wenig zu tun hatten.3 Die Truppe hatte in den ersten Jahren ohnehin andere Sorgen, als sich mit den Vorschriften zur Inneren Führung auseinanderzusetzen. Es gab zu wenige Kasernen, es mangelte an Ausrüstung und fehlte an qualifiziertem Personal. Der von der Politik durchgepeitschte schnelle Aufbau von zwölf Divisionen riss die Einheiten immer wieder auseinander. Stabile Primärgruppen konnten sich auf diese Weise kaum 764
ausbilden. Es gab massive Probleme mit der Disziplin, auch mit überforderten Vorgesetzten, die entweder alles laufen ließen oder allzu hart führten. Auch um die vertikale Kohäsion stand es in diesen Anfangsjahren schlecht. Die Überforderung der Truppe führte zu massiver Kritik an der militärischen Führung, die die Probleme, so der Eindruck, nur nach unten weiterreichte. Tatsächlich jedoch haben Generäle der Bundeswehr in ihren Zustandsberichten wohl nie so schonungslos ehrlich über die Sorgen und Nöte ihrer Truppen geschrieben wie in den Sechzigerjahren. Der Puffer war der Generalinspekteur, der die forsche Kritik in seinen Berichten an die Politik meist abmilderte – eine Tendenz, an der sich bis heute wenig geändert hat. Der Unmut kulminierte zwischen 1969 und 1971 in der öffentlichen Diskussion einer pointiert formulierten Heeresstudie zur Reform der Bundeswehr (Schnez-Studie) und scharf gefasster Forderungskataloge aus der Truppe (Leutnante 70/Hauptleute von Unna). Während die einen die Kampffähigkeit der Streitkräfte infrage stellten, fochten die anderen für deren Liberalisierung. Doch das kluge Krisenmanagement von Verteidigungsminister Helmut Schmidt und ein Generationswechsel in der Generalität glätteten bald die Wogen. Und diejenigen, die dann in den Siebzigerjahren in Führungspositionen aufrückten, hatten ihre Lektion gelernt. Sie waren geschmeidiger als ihre zuweilen knorrigen Vorgänger und verstanden es geschickter, das politisch gewollte Bild der Truppe zu kommunizieren. Weit mehr als ihre Vorgänger begriffen sie, dass die Bundeswehr nicht nur ein außenpolitisches und militärisches, sondern vor allem ein innenpolitisches Projekt war. Doch sie hatten auch mit weniger Problemen zu kämpfen: Endlich gab es genug 765
Personal und reichlich modernes Material; die Bundeswehr konsolidierte sich. Die Truppenrealität war mit dem nach außen kommunizierten Bild keineswegs identisch. Zwar beschrieben die Konzepte des Staatsbürgers in Uniform und der Inneren Führung einen wünschenswerten Idealzustand des politisch mündigen Soldaten und standen mitnichten im Gegensatz zu kampfbereiten Streitkräften. Sie waren aber zu verkopft gedacht und beschäftigten im Alltag vor allem die Stabsoffiziere. Die Masse der Soldaten konnte mit ihnen wenig anfangen. Die Berge wohlmeinender Konzeptpapiere über die Bundeswehr als demokratische Institution konnten nichts daran ändern, dass immer weniger junge Männer gewillt waren, mit der Waffe in der Hand die Demokratie zu verteidigen. Der Sinn der Friedenssicherung mit militärischen Mitteln wurde zunehmend angezweifelt, und der durch die 68er-Bewegung beschleunigte gesellschaftliche Wertewandel erschwerte es, Rekruten in einer auf Befehl und Gehorsam beruhenden Organisation zu treuen Verteidigern der Republik zu erziehen. All die Konferenzen, Denkschriften und Studien zur Verbesserung der Inneren Führung und der politischen Bildung waren letztlich Ausdruck einer ritualisierten Hilflosigkeit. Sie dienten mehr der Außendarstellung, als dass sie intern etwas bewirkt hätten. Motiviert waren die jungen Wehrpflichtigen vor allem, wenn es etwas Sinnvolles zu tun gab, wenn der Umgang miteinander zivilisiert war und wenn es halbwegs gerecht zuging. Daran hatte sich seit 100 Jahren nichts geändert. Bei der Erziehung des politisch bewussten Soldaten stieß die Bundeswehr aber ebenso an ihre Grenzen wie die Kaiserliche Armee, die Wehrmacht oder selbst die NVA. Die Masse der Soldaten war nicht so 766
verfassungspatriotisch gesinnt, wie es sich die politische und militärische Führung gewünscht hätten. Gleichwohl war die Bundeswehr der Republik loyal ergeben. Eine Gefahr für die Demokratie war sie nie. Dass dennoch die Wehrmacht als handwerkliches Vorbild teilweise geradezu verehrt wurde, dass militärisches Handwerk und politischer Anspruch sorgsam getrennt wurden, empfanden viele Offiziere nicht als Widerspruch – zumal dies in den bürgerlich-konservativen Kreisen der Gesellschaft nicht anders war. Da die militärische Führung keinen Zweifel aufkommen ließ, dass die Soldaten zum Kampf auszubilden waren, griff man gern auf Vorbilder zurück, die sich im Gefecht bewährt hatten – und landete meist bei der Wehrmacht. Das lag auch daran, dass die NATO-Strategie der flexible response von der Bundeswehr forderte, im Ernstfall einen Angriff des Warschauer Pakts möglichst mit konventionellen Mitteln aufzuhalten. Zähe Verteidigung, kühne Gegenstöße, Schnelligkeit und Flexibilität – davon war in den Planungen nun ständig die Rede. In der operativen Führungslehre und im taktischen Bereich wurde die Militärkultur der Wehrmacht nahtlos fortgeführt. Der Krieg war vor allem Handwerk, und zumindest auf der Ebene der Panzerbataillone und Infanteriekompanien hatte sich zwischen 1944 und 1964 nicht sonderlich viel verändert. Doch wie leistungsfähig war die Bundeswehr als militärische Organisation überhaupt? Die NATO erwartete, dass die Bundesrepublik schlagkräftige Streitkräfte unterhielt. Für das schwierige Verhältnis der Deutschen zu ihrer Armee interessierten sich Amerikaner und Briten nur wenig. Auf den ersten Blick erfüllte die Bundeswehr die Erwartungen: Sowohl die Alliierten und als auch die Gegner bewerteten ihre Kampfkraft als recht hoch. Sie war ein geschätzter 767
Bündnispartner und ein respektierter Gegner. Die internen Bewertungen fielen hingegen weitaus kritischer aus: Das Heer kam im gesamten Kalten Krieg nie über ein »befriedigend« hinaus, die Luftwaffe erreichte immerhin zeitweise ein »gut«. Weit schlechter sah es bis Mitte der Siebzigerjahre bei der Marine aus, die nur über hoffnungslos veraltetes Gerät verfügte und der sowjetischen Ostseeflotte in keiner Weise gewachsen war. Die Zustandsmeldungen zeigen, dass die Bundeswehr in der Zeit des Kalten Krieges nie so leistungsfähig war, wie sie eigentlich sein wollte. Schwachstellen gab es viele, etwa bei der Mobilmachung, der Sanitätsversorgung, der Artillerie – Letzteres im Übrigen eine Parallele zur Wehrmacht. Und obwohl man sich in einem aufwendigen System ständig evaluierte, zuweilen schonungslos Probleme und Schwächen aufdeckte und versuchte, diese mit neuen Ausbildungsschwerpunkten abzustellen, stieß man immer wieder an die Grenzen dessen, was in Friedenszeiten erreichbar war. Die Übungsmöglichkeiten, die Finanzmittel, aber auch die Führungsfähigkeit junger Vorgesetzter blieben limitiert, die Motivation der Wehrpflichtigen blieb es ebenso. Trotz aller geharnischten Befehle, Ermahnungen und Weisungen war kaum zu vermeiden, dass viele es sich in der Friedensarmee bequem machten und die Bürokratie immer mehr ausuferte. Der Bundeswehr erging es dabei prinzipiell nicht anders als anderen Armeen, die über eine lange Zeit nicht im Einsatz standen. Hinzu kam, dass die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und die Gefahr eines Atomkriegs ein gesellschaftliches Klima schufen, das der Ausrichtung auf den Krieg enge Grenzen setzte. Einen ganz anderen Weg als die Bundesrepublik ging die DDR. Sie bewies, dass es möglich war, Streitkräfte auch ohne 768
die Elite der Wehrmacht aufzubauen. Hitzige Debatten über das Traditionsbild der Truppe oder das Selbstbild der Soldaten gab es so gut wie gar nicht. Staat und Armee waren auf einer Linie. Die Offiziere der NVA besaßen fast ausnahmslos das Parteibuch der SED, und das Ausmaß der zumindest auf dem Papier erreichten Ideologisierung war beispiellos. Das Bild des sozialistischen Kämpfers4, der »wachsam und gefechtsbereit«5 sein Kriegshandwerk »meisterhaft« beherrschte und so den Frieden sicherte, war weitgehend unbestritten, wenngleich die Realität auch hier anders aussah. Diskussionen wie in der Bundesrepublik darüber, dass der Frieden der Ernstfall sei, militärische Konventionen zu entstauben seien und die Kriegsbereitschaft nicht im Vordergrund stehen solle, kamen in der DDR praktisch nicht vor. Die NVA wurde als sozialistische Armee nach sowjetischem Vorbild aufgebaut und war als solche ein Sonderfall der deutschen Militärgeschichte. Kulturell waren beide deutsche Armeen so unterschiedlich, dass nach der Wiedervereinigung kein Weg von der NVA zur gesamtdeutschen Bundeswehr führte. Die Welt war 1990 eine andere geworden. Das zweifellos bemerkenswerte handwerkliche Können, der Waffendrill, die vorbildliche Kampfbereitschaft der NVA wurden weniger denn je benötigt. Der Krieger hatte scheinbar endgültig ausgedient, darauf musste sich nun auch die Bundeswehr einstellen. Gebraucht wurden nicht mehr Panzer und Artillerie, sondern Blauhelmsoldaten und Sanitäter. Zwar führte die Bundeswehr 1999 ihren ersten Kampfeinsatz durch, bekämpfte mit einem Dutzend Tornados serbische Luftabwehrstellungen und stellte gar zwei Brigaden für einen möglichen Landkrieg auf dem Balkan bereit. An der generellen Entwicklung änderte das aber nichts. Ein militärischer Konflikt in Europa schien auf absehbare Zeit ausgeschlossen, das Wort von der 769
»Friedensdividende« machte die Runde, und angesichts klammer Kassen, nicht zuletzt aufgrund der hohen Kosten der Wiedervereinigung, mussten Prioritäten gesetzt werden. 2001 verabschiedete sich die Bundeswehr, ohne darum öffentlich viel Aufhebens zu machen, von der Landes- und Bündnisverteidigung und konzentrierte sich seitdem ganz auf sogenannte Out-of-area-Einsätze. Mit der AfghanistanMission kam eine neue große Aufgabe hinzu, die nicht, wie eigentlich geplant, nach sechs Monaten abgeschlossen war. Aus politischen Gründen drängte Berlin darauf, stets der drittgrößte Truppensteller am Hindukusch zu sein. Vor Ort machten die Soldaten das, was sie schon in Bosnien und im Kosovo getan hatten: bewaffnete Wiederaufbau- und Entwicklungshilfe leisten und darauf hoffen, dass alles gut wird. Das kam in der Öffentlichkeit gut an und reichte, um Deutschlands außenpolitisches Gewicht zu mehren. Endlich, so schien es, hatten sich Streitkräfte und Gesellschaft versöhnt, löste sich die doppelte Ambivalenz der Bundeswehr auf. Mehr denn je wurden die deutschen Streitkräfte vom Frieden her gedacht. Die Vorstellung vom Soldaten als miles protector, als Polizist, Streetworker und Streitschlichter, war in der Gesellschaft und zunehmend auch in der Bundeswehr selbst populär. Und auch die ewigen Debatten um die Vergangenheit schienen endlich beendet zu sein: In den Neunzigerjahren traten jene konservativen Köpfe in Politik, Gesellschaft und Armee ab, die einst der Anknüpfung an die militärischen Leistungen der Wehrmacht das Wort geredet hatten. Zudem schien diese Traditionslinie nach der seit 1995 breit diskutierten Ausstellung zu den »Verbrechen der Wehrmacht« mehr denn je obsolet. Nach mehreren Skandalen um rechtsradikale Vorfälle wurden die Kasernen entrümpelt und wurde im Heer 1999 ein neuer Leitfaden zur Tradition 770
erlassen, in dem die Wehrmacht nur noch in homöopathischen Dosen vorkam. Armee und Gesellschaft der Bundesrepublik waren sich in ihrer Auffassung vom Zweck der Streitkräfte nie einiger als zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Doch dann passierte, was nach dem Willen der Politik nie hätte passieren dürfen: Die Bundeswehr musste kämpfen. Nach Jahren der Ruhe kehrte der Krieg 2006 in den Norden Afghanistans zurück, wo Deutschland die Verantwortung trug. Rückzug war keine Option, der außenpolitische Schaden wäre zu groß gewesen. Wie auf die neue Lage angemessen zu reagieren war, wusste niemand zu sagen. Also steckte das politische Berlin den Kopf in den Sand. Regierung und Parlament wichen den drängenden Fragen der Soldaten aus: Wofür kämpfen wir? Gegen wen kämpfen wir? Dürfen wir überhaupt kämpfen? Und wie sollen wir dauerhaft einen stabilen afghanischen Staat aufbauen? Kanzlerin, Außenminister und Verteidigungsminister, aber auch der Generalinspekteur wollten die schlechten Nachrichten nicht hören, hielten die Illusion aufrecht, dass der Krieg im Grunde eine Sache der Afghanen sei und sich die Bundesrepublik irgendwie würde heraushalten können. Zu Beginn der 2000er-Jahre hatte die Bundeswehr zehn Jahre Schrumpfkurs und zahllose Reformen hinter sich; die Schere zwischen Aufträgen und Mitteln war ständig größer geworden. Trotz aller Übereinstimmung über die Aufgaben einer Peacekeeping Army stand es schlecht um die vertikale Kohäsion zwischen der Truppe und der politischen und vor allem militärischen Führung. Der Afghanistan-Einsatz verschärfte diese Entfremdung, Minister und Generalinspekteur wurden nun kritischer gesehen denn je. Das Band war gefährlich gespannt. Es fiel schwer, aus Einsicht gehorsam zu sein, wie es die reine Lehre der Inneren Führung 771
vorsah, wenn man vor allem Floskeln zu hören bekam. Und es fiel schwer, Vertrauen in die Institution Parlamentsarmee zu haben, wenn etliche Parlamentarier bei ihren Truppenbesuchen durch eine geradezu groteske Unwissenheit auffielen und der Zuschnitt der vom Bundestag beschlossenen Mandate im krassen Gegensatz zu den militärischen Aufträgen vor Ort stand. Dass die Soldaten von einem demokratisch legitimierten Souverän in den Einsatz geschickt wurden, war verfassungsrechtlich zwar ein bedeutender Unterschied zu früheren Tagen. Für den einzelnen Rekruten reichte das als Motivation aber nicht aus – falls dieser Umstand von den Männern und Frauen in Uniform überhaupt nennenswert reflektiert wurde. Sie legten sich den Sinn der Mission notgedrungen selbst zurecht, um kognitive Dissonanzen erst gar nicht aufkommen zu lassen. Ihre Bindung zum Staat und zur Bundeswehr als Institution manifestierte sich vor allem in den tribal cultures der Truppengattungen, den Primärgruppen und in dem taktischen Auftrag, den sie erfüllen wollten. Ob der Einsatz mittel- und langfristig vergebliche Mühe war, ob es überhaupt wünschenswert war, einer korrupten Zentralregierung in Kabul und kriminellen Provinzfürsten in Masar-e Sharif die Macht zu sichern, wurde verdrängt, umgedeutet oder ignoriert. Niemand wollte das eigene Tun infrage stellen. In der Logik ihrer Sinnstiftung glichen die Soldaten der Bundeswehr frappierend denjenigen früherer Armeen. Das Besondere am Afghanistan-Einsatz war der dort herrschende Krieg. Hätten die Bundeswehrsoldaten dort nicht kämpfen, töten und sterben müssen, wäre die Mission längst vergessen. Doch die Realitäten vor Ort zwangen die deutsche Gesellschaft, sich mit unangenehmen Themen 772
auseinanderzusetzen, etwa der Forderung, die Streitkräfte wieder vom Krieg her zu denken. Und auch die Vergangenheit war plötzlich wieder präsent, etwa als gefordert wurde, das Eiserne Kreuz als Tapferkeitsauszeichnung neu zu stiften. Unterdessen bewiesen die Jäger aus Donaueschingen, die Panzergrenadiere aus Bad Salzungen oder die Fallschirmjäger aus Seedorf, dass die Bundeswehr zu kämpfen verstand. In den tribal cultures der Kampftruppen hatte das von manchem Soziologen totgesagte Kriegertum überlebt. Gewiss, der eine oder andere Infanterist tat sich dann doch schwer, seinen Beruf in letzter Konsequenz auszuüben, und mancher Offizier tapste unbeholfen in seiner Schutzweste im Feldlager herum und gehörte offensichtlich eher an den Schreibtisch. Alles in allem jedoch beherrschte die Truppe das Handwerk des Krieges und passte sich schnell den Gegebenheiten vor Ort an. Die Bundeswehrführung kümmerte sich – wieder einmal – nicht um die soldatischen Identitäten und Kulturen, sondern reagierte nur mit Verboten, wenn die Soldaten allzu demonstrativ ihren Kriegerhabitus zur Schau stellten. So vergab man die Chance, den Afghanistan-Einsatz gezielt zum Aufbau einer eigenen Tradition zu nutzen, und belastete zusätzlich die vertikale Kohäsion der Streitkräfte. Angesichts der russischen Annexion der Krim und der Ukrainekrise 2014 musste die Bundeswehr den Offenbarungseid leisten, zur Bündnisverteidigung nicht mehr in der Lage zu sein. Die osteuropäischen NATO-Partner konnten keine ernsthafte Hilfe von ihr erwarten. Sie wurde als Pannen-Armee zum öffentlichen Gespött, weil ihre Flugzeuge nicht flogen, ihre Panzer nicht fuhren und ihre U-Boote nicht tauchten, während die höhere Generalität so tat, als ob sie mit alldem nichts zu tun habe. Im Mai 2017 kamen dann von der Leyens Vorwurf, die Bundeswehr habe ein Haltungsproblem, 773
und die Razzien in den Kasernen wegen einer vermeintlich verirrten Traditionsbildung hinzu. Das seit Jahrzehnten überstrapazierte Band zwischen Führung und Truppe riss, und die vertikale Kohäsion erlitt massiven Schaden. Schlimmer war die Lage in der Geschichte der Bundeswehr wohl nie zuvor, und man muss schon ans Ende der 1920er-Jahre zurückgehen, um auf eine vergleichbare Dissonanz im zivilmilitärischen Verhältnis zu stoßen. Seit dem Tiefpunkt der Jahre 2014–2017 hat sich gewiss etliches verbessert, vor allem die Finanzausstattung der Bundeswehr. Bei der Personalgewinnung tritt man freilich auf der Stelle, und die Probleme bei der Ausrüstung bessern sich nur langsam. Für den Kampf gegen einen hochgerüsteten Gegner hat die Bundeswehr nach wie vor noch nicht einmal genug Munition; sie ist kaum nachtkampffähig, hat zu wenig Artillerie und keine funktionierende Heeresflugabwehr. Sie ist in der Rüstungsbeschaffung noch immer zu ineffizient und in ihrer gesamten Struktur, nicht zuletzt im Ministerium, zu ineffektiv und verantwortungsschwach. Am strukturellen Pazifismus der Bundesrepublik6 hat sich also auch in den letzten Jahren nichts geändert. Als Ziel wurde zwar 2018 festgelegt, die Bundeswehr bis zum Jahr 2031 wieder zu einer »Vollwert-Armee« zu machen, wie es im Amtsdeutsch heißt, aber der politische Wille, dies auch umzusetzen, ist nicht wirklich zu erkennen. Die Zielmarke ist vor allem als politisches Zugeständnis an die NATO zu verstehen, ähnlich der Vereinbarung, zwei Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben anzustreben. Zu Recht kann man fragen, wozu in Zukunft denn drei Heeresdivisionen, 25 Kampfschiffe und vier Task Forces der Luftwaffe gebraucht werden, wie es die aktuellen Planungen vorsehen. Die entscheidende Frage haben Regierung und 774
Parlament nach wie vor nicht ehrlich beantwortet: Wozu überhaupt Streitkräfte? Sollen sie wirklich fähig sein, intensive Gefechte gegen einen hochgerüsteten Gegner zu führen? Will man wirklich demokratische Krieger? Wenn dem so ist, darf man die Armee nicht nur aus der Perspektive außen- und innenpolitischer Zweckmäßigkeiten betrachten, sondern muss sie als militärisches Projekt ernst nehmen. In der Rüstungspolitik müsste es dann in erster Linie darum gehen, die Bundeswehr mit brauchbaren Waffen auszurüsten, in der Ausbildung, die Soldaten wirklich kampffähig zu machen, was auch die nötige körperliche und mentale Robustheit voraussetzt. Die Beispiele, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Ziels nähren, sind Legion. Die Einführung der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie in den Streitkräften hätte man in früheren Jahren wohl als Schildbürgerstreich aufgefasst. Etliche europäische Streitkräfte wenden sie daher nicht oder nur sehr beschränkt an. Die Bundeswehr aber setzt sie nur im Einsatzfall aus, und die Ausbildung leidet unter ihrer Einführung sehr. Auch die Maßstäbe körperlicher Leistungsfähigkeit wurden massiv herabgesetzt. Im Kalten Krieg galten Märsche unter 20 Kilometer als »Spaziergang«. Heute nennt der Wehrbeauftragte des Bundestags in seinem Jahresbericht 2020 einen Eingewöhnungslauf von 2,5 Kilometern bei 28 Grad Sommerwärme ernsthaft eine »Tortur« und einen Fall »überzogener Härte«. Bei den NATOAlliierten wird die Bundeswehr wegen der geringen sportlichen Anforderungen an ihre Rekruten längst verspottet. Auch die jüngste Debatte über rechtsradikale Umtriebe im Kommando Spezialkräfte (KSK) regt zu der Frage an, wozu man eine solche Spezialeinheit überhaupt braucht. Was soll ein Verband zur Geiselbefreiung, der in 24 Jahren noch nie eine Geisel befreit hat, weil die Bundesrepublik im Zweifelsfall 775
Lösegeld zahlt? Was soll ein KSK, wenn man ihm über die längste Zeit seines Afghanistan-Einsatzes die dringend benötigten Hubschrauber verwehrt? Braucht man wirklich ein KSK, das World Champion of Training ist? Wäre es da nicht ehrlicher, man schafft es ab und erklärt, dass die Bundesrepublik bei robusten Spezialoperationen lieber Franzosen oder Amerikanern den Vortritt lässt? Was für das KSK im Kleinen, gilt für die Bundeswehr im Großen: Will die Bundesregierung wirklich eine Luftwaffe, eine Marine und ein Heer, die im Verbund mit ihren Bündnispartnern den Kampf gegen einen hochgerüsteten Gegner führen können? In der Bundeswehr wird das zweifellos von vielen angestrebt. Die Alliierten aber bleiben skeptisch. Zu oft hat Deutschland auf Gipfeln und Konferenzen vollmundig angekündigt, mehr Verantwortung übernehmen zu wollen, gar »gemeinsam zu kämpfen«7. Daraus folgte bislang: nichts. Auch beim Kampf gegen den Islamischen Staat stellte sich Deutschland 2015 wieder ganz hinten an. Während etwa die Niederlande und Belgien mit ihren F-16 Kampfeinsätze flogen, schickte Deutschland als symbolischen Beitrag sechs Aufklärungsflugzeuge sowie eines für die Luftbetankung.8 Es ging Berlin also nicht ums »Führen aus der Mitte«, wie die Verteidigungsministerin es damals genannt hatte, sondern darum, sich bestmöglich herauszuhalten. Es wäre gewiss ehrlicher, wenn sich die Bundesrepublik mit aller Konsequenz zur Rolle als Zivilmacht bekennen würde. Das entspräche dem Bruch, den der Zweite Weltkrieg im Verhältnis der Deutschen zum Militär ausgelöst hat und der auch 75 Jahre später nicht verheilt ist. Steigende Wehretats wären dann nicht mehr nötig, und die Bundeswehr könnte sich auf Sanität, Logistik und Cybersicherheit beschränken. Alle Partner wüssten dann, woran sie wären. Zugleich wäre man 776
die Kampftruppen los und deren ungeliebte tribal cultures gleich mit. Oder aber man strebt ernsthaft und konsequent militärische Handlungsfähigkeit an. Dazu würde gehören, die Architektur der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik einer kritischen Analyse zu unterziehen und zum Beispiel zu fragen, warum die Bundesrepublik so strategielos in den AfghanistanKonflikt hineingeschlittert ist und in Mali geradewegs dieselben Fehler begeht. Zu analysieren wäre nicht nur die Rolle des Verteidigungsministeriums, sondern auch der vielen anderen sicherheitspolitischen Akteure: des Kanzleramts, des Auswärtigen Amts, des BMZ und nicht zuletzt des Parlaments. Gewiss, im akademischen Elfenbeinturm sind Klarheit und Ehrlichkeit schnell gefordert. In der politischen Realität sind jedoch kaum grundlegende Veränderungen zu erwarten. Das betrifft nicht nur Deutschland, sondern auch Europa als Ganzes. Der Kontinent ist sicherheitspolitisch ein Zwerg, der Russland und vor allem China im militärischen Bereich ohnmächtig gegenübersteht. Und an ihrer südlichen Flanke, im großen Krisenbogen von Westafrika über Syrien bis nach Afghanistan, agieren die europäischen NATO-Staaten und die EU ineffizient und unkoordiniert. Daran wird sich in Zukunft wohl wenig ändern. Der sicherheitspolitische Druck ist schlichtweg nicht groß genug, die Gefahren sind zu abstrakt, um die zerstrittenen Europäer in der Verteidigungspolitik zu echten Fortschritten zu bewegen. Die Bundesrepublik ist gewiss nicht allein verantwortlich für diese Misere, aber sie ist Teil des Problems. Trotz aller wohlmeinenden Worte fällt sie als Motor einer europäischen Verteidigung aus. Auch unter einer neuen Regierung wird es wohl auf ein Durchwurschteln hinauslaufen. Berlin wird weiterhin bemüht sein, die außenpolitischen Forderungen von NATO, UN und EU zu erfüllen, sich zugleich aber aus 777
Kampfeinsätzen um jeden Preis heraushalten, um das heikle Thema innenpolitisch möglichst klein zu halten. Ob es mit einem solchen Kurs gelingt, das Vertrauen der Soldaten in die politische und militärische Führung wiederherzustellen, bleibt abzuwarten. Zumindest hat sich der aus dem Verteidigungsministerium vernehmbare Ton gegenüber der Truppe spürbar verändert. Der Umgang mit den jüngsten KSK-Skandalen macht das deutlich: Die politisch Verantwortlichen hören zu, setzen auf die Expertise von Personen, die die Lage in den Kasernen wirklich beurteilen können, schrecken zugleich aber nicht vor harten Maßnahmen zurück, die unmissverständlich klarmachen, dass es gegenüber Rechtsradikalismus in der Bundeswehr keine Toleranz geben kann. Vielleicht trägt das dazu bei, die vielen Soldaten, die die Volksparteien an die AfD verloren haben, zurückzuholen. Man wird sehen. 778
Dank Die Idee für dieses Buch entstand in Großbritannien. In vielen Gesprächen konnte ich hier mit meinen Freunden und Kollegen erste Ideen zum Thema entwickeln. Aus der Glasgower Zeit sind vor allem Simon Ball, Peter Jackson und Phil O’Brien zu nennen, aus Londoner Tagen MacGregor Knox, Peter Lieb, Simon Trew, Klaus Schmider, Kristina Spohr, Alexander Watson, Arne Westad und Vlad Zubok. Felix Römer war mir ein unverwüstlicher Gesprächspartner. Auf seiner Dachterrasse wurde mit Blick auf das ArsenalStadion manche Nacht durchdiskutiert. 2013 fand eine erste Tagung zum Thema im Rahmen der Berliner Kolloquien zur Zeitgeschichte des Hamburger Instituts für Sozialforschung statt, die Bernd und Bettina Greiner organisierten. Dafür und für die vielen Gespräche als Berliner Nachbarn schulde ich großen Dank. An der Universität Potsdam habe ich seit 2015 ideale Arbeitsbedingungen gefunden. Dem Präsidenten Oliver Günther danke ich für ein immer offenes Ohr. Von meinen Kolleginnen und Kollegen möchte ich besonders Manfred Görtemaker, Monika Fenn, Thomas Brechenmacher und Dominik Geppert für Rat und Unterstützung danken. An meinem Lehrstuhl haben Julius Becker, Heiko Brendel (jetzt Uni Passau), Johannes Fischbach, Heinz Jantzen, Alex Kay, Bastian Matteo Scianna, Christine Pschicholz und Christian E. Rieck jeder auf seine Weise dazu beigetragen, dass ich dieses Buch schreiben konnte. Danke dafür! Für die stets unkomplizierte Kooperation mit dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) danke ich besonders dem 779
Kommandeur Hans-Hubertus Mack und seinem Nachfolger Jörg Hillmann sowie dem Leitenden Wissenschaftler Michael Epkenhans. Mit Heiko Biehl, Christian Hartmann, Dieter Kollmer, Dieter Krüger, Peter Lieb, Thorsten Loch, Christoph Nübel, Frank Reichherzer, Christian Stachelbeck, Markus Pöhlmann und Rüdiger Wenzke konnte ich mich in den letzten Jahren über viele Aspekte meiner Studie austauschen. Ihnen allen sei für die Hinweise auf verborgene Literatur und versteckte Quellen gedankt. Eine besondere Freude war (bzw. ist) mir die Betreuung von Doktoranden des ZMSBw: Chris Helmecke, Torsten Knopka, Hans-Peter Kriemann und Dennis Werberg haben mit ihren Studien wohl mehr zu diesem Buch beigetragen, als sie ahnen. Dasselbe gilt für meine »zivilen« Doktoranden an der Universität Potsdam: Julia Dehm, Konstantin Eckert, Wolfgang Geist, Tim Kucharzewski und Jens Wehner seien hier genannt. Rüdiger Bergien, Jochen Böhler, Jürgen Förster, Takuma Melber, Stephan Lehnstaedt, Clemens Range und Roman Töppel ließen mich an ihrem stupenden Wissen teilhaben, und ich konnte manchen Aspekt der Studie mit ihnen vertiefen. Die längste Zeit meiner Archivrecherchen habe ich im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg verbracht. Für die bestmögliche Unterstützung meiner Arbeit bin ich dem Leiter Michael Steidel sowie Andreas Kunz, Griseldis Ehrhardt, Benjamin Lenz und Jan Warßischek zu großem Dank verpflichtet. Zum ersten Mal arbeitete ich 1986 in diesem Archiv, und seitdem ist es wahrlich ein anderes Haus geworden! Die Universität Potsdam gewährte mir 2019/20 zwei Freisemester, sodass ich mich in die Einsamkeit BerlinCharlottenburgs zurückziehen konnte, um dieses Buch zu schreiben. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat 780
dankenswerterweise eine Vertretung finanziert, die Tanja Bührer vorbildlich durchführte. Während des Schreibprozesses haben mich Otto Ermakov, Lisa Marie Freitag, Thomas Martinez und vor allem Kai Steinhage mit Literatur versorgt und alle Recherchewünsche erfüllt. Michael Daxner, Niels Janeke, Felix Römer, Bastian Matteo Scianna und Klaus Schmider haben große Teile des Manuskriptes gelesen und wiesen mich auf manchen Irrweg hin. Gundula Bavendamm bin ich zu ganz besonderem Dank verpflichtet. Sie hat alle meine Ideen und Textentwürfe einer gewohnt kritischen Prüfung unterzogen. Ein extra Dank geht an Camillo Dzeladini und sein Team vom »AIDA« – meinem italienischen Stammrestaurant – für die immerwährende Gastfreundschaft. Hier fanden über Jahre nicht nur viele Gespräche mit Kollegen über das Buch, sondern auch etliche der rund 200 Zeitzeugengespräche statt, die ich zu diesem Projekt führte. Ganz herzlich danke ich jenen, die mit mir dabei offen über ihre Sicht der Dinge sprachen. Nur so konnte es gelingen, hinter die offizielle Fassade der Bundeswehr zu blicken. Zuletzt gilt mein Dank Christian Seeger für sein sorgfältiges Lektorat und Kristin Rotter vom Propyläen-Verlag für die exzellente Zusammenarbeit. 781
Karten 782
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Bildteil 785
1 Der Wehrpflichtige Wilhelm Janeke als Angehöriger des sächsischen Jägerbataillons 12, aufgenommen wahrscheinlich 1892. 786
2 Wilhelm Janeke im Kreis seiner Kameraden auf einem Manöver, 1893/94. 787
3 Exerzieren und Drill bestimmen bis heute die Vorstellung von der preußischen Armee. Paradeaufstellung, BerlinLichterfelde, Preußische Hauptkadettenanstalt, 1911. 788
4 Die Landstreitkräfte befassten sich intensiv mit den Herausforderungen des modernen Krieges. Soldaten des Infanterie-Regiments »von Boyen« Nr. 41 im Schützengraben während eines Manövers, vor 1914. 789
5 Bilder der durch Vergeltungsaktionen zerstörten belgischen Ortschaften wurden 1914 in Deutschland als Propagandapostkarten verwendet. 790
6 Die Aufnahmen ähneln sich: Zerstörte Häuser an einer Straße in Johannisburg im südlichen Teil Ostpreußens nach der Besetzung durch russische Truppen von September 1914 bis Februar 1915. 791
7 Vor allem an der Westfront wurden gigantische Mengen an Artilleriemunition verschossen. Aufnahme von leeren britischen Granathülsen in Fricourt, September 1916 während der Schlacht an der Somme. 792
8 Die Zerstörung ganzer Landstriche durch intensives Artilleriefeuer wurde zum Sinnbild des Ersten Weltkrieges. Houthem bei Ypern (Belgien) im März 1918. 793
9 Ein deutscher Infanterist neben der Leiche eines französischen Soldaten in einem Graben in der Nähe von Fort Vaux bei Verdun, 1916. 794
10 Der neue Krieger: mit Handgranaten reichlich ausgestatteter Sturmtruppen-Soldat. 795
11 Repräsentanten eines vielschichtigen Verhältnisses von Staat und Armee: Reichswehrminister Gustav Noske im Gespräch mit Generalmajor Georg Maerker, 1919. 796
12 Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages durfte Deutschland keine Panzer mehr besitzen. Die Reichswehr behalf sich in Manövern mit Attrappen. Aufnahme aus dem Jahr 1926. 797
13 Oberst Heinrich Eberbach (links) im Gespräch mit Generaloberst Heinz Guderian, August 1941 in Westrussland. 798
14 Hermann Balck im Sommer 1943 als Generalleutnant an der Ostfront. 799
15 Die Wehrmacht beherrschte anfangs den Bewegungskrieg mit motorisierten Truppen wie keine andere Armee ihrer Zeit. Deutsche Panzer II und IV auf dem Vormarsch in der Sowjetunion im Juni 1941. 800
16 In der zweiten Kriegshälfte konnte die Wehrmacht an der Ostfront nur noch wenige erfolgreiche Gegenstöße durchführen. Panzer IV im Dezember 1943 in der Ukraine. 801
17 In den ersten sechs Monaten des Unternehmens »Barbarossa« fielen 300 000 deutsche Soldaten. Angehörige der 197. Infanteriedivision begraben im November 1941 80 Kilometer vor Moskau ihre Toten. 802
18 1945 starben 1,2 Millionen deutsche Soldaten – für die Wehrmacht die mit Abstand blutigste Phase des Zweiten Weltkrieges. Die Aufnahme entstand in Echternach, Luxemburg, am 21. Februar 1945. 803
19 Zwei Infanteristen posieren im Januar/Februar 1944 für die Kamera. Ihre Auszeichnungen weisen sie als kampferfahrene Landser aus. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt. 804
20 Angehörige der Aufklärungskompanie des Fallschirmjägerregiments 6 im Sommer 1944 in der Normandie. Oberfeldwebel Alexander Uhlig, 2. v. r., war einer der erfahrenen Krieger dieser Truppe. 805
21 Am 22. Januar 1944 landeten amerikanische und britische Truppen bei den kleinen Städtchen Anzio und Nettuno, um die deutsche Verteidigung südlich von Rom zum Einsturz zu bringen. 806
22 Die Landung glückte ohne große Gegenwehr. Deutsche Gefangene warten auf ihren Abtransport von einem Strand bei Anzio, 22. Januar 1944. 807
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23 Bald entbrannten um den Brückenkopf bei Anzio heftige Kämpfe, und die Wehrmacht versuchte, die Alliierten wieder ins Meer zu werfen. Diese deutschen Soldaten gerieten im Februar 1944 in Gefangenschaft. 810
24 Die Wehrmacht versammelte 452 Geschütze um den Brückenkopf, um die eigenen Truppen zu unterstützen. Im Bild eine 17-cm-Kanone 18. 811
25 Eingesetzt waren auch zwei 28 cm-K5Eisenbahngeschütze, die aus großer Entfernung den Landekopf beschossen. Zum Schutz gegen Luftangriffe versteckte man die Kanonen in einem Tunnel. 812
26 Die deutsche Luftwaffe griff den Landekopf AnzioNettuno unablässig an. Sie konnte zwar den Nachschub nicht unterbinden, aber zeitweise die alliierten Kriegsschiffe von der Küste abdrängen. 813
27 In heftigen Kämpfen gelang es deutschen Truppen Anfang Februar 1944, den kleinen Ort Carroceto zurückzuerobern. Im Vordergrund eine deutsche Panzerhaubitze »Grille«. 814
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28 Die Alliierten gewannen den Artilleriekrieg um den Brückenkopf von Anzio. Das Bild zeigt die beiden Soldaten Andy Jessie und Sid Butterfield am 5. Februar 1944 inmitten von leeren Granathülsen. 817
29 Zwischen dem 4. und 6. September 1939 töteten Einheiten der Wehrmacht mindestens 227 polnische Zivilisten in Częstochowa. Das Bild zeigt die Festnahme von Geiseln, die später exekutiert wurden. 818
30 Das größte Verbrechen der Wehrmacht war die Tötung sowjetischer Kriegsgefangener. Ankunft im Lager Suchożebry. Im Vordergrund die Leichen der auf dem Transport Verstorbenen, Anfang 1942. 819
31 Das Panzeraufklärungsbataillon 7 Augustdorf (NordrheinWestfalen) war dem alten Reiterregiment 15 aus Paderborn eng verbunden. Aufnahme einer Traditionszeremonie aus dem Jahr 1966. 820
32 Wandgestaltung in einem Hörsaal der Heeresoffizierschule Hannover, 1965. Grafik und Bilder beziehen sich auf den Vormarsch der 1. Panzerarmee am Südflügel der Ostfront, Sommer 1941. 821
33 1969: Die militärische Führung beim neuen Bundeskanzler: Johannes Steinhoff, Helmut Schmidt, Willy Brandt, Ulrich de Maizière, Albert Schnez. 822
34 Heiko Möhring war einer der Sprecher der Hauptleute von Unna, die im März 1971 ihren Unmut über die politische und militärische Führung öffentlich machten und damit einen Skandal auslösten. 823
35 und 36 Im Juni 1972 kamen 2500 interessierte Gäste in den Biwakraum der 4. Kompanie des Panzerbataillons 84 nach Buchholz in der Nordheide. Es gab aber auch Proteste von zehn Demonstranten, die der Kompaniechef Friedrich von Senden zu besänftigen suchte. 824
37 Friedrich von Senden zusammen mit seinem Kompanietruppführer Hauptfeldwebel Falck in seinem Leopard-1-Panzer auf dem Truppenübungsplatz BergenHohne, Juli 1973. 825
38 90 Jahre nach seinem Urgroßvater Wilhelm Janeke erlebte Niels Janeke (Mitte) 1981 die Grundausbildung beim Pionierbataillon I in Holzminden. 826
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39 Zur Anerkennung für vorbildliche Leistungen wurde der NVA-Soldat Günter Lindhorst im Dezember 1973 »vor der entfalteten Truppenfahne« fotografiert und ihm eine entsprechende Urkunde überreicht. 829
40 Truppenparaden waren in der DDR eine wichtige Gelegenheit, die NVA der Öffentlichkeit zu präsentieren, 7. Oktober 1981, Karl-Marx-Allee in Berlin. 830
41 Die Bundeswehr rechnete sich anfangs nur geringe Chancen aus, einen konventionellen Angriff des Warschauer Paktes aufzuhalten. T-55-Panzer während des Manövers »Waffenbrüderschaft« im Oktober 1970. 831
42 und 43 Im März 1997 evakuierten deutsche CH-53Hubschrauber mehr als 100 Zivilisten aus der in Gewalt 832
versinkenden albanischen Hauptstadt Tirana. 833
44 Soldaten der 1. Infanteriekompanie erkunden am 19. März 2010 den Vorort von Isa Khel ohne auf Widerstand zu stoßen. Blick vom Vorort in Richtung Kreuzung J94/LOC Little Pluto. 834
45 Der Zufahrtsweg nach Isa Khel, aufgenommen am 19. März 2010 von der Kreuzung J 94/LOC Little Pluto. 835
46 Zur selben Zeit besetzt die Bundeswehr die Höhen 431 und 432 im südlichen Char Darah. Die Aufnahme entstand am 26. März 2010. 836
47 Ein Fallschirmjäger patroulliert auf der Westplatte, 25. März 2010. Beachtlich seine Helmbemalung und der Patch am rechten Oberarm: »Major League Infidel«, ein Synonym für den professionellen Kämpfer gegen Islamisten. 837
48 Ruhepause im Polizeihauptquartier, 26. März 2010. Der Soldat rechts trägt an seiner Kappe das Symbol des »Punishers«, eines fiktiven Verbrecherjägers aus den amerikanischen Marvel-Comics. 838
49 Am Karfreitag, den 2. April 2010, geriet die 1. Infanteriekompanie im Vorort von Isa Khel in einen Hinterhalt. Das Foto wurde von der Höhe 432 aufgenommen und zeigt deutsche Kräfte beim Ausweichen. 839
50 2. April 2010: Ein amerikanischer Black-HawkHubschrauber landet neben der Höhe 432 und fliegt einen Verwundeten aus. 840
51 Trauerfeier für die drei Gefallenen des Karfreitagsgefechts Nils Bruns, Robert Hartert und Martin Augustyniak im Feldlager in Kunduz. Die Särge wurden nach Deutschland überführt. 841
52 Kompanieappell anlässlich der Verabschiedung des GolfZuges aus Kunduz, 19. Juni 2010. Die Soldaten gedachten nochmals ihrer gefallenen Kameraden. Im Vordergrund Militärpfarrer Bernd F. Schaller. 842
53 Ein deutscher Soldat an der Panzerabwehrwaffe Milan auf der Höhe 432. Als die Führungsriege des PRT Kunduz die Bilder zu sehen bekam, war sie empört über den legeren Habitus der Männer. 843
54 Oberstabsgefreiter Patrick P., genannt Porno, aufgenommen in der provisorischen Unterkunft des Polizeihauptquartiers. 844
55 2011 stellten sich die Taliban im Raum Kunduz nur noch selten zum Gefecht. Die größte Bedrohung waren Sprengfallen. 5. August 2011 an der LOC Cherry im nördlichen Char Darah. 845
56 Am 9. September 2011 fuhr dieser Enok auf der Westplatte auf ein IED (Improvised Explosive Device). Zwei Insassen wurden leicht, einer schwer verwundet. 846
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57 und 58 Humor und Selbstverständnis ihrer Truppengattung drückten die Soldaten der Task Force Kunduz auf eigene Weise aus. Die beiden Schnappschüsse entstanden im März und Oktober 2010 im Polizeihauptquartier. 848
59 Der als »Bunker« gestaltete Aufenthaltsraum für Unteroffiziere der 2. Kompanie des Jägerbataillons 291 in Illkirch. 849
60 Die Aufnahmen lösten im Mai 2017 eine Debatte um das Traditionsbild der Bundeswehr aus und werden bis heute oft zur Illustration des Skandals um den terrorverdächtigen Franco A. verwendet. 850
Anhang 851
Dienstgrade Wehrmacht und Bundeswehr (Heer) Mannschaften Soldat, Schütze, Kanonier etc. Gefreiter Obergefreiter Hauptgefreiter (nur Bundeswehr) Stabsgefreiter Oberstabsgefreiter (nur Bundeswehr) Unteroffiziere Unteroffizier (Jägertruppe Wehrmacht: Oberjäger) Stabsunteroffizier Feldwebel Oberfeldwebel Hauptfeldwebel (in Funktionsbezeichnung) der Wehrmacht nur Stabsfeldwebel Oberstabsfeldwebel (nur Bundeswehr) Offiziere Leutnant Oberleutnant Hauptmann Major Oberstleutnant 852
Oberst Brigadegeneral (nur Bundeswehr) Generalmajor Generalleutnant General Generaloberst (nur Wehrmacht und NVA) Generalfeldmarschall (nur Wehrmacht) 853
Militärische Gliederung Teileinheiten Stärke Führung Gruppe = ~12 Mann Unteroffizier Zug = ~40 Mann (3 Gruppen) Leutnant/Hauptfeldwebel ~150 Mann (3–4 Züge) Hauptmann/Major (Bw) Bataillon ~600 Mann (3–5 Kompanien) Oberstleutnant Regiment 2000–3000 Mann (2– 4 Bataillone) Oberst Brigade ~5000 Mann (4–5 Bataillone) Brigadegeneral/Oberst Division ~12 000– 20 000 Mann (2–4 Regimenter/ Brigaden) Generalleutant (Wehrmacht)/Generalmajor (Bw) Korps 30 000– 80 000 Mann (mehrere Divisionen) General (Wehrmacht)/ Generalleutnant (Bw) Armee 50 000– über 200 000 Mann (mehrere Korps) Generaloberst (Wehrmacht) Heeresgruppe mehr als 200 000 (mehrere Armeen) Generaloberst/Generalfeldmarschall (Wehrmacht) Einheit Kompanie Verbände Großverbände 854
Verteidigungshaushalt der Bundesrepublik Deutschland von 1955 bis 1989 Jahr Verteidigungshaushalt Anteil am Teil des 1 Bundeshaushalt BIP (in in Mrd. DM (in Prozent)2 Prozent)3 Heutiger Geldwert4 1955 0,05 0,4 4,1 126.000.000,00 € 1956 1,72 12,2 3,6 4.214.000.000,00 € 1957 2,73 16,9 4,1 6.524.700.000,00 € 1958 3,83 22,2 3 8.962.200.000,00 € 1959 4,34 23 4,4 10.068.800.000,00 € 1960 3,81 24,6 4 8.724.900.000,00 € 1961 5,96 27,1 4 13.350.400.000,00 € 1962 7,94 31,1 4,8 17.229.800.000,00 € 1963 9,25 33 5,2 19.517.500.000,00 € 1964 8,94 30,1 4,7 18.416.400.000,00 € 1965 9,08 27,7 4,3 18.160.000.000,00 € 1966 9,22 27 4,2 17.794.600.000,00 € 1967 10,1 26,5 4,3 19.190.000.000,00 € 855
1968 8,83 22,8 3,6 16.512.100.000,00 € 1969 9,75 23,2 3,6 17.940.000.000,00 € 1970 9,93 22,1 3,2 17.675.400.000,00 € 1971 10,96 21,8 3,3 18.522.400.000,00 € 1972 12,42 21,9 3,4 19.872.000.000,00 € 1973 13,69 21,8 3,4 20.398.100.000,00 € 1974 15,28 22,3 3,5 21.239.200.000,00 € 1975 15,98 19,9 3,5 21.093.600.000,00 € 1976 16,56 19,9 3,3 20.865.600.000,00 € 1977 17,15 19,5 3,2 20.923.000.000,00 € 1978 18,1 18,7 3,2 21.539.000.000,00 € 1979 18,99 18,3 3,1 21.648.600.000,00 € 1980 20,13 18,2 3,1 21.740.400.000,00 € 1981 21,77 18,3 3,2 22.205.400.000,00 € 1982 22,69 18,1 3,2 22.009.300.000,00 € 1983 23,9 18,9 3,2 22.466.000.000,00 856
€ 1984 24,42 19 3,1 22.222.200.000,00 € 1985 24,99 19 3 22.241.100.000,00 € 1986 25,66 19,2 3 23.094.000.000,00 € 1987 26,12 19 2,9 23.246.800.000,00 € 1988 26,19 18,6 2,8 23.047.200.000,00 € 1989 26,86 18,1 2,7 23.099.600.000,00 € 3,577 % Ges.: 625,88 Mrd. € Ges.: 487,34 Mrd. DM 21,154 % 1 Bayer, Stefan: Der Verteidigungshaushalt – Trendwende bei den Verteidigungsausgaben? Bpb.de. https://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutscheverteidigungspolitik/249290/vertei digungsausgaben. 2 Ebenda. 3 Entwicklung der Militärausgaben in Deutschland von 1925 bis 1944 und in der Bundesrepublik Deutschland von 1950 bis 2015 im Verhältnis zur gesamtwirtschaftlichen Leistung. (Aktenzeichen WD 4 - 3000 - 025/17). 4 Berechnet wurden die Zahlen mithilfe einer Tabelle der Bundesbank, welche die Kaufkraftäquivalente vergangener Währungen und Jahre auflistet. Zu finden ist diese sowie eine Erklärung zum dahinterstehenden Prinzip unter https://www.bundesbank.de/de/statistiken/konjunktur-und-preise/erzeuger-undverbraucherpreise/kaufkraftvergleiche-historischer-geldbetraege-775308#tar-6. 857
858
Abgeordnete des Reichstags (MdR) sowie des Bundestags (MdB), die Militärdienst geleistet haben Merke: Die Abgeordneten konnten für die einschlägigen Handbücher ihre Biografien sowohl während der Weimarer Republik als auch in der Bundesrepublik größtenteils individuell frei verfassen. Folglich ist nicht auszuschließen, dass manche Abgeordnete keine Angaben zu ihrem Militärdienst machten. Quellen: Amtliches Handbuch des deutschen Bundestages. 2., 6., 9., 12., 14., 17., 19. Wahlperiode. Herausgegeben vom deutschen Bundestag. Bearbeitet von der Bundestagsverwaltung. Darmstadt 1953–2019. Bureau des Reichstags (Hrsg.): Handbuch der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung. Biographische Notizen und Bilder. Weimar 1919. 859
Bureau des Reichstags (Hrsg.): Reichstags-Handbuch. II., IV., VII. Wahlperiode, Berlin 1924–1933. 860
Anmerkungen Einleitung 1 Vgl. Naumann, Nicht ganz dicht am rechten Rand. Unter den 43 775 Bewerbern, welche der zuständige Militärische Abschirmdienst (MAD) zwischen Juli 2017 und Juni 2019 überprüfte, befanden sich 21 Neonazis und »Reichsbürger«, zwölf Islamisten, zwei Linksextremisten sowie mehrere Straftäter und »Gewaltbereite«. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wegensicherheitsbedenken-bundeswehr-weist-63-bewerber-ab16295296.html. Ausführlich zu den Daten der Jahresbericht des Militärischen Abschirmdienstes für das Jahr 2019, S. 11–17. https://www.bundeswehr.de/resource/blob/250916/8b3aa b4ba0ceb87d592b6c74bd569c52/mad-report-2019data.pdf. 2 Zur Definition des Begriffs »Militärkultur« vgl. vom Hagen, Homo militaris, insb. S. 9, 69. Vgl. auch vom Hagen/Tomforde, Militärische Kultur; Hull, Absolute Destruction, S. 93–98. Zuletzt Wong/Gerras, Culture and Military Organisations. 3 Bönker, German Way of War; Hull, Absolute Destruction; Hull, Scrap of Paper; Knox, Threshold, S. 101–104. 4 Eine der wenigen Ausnahmen ist Kutz, Deutsche Soldaten. 5 Mit weiterführender Literatur: Dietz, Wertewandel. 6 Dazu auch Loch, Generale. 861
7 Klassisch dazu Shils/Janowitz, Cohesion. Eine Ausdifferenzierung der Primärgruppen-Kohäsion im Vietnamkrieg bietet Kaplan, Army Unit Cohesion. In der soziologischen Forschung hat sich dafür der Begriff der social cohesion durchgesetzt. 8 So argumentierte Moskos schon 1968: Moskos, Eigeninteresse. Für diese Ebene hat die Militärsoziologie den Begriff der task cohesion geprägt. 9 Einen konzisen Überblick der Forschungsliteratur bietet Heiko Biehl in diversen Beiträgen: Biehl, Kampfmoral und Kohäsion; ders., Kampfmoral und Einsatzmotivation; ders., Einsatzmotivation und Kampfmoral. Vgl. auch Wong, Why They Fight; MacCoun, Social Cohesion; King, On Combat Effectiveness, der betont, dass Ausbildung und Drill für den Zusammenhalt und die Leistungsfähigkeit der militärischen Primärgruppen wichtiger seien als die von Janowitz und Shils herausgestellten persönlichen Beziehungen der Soldaten untereinander. 10 Bartov, Hitlers Wehrmacht. 11 Neitzel/Welzer, Soldaten. Christoph Rass hat mit einer empirischen Studie nachgewiesen, dass die Primärgruppen der Wehrmacht trotz der hohen Verluste bis Herbst 1944 im Wesentlichen intakt waren. Er wies damit Bartovs These vom frühen Zerfall der Primärgruppen der Wehrmacht und dem daraus abgeleiteten Argument, dass sie für die Motivation nicht von herausgehobener Bedeutung gewesen sein können, zurück. Die Befunde von Rass werden von Overmans, Verluste, gestützt, sind aber von der Militärsoziologie bislang nicht beachtet worden. 862
12 Vgl. Neitzel, Der Westen, vs. Biehl, Kämpfer. 13 Münch, Die Bundeswehr in Afghanistan, S. 43, 60–63, 79–84, 208–212. 14 Der Begriff Tribe/Stamm ist in der Ethnografie umstritten. So gibt es insbesondere unterschiedliche Auffassungen zur Anwendung der Begriffe nation, tribe, band oder clan, zumal die soziale Binnenorganisation etwa der indigenen Völker Nordamerikas sehr unterschiedlich war und die Begriffe schon im 18. und 19. Jahrhundert nicht trennscharf verwendet wurden. Als Beispiel für die Organisation der Militärgesellschaften ausgewählter Stämme siehe Meadows, Kiowa, Apache, and Comanche Military Societies; Gagnon, Sioux Indians, S. 104. 15 In der englischsprachigen Forschung ist das Konzept der tribal cultures bereits erfolgreich angewendet worden. Vgl. etwa Burke, Army of Tribes. 16 Zur Rolle der Regimenter in der britischen Armee als imagined communities siehe French, Military Identities. Allgemein für den deutschen Fall auch: Frevert, Kasernierte Nation, S. 245–271. Zum neo-tribalism in heutigen Gesellschaften Maffesoli, Time of the Tribes. Das Militär im Kaiserreich 1 Stein, Heeresrüstungspolitik. 2 Groß, There was a Schlieffenplan, S. 159. 3 Einen unterschiedlich akzentuierten Literaturüberblick bieten Epkenhans, Der Erste Weltkrieg, und Neitzel, Der Erste Weltkrieg. Zu den unterschiedlichen Einschätzungen der Rolle des Reichskanzlers vgl. z. B. 863
Förster, Russische Pferde, S. 79; Canis, Die bedrängte Großmacht, S. 461, 465, 477, 482. 4 Kroll, Geburt der Moderne, S. 48. 5 Der militärkritische Roman aus der Feder von Franz Adam Beyerlein, Jena oder Sedan?, Berlin 1903, war mit 250 000 Exemplaren eines der am meisten verkauften Bücher des Kaiserreichs. Neff, Wir wollen keine Paradetruppe, S. 113. 6 Ebenda. 7 Neitzel, Kriegsbücher. 8 So etwa die Bewertung von Volker Ullrich in einer Rezension in der Zeit, 24. 7. 2003. 9 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd, 3, S. 880– 885; Berg/Hermann, Industriegesellschaft und Kulturkrise, S. 13; Schulte, Die deutsche Armee. Grundlegend auch Becker, Bilder von Krieg und Nation; ders., Strammstehen vor der Obrigkeit. 10 Ziemann, Sozialmilitarismus, S. 156. 11 Rohkrämer, Gesinnungsmilitarismus, S. 95–101. 12 Deist, Militär, S. 48 f. Das Verhältnis von Offizieren zu Unteroffizieren/Mannschaften betrug in der kaiserlichen Armee damit rund 1 : 33. Dabei blieb es bis 1945. Bei der Bundeswehr betrug der Anteil 1980 nur noch 1 : 16. Fachgruppe Führungslehre Heer, Juni 1980, BArch-MA, N 992/51. 13 So bei Ritter/Kocka, Sozialgeschichte Bd. 2, S. 224; John, Reserveoffizierkorps, S. 147. 14 Groppe, Kaiserreich, S. 374 f. 864
15 Ebenda, S. 414. 16 Knorring, Militär und Gesellschaft, S. 231. 17 Darauf deuten auch die Befunde einer milieubedingten Zurückhaltung etwa im ländlichen Raum hin. Vgl. Ziemann, Front und Heimat, S. 34–54. 18 Becker, Strammstehen vor der Obrigkeit; Mertens, Das Einjährig-Freiwilligen-Privileg. 19 Epkenhans, Geheimdienst und Propaganda, S. 3. 20 Demeter, Offizierkorps, S. 95. Dabei muss freilich bedacht werden, dass der Begriff der Primarreife vielschichtig ist. Der Abschluss der 13. Klasse berechtigte zum Eintritt in die Offizierslaufbahn unter Erlass der Fähnrichsprüfung. Der Abschluss der 11. Klasse – das Zeugnis der Reife für die Unterprima – berechtigte ebenfalls zum Eintritt in die Offizierslaufbahn, jedoch musste eine Fähnrichsprüfung absolviert werden. Dies traf für die altsprachlichen Gymnasien ebenso zu wie für Realgymnasien und Oberrealschulen. Der Besuch der Kadettenanstalten entsprach dem Abschluss eines Realgymnasiums. Die meisten Kadetten gingen mit der 11. Klasse ab und mussten dann die Fähnrichsprüfung absolvieren, die Besten eines Jahrgangs blieben bis zur 13. Klasse und wurden danach direkt als Leutnant in die Armee übernommen. Für diesen Hinweis danke ich Thorsten Loch, Potsdam. 21 Titze, Hochschulstudium, S. 169. 22 1913 betrug der Anteil bürgerlicher Obristen und Generäle dementsprechend 48 Prozent. Demeter, Offizierkorps, S. 29. 865
23 Hierzu Loch, Deutsche Generale, vor allem S. 561–569. 24 Petrovsky-Shtern, Jews in the Russian Army, S. 131–132. 25 Zu Österreich-Ungarn ausführlich Schmidl, Habsburgs jüdische Soldaten. 26 Oliver Stein, Heeresrüstungspolitik, S. 72–74. 27 Ebenda, S. 67. 28 Dies alles bei ebenda, S. 57–70. 29 Zu Blutvergießen kam es beim großen Bergarbeiterstreik 1889, als elf Tote und 26 Schwerverletzte zu beklagen waren. Weber, Gescheiterte Sozialpartnerschaft, S. 30. Zur Verhängung des militärischen Ausnahmezustands und zu dem Einsatz des Militärs in Bielefeld im März 1885 vgl. https://www.bielefeld.de/de/biju/stadtar/rc/rar/01032010. html?medium=www. Es gab durchaus auch skeptische Stimmen in der Generalität zum Einsatz im Innern. Vgl. Neugebauer, Handbuch der preußischen Geschichte, S. 446–450. 30 Der bekannteste Fall des Einsatzes der britischen Armee im Innern ereignete sich 1910 bei einem Bergarbeiterstreik im Süden von Wales. Kiernan, Networks, Mechanisms, and the Police, Kapitel 2. 31 Etwa Hull, Absolute Destruction; Bönker, German Way of War; Knox, Common Destiny; Knox, Erster Weltkrieg; Zimmerer, Von Windhuk nach Auschwitz; Madley, From Africa to Auschwitz; Baranowski, Nazi Empire. 32 Die Proklamation Trothas ist vielfach abgedruckt, u. a. in Häussler, Genozid an den Herero, S. 190 f. 33 Ebenda. 866
34 Lothar von Trotha übernahm im Mai 1904 »nur« das Kommando über die Schutztruppe. Leutwein blieb bis August 1905 Gouverneur, bevor das Amt offiziell an Trotha übertragen wurde. 35 So Häussler, Genozid an den Herero, S. 231. 36 So die Quintessenz der in Arbeit befindlichen Dissertation von Patrick Walz, Völkermord in Übersee – Fallstudien kolonialer Genozide im 19. Jahrhundert, der die deutsche Niederschlagung des Herero-Aufstands, die britische Bekämpfung des Matabele-Aufstands und die französische »Pazifizierung« der Elfenbeinküste vergleicht. 37 Bührer, Kaiserliche Schutztruppe, S. 215, 483. Eine luzide Übersicht und Bewertung der deutschen Kolonialkriege auch in Langewiesche, Der gewaltsame Lehrer, S. 363–400. Hinzuweisen wäre in diesem Kontext noch auf die Niederschlagung des chinesischen Boxeraufstands, an dem sich deutsche Truppen beteiligten. Die dortige Gewalteskalation – die Deutschen töteten Tausende Chinesen – war jedoch anders gelagert als in den afrikanischen Kolonien. Vgl. hierzu Schroer, German Military. Er kritisiert mit seinem Ansatz vor allem, von einer einheitlichen deutschen Gewaltkultur auszugehen, und betont weitere situative Einflussfaktoren. 38 Schmidt, Kriegsartikel, S. 14, 16. 39 Höhn, Die Armee als Erziehungsschule, S. 424; Stein, Heeresrüstungspolitik, S. 59–62. 40 Zit. nach Höhn, Die Armee als Erziehungsschule, S. 317. 41 Ebenda, S. 458 f. 867
42 Ebenda, S. 461. 43 Ebenda, S. 446. 44 Das gilt umso mehr für eine politisch erwünschte Beeinflussung der Zivilgesellschaft. Kuhlemann, Kaiserreich als Erziehungsstaat. 45 Wilhelm Janeke, Aus meiner Dienstzeit 1892–94 [Berlin 1942], S. 79. 46 Ebenda, S. 42. 47 Ebenda, S. 142. 48 Kriegsartikel bei Absolon, Wehrmacht, Bd. 2, S. 212– 217. 49 Wilhelm Janeke, Aus meiner Dienstzeit 1892–94 [Berlin 1942], S. 53. 50 Ebenda, S. 5. 51 Hierzu hat etliche Stimmen zusammengetragen: Frevert, Kasernierte Nation, S. 216–245. 52 Wilhelm Janeke, Aus meiner Dienstzeit 1892–94 [Berlin 1942], S. 11. 53 Goffman, Asyle; Apelt, Militärische Sozialisation, S. 431 f. Für eine Diskussion der Anwendbarkeit auf Bundeswehr und NVA vgl. Müller, Kasernierte Vergesellschaftung, S. 490. 54 Etwa Foucault, Überwachen und Strafen; Coser, Gierige Institutionen. 55 Auf diesen Umstand hat schon Klaus-Jürgen Müller, Generaloberst Ludwig Beck, hingewiesen, siehe dort S. 36. 868
56 Schmidt, Kriegsartikel, S. 66; Felddienst-Ordnung 1908, S. 14. 57 Auf den Befund, dass Streitkräfte niemals wirklich »totale Organisationen« seien, hat 2008 schon Peter Wilson hingewiesen. Wilson, Defining Military Culture, S. 31. 58 Selbst Generalssohn Hans von Seeckt schrieb hinsichtlich seines Diensteintritts über die Ungewohntheit des neuen Lebens. Meier-Welcker, Seeckt, S. 20. 59 Kühlmann, Erinnerungen, S. 47–63. 60 Auf diesen Umstand ist in der Literatur vielfach hingewiesen worden. Siehe etwa Kroener, Fromm, S. 61. 61 Allgemein auch: Frevert, Kasernierte Nation, S. 245–271. 62 Von 327 Infanterie- und Kavallerieregimentern hatten 1914 acht in den Garnisonen Berlin und Potsdam ein vollständig adeliges Offizierkorps. Ostertag, Bildung, S. 50. 63 Das Alte Heer, S. 28. 64 Ebenda, S. 29. 65 1880 lag der Adelsanteil des Offizierkorps in den Gardeund Kavallerieverbänden bei 55 %, in der Infanterie bei 35 %. Die geistige Situation der Armee von 1880–1890, in: BArch-MA, N 690/159. 66 Müller, Beck, S. 35. 67 Zur quantitativen Struktur des Heeres vgl. Huges/Dinardo, Imperial Germany, S. 84; Ostertag, Bildung, S. 35. 869
68 Erwin Jaenecke, der als Generaloberst der Wehrmacht eine Armee an der Ostfront befehligte, war eines der wenigen Beispiele. 69 Die von Leutnant Oswald Bilse in seinem Roman »Aus einer kleinen Garnison« geschilderten Verhältnisse im Train-Bataillon 12 scheinen für Standorte in abgelegenen Grenzregionen im Wesentlichen zutreffend gewesen zu sein. Dazu u. a. Das Alte Heer, S. 28. 70 Paul Schmidt greift in seiner Interpretation der Kriegsartikel immer wieder auf die preußische Geschichte zurück, etwa S. 125 f. Vgl. Menzel, Dienstunterricht des deutschen Infanteristen, Jahrgang 1909–10, S. 14–24, sowie die historischen Beispiele für die Tugenden Mut, Kriegsfertigkeit, Tapferkeit in: Transfeldt, Dienstunterricht 1914–15, S. 26 ff. 71 Wilhelm Janeke. Aus meiner Dienstzeit 1892–94 [Berlin 1942], S. 26–34. 72 Ebenda, S. 23. 73 Wiedner, Soldatenmisshandlungen, S. 179 f. 74 Schubert, Militärstrafgerichtsordnung. Vgl. Schmidt, Kriegsartikel, S. 91–95. Zur Kabinettsorder von Wilhelm II. vom 6. 2. 1890 auch Protokolle des Deutschen Reichstags, 8. Legislaturperiode, 172. Sitzung, 15. 2. 1892, S. 4208; Salomon, Geheimbefehl. 75 Muth, Command Culture, S. 91–94, 107 f. 76 Die Soldaten Österreich-Ungarns mussten sich noch bis 1868 prügeln lassen. Auch waren Körperstrafen in Form von »Anbinden« und »Schließen in Spangen« bis in den Ersten Weltkrieg hinein erlaubt. Hämmerle, Drill. In der russischen Armee waren Körperstrafen ebenfalls noch 870
zulässig. Das Auspeitschen wurde in der Royal Navy erst 1879 verboten. 77 Wiedner, Soldatenmisshandlungen, S. 198. 78 Storz, Kriegsbild und Rüstung, S. 115–122. Vgl. auch die Lebenserinnerungen Otto Hörsings, zit. in: Elsbach, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, S. 128. 79 Um 1900 gab es im Kaiserreich eine intensive öffentliche Debatte über Körperstrafen, die zumindest zu einer gewissen Abmilderung führte. Das Züchtigungsrecht im Unterricht wurde eingeschränkt, jenes des Dienstherrn gegenüber dem Gesinde abgeschafft. Allerdings blieb die Gewalt in der Schule allgegenwärtig und wurde erst 1973 endgültig verboten. In Preußen blieben Körperstrafen gegenüber Mägden und Knechten bis 1919 erlaubt. Lehrlinge durften in Deutschland bis 1951 geschlagen werden. Elder, Right to Beat a Child. Vgl. auch Bach, Züchtigung; Rademacher, Züchtigung; Wöller, Schulzucht. 80 Für eine deutlich höhere gesellschaftliche Akzeptanz der Gewalt im Kaiserreich im Vergleich etwa zur Bundesrepublik spricht auch, dass im Kaiserreich beinahe dreimal so viele schwere Fälle von Körperverletzung zur gerichtlichen Verurteilung gebracht wurden als leichte. In der Bundesrepublik ist das Verhältnis genau umgekehrt. Kriminalstatistik für das Jahr 1885; Polizeiliche Kriminalstatistik, Bundesrepublik Deutschland, Jahrbuch 2017. 81 Schikanen aller Art sind in vielen Memoiren deutscher Soldaten überliefert. Vgl. etwa Smilo Freiherr von Lüttwitz, Soldat in 4 Armeen, 1914, S. 4, BArch-MA, N 10/9. 871
82 Frevert, Kasernierte Nation, S. 227, und Watson, Enduring the Great War; Wilhelm Janeke, Aus meiner Dienstzeit 1892–94 [Berlin 1942], S. 65. 83 Bilse, Aus einer kleinen Garnison, Wien 1904; Barr, Was lehrt der »Fall Bilse«; Stein, Bilse-Skandal; Reissmüller, Aus einer kleinen Garnison. 84 Dies war auch der Fall, als Leutnant Henning von Brüsewitz im Oktober 1896 in Karlsruhe einen Mann mit dem Säbel tötete, um nach einer Lappalie seine Ehre wiederherzustellen. Brüsewitz wurde zu einer Haftstrafe von drei Jahren und 20 Tagen verurteilt, die er nur zur Hälfte absitzen musste. Borgstedt, Der Fall Brüsewitz. 85 Protokolle des Deutschen Reichstags, 8. Legislaturperiode, 172. Sitzung, 15. 2. 1892, S. 4209. Ähnlich äußerte sich auch Reichskanzler Bernhard von Bülow und verwies darauf, dass man von den Verfehlungen Einzelner nicht auf die ganze Organisation schließen dürfe. An August Bebel gerichtet sagte er: »Auch in Ihren Reihen [gibt] es rohe, nichtsnutzige, gemeine, schwache Menschen«, und betonte weiter, dass Missstände »mit der größten Strenge bestraft werden sollen«. Protokolle des Deutschen Reichstags, 11. Legislaturperiode, 4. Sitzung, 10. 12. 1903, S. 54 f. Siehe auch Wiedner, Soldatenmisshandlungen, S. 166. 86 Hämmerle, Drill; Egger, Disziplinierung in der k. u. k. Armee. 87 Füllkrug, Selbstmord; Gruner, Selbstmord, S. 1–36; Kirn, Soldatenleben in Württemberg, S. 212–229. 88 Füllkrug, Selbstmord, S. 87–92. Vgl. auch Estorff, Selbstmorde. 872
