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DIE RUTHENISCHE in WIEN. (Bericht des ruthenischen Deputationacomites.) LEMBERG. Verlag des Basil Nahirnyj. Buchdruckerei des Stauropigianischen Instituts. 1895.

I. Die Beschiessung und Entsendung der Deputation. Schon seit Jahren waren die Rnthenen und die Bauern Galiziens bei den Landtags- so wie bei den Reichsratswahlen an allerlei Misbräuche und Gesetzwi- drigkeiten gewöhnt, welche diesem Lande eine Ausnahms- stellnng unter den constitütionellen Ländern verschafft haben. Infolge derartiger Übergriffe wurden z. B. bei den Landtagswahlen im Jähre 1883 auf 47 ruthenische Wahlkreise nur 9 ruthenische Candidaten und ausser- dem 4 sonstige Rnthenen gewählt; in den anderen Wahl- kreisen drangen durch die vereinigten Bemühungen der Regierung, der Polen und der Juden meistenteils pol- nische Bezirksobmänner oder k. k. Bezirkshauptmänner durch. Deshalb berieten sich damals die Rutheneu über eine völlige Abstinenz vom Landtage, liessen es in- dessen bei einem Proteste auf einem grossen Landes- meeting bewenden. Auch hei den folgenden Wahlen im Jahre 1889 fanden sehr zahlreiche und grelle Gesetzwi- drigkeiten statt, aber immerhin brachten es die Rnthe- nen auf 16 von ihnen candidirte Landtagsabgeordneten. Im Jahre 1895 wurden jedoch alle früheren Wahlmani- pulationen noch weit Überboten und die schlimmsten. Befürchtungen der Rüthenen übertroffen: die sichersten Wahlbezirke, in denen eben die ersten Vertrauensmän- ner der ruthenisdhen Nation candidirten, giengen durch noch nicht dagewesene Willkür- und Gewaltacte für
4 dieselbe verloren, und von den 14 zu Abgeordneten ge- wählten Ruthenen sind viele nur als Vertrauensmänner der Polen und der Regierung dem ruthenischen Volke aufgedrungen, andere nur auf Grund eines Placet der Regierung gewählt worden. Die seit lange angestrebte vollständige Niederwerfung der Ruthenen erschien erreicht. Die Vorgänge bei diesen Wahlen und das schliessli- che Resultat derselben erregten einen Sturm der Entrü- stung im ganzen Lande. Schon nach den Urwahlen wurde die Absendung einer Deputation nach Wien gefordert, um vom Kaiser die Sistirung der weiteren Wahlen und die Cassirung der Urwahlen zu erbitten, was jedoch sowol aus technischen als auch aus verfassungsmässigen Gründen nicht leicht durchführbar war und deshalb auch unterlassen wurde. Nach Schluss der Wahlen wieder- holten sich diese Forderungen in einem noch weit stär- keren Masse; namentlich drangen darauf die ruthenischen Bauern in verschiedenen Gegenden des Landes. Infolge dessen bildete sich ein aus Vertrauensmännern aller drei ruthenischen Parteien und allen Classen der ru- thenischen Bevölkerung bestehendes Comite, welches die weiteren Schritte beraten und vorbereiten sollte. Diesem Comite gehörten folgende Männer an; die Reichsrats- abgeordnsten Julian Romanczuk und Constantin Teli- szewskyj; die neu gewählten Landtagsabgeordneten Dr. The- ophil Okunewskyj und Stefan Nowakowskyj; die Ver- treter ruthenischer Vereine und Organisationen: Advo- caten Dr. Eugen Olesnyckyj, Dr. Michael Korol und Longin Rozankowskyj, Architect Basil Nahirnyj, Pfarrer Basil Dawydiak und Notariatssubstitut Roman Baczyn- skyj. Dieselben beschlossen, vor allem Protestmeetings in den bedeutendsten Centren Ostgaliziens abzuhalten und sodann eine Deputation mit einer Beschwerde an den Kaiser zu entsenden. Sämmtliche Protestmeetings wurden jedoch, bis auf ein einziges (in Zowkiw), von den politischen Behör- den untersagt, und zwar die Bezirksmeetings in Bere- äany, Ternopil, Stryj, Stanislawiw und Jezupil unter
5 dem Vorwande angeblicher epidemischen Krankhei- ten. wiewol solche, mit Ausnahme von Ternopil, noto- risch nicht bestanden, und das Ländesmeeting in Lem- berg unterm Hinweis auf die §§. 300 und 302 des Strafgesetzes, weil das geplante Meeting zu Hass und7 Verachtung gegen die Regierungsorgane und zur Feind- schaft zwischen den Nationen und Classen des Landes anfreizen solle. Wegen dieser Verbote musste das Co- mite eine vertrauliche Versammlung von geladenen Per- sonen (nach § 2 des Gesetzes vom 15. November 1867, R. G. B. Nr. 135) aus allen ostgalizischen Bezirken einberufen. Diese Versammlung, an der gegen 600 Ver- trauensmänner teilnanmen, fand am 15. November in Lemberg statt und fasste nach eingeheuder Beratung nahezu einstimmig folgende Beschlüsse: I. Die Versammlung ruthenigcher Vertrauensmän- ner aus ganz Galizien protestirt gegen die Art der Durchführung der heurigen Landtagswahlen aus der Cu- rie der Landgemeinden in Galizien und erklärt diese