89 Einige Charakterisierungen unterschiedlicher Offizierstypen in: Groener, Lebenserinnerungen, S. 42 f. 90 Wilhelm Janeke, Aus meiner Dienstzeit 1892–94 [Berlin 1942], S. 6 f., 47, 61 f. 91 Felddienst-Ordnung 1908, S. 14. 92 Treiber/Steinert, Fabrikation Menschen, S. 107. 93 Unter Verwendung der klassischen englischsprachigen Literatur Strachan, Ausbildung, Kampfgeist. 94 Protokolle des Deutschen Reichstags, 8. Legislaturperiode 1890/92, 6. Sitzung, 14. 5. 1890, S. 76. 95 Hierzu ausführlich Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 29–102, insb. S. 59. 96 Müller, Kriegsbild. Vgl. auch Groß, Schlieffenplan. 97 Hierzu Grawe, Feindaufklärung. 98 Menzel, Dienstunterricht des deutschen Infanteristen, 1909–10. Hier wird in verklärender Form eine Frage angeschnitten, die zumindest die englischsprachige militärhistorische Forschung bejaht: eine aus der wirtschaftlichen Unterlegenheit erwachsene Offensivkultur, um mit schnellen, überraschenden Vorstößen die Kriegsdauer zu begrenzen. Freilich gibt es hierfür auch Gegenbeispiele, wenn man etwa an die zurückhaltende Rolle Preußens 1806/07 oder auch während des Krimkriegs denkt. Citino, German Way of War. Zur Zeit des Kaiserreichs dachten beinahe alle Mittel- und Großmächte in den Kategorien der militärischen Offensive. des zuverlässigen 873
99 Felddienst-Ordnung 1908, S. 9, 13, 16. Menzel, Dienstunterricht des deutschen Infanteristen, 1909–10, S. 148. Turnen und Fechten sollten zur Förderung des Wagemuts beitragen. 100 Schmidt, Kriegsartikel 1902, S. 43 f.; Ostertag, Bildung, S. 259. 101 Huges, Imperial Germany, S. 134–136, 162. Steven D. Jackman interpretiert die taktische Ausbildung des Heeres grundlegend anders, und zwar als ein starres Beharren konservativer Eliten in unflexiblen Massenangriffen, die dann zu den schweren Verlusten des Ersten Weltkriegs geführt hätten. Jackman, Shoulder to Shoulder. Dagegen Pöhlmann, Das unentdeckte Land. 102 Zur Weiterentwicklung der Landkriegstaktik vor 1914 und zu den dabei gelegten Grundlagen für das Lernen im Ersten Weltkrieg Raths, Massensturm. 103 Schmidt, Kriegsartikel 1902, S. 65 f.; Transfeldt, Dienstunterricht 1916/17, S. 145. 104 Zur eher unterschätzten Qualität der Militärmanöver im Kaiserreich Hughes, Imperial Germany, S. 99–102. 105 Ebenda, S. 355–359. Vgl. Wild von Hohenborn an seine Frau, 24. 9. 1914, über die schweren Verluste seiner 30. Infanteriedivision, in: Hohenborn, Briefe, S. 23. 106 Markus Pöhlmann hat nachgewiesen, dass es innerhalb der Kavallerie eine intensive Fachdebatte über deren Rolle in einem zukünftigen Krieg gab. Pöhlmann, Das unentdeckte Land, S. 73–82. 107 Storz, Kriegsbild, S. 269–284. 108 So das Fazit von Pöhlmann, Das unentdeckte Land. 874
109 Stein, Heeresrüstungspolitik, S. 81–89. Einsätze zur Unterstützung der Polizei blieben die große Ausnahme, und die zivilen Behörden versuchten wegen der schlechten Erfahrung bei der Kooperation solche Operationen zu vermeiden. In Frankreich führte die bessere Kooperation hingegen zu mehr Militäreinsätzen im Innern. Johansen, Patterns of Elite Co-operation. 110 Storz, Kriegsbild und Rüstung, S. 371. 111 Ritter/Kocka, Deutsche Sozialgeschichte, S. 221. 112 Zuletzt Herwig, Marne 1914. 113 Tagebuch Hermann Balck, Bd. 1, S. 6, BArch-MA, N 647/1. 114 Afflerbach, Auf Messers Schneide, S. 58 f. 115 Vgl. Greenhalgh, French Army and the First World War, S. 37–69. 116 Hughes, Imperial Germany, S. 355–359. Zum Tatendrang und zur allzu ungelenken Art, das erste Gefecht zu führen, vgl. die Schilderung der Schlacht von Lagarde am 11. 8. 1914 durch Theodor Groppe, Tagebuch 1914/15, BArch-MA, N 739–255, S. 4–22. 117 Zimmermann, Tannenberg 1914, S. 357. 118 Der Weltkrieg 1914–1918, Bd. 6, S. 427. So hohe Verluste gab es erst wieder ab März 1918. Sanitätsbericht 1914–1918, S. 143. 119 Afflerbach, Falkenhayn, S. 198–210. 120 Afflerbach, Auf Messers Schneide, S. 292. 121 Ebenda, S. 363, 421. Dagegen Nebelin, Ludendorff; Pyta, Hindenburg, S. 244–323. 875
122 Epkenhans, Der Erste Weltkrieg, S. 81. 123 Siehe auch Stachelbeck, Taktisches Lernen im deutschen Heer; Stachelbeck, Militärische Effektivität; Foley, Learning War’s Lessons. 124 Dass es trotz der unbestritten erfolgreichen Angriffsverfahren noch allerhand Probleme gab, zeigt das Tagebuch von Rudolf Herms, der mit einer Infanteriebegleitbatterie den Angriff der 20. Infanteriedivision im März 1918 in vorderster Linie mitmachte. Vgl. Tagebuch Herms, 20. 3., 21. 3. 1918, BArch-MA, N 473/7. 125 Pöhlmann, Panzer, S. 117–130. 126 Die zeitgenössischen Hoffnungen waren natürlich andere. Hauptmann Heinrich von Vietinghoff beschrieb diese als Adjutant bei der OHL im März 1918 eindringlich: »Unsere Truppe in einer Stimmung wie im August 1914, auch dasselbe Bild, alles voll vorwärtsziehender Kolonnen, große Biwacks usw.; kurz, der volle Bewegungskrieg. Wer hätte das nochmal im Westen für möglich gehalten.« Tagebuch, 26. 3. 1918, BArch-MA, N 574/2. 127 Etwa Ferguson, Der falsche Krieg, S. 283. 128 Transfeldt, Dienstunterricht 1916/17, S. 9–12. 129 Tagebuch Balck, 16. 11. 1916, BArch-MA, N 647/3. 130 Tagebuch Herms, 5. 5. 1915, BArch-MA, N 473/6. 131 Einen guten Eindruck von den Patrouillengefechten deutscher Kavallerie bietet das Tagebuch des Leutnants Eberhard Freiherr von Senden. Ders., Der Erste Weltkrieg 1914–1918, S. 60–165. 876
132 Tagebuch Balck, 1915, S. 4, BArch-MA, N 647/2. 133 Ebenda, 22. 9. 1915, S. 44, BArch-MA, N 647/2. 134 Ernst Jünger, Tagebuch, 23. 10. 1915, S. 55. Wie anders ein Dragoner an der Ostfront den Krieg erlebte, zeigen die Erinnerungen von Smilo Freiherr von Lüttwitz, Soldat in 4 Armeen, BA/MA, N 10/9. 135 Diesen Aspekt betont Ashworth, Trench Warfare. 136 Ernst Jünger, Tagebuch, 6. 3. 1917, S. 222. Ganz ähnlich formulierte Hermann Balck seine Erfolge. Freudig vermerkte er, wie er am 27. 9. 1914 17 französische Alpenjäger mit wohlgezieltem Feuer »umlegte«. Tagebuch Balck 1914, S. 38; Tagebuch 1915, S. 4. BArch-MA, N 647/1, 2. Benjamin Ziemann wies darauf hin, dass zumindest für Jünger das Töten immer mit einer Zweckrationalität – dem Sieg über den Gegner – verbunden blieb und keinen autotelischen Charakter hatte, also um seiner selbst willen erfolgte. Vgl. Ziemann, Gewalt im Ersten Weltkrieg, S. 63–90. 137 Zirlewagen, Kriegsbriefe, S. 110. 138 Tagebuch Rudolf Herms, 25. 9. 1914, BArch-MA, N 473/5. 139 Histories of Two Hundred and Fifty-One Divisions of the German Army which Participated in the War (1914– 1918), S. 20. 140 Weit über 90 Prozent der Goldenen Militärdienstverdienstkreuze wurden erst 1918 verliehen. Soldaten aus 685 Einheiten erhielten diesen Orden. Nur 21 Einheiten (3 %) erhielten zehn bis 19 Kreuze; von diesen stachen »alte« Regimenter heraus, die vor 1914 aufgestellt worden waren, darunter auch fünf 877
Garderegimenter. Geile, Das Preußische Goldene MilitärVerdienst-Kreuz. 141 Zur Qualität deutscher Divisionen vgl. Organisation und Verwendung gemischter Verbände von verschiedenem Kampfwert im Weltkriege, 21. 12. 1934, BArch-MA, N 221/12. 142 Tagebuch Alfred Bauer, 23. 4. 1916. 143 Zum vierwöchigen Lehrgang beim Sturmbataillon 11 an der Ostfront im Sommer 1917 vgl. Tagebuch Alwin Lyding, BArch-MA, N 382/1, S. 16. In Italien gab es weit mehr Sturmbataillone als im Deutschen Reich, Morisi, Hell in the Trenches. 144 Gudmundsson, Stormtroop Tactic. 145 Berliner Börsen-Zeitung, 4. November 1917. 146 Etwa Schauwecker, Im Todesrachen, S. 282 f. 147 Etwa bei Ristow, Sturmgrenadiere, S. 14. 148 Die Textstelle bezieht sich auf die Schlacht von Cambrai im November 1917. Vgl. Jünger, In Stahlgewittern, Historisch-kritische Ausgabe, S. 484 f.; Jünger, Tagebuch, S. 351 f. 149 Zit. nach Afflerbach, Auf Messers Schneide, S. 218. 150 Material zu Missbrauch, Schikanen, Offiziershass und der 1918 schwindenden Moral bietet »Soziale Heeresmißstände als Mitursache des deutschen Zusammenbruches von 1918«, in: Die Ursachen des Deutschen Zusammenbruches im Jahre 1918, Bd. 11. 151 Hierzu ausführlich Watson, Enduring the Great War. 152 Richhardt, Auswahl und Ausbildung, S. 18. 878
153 Solche Fälle wurden nach wie vor im Reichstag debattiert, wenngleich der Ton im Vergleich zur Vorkriegszeit gemäßigter war. Vgl. Protokolle des Deutschen Reichstags, 13. Legislaturperiode, 31. Sitzung, 17. 1. 1916, S. 691 f., 41. Sitzung, 7. 4. 1916, S. 910 f.; 73. Sitzung, 3. 11. 1916, S. 2047; 100. Sitzung, 4. 5. 1917, S. 3050 f.; 173. Sitzung, 12. 6. 1918, S. 5430. Es wurden dabei auch Stimmen laut, dass körperliche Misshandlungen im Vergleich zu früher weniger geworden seien. 60. Sitzung, 6. 6. 1916, S. 1555; 72. Sitzung, 2. 11. 1916, S. 2007; 100. Sitzung, 4. 5. 1917, S. 3047. 154 So etwa der Tagebucheintrag des Artilleristen Oberleutnant Rudolf Herms: »Na, daß unsere Inf. nichts mehr ausrichten kann, das sieht jeder Blinde, nur die Herren der Division natürlich nicht, die das ja von da hinten gar nicht beurteilen können. Und vorn läßt sich von den Herren mit dem r.[oten] Streifen natürlich keiner sehen, weil es ja hier ungemütlich ist. Aber nachher, wenn die Pour le Mérite in die Gegend geschmissen werden, dann halten sie alle die Hälse hin.« Die Kritik richtete sich gegen Otto von Trautmann, Kommandeur der 20. Infanteriedivision. Tagebuch Herms, 24. 3. 1918, BArch-MA, N 473/8. 155 Hartmann, Halder, S. 331. 156 Rudolf Herms schrieb als Leutnant der 20. Division sogar ein Spottgedicht auf die »Etappenschweine«, das er beim Kladderadatsch einreichte, das zu seinem großen Bedauern aber nicht abgedruckt wurde. Tagebuch Herms, 13. 5. 1915, BArch-MA, N 473/6. Zu seiner Kritik an unberechtigten Ordensverleihungen an Kommandeure und ihre Schreiber, die sich keiner Gefahr aussetzten, 879
bzw. zur willkürlichen Verteilung vgl. etwa Tagebuch Herms, 14. 3., 29. 9. 1916, BArch-MA, N 473/7. 157 Weber, Hitlers erster Krieg, S. 285 f. 158 Gutachten des Sachverständigen Reichsarchivrat Volkmann: Soziale Heeresmißstände als Mitursache des deutschen Zusammenbruches von 1918, in: Die Ursachen des Deutschen Zusammenbruches im Jahre 1918, Bd. 11, 2. Halbband, S. 35. 159 Zahlen nach Folttmann, Opfergang der Generale, S. 19; Ehrenrangliste des ehemaligen Deutschen Heeres, S. XII. 160 Dazu auch die Berichte der Feldpostprüfstellen. Vgl. z. B. Leiter Aufklärungsstelle beim A. O. K. 2, Nr. 253/geh., 20. 10. 1917: »Auch diese Briefdurchsicht führt zu dem Ergebnis, daß nur ein ganz geringer Bruchteil der Leute an politischen Dingen Interesse hat«, sowie Postüberwachungsstelle 40, 15. 9. 1917, beides Bay HStA HGr. Kronprinz Rupprecht 477. 161 I No. 3482/110 geh., 10. 5. 17, BayHStA/Abt IV, AOK 6 vorl. Nr. 449. Einschränkend muss man feststellen, dass diese Berichte nur die Sicht des Divisionsstabes wiedergeben. Inwieweit diese wirklich die Stimmung ihrer Soldaten erfassten, muss zumindest offenbleiben. 162 Vgl. Ziemann, Gewalt im Ersten Weltkrieg, S. 134–155. 163 Watson, Enduring the Great War, S. 235. 164 Der Weltkrieg 1914–1918, Bd. 14, S. 617–619, 640–643; Viereck, Das Heideregiment, S. 628. Auf diesen Aspekt wies mich Alistair McCluskey, Sandhurst, hin. 165 Ludendorff, Kriegserinnerungen, S. 547 f. 880
166 Auf diesen Umstand weist Jonathan Boff, Morale Maze, hin. Hauptmann Heinrich von Vietinghoff notierte am 1. 10. 1918, dass sich die Truppe »vortrefflich« schlage. Tagebuch, 1. 10. 1918, BArch-MA, N 574/2. 167 Tagebuch Balck, o. D. (vor dem 25. 9. 1918), BArchMA, N 647/5, S. 24 f. 168 Epkenhans, Die deutsche Armee, S. 144. 169 Zeitgenössisch sahen dies viele Soldaten durchaus anders und glaubten daran, dass bei einem Weiterkämpfen bessere Friedensbedingungen hätten erzielt werden können. Krumeich, Die unbewältigte Niederlage, S. 106– 130. 170 Tagebuch Bauer, 22. 8. 1914, S. 48–51. 171 Klassisch Horn/Kramer, German Atrocities 1914. Dagegen Keller, Schuldfragen. Afflerbach spricht von einem regelrechten Partisanenkrieg, Auf Messers Schneide, S. 48. Eine konzise und luzide Zusammenfassung der Debatte bietet Markus Pöhlmann, Habent sua fata libelli. Zur Auseinandersetzung um das Buch »German Atrocities 1914« siehe: Portal Militärgeschichte, 16. November 2017, http://portalmilitaergeschichte.de/http%3A//portalmilitaergeschichte.de/poehlmann_habent (letzter Zugriff 21. 3. 2019). 172 Tagebuch Rudolf Herms, 22. 8. 1914, BArch-MA, N 473/5. Seine Eintragungen aus dem August 1914 geben einen guten Einblick in die Guerillapsychose deutscher Truppen dieser Tage. 173 Watson, Russian Atrocities. Vgl. auch entsprechende Tagebucheinträge bei Senden, Der Erste Weltkrieg, S. 63 881
f., 78. 174 Überegger, Verbrannte Erde, S. 267–274; Überegger, Kampfdynamiken. 175 Hinweise auf die Debatte im Militär-Wochenblatt finden sich in Potempa, Perzeption des Kleinen Krieges, S. 38– 40. 176 Eine quellengesättigte Studie zum Franktireurkrieg 1870/71 und seiner Nachwirkung im deutschen und französischen Diskurs 1871–1914 liegt noch nicht vor. Eine luzide Zusammenfassung des Forschungsstandes bietet Scianna, Predisposition to brutality; Epkenhans, 1870/71, S. 96–101. 177 Peter Holquist arbeitet an einer großen Studie zum Thema Imperial Russia and the Development of the Law of War, in der auch dieser Aspekt der Kriegsvölkerrechtsentwicklung in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg abgehandelt wird. Vgl. seinen Vortrag »The Laws of War and their Russian Origin« am 13. 2. 2019 an der American Academy, Berlin. 178 Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht, S. 27–138. 179 Kriegsetappen-Ordnung von März 1914, S. 68. 180 Im Kampf um Bazeilles in der Nähe von Sedan wurden 39 Zivilisten getötet oder verwundet. Scianna, Predisposition to brutality, S. 968. 181 Kriegsbrauch im Landkrieg, S. 6 f., 31, 50 f. Zur vermeintlichen Legitimität der Erschießungen von Bazeilles vgl. auch: Das Völkerrecht im Landkriege von Wolfgang Bleel, Hauptmann und Kompagniechef im Füsilierregiment Graaf Roon (Ostpreußisches) Nr. 33. In: Militärwochenblatt 86 (1901) Nr. 70; Sp 1847. 882
182 Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht, S. 85. 183 Schmidt, Kriegsartikel von 1902, S. 96 f. 184 Auch in Transfeldt, Dienstunterricht 1914/15, ist von Verhaltensregeln gegen Franktireure nicht die Rede. 185 Hierzu Watson, Ring of Steel, S. 131. 186 Herwig, Marne 1914, S. 80. 187 Tagebuch Balck, 1914, S. 35, vgl. S. 5, 7, 10 sowie die Schilderung der Eroberung von Tournay, S. 15 f., BArchMA, N 647/1. In seinen Memoiren war Balck der Ansicht, dass ein Franktireurkrieg an einzelnen Stellen stattgefunden habe, aber das meiste doch auf Einbildung beruhte. Die Erschießung von vier Zivilisten am 26. 9. 1914 in Flaucourt stellt er als Ergebnis eines Standgerichts dar, das er im Tagebuch nicht erwähnt. Dort heißt es, dass »ich am Vormittag 4 Spione hatte erschiessen lassen«. Vgl. Balck, Ordnung im Chaos, S. 37 f. 188 Peter Holquist argumentiert, dass sich die drei Besatzungsregime des Zarenreichs in Ostpreußen, Galizien und Anatolien in ihrer Radikalität deutlich unterschieden haben. In Galizien war dieses nach seiner Einschätzung am härtesten. Vgl. Holquist, Forms of Violence; ders., Role of Personality. 189 Vgl. Endnote 174. 190 Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht, S. 86 f. 191 Im britischen Manual of Military Law, hier 1914, hieß es: »Insurrections necessarily justifies the civil power in using the necessary degree of force for their suppression« (S. 223). Aber zugleich: »The difficulty is to ascertain what is the necessary degree of force, and the danger of 883
making a mistake in the matter is serious, as any excess in the use of force constitutes a crime« (S. 223). Weiter: »The existence of an armed insurrection would justify the use of any degree of force necessary effectually to meet and cope with the insurrection« (S. 224). Einen deutschbritischen Vergleich der Aufstandsbekämpfung bietet: Lieb, Surpressing insurgencies. 192 Watson, Ring of Steel, S. 124 f. Vgl. auch Pöhlmann, Kriegsverbrechen von 1914. 193 Laut Londoner Seerechtsdeklaration durfte eine Blockade nur erklärt werden, wenn sie effektiv durchzuführen war. Da die Briten aber nicht direkt vor den deutschen Häfen kreuzten, sondern weit entfernt in der nördlichen Nordsee den Überseeverkehr abzuschneiden gedachten, galt dies im rechtlichen Sinne nicht als Blockade. Die Briten konnten gleichwohl Kontrabande auf dem Weg nach Deutschland beschlagnahmen. Allerdings zählten dazu nur kriegswichtige Güter, nicht Nahrungsmittel. Zudem war es untersagt, den Handelsverkehr der Neutralen zu behelligen. Am 11. 3. 1915 unterbanden die Briten auch diesen und hoben die Londoner Seerechtsdeklaration praktisch auf. Dazu: Offer, Blockade of Germany. 194 Watson, Ring of Steel, S. 232. 195 Witt/McDermott, Scarborough Bombardment. 196 Spindler, Handelskrieg mit U-Booten, Bd. 1, S. 80; Schröder, U-Boote, S. 80 f., S. 111 ff. Das Deutsche Reich führte von Februar bis September 1915 und von Februar bis Mai 1916 einen U-Boot-Krieg gegen britische Handelsschiffe ohne Beachtung der Prisenordnung. Ab dem 1. Februar 1917 richtete sich der U-Boot-Krieg zum ersten Mal auch gegen die neutrale 884
Schifffahrt, weshalb man von einem uneingeschränkten Seekrieg sprechen kann. 197 Vgl. die Broschüre: Bachmeister, U-Bootkrieg als Weg zum Endsieg. 198 Der Generalgouverneur von Belgien, Generaloberst Moritz von Bissing, hatte von vornherein gegen diese Verschleppung protestiert, weil sie gegen die Haager Landkriegsordnung verstieß. Afflerbach, Auf Messers Schneide, S. 252. 199 Ausführlich zur Aufstandsbekämpfung in der Ukraine 1918 und zum Lernprozess deutscher wie auch österreich-ungarischer Truppen: Dornik, Ukraine, insb. S. 226–232, 247 f.; Lieb, Krieg im Osten, insb. S. 486–488. 200 Lehnstaedt, Imperiale Polenpolitik; Stempin, Generalgouvernement. Zum weiteren Kontext auch Westerhoff, Zwangsarbeit. 201 1914–18 wurden in den USA 10, in Frankreich rund 600, in Großbritannien 346, in Italien mindestens 750, in Österreich-Ungarn mindestens 737 Todesurteile vollstreckt. Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 716. 202 Einen guten Überblick bietet Oltmer, Kriegsgefangene. 203 So die Schlussfolgerungen von Lieb, Krieg im Osten. 204 Leonhard, Büchse der Pandora, S. 645. Eine spezifisch deutsche Gewaltkultur erkennt darin hingegen Jones, Violence against Prisoners of War. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auch auf die Tötung von Gefangenen an der Front, die auf beiden Seiten offenbar in vergleichbarem Maße vorkam. Benjamin Ziemann ist der Ansicht, dass diese eher situativ bedingt war und lediglich in Ausnahmefällen geschah. Ziemann, Gewalt im Ersten 885
Weltkrieg S. 72 f. Er widerspricht damit Ferguson, Pity of War. Plausibel scheint, dass gerade zu Beginn des Krieges unter dem Eindruck der Propaganda und der nationalen Aufwallung etliche französische Gefangene aufgrund ihrer Hautfarbe erschossen wurden. Der Bataillonsarzt Lorenz Treplin etwa schrieb am 5. 10. 1914 an seine Frau, dass »bei verschiedenen Regimentern […] schon Parole [ist] keinen Schwarzen gefangen zu nehmen, sondern alle zu erschlagen, so geschieht es auch. […] Man wird zum Raubtier im Krieg.« Tagebuch Lorenz Treplin, 5. 10. 1914, S. 103. Vgl. auch Jones, Imperial Captivities, S. 183. Es gibt etliche Belege, dass auch nicht-koloniale Gefangene getötet wurden. Tagebuch Otto Borggraefe, 15. 4. 1915 [BfZ Stuttgart] beschreibt etwa, wie eigene Verwundete von französischen Soldaten ermordet und als Rache 150–160 Gefangene mit dem Gewehrkolben erschlagen wurden. Zur Ermordung deutscher Gefangener durch französische Zouaves vgl. Housman, War letters, S. 76 f. Zur Brutalisierung englischer Soldaten vgl. ebenda, S. 241. 205 Hosfeld, Tod in der Wüste; Hosfeld/Pschichholz, Das Deutsche Reich. 206 Fisch, Europa; Jefferies, German Empire. 207 Berghahn, Kaiserreich; Ullrich, Kaiserreich. Siehe auch sein Essay: Kraftgefühl und Zukunftsangst. Zu den unterschiedlichen Akzentuierungen der Geschichte des Kaiserreichs siehe auch die beiden Sammelbände Müller/Torp, Kaiserreich in der Kontroverse; Heidenreich/Neitzel, Kaiserreich. 208 Afflerbach, Auf Messers Schneide, S. 513. 886
209 Das war das zentrale Argument von Christopher Clark, Schlafwandler. Die Reichswehr in der Weimarer Republik 1 Keller, Wehrmacht, Regierungstruppen. plädiert für den Begriff 2 Dazu auch Sprenger, Landsknechte, S. 49–54, 109–112. Vgl. auch Bergien, Soldaten. 3 Allzu pointiert dazu Jones, Anfang. 4 Langewiesche, Der gewaltsame Lehrer, insb. S. 245. 5 So Peter Keller. Die Einschätzung wird von Elsbach, Reichsbanner, geteilt, siehe dort S. 63. Vgl. auch Hürter, Hitlers Heerführer, S. 93. 6 Möllers, Geßler. 7 Noch immer grundlegend Meier-Welcker, Seeckt. 8 Siehe Jürgen Försters Rezension von: Peter Keller: »Die Wehrmacht der Deutschen Republik ist die Reichswehr«. Die deutsche Armee 1918–1921, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 1 [15. 01. 2015], http://www.sehepunkte.de/2015/01/25745.html. 9 Vgl. etwa Meier-Welcker, Seeckt, S. 543. Vgl. dazu auch die Tagebuchnotizen von Heinrich Vietinghoff-Scheel, der 1919 als Hauptmann im Reichswehrministerium und im Großen Generalstab Dienst tat, insb. 15. 5., 27. 6., 9. 9. 1919, BArch-MA, N 574/2. 10 Hürter, Hitlers Heerführer, S. 86–96. Auch Ernst Jünger kam nicht als Protofaschist aus dem Ersten Weltkrieg zurück, sondern radikalisierte sich erst in den Jahren unmittelbar danach. Ziemann, Gewalt im Ersten 887
Weltkrieg, S. 63–90. Zu einem ähnlichen Befund für Hitler vgl. Weber, Hitlers erster Krieg. 11 Tagebuch Balck, Brief an Harrius, Herne, 13. 4. 1920, BArch-MA, N 647/6. 12 Tagebuch Balck, 15. 3. 1920, BArch-MA, N 647/6. 13 Ebenda. 14 In Artikel 1 hieß es, der Soldat müsse eifrig bemüht sein, das Vaterland und seine Verfassung zu schützen. Heeresverordnungsblatt 4 (1922), S. 24. Auch abgedruckt in Heinemann, Rechtsgeschichte S. 139. 15 Abgedruckt in Heeresverordnungsblatt 5 (1923) 67, S. 649. 16 Er sagte u. a.: »Unserem der Reichsverfassung geleisteten Eide unerschütterlich treu, dem ganzen deutschen Volke gehörig, keiner Partei dienend, so treten wir mit blankem Ehrenschild als scharfes, zuverlässiges Instrument des Staates in das neue Jahr.« Heeresverordnungsblatt 8 (1926) 29, S. 135. Hindenburg und Groener betonten in ihrer Neujahrsansprache vom 30. Dezember 1931 nochmals die Treue zur beschworenen Verfassung und den Gehorsam der gesetzmäßigen Gewalten. Heeresverordnungsblatt 13 (1931) 36, S. 243. 17 Heinemann, Rechtsgeschichte, S. 61. 18 Dass der Versuch der SPD, die Einstellung einer von zivilen Parlamentskommissaren überwachten zentralen Werbestelle zu überlassen, scheiterte, kann kaum verwundern. Eine solche Einrichtung gibt es bis heute nicht. Die Offizierprüfzentrale in Köln wird von der Bundeswehr selbstständig geführt und unterliegt keiner 888
besonderen parlamentarischen Kontrolle. Vgl. Hürten, Offizierkorps, S. 237 f. 19 Vgl. Wahrung der Ehrenhaftigkeit in der Armee, Reichswehrministerium, 15. 5. 1926, BArch-MA, N 447/20. 20 Allerdings sollte man nicht der Versuchung erliegen, die Reichswehr an den Maßstäben der Bundeswehr zu messen, weil dies den Blick auf das damals Neue verstellt. So etwa Heinemann, Rechtsgeschichte, der die Reichswehr als paralegalen Staat im Staate bewertet. 21 Immer noch maßgeblich Jedlicka, Ein Heer im Schatten der Parteien. 22 Literatur zur Diskussion um den Versailler Vertrag, zuletzt Leonhard, Der überforderte Frieden. 23 In der Sowjetunion wurden rund 120 Piloten, 100 Beobachter und 30 Panzersoldaten ausgebildet. Zeidler, Reichswehr und Rote Armee. 24 Vgl. dazu Hürter, Groener, S. 54–77. 25 Ebenda. 26 Kroener, Fromm, S. 175. 27 Bergien, Die bellizistische Republik. 28 Hierzu Pyta, Vorbereitungen. 29 Kroener, Fromm, S. 199. 30 Ausführlich zu den Ereignissen von November 1932 bis Januar 1933 Pyta, Hindenburg, S. 743–788. 31 So argumentiert Hürter, »Vor lauter Taktik schlapp«, S. 478 f. 32 Dazu Pyta, Vorbereitungen. 889
33 Vgl. etwa Geyer, Aufrüstung oder Sicherheit. Zur Würdigung auch der frühen Schriften Geyers vgl. Naumann, Militär. 34 In der gesamten sozialdemokratischen Presse lässt er sich zwischen 1879 und 1914 in Bezug auf das Militär in zehn Artikeln nachweisen: Die neue Welt, 18. 10. 1879, S. 32; Berliner Volksblatt, 24. 6. 1890, S. 6; Vorwärts, 29. 9. 1891, S. 1; Vorwärts, 23. 10. 1902, S. 1; Vorwärts, 16. 8. 1908, S. 2, Vorwärts, 19. 4. 1913, S. 5; Vorwärts, 20. 4. 1913, S. 7; Vorwärts, 3. 12. 1913, S. 1; Vorwärts, 26. 1. 1914, S. 2; Vorwärts, 24. 4. 1914, S. 2. 1908 wird der Begriff erstmals gegen die Militärgerichtsbarkeit ins Feld geführt. 35 So zumindest Stargardt, Militarism, S. 153. 36 In der SPD/USPD-Presse ist er zwischen Oktober 1918 und Mai 1920 elfmal nachzuweisen: Vorwärts, 15. 10. 1918, S. 2; Vorwärts, 23. 10. 1918, S. 4; Mitteilungsblatt des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins, 3. 11. 1918, S. 6; Freiheit, 9. 12. 1918, S. 3; Freiheit, 5. 4. 1919, S. 2; Freiheit, 20. 4. 1919, S. 2; Freiheit, 15. 5. 1919, S. 2; Vorwärts, 15. 9. 1919, S. 2; Freiheit, 16. 4. 1920; Vorwärts, 20. 5. 1920, S. 2; Freiheit, 26. 5. 1920, S. 2. 37 Kroener, Fromm, S. 182. 38 Dazu Werberg, Tempo 114. 39 Ebenda, S. 135–148. 40 Elsbach, Reichsbanner. 41 Siehe Ziemann, Veteranen der Republik. 42 Mit weiterer Literatur Werberg, Tempo 114, S. 88–106. Vgl. auch als typisches Beispiel der Erzählung über den 890
Ersten Weltkrieg im Schrifttum für die Truppe das Kapitel »Großkampf« im Handbuch »Der Infanterist« von Hube, das in den Auflagen von 1925 und 1928 unverändert blieb. Darin gab es auch eine kurze chronologische, vergleichsweise sachliche Abhandlung des Ersten Weltkriegs, in der die eigenen Erfolge herausgestrichen, aber auch die riesigen eigenen Verluste und die Erschöpfung »des Vaterlandes« nicht verschwiegen wurden. Die Dolchstoßlegende wurde hier allenfalls angedeutet. Hube, Der Infanterist, 1928, S. 153 f. 43 Eigene Auswertung anhand der Reichstags-Handbücher von 1919, 1924, 1928 und 1933. Die Auswertung kann nur die Angaben der Abgeordneten erfassen, denen Angaben zu ihrem Lebenslauf freigestellt waren. Inwieweit diese wirklich korrekt waren, lässt sich heute nicht mehr sagen. 44 Geßler, Reichswehrpolitik, S. 135. 45 Keller, Wehrmacht, S. 173. 46 Selbst das republikanische Reichsbanner Schwarz-RotGold ging nicht gewaltsam gegen die »Machtergreifung« vor, weil man sich keine Erfolgschancen ausrechnete. Elsbach, Reichsbanner, S. 527 f. 47 Zu dieser Diskussion mit weiterer Literatur auch Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 146–149. 48 Pöhlmann, Kriegsgeschichte. 49 Haller, Militärzeitschriften, S. 497. Allgemein zum Diskurs in den Militärzeitschriften siehe auch Sencer, Fear and Loathing. Es gab in der übrigen Publizistik 891
durchaus auch Kritik an Erich Ludendorff. Siehe etwa Corum, Roots of Blitzkrieg, S. 4 f. 50 Leitfaden für den Unterricht, S. 93–147. Vgl. auch MeierWelcker, Der Weg zum Offizier, S. 164. 51 Kroener, Fromm, S. 115. 52 Ebenda, S. 155. Zu den Gedanken Stülpnagels vgl. auch seine Korrespondenz mit Hermann Geyer aus dem Jahr 1925, in: BArch-MA, N 221/40. 53 Kroener, Fromm, S. 165. 54 Ebenda, S. 153–173; Hürter, Reichswehr in der Republik, S. 123. 55 Kroener, Fromm, S. 178. 56 Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 158. 57 Hierzu Strohn, German Army. 58 Vgl. Schäfer, Militärstrategie, S. 154–156. Zur taktischen Vielschichtigkeit des militärischen Denkens am Beispiel von Werner von Blomberg siehe auch Schäfer, Blomberg, S. 34 f. 59 Vgl. Groß, Mythos und Wirklichkeit, S. 149–165; Citino, German Way of War, S. 241–244; Meier-Welcker, Seeckt, S. 529. 60 Corum, Roots of Blitzkrieg, S. 47, 76 f. 61 Ebenda, S. 37 f. 62 Driftmann, Grundzüge, S. 119 f., 136 f. 63 Corum, Roots of Blitzkrieg, S. 94, 204. 64 Eichler, Kommunikatives Verhalten in der Reichswehr, S. 136. 892
65 Gruppenkommando 2, Ia Nr. 79/719/25 geh., 12. 11. 1925; Gruppenkommando 1, Jahresbericht über die größeren Truppenübungen 1925, 14. 11. 1925, BArchMA, RH 12-2/100. 66 Eine geharnischte Kritik an den Verhältnissen verfasste am 3. 12. 1927 Oberleutnant Smilo Freiherr von Lüttwitz, der den Ersten Weltkrieg als Kavallerist erlebt hatte. Das Dokument ist abgedruckt in: Ders. Soldat in 4 Armeen, 1962/63, BArch-MA, N 10/9. Bemerkenswert ist, dass Lüttwitz trotz dieser scharfen Kritik keine Nachteile im weiteren Karriereverlauf hatte. 67 Reiniecke, Reichsheer, S. 18. Vgl. auch Dieckhoff, 3. Infanterie-Division, S. 9. 68 Kroener, Fromm, S. 191. 69 Corum, Roots of Blitzkrieg, S. 69. 70 Der Lebenslauf ist abgedruckt in Neitzel, Abgehört, S. 448 f. 71 Die Grundlagen der Erziehung des Heeres, 1. 1. 1921, abgedruckt in: Heeresverordnungsblatt 2 (1920) 79, S. 1041. 72 Driftmann schreibt hingegen, dass das Bildungsniveau von Unteroffizieren und Mannschaften in der Reichswehr höher gewesen sei als vor 1914. Driftmann, Grundzüge, S. 116; Wohlfeil/Dollinger, Die Reichswehr, S. 122, 127. 73 Zit. nach Kroener, Fromm, S. 164. Zweifel äußerte auch US-Militärattaché Oberst Arthur L. Conger, der von 1924 bis 1928 in Deutschland war. Citino, Path to Blitzkrieg, S. 140. Smilo Freiherr von Lüttwitz meinte rückblickend, dass es durchaus gelang, Obergefreite zu Gruppenführern auszubilden, wenn man es schaffte, sie aus ihrer »wohl 893
erworbenen Routine und manchmal auch Lethargie zu reißen«. Lüttwitz, Soldat in 4 Armeen, BArch-MA, N 109, S. 80. 74 Richhardt, Auswahl und Ausbildung, S. 17; Hürten, Offizierkorps, S. 233, nennt 34 000. 75 General von Seeckt an den preußischen Kriegsminister, 29. 8. 1919, Handakten Reinhardt HStAS, M 660–034 Bü16. Vgl. auch das Schreiben Seeckts vom 18. 10. 1919, BArch-MA, N 247/81. 76 Er notierte auf dem Schreiben: »Ich teile die obigen Auffassungen über die Leistungen des Generalstabes ebenso vollständig, wie ich nicht bezweifele, dass der Chef des Personalamtes sie gleichfalls teilt. Die eingangs erwähnten Redensarten können wohl nur durch Überregung ganz entstellte Äußerungen darstellen.« Zur Organisation der Personalauswahl vgl. das Schreiben des Personalamts I 907/12.19 P. A., 10. 10. 1919 HStAS, M 365 Bü 11. 77 Ehren-Rangliste des ehemaligen Deutschen Heeres, S. XV. 78 Würdigkeitsreihenfolge Infanterie, in: HStAS, M 365 Bü16. 79 Ebenda. 80 Vgl. Krüger, Hans Speidel. 81 Eigene Auswertung nach Rangliste des Deutschen Reichsheeres 1924 und Zweng, Pour le Mérite. 82 Adolf Reinicke gliedert das Offizierkorps in fünf verschiedene Teile: 1. die älteren, vor 1914 in der Friedenszeit ausgebildeten Offiziere vom Hauptmann bis zum Generaloberst; 2. die jüngeren, während des 894
Weltkriegs eingetretenen Kriegsoffiziere ohne Kriegsschulausbildung; 3. die seit 1919 zu Offizieren beförderten Feldwebel; 4. die ab 1926 zu Offizieren Beförderten; 5. die Hochschuloffiziere. Reinicke, Reichsheer, S. 304. Zu den 102 Reichswehroffizieren, die zum Studium freigestellt wurden, auch Molt, Wehrmacht, S. 482. 83 Eine Stichprobe der Träger des Goldenen Militärverdienstkreuzes der Garde und der Sturmbataillone Nr. 3 und 5 zeigt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens 34 von 143 Trägern 1932 in der Reichswehr Offizier wurden. 84 So etwa Richhardt, Auswahl und Ausbildung, S. 19. 85 Jedes Jahr durften nach den Bedingungen des Versailler Vertrags nur maximal 200 neue Offizieranwärter eingestellt werden. Ulrich de Maizière berichtet in seinen Memoiren, dass er 1929 als einer von drei unter 60 Bewerbern für das 5. Infanterieregiment ausgewählt wurde; de Maizière, In der Pflicht, S. 22. 1929 stellte das Heer bei 1600 Bewerbern 189 Anwärter ein. Richhardt, Auswahl und Ausbildung, S. 22; Meier-Welcker, Der Weg zum Offizier, S. 149. 86 Detailliert zum Zugang und Auswahlprozedere der Offizieranwärter Meier-Welcker, Der Weg zum Offizier. 87 Demeter, Offizierkorps, S. 60; Loch, Deutsche Generale, S. 565. 88 Walle, Deutsche jüdische Soldaten, S. 28; Berger, Kaiserreich, S. 118 f. 89 Zahlen nach: https://www.yadvashem.org/de/education/newsletter/7/je 895
ws-in-weimar-reichstag.html (Abruf am 9. 8. 2019). 90 Denkschrift über Aufstellung einer Reichswehr, o. D., HStAS, M 660/034 Bü 16. 91 Generalmajor Fritz von Loßberg konnte sich mit seinem Vorschlag, den Einheiten der Reichswehr auch Namen zu geben, die auf eine Einheit des alten Heeres, ruhmreiche Offiziere oder Schlachten hinweisen sollten, nicht durchsetzen. Reichswehrgruppenkommando 2, Ia 1000/664 A1, 30. 9. 1919, BArch-MA, N 247/81. 92 Vgl. etwa die Schilderung über das Offizierkasino des 7. Reiterregiments in Breslau bei Mellenthin, Schach dem Schicksal, S. 37. 93 Zit. nach Ottmer, Tradition, S. 229. Vgl. auch Demeter, Pflege der Traditionen. 94 Dieckhoff, 3. Infanterie-Division, S. 9. 95 Zur Kritik an dieser Tradition durch den SPDAbgeordneten Franz Künstler im Reichstag siehe etwa: Reichstagsprotokolle, 1. Wahlperiode 1920, 275. Sitzung, 11. 12. 1922, S. 9259. 96 Dazu auch Ottmer, Tradition, S. 239–241. Für ein regionales Beispiel: Friedrich, Offizierkameradschaft in Marburg. Über die Kritik an den Regimentsvereinen und ihren Feiern im Reichstag vgl. Reichstagsprotokolle, 1. Wahlperiode 1920, 245. Sitzung, 6. 7. 1922, S. 8334. 97 Hürter, Groener, S. 202. 98 Ebenda, S. 234 f. 99 Hube, Der Infanterist, 21928, S. 23 f. So ist auch die Textstelle auf S. 59 zu verstehen, in der der Verfasser verklausuliert ausdrückt, dass die Reichswehr im Notfall 896
sowohl gegen kommunistische als auch gegen rechtsradikale Aufstände vorgehen würde. Der Bezugspunkt der Loyalität bleibe der Fahneneid, mit dem der Verfassung und den Vorgesetzten Treue geschworen wurde. Ein Beleg, dass dieses Handbuch zumindest von den jungen Offizieren auch angeschafft wurde, findet sich in Meier-Welcker, Der Weg zum Offizier, S. 150. 100 Reichswehrministerium, Chef der Heeresleitung, Nr. 1240/20, 1. 1. 1921, in: Heeresverordnungsblatt 2 (1920) 79, S. 1041. 101 Ebenda. Dazu auch Driftmann, Grundzüge, S. 154–158. 102 Hube, Der Infanterist, 21928, S. 20 f. 103 Heeresleitung, Nr. 700/27 geh. T 4 Ia/II, 1. 9. 1927; Richtlinien für Leibesübungen, Nr. 1220/28 Geh. T Ia v. 18. 12. 1928; Ausbildungsanweisungen Nr. 900/29, geh. T 4 Ia v. 1. 12. 1929, BArch-MA, RH 12-2/97. In der Grundausbildung lagen die Marschleistungen nicht höher als 25 Kilometer. Vgl. Richtlinien für die Ausbildung in den Ergänzungsbataillonen, Ch H. L. T A Nr. 2300/34 g T 4 Ic v. 31. 10. 1934, BArch-MA, RH 12-2/66. 104 Mulligan, Restoring Trust. 105 Das Amt der Vertrauensleute blieb die ganze Zeit der Weimarer Republik bestehen, wurde im September 1933 abgeschafft, in der Bundeswehr dann wieder eingeführt. Das Militärwochenblatt forderte die Erziehung jedes einzelnen Mannes zum selbstständigen Handeln und zum denkenden Gehorsam. Die Autoren erkannten freilich selbst, dass die Erziehung zum modernen Soldaten ungeheuer schwierig war und dass zwischen dem geforderten absoluten Gehorsam und dem selbstständigen 897
Kämpfen ein Widerspruch Militärzeitschriften, S. 434. bestehe. Haller, 106 Zit. nach Hürten, Offizierkorps, S. 234. 107 Die Grundlagen für die Erziehung des Heeres, 1. 1. 1921, abgedruckt in: Heeresverordnungsblatt 2 (1920) 79, S. 1041. 108 de Maizière, In der Pflicht, S. 25. Siehe auch MeierWelcker, Der Weg zum Offizier, S. 171. 109 Der Chef der Heeresleitung T. A. Nr. 660/32 g. T 4 Id, 15. 9. 1932, BArch-MA, RH 12-2/66. 110 Merkblatt über Erfahrungen mit der zweimonatigen Ausbildung, Anlage 11 zu TA Nr. 660/32 g. T4 Id v. 15. 9. 1932, BArch-MA, RH 12-2/66. 111 Vgl. Auszug aus den Bemerkungen des Chefs der Heeresleitung vom 1. 4. 1927, BArch-MA, N 447/46. Die Auszüge wurden 1960 vom General der Kampftruppen Oskar Munzel als immer noch brauchbar an die Truppenschulen der Bundeswehr verteilt. 112 Reichswehrministerium, Truppenamt, T 2 Nr. 19.25/T 2 II. GKdos, 8. 5. 1925, BArch-MA, RH 12-1/13. Dazu auch Meier-Welcker, Der Weg zum Offizier, S. 151. 113 Luck, Mit Rommel an der Front, S. 24. Ähnlich Mellenthin, Schach dem Schicksal, S. 35. 114 Eine summarische Übersicht befindet sich in BArch-MA, RH 1/6. 115 Chef der Heeresleitung, Nr. 573/1226, 1. 12. 1926, BArch-MA, RH 1/6. 116 Der Fall wird geschildert im Spiegel anlässlich des IllerUnglücks von 1957. 898
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41757689.html (letzter Zugriff 18. 4. 2019). 117 Zahlen nach BArch-MA, RH 12-23/127 und den publizierten Sanitätsberichten über das Reichsheer 1921– 1926. 118 Gerwarth, Die Besiegten. 899
Die Wehrmacht im Dritten Reich 1 Bialas, Moralische Ordnungen, S. 237 ff.; Echternkamp, Im Kampf, insb. S. 6–17. 2 Leicht zugänglich in: https://www.1000dokumente.de/index.html? c=dokument_de&dokument=0109_hrw&object=translati on&l=de. 3 Förster, Geistige Kriegführung, S. 469 ff. 4 Schmidt, Maler an der Front, S. 636. 5 Ausführlich und facettenreich dazu: Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg. 6 Hitler war als Meldegänger eines Regimentsstabes freilich kein Frontkämpfer im eigentlichen Sinne. Vgl. Weber, Hitlers erster Krieg. 7 Sprenger, Landsknechte, insb. S. 35–39. 8 Zahlen nach Schmidt, Maler an der Front, S. 638. 9 Nolzen, NSDAP, S. 102 f. 10 Förster, Wehrmacht im NS-Staat, S. 38. 11 Heinrich Eberbach an seine Frau, 27. 8. 1939, BArchMA, N 860/8. Eberbachs Regiment kämpfte im Rahmen der 4. Panzerdivision. Hierzu differenziert Hartmann, Wehrmacht. 12 Ehrke-Rotermund, Wehrmacht als Gegenstand der Literatur. Zu den anderen Medien vgl. Heidenreich/Neitzel, Medien im Nationalsozialismus. 13 Das Konzept der Volksgemeinschaft und seine Wirkung auf die NS-Gesellschaft haben in den letzten Jahren großes Interesse in der Forschung gefunden. Zuletzt: Krumeich, 900
Gessner, Volksgemeinschaft; Wildt, Ambivalenz des Volkes, S. 23–113; Schmiechen-Ackermann, Ort der Volksgemeinschaft; Bavaj, Nationalsozialismus, S. 75, 134; Danker/Schwabe, NS-Volksgemeinschaft. Siehe auch: Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 684– 690, 771–794. Eine konzise Zusammenfassung der Kontroversen bei Echternkamp, Das Dritte Reich, S. 169–175. Zur Rolle der Wehrmacht in diesem Konzept vgl. insbesondere Rass, Volksgemeinschaft als Wehrgemeinschaft. 14 Diesen Nexus betont am Beispiel der Marine: Hillmann, Kriegsmarine, insb. S. 33, 73 f. 15 Boberach, Meldungen aus dem Reich, Bd. 16, März 1944, S. 6437–6445. 16 Die Berichte über die positive Haltung zu Hitler sind Legion. Für ein weniger bekanntes Beispiel vgl. das Tagebuch des Obersten Heinrich von Vietinghoff-Scheel, Eintrag Juli 1933, August 1934, 22. Juni 1935, BArchMA, N 574/2. 17 Förster, Wehrmacht im NS-Staat, S. 22. 18 Müller, Beck, S. 100–111. 19 Zit. nach Förster, Wehrmacht im NS-Staat, S. 27. 20 Jürgen Förster hat darauf hingewiesen, dass die Berufspflichten des deutschen Soldaten von 1934 keinen Schutz des Reiches nach innen kannten – anders als in der Fassung vom 9. 5. 1930. Förster, Wehrmacht im NSStaat, S. 21. 21 Schäfer, Blomberg, S. 103–156. 22 Dazu Förster, Wehrmacht im NS-Staat, S. 19–42. 901
23 Ausführlich hierzu Förster, Geistige Kriegführung, S. 484–505. 24 Leitsätze für den Unterricht über Berufspflichten der Wehrmacht, Berlin, 15. 11. 1919, Heeresverordnungsblatt 1. Jahrgang, 18. 11. 1919, Nr. 31, S. 378. 25 Etwa Berufspflichten des deutschen Soldaten, Berlin, 23. 5. 1930, Artikel 3. 26 Schmidt, Kriegsartikel, S. 51. 27 Mut steht in den von Wilhelm II. erlassenen Kriegsartikeln »nur« an dritter Stelle. Vgl. Schmidt, Kriegsartikel, S. 9. Vgl. Hube, Der Infanterist, jeweils in der Ausgabe von 1928 und 1935/36, S. 48/40. 28 Die Pflichten des deutschen Soldaten, Nr. 3, Berlin, 25. 5. 1934. 29 Hube, Der Infanterist, 1935/36, S. 26–28, 39. 30 Ebenda, S. 72–101. Hube selbst wurde im September 1914 in Frankreich schwer verwundet und verlor seinen linken Arm. Er kehrte aber an die Front zurück und erlitt als Bataillonsadjutant bei der Abwehr eines englischen Panzerangriffs im April 1918 eine schwere Gasverletzung. 31 Altrichter, Erziehung, hier S. 9–23, 39–40, 50, 55–57, 77 f. 32 Nach der Anwendung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums auf Soldaten kam es 1934 zu folgenden Entlassungen: Sieben Offiziere aus dem Heer, drei aus der Marine, acht Offizieranwärter aus dem Heer, vier aus der Marine, 13 Unteroffiziere aus dem Heer, drei aus der Marine, 28 Mannschaften aus dem Heer, vier aus der Marine, also insgesamt 70 Männer. Es 902
kam wohl in späteren Jahren zu weiteren Entlassungen aufgrund jüdischer Abstammung, dazu gibt es aber keine Zahlen. Messerschmidt, Juden im preußischen Heer, S. 128; Rigg, Jüdische Soldaten, S. 119–132. 33 Vgl. dazu in der Einleitung S. 17 mit weiterer Literatur. 34 Rönnefahrth kaufte sich sein Exemplar, als er Fahnenjunker in der 7./I. R. 28 war. Nach dem Krieg war er Historiker. Teile seines Büchernachlasses hat Bernhard Kroener für die Bibliothek des Lehrstuhls Militärgeschichte an der Universität Potsdam gesichert. 35 Förster, Geistige Kriegführung, S. 490 f. 36 Reichskriegsminister, Nr. 2115/35 gJIa, 4. 12. 1935, BArch-MA, N 221/12. 37 Generalkommando V. Armeekorps, Abt. Ia/op, 18. 3. 1936, BArch-MA, N 221/12. 38 Generalkommando V. Armeekorps, Abt. Ia/34e, 16. 10. 1936, BArch-MA, N 221/12. Geyer wusste, wovon er sprach, war er doch einer der führenden Taktiker des Ersten Weltkriegs und Autor des 1918 vom Großen Generalstab herausgegebenen Handbuchs »Der Angriff im Stellungskrieg«. 39 Generalkommando V. Armeekorps, Abt. Ia Az. 34e, 19. 1. 1938, BArch-MA, N 221/12. 40 Brief des Kommandeurs Infanterie-Regiment 35, Carl Hilpert, an die Direktoren des Human. Gymnasiums und der Oberrealschule Tübingen, des Realgymnasiums Reutlingen und den Bannführer Hauff, 11. 4. 1936, BArch-MA, N 221/12. Eine Antwort ist nicht überliefert. Anders als Geyer, der politisch in Ungnade fiel und Ende 1941 entlassen wurde, stieg Hilpert noch bis zum 903
Generaloberst und Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Kurland auf. Generaloberst Walter Model warf ihm im Januar 1943 vor, er sei zu seinen Soldaten »bis zur Grenze des Tragbaren wohlwollend«. Auch später wurde bemängelt, dass es ihm schwerfalle, die notwendige Härte aufzubringen. BArch-MA, Pers 6/29986 sowie Pers 6/194. 41 In der Winterkrise vor Moskau geriet er mit Generaloberst Erich Hoepner so sehr in Streit, dass er in die Führerreserve versetzt und schließlich entlassen wurde. Hitler lehnte seine Bemühungen um Wiederverwendung strikt ab. Ausführliche Schriftwechsel dazu in BArch-MA, N 221/22, 245. Zur Entlassung 1939 vgl. N 221/4. Geyer gehörte wohl auch in der Weimarer Republik zu den moderaten Offizieren und überwarf sich mit dem am Kapp-Putsch beteiligten Max Bauer. Vgl. Bauer an Geyer, 1. 3. 1927, BArch-MA, N 221/41. 42 Oberkommando des Heeres Nr. 147/V 42 PA 2 (Ia), 3. 5. 1942. BArch-MA, N 739/54. In dieser Akte befindet sich auch umfangreicher Schriftverkehr über seine Proteste u. a. gegen eine Anordnung Himmlers an seine SS-Männer, um jeden Preis Kinder zu zeugen. Sein Tagebuch aus den Jahren 1939/40 in: BArch-MA, N 739/58. Seine Versetzung in die Führerreserve am 1. 2. 1940 kommentierte er mit den Worten: »So bin ich zum Opfer geworden, weil ich für die Ehre der deutschen Frau gekämpft habe.« Vgl. zuletzt: Gräßler, Groppe. 43 Der Oberbefehlshaber des Heeres Nr. 7600/38 PA (2) Ia, 18. 12. 1938, CAMO 500/12480/56. Heinrich von Vietinghoff-Scheel meinte im Juni 1935 dann auch, dass außer Blomberg und Reichenau die übrigen höheren 904
Führer »beim Einbau der Wehrmacht in Hitlers Staat« viele Hemmungen überwinden müssten. Tagebuch, 22. 6. 1935, BArch-MA, N 574/2. Diese Einschätzung ist gewiss übertrieben, belegt aber, dass nicht alle mit dem gleichen Elan wie Blomberg ans Werk gingen. 44 Der Kommandierende General des VII. Armeekorps, 25. 4. 1938, BArch-MA, RH 53-7/68. 45 Dazu demnächst Eckert, Menschenführung. 46 Generalkommando VII. Armeekorps, 25. 8. 1936, BArchMA, RH 53-7/38. 47 So Eugen Ritter von Schobert als Kommandeur der 33. Infanteriedivision, 30. 11. 1937, BArch-MA, RH 37/2375. Für diesen Hinweis danke ich Konstantin Eckert. 48 Ausführlich dazu demnächst Eckert, Menschenführung. 49 Kroener, Personelle Ressourcen, S. 732 f. 50 Der Kommandierende General des VII. Armeekorps, 25. 4. 1938, BArch-MA, RH 53-7/68. 51 Dazu Schneider, Unterm Hakenkreuz. 52 Der Oberbefehlshaber des Heeres, GenSt, 4. 7. 1935, BArch-MA, RH 12-23/1616. 53 Zusammenstellung nach BArch-MA, RH 12-23/1233, RH 2/1011, RH 12-12/127, RW 6/537. Für diese Hinweise danke ich Konstantin Eckert. 54 Müller, Beck, S. 182–185. 55 Groß, Operatives Denken, S. 186–189, Müller, Feind steht im Osten. 56 Müller, Beck, S. 334–364. 905
57 Hartmann, Halder, S. 99–122. 58 Grundlegend noch immer Deist, Aufrüstung. 59 Groß, Operatives Denken, S. 189–194. 60 Ausführlich zur Entwicklung der Rolle des Panzers vgl. Pöhlmann, Der Panzer, S. 210–275. 61 »Die taktischen Erfahrungen des Spanischen Bürgerkrieges lassen sich auf den Kampf neuzeitlich organisierter, ausgebildeter und geführter grosser Heere nur sehr bedingt und mit erheblichen Einschränkungen übertragen.« Bericht über die Beteiligung des deutschen Heeres am Spanischen Bürgerkrieg, S. 12. Zur Erfahrung mit dem Einsatz des deutschen Panzers I, S. 24–26. CAMO 500/12451/535. 62 Vgl. Zaloga/Madej, The Polish Campaign, S. 40–44; Lehnstaedt, Der vergessene Sieg. Nichts Neues bringt Moorhourse, First to Fight. 63 Hartmann, Halder, S. 122–141, 399 f. 64 Zur Perspektive der unteren Truppenebene vgl. z. B. Eberbach an seine Frau, 23. 8., 27. 8., 29. 8. 1939, BArch-MA, N 860/8. 65 Eines der wenigen Beispiele ist der Gefechtsbericht des LI. Armeekorps über seinen Einsatz gegen Jugoslawien im April 1941, wo vom »Blitzfeldzug« gesprochen wird. CAMO 500/12474/713, Bl. 12. 66 Hierzu auch Groß, Mythos, S. 203–208. 67 Shirer, Berliner Tagebuch, S. 209. 68 Erfahrungsbericht BArch-MA, RH 24-11/7, S. 82. Vgl. auch Murray, German Response. 906
69 Generalkommando VIII. AK, Abt. Ia Nr. 251/39 geh., Erfahrungsbericht über den Feldzug in Polen, September 1939, S. 3, BArch-MA, RH 24-8/15. 70 OKH Gen St. H. Qu I/Aus.Abt. Ia, 15. 10. 1939, CAMO 500/12480/60; Generalkommando I. AK, IA Nr. 177/39 geh., 23. 10. 1939, CAMO 500/12474/9, Bl. 3–15; 11. Division, Abt. Ia Nr. 81/39 geh., 17. 10. 1939, CAMO 500/12474/9, Bl. 16–21; Reiter-Regiment 1, 4. 10. 1939, CAMO 500/12474/9, Bl. 55–59. 71 GenKdo XXI. AK Ia Nr. 121/39 geh., 8. 10. 1939, CAMO 500/12474/303, Bl. 8. 72 So Erfahrungsbericht 24. Division Ia, 12. 10. 1939, BArch-MA, RH 24-13/19, S. 2. Auch: Korpskommando XIII Ia Nr. 100/39 Kurzer Erfahrungsbericht und Zustandsbericht, BArch-MA, RH 24-13/20, S. 6. 73 Kdo 61. Division Abt. Ia Nr. 65/39 g., 6. 10. 1939, CAMO 500/12474/9, Bl. 21–30, hier S. 29. 74 Erfahrungsbericht III. Korps, BArch-MA, RH 24-3/7, S. 39 f.; Erfahrungsbericht XI. Korps, BArch-MA, RH 2411/7, S. 56 f. Eine Zusammenstellung der Urteile über den Angriffsgeist der Infanterie findet sich in: BArchMA, RH 11 I/44. 75 Infanterieregiment 311 Ia, Kurzer Erfahrungsbericht 4. 10. 1939, CAMO 500/12474/9, Bl. 42. 76 Korpskommando XV. AK Abt. Ia Nr. 1/39 geh., 3. 10. 1939, Erfahrungsbericht, BArch-MA, RH 21-3/4, S. 2. 77 Etwa 217. Inf.Div Nr. 185/39 geh., 5. 10. 1939, CAMO 500/12474/9, Bl. 38–41. 78 Generalkommando VII. Armeekorps, 25. 8. 1936, BArchMA, RH 53-7/38. 907
79 Collins, Dynamik der Gewalt, S. 605–619. Siehe auch Römer, Narzisstische Volksgemeinschaft, S. 231, der das Phänomen anschaulich anhand der Kompanie Theodor Habichts schildert. 80 Collins, Dynamik der Gewalt, S. 70–89. 81 S. L. A. Marshall, Men against fire, 1947. Eine militärhistorisch sehr kenntnisreiche Kritik an Marshalls Thesen bietet z. B. Engen, Canadians under Fire. 82 Darauf weist Collins auch hin. Er scheint mir aber vor allem den Faktor Tötungshemmung überzubewerten und verlässt sich in seiner Analyse auf eine allzu schmale Literatur- und Datenbasis. Vgl. dazu auch die luzide Quellenkritik von Mann, Angst. 83 Korpskommando XV. AK Abt. Ia Nr. 1/39 geh., 3. 10. 1939, Erfahrungsbericht, Anlage 1, BArch-MA, RH 213/4. 84 Rede undatiert, IWM, EDS AL 2831/1. Für diesen Hinweis danke ich Bastian Matteo Scianna. Zu den Verlusten der 1. Gebirgsdivision und der Bewertung der polnischen Truppen vgl. Korpskommando XVIII, Abt. Ic, CAMO 500/12474/270, Bl. 38–40. 85 Generalkommando VIII. AK, Abt. Ia Nr. 251/39 geh., Erfahrungsbericht über den Feldzug in Polen, September 1939, S. 3, BArch-MA, RH 24-8/15. 86 Erfahrungsbericht 24. Division Ia, 12. 10. 1939, S. 9, BArch-MA, RH 24-13/19. 87 Friedrich Olbricht, der als Kommandeur der 24. Infanteriedivision den Polenfeldzug erlebte, schrieb am 20. 9. 1939 in sein Tagebuch: »Gestern Abend hörten wir die Rede des Führers aus Danzig. Es gab hier welche, die 908
glaubten, mit dem Riesenerfolg in Polen sei der Krieg zu Ende.« BArch-MA, N 325/1. 88 Tagebuch Hermann Balck, 8. 1. 1940, BArch-MA, N 647/7, S. 5. 89 Ebenda, 19. 2., 26. 2., 25. 3. 1940, BArch-MA, N 647/7. Ähnlich optimistisch war auch General Heinrich Vietinghoff-Scheel, Kommandierender General des XIII. Armeekorps. »Nun glaube ich auch an Sieg in diesem Jahre – der Führer ist der Gegenseite zu ungeheuer überlegen!!!« Tagebuch, 9. 4. 1940, BArch-MA, N 574/2. 90 Ebenda, 16. 5., 18. 5. 1940. 91 Tagesmeldung 17. 5. 1940 an Gruppe Kleist, CAMO 500/12474/297, Bl. 13. 92 Lieb, Wüstenfuchs, S. 95. 93 Dazu Sigg, Unterführer, S. 231–250. 94 Zum Gegensatz der Heeresgruppe A/Hitler auf der einen und dem Panzerkorps Guderian/Kleist auf der anderen Seite siehe Frieser, Blitzkrieglegende, S. 363–376. Er verschweigt dabei allerdings, dass keineswegs alle Panzerdivisionen den Haltebefehl enttäuscht zur Kenntnis nahmen. Im KTB der Dünkirchen am nächsten liegenden 1. Panzerdivision ist eher Erleichterung zu spüren, und es wird am 24. 5. darauf hingewiesen, dass die Division nur noch »mit 1/3 ihrer Kampfkraft einsatzfähig war«. CAMO 500/12478/39, Bl. 39. Das Schützenregiment 1 unter Oberstleutnant Balck ging am 24. 5. um 16 Uhr ohne große Verluste über die Aa. Er notierte in sein Tagebuch: »Feind völlig zerschlagen« und »die Aufklärung stieg schon bis Bourgbourgville durch«. Im Rückblick auf diese Tage schrieb er am 17. 12. 1940 909
angesichts britischer Erfolge in Nordafrika: »Letzten Endes ist alles eine Folge, dass wir bei Dünkirchen die Engländer nicht restlos schlugen. Hätten wir da ihr Expeditionskorps restlos vernichtet, hätten sie vielleicht beigedreht. Der Übergang nach England wäre im Bereich des Möglichen gelegen und die Truppen für eine Offensive gegen Italien hätten ihnen gefehlt. Als ich Bourgbourg genommen hatte, war der Weg frei. Niemand hinderte uns bis Dünkirchen vorzustossen.« Tagebuch Balck, 24. 5. 1940, BArch-MA, N 647/7, S. 20; 17. 12. 1940, BArch-MA, N 647/8, S. 3 f. 95 Erfahrungsbericht 19. 500/12474/192, Bl. 3. Infanteriedivision, CAMO 96 Ebenda, S. 55. 97 Zit. nach Frieser, Blitzkrieglegende, S. 441. 98 Generalkommando XIV. AK Abt Ia Nr. 475/40 geh., 28. 7. 1940, CAMO 500/12472/19, Bl. 31. 99 Generalkommando IV. AK, Abteilung Ic, 30. 7. 1940, CAMO 500/12480/38. 100 Kershaw, Wendepunkte, S. 25–76. Allerdings hätte wohl auch Lord Halifax keinen Diktatfrieden angenommen. Vgl. Roberts, The Holy Fox, S. 297. 101 Oder zumindest in Zukunft unter besseren Bedingungen Frieden schließen konnte. Dazu auch Roberts, Churchill, S. 542–552. 102 Hierzu Schenk, Operation Sealion. 103 Generalkommando XVI. AK, Ia Nr. 210/40 geh., BArchMA, RH 21-4/527 sowie Heeresgruppe B Ia Nr. 4483/40 gKods, 24. 9. 1940, Anlage A, S. 1, , CAMO 500/12454/58. 910
104 AOK 4 Ia Nr. 3756/40 gKdos, 18. 8. 1940, CAMO 500/12472/171, Bl. 2–14. 105 Auch 7. Panzer-Division Abt. Ia Nr. 440/40 geh., 14. 7. 1940, BArch-MA, RH 21-4/550. 106 Armeeoberkommando 6, Nr. 3104/40 geh., 12. 8. 1940, CAMO 500/12472/289, Bl. 34. 107 Artillerie-Regiment 103, Ia Anlage 1 zu Gen.Kdo. XVI. AK Ia Nr. 210/40, 3. 7. 1940, BArch-MA, RH 21-4/527; Bemerkungen des Generals der Art. Brand, Kriegserfahrungen der Artillerie während des Feldzuges im Westen (1939/40), BArch-MA, N 389/v. 4. 108 Donat, Munitionsverbrauch, S. 23. Im Polenfeldzug wurden in 35 Tagen 24 000 Tonnen Munition verschossen. Für den Vergleich zum Ersten Weltkrieg ebenda, Anlage 18. Im Polenfeldzug soll die Wehrmacht 800 000 Schuss Artilleriemunition verbraucht haben. In dem fünftägigen Vorbereitungsfeuer zur Schlacht an der Somme 1916 soll die französische und britische Artillerie 2,5 Millionen Granaten verschossen haben. Foley, Learning War Lessons. 109 Oberkommando des Heeres GenStdH AusbAbt Ia Nr. 2400/40 g, 20. 11. 1940, CAMO 500/12451/165. 110 Heeresgruppe B Ia Nr. 4483/40 gKdos, 24. 9. 1940, CAMO 500/12454/58. 111 Dazu auch Kahn, Russia. 112 Die relativen Verluste der Divisionen lagen in einer ähnlichen Größenordnung wie im Polenfeldzug. So verlor die 4. Panzerdivision bis zum 30. 5. 1940 1332 Mann an Toten, Verwundeten und Vermissten, somit elf Prozent ihrer Soldaten. Die Offiziersverluste lagen bei 23 Prozent, 911
das Schützenregiment 33 büßte gar 39 Prozent seiner Soldaten ein. Am 8. Juni hatte die 4. Panzerdivision noch 57 Prozent ihrer Fahrzeuge einsatzbereit. Alles BArchMA, RH 21-4/527. 113 Tagebuch Balck, 22. 6. 1941, BArch-MA, N 647/8, S. 26. 114 Mawdsley, Thunder, S. 86 f., 116 f.; Kriwoschejew, Grif sekretnosti snjat, S. 143, 357, 359. Die Wehrmacht gab deutlich höhere Verluste der Roten Armee an., 115 Opisanie boevych dejstvij protivnika i našich častej za oktjabr’, nojabr’ 1941 goda v polose dejstvija 286 sd [Beschreibung der Kampfhandlungen des Gegners und unserer Truppenteile für Oktober und November 1941 im Bereich der 286. SD] vom 6. 12. 1941, CAMO 410/10222/63, Bl. 1, https://pamyatnaroda.ru/documents/view/?id=120269506 (Abruf vom 8. 7. 2019); Summirovannyj material po učetu opyta boev i operacij s germanskim fašismom [Zusammengefasstes Material zur Erfassung der Erfahrungen aus den Kämpfen und Operationen gegen den deutschen Faschismus] vom 2. 12. 1941, CAMO 1253/0000001/0169, Bl. 4 f., 8, https://pamyat-naroda.ru/documents/view/? id=451682315 (Abruf vom 8. 7. 2019); Svodka ob opyte boevych dejstvij 42sk [Zusammenstellung der Kampferfahrungen des 42. SK] vom 22. 7. 1941, CAMO 11222/1/6, Bl. 3, https://pamyatnaroda.ru/documents/view/?id=455760532 (Abruf vom 8. 7. 2019); Iz opyta voennych dejstvij ustanovleny sledjuščie priemy i sposoby vedenija ognja boja germanskimi vojskami [Aus der Kampferfahrung sind folgende Methoden und Arten der Feuerführung der deutschen Truppen im Kampf festzustellen] vom 28. 10. 1941, CAMO 1110/0000001/0010, Bl. 1, https://pamyat- 912
naroda.ru/documents/view/?id=454126841 (Abruf vom 8. 7. 2019). Für diese Hinweise danke ich Otto Ermakov, Potsdam. 116 Oberkommando des Heeres GenSt. d. H. Nr. 500/42 geh., 1. 3. 1942, Hinweise für die Ausbildung der Infanterie auf Grund der Erfahrungen des Ostfeldzuges, BArchMA, RH 11-1/70. Vgl. auch Hauptmann Schott, Rgt. Adjutant I. R. (mot) 51, 14. 5. 1942, Auf was kommt es in Rußland an?, BArch-MA, RH 68/4. Vgl. auch die Reflexion Generalmajor Artur Webers, »Wie sollen wir auf Grund unserer Kriegserfahrungen den sowjetischen Soldaten und die Sowjetarmee unseren kriegsunerfahrenen Soldaten in der Bundeswehr darstellen«, 4. 12. 61, BArch-MA, N 666/27. 117 Heinrich Eberbach an seine Frau, 7. 8. 1941, BArch-MA, N 860/10. Eberbachs Regiment kämpfte im Rahmen der 4. Panzerdivision. Hierzu differenziert Hartmann, Wehrmacht. 118 Kroener, Fromm, S. 411. 119 Hill, Red Army, S. 300. 120 Glanz, The impact of intelligence. 121 Tagebuch Herbert Zetzsche, 31. 10. 1941, 1. 11. 1941, in: BArch-MA, N 221/49. 122 Hürter, Oberbefehlshaber, S. 302–318. 123 David Stahel sprach davon, dass die Winterschlacht 1941/42 keine deutsche Niederlage gewesen sei, weil der Feldzug längst zu einem Abnutzungskrieg geworden war. Die Verluste der Roten Armee waren im Dezember 1941 und Januar 1942 sechsmal höher als jene der Wehrmacht, 913
deren Ausfälle wiederum niedriger als im Juli 1941 waren. Stahel, Retreat from Moscow. 124 Welche Relevanz der Haltebefehl vom 11. 12. 1941 für die Abwehr der sowjetischen Winteroffensive hatte, ist umstritten. Zuletzt argumentierte David Stahel, dass die Truppe den Befehl mit Deckung des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe Mitte, Günther von Kluge, vielfach unterlaufen habe und ihm so den destruktiven Charakter nahm. Stahel, Retreat from Moscow, S. 435. 125 Hürter, Oberbefehlshaber, S. 330–350. 126 Pyta, Hitler, S. 403 f. 127 Hill, Red Army, S. 402–428. 128 Tagebuch Hermann Balck, 28. 12. 1942, BArch-MA, N 647/9. 129 Ebenda, 30. 1. 1943, BArch-MA, N 647/9. 130 Bis Juni 1943 starben 1,42 Millionen Wehrmachtsoldaten. Overmans, Deutsche militärische Verluste, S. 239; eigene Auswertung nach Sanitätsbericht über das Deutsche Heer 1914–1918. 131 Vor allem Töppel, Kursk. 132 Im Februar und März 1943, zum Zeitpunkt der großen Gegenangriffe, verlor das Heer 114 396 Mann an Toten, im Juli und August 1943 130 429. Overmans, Deutsche militärische Verluste, S. 278. 133 Schönherr, Rückzugskämpfe, S. 839 f. 134 Eindrücklich der Zustandsbericht der Schnellen Verbände bei der HGr. Süd, 29. 2. 1944, BArch-MA, RH 10/54. 914
135 Ein Beispiel von vielen ist die Unfähigkeit, die sowjetische Winteroffensive in der Ukraine ab dem 24. 12. 1943 vorauszusagen. Vgl. Fremde Heere Ost, Kurze Beurteilung der Feindlage, 23. 12. 1943 http://wwwii.germandocsinrussia.org/de/nodes/1170akte-358-okh-abteilung-fremde-heere-ost-referat-i-kurzebeurteilung-der-feindlage-an-derostf#page/325/mode/inspect/zoom/4 (letzter Zugriff 7. 5. 2019). Allerdings sind andere Offensiven durchaus vorhergesagt worden, so der sowjetische Vorstoß auf Kiew ab Anfang November 1943. Siehe die Feindlagebeurteilungen von Fremde Heere Ost vom 30. 10.–2. 11. 1943 in CAMO 500/12451/358. 136 Tagebuch Hermann Balck, 16. 11. 1943, BArch-MA, N 647/11, S. 19. Heinz Guderian meinte, dass die deutschen Panzerdivisionen bei sachgemäßem Einsatz die ernste Lage zu deutschen Gunsten wenden könnten. Die von ihm angeregte Konzentration der fünf aufgefrischten Panzerdivisionen auf den Raum Kiew konnte aber so nicht ausgeführt werden. Zweifellos überschätzte er deren Möglichkeiten im Kampf gegen die Rote Armee, selbst wenn sie geschlossen zum Einsatz gekommen wären. Generalinspekteur der Panzertruppen Nr. 1830/43 gKdos, 9. 11. 1943, CAMO 500/12451/453. Ein Mann wie Smilo Freiherr von Lüttwitz, der zu diesem Zeitpunkt als Kommandeur der 26. Panzerdivision in Italien kämpfte, schätzte die Lage viel realistischer ein: »Die ganze Lage sehe ich sehr ernst an. […] Das Erschreckende sind die großen Verluste, die uns entsetzlich treffen. Und dazu die schwe. Fliegerangriffe in der Heimat. Das geht ja alles auf die Dauer nicht so weiter, weil sonst die Substanz erheblich gefährdet oder zerrüttet wird. […] Mir wäre der 915
Frieden lieber.« 11. 10., 16. 10. 1943, in: Lüttwitz, Soldat in 4 Armeen, BArch-MA, N 10/9, S. 215. 137 Tagebuch Hermann Balck, 23. 11. 1943, BArch-MA, N 647/11, S. 22. 138 Ebenda, 30. 12. 1943, BArch-MA, N 647/11, S. 36 f., 31. 12. 1943, S. 37. In seiner Personalbeurteilung vom 6. 4. 1944 hieß es dann auch, dass er »manchmal zu übertrieben günstiger Lagebeurteilung« neigte. Ansonsten galt er als »überragender«, »bestbewährter« Panzerführer, der von der nationalsozialistischen Idee durchdrungen sei. BArch-MA, Pers 6/73. Ähnlich optimistisch dachte der Oberbefehlshaber der 10. Armee in Italien, Heinrich von Vietinghoff-Scheel, über die Zukunft nach. Er glaubte, die Entscheidungsschlachten im Westen und Osten würden 1944 gemeistert werden und dann die Aussicht auf einen tragbaren Frieden bringen. Tagebuch, Weihnachten 1943, BArch-MA, N 574/2. 139 Frieser, Rückschlag, S. 297–338. 140 Ausführungen Generalleutnant Merker (Kdr. 35. ID) über das Infanterie-Problem sowie Ausbildungsabteilung Chef Nr. 3175/43 g, 8. 8. 1943 beide BArch-MA, RH 11 1/44. Vgl. auch (…) Division, Kommandeur Nr. 969/43 g., 7. 4. 1943, CAMO 500/12478/80, Bl. 1. 141 Ferdinand von Senger und Etterlin an Ebba v. Keudell, 8. 12. 1943. 142 Tagebuch Ferdinand von Senger und Etterlin, 11. 2. 1944. 143 Ferdinand von Senger und Etterlin an Ebba v. Keudell, 23. 2. 1944. Sehr ähnlich sein Tagebucheintrag vom 20. 2. 1944. 916
144 Ebenda, 5. 3. 1944. Ferdinand von Senger und Etterlin (1923–1987) trat 1956 in die Bundeswehr ein und stieg bis zum NATO-Oberbefehlshaber Mitte auf. Während er den Generalstabslehrgang an der Führungsakademie besuchte und G3 der Panzerlehrbrigade 9 in Munster war, verfasste er die Divisionsgeschichte der 24. Panzerdivision, die stark von seinen persönlichen Erlebnissen geprägt war und das Bild eines handwerklich exzellenten Verbandes zeichnete. Senger und Etterlin, Die 24. Panzerdivision. 145 Smilo Freiherr von Lüttwitz bemerkte schon im März 1942, dass der eingetroffene Ersatz seines Schützenregiments 12 »nicht zu kämpfen verstand, sondern vielfach ausriß!« 10. 3. 1942, in: Lüttwitz, Soldat in 4 Armeen, BArch-MA, N 10/9, S. 165. 146 Einsatz- und Zustandsbericht des II./IR 18, 12. 10. 1942, CAMO 500/12454/6. 147 Grenadier-Regiment 258, Erfahrungen aus den Kämpfen der letzten Tage, 1. 8. 1943, CAMO 500/12480/38. Das übergeordnete Korps lobte zumindest die Kampfleistung der 112. Division, die in »unbeugsamer Tapferkeit bis hinunter zum letzten Grenadier dem Feinde die Stirn geboten« habe. Generalkommando LIII. AK, Korpstagesbefehl 27. 7. 1943, CAMO 500/12477/614. 148 Oberkommando des Heeres, GenStH/AusAbt (Ia), 12. 2. 1944, BArch-MA, RH 11 I/44. 149 Reisebericht über die Reise zum L. AK vom 3. 2.–6. 2. 1944, 7. 2. 1944, BArch-MA, RH 11 II/2. 150 II./Pz Gren Rgt .33, 26. 8. 1943, BArch-MA, N 460/15. Gaudecker schonte sich selber nicht, wurde mehrfach verwundet; 1944 wurden ihm das Ritterkreuz und die 917
Nahkampfspange in Silber verliehen. Er trat 1956 als Oberst in die Bundeswehr ein und führte von 1959 bis 1962 die Panzerbrigade 15. Interessanterweise wurde er nie befördert und ging 1967 als Oberst in den Ruhestand. BArch-MA Pers 1/4190. 151 Vgl. Akten zur Hebung der Kampfkraft der Infanterie von Juli 1943 bis April 1944 in: BArch-MA, RH 11 I/44. Hier insb. General der Infanterie b. Chef Gen St d H, 24. 9. 1943. Eine Sammlung von Rückschlägen bei Infanterieeinheiten findet sich in: OKH GenSt. d. H./Aus.Abt. II, 7. 4. 1944, CAMO 500/12480/29. 152 Bericht über die Ostfrontreise des Kommandeurs der Sturmgeschütz Ers. u. Ausb. Abt. 200 vom 30. 8. 1943 bis 22. 9. 1943, BArch-MA, RH 10/58. 153 Reisebericht über die Reise zu L. AK vom 3. 2.–6. 2. 1944, 7. 2. 1944, BArch-MA, RH 11 II/2. 154 Auszug Bericht Burmeister, 29. 11. 1943, BArch-MA, RH 10/54, S. 5. 155 Major i. G. Ferber, GenSt.H/Org, 17. 8. 1943, Bericht über die Reise zur HGr. Süd vom 12.–16. 8. 1943, BArch-MA, RH 10/54. 156 Der Kommandierende General II. Armeekorps Ia, Nr. 701/43 gKdos, 14. 8. 1943, BArch-MA, RH 11 I/44. 157 Vgl. z. B. Zustandsbericht Division »Hermann Göring«, 1. 12. 1943, 1. 1. 1944, BArch-MA, RL 32/27. 158 Grenadier-Regiment 81, Abt. Ia Nr. 61/43, 16. 7. 1943, BArch-MA, RH 11 I/44. 159 Organisationsabteilung (I) 8100/43 g, 23. 9. 1943, sowie Operationsabteilung IS/A, 13. 9. 1943. Vortragsnotiz Zusammenfassung der bisher eingegangenen Meldungen 918
gemäß Grundlegendem Befehl Nr. 15, BArch-MA, RH 11 I/44. 160 Ausbildungsabteilung Chef Nr. 3175/43 g, 8. 8. 1943, BArch-MA, RH 11 I/44. 161 Generalkommando IX. AK, Abt. Ia Nr. 1759/41 geh., 18. 9. 1941, BArch-MA, N 221/21. 162 Der General der Infanterie, Chef des Stabes, Was geschieht zur Hebung der Kampfkraft der Infanterie und wie kann der Truppenführer hierzu beitragen?, April 1944, BArch-MA, RH 11 I/44. 163 Soldaten beider Verbände wurden ungewöhnlich viele hohe Auszeichnungen verliehen, so 46 bzw. 49 Ritterkreuze. https://www.axishistory.com/books/150germany-heer/heer-divisionen/3250-knights-crossholders-of-1-infanterie-division; https://www.axishistory.com/books/150-germanyheer/heer-divisionen/3300-knights-cross-holders-of-21infanterie-division. 164 Kratkaja svodka obobščennogo opyta boevyh dejstvij vojsk I-go Ukrainskogo fronta za janvar’ 1944 goda [Kurze Zusammenstellung der Erfahrungen der Kampfhandlungen der Truppen der 1. Ukrainischen Front für Januar 1944] vom 13. 2. 1944, CAMO, Fond 236, Opis’ 2673, Delo 1319, S. 9, 11–12, https://pamyatnaroda.ru/documents/view/?id=151024300. Für diesen Hinweis danke ich Otto Ermakov, Potsdam. 165 Major i. G. Ferber, GenSt.H/Org, 17. 8. 1943, Bericht über die Reise zur HGr. Süd vom 12.–16. 8. 1943, BArch-MA, RH 10/54. 919
166 Reisebericht über die Reise zum L. AK vom 3. 2.–6. 2. 1944, 7. 2. 1944, BArch-MA, RH 11 II/2. Zu den Luftwaffenfelddivisionen auch Oberst Hans Kroh, in SRM 922, 28. 9. 1944., TNA, WO 208/4139 sowie Römer/Döring, Alfred Andersch desertiert, S. 25–144. 167 Etwa der Gegenangriff der 5. Panzerdivision bei Orel, 13. 7. 1943. Töppel, Kursk, S. 181 f., oder der Gegenangriff der 20. Panzerdivision Ende Juni 1944 bei Bobruisk, Hinze, Zusammenbruch, S. 136 f., 142 f. 168 Auszug aus Bericht Major i. G. Burmeister über die Reise zur 4. Panzerarmee v. 24.–27. 11. 1943, BArch-MA, RH 10/54. 169 Tagebuch Hermann Balck, 16. 11. 1943, BArch-MA, N 547/11. Vgl. BArch-MA, Pers 6/300737. 170 Tagebuch Hermann Balck, 8. 4. 1941, BArch-MA, N 647/8. 171 Stichworte aus Briefen aus dem serbischen Feldzug, BArch-MA, N 574/2. 172 Clausewitz, Vom Kriege, Zweites Buch, Elftes Kapitel, S. 251. 173 Historiker gehen heute davon aus, dass Rommel die Besetzung Ägyptens wohl gelungen wäre, hätte er im März 1941 auf das Eintreffen seiner zweiten Division gewartet. Dazu Schmider, Crossroads of Lost Opportunities. Zu den überhasteten Angriffen auf Tobruk im April/Mai 1941 vgl. Kirchheim, Die Angriffsgruppe Kirchheim am 30.IV. und 1.V.1941 beim Angriff auf Tobruk. Kritische Untersuchung der Ursachen des Scheiterns des Angriffs, Historical Division 1948 (D350). Vgl. auch Kirchheim, Der Vormarsch der 920
italienischen Division Brescia im April 1941 auf Tobruk, 1947. 174 8. 7. 1943. KTB DVB b. ital. AOK 6, BArch-MA, RH 31-XV/1. 175 Zum 10. 7. 1943 aus amerikanischer Sicht Blumenson, Sicily, S. 147–162. 176 Stellungnahme des Verb.Offz. ital. AOK 6 zu den Gefechtsberichten der PzDiv. Hermann Göring, BArchMA, N 241/73. 177 Morison, Sicily, S. 113. 178 Blumenson, Sicily, S. 160. 179 Vgl. auch den äußerst kritischen Bericht des Kommandeurs des Artillerieregiments der Division »Hermann Göring«, übersetzt ins Englische und abgedruckt im US Intelligence Bulletin, Vol. II., No. 3, November 1943, http://www.lonesentry.com/articles/artillerypositions/inde x.html. Im KTB des Panzerregiments wird der Fehlschlag geschickt kaschiert. 11. 7. 1943, BArch-MA, RL 32/115. Vgl. auch das KTB I. Abteilung PzRegiment HG, BArchMA, RL 32/117. Die Verluste der Abteilung waren mit vier Toten und 18 Verwundeten sowie sieben abgeschossenen Panzern überschaubar. Besonders knapp wird der Angriff im ansonsten eher weitschweifig geführten KTB der II. Abteilung geschildert. 11. 7. 1943, BArch-MA, RL 32/118. 180 US Intelligence Bulletin, Vol. II., No. 3, November 1943, http://www.lonesentry.com/articles/artillerypositions/inde x.html. Zum herausgehobenen Ethos der Division vgl. 921
Divisions-Befehl Nr. 1, 27. 10. 1942, BArch-MA, RL 32/22. 181 Der Zustandsbericht vom November 1943 bemerkte dann auch, dass es sich ungünstig auswirke, dass ein Großteil der Offiziere Luftwaffenoffiziere ohne jede Kampferfahrung seien. Meldung 1. 11. 1943, BArch-MA, RL 32/27. 182 Das Panzerregiment war in Frankreich im Januar 1943 aufgestellt worden und hatte wegen des allgemeinen Betriebsstoffmangels bis zur Verlegung nach Italien im Mai 1943 nur eine Regiments- und zwei Abteilungsübungen absolvieren können. 80 bis 90 Prozent des Personals hatten noch nie im Kampf gestanden. KTB II. Abteilung, Eintrag 21. 4.–10. 5. 1943, BArch-MA, RL 32/118. 183 10. 7. 1943. KTB DVB b. ital. AOK 6, BArch-MA, RH 31-XV/1. Vgl. auch BArch-MA, ZA 1/1321, S. 22. 184 Oberkommando des Heeres Gen. St. d. H. Aus.Abt. II, 12. 9. 1943, CAMO 500/12480/29. Vgl. auch KTB OKW, Bd. 3, 13. 7. 1943, S. 777. 185 Tagebuch Hermann Balck, 8. 9. 1943, BArch-MA, N 647/10. 186 Die beste aus den Quellen gearbeitete Darstellung zur Schlacht von Salerno aus deutscher Sicht ist immer noch Schröder, Italiens Kriegsaustritt 1943, S. 293–301. 187 16. Panzer-Division Abt. Ia Nr. 692/43 geh., 16. 9. 1943, Erfahrungsbericht über Feindlandung, in: KTB 10. Armee, Anlagen, BArch-MA, RH 20-10/56. Vgl. Die Schlacht von Salerno 8. bis 18. 9. 1943, PanzergrenadierRegiment 64, BArch-MA, RH 82/102 sowie RH 82/97. 922
188 Die Alliierten bezifferten die Kampfkraft der vor Salerno versammelten Verbände auf ihrem Höhepunkt mit knapp unterhalb vier Divisionen mit rund 150 Panzern. The German Defence of the Gulf of Salerno, TNA, WO 204/7608, S. 8. Zum Einsatz der Division »Hermann Göring« recht aufschlussreich das KTB II./PzGrenRgt 1, BArch-MA, RL 32/124, sowie RL 32/88. 189 KTB 10. Armee, 13. 9. 1943, BArch-MA, RH 20-10/54, S. 43; Funkspruch 13. 9. 1943, BArch-MA, RH 20-10/56. 190 KTB 10. Armee, 13. 9. 1943, BArch-MA, RH 20-10/54, S. 41. 191 Etwa Tagebuch Hermann Balck, 18. 9. 1943, BArch-MA, N 647/10. 192 Vgl. Gundelach, Luftwaffe im Mittelmeer, S. 674–681; Blumenson, Salerno to Cassino, S. 106. Das Eingreifen der Luftwaffe war zweifellos umfangreicher als in Sizilien oder Anzio. Versenkt werden konnten aber nur ein Kreuzer, vier Transporter und sieben Landungsboote. Eine Reihe weiterer Schiffe, darunter das Schlachtschiff Warspite, wurden schwer beschädigt. Zur zeitgenössischen deutschen Sicht auch das publizierte Kriegstagebuch der Seekriegsleitung, Teil A, Bd. 49, 8. 9.–16. 9. 1943, und vor allem das Tagebuch Wolfram von Richthofens, 8. 9.–15. 9. 1943, BArch-MA, N 671/11. 193 Vgl. Extract from an unofficial Report on the Landings at Salerno and Nettuno/Anzio, 25. 2. 1944, TNA, WO 204/7606, S. 2 f. 194 Erfahrungsbericht 16. Panzerdivision, BArch-MA, RH 20-10/56. Zur Rolle der feindlichen Schiffsartillerie, die die Seekriegsleitung bemerkenswert unbeteiligt 923
wahrnahm, vgl. KTB Skl Teil A, Bd. 49, 16. 9. 1943, S. 335, 337. 195 Dabei handelte es sich um vier 38-cm-, 70 15-cm- und 120 12,7-cm-Geschütze. 196 Morison, Sicily, S. 280. 11 000 Tonnen waren das Äquivalent von 72 000 Schuss 10,5-cmFeldartilleriemunition. 197 In den Akten findet sich nur ein Hinweis, dass gezielt künstlicher Nebel zum Schutz vor der feindlichen Artillerie eingesetzt werden sollte. ArmeeOberkommando 10 Abt. 1a B. B.Nr. 732/43 geheim, 12. 9. 1943, BArch-MA, RH 20-10/56. 198 Hitler befahl am 17. 8. eine Schwerpunktbildung im Raum Neapel-Salerno und ordnete an, dass dorthin drei Divisionen zu verlegen seien. Vermerk über Besprechung beim Führer am 17. 8. 1943 abends, in KTB 10. Armee, Anlagen, BArch-MA, RM 20–10/55. 199 Hermann Balck erwähnt eine 17-cm-Batterie, die aber nur 60 Schuss gehabt hätte. Balck, Ordnung ins Chaos, S. 457. Vgl. auch KTB PzArt Regiment Hermann Göring, 12. 9. 1943, BArch-MA, RL 32/122. 200 Dazu auch Tagebuch Richthofen, 8.–10. 9. 1943, BArchMA, N 671/11, S. 324–335. 201 KTB 10. Armee, 10. 9. 1943, S. 36, BArch-MA, RM 20– 10/55, und auch Tagebuch Hermann Balck, 9. 9. 1943, BArch-MA, N 647/10. Kesselring und Balck rechneten mit der Möglichkeit einer weiteren alliierten Landung in der Volturno-Mündung nördlich von Neapel und fielen damit auf eine alliierte Scheinoperation herein. Dies war ein Grund, warum sie ihre Kräfte nicht sofort auf Salerno 924
konzentrierten. Tagebuch Balck 9. 9. 1943, BArch-MA, N 647/10; Funkspruch OB Süd ans XIV. PzKorps, 10. 9. 1943, BArch-MA, RH 24-14/81. 202 Die 10. Armee wies am 9. 9. um 8:00 Uhr das XIV. Pz Korps zu »rücksichtsloser Zusammenfassung aller Kräfte zur Schlacht von Salerno« an. BArch-MA, RH 20-10/55. 203 Die 29. Panzergrenadierdivision wurde nach der britischen Landung in Kalabrien immer schneller nach Norden gezogen, und der OB Süd gab am 8. 9. den Befehl, Teile der Division in den Raum Polla-Lagonegro vorzuziehen. KTB 10. Armee, 8. 9. 1943, BArch-MA, RH 20-10/54. Vgl. auch: Der Feldzug in Italien, I. Teil, S. 206 f., BArch-MA, ZA 1-2300. Zum Problem der Betriebsstoffversorgung vgl. KTB LXXVI. Pz Korps/Qu.-Abt., insb. 8. 9. 1943, S. 31, BArch-MA, RH 24-76/17, sowie Anlagenband RH 24-76/18. Im KTB des Marinekommandos Italien finden sich dazu keine Angaben, BArch-MA, RM 36/61, 62. 204 Besprechung bei O. B. Süd/F. A. am 11. 9. 1943, 12. 9. 1943, KTB 10. Armee, Anlagen, BArch-MA, RH 2010/55; Rückblick auf die ersten drei Tage der Schlacht von Salerno, 12. 9.(1943), KTB 10. Armee, Anlagen, BArch-MA, RH 20-10/55. 205 Zur Betriebsstofflage des XIV. Panzerkorps vgl. Vortragsnotiz O. Qu am 7. 9. 1943, Versorgungslage 9. 9. 1943, BArch-MA, RH 24-14/211. 206 Balck verwies nach dem Krieg auf den Vorteil kleinerer, beweglicher Verbände und zog als Beleg den Kampf seiner 11. Panzerdivision 1942/43 in Südrussland heran. Dort hatte er mit vielleicht 25 Panzern ständig bewegliche Gegenangriffe gefahren und so die 5. 925
Panzerarmee der Sowjets gestoppt. Vgl. BArch-MA, MSG 2/2662. 207 Meldung XIV. AK, 12. 9. 1943, KTB 10. Armee, Anlagen, BArch-MA, RH 20-10/55. 208 Blumenson, Salerno, S. 115. 209 Das bezieht sich auf die 16. Panzerdivision. Rückblick auf die ersten drei Tage der Schlacht bei Salerno, 12. 9. (1943), BArch-MA, RH 20-10/56. 210 Der Oberbefehlshaber Süd, Führungsabteilung Ia, 21. 10. 1943, BArch-MA, RH 19-X/11. 211 Tagebuch Hermann Balck, 16. 9. 1943, BArch-MA, N 647/10. Das traf wohl vor allem auf die Division »Hermann Göring« zu. In deren Zustandsbericht über den September 1943 heißt es, dass sich bei den PzGrenadieren »das geringe Können der jungen Offiziere und Unteroffiziere« besonders bemerkbar machte. Meldung 1. 10. 1943, BA/RL 32/27. Teile der 26. Panzerdivision griffen am 16. 9. in die Kämpfe ein, und ihr Kommandeur Smilo Freiherr von Lüttwitz meinte in einem Brief an seine Frau, dass sich die Truppe nach Überwindung des ersten Schocks gut geschlagen habe. Lüttwitz, 18. 9. 1943, in: Soldat in 4 Armeen, BArchMA, N 10/9, S. 213. In einer Nachkriegsdarstellung hieß es, dass die Division bei Salerno noch nicht kampferprobt und ihr Artillerieregiment noch nicht eingespielt gewesen sei. Der Misserfolg hätte zu einem Absinken der Kampfmoral geführt, was sich noch lange ausgewirkt habe. Die Kämpfe der 26. Pz Division in Italien, BArchMA, N 10/3, S. 14. 212 KTB 10. Armee, 22. 8. 1943, 9. 9. 1943, BArch-MA, RH 20-10/54, S. 9, 34. Feldmarschall Wolfram von 926
Richthofen warf der 10. Armee schon am 11. 9. 1943 »mangelnde Energie« vor und glaubte, dass es bei entsprechendem Willen noch möglich sei, »die AngloAmerikaner« entscheidend zu schlagen. Eine Vorstellung von den Verhältnissen vor Ort hatte er nicht. Sein Beharren auf dem Willen ist ein typischer Beleg für seine nationalsozialistische Haltung. Tagebuch Wolfram Freiherr von Richthofen, 11. 9. 1943, BArch-MA, N 671/11, S. 334 f. 213 In den Gefechtsberichten des Panzergrenadierregiments 64, das seit dem 9. September mit die Hauptlast der Kämpfe zu tragen hatte, wird der Einsatz der eigenen Artillerie kaum erwähnt und nur wenig reflektiert. Vgl. die Berichte in BArch-MA, RH 82/97. 214 Der Oberbefehlshaber der 10. Armee meinte bei Sieckenius »Rückwärtsgeist« festzustellen und notierte in seiner Beurteilung: »Zweifellos war die Lage b. s. (…) schwierig. Es fehlt ihm aber die Fähigk., schwungvoll, in kühnem Entschluß s. Div. fest zuzufassen u. i. schnellem Zupacken günstige Kampflagen auszunutzen.« BArchMA, Pers 6/300637. Freilich hat die 10. Armee selbst nicht so gehandelt. Albert Kesselring, sein Stabschef Siegfried Westphal und Hermann Balck präsentieren in ihren Memoiren die Ansicht, dass die Aufteilung der deutschen Truppen in Italien auf zwei Heeresgruppen – eine nördliche unter Rommels und eine südliche unter Kesselrings Kommando – ein Fehler gewesen sei. Die beiden schnellen Divisionen, die in Oberitalien zurückgehalten wurden, hätten am 13. oder 14. 9. von Mantua aus eintreffen und die Lage wenden können. Jedoch verkennen die drei Generäle dabei, dass beide Divisionen wegen der Entwaffnung des italienischen 927
Heeres kaum so schnell in Salerno vor Ort hätten sein können. Zudem ist fraglich, ob mehr Truppen angesichts des alliierten Artilleriefeuers die Lage hätten wenden können. Alle drei weichen vielmehr ihren eigenen Fehlentscheidungen aus. Vgl. Der Feldzug in Italien, BA/MA, ZA 1/2300, S. 321; Kesselring, Soldat bis zum letzten Tag, S. 257; Westphal, Heer in Fesseln, S. 237 f.; Balck, Ordnung im Chaos, S. 459. Der Kommandeur der Division »Hermann Göring« sah in einer Ausarbeitung aus dem Jahr 1947 von vornherein keine Chance, gegen die feindliche Übermacht bestehen zu können. Defizite der eigenen Führung erwähnt er nicht. BArch-MA, MSG 2/13110. 215 Tagebuch Hermann Balck, 18. 9. 1943, BArch-MA, N 647/10. 216 Blumenson, Salerno, S. 144. Die 10. Armee feierte in einem Tagesbefehl die Schlacht von Salerno als Sieg, wohl vor allem, um ihre Soldaten aufzumuntern. Armeetagesbefehl, 18. 9. 1943, BArch-MA, RH 2010/56. Auch der Oberbefehlshaber, Heinrich von Vietinghoff-Scheel, meinte in seinem Tagebuch, dass seine Armee ihre Aufgabe voll erfüllt habe, und war stolz, mit der Beförderung zum Generaloberst »den 3. Stern« erhalten zu haben. Eine kritische Reflexion der Probleme bei Salerno blieb vollständig aus. Tagebuchnotizen Weihnachten 1943, BArch-MA, N 574/2. 217 Dazu Ball, The Bitter Sea, S. 251–255. 218 KTB Skl, Teil A, 22. 1. 1944, S. 395. Generell zur Schlacht um Anzio/Nettuno: KTB OKW Bd. 4, 1944–45, Teilband I, S. 121–172; Schreiber, Das Ende, S. 1147– 928
1149; Blumenson, Sizilien, S. 352–365, 385–396, 419– 432; Ben Arie, Die Schlacht bei Monte Cassino, S. 78– 225; Vego, Allied Landing at Anzio-Nettuno. Zum vielfach kritisierten amerikanischen Oberbefehlshaber John P. Lucas, der am 22. 2. 1944 abgelöst wurde, Ossad, Major General John P. Lucas at Anzio. 219 Wenn man einmal von der Rückeroberung der Inseln Leros, Samos und Kos im Oktober und November 1943 absieht. 220 KTB OKW, Bd. 4,1944–45, Teil 1, S. 141, 149. 221 Zum ersten Kampfeinsatz der 715. Infanteriedivision und zu den Vorwürfen der 3. Panzergrenadierdivision hinsichtlich der Probleme dieser Division beim Kampf um Aprilia vgl. BArch-MA, RH 26-715/15. Der Kommandeur der 715. Division, Hans-Georg Hildebrandt, stand unter erheblichem Erfolgsdruck. Er war nach einer recht strammen Karriere in Tunesien als Kommandeur der 21. Panzerdivision wegen mangelnder fachlicher und menschlicher Leistungen abgelöst worden und hatte am 5. 1. 1944 das Kommando über die 715. Division bekommen. Letztlich konnte er auch hier nicht überzeugen und wurde im September 1944 zur Erholung seiner angegriffenen Gesundheit und starken Nervosität abgelöst. Seine umfangreiche Personalakte in BArchMA, Pers 6/625. 222 NARA, RG 165, Entry 179, Box 544. 223 Gen.-Kdo LXXVI. Pz Korps, 11. 2. 1944, BArch-MA, RH 24-76/11. 224 KTB OKW, Bd. 4, 1944–45, S. 134. 929
225 Ebenda, S. 156. Der Oberbefehlshaber der 14. Armee, Eberhard von Mackensen, war »wie gewöhnlich, außerordentlich trieblos, stumpfsinnig und pessimistisch«, notierte Richthofen in sein Tagebuch. Freilich war der Kommandierende General des I. Fallschirmkorps, General Alfred Schlemm, wohl derselben Ansicht, traute sich aber nicht, offen seinen Pessimismus zuzugeben. »Klagte sehr über Güte der Truppen in der Verteidigung und im Angriff«, Tagebuch Wolfram von Richthofen, 1. 2. und 2. 2. 1944, BArchMA, N 671/12. Der Ic der 14. Armee, Josef Moll, der in der Bundeswehr zum Inspekteur des Heeres aufstieg, war hingegen optimistisch. Josef Moll, Erinnerungen, o. J., S. 83, Privatarchiv Moll. 226 SRM 493, 17. 3. 1944, TNA, WO 208/4138. 227 Morison, Sicily, S. 350, 358 f., 364. In den ersten Tagen waren die deutschen Luftangriffe während der Dämmerung und Nachtstunden so erfolgreich, dass die Schiffe gezwungen waren, sich von der Küste abzusetzen. Vgl. Gundelach, Die deutsche Luftwaffe im Mittelmeer, S. 761–790. 228 So hieß es in einem britischen Erfahrungsbericht, dass »the enemy CB [counter-battery fire] has NOT been very effective«. Lessons on the Action of 3 Inf Bde 30 Jan – 4 Feb 44, TNA, WO 204/7576. 229 KTB 76. Korps, 20. 2. 1944, BArch-MA, RH 24-76/9. Vgl. auch Einsatz der 29. Panzergrenadierdivision während des deutschen Gegenangriffes zur Beseitigung des Landekopfes Anzio-Nettuno im Februar 1944, BArch-MA, ZA 1/1489, S. 9; Panzergrenadierregiment 15 (mot), 20. 2. 1944, Meldung über Lage I. und III. 930
Bataillon am 19. 2. 1944; Stellungnahme der Division, 21. 2. 1944, beides BArch-MA, RH 20-14/26. 230 16.–20. 2. 1944: 5389 Verluste. Tagesmeldung 14. Armee vom 21. 2. 1944, BArch-MA, RH 20-14/28. Die Verluste der abgeschnittenen Bataillone III./und I./GR 15. waren in diesen Zahlen wohl nicht enthalten. Die Gesamtverluste dürften eher in der Größenordnung 6000 gelegen haben. 231 Josef Moll, Erinnerungen, o. J., S. 84, Privatarchiv Moll. 232 Ebenda. In den Briefen an seine Frau schrieb Moll weniger deutlich, erwähnte, dass »seit 1940/41 vieles anders geworden« sei, und »mit dem Befehlen allein ist gar nichts getan«. Er lobte die »Festigkeit« der mittleren Führung, sprach davon, dass ihnen »große Enttäuschungen« nicht erspart blieben. »Ich selbst kann und will es oft nicht glauben.« Josef Moll an seine Frau, 3. 2. 1944, 20. 2. 1944, 28. 2. 1944, Privatarchiv Moll. 233 Oberbefehlshaber 14. Armee Nr. 1122/44 gKdos, 1. 3. 1944; Ia Nr. 1133/44 gKdos, 1. 3. 1944, beides BArchMA, RH 20-14/26. »Das Fehl an erfahrenen Führern und Unterführern kann durch die vorhandene Begeisterung der jungen Freiwilligen nicht ersetzt werden. Besonders bei Rückschlägen fehlt die feste Führung.« Zustandsbericht Division Hermann Göring, 1. 3. 1944, BArch-MA, RL 32/27. 234 Klassisch zu Salerno: Kesselring, Soldat bis zum letzten Tag, S. 253. Im Falle Anzios übernahm er aber für den viel kritisierten Angriffsplan eine Mitverantwortung, ebenda, S. 272 f. Zur Kritik siehe Stimpel, Fallschirmtruppe, Einsätze auf Kriegsschauplätzen im 931
Süden, S. 349–357. Zu Anzio mit klassischer Kritik auch: Staiger, Anzio-Nettuno, S. 98. 235 Der Feldzug in Italien, I. Teil, BArch-MA, ZA 1/2300, S. 454. Westphal wiederholte diese Aussage in seinen Memoiren: Westphal, Erinnerungen, S. 251 f. 236 KTB OKW, Bd. 4: 1944–45, S. 167. Vgl. auch die Schilderung in Westphal, Erinnerungen, S. 252 f., und ders., Heer in Fesseln, S. 246 f. 237 FS AOK 14 Ia Nr. 801/44, BArch-MA, RH 20-14/26; Chef des Generalstabes der 14. Armee, Abt Ia Nr. 2383/44, 18. 3. 1944, BArch-MA, RH 20-14/27. Zur Kritik am Infanterie-Lehrregiment auch Kesselring, Soldat bis zum letzten Tag, S. 273; Tagebuch Wolfram von Richthofen, 16. 2. 1944, BArch-MA, N 671/12, S. 47. 238 Tagesmeldung des AOK 14 vom 16. 2. 1944; Tagesmeldung der 14. Armee vom 21. 2. 1944, BArchMA, RH 20-14/28. Wenige Tage zuvor hatte eine Einheit des Bataillons noch mehrere Hundert US-Ranger gefangen genommen. Kommandeur war Major Harry Herrmann, der für seine Leistungen am 5. 4. 1944 im Wehrmachtbericht genannt wurde. Er wurde als Oberst in die Bundeswehr übernommen, hier stellvertretender Kommandeur der 1. Luftlandedivision, dann Kommandeur der Luftlandeschule in Altenstadt. Er wurde nicht mehr befördert und 1967 im Alter von 58 Jahren in den Ruhestand versetzt. Vgl. BArch-MA, Pers 1/79531, Pers 6/182578. In der Verbandsgeschichte wird auf die außerordentlich hohen Verluste des Bataillons nicht weiter eingegangen. Bliss/Bosshammer, Fallschirmjäger-Lehr-Regiment, 1983, S. 10 f., 21992, S. 932
162 f. Im Geleitwort schrieb Harry Herrmann: »Zu zeigen, dass wir deutsche Fallschirmjäger tapfer und ehrenhaft für unser Vaterland gekämpft und gelitten haben. Treue um Treue.« 239 Special Report CSDIC AFHQ No. 105, 6 Mar 1944, TNA, WO 208/5508. 240 Zustandsbericht 26. Panzerdivision, 1. 1. 1944, 1. 2. 1944, 1. 3. 1944 http://www.lexikon-derwehrmacht.de/Gliederungen/Panzerdivisionen/26PDR.htm. Vgl. Zustandsberichte der Division Hermann Göring vom 1. 12. 1943, 1. 1. 1944, 1. 2. 1944, BArchMA, RL 32/27, sowie die Klage über den mangelnden Ausbildungsstand der Truppe, vorgetragen von einem Dutzend Offizieren bei Hitler über die Kampfverhältnisse bei Anzio. Das Argument, dass die deutsche Artillerie gegen die Sonne geschossen habe, erscheint aus heutiger Sicht wenig stichhaltig. KTB OKW, Bd. 4, 1944–45, S. 169. 241 KTB 14. Armee, 1. 2. 1944, BArch-MA, RH 20-14/24; Lüttwitz, Soldat in 4 Armeen, BArch-MA, N 10/9, S. 229; Die Kämpfe der 26. Pz Division in Italien, BArchMA, N 10/3, S. 36–43. 242 Albert Kesselring hat die 26. Panzerdivision wohl mehrfach so bezeichnet. Lüttwitz, Soldat in 4 Armeen, BArch-MA, N 10/9, S. 224. 243 Erich Duensing, Einsatz an der Nettunofront – Februar 1944, Angriff der 362. Infanterie-Division, BArch-MA, ZA 1/1542, sowie eine Schilderung des Divisionskommandeurs Heinrich Greiner aus dem Jahr 1967, BArch-MA, N 542/19. Die Division hatte 1500 Verluste. Solche Ausfälle in so kurzer Zeit kamen auch 933
im Frankreichfeldzug 1940 durchaus vor, hatten aber keine vergleichbar negativen Folgen für die Moral der Truppe. Einen guten Einblick in die Kämpfe der 65. Infanteriedivision bieten die Tagebuchnotizen des 1. Ordonnanzoffiziers im Divisionsstab Heinrich Greeven, BArch-MA, RH 26-65/16. 244 KTB General der Artillerie, 16. 3. 1944, BArch-MA, RH 11 II/1; KTB OKW 1944–45, S. 170. Vgl. FS AOK 14, Ia Nr. 1364/44, 17. 3. 1944, BArch-MA, RH 20-14/27. Die Armee hatte schon Anfang März mit der Ausbildung von zumeist einer Sturmkompanie in dreiwöchigen Lehrgängen begonnen. LXXVI. Pz Korps Ia Nr. 443/44, 3. 3. 1944, BArch-MA, RH 20-14/27. Zu den unrealistischen Forderungen des OKW, den Krieg wie 1918 zu führen: BArch-MA, RH 20-14/27. Selbst die Briten meinten: »Much of the technique of 1914–18 had to be revived.« Lessons of the Italian Campaign, Nov, 1944, TNA, WO 204/7610. 245 Overmans, Verluste, S. 239. 246 Aktennotiz Nettuno, 13. 4. 1944, Generalleutnant Jahn, BArch-MA, RH 11-II/2. Der Kommandeur der 715. Infanteriedivision meinte, dass sein Artilleriekommandeur nicht in der Lage sei, sein Regiment zu führen. Hildebrandt, Kdr. 715. ID (mot), 22. 2. 1944, BArch-MA, RH 26-715/15; ein ähnlich negatives Zeugnis stellte er einem seiner Abteilungskommandeure aus. 715. Infanterie-Division (mot), 17. 4. 1944, BArch-MA, RH 26-715/19. 247 Generalleutnant Curt Jahn war von März 1939 bis Oktober 1940 Kommandeur der Artillerieschule und vor Anzio der Höhere Artilleriekommandeur der 14. Armee. 934
Zur Kritik am Artillerieeinsatz siehe: Der Feldzug in Italien, BArch-Ma, ZA 1/2300, S. 451. Die Nachkriegserklärungen zum Einsatz der Artillerie bei Anzio siehe Walter Kühn, Die Artillerie bei Anzio, Barch-MA, ZA 1/1507. Unklar sind die Verschusszahlen. Im KTB OKW heißt es: »16.–23. 2. eigener: 22 000, Feind: 23 000. 29. 2. im Angriffsbereich 23 000 ungefähr so viel auch der Feind. Feindl. Abwehr von Ablenkungsangriff an Ostfront am Mussolini-Kanal mit 60 000 Schuss.« KTB OKW, Bd. 4: 1944–45, S. 165. 248 Vgl. etwa den Erfahrungsbericht der 29. Panzergrenadierdivision über die Kämpfe auf Sizilien und in Salerno, BArch-MA, RH 11 I/27. 249 Vgl. KTB OKW, Bd. 4: 1944–45, S. 175 f. 250 Schon im Frankreichfeldzug war bemängelt worden, dass der Truppe die Übung im Einsatz mit künstlichem Nebel fehle, der sich aber überall, wo er eingesetzt wurde, voll bewährt und die Verluste verringert habe. OKH, Nr. 2400/40, Taktische Erfahrungen im Westfeldzug, 20. 11. 1940, S. 9, BArch-MA, RH 21-4/550. 251 Aufgrund der vielen Luftangriffe auf die Eisenbahnverbindungen in Italien und der anschließenden Streckensperrungen gelang es der Wehrmacht im Winter 1943/44 nicht, einen größeren Vorrat an Munition anzulegen. Im Dezember 1943 verschossen die deutschen Truppen 11 325 Tonnen Munition, während 11 700 Tonnen zugeführt werden konnten. Beurteilung der Versorgungslage im Bereich der Aussenstelle OKH/GenQu Italien, 13. 1. 1944, BArch-MA, RH 3/135. Andererseits entspannte sich die Verkehrslage im Februar, sodass im März 1944 schon drei 935
Munitionsausstattungen bei den Einheiten vorhanden waren. KTB OKW, Bd. 4: 1944–45, S. 168. Vgl. auch Ernst Eggert, Der Feldzug in Italien. Die Versorgung, Mannheim 1948, sowie Versorgung und Versorgungsführung von der Landung bei Anzio-Nettuno bis zum Beginn der alliierten Mai-Offensive 1944, BArch-MA, MSG 2/7283. 252 Lieb, Unternehmen Overlord, S. 84. 253 Dazu Stimpel, Fallschirmtruppe, Einsätze auf Kriegsschauplätzen im Osten und Westen, S. 166–171. Der amerikanische Gefechtsbericht findet sich in 101st A/B Div Cotentin Peninsula 6 Ju-10 Jun 44, NARA, RG 407, Box 19067 (270: 62/09/03). 254 Lieb, Konventioneller Krieg, S. 437. 255 Vgl. https://www.dday-overlord.com/en/battle-ofnormandy/cities/breville-les-monts. 256 357 000 1941 zu 348 960 im August 1944. Overmans, Verluste, S. 239. 257 Für die Westfront vgl. Neitzel/Welzer, Soldaten, S. 262 f. Für die Ostfront vgl. etwa Generalkommando X. Armeekorps IIa Nr. 872/44 geh., 6. 8. 1944, CAMO 500/12480/29. Das Dokument spricht vom Versagen der Infanterie, die im Bereich des Armeekorps Auflösungserscheinungen gezeigt hätte, die es mit Stumpf und Stiel auszurotten gelte. Die Vollstreckung von zwei Todesurteilen gegen zwei Infanteristen, die ohne Befehl ihre Stellung verlassen hatten, wurde vom X. Armeekorps den unterstellten Einheiten bekannt gegeben. 258 SRM 742, 3. 8. 1944, TNA, WO 208/4138; Hartdegen war Offizier im Stab der Panzerlehrdivision. 936
259 Alfred Ibach, 15. 9. 1944, NARA, RG 165, Entry 179, Box 544. 260 SRM 808, 21. 8. 1944, TNA, WO 208/4138, Hauptmann Löchel. 261 SRM 771, 1. 8. 1944, Oberfeldwebel Blank. TNA, WO 208/4138, 262 SRM 817, 23. 8. 1944, TNA, WO 208/4139, Beck. 263 SRM 875, 29. 8. 1944, TNA, WO 208/4139, Viebig. 264 SRM 763 7. 8. 1944, Leutnant Freiwald; SRM 758, 4. 8. 1944, Hartdegen; SRM 747, 3. 8. 1944, dito; SRM 838, 25. 8. 1944, Feldwebel Helldorf, TNA, WO 208/4138, 4139. 265 Neitzel, Abgehört, S. 137. 266 Ebenda, S. 146. 267 Ebenda, S. 45. 268 Neitzel, Kampf. 269 OKH GenSt. d. H. Ausb. Abt. (II), 12. 11. 1944, Bericht über die Reise zur Heeresgruppe B, BArch-MA, RH 11I/28. 270 Die Deutschen hatten mit 67.000 Mann etwas geringere Verluste als die Alliierten (75.000). Vogel, Kriegführung, S. 632. 271 Ausbildungsabteilung, Nr. 200/45, Ausbildungshinweise Nr. 35 (West), 13. 1. 1945, CAMO 500/12451/195. Als Beispiele für die Ostfront vgl. Erfahrungen aus der 2. Abwehrschlacht in Kurland, 2. 12. 1944, CAMO 500/12480/271, Bl. 39–43. 937
272 Vgl. als Beispiel den Gefechtsbericht der 78. VolksSturmdivision für die Zeit vom 15. 1. –15. 2. 1945, 2. 3. 1945 (Archiv Verfasser), der deutlich macht, dass trotz des chaotischen Rückzugs die Division als Einheit erhalten blieb und der Berichterstatter sich stetig bemühte, die Fehler der oberen Führung und die gute Haltung der Division herauszustellen. Im Duktus unterscheidet sich der Bericht nicht von unzähligen anderen, die in den vorherigen Kriegsjahren verfasst wurden. 273 Kunz, Wehrmacht und Niederlage, S. 63. 274 Hierzu Kershaw, Das Ende; Kunz, Wehrmacht und Niederlage; Zimmermann, Pflicht zum Untergang; Keller, Volksgemeinschaft am Ende. 275 Yelton, Hitler’s Volkssturm. 276 Laut offiziellen Angaben von Krivošeev verloren die sowjetischen Streitkräfte im 1. und 2. Quartal des Jahres 1945 557 643 Tote im Kampf, 148 028 verstarben in Lazaretten, 26 509 starben an Krankheiten und Unfällen, 68 637 wurden vermisst oder gerieten in Gefangenschaft. Ein Großteil von diesen dürfte umgekommen sein. Insgesamt sind es also 800 817 Mann »unersetzbare Verluste«. Krivošeev, Grigorij u. a. (Red.): Velikaja Otečestvennaja bez grifa sekretnosti. Kniga poter’ [Der Große Vaterländische Krieg, ohne Geheimhaltungsvermerk. Buch der Verluste], Moskau 2010, S. 60. Für diesen Hinweis danke ich Otto Ermakov. 277 In Bautzen wurden das 7. Mechanisierte Gardekorps und die 254. Schützendivision schwer angeschlagen. Im weiteren Verlauf der Kämpfe erlitten auch polnische Verbände der 2. Polnischen Armee erhebliche Verluste. 938
Allerdings erlahmte die Kraft der deutschen Gegenoffensive in der Oberlausitz nach der Rückeroberung von Bautzen rasch. Berndt, Kämpfe. Einige Fakten über die polnische Sicht in: Doman’ski, 1945. 278 Willems, Violence in Defeat. 279 Vgl. Neitzel/Welzer, Soldaten, S. 80 f. 280 Ebenda, S. 346–354. 281 Man sollte daher eher zurückhaltend sein, den militärischen Wert einer Einheit nach der Zahl der verliehenen Auszeichnungen zu bemessen. Töppel, Ritterkreuz. 282 Eine genaue Statistik ist abrufbar unter http://www.ritterkreuztraeger-193945.de/Sonstiges/Statistiken/Statistiken-Startseite.htm. 283 Vierhaus/Herbst, Biographisches Handbuch, S. 191 f. 284 Warum prominente Mitglieder der NSDAP und der SS ihren Militärdienst eher in der Wehrmacht versahen, ist bislang nicht genau erforscht. Bekannt ist etwa der Fall des promovierten Juristen, Parteianwalts und Hauptsturmführers der SS Heinz Reinefarth, der 1939 als Schütze der Reserve ins Heer eingezogen wurde und im Frankreichfeldzug als Unteroffizier das Ritterkreuz verliehen bekam. Er schied Mitte 1942 aufgrund schwerer Erfrierungen als Leutnant der Reserve aus der Wehrmacht aus, trat dann in die Waffen-SS ein, stieg dort rasch zum Gruppenführer (Generalleutnant) auf und schlug mit brutaler Gewalt den Warschauer Aufstand nieder. Marti, Der Fall Reinefarth. Von den 250 000 Vorkriegsmitgliedern der SS standen im Januar 1940 185 939
000 unter Waffen, wovon eine knappe Mehrheit in der Wehrmacht diente. Zahlenangaben nach: Der Reichsführer-SS, 30. 1. 1940, BArch-MA, N 739/54. 285 Ausführlich hierzu: Römer, Die Volksgemeinschaft, insb. S. 151–163. narzisstische 286 Tagebuch Josef Moll, 10. 12. 1941. Privatbesitz. 287 Liddell Hart, Deutsche Generäle, S. 79. 288 Vgl. Neitzel, Abgehört, insb. S. 29–36. Wie sich in einer deutschen Division eine Kultur etablieren konnte, in der es möglich war, dass ein Kompaniechef »abfällige Äußerungen über die Partei und den Nationalsozialismus machte und sich seiner Bekanntschaft mit Schriftstellern aus Emigrantenkreisen rühmte«, dies letztlich sogar vom Divisionskommandeur gedeckt wurde und erst durch die Beschwerden eines renitenten Leutnants aufflog, zeigt die Akte Oberkommando des Heeres, Heerespersonalamt Nr. 5700/43 geh. Ag P2/Chefgr., 27. 4. 1943, S. 3, CAMO 500/12480/29. 289 Helmecke, Ein »anderer« Oberbefehlshaber? 290 Schmundt, Tätigkeitsbericht 24./25. 6. 1943, S. 75. 291 Zur US Army vgl. Zimmerli, Offizier oder Manager. 292 Inwieweit die strukturellen Veränderungen vor allem eine Reaktion auf die großen Verluste oder primär ideologischer Natur waren, ist umstritten. Vgl. dazu Knox, 1 October 1942, versus Kroener, Weg. 293 Loch, Deutsche Generale, S. 182. 294 Richard, Auswahl und Ausbildung, S. 149 f.; Kroener, Weg. Zur politischen Schulung Förster, Geistige Kriegführung. 940
295 Förster, Wehrmacht im NS-Staat, S. 93–129. 296 Briten und Amerikaner belauschten in den Jahren 1939 bis 1945 rund 14 000 deutsche Gefangene in Speziallagern. Sie erstellten umfangreiche Wortprotokolle. Zu dem Quellenmaterial und den daraus gewonnenen Erkenntnissen siehe Neitzel, Abgehört; Neitzel/Welzer, Soldaten; Gudehus/Neitzel/Welzer, Der Führer; Römer, Kameraden. 297 Römer, Volksgemeinschaft in der Wehrmacht, S. 62–68. 298 Neitzel/Welzer, Soldaten, S. 337–341. 299 Stahel, Wehrmacht. 300 Vgl. Herzog, Scheitelpunkt, insb. S. 34 f. Gewiss war schon in früheren Kriegen von der Opferbereitschaft der Soldaten die Rede. 1916 hieß es in einem Handbuch für den Dienstunterricht: »Gib dein Leben, wenn es sein muss, stolz und getreu dem Vaterlande hin«. Transfeldt, Dienstunterricht 1916/17, S. 190. Jetzt aber hatte das Opfer als solches eine neue Qualität. 301 Briefwechsel von Geyer, Kluge und Boltenstein vom 5. 9., 6. 9. und 15. 9. 1941, in: BArch-MA, N 221/21. 302 16. Infanteriedivision (mot), 14. 3. 1943, Divisionsbefehl zum Heldengedenktag 1943, CAMO 500/12480/315. In ganz ähnlichem Duktus die Ansprache von Heinrich Eberbach an sein Panzerregiment 35 zum Heldengedenktag 1941, in: BArch-MA, N 860/24. Zu Schwerin auch die Biografie von Quadflieg. 303 Zit. nach Neitzel, Bedeutungswandel, S. 256. Darin auch weitere Beispiele dieser Art. 304 Frank/Rath, Rudolf Petersen. 941
305 Generalkommando IX. AK, Abt. Ia Nr. 1561/41, 21. 7. 1941, 1759/41, 18. 9. 1941, BArch-MA, N 221/21. Zur sozialen Praxis des Frontalangriffs und der Kritik daran vgl. auch Römer, Die narzisstische Volksgemeinschaft, S. 189–194. 306 Zahlen nach Folttmann/Müller-Witten, Opfergang, S. 19. Die Zahlen der an der Front gefallenen Generäle betrug 1914/18: 63, 1939/45: 292. In den Zahlen sind zur besseren Vergleichbarkeit die Generäle der Waffen-SS und Polizei nicht enthalten. 307 Simms, Reichenau, S. 438. 308 So bemängelte Hauptmann Heinrich von Vietinghoff während der Frühjahrsoffensive 1918, dass der Brigadeund Divisionskommandeur in einer solchen Lage zu Pferde nach vorn und nicht nach hinten in den Unterstand gehöre. Tagebuch, 9. 4. 1918 sowie 13. 4. 1918, BArchMA, N 574/2. Smilo Freiherr von Lüttwitz kam sich geradezu »erbärmlich« vor, im Frühjahr 1943 mit seiner Division in Frankreich stationiert zu sein, während sich alle anderen mit den Russen herumschlugen. Lüttwitz, Soldat in 4 Armeen, 12. 4. 1943, BArch-MA, N 10/9, S. 199. Lüttwitz war einer jener Kommandeure, die das Führen von vorne wörtlich nahmen. 309 Infanterie-Regiment 500/12480/325. 412, 21. 10. 1942, CAMO 310 Hierzu auch Römer, Die narzisstische Volksgemeinschaft, S. 189–198. Dies Verherrlichung des Sturmangriffs war freilich nichts genuin Deutsches und lässt sich in vielen Ländern nach dem Ersten Weltkrieg nachweisen. 311 Im Herbst 1941 wurde die 1. Kavalleriedivision zur 24. Panzerdivision umgebildet; damit verschwand vorerst der 942
letzte selbstständige große Kavallerieverband aus der Wehrmacht. Erst im Sommer 1943 wurde mit dem Kavallerieregiment Mitte unter Major Georg von Boeselager ein neuer selbstständiger Reiterverband gebildet. In der Waffen-SS gab es zwei Reiterregimenter, die zunächst zu einer Brigade und ab Herbst 1942 zur 8. SS. Kavalleriedivison »Florian Geyer« ausgebaut wurden. 312 Gab es in der Wehrmacht 18 Farben, waren es in der Reichswehr nur elf. 313 Eberhard Frommann meint in dem Lied nationalsozialistischen Aggressionsgeist zu erkennen, verkennt dabei aber, dass der Angriff nichts genuin Nationalsozialistisches war. Er gehörte spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts zur (preußisch-)deutschen Militärkultur und lässt sich in ähnlicher Form auch in anderen Ländern wiederfinden. Frommann, Lieder der NS-Zeit, S. 125. In der Panzertruppe gab es andere Lieder, in denen die Verbindung zum NS-Gedankengut weit stärker war. So etwa »Kameraden, es rasseln die Ketten«, worin von Walhall die Rede war, davon, dass die Soldaten für den Führer bis ans Ende der Welt ziehen und dass man kein Pardon kenne. Dies war auch das Regimentslied des Panzerregiments 35 von Heinrich Eberbach. In seinem Nachlass finden sich einige abschwächende Überarbeitungen des Liedes, wobei nicht klar ist, ob diese zeitgenössisch sind. BArch-MA, N 860/24. 314 »Kein schöner Tod ist in der Welt«; »Auf, auf zum Kampf«, in: Soldatenlied, S. 12, 161. 943
315 »Brüder, Brüder, jetzt geht’s in den Krieg«, in: ebenda, S. 23; »Stolzenfels am Rhein«, zit. nach Meier, Das deutsche Soldatenlied, S. 31. 316 »Auf, Bruder, laßt uns fröhlich singen«; »Das schönste Leben auf der Welt«; »Die Preußen stürmen«, in: Soldatenlied, S. 13, 31, 42. 317 »Ein Grenadier auf dem Dorfplatz stand«, in: ebenda, S. 59. 318 »Kämpfen und bluten gern, Für Thron und Reich«. 319 »Zu Champigny im Felde« (württembergisches Kriegerlied, das sich auf die Schlacht von Champigny 1870 bezieht), in: Soldatenlied, S. 285. 320 Vgl. Elbers, Soldatenlied, S. 244. 321 Siehe vergleichend Frommann, Lieder der NS-Zeit, S. 97–110. 322 Tagebuch Ferdinand von Senger und Etterlin, 5. 3. 1944. 323 Pöhlmann, Panzer, S. 513. 324 Siemens, Sturmabteilung, S. 341. Die SA suchte den Erfolg der Fallschirmjäger in Holland und Belgien 1940 für sich propagandistisch auszuschlachten und meinte, dass 90 Prozent der Soldaten aus der SA stammten, was völlig übertrieben war. Die 1200 Mann der SA-Standarte »Feldherrnhalle« waren auch keine an die Straßenschlachten der frühen Dreißigerjahre gewöhnten »alten Kämpfer«, sondern zumeist junge Männer, die nach 1933 in die SA eingetreten waren. 325 Er gehörte von 1925 bis 1932 einem württembergischen Reiterregiment an, wo u. a. Hermann Balck sein Vorgesetzter war, wechselte dann aber zur Fliegerei. 944
326 Erinnerungen von Heinz Jurascheck, MS, S. 9 (Kopie Archiv Verfasser). Das Lied erfreute sich im Krieg großer Beliebtheit und wurde selbst noch vor dem letzten Sprungeinsatz im Dezember 1944 während der Ardennenoffensive gesungen. »Die Leute waren von einer ungeheuren Freude« und sangen »in der ersten Zeit in der Maschine« das Fallschirmjägerlied »Rot scheint die Sonne«, so ihr Kommandeur Friedrich August Freiherr von der Heydte, SRGG 1131, 26. 2. 1945, S. 11, TNA, WO 208/4170. 327 Ristow, Sturmgrenadiere, S. 15. Warum das FallschirmInfanteriebataillon des Heeres ausgerechnet die Tradition des 1916 aufgestellten Sturmbataillons Nr. 7 aufnahm, ist nicht bekannt. Der ehemalige Kommandeur der »Stürmer 7«, Hans Friedrichs, war als Generalmajor der Reichswehr 1929 pensioniert worden und ab 1934 Oberbürgermeister von Potsdam. Dort war Richard Heidrich seit 1935 an der Kriegsschule tätig. Beide waren überzeugte Nationalsozialisten, sodass ein Kontakt nicht unwahrscheinlich ist. 328 Tagebuch Wolfram von Richthofen, BArch-MA, N 671/4, S. 35. Vgl. auch S. 37–41. 329 Der Einsatz einer Kompanie Fallschirmjäger im mittelnorwegischen Dombås geriet zum Desaster. Ebenso missglückte die Eroberung Den Haags am 10. 5. 1940 unter schweren Verlusten. 330 Richthofen notierte vier Tage vor Angriffsbeginn in seinem Tagebuch: »Ich habe den Eindruck, dass der ganze Laden Student unglaublich kriegsfremd und unwendig ist. Habe daher Sorge für Gelingen.« Tagebuch 945
Wolfram von Richthofen, 16. 5. 1941, BArch-MA, N 671/7. 331 Ebenda, 20. 5. 1941, BArch-MA, N 671/7. 332 Dies gilt zumindest für Oberst Bruno Bräuer, Kommandeur des Fallschirmjägerregiments 1. Vgl. Ernst Mössinger, Ein kritischer Bericht über den Einsatz der deutschen Fallschirmtruppe auf der Mittelmeer-Insel Kreta vom 20.–29. 5. 1941 im Abschnitt Iraklion-Ost aus der Sicht des ehem. I. Bataillon/FallschirmjägerRegiment 1, o. O. 1987, sowie Nachträgliche Bewertung der takt. Einsatzplanung von Kreta [Vortrag vermutlich von Ernst Mössinger, o. D.], BArch-MA, BW 57/736. Richthofen notierte am 26. 5. 1941 über eine Meldung der 5. Gebirgsdivision »über Erdlage und Zustand der Truppe« in sein Tagebuch: »Fallschirmtruppen sehr nieder, Verluste, Offiziersverluste, ganz durcheinander und sehr undiszipliniert. Im Erdkampf nicht ausgebildet. Bestätigung meines bisherigen Eindrucks.« Weder in dem vorläufigen Erfahrungsbericht noch im abschließenden Gefechtsbericht des IX. Fliegerkorps, beide vom 11. 6. 1941, wird zu diesen kritischen Stimmen Stellung genommen. BArch-MA, RL 33/98, –/116. Die offiziellen Unterlagen der 5. Gebirgsdivision nehmen zur Kampfkraft der Fallschirmjäger und der Planung der Operation nicht Stellung. Gefechtsbericht über den Einsatz der 5. Gebirgs-Division auf Kreta, Mai 1941, BArch-MA, RH 28-5/88; Kriegstagebuch der 5. Gebirgsdivision Mai 1941 in: BArch-MA, RH 28-5/1. 333 So der Titel eines von herausgegebenen Bildbandes. Kurt Student 1942 946
334 So Smilo Freiherr von Lüttwitz über das II./FJR 1 am 6. 12. 1943, Lütwitz, Soldat in 4 Armeen, BArch-MA, N 10/9, S. 223. 335 Tagebuchnotizen Heinrich Greeven, BArch-MA, RH 2665/16, S. 22. 336 86 Angehörige der 1. Fallschirmjägerdivision bekamen das Ritterkreuz verliehen und führten damit die Rangliste aller Wehrmachtdivisionen an. 337 Abgedruckt in Stimpel, Fallschirmtruppe, Innenansichten, S. 256. 338 So meinten die Briten, dass die gefangenen Offiziere der 3. Fallschirmjägerdivision fast ausschließlich überzeugte Nationalsozialisten seien. Corps Intelligence Summary, No. 56, 8. 9. 1944, TNA, WO 171/287. 339 1. FschJgDiv/Kdr, Denkschrift über Gliederung, Bewaffnung und Ausrüstung einer Fallschirmjägerdivision sowie über die Grundsätze der Gefechtsführung im Rahmen einer Fallschirmjägerdivision, 11. 9. 1944, BArch-MA, RH 11 I/24. 340 Das gilt in jedem Fall für die ersten vier Kerndivisionen der Fallschirmjägertruppe, die bis Ende 1943 aufgestellt wurden. Vgl. Müllers, Elite. Zumindest für die Fallschirmpanzerdivision »Hermann Göring« ist belegt, dass sie zu den Geburtstagen Hitlers und Görings sowie zum 30. Januar eine Feierstunde abhielten. KTB II./PzRegiment HG, BArch-MA, RL 32/118. 341 So die Textzeile des Liedes »Auf, Fallschirmjäger tretet an«, Stimpel, Fallschirmtruppe, Innenansichten, S. 67. 947
342 Erinnerungen von Heinz Jurascheck, MS, S. 17–19 (Kopie Archiv Verfasser). 343 SRGG 971, 9. 8. 1944, TNA, WO 208/4168. 344 Zit. nach: Petter, Massengesellschaft, S. 363. Vgl. auch Oberbefehlshaber der 10. Armee, Ia/IIa Nr. 218/43 geh., 28. 8. 1943, BArch-MA, RH 24-14/211. 345 Zu den frühen Zwischenfällen von Wehrmacht und SS vgl.: Der Reichskriegsminister, Az 1 n 56 11 J(Ia), 25. 1. 1938, BArch-MA, RH 53-7/68. 346 In aller Ausführlichkeit Großdeutschland. unlängst: Tewes, 347 Wie sehr die Division erst eine eigene Identität entwickeln musste, belegen die Notizen im Tagebuch der II. Abteilung des ab November 1942 aufgestellten Panzerregiments. Es ist von Spannungen zwischen »blauen« (= Luftwaffe) und »schwarzen« (= Panzertruppe/Heer) Männern die Rede. »Während die Angehörigen der Luftwaffe im allgemeinen als frisches, bestes Menschenmaterial zu bezeichnen sind, kommen die Leute vom Heer aus allen möglichen Pz-ers. Abteilungen Deutschlands. Es handelt sich also häufig um kriegsmüde, teils körperlich, teils geistig schwache Männer.« Dem Regimentskommandeur, einem erfahrenen Panzermann des Heeres, war sehr bewusst, dass man die Männer nicht über Nacht zu einem »festen, stolzen und einsatzbereiten Regiment« zusammenschweißen konnte. Er appellierte aber an seine Soldaten, dass der Ärmelstreifen sie verpflichte, dass es eine besondere Ehre sei, den Namen des Reichsmarschalls zu tragen, und dass sie einer Elitetruppe angehörten. KTB II./PzRegiment Nov. 42-April 43; 28. 1. 1943, BArch-MA, RL 32/118. 948
348 Lehnhardt, Die Waffen-SS. 349 Tagebuch Hermann Balck, 20. 1. 1944, BArch-MA, N 647/12. 350 Dazu demnächst Chris Helmecke, Waffen-SS im Fronteinsatz. Kriegführung und militärischer Wert der SS-Panzer-Divisionen 1939–1945, Diss. phil. Uni Potsdam. Bremm, Waffen-SS, scheint im Lichte der Forschungen Helmeckes in seiner sehr kritischen Haltung zum militärischen Wert der SS-Divisionen eher über das Ziel hinauszuschießen. 351 So Lieb, Konventioneller Krieg. 352 Dazu anhand der Abhörprotokolle Neitzel/Welzer, Soldaten, S. 361–390 Carl-Gero von Ilsemann schrieb über eine Frontreise zu den SS-Divisionen 1943: »Entsetzt waren wir von den Unterhaltungen, in denen übelste und brutalste Judenwitze zur Tagesordnung gehörten.« Ilsemann an Ekkehard Asbeck, 10. 12. 1983, BArch-MA, N 736-29. 353 So der Befund für den Kriegsschauplatz in Frankreich (Lieb, Konventioneller Krieg) und Italien (Gentile, Wehrmacht). Zur Frage, inwieweit die 7. SS-Division »Prinz Eugen« auf dem Balkan brutaler vorging als die Wehrmachtdivisionen, siehe: Casagrande, SS-Division »Prinz Eugen«; Schmider, Vernichtungskrieg. Für den sowjetischen Kriegsschauplatz gibt es aufgrund der schlechten Quellenlage zu wenig gesicherte Erkenntnisse zu den Kriegsverbrechen der SS-Divisionen, um einen Vergleich mit Wehrmachtdivisionen vorzunehmen. 354 Vgl. Packheiser, Truppenbetreuung. Heimaturlaub; Vossler, 949
355 Korpskommando XV. AK, Ia 4. 10. 1939, BArch-MA, RH 21-3/4. 356 Der Oberbefehlshaber des Heeres, 11. 7. 1940, CAMO 500/12480/56. Vgl. auch Armee Oberkommando 6, Ia Nr. 3104/40 geh, 10. 8. 1940, CAMO 500/12472/289, Bl. 2. Es gab aber auch andere Stimmen dazu: Feldmarschall Fedor von Bock meinte, dass Drill ein gerade für den deutschen Soldaten durch nichts zu ersetzendes Mittel innerer und äußerer Erziehung sei. Bock war einer der ältesten Generäle des Heeres, 1880 geboren und 1898 als Fähnrich in das 5. Garde-Regiment eingetreten. Heeresgruppe B Ia Nr. 4483/40 gKdos, 24. 9. 1940, CAMO 500/12454/58. 357 Anlage zu OKH/GenStdH/AusAbt (Ia) Nr. 340/44 g v. 23. 1. 1944, Ausbildungsplan für Unterführeranwärter (6Wochen-Lehrgang), CAMO 500/12466/65. 358 Etwa in: Der Oberbefehlshaber des Heeres, Nr. 5343/39 PA (2) Gr. I/Ia, 25. 10. 1939. CAMO 500/12451, Akte 160; ders., PA (2) Ia Az 14 Nr. 6190/42, 22. 5. 1942, CAMO 500/12480/56. 359 Vgl. z. B. Kießling, Versäumter Widerspruch, S. 14–18. 360 Beispiele finden sich in: Der Oberbefehlshaber des Heeres, Nr. 6650/39 PA (2) Gr. I/Ia, 18. 12. 1939. CAMO 500/12480/59. 361 Der Offizier wurde zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis sowie Rangverlust verurteilt. Oberkommando des Heeres, Heerespersonalamt, Nr. 5700/43 geh. Ag P2/Chefgr., 27. 4. 1943, S. 7, CAMO 500/12480/29. 362 Noch am 1. 2. 1945 wurde Leutnant Joachim Brüll vom Gericht der Wehrmachtkommandantur Berlin zu drei 950
Wochen geschärftem Stubenarrest verurteilt, weil er Anfang Januar die Männer seines Pak-Zuges während einer Übung dazu gezwungen hatte, als Mutprobe von einem 2,48 m hohen Bunker zu springen. Mindestens zwei Soldaten verletzten sich dabei, einer davon mit einem Mittelfußbruch. Für diesen Hinweis danke ich Konstantin Eckert. 363 Ausführlich dazu demnächst Eckert, Menschenführung in der Wehrmacht. 364 Römer, Volksgemeinschaft in der Wehrmacht, S. 67. 365 Eine farbige Beschreibung des Führungsstils von Hermann Balck in: Mago/Rosenboom, Theodor Poretschkin, S. 180–183. Nach dem Frankreichfeldzug wurde Balck durchaus für seine überharte Menschenführung kritisiert. So hieß es: »Starke, eigenwillige Persönlichkeit, hart gegen sich u. s. Untergebenen, denen er das Letzte abzufordern versteht. In seiner Härte fehlt es ihm bisweilen an Herz für seine Untergebenen. Sein Regiment empfand diesen Mangel schmerzlich, bei aller Achtung vor seinem Können u. persönl. Einsatz. Führt s. Rgt. vor d. Feinde mit bes. Schneid u. sicherem Führerinstinkt u. nie erlahmendem Vorwärtsdrang. […] Neigt dazu, bisweilen zu selbstbewusst zu sein. Sein erzieherischer Einfluß auf das Offz. Korps für das Verhalten außer Dienst u. i. der Öffentlichkeit ist unzureichend.« Beurteilung 11. 2. 1941, BArch-MA Pers 6/73. 366 So wurde Heinz Karst – er wird uns in seiner Rolle in der Bundeswehr noch beschäftigen – als Kommandeur der Aufklärungsabteilung 120 im April 1944 abgesetzt, weil er »aussergewöhnlich kritischen Lagen […] aus Mangel 951
an innerer Seelenstärke« nicht immer gewachsen sei. 20. Panz.Gren.Div., Ausserterminliche Beurteilung über Hauptmann Karst, Kdr. Panz.Aufkl.Abt.120, 21. 4. 1944, Personalakte, NARA. 367 Heinrich Eberbach an seine Frau, 9. 7. 1941, BArch-MA, N 860/10. Ähnlich Lüttwitz, Soldat in 4 Armeen, BArchMA, N 10/9, S. 161, 163. 368 Siehe auch sein Rundbrief Nr. 2 zu Weihnachten 1939 an die Regimentsangehörigen, BArch-MA, N 860/24. Römer sieht im Paternalismus etwa eines Theodor Habichts und Kameradschaft einen Gegensatz, den ich viel weniger stark akzentuieren würde. Römer, Narzissistische Volksgemeinschaft, S. 179. 369 Oberkommando des Heeres Gen St. H. Nr. 130/39 gKdos 30. 7. 1939, Bericht über die Beteiligung des deutschen Heeres am spanischen Bürgerkrieg, S. 40. CAMO 500/12451/535. 370 Heinrich Eberbach an seine Frau, 30. 8. 1939, BArchMA, N 860/8. 371 Der Oberbefehlshaber des Heeres Nr. 6650/39 PA (2) Gr. I/Ia, 18. 12. 1939. CAMO 500/12480/59; Anlage 3, ObdH/GenStdH/OQu I, Nr. 500/40g g v. 7. 10. 1940, CAMO 500/12451/160. 372 Oberbefehlshaber des Heeres, Nr. 133/40, PA (2) Ia, 27. 2. 1940. 373 Oberbefehlshaber des Heeres, Nr. 2460/40 PA (2) Gr. I/Ia, 6. 4. 1940. 374 Oberbefehlshaber des Heeres, Heereswesen-Abt i. G./PA Ic, 31. 8. 1940. 952
375 Disziplinarbericht 8. Z-Flottille, 1. 7. 1942–1. 9. 1943, BArch-MA, RM 58/39. 376 Oberbefehlshaber des Heeres, Heereswesen-Abt i. G./PA Ic, 31. 8. 1940; Oberkommando des Heeres, Heerespersonalamt, Nr. 5700/43 geh. Ag P2/Chefgr., 27. 4. 1943, S. 4, CAMO 500/12480/29. 377 Der Oberbefehlshaber der 9. Armee, 17. 7. 1941, CAMO 500/12480/59. 378 Tagebuch Hauptmann Zetzsche, 25. 10. 1941, BArchMA, N 221/49. 379 Smilo Freiherr von Lüttwitz, Soldat in 4 Armeen, 18. 2. 1942, BArch-MA, N 10/9, S. 163. 380 Der Oberbefehlshaber der 4. Armee, 19. 11. 1943. Betr. Verstösse gegen die Disziplin und Manneszucht, CAMO 500/12451/434. 381 370. Inf.-Division Kommandeur, 1. 4. 1944, CAMO 500/12477/906, Bl. 1. 382 25. Panzergrenadierdivision, Ia Nr. 527/44 geh., 25. 4. 1944, CAMO 500/12480/56. 383 Römer, Narzissistische Volksgemeinschaft, S. 224. 384 Smilo Freiherr von Lüttwitz hat in der USKriegsgefangenschaft 1946 die Frage nach dem Grund für die vergleichsweise hohe Moral der Truppe vor allem mit der horizontalen Kohäsion beantwortet. Für seine zeittypische Gewichtung einzelner Faktoren vgl. BArchMA, N 10/7. Lüttwitz war einer der älteren Generäle, die noch in die Bundeswehr übernommen und 1960 pensioniert wurden. Die beiden amerikanischen Soziologen Edward A. Shils und Morris Janowitz stießen in ihren Befragungen deutscher Kriegsgefangener auf die 953
zentrale Bedeutung der Primärgruppen und relativierten damit die Rolle der Ideologie. Dieser Befund wurde später in vielen Studien weiter ausdifferenziert. Vgl. Shils/Janowitz, Cohesion and Disintegration. Zum Thema ausführlich auch Römer, Kameraden; Kühne, Kameradschaft. 385 Rass, Sozialprofil, insb. S. 723–737. 386 Thomas Kühne betont in seiner Studie die Funktion der Sozialkontrolle der Kameradschaft und ihre nachträgliche Mystifizierung. Kühne, Kameradschaft. 387 Briefe an die Eltern, 22. 10. 1942, Nachlass Reese. 388 Ebenda, 17. 12. 1942, Nachlass Reese. Allerdings war auch Willy Peter Reese dem Anpassungsdruck der Gruppe ausgesetzt. In seinem Gedicht »Kameraden« zeichnet er eher ein kritisches Bild der Kameradschaft, was gewiss auch daran lag, dass er trotz aller Schicksalsgemeinschaft als Büchernarr den meisten anderen Soldaten fremd blieb. 389 Vgl. z. B. 10. 12. 1943 und 15. 1. 1944, CAMO 500/12466/65.Vgl. z. B. Heeresschule für Btl-Abt.Führer Antwerpen Abt Ia/34 Nr. 11244. CAMO 500/12480/56. Zum Gesamtkomplex Förster, Geistige Kriegführung. 390 81. Inf.Division, Abt. NS-Führung, 12. 8. 1944, CAMO 500/12480/291. Interessanterweise war selbst Ludwig Beck vor dem Krieg der Überzeugung, dass seelische und moralische Faktoren letztlich über einen Krieg entscheiden, Müller, Beck, S. 227. 391 Etwa in Heeresschule für Btl-Abt.Führer Antwerpen Abt Ia/34 Nr. 11244. CAMO 500/12480/56. 954
392 So beklagte die Wehrmachtstreifengruppe beim ArmeeOberkommando 6, dass es an der Form, wie der Deutsche Gruß geleistet werde, noch sehr viel zu beanstanden gebe. 9. 11. 1944, CAMO 500/12480/145. 393 Werner Otto im heimlich aufgezeichneten Gespräch mit Franz-Josef Friemel, 1. 1. 1945. Zit. nach Römer, Kameraden, S. 208 f. 394 Neitzel, Abgehört, S. 189. 395 101. Jägerdivision, 21. 11. 1944, CAMO 500/12454/271, 6. Panzerdivision Ia Nr. 1304/1944 geh., 3. 12. 1944, CAMO 500/12480/271. 396 Gruppe Nord (früher Gruppe Henze), CAMO 500/12480/38. Zum Terror gegen die eigenen Truppen vgl. Kunz, Wehrmacht, S. 260–265; Zimmermann, Pflicht zum Untergang, S. 139–165, Kershaw, Das Ende, S. 301– 348. 397 Tagebuch Hermann Balck, September 1918, BArch-MA, N 647/5, S. 24. 398 Ebenda, 5. 4. 1945, BArch-MA, N 647/13. 399 Ungvary, Battle for Budapest, S. 172, 211, 326. 400 Budapest war auch für die Verhältnisse an der Ostfront ein Extrembeispiel. Kapitulationsverweigerung und selbstmörderische Ausbruchsversuche gab es 1945 immer wieder, so beispielsweise in Posen oder in Berlin. 401 Vgl. dazu Fügen, »Bis zum letzten Mann«. 402 Bekannte Beispiele sind Josef von Gadolla, Kampfkommandant von Gotha, der am 5. 4. 1945 hingerichtet wurde, oder der Kommandant der Brücke von Remagen, Major Johann Scheller. 955
403 Zit. nach Neitzel, Abgehört, S. 172. 404 Rossino, Hitler strikes Poland, S. 1. 405 Lehnstaedt/Böhler, Einsatzgruppen, S. 7; Pohl, Verfolgung und Massenmord, S. 49; Rossino, Hitler strikes Poland, S. 234; Mallmann/Böhler/Matthäus, Einsatzgruppen in Polen, S. 87 f. 406 Krausnick/Wilhelm, Truppe des Weltanschauungskrieges, S. 57. 407 Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht, S. 81 f. 408 H. Dv. G.2, Dienstanweisung für die Einheiten des Kriegsheeres v. 29. 6. 1939, Berlin 1939, S. 48. Siehe auch das 3. Gebot in »10 Gebote für die Kriegsführung des deutschen Soldaten«. 409 Zur Rede Hitlers am 22. 8. 1939 vgl. Hürter, Heerführer, S. 158 f. Zu den Kriegsverbrechen der Wehrmacht in Polen vgl. ebenda, S. 177–187. 410 CAMO 500/12474/239, S. 4–7. 411 Zit. nach Toppe, Militär und Völkerrecht, S. 298. 412 Im September 1939 sind 4000–5000 Volksdeutsche von Polen ermordet worden, rund 400 von ihnen am 4. 9. 1939 in Bromberg. Krzoska, »Bromberger Blutsonntag«. 413 Die »10 Gebote für die Kriegsführung des deutschen Soldaten« sind leicht im Internet zugänglich. Etwa: https://ic.pics.livejournal.com/blagin_anton/33716210/57 880/57880_original.jpg Siehe auch: Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht, S. 269 f. 414 Der Oberbefehlshaber des Heeres, Az 453 Gen Qu (III) Gen St H Nr. 5962/39, 4. 11. 1939, CAMO 500/12472/591. 956
415 II./I. R. 48, 22. 9. 1939, Dokument im Privatarchiv des Verfassers. Publiziert in: Neitzel, Zeitalter der Weltkriege, S. 36. 416 Die Regimentsgeschichte weist wenig überraschend auf diesen Befehl nicht hin und zitiert das Bataillons-KTB mit der Notiz, dass am 23. 9. 1939 Überläufer vom II. Bataillon gefangen genommen wurden. Michaelis, Infanterie-Regiment 48, S. 103 f. 417 Pohl, Herrschaft der Wehrmacht, S. 51 f. 418 Böhler, Auftakt, S. 241. 419 Heinrich Eberbach an seine Frau, 20. 9. 1939, BArchMA, N 860/8. Die Verwendung von sogenannten DumDum-Geschossen – Projektile ohne Spitze, die im menschlichen Körper besonders verheerende Verwundungen hervorrufen – war laut Art. 23 der HLKO verboten. Wie der Gebrauch zu ahnden war, ist dort nicht geregelt und scheint hier nach Gutdünken vorgenommen worden zu sein. 420 Heinrich Eberbach an seine Frau, 20. 9. 1939, BArchMA, N 860/8. 421 Ebenda. Ähnlich hymnische Äußerungen über »die geniale Politik des Führers« finden sich im Tagebuch des Kommandeurs der 5. Panzerdivision, Heinrich von Vietinghoff-Scheel, 17. 5. 1939, 24. 8. 1939, 25. 10. 1939, 9. 4. 1940, BArch-MA, N 574/2. 422 Erfahrungen aus der Schlacht am Lysa Gora, 13. 9. 1939, BArch-MA, RH 21-3/4. 423 Korpskommando XIII Ia Nr. 100/39, Kurzer Erfahrungsbericht und Zustandsbericht, BArch-MA, RH 24-13/20. Den Bericht hat wohl Rudolf Hoffmann 957