Wahlen, wegen der vielen und grossen Misbräuche bei den Urwahlen, bei den eigentlichen Wahlen der Abge- ordneten und überhaupt bei der ganzen Wahlaction, als gesetzwidrig dnrchgeführt somit als illegal, nnd demnach auch den ganzen neugewählten Landtag als illegal. — II. Die Versammlung beschliesst die Absendung einer Deputation an den Kaiser mit der Bitte um die Auflö- sung des Landtages und die Anordnung neuer Wahlen,— III. Die Durchführung dieser Action, namentlich die Wahl der Deputation, wird dem 10-gliederigen Comite anvertrant, welches sich mit der Einberufung des Läh- desprotestmeetings befasst hat. In Ausführung dieser Beschlüsse beschloss das Co- mite eine Massendeputation, hauptsächlich aus Bauern bestehend, nach Wien zu entsenden, und zwar umso- mehr, als einerseits von der gegnerischen Seite die ganze Protestaction als der Ausfluss der Unzufriedenheit einiger weniger bei den Laudtagswahlen durchgefallenen Candidaten dargestellt wurde, andererseits die ruthenischen Bauern drin- gend verlangten, an der Deputation teilzunehmen, nnd
6 hiezu auch keine Kosten zu scheuen erklärten. Das Co- mite leitete sonach eine Sammlung von freiwilligen Beiträgen in den einzelnen Bezirken wie im ganzen Lande ein, um für die ärmeren Mitglieder der Deputa- tion den ihnen eventuell fehlenden Restbetrag der Ko- sten, welche auf eine Person durchschnittlich mit 30 Gulden berechnet waren, sowie die gemeinsamen Ausla- gen zu bestreiten. Die Deputation sollte eine kur- ze Denkschrift über die heurigen Landtagswahlen mit- nehmen und dem Kaiser überreichen. Die übrigen höchst traurigen Verhältnisse des ruthenischen Volkes, der son- stige auf ihm lastende unerträgliche Druck sollten dies- mal nicht zur Sprache gebracht werden. Am 12. Dezember trafen die meisten Mitglieder der Deputation in Lemberg ein. Die Landesregierung hatte offenbar eine solche Massendeputation nicht erwar- tet und war von derselben sehr unangenehm überrascht. Demnach versuchte sie es, dieselbe von einer solchen „Demonstration“ abzubringen und zur Entsendung einer kleinen aus 10 Mitgliedern bestehenden Delegation zu bewegen, deren Empfang bei Seiner Majestät sie bestimmt in Aussicht stellte. Das zu diesem Zwecke zum Statthal- ter geladene Mitglied der Deputation (Basil Nahirnyj) erklärte sich jedoch äusser Stande, diesen Vorschlag durchzusetzen. So fuhren denn sämmtliche in Lemberg angekommenen Mitglieder der Deputation, nachdem sie noch an dem gleichzeitigen aber für diesen Tag nicht vorausgesehenen feierlichen Einzuge des neuernannten Cardinals Silvester Sembratowycz teilgenommen hatten, an demselben Tage in 5 Waggons abends nach Wien ab. Bei der Abfahrt wurde die Deputation auf dem Bahnhofe von einem sehr zahlreichen aus mehreren Hunderten von Männern, Frauen und Studenten beste- henden Publicum, unter patriotischen Ansprachen und lebhaften Glückwünschen herzlich und feierlich verab- schiedet, und ein Chor sang mehrere nationale Lieder, darunter ein Wehmütiges neulichst vom Volke selbst ver- fasstes Lied: „Schau hernieder, liebster Kaiser, Wie das Volk so arm ist!“
7 Unterwegs gesellten sich auf den einzelnen Statio- nen weitere Teilnehmer hinzu; auch wurde die Deputa- tion auf den grösseren Stationen von den Ruthenen je- ner Gegenden herzlich begrüsst. Am 13. Dezember um 8 Uhr abends kam die ganze Deputation in Wien an. Sie bestand aus 221 Mitgliedern, und zwar 150 Bauern, 25 Büigern, 24 Geistlichen und 22 der weltlichen In- telligenz angehörenden Personen (Advocaten, Notare, Aerzte tu a.). Dreissig Bezirke waren in ihr vertreten, am zahlreichsten die Bezirke ^ydacziw, Stryj, Horoden- ka, Äowkiw, Kalusz und Berszcziw. II. Die Deputation in Wien. Auf dem Wiener Nordbahnhofe wurde die Deputa- tion von der dortigen ruthenischen Colonie erwartet und herzlich begrüsst. Eine sehr zahlreiche Polizeiinannschaft wachte darüber, dass keine Demonstrationen stattfinden und auch keine Anreden gehalten werden, was übrigens nicht geplant worden war. Ein Empfangscomite, aus den in Wien weilenden Ruthenen zusammengesetzt, brachte die angekommenen Mitglieder der Deputation iu die zuvor gemieteten Wohnungen in den einzelnen Hotels der Stadt. Noch vordem hatte das Deputationscomite beschlos- sen, bei Gelegenheit der Ankunft der Deputation in Wien mit den dortigen Volksparteien, und zwar sowol mit der christlich sozialen Partei als auch mit der Ar- beiterpartei, in Verbindung zu treten. Die erstere hatte eben am Tage der Ankunft der Deputation eine Volks- versammlung (beim Gschwandtner in Hernals) einberu- fen und lud demnach die Mitglieder der Deputation zu derselben ein. Wiewol der Zeitpunct den Deputations- mitgliedern ziemlich ungelegen war — eine Aenderung hierin konnte indes nicht mehr vorgenommen werden—, so begab sich doch ein bedeutender Teil derselben in die erwähnte äusserst zahlreich besuchte Versammlung, wo sie mit, Hochrufen begrüsst wurden. Dr, Lueger