geschrieben – unterschrieben hat ihn der Befehlshaber General Maximilian von Weichs. Zu den Verbrechen des XIII. Korps in Polen vgl. Rossino, Hitler strikes Poland, S. 164–169. 424 Heinrich Eberbach an seine Frau, 20. 9. 1939, BArchMA, N 860/8. 425 Die deutschen Akten, Briefe und Tagebücher sprechen immer wieder mit großer Anerkennung von der Tapferkeit der polnischen Soldaten. Das XV. Armeekorps hielt im Oktober 1939 sogar fest, dass Vaterlandsliebe und beispielhafte Haltung des polnischen Soldaten den eigenen Männern als Vorbild zu vermitteln seien. Tagebuch Friedrich Olbricht, 21. 9. 1939, S. 3; 30. 9. 1939, S. 5, BArch-MA, N 325/1; Korpskommando XV. AK, Abt. Ia, 4. 10. 1939, BArch-MA, RH 21-3/4. 426 Zu den Gehorsamsexperimenten Stanley Milgrams vgl. Blass, Obedience. 427 Heinrich Eberbach an seine Frau, 4. 9. 1939, BArch-MA, N 860/8. 428 So zumindest Rossino, Hitler strikes Poland, S. 153 f., 176. 429 Es gab international durchaus unterschiedliche Auffassungen, wie mit Freischärlern zu verfahren sei. Bis 1949 scheint es aber eher Rechtsbrauch gewesen zu sein, diese nach einem Kriegsgerichtsverfahren zu exekutieren. Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht, S. 85–88. 430 Es gab wohl auch Fälle, in denen ein Feldgericht einberufen wurde. Friedrich Olbricht notierte in seinem Tagebuch, dass nach einem Gefecht ein »Mann mit deutschem Koppel und deutschen Patronen aufgegriffen« 958
wurde. »Das Feldgericht hatte ihn zum Tode verurteilt. Ich habe es bestätigt.« Tagebuch Friedrich Olbricht, 12. 9. 1939, BArch-MA, N 325/1. 431 Heinrich Eberbach an seine Frau, 18. 9. 1939, BArchMA, N 860/8. 432 Rossino, Hitler strikes Poland, S. 176. Eberbach ließ in seinem Regiment sieben Soldaten wegen Marodierens, Entfernens von der Truppe und Feigheit vor ein Kriegsgericht stellen. Sie wurden zu Strafen zwischen drei und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Heinrich Eberbach an seine Frau, 4. 10. 1939, BArch-MA, N 860/8. Vgl. auch Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht, S. 356–364. 433 Ebenda, S. 343–347. Die versuchte Verurteilung eines Obermusikmeisters der Leibstandarte durch ein Feldgericht der 29. Infanteriedivision wird auch beschrieben in: Smilo Freiherr von Lüttwitz, Soldat in 4 Armeen, BArch-MA, N 10/9, S. 108 f. 434 Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen, S. 79–84. Vgl. auch Clark, Blaskowitz. 435 Vgl. auch die Hinweise bei Mallmann/Böhler/Matthäus, Einsatzgruppen, S. 88. 436 Overmans, Die Kriegsgefangenenpolitik des Deutschen Reiches, insb. S. 748 f. 437 Jan C. Behrends, Rezension zu: Böhler, Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939. Frankfurt am Main 2006, in: H-Soz-Kult, 17. 10. 2006, www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-8061. 438 Das gesamte Bataillon verlor bei seinem NorwegenEinsatz 23 Tote und 84 Verwundete. 959
439 Kriegstagebuch des Uffz. Heinz Ersfeld der 8./I. R. 236 vom 10. 4. 1940–30. 6. 1940, Eintrag 21. 4. 1940, Archiv Verfasser. 440 Es ist heute nicht mehr zu klären, ob die Bestätigung des Regimentskommandeurs noch eingeholt wurde. Die Gerichtsakten der Division sind nicht erhalten. Ersfeld erwähnt nur die Anordnung des Bataillonskommandeurs, der hier offenbar als Gerichtsherr fungierte. Vgl. auch Auszug aus dem Merkblatt für den Regimentskommandeur als Gerichtsherrn (Standgerichtliches Verfahren), o. D., CAMO 500/12451/434. In diesem Merkblatt wird nochmals darauf hingewiesen, dass der Regimentskommandeur nach dem Motto »Schnelle Justiz – gute Justiz« verfahren solle. Für Standgerichtsurteile waren aber immer der Regimentskommandeur oder die Kommandeure selbstständiger Bataillone verantwortlich, keineswegs die Ebene darunter. Vgl. auch Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht, S. 301, Fn. 81. 441 Lieb, Konventioneller Krieg, S. 15–18. 442 Scheck, »They are just Savages«. 443 Hartmann, Verbrecherischer Krieg. 444 Eine genaue Zahl der von der Wehrmacht exekutierten Juden liegt nicht vor. 50 000 ist eine Schätzung von Alex Kay. Sie umfasst u. a. die von der Wehrmacht 1941/42 getöteten 6000 männlichen Juden in Serbien und die mehr als 10 000 Juden in Weißrussland, die die 707. Infanteriedivision umbrachte. Diese Division war gewiss ein Extremfall, aber auch andere Wehrmachtverbände haben Juden ermordet, u. a. die 286. und 454. Sicherungsdivision sowie die 339., 62., 25. und 72. 960
Infanteriedivision. Zur deutschen Besatzungsherrschaft in Europa mit weiteren Zahlen demnächst: Kay, Empire of Destruction. Von den 2,4 Millionen in der Sowjetunion ermordeten Juden starben 450 000–500 000 »unter Hoheit der Wehrmacht«, wie Dieter Pohl festhält, also in einem Gebiet unter Militärverwaltung, in dem die Einsatzgruppen des SD eng mit der Wehrmacht zusammenarbeiteten. Pohl, Herrschaft der Wehrmacht, S. 281. 445 Die Zahlen diskutiert Kriegsgefangenenpolitik, S. 820–825. Overmans, 446 Mit weiterer Literatur Pohl, Herrschaft; Kay, Empire of Destruction. 447 Zahlen auch in Müller, An der Seite, S. 244; Müller, Wehrmacht, S. 85. 448 Kilian, Wehrmacht und Besatzungsherrschaft, S. 336– 347; Rutherford, Combat, S. 380 f. 449 Hill, War behind the Eastern Front. 450 So General Ludwig Crüwell am 14. 2. 1943. Crüwell erlebte die Anfangsphase des Unternehmens »Barbarossa« als Kommandeur der 11. Panzerdivision mit. Neitzel, Abgehört, S. 229. 451 Hürter, Oberbefehlshaber, S. 438. 452 Kilian, Wehrmacht, Partisanenkrieg und Rückzugsverbrechen. Vgl. auch demnächst Christian Stein, Die deutschen Rückzüge an der Ostfront des 2. Weltkriegs 1941–45, Diss. phil Uni Freiburg; Rass, Osarichi. 453 Für das Beispiel Leningrad siehe Reid, Blockada. Die Zahl der exekutierten Fahnenflüchtigen ist in der 961
Literatur umstritten. Es kursieren Zahlen von bis zu 150 000 Exekutierten. Jochen Hellbeck bezweifelt die für Stalingrad genannte Zahl von 13 500 und setzt eine niedrige vierstellige Zahl an. Hellbeck, StalingradProtokolle, S. 24, 75. Er weist darauf hin, dass allein in den ersten dreieinhalb Monaten des Krieges der NKWD 10 201 Rotarmisten wegen des Vorwurfs, sie seien Deserteure, hinrichtete. Über die Gesamtzahl herrscht weiter Unsicherheit, Reese, Stalin’s Soldiers, S. 170–175; Weiner, Soviet System. Generell zum Charakter des stalinistischen Krieges, Baberowski, Verbrannte Erde, S. 395–452. 454 Als deutschsprachige Übersicht mit weiterer Literatur Wierzbicki, Elitenwechsel. 455 Vgl. Brakel, Baranowice, insb. S. 381–387. 456 Lowe, Der wilde Kontinent, S. 266–286. 457 Snyder, Bloodlands. 458 Vgl. ebenda und die Kritik an diesem Ansatz von Zarusky, Bloodlands. 459 Die Berichte über Wellen angreifender Rotarmisten, die vom deutschen Feuer niedergestreckt werden, sind Legion. »Neulich griff uns 1 russ. Div. an […] Trotz wahnsinniger Verluste kamen sie immer wieder. Sie sind von der Kultur, die den Menschen weich macht, noch nicht beleckt. […] Ein furchtbares Volk, das uns noch viel zu schaffen machen wird. Ihr Kampfwert ist seit dem Weltkrieg stark gestiegen. Lüttwitz, Soldat in 4 Armeen, 1962/63, BArch-MA, N 10/9, S. 160 (29. 1. 1942). 460 Lüttwitz, Soldat in 4 Armeen, 1962/63. BArch-MA, N 10/9, S. 142. In dieser Version seiner Erinnerungen sind 962
die Briefe an seine Frau während des Russlandkriegs abgedruckt. 461 Briefe an Pitt, 24. 1., 15. 2. 1942, Nachlass Reese. 462 Tagebuch Zetzsche, 21. 10. 1941, BArch-MA, N 221/49. 463 Tagebuch Zetzsche, 24. 10. 1941, BArch-MA, N 221/49. Auch der Gefreite Willy Peter Reese schrieb häufiger über das Leben auf dem Lande und welche Not dies bei der Bevölkerung verursachte. Vgl. Die russische Passion, Okt. 41, Brief an die Eltern, 25. 11. 1941, Nachlass Reese. 464 In der Abschrift wurde versucht, diese Passage mit dem Kugelschreiber unleserlich zu machen. 465 Heinrich Eberbach an seine Frau, 18. 7. 1941, BArchMA, N 860/10. Interessant ist ein Vergleich mit den Briefen von Smilo Freiherr von Lüttwitz an seine Frau zur selben Zeit. Lüttwitz war Kommandeur des Schützenregiments 12 und kämpfte Seite an Seite mit Eberbachs Panzerregiment 35. Die großen Strapazen des Kampfes, Schmerz und Trauer über den Tod guter Kameraden finden sich hier ebenso wie die Hoffnung, »mit den Russen fertig« zu werden. Die Darstellung jedweder Form irregulärer Gewalt fehlt allerdings. Im Gegenteil: Er schildert, wie er eine verwundete sowjetische Panzersoldatin vor dem »begreiflichen Zorn unserer Männer« rettet, beim Rückzug vor Moskau entgegen dem geltenden Befehl keine verbrannte Erde zurücklässt und der Kommandeur der Nachbardivision, Karl Freiherr von Thüngen, einen Bericht über die »Gefangenenbehandlung« verfasst, »dem ich sehr zustimme. Er ist wie ich für eine anständige Behandlung u. ritterliche Kriegführung«. Diese Hinweise müssen 963
nicht falsch sein, können aber auch der Zusammenstellung aus den Jahren 1962/63 geschuldet sein. Lüttwitz, Soldat in 4 Armeen, BArch-MA, N 10/9, S. 140, 164. Thüngen war in den 20. Juli 1944 verstrickt und wurde am 24. Oktober 1944 hingerichtet. 466 Dazu Neitzel, Abgehört, S. 45 f., 137–143. 467 Während eines Fronturlaubs stellte er aus Exzerpten seiner Briefe und Gedichte einen Roman zusammen, den Stefan Schmitz 2004 veröffentlichte: Reese, Mir selber seltsam fremd. Dieser Text wird von der Forschung viel zu häufig wie ein Tagebuch und nicht wie ein Roman wahrgenommen. 468 Briefe an die Eltern, 25. 9., 26. 9. 1943, Nachlass Reese. 469 Briefe an die Eltern, 23. 11. 1941, Nachlass Reese. Derselbe Befund ergibt sich auch aus einer Sammlung von 37 Gedichten mit dem Titel »Der Grosse Krieg 1941–1944«, die Reese selbst aus vielen Hundert vom ihm verfassten Texten auswählte und auf einem Fronturlaub abtippte. Nur in zwei von 37 kommen dezidiert Kriegsverbrechen vor. Eines handelt von der Tötung eines Kriegsgefangenen, eines von der Ermordung eines Bauern. 470 Briefe an Pitt, 24. 3. 1942, Briefe an die Eltern, 20. 1. 1943, 20. 8. 1943, Nachlass Reese. 471 Briefe an Pitt, 17. 12. 1942, Nachlass Reese. Vgl. auch Briefe an die Eltern, 17. 12. 1942. Die Romanversion dieser Stelle in Reese, Mir selber seltsam fremd, S. 130– 132. 472 Briefe an Pitt, 10. 11. 1943, Nachlass Reese. 964
473 Kühne, Belonging and Genocide. Dem Forschungsproblem des Wissens der Deutschen vom Holocaust widmen sich aus unterschiedlicher Richtung Longerich, Die Deutschen; Dörner, Die Deutschen; Bajohr/Pohl, Holocaust. Vgl. dazu die luzide Rezension von Michael Wildt: https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-10354. Eine gute Zusammenfassung bietet Brakel, Holocaust, S. 167–174. 474 Vgl. Römer, Narzisstische Volksgemeinschaft, S. 228 f. 475 Vogel, Das Eingreifen Deutschlands. 476 Ausführlich dazu Manoscheck, »Serbien ist judenfrei«. 477 Schmider, Partisanenkrieg, S. 422–521. 478 Korb, Ustascha. 479 Schmider, Der jugoslawische Kriegsschauplatz, S. 1070– 1081. 480 Umbreit, Deutsche Herrschaft, S. 37 spricht für die Phase von März 1943 bis Oktober 1944 von 21 000 durch die Besatzungsmächte Getöteten. Vgl. auch Hondros, Occupation, S. 162. Die Zeit ab März 1943 war zweifellos die Hochphase der deutschen Partisanenbekämpfung, diejenige der italienischen Besatzungsmacht lag allerdings davor. Vgl. dazu Santarelli, Muted Violence, insb. S. 290. Mazower, Inside Hitler’s Greece, nennt keine Gesamtzahlen. Zu den Opfern der Partisanenbekämpfung kommen etwa 60 000 griechische Juden und 140 000–250 000 Hungertote. Mazower, Inside Hitler’s Greece, S. 41; Gildea/Wieviorka/Warring, Surviving Hitler and Mussolini, S. 2, 23, 209. 965
481 Lieb, Konventioneller Krieg, S. 412 f. 482 Gentile, Wehrmacht und Waffen, S. 14 f. Zu erwähnen sind auch die 40 000–50 000 italienischen Soldaten, die in deutscher Gefangenschaft starben; dies entsprach einer Todesrate von sechs bis sieben Prozent. Overmans, Kriegsgefangenenpolitik, S. 836. 483 Zwei Tage nach dem Partisanenüberfall auf Wilhelm Crisolli wurden aus der Ortschaft, aus der die Guerillakämpfer stammten, 40 Zivilisten als Geiseln genommen, kurze Zeit später aber freigelassen. Medicus, In den Augen meines Großvaters, S. 208. Der Autor, ein Enkel Crisollis, hat sich in diesem Buch ausführlich mit seinem Großvater auseinandergesetzt. Vgl. auch Gentile, Wehrmacht und Waffen-SS, S. 201–337. 484 Das wohl berühmteste Mitglied der 20. Luftwaffenfelddivision war Alfred Andersch, der spätere Mitbegründer der Gruppe 47. Die Einheit wird ausführlich beschrieben in: Römer/Döring/Seubert, Alfred Andersch, S. 107–145. 485 Lieb, Konventioneller Krieg, insb. S. 505–515, 574–579. Dagegen Meyer, Besetzung, der eher die Gemeinsamkeiten der Radikalität an West- und Ostfront betont. 486 Römer, Kommissarbefehl, S. 535. 487 Messerschmidt, Wehrmachtjustiz, S. 453. 488 Einige Historiker haben die nationalsozialistische Besatzungspolitik und die Aufstandsbekämpfung der Wehrmacht in einer weiteren Perspektive als extreme Form des europäischen Kolonialismus interpretiert. Eine Reflexion darüber mit weiteren Literaturangaben bei 966
Römer, Die narzisstische Volksgemeinschaft, S. 255–267. Es gibt einen Disput in der neueren Forschung über das Ausmaß der Ähnlichkeiten zwischen der deutschen und italienischen Aufstandsbekämpfung in Europa. Die Ähnlichkeiten unterstreicht z. B. Osti Guerrazzi: Cultures of Total Annihilation. Vgl. auch Rodogno, European Empire. Die Unterschiede betonen Scianna, Italian War, S. 238–261; Agarossi/Giusti, Una guerra a parte; Fonzi, Italian Occupation. 489 Generell zum Thema, Overmans, Kriegsgefangenschaft. 490 Das reicht vom Lieber Code 1863 über die Haager Landkriegsordnung von 1907 bis zur Genfer Konvention 1929. 491 Epkenhans, 1870/71, S. 88. 492 Facettenreich dazu Oltmer, Kriegsgefangene. 493 Lehnstaedt, Der vergessene Sieg, S. 150–152. 494 Overmans, Schicksal; Verluste, S. 284–292. ders., Deutsche militärische 495 Die Besonderheit war, dass die Japaner sich seit 1937 offiziell nicht im Krieg mit China betrachteten und es deshalb auch keine offiziellen chinesischen Kriegsgefangenen gab. Gefangene Soldaten wurden entweder sofort getötet oder in die Zwangsarbeit verschleppt, wo die Todesrate sehr hoch war. Melber, Widerstand und Kollaboration, S. 338–359; Mitter, China’s War, S. 138 f. 496 Overmans, Kriegsgefangenenpolitik. 497 Zur Tötung von Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg vgl. Feltman, Tolerance; Cook, Politics of Surrender. Dagegen Ziemann, Gewalt, S. 71–78. Folgende Sätze aus 967
Ernst Jüngers »In Stahlgewittern« finden sich häufig zitiert: »Der Kämpfer, dem während des Anlaufs ein blutiger Schleier vor den Augen wallte, will nicht gefangennehmen; er will töten.« Jünger, In Stahlgewittern, S. 269. Dieser Passus ist in allen Versionen des Werkes seit 1920 enthalten. Vgl. Jünger, In Stahlgewittern, S. 536. In seinen Tagebüchern wurde der Umstand der Gefangenenerschießungen in the heat of the battle nicht ganz so direkt, in der Quintessenz aber ähnlich formuliert: »Allerdings muss man auch Leuten, die auf 5 m Entfernung beschossen sind, nicht übelnehmen, wenn sie auch ihrerseits auf die Vernichtung ihres Gegners erpicht sind.« Jünger, Kriegstagebuch, S. 382. 498 Zit. nach Römer, »Seid hart und unerbittlich …«, S. 319. Hier auch die weitere Literatur und der Verweis auf eine Vielzahl von Quellen. 499 Das bedeutet nicht, dass immer und überall Gefangene gleich erschossen wurden. Die Gewaltspirale konnte auch wieder abklingen, und feindliche Soldaten konnten auf beiden Seiten gut behandelt werden. Während die Jahre 1941/42 gut untersucht sind, weiß man über die Zeit von 1943/45 nur wenig. Insofern sind Aussagen über die gesamte Dauer des deutsch-sowjetischen Krieges hinweg schwierig. Nach bisherigem Kenntnisstand scheint das Ausmaß der Gewalt in der Anfangsphase besonders hoch gewesen zu sein. Vgl. ebenda. 500 Oberkommando des Heeres, Heerespersonalamt, Nr. 5700/43 geh. Ag P2/Chefgr., 27. 4. 1943, S. 3, CAMO 500/12480/29. Über einen ähnlich gelagerten Fall berichtete Wilhelm von Thoma in der Gefangenschaft, Neitzel, Abgehört, S. 258–260. 968
501 Für einen Vergleich zu den Kriegsverbrechen der Italiener an der Ostfront siehe Scianna, Italian War, S. 238–261. 502 Vgl. auch Straus, The Anguish of Surrender. 503 McManus, The Deadly Brotherhood, S. 171–181. 504 Zit. nach Melber, Alliierte Studien, S. 420. Hier auch weitere Verweise auf Literatur und Quellen. Das einschlägigste Werk zu den amerikanischen Kriegsverbrechen im Pazifik ist noch immer Dower, War without Mercy. 505 McManus, The Deadly Brotherhood, S. 183. 506 Bourke, History of Killing, S. 172. 507 Harris, American Soldiers, S. VII. Hier auch eine konzise Zusammenfassung der Literatur zum Thema. 508 McManus, The Deadly Brotherhood, S. 192. 509 Ebenda, S. 193. Weitere Beispiele dieser Art S. 193–196. Vgl. auch WW 2 Operation Report 82nd Airborne Division, Combat Interviews, Folder 170, NARA, RG 407, Box 19058; NARA WW II Operation Reports,1st Lieut. John E. Cunnigham, 79th Division, RG 407, Box 19182. 510 Eine genaue Zahl solcher Exekutionen lässt sich nicht mehr bestimmen. Dass die Soldaten der Waffen-SS in vielen Fällen von westalliierten Soldaten erschossen wurden, ist in der Forschung vielfach belegt. Vgl. z. B. Lieb, Konventioneller Krieg, S. 164–169. 511 So berichtete Sergeant Max Cohen von der 11. USPanzerdivision, dass er zwischen dem 27. und 31. 12. 1944 in vier Fällen mitangesehen habe, wie jeweils 10 bis 20 deutsche Landser »machine-gunned« wurden. NARA, 969
RG 498, Box 51, USFET SGS, Technical Intelligence Report, 16 June 1945. Eine ernsthafte Verfolgung dieser Verbrechen fand nicht statt. Vgl. Report on Results of Investigation into Mistreatment of Prisoners of War by U. S. Forces, 31 December 1945, NARA, RG 498, Box 51. Vgl. auch Lieb, Konventioneller Krieg, S. 175. Beevor, Ardennes 1944, insb. S. 249, 296 f., 364; McManus, The Deadly Brotherhood, S. 194; Pogue, Pogue’s War, S. 297 f. Zu einem relativ gut untersuchten Fall auf Sizilien vgl. Weingartner, Massacre of Biscari. 512 Etwa Ward/Burns, The War, S. 236 f., 266, 331 f. Weitere Hinweise bei Lieb, Eskalation, S. 346–349 und Harris, American Soldiers. 513 Lieb, Eskalation, S. 350. 514 Combat Interviews 4th Inf Division, Utah beach to Cherbourg 6–30 June 1944, NARA, RG 407, Box 19029. Für den Hinweis auf die zitierten NARA-Akten in den Endnoten 509, 511 und 514 danke ich Timothy Mulligan. 515 Es gibt zumindest Hinweise in diese Richtung, etwa durch die 45. US. Infanteriedivision in Nordafrika und Sizilien oder amerikanische Fallschirmjägerverbände in der Normandie. 516 Lieb, Konventioneller Krieg, S. 170–173. 517 So zumindest die ersten Forschungsergebnisse von Alex Kay, Military culture of violence of the British Army 1914–1945. 518 Lehnstaedt, Imperiale Polenpolitik, S. 372 f., 393–397, 400. 519 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 842. 970
520 Zit. nach Förster, Dynamics of the Volksgemeinschaft, S. 181. 521 Dazu Neitzel, National Cultures. 522 Vgl. ausführlich dazu Pahl, Fremde Heere Ost. Schon bei den Landungen in Sizilien, Salerno und Anzio tappte das Amt Ausland/Abwehr völlig im Dunkeln. In den beiden ersten Fällen war man aber durch die Luftaufklärung vorgewarnt. Gundlach, Luftwaffe im Mittelmeer, S. 620, 671. 523 Wenn man die Standardjagdflugzeuge heranzieht. Hierzu ausführlich Wehner, Technikkultur. 524 Zum Hintergrund: Schulze-Wegener, KriegsmarineRüstung; Blair, U-Boot-Krieg; Rahn, Seekrieg im Atlantik, ders., Die Deutsche Seekriegführung. 525 Bell, Britische Feindaufklärung, S 258–337. 526 Salewski, Abwehr der Invasion; vgl. Tagebuch Balck, 6. 6. 1944, BArch-MA, N 647/12. 971
Die Bundeswehr der Bonner Republik 1 Das Amt Blank/BMVg war mit der Erarbeitung der zahlreichen Gesetze für die neuen Streitkräfte aufgrund mangelnder Kapazitäten überfordert, sodass der Ausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit schon aus diesem Grund umfangreich beteiligt war. Hinzu kam das Bestreben, sich als neu eingerichteter Ausschuss in der Parlamentsarbeit zu etablieren. Zweifellos waren die Anfangsjahre die bedeutendste Zeit des Verteidigungsausschusses. Vgl. dazu demnächst Geist, Verteidigungsausschuss. Zum Gesamtkomplex ausführlich: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik. 2 Die SPD hat zwischen 1953 und 1957 zwar elf von 15 Wehrvorlagen im Bundestag abgelehnt, sich aber im Verteidigungsausschuss sehr konstruktiv an der Gestaltung des Rechtsrahmens beteiligt. Vgl. Waldmann, Soldat im Staat, S. 105. 3 Die Truppendienstgerichte gehörten zur zivilen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nur die Wehrdisziplinaranwälte waren Angehörige der Bundeswehr. Dau, Berufsbild. 4 Zur Entstehung der Eidesformel, die wortgleich ist mit den Grundpflichten des Soldaten im Soldatengesetz, siehe Lange, Der Fahneneid, S. 191–223, insb. S. 215. In der Republik Österreich gab es nach dem Wehrgesetz von 1955 »nur« ein Gelöbnis, keinen Eid. Darin gelobten die Soldaten, ihr »Vaterland, die Republik Österreich, und sein Volk zu schützen«. 5 Zahlen nach Jacobsen, Die Rolle der öffentlichen Meinung, S. 66. Zum Gesamtkomplex ausführlich Volkmann, Die innenpolitische Dimension 972
Adenauerscher Sicherheitspolitik. Vgl. auch Jahrbuch der öffentlichen Meinung, 1947/55, S. 348–355. 6 Ob dieser Ausspruch wirklich je gefallen ist, konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Zur Überlieferung der Anekdote siehe Loch, Deutsche Generale, S. 204, Fußnote 321. 7 Zu den 45 Offizieren kamen 316 ehemalige Unteroffiziere und 205 ehemalige Mannschaften der Waffen-SS hinzu, insgesamt also 566 Personen. Waldman, Soldat im Staat, S. 64. Zahlen auch in: BArchMA, BW 2/32291. 8 Es gab allerdings Ausnahmen: Günter Baer war Untersturmführer der SS-Division Leibstandarte Adolf Hitler. Er stieg in der Bundeswehr bis zum stellvertretenden Kommandeur der 1. Panzerdivision auf. Untersturmführer Gerhard Deckert wurde in der Bundeswehr Generalmajor. Alfred Kenziora war ab März 1943 als Panzerkommandant und Zugführer in der SSDivision »Das Reich« eingesetzt und kommandierte in der Bundeswehr als Brigadegeneral die Heimatschutzbrigade 53. Generalmajor Dr. Michael Schwab war im Krieg Oberfähnrich der Waffen-SS. Ein Sonderfall ist Generalleutnant Werner Lange, der als Volkssturmmann 1945 der SS-Division »Wallonie« angegliedert wurde und damit nominell als Angehöriger der Waffen-SS galt. Range, Kriegsgedient, S. 47, 106, 256, 299, 477. 9 Niemetz, Das feldgraue Erbe, insb. S. 175 f. 10 Einen dritten Weg ging Österreich: Hier durfte niemand in Uniform dienen, der den Dienstrang eines Obersten 973
oder höher in der Wehrmacht innegehabt hatte. Scianna, Rebuilding. 11 Keßelring, Die Organisation Gehlen, S. 221–223. Ausführlich dazu auch Manig, Politik der Ehre. 12 Prominente Beispiele sind: Klaus von Bismarck als Intendant des WDR, Erich Mende (MdB), Henri Nannen, Rudolf Augstein, Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß. 13 Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg, S. 326. 14 Ebenda, S. 422 f. 15 Vgl. Birn, Wehrmacht. 16 Searle, Wehrmacht Generals, S. 231–289. 17 Die juristische Befassung mit NS-Verbrechern in der frühen Bundesrepublik ist gut aufgearbeitet. Vgl. etwa Greve, Umgang; ders.,Täter oder Gehilfen; Jasch/Kaiser, Holocaust vor deutschen Gerichten; Fröhlich, Ulmer Einsatzgruppen-Prozess. 18 Weinke, Bleiben die Mörder unter uns, S. 266. 19 Wilke, Veteranen der Waffen-SS. 20 Keßelring/Loch, Himmerod war nicht der Anfang. 21 Neitzel, Abgehört, S. 83. 22 Ebenda, S. 57, 270–272, 283 f., 300–303, 308 f. 23 Searle, Wehrmacht Generals, S. 282. 24 Zum Gesamtkomplex Bauerkämper, Das umstrittene Gedächtnis. 25 Vgl. dazu Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg. 974
26 Agazzi/Schütz, Handbuch Nachkriegsliteratur, S. 182– 185. 27 Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1947–1955, S. 376. 28 Vgl. Der Spiegel 16 (1954), S. 37–40; 21 (1954), S. 30 f. 29 Etwa Kirst, 08/15, S. 578 f., 600. 30 Benz, Ribbentrops Pressechef. 31 Hierzu auch Echternkamp, Soldat im Nachkrieg, S. 324; Schreiner, Die besten Soldaten der Welt, S. 2. 32 Die Erhebung wurde in der deutschen Publizistik seit 1958 mehrfach abgedruckt. Eine entsprechende Publikation scheint es aber nicht gegeben zu haben. Siehe »Der deutsche Soldat am höchsten bewertet«, in: Der deutsche Soldat, 22 (1958) 7, S. 207 f. Vgl. Karst an militärgeschichtliche Abteilung des israelischen Heeres, 6. 11. 1964, BArch-MA, N 690/33. 33 Dazu Ball, Alamein. 34 Die Kriegsfilme festigten diese Eckpunkte. Neben der Verfilmung von 08/15 ist hier vor allem Bernhard Wickis Film »Die Brücke« (1959) zu nennen, der die Sinnlosigkeit der Endkämpfe im April 1945 darstellt. Demgegenüber zeigten Filme wie »Die grünen Teufel von Monte Cassino« (1958), »Kapitänleutnant Günther Prien« und der »Stern von Afrika« (1957/58) den Krieg als Tragödie, in der gleichwohl tapfer und erfolgreich gekämpft wurde. Vgl. auch Hugo, Kino und kollektives Gedächtnis; Stiglegger, Hunde, wollt ihr ewig leben. 35 Zur Presseberichterstattung vgl. Schaurer, Härte muß sein. 975
36 Pamela E. Sweet zeigt, dass es während der Heye-Affäre neben der publizistischen Aufregung einen breiten Diskurs der Bevölkerung gab. Dieser schwankte zwischen der Ablehnung zu harter und zu weicher Ausbildungsmethoden hin und her. Mancher fühlte sich nicht vom Militär, sondern von einer Wohlstandsgesellschaft bedroht, die keine richtigen Soldaten hervorbringen würde. Sweet, Neither Too Hard, nor Too Soft. 37 Der Verteidigungsausschuss wurde zwischen 1956 und 1990 elfmal als parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt, allerdings weder bei der Iller- noch bei der Nagold- oder der Heye-Affäre. Geist, Verteidigungsausschuss, S. 252–257. 38 Vgl. Doerry/Janssen, Spiegel-Affäre. Vgl. insbesondere Conze, Griff nach der Bombe? Zur Rolle von Strauß als Verteidigungsminister vgl. Möller, Franz Josef Strauß, S. 243–283. 39 In der Düsseldorfer Erklärung von 1965 hieß es auf S. 1, dass der Bundeswehr »unser Vertrauen gehört«. Die SPD sprach im Wahlprogramm 1965 auf S. 6 davon, dass »unsere Landesverteidigung wirksamer gemacht und für unsere Soldaten besser gesorgt werden« müsse. Im Parteiprogramm der CDU von 1969 wurde sogar die Stärkung des »Wehrwillens« gefordert. 40 Der Kommandeur der 4. Panzergrenadierdivision meinte 1961 allerdings, dass viele Wehrpflichtige trotzdem nicht recht wussten, wofür sie dienten. Lehrgänge für Abiturienten, 18. 3. 1961, BArch-MA, N 666/26. Vgl. auch Bernhard, Zivildienst, S. 51–58, 417–419. 976
41 Klages, Wertorientierungen im Wandel; Inglehart, Silent Revolution. Auf den Wandel militärischer Werte in der Gesellschaft wird meist nur kurz hingewiesen, er wurde aber bislang nicht systematisch erforscht. Vgl. etwa Seifert, Militär, S. 35–48. Als neueste zusammenfassende Studie zum Wertewandel siehe Dietz/Neumaier/Rödder, Gab es den Wertewandel? 42 Kluckhohn, Values, S. 395. 43 Bernhard, Zivildienst, S. 123 f. 44 Ders., S. 116–135, hier 132. Der SDS hatte sich in den 1950er-Jahren lautstark an den Protesten gegen die Wiederbewaffnung und die Bewaffnung der Bundeswehr mit taktischen Nuklearwaffen beteiligt. In der Zeit von 1964 bis zur Selbstauflösung 1970 stand die Bundeswehr aber nicht im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit, sondern die Antikriegshaltung richtete sich vor allem gegen die US-Streitkräfte. Neben dem Vietnamkrieg mag das auch daran gelegen haben, dass in den Zentren des Studentenprotests, Berlin und Frankfurt, keine Bundeswehrverbände stationiert waren. Fichter/Lönnendonker, Kleine Geschichte des SDS. 45 Vgl. auch Gassert, Schwierigkeiten. 46 Bernhard, Zivildienst, S. 209–217. 47 Ebenda. 48 Ebenda, S. 150. 49 Vgl. Wahlprogramm SPD, 1972, S. 12. 50 Gustav Heinemann im Gespräch mit Reinhard Appel, in: Stuttgarter Zeitung, 8. 3. 1969, dazu auch: Die Ungeliebte Armee, in: Die Zeit, 21. 3. 1969. 977
https://www.zeit.de/1969/12/die-ungeliebtearmee/komplettansicht 51 Denkschrift 5. 1. 1950, Besprechungsplan, abgedruckt in: Nübel, Dokumente, Dok. 12. Generell zum Thema auch Schlaffer, Schleifer a. D. 52 Auszüge der Himmeroder Denkschrift sind abgedruckt in Nübel, Dokumente, Dok. 15. 53 Vgl. Förster, Baudissin. Baudissin, so berichtet es zumindest sein ehemaliger Adjutant Helge Hansen, hat unter seiner fehlenden Fronterfahrung durchaus gelitten und wurde von den kampferprobten ersten Alterskohorten der jungen Bundeswehr schon aus diesem Grund nicht recht ernst genommen. Interview Helge Hansen, 26. 2. 2020. 54 Der Begriff wurde offenbar vom SPD-Wehrexperten Friedrich Beermann 1952 geprägt und dann ein Jahr später von Baudissin übernommen. Zimmermann, Ulrich de Maizière, S. 182 f. 55 Dazu auch unlängst Hoeres, Geschichte der FAZ, S. 228– 230. 56 Vgl. sein Vortrag auf dem International Symposium on Armed Forces and Society, München, 10. 8. 1978, in dem er rückblickend seine Tätigkeit für die Innere Führung reflektierte. BArch-MA, N 736/26. 57 Dieser Gedanke ist für Baudissin gewiss zentral. Auch in seinem wegweisenden Aufsatz zum Kriegsbild von 1962 schrieb er: »Es fällt ihm heute eine paradoxe Aufgabe zu; um bewahren zu können, muß er seine feste Entschlossenheit bekunden, jeden Aggressor mit sich in die totale Zerstörung zu reißen. Diese Leistung kann nur 978
von Menschen vollbracht werden, für die Freiheit, Recht und Menschenwürde unaufgebbare Lebensvoraussetzungen sind.« Baudissin, Soldaten für den Frieden, S. 70. 58 Vgl. auch Bormann, Erziehung in der Bundeswehr, S. 461. 59 Abschiedsansprache in Bonn am 30. 6. 1958, BArch-MA, N 666/35. 60 Die Schriften zu Baudissins Werk sind Legion. Eine ausführliche Analyse unter breiter Einbeziehung der einschlägigen Archivquellen bietet Frank Nägler, Der gewollte Soldat, hier S. 65. Vgl. auch den wesentlich auf Baudissin zurückgehenden Bericht der Arbeitsgruppe I des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit zur soldatischen Ordnung vom 14. Oktober 1954, BArchMA, BW 2/31512, sowie Thoß, Der Bundestagsausschuss für Verteidigung. 61 Simon, Integration der Bundeswehr, S. 39. So auch der Politikwissenschaftler Thomas Ellwein, der die Reform der Bildungsarbeit in den Streitkräften maßgeblich prägte: »Mit der Differenzierung der Funktionen verliert man allmählich aber auch die definitive Unterscheidbarkeit zu anderen Berufen.« Zit. nach Simon, Integration der Bundeswehr, S. 267. 62 Ein Begriff, gegen den sich der zweite Generalinspekteur, Friedrich Foertsch, ausdrücklich verwahrte. Ansprache des Generalinspekteurs auf der Kommandeurtagung in Stuttgart am 8. 6. 61, S. 5. BArch-MA, N 690/53. 63 Simon, Integration der Bundeswehr, S. 182–184. 979
64 Heinz Karst (1914–2002). Karst kämpfte im Polenfeldzug als Zugführer bei der Infanterie, wurde hier schwer verwundet. In seiner Beurteilung hieß es dazu: »Zu einem gesunden Draufgängertum gesellte sich das sichere Gefühl für die Schonung seiner Leute.« Wieder genesen, war er im Krieg gegen die Sowjetunion als Kompaniechef, später als Bataillonskommandeur einer Panzeraufklärungseinheit eingesetzt. Er erlebte von September 1941 bis Juli 1942 den Vormarsch, von Dezember 1943 bis April 1944 die Abwehrkämpfe bei der 10. Panzerdivision und der 20. Panzergrenadierdivision. Im April 1944 wurde er in die Heimat versetzt, weil er, obgleich »vorbildlich tapfer«, sich nach Ansicht seines Divisionskommandeurs den besonders kritischen Lagen nicht immer gewachsen zeigte. Dieser sprach gar von »Versagen«, weil er sich zu Katastrophenmeldungen hinreißen lasse. Näheres ist zu den Vorwürfen nicht bekannt. Die politische Haltung wurde beurteilt mit: »In seiner nationalsozialistischen Haltung bedingungslos und treu.« Beurteilung 20. 2. 1943. Gleichlautend auch in Beurteilung 24. 9. 1943. Personalakte [NARA]. Karsts Fronterfahrung war typisch für die hohen Bundeswehroffiziere seiner Alterskohorte, weil er stets in besonders gut ausgerüsteten Verbänden diente und den totalen Zusammenbruch seit Sommer 1944 nicht mehr an der Front erlebte. Er war zu diesem Zeitpunkt als Ausbilder im Ersatzheer eingesetzt. Vgl. auch Range, Kriegsgedient, S. 251 f. 65 Am bekanntesten war das Buch »Das Bild des Soldaten«, das 1969 in einer neu bearbeiteten 3. Auflage erschien. Das Buch wurde in der 1. Auflage auch von der Bundeswehr angekauft und breit rezipiert. Karst selbst 980
sprach von 120 Rezensionen im In- und Ausland, von denen 118 positiv gewesen sein sollen. Er erhielt auch Zuspruch von der hohen Generalität. Der Kommandierende General des III. Korps, Heinz Gaedcke, schrieb ihm etwa, er habe einen vernünftigen Mittelweg zwischen mancher überspitzten Theorie aus der Gründungszeit der Bundeswehr einerseits und der Wirklichkeit in der Truppe andererseits gefunden. Gaedcke an Karst, 29. 9. 1964, BArch-MA, N 690/33. Die Korrespondenz zum Ankauf und zur Verteilung bis auf Kompanieebene in N 690/99. Im selben Jahr wurden Schriften von Wolf Graf Baudissin unter dem Titel »Soldat für den Frieden« publiziert. 66 Als er in seiner Eigenschaft als General des Erziehungswesens von einem Wehrpflichtigen der Ausbildungskompanie 2/I erfuhr, dass es nur »Druck und Strafe« in der Ausbildung gäbe und die Rekruten 500 Meter im Laufschritt zurücklegen müssten, wenn es mit dem Singen nicht klappte, bat er den stellvertretenden Kommandierenden General des I. Korps, Generalmajor Ernst Philipp, der Sache nachzugehen und sie abzustellen. »So sehr ich für eine strenge Disziplin und klare soldatische Haltung eintrete, so scheint mir doch erforderlich, daß wir dem Kommiß dort entgegentreten, wo er auftaucht. Immer wieder erlebe ich, daß unerfahrene Unteroffiziere in alte Methoden zurückfallen, die schon bei der Wehrmacht unter guten Offizieren abgelehnt wurden.« Karst an Philipp, 15. 9. 1969, Philipp an Karst, 22. 9. 1969, BArch-MA, N 690/115. 67 Karst schrieb 1965 über die Männer des 20. Juli und jene, die an der Front ihre Pflicht getan hatten: »In der Wertung dieser beiden Personenkreise habe ich unmissverständlich 981
zum Ausdruck gebracht, daß mir ein Stauffenberg oder ein Generaloberst Beck vorbildlicher erscheinen, selbst wenn sie scheiterten, als die anderen, zu denen auch ich zählte.« Er schrieb weiterhin, dass »wir bei aller Härte der Ausbildung und Entschiedenheit der soldatischen Auffassung den politisch bewussten Soldaten heranbilden müssen. Hier stimme ich dem Programm des Staatsbürgers in Uniform besonders zu.« Karst an Brigadegeneral Guderian, 13. 9. 1965, BArch-MA, N 447/49. Der Brief befindet sich auch im Nachlass Karst unter N 690/32. Vgl. auch den von Karst verfassten Sprechzettel für eine Rede des Generalinspekteurs Heusinger »Tradition und innere Führung«, 9. 10. 1959, BArch-MA, BW 2/17812. Als Maßstäbe für die Tradition hielt er in dem Entwurf fest: a) Die Werte unserer freiheitlichen Grundordnung, b) Die Forderungen des Krieges. Vgl. auch verschiedene Redeentwürfe aus der Feder von Heinz Karst aus seiner Zeit an der Schule für Innere Führung aus dem Jahr 1960, BArch-MA, BW 2/17812. 68 Als Generalinspekteur Friedrich Foertsch 1961 auf der Kommandeurtagung bemerkte, dass der Vorgesetzte ständig mit seinen Untergebenen in einer Gemeinschaft zusammenlebe, die eigenen Gesetzen unterliege, notierte Karst an den Rand: »Bravo!« BArch-MA, N 690/53. 69 »Er ist ja genau mein Ansatz, der anders ist als der des Grafen Baudissin. Er meint, je mehr wir uns dem zivilen Leben anpassen, desto mehr werden wir im Volk anerkannt. Ich bin anderer Meinung und vertrete die Auffassung, je mehr wir disziplinierte und feste Soldaten sind, desto mehr Anerkennung werden wir finden.« Karst an Oberst Buchhorn, 8. 9. 1969, BArch-MA, N 690/115. 982
Vgl. auch Karsts Stellungnahme zu Baudissins Buch »Soldat für den Frieden« in einem Schreiben an den Chef des Truppenamtes, 5. 1. 1970, BArch-MA, N 690/116. 70 Darunter verstand er aber keinen Fremdenlegionär oder »Nur-Soldaten«, sondern einen Staatsbürger, der »ganzer Soldat« sei. Karst an Peter von Schubert, 14. 11. 1969, BArch-MA, N 690/116. Karst hat seine Gedanken ausführlich in dem Buch »Das Bild des Soldaten« niedergeschrieben. 71 Karst, Gedanken über Erfahrungen meines Truppenkommandos, 1. 10. 1957, BArch-MA, BW 2/17812, S. 4. Prägnanten Ausdruck findet seine Vorstellung einer auf den Krieg bezogenen soldatischen Männerwelt in: Vortragsmanuskript 28. 1. 1960, S. 26 f., BArch-MA, N 690/73. 72 Die unterschiedliche Haltung der beiden Protagonisten drückte sich auf den ersten Blick auch darin aus, dass Baudissin 1968 in die SPD und Karst 1969 in die CDU eintrat. Freilich war dieser Streit im Kern kein parteipolitischer. 73 Zunächst ist von Reformern und Reaktionären die Rede, wobei de Maizière ausdrücklich betonte, dass es sich nicht um einen Gegensatz handele. Vgl. de Maizière, Persönliche Gedanken zu der Auseinandersetzung zwischen »Reformern« und »Reaktionären«, 8. November 1952, BArch-MA, N 673/75. Baudissin verwendete auch die Bezeichnung »die Gestrigen«, die auf die »Freiheitlichen« treffen würden. Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 169, Fn. 235. In der Literatur wurde die Dichotomie von Reformern und Traditionalisten unisono übernommen und teilweise stark überzeichnet. 983
Vgl. z. B. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1949–1990, S. 305 f. 74 Ich folge der Definition von Andreas Rödder: »Der Traditionalist will, dass alles so bleibt, wie es ist, der Reaktionär möchte das Rad zurückdrehen, während der Konservative vor rigorosem Dogmatismus zurückschreckt und den Wandel eher langsam als schnell gestalten möchte.« https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/konservativwas-ist-das-andreas-roedder-im-interview15570489.html. So auch der Vorschlag von Simon, Integration der Bundeswehr, S. 28. Karst, aber auch Generalinspekteur Trettner und selbst dessen Nachfolger de Maizière haben die Zuschreibungen von Traditionalisten und Reformern strikt abgelehnt. Vor allem wies Karst immer darauf hin, dass »alle entscheidenden […] Erlasse und Befehle, Vorschriften und Richtlinien auf diesem Gebiet von mir verfasst sind – nicht von Baudissin«. Vgl. z. B. Karst an P. J. Wintern, 11. 11. 1964; Karst an Hans Edgar Jahn, 24. 10. 1964, BArch-MA, N 690/99. Es gab gewiss weit radikalere Stimmen als jene von Karst, solche, die alle Neuerungen ablehnten und Traditionalisten im eigentlichen Wortsinn waren. Sie hatten auf die Neuausrichtung aber keinen Einfluss und waren vor allem in der Publizistik zu finden. Vgl. z. B. Carell, Ernstfall Krieg; Simon, Integration der Bundeswehr, S. 56–60. In der wirkungsmächtigen Debatte der beiden amerikanischen Soziologen Samuel Huntington und Morris Jannowitz über die zivilmilitärischen Beziehungen stand Karst eher auf der Seite von Jannowitz, der auf die Notwendigkeit der Verflechtung beider Sphären verwies. Die Position von 984
Huntington, wonach Militär und Gesellschaft möglichst getrennt sein sollten, damit die Streitkräfte ihre Funktionalität nicht verlieren, hielt er für übertrieben. 75 So fällt es schwer, ein eindeutiges Baudissin-Lager von nennenswerter Größe auszumachen. Dazu kann man Friedrich Beermann, Bernd Freytag von Loringhoven und Carl-Gero von Ilsemann zählen, der freilich auch kollegial mit Karst korrespondierte. 76 Simon, Integration der Bundeswehr, S. 240 f.; Weltz, Wie steht es um die Bundeswehr, S. 119, 121, 134. Andere Studien befragten kleinere Panels und stellten die Fragen etwas anders, sodass die Ergebnisse erwartungsgemäß abwichen. Im Mai 1965 meinten etwa 61 Prozent in einer vom Institut für Demoskopie durchgeführten Befragung, dass es in der Grundausbildung körperlich nicht sehr anstrengend zugehe, nur acht Prozent meinten, es sei anstrengend oder sehr anstrengend gewesen. 20 Prozent waren der Ansicht, es hätte härter zugehen können. Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1965/67, S. 306. 77 Simon, Integration der Bundeswehr, S. 300 f. 78 Vgl. dazu https://www1.wdr.de/stichtag/stichtagzuechtigungsrecht-abschaffung-100.html 79 Simon, Integration der Bundeswehr, S. 329. 80 Vgl. z. B. die Schilderung der Grundausbildung im Sommer/Herbst 1962 in der Oldenburger Hindenburgkaserne, in: Fritz J. Krüger, »Im Gleichschritt Marsch«. Wehrdienst in Oldenburg, 1962–1964, S. 4–21, DTA 3394-5. 81 Z. B.: Inspizient der Infanterie und Panzerabwehr aller Truppen, Abschlußbericht, S. 3, 25. 3. 1966, S. 25 in: 985
BArch-MA, N 666/42. 82 Hierzu auch die Studie BArch-MA, BW 2/7893 zur inneren Situation der Bunderswehr, in: Nägler, Der gewollte Soldat, S. 461 f. Vgl. auch OTL i. G. Dr. Oetting, Vortrag: Der Zerfall des Inneren Gefüges des US-Heeres im Vietnamkrieg, Füak, 7. 7. 1980, BArchMA, N 992/51. 83 So klassisch mit Hinweis auf die Literatur Simon, Integration der Bundeswehr, S. 34. 84 Ebenda, S. 35. 85 Simon, Integration der Bundeswehr, S. 36. 86 So gab die Regierung die Planung des Zivilschutzes als nicht finanzierbar früh auf. Nur wenige Schaltzentralen wie der Regierungsbunker in Ahrweiler wurden geschützt. Ausführlich zum Thema Diebel, Atomkrieg. 87 Vom künftigen deutschen Soldaten, S. 7, 21, 24, 58–60. 88 Dazu Nägler, Der gewollte Soldat, S. 265–268. Das Handbuch erschien in drei Auflagen, zuletzt 1965. Noch in der 2. Auflage hieß es, dass die Innere Führung nichts anders sei als Menschenführung. Die habe immer die Schlagkraft der Truppe im Blick, nur sei der Weg, dies zu erreichen, heute ein anderer als früher. Handbuch Innere Führung 21960, S. 17. 89 Vgl. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 214. 90 Vgl. auch Echternkamp, Soldat im Nachkrieg, S. 360 f. Auch die 1966 erlassene zentrale Dienstvorschrift zur Geistigen Rüstung war ein Kompromiss zwischen verschiedenen Positionen. Freie Staatsbürger, so hieß es, sollten zu einsatzwilligen, tüchtigen Soldaten erzogen werden. Der Kampfwert sollte auch von der im Dienst 986
erlebten freiheitlichen Ordnung bestimmt werden. Es blieb aber bei der Vorstellung, dass der Bürger von der Gesellschaft zu seinen Pflichten erzogen werden müsse. Die Vorschrift entsprach insofern ganz der Linie des 1966 inthronisierten Generalinspekteurs Ulrich de Maizière. Er war ein Verfechter der Inneren Führung, betonte aber ihre Bedeutung für die Erziehung zum Kampf. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 479; Simon, Integration der Bundeswehr, S. 73. 91 Ausführlich dazu demnächst Konstantin Eckert, Menschenführung in der Wehrmacht, Diss. phil. Universität Potsdam, voraussichtlich 2021. 92 Wobei sich schon früh Unmut über die »Vorherrschaft der Beamten über die Offiziere« entwickelte, die aber, wenn auch murrend, akzeptiert wurde. Generalinspekteur Heinz Trettner und Generalleutnant Günter Pape waren bald nicht mehr bereit, dies zu akzeptieren, und traten 1966 zurück. Vgl. auch die Ausführungen von Heinz Günther Guderian zu der Thematik, 20. 9. 1966, BArch-MA, N 999/111. 93 Der Generalinspekteur der Bundeswehr an den Minister, 11. 10. 1960; Sprechzettel für den Generalinspekteur für die Kommandeurtagung in Kiel (11. – 13. 7. 1960), BArch-MA, BW 2/17812; Ansprache des Herrn Generalinspekteurs der Bundeswehr anlässlich des fünfjährigen Bestehens der Schule für Innere Führung am 1. Oktober 1961, BArch-MA, N 736/25. Vgl. auch Mayer, Heusinger, S. 510–522. Heusinger hat auf Karsts Rat offenbar viel gegeben und blieb mit ihm auch nach seiner Pensionierung in Kontakt. Im September 1964 erbat er sich für eine Podiumsdiskussion von ihm einige Stichpunkte und wünschte ihm, dass er in seiner Brigade 987
die Innere Führung im »richtigen Sinne« handhaben könne. Heusinger an Karst, 24. 9. 1964, BArch-MA, N 690/99. 94 Kommandeurbrief Nr. 9, 9. 4. 1958. Vgl. auch den Kommandeurbrief Nr. 23, 24. 7. 1962 von Generalleutnant Alfred Zerbel, in dem er angesichts der Desinformationskampagnen der DDR einer geistigen Widerstandskraft das Wort redet. BArch-MA, BH 73/611; Ansprache von Oberst Köstlin zur Eröffnung der 6. Generalsbesprechung an der Schule Bw I. F. am 30. 5. 1960, in der er betonte, dass die geistige Rüstung der Truppe neben der militärischen Aufstellung ein vordringliches Anliegen sei. BArch-MA, BW 2/17812. 95 Vgl. Jahrbuch öffentliche Meinung 1947/55, S. 331 f. 96 Das Referenzwerk hierzu ist noch immer Abenheim, Bundeswehr und Tradition. 97 Rede des Generalinspekteurs vor dem VDS, Schule der Bundeswehr für Innere Führung, 19. 5. 1960, S. 3, BArch-MA, BW 2/17812. Heusinger verwies darauf, dass Bundespräsident Heuss am 12. 3. 1959 davon gesprochen hatte, dass die Kräfte des soldatischen Wesens im Elementaren durch die Jahrhunderte die gleichen geblieben seien. 98 Nordmann, Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr, S. 436. Student selber sprach davon, »daß es der Geist war, der diese Opfer sinnvoll gemacht hat, der Geist der Vaterlandsliebe und Opferbereitschaft der Jugend, der in der heutigen Zeit so selten geworden ist«. Deutlicher waren die militärischen NS-Werte kaum auszudrücken. Gedenkrede Generaloberst a. D. Student bei der 988
Einweihung des Fallschirmjäger-Ehrenmals am 9. 9. 1966, in: BArch-MA, N 842/26. 99 Roth, Student. Zu Ramcke liegt keine Biografie vor. 100 Bundeswehrsoldaten war die Teilnahme an der Beisetzung Ferdinand Schörners 1973 untersagt, ebenso an derjenigen von Karl Dönitz (1980) und Hans-Ulrich Rudel (1982). Bei Hasso von Manteuffel (1978) war sie erlaubt, obwohl dieser 1959 wegen Totschlags zu 18 Monaten Haft verurteilt worden war. Zum Begräbnis Manteuffels siehe die Aktennotiz Fü S I 4, 5. 10. 1978, in: BArch-MA, BH 1/10953. 101 Rede des Generalinspekteurs vor dem VDS, Schule der Bundeswehr für Innere Führung, 19. 5. 1960, S. 7, BArch-MA, BW 2/17812. Die Konstruktion einer Geschichte der Wehrmacht, die für die Tradition der Bundeswehr verdaubar war, wird in vielen Reden der 1960er-Jahre deutlich. Ein besonders gutes Beispiel liefern die Ansprachen von Heinz Günther Guderian in seiner Zeit als Kommandeur der Panzerbrigade 14 in den Jahren 1963 bis 1966, BArch-MA, N 999/90, sowie die Reden, die er als Bataillonskommandeur 1958/59 hielt, BArch-MA, N 999/100. Er erlebte den Polen- und Russlandkrieg teilweise als Adjutant von Heinrich Eberbach, den wir im Wehrmachtkapitel kennengelernt haben, und war 1945 Ia der 116. Panzerdivision. In der Bundeswehr stieg er bis zum Generalmajor auf. 102 Artur Weber, der erste Kommandeur der Schule für Innere Führung, meinte etwa, dass »das Ansehen des Soldaten durch manche Ereignisse unserer jüngsten Vergangenheit beeinträchtigt worden ist«. Leserbrief Weber an die Zeitschrift Kristall, 25. 11. 61, BArch-MA, 989
N 666/27. Er ließ diesen Aspekt zumindest im offiziellen Schriftverkehr aber nicht näher an sich heran. Dass die Bundeswehr noch nicht in das Vertrauen der Bevölkerung eingebettet sei, erklärte er sich 1962 mit dem »Missbrauch des Opferwillens unseres Volkes durch die unfähige politische [NS-]Führung, dem Unfug der Reeducation, den Wirkungen von gewissenlosen Geschichtsfälschern im In- und Ausland sowie den negativen Wirkungen, die von bezahlten Verrätern täglich ausgehen«. Ansprache an Offiziere der 12. Panzer-Div. am 2. 4. 1962, BArch-MA, N 666/27. 103 Thilo war als Ia von Anfang 1943 bis Oktober 1944 während der gesamten Einsatzzeit auf dem Balkan mitverantwortlich für die zahlreichen Kriegsverbrechen der Division, hier vor allem für die Erschießung von Geiseln in Montenegro und Serbien. Siehe Meyer, Blutiges Edelweiss; Schmider, Partisanenkrieg, S. 282. Allerdings liegen bislang zu wenige Quellen vor, um das Zusammenspiel des Kommandeurs mit seinen Stabsoffizieren genauer darzustellen und so auch seine persönliche Schuld näher bestimmen zu können. Die DDR lancierte 1968 Vorwürfe gegen Thilo, gegen den dann ein Herr Rynar Anzeige erstattete. Das Landgericht Stuttgart stellte ein Ermittlungsverfahren bald ein. Thilo bemerkte, dass Oberstaatsanwalt Dr. Schneider und dessen Vorgesetzter – beide ehemalige Wehrmachtsoldaten – »außerordentlich wohlwollend« gewesen seien. Dem Gericht war die ganze Dimension der Verbrechen der 1. Gebirgsdivision damals aber noch nicht bekannt. Der umfangreiche Vorgang befindet sich in BArch-MA, BH 1/9950. Vgl. insb. Thilo an Schnez, 10. 2. 1970. 990
Umfangreiches Material zu den Vorwürfen um die geplante Ernennung von Albert Schnez zum NATOOberbefehlshaber Landstreitkräfte Mitte auch in BArchBA 1/22108. Brigadegeneral Hans Hoeffner protestierte gegen die Ernennung von Schnez zum Inspekteur Heer und gab sein Bundesverdienstkreuz zurück. Der Vorgang befindet sich in BArch-MA, BW 1/22106. 104 Nägler, Vom gewollten Soldaten, S. 115. 105 Baer wurde am 1. Juni 1944 Ia der Division »Hermann Göring«, die unmittelbar danach zwei große Kriegsverbrechen beging: in Civitella am 29. 6. und in Cavrigilia vom 4. bis 11. 7. 1944. Zum Kontext Gentile, Wehrmacht, S. 148–170. Seine Verantwortung für die Verbrechen ist unklar. Mitteilung von Carlo Gentile 29. 6. 2020. 106 So Günter Kießling, der selber in der Aufbauzeit im Referat Innere Führung arbeitete. Kießling, Versäumter Widerspruch, S. 158 f. 107 Allzu unbedachte Äußerungen von Politikern trugen das Ihre zur Verunsicherung über die eingeschlagene Richtung bei. Als am 18. Juni 1969 kein geringerer als Bundeskanzler Kiesinger davon sprach, dass die Bundeswehr die Schule der Nation sei, widersprach er damit allen Grundsatzdokumenten zur Inneren Führung. Simon, Integration der Bundeswehr, S. 105. Die vollständige Rede findet sich in BArch-MA, BH 87/197a. 108 Simon, Integration der Bundeswehr, S. 107. 109 Matzky war sich sehr bewusst, dass seine Ablehnung »angeblich reformerischer, politisch freilich recht attraktiver Ideen« ihm den Ruf eines reaktionären 991
Revanchisten eingebracht hatte. Er beendete seine Rede dann auch mit der Formel, die einst auf den Koppelschlössern der preußischen Armee und der Wehrmacht stand: »Gott mit uns«. Abschiedsrede des Kommandierenden Generals am 26. 2. 1960, insb. S. 6, BArch-MA, BH 7-1/35. Vgl. auch Nägler, Der gewollte Soldat, S. 82. Für ähnliche Stimmen vgl. z. B. der Brief des Korpspionierführers 1, Oberst Buchhorn, an Heinz Karst, 7. 7. 1969, BArch-MA, N 690/115. 110 Nägler, Der gewollte Soldat, S. 306 f. 111 In der Literatur wird dieser Vorwurf stereotyp wiederholt, obwohl dazu bislang keine Studie vorliegt. So hielt Ulrich Simon das Schrubben des Flurs mit der Zahnbürste, das Klettern auf die Spinde u. Ä. für besonders »üble Methoden aus der Wehrmachtzeit«. Solche Schikanen waren freilich älter; sie kamen bereits im Kaiserreich vor und waren offenbar auch in anderen Armeen üblich. Simon, Integration der Bundeswehr, S. 234, 240. 112 Menschliche Führungsprobleme – Erziehung junger Soldaten heute und morgen, 27. 10. 1960, BArch-MA, N 596-15. Vgl. auch Vortrag Jugend heute – aus der Sicht der Bundeswehr (1968), BArch-MA, N 596/21. Seine streng antikommunistische Haltung wird deutlich in einer Rede zum zehnjährigen Bestehen der Panzerbrigade 15, BArch-MA, N 596/17. Er betonte die Vorbildfunktion des 20. Juli als Mut zum Widerstand, Panzerbrigade 15, Tagesbefehl zum 20. Juli 1944, 12. 7. 1967, BArch-MA, N 596/13. 113 Vgl. etwa Büschleb, »Was kann und muss der Offizier für das körperliche und seelische Wohlbefinden seiner Truppe tun?« [1967] N 596/13 und Chef H.Rüst u. B. E., 992
Chef d. Ausbildungswesens im Ersatzheer Stab/Ia Nr. 231/42 geh. v. 22. 10. 1942, BArch-MA, RH 53-17/104. 114 Der überwiegenden Mehrheit der Bundeswehrangehörigen – ganz gleich, ob mit oder ohne Wehrmachtvergangenheit – behagte die Bezeichnung »Staatsbürger in Uniform« freilich nicht. Sie bezeichneten sich schlicht als Soldat. Sie glaubten auch, dass die Innere Führung den Verhältnissen in der Praxis angepasst werden müsste, und nahmen sie als eine Form der guten Menschenführung wahr. 115 Zit. nach Nägler, Der gewollte Soldat, S. 462 f. Vgl. auch Fü B I 4, Vorbericht über die Auswertung der Befragung »Zur inneren Situation in der Bundeswehr vor Kommandierenden Generalen«, 8. Juni 1965, BArchMA, N 842/18. Sie argumentierte, dass menschliche Reife und die Kriegserfahrung zu einer positiven Bewertung führen würden. Die Rolle beider Faktoren kann freilich kaum trennscharf bewertet werden. Da 73 Prozent der Generäle, aber nur 45 Prozent der Stabsoffiziere meinten, dass die Innere Führung die Kampfkraft nicht beeinflusse, scheint der Dienstgrad doch relevant für die Beurteilung zu sein. 116 So auch das Urteil von Oberstleutnant Carl-Gero v. Ilsemann in seinem Brief an Generalmajor Artur Weber, 27. 12. 1963, BArch-MA, N 666/69. 117 Auszug aus dem Brief eines Obtl. und KpOffz vom Oktober 1964, BArch-MA, N 736/47. 118 Robert Lübke (1915–1965). Allgemein: Hammerich/Schlaffer, Militärische Aufbaugeneration. 119 Ecke Demandt, Soldat in Deutschland. Anekdoten und Reflexionen, Meckenheim 1988/89, DTA 4008-1, S. 7. 993
120 Ecke Demandt (1942–2020) diente von 1963 bis 1965 als Soldat auf Zeit in der Bundeswehr, absolvierte anschließend ein Jurastudium und trat 1975 wieder in die Armee ein. Er stieg bis zum Oberstleutnant und Kommandeur eines Panzeraufklärungsbataillons auf, war Referent im Führungsstab der Streitkräfte und wechselte 1992 als Referatsleiter zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Zuletzt war er als Leiter der für Hessen zuständigen Asylbehörde in Gießen tätig. Der Althistoriker Alexander Demandt ist sein Bruder. 121 Ecke Demandt, Soldat in Deutschland, DTA 4008-1, S. 11. 122 Ebenda, S. 9. 123 Fü B I 4, Vorbericht über die Auswertung der Befragung »Zur inneren Situation in der Bundeswehr vor Kommandierenden Generalen«, 8. 6. 1965, S. 7, BArchMA, N 842/18. 124 Aufzeichnungen Ilsemann, N 736/25. 125 Ecke Demandt, Soldat in Deutschland, DTA 4008-1, S. 14. 126 Heinz Karst, Gedanken über Erfahrungen meines Truppenkommandos, 1. 10. 1957, S. 12, BArch-MA, BW 2/17812. 127 Oberst i. G. Heinz Günther Koch und Oberstleutnant Ilsemann, 16. 12. 1964; Brief an Carl-Gero Ilsemann vom 28. 8. 1963 BArch-MA, N 736/47. 128 Carl-Gero von Ilsemann, Beitrag zur Ministerrede in Koblenz, 13. 5. 1963, BArch-MA, N 726/26. 129 Diesen Zusammenhang arbeitet Frank Nägler anhand der Zustandsberichte der Bundeswehr gut heraus. Nägler, Der 994
gewollte Soldat, S. 350–394. 130 Brief an Carl-Gero Ilsemann vom 28. 8. 1963, BArchMA, N 736/47. 131 Ebenda. 132 Militärischer Zustandsbericht 1960, S. 6 der Anlage 2 zu Fü B IV 1, BArch-MA, BW 2/2456. 133 Oberstleutnant v. Langenn-Steinkeller, Entwurf zu einer Stellungnahme über das Innere Gefüge der Bundeswehr, 15. 1. 1963, BArch-MA, N 736/47. 134 Vgl. z. B. die Zustandsberichte der Bundeswehr für das Jahr 1963 in: BArch-MA, BW 2/3110. 135 Oberstleutnant v. Langenn-Steinkeller, Entwurf zu einer Stellungnahme über das Innere Gefüge der Bundeswehr, 15. 1. 1963, BArch-MA, N 736/47. 136 Simon, Integration der Bundeswehr, S. 235–238. Patrick Bernhard weist auf weitere Fälle in Immendingen 1964 und Sonthofen 1967 hin. Bernhard, Zivildienst, S. 56. 137 Jahresbericht Besondere Vorkommnisse 1964, S. 8, BArch-MA, BW 2/15213. 138 Die aus den Disziplinarberichten erhobenen Zahlen nach Nägler, Der gewollte Soldat, S. 391 f. 139 Suizidgefährdung: Früherkennung und Vorbeugung, Anlage 1, BArch-MA, BW 2/32278. Zwischen 1962 und 1971 lag die Quote bei 15,1 bis 19 pro zehntausend Soldaten. Sterbefälle bei Soldaten der Bundeswehr 1962 bis 1971, BArch-MA, BW 2/10621; Anzahl der Selbsttötungen und Selbsttötungsversuche bei Soldaten der Bundeswehr, BArch-MA, BH 1/16006. 995
140 Vgl. dazu auch die Rede des KG III. Korps (Heinz Gaedcke) zur Einweihung des Rüstzeitheimes Karrenberg/Hunsrück am 19. 9. 1963, BArch-MA, N 999/61. 141 Nägler, Der gewollte Soldat, S. 463. Aber immerhin kam 1958 ein Erlass zu Erzieherischen Maßnahmen heraus. Die Anweisungen der 11. PzGrenDiv dazu in BArch-MA, N 690/99, S. 8. 142 Für die Sicht eines Gefreiten (UA), der als Hilfsausbilder fungierte, vgl. Sticht, Erlebnisse eines Bundeswehrsoldaten, S. 44. 143 Dass gerade die jungen Offiziere entweder zu streng oder zu gleichgültig auf Disziplinlosigkeiten reagierten, wurde noch 1964 beklagt. Vgl. Zustandsbericht Bundeswehr 1964, S. 7 f., BArch-MA, BW 1/599330. 144 Weiche Welle, Der Spiegel, 31. 7. 1957, S. 25 f. Vgl. auch Schilderungen eines allzu laxen Umgangs von Unteroffizieren mit ihren Mannschaften in einem Brief des Gefreiten Jochen von Arnim an Oberst Karst, 13. 10. 1964, BArch-MA, N 690/99. 145 Hierzu Hammerich, Kerniger Kommiss. Vgl. auch Kießling, Versäumter Widerspruch, S. 166–170. »Graf Baudissin führte in unserer Division eine Brigade. Dort herrschte ein schlimmes Regiment. Er wollte beweisen, dass die Innere Führung nichts mit Weichlichkeit zu tun hatte, und verlangte die größte Härte von seinen Soldaten. Da er ständig in Beweisnot war, mussten die Soldaten dort etwas ertragen, was mit Sicherheit nicht unbedingt etwas mit moderner Menschenführung zu tun hatte.« Erich Hinkel, Zwölfender der ersten Stunde. Erinnerungen an meine Bundeswehrzeit 1957–1959, 996
Ingelheim 2008, DTA 1717, S. 24, 30. Eine umfassende Analyse von Baudissins Wirken als Kommandeur der Panzergrenadierbrigade 4 liegt noch nicht vor. Es war sein einziges Truppenkommando in der Bundeswehr und würde sich daher sehr für eine Untersuchung zur Umsetzung der Inneren Führung eignen. Vor allem wäre zu prüfen, ob ihm die Erziehung zum »Freiseinwollen und Freiseinkönnen« gelang und er ein Höchstmaß an Freiheit, Recht und Menschenwürde bot, wie er es 1958 als Ziel formulierte. Abschiedsansprache in Bonn am 30. 6. 1958, BArch-MA, N 666/35. Seine Vorgesetzten erkannten in ihm weniger den begabten Truppenführer als den talentierten Generalstabsoffizier, dem es – so seine Beurteilung aus dem Jahr 1961 – »nicht ganz gelungen sei, einen wirklichen Kontakt zur Truppe zu finden«. Dieses Urteil verhinderte dann auch die weitere Verwendung als Kommandeur. Zit. nach Loch, Deutsche Generale, S. 461. 146 Major Heinz Karst, Bericht über Truppenbesuche und Lehrgänge in den Monaten Januar und Februar 1957, 7. 3. 1957; Horst Bitch, Gelnhausen 5. 10. 1959. Karst hielt die Innere Führung im Übrigen nicht für eine »Weiche Welle«. Vgl. Heinz Karst, Gedanken über Erfahrungen meines Truppenkommandos, 1. 10. 1957, alles BArchMA, BW 2/17812. Der spätere Generalinspekteur HansPeter Kirchbach trat 1960 in die Bundeswehr ein und erinnert sich an einen Wehrmachtveteranen als Kompaniechef, den er eher als zu milde beschrieb. Interview mit Hans-Peter Kirchbach, Potsdam, 10. 12. 2018. 147 Die Bundeswehr im Urteil der Reservisten, Februar 1965, Tabelle 48, BArch-MA, BW 2/7893. In einer anderen 997
Umfrage für den Stern waren sogar 41 Prozent der Befragten der Reservisten der Meinung, dass die Ausbildung zu weich gewesen sei. Weltz, Wie steht es um die Bundeswehr, S. 121. 148 Ausführlich geschildert in Nägler, Der gewollte Soldat, und Schlaffer, Schleifer a. D., S. 647–651. 149 Vgl. Der Tod von Kempten, Der Spiegel, 12. 6. 1957 https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41757689.html. Schlaffer, Schleifer a. D., S. 647–651. 150 Inspekteur des Heeres, TgNr. 944/63, 5. 12. 1963; Zwischeninformation über die Vorkommnisse in Nagold, BArch-MA, BH 7-2/754; Zusammenfassender Bericht des Untersuchungsführers in dem disziplinargerichtlichen Verfahren gegen Oberleutnant Jürgen Schallwig, BArchMA, BH 7-2/756; Der Bundesminister der Verteidigung, Die Vorfälle in der Ausbildungskompanie 6/9 in Nagold, 31. 1. 1964, BArch-MA, BH 8-9/311. 151 Schallwig saß zwei Monate der Strafe ab, der Rest wurde zur Bewährung ausgesetzt. Er verließ die Bundeswehr, wanderte in die USA aus und wurde Verkaufsleiter bei Mercedes-Benz. Er lebt heute in Indianapolis. 152 Tagesbefehl II. Korps, 29. Oktober 1963, BArch-MA, BH 7-2/753. 153 Etliche Presseartikel sind zusammengefasst in der Akte BArch, BH 8-9/311. 154 Vgl. dazu auch Ernst-August Frede, Erinnerungen, 2003, S. 60 f., DTA 4311-1. 155 Erst nach den Nagolder Vorfällen wurden seine Beurteilungen schlechter, das Gesamturteil sackte von »gut« auf »ausreichend«. Der Kommandeur der 1. 998
Luftlandedivision, Walter Gericke, ergänzte: »Wenn es gelingt, Oberleutnant Schallwig davon zu überzeugen, daß seine Vorstellungen von einem deutschen Fallschirmjäger falsch sind, und er in der Menschenführung an Reife gewinnt, kann aus ihm ein brauchbarer Truppenoffizier werden.« Zusammenfassender Bericht des Untersuchungsführers in dem disziplinargerichtlichen Verfahren gegen Oberleutnant Jürgen Schallwig, S. 49, BArch-MA, BH 72/756. 156 Notiz für den Herrn Kommandierenden General, G1 II. Korps, 2. 12. 1963, BArch-MA, BH 7-2/754. Die kritische Notiz wurde von Oberstleutnant Rudolf Reichenberger verfasst. Er war im Krieg Panzeroffizier, absolvierte nach der Gefangenschaft ein Studium der Germanistik und Literaturwissenschaft, arbeitete danach als Journalist und trat 1956 in die Bundeswehr ein. Nach seiner Verwendung als G1 des II. Korps war er Referent für Innere Führung im BMVg und stieg später bis zum Generalleutnant und stellvertretenden Inspekteur des Heeres auf. 157 Notiz für den Herrn Kommandierenden General, G1 II. Korps, 2. 12. 1963, BArch-MA, BH 7-2/754. 158 Interessanterweise ordnete der Divisionskommandeur das Turnen an, drang damit aber offenbar nicht durch. 1. Luftlandedivision G LL Az: 33-45-16-01, 23. 10. 1961, Anlage 1, S. 2. BArch-MA, BH 7-2/755. 159 Am 20. Mai 1941 begann die deutsche Eroberung Kretas (»Operation Merkur«). Dabei erlitten die Fallschirmjäger hohe Verluste. 1957 war Oberst Bern von Baer auf Anraten Baudissins von der Personalabteilung des BMVg 999
für seinen Befehl zur Feier des Kreta-Tages gerügt und auf die Position des stellvertretenden Divisionskommandeurs heruntergestuft worden. Nägler, Der gewollte Soldat, S. 115. Der neue Kommandeur Hans Kroh erließ freilich ein Jahr später einen ganz ähnlichen Tagesbefehl, in dem dazu aufgefordert wurde, der Treue und Pflichterfüllung der damaligen Fallschirmjäger nachzueifern. Dieses Mal nahm offenbar niemand Anstoß. 1. Luftlandedivision, Divisionsbefehl 25/58, 13. 5. 1958, BArch-MA, BH 8-9/32. Der Kreta-Tag war bis weit in die 1990er-Jahre ein inoffizieller Gedenktag in der Luftlandetruppe der Bundeswehr. 160 Die Veteranen waren offenbar unterschiedlicher Ansicht über die Ausbildungsmethoden der Franzosen und Amerikaner. Generalmajor Hans Kroh, Kommandeur der 1. Luftlandedivision, stand ihnen kritisch gegenüber und will sich in dieser Frage mit seinem alten Fallschirmjägerkameraden Walter Gericke, dem Kommandeur der Luftlandeschule in Altenstadt, überworfen haben. Offenbar war es zwischen Korps, Division, Schule und Truppenamt zu Differenzen um die Ausbildungsmethoden gekommen. Vgl. Zusammenfassender Bericht des Untersuchungsführers in dem disziplinargerichtlichen Verfahren gegen Oberleutnant Jürgen Schallwig, S. 15–33. BArch-MA, BH 7-2/756. 161 In Ellwangen geriet das Luftlande-Jägerbataillon 106 schon 1956 mit Soldaten anderer Verbände aneinander. Sticht, Erlebnisse eines Bundeswehrsoldaten, S. 11. Solche Schlägereien kamen allerdings nicht nur bei der Luftlandetruppe vor. Kantinenprügeleien zwischen 1000
Soldaten unterschiedlicher Waffenfarben sind vielfach überliefert. 162 Einen Fall, in dem ein Rekrut von Ausbildern mit Kolbenstößen bei einem Marsch vorangetrieben und der vor Gericht verhandelt wurde, schildert Sicht, Erlebnisse eines Bundeswehrsoldaten, S. 50. 163 1. Luftlandedivision, 7. 8. 1963, Dienstaufsicht über Ausbildungseinheiten, BArch-MA, BH 7-2/754. 164 Vgl. dazu Besondere Vorfälle bei der 1. LLDivision (1962–1964), BArch-MA, BH 7-2/755. 165 In Nagold hatte man »so ungefähr alles falsch gemacht, was man falsch machen kann, von den unterbliebenen BV-Meldungen, über die Öffentlichkeitsarbeit bis zur disziplinaren Seite, ganz abgesehen von der Inneren Führung«, schrieb Carl-Gero Ilsemann an Heinz Karst, BArch-MA, N 736-47, 13. 12. 1963. Daraus schien man nun gelernt zu haben. Vgl. z. B. Fallschirmjäger hier und da, Der Spiegel 31/1964, S. 22 f. https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/461 74252. 166 Vgl. Anmerkung 156 sowie Beurteilung Walter Gericke durch Leo Hepp, 12. 3. 1964, BArch-MA, Pers 1/12636. 167 Adalbert Weinstein, »Soll man die FallschirmjägerDivision auflösen?, FAZ, 22. 2. 1964. Helmut Liebeskind, damals Major i. G. in Calw und später Oberst und Kommandeur einer Luftlandebrigade, wandte sich in einem Leserbrief gegen den Weinstein-Artikel. Für die ganze Bundeswehr gebe es, so Liebeskind, dieselben Erziehungsgrundsätze. Keine Legionärstruppen, FAZ, 3. 3. 1964. 1001
168 Entwurf für einen Brief an die FAZ als Kommentar zum Artikel Weinsteins. März 1964. BArch-MA, N 736/47. 169 Selbst der Haudegen Oberst Schirmer bemerkte in den Anhörungen vor Gericht, dass er während des Krieges viereinhalb Jahre an der Front gekämpft, aber nur viereinhalb Minuten an einem Fallschirm gehangen hätte. Man müsse nun, so hieß es auf übergeordneter Ebene, eine vernünftige Relation zwischen »Träumen und Wirklichkeit« herstellen. Schließlich seien in den modernen Gefechtsszenarien die Einsatzmöglichkeiten im Sprung äußerst beschränkt. Diese zweifellos zutreffende Sichtweise verkannte jedoch die enorme Bedeutung der Springerei für das Selbstverständnis der Truppe. Sie war weniger im praktischen Sinne relevant, auch wenn in den Großübungen des Kalten Krieges zuweilen Massenabsprünge bei Nacht vorkamen. Sie hatte aber einen geradezu konstituierenden Charakter für die tribal culture der Luftlandeverbände. Bis heute hat sich daran nichts geändert. 170 Notiz für den Herrn Kommandierenden General, G1 II. Korps, 2. Dezember 1963, BArch-MA, BH 7-2/754. 171 Die Kultur der 1. Luftlandedivision wurde in den ersten zehn Jahren in hohem Maße von einem Netzwerk von Wehrmachtveteranen bestimmt, die sich alle aus der Anfangszeit der Fallschirmjägertruppe her kannten. Hier sind vor allem Heinz Trettner, Hans Kroh und Walter Gericke zu nennen. Die Einstellung Krohs war auch dem Urteil von Gerhard Schacht zu verdanken, der 1956 im Amt Blank als Referent für das Luftlandewesen tätig und ein Veteran von Eben Emael und Kreta war. Dass Kroh »lose Verbindungen zu rechtsradikalen Kreisen in Niedersachsen« hielt, solle man ihm nicht zu sehr zu 1002
seinen Ungunsten auslegen, so Schacht. Auch nicht, dass er sich 1953 gegen die Wiederbewaffnung ausgesprochen habe. Seine fachlichen Qualifikationen würden eindeutig für ihn sprechen. Heinz Trettner wurde als Gutachter angefragt und befürwortete Krohs Einstellung erwartungsgemäß. Personalakte Hans Kroh, BArch-MA, Pers 1/103926. 172 Z. B. in Schlussansprache des Bundesministers der Verteidigung, Kai-Uwe von Hassel, bei der Unteroffiziertagung 30. 1. 1964, S. 8, BArch-MA, BH 89/311. 173 Auszüge der Rede Trettners auf der Unteroffiziertagung Bad Godesberg, Ende Januar 1964, in: 3. Panzerdivision, Kommandeur, 3. 2. 1964, BArch-MA, BH 11/161. Diese Textstelle darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Trettner ein Gegner von Baudissins Gesamtkonzept war. Für ihn war die Innere Führung prinzipiell ein zeitloses Konzept, den Soldaten davon zu überzeugen, für eine gute Sache zu kämpfen. Er zog die Linien bis zu den Zeiten Friedrichs des Großen und meinte, dass praktische Innere Führung älter sei als das Nationalgefühl. Angewandt auf die heutige Zeit käme es darauf an, für Freiheit und Recht zu kämpfen. Er war strikt gegen allzu theoretische, realitätsferne Appelle und forderte dazu auf, die Innere Führung aus dem Geist der Front zu verstehen. »Lesen Sie darum Erlebnisberichte aus dem Krieg! Er lehrt Sie, im Soldaten den Menschen zu sehen, ihn zu achten, ihm zu vertrauen und um sein Vertrauen zu werben. Das sollen Sie nicht erst im Kampf lernen, sondern bereits im Frieden üben.« Rede Generalinspekteur bei Arbeitstagung Hauptleute/Leutnante am 4. u. 5. 6. 1964, in: 1003
Kommandeur-Hinweis Nr. 27, 3. Panzerdivision, 18. 9. 1964, BArch-MA, BH 11/161. Gegen Trettners Ernennung zum Generalinspekteur hatte es insbesondere von Hans-Adolf Jacobsen in seiner Eigenschaft als Mitglied des Beirats Innere Führung Widerstände gegeben, da er ihn für einen verbohrten Antibolschewisten hielt, der noch in den Vorstellungen des Dritten Reiches verhaftet sei. Korrespondenz dazu in BArch-MA, N 842/9. 174 Inspekteur des Heeres, 5. 12. 1963, Zwischeninformation über die Vorkommnisse in Nagold, BArch-MA, BH 72/754; Der Bundesminister der Verteidigung, 31. 1. 1964, Die Vorfälle in der Ausbildungskompanie 6/9 in Nagold., hier S. 13 f., BArch-MA, BH 7-2/755. 175 Ähnlich war auch der Duktus beim stellvertretenden Inspekteur des Heeres, Karl-Wilhelm Thilo. In einem Artikel zu den Vorkommnissen von Nagold erwähnte er zwar die Würde des freien Menschen, der die Ausbildung Rechnung tragen müsse, und wandte sich scharf gegen Schikane und Misshandlung. Aber die zentrale Rolle spielte die Forderung nach Härte, wie sie sich in den Schlachten des letzten Krieges gezeigt habe. Der Soldat müsse durch das Vorleben des Vorgesetzten zum freiwilligen Gehorchen gebracht werden. Die Vorstellung, dass dies durch Verfassungspatriotismus zu erreichen sei, taucht bei ihm nicht auf. Thilo, Verantwortung des Gewissens. 176 Exemplarisch sei auf den Jahresausbildungsbefehl der Fallschirmjägerbrigade 25 für das Jahr 1963 hingewiesen. Ziel der Ausbildung sei es, den Verband nicht nur zum Widerstand unter Inkaufnahme hoher Verluste zu befähigen, sondern auch Gefechtserfolge zu erzielen. Bei 1004
der Führer- und Unterführerausbildung käme es besonders auf Gehorsam und peinliche Pflichterfüllung, Selbstständigkeit und Beweglichkeit im Denken an. Alle 14 Tage solle ein Vortrags- und Diskussionsabend veranstaltet werden, bei dem etwa über die Innere Führung, Führung und Technik, die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus oder die Kriegsgeschichte zu sprechen sei. Der Befehl ist ein Beispiel dafür, dass die Brigade ausschließlich auf die Gefechtsausbildung konzentriert war. Der Kommandeur, Hans-Gotthard Pestke, war ein hoch ausgezeichneter ehemaliger Infanterieoffizier der Wehrmacht. 177 Gekühltes Hinterteil, Der Spiegel, 29. 7. 1959. 178 Weisung BMVg Fü S I 5, 12. 7. 1968, in: II. Korps 26. 7. 1968, BArch-MA, BH 8-12/49. 179 Ein Beispiel für ein neu komponiertes Lied, das freilich nicht den Nerv der Truppe traf und selten gesungen wurde, ist: »Wir sind die Grenadiere der Bundeswehr«, 1960. Auch im österreichischen Bundesheer wurden noch lange Wehrmachtlieder gesungen. Mitte der Achtzigerjahre setzte hier ein Reformprozess ein, bis 1994 die letzten alten Lieder verboten wurden. Scianna, Militär. Zum »Liederskandal« bei der Panzerbrigade 28, als Soldaten dabei erwischt wurden, das Panzergrenadierlied aus der NS-Zeit zu singen, Helmut Groß, Falsche Töne, Die Zeit, 26. 8. 1977, https://www.zeit.de/1977/36/falschetoene/komplettansicht. 180 Beurteilung Hans Kroh durch Leo Hepp, 11. 4. 1962, BArch-MA, Pers 1/12641. Warum dieser zum 1. 10. 1962 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde, geht aus der 1005
Personalakte nicht hervor. BArch-MA, Pers 1/103962. Der Personalreferent sprach von Überlegungen und Gründen, die ihn »zwingen«, § 50 Soldatengesetz anzuwenden. 181 Zur Heye-Affäre auch Schlaffer, Wehrbeauftragter, S. 168–180. 182 Die Artikel sind mit ergänzendem Material veröffentlicht in dem Band »In Sorge um die Bundeswehr«, München 1964. Die Zitate S. 12, 67, 58. 183 Pikanterweise wurde dieser 1966 Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte in Deutschland. 184 So Heye in einem Brief an Helmut Schmidt, zit. nach Schlaffer, Wehrbeauftragter, S. 172. 185 Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1963, S. 10. https://www.bundestag.de/parlament/wehrbeauftragter. Die Gesamtzahl der Eingaben ging relativ zur Stärke der Truppe freilich eher zurück. Die absoluten Zahlen betrugen 1960: 5190; 1961: 3555; 1962: 5537, 1963: 5402, 1964: 4699. 186 Eine Statistik aller Starfighter-Abstürze findet sich in: https://web.archive.org/web/20120426020426; http://billy.hhvkluftwaffe.buecher.officelive.com/Starfighterunfaelle.aspx. Von insgesamt 916F 104 Starfightern gab es 269 Abstürze in 24 Jahren (1962 bis 1986 = rd. 30 %). Dazu im Vergleich der Tornado 369/46 (14 %), Phantom 263/34 (13 %). 187 Zimmermann, Führungskrise in der Bundeswehr. 188 Die Gründe für die Abstürze waren vielfältig: Neben technischen Problemen des Flugzeugs gab es einen 1006
Mangel an Mechanikern und Abstellhallen. Vor allem flogen die Piloten zu wenig, um sich auf das neue, hoch anspruchsvolle Flugzeug einzustellen. Steinhoff konnte durch eine Reihe von Maßnahmen die Unfallzahlen deutlich senken, wenngleich es bis in die Siebzigerjahre bei wenigstens zehn Abstürzen pro Jahr blieb. Dies wurde aber schon als Erfolg gewertet. 189 Möllers, Ringen um Kompetenzen; Birk, Steinhoff. 190 Der Mangel an jungen Offizieren und ihre Überforderung wurden in dieser Zeit im offiziellen und inoffiziellen Schriftverkehr intensiv debattiert. Vgl. z. B. Oberst CarlGero von Ilsemann an Oberst i. G. van Beuningen, 2. 10. 1968, an General de Maizière, 21. 10. 1968, BArch-MA, N 736/18. 191 General des Erziehungs- und Bildungswesens im Heer, 12. 3. 1969, BArch-MA, N 690/116. Ausführliche Auseinandersetzung über die Ablehnung des Staates durch junge Soldaten, hier Fahnenjunker, die entlassen werden wollen (Teil 2a, S. 16.). Die meisten Fahnenjunker, die ein Entlassungsgesuch schrieben, stammten aus der Nachschub- und Instandsetzungstruppe, die wenigsten von den Fallschirmjägern und Pionieren. Im Bereich der technischen Truppen scheint zu diesem Zeitpunkt die Verdienstmöglichkeit zur Finanzierung des späteren Studiums das Hauptmotiv zu Verpflichtung als OA gewesen zu sein. Auswertung der Lebensläufe des 29. Fhj-Lehrganges, Lehrgruppe D, Fernmeldeschule des Heeres, 30. 1. 1969, BArch-MA, N 690/116. 192 2. Panzergrenadierdivision, 2. 4. 1968, Kriegsdienstverweigerungsanträge von Soldaten im Bereich der 2. PzGrenDiv., BArch-MA, N 651/18. 1007
193 Militärischer Zustandsbericht 12. PzDiv, 27. 12. 1968, BArch-MA, BH 8-12/21. 194 Tagebuch Beermann, 16. 3. 1968, BArch-MA, N 597/168, S. 17. 195 »Wie ich es sehe« vom Leiter der Artillerieschule IdarOberstein, Brigadegeneral Ulrich Boes, BArch-MA, N 596/21. 196 Ausbildungszentrum TV 33/1, 6. 2. 1969, S. 4, BArchMA N 596/21. Vgl. weiterhin die Schilderung des späteren Generalinspekteurs Jürgen Brandt über die Zustände in der Panzergrenadierbrigade 7. Er sprach vom Entsetzen über den Verlust an Disziplin und davon, dass die Unteroffiziere in beängstigender Weise zermürbt seien. Die Offiziere würden jenseits der Befehle, Vorschriften und Verordnungen aus einem instinktiven Gefühl für das Notwendige die Armee einigermaßen intakt halten. Brandt an Karst, 27. 11. 1969, BArch-MA, N 690/116. Das Problem der Ohnmacht der Führer bei Gehorsamsverweigerungen, aber auch das Vorhandensein von zu viel Kommiss beklagte Helmut Schröder, der G1 des III. Korps, in seinen Gedanken zur Verbesserung der Offizierslage. Die Bundeswehr allein, so Schröder, könne sich nicht helfen und sei auf die Unterstützung der Politik angewiesen, 4. 12. 1969, BArch-MA, MSG 239-372/1. 197 Ebenda. Ähnliche Probleme hatte es im Dezember 1968 bei der großen Reserveübung »Blauer Wacholder« gegeben, als erstmals die Aufstellung von drei Feldersatzbataillonen einer Panzergrenadierdivision geübt werden sollte. Die Presse berichtete genüsslich darüber, dass »etwa 40 Prozent der Reservisten so lange tankten, bis sie die Farbe ihrer Manöver-Partei schon vor dem 1008
Einrücken erreicht hatten«. Walcholder extra blau, Der Spiegel, 51/1968; »Die Truppe war zu blau«, Bild, 11. 12. 1968. 198 Tagebuch Beermann, 14. 3. 68, BArch-MA, N 597/168, S. 17. 199 Militärischer Zustandsbericht des Heeres, 10. 2. 1969, BArch-MA, BW 2/3130, S. 2. 200 Fraktionssitzung CDU/CSU, 12. 2. 1969, S. 8. file:///Users/sonkeneitzel/Downloads/cducsu-05wp-196902-12(2).pdf. Zu Thomsen auch: https://www.zeit.de/1969/12/die-ungeliebtearmee/komplettansicht. Zur NPD und Bundeswehr https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45465458.html; https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45522358.html. 201 Puzicha, Soldat und Politik, S. 25, 59. 202 Tagebuch Beermann 9. 4., 18. 4. 1969, BArch-MA, N 597/172, S. 9, 15. 203 Ebenda, 3. 11. 1968, BArch-MA, N 597/170, S. 22; 15. 7. 1970, /175, S. 16. 204 Ebenda, 3. 4. 1969, BArch-MA, N 597/172, S. 5. 205 Ebenda, 31. 8. 1968, BArch-MA, N 597/168, S. 50. 206 Ebenda, 5. 3., 14. 3., 16. 3. 1968, BArch-MA, N 597/168, S. 14–17. 207 Beermann war als Deutscher Bevollmächtigter im Bereich der Northern Army Group Central Europe in Mönchengladbach für die Territorialverteidigung im nördlichen Deutschland zuständig. Der Stab wurde im Juli 1969 in das Territorialkommando Nord umgegliedert. 1009
208 Tagebuch Beermann 5. 11. 1968, BArch-MA, N 597/170, S. 23; 7. 2. 1969, /171, S. 16. 209 Biografien über Grashey und Schnez liegen leider nicht vor. Die Personalakten können nur erste Hinweise geben. Hellmut Grashey (1914–1990) wurde im Frankreichfeldzug schwer verwundet, absolvierte nach der Genesung die Generalstabsausbildung, war im OKH und schließlich als Ia in einer Jägereinheit von Sommer 1943 bis Sommer 1944 an der Ostfront eingesetzt. Über seine politische Haltung hieß es in der Personalakte nur: »Steht auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung.« Beurteilung 1. 3. 1943, Personalakte [NARA]. Nach dem damaligen Beurteilungsschema war dies die niedrigste Kategorie. 210 Albert Schnez (1991–2007) war im Krieg vor allem in Stabsfunktionen im Transportwesen eingesetzt. Er erlebte als Regimentsadjutant und O1 einer Infanteriedivision im Polen- und Frankreichfeldzug nur kurze Fronteinsätze. Von Februar 1943 bis Mai 1944 war er als Ia einer Panzergreandierdivision an der Ostfront eingesetzt, führte vertretungsweise für einen Monat ein Regiment. Er wurde als ein »sehr guter kristenfester Gen. St.Offizier« beurteilt, »der mit Sinn für die Wirklichkeit sehr viel Verständnis für die Truppe verbindet«. Zur politischen Haltung hieß es: »Überzeugter Nationalsozialist, der sein Gedankengut auf andere zu übertragen vermag.« Und: »Ausgesprochene nationalsozialistische Überzeugung und entsprechende Haltung.« Beurteilung vom 1. 3. 1943, 1. 3. 1944 [NARA]. Inwieweit sich Grashey und Schnez in ihrer politischen Haltung während des Krieges wirklich unterschieden, wie dies die Beurteilungen nahelegen, ist bislang nicht bekannt. 1010
211 Tagebuch Beermann 16. 6. 1969, BArch-MA, N 597/173, S. 33. 212 Ebenda, 21. 4. 1969, BArch-MA, N 597/172, S. 18. 213 Ebenda, 7. 2. 1969, BArch-MA, N 597/171, S. 16. 214 Umfangreiches Material dazu im Nachlass von Ulrich de Maizière; hier findet sich auch eine Tonbandabschrift der Rede Grasheys. BArch-MA, N 673/70. 215 Er hatte zusammen mit Grashey 1959/60 in Fort Leavenworth die amerikanische Generalstabsausbildung durchlaufen, und die beiden waren schon damals aneinandergeraten. Tagebuch Beermann 13. 7. 1959, 6. 8. 1959, 26. 8. 1960, 3. 10. 1959 BArch-MA, N 597/155, S. 18 f., 36, 38, 48 sowie 16. 11. 1968, /170, S. 25; 23. 6. 1969, /173, S. 38. Grashey war 1956 als ehemaliger Oberstleutnant i. G. wieder in die Bundeswehr eingestiegen. Zuvor war er pikanterweise Chef des Stabes der Annahmeorganisation der Bundeswehr. Er selbst musste sich offenbar nie einem Prüfgespräch unterziehen. Seine politische Haltung war in den diversen Beurteilungen seiner Bundeswehrzeit nie Thema. In den Beurteilungen aus der Wehrmachtzeit wurde eine NS-Haltung nicht in besonderer Weise betont. Er wurde als eine der erfreulichsten Erscheinungen im Offizierkorps gelobt. Herausgestellt wurde auch, dass er zu jenen Offizieren gehöre, »die durch ihre Bildung und ihr Bestreben, sich weiterzubilden und zu vervollkommnen, zur Elite des Volkes gezählt werden können. Bei aller Verwurzelung aufgeschlossen und modern denkend.« Der sprachbegabte Grashey galt als »weltoffen, grosszügig, ritterlich«, 22. 3. 1957, 30. 9. 1967. Lediglich Generalleutnant Josef Moll war in seiner 1011
Beurteilung am 28. 11. 1967 erkennbar zurückhaltend, sprach davon, dass Grashey zu einer Generation gehöre, »die sich nicht schlecht präsentiert« und sicher ein »recht leistungsfähiger« General sei. BArch-MA, Pers 1/30087. Leider ist der Nachlass Grashey im Militärarchiv in Freiburg erst ab 2021 für die Benutzung freigegeben. 216 Tagebuch Beermann 27. 4. 1969, BArch-MA, N 597/172, S. 21. 217 Ebenda, S. 23. 218 Ebenda, 18. 6. 1967, /165, S. 60; 24. 5. 1969, /173, S. 15. Die Angst vor der Marine geht auf seine Glücksburger Rede von 1958 zurück, in der er Max Reichpietsch als vorbildhafter als Erich Raeder und Karl Dönitz bezeichnet hatte und dafür scharf angegriffen wurde. Als er 1959 in die Bundeswehr eintrat, wurde er von Heusinger persönlich auf diese Äußerungen angesprochen. 219 Beermann sah es genauso und hielt diese gar für »schwarz-weiß-rot« – also letztlich für kaiserlichkonservativ. Tagebuch Beermann 17. 4. 1969, BArchMA, N 597/172, S. 16. 220 Vgl. z. B. die Sendung »Zu Protokoll«, in der Günter Gaus am 18. 5. 1969 Graf Baudissin interviewte. Das Sendemanuskript findet sich in BArch-MA, N 666/22. Zehn offene Briefe an Generalleutnant a. D. Graf von Baudissin, Köln, 1. 9. 1969, BArch-MA, N 999/99. Weber erhielt etwa 100 positive und drei negative Rückmeldungen. Positiv aufgenommen etwa von Georg Juraschek vom Beirat Innere Führung (Juraschek an Weber, 7. 10. 1969, BArch-MA, N 666/42), den Generälen Niepold, Uechtritz, von Plato, Sonneck, 1012
Gerber, Herrmann Schönfeld, Klaus Schubert. Oberst Werner Krieger in seinem Brief an Karst, 15. 9. 1969. BArch-MA, N 690/116. Oberst Lothar Domröse 8. 9. 1969, BArch-MA, N 666/22. Vgl. auch die Reflexionen Webers und Pfuhlsteins über Baudissins Kriegserlebnisse, BArch-MA, N 666/22. Die Akte enthält auch zahlreiche positive Reaktionen aus der Truppe auf Webers zehn Briefe. 221 Ein wichtiger Akteur war dabei Heinz Karst. Eine Zusammenstellung von Presseartikeln von und über ihn findet sich in BArch-MA, BW 1/22102. 222 Gedanken zur Verbesserung des Inneren Gefüges des Heeres, in der Fassung vom Juni 1969, BArch-MA, BH 1/771; Fassung vom 14. 5. 1969, BArch-MA, N 690/61. Vgl. auch Zimmermann, de Maizière, S. 392. Die Studie geht zurück auf eine Besprechung der Inspekteure und Kommandierenden Generale am 20. 5. 1969 in Oldenburg anlässlich der dortigen Kommandeurtagung, auf der offen und kritisch über die Probleme des Inneren Gefüges gesprochen wurde. Generalleutnant Niepold meinte hier etwa, eine Armee sei mit solchen Gesetzen nicht funktionsfähig. General de Maizière stellte klar, dass die Innere Führung nicht gescheitert sei, sondern nur der geänderten gesellschaftlichen und innenpolitischen Situation angepasst werden müsse. Wie diese Anpassung nach Meinung der Führungsspitze des Heeres aussehen sollte, beschrieb einige Wochen später die Schnez-Studie. StabsOffz beim GenInsp TgbNr. Fü S 1840/69 geh., 24. 6. 1969, S. 4, BArch-MA, BW 2/8669. 1013
223 Gedanken zur Verbesserung der inneren Ordnung des Heeres, Juni 1969 (Schnez-Studie), S. 67, BArch-MA, BH 1/771. 224 Die Brigadegeneräle Horst Hildebrandt, Ernst Paulsen, Wolfgang Schall, Alfred Ritz, Günther-Joachim Rothe und Heinz Karst. Letzterer wurde bald von der Presse als Autor vermutet, was aber nicht stimmt. Karst war zweifelsohne der Intellektuellste der konservativen Generäle dieser Zeit, der viele Aspekte der Studie bereits zuvor schon einmal geäußert hatte. Vgl. z. B. sein Schreiben an General a. D. Heinz Trettner vom 13. 2. 1968, dem eine sechsseitige Skizze über die Missstände der Bundeswehr beilag. Hier verglich er die Zustände mit jenen der französischen Armee 1940. BArch-MA, N 842/18 oder auch »Aktuelle Fragen der soldatischen Erziehung«, Vorträge gehalten anlässlich der Schulkommandeurtagung am 27. 3. 1968 im Truppenamt des Heeres, BArch-MA, N 690/60. Freilich wurde sein Vorschlag zur Präambel der Studie, in der er als Referenzpunkte das verfassungskonforme Einstehen für die freiheitliche Grundordnung und die strikte Wahrung von Recht und Menschenwürde benannte, so nicht aufgenommen. Heinz Karst an Brigadegeneral Schall, 29. 4. 1969, BArch-MA, N 690/115. Zu Karsts Version zur Entstehung der Studie vgl. Simon, Integration, S. 66. 225 Deren Kommentare zur Studie sind bislang nicht überliefert. Dass sie mit dem Grundtenor übereinstimmten, erscheint aber unstrittig. In einer Ansprache zum 20-jährigen Bestehen der NATO am 4. 5. 1969 verwies der Kommandierende General des I. Korps, Otto Uechtritz, auf die beiden »irdischen Bezugspunkte« des Soldaten, nämlich »den Staat, in dem wir dienen, und 1014
den Krieg, für den wir bereit sein müssen«. Er ließ an der Einbindung in die freiheitliche Rechtsordnung und an der Inneren Führung keinen Zweifel, kritisierte aber, dass der zweite Bezugspunkt gedankenlos außer Acht gelassen werde. »Es ist das Bereitsein für die eigentliche soldatische Aufgabe – den Kampf. Denn nichts Anderes kann die Aufgabe des Soldaten sein.« BArch-MA, N 596/21. Uechtritz, der scherzhaft auch der »Eiserne Otto« genannt wurde, meinte, dass die Probleme des mangelnden Zusammenhalts der Truppe und ihrer schlechten Disziplin nach damaliger Rechtslage nicht oder nur unbefriedigend gelöst werden könnten. Uechtritz erwähnt hier mehrere Fälle, in denen der Gehorsam gegenüber renitenten Soldaten nicht durchgesetzt werden konnte. I. Korps, 26. 9. 1969, BH 7-1/1117. Vgl. auch seine Äußerungen in: Offizierbesprechung, 24. 2. 1970, BArch-MA, N 596/21. 226 Wittmann legte den Schwerpunkt seiner Kritik auf die Maßnahmen innerhalb des Heeres und weniger auf die Änderung gesellschaftlicher, politischer oder rechtlicher Rahmenbedingungen. Freilich war die Frage, inwieweit diese Rahmenbedingungen geändert werden müssten, wohl die ursprüngliche Denkaufgabe von Verteidigungsminister Schröder. Stellungnahme zu den »Gedanken zur Verbesserung des Inneren Gefüges des Heeres« von Jürgen Wittmann, 3. 6. 1969. BArch-MA, N 690/60. 227 Marschner, Schnez-Studie. 228 Generale rufen nach Zensur, SZ, 3. 12. 1969. 229 Anlage zu Fü H IV 3 vom 15. 12. 1969, BArch-MA, BH 1/771; Gefühl und Herz, Der Spiegel, 50/1969. Vgl. auch 1015
Im Rückspiegel, Kampftruppen (Zeitschrift herausgegeben vom Arbeitskreis der Kampftruppen) 1/70, S. 1–3. 230 Mitteilungen an die Presse, 4. Vollsitzung des 4. Beirats für Fragen der Inneren Führung, 18. 12. 1969, BArchMA, BW 1/22108. Vgl. auch Niederschrift über die Besprechung des Bundesministers der Verteidigung mit den Kommandierenden Generalen am 8. 1. 1970, ebenda. 231 Nach altem Brauch, Der Spiegel, 1/1970. 232 WDR-Sendung vom 23. 12. 1969, NDR-Sendung vom 27. 12. 1969, Text in BArch-MA, BW 1/22106. 233 FR, 10. 1. 1970. 234 Eine Zusammenstellung der Presseberichterstattung findet sich in: Der Bundesminister der Verteidigung FüS VII 1 – Az 01-60-01, 21. 1. 1970, in: BArch-MA, N 651/19. Dort ist auch der Text der NDR-Sendung Panorama vom 26. 1. 1970 abgedruckt. Vgl. auch BArchMA, BW 1/22106. 235 Schmidt meinte zu den Generälen, dass in der Studie vieles »diskussionswürdig, manches aber auch sehr diskussionsbedürftig« sei. Er kritisierte die Formulierungen zum Geschichtsbewusstsein als »völlig abwegig«, warnte vor dem Verlangen der militärischen Führung nach Anpassung der Gesellschaft an das Militär, stellte aber auch fest, dass er keine Zweifel an der Loyalität der Generäle zu Rechtsstaat und Demokratie habe. Gerade auf den letzteren Punkt legten sie großen Wert. Die Niederschrift über Besprechung des Bundesministers der Verteidigung mit den Kommandierenden Generalen am 8. 1. 1970, 13. 1. 1970, BArch-MA, BW 1/22108. 1016
236 BArch-MA, N 673/71, hierin auch die Antworten der Inspekteure der Teilstreitkräfte. 237 Inspekteur des Heeres, Gedanken zur Inneren Führung, Mai 1969, BArch-MA, BW 1/22108. 238 So wies die 12. Panzerdivision 1969 darauf hin, dass es angesichts von Wehrungerechtigkeit und antimilitärischer Propaganda zwar immer schwerer sei, den Wehrpflichtigen den Sinn ihres Dienstes klarzumachen. Doch bei Übungen sei die Masse »vielleicht aus einem Erlebnisund Abenteuertrieb« voll engagiert. Militärischer Zustandsbericht 12. Panzerdivision, 23. 12. 69, S. 17, BArch-MA, BH 8-12/21. 239 Brief von General James H. Polk OB 7. Armee an Schnez, 26. 1. 1970, in: BArch-MA, N 651/19. Die amerikanische Botschaft in Bonn kommentierte: »Clearly they [the army leadership] are not reactionaries in any serious political sense of the term. The problem, as this affair makes clear, is not that they are political foxes but that they are babes in the woods.« Problems of the Bundeswehr – The Generals, 2. 1. 1970, NARA, RG 59, Entry 1613, Box 1737. 240 Gedanken zur Verbesserung des Inneren Gefüges des Heeres (Schnez-Studie), S. 42, 50, BArch-MA, BH 1/771. 241 Vgl. z. B. den vielsagenden Tagebucheintrag von Generalinspekteur Ulrich de Maizière anlässlich seines Besuches bei Franz Halder zu dessen 85. Geburtstag, 30. 6. 1969, BArch-MA, N 673/288. 242 Ende 1969 veröffentlichte Oberst i. G. Friedrich Doepner sein Buch »Bundeswehr und Armeereform«, in dem er 1017
noch weit über die Schnez-Studie hinausging. Vgl. auch Zimmermann, de Maizière, S. 179. 243 Tagebuch Beermann 23. 12. 1969, BArch-MA, N 597/174, S. 21 f. 244 Ebenda, 6. 1. 1970, S. 26 f. 245 Beermann wiederholte diese Gedanken sogar bei einem Abendessen bei Baudissin am 8. 2. 1970. »Sagte ihm, daß ich die Folgerichtigkeit seiner Militärtheorie bewundere, ihr aber im Kern nicht zu folgen vermag. Die Bundeswehr sei kein Industriebetrieb – und dem Gruppenführer der Infanterie könnte man nicht sagen, daß er nur zur Abschreckung da sei.« Tagebuch Beermann 10. 2. 1970, BArch-MA, N 597/174, S. 33. 246 Tagebuch Beermann 1. 1. 1970, BArch-MA, N 597/174, S. 25. 247 Der Vorgänger von Schnez, Josef Moll, der das Heer bis März 1968 führte, war im Ton zweifelsohne moderater. Er verteidigte den Eintritt von drei Generälen in die ÖTV und trat mit der Abschaffung des Zapfenstreichs, des Weckens durch den UvD u. Ä. für die Lockerung von althergebrachten Regelungen ein, die für Konservative nicht verhandelbar waren. Ansprache bei HOS am 3. 3. 1967, BArch-MA, N 447/31; Josef Moll, Erinnerungen, S. 170–177, 189–191, Privatarchiv Moll. Eine Biografie Molls liegt bislang nicht vor. Einer der Liberalen war Generalmajor Wolfgang Köstlin, stellv. KG III. Korps. Zimmermann, de Maizière, S. 393 f. Auch Carl-Gero von Ilsemann stand auf dieser Seite. Er war zu diesem Zeitpunkt Kommandeur der Panzergrenadierbrigade 1 und wurde 1969/71 Sprecher Helmut Schmidts. Er kannte Karst noch aus der Zeit in 1018
der Schule für Innere Führung. Er leugnete die Anforderungen des Kampfes in keiner Weise, setzte zumindest in der öffentlichen Rede aber nun seine Akzente stärker auf die Rechte als auf die Pflichten des Soldaten. Vgl. z. B. seine Vereidigungsansprache, Hildesheim, 12. 12. 1968, in: BArch-MA, N 736/3. Unter den Brigadekommandeuren dürfte er 1968 aber eine Ausnahme gewesen sein. 248 Vermerk des stellv. Inspekteurs des Heeres zum Zustandsbericht, o. D. (wohl Anfang 1970), BArch-MA, N 651/47. 249 Am 25. 1. 1970 wurde dazu sogar eine Pressekonferenz abgehalten. Bemerkenswert ist, dass der Kommandeur der Schule der Sache seinen Lauf ließ und ein solches Vorhaben nicht etwa unterband. Brigadegeneral Hermann Wulf war in der Wehrmacht ein hoch ausgezeichneter Infanterieoffizier, der die Goldene Nahkampfspange und das Eichenlaub trug. Er wurde nach dem Krieg Arzt und trat 1956 wieder in die Bundeswehr ein. Für sein tolerantes Verhalten wurde er vom Chef des Truppenamtes gerüffelt. Sonneck an Wulf, 26. 1. 1970, BArch-MA, N 690/58. 250 Stellungnahme von Arbeitsgruppen der HOS I, II, III und der KpfTrS II zu den Thesen der »Leutnante 70«, BArchMA, BW 1/25440. 251 Soldat 70. Wehrpflichtige melden sich zu Wort. BArchMA, BH 7-1/1143. 252 Walter Zuckerer (*1947) machte noch in der Hamburger SPD Karriere und war 2002 bis 2004 ihr Fraktionsvorsitzender. 1019
253 Die Werdegänge der acht Leutnante 70 sind im Detail nicht überliefert, ihre Personalakten sind noch gesperrt. Keiner von ihnen wurde General, zumindest vier erreichten den Rang Oberst: Hans Ehlert, Hans-Eberhard von Steinaecker, Jochen Burgemeister und Anton Uthemann. Die drei letzteren durchliefen auch die Generalstabsausbildung. Dankward Freiherr von Funck durchlief als Einziger eine klassische Laufbahn in der Kampftruppe, die er ebenfalls als Oberstleutnant beendete. 254 Konteradmiral Carl-Heinz Birnbacher, stellv. Flottenchef, meinte, dass die jungen Marineoffiziere die Leutnante der HOS II keineswegs als stellvertretend und typisch für ihren Jahrgang empfunden hätten. »Sie hätten die Thesen vom Tisch gewischt.« Schnez meinte hingegen, dass die Thesen von den Leutnanten im Heer weitgehend gebilligt, von den Hauptleuten aber abgelehnt würden. Stabsoffz. beim GenIsnp, den 13. 2. 1970, Niederschrift über die KG-Besprechung am 11. 2. 1970, S. 9. BArchMA, BW 2/8669. 255 Einzelne unzufriedene konservative Offiziere verließen aus eigenem Entschluss die Streitkräfte. Vgl. das Entlassungsgesuch des 38-jährigen Konrad Freiherr von Zedlitz und Neukirch, der als Major i. G. 1969 ausschied in: BArch-MA, N 690/116. 256 Lediglich die vorzeitige Pensionierung des stellvertretenden Inspekteurs des Heeres, Helmut Grashey, war letztlich politisch bedingt. Zu Grasheys Schilderung der Vorgänge, die zu seinem vorzeitigen Abschied führten, siehe die Darstellung aus dessen Feder im Januar 1970, in: BArch-MA, N 651/19. 1020
257 Loch, Deutsche Generale, S. 490–500. Dieses Motiv hat Helmut Schmidt auch offiziell immer verwendet, es ist ihm aber nicht abgenommen worden. Viele Generäle kränkte ihre vorzeitige Verabschiedung. Generalleutnant Karl-Wilhelm Thilos ließ sich in der Folge zu einem Interview in der Schwäbischen Zeitung vom 3. 6. 1970 hinreißen. Da er um seine vorzeitige Pensionierung wusste, nahm er kein Blatt vor den Mund und sparte nicht an kaum verklausulierter Kritik am Verteidigungsminister, dem Rüstungsstand und den inneren Zuständen. Dies trug ihm nicht nur einen schweren Rüffel von Helmut Schmidt, sondern auch von Albert Schnez ein, sodass er zusagen musste, sich bis zum Ruhestand mit öffentlichen Äußerungen zurückzuhalten. Das Interview und etliche Briefwechsel dazu finden sich in: BArch-MA, BH 1/9950. 258 Tagebuch Beermann 23. 6. 69, BArch-MA, N 597-173, S. 38. Beermann schlug im Übrigen Baudissin 1969 als Kandidat für die Bundespräsidentenwahl und als Staatssekretär im Verteidigungsministerium vor. Er notierte, dieser habe sehr darunter gelitten, dass Schmidt ihn nicht auf den Posten des Generalinspekteurs berief. Tagebuch Beermann 24. 6. 1968, BARch-MA N 597-168, S. 22; 9. 4. 1969, N 597/172, S. 8; 3. 10. 1969, N 597174, S. 1. Gleiches berichtet Baudissins ehemaliger Adjutant Helge Hansen. Interview Hansen, 26. 2. 2020. 259 Tagebuch Beermann 10. 2. 1970, BArch-MA, N 597/174, S. 33. 260 Viel ist darüber spekuliert worden, warum Schmidt den Spiritus Rector des konservativen Protests nicht vor die Tür setzte. Jenseits der politischen Differenzen stimmte zwischen beiden die Chemie, und Schmidt hatte eine 1021
hohe Meinung von Schnez. Zeitzeugeninterview Henning von Ondarza, 26. 2. 2020. Ondarza war in diesen Jahren Adjutant von Schnez. Beermann schrieb am 27. 4. 1969 in sein Tagebuch, Schmidt sei »ja stets für Schnez gewesen«. BArch-MA, N 597/172, S. 23. Die Wertschätzung des Ministers für den energischen Heeresorganisator wird auch in der Abschiedsrede für Schnez deutlich. Rede des Bundesministers der Verteidigung zur Verabschiedung von GenLt Schnez am 24. 9. 1971, BArch-MA, N 651/17. Vgl. auch Loch, Deutsche Generale, S. 196. 261 Der Bezug zu den Ankündigungen im Weißbuch 1970 findet sich insbesondere im Zustandsbericht der Panzerlehrbrigade 9, 6. 11. 1970, S. 7 f., BArch-MA, BH 7-1/487. 262 Als Beispiel vgl. die genaue Aufgliederung der Wochenarbeitszeit von Unteroffizier Peter Otto Müller vom 30. 3 bis 26. 9. 1970 (62,1 Std/Woche), Zustandsbericht Panzerlehrbrigade 9, 6. 11. 1970, BArchMA, BH 7-1/487. 263 Zustandsbericht 11. Panzergrenadierdivision 22. 12. 1970, S. 4 f., BArch-MA, BH 7-1/487. 264 Zustandsbericht des Heeres 1970, 12. 3. 1971, S. 17, BArch-MA, BW 2/4870. Es gibt zahlreiche weitere Berichte über die massiven Probleme bei der Disziplin, der Leistungsbereitschaft und dem Selbstverständnis als Soldat in dieser Zeit, die – so der Korpsartillerieführer 1 – die Grenzen des Tragbaren überschritten. Vgl. beispielsweise den Kommandeurbrief Nr. 5, I. Korps, 30. 6. 1971, BArch-MA, BH 7-1/905; Günter Kießling, Versäumter Widerspruch, S. 269 f. 1022
Der stellv. Kommandeur der 5. Panzerdivision schrieb zur Personallage: »Gute Kommandeure, ordentliche Chefs (z. T. noch unerfahren), kritische Situation bei den Leutnants, oft sehr gute Feldwebel, Absacken bei den Unteroffizieren, darunter etliches zusammengefegtes Kroppzeug, was uns nach Weggang der ordentlichen Feldwebel belasten wird.« Aus dem Bereich der Abiturienten könne nur ganz schwer Nachwuchs gewonnen werden, »weil wir alle nach der negativen Vorarbeit von Schule, Eltern, Verbänden erst mal umfunktionieren« müssten. Heinz-Georg Lemm an Karst, 26. 11. 1969, BArch-MA, N 690/116. 265 Kriegsdienstverweigerung aus der Sicht eines Beisitzers im Prüfungsausschuss (Hellmuh Dettinger), 13. 1. 1970, Zustandsbericht II. Korps 1969, S. 61–67, BArch-MA, BH 1/24648. 266 So etwa Horst Hildebrandt, Kommandeur der 1. Panzerdivision, der von einer »noch ausreichenden Offizier- und Unteroffizierlage« sprach und trotz der steigenden Zahl von Disziplinverstößen glaubte, den Einsatzauftrag seines Verbandes im Ernstfall erfüllen zu können. Militärischer Zustandsbericht 1. Panzergrenadierdivision, 28. 12. 1970. Deutlich kritischer war Generalmajor Horst Ohrloff. Er sah verschiedene gesellschaftliche und politische Institutionen in der Verantwortung für das Ausbleiben des Offiziernachwuchses. In: Militärischer Zustandsbericht 3. Panzerdivision, 22. 12. 1970, S. 3, 9, 27. Der Kommandeur der Panzerlehrbrigade 9, Gottfried Ewert, war ebenfalls eher kritisch und beklagte, dass die Hälfte aller Wehrpflichtigen einen zu niedrigen Intelligenzquotienten hätte, um die anspruchsvollen 1023
Aufgaben eines Panzergrenadiers im Schützenpanzer zu erfüllen, Zustandsbericht Panzerlehrbrigade 9, 6. 11. 1970, S. 6, BArch-MA, BH 7-1/487. Eher kritisch zum Zustand des inneren Gefüges auch der Zustandsbericht der 6. Panzergrenadierdivision, 17. 12. 1970, BArch-MA, BH 7-1/487. 267 Militärischer Zustandsbericht der 7. Panzergrenadierdivision, 21. 12. 1970, S. 12, 15–17, 31– 34, 42 f. BArch-MA, BH 7-1/487. Vgl. auch 7. Panzergrenadierdivision, 19. 3. 1971, Vorschläge zur Konsolidierung des Heeres, BArch-MA, BH 7-1/1123. 268 Weitere Details der Entstehung und des weiteren Verlaufs bis zur Veröffentlichung am 19. 3. 1971 bietet: Zeitlicher Ablauf der Aktion der Hauptleute 7. Panzergrenadierdivision, BArch-MA, BH 7-1/1123, sowie eine Reflexion von Hermann Büschleb, der am 8. 4. 1971 von dem entlassenen Eike Middeldorf die 7. Division übernehmen musste: »Aktion der Unnaer Hauptleute 1971«, in: BArch-MA, N 596/55. 269 Niederschrift der Ergebnisse einer Arbeitstagung von Hauptleuten (KpChefs) 7. PzGrenDiv im Dezember 1970. Sie ist vielfach überliefert, etwa in BH 8-7/200. Mit den Kommentaren des neuen Divisionskommandeurs Herrmann Büschleb in: BArch-MA, N 596/55. 270 In einer Meinungsumfrage vom April 1971 meinten 30 Prozent der Befragten (39 Prozent der Männer), dass in letzter Zeit die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr nachgelassen habe. Jahrbuch der öffentlichen Meinung, 1968/73, Allensbach 1974, S. 501. 271 Tagebuch de Maizière 12. 1. 1971, BArch-MA, N 673/290. 1024
272 De Maizière meinte, dass ein Rücktritt nur infrage käme, »wenn es sich für die Streitkräfte lohne«. Vermerk über den Besuch des GenInsp Bw bei der PzBrig 21 in Augustdorf am 12. 1. 1971, den 13. 1. 1971, S. 5, BArchMA, BW 1/22107. 273 Middeldorf stürzte in der wesentlich von ihm selbst angestoßenen Affäre. Als mit dem Gang an die Öffentlichkeit auch er als Kommandeur in die Kritik geriet, distanzierte er sich ein Stück weit von den Hauptleuten und bot konkrete Verbesserungsvorschläge an, um die Kritik in konstruktivere Bahnen zu lenken. 7. Panzergrenadierdivision, 19. 3. 1971, Vorschläge zur Konsolidierung des Heeres, BArch-MA, BH 7-1/1123. Als er Ende März damit rechnen musste, bei Minister Schmidt in Misskredit geraten zu sein, nahm er Kontakt mit dem Stern auf und versprach eine Enthüllungsgeschichte. Für das Interview wurden 100 000 Mark Honorar gefordert. Henri Nannen ließ sich diese Vorlage nicht entgehen und machte das unmoralische Angebot Anfang April publik. Middeldorf wurde daraufhin sofort in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Zeitgenössische Quellen Middeldorfs zu diesem Vorgang liegen der Forschung nicht vor. Ein Auszug seiner unveröffentlichten Memoiren ist in der Akte N 596-55 überliefert. Sie sind im Wesentlichen eine Entlastungsschrift, ohne weitere Details zum Gegenstand beizutragen. 274 Offiziere greifen die Führung an: »Die Zustände sind unerträglich«, Westfälische Nachrichten, S. 1. Inwieweit der pensionierte Heinz Karst auf die Hauptleute einwirkte, ist aus den Quellen nicht klar zu 1025
ersehen. Er hat die Niederschrift der Hauptleute Anfang März zusammen mit 75 anderen Empfängern erhalten. Notiz, I. Korps, Chef des Stabes, 8. 3. 1971, BArch-MA, N 596/55. Karst verteidigte die Hauptleute in einem Artikel der Bild-Zeitung vom 2. 4. 1971. 275 Zum Kampf muss erzogen werden, Der Spiegel, 5. 4. 1971. 276 Ausgewogen etwa der Leitartikel in der FAZ vom 8. 4. 1971: Keine Krise der Armee. Eine Zusammenstellung der Presseveröffentlichungen in BArch-MA, BH 71/1123 und N 596/22. 277 Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, 27. 3. 1971 Nr. 47/S. 473–485, sowie die Debatte nach der Regierungserklärung, in: BArchMA, N 596/55. 278 Weißbuch 1970, S. 19–20 enthält einen Kräftevergleich, der die Überlegenheit des Warschauer Paktes herausstellt. 279 Mitteilungen an die Presse IP-Stab, den 2. April 1971, BArch-MA, N 596/55. 280 Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, 27. 3. 1971 Nr. 47/S. 487 f., in: BArchMA, N 596/55. 281 Rundbrief an alle Kommandeure, einschließlich Bataillon, o. D., in: BArch-MA, N 596/55. 282 Vgl. z. B. Einzelbericht des BEBGenInsp vom 10. April 1971, in: Beauftragter Erziehung und Ausbildung des Generalinspekteurs, Chronik, S. 17–19. 283 Zwei Tage nach dem Gespräch mit dem Generalinspekteur zog der Kommandierende General des I. Korps 20 Kompaniechefs aus dem ganzen Korps 1026
zusammen, die die Thesen der Hauptleute von Unna diskutierten. Dabei wurden insbesondere die Personalund Disziplinprobleme sowie die mangelnde Wehrwilligkeit thematisiert. Die These von der Politisierung der Armee fand keine Mehrheit, und es wurde angeregt, das Papier der Hauptleute von Unna in den Formulierungen abzuschwächen, um so an Sachlichkeit zu gewinnen. Protokoll über Tagung mit Kompaniechefs am 14. 1. 1971, BArch-MA, N 596/55. Oberst Joachim Neumann stimmte den Hauptleuten im Wesentlichen zu. Er war ein hoch ausgezeichneter Artillerist des Zweiten Weltkriegs und Kamerad Heinrich Eberbachs in der 4. Panzerdivision. Er sprach von einem rapide gewachsenen Vertrauensschwund der Offiziere zur obersten militärischen und politischen Führung. »Ich halte das für irreparabel. Wenigstens der Generalinspekteur ist unerträglich geworden und muß weg.« Neumann an Büschleb, 14. 4. 1971, BArch-MA, N 596/25. Obwohl Günter Kießling einst ein Mitarbeiter Baudissins im Referat Innere Führung war, neigte er – zu diesem Zeitpunkt Kommandeur der Panzerbrigade 15 – eher zu den Hauptleuten von Unna als zu den Leutnanten 70. Kießling, Versäumter Widerspruch, S. 270 f. 284 So z. B.: Der Generalinspekteur der Bundeswehr, 6. 4. 1971, Information für Kommandeure 3/71, BArch-MA, BH 7-1/1123, in der er den Vorgang um die Hauptleute den Kommandeuren der Bundeswehr bekannt gab. Er rügte den Gang an die Öffentlichkeit, forderte aber auch, die Bedingungen für die Kompaniechefs erträglicher zu gestalten und »zu einer realistischen Beurteilung der Lage und Aufgaben der Streitkräfte« beizutragen. Kritik kam etwa von Brigadegeneral Ilsemann bei einem Vortrag vor 1027
der SPD Bremen: »Wer Disziplin einfordert, muss sie auch wahren.« Ebenda. 285 Die dienstrechtliche Beurteilung in einem Vermerk vom 22. 3. 1971, BArch-MA, BH 7-1/1123. 286 Zustandsbericht des Heeres 1970, 2. 3. 1971, S. 22, BArch-MA, BH 1/7188. 287 Zustandsbericht der Bundeswehr, 23. 6. 1971, BArchMA, BW 2/4870. 288 Helge Schulenburg veränderte in diesen Monaten seine Überzeugung nicht. Er schrieb Ende Mai 1971 einen Artikel für den Münchner Merkur, der aber auf Anraten IP-Stab nicht gedruckt wurde. Vorgang in BARch-MA, BW 1/27589. 289 Auf der ersten Tagung waren auch einige der Unnaer Hauptleute anwesend. Wortprotokoll von der Tagung des Bundesministers der Verteidigung mit Hauptleuten und Kompaniechefs am 30. 4. 1971 in Koblenz. Etliche Presseartikel zur ersten Tagung in Koblenz in: BArchMA, BH 7-1/1123. 290 Der Amtschef des Truppenamtes, Generalleutnant Sonneck, sprach von einem »Hamburger Klima (Universität, Graf Baudissin, auch Spiegel)«. Die Unterschiede zu den anderen Schulen in Hannover und München seien deutlich. Sonneck an Karst, 30. 1. 1970, BArch-MA, N 690/58. 291 Dazu Pamperrien, Helmut Schmidt und der Scheißkrieg. 292 Der Ausspruch stammt von Otto von Bismarck, dem das Prestige Helmut von Moltkes zuwider war. Etwa Görtemaker, Bismarck und Moltke, S. 489. 1028
293 Mosen, Militärsoziologie, S. 24. 71 Prozent der Bundeswehrangehörigen übten Funktionen aus, die insgesamt 250 verschiedenen Zivilberufen entsprachen. Angaben zur Wehrmacht bei Hartmann, Verbrecherischer Krieg, S. 9, der u. a. auf die Erhebungen von Creveld, Kampfkraft, S. 69 ff. verweist. 294 Von den 25 Hauptleuten von Unna wurden im Verlauf ihrer Karrieren einer Brigadegeneral und zwei Oberst. Von den Leutnanten 70 wurden drei Oberst. Aus beiden Gruppen verließen einige die Bundeswehr nach zwölf Jahren. Heiko Möhring (1940–2004), einer der Sprecher der Hauptleute von Unna, schrieb 1972 rückblickend, dass die Erfahrungen mit der Denkschrift »für uns alle« niederschmetternd gewesen seien, da sich nichts ändern werde. Am Ende des Weges werde der »opportunistische Verteidigungsbeamte« stehen, und der »sich selbst verantwortliche Soldat als Kämpfer […] ist zur belächelten Randfigur innerhalb wie außerhalb der Kasernen geworden«. Möhring an Karst, 22. 11. 1972, BArch-MA, N 690/36. Möhrings Vater fiel 1942 als Mitglied der Waffen-SS in Russland. Heiko war der Vater der Schauspieler Wotan und Sönke Möhring. 295 Es gab einen ganzen Strauß von militärischen Fachzeitschriften, etwa Information für die Truppe, Soldat und Technik, Truppenpraxis, Wehrkunde, Wehrwissenschaftliche Rundschau, aber auch Kampftruppen. Die Schnez-Studie, die Thesen der Leutnante 70 und der Hauptleute von Unna wurden in diesen Organen breit diskutiert. Die Zeitschrift Kampftruppen war dabei das Organ der Konservativen. Die Schnez-Studie wurde hier ebenso verteidigt wie im Kern die Kritik der Hauptleute von Unna, deren 1029
politische Vorwürfe allerdings missbilligt wurden. Die Leutnante 70 wurden hingegen scharf kritisiert. Vgl. insbesondere die Hefte 1/70, 2/71, 3/71. In den Kampftruppen konnte freier diskutiert werden, während die Truppenpraxis ganz vom BMVg abhing und dort »keine Zeile veröffentlicht werden [kann], die nicht vorher im Ministerium überprüft und genehmigt worden ist«. Schriftleiter Truppenpraxis Frithjof Heyse an CarlGero von Ilsemann, 22. 8. 1969, BArch-MA, N 736/18. 296 So interpretierte das auch die US-Botschaft, die ausführlich über die Debatte in der Bundesrepublik nach Washington berichtete. Die Probleme der Bundeswehr seien im Hinblick auf die zivil-militärischen Beziehungen nicht größer als die anderer westlicher Armeen. Die Botschaft betrachtete die Diskussion um die Hauptleute von Unna als »healthy development which reinforces the post-war bipartisan German conception of ›the nation as the school of the army‹ and not vice versa«. German Soldiers, 4. 5. 1971, S. 4; NARA RG 59, Entry 1613, Box 1736. Ähnliche Bewertungen auch in: Bundeswehr Discipline and the New Inspector General, 6. 6. 1972, NARA, RG 59, Entry 1613, Box 1737. Political Appraisal of the German Armed Forces, 18. 5. 1965, S. 1; Report for 1965 of the Bundestag Defense Commissioner, 19. 7. 1966, S. 1, NARA, RG 59, Entry 1631, Box 1644. 297 So das Ergebnis von Puzchia/Fooken/Feser, Soldat und Politik. Immerhin fanden die Autoren heraus, dass der typische NPD-Wähler im Bereich der Unteroffiziere ein nicht wehrmachtgedienter Feldwebel war, für den sich seine beruflichen Erwartungen nicht erfüllt hatten, der 1030
glaubte, dass die Bundeswehr mit der Demokratie nicht zu vereinbaren sei, und der die Prinzipien der Inneren Führung ablehnte. Ebenda, S. 59. 298 Hammerich, Der Militärische Abschirmdienst, S. 376– 378. 299 Truppenamt, 28. 7. 1966, BArch-MA, BH 2-795/8223. 300 Eigene Erhebung. 301 Reichenberger, Der gedachte Krieg, S. 180 f. 302 Zur US-Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe der jungen Bundeswehr Trauschweizer, Learning with an Ally. 303 Erst 1961 sprach die Bundeswehr davon, dass das »Bündnisdenken« allmählich dem »Besatzungsdenken« der NATO-Befehlshaber gewichen sei. Oberst i. G. Siebert, 5. 7. 1961, BArch-MA, BW 2/20098. 304 Schreiben Brigadegeneral Schnez an Verteidigungsminister Strauß, 16. 8. 1960, zit. nach Thoß, NATO-Strategie, S. 740. 305 Krüger, Schlachtfeld Bundesrepublik, S. 178. Dazu auch: Stichwortprotokoll über Schlussbesprechung »Planspiel Generalinspekteur an der Füak Bw 16. 2. 62«, BArchMA, BW 2-3408/50066. 306 Zustandsmeldung Heer, 1. 12. 60, Beurteilung des Kampfwertes nach der NATO-Klassifizierung, S. 26 f., BArch-MA, BW 2/2456. 307 1967 Inspizient Infanterie, BArch-MA, BH 2-467. Es handelt sich um Oberst Alfred Ritz, einen erfahrenen Krieger, der seit 1935 immer nur Infanterist und Frontsoldat gewesen war. Er kämpfte ohne Ausnahme im Schützenregiment 1 der 1. Panzerdivision, u. a. in 1031
Frankreich unter dem Kommando von Hermann Balck, und war 1944/45 dessen letzter Kommandeur. 308 New York Times, 12. 2. 1960. Die Ausgabe ist leicht zugänglich in: BArch-MA, BH 2-2059. 309 Zustandsmeldung Heer, 1. 12. 60, S. 8, BArch-MA, BW 2/2456. 310 Auszug aus einem Brief von Siegfried Storbeck an CarlGero von Ilsemann (wohl vom Dezember 1962 oder Januar 1963), BArch-MA, N 736/47. Storbeck war 1956 einer von Ilsemanns besten Fahnenjunkern und stieg in der Bundeswehr noch bis zum stellvertretenden Generalinspekteur auf. 311 Ansprache an Offiziere usw. der (12. Panzer-)Div in Hammelburg, Tauberbischofsheim und Walldürn am 2. 4. 1962, BArch-MA, N 666/27. Zur Klage über die schlechte körperliche Verfassung der Soldaten siehe auch Zustandsmeldung Bundeswehr 1964, S. 18, BArch-MA, BW 1/599330. 312 Dazu Reichenberger, Der gedachte Krieg, S. 226–236; Groß, Mythos, S. 297. Die Studie befindet sich in BArchMA, BH 1/9487. Interessant ist, dass auch der Inspekteur der Marine, Admiral Ruge, die offensive Vorwärtsverteidigung des Heeres unterstützte. 313 Ausführlich dazu Thoß, NATO-Strategie, Hoffenaar/Krüger, Blueprints for Battle. und 314 Zur Erinnerung: Die Hiroshima-Bombe hatte eine Sprengkraft von 20 KT. Lage Raubkammer, Februar 1960, BArch-MA, BH 9-4/86. Baudissins Tagebuch enthält wenige Reflexionen zu der Übung und gar keine zum gespielten Atomwaffeneinsatz. Auch als 1032
Brigadekommandeur trieben ihn vor allem Themen der Inneren Führung und – aufgrund seiner guten Vernetzung – der Personalpolitik um. Er sah sich aber damals schon als ein Beargwöhnter. Selbstbewusst meinte er, dass in seiner Brigade ein einmaliger Geist herrsche und es einen erstaunlich guten Ausbildungsstand gebe. Einträge über die operative Dimension gibt es zumindest in dieser Zeit nur wenige, etwa 22. 2., 4. 3.–9. 3., 10. 3. 1960. Aber auch diese gehen kaum über das Tagesgeschäft hinaus. Wie in der Ausbildung der Gegensatz von Frieden und Krieg, Atomkrieg und konventionellem Krieg gelöst werden sollte, reflektierte er zumindest an dieser Stelle nicht. Tagebuch Baudissin Januar und Februar 1960, BArch-MA, N 717/14. Eine erste Bewertung des Wirkens Baudissins als Brigadekommandeur enthält Hammerich, Kerniger Komiss, S. 132–134. Eine umfassende Aufarbeitung steht noch aus. 315 General der Kampftruppen, Reisebericht 2/61, 23. 2. 1961, BArch-MA, BH 1/597. 316 Zustandsmeldung Luftwaffe 1. 11. 1961, BArch-MA, BW 2/2458. 317 Dazu mit weiterer Literatur Reichenberger, Der gedachte Krieg, S. 231–267. 318 Die Bundesrepublik stellte 1968 mit 108 StrikeFlugzeugen (von 768), 86 Pershing, Sergeant, Honest John-Raketen (von 194) und 68 203-mm-Haubitzen (von 256) hinter den USA das zweitgrößte Kontingent taktischer Nuklearwaffenträger für die NATO-Streitkräfte in Mitteleuropa. Beurteilung der strategischen Lageentwicklung der Bundesrepublik Deutschland bis 1033
Mitte der 70er Jahre, 14. 6. 1968, S. 6 zu Anhang 4, BArch-MA, BW 2/20165. 319 Reichenberger, Der gedachte Krieg, S. 271–76, 290–296. 320 Ebenda, S. 277–331. Vgl. auch Strategische Auffassungen in der NATO und der deutsche Standpunkt, Anlage zu Fü B III 1 III 8 Tg Nr. 5951/64, BArch-MA, BW 2/50030. 321 Schlussbesprechung des Inspekteurs des Heeres anläßlich der Bundeswehrplanung in Köln am 4./5. 3. 1969, S. 13, BArch-MA, BW2/8526. 322 Zu Überlegungen zur Verteidigung der norddeutschen Tiefebene vgl. I. Korps, Stabsrahmenübung »Frischer Wind 74«, Operationsbefehl Nr. 1 für die Verteidigung im Norddeutschen Tiefland, BArch-MA, BH 7-1/495. 323 Abschlussbemerkungen des Generalinspekteurs der Bundeswehr zur Übung »Hermelin II«, BArch-MA, BW 2/8526. 324 Den Wandel bemerkten auch die Schweizer Generalstabsoffiziere, die zum Austausch in die Bundesrepublik geschickt wurden. Major i. G. Frank Seethaler hielt sich 1959/60 an der Führungsakademie auf, Alfred Ernst im November 1966 bei der 11. Panzergrenadierdivision in Oldenburg. Olsansky, Schweizerische Innenansichten. 325 Lutsch, Westbindung, S. 345–432. Vgl. auch Beurteilung der strategischen Lageentwicklung der Bundesrepublik Deutschland bis Mitte der 70er Jahre, 14. 6. 1968, S. 31, BArch-MA, BW 2/20165. 326 Zahlen für 1968 nach: Bestandsmeldung Großgerät, BArch-MA, BH 1/22208, 22209. 1034
327 Militärischer Zustandsbericht der Bundeswehr 1968, S. 31, BArch-MA, BW 1/599333. 328 Nach NATO-Vorgaben waren das 30 Kampftage. 329 Cover letter, 25. 3. 1970, TNA, FCO 33/1061; Defence Attaché Report 1967, Begleitbrief 25. 7. 1968, TNA, FCO 33/171, S. 5. 330 Olsansky, Schweizerische Innenansichten. Die Schweizer Offiziere, die während des Kalten Krieges Lehrgänge oder Übungen der Bundeswehr beobachteten, waren nicht unkritisch, hatten cum grano salis aber einen positiven Eindruck von der Kampfkraft des Heeres. Vgl. auch Seethaler, »Kecker Spatz«. 331 Saceur’s Combat Effectiveness Report 1969, Part II, Seite G-IV-5. NATO-Archiv, Brüssel. 332 Zustandsbericht Bundeswehr 1967, S. 54, BArch-MA, BW 1/599333. 333 Im Falle eines Überraschungsangriffs wurde der Einsatzwert der Luftwaffe im Vergleich zu den anderen Teilstreitkräften vom Generalinspekteur »am günstigsten« eingeschätzt. Den 18 Jagdbomberstaffeln der Luftwaffe fehlte es aber an moderner Abwurfmunition, um das Heer wirkungsvoll zu unterstützen. Man vermutete, dass bei konventionellen Einsätzen der Kampfwert der Luftwaffe durch hohe Verluste rasch abgesunken wäre. Die eigentliche Schlagkraft erhielt sie durch die Fähigkeit, taktische Atombomben abzuwerfen. Deren Einsatz wollte man aus politischen Gründen aber tunlichst vermeiden. Zustandsbericht Bundeswehr 1969, S. 37, BArch-MA, BW 2/4869. Vgl. auch Lemke u. a., Die Luftwaffe 1950 bis 1970, S. 479–484. 1035
334 Aktenvermerk über die Besprechung der Kommandierenden Generale im BmVtdg mit InspdH, Generalinspekteur und Minister am 2. 9. 1968, S. 2, BArch-MA, N 596/21. 335 Die Gefechtsstandtechnik sei im Wesentlichen auf dem Stand des Zweiten Weltkrieges und die modernen Führungsmittel würden von den Truppenführern nicht beherrscht. Erfahrungsbericht Gefechtsübung »Gutes Omen«, S. 23, BArch-MA, BH 7-2/286; Erstauswertung der Erfahrungsberichte der Inspizienten der Truppen-/Waffengattungen und der Beobachter des FüH über die Übung »Gutes Omen« vom 19.–24. 9. 1971, BArch-MA, BH 1/916a, S. 9–11. 336 Brigadegeneral Guderian, Besprechungspunkte Inspekteur, 19. 9. 1968, BArch-MA, N 999/64. 337 Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1969, S. 25, BArch-MA, BW 2/4869. 338 Militärischer Zustandsbericht des I. Korps 1969, S. 19, 39 f., BArch-MA, BH 1/24648. 339 Tagebuch Beermann, 6. 11. 1968, BArch-MA, N 597/170, S. 24. Zur Lage der Sanitätsversorgung vgl. den Erfahrungsbericht zur Übung Fallex 66 und Fallex 68 in BH 2-1121/8252. Demnach wurde 1966 eine verheerende Lage in der Sanitätsversorgung selbst im Falle einer ausschließlich konventionellen Kriegführung attestiert. 1968 attestierte man, dass sich die Lage deutlich gebessert habe. Die Reservelazarettorganisation konnte im Ernstfall über 33 000 Betten aufnahmebereit machen. Freilich fehlte es auch 1968 an weiblichem Personal für die Hospitäler. 1036
340 Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1968, S. 17, BArch-MA, BW 1/599333. 341 Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1970, Anlage 1, S. 2, BArch-MA, BW 2/4870; Brigadegeneral Hermann Büschleb, Chef des Stabes I. Korps, Der Stand der Streitkräfte 1969, S. 5, BArch-MA, N 597/21. 342 Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1968, S. 19, BArch-MA, BW 1/599333. 343 General der Kampftruppen, Bericht über die Übung »Grosser Rösselsprung«, S. 10, BArch-MA, N 802/255; vgl. auch 1968 »Schwarzer Löwe«, N 999/64, S. 6. General der Kampftruppen, Zusammengefasster Bericht für das Jahr 1972. 344 Schlussbesprechung des Inspekteurs des Heeres zur Übung »Schwarzer Löwe« des II. Korps, S. 5, BArchMA N 999/64. Vgl. Abschlussbesprechung des Inspekteurs des Heeres der Herbstübung »Schwarzer Löwe« am 21. 09. 1968 in Münsingen, S. 4 f., BArchMA, BH 7-2/18, S. 5; Inspizient der Heeresflugabwehr, Erstauswertung Übung »Gutes Omen« (1971), BArchMA, BH 1/916a. 345 So der Inspizient Panzertruppe 1967 als Kommentar zum Manöver »Hermelin II«, 14. 11. 1967, S. 9, BArch-MA, N 802/255. 346 Erstauswertung der Erfahrungsberichte der Inspizienten der Truppen-/Waffengattungen und der Beobachter des FüH über die Übung »Gutes Omen« vom 19.–24. 9. 1971, S. 5, BArch-MA, BH 1/916a. 347 General der Kampftruppen, Zusammengefasster Bericht für das Jahr 1972, BArch-MA, N 999/97, S. 3, 18. 1037