8 !9 besprach die Lage der Rnthenen und Bauern in Galizien auf Grund der letzten Landtagswahlen, und der Abge- ordnete Pelzhofer begrüsste die Deputation im Namen der Deutsch-Nationalen ; hierauf ergriffen mehrere Ru- thenen das Wort, unter ihnen der Reichsratsabgeordnete Romanczuk, welcher alle Volksparteien aufforderte, sich mit einander zu verbinden, um gegen den Autbkratismus für die Freiheit und die Rechte und Interessen des Vol- kes einzustehen. Eine Collecte ergab 72 Gulden zum Empfange der ruthenischen Bauern, aber das Geld wur- de dankend abgelehnt und zur Unterstützung notleiden- der Auswanderer aus Galizien, welche nach Wien kom- men, bestimmt. Der ganze überaus herzliche Empfang machte den angenehmsten Eindruck auf die Mitglieder der Deputation und. liess bei ihnen die freundlichsten und dankbarsten Erinnerungen zurück. Am folgenden Tage (dem 14. Dezember) besuchte die Deputation das Parlament und die Kapuzinergruft, wo sie an den Särgen der Wohltäter und Gönner des ruthenischen Volkes, Maria Theresia’s, Josef’s II. und des Kronprinzen Rudolf, betete. Abends kamen sämmt- liche Mitglieder zn einem Commers im Saale des Hotels Union (im IX. Bezirke) zusammen, wo auch die Wiener Ruthenen-Colonie und viele geladene Gäste erschienen. Von Ruthenen und Gästen (unter andern vom croatischen Ab- geordneten Biankini) wurden Reden in rnthenischer, deutscher und croatiscber Sprache gehalten, in denen zumeist das Ziel der Deputation sowie die politische und wirtschaftliche Lage der Ruthenen in Galizien dargestellt wurde. Mehrere Bauern (Konaszewycz ans Pomoriany, Mekelyta aus Butyny) trugen selbstverfasste Gedichte politischen Inhalts vor. Am Morgen desselben Tages hatten sich die Mit- glieder des Deputationscomites Teliszewskyj, Rozankow- skyj' und Dr. Okunewskyj als Vertrauensmänner der Deputation ins Parlament begeben, um dort beim Mini- sterpräsidenten Grafen Badeni die gewünschte Audienz bei Seiner Majestät zu erwirken. Zu dieser Audienz waren folgende 10 Mitglieder der Deputation delegirt worden: der Reichsratsabgeordnete k. k. Notar Con- stantin Teliszewskyj, die Landtagsabgeordm ten Advocat Dr. Theophil Okunewskyj und Bauern Stefan Nowakow- skyj und Demetrius Ostapczuk, die Geistlichen Consi- storialrat und ehemaliger Reichsratsabgeordneter Johann Ozarkewycz als Führer der Deputation und Dechanten Aleksander Sanockyj und Elias Kalarauneckyj, der ehe- malige Landtagsabgeordnete Advocat Longiu jRoiänkow- skyj, der k. k. Notar Hilarius Sawczynskyj und der Bauer Makar Grendzola (lauter gemässigte und bei den Landtagswahlen unbeteiligte Personen, wie auch das 10-glie- derige Comite, welches die ganze Action mit den Protest- meetiugs und der Depntationsabsendung leitete, aus ge- mässigten Männern bestand, mit Ausschluss als extrem geltender Persönlichkeiten). Graf Badeni, von der An- kunft der drei erwähnten Vertrauensmänner durch den Herrn Teliszewskyj im voraus avisirt, erklärte demsel- ben. er werde die Vertrauensmänner erst am folgenden Tage um 11 Uhr vormittags im Ministerium des Innern empfangen. Demzufolge wurde noch an demselben Tage beim Ministerium des Innern ein Bittgesuch um die Zulassung der oberwähnten zehn Delegirten zur allerhöchsten Andienz eingereicht, nud am folgenden Tage, dein 15. Dezember, begaben sich die Vertrauensmänner Roian- kowskyj, Dr. Okunewskyj und Dr. Dorundiak (statt Te- liszewskyj’s) um die bestimmte Stunde zum Grafen Ba- deni, welcher von ihnen noch vor ihrem Erscheinen durch einen Ministerialbeamten das dem Kaiser zu über- reichende Memorandum und den Text der Ansprache an Seine Majestät hatte abverlangen lassen. Letztere lautete folgendermassen: „Eure kaiserliche uni königliche apostolische Majestät! Als Delegirte einer vom ruthenischen Volke abgesandten aus 220 Mitgliedern bestehenden De- putation wagen wir vor Eurer kaiserlichen und königlichen apostolischen Majestät zu erscheinen,