348 Vgl. z. B. General der Kampftruppen, Erfahrungsbericht »Gutes Omen«, BArch-MA, BH 1/916a. 349 Vortrag Heinz Günther Guderian auf der Kommandeurtagung 1968, BArch-MA, N 802/255, S. 5. 350 Oberstleutnant Weidemann, Truppenamt, 15. 10. 1968, Führungsverfahren und Gefechtsstandtechnik während der Übung des II. (GE) Korps »Schwarzer Löwe« vom 15.–19. 9. 1969, S. 12, BArch-MA, N 447/46. Auch Erfahrungsbericht III. Korps Rösselsprung«, S. 7, BArch-MA, BH 7-3/14. »Grosser 351 Schlussbesprechung für die Übung Rösselsprung« am 13. 2. 1969, S. 10 f., 21. »Grosser 352 In der Sprache der NATO meinte dies serious bzw. major deficiencies. Saceur’s Combat Effectiveness Report 1969, Part II, Seite G-IV-6. NATO-Archiv, Brüssel. Die amerikanische Botschaft urteilte zum selben Zeitpunkt milder: »American military observers have a generally high regard for the Bundeswehr’s fitness and combat potential. It is by far the strongest NATO force on the continent.« Allerdings sei die Artillerieunterstützung der deutschen Korps schwach, es gebe zu wenige junge Offiziere und Unteroffiziere, die materiellen Reserven für einen Krieg seien ungenügend und ebenso das Mobilmachungssystem. Status of Reorganization of the FRG Armed Forces, 16. 4. 1968, S. 7, NARA, RG 59, Entry 1613, Box 1546. 353 Brigadegeneral Hermann Büschleb, Chef des Stabes I. Korps, Der Stand der Streitkräfte 1969, S. 8, BArch-MA, N 597/21. 1038
354 Bruno C. Kuss an den Deutschen Logistischen Bevollmächtigten in Frankreich, 10. 12. 1968, BArchMA, N 690/115. 355 Militärischer Zustandsbericht der Bundeswehr 1968, S. 32, BArch-MA, BW 1/599333. 356 Jahresausbildungsweisung des Inspekteurs des Heeres für das Jahr 1970, 5. 9. 1969, BArch-MA, BW 1/26046. 357 Saceur’s Combat Effectiveness Report 1969, Part II, Seite G-XII-5; G-XIII-5, NATO-Archiv, Brüssel. Das Bewertungsschema lautet: Full, High, Moderate, Limited. Die Verteidigungsfähigkeit der Heeresgruppe Center wurde nur als »limited« bewertet. Saceur’s Combat Effectiveness Report 1969, Part I, Seite X_I-4. NATOArchiv, Brüssel. 358 Dies machte Inspekteur Kammhuber schon 1959 deutlich. Stellungnahme des Inspekteurs der Luftwaffe zu den »Gedanken zur weiteren Entwicklung strategischer Pläne und ihre Auswirkung auf die Aufstellungsplanungen der Bundeswehr«, 16. 10. 1959, insb. S. 17 f. BArch-MA, BH 1/9487. Auch Reichenberger, Der gedachte Krieg, S. 288 f. Dazu auch Krüger/Lemke, Konzeption und Aufbau der Luftwaffe. Zuletzt Schreiber, Luftwaffe und ihre Doktrin, insb. S. 87–92. 359 1964 wurde über das AA die Überlegung an das BMVg herangetragen, zwei türkische Divisionen in die Bundesrepublik zu verlegen. Die deutschen Militärs lehnten das vehement ab, da die Eingliederung in einen deutschen Korpsverband erhebliche sprachliche und »psychologische Probleme« nach sich ziehen würde. »Ein Großverband mit 15 000 Soldaten fremder Nationalität (mohammedanischen Lebensgewohnheiten) dürfte im 1039
deutschen Bereich zu Unzuträglichkeiten führen.« Fü B III 1, 7. 3. 1964, BArch-MA, BW 2/50052. 360 So der Inspekteur des Heeres Martin Moll, in: Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1967, S. 29, BArch-MA, BW 1/599333. Ähnlich sein Nachfolger Albert Schnez, in: Aktenvermerk über die Besprechung der Kommandierenden Generale im BMVtdg mit InspdH, Generalinspekteur und Minister am 2. 9. 1968, S. 3, BArch-MA, N 596-21. Das II. Korps in Süddeutschland sprach 1971 davon, dass ein allgemeiner konventioneller Angriff nur abgewehrt werden könne, wenn »ein frühzeitiger selektiver Einsatz von ASprK und ADM möglich ist«. Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1970, Anlage, S. 3, BArch-MA BW 2/4870; Militärischer Zustandsbericht II. Korps 1971, S. 69, BArch-MA, BH 72/248. Vgl. auch Hammerich, Die Verteidigung der bayerischen Alpen. Die eigene Truppe stand den Auswirkungen feindlicher ABC-Angriffe praktisch schutzlos gegenüber, da es zu wenig Ausrüstung und zu wenige Übungen gab. Militärischer Zustandsbericht Bundeswehr 1968 S. 20, BArch-MA, BW 1/599333. 361 Tagebuch Beermann, 20. 8. 1968, BArch-MA, N 597/168, S. 40. 362 Ebenda, 20. 5. 1969, BArch-MA, N 597/173, S. 5. 363 Ebenda, 10. 9. 1968, 25. 10. 1968, BArch-MA, N 597/170. 364 Ebenda, 17. 2. 1969, 1. 1. 1970, BArch-MA, N 597/171, S. 1; /174, S. 25. 365 Ebenda, 28. 8. 1968, BArch-MA, N 597/168, S. 46. 1040
366 Ilsemann an de Maizière, 26. 8. 1968, BArch-MA, N 736/18. 367 Ilsemann an Moll, 4. 9. 1968, BArch-MA, N 736/18. 368 Aktenvermerk über die Besprechung der Kommandierenden Generale im BMVtdg mit InspdH, Generalinspekteur und Minister am 2. 9. 1968, BArchMA, N 596/21. Siehe auch Thilo, Die Tschechenkrise. 369 »Heute Befehlshabertagung mit Referat von Schnez über zukünftige Heeresstruktur. Größte Gefahr nach seiner Ansicht: Krieg unterhalb der atomaren Schwelle. Dieser sei nunmehr möglich, nachdem das Konzept der massive retaliation fallengelassen worden war. Man merkt ihm an, wie schwer es ihm fiel, sich den Boden dieser Realitäten zu stellen. […] Eine sehr dynamische Kraft. Er machte auf mich – ich muss es zugeben – einen recht guten Eindruck.« Tagebuch Beermann, 8. 2. 1969, BArch-MA, N 597/171, S. 17. 370 Lutsch, Westbindung oder Gleichgewicht, S. 96–213. Zu den Plänen von Franz Josef Strauß zu einer kleineren, aber atomar bewaffneten Bundeswehr Heuser, European Dream. 371 Überblick militärpolitische Lage. Ansprache General Foertsch vor KG u. Div. Kdr., 31. 10. 1961, BArch-MA, N 666/27. Die Sichtweise, dass die UdSSR auf die Errichtung einer kommunistischen Welt durch die Besetzung des Territoriums ihrer Gegner hinarbeite, findet sich auch in: Oberst i. G. G. Fintelmann, Fü H II 2, den 7. 1. 1965, Schwächen der Struktur und Taktik der sowjetischen Landstreitkräfte, BArch-MA, BH 1/30140. 372 Bericht über SHAPEX 68, in: Ergebnisprotokoll der Inspizientenbesprechung am 10. 6. 1968, BH 2/8221. 1041
373 Der einzige bekannte Beleg, dass eine Gegenoffensive noch bis auf das Territorium des Gegners geplant wurde, ist die sogenannte Führerreise der Heeresgeneralität 1968. »Dabei überschritt der eingeteilte Armeeführer im Verlauf eines erfolgreichen Gegenangriffs die Grenze zur CSSR und schnitt dabei einen in das eigene Gebiet hereinragenden Geländezipfel von einem Gesamtumfang von etwa 60 qkm ab. Dies führte darüberhinaus zu einer Frontbegradigung von mindestens 8–10 km Einsparung. Zudem gab es der politischen Führung ein nicht unwesentliches Faustpfand in die Hand.« Josef Moll, Erinnerungen, S. 213, Privatarchiv Moll. 374 So Artur Weber in seiner Kommandeurbesprechung am 3. 7. 1961, BArch-MA, N 666/26. 375 Schlussbesprechung der Übung PzGrenBrig 35 26.–28. 10. 1961 durch DivKdr, BArch-MA, N 666/27. 376 Ebenda. 377 12. Panzerdivision Kommandeur, Vermeintliche Überlegenheit des sowj. Soldaten im Kampf bei Dunkelheit 12. 4. 1961, BArch-MA, N 666/26. 378 Ansprache Kdr 12. PzDiv bei Kaserneneinweihung Tauberbischofsheim am 23. 9. 1961, BArch-MA, N 666/27. 379 Kdr.Besprechung [12. Panzerdivision] 13. 11. 1961, S. 7, ebenda. 380 Weltz, Wie steht es um die Bundeswehr?, S. 116. 381 Generalinspekteur der Bundeswehr, 22. 5. 1958, BArchMA, BW 2/3949. Um zu erfahren, was die Väter im letzten Krieg geleistet haben, empfahl Artur Weber als Inspekteur der Kampftruppen 1961, den 1042
Bundeswehrsoldaten die Wochenschauen aus dem Krieg zu zeigen und »ungeeignete Stellen« (NS-Propaganda) herauszuschneiden. Inspektion der Kampftruppen, den 14. 12. 1961, BArch-MA, N 447/46. 382 Wegner, Erschriebene Siege; Howell, Von den Besiegten lernen; Searle, Wehrmacht Generals; Mallett, Hitler’s Generals in America. Freilich darf man den historischen Quellenwert dieser Studien auch nicht ganz negieren. Aufgrund des Mangels an anderer Überlieferung sind sie oft das Beste, was zur Verfügung steht. Zudem liefern sie durchaus auch kritische Einsichten. Vgl. etwa das Kapitel über Anzio in diesem Buch. 383 Für den Stichtag 1. 1. 1970 sind dies Franz Pöschl und Werner Ebeling. Hinzu kommt noch Heinz-Georg Lemm, der im September 1970 die 5. Panzerdivision übernahm. Lemm war ebenfalls ein ausgesprochener Troupier, diente den ganzen Krieg über im Infanterieregiment 27 und durchlief alle Positionen bis zum Regimentskommandeur. Er war hochausgezeichnet, 1945 mit 25 Jahren der jüngste Oberst des Heeres und geriet am 28. 2. 1945 in Gefangenschaft. In der Bundeswehr stieg er bis zum Generalleutnant auf. Range, Kriegsgedient, S. 305 f. Zu Lemm und seinem Bataillon an der Ostfront auch: Römer, Volksgemeinschaft. 384 Die Vergangenheit ist allgegenwärtig, Hamburger Abendblatt, 8. 2. 2000. https://www.abendblatt.de/archiv/2000/article204200015/ Die-Vergangenheit-ist-allgegenwaertig.html. Letzter Abruf 7. 11. 2019. 385 Beispielsweise Middeldorf, Führung und Gefecht; Niepold, Mittlere Ostfront; ders., Panzeroperationen. 1043
386 Ebeling gehörte während des gesamten Krieges der im August 1939 aufgestellten 58. Infanteriedivision an. In seinen Romanen ging es vor allem um zwischenmenschliche Konstellationen. Äußerst plastisch geschilderte Kampfszenen, in denen reichlich Blut fließt, kommen allerdings häufig vor. Vgl. z. B. »Nicolas oder Asyl im Niemandsland« (1998) und »Links vom Koma« (1999). 387 Detailliert dazu: Santosha Julian Terasa, Die Kriegserfahrung der Heeresgeneralität der Bundeswehr. Eine quantitative Untersuchung. Bachelorarbeit Uni Potsdam 2020. 388 Von den 208 Bundeswehrgenerälen der Jahrgänge 1894 bis 1914 hatten 112 eine Dienstzeit im OKH. 389 Josef Moll an seine Frau, 20. 2., 23. 2., 28. 2. 44, Privatarchiv Moll. 390 Liaison Activities with Italian Sixth Army, 1. 11. 1951, Der Kampf um Sizilien, S. 84 f., BArch-MA, ZA 1/1321. 391 FüB (Z) Nr. 120/60, 9. 3. 1960, Vorlage für den Bundeskanzler »Auftragstaktik, Befehlstaktik«, BArchMA, BH 2-2059; Inspektion der Kampftruppen, Stellungnahme zum Erfahrungsbericht über die Teilnahme des PzBtl 54 an der Übung »Winter Shield II«, 13. 4. 1961, BArch-MA, N 447/46. 392 Schlussansprache des Herrn Generalinspekteurs, General de Maizière anlässlich der Planübung »Orakel« am 22. 3. 1967 im Truppenamt Köln, S. 8, BArch-MA, BW 2/8692. Vgl. auch Konzeption des Heeres, 30. 5. 1969, insbesondere S. 123 f., BArch-MA, BW 2/1120; Erfahrungsbericht zur Gefechtsübung »Grosser 1044
Rösselsprung«, 19. 12. 1969, S. 9 f., BArch, BH 7-3/14, S. 10. 393 Schlussbesprechung der Winterübung »Panthersprung« durch den Herrn Kommandierenden General III. Korps am 18. 1. 1967, S. 8, BArch-MA, BH 7-3-/515. 394 Ebenda, S. 13. Ausführlich dazu zuletzt Loch, Deutsche Generale, S. 309–352. 395 Konzeption der Bundeswehr 1969, insb. S. 125, BArchMA, BW 2/1120. 396 Schlussbesprechung für die Übung »Grosser Rösselsprung« am 13. 9. 1969, S. 31, BArch-MA, BH 73/813. 397 Eindrücke von der Div-GefÜbung »Gutes Omen« des II. (GE) Korps 1971, BArch-MA, BH 7-2/842. 398 Helmut Hammerich hat darauf hingewiesen, dass es in den von Briten, Belgiern, Niederländern und Amerikanern national geführten Korps durchaus unterschiedliche Vorstellungen davon gab, wie die Defensive zu führen war. Insbesondere die Briten betrachteten Norddeutschland wohl immer als eine Art von Verteidigungszone und waren wenig geneigt, die Masse ihrer Kräfte im Kampf an der deutsch-deutschen Grenze zu verschleißen. Der deutsche Verteidigungsattaché in London meinte noch 1982, dass die Briten »defensive-minded« seien, zu wenig Angriffsgeist entwickeln und das britische Verteidigungskonzept den Anschein einer beweglich geführten Ausweichoperation habe. Vgl. Jahresbericht des Verteidigungsattachés London 1981, 2. 2. 1982, S. 26, BArch-MA, BW 4/1386; Jahresbericht 1982 (gekürzte Fassung), 9. 2. 1983, S. 14, BArch-MA, BW 1045
4/1397; Hammerich, Halten am VRV, S. 104. Zur Führungskultur des Heeres vgl. Groß, Geschichte operativen Denkens, S. 302–306; Reichenberger, Der gedachte Krieg, S. 255–258; 345 f.; Werner Scheven, Die Truppenführung. Zur Geschichte ihrer Vorschrift und zur Entwicklung ihrer Struktur von 1933 bis 1962, Hamburg 1969, BArch-MA, N 992/79; Hartmut Foertsch, Entwicklung militärischer Führungsgrundsätze des deutschen Heeres im Zeitraum 1921–34, Hamburg 1968, BArch-MA, N 992/100. 399 Etwa durch Johann Adolf Graf von Kielmansegg, der Härteübungen zur Gewöhnung an das Leben im Felde einforderte. Ausbildungshinweis, 5. Panzerdivision, 31. 12. 1959, BArch-MA, N 596/15. 400 Konzeption des Heeres, 30. 5. 1969, S. 134, 156, BArchMA, BW 2/1120. 401 7. Panzergrenadierdivision, Übungsauswertung der Winterübung »Panthersprung«, 20. 2. 1967, BArch-MA, BH 7-3/516. 402 Panzeraufklärungslehrbataillon 11, Erfahrungsbericht zur Übung »Hermelin II«, 15. 11. 1967, S. 12 f., BArch-MA, BH 7-1/28. 403 Oskar Munzel als General der Panzertruppen zu »Hermelin II«, S. 7, BArch-MA, N 447/56. 404 Beiwohnen des KG an Übung »Otter« vom 25.–27. 10. 1968, BArch-MA, N 596/21. 405 Werner Krieger an Heinz Karst, 15. 9. 1969, BArch-MA, N 690/116. 406 Kersting/Reulecke/Thamer, Bundesrepublik, S. 35. Aufbrüche; Rödder, Die 1046
407 Loth, Die Rettung der Welt, S. 151–186. 408 So eines der zentralen Argumente von Loch, Deutsche Generale. Er widerspricht damit der gängigen Forschung, die vor allem einen konservativen Sozialprotektionismus am Werk sah. Vgl. z. B. Bald, Offizier; Bald, Militär und Gesellschaft, S. 92–99. 409 Karl Schnell war von 1977 bis 1980 Staatssekretär. Nach ihm haben nur zwei weitere Generäle diesen hohen politischen Posten ausgeübt: Jörg Schönbohm von 1992 bis 1996 und aktuell Benedikt Zimmer, der seit 2018 den Posten des Rüstungsstaatssekretärs innehat. 410 Apel, Abstieg, etwa S. 29–32, 45–47. 411 Rödder, Die Bundesrepublik, S. 37. 412 Zuletzt hierzu: Spohr, Weltkanzler. 413 Zum weiteren sicherheitspolitischen Kontext Lutsch, Westbindung oder Gleichgewicht, S. 587–750. 414 Hansen, Abschied vom Kalten Krieg, S. 68 f. 415 Ebenda, S. 79, Fn. 237. 416 So das zentrale Argument von Hansen, Abschied vom Kalten Krieg. 417 Bösch, Zeitenwende, S. 260. Einen differenzierten Blick auf die Haltung der Friedensbewegung zur USA bietet Gassert, Viel Lärm um Nichts, insb. S. 195 f. 418 Bösch, Zeitenwende, S. 259. 419 Heidemeyer, NATO-Doppelbeschluss. Zur Debatte um die Stasi-Unterwanderung der Friedensbewegung Wettig, Sowjetunion versus Nehring/Ziemann, Führen alle Wege nach Moskau? Zur Vorstellung der SPD- 1047
Nachrüstungsgegner, dass die Sowjetunion ein Opfer der US-Politik sei, Hansen, Abschied vom Kalten Krieg, Fn. 261. 420 Kohl-Interview 2003. http://www.blogsgesang.de/2015/04/02/helmut-kohlwird-85-vermaechtnis-eines-machtmenschen/. 421 Schon 1980 hatten 75 Prozent nicht geglaubt, dass eine abgerüstete Bundeswehr die Sowjetunion friedensbereiter machen würde. FüS I 4 Aktennotiz zu aktuellen Umfragen, 3. 7. 1981, BArch-MA, BW 2/16001. 422 Vlad Zubok, A Failed Empire. 423 Als Überblick siehe auch Geiger, Vergeblicher Protest. 424 I. Korps G1 Jugendoffizier, Tätigkeitsbericht 1973, BArch-MA, N 596/27. 425 So Manfred Wörner in einem Vortrag am 11. 12. 1980 in Bonn, in: BArch-MA, N 842/35. 426 Oberstleutnant Arnulf Heimbach, Kdr. San-Btl. 3, Kritische Gedanken eines Bataillonskommandeurs zu den neuen Traditions-Richtlinien, 6. 1. 1983, BArch-MA, BW 2/32288. Zu den negativen Folgen der Abrüstungsdebatte für die Stimmung unter den Offizieren der Bundeswehr siehe auch den Jahresbericht 1983 des BEA, S. 21 f., BArch-MA, BW 1/236556. 427 Militärischer Zustandsbericht Bundeswehr 1980, S. 54, BArch-MA, BW 2/49316. 428 Zahlen zitiert in: Vortrag Werner Scheven, »Jugend, Gesellschaft und Staatsbürger in Uniform«, 22. 6. 1981, S. 11, BArch-MA, N 992/51. Vgl. auch Jahrbuch für Demoskopie 1984–1992, S. 1050. 1048
429 BArch-MA, N 992/51, S. 17. Die Zahlen schwanken zwischen 36 und 28 % ja, man kann; 47–36 % zweifelhaft, 13/14 Prozent nein, 4–21 % ohne Angabe. In: N 992/51. Auch Jahrbuch für Demoskopie 1978 1983, S. 628. 430 So der Präsident des Rings Deutscher Soldatenverbände e. V.: Genermalmajor a. D. Horst Niemack, BArch-MA, BW 2/32291. Dazu Hoeres, Tendenzwende, insb. S. 106, 109. 431 Vgl. dazu Jahrbuch für Demoskopie 1984–1993, S. 1047 f., 1079. Interessant ist der Hinweis, dass in der Bundesrepublik, in Italien und Japan als den Verliererstaaten des Zweiten Weltkriegs die Bereitschaft, notfalls das eigene Land militärisch zu verteidigen, deutlich schwächer ausgeprägt war als bei den Siegermächten oder auch in Spanien. 432 Eigene Auswertung. 433 21. 6. 1987, Kleine Anfrage Petra Kelly, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/11/005/1100526.pdf. 434 Bald/Sahner/Zimmer, Parlamentarische Kontrolle, S. 248–261. 435 Diese Aussage muss präzisiert werden: Vorgeschrieben war das Studium für Offiziere, die sich auf 12 Jahre verpflichteten und die die Masse des Offizierkorps ausmachten. Das Studium war in der Regel auch Voraussetzung für die Übernahme als Berufsoffizier nach zwölf Dienstjahren. Es gab aber auch Offiziere, die sich auf kürzere Zeit verpflichteten und für die das Studium nicht vorgeschrieben war. 1049
436 Etliche Beispiele in der Korrespondenz von Heinz Karst, N 690/36. Vgl. auch Karst an Reichenberger, 13. 5. 1974, BArch-MA, N 690/106. 437 Reichenberger an Karst, 11. 1. 1973, BArch-MA, N 690/36. Vgl. auch der Briefwechsel von Hermann Büschleb und Friedrich Löser, wobei Ersterer pessimistisch und Letzterer mit Vertrauen auf die Politik Georg Lebers blickte, 26. 4., 1. 5. 1973, BArch-MA, N 596/27. 438 So Hasso von Benda am 6. 7. 1973 an Heinz Karst, BArch-MA, N 690/36. 439 Heinz Karst an Artur Weber, 6. 7. 1978, BArch-MA, N 690/113. 440 Aktennotiz April/Mai 1973, BArch-MA, N 596/27. 441 Kp ChefTagung, S. 10, BArch-MA, N 596/27. 442 Bemerkungen zur Analyse des Sachstandes der Inneren Führung v. 17. 4. 1973, Stellv. KG, I. Korps, 1. 8. 1973; vgl. auch die Notiz zu einer von ihm geleiteten KpChefTagung Nov/Dez 1973, BArch-MA, N 596/27. 443 Marinefliegerdivision, Memorandum zum Leistungs- und Qualitätsabfall des Offz.Korps mit Vorschlag zur Verbesserung, 31. 1. 1973, BA/MA N 995/7; Stellv. Kommandeur der 1. Gebirgsdivision an Oskar Munzel, 10. 3. 1981, BArch-MA, N 447/73. 444 Heinz Karst an Günter Kießling, 20. 7. 1973, BArch-MA, N 690/36. 445 Vgl. etwa der Kommandeur des Fernmelderegiments 34, Oberst F. König, an Heinz Karst, 20. 10. 1972, BArchMA, N 690/36. 1050
446 Fritz Zwicknagel an Heinz Karst, 15. 10. 1973, BArchMA, N 690/106. 447 Abgesehen von den wenigen Offizieren, die vor ihrem Eintritt in die Bundeswehr zwischen 1945 und 1955 studiert hatten. 448 Hochschule der Bundeswehr Hamburg – Leiter Studentenbereich, 29. 8. 1978; Lagebericht Studentenbereich HSBw München, 4. 8. 1978, BArchMA, BW 2/13936. 449 Oberst Werner von Scheven, Innere Führung 1982, Aktuelle Probleme und Absichten, Dezember 1981, BArch-MA, N 447/35. 450 Ministerbesprechung am 3. 5. 1984, Vortrag Prof. Dr. Bastian, S. 4, BArch-MA, BW 2/22234. 451 Dazu Joop, Militär und Gesellschaft, insb. S. 171–182. 452 Klein/Krisel, Berufsbild des Offiziers, S. 13 f. 453 Ilsemann, Bundeswehr in der Demokratie. Das Buch ist das Ergebnis einer umfassenden Beschäftigung mit dem Thema. Zahlreiche Reden und Vorarbeiten etwa in BArch-MA, N 736-3. 454 Planungsstab [Kritische Überlegungen zur Inneren Führung], 11. 5. 1978, S. 5, BArch-MA, N 992/50. 455 Nina Grunenberg, Vor Gold schweigen die Silberlinge, in: Die Zeit, 13. 5. 1977, https://www.zeit.de/1977/21/vor-gold-schweigen-diesilberlinge/komplettansicht. 456 Vortrag Werner von Scheven, »Grundsätze der Inneren Führung«, 23. 10. 1979, S. 1, BArch-MA, N 992/50. 457 Simon, Integration der Bundeswehr, S. 145. 1051
458 Ecke Demandt, Soldat in Deutschland, DTA 4008-1, S. 91. 459 Bald, Militär und Gesellschaft, S. 131. 460 Werner von Scheven, Die Innere Führung der Bw vor neuen Herausforderungen, April 1984, S. 11, BArch-MA, N 992/55. 461 Werner von Scheven an Carl-Gero von Ilsemann, 22. 12. 1983, N 736/22; Carl Gero von Ilsemann, Vortrag vor der Abteilung IV des Heeresamtes am 8. 12. 1981, BArchMA, N 726/26. 462 Heinz Karst an Carl-Gero von Ilsemann, o. D. [1983], BArch-MA, N 736/30. 463 Hans von Gottberg (1923–1987) kämpfte in der Wehrmacht und studierte nach der Kriegsgefangenschaft Geschichte und Germanistik. 1956 trat er in die Bundeswehr ein und stieg dort bis zum Oberst auf. Er schrieb schon während seiner Dienstzeit etliche Jugendund Abenteuerbücher. 464 Gottberg, Das große Buch der Bundeswehr. Vgl. ders., Das große Buch der Soldaten, Reutlingen 1981. 465 Zu den offiziellen Werbekampagnen siehe Loch, Gesicht. 466 Karl Zimmer, Erziehung zum Dienen: Verbesserung der Voraussetzung zum soldatischen Dienen. Vortrag gehalten auf der 7. Sitzung der Kontaktkommission KMK/BMVg, 27. 8. 1980, BArch-MA, BW 2/22147. 467 Der Ausspruch »Sterben für Danzig« wurde von Marcel Déat in einem Artikel für die Zeitung L’Oeuvre am 4. Mai 1939 geprägt. Er drückte damit die Skepsis aus, dass es nicht lohne, nur für den von Hitler geforderten Anschluss der Freien Stadt Danzig an das Deutsche Reich 1052
in den Krieg zu ziehen. Déat war ein rechtsextremer Politiker. Er gründete 1941 die französische Freiwilligenlegion für den Kampf gegen den Bolschewismus, die dann im Rahmen der Wehrmacht an der Ostfront kämpfte. Sein Artikel war schon damals hoch umstritten. 468 Werner Lange, »Die Motivation des Modernen Soldaten, Innere Führung in der Bw«, Anlage 4 zum BMVG Fü H I 3, 7. 2. 1980, BArch-MA, BH 1/12745. 469 Zur Organisation der politischen Bildung vgl. Befehl für die Politische Bildung in der 5. Panzerdivision im Jahre 1981, 22.1.21980, BArch-MA, BH 8-5/71. 470 Dieses Problem wurde von Werner von Scheven klar erkannt: Innere Führung 1981. Bestandsaufnahme und Ausblick, Dezember 1980, S. 10, BArch-MA, N 447/50. 471 Werner von Scheven, Vortrag am 23. 10. 1980 an der FüAkBw, S. 20, BArch-MA, N 992/51. 472 Etwa Brigadegeneral Dietrich Genschel. Vgl. BEAGenInsp, Jahresbericht 1983, S. 26, BArch-MA BW 1/236556. 473 So auch Helmut Schmidt am 20. 4. 1980 in Köln. 1980 N 992/51, Teil 2, S. 27. 474 Annual Report on the Federal German Armed Forces for 1976. TNA, FCO 33/3192. 475 1984 war die Vorgabe des Führungsstabes des Heeres, dass die Längerdienenden zu 40 Prozent durch Freiwilligenmeldungen und zu 60 Prozent durch die Werbung aus der Truppe gedeckt werden sollten. Im III. Korps wurde dies 1984 mit 43,5 zu 56,5 Prozent zum 1053
ersten Mal fast erreicht. Militärischer Zustandsbericht III. Korps, S. 16, BArch-MA, BH 7-3/780a. 476 Etwa Ernst-August Frede über seine Zeit als Kommandeur des Panzerbataillons 83 in Lüneburg 1971– 1974, in: ders., Erinnerungen, S. 94, DTA 4311-1. 477 Werner von Scheven, Die Innere Führung der Bw vor neuen Herausforderungen, April 1984, S. 11, BArch-MA, N 992/55. 478 Werner von Scheven, Vortrag G1/A1 Tagung der Bundeswehr in München, Herausforderungen an die Innere Führung, November 1985, BArch-MA, BH 1/22109. 479 Werner von Scheven, Vortrag anlässlich der G1/A1 Tagung an der SanAkBw München vom 4.–6. 11. 1985, BArch-MA, BH 1/22109. 480 Bastian, Wehrpflichtig in der Bundeswehr, S. 14. 481 BEA GenInsp, 9. 7. 1987, Abschlussbericht des BEAGenInsp, S. 5, BArch-MA, BW 2/24122. 482 Jahresbericht BEA 1977/78, 20. 3. 1979, BArch-MA, BW 2/15386, S. 5–8. Stimmen dazu hat auch gesammelt: Bastian, Wehrpflichtig in der Bundeswehr. 483 Beobachtungsbesuche 8/81 und 9/81 des BEAGenInsp bei der Luftlande- und Lufttransportschule Altenstadt am 24. 2. 1981, S. 17, BArch-MA, BW 2/15384. Vgl. auch Jahresbericht 1983 des BEAGenInsp, S. 4–12, BArchMA, BW 1/236556. 484 Beobachtungsbesuche 8/81 und 9/81 des BEAGenInsp bei der Luftlande- und Lufttransportschule Altenstadt am 24. 2. 1981, S. 17, BArch-MA, BW 2/15384. 1054
485 Interview Niels Janeke, 3. 1. 2020. Janeke durchlief die Offizierlaufbahn und ist heute Oberst i. G. und Chef des Stabes der NATO-Mission in Moskau. 486 Ebenda. 487 Werner von Scheven, Die Innere Führung der Bw vor neuen Herausforderungen, April 1984, S. 12, BArch-MA, N 992/55. 488 Bastian, Wehrpflichtig in der Bundeswehr, S. 12. 489 Werner von Scheven, Zur Lagefeststellung »Disziplin in den Streitkräften«, Vortrag am 8. 10. 1980, S. 13, BArchMA, N 992/41. 490 Die Studie und Unterlagen zur Pressekonferenz in: BArch-MA, BW 2/32544. 491 Auszug aus einem Feldjägerbericht Februar 1981, BArchMA, BW 2/16001. 492 25 Prozent zu 37 Prozent. Werner Scheven, Einstellungen und Erwartungen Junger Soldaten, Vortrag auf der 29. Kommandeurtagung am 3. 6. 1987, BArch-MA, N 992/72. 493 So ein Offizier im Jahresbericht 1983 des Beauftragten für Erziehung und Ausbildung beim Generalinspekteur der Bundeswehr, S. 21, BArch-MA, BW 1/236556. 494 Ministerbesprechung am 3. 5. 1984, Vortrag von Prof. Dr. Bastian, S. 7, BArch-MA, BW 2/22234. 495 Zu den Zustandsberichten auf unterer Ebene die selbständigen Kompanien und Bataillone der Panzerbrigade 29, in: BARch-MA, BH 9-29/329. Vgl. auch Auszüge aus Protokollen der Beobachtungsbesuche 1055
des BEAGenInsp 1. 1.–30. 6. 1982, S. 128, BArch-MA, BW 2/15385. 496 Jörg Ottersbach an Erich Vad, 26. 9. 1985, privat. 497 Dirk Heeren berichtete, wie in seinem Bataillon drei vom Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) eingeschleuste Soldaten vermeintlich den Auftrag hatten, unter juristischer Anleitung eines vom KBW finanzierten Rechtsanwalts aus Hannover das innere Gefüge des Bataillons zu stören. Sie hielten dann folgende Institutionen in Atem: 3. Kp, PzGrenBtl. 11, PzBGrenBrig 1, 1. PGD, I. Korps, BMVG, Bundeskanzleramt, Wehrbeauftragter, Truppendienstgericht Nord, Amtsgericht Gifhorn, Landgericht Hildesheim. Dirk Heeren, Truppenpraxis heute – Erfahrungen aus der Sicht eines Bataillonskommandeurs, Februar 1981, BArch-MA, BH 7-3/877. 498 Werner von Scheven, Zur Lagefeststellung »Disziplin in den Streitkräften«, Vortrag 8. 10. 1980, S. 17, BArchMA, N 992/41; G1 5. PzDiv, o. D. [1980], Betr. Lagefeststellung Disziplin, BArch-MA, N 992/51. Zur Schilderung des Stumpfsinns eines Unteroffizierlehrgangs in München Franz Morawitz an Carl-Gero von Ilsemann, 20. 8. 1982, BArch-MA, N 736/31. 499 Jahresbericht 1983 des BEAGEnInsp, S. 24, BArch-MA, BW 1/236656. 500 Jahresbericht 1988 des BEAGenInsp, S. 16, BArch-MA, BW 2/24122. 501 Fü H I 3, Schikanen unter Mannschaften, Februar 1981, BArch-MA, BW 2/22147. Die Binnenkultur wird treffend 1056
beschrieben bei Ganser, Technokraten in Uniform, S. 59– 63, 86–88. 502 Jahresbericht 1988 des BEAGenInsp, S. 5, BArch-MA, BW 2/24122. 503 Jahresbericht 1986 Soldatische Ordnung, S. 9, BArchMA, BW 2/25066. 504 Jahresbericht Besondere Vorkommnisse 1978, S. 25–27, BArch-MA, BW 2/15216, S. 33; Jahresbericht Soldatische Ordnung 1986, S. 21, BArch-MA, BW 2/25066, S. 21. 505 Führungshilfe für Kommandeure. Suizidgefährdung: Früherkennung und Vorbeugung, Anlage 1 [Statistik der Suizide von 1960 bis 1984], BArch-MA, BW 2/32278. 506 Abschlussbericht des BEA GenInsp, 9. 7. 1987, S. 23, BArch-MA, BW 2/24122. 507 Der Generalinspekteur ordnete 1987 sogar an, dass der Zustandsbericht der Bundeswehr fortan nur noch alle zwei Jahre in voller Länge zu erstellen sei. Hatte dieser 1965 noch 70 Seiten umfasst, war er 1987 auf 496 Seiten angewachsen. Er wurde aufgrund der politischen Lage dann für das Jahr 1989 nicht mehr angefertigt. Zum Bürokratismus der Bundeswehr in den Siebzigerjahren vgl. auch Ganser, Technokraten in Uniform, insb. S. 22–35. 508 BEA GenInsp, 11. 12. 1986, Das Verhältnis von Auftrag zu Mitteln, S. 12, BArch-MA, BW 1/15982. 509 Einen solchen Akt beschreibt ein Unteroffizier eines Transportbataillons in: BEAGenInsp, Auszüge aus Protokollen der Beobachtungsbesuche 1. 1. 1982–30. 6. 1982, S. 161–163, BArch-MA, BW 2/15385. 1057
510 So Werner von Scheven auf der 29. Kommandeurtagung 1987, BArch-MA, N 992/43. 511 Zu den konkreten Operationsplanungen vgl. etwa einen Auszug aus dem GDP CENTAG, in: Übungsunterlage für die Übungspartei III. (GE) Korps, 22. 5. 1975, BArchMA, BH 2/893. Es gab durchaus unterschiedliche Vorstellungen darüber, ob eine mit konventionellen Mitteln vorgetragene Großoffensive oder eine eher begrenzte, überraschende Faustpfand-Aktion des Warschauer Paktes wahrscheinlicher wäre. Die deutschen Stäbe gingen in den 1960er-Jahren eher von Letzterem aus und wechselten dann im Verlauf der 1970er-Jahre mehrheitlich zu ersterer Annahme. Beurteilung der Lage des Heeres, 1. 12. 1971, S. 2, BArch-MA, BW 2/6976; Militärstrategische Beurteilung der Lage der Bundeswehr Stand: 1. August 1973, Fü S III 2, 10. 5. 1974, S. 98, BArch-MA, BW 2/6976. 512 Stabsstudie über die Hauptverbündeten der NATO im Bereich AFCENT, 23. 3. 1973, S. 95, BArch-MA, BW 2/8342. 513 Vortrag Ernst Ferber vor Minister Leber, 22. 2. 1973, BArch-MA, N 651/17. 514 Operative Modellsituation der Landstreitkräfte in der BRD, Fü H 111, 10. 7. 1972, S. 6, BArch-MA, BW 2/8342; Kurzfassung Studie Contingencies, 1973, S. 4, BArch-MA, BW 2/6617-50021. Eine kritische Bestandsaufnahme der politischen und militärischen Lage der NATO durch den Chef des Stabes des I. Korps, Hermann Büschleb, 27. 12. 1972 & Kritische Bemerkungen nach HOSTAGE 1972, BArch-MA, N 596/26; Beurteilung der Lage des Heeres, 1. 12. 1971, S. 1058
53, BArch-MA, BW 2/6976, Militärstrategische Lagebeurteilung des Heeres, Grundsätzliche Folgerungen, 28. 12. 1972, S. 68, BArch-MA, BW 2/6976. 515 Nach einer NATO-Berechnung aus dem Jahre 1973 fehlten beim AFCENT 45 % der Landstreitkräfte, 20 % der Luftstreitkräfte und 15 % der Seestreitkräfte, um einen Angriff mit konventionellen Mitteln aufzuhalten. ACE Force Proposals 1973–78 SHAPE 1240.5/20-23/563/71, zit. in: Generalinspekteur TgNr. Fü S 20/73 str. geh, 21. 3. 1973, BArch-MA, BW 2/8342. 516 Dazu die Militärstrategische Konzeption der Bundeswehr 1973, BArch-MA, BW 2/8342, Fü S III 2, 20. 3. 1973, S. 1 f. 517 Erfahrungen aus dem vierten Nahost-Krieg, Anlage C TgbNr. FüS 4791/73, geh. v. 21. 12. 1973; Zur Auswertung des Krieges vgl. Memorandum for Admiral Zimmermann, Initial Observations Mideast Conflict, 5 Dec 1973, BArch-MA, BW 2/8721; Die Lehren aus dem 4. Nahostkrieg und die daraus zu ziehenden Konsequenzen für die Planung der Bundeswehr, BArchMA, BW 2/27501. 518 Dazu Kollmer, Nun siegt mal schön; ders. Rüstungsinterventionismus. Vgl. auch Reichenberger, Der gedachte Krieg, S. 352–361. 519 Working Paper »Hostage 74«, S. 7, 9, BArch-MA, N 651/55. 520 Ebenda, S. 23, sowie Besuch von United States Secretary of Defence James R. Schlesinger im HQ AFCENT am 18. 4. 1974, BArch-MA, N 651/55. Seine ausführliche Lageanalyse für das Jahr 1974 in: BArch-MA, N 596/56, 1059
hier S. 87. Bemerkenswerterweise gab es in den NATOStäben auch Mitte der 1970er-Jahre noch immer unterschiedliche Vorstellungen vom Einsatz taktischer Nuklearwaffen. Reichenberger, Der gedachte Krieg, S. 361. Etliche Dokumente dazu: Etwa Militärstrategische Konzeption der Bundeswehr 1973, S. 17, 20, BArch-MA, BW 2/8342. General Ernst Ferber hielt es 1974 als NATO-Oberbefehlshaber Mitte noch für notwendig, darauf hinzuweisen, dass »tactical nuclear weapons should not be considered as the use of an extremly effective artillery«. Working Paper »Hostage«, S. 7, 9, BArch-MA, N 651/55; Principles of Employment of Nuclear Weapons within Strategy of Flexible Response, BArch-MA, N 651/56. 521 Militärstrategische Konzeption der Bundeswehr 1973, S. 15, BArch-MA, BW 2/8342. 522 Nach Reichenberger, Der gedachte Krieg, S. 355 f. 523 Principles of Employment of Nuclear Weapons within Strategy of Flexible Response, S. 10, BArch-MA, N 651/56. 524 Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1975, BArchMA, BW 2/9328, S. 15; Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1976, S. 83a-c, BArch-MA, BW 2/9329; Arbeitsentwurf für die Entwicklung militärstrategischer Zielvorgaben, 31. 5. 1977, S. 41, 46, 87, BArch-MA, BW 2/50029. 525 Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1975, BArchMA, BW 2/9328, S. 1; Zusammenfassende Stellungnahme zu den zusammenfassenden Berichten über die Inspizierungstätigkeit der Inspizienten und Offiziere im Heeresamt mit Inspizierungsaufgaben 1. 1. 1060
1976–31. 10. 1976, 6. 1. 1977, S. 4, BArch-MA, BH 2/4508. 526 Etwa Richard von Rosen (1922–2015), Kdr der PzBrig 21, oder Horst Scheibert (1918–2010), Kdr der PzGrenBrig 13 in Wetzlar. 527 Es gab eine ganze Reihe solcher NATO-Wettbewerbe, in denen die Bundeswehrmannschaften seit den 1970erJahren gut abschnitten. Freilich bereiteten sich die Teams darauf besonders vor, sodass dies kaum Rückschlüsse auf die durchschnittliche Leistung der Kampftruppe erlaubt. Vgl. FüHI 5 Leistungsfähigkeit des Heeres bei militärischen Wettkämpfen mit internationaler Beteiligung, 5. 3. 1981, BArch-MA, BW 2/16001. 528 Schneller Wechsel 1974, Erfahrungsbericht, 15. 12. 1974, insb. S. 49, 58, 81 f., BArch-MA 7-3/454; Grossübung des Heeres 1975 Erfahrungsbericht, insb., S. 1, 5, BArchMA, BH 7-2/267; Militärische Abschlussbesprechung der Herbstübung des Heeres 1975 »Grosse Rochade«, 20. 9. 1975, insb. S. 43, BArch-MA, BH 7-2/371. 529 Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1975, BArchMA, BW 2/9328, S. 15, 122–124. 530 Militärischer Zustandsbericht der Luftwaffe 1975, S. 72; Militärischer Zustandsbericht der Marine 1975, S. 27, BArch-MA, BW 2/9328. 531 NATO Combat Efficiency Report 1974, C-1-4; 1976, C1-6, NATO-Archiv Brüssel. 532 Annual Report on the Federal German Armed Forces for 1976. TNA, FCO 33/3192. 533 Etwa I. Korps KG, Kommandeurmitteilung Nr. 11, Oktober 1976, BArch-MA, BH 7-1/905. 1061
534 Erfahrungsbericht Grosser Bär 1976, S. 43, BArch-MA, BH 7-1/531. 535 Schlussbesprechung der Heeresübung 77 »Standhafte Chatten, 16. 9. 1977, in: BArch-MA 7-3/539a. Sieben Jahre später zitierte der Kommandierende General des II. Korps, Werner Lange, Pöschels Worte in seiner eigenen Schlussbesprechung des Großmanövers »Flinker Igel« 1984, BArch-MA, BH 7-2/822, S. 2. 536 Inspizienten Infanterie waren zu diesem Zeitpunkt Brigadegeneral Werner Krieger und Oberst Günther Viezenz. Beide waren kampferprobte Infanteristen. Einer der kritischsten Berichte über die Korpsübung »Großer Bär« kam vom General der Kampftruppen, Generalmajor Fritz Birnstiel, ebenfalls ein kriegserfahrener Troupier, der im Januar 1945 an der Ostfront in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet. Heeresamt, General der Kampftruppen, 10. 9. 1976, Beobachtungspunkte Korpsübung »Großer Bär«, BArch-MA, BH 1/2459. 537 Inspizient der Panzertruppe, Zusammengefaßter Bericht über die Inspizierungen von Truppenteilen der Panzer-/Panzeraufklärungstruppe in der Zeit vom 1. Ok. 1974 bis 30. März 1975, S. 23, BArch-MA, BH 9-29/158. 538 Darauf verweist dezidiert der Kommandierende General Helmut Schönefeld in: Erfahrungsbericht Grosse Rochade (1975), Teil A Bewertung durch den Leitenden, S. 4, BArch-MA, BH 7-2/267. 539 So Hans Heinrich Klein in: Erfahrungsbericht Grosser Bär 1976, S. 6, BArch-MA, BH 7-1/531. Auch Generalinspekteur Jürgen Brandt in seiner Weisung für Ausbildung, Erziehung und Bildung in den Streitkräften 1062
im Jahre 1980, 14. 8. 1979, S. 3, BArch-MA, BW 2/22147. 540 Militärstrategische Konzeption der Bundeswehr 1973, S. 20 f., BArch-MA, BW 2/8342. 541 Extract from the »Annual Defense Department Report«, Section on »General Purpose Forces«, dated 5 February 1975, issued by Secretary of Defense Schlesinger to Congress, BArch-MA, N 651/55. In romanhafter Form verarbeitete der ehemalige Kommandeur der britischen Rheinarmee Sir John Hackett 1978 ein vergleichsweise realistisch anmutendes Szenario eines großen Krieges in Mitteleuropa, der nach anfänglichen Rückschlägen mit einem Sieg der NATO endet. Hackett, Welt in Flammen. 542 Arbeitsentwurf für die Entwicklung militärstrategischer Zielvorgaben, 31. 5. 1977, S. 16, 41, 46, 87, BArch-MA, BW 2-12436/50029. 543 Seit 1969 übten die amerikanischen Streitkräfte in jedem Herbst in großem Stil die Verlegung von Truppen nach Europa (REFORGER = Return Forces to Germany). Im Falle eines großen Krieges sollten die Soldaten von drei US-Divisionen und vier weiteren Brigaden sowie eine kanadische Division per Flugzeug und Schiff in die Bundesrepublik gebracht werden und ihr dort eingelagertes Material übernehmen. Zwei weitere USDivisionen hatten ihre Depots in den Niederlanden und Belgien. 544 Da sich Frankreich 1966 aus den militärischen Strukturen der NATO zurückgezogen hatte, war es auch nicht Mitglied der Nuclear Planning Group der Allianz, in der die Einsatzszenarien der Atomwaffen abgesprochen 1063
wurden. Vermerk über einen Besuch bei dem Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte in Deutschland am 25. 6. 1974 in Baden-Baden, BArchMA, BW 2/8721. Zur Kooperation mit den Franzosen und den schwierigen Absprachen vgl. z. B. für die Jahre 1972/73, BW 2/50019. 545 Beurteilung der Lage der NATO-Landstreitkräfte und des deutschen Heeres in der Mitte der 1980er Jahre, 30. 6. 1980, BArch-MA, BH 1/12766. 546 NATO Combat Efficiency Report 1980, D-1-16, NATOArchiv Brüssel. 547 Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1979, S. 10, BArch-MA, BW 2/12297. 548 Ebenda. Auf den Schlussbesprechungen der großen Korpsgefechtsübungen wurde traditionell nicht grundlegend kritisiert. Freilich war unübersehbar, dass der Duktus spürbar kritischer war als etwa in der Mitte der 1980er-Jahre. Vgl. z. B. Abschlussbemerkungen des Inspekteurs des Heeres bei der Abschlußbesprechung anläßlich der Korpsgefechtsübung »Harte Faust« am 21. 9. 1979, BArch-MA, BH 7-2/692a. Dagegen: Erfahrungsbericht 10. Panzerdivision »Flinker Igel«, 1984, S. 23, BArch-MA, BH 7-2/808. 549 Dazu Entwurf eines Vortrags zum Besuch von MdB Löber u. a. am 26. 2. 1982, BArch-MA, BH 7-1/943. 550 Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1980, S. 18, BArch-MA, BW 2/49317. Die Offizierausbildung wurde 1985 umgestellt. Fortan wurden die Offiziere drei Jahre ausgebildet, bevor sie an die Bundeswehruniversitäten wechselten, um mehr militärische Kenntnisse zu erwerben. Seit 2006 wurde die Zeit vor dem Studium 1064
wieder auf 15 Monate reduziert. Einen konzisen Überblick bietet: Christian Westphal, Die Offizierausbildung im deutschen Heer, in: Der Panzergrenadier 2/2013, S. 13–19. 551 Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1981, S. 64, BArch-MA, BW 2/49323. 552 Inspizient Panzertruppe, Jahresbericht 1979, S. 7, BArchMA, BH 2-4517. Panzerkommandanten hatten bis zu diesem Zeitpunkt den Rang eines Unteroffiziers. 553 Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1981, S. 65, BArch-MA, BW 2/49323. 554 Jahresbericht Inspizient Panzertruppe 1981/82, BArchMA, BH 8-9/391. 555 Etwa: Zusammenfassung der Berichte über die Inspizierungstätigkeit der Inspizienten, Offiziere mit Inspizierungsaufgaben und Geräteinspizienten, 1. 7. 1980–31. 3. 1981, S. 16, BArch-MA, BH 9-26/77. 556 Ebenda, S. 17; Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1981, S. 72, BArch-MA, BW 2/49323. 557 Jahresbericht Inspizient der Panzertruppe 1982/83, S. 2 f., 6, 8–10, 13 f. Mit teilweise noch drastischerer Tendenz der Jahresbericht Inspizient der Panzergrenadiertruppe 1982/83, S. 1–5. Mit einem etwas besseren Fazit der Jahresbericht Inspizient der Jägertruppe 1982/83, wobei insbesondere die Fallschirmjägertruppe positiv herausstach, S. 6, 11. Alles BArch-MA, BH 8-9/392. 558 Der Inspizient der Artillerie hielt fest, dass zu wenig geschossen werde. Teilweise sei eine Scheu, »sogar Angst« im Umgang mit großkalibriger Munition festzustellen. Bei 45 Schuss pro Geschütz und Jahr 1065
könnten die Ausbildungsziele nicht erreicht werden. Er forderte eine Steigerung auf 65 Schuss. Jahresbericht Inspizient Artillerie 1982/83, 31. 3. 1983, S. 6, 10, BArch-MA, BH 1/5803. Die Problemlagen waren Ende der 1970er-Jahre ähnlich. Zusammenfassende Stellungnahme zu den Berichten über die Inspizierungstätigkeit der Inspizienten und Offiziere im Heeresamt mit Inspizierungsaufgaben, Berichtszeitraum 1. 11. 1978–31. 10. 1979, BArch-MA, BH 2/4517. Eine knappe, aber denkbar negative Zusammenfassung der Lage des Heeres auch in Generalleutnant a. D. HeinzGeorg Lemm an Carl-Gero von Ilsemann, 19. 2. 1982, BArch-MA, N 736/31. 559 Jahresbericht 1978 Inspizient Panzertruppe, 9. 11. 1978, S. 18, BArch-MA, BH 9-26/20. Der Verfasser des Berichts war Hans Velde, im Krieg zuletzt als Hauptsturmführer Ordonanzoffizier des IV. SSPanzerkorps in Ungarn eingesetzt. Im selben Tenor: Chef des Stabes 11. Panzergrenadierdivision an Carl-Gero von Ilsemann, 21. 12. 1982, BArch-MA, N 736/22. 560 Vortrag Kommandeur PzGrenBrig 13 bei der Grossen Kommandeurbesprechung am 7. 3. 1979, BArch-MA, BH 7-3/877. 561 Führungsverhaltung und Menschenführung im Heer, Vortrag G1 12. Panzerdivision auf der G1/A1 Tagung der Bundeswehr 1983, BArch-MA, BH 7-2/878. 562 Werner von Scheven an Fritz Mauk, 10. 4. 1981, BArchMA, N 992/51. 563 Dirk Heeren, Truppenpraxis heute – Erfahrungen aus der Sicht eines Bataillonskommandeurs, Februar 1981, BArch-MA, BH 7-3/877. 1066
564 Bericht der Kommission des Bundesministers der Verteidigung zur Stärkung der Führungsfähigkeit und Entscheidungsverantwortung in der Bundeswehr, Bonn 1979, S. 12, 24–26. 565 Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Weisung für Ausbildung, Erziehung und Bildung in den Streitkräften im Jahre 1980, 14. 8. 1980, BArch-MA, BW 2/22147. 566 Jürgen Brandt hatte 1943/44 über ein Jahr als Infanterist an der Ostfront gekämpft und war der letzte Generalinspekteur, der im Zweiten Weltkrieg regulär Soldat geworden war. Er war ein Duzfreund Helmut Schmidts, stand der SPD nahe, hatte aber auch ein vertrauensvolles Verhältnis zu Heinz Karst, der ihn als junger Stabsoffizier gefördert hatte. 567 Bernd Hospach, German Army Liaison Officer Royal School of Militay Engineering, Der Falklandkrieg, November 1982, S. 24. Vgl. auch FüS I 4, Menschenführung im Gefecht, 26. 11. 1982, BArch-MA, BW 18/366; sowie die Akten in BArch-MA, BW 18/381. 568 Bernd Hospach, German Army Liaison Officer Royal School of Militay Engineering, Der Falklandkrieg, November 1982, S. 12, BW 18/366. 569 Zentrum Innere Führung DOK-Stelle, 14. 4. 1983, BArch-MA, BW 18/381. Vgl. auch: Heeresamt, Abteilung II, 4. 8. 1983, Auswertung des FalklandKrieges für Ausbildung und Erziehung im Heer, BArchMA, BH 7-2/990. 570 Ergebnisprotokoll über 2. Besprechung »Innere Lage der Bundeswehr«, 13. 6. 1984, BArch-MA, BW 2/22234, S. 5. 1067
571 Kriegsnah ausbilden. Hilfen für den Gefechtsdienst aller Truppen, Köln 1985. Der Autor war Oberstleutnant Elser vom Heeresamt, unter Verantwortung von Generalleutnant Werner Schäfer als Amtschef. Schäfer kämpfte seit August 1944 als Infanterist an der Westfront. In der Bundeswehr hatte er vor allem Truppenverwendungen bei der Panzergrenadiertruppe. Sachstandsbericht Fü H I 5, 11. 6. 1987, BArch-MA, BW 2/33481. 1. Auflage 1985 12 000 Exemplare, 2. Auflage 1986 25 000. 572 Werner von Scheven, Die Innere Führung der Bw vor neuen Herausforderungen, April 1984, S. 4, BArch-MA, N 992/55. 573 Fragestunde des Bundestages, MdB Stiegler, 29. 10. 1984. Vgl. BH 7-3/877; Kennzeichen D, 28. 7. 1987; Kl. Anfrage der Grünen (Petra Kelly) zu Kriegsnah ausbilden, 4. 6. 1987, BArch-MA, BW 2/33481. Besonders polemisch: »Im Aufblitzen des Abwehrfeuers, IG-Metall-Zeitung v. 15. 5. 87, S. 11. 574 Werner von Scheven, Die Innere Führung der Bw vor neuen Herausforderungen, April 1984, S. 7, BArch-MA, N 992/55. 575 Unterlagen zur kompanieweisen Auffüllung in: BArchMA, BW 2/16001. 576 Die Offiziere mussten nun eine dreijährige Truppenausbildung durchlaufen, bevor sie ins Studium geschickt wurden, und erhielten dadurch mehr Praxiserfahrung, was sich aber erst Anfang der Neunzigerjahre auswirken sollte. 577 Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1985, S. 132, BArch-MA, BW 2/49305. 1068
578 Vgl. beispielsweise Mastny, Imaging War, S. 35. 579 Creveld, Kampfkraft. Nach dem Vietnamkrieg gab es eine Vielzahl von Büchern, die das Scheitern der US Army untersuchten. Gabriel/Savage, Crisis in Command, analysiert etwa den Verfall der Einsatzbereitschaft der US Army seit 1969 durch die vielen Fälle von Fahnenflucht, Vorgesetztenmord, Meuterei und Drogenmissbrauch. Die Literatur ist auch vom SOWI der Bundeswehr kommentiert worden: »Kohäsion und Desintegration im amerikanischen Heer – Anmerkungen zu einer Studie, 15. 9. 1978«. Darin wurden die Bedeutung der Inneren Führung und die Überzeugung zur Verteidigung der Demokratie als Teil der »Combat Motivation« verteidigt. Vgl. auch Nöbel, Verhalten von Soldaten im Gefecht. 580 Dies ist auch das Kernargument von Zimmerli, Offizier oder Manager. 581 Das sogenannte Fulda Gap bezeichnet ein Gebiet an der deutsch-deutschen Grenze, das geografisch besonders günstig für einen raschen Vorstoß von Thüringen nach Frankfurt/Main war. Die NATO erwartete hier einen Angriffsschwerpunkt des Warschauer Paktes. 582 General Balck and von Mellenthin on Tactics: Implications for NATO Military Doctrine, December 19, 1980, BArch-MA, MSG 2/2662. 583 Ebenda. 584 Mit weiteren Literaturangaben Trauschweizer, Learning with an Ally. Vgl. auch Douglas W. Skinner, AirLand Battle Doctrine, Professional Paper 463, September 1988. https://apps.dtic.mil/dtic/tr/fulltext/u2/a202888.pdf; Strachan, Conventional Defence. 1069
585 Bagnall, Concepts of land/air operations; Kiszley, The British Army; McInnes, BAOR in the 1980s. Vgl. auch die Studie von Major General P D Reid, Paralysis Warfare, September 1981, in der er bewusst aus der deutschen Abwehrtaktik an der Ostfront 1943/44 und der erfolgreichen Abwehr der alliierten Offensive Goodwood im Juli 1944 Schlüsse für die Abwehr eines sowjetischen Angriffs in den 1990er-Jahren zog. In: BArch-MA, MSG 239/375. Der neue Trend führte zu einer erheblichen Annäherung der Konzeptionen der in der Bundesrepublik stationierten NATO-Armeen, und erstmals schienen die nationalen Korps den zukünftigen Krieg gemeinsam zu planen. Dass die Alliierten in ihrer Operationsführung zunehmend an einem Strang zogen, wurde auf den großen Manövern deutlich, in denen Verbände der niederländischen, amerikanischen und britischen Alliierten deutschen Truppen unterstellt waren und deren Operationsführung besonders positiv bewertet wurde. Erfahrungsbericht zur Heeresübung 1985 »Trutzige Sachsen«, 26. 3. 1986, S. 27, 31, 33, 37, BArch-MA, BH 7-1/997. 586 Einen guten Überblick der Entwicklung der Operationsplanungen der NATO in Mitteleuropa bietet Hammerich, Halten am VRV. Die Bundeswehr übte in den 1970er-Jahren das Halten der an der deutschdeutschen Grenze gelegenen Verteidigungsräume. Man trainierte »zähes Verteidigen« insbesondere von operativ wichtigem Schlüsselgelände, die Verzögerung und dann den Gegenangriff mit Verbänden bis zur Divisionsstärke. Man erkannte durchaus, dass der General Defence Plan das schöpferische Denken einschränkte. Mit der 1973 herausgegebenen Vorschrift zur Truppenführung (TF 73) 1070
scheint ein technokratischerer Geist in das Heer eingezogen zu sein. In den Vorgängerversionen aus den Jahren 1933 oder 1962 wurde Führung als eine Kunst, eine auf Charakter, Können und geistiger Kraft beruhende freie, schöpferische Tätigkeit bezeichnet. In der TF 73 war nicht mehr von Führung, sondern von einem Führungsvorgang die Rede. Allerdings versuchte man sich in dem gegebenen Rahmen durchaus eine geistige Flexibilität bei der Operationsführung zu erhalten. Der Inspekteur des Heeres, Horst Hildebrandt, verwies 1976 etwa auf die französische Armee des Jahres 1940, die sich einseitig auf die Unüberwindbarkeit der Maginotlinie festgelegt und neue Formen des Krieges verkannt habe. Dies dürfe der Bundeswehr nicht passieren. »Wir bedürfen also geistiger Beweglichkeit und innerer Freiheit.« Abschlussbesprechung Grosser Bär durch Inspekteur des Heeres am 11. 9. 1976, S. 2, BArch-MA, BH 1/2459. 587 Reichenberger, Der gedachte Krieg, S. 408 f. Vgl. auch Barras, Great Cold War, S. 269–276. Die Betonung des Risikos durch Generalleutnant Karl Erich Diedrichs in: Schlußbesprechung Heeresübung »Fränkischer Schild«, 26. 9. 1986, S. 39, BArch-MA, BH 1/14111. 588 Dieser Meinung war offenbar auch Manfred Wörner, der 1982 auf der Kommandeurtagung sagte: »Vorneverteidigung schließt Beweglichkeit und Ausnutzen des Raumes ein. Ein Maginotdenken wäre verhängnisvoll.« Rede Manfred Wörner, S. 17, BArchMA, BW 2/32289. Damit setzte er andere Akzente als der Kommandierende General des II. Korps, Werner Lange, der im Manöver »Flinker Igel« üben ließ, wie sich Truppen dem Feind »entgegenwerfen«, um so viel Raum 1071
und Bevölkerung wie möglich zu schützen. Schlussbesprechung »Flinker Igel« 1984, S. 6–8, BArchMA, BH 7-2/822. 589 Bemerkungen des Inspekteurs des Heeres zur Heeresübung 1985 »Trutzige Sachsen«, S. 5, 8, BArchMA, BH 1/1401. Vgl. auch Erfahrungsbericht zur Heeresübung 1985 »Trutzige Sachsen«, 26. 3. 1986, S. 1, 9, BArch-MA, BH 7-1/997. 590 Bemerkungen des Inspekteurs des Heeres zur Heeresübung 1986 »Fränkischer Schild«, 18. 11. 1986, S. 4–6, BArch-MA, BH 1/14111. 591 Letztlich hing es auch von den Persönlichkeiten ab, ob sie sich in eine längere Tradition deutschen Generalstabsdenken stellten oder eher andere Akzente setzten. Semantisch ähnlich wie Hans-Henning von Sandrart war etwa Horst Hildebrandt, der von 1973 bis 1979 Inspekteur des Heeres war. Vgl. etwa seine Abschlussbesprechung der Korpsübung »Blaue Donau« 22. 9. 1978, S. 80–83, BArch-MA, BH 7-2/396 592 Weisung zu Führung, Erziehung und Ausbildung, 18. 7. 1985, BArch-MA, BH 1/15981. 593 Darauf verweist auch Brugmann, Heeresmanöver, S. 23. 594 Nübel, Dokumente, Dok. 180. Vgl. auch Brand, 50 Jahre Panzertruppe, S. 43. 595 So wurde etwa geplant, Divisionen des III. Korps aus ihren Gefechtsstreifen herauszulösen und in die Flanke eines sowjetischen Angriffs auf das Fulda Gap antreten zu lassen oder aus ihnen in Süddeutschland eine Heeresgruppenreserve zu bilden. Solche Planungen auf operativer Ebene hatte es zuvor nicht gegeben. Helge 1072
Hansen, Die strategischen und operativen Überlegungen der NATO für Mitteleuropa seit den späten 1970er Jahren, unveröffentlichtes Vortragsmanuskript, S. 8; Zeitzeugeninterview Helge Hansen, 26. 2. 2020. 596 Bemerkungen des Inspekteurs des Heeres zur Heeresübung 1986 »Fränkischer Schild«, 18. 11. 1986, S. 17, BArch-MA, BH 1/14111. 597 BMVG, FüS III 6/Fü S II 3, 2. 6. 1980, Operative Gesamtdarstellung Mitteleuropa, S. 25 B., BArch-MA, BH 1/12766. Vgl. auch Korpsgefechtsübung Sankt Georg [1980], Erfahrungsbericht, S. B-8-1 f.; Schlussbesprechung, S. 17, BArch-MA, BH 9-27/253. Verfügte die deutsche Armee 1914 über sechs und 1918 über 11,5 Geschütze pro 1000 Soldaten, waren es 1986 gerade einmal vier. Die sowjetischen Streitkräfte hatten mit 16,7 Rohren pro 1000 Soldaten eine deutliche Artillerieüberlegenheit. Bailey, Field Artillery, S. 493; Poppe, Kräfteverhältnis, S. 271–274. 598 Groß, Dogma der Beweglichkeit. Eine Steigerung der Kampfkraft der Artillerie erfolgte Ende der 1980er-Jahre mit der Einführung von 158 Mehrfachraketenwerfern MARS. Sie verschossen Anti-Panzerminen und konnten in kurzer Zeit große Geländeabschnitte sperren. 599 Bemerkungen des Inspekteurs des Heeres zur Heeresübung 1985 »Trutzige Sachsen«, BArch-MA, BH 1/1401; Erfahrungsbericht zur Heeresübung 1985 »Trutzige Sachsen«, 26. 3. 1986, S. 2–6, 111–117, BArch-MA, BH 7-1/997; Bemerkungen des Inspekteurs des Heeres zur Heeresübung 1986 »Fränkischer Schild«, 18. 11. 1986, S. 20 f., BArch-MA, BH 1/14111; Erfahrungsbericht Heeresübung 1986 »Fränkischer 1073
Schild«, 5. 3. 1987, S. 106, BArch-MA, BH 7-3/823; General der Kampftruppen, Heeresübung 1986 »Fränkischer Schild« Erfahrungsbericht, S. 41 f., BArchMA, BH 7-3-897. Der zuletzt genannte Bericht muss freilich im Kontext des üblichen kritischen Duktus des Generals der Kampftruppen gesehen werden. Ihm ging es vor allem darum, Schwächen aufzudecken, die in künftigen Ausbildungsprogrammen abgestellt werden sollten. 600 Schlussbesprechung [Korpsgefechtsübung Flinkel Igel 1984], S. 8, 56, BArch-MA, BH 7-2/822. 601 Werner von Scheven trug die anhaltenden Probleme bei der kriegsnahen Ausbildung und der Inneren Führung ungeschminkt auf der 28. Kommandeurtagung der Bundeswehr im Dezember 1985 vor. Redemanuskript in BArch-MA, N 992/56. Vgl. ferner: Werner von Scheven, Vortrag G1/A1 Tagung der Bundeswehr, »Herausforderungen an die Innere Führung«, November 1985, insb. S. 3, BArch-MA, BH 1/22109. Vgl. auch Scheven, Praxis der Ausbildung. 602 Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1986, S. 31 f. BArch-MA, BW 2/49311. 603 Militärischer Zustandsbericht des Heeres 1985, S. 25, BArch-MA, BW 2/49305. In den Beurteilungen der Zeit gibt es freilich durchaus Nuancierungen. 1980 hielt der Führungsstab der Streitkräfte es zumindest für möglich, die konventionelle Verteidigung für wenige Wochen durchzuhalten. BMVG, FüS III 6/Fü S II 3, 2. 6. 1980, Operative Gesamtdarstellung Mitteleuropa, S. 25 B, BArch-MA, BH 1/12766. Die Studie umfasst auch einen ausführlichen Kräftevergleich. Interessant ist, dass es 1074
demnach keinen großen Unterschied zu machen schien, ob man vier oder 15 Tage Vorwarnzeit haben würde, da die sowjetischen Kräfte eher schneller als die eigenen Verstärkungen aus den USA und Großbritannien aufwachsen würden. Vgl. auch: Hammerich, Operationsplanungen der NATO. 604 Reichenberger, Der geplante Krieg, S. 388–390; Christian Millotat, Operative Überlegungen für das Heer in der gegenwärtigen Sicherheitslage, Manuskript April 1995, BArch-MA, BH 1/30107. 605 G 2/A2 Bericht Ost, 4. 2. 1980, BArch-MA, BW 2/19430; Fü S II 3, Die Entwicklung der Bedrohung in den 90er Jahren, 24. 6. 1981, insb. S. 14, BArch-MA, BW 2/19426. 606 Vgl. u. a. Barras, Great Cold War, S. 275 f.; Zubok, A Failed Empire, insb. S. 303–335. 607 Vgl. z. B. G2/A2 Bericht Ost, Zur gegenwärtigen Lage in den sowjetischen Streitkräften – Inhalte und Bedeutung der Umgestaltung, 25. 11. 1987, BArch-MA, BWD 1/979. 608 Vgl. z. B. Final Decision on MC 161/72. A Report by the Military Committee on Soviet Bloc Strength and Capabilities, June 1972, S. 47, 51, 54, 113, BArch-MA, BW 2/50072. 609 Jahresberichte des BND in BArch-Ko, B 206. Vgl. auch die Rede des GI »Die Bedrohung durch den Sowjetblock. Grundlage und Beurteilung« auf der 12. Kommandeurtagung 1966, BArch-MA, BW 2/35147. 610 Im letzteren Sinne urteilte die Auslandsaufklärung. In dem G-2 Jahresbericht 1973 heißt es etwa, dass die 1075
Gefahr wachse, »dass der Sowjetblock durch Pression mit Hilfe überlegener Waffen den Ländern des westlichen Bündnisses seine Politik diktieren kann«. G2/A2 Lageübersicht, Jahresrückblick 1973, BArch-MA BW 2/8289. 611 Vgl. Uhl, Die 8. Garde-Armee; Uhl, Storming on to Paris; Lautsch, Die NVA-Operationsplanung für Norddeutschland. 612 Lunak, War Plans, S. 90. 613 Bluth, Bundeswehr und NATO, S. 119. 614 Somit gibt die neuere Forschung Generalmajor Gert Bastian recht, der als Kommandeur der 12. Panzerdivision eine aggressive Absicht der sowjetischen Raketenstationierung in einem öffentlichen Vortrag bezweifelt hatte. In der Bundeswehr brach daraufhin ein Donnerwetter los. Ihm wurden Interviews fortan verboten, und es erschien geradezu ungehörig, dass ein General den Charakter der Sowjetunion nicht als aggressiv bewertete. Bastian brach 1980 mit den Streitkräften, weil er den NATO-Doppelbeschluss nicht mittragen konnte, und wurde eine Gallionsfigur der Friedensbewegung. Nübel, Dokumente, Dok. 138. 615 Vgl. FüS II 3, 29. 1. 1980, Erste Lehren aus der sowj. Intervention in Afghanistan aus militärpolitischer Sicht, BArch-MA, BW 2/19430. Der BND war in seinen Analysen ausgewogener und zurückhaltender. Als Motivation der Afghanistan-Intervention stellte er defensive Motive stärker in den Vordergrund und beschränkte sich – soweit wir das anhand der bereits freigegebenen Quellen sagen können – vor allem auf die Aufklärung des Militärpotenzials des Warschauer Paktes, 1076
ohne sich näher über die Intentionen Moskaus auszulassen. So zumindest der Duktus der Jahresberichte Ost, die im Bundesarchiv Koblenz einsehbar sind. Zu Afghanistan vgl. Militärischer Lagebericht Ost. Jahresabschlussbericht 1980, S. 28, BA/Ko, B 206/154. Zur sowjetischen Invasion in Afghanistan vgl. etwa Zubok, Failed Empire, S. 259–264. 616 Vgl. z. B. Referat des Stellvertreters des Ministers und Chef des Hauptstabes vor den Militärattachés der NVA zum Thema »Die Haupttendenzen der gegenwärtigen NATO-Militärpolitik und die Hauptaufgaben der Militärattachés der NVA, März 1975; Referat des Chefs der Verwaltung Aufklärung vor den Militärattachés der DDR, Zur militärpolitischen und militärstrategischen Lage – die Aggressionsbereitschaft der NATO, BArchMA, DVW 1/94499. 617 Information über die Truppenübung »Schwarzer Löwe« des II. westdeutschen Armeekorps (15. 9.–20. 9. 1968), S. 16, BArch-MA; DVW 1/25737d. Bericht über Anlage, Verlauf und wichtige Ergebnisse der Truppenübung »Großer Bär« des I. Armeekorps der BRDLandstreitkräfte (6. 9. bis 10. 9. 1976), BArch-MA, DVW 1/94038; Information über Anlage, Verlauf und Ergebnisse der Truppenübung »Scharfe Klinge« des II. Armeekorps der BRD-Landstreitkräfte, S. 19, BArchMA, DVW 1/94144; Information über einige Fragen der Ausbildung der BRD-Landstreitkräfte im Jahre 1978, S. 3, BArch-MA, DVW 1/94089; Zustand der Streitkräfte der NATO und Frankreichs und deren voraussichtliche Entwicklung im Jahre 1982, S. 41 f., BArch-MA, DVW 1/94443. Vgl. auch Schunke, Feindbild, S. 172–175. 1077
618 Vgl. z. B. Zustand der Streitkräfte der NATO und Frankreichs und deren voraussichtliche Entwicklung im Jahre 1982 bis 1984, BArch-MA, DVW 1/94443–94445; Ergebnisse der operativen und Gefechtsausbildung der Streitkräfte der NATO im Jahre 1983, BArch-MA, DVW 1/94388. 619 Für die 1960er-Jahre vgl. Hofenaar, East German Military Intelligence. Neben der Militäraufklärung der NVA befasste sich auch die HVA der Stasi mit der Bundeswehr. Dazu Giesecke, East German Espionage, insb. S. 404 f., 411–415. 620 Die wachsenden Möglichkeiten der NATO-Streitkräfte zur Panzerbekämpfung und Schlussfolgerungen für die NVA, BArch-MA, DVW 1/94465; Zustand der Streitkräfte der NATO und Frankreichs und deren voraussichtliche Entwicklung im Jahre 1982, BArch-MA, DVW 1/94443. Vgl. auch Nübel, Dokumente, Dok. 134. 621 Schlussbesprechung [Korpsgefechtsübung »Flinker Igel« 1984], S. 56, BArch-MA, BH 7-2/603. 622 Interessanterweise waren dabei Bezüge zu den Jahren 1914/18 häufiger als zur Wehrmacht. Rink, Bundeswehr, S. 105. Eine Liste von Kasernennamen findet sich in Knab, Falsche Glorie, S. 145–155. 623 1979 waren von mehr als 400 Kasernen 210 nach Personen benannt, davon 85 aus der Zeit vor 1870, 75 aus den Jahren 1870–1933, 42 aus der Zeit des Nationalsozialismus und acht aus der Zeit nach 1945. Möllers, Traditions-Konstrukte, S. 152 f., 159. 624 Im Rahmen der Heeresstruktur III wurden die 2. und 4. Panzergrenadierdivision zu Jägerdivisionen umgebildet; 1078
die 6. Panzergrenadierdivision erhielt 1981 zwei aktive Jägerbataillone. 625 Im April 1971 wurde für die Truppengattungen der Panzer-, Fallschirmjäger- und Jägertruppe das Barett als Kopfbedeckung eingeführt. 626 Oberstleutnant Christian Millotat an Carl-Gero von Ilsemann, 13. 11. 1983, BArch-MA, N 736/31. 627 Ausführlich dazu Schilling, Rudel-Affäre. 628 Der Planungsstab des BMVg hatte von einer Änderung des Traditionserlasses zunächst abgeraten, und auch Minister Apel war zurückhaltend. Schriftwechsel dazu in: BArch-MA, BW 2/19416. Abenheim, Bundeswehr und Tradition, S. 194–211. 629 Zuvor war überlegt worden, lediglich die Ausführungsbestimmungen des alten Erlasses zu erneuern. Hierfür wurde im November 1980 ein erster Entwurf vorgelegt. Dieser befindet sich in: BArch-MA, BW 2/32286. 630 »Wir sollen die Forderungen mehrerer rechter Organisationen sowie des Gen. a. D. Dr. Wagemann berücksichtigen«, beklagte sich der Referatsleiter Innere Führung Oberst Werner Scheven. »Ein merkwürdiges Unternehmen, wenn man bedenkt, dass selbst General Dr. Uhle-Wettler mit dem Apel-Erlaß leben könnte.« Werner Scheven an Carl-Gero von Ilsemann, 22. 12. 1983, BArch-MA, N 736/22. Franz Uhle-Wettler war in der Bundeswehr als eigenwilliger und konservativer Charakterkopf bekannt, der nicht davor zurückschreckte, seine Meinung zu äußern. Nach seiner Pensionierung 1987 machte er in den Neunzigerjahren als revisionistischer Militärpublizist von sich reden. 1079