10 11 um die Versicherung von der unwandelbaren Treue und Ergebenheit dieses Volkes vor den Stufen des allerhöchsten Thrones zu erneuern und zugleich um für dieses schwergeprüfte Volk um allergnä- digsten Schutz zu bitten. Das ruthenische Volk, welches immer, auch in den schwierigsten Zeiten, eine feste Stütze des Thrones und des Reiches bildete, befindet sich jetzt in einem Ausnahmezustände, indem die Staatsgrund- gesetze für dasselbe keine Geltung haben. Infolge dessen ist unter dem ruhigen und immer fried lie- . benden Volke der Ruthenen eine starke Aufregung der Gemüter eingetreten, und die Behauptungen,- als ob in unserem Heimatlande Zufriedenheit und Eintracht herrschten, entbehren leider aller Grund- lage. Da dem ruthenischen Volke zur Erlangung seines Rechtes infolge der Nichtzulassung einer entspre- chenden Vertretung alle Wege gesperrt sind und dasselbe einzig und allein von Eurer Majestät eine Abhilfe anhofft, so wagen wir die Beschwerden dieses Volkes in Betreff der diesjährigen Landtags- wahlen vor dem Allerhöchsten Throne mit der fussfälligen Bitte zu unterbreiten: Eure k. und k. apost. Majestät geruhen allergnädigst dieses Bitt- gesuch annehmen und den darin enthaltenen Be- schwerden abhelfen zu wollen.“ Nach Durchlesung dieser Ansprache erklärte der Ministerpräsident, es können zur Audienz nur sechs Mit- glieder der Deputation zugelassen werden, ferner müsse der Text der Ansprache in mehreren Puncten abgeän- dert werden, weil darin einiges zu scharf und einiges unwahr sei. Namentlich beanständete Graf Badeni die "Worte „dieses schwergeprüfte Volk“, „das ruthenische Volk befindet sich jetzt in einem Ausnahmezustände“, „die .Staatsgrundgesetze haben für dasselbe keine Gel- tung“, „die Behauptungen, als ob in unserem Heimat- lande Zufriedenheit und Eintracht herrschten, entbehren leider aller Grundlage“. Er verwies sonach die Ver- trauensmänner an den Hofrat Fraydenegg, damit sie mit demselben eine gelindere Fassung der Ansprache verein- baren. Hiebei fragte der Ministerpräsident, wem eigent- lich die Behauptungen, dass in Galizien Zufriedenheit und Eintracht herrschen, zugeschrieben werden. Dr. Oku- newskyj gab darauf die Antwort: Ihnen, Excellenz, dem Grafen Badeni, und die Deputation müsse auf die Belassung dieser Stelle beharren. Nach längerer Verhandlung mit dem Hofrat Fray- denegg, wobei Rozankowskyj demselben zu verstehen gab, dass die Deputation nicht dasjenige zu sagen habe, was dem Ministerpräsidenten genehm sei, sondern dasjenige, was ihr am Herzen liege, kam endlich der definitive Text der Anrede an Seine Majestät in folgender Fassung zustande: „Eure kaiserliche und königliche apostolische Majestät I „Als Delegirte einer vom ruthenischen Volke abgesandten, aus 220 Mitgliedern bestehenden De- putation wagen wir vor Eurer kaiserlichen und königlichen apostolischen Majestät zu erscheinen, um die Versicherung der unwandelbaren Treue und Ergebenheit vor den Stufen des allerhöchsten Thrones zu erneuern und zugleich für dieses seit Jahrhunderten schwergeprüfte Volk um allergnä- digsten Schutz zu bitten. „Das ruthenische Volk, welches immer, auch in den schwierigsten Zeiten, eine feste Stütze des Thrones und des Reiches bildete, befindet sich jetzt, infolge der Nichtbeachtung der Staatsgrundgesetze seitens der Regierungsorgaine bei den letzten Land- tagswahlen, in einer Gemütserregung, welche sich auch auf den ruhigsten ruthenische n Bürger erstreckt und die Ansicht, als ob in unserm Heimatslande Zufriedenheit und Eintracht herrschen würden, widerlegt.
12 13 „Da dein ruthenischen Volke zur Erlangung seines Rechtes infolge der Nichtzulassung einer entsprechenden Vertretung alle Wege gesperrt sind und dasselbe einzig und allein von Eurer Maje- stät .eine Abhilfe erhofft, so wagen wir; die Be- schwerden. dieses Volkes in Betreff der diesjährigen Landtagswahlen vor dem allerhöchsten Throne mit der fussfälligen Bitte zu unterbreiten: Eure kaiser- liche und königliche apostolische Majestät geruhe allergnädigst, dieses Bittgesuch annehraen und den darin enthaltenen Beschwerden abhelfen zu wollen.“ Nach Vereinbarung dieses Textes ersuchte Dr. Do- rundiak, es möge sämmtlichen Mitgliedern der nach Wien angekommenen Deputation nicht verwehrt werden, während der Audienz in dem Burghofe oder wenigstens vor der Hofbnrg zu erscheinen, erhielt jedoch zur Antwort, dass das Terri- torium der Hofburg dem Ministerium nicht unterstehe, was aber den Platz vor der Hofburg anbelange, so müsse der Ministerpräsident befragt werden: Nach Rücksprache mit demselben erklärte der Hofrat: Seine Excellenz ersuche, es möge das Ansammeln der Deputation vor der Hofburg unterbleiben, sonst müssten polizeiliche Massregeln dagegen ergriffen werden. .Die ganze Deputation hatte sich indessen, nach- dem sie dem sonntäglichen Gottesdienste in der griech.- kathol. St. Barbara-Kirche beigewohnt, im Hotel Rabl (am Fleischmarkt) versammelt und wartete auf das Re- sultat der zwischen ihren Vertrauensmännern und dem Ministerpräsidenten gepflogenen Verhandlungen. Mittags um 12*|2 Uhr erschienen die Vertrauensmänner und erstatteten ihren Bericht. Es gab sich ein heftiger und lauter Unwille künd. Sehr viele Mitglieder der Deputa- tion verlangten, dass alle zusammen wenigstens vor die Hofburg vorgelassen werden; ein Bauer rief: Ich habe meine Kuh verkauft, um nach Wien zu kommen, und nun darf ich nicht einmal vor die Hofburg gehen? Infolge dessen begaben sich die Abgeordneten Ro- manczuk und Dr. Okunew.skyj in die Hofburg, um die Zulassung der gesaünnten Deputation in den Burghof zu erwirken. Sie wandten sich zuerst an die Burghaupt- mannschaft, wurden aber an das Obersthofmeisteramt und von dort an die Allerhöchste Cabinetskanzelei verwiesen. Die beiden Abgeordneten erklärten, dass das ruthenische Volk durch sein Erscheinen in der Hofburg nur sein un- begrenztes Vertrauen und seine besondere Ergebenheit für Seine Majestät au den Tag legen wolle; es sei ge- kommen, um seinem Kaiser zu huldigen; die Bauern wür- den sich glücklich fühlen, wenn sie Seine Majestät auf dem Balkone oderauch nur durch das Fenster sehen könnten. Im Obersthofmeisteramte antwortete jedoch der betreffen- de Beamte, dass das Obersthofmeisteramt allein zur Ent- scheidung dieser Angelegenheit nicht befugt sei. er selbst aber sei kraft seines Amtes verpflichtet, eine Anzeige an die Burgwache zu erstatten, damit dieselbe eine Massenansammlung von Leuten in der Burg hinanthalte. In der Cabinetskanzelei endlich erklärte man, dass man dort gar nicht competent sei, über diese Sache zu ent- scheiden, dieselbe vielmehr an das Obersthofmeisteramt gehöre oder auch vermittels des Herrn Ministerpräsiden- ten erledigt werden könnte; als seine persönliche An- sicht erklärte der Beamte, er sehe keinen Grund, eine gut gemeinte Ovation zu verwehren. Am Nachmittage machte der grösste Teil der De- putation einen Gang vom Rathause nach dem Prater und kehrte) abends in seine Wohnungen zurück. Ein Teil jedoch begab sich in eine an diesem Tage abgehal- tene Arbeiter Versammlung in Schwenders Colosseum, wo der Bauer Daniel Mekelyta eine ruthenische Ansprache hielt, in welcher er auf die Gleichheit und Gemeinsam- keit der Interessen der ruthenischen Bauern, welche tatsächlich Arbeiter seien, mit denen der eigentlichen Arbeiter hinwies. Diese Anrede wurde dort sogleich ins Deutsche übersetzt. Am folgenden Tage, dem 16. Dezember, um 10 Uhr früh wurde die reduzirte Delegation der Deputa- tion, bestehend aus den Herren Roiankowskyj und Dr. Okunewskyj, den Geistlichen Ozarkewycz und Sanockyj
14 15 und den Bauern Nowakowskyj und Grendzola zur Au- dienz vor Seine Majestät zugelassen. Pater Ozarkewycz hielt die oben angeführte im Ministerium vereinbarte Ansprache und überreichte das Memorandum. „Der Kai- ser“— so lautet der offiziöse Bericht •— „geruhte das Merco- . randum mit dem Bemerken entgegenzunehmen, dass die Deputation versichert sein könne, dass den in demselben enthaltenen Beschwerden auf den Grund gesehen und, so Weit sie begründet, werde Abhilfe geschaffen werden. Die Versicherung treuer Anhänglichkeit nehme der Kai- ser mit Befriedigung auf; er wüsste, dass er auf diese Gesinnungen bei den Ruthenen rechnen könne. Die De- putation möge überzeugt sein, dass die ruthenische Na- tion dem Herzen des Kaisers ebenso nahe stehe wie die anderen Völker der Monarchie, und dass der Kaiser deren gedeihliche Entwickelung vom Herzen wünsche. Der Kaiser könne jedoch nicht unterlassen zu bemerken, dass es sehr auffallen müsse, wenn eine grössere Anzahl Geistlicher Lemberg in demselben Augenblick verlasse, als der neuernannte Cardinal daselbst seinen Einzug halte; denn die Verleihung der Cardinaiswürde an den Erzbischof Sembratowicz gelte als ein Zeichen des hohen Interesses, welches sowol der Papst als auch der Kaiser an dem Aufblühen der ruthenischen Kirche nehmen. Auch müsse raisfällig bemerkt werden, dass die über- grosse Anzahl der Teilnehmer an der Deputation eine ebenso kostspielige als ungehörige Demonstration sei, die sich keineswegs als geeignetes Mittel zur Förderung des angestrebten Zweckes darstelle.“ — Die Audienz währte etwa vier Minuten und schloss mit den Worten: »Also Adieu!