631 Vgl. Adalbert von der Recke an Dietrich Genschel, 20. 8. 1984, BArch-MA, BW 2/32293. 632 Diverse Textentwürfe »Tradition in der Bundeswehr«, zuletzt aus dem August 1985 in: BArch-MA, BW 2/32294. 633 Ansprache des Bundesministers der Verteidigung Dr. Manfred Wörner anlässlich der Verabschiedung des Generalinspekteurs der Bundeswehr General Jürgen Brandt und des Inspekteurs der Luftwaffe, Generalleutnant Friedrich Obleser, am 30. 3. 1983, S. 8, BArch-MA, BW 2/32290. Friedrich Obleser hatte als Jagdflieger 1943/44 120 Luftsiege errungen. 634 Das Redemanuskript befindet sich in: BArch-MA, BH 1/16031. Am 7. 7. 1987 sprach Wörner auch vor dem Gebirgsjägerdenkmal auf dem Hohen Brendten. 635 Manuskript der Ansprache des Inspekteurs des Heeres Generalleutnant Hans-Henning von Sandrart am Ehrenmal des Deutschen Heeres am Volkstrauertag, 16. 11. 1984, BArch-MA, BH 1/16031. Die gehaltene Fassung befindet sich in BArch-MA, BH 1/16018. In beiden Versionen ist das Zitat enthalten. 636 Das Redemanuskript befindet sich in BArch-MA, BH 1/16031. 637 Arnulf Heimbach, Kommandeur Sanitätsbataillon 3, Kritische Gedanken eines Bataillonskommandeurs zu den neuen Traditions-Richtlinien, 6. 1. 1983, BArch-MA, BW 2/32288. 638 Kern/Klein, Tradition, S. 105, 115. Vgl. z. B. Beobachtungsbesuch 2/81 des BEAGenInsp beim 1080
Panzergrenadierbataillon 212, 2. 2. 1981, BArch-MA, BW 2/15384. 639 So ein Unteroffizier einer Stabskompanie einer Panzergrenadierdivision, in: Blumenlese von Zitaten aus Beobachtungsbesuchen des BEAGenInsp, September 1981, BArch-MA, BW 2/19253. 640 Diese Kategorie erhielt mit 66 % Zustimmung die höchsten Werte. Die Aufstellung von Volksheeren nach den preußischen Heeresreformen 1813/14 erhielt nur 37 % Zustimmung. Lucia Kern, Auffassungen zur militärischen Tradition in der Bevölkerung und in der Bundeswehr. Vorbericht zur Grundauszählung der Bevölkerungsumfrage, S. 24, BArch-MA, BW 2/15605. 641 Kern/Klein, Tradition, S. 141. Heer, Luftwaffe und Marine unterschieden sich in ihrem generellen Traditionsverständnis kaum. Und wenig überraschend bewerteten Fallschirmjäger und Jagdflieger Traditionen weit positiver als alle anderen Truppengattungen. 642 Kleine Anfrage Petra Kelly 1987. Das Werk ist 1997 durch das Buch »Einsatznah ausbilden. Hilfen für den Gefechtsdienst aller Truppen« ersetzt worden. 643 Alles in Akte BArch-MA, BH 7-2/946. 644 Generalmajor Storbeck, 13. 4. 1984 an Werner Lange, in: BArch-MA, BH 7-2/946. Darin ist der Vorgang um das Panzerlied ausführlich dokumentiert. 645 Kameraden singt! Liederbuch der Bundeswehr, Bonn 1991. Vgl. Hell klingen unsere Lieder. Liederbuch der Bundeswehr, Bonn 1975. 646 Die 4. Strophe fand sich noch 2005 etwa im Liederbuch der Panzergrenadierbrigade 41 »Wir im Nordosten«. 1081
647 Sir Oliver Wright to Lord Carrington, 19 February 1980, TNA, FCO 33/4431; Sir Oliver Wright to Lord Carrington, 19 February 1981, TNA, FCO 33/4873. 648 Annual Report on the Federal German Air Force 1961, 31st December 1961, TNA, FO 371/163660. 649 Material dazu in: BArch, BH 1/15982. Vgl. auch Oberst i. G. Speidel, Heeresattaché London, Einzelbericht 35/1984 (H): El Alamein Reunion 1984; ders., Einzelbericht 31/84 (H), Kriegsgeschichte am Staff College Camberley, BArch-MA, BW 4/1317. 1082
Die Nationale Volksarmee der DDR 1 Nübel, Dokumente, Dok. 9. 2 Wettig, Stalin-Note; Loth, Sowjetunion und die deutsche Frage. 3 Thoß, Volksarmee schaffen; Diedrich/Wenzke, Getarnte Armee. 4 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 32. 5 Ebenda, S. 36. 6 Diedrich, Waffen gegen das Volk; Knabe, 17. Juni 1953. 7 Dazu gehörte auch die Militärhilfe an afrikanische und arabische Staaten. Sie war ein wichtiges Mittel der Außenpolitik und wurde gezielt zur Förderung der diplomatischen Anerkennung der DDR eingesetzt. Storkmann, Geheime Solidarität. 8 Polen und die Tschechoslowakei hatten neben Verbänden in den Reihen der Westmächte auch kommunistische Streitkräfte an der Seite der Roten Armee. In Jugoslawien setzte sich im Bürgerkrieg die kommunistische Partisanenbewegung durch, die seit 1944 den Status einer regulären Armee hatte. Auch Bulgarien und Rumänien kämpften mit ihren Armeen nach ihrem Seitenwechsel 1944 an der Seite der Roten Armee. Die Aufstellung der NVA ähnelte aus militärischer Sicht am ehesten jener der ungarischen Volksarmee. 9 Zur militärischen Perzeption der Bundeswehr und der NATO aus ostdeutscher Sicht vgl. Schunke, Feindbild und Beurteilung des Gegners in der NVA; Vom Sinn des Soldatseins, S. 23–25, 50. 1083
10 Nübel, Dokumente, Soldaten, S. 55. Dok. 38; Wenzke, Ulbrichts 11 Ebenda, S. 126–128. 12 Ebenda, S. 322, 336–341; Wenzke, Staatsfeinde in Uniform, S. 162–172. Ausführlich: Eisenfeld/Schicketanz, Bausoldaten. 13 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 492 f., 76. 14 BND-Jahresbericht 1968, S. 25 f., BArch-Ko, B 206/130. Vgl. auch Nübel, Dokumente, Dok. 68. Zwischen 1967 und 1989 versuchten insgesamt 1970 Angehörige der NVA und der Grenztruppen, in den Westen zu fliehen, 603 glückte dies. 15 Von 1956 bis Mitte 1960 gab es laut Spiegel 161 Fahnenflüchtige der Bundeswehr in die DDR. https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43066402.html. 1967 flohen 71 Bundeswehrsoldaten in die DDR, 1970 waren es noch 17. In den späteren Siebziger- und in den Achtzigerjahren bewegte sich die Zahl im niedrigen einstelligen Bereich. Mehr Soldaten setzten sich ins »sonstige Ausland« ab, um Wehrdienst oder Strafe zu entgehen (1967: 145, 1970: 158, 1977: 62, 1981: 13). Besondere Vorkommnisse 1968, BArch-MA, BW 2/15214; 1971, BW 2/15214; 1978, BW 2/15216; 1982, BW 2/15217. 16 Bröckermann, Landesverteidigung, S. 420. 17 Vgl. die Übersicht in Wenzke, Staatsfeinde in Uniform, S. 395. 18 Poller, 4. Motorisierte Schützendivision, S. 146. 19 Diedrich, DDR zwischen den Blöcken, S. 60. 1084
20 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 326–328. 21 https://www.bpb.de/apuz/26246/die-versaeumte-revoltedie-ddr-und-das-jahr-1968?p=all; Wolle, DDR 1968. 22 Gewiss muss man mit solchen Statistiken vorsichtig umgehen. Der Umstand, dass rund ein Drittel der Befragten keine Antwort gaben, wird von Matthias Rogg als stiller Widerspruch gewertet. Doch wird man kaum sicher bestimmen können, warum die Befragten keine Antworten gaben. Eine Aussage über ihre Haltung bleibt letztlich Spekulation. Rogg, Armee und Gesellschaft, S. 541–543. 23 Bröckermann, Landesverteidigung, S. 872. 24 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 328. 25 Rogg, Armee und Gesellschaft, S. 539 f. 26 Bröckermann, Landesverteidigung, S. 424. 27 Ebenda, S. 434–459. 28 Vgl. auch Wenzke, Staatsfeinde in Uniform, S. 387–393. 29 Nübel, Dokumente, Dok. 160. 30 Bröckermann, Landesverteidigung, S. 471. 31 Zit. nach Rogg, Armee des Volkes, S. 544. 32 Zahlen nach ebenda, S. 551. 33 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 76. 34 Ebenda, S. 256–258. 35 Ebenda, S. 102, 141. 36 Lapp, Müller. 37 Niemetz, Das feldgraue Erbe; Lapp, Die zweite Chance; Nübel, Dokumente, Dok. 47. 1085
38 Zander, Bundeswehr und Nationale Volksarmee, S. 133– 136, 169 f.; Angelow, Geschichtsschreibung und Traditionspflege. Zu den Traditionsanordnungen in der NVA vgl. Zander, Bundeswehr und Nationale Volksarmee, S. 157–160. 39 Zum Antisemitismus in der NVA vgl. Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 367. 40 Krug, Fallschirmjäger der NVA, S. 9. 41 Der Konsalik des Ostens, Der Spiegel, 17. 7. 1995 https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9202441.html. 42 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 45 ff., 84 ff. 43 Beßer, Vom Soldatsein, S. 19; Interview mit einem ehemaligen Oberleutnant der NVA, 8. 6. 2020. 44 Nübel, Dokumente, Dok. 131; Wenzke, Staatsfeinde in Uniform, S. 193 f., 304–308. 45 Neumann, Sprache der Soldaten, S. 157. 46 Waibel, Die braune Saat. 47 Löffler, Soldat der NVA, S. 63. 48 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 257. 49 Ebenda, S. 145. Aus der Sicht eines Politstellvertreters bei der KVP und der 1. Mot. Schützendivision 1952 bis 1957: Hasemann, Soldat in der DDR, S. 128–130, 144, 150–153, 169 f. Der Text dokumentiert wohl unfreiwillig die intellektuelle Überforderung eines Landarbeitersohnes bei der politischen Arbeit. 50 Dazu auch Löffler, Soldat der NVA. 51 Hagemann, Parteiherrschaft, S. 234 ff. 52 Bröckermann, Landesverteidigung, S. 395. 1086
53 Auch Loch, Deutsche Generale, S. 291–297. 54 Ebenda, S. 260. 55 Bröckermann, Landesverteidigung, S. 395; Fingerle, Waffen in Arbeiterhand? Die Rekrutierung des Offizierkorps der NVA und ihrer Vorläufer, S. 400. 56 Übersichtlich zusammengefasst sind die Zahlen in Gebauer, Die Nationale Volksarmee, S. 301. 57 Fingerle, Waffen in Arbeiterhand?, S. 376. Ab Ende der Siebzigerjahre stammten über zwei Drittel der Offiziersschüler aus Elternhäusern, in denen es mindestens eine SED-Mitgliedschaft gab. Zum Vergleich: Im Mai 1989 waren rund 16 Prozent der DDR-Bürger über 18 Jahre Mitglied der SED. 58 Berechnung für das Jahr 1984 nach Zustandsbericht Bundeswehr 1970, 1984, BW 2/4870, BW2/49187. Zahlen für die NVA und die Grenztruppen für das Jahr 1971: Müller, Tausend Tage bei der Asche, S. 36; Loch, Deutsche Generale, S. 75, 78. 59 Fingerle, Waffen in Arbeiterhand?, S. 371. 60 Angabe für 1973. Bröckermann, Landesverteidigung, S. 395. 61 Müller, Tausend Tage bei der Asche, S. 16. 62 Ebenda, S. 34. 63 Rogg, Armee des Volkes, S. 291. 64 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 452–457. 65 Was nicht ausschließt, dass es auch in dieser Gruppe Kritik und mangelnde Berufszufriedenheit gab. 1087
Differenziert dazu Rogg, Armee und Gesellschaft, S. 553–564. 66 1986 waren 96,3 Prozent der Offiziere und 56,9 Prozent der Unteroffiziere Mitglied der SED. Gebauer, Die Nationale Volksarmee, S. 303. 67 BND Militärischer Lagebericht Ost, Jahresabschlussbericht 1969, S. 13, BArch-Ko B 206/132. 68 Zu einer Umfrage aus dem Jahr 1973 vgl. Rogg, Armee und Gesellschaft, S. 347. 69 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 569 f.; Rogg, Armee und Gesellschaft, S. 534–537. 70 Hagemann, Parteiherrschaft, S. 238. 71 Müller, Tausend Tage bei der Asche, S. 386. 72 Hagemann, Parteiherrschaft, S. 205. 73 Vom Sinn des Soldatseins, S. 50. 74 Ebenda, S. 57, 73. Vgl. Bartsch, Bundeswehr und NVA, S. 87. 75 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 526. In der mehr als doppelt so großen Bundeswehr lag die Zahl der tödlichen Unfälle zwischen 105 (1969) und 31 (1982/86) pro Jahr. Eigene Auswertung auf Grundlage der Disziplinarberichte der Bundeswehr, 1967–1986, BArchMA, BW 2-15214-15217, 25066. 76 Müller, EK-Bewegung. 77 Ullrich, Kulturschock NVA, S. 21. 78 Ebenda, S. 25. 79 Ebenda, S. 46. 1088
80 Ebenda, S. 40. 81 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 20. 82 So Udo Beßer über seine Erfahrungen 1971 in einem mot. Schützenregiment der 9. Panzerdivision in Eggesin. Beßer, Vom Soldatsein, S. 36. 83 1981 erinnerten sich zwei Drittel der befragten Wehrpflichtigen positiv an die Kameradschaft. Rogg, Armee des Volkes, S. 342. 84 Müller, Tausend Tage bei der Asche, S. 387 f. Müller ordnet die Unteroffiziere auf Zeit in die Kategorie der Macher ein, die 25 Prozent der Bevölkerung stellten, später verantwortliche Positionen einnahmen und neben einem positiven Verhältnis zur DDR auch ein solches zum Sozialismus hatten. 85 Müller, EK-Bewegung. Vgl. die Schilderung der Verhältnisse im Pionierbataillon 7 der 7. Panzerdivision 1987, in: Nübel, Dokumente, Dok. 181. 86 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 463–473. 87 Vom Sinn des Soldatseins, S. 67. Dies wurde vom »blinden Gehorsam« abgegrenzt, weil »unser« Gehorsam Teil des sozialistischen Verantwortungsbewusstseins, also eine bewusste Unterordnung unter die Interessen der Gesellschaft sei. 88 Hagemann, Parteiherrschaft, S. 200. 89 Ein entsprechender Bericht aus dem Bereich der 1. mot. Schützendivision für das Jahr 1967 ist zitiert in Froh, Die 1. MSD der NVA, S. 181 f. 90 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 239, 455. 91 Rogg, Armee und Gesellschaft, S. 337–341. 1089
92 Zu den Zahlen ebenda, S. 363. 93 Wörterbuch der Marxistisch-Leninistischen Soziologie, S. 348; Vom Sinn des Soldatseins, S. 19. 94 Hagemann, Parteiherrschaft, S. 199. Zur mangelnden politischen Erziehungsarbeit insbesondere wegen der ungenügenden Bildung der Bataillonskommandeure und Kompaniechefs in der 1. mot. Schützendivision im Sommer 1963 vgl. Froh, Die 1. MSD der NVA, S. 133 f. 95 Rogg, Armee und Gesellschaft, S. 335. 96 Maklak, Dedovshchina. 97 So das Vorwort von Armeegeneral Hoffmann in: Vom Sinn des Soldatseins, S. 9, 47. 98 Zu den Manövern und Kriegsplanungen vgl. Bange, Sicherheit und Staat, S. 301–419. 99 Umbach, Das rote Bündnis, S. 178 f. Zur wenig beachteten Rolle der Tschechoslowakei vgl. Bange, Bündnistreue, insb. S. 63–79. 100 Ebenda, S. 263 f. 101 Ebenda, S. 242. 102 Zahlen Umbach, Das rote Bündnis, S. 247–249. Vgl. auch Poppe, Kräfteverhältnis. Allein die sowjetischen Truppen in der DDR verfügten über rund eine Million Tonnen Munition. Naumann, NVA, S. 342. 103 Parczkowski, Die Polnische Volksarmee, S. 123–127. 104 Loch, Deutsche Generale, S. 377–383. 105 Ebenda, S. 100. 106 Bange, Sicherheit und Staat, S. 310–317. 1090
107 Deren Zahl war mit 385 allerdings begrenzt und machte nur knapp 14 Prozent der Kampfpanzer der NVA aus. Die Masse war mit den veralteten T-55 ausgerüstet. Poppe, Kräfteverhältnis, S. 280. 108 Allerdings nahm auch die DDR keineswegs alle Anordnungen Moskaus kommentarlos hin. Die Einführung einer Defensivdoktrin 1987 und die damit verbundene Aufgabe der konsequenten Vorneverteidigung führten zu erheblichen Protesten seitens des Chefs des NVA-Hauptstabes beim sowjetischen Generalstabschef. Bange, Sicherheit und Staat, S. 318. 109 Ebenda, insb. S. 314 f. 110 Vgl. auch Boysen, Internationalismus. Zwischen Nationalismus und 111 Umbach, Das rote Bündnis, S. 259 f. 112 Ebenda, S. 40–42. 113 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 300 f.; Bröckermann, Landesverteidigung, S. 220. Dagegen argumentieren ehemalige NVA-Offiziere, sehr wohl eigenständig gedacht und einen Beitrag zur Weiterentwicklung des militärischen Denkens des Ostblocks geleistet zu haben. Deim, Strategisches, operatives und taktisches Denken, S. 121. Dieser Beitrag weist darauf hin, dass die operative sowjetische Führungslehre von der NVA übernommen worden sei – nicht als Siegertribut, sondern weil diese einen sehr hohen Entwicklungsstand gehabt hätte. S. 140; Wünsche, Sowjetische Militärdoktrin – DDRMilitärdoktrin, S. 113–121. 1091
114 Minow, NVA, S. 291–301; Streletz, Nationaler Verteidigungsrat. Aus der Sicht eines Divisionskommandeurs der NVA: Löffler, Soldat der NVA, S. 225 f. Aus sowjetischer Sicht: Gribkow, Warschauer Pakt, S. 57 f. Für diese Hinweise danke ich Rüdiger Wenzke, Potsdam. Sowjetische Militärberater gab es auch in den anderen Warschauer-Pakt-Armeen. 115 Lautsch, Kriegsschauplatz Deutschland, S. 93–138. 116 Nübel, Dokumente, Dok. 135. 117 Basler, Das operative Denken der NVA, S. 197. Ausführlich zu den Manövern der NVA Bange, Sicherheit und Staat, S. 301–464. Die NVA übte auf Divisionsebene durchaus auch die Verteidigung und das Begegnungsgefecht, wenngleich dies nicht im Mittelpunkt der Manövertätigkeit stand. So etwa die 1. mot. Schützendivision in der Divisionsübung 1967. Froh, Die 1. MSD der NVA, S. 166. 118 Diese Deutung hält sich bis heute bei ostdeutschen Autoren. So etwa bei Markus/Rudolph, Schlachtfeld Deutschland, S. 98, für die eine skrupellose Anwendung militärischer Gewalt eine Prädisposition amerikanischer Außenpolitik war und ist. Die sowjetischen Ängste vor einem Angriff der NATO seien für sie daher nachvollziehbar. 119 Zu den Operationsplanungen vgl. Wenzke, Streitkräfte, insb. S. 97–127, und Lautsch, Kriegsschauplatz Deutschland, S. 133–154. 120 Umbach, Das rote Bündnis, S. 236 f., 283. 121 Wenzke, Sozialistische Waffenbrüder, S. 90; Loch, Deutsche Generale, S. 295 f. 1092
122 Die höchsten Offiziere der KVP wurden 1955 für zwei Jahre zur Generalstabsausbildung nach Moskau geschickt. Damit erhielten Männer wie Hoffmann und Keßler zwar eine erste fundierte militärische Ausbildung. Aus fachlicher Sicht blieben sie aber in Uniform gesteckte Politiker. Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 101– 113. 123 Ausführlich dazu Storkmann, Geheime Solidarität. 124 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 49. 125 Ebenda, S. 269–275. 126 Bis 1985 erhöhte sich dieser Trend noch. Poppe, Kräfteverhältnis, S. 279–281. 127 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 350–352. 128 Der innere Kampfwert der Nationalen Volksarmee. Handbuch mit Grundlagen und Beurteilung, abgeschlossen am 1. 9. 1965, BArch-MA, BW 2/3413, S. K 6 f., K 10. Vgl. auch G2/A2 Lageübersicht, Jahresrückblick 1972, Bonn, 16. 1. 1973, S. 6, BArchMA, BW 2/8289, S. 6. 129 Poller, Die Geschichte der 4. Motorisierten Schützendivision, S. 131, 139, 143. Vgl. exemplarisch Froh, Die 1. MSD der NVA, der einen guten Überblick der Überprüfungen dieser Division gibt. Sie erhielt trotz mancher Probleme in den Teileinheiten 1967 die Gesamtbewertung »gut«. Ebenda, S. 171. 130 Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 687. 131 Bröckermann, Landesverteidigung, S. 376 ff., 580 ff. 132 https://www.bundestag.de/resource/blob/586200/fdff2641 1093
d7f70f0d96a99089ef6fb8f2/WD-2-163-18-pdf-data.pdf; Diedrich, Die DDR zwischen den Blöcken, S. 78; Wenzke, Ulbrichts Soldaten, S. 8. 133 BND Jahresbericht Ost 1979, S. 27, 45, BArch-Ko, B 206/152. 134 So hieß es 1981, dass die NVA-Landstreitkräfte den »höchsten Einsatzwert« der NSWP-Armeen hätten. BND Lagebericht Ost 1981, S. 26, BArch-Ko, B 206/156. 135 Nübel, Dokumente, Dok. 143. 136 Zit. nach Rogg, Armee des Volkes, S. 324. 137 Ebenda, S. 449–497, insb. S. 495. Ein anschauliches Beispiel für die Truppenebene schildert Froh, Die 1. MSD der NVA, S. 303. 138 Bröckermann, Landesverteidigung, S. 575. 139 Froh, Die 1. MSD der NVA, S. 312. 140 Fingerle, Waffen in Arbeiterhand?, S. 342–347. 141 Schon die KVP-Zeitung aus den 1950er-Jahren hieß Der Kämpfer. 142 So die Losung zum Ausbildungsjahr 1978/79 zum 30. Jahrestag der DDR. Poller, Die Geschichte der 4. Motorisierten Schützendivision, S. 143. Die Bundeswehr der Berliner Republik 1 Zu Kohl siehe Schwarz, Kohl. Zur deutschen Außenpolitik in den 1990er-Jahren siehe Bierling, Vormacht wider Willen. Zur deutschen Sicherheitspolitik in den 1990er-Jahren vor allem Meiers, Zu neuen Ufern. Allgemein: Bredow, Sicherheit; Böckenförde/Gareis, 1094
Deutsche Sicherheitspolitik; Heitmann-Kroning, Deutsche Sicherheitspolitik, S. 85–120. 2 Jahrbuch für Demoskopie 1984–1992, S. 1048, 1050, 1052, 1058. 3 Vgl. Torsten Konopka, Deutsche Blauhelme auf dem afrikanischen Kontinent – von Namibia über Somalia bis nach Ruanda. Politische, gesellschaftliche und militärische Dimensionen der deutschen Beteiligung an Missionen der Vereinten Nationen auf dem afrikanischen Kontinent Anfang der 1990er-Jahre. In Arbeit befindliche Disseration, Uni Potsdam. 4 Die Bundeswehr hatte für solche Fälle in jeder Luftlandebrigade eine Kommandokompanie gebildet. Inwieweit diese wirklich einsatzbereit waren, ist bis heute umstritten. 5 Woodward, Balkan Tragedy. 6 Vgl. dazu auch: https://www.theguardian.com/uknews/2019/dec/31/papers-reveal-anglo-french-distrustbefore-srebrenica-massacre 7 Eine der wenigen Gegenbeispiele lieferten dänische Truppen während der Operation Bollebank am 29. 4. 1994, als dänische Leopard-1-Panzer sich gegen bosnisch-serbische Truppen zur Wehr setzten und das Feuer eröffneten. Die Details der Operation sind nach wie vor umstritten, vor allem auch die Rolle der dänischen Kommandeure. Gleichwohl ist dies einer der wenigen Fälle, in denen UN-Truppen erfolgreich Widerstand leisteten. https://milhist.dk/operation-bollebank/ 8 In internationaler Perspektive: Sobel/Shiraev, Bosnia Crisis. 1095
9 Keßelring, Von UNPROFOR zu EUFOR Althea, S. 59. 10 Johnston, German Public Opinion. Vgl. auch Klein, Akzeptanz der Bundeswehr. 11 Jahrbuch für Demoskopie 1993–1997, S. 1143. 12 Zusammenfassend dazu Kriemann, Kosovokrieg. Die Vorgeschichte beleuchtet ausführlich ders., Hineingerutscht? 13 Eine konzise Übersicht bietet Kriemann, Kosovokrieg. An älterer Literatur vor allem Daalder/O’Hanlon, Winning Ugly. 14 Das KSK hatte 1998 seine ersten Einsätze zur Festnahme von Kriegsverbrechern, wobei es auch zu Schusswechseln kam. 15 Die Zahlen nach Kriemann, Hineingerutscht?, S. 217, 313, 453, 488. 16 Die Masse der Opfer war offenbar nach dem Einmarsch der KFOR in den Kosovo zu beklagen. Die Verknüpfung der aktuellen Sicherheitspolitik mit dem Holocaust war im Übrigen kein rein deutsches Unterfangen. Am 27. Januar 2000 versammelten sich die Staats- und Regierungschefs des Europarates in Stockholm und »versicherten in einer beinahe sakral anmutenden Zeremonie«, für alle Zeit gegen Genozid, Gewalt und Diskriminierung zu kämpfen – und legitimierten so noch einmal nachträglich ihren Krieg gegen Serbien. Conze, Suche nach Sicherheit, S. 844. 17 Kriemann, Kosovokrieg, S. 114. 18 Ebenda, S. 61. 19 Jahrbuch für Demoskopie 1998–2002, S. 989. 1096
20 Zeitzeugeninterview mit General Hartmut Bagger, 17. 11. 2018. 21 Der Begriff des miles protector wurde 1992 vom Schweizer General Gustav Däniker eingeführt und erfreut sich im sicherheitspolitischen Fachdiskurs großer Beliebtheit. Vgl. z. B. Hartmann/Walther, Soldat in einer Welt im Wandel, S. 127–129. 22 Conze, Suche nach Sicherheit, S. 843–849. 23 Ulrich, Eine Ausstellung; Hartmann/Hürter/Jureit, Verbrechen der Wehrmacht; Mulligan, Wehrmacht exhibition. 24 Vgl. die erste Ausgabe des Ausstellungskatalogs, in dem es hieß: »Die Legendenbildung der Nachkriegszeit setzte diese Politik nur fort. Daß dies – zum Beispiel in der Traditionspflege der Bundeswehr – auch heute noch geschieht, ist ein bestürzender Gedanke, der über die Ausstellung hinausweist.« Dieser Punkt war Gegenstand eines Prozesses von Jan Philipp Reemtsma gegen den Potsdamer Historiker Rolf-Dieter Müller vor dem Hamburger Oberlandesgericht. Vgl. auch Müller, Die Wehrmacht, S. 20. 25 Abenheim/Hartmann, Tradition, S. 65. 26 Diese waren neben Alfred Dregger, Heinrich Graf von Einsiedel (PDS), Hans-Dietrich Genscher (FDP), Dionys Jobst (CSU), Otto Graf Lambsdorff (FDP) und Gerhard Stoltenberg (CDU). Hans Gottfried Bernrath (SPD) war schon in der Mitte der 13. Legislaturperiode 1994 ausgeschieden. 27 Vgl. FAZ, 27. 10. 1995, S. 2. 28 Steuten, Der große Zapfenstreich, S. 22. 1097
29 Jahrbuch für Demoskopie 1998–2002, S. 981. 30 Hans Schueler, Konzept des Mangels, Die Zeit, 4. 3. 1988 https://www.zeit.de/1988/10/konzept-des-mangels 31 Digutsch, Die NVA und die Armee der Einheit, S. 472. Ausführlich auch ders., Das Ende der Nationalen Volksarmee. Eine konzise Zusammenfassung auch bei Leonhard, Armee der Einheit. 32 Zu ergänzen ist noch Erika Franke, die als Ärztin der Volkspolizei als Oberfeldarzt in die Bundeswehr übernommen wurde, hier bis zum Generalstabsarzt (= Generalmajor) aufstieg und 2016 pensioniert wurde. 33 Korps- und Territorialkommando Ost, 28. 10. 1991, Beilage 1, BArch-MA, BH 1/15800. 34 Vgl. den Vortrag von Brigadegeneral Hans-Peter von Kirchbach, Zusammenwachsen der deutschen Streitkräfte aus der Sicht eines Offiziers aus den alten Bundesländern, und von Reinhard Panian für die Sicht eines Offiziers der ehemaligen NVA auf der Kommandeurtagung am 29. 4. 1991 in Leipzig. BArch-MA, BH 1/15799. Dazu auch Schönbohm, Zwei Armeen und ein Vaterland. 35 Korps und Territorialkommando Ost an Inspekteur Heer, 10. 10. 1991, BArch-MA, BH 1/15800. 36 5020 Kettenfahrzeuge, 6590 gepanzerte Radfahrzeuge, 65 200 ungepanzerte Radfahrzeuge, 2660 Artilleriewaffensysteme, 220 000 Tonnen Munition, 160 000 Tonnen Einzelverbrauchsgüter. Korps und Territorialkommando Ost, 28. 10. 91, S. 14, BArch-MA, BH 2/15800. Gunnar Digutsch, Die NVA und die Armee der Einheit, S. 473, nennt höhere Zahlen. 1098
37 Beauftragter Erziehung und Ausbildung Generalinspekteurs, Chronik, S. 127. 38 Vortrag BEA vor Führungskreis Heer in Potsdam, 4. 2. 1992, BArch-MA, BH 1/15800. 39 Korps und Territorialkommando Ost, 28. 10. 91, S. 2, BArch-MA, BH 1/15800. So auch Erfahrungsbericht, Ausbildungsteam Pionierregiment 2, 12. 12. 1990. Kopie im Archiv des Verfassers. 40 Ausführlich dazu Müller, Tausend Tage bei der Asche. 41 FüH I 1, Sprechzettel Sts Dr. Wichert, Integration der ehem. NVA aus Sicht des Heeres, 4. 10. 1991, BArchMA, BH 1/15800. 42 1600 Offiziere, 5500 Unteroffiziere und 23 000 Mannschaften. 43 2000 Offiziere, Mannschaften. 44 Wenn man die Stärke der Bundeswehr mit 370 000 Mann annimmt, wovon 35 000 im Osten stationiert waren. 45 Erhebung der regionalen Herkunft der Bataillone der Panzergrenadierbrigade 41. Im Archiv des Verfassers. Der Befund war bei Teilen der Panzergrenadierbrigade 37 ähnlich. Vom Panzerbataillon 393 im thüringischen Bad Frankenhausen stammten rund 20 Prozent aus den alten Ländern. 46 Dieser Befund lässt sich noch fortsetzen: 2020 wurden alle sechs Aufklärungsbataillone des Heeres von Westdeutschen kommandiert. 47 Sachstandsbericht an den Unterausschuss »Streitkräftefragen in den neuen Bundesländern« des 4000 Unteroffiziere und des 3600 1099
Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, 10. 5. 1996, BArch-MA, BW 2/31689. 48 Die NVA hatte ein deutlich größeres Offizierkorps als die Bundeswehr, die für dieselben Aufgaben meist Offiziere mit niedrigeren Dienstgraden einsetzte. 49 Udo Conrad, Probleme der Integration von Soldaten der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR in die Bundeswehr. Ergebnisse der zweiten Befragung 1995 im Bereich Wehrbereichskommando VIII/14.Panzergrenadierdivision, S. 16 f., Berlin, Juli 1995, BArch-MA, BW 2/31689. 50 Es blieb bei wenigen semantischen Anpassungen. So kommt der heute ubiquitär gebrauchte Begriff der »Sicherstellung« (»die Aufklärung ist sicherzustellen«) aus der NVA. Für diesen Hinweis danke ich Robert Graf, Gardelegen. 51 Gunnar Digutsch, Die NVA und die Armee der Einheit, S. 472. 52 Jahrbuch Öffentliche Meinung Allensbach 1993–1997, S. 1123–1126, 1134, 1136. 53 Frauen waren zunächst überhaupt nicht in der Bundeswehr zugelassen. Verteidigungsminister Leber öffnete dann 1975 die Laufbahn des Militärmusikdienstes sowie der Sanitätsoffiziere für Frauen, Rupert Scholz 1991 auch die Laufbahn für Sanitätsunteroffiziere. 1996 bewarb sich Tanja Kreil als Soldatin und klagte vor dem Europäischen Gerichtshof gegen ihre Ablehnung. Dieser entschied im Jahr 2000, dass das Verbot gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße. Daraufhin wurden alle Laufbahnen für den freiwilligen Dienst von Frauen zugelassen. 1975 dienten 5, 1990 275, 2000 4564 und 1100
2019 rund 22 594 Frauen in der Bundeswehr, somit rund 12 Prozent der Gesamtstärke. Vgl. Kümmel, Truppenbild mit Dame; Kümmel, Halb zog man sie; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/74843/umfrag e/soldatinnen-in-der-bundeswehr/ 54 Führungsmeldung 1992 vom 12. 7. 1993, BArch-MA, BH 1/29650. 55 Dies war eine gesamteuropäische Tendenz. Vgl. Vlachová/Caforio, The European Military; Kernic, European Armed Forces. 56 Ausführlich dazu: Raabe, Bedingt einsatzbereit, S. 149– 240. 57 Fü H III 5 Beitrag zur bewertenden Stellungnahme Führungsmeldung Heer 1993, 3. 2. 1994, BArch-MA, BH 1/29650. 58 Führungsmeldung über den Zustand der Streitkräfte für das Jahr 1993, S. 3, BArch-MA/BH 1/29650. 59 Panzerbrigade 14, Verbesserung der Inneren Lage im Heer, 3. 3. 1994. Quelle: Kopie im Archiv des Verfassers. 60 Führungsmeldung über den Zustand der Streitkräfte für das Jahr 1994, 2. 6. 1995, S. 8, BArch-MA, BH 1/29650. 61 Dazu auch Führungsmeldung Marine 1997, S. 12, BArchMA, BW 2/38674. 62 Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1992, 23. 03. 1993, S. 6, https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/12/046/1204600.pdf 63 Generalinspekteur an Minister, 27. 5. 1998, Führungsmeldung Zustand Streitkräfte für das Jahr 1997, BArch-MA, BW 2/38674. 1101
64 Befehlshaber Heeresführungskommando an Inspekteur Heer, 3. 1. 1997, BArch-MA, BH 1/29650. 65 Führungsmeldung über den Zustand des Heeres 1996, 21. 2. 1997, S. 7, 9, BArch-MA, BH 1/29650. 66 Generalinspekteur der Bundeswehr, 29. 4. 1996, Führungsmeldung über den Zustand der Streitkräfte 1995, BArch-MA, BW 1/29650. 67 Führungsmeldung über den Zustand der Streitkräfte für das Jahr 1997, S. 2, BArch-MA, BW 2/38674. 68 Es gibt eine Vielzahl von Erinnerungsberichten über den IFOR-, SFOR- und KFOR-Einsatz. Vgl. z. B. Reinhardt, KFOR, sowie die Schilderung von Walter Jertz und Friedrich Riechmann zu Bosnien und von Klaus Olshausen zum Kosovo in: Bremm/Mack/Rink, Entschieden für Frieden, S. 565–614. 69 Klaus Naumann auf der Kommandeurtagung in Leipzig, 14. 5. 1992, Tonbandmitschnitt Band 48, S. 1, BArchMA, BW 2/19453. 70 BMVg, 8. 8. 1990, BArch-MA, BH 2/4504. Der Begriff »kriegsnah« wurde aber in der Truppe noch weiterverwendet. Vgl. z. B. Jahresausbildungsbefehl der Panzerbrigade 21, 28. 11. 1991. Für den Hinweis danke ich Dr. Erich Vad. 71 So Klaus Naumann in seiner Rede zur Standortbestimmung der Bundeswehr am 12. 5. 1992 auf der Kommandeurtagung in Leipzig, S. 30 f. BArch-MA, BW 2/19453. 72 Für einige wenige war selbst der Blauhelmsoldat eine unzumutbare Einsatz als Vorstellung. 1102
Führungsmeldung über den Zustand des Heeres 1993, S. 4, BArch-MA, BH 1/29650. 73 Schlussbemerkungen Generalinspekteur Klaus Naumann, 33. Kdr Tagung in Leipzig, 14. 5. 1992, S. 8, BArch-MA, BW 2/19453. Vgl. auch: Konzeptionelle Überlegungen zum Einsatz von Truppenteilen des Heeres im Rahmen des ARRC an den Flanken des Bündnisgebietes, Fü H I 4, 29. 11. 1991, BArch-MA, BH 7-3/889. 74 Führungsstab des Heeres, Stabsabteilung I Fü H I 3, 28. 7. 1992, BArch-MA, BH 1/24832. 75 Vgl. Dirk Kurbjuweit, Lacky zieht in den Krieg, in: Die Zeit, 3. September 1993, https://www.zeit.de/1993/36/lacky-zieht-in-denkrieg/komplettansicht 76 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Konrad Weiß (Berlin) und der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen, 12/6989, 8. 3. 1994, http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/12/069/1206989.pdf 77 Das kanadische Fallschirmjägerregiment wurde daraufhin aufgelöst. Razack, Dark Threats. Zu den Vorwürfen gegen belgische und italienische Soldaten siehe auch https://www.economist.com/international/1997/07/03/goo d-intentions-turned-to-shame. 78 Dazu ausführlich Julia Dehm, Zur (militärischen) Gewaltkultur von Kriegsfreiwilligen in den Jugoslawienkriegen der 1990er-Jahre, in Arbeit befindliche Dissertation, Uni Potsdam. 79 Glawatz, Schieß doch, Junge, schieß! 80 Die Zahlen nach der offiziellen Truppeninformation von SFOR. In der Literatur schwanken die Angaben etwas. 1103
Vgl. Rink, Operation Libelle. 81 So abgedruckt in dem privaten Tagebuch eines Stabsoffiziers des 1. SFOR-Kontingents, das dem Verfasser vorliegt. 82 Das Wissen der deutschen Soldaten über Land und Leute war übrigens eher bescheiden. Begleitende Weiterbildungen fehlten völlig. Der Wegweiser zur Geschichte Bosnien-Herzegowinas vom MGFA kam erst 2007 heraus. Die historische Forschung hatte sich bis dahin mit dem Partisanenkrieg der Wehrmacht in Jugoslawien während des Zweiten Weltkriegs kaum befasst. Die erste umfassende Studie zum Thema war 2002 Schmider, Partisanenkrieg in Jugoslawien. 83 BEA GenIsp., Beobachtungsbesuch 22/03 und 23/03 beim 6. Deutschen Einsatzkontingent SFOR in Rajlovac/Außenlager Filipovici sowie beim Deutschen Anteil HQ SFOR in Butmir und HQ MNB SE in Mostar vom 31.3.–3. 4. 2003, BArch-MA, BH 1/29656. 84 Ebenda, S. 14. 85 Jahresbericht BEAGenInsp 2004, S. 11, BArch-MA, BW 2/47760. 86 BEA GenIsp., Beobachtungsbesuch 12/02 beim Dt.EinsKtgt SFOR/MND SE in Bosnien und Herzegowina vom 17. bis 21. 03. 2002, S. 3, BArch-MA, BH 1/29655. 87 Am 21. Januar 1994 tötete ein deutscher Fallschirmjäger einen Somalier, der versucht hatte, nachts ins deutsche Feldlager in Belet Huen einzudringen. Das Verfahren gegen den Soldaten wurde eingestellt. Zu dem Vorfall die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, 8. 1104
3. 1994. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/12/069/1206989.pdf 88 Drews, Erfahrungen und Erkenntnisse. Einen teilweise ähnlichen Duktus hatte im September 1990 schon Werner von Scheven, als er von »zivilisationsverwöhnter Generation« bei den Soldaten sprach. Werner von Scheven, Bundeswehr im Umbruch. Perspektiven für die 90er Jahre, September 1990, S. 24, BArch-MA, N 992/74. 89 BEA-Bericht 18/01 Panzertruppenschule BArch-MA, BH 1/29652. 90 BEA Beobachtungsbesuch 66/01 beim Fallschirmjägerbataillon 261 in Lebach, 21. 11. 2001, BArch-MA, BH 1/29652. 91 Jahresbericht Wehrbeauftragter 1991, S. 7; https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/12/022/1202200.pdf 92 Fü/Z Zusammenfassung und BEA Jahresbericht 2000, 25. 6. 2001. BArch-MA, BW 1/29653. 93 Ebenda. 94 Die Teilnehmer des Kompaniecheflehrgangs an der Panzertruppenschule Munster hätten, so wurde gemeldet, das Vertrauen in die politische Führung verloren. BEA Bericht 18/01, Vermerk Fü H/Z, 22. 6. 2001, BArch-MA, BH 1/29652. 95 BEA Jahresbericht 2001, BArch-MA, BH 1/29652. 96 Ebenda, S. 4, 18. 97 Ebenda, S. 28. 98 Inspekteur Heer an Generalinspekteur o. D. [2001], BArch-MA, BH 1/29626. Munster, 1105
99 Führungsmeldung über den Zustand der Streitkräfte für das Berichtsjahr 2001, S. 32 f., BArch-MA, BW 2/38674. 100 Zudem gab es Ausrüstungsprobleme vor allem bei den veralteten Jagdflugzeugen. Immerhin wurde Ende 2001 eine erste Staffel Tornado mit lasergesteuerten Bomben der NATO assigniert. Führungsmeldung der Luftwaffe 2001, S. 3 f., BArch-MA, BW 2/38674. 101 BEAGenInsp Jahresbericht 2004, S. 17, BArch-MA, BW 2/47760. 102 Hierzu ausführlich Marnetté, Der Soldat als Kämpfer. 103 Werner von Scheven sagte zum 40. Jahrestag des Kriegsausbruchs am 1. 9. 1989: »Wo Soldaten und Truppenteile im Bewusstsein einer notvollen Pflichterfüllung gegenüber ihrem Vaterland tapfer und nach Kriegsrecht kämpften, sind sie nach wie vor traditionswürdig.« BArch-MA, N 992/73. 104 Heinemann, Eduard Dietl. Die Studie von Roland Kaltenegger zu Ludwig Kübler genügt wissenschaftlichen Ansprüchen nicht. 105 Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1994, S. 13. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/007/1300700.pdf 106 Entwurf in BArch-MA, BH 1/29180. 107 Zeitzeugeninterview mit einem Wehrpflichtigen aus dieser Einheit am 3. 2. 2020. Diese Aussagen wurden von zwei weiteren damaligen Wehrpflichtigen in dieser Kompanie ergänzt und bestätigt. 108 Zeitzeugeninterview mit einem ehemaligen Kompaniechef der Fallschirmjägertruppe, 31. 1. 2020. Die Bundeswehr verhandelte Fälle einer NS-verklärenden Geschichtsauffassung auch gerichtlich. Genauere Details 1106
liegen dazu aber nicht vor. Exemplarisch sei auf das Verfahren gegen einen Oberfeldwebel der Panzertruppe verwiesen, der erst vom Truppengericht Nord zum Verlust eines Dienstgrades, in der Berufung vom Bundesverwaltungsgericht lediglich zu drei Jahren Beförderungssperre verurteilt wurde. Vorgang in BArchMA, BH 1/29182. 109 Major Heinz Hangs, Schulstab S 1, Lagefeststellung Handhabung der Traditionspflege, Altenstadt, 17. 4. 1998, BArch-MA, BH 1-29179. 110 Zeitzeugeninterview mit einem ehemaligen Kompaniechef der Fallschirmjägertruppe, 31. 1. 2020. 111 So war davon die Rede, dem Partisanen kein Pardon zu geben, was schon im Zweiten Weltkrieg gegen das Völkerrecht verstieß. Vgl. Kapitel 3 in diesem Buch, S. 205 f. 112 Jahresbericht des Wehrbeauftragten 1994, S. 12 f. https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/007/1300700.pdf 113 Führungsmeldung über den Zustand des Heeres 1992, S. 4, BArch-MA, BH 1/29650. 114 Rechtsradikale in der Bundeswehr – Die braune Kumpanei, in: Stern, 10. 12. 1997. 115 Der Abschlussbericht vom 18. 6. 1998 ist abrufbar unter: https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/13/110/1311005.pdf Vgl. zudem: Führungsmeldung über den Zustand des Heeres 1997, 13. 2. 1998, S. 1; Zustand Luftwaffe 1997, S. 2; Zustand Marine, S. 1, BArch-MA, BW 2/38674. 116 Abschlussbericht Untersuchungsausschuss, S. 22, https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/13/110/1311005.pdf 1107
117 Eine Studie über die Studenten der BundeswehrUniversitäten stellte im Oktober 1997 fest, dass 75 Prozent einer christlich-konservativen Position nahestanden. 6,2 Prozent der Studierenden wurden als »national-konservativ« eingestuft. Zitiert in Paul Schäfer, Dossier Nr. 28, Bundeswehr und Rechtsextremismus, S. 5. https://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php? dossierID=054 Vgl. auch Gareis/Kozielski/Kratschmar, Rechtsextreme Orientierungen in Deutschland und ihre Folgen für die Bundeswehr. Die Studie konnte ebenfalls keine rechtsextremistische Unterwanderung der Streitkräfte feststellen. Sie arbeitete heraus, dass junge Männer, die eine sehr positive Einstellung zur Bundeswehr hatten, auf einer Nationalismusskala – nicht auf der Fremdenfeindlichkeitsskala – deutlich erhöhte, wenn auch keine extremen Werte aufwiesen. 118 Beobachtungsbesuch 28/98 bei Luftlande/Lufttransportschule Altenstadt am 22./23. 04. 98, S. 2, BArch-MA, BW 2/31927. Jeschonnek richtete die Lehrsammlung stärker auf die Geschichte der Bundeswehr aus, schaffte den Appell zum Kreta-Tag ab, versuchte in einer Abendveranstaltung einer Verklärung der Eroberung Kretas entgegenzuwirken und gründete eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Traditionspflege und den Straßennamen in der Kaserne befasste. Als er 1998 zögerte, einen nach Generaloberst Kurt Student benannten Lehrsaal umzubenennen, wurde er abkommandiert. Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/110/1311005.asc 1108
119 Führungsmeldung Zustand Streitkräfte für das Jahr 1997, 27. 5. 1998, S. 3, BArch-MA, BW 2/38674. 120 Zeitzeugeninterview Hartmut Bagger, 17. 11. 2018. 121 Einen guten kurzen Überblick bietet La Folgore, brigata d’élite tra scandali e medaglie d’oro’, La Repubblica, 19. 08. 1999. https://ricerca.repubblica.it/repubblica/archivio/repubblic a/1999/08/19/la-folgore-brigata-elite-tra-scandali.html. Für diesen Hinweis danke ich Bastian Matteo Scianna, Uni Potsdam. 122 Dazu der Auszug aus dem Jahresbericht 1998 des BEA vom 5. 2. 1999, in: Beauftragter Erziehung und Ausbildung des Generalinspekteurs. Chronik, S. 140– 145. 123 Ebenda, S. 133 f. 124 Beide Stimmen in Beobachtungsbesuch 28/98 bei Luftlande/Lufttransportschule Altenstadt am 22./23. 04. 1999, S. 6 f., BArch-MA, BW 2/31927. 125 Vortrag Tradition im Heer vom 27. 3. 1998, Folie 2, BArch-MA, BH 1/29179. 126 Beauftragter Erziehung und Ausbildung Generalinspekteurs. Chronik, S. 134. des 127 Zeitzeugeninterview mit Friedrich Schacht, 26. 4. 2018, der 1987/88 beim FschJgBtl 273 in Iserlohn seinen Wehrdienst absolvierte. Das Nachbarbataillon 271 wurde zu dieser Zeit von Max Klaar geführt, der über einen Verein Spendengelder gesammelt und einen Nachbau des Potsdamer Glockenspiels in der Iserlohner Kaserne errichtet hatte. Über Klaars öffentlich gehaltenen Reden zur Übergabe des Glockenspiels war der 1109
Kommandierende General des II. Korps wegen des überzogen propreußischen und antisowjetischen Duktus so ungehalten, dass er den Kommandeur der 1. Luftlandedivision anwies, auf Klaar »erzieherisch einzuwirken«. Der Vorgang findet sich in BArch-MA, BH 1/16030. 128 Eine Aufarbeitung etwa der Fallschirmjägertruppe der Wehrmacht erfolgte erst durch die Bände von HansMartin Stimpel und Karl-Heinz Golla, die von 1998 bis 2006 publiziert wurden. Es ist das umfassendste und kritischste Werk zum Thema, genügt aber wissenschaftlichen Ansprüchen nicht immer. 129 So Flottillenadmiral Klaus-Dieter Sievert, Beauftragter Erziehung und Ausbildung Generalinspekteurs. Chronik, S. 123. in: des 130 Ebenda. 131 Im Heer gab es 268 Traditionsräume, von denen 98 ausschließlich Verbänden der Bundeswehr gewidmet waren. 14 thematisierten die Bundeswehrgeschichte gar nicht, 156 sowohl die Bundeswehrgeschichte als auch die Zeit davor. Vortrag Tradition im Heer vom 27. 3. 1998, Folie 2. Vgl. auch Kommandeur Heeresschulen, Bestandsaufnahme Traditionspflege Heeresschulen, 22. 4. 1998, BArch-MA, BH 1/29179. Vgl. auch Traditionspflege im Heer, Lagefeststellung, 25. 6. 1998, die insbesondere die Verbindungen zu Traditionsverbänden aufzeigt. BArch-MA, BH 1/29180. Dabei wurde auch festgestellt, dass ein Offizieranwärter innerhalb seiner zweijährigen Ausbildung 86 Stunden Wehr- und Militärgeschichtsunterricht erhielt. Für 1110
Unteroffiziere waren im Verlauf von 20 Dienstjahren nur 30 Stunden vorgesehen. 132 Traditionspflege im Heer, Lagefeststellung, 25. 6. 1998, hier Erwartungen an den Leitfaden. BArch-MA, BH 1/29180. 133 Major Heinz Hangs, Schulstab S 1, Lagefeststellung Handhabung der Traditionspflege, Altenstadt, 17. 4. 1998, BArch-MA, BH 1/29179. 134 https://docplayer.org/59660545-Traditionspflege-imheer.html. Der Leitfaden war das Ergebnis einer Arbeitsgruppe »Handhabung der Traditionspflege im Heer«, die im März 1998 einberufen worden war. Umfangreiches Material hierzu in BArch-MA, BH 1/29179. Die Vorabversion des Leitfadens findet sich in BArch-MA, BH 1/29183. 135 Statement des Generalinspekteurs der Bundeswehr Hartmut Bagger, 22. 4. 1998, S. 2 f., BArch-MA, BH 1/29179. 136 Generalinspekteur Hartmut Bagger hatte im Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Rechtsextremismus noch die soldatischen Tugenden früherer deutscher Armeen verteidigt. Vgl. BArch-MA, BH 1/29179, S. 69. 137 Traditionshörsäle im Bereich Lehrgruppe »B«, Stand 10. 2. 98, BArch-MA, BH 1/29179. 138 Rashid, Taliban. Ein konziser Überblick der Taliban im gesellschaftlichen Kontext Afghanistans u. a. Münch, Bundeswehr, S. 137–151. Zum Krieg in Afghanistan Roy, War and Society. 1111
139 Zeitzeugeninterview mit Christoph Müller, 2001/02 Sonderbeauftragter Afghanistan des AA, 26. 10. 2015. 140 Ebenda, 5. 1. 2018, 8. 6. 2018. 141 https://www.welt.de/print-welt/article366352/DeutscheSoldaten-erkunden-Kabul.html 142 Diesen Punkt hat bislang am klarsten herausgearbeitet: Münch, Die Bundeswehr in Afghanistan, S. 177–180. 143 Zur mangelnden Nutzung der durchaus vorhandenen Afghanistan-Expertise vgl. Schetter, The unknown knowns. 144 BEAGenInsp, Beobachtungsbesuch 03/02 beim Fallschirmjägerbataillon 313 in Varel am 28./29. 01. 2002, S. 6, BArch-MA, BH 1/29635. Umfragen aus dem Mai 2004 zeigen dann aber hohe Zustimmungsraten der Soldaten des 5. ISAF-Kontingents zum Einsatz am Hindukusch. Biehl/Keller, Hohe Identifikation und nüchterner Blick. Als Erinnerungsbericht aus der Perspektive eines Stabsunteroffiziers: Wohlgethan, Endstation Kabul. 145 Sangar, Historical Experience, S. Bundeswehr in Afghanistan, S. 171 f. 205; Münch, 146 BEAGenInsp Jahresbericht 2004, S. 22, BArch-MA, BW 2/47760. 147 Generalmajor Walter Spindler in: SWR1 Leute Night, 30. 5. 2012, https://www.youtube.com/watch? v=43U32Lic0nk. Ähnlich Buske, Afghanistan, S. 63 f. 148 BEAGenInsp Jahresbericht 2004, S. 22, BArch-MA, BW 2/47760. 1112
149 Im Human Development Index der UN stand Afghanistan 2002 auf Platz 173 von 177 statistisch erfassten Ländern. Afghanistan. National Human Development Report 2004 http://hdr.undp.org/sites/default/files/afghanistan_2004_e n.pdf, PDF-S. 44. 150 Pritzl, Polizei-Engagement in Afghanistan, S. 49. Vgl. auch Naumann, Der blinde Spiegel, S. 113–123. 151 Weißbuch 2006. 152 Naumann, Der blinde Spiegel, S. 66–73, 77–82. 153 Schlie, Lehren aus dem Afghanistaneinsatz, S. 391. 154 Es gab 28 PRTs in Afghanistan, die von 15 Nationen nach teilweise sehr unterschiedlichen Vorstellungen geführt wurden. So war in den deutschen PRTs der militärische Anteil sehr hoch, während die Türkei einen gänzlich zivilen Ansatz wählte. Vgl. Dreist, Provincial Reconstruction Teams. 155 Hierzu Chiari, Die Bundeswehr als Zauberlehrling. 156 Ebenda, S. 350. Vgl. auch ders. A New Model Army, ins. S. 155. Vgl. auch Naumann, Der blinde Spiegel, S. 98– 113. Die Perspektive des AA und des BMZ ist in der bisherigen Forschung deutlich unterrepräsentiert. Zu ersten Ansätzen vgl. z. B. Ewertz, Zivile Einsatzerfahrung im PRT Kunduz. Es gibt in der Forschung den Vorwurf, dass sich die Bundeswehr in Afghanistan zumindest ab 2008 zu sehr auf das Kämpfen konzentriert und sich zu wenig mit historischen Erfahrungen sowie aktuellen Doktrinen zur Aufstandsbekämpfung befasst habe. Diese Feststellung scheint in dieser Form verkürzt zu sein. In den vom 1113
Verfasser eingesehenen privaten und dienstlichen Unterlagen des PRT Kunduz wurde sehr wohl die Aufbaudimension mitreflektiert. Die Frage war freilich, welche Mittel das PRT zur Verfügung hatte, um der zivilen Dimension des Einsatzes gerecht zu werden. Zudem gab es für den nicht-militärischen Teil einen zivilen Leiter des PRT; dieser scheint sich – je nach personeller Konstellation – eng mit dem militärischen Leiter des PRT abgesprochen zu haben. Auch gab es noch nicht einmal auf Seiten der EZ-Gemeinde einen koordinierten Ansatz zur Herstellung von good governance. Sicher richtig ist die Feststellung, dass sich das Verteidigungsministerium mit Händen und Füßen dagegen sträubte, die historischen COIN-Erfahrungen von Deutschen, Franzosen und Briten zu reflektieren. Man war nicht willens, eine eigene COIN-Richtlinie zu erarbeiten. Das Projekt kam über Vorarbeiten nicht hinaus. Rid/Zapfe, Mission Command without a Mission, S. 199 f. Vgl. auch Sangar, Historical Experience, S. 203–236. 157 Das Afghanistan-Abenteuer, Der Spiegel, 20. 11. 2006. 158 Die ISAF hatte Afghanistan in die Regionalkommandos Nord (Deutschland), West (Italien), Süd (Niederlande/UK), Ost (USA) unterteilt, die jeweils vier bis 13 PRTs führten. Hinzu kam noch das Regionalkommando Capital (Frankreich) in Kabul. Sie unterstanden dem Hauptquartier von ISAF in Kabul, das wiederum dem NATO-Hauptquartier im niederländischen Brunssum – Allied Joint Force Command unterstand. 159 Giustozzi, Taliban at War. 160 Tagebuch eines Stabsoffiziers (I), 1. 8. 2006. 1114
161 Ebenda, 26. 9. 2006. 162 Ebenda, 21. 9. 2006. 163 Ebenda, 31. 7. 2006. 164 Die Zahlen stammen aus nicht-öffentlichen militärischen Quellen, die ich einsehen konnte. Die kumulierten Ausgaben aller staatlichen Stellen in der Bundesrepublik zur Unterstützung Afghanistans, inklusive der deutschen Mittel, die über internationale Organisationen flossen, waren weit höher. Sie betrugen von 2004 bis 2006 292,35 Millionen US-Dollar. https://stats.oecd.org/qwids/#? x=2&y=6&f=3:51,4:1,1:10,5:3,7:1&q=3:51+4:1+1:2,25, 9,10,23,24+5:3+7:1+2:2+6:2001,2002,2003,2004,2005,2 006,2007,2008,2009,2010,2011,2012,2013,2014,2015,20 16,2017,2018 165 Tagebuch eines Stabsfeldwebels, 12. 3. 2008. 166 Ebenda, 30. 5. 2008. 167 Vgl. auch den Bericht der Reise nach Afghanistan von MdB Winfried Nachtwei vom 10.–14. Oktober 2006. http://nachtwei.de/index.php? module=articles&func=display&catid=81&aid=440&the me=print 168 Tagebuch eines Stabsfeldwebels, 7. 6. 2008. 169 Ebenda, 11. 6. 2008. 170 Zur generellen Problematik vgl. Stockmann/Menzel/Nuscheler, Entwicklungspolitik, S. 13–18, 404–409. Zu den Problemen der EZ-Arbeit in Afghanistan vgl. Thomas Ruttig, Zu wenig, reichlich spät – Stabilisierungsmaßnahmen in Afghanistan zwischen 1115
Terrorismusund Aufstandsbekämpfung. https://m.bpb.de/apuz/32733/zu-wenig-reichlich-spaetstabilisierungsmassnahmen-in-afghanistan-zwischenterrorismus-und-aufstandsbekaempfung; Roland Paris, Afghanistan: What Went Wrong?, in: Perspectives on Politcs 11 (2013) 2, S. 538–548. Der »Review der Evaluierungsarbeit zur deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan« (DEval 2014) hält aufgrund der schlechten Evaluationslage fest:.«Es könnten daher kaum Aussagen darüber gemacht werden, in welchem Maße die übergeordneten Ziele der deutschen EZ in Afghanistan erreicht wurden.« S. VIII. 171 Tagebuch eines Stabsoffiziers (I), 26. 07. 2006. 172 Ebenda, 18. 11. 2006. Der Eintrag bezieht sich auf das Gerücht eines gegnerischen Verwundeten. 173 100 Jahre vorher mussten sich deutsche Offiziere übrigens mindestens fünf Jahre für den Dienst in den Kolonien verpflichten. Jene, die nach Ostafrika gingen, mussten Suaheli lernen. Bührer, Schutztruppe, S. 115– 117, 119–121, 128; Münch, Die Bundeswehr in Afghanistan, S. 205, 220, 229, 248, 281. 174 Tagebuch eines Stabsfeldwebels, 7. 4. 2008. 175 Dazu auch Münch, Die Bundeswehr in Afghanistan, S. 283–296. 176 Zeitzeugeninterview mit einem Stabsoffizier, 10. 4. 2020. 177 Offiziell: Operational Mentoring and Liasion Teams, OMLT. 178 Tagebuch eines Stabsoffiziers (I), 12. 09. 2006. Das deutsche Kommando Spezialkräfte wurde erst 2007 in den Norden Afghanistans verlegt. Es operierte dann unter 1116
ISAF-Mandat und war auch an Festnahmen von Talibanfunktionären beteiligt, etwa im September 2010 von Maulawi Roshan. 179 Tagebuch eines Stabsoffiziers (I), 29. 9. 2006. 180 Ebenda, 11. 9. 2006. 181 Eine Grafik zur Zahl der Feindkontakte und Verluste der Bundeswehr in Afghanistan bei Seiffert, 22. Kontingent, S. 48. 182 Gemeint ist die ungelenkte Rakete BM-1 mit rund acht Kilometer Reichweite. Von September 2007 bis Oktober 2008 wurden 80 Raketen auf das Lager abgeschossen. 183 Zit. nach Münch, Bundeswehr in Afghanistan, S. 290. 184 Zu der Logik der Rules of Engagement vgl. ebenda, S. 269–275. 185 Wolfgang Winkel, Die Bundeswehr braucht archaische Kämpfer, Welt am Sonntag, 29. 2. 2004. https://www.welt.de/printwams/article107173/Bundeswehr-braucht-archaischeKaempfer.html 186 Vgl. die pointierte Charakterisierung Franz Josef Jungs als Verteidigungsminister: Markus Feldenkirchen, Out of Erbach, Der Spiegel, 12. 11. 2007, https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-53621794.html 187 Das Hauptquartier der ISAF in Kabul legte den Schwerpunkt der Operationen von März bis Oktober 2008 auf den Süden Afghanistans, sodass die Kräfte des italienisch geführten Regional Command (RC) West an der Grenze zum RC Süd gebunden waren, um das Ausweichen von Aufständischen in ihren Bereich zu unterdrücken. Der COMISAF hatte am 23. 2. 2008 wohl 1117
ohne Rücksprache mit dem deutschen Verteidigungsministerium angeordnet, zur Entlastung des RC West den kritischen Distrikt Ghormach zeitlich begrenzt dem RC North zuzuordnen. Generalinspekteur Schneiderhan wies dies strikt zurück, weil er eine schleichende Ausdehnung des deutschen Verantwortungsbereichs befürchtete. Er konnte sich damit aber nicht gegen die ISAF durchsetzen. Im Mai 2008 war die Frage, inwieweit neben der norwegischen QRF auch deutsche Truppen an Operationen in Ghormach beteiligt werden konnten. Die Vorgaben des Bundestagsmandats konnte man unterschiedlich auslegen. »Zeitlich und im Umfang begrenzte Maßnahmen« schienen durchaus möglich. Im Mai 2008 entschied sich Minister Jung wohl auch auf Anraten des Generalinspekteurs für eine enge Auslegung. Die unruhige Lage in dem Distrikt spielte dabei offenbar keine Rolle. Vielmehr ging es darum, sich mehr Verantwortung und riskante Operationen möglichst vom Hals zu halten. Etliche Dokumente des Verteidigungsministeriums zu dem Vorgang liegen dem Verfasser vor. Vgl. zudem: Official Norwegian Reports NOU 2016:8, A Good Ally: Norway in Afghanistan 2001–2014, S. 137 f. https://www.regjeringen.no/contentassets/09faceca099c4 b8bac85ca8495e12d2d/engb/pdfs/nou201620160008000engpdfs.pdf 188 Tagebuch eines Stabsfeldwebels, 10. 4. 2008. 189 Ebenda, 29. 4. 2008. 190 German Special Forces in Afghanistan let Taliban Commander Escape, in: Der Spiegel, 19. 5. 2008. https://www.spiegel.de/international/world/not-licensedto-kill-german-special-forces-in-afghanistan-let-taliban- 1118
commander-escape-a-554033.html Zum Einsatz des KSK vgl. Lauenroth, Spezialkräfte. 191 Zit. nach Chiari, Die Bundeswehr als Zauberlehrling, S. 339. 192 So Winfried Nachtwei, Viele Lichtblicke bei immer mehr Düsternis, 15. 9. 2008, S. 5, http://nachtwei.de/downloads/bericht/sommer2008_reiseb ericht-afgh_nachtwei 193 Das Afghanistan-Konzept September 2008. der Bundesregierung, 194 Die Summe wurde auf der Pariser AfghanistanKonferenz zugesagt und sogar deutlich übertroffen, wenn man die Zahlungen aller Ministerien, der Bundesländer sowie die über internationale Organisationen ausgezahlten Summen addiert. Die Gesamtsumme deutscher Wiederaufbauhilfe in den Jahren 2001 bis 2014 beläuft sich auf knapp vier Milliarden US-Dollar. In den Jahren 2008 bis 2010 wurden 1,1 Milliarden gezahlt. Zahlen nach: ttps://stats.oecd.org/Nimmt man den Afghanistankonflikt insgesamt in den Blick, betrug das Verhältnis von zivilen und militärischen Mitteln nie mehr als 30 : 70. In einer Aufbaumission sollte es gemäß der reinen Lehre genau andersherum sein. Krause, Afghanistaneinsätze der Bundeswehr, S. 161 f. Zur deutschen Afghanistanhilfe auch: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/042/1904231.pdf 195 So zumindest die Kritik von Rainer Buske, Kunduz, S. 206 f.; Chiari, Die Bundeswehr als Zauberlehrling, S. 340. Zur mangelnden Koordination der Schlüsselressorts auch Naumann, Der blinde Spiegel, S. 66–73. Winfried Nachtwei wurde vor Ort hingegen gesagt, dass die 1119
Zusammenarbeit von Bundeswehr, Auswärtigem Amt und Bundesinnenministerium exzellent sei. So Nachtwei, Viele Lichtblicke bei immer mehr Düsternis, 15. 9. 2008, S. 30. http://nachtwei.de/downloads/bericht/sommer2008_reiseb ericht-afgh_nachtwei 196 Münch, Bundeswehr in Afghanistan, S. 293 f. Auch Noetzel/Scheer, Counter what? 197 Insgesamt war das PRT Kunduz im Mai 2008 rund 800 Mann stark. Von der Mandatserhöhung im Sommer 2008 von 3500 auf 4500 Mann erhielt das PRT Kunduz gerade einmal einen Zug Fallschirmjäger von rd. 40 Mann. Seitdem waren sieben Züge Infanterie vorhanden, von denen aber drei vor allem zum Schutz des Lagers eingesetzt wurden. Buske, Kunduz, S. 61. 198 Vor der ISAF-Mandatsentscheidung. Jüngste Eindrücke aus Kabul, Mazar-e Sharif und Kunduz, 5. 10. 2008 http://nachtwei.de/index.php? module=articles&func=display&catid=11&aid=754 199 Tagebuch eines Stabsoffiziers (I), 14. 10. 2006. 200 Vor der ISAF-Mandatsentscheidung. Jüngste Eindrücke aus Kabul, Mazar-e Sahrif und Kundz, 5. 10. 2008 http://nachtwei.de/index.php? module=articles&func=display&catid=11&aid=754 201 Winfried Nachtwei, Viele Lichtblicke bei immer mehr Düsternis, 15. 9. 2008, S. 17, http://nachtwei.de/downloads/bericht/sommer2008_reiseb ericht-afgh_nachtwei 202 Buske, Kunduz, S. 130. 203 Zeitzeugeninterview Georg Klein, 15. 3. 2019. 1120
204 Zeitzeugeninterview Robert Graf, 2. 7. 2020. 205 Tagebuch eines Stabsoffiziers (II), 21. 4. 2009. 206 Ebenda, 17. 4. 2009. 207 Eine eindrückliche Beschreibung des Gefechts, in dem Motz fiel in: Lars Gaede, Das ist Krieg, Sergej, Krieg!, https://taz.de/!377809/, und die Schilderung von Jörn Deigner, 2009 Zugführer von Motz https://www.bundeswehr.de/de/organisation/heer/mensch en-im-heer/afghanistan-ein-tag-der-alles-veraenderte 208 Wie gefährlich ein solcher Vertrauensverlust sein konnte, zeigen die Vorfälle beim 17. ISAF-Kontingent im Sommer 2008. Nach dem Tod des Fallschirmjägers Mischa Meier bei einem IED-Anschlag war das Verhältnis der Truppe zu ihrem Kommandeur Oberst Christian Meier irreparabel zerstört. Meier wurde nach nur acht Wochen abgelöst. Eine meinungsstarke Schilderung der Lage, wonach sich das PRT Kunduz in einer Art Schockstarre befunden habe, findet sich in Buske, Kunduz, S. 150–163. Meier blieb der einzige PRT-Kommandeur, der vorzeitig abgelöst wurde. 209 Tagebuch eines Stabsoffiziers (II), 3. 5. 2009. 210 Vgl. dazu die zweifellos geglätteten, aber gleichwohl instruktiven Erlebnisberichte von Hans-Christoph Grohmann, Führen im Einsatz und im Gefecht – Erfahrungen als Kommandeur der Quick Reaction Force (QRF) in Nordafghanistan, und Jan Hecht, Afghanistan mit vollem Einsatz. Erfahrungen eines Panzergrenadierzugführers, in: Glatz/Tophoven, Am Hindukusch – und weiter?, S. 93–106, 107–138; sowie das Kapitel Kunduz in: Mit der Panzergrenadierbrigade 37 »Freistaat Sachsen« im Einsatz. April 2009 bis März 1121
2010. Erlebnisse von Soldaten im Einsatzjahr der Brigade, S. 87–125. Vgl. auch Schulze, Einsatz prägt, S. 230 f. 211 Damit entsprach das PRT Kunduz den Direktiven des BMVg. Vgl. BMVg – LtrEinsFüStab – Az. 31-70-00 vom 08. 05. 2009 »Jahresweisung 2009 zur Ausplanung und für den Einsatz DEU Kräfte im Rahmen der Beteiligung an der NATO Operation ISAF«. 212 Eine Grafik über die von der Bundeswehr angeforderte Luftunterstützung in Münch, Bundeswehr in Afghanistan, S. 303. 213 Tagebuch eines Stabsoffiziers (II), 16. 6. 2009. 214 Ebenda, 17. 7. 2009. 215 Zeitzeugeninterview Georg Klein, 15. 3. 2019. 216 Tagebuch eines Stabsoffiziers (II), 17. 4., 23. 4. 2009. 217 Ebenda, 7. 6., 23. 6. 2009. 218 Ebenda, 24. 6. 2009. 219 Ebenda, 24. 6. 2009. 220 Traueransprache, Manuskript im Archiv des Verfassers. 221 Die Tactical Directive vom 6. 7. 2009 und die Tactical Driving Guidance vom 10. 8. 2009 sahen vor, dem Schutz der Zivilbevölkerung bei den Operationen Vorrang einzuräumen. Nachzulesen in: https://www.nato.int/isaf/docu/official_texts/Tactical_Dir ective_090706.pdf sowie Reports on Progress Toward Security and Stability in Afghanistan, Washington 2010, S. 43. 1122
222 Zu den Details siehe Münch, Bundeswehr in Afghanistan, S. 295 f. 223 Dazu Endlich, Bundeswehr-Ehrenmal. 224 Rid/Zapfle, Mission Command without a Mission, S. 197. 225 https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend714.ht ml sowie Heitmann-Kroning, Deutsche Sicherheitspolitik, S. 251. 226 Allerdings machten sich viele Soldaten nicht klar, dass es in einem Krieg keine Auslandsverwendungszulage und keine zeitlich limitierten Einsatzkontingente gab. Es ging in der Debatte also vor allem um die Anerkennung, dass man sich in einem Kampfeinsatz befand. 227 Selbst die beiden Panzeroffiziere Georg Klein und Kai Rohrschneider, die nacheinander das PRT Kunduz führten, waren in dieser Sache unterschiedlicher Meinung. Rohrschneider war ein vehementer Befürworter des Panzereinsatzes, Klein war dagegen. Einsatz als PRTKommandeur in Kunduz, in: Schwarzes Barett 43 (2010), https://www.panzertruppe.com/files/pztr/_pdf/das_schwar ze_barett/band_5/nr_43_4_pzooffz_in_afg_heft43.pdf; Zeitzeugeninterview Georg Klein, 15. 3. 2019. Die Frage, ob man statt »leicht« mit Infanterie »schwer« mit Panzern nach Afghanistan gehen sollte, wurde schon 2002 im Einsatzführungskommando vom damaligen J5, Oberstleutnant Wolfgang Geist, untersucht und abwegig beschieden. Der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Riechmann, übernahm diesen Rat und plädierte für eine »leichte« Ausstattung. Zeitzeugeninterviews Wolfgang Geist, 4. 12. 2019; Niels Janeke, 3. 1. 2020. 1123
228 Bereits im Sommer 2006 wurde über die Verlegung von Schützenpanzern »Marder« nach Kunduz nachgedacht. Aufgrund der schlechten Wege, der noch nicht vorhandenen Logistik und der noch nicht eskalierten Lage wurden diese dann Ende des Jahres nach Masar-e Sharif geflogen. Es hatte eine Kontroverse zwischen Generalinspekteur Schneiderhan und dem Inspekteur des Heeres, Hans-Otto Budde, gegeben, ob solche Kettenfahrzeuge bei einem Stabilisierungseinsatz Verwendung finden sollten. Die Ansicht Buddes, dass die Verlegung auch eine Rückversicherungsmaßnahme für die Truppe sei, die psychologisch hilfreich wäre, setzte sich schließlich durch. Der »Marder« hat sich in Afghanistan sehr bewährt – trotz der anfänglichen Skepsis seitens des Generalinspekteurs. Vgl. auch Grohmann, Führen im Einsatz und im Gefecht. 229 Tagebuch eines Stabsoffiziers (II), 25. 7. 2009. 230 Ebenda, 17. 8. 2009. 231 Winfried Nachtwei, Sicherheitsvorfälle in der Region Afghanistan-Nord 2006 bis April 2010, S. 12 f., http://nachtwei.de/downloads/bericht/201004_sicherheitslage-afgh.pdf; vgl. Stephan Löwenstein, 2500 Polizisten für Kundus gefordert, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan2500-polizisten-fuer-kundus-gefordert-1858815.html; vgl. auch Vollmer, Erfahrungen. Angesichts des sehr ereignisreichen Jahres 2009 fällt dieser Beitrag vor allem dadurch auf, was nicht gesagt wird. Der Sammelband zeigt einmal mehr, dass Publikationen aktiver Generäle meist Teil eines weitgehend unkritischen offiziellen 1124
Diskurses sind. Zweifellos hätte Jörg Vollmer zu Afghanistan sehr viel mehr zu sagen. 232 Der erste Milan-Schuss erfolgte am 18. 8. 2009, der Bombenabwurf durch einen B-1-Bomber auf die Straße Little Pluto am 27. 8. 2009. 233 Acht ISAF-Soldaten waren gefallen (vier Deutsche), 21 verwundet worden (20 Deutsche). Zudem fielen 19 afghanische Sicherheitskräfte, 52 wurden verwundet. Pressestatement GenIsp. zum COMISAFUntersuchungsbericht am 29. 10. 2009. http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/CD07400/Dokume nte/Dokument%20051.pdf 234 Zeitzeugeninterview Robert Graf, 2. 7. 2020. 235 Tagebuch eines Stabsoffiziers (II), 2. 9. 2009. 236 Die Meldung zum Gefecht findet sich unter: https://wardiary.wikileaks.org/id/7EB6ECC3-1517-911CC58A34A814F8DA23/ Der Generalbundesanwalt sprach in seinem Untersuchungsbericht von fünf Schwerverwundeten. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein und Hauptfeldwebel Wilhelm wegen des Verdachts einer Strafbarkeit nach dem VStGB und anderer Delikte, Karlsruhe, den 16. 4. 2010, S. 13. https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/CD07400/Dokum ente/Dokument%20052.pdf 237 So auch seine Meldung am 5. September an den Generalinspekteur. Vgl. http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/CD07400/Dokume nte/Dokument%20063.pdf 1125
238 Die ISAF erkannte selbst diese Schwachstelle in ihrem Regelwerk und änderte dieses bereits fünf Tage später. Der ISAF-Untersuchungsbericht ist noch als geheim eingestuft und nicht frei verfügbar. Dem Verfasser lag aber eine achtseitige Auswertung des Berichts durch das BMVg vor. Darin heißt es: »Die derzeit gültigen ISAF ROEs mit Blick auf den Einsatz von Luftstreitkräften enthalten zum Teil unterschiedliche und unscharfe Vorgaben und sind nur schwer handhabbar, da sie der Komplexität einer solchen Situation nicht gerecht werden. Erschwert wurde die Situation durch unterschiedliche Interpretationen aus jeweiliger nationaler Sicht.« Die Entscheidung zum Waffeneinsatz sei daher nachvollziehbar gewesen, so der BMVgBericht. Die Verifizierung der Anwesenheit der Aufständischen durch lediglich eine HUMINT-Quelle erfülle zwar die Minimalanforderungen, sei eigentlich aber nicht ausreichend. Allerdings hielt das BMVg fest, dass bei einer Abwägung zwischen Einhalten der »COM ISAF Intent« und dem aktiven oder passiven Schutz deutscher Soldaten von deutschen Kommandeuren erwartet wird, »dass sie die nationalen Vorgaben umsetzen«. Vgl. zudem die erste rechtliche Bewertung des Rechtsberaters des RC North vom 4. 9. 2009, in der auch auf die ROEs eingegangen wird. https://wikileaks.xuchao.org/de-isaf-cas-kunduzsep09.pdf. Ferner: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/CD07400/Dokume nte/Dokument%20061.pdf. Zudem wurde der Vorwurf gemacht, dass das Anfordern der beiden F-15 nicht regelkonform gewesen sei, da kein TIC = Feindkontakt vorgelegen habe. Dies ist zwar richtig, aber in den Ermittlungsunterlagen wurde festgehalten, allen 1126
Beteiligten – auch den Piloten – sei bewusst gewesen, dass keine deutschen Truppen im Gefecht standen. Das lag daran, dass es bis dahin übliche Praxis war, über eine »TIC-Meldung« Luftunterstützung anzufordern, um zumindest ein Aufklärungsbild zu erhalten, ganz gleich, ob ein Feindkontakt vorlag oder nicht. Das PRT Kunduz hat auch vorher so agiert und ebenso andere ISAFNationen. Der britische Leiter des »Inition Action Teams«, der die Bombardierung der beiden Tanklaster untersuchte, sprach offen von einem »Kavaliersdelikt« und dem Bedarf, die unscharfen Regeln anzupassen. 239 Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein und Hauptfeldwebel Wilhelm wegen des Verdachts einer Strafbarkeit nach dem VStGB und anderer Delikte, Karlsruhe, den 16. 4. 2010, S. 40. 240 Die Afghan Human Rights Commission stellte eine Namensliste von 102 Toten auf. Sie findet sich unter: http://cryptome.org/2012/01/0095.pdf. Das Auswärtige Amt hat sich immer gegen die Zahlung von Entschädigungen an Kriegsopfer gewandt. Man deklarierte die Zahlungen als Aufbauhilfen, um keine Präzedenzfälle zu schaffen, und stellte wohl 5000 Dollar pro Person zur Verfügung. Der Provinzgouverneur und die Regierung in Kabul waren offenbar gegen die Zahlungen, die dann aber auf Druck aus Berlin vor Ablauf des Jahrestages getätigt wurden. Vgl. auch https://www.stern.de/politik/ausland/tanklaster-angriff-inafghanistan-entschaedigung-fuer-die-kundus-opfer-steht3114382.html 241 Vgl. auch Gesprächsprotokoll Feldjägerführer, 9. 9. 2009, mit Vertretern des Provinzrates Kunduz. 1127
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/CD07400/Dokume nte/Dokument%20080.pdf 242 Ein deutsches Verbrechen, Der Spiegel, 5/2010, S. 35–57. 243 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/074/1707400.pdf. Die verschiedenen Untersuchungsberichte zu diesem Vorfall – insbesondere jener der ISAF – sind noch als geheim eingestuft und der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Der ISAF-Bericht lag aber dem Spiegel vor. 244 http://www.generalbundesanwalt.de/docs/einstellungsver merk20100416offen.pdf Georg Klein fiel zumindest offiziell nicht in Ungnade, wurde später befördert und ist heute Brigadegeneral im Kommando der Streitkräftebasis in Bonn. 245 Ein deutsches Verbrechen, Der Spiegel, 5/2010, S. 35–57. Es gab in den Medien zahlreiche Stimmen, die das Handeln Georg Kleins kritisch bewerteten. Zuletzt beispielsweise: https://www.deutschlandfunk.de/geschichte-aktuellluftangriff-vor-10-jahren-verhinderte.724.de.html? dram:article_id=457813. Der Anwalt Karim Popal und die MdB der Linkspartei Christine Buchholz fordern nach wie vor von der Bundesregierung die Anerkennung des Bombardements als Kriegsverbrechen und die offizielle Entschädigung der Opfer. https://www.neuesdeutschland.de/artikel/1125307.oberst-georg-klein-vielpolitik-viele-luegen.html sowie https://www.youtube.com/watch?v=nFbIhvdlJBs. 246 Tagebuch eines Stabsoffiziers (III), 23. 9. 2009. 247 Ebenda, 13./14. 5. 2009. 1128
248 Die ANP verfügte im Raum Kunduz zu dieser Zeit über 1200, die ANA über 650 Mann. 249 Hier sind einerseits die sogenannten Operation Detachements Alpha (ODA) zu nennen, die mit den afghanischen Sicherheitskräften zusammenarbeiteten, und die Spezialkräfte der Task Force 373 und 3–10, die in rein amerikanischen Operationen versuchten, Talibankommandeure zu töten. Sie operierten nicht vom PRT Kunduz, sondern von einem Compound in der Nähe aus. https://www.spiegel.de/politik/ausland/task-force373-die-dreckigste-seite-des-krieges-a-708507.html https://www.derwesten.de/politik/us-task-force-leutesind-ein-killerkommando-id3891661.html 250 Tagebuch eines Stabsoffiziers (III), 25. 2. 2009. 251 Dazu auch Tagebuch eines Stabsoffiziers (II), 20. 5. 2009. 252 Tagebuch eines Stabsoffiziers (III), 18. 3. 2010. 253 Ebenda, 24. 1. 2010. Im Verlauf seiner Einsatzzeit veränderte sich die Sprache dieses Offiziers durchaus. Sprach er am Ende davon, dass die Truppe »siegen« wolle, verwendete er zu Beginn seiner Zeit in Kunduz solche Begriffe nicht. 254 Ebenda, 16. 3. 2010. 255 Murphy an Commander in Chief US Army Europe, 1. Februar 2010. http://wikileaks.org/plusd/cables/10BERLIN138_a.html 256 Am 17. 2. 2010 war eine Infanteriekompanie auf den »Rand von Isa Khel vorgegangen, beim Antreten des Rückmarsches angegriffen worden und hatte drei Leichtverwundete zu beklagen«. Sie brachte »das 1129
feindliche Feuer zum Schweigen«. Tagebuch eines Stabsoffiziers (III), 18. 2. 2010. 257 Interview mit einem im Karfreitagsgefecht eingesetzten Oberleutnant, 29. 5. 2020. 258 Zum Karfreitagsgefecht siehe Helmecke, Gefallen und verwundet im Kampf; Schröder, Isa Khel; Seliger, Sterben für Kabul, S. 151–158. Aus Sicht von drei Soldaten: https://www.ndr.de/nachrichten/info/sendungen/podcast4 574.html Eine aktenbasierte Darstellung des Karfreitagsgefechts gibt es bislang nicht. Die Zeitzeugen widersprechen sich in einigen zentralen Punkten, etwa was den Auftrag der Kompanie an diesem Tag anbelangt. Soldaten aus dem Stab des PRT Kunduz berichten zudem von einer unzureichenden Planung, was den Einsatz von Reserven, die Verfügbarkeit von Drohnen, Munition und MEDEVAC anbelangt, und sprechen von Chaos in der Führung. Dies wird von den Offizieren der Kompanie wie auch von der Leitung des PRT bestritten. Der Verfasser konnte einige Dokumente einsehen, die den Eindruck von Chaos oder Fehlverhalten im Gefecht nicht bestätigen. Ein taktisches Problem war zweifellos, dass der Golf-Zug zur Mittagszeit des 2. 4. eine abgestürzte Nahbereichsdrohne bergen wollte, dadurch weiter vorstieß als geplant, sich so überdehnte und die eigene Feuerüberlegenheit damit einschränkte. Damit stand die Kompanie weiter auseinandergezogen als beim Gefecht am 15. 3. Ein weiterer wesentlicher Unterschied war, dass zwei Wochen zuvor vier Kompanien in einer größer angelegten Operation im Char Darah eingesetzt waren und die Aufständischen damit weit stärker unter Druck 1130
setzten als am 2. 4., als zunächst nur eine Kompanie in Richtung Isa Khel vorging. Interview Reinhard Zudrop, 10. 3. 2020; Interview mit einem vor Ort eingesetzten Fallschirmjägeroffizier, 18. 3. 2020. 259 Vgl. Seliger, Sterben für Kabul, S. 162–170; Andritzky, 2./QRF 5. 260 ANA und ANP sollen von 2001 bis Oktober 2009 5500 Mann an Toten verloren haben. Im Jahr 2009 werden für die ANA 282 und für die ANP 646 Tote angegeben. Ian S. Livingston, Michael O’Hanlon, Afghanistan Index. 25th5.2017, S. 12. https://www.brookings.edu/wpcontent/uploads/2016/07/21csi_20170525_afghanistan_in dex.pdf Vgl. auch Marco Overhaus/Michael Paul, Der Aufbau der nationalen afghanischen Sicherheitskräfte. Stand und Perspektiven der Transition nach dem Nato-Gipfel in Chicago, SWP-Studie 2012. https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2012_S17 _ovs_pau.pdf 261 Dazu die Beiträge von Hauptmann W. [Wolfgang Schröder], Christian von Blumröder, Karsten Gay und Oliver Henkel in: Brinkmann/Hoppe/Schröder, Feindkontakt. Für den Einsatz in der 2. Jahreshälfte 2010 aus Sicht eines Fallschirmjägers: Clair, Vier Tage im November. Philipp Münch bewertet die Operation Halmazag kritischer, als ich es tun würde. Er kritisiert, dass die Bundeswehr nicht auf die eigentlich relevanten Personennetzwerke gezielt habe, sondern auf einen taktischen Raumgewinn. Das ist gewiss richtig, es stellt sich nur die Frage, ob der Kommandeur der Task Force 1131
Kunduz angesichts der schlechten Nachrichtenlage dazu überhaupt die notwendigen Einsichten hatte. Angesichts der politischen, militärischen und geografischen Rahmenbedingungen erscheint mir die Operation sinnvoll gewesen zu sein. Münch, Bundeswehr in Afghanistan, S. 299. 262 Vgl. Fritz/Staigis/Weber, Counterinsurgency; Bohnert, German Mechanized Infantry, wo der Einsatz von August 2011 bis Januar 2012 im Raum Kunduz beschrieben wird. Sowie: Neil Shea, Ready to fight: German soldier’s Afghan mission shifts from reconstruction and training to engaging enemy, in: stars & stripes, 8 January 2012. 263 Auf das Problem, dass Sicherheit, Entwicklung und Governance nicht in einem einfachen Wechselverhältnis standen, wie dies die Schlüsseldokumente der ISAF und der Bundesregierung postulierten, verweist u. a. Naumann, Der blinde Spiegel, S. 36–42. 264 Diese Dimension wurde in den Reflexionen der Bundeswehroffiziere zum Thema bislang kaum thematisiert. Vgl. z. B. Blumröder, Shape, Clear, Hold, Build. Zur Kritik an dem COIN-Konzept auch mit weiterer Literatur Naumann, Der blinde Spiegel, S. 83– 97. 265 Vgl. den kurzen Artikel des Kommandeurs der dabei wesentlich beteiligten QRF-5 Sembritzki, Kampfmoral. 266 Die Kompanie bestand zu rund 70 Prozent aus Teilnehmern des Karfreitagsgefechts. Vgl. Seiffert, 22. Kontingent, S. 9. 267 Johannes Clair, Vier Tage im November, S. 29, 127. 1132
268 Vgl. dazu etwa Hauptmann W. [Wolfgang Schröder], Drei Jahreszeiten, S. 59. 269 Zum Kriegerhabitus Münch, Die Bundeswehr in Afghanistan, S. 208–213. Es gab aber auch geschmacklosere Aufnäher, wie »Schweinefleisch essender Kreuzritter«. Herlinde Koelbl, »Ich habe mich nur auf meine Atmung konzentriert. Solange ich atme, lebe ich noch«, in: ZEITmagazin Nr. 49/2011. https://www.zeit.de/2011/49/Afghanistan-SoldatReichardt/komplettansicht Im Übrigen war bei anderen Nationen eine ähnliche Tendenz festzustellen. So malten sich italienische Soldaten ebenfalls die Afrika-Korps-Palme auf ihr Fahrzeug, und tschechische Soldaten verzierten ihren Stahlhelm gar mit den Insignien von Waffen-SSDivisionen. https://espresso.repubblica.it/foto/2008/01/31/galleria/batt aglione-rommel1.59762#1https://www.rt.com/news/czech-commanderresigns-nazi/ 270 Tagebuch eines Stabsoffiziers (III), 4. 11. 2009. 271 Datenmaterial zur Zahl der Russlanddeutschen in der Bundeswehr und vor allem zu ihrer Verteilung auf die Truppengattungen liegt bislang nicht vor. Kümmel/Biehl, Die ›anderen‹ Soldaten, S. 31–41. In der umfassenden Studie des ZMSBw zum 22. Kontingent war die Herkunft nicht Teil der Untersuchung. Allgemein: Ferdinand-Storb, Russlanddeutsche in der Bundesrepublik. 272 Statistische Angaben über die einzelnen Verbände liegen nicht vor. Einige exemplarische Zahlen zeigen zumindest eine Tendenz: Nach der Erhebung eines ehemaligen 1133
Fallschirmjägerkompaniechefs über zwei seiner Züge aus dem Einsatz 2009 bestand Zug 1 aus 33 Soldaten, davon waren 13 in der ehemaligen UdSSR geboren. Zug 2 bestand aus 34 Mann, davon acht oder neun aus der ehemaligen UdSSR. 2018 scheint die Zahl der Russlanddeutschen in der Fallschirmjägertruppe auf rund zehn Prozent abgenommen zu haben. Diese dürften damit aber immer noch überrepräsentiert sein. Das Aufklärungsbataillon 8 in Freyung hatte 2019 von 407 Soldaten 26 mit Migrationshintergrund (6,4 %), davon kamen 19 aus der ehemaligen UdSSR, vier aus Polen, einer aus dem Kosovo, einer aus Bulgarien und einer aus Rumänien. Das Panzerpionierbataillon 803 aus dem brandenburgischen Havelberg hatte 2019 gerade einmal 2,4 Prozent nicht in Deutschland geborene Soldaten in seinen Reihen. Beim Panzerbataillon 393 in Bad Frankenhausen waren es mit 1,5 Prozent noch weniger. 273 Interview mit einem Feldwebel der Gebirgsjägertruppe, 26. 10. 2018. 274 Die Motivation der Soldaten speiste sich keineswegs nur aus der horizontalen Ebene der Primärgruppen. Auch die vertikale Ebene spielte eine Rolle. Die meisten Soldaten hielten die Bundeswehr für eine Organisation, für die es sich zu kämpfen lohnte. Und niemand wollte in einem sinnlosen Einsatz sein Leben riskieren. Also legten sich die Soldaten den Sinn der Mission mehr oder weniger passend zurecht. Vgl. Seiffert, 22. Kontingent, S. 125. Die deutsche Militärsoziologie betont die task cohesion – den als sinnvoll eingeschätzten Auftrag – in besonderem Maße und zieht dies als Beleg für die Bedeutung der Inneren Führung heran. Biehl, Kampfmoral und 1134
Einsatzmotivation, S. 300. Vgl. auch Biehl, Kämpfer auf dem Vormarsch. 275 83 Prozent der gefechtserfahrenen Soldaten einer repräsentativen Stichprobe des 22. ISAF-Kontingents gaben im Einsatz an, dass ihr Auftrag häufiger mit Waffengewalt durchgesetzt werden sollte. 69 Prozent der Soldaten ohne Gefechtserfahrung beantworteten die Frage zustimmend. Seiffert, Generation Einsatz, S. 90. Siehe auch Münch, Die Bundeswehr in Afghanistan, S. 307-312. 276 Tagebuch 8. 4. 2010. Der Tagebuchschreiber ist anonym. https://www.derwesten.de/incoming/tagebuch-einesdeutschen-in-afghanistan-id3869265.html 277 https://www.derwesten.de/incoming/die-taliban-sitzenuns-direkt-im-nacken-id3884003.html Derlei gewaltgesättigte Schilderungen findet man in den einschlägigen Veröffentlichungen deutscher Soldaten aus Afghanistan nicht. Vgl. dagegen den geradezu harmlosen Duktus in: Baumann u. a., Feldpostbriefe deutscher Soldaten aus Afghanistan. 278 Für das 22. Kontingent ist nach einer Befragung drei Jahre nach dem Einsatz die Kameradschaft das mit Abstand am meisten genannte Attribut. Seiffert, 22. Kontingent, S. 125. 279 Tagebuch eines Offiziers, 2011. 280 Zit. nach Hansen, Friedensalltag, S. 271 f. Nach einer Befragung des 22. Kontingents waren 26 Prozent der Angehörigen mit Gefechtserfahrung zur Erfüllung des Auftrags auch bereit, die Gefährdung von Zivilisten hinzunehmen. Inwieweit man diesen Faktor mit 1135
nachträglichen Befragungen wirklich abbilden kann, erscheint allerdings zweifelhaft, da die situativen Faktoren im Gefecht so kaum zu erfassen sind. Seiffert, 22. Kontingent, S. 282. 281 Tagebuch eines Offiziers, 2011. 282 http://nachtwei.de/index.php? module=articles&func=display&catid=11&aid=886 283 Mitteilung an den Verfasser, 10. 6. 2020. 284 Vgl. auch den Bericht der Kommission zur Untersuchung des Einsatzes des G36-Sturmgewehres in Gefechtssituationen, Berlin 2015, S. 49, und Glatz/Bach/Sauer, Schützen, Retten, Kämpfen, S. 50 f. Der Band ist ein gutes Beispiel für eine offiziöse Publikation, in der in vielen Beiträgen eine idealisierte Sicht auf den ISAF-Einsatz präsentiert wird. Blickt man in private Tagebücher, zeigt sich ein anderes Bild. 285 In der britischen Armee hatte der entschlossene Sturmangriff hingegen eine lange Tradition und wurde in Ausnahmefällen selbst noch in Afghanistan praktiziert. So wurde Hauptgefreiter Sean Jones ausgezeichnet, als er im Oktober 2011 mit seinen Männern einen Bajonettangriff über 80 Meter freies Gelände durchführte, um sich aus einem Hinterhalt zu befreien. Es hieß über ihn: »He epitomised the best qualities of the British infantry: gritty determination, controlled aggression, tactical cunning and complete disregard for his own safety.« https://www.bbc.com/news/uk-englandshropshire-19755107 https://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/asia/afghan istan/9571522/Soldier-who-led-Afghanistan-bayonetcharge-into-hail-of-bullets-honoured.html. 1136
286 Atta Mohammad Noor (Gouverneur der Balkh-Provinz mit der Hauptstadt Masar-e Sharif), Mohammed Daud Daud (Polizeichef Nordafghanistan; er kam am 28. 5. 2011 bei einem Bombenanschlag der Taliban ums Leben), Abdul Raschid Dostum, ein usbekischstämmiger Milizenführer. 287 Tagebuch eines Offiziers, 2011. Zur Verdrängung des Todes Hansen, Friedensalltag. S. 268–270. 288 Dazu Schröder, Drei Jahreszeiten, S. 43 f.; Interview Johannes Clair, 23. 8. 2014. 289 Wolfgang Schröder schloss nach seiner Zeit in Afghanistan als einer der Jahrgangsbesten den Generalstabslehrgang ab, wurde dann im BMVg verwendet und kommandiert seit September 2017 als Oberstleutnant i. G. das Jägerbataillon 1 in Schwarzenborn. 290 Vgl. http://photobw.info/identifiziert-1928. 291 Marcel Bohnert an den Verfasser, 5. 3. 2020. 292 Ehrenzeichen, S. 22. Eine ähnliche Auszeichnung gibt es mit der Infantry Combat Badge aber in der US Army. In der Wehrmacht wurde das Infanteriesturmabzeichen verliehen, das ungleich höhere Anforderungen als die Gefechtsmedaille stellte: Es wurde verliehen für die Teilnahme an drei Sturmangriffen an drei verschiedenen Kampftagen, wenn die Soldaten mit der Waffe in der Hand in die vorderste Linie des Gegners einbrachen. Im Kaiserreich gab es einen entsprechenden Orden nicht. 293 Ehrenzeichen, S. 37. 294 Vom 22. Kontingent haben 53 Prozent selbst feindlichen Beschuss erlebt, 28 Prozent hatten selbst aktiv an einem 1137
Schusswechsel teilgenommen. Bei denen, die in Außenposten stationiert waren, lag die Zahl bei 70 Prozent. 29 Prozent haben sogar den Tod von Zivilisten erlebt. Vgl. Seiffert, 22. Kontingent, S. 7, 83, 90. 295 Die empirische Untersuchung des 22. ISAF-Kontingents belegt die Wahrnehmungs- und Deutungsunterschiede von Soldaten, die sich außerhalb des Lagers aufhielten, und solchen in Stabs- und Versorgungsfunktionen in vielerlei Hinsicht, wenngleich diese teilweise überschaubar sind. Vgl. z. B. Seiffert, 22. Kontingent. 296 Tagebuch eines Offiziers, 2011. 297 Ebenda. 298 Tagebuch eines Stabsfeldwebels, 21. 3. 2008, 22. 3. 2008. 299 Pol-e Chomri, PRT der Ungarn. 300 Tagebuch eines Offiziers, 2011. 301 Der Patch bezieht sich auf die amerikanische BaseballLiga (Major League Baseball) sowie auf das Computerspiel »Infidel« aus den 1980er-Jahren und steht symbolisch für einen professionellen und gleichsam islamophobischen Kämpfer. 302 Tagebuch eines Offiziers, 2011. Zum OP North und den Special Forces auf »Russian Hill« auch https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-81302977.html 303 Die Kolonialkrieger des Kaiserreichs etwa erhielten keine Eisernen Kreuze, sondern die monarchischen Hausorden wie den preußischen Pour le Mérite oder die Kolonialgedenkmünzen. 304 Denkbar wäre auch gewesen, eine militärische Sonderstufe des Bundesverdienstkreuzes zu schaffen, um 1138
dem Orden gesellschaftlich eine höhere Aufmerksamkeit zu verleihen. Diesen Weg wollte Bundespräsident Horst Köhler offenbar nicht gehen. 305 Tagebuch eines Offiziers, 2011. 306 Ebenda. 307 Anonymer Teilnehmer der Kämpfe bei Isa Khel, zit. nach Hansen, Friedensalltag, S. 263. 308 Dazu auch ebenda. 309 Ein an die Afrika-Korps-Palme angelehntes Wappen führte seit 1959 auch das Panzerbataillon 33, das heutige Panzergrenadierbataillon 33. Der Legende nach kam es zu diesem Wappen, weil die ersten Kompaniechefs im Afrika-Korps gedient hatten. Vgl. https://freundeskreispanzerbataillon33.de/ 310 Impulsvortrag Inspekteur des Heeres anlässlich des Workshops »Tradition und Identität. Welche Tradition benötigt die Bundeswehr?«, 11. September 2017 in Koblenz, S. 7. Vollmer war 2009 und 2013/14 Kommandeur des RC North. 311 Aus der Perspektive des Fallschirmjägerbataillons 313: Mann, German Warriors. 312 Mitteilung an den Verfasser, 1. 7. 2020. 313 Dazu ausführlich Neitzel, Abgehört, S. 29–43. 314 Tagebuch eines Offiziers, 2011. Vom 22. Kontingent gaben drei Jahre nach dem Einsatz 45 Prozent der Befragten den politischen Entschluss zum Einsatz als falsch an oder waren doch skeptisch. 55 Prozent hielten ihn für richtig. Seiffert, 22. Kontingent, S. 267. Generell 1139
gilt, dass Soldaten mit Gefechtserfahrung skeptischer waren als solche ohne. Ebenda, S. 273. 315 Tagebuch eines Offiziers, 2011. 316 Ebenda. 317 Soziologen weisen in ihren Bevölkerungsumfragen stets nach, dass die Streitkräfte ein hohes Ansehen genießen. Die Klagen über mangelnde Anerkennung der Soldaten sind allerdings Legion. Bundespräsident Horst Köhler sprach in diesem Zusammenhang vom »freundlichen Desinteresse« der Gesellschaft, Verteidigungsminister Thomas de Maizière davon, dass Soldaten nach Anerkennung »gieren« würden. Die Diskrepanz zwischen »gemessener« und »gefühlter« Anerkennung ist offensichtlich erheblich. http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/ Horst-Koehler/Reden/2005/10/20051010_Rede.html. https://www.zeit.de/politik/deutschland/201302/bundeswehr-maziere-wertschaetzung. 318 Kaum ein Bundespräsident vergaß, die Soldatinnen und Soldaten auf ihr werteorientiertes Handeln im Sinne des Verfassungspatriotismus hinzuweisen. Johannes Rau und Horst Köhler benutzten neben der Werteorientierung auch den Begriff des Vaterlandes. Die reale Welt des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan mit all seinen Widersprüchen vermochten sie nicht in Worte zu fassen. Vgl. z. B. Johannes Rau, 29. 12. 2002; Horst Köhler, 21. 5. 2010; Christian Wulff, 20. 7. 2011; Frank-Walter Steinmeier, 13. 7. 2017. www.bundespraesident.de. 319 Dazu auch Bohnert, Innere Führung auf dem Prüfstand. Nur 18 Prozent der Soldaten des 22. Einsatzkontingents waren 2013 noch der Meinung, dass die deutsche Politik 1140
hinter der Arbeit der Bundeswehr in Afghanistan stehe, nur 10 Prozent fühlten sich von der Politik wertgeschätzt. Bei Soldaten mit Gefechtserfahrung lag der Wert noch niedriger (sieben Prozent). Ähnlich niedrige Werte gibt es für die Wertschätzung durch die Gesellschaft. Seiffert, 22. Kontingent, S. 267, 289 f. Befunde ähnlicher Art Bake/Meyer, German Bundeswehr. Die massiven Legitimationsprobleme des ISAF-Einsatzes vermochte Peter Buchner vom Zentrum für Innere Führung nicht zu erkennen und delegierte die Aufgabe, der Mission Sinn abzugewinnen, letztlich an die Kompaniechefs weiter. Buchner, Baudissins Legitimationsvorstellungen, insbesondere S. 27. 320 https://www.spiegel.de/politik/ausland/tabu-bruchguttenberg-spricht-von-krieg-in-afghanistan-a687235.html. 321 Forsa Umfrage, https://www.welt.de/politik/deutschland/article7174424/6 2-Prozent-der-Deutschen-fuer-Afghanistan-Abzug.html Vgl. auch Heitmann-Kroning, Deutsche Sicherheitspolitik, S. 251. 322 Zahl für September 2008, in: Allensbach Jahrbücher für Demoskopie 2003–2009, S. 321. Siehe auch Fiebig, Die Deutschen und ihr Einsatz. Zum internationalen Vergleich siehe Biehl, United we stand. 323 Naumann, Der blinde Spiegel, S. 48 f. Zu einem ähnlichen Befund für die Niederlande kam Beatrice de Graaf, Fighting vs Reconstructing, S. 255 f. 324 Zum Gesamtkomplex auch Heitmann-Kroning, Deutsche Sicherheitspolitik. 1141
325 »Gewaltige psychische Anspannung«, Volkszeitung, 24. 9. 2009, S. 2. Leipziger 326 Vgl. Neitzel, Bundeswehr. 327 Bis 1942 war das Militär-Wochenblatt die wichtigste Fachzeitschrift für das Militär, seit 1955 avancierte die Truppenpraxis dazu, die aber im Jahr 2000 eingestellt wurde. Vgl. auch Pöhlmann, Militärische Fachzeitschriften der Bundeswehr; ders., Deutsche Militärfachzeitschriften. 328 Ahrens, Humanität, S. 152. 329 Herzog u. a., Von friedlichen Aufbauhelfern, S. 161. 330 2011 und 2012. 331 »Die Afghanistan-Lüge«, von Mathis Feldhoff, Uli Gack, Andreas Huppert, ZDF 2010; »Unser Krieg«, von Michael Renz, ZDF 2011; »Am Rande des Krieges. Mit der schnellen Eingreiftruppe der Bundeswehr in Afghanistan«, von Günther Henel, ARD 2009; »Auf verlorenem Posten – Der Kampf um Afghanistan«, von Marc Perkins, Phil Rees, ZDF 2009; »An vordersten Fronten – Kriegsalltag in Afghanistan«, SWR 2010. 332 Etwa: Wieker, Afghanistan. Der Initiative von Generalleutnant a. D. Rainer Glatz ist es u. a. zu verdanken, dass das ZMSBw mittlerweile Zugang zu den Akten des Afghanistan-Einsatzes erhalten hat und von dieser Seite neue quellengesättigte Studien zu erwarten sind. 333 Daneben: Wohlgethan, Endstation Kabul; ders., Operation Kundus. Mein zweiter Einsatz in Afghanistan; Gross, Ein schöner Tag zum Sterben; dies., Das ist auch 1142
euer Krieg; Brinkmann/Hoppe/Schröder, Feindkontakt; Brinkmann/Hoppe, Generation Einsatz; Buske, Kunduz. 334 Beispielsweise Wiesendahl, Athen oder Sparta; ders., Bundeswehr; ders., Zurück zum Krieger; HerbergRothe/Thiele, Vom Staatsbürger in Uniform; DörflerDierken, Identitätspolitik der Bundeswehr, S. 147 ff. Vgl. auch Daxner/Mann, Veteranen. 335 Kümmel, Das soldatische Subjekt; Haltiner/Kümmel, Hybridisierung des Soldaten. 336 Küenzlen, Kämpfer in postheroischer Zeit. 337 Herberg-Rothe, Demokratische Krieger. 338 Was freilich selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede im Camp Marmal am 13. 7. 2017 festhielt. https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/ Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2017/07/170713-AFGMasar-i-Scharif.html. 339 Bohnert/Reitstetter, Armee im Aufbruch. Zur Entstehungsgeschichte vgl. https://www.panzertruppe.com/detailansicht/armee-imaufbruch.html Bereits ein Jahr zuvor publizierten drei junge Leutnante der Bundeswehr-Universität München ein ähnliches Buch, das wegen seines wissenschaftlichen Duktus aber keine Aufmerksamkeit fand. Böcker/Kempf/Springer, Soldatentum. 340 Jan Hecht etwa stellte sich bei einer Rede in Münster dezidiert als »Kämpfer« vor, der »das Privileg hatte, einen Panzergrenadierzug über einen langen Zeitraum, auch im Einsatz und im Gefecht in Afghanistan zu 1143
führen«. Dass es sich bei ihm trotz der Kampferfahrung nicht um ein »Spartaner« handelte, zeigt sich darin, dass er etwa dezidiert darauf verwies, dass »der Schutz der Bevölkerung immer unser höchstes Ziel« gewesen sei. Manuskript Rede »Liebesmahl 1 GE/NL Corps, Afghanistan mit vollem Einsatz«, 27. 9. 2011. 341 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-undlehre/bundeswehrstudenten-rechnen-mit-deroeffentlichkeit-ab-13445907.html? printPagedArticle=true#pageIndex_2. 342 Dass 78 Prozent der Mannschaftssoldaten und 60 Prozent der Unteroffiziere keine oder wenig Kenntnis von der Vorschrift für Innere Führung hatten, zeigt, dass diese Kenntnis offenbar nicht essenziell war, um die Aufgaben zu erfüllen und trotzdem nicht zu einer Gefahr für die Demokratie zu werden. Zit. nach Bohnert, Innere Führung, S. 89. 343 Martin Schelleis, Offizier als Staatsbürger, in Loyal 2/2015, S. 17. 344 Ein ausführliches Radiointerview mit ihm findet sich unter: https://www.ndr.de/nachrichten/info/BirkhoffInnere-Fuehrung-ist-zu-komplex,audio268894.html Birkhoff hat – wie die Hauptleute von Unna und die Leutnante 70 – anscheinend keine Nachteile in seiner beruflichen Laufbahn erlitten und dient heute als Hauptmann im militärischen Nachrichtenwesen. 345 Er bezog sich in seinem Beitrag vor allem auf die Berichte von Unteroffizieren seines im OP North eingesetzten Panzergrenadierbataillons. 346 Eine Zusammenfassung und Replik auf die Debatte in Marcel Bohnert, Armee im Aufbruch. Zum anhaltenden 1144
Diskurs um das Buch der Leutnante 2014, Hamburg 2016, siehe: https://www.researchgate.net/publication/313876513. 347 Clair, Vier Tage im November, S. 100, 128, 208. 348 Dies legt zumindest eine Suche im Google Books Ngram Viewer nahe. Die in Bundeswehrkreisen häufig kolportierte Verbindung zum mittelalterlichen Lehnswesen, gewissermaßen als Ausdruck des Verhältnisses von Lehnsherr und Lehnsnehmer, ist aus historischen Quellen nicht nachzuweisen. Die Losung »Treue um Treue« oder »Treue gegen Treue« scheint weder im Mittelalter noch in der Frühen Neuzeit gebräuchlich gewesen zu sein. 349 Protokoll über die Verhandlungen des Parteitags der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Görlitz, Stuttgart 1921, S. 328. 350 Stimpel, Fallschirmjägertruppe, 2009, S. 259 f. 351 So 1954 durch den späteren Generalmajor Oskar Munzel am Grabe von Heinz Guderian. »Wir halten ihm die Treue, wie er sie uns gehalten hat. Treue um Treue.« BArch-MA, N 447/46, S. 6. 352 Werner von Scheven, Politische Bildung in der Bundeswehr, 31. 1. 1979, S. 6, BArch-MA, N 992/50. 353 So argumentiert überzeugend Bindewald, Der Kampf ist die Klammer?, S. 48–69. 354 Etliche ehemalige Generäle haben Kasdorf für seine Entscheidung deutlich kritisiert, so etwa sein Vorgänger im Amt, Hans-Otto Budde. Dazu: http://www.ehrenmalheer.de/tiki-index.php?page=Nachrichten06c 1145
355 Dazu kritisch: Timmermann-Levanas, Die reden – wir sterben. Entsprechende Literaturhinweise in: Seiffert, 22. Kontingent, S. 139. Einen kurzen Überblick bietet: Biesold, Seelisch verwundet. Beim 22. ISAF-Kontingent, das von März bis Oktober 2010 im Einsatz war, befanden sich nach der Studie von Anja Seiffert drei Jahre nach dem Einsatz noch 10 Prozent in ärztlicher oder psychologischer Behandlung. Bei den Gefechtserfahrenen lag die Quote bei 15 Prozent. Seiffert, 22. Kontingent, S. 15, 109, 115, 142. Bislang noch nicht veröffentlicht war die grundlegende Studie Heß/Seiffert/Steinbrecher, Einsatz und Trauma. 356 Sangar, Historical Experience, S. 230–233. 357 Ebenda, S. 228. 358 Im Januar 2010 hatte die Bundeswehr gerade mal 280 Mentoren für die ANA beschäftigt und sollte die Zahl auf amerikanischen Druck auf 1400 erhöhen. Murphy an Commander in Chief US Army Europe, 1. Februar 2010. http://wikileaks.org/plusd/cables/10BERLIN138_a.html Das Mentoring für die afghanischen Spezialkräfte durch das KSK begann erst 2010. 359 Vgl. Kilcullen, Counterinsurgency; Farrell, Unwinnable; Bolger, Why we lost; Münch, Die Bundeswehr in Afghanistan, S. 246-266. 360 Wirklich beurteilen kann man dies erst nach Freigabe der Akten. Bislang gibt es darüber eher Mutmaßungen. So auch bei Dyson, Organisational Learning, Kapitel 6–9, dessen Buch aber immerhin auf einem breiten Interviewpanel beruht. 361 Sachstand zur Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr im Kalten Krieg, in der Nachwendezeit und nach Aussetzung 1146
der Wehrpflicht. Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag WD 2-3000-032/18. 362 2017 kam noch der Cyber- und Informationsraum als neuer Organisationsbereich hinzu. 363 Bericht der Strukturkommission der Bundeswehr Oktober 2010. Vom Einsatz her denken. Konzentration, Flexibilität, Effizienz, S. 34. https://www.roderichkiesewetter.de/fileadmin/Service/Dokumente/20101026weise-kommisionsbericht.pdf. 364 https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichung en/produkte/bemerkungenjahresberichte/jahresberichte/2019/einzelplanbezogenepruefungsergebnisse/bmvg/18. 365 Zum Kampfhubschrauber einsatzbereit, S. 286–350. »Tiger« Raabe, Bedingt 366 http://www.bundeswehr-journal.de/2019/das-problemsteckt-in-der-aufgeblaehten-kaste-der-generaele/. Die Höchstzahl der Bundeswehrgeneräle im Kalten Krieg wird für das Jahr 1985 mit 206 angegeben. Loch, Generale, S.74. 367 Die Gorch Fock II ist seit 1958 im Dienst der Deutschen Marine. Nahezu alle Offizieranwärter der Marine absolvierten vor 2015 eine Ausbildungsfahrt auf dem Segelschulschiff. 368 Moderne Tanker und Frachter haben eine durchschnittliche Werftliegezeit von unter sieben Tagen. 369 Das BAAINBw ist der Nachfolger des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung. Mit der Zentralisierung der Bundeswehr ist die Nutzungsverantwortung und 1147
damit die Planung der Bedarfe von den Teilstreitkräften auf das BAAINBw übergegangen. Seit seiner Gründung kämpft das BAAINBw mit einer dauerhaften Personalunterdeckung. 370 Das Territorialheer, von dem in den Achtzigerjahren zwei Brigaden ins Feldheer übernommen wurden, war schon bis 1993 aufgelöst worden. 371 Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr, November 2016. 372 Tagebuch eines Obergefreiten, der 2014 auf einem SBoot am UNIFIL-Einsatz teilnahm. Diverse Eintragungen im März und April 2014. 373 Ebenda, 24. 4. 2014. Vgl. auch Demmer/Goffart, Ursula von der Leyen, S. 196 f. 374 Ebenda, S. 188 f. 375 Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte den Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat als nicht hinreichend belegt angesehen, worauf die Bundesanwaltschaft Beschwerde einlegte und vom Bundesgerichtshof im November 2019 Recht bekam. Das OLG Frankfurt muss nun einen Prozess gegen Franco Albrecht durchführen. https://www.sueddeutsche.de/politik/franco-a-prozessterrorverdacht-bundesgerichtshof-1.4688315. 376 Jahresbericht Wehrbeauftragter 2017, S. Jahresbericht Wehrbeauftragter 2018, S. 57. 18 f.; 377 https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/202001/rechtsextremismus-bundeswehr-militaergeheimdienstkommando-spezialkraefte. 1148
Die Zahl der überführten Extremisten blieb 2019 im niedrigen zweistelligen Bereich: acht Rechtsextreme, vier Reichsbürger, zwei Islamisten wurden überführt. 378 Vgl. dazu Birk/Heinemann/Lange, Tradition für die Bundeswehr. 379 Vgl. z. B. Leutnantsbuch Offizieranwärterjahrgangs, 2011, S. 356. des 81. 380 Tradition und Identifikation im Heer. Ergebnisse I. D/N Corps. Die Studie liegt dem Verfasser vor. 381 Die Luftwaffe führte 2018 eine Umfrage zum Traditionsbild durch, die sich auf immerhin 970 Rückläufer stützen konnte. Die Frage nach der Wehrmacht oder ihren Vorläufern spielte in dem Fragebogen allerdings keine Rolle. So wäre denkbar gewesen, dezidiert nach der Traditionswürdigkeit der Geschwadernamen »Immelmann«, »Richthofen«, »Boelcke« und »Mölders« zu fragen. Die Anlage der Studie und die knappe Veröffentlichung erinnern an einige dem Verfasser vorliegende Studien des Heeres zum Traditionsverständnis etlicher Verbände und Organisationsbereiche, die politisch unerwünschte Ergebnisse von vornherein ausschließen sollten. Benkert, Traditionsverständnis aus Sicht der Truppe. 382 Impulsvortrag des Inspekteurs des Heeres anlässlich des Workshops »Tradition und Identität. Welche Tradition benötigt die Bundeswehr?«, 11. September 2017 in Koblenz, S. 6. Vollmer hatte sich schon 2013 in Afghanistan in einer kleineren Runde gegenüber seinem Vorgänger Bruno Kasdorf in ähnlicher Weise geäußert, wie aus Teilnehmerkreisen zu erfahren war. 1149
383 Scianna, Italienisches Heer und Österreichisches Bundesheer; ders., The Italian War, S. 78, 268–269, 290; ders., A Blueprint for Successful Peacekeeping? 384 Mit Ausnahme der Marine, denn 1848 wurde von der Nationalversammlung die erste deutsche Reichsflotte gegründet. 385 Jörg Vollmer, Die Essenz der Dinge, in: Die Bundeswehr, Juli 2017, S. 27; Impulsvortrag des Inspekteurs des Heeres anlässlich des Workshops »Tradition und Identität. Welche Tradition benötigt die Bundeswehr?«, 11. September 2017 in Koblenz, S. 10. Siehe auch sein Vorgänger Generalleutnant Freers in; Leutnantsbuch des 81. Offizieranwärterjahrgangs des Heeres, S. 7. Sangar, Bundeswehr, S. 128–133. 386 Kayss, Identity, S. 83 f., vgl. auch S. 114–120. Ganz anders sieht es Heiko Biehl, für den sich in der Bundeswehr nur »einige Soldaten« am Kämpferideal orientieren. Biehl, Kämpfer auf dem Vormarsch, S. 67. 387 Exzellent porträtiert in der Stern-Reportage von Jan Christoph Wiechmann, Drei Krieger https://www.stern.de/panorama/weltgeschehen/dreikrieger-von-jan-christoph-wiechmann-6827354.html. 388 In diese Richtung argumentiert auch Mirko Bindewald, der in seiner Studie feststellt, dass die Kampferfahrung in Afghanistan cum grano salis nur eine untergeordnete Rolle in der Traditionsarbeit der Bundeswehr spielt. Bindewald, Der Kampf ist die Klammer?, insb. S. 69–75. 389 https://augengeradeaus.net/2020/04/verteidigungsminister in-erinnert-an-karfreitagsgefecht-2010-bereit-das-eigeneleben-einzusetzen/. 1150
390 Kayss, Identity, S. 156. Resümee 1 In einer Mittlerposition ließe sich etwa Brigadegeneral Eberhard Wagemann einordnen, der den umstrittenen Eike Middeldorf als Kommandeur der 7. Panzergrenadierdivision in Unna ablöste. Er hatte Grashey bei dessen Rede vor der Führungsakademie im März 1969 deutlich widersprochen. Im Dezember 1970 warb er dafür, Verständnis für die Skepsis gegenüber dem Militär zu haben, und wertete dies als politische Mündigkeit. Den von jungen Menschen herbeigeführten Wertewandel sah er als »Zeichen unserer Welt«. Vgl. Eberhard Wagemann, Verteidigungsbereitschaft und Zeitgeist, Dezember 1970, BArch-MA, N 736/27. Wagemann wurde wegen seines Führungsstils an der Führungsakademie und kritischer öffentlicher Äußerungen über Minister Leber 1977 vorzeitig entlassen. Später wurde er von Minister Wörner als konservative Stimme zur Überarbeitung des Traditionserlasses herangezogen. Zustimmung erhielt Heinz Karst vor allem aus den Kampftruppen. Unterstützende Stimmen sind auch vom Historiker Walther Hubatsch, dem Religionswissenschaftler Julius Schoeps, dem späteren Generalmajor Hanno Graf Kielmansegg und dem späteren Generalinspekteur Jürgen Brandt überliefert. »Viele Offiziere bemühten sich, dem von Ihnen gezeigten Weg des Soldatentums zu folgen«, schrieb Klaus-Dieter Krause an Karst, 29. 11. 1969, BArch-MA, N 690/116. 2 Friedrich Beermann hielt ihn für einen gefährlichen Demagogen und unterstellte ihm, dass er sich zum »ideologischen Führer der Bundeswehr« entwickeln 1151
werde und diese von einer »tödlichen Befreiungsideologie beherrscht werde, die uns zum 3. Mal, aber endgültig ins Verberben reißt«. Anlass der Befürchtung, dass Karst einen Krieg zur Wiedergewinnung der verlorenen Ostgebiete vom Zaun brechen würde, war ein Denkmal in dessen Lüneburger Aufklärungsbataillon, das die Wappen der Ostprovinzen zierte. Vgl. Tagebuch Beermann, 26. 8. 1960 sowie 18. 9. 1960, BArch-MA, N 597/96, S. 35–39. 3 Vgl. insbesondere Wessling, »Die Generalität auf dem Wege nach Athen? Karst meinte, mit dieser Publikation sei die Diskussion nicht mehr weit vom Niveau des »Stürmers« entfernt. Heinz Karst an Oberstleutnant Gerhardt, 2. 9. 1969, BArch-MA, N 690/115. 4 Schon die KVP-Zeitung aus den 1950er-Jahren hieß »Der Kämpfer«. 5 So die Losung zum Ausbildungsjahr 1978/79 anlässlich des 30. Jahrestags der DDR. Poller, Die Geschichte der 4. Motorisierten Schützendivision, S. 143. 6 Die Formulierung geht auf Joseph Verbovsky zurück, der an der Universität der Bundeswehr München und der Universität Potsdam an einer Dissertation zum deutschen strukturellen Pazifismus arbeitet. 7 https://www.hardthoehenkurier.de/index.php/allenachrichten/270-rede-der-bundesministerin-derverteidigung-dr-ursula-von-der-leyen-anlaesslich-der-51muenchner-sicherheitskonferenz. 8 Neitzel/Scianna, Deutsches Krisenmanagement, S. 51. 1152
Quellen und Literatur 1. Quellen Bayerisches Hauptstaatsarchiv/Kriegsarchiv, München (BayHStA) Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht Armeeoberkommando 6 Bibliothek für Zeitgeschichte, Stuttgart (BfZ) Tagebuch Otto Borggräfe Bundesarchiv, Koblenz (BArch-Ko) B 206 Bundesnachrichtendienst Bundesarchiv/Militärarchiv, Freiburg (BArch-MA) BH 1 Bundesministerium der Führungsstab des Heeres BH 2 Heeresamt BH 7 Korps BH 8 Divisionen BH 9 Brigaden BH 11 Formationen der Infanterie BW 1 Bundesministerium der Verteidigung – Leitung, zentrale Stäbe, zivile Abteilungen BW 2 Bundesministerium Generalinspekteur Streitkräfte BW 4 Militärattachéstäbe der und Verteidigung Verteidigung Führungsstab – – der 1153
BW 18 Zentrum für Bundeswehr BW 57 Bund der Fallschirmjäger e. V. BWD 1 Bundesministerium Amtsdrucksachen DVW 1 Ministerium für Nationale Verteidigung der DDR ZA 1 Operational History (German) Section der Historical Division der US-Army/Studiengruppe Wehrmachtführung und Heer Pers 1/4190 Analysen und der Studien der Verteidigung – Gerlach von Gaudecker-Zuch Pers 1-12636, -103926 Hans Kroh Pers 1/12636 Walter Gericke Pers 1/30087 Hellmut Grashey Pers 1/79531, 182578 Harry Herrmann Pers 6/194, 29986 Carl Hilpert Pers 6/625 Hans-Georg Hildebrandt Pers 6/73, -300737 Hermann Balck Pers 6-300637 Rudolf Sieckenius MSG 2 Sachthematische und biografische Sammlung zur deutschen Militärgeschichte MSG 239 Sachthematische und biografische Sammlung zur Geschichte der Bundeswehr N 10 Smilo Freiherr von Lüttwitz N 221 Hermann Geyer N 247 Hans von Seeckt N 325 Friedrich Olbricht 1154
N 382 Alwin Lyding N 389 Ulrich Dinkelaker N 447 Oskar Munzel N 460 Gerlach von Gaudecker N 473 Rudolf Herms N 542 Heinrich Greiner N 574 Heinrich von Vietinghoff N 596 Hermann Büschleb N 597 Friedrich Beermann N 647 Hermann Balck N 651 Ernst Ferber N 666 Artur Weber N 673 Ulrich de Maizière N 690 Heinz Karst N 717 Wolf Graf von Baudissin N 726 Kurt Gerber N 736 Carl-Gero von Ilsemann N 739 Theodor Groppe N 802 Familiennachlass Guderian N 842 Heinz Trettner N 860 Heinrich Eberbach N 992 Werner von Scheven N 995 Joachim-Albrecht von Holleuffer N 999 Heinz Günther Guderian 1155
RH 1 Heeresleitung/Oberkommando des Heeres (OKH) RH 2 OKH, Generalstab des Heeres RH 3 OKH, Generalquartiermeister RH 10 OKH, Generalinspekteur der Panzertruppen RH 11-I OKH, General der Infanterie RH 11-II OKH, General der Artillerie RH 12-12 Abteilung Kraftfahrwesen des Heeres RH 12-23 Heeressanitätsinspektion/Chef Wehrmachtsanitätswesens RH 19-X Oberbefehlshaber Süd RH 20 Armeeoberkommandos RH 21 Panzerarmeeoberkommandos RH 24 Generalkommandos RH 26 Infanteriedivisionen RH 28 Gebirgsdivisionen des RH 31-XV Verbindungsstab der deutschen Wehrmacht beim italienischen Armeeoberkommando 6 RH 37 Verbände und Einheiten der Infanterie des Heeres RH 53 Wehrkreiskommandos RH 68 Chef des Ausbildungswesens im Ersatzheer RH 82 Verbände und Einheiten der Panzergrenadiere des Heeres RL 32 Fallschirm-Panzerkorps »Hermann Göring« RL 33 Verbände und Einheiten der Fallschirmtruppe der Luftwaffe 1156
RM 36 Deutsches Marinekommando Italien RW 58 Zerstörerflottillen der Kriegsmarine RW 6 OKW/Allgemeines Wehrmachtamt Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Sowjetunion (CAMO) Zusammengefasstes Material zur Erfassung von Erfahrung von Kämpfen und Operationen gegen den deutschen Faschismus Fond 410, 1110, 1253, 11222 Bestand 500 Deutsche Dokumente in Archiven der Russischen Föderation Findbuch 12451 Oberkommando des Heeres Findbuch 12454 Heeresgruppe B Findbuch 12466 Panzerarmeen Findbuch 12472 AOK 1–10 Findbuch 12474 Armeekorps Findbuch 12477 Infanterie- und Sicherungsdivisionen der Wehrmacht, 1934–1945 Findbuch 12478 Panzerdivisionen Findbuch 12480 Beutedokumente Militäraufklärung der sowjetischen Deutsches Tagebucharchiv, Emmendingen (DTA) Ecke Demandt, Soldat in Deutschland. Anekdoten und Reflexionen, Meckenheim 1988/89, DTA 4008-1 Ernst-August Frede, Erinnerungen, DTA 4311-1 1157
Fritz J. Krüger, »Im Gleichschritt Marsch«. Wehrdienst in Oldenburg, 1962–1964, DTA 3394-5 Erich Hinkel, Zwölfender der ersten Stunde. Erinnerungen an meine Bundeswehrzeit 1957–1959, Ingelheim 2008, DTA 1717 Imperial War Museum, London (IWM) Rede Ferdinand Schörner, o. D., EDS AL 2831 The National Archives, London (TNA) FCO 33 Foreign Office, Western European Department FO 371 Foreign Office, Political Departments: General Correspondence from 1906–1966 WO 171 War Office: Allied Expeditionary Force, North West Europe, Second World War WO 204 Military Headquarters Papers: Allied Forces Headquarters (Italy) WO 208 Directorate of Military Intelligence National Archives, College Park, Maryland (NARA) RG 59 Department of State RG 339 Federal Election Commission RG 407 Adjutant General’s Office RG 498 Headquarters, European Theater of Operations, Army (World War II) Personalakten Hellmut Grashey, Heinz Karst, Albert Schnez NATO-Archiv, Brüssel Saceur’s Combat Effectiveness Reports, 1951–1981 1158
Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStAS) M 365 Württembergischer Landeskommandant M 660 Militärischer Nachlass Walther Reinhardt Private Quellen Tagebuch von Dr. Alfred Bauer, 1914–1918 Tagebuch von Heinz Ersfeld, 1940 Erinnerungen von Josef Moll, o. D. Tagebuch von Josef Moll, 1941 Nachlass Willy Peter Reese, 1941–1944 Tagebuch von Ferdinand von Senger und Etterlin, 1942, 1944 Tagebuch von Lorenz Treplin, 1915 Tagebuch eines Stabsoffiziers des 1. SFOR-Kontingents, 1997 Tagebuch eines Stabsoffiziers (I), 2006 Tagebuch eines Stabsfeldwebels, 2008 Tagebuch eines Stabsoffiziers (II), 2009 Tagebuch eines Stabsoffiziers (III), 2009, 2010 Tagebuch eines Offiziers, 2011 Tagebuch eines Mitglieds der Task Force 47, 2013 Tagebuch eines Obergefreiten der Marine, 2014 Zeitzeugeninterviews Hartmut Bagger, 1996–1999 Bundeswehr, 17. 11. 2018 Generalinspekteur Johannes Clair, 2010 Stabsgefreiter Fallschirmjägerkompanie, 23. 8. 2014 in der einer 1159
Wolfgang Geist, 2002 Oberstleutnant Einsatzführungskommando, 4. 12. 2019 im Robert Graf, 2009 Oberstleutnant und stellv. Kommandeur des PRT Kunduz, 2. 7. 2020 Helge Hansen, 1965 Adjutant von Wolf Graf von Baudissin, 26. 2. 2020 Niels Janeke, 1996 Chef der Luftlandepionierkompanie 260, 3. 1. 2020 Hans-Peter von Kirchbach, 1960 in die Bundeswehr eingetreten, 1998/2000 Generalinspekteur der Bundeswehr, 10. 12. 2018 Georg Klein, 2009 Oberst und Kommandeur des PRT Kunduz, 15. 3. 2019 Christoph Müller, 2001/02 Sonderbeauftragter Afghanistan des AA, 26. 10. 2015, 5. 1. 2018, 8. 6. 2018 Henning von Ondarza, 1968/70 Adjutant von Hellmut Grashey und Albert Schnez, 26. 2. 2020 Kai Rohrschneider, 2009 Oberst und Kommandeur des PRT Kunduz, 19. 2. 2020 Friedrich Schacht, 1987/88 Wehrpflichtiger des FschJgtBtl. 273 Iserlohn, 26. 4. 2018 Reinhardt Zudrop, 2010 Oberst und Kommandeur des PRT Kunduz, 10. 3. 2020 mit einem Feldwebel der Gebirgsjägertruppe, 26. 10. 2018 mit einem ehemaligen Kompaniechef Fallschirmjägertruppe, 31. 1. 2020 der mit einem ehemaligen Wehrpflichtigen Fallschirmjägertruppe, 3. 2. 2020 der 1160
mit einem im Karfreitagsgefecht Fallschirmjägeroffizier 18. 3. 2020 eingesetzten mit einem Stabsoffizier, 10. 4. 2020 mit einem im Karfreitagsgefecht eingesetzten Oberleutnant, 29. 5. 2020 mit einem ehemaligen Oberleutnant der NVA, 8. 6. 2020 2. Literatur Abenheim, Donald, Bundeswehr und Tradition. Die Suche nach dem gültigen Erbe des deutschen Soldaten, München 1989 –, und Uwe Hartmann, Einführung in die Tradition der Bundeswehr: Das soldatische Erbe in dem besten Deutschland, das es je gab, Berlin 2019 Absolon, Rudolf, Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd. 2: 30. Januar 1933 bis 2. August 1934, Boppard 1969 Afflerbach, Holger, Auf Messers Schneide. Wie das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg verlor, München 2018 Aga-Rossi, Elena, und Maria Teresa Giusti, Una guerra a parte. I militari italiani nei Balcani 1940–1945, Bologna 2011 Agazzi, Elena, und Erhard Schütz (Hg.), Nachkriegskultur, Berlin, Boston 2013 Handbuch Ahrens, Daniela, »Humanität – Multilateral – Erwünscht. Untersuchung zur politischen und medialen Wahrnehmung und Bewertung dreier Auslandseinsätze der Bundeswehr 1993–2006«, Masterarbeit Universität Mannheim 2013 Altrichter, Friedrich, Das Wesen der soldatischen Erziehung, Berlin, Oldenburg 1935 1161
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Verzeichnis der Abkürzungen Ia 1. Generalstabsoffizier (Operationen) Ib 2. Generalstabsoffizier (Nachschub) Ic 3. Generalstabsoffizier (Feindlage) Id 4. Generalstabsoffizier (Ausbildung) A Armee AA Auswärtige Amt ABC Atomare/Biologische/Chemische (-Waffen) ABM Anti-Ballistic Missile ADM Atomic Demolition Munitions (Atomminen) A-Einsatz Atomwaffeneinsatz AfD Alternative für Deutschland AFG Afghanistan AK Avtomat Kalashnikova ANA Afghan National Army ANP Afghan National Police ARRC Allied Rapid Reaction Corps ASprK Atomsprengköpfe AFCENT Allied Forces Central Europe AFHQ Allied Forces Headquarters (im Mittelmeerraum) AFNORTH Allied Forces Northern Europe A. K. Armeekorps A. O. K./AOK Armeeoberkommando APO Außerparlamentarische Opposition 1251
ASprK Atomsprengkörper Aug. August A-Ziel Atomwaffenziel BAINBw Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr BArch-Ko Bundesarchiv, Koblenz BArch-MA Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg Batls.Kdr. Bataillons-Kommandeur BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv BE Belgian BEBGenInsp Beauftragter für Erziehung und Bildung beim Generalinspekteur der Bundeswehr BEA Amt des Beauftragten für Erziehung und Ausbildung des Generalinspekteurs BEAGenInsp Beauftragter für Erziehung und Ausbildung beim Generalinspekteur der Bundeswehr BGS Bundesgrenzschutz BIP Bruttoinlandsprodukt BND Bundesnachrichtendienst BMVg/BMVtg Bundesministerium der Verteidigung BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Bn. Bataillon (englisch) BR/Brit. British Bttr. Batterie 1252
CAMO Zentralarchiv des russischen Verteidigungsministeriums Can.-Korps Canadian Korps CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CENTAG Central Army Group CIA Central Intelligence Agency CIMIC Civil Military Cooperation CJ9 ISAF-Stabsabteilung für die zivil-militärische Zusammenarbeit COIN Counterinsurgency Col. Colonel COMISAF Commander of ISAF CSDIC Combined Services Detailed Interrogation Centre CSU Christlich-Soziale Union ČSSR Čekoslovenska Socialisticka Republika (Tschechoslowakische Sozialistische Republik) DDP Deutsche Demokratische Partei DEU/Deutschl. Deutschland Dez. Dezember DIN Deutsches Institut für Normung Div. Division DKP Deutsche Kommunistische Partei DNA Deoxyribonucleic Acid DNVP Deutschnationale Volkspartei DTA Deutsches Tagebucharchiv 1253
Dt.EinsKtgt Deutsches Einsatzkontingent DVB Deutscher Verbindungsstab DVP Deutsche Volkspartei DVU Deutsche Volksunion d. R. der Reserve einschl. einschließlich EK Entlassungskandidaten EPA Einmann-Packung EZ Entwicklungszusammenarbeit FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDJ Freie Deutsche Jugend FDP Freie Demokratische Partei Feb. Februar FR French Franz. Französisch FS Fernschreiben Fü H Führungsstab Heer FschJgBtl Fallschirmjägerbataillon FschJgDiv Fallschirmjägerdivision GenLt Generalleutnant G1 Generalstabsoffizier für Personalangelegenheiten G2 Generalstabsoffizier für militärische Sicherheit und Nachrichtenwesen G3 Generalstabsoffizier für Führung, Organisation, Ausbildung 1254
G8 Gruppe der Acht GBR Großbritannien GdA Garde-Armee GdP/GdPA Garde-Panzerarmee GE German g./Geh. Geheim GenKdo Generalkommando GenQu Generalquartiermeister Gen. St. Generalstab GI Government issue/Bezeichnung für einen einfachen Soldaten in der US-amerikanischen Armee gKdos geheime Kommandosache Gren. Rgt./GR Grenadier-Regiment GRU Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (sowjetischer Militärgeheimdienst) GSSD Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland GST Gesellschaft für Sport und Technik GTZ Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit He Heinkel (Deutscher Flugzeughersteller) H.Dv. Heeresdienstvorschrift H.Gr. Heeresgruppe HIAG Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS HIG Hizb-i Islami Gulbuddin HIS Hamburger Institut für Sozialforschung 1255
HJ Hitlerjugend HLKO Haager Landkriegsordnung HStAS Hauptstaatsarchiv Stuttgart HUMINT Human Intelligence IBU Islamische Bewegung Usbekistan i. G. im Generalstab IED Improvised Explosive Device IFOR Implementation Force INF Intermediate Range Nuclear Forces Inf.-Brig. Infanterie-Brigade Inf.-Div. Infanterie-Division InspdH Inspekteur des Heeres I. R. Infanterie Regiment ISAF International Security Assistance Force ITA Italy Italien. Italienisch Jan. Januar Jusos Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD Kdr. Kommandeur KFOR Kosovo Force Kfz. Kraftfahrzeug KG Kommandierender General KBW Kommunistischer Bund Westdeutschland Km Kilometer 1256
Kp. Kompanie KP Kommunistische Partei (Polen) KPD Kommunistische Partei Deutschlands Kps. Korps KSK Kommando Spezialkräfte KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa K.-u.-k. Kaiserlich und königlich KT-Wert Kilotonnen KTB Kriegstagebuch KVP Kasernierte Volkspolizei KZ Konzentrationslager LOC Line of Communication (größere Straße) LKW Lastkraftwagen MAD Militärischer Abschirmdienst Masch.-Gewehre Maschinen-Gewehre MAD Militärischer Abschirmdienst Mars Marinearsenal MdB Mitglied des Bundestags MdR Mitglied des Reichstags Me Messerschmitt (Deutscher Flugzeughersteller) MEDEVAC Medical Evacuation MeS Masar-e Sharif Mg./MG Maschinengewehr MND Mulit National Division 1257
Mot. Motorisiert MSD motorisierte Schützendivision MUKdo Marineunterstützungskommando MND SE Multinational Division South East N North NARA National Archives, College Park, USA NATO North Atlantic Treaty Organization NDS National Directorate of Security (Afghanistan) NKWD Narodnyj kommissariat wnutrennich del (sowjetischer Inlandsgeheimdienst) NL Netherland Nördl. Nördlich NORTHAG Northern Army Group NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSFO Nationalsozialistischer Führungsoffizier NSWP Nicht-Sowjetische Warschauer Pakt-Armee NVA Nationale Volksarmee OB Oberbefehlshaber OEF Operation Enduring Freedom OffzKorps Offizierkorps OHL Oberste Heeresleitung OKH Oberkommando des Heeres Okt. Oktober OKW Oberkommando der Wehrmacht 1258
OMLT Operational Mentoring and Liasion Team OMT Opposing Militant Forces OP North Beobachtungsposten Nord ODA Operational Detachement Alpha O. Z. A.K Operationszone Adriatisches Küstenland PA Personalamt PEK Pol-e Chomri PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PRT Provincial Reconstruction Team Pz Panzer PzDiv Panzerdivision PzGrenDiv Panzer-Grenadier-Division QRF Quick Reaction Force RC Regional Command REFORGER Return Forces to Germany Reg/Rgt. Regiment RPG Rutschnoi Protiwotankowy Granatomjot (PanzerabwehrGranatwerfer) ROE Rules of Engagement Russ. Russisch SA Sturmabteilung SALT Strategic Arms Limitation Talks San-Bereich Sanitäts-Bereich SD Sicherheitsdienst des Reichsführers SS SD Schützendivision 1259
SDI Strategic Defense Initiative SDS Sozialistischer Deutscher Studentenbund SE South East SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (DDR) Sept. September SFOR Stabilisation Force Skl Seekriegsleitung SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPW Schützenpanzerwagen SS Schutzstaffel Sts Staatssekretär SW South West TIC Troops in Contact TNA The National Archives, London TOW Tube Launched Optically Tracked Wire TUR Turkey UCK Ushtria Çlirimtare e Kosovës (Befreiungsarmee des Kosovo) Uffz. Unteroffiziere UNIFIL United Nations Interim Force in Lebanon UN/UNO United Nations Organization UNOSOM United Nations Operation in Somalia UNPROFOR United Nations Protection Force UvD Unteroffizier vom Dienst VdS Verband deutscher Soldaten 1260
VRD Vorderer Rand der Verteidigung ZMSBw Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr 1261
Bildnachweis Abb. 1, 2: Niels Janeke; Abb. 3: Bundesarchiv, Bild 183-R27319; Abb. 4: Bundesarchiv, Bild 136-B0016; Abb. 5: Interfoto/Friedrich; Abb. 6: bpk; Abb. 7: IWM (Q 1471); Abb. 8: Bundesarchiv, Bild 183-P1013-318; Abb. 9: Getty Images (Hulton Archive/Freier Fotograf); Abb. 10: Bundesarchiv, Bild 1461972-089-05 A; Abb. 11: Bundesarchiv, Bild Y 1-548-782-72; Abb. 12: SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo; Abb. 13: bpk; Abb. 14: Bundesarchiv, Bild 101I-732-0118-03; Abb. 15: Bundesarchiv, Bild 101I-265-0040 A-22 A; Abb. 16: Bundesarchiv, Bild 101I-708-0300-11; Abb. 17: Carl Henrich/Süddeutsche Zeitung Photo; Abb. 18: picture alliance/AP; Abb. 19: Bundesarchiv, Bild 101I278-0877-18; Abb. 20: Bundesarchiv, Bild 101I-586-2215-11 A; Abb. 21: Center of Military History: Anzio Beachhead 22 January – 25 May 1944. Washington D. C. 1990, S. 2; Abb. 22: IWM (NA 11406); Abb. 23: NARA Washington, D. C.; Abb. 24: Bundesarchiv, Bild 101I-310-0895-13 A; Abb. 25: Bundesarchiv, Bild 101I-311-0947-14 A; Abb. 26: Getty Images (George Silk/Kontributor); Abb. 27: ullstein bild; Abb. 28: The National World War II Museum, New Orleans; Abb. 29: United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of B. Ashley Grimes II; Abb. 30: bpk; Abb. 31: privat; Abb. 32: Friedrich von Senden; Abb. 33: Bundesarchiv, B 145 Bild-F030710-0026; Abb. 34: privat; Abb. 35–37: Friedrich von Senden; Abb. 38: Niels Janeke; Abb. 39: Ulrike Lindhorst; Abb. 40: Bundesarchiv, Bild 183-Z1007-011; Abb. 41: Bundesarchiv, Bild 183-J1014-0025-001; Abb. 42, 43: ullstein bild/AP; Abb. 44–50: privat; Abb. 51: Bundesarchiv, B 145 Bild-00216028; Abb. 52: privat; Abb. 53, 54: Marcel Mettelsiefen; Abb. 55–58: privat; Abb. 59, 60: Patrick Seeger/dpa © DER SPIEGEL 41/1962, 52/1963, 33/1966, 36/1966, 5/1966, 47/1967, 43/1967, 23/1965, 38/1968, 50/1968, 3/1969, 15/1971 © DER SPIEGEL 49/1975, 34/1976, 23/1980, 15/1983, 18/1987, 10/1990 1262
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