« Hierauf verliessen die sechs Delegirten die Hof- burg, um der gesammten Deputation Bericht über die stattgehabte Audienz zu erstatten. Die übrigen Mitglieder der Deputation hatten sich vor der Audienz um 9 Uhr früh im Hotel Rabl ver- sammelt und versuchten partienweise in die Hofburg zur Begleitung ihrer sechs Delegirten zu ziehen. Vor dersel- ben war jedoch auf allen Seiten eine sehr zahlreiche Polizeimannschaft aufgestellt, welche den Eintritt in die Burg verwehrte. Sie kehrten hierauf in das Hotel Rabl zurück und erwarteten den Bericht ihrer Delegation. Als diese erschien, forderte in deren Namen Df. Oku- newskyj zuerst die Versammelten auf, sich beim Anhö- ren des Berichtes vollkommen ruhig und mit Würde zu benehmen; darauf teilte er das Resultat mit. Nach sei- nen Worten trat eine peinliche Stille ein ; vielen Bau- ern standen Tränen in den Augen... Ara Abende desselben Tages fuhren sämmtliche Mitglieder der Deputation in die Heimat zurück. Auf dem Perron des Nordbahnhofes hatte sich wieder die Wiener Ruthenen-Colonie eingefunden. Die Deputations- mitglieder nahmen herzlichen Abschied von ihr und fuhren, reich an Erfahrungen und stark an Mut, unter Slawa- Rüfen ab. Ihr Ziel hat die Deputation jedenfalls erreicht. Die sofortige Beseitigung der in Galizien herrschenden Ubelstände war allerdings, in welcher Weise auch immer die Abhilfe dagegen gesucht worden wäre, unter den bestehenden Verhältnissen nicht zu erwarten. Aber zweierlei ist schon eingetreten. Erstens ist eine grössere Aufmerksamkeit auf die galizischen und speziell auf die ruthenischen Verhältnisse hingelenkt wordeu, und zwei- tens musste auch die grosse Masse der ruthenischen Be- völkerung zu der Überzeugung kommen, dass sie vor allem auf die eigene Tätigkeit und die eigene Kraft sich verlassen müsse, III. Das Memorandum. Das von den sechs Delegirten der ruthenischen Deputation durch den Führer derselben Pater Ozarke- wycz dein Kaiser überreichte Memorandum lautet: Eure kaiserliche und königliche Apostolische Majestät! AUergnädigster Kaiser und. Herr T Die alleruntertänigst Gefertigten, Vertreter ruthe- nischer Organisationen Und politischer Vereine, Abgesandte
16 17 vieler ostgalizischer Kreise und Gemeindewesen und Mit- glieder einer vom ruthenischen Volke abgesandten De- putation, wagen es hieinit in einer sehr traurigen und schmerzhaften Angelegenheit vor Euere Majestät hinzu- treten. Sie tun es einzig und allein in dem hohen Vertrauen zu Euerer Majestät väterlichem und gerechtig- keitsliebendem Herzen, im Vollgefühl der unauslöschlichen Dankbarkeit, welche die ganze ruthenische Nation für Euere Majestät und Deren Erlauchte Dynastie seit mehr als einem Jahrhunderte im Herzen trägt, im Vollgefühl endlich, dass die ruthenische Nation in Galizien der ihr von Euerer Majestät und Deren glorreichen Vorfahren auf dem östeneichischen Thron zu Teil gewordenen Wohltaten niemals auch nur für einen Augenblick ver- gessen hat, dass sie den ihr durch diese Wehltaten auferlegten Pflichten niemals auch nur für einen Augen- blick untreu geworden ist. Unter diesen Wohltaten ist unzweifelhaft als die grösste und segensreichste diejenige zu betrachten, welche unserem Volke eine feste Grundlage jeglicher cultureller und politischer Entwickelung gegeben hat; es ist die Verleihung der constitutionellen Verfassung — eine Tat, welche wie keine andere die hohe Weisheit nnd die heisse Liebe Euerer Majestät zu Ihren Völkern bekun- det. Und so ist es ganz natürlich,, dass auch wir Ruthenen diese constitutionelle Freiheit als ein heiliges Palladium hochhalten und pflegen, da sie ja eine unerschütterliche Grundlage unseres sämmtlichen nationalen Lebens ge- worden ist und uns, Ruthenen Oesterreichs, erlaubt, natio- nal und culturell uns zu entwickeln. Und so ist es denn auch natürlich, dass wir jede Beengung dieser constitutionellen Freiheit, jede Schmä- lerung unserer bürgerlichen, dnrch den Allerhöchsten Willen Euerer Majestät uns gewährleisteten Rechte tiefer, schmerzlicher empfinden, als andere, glücklichere Nationen. Höchst schmerzlich muss es aber für uns sein, wenn wir sehen, dass unsere Freiheit von politischen und autonomen Behörden beengt, dass unsere Rechte von jenen geschmälert werden, welche durch Euerer Ma- jestät Allerhöchsten Willen in erster Reihe berufen sind, Hüter jener Rechte und Pfleger jener Freiheit zu sein. Wir sind uns vollkommen bewusst, dass das oben gesagte einen schweren Vorwurf gegen die galizischen Regierungsorgane in sich fasst, den Vorwurf ungesetz- licher Machinationen, frivolen Misbrauchs der Amts- gewalt — zum Schaden des Ansehens der Regierung, zum Schwinden des Rechtsgefühls und der Rechtssicher- heit der Bevölkerung. Nichtsdestoweniger zwingt uns unser Recbtsbewnsstsein, unsere Anhänglichkeit an die Monarchie und unsere kindliche Liebe und Hingebung an die Person Euerer Majestät, diesen sch wereu Vor Wurf nicht zu verschweigen und durch Tatsachen zu erhärten, wie traurig, wie beschämend und demütigend sie für unser ganzes Land und die darin obwaltenden Zu- stande auch wären. Es sind die letzten, Ende September d. J. durch- } geführten Landtags wählen, und insbesondere die am 25. September stattgehabten Wahlen aus der Gruppe der Landgemeinden, welche Gegenstand unserer unter- tänigsten Klage vor dem Throne Euerer Majestät sind, da sie im ganzen Lande, in östlichen wie auch in westlichen Bezirken, in einer Weise durchgeführt wur- den, dass das Volk in denselben nichts als eine Ver- höhnung der Gesetze und eine Vergewaltigung seiner teuersten bürgerlichen Rechte erblicken konnte. Schon durch die Landtagswahlordnung ist das ruthe- niscbe Volk auf die Dauer zur Minderheit in dem galizischen Landtage verurteilt. Auf 141 Abgeordneten entfallen auf die Gruppe der Landgemeinden Ost-Galiziens, in welchem Landesteile allein die Ruthenen ihre Vertreter wählen könnten, 47 Mandate. Diese mit der Bevölkerung ;zahl und der Steuerziffer in keinem Verhältnisse stehende Zahl der Abgeordneten könnte zum Teile wenigstens den Forderungen und Bedürfnissen des ruthenischen Volkes Ausdruck geben, was sowol im Landes- als auch im Reichsinteresse gewiss nur wünschenswert wäre. In Ga- lizien sind jedoch leider solche Verhältnisse eingetreten, dass sogar diese verhältnismässig unbedeutende Zahl 2
18 19 der Mandate dem ruthenischen Volke entzogen wird, und bei den letzten Landtagswahlen wurden den Ruthenen — einige wenige Bezirke ausgenommen — solche Abgeordne- ten aufgedrungen, gegen welche das ruthenische Volk entschieden protestirte und . protestirt, indem es die- selben als Männer kennt, welche gegen sein Interesse und offenbar zu seinem grossen Schaden handeln. An dieser offenbaren Verkürzung des rütheriischen Volkes aber tragen hauptsächlich Schuld die Regierungsorgane durch zahlreiche Misbräuche ihrer Amtsgewalt und ins- . besondere durch ihre äusserst parteiische Stellung, welche sie gegen, das ruthenische Volk einnahmen. Aus einer ungeheueren Masse von beglaubigten Tatsachen, welche über die letzte galizische Wahlcam- pagne zu unserer Kenntnis gelangt sind, wollen wir nur diejenigen herausgreifen, welche darlegen, dass die Mis- bräuche der Regieruugsorgane nicht etwa zufällig, nicht ausnahmsweise vorkamen, sondern dass- sie systematisch geübt wurden, um das Ergebnis der Wahlen so zu ge- stalten, damit die Ruthenen im Landtage ihrer Vertre- tung gänzlich verlustig werden. Schon vor Schluss der letzten Landtagssession ver- nahmen die Ruthenen aus dem Munde des damaligen Statthalters die Aeusserung, dass er dafür sorgen werde, damit nnr solche Ruthenen in den Landtag kommen, welche seinen persönlichen Ansichten und Wünschen entsprechen, und diese äusserst verfassungswidrige Aeusse- rung war eine vielsagende Ankündigung, dass der freie Wille des ruthenischen Volkes nicht geachtet, vielmehr im Gegenteile die Landtagswahlen nicht blos ohne Rück- sicht auf den Willen sondern sogar gegen den Willen des ruthenischen Volkes werden durchgeführt werden. Diese Ankündigung begann man sogleich nach Schluss der letzten Landtagssession ins Werk zu setzen. So wurden in der Zeit zwischen dem Schluss des vorigen Landtages und der Ausschreibung neuer Wahlen viele Volksversammlungen entweder unter nichtigsten will- kürlichen Vorwänden verboten oder polizeilich aufgehoben, damit sich das Volk in der Wahlangelegenheit nicht verständigen könnte. So wurden nach ausgeschriebenen Wahlen in sehr vielen Ortschaften die Wahllisten nicht öffentlich zur Durchsicht und Richtigstellung aufgelegt. So wurden überall in Ostgalizien die ruthenischen Geist- lichen in den Wahllisten nicht zu Anfang, wie es bisher geschah, sondern zu Ende aufgeschrieben, damit sie bei den Urwahlen nicht „böses Beispiel“ geben Doch die meisten Misbräuche der Amtsgewalt seitens der Regierungsorgane fanden bei den Urwahlen statt. Schon bei den Wahlen der Wahlmänner wurden so viele und derartige Misbräuche begangen, dass schon nach Beendigung der Wählmänner wählen die Vergewal- tigung des Volkswillens bei der Wahl der Landtagsab- geordneten gesichert erschien. Die Misbräuche waren sehr mannigfaltig, und auf diesem Gebiete zeichneten sich die Regierungscommissäre durch nie dagewesene Erfindungskraft aus. Vor allem wurde in vielen Bezirken die Finte in Anwendung gebracht, dass weder der Ort noch die Zeit der Vornahme der Wahlmännerwahl den Urwählern be- kannt gemacht wurde, so dass den Urwählern nicht ein- mal die Beteiligung an den Urwahlen möglich war. Dies geschah z. B. im Zoloczower und beinahe im ganzen Zow- kiewer Bezirke, ferner in manchen Gemeinden des Be- zirkes Lisko, wie Jasen und Strilyska-doliszni, des Be- zirkes Rohatyn, wie z. B. in Stratyn, des Bezirkes Czertkiw, wie z. B. in Bila, Kossiw, Romasziwka, Sko- rodyuci, des Bezirkes Sianik, wie z. B. in Wowkowyja, des Bezirkes Stare-Misto, wie z. B. in Towarnia u. a.— Und wenn die Urwähler in diesen Bezirken bei Tag und Nacht in Bereitschaft die Wahlcommissäre erwarteten, so trachteten die Commissäre unbemerkt ins Dorf sich einzuschleichen; auf Seitenwegen gelangten dieselben zu den Edelhöfen und führten dort die Urwahlen ohne Beteiligung der Gemeinden durch. So geschah dies in Turynka Bezirk Äowkiw, wo der Wahlcommissär auf Seitenwegen zu Fuss in den Edelhof unbemerkt gelangte und dort heimlich die Urwahlen durchführte, und ebenso verfuhren die Wahlcommissäre in den Gemeinden Arta-
20 siw, Nahirci, Zwertiw, Kunin, Macoszyn, Krechiw, Bly- szczywody des Zowkiewer Bezirkes. In vielen Orten wurden die Urwahlen zu einer von der angekündigten ganz verschiedenen Zeit durchgeführt. So wurden die Ur wählen, welche auf eine gewisse Zeit festgesetzt waren, in einem anderen Zeitpunkte unversehens vorgenommen in .vielen Ortschaften des Borszczower Be- zirkes, wie z. B. in Laniwci und Iwankiw, in vielen Ort- schaften des Bezirkes Stare-Misto, wie z, B. in Holowecko, Haliwka und Koniw, in Jawora und Hnsne-wyäne Bez. Turka; in letzterer Ortschaft wurde der Ortsvorstand, welcher gegen die Illegalität der Urwahl protestirte, von dem Gendarmen mit Bajonnetstichen bedroht. So wurden weiter die Urwahlen, welche an einem bestimmten Orte stattfinden sollten, unversehens an einem anderen Orte vorgenoimnen, wie z. B. in Bojanec, Dwirci Bez. Zowkiw, in Rakowa Bez. Sianik, in Wyszenka Bez. Horodok, Borynia Bez. Turka und vielen anderen. Der Zweck dieser Verfügungen war offenbar, die Urwahlen ohne Uhrwähler vorznnehraen und mit minimaler Stim- menzahl- die der Regierung genehmen Wähler durch- zuführen. In vielen Ortschaften wurden wahlberechtigte Bür- ger für den Tag der Urwahl zur Bezirkshaupt- mannschaft oder zu anderen Behörden vorgeladen, so z. B. aus vielen Dörfern des Bez. Czortkiw, aus Zabo- lotiwci Bez. Zydacziw. aus Jezupil Bez. Stanislau, aus Mosty-welyki Bez. Zowkiw n. s. w. Es wurden ferner Urwähler am Tage der Urwahl unter nichtigen Vorwänden verhaftet: in Ulaszkiwci Bez. Czortkiw (7 Personen).- in Äetdec Bez. Zowkiw (2 Per- sonen), in Olszanycia (Bez. Zolocziw) der Urwähler Semko Borucb, welcher trotz eines seine Freilassung verfügen- den Telegramms des damaligen Ministers Grafen Kiel- mannsegg in Haft behalten wurde. Die versammelten Urwähler wurden dutch irre- führende, listige Vorspiegelungen der Commis: äre zum> Wahlacte nicht zugelassen: in Mohylany Bez. Zowkiw, wo der Commissär wegen vorgeblicher Zahnschmerzen den
21 Wahlact unterbrach und das Dorf verliess; in Iwaniwci Bez. Zydacziw, wo der Commissär, nachdem zwei Ur- wähler ihre Stimmen abgegeben hatten, den Wahlact ganz ohne Grund unterbrach und wegfuhr; in Stynawa- nyzna Bez. Stryj, wo der Cominissär die versammelten Urwähler bat. sich für einen Augenblick aus dem Wahl- local zu entfernen, bis er die Wahlliste durchgesehen haben werde, und gleich nach ihrer Entfernung von 3 noch anwesenden confidenten Urwählern 5 Wähler wählen liess; in Lypie Bez. Turka, wo die Urwähler auf den Orts- geistlichen stimmten, der Commissär aber diese Wahl ganz grundlos sistirte und insgeheim vorn Ortsrichter und dem Schankwirte den ersteren zum Wähler wählen liess. In vielen Ortschaften wurden die Urwähler vor und. in dem Wahllocale durch Steuerinspectoren, Executoren und Gendarmen terrorisirt, z. B. in den Bez. Stryj, Zy- dacziw. In Duliby und Lubinci Bez. Str-yj drohte der Commissär alles Bauerngut für Steuerrückstände in Sequestration zu nehmen, wenn die Urwähler nicht nach seinem Willen stimmen werden. In Rozhircze schrie der- selbe Commissär und der Steuerexecutor: Wir werden euch bis an die Haut abschinden. In Jasen Bez. Turka schlug der Commissär den Ortsvorstand im Wahllocale. In Rosocbacz Bez. Turka drohte der Commissär jedem mit einer Strafe, wer für den Geistlichen stimmen werde.' In Suchyj-Potik erklärte der Commissär rundweg, er werde die auf einen Bauer abgegebenen Stimmen t nicht einmal verzeichnen, denn der Jude müsse zum Wahlmann gewählt werden, so wäre es ihm befohlen. Einzelne Urwähler wurden mit Gewalt (durch Gen- darmen) zur Abstimmung nicht zugelassen: in Zbqriw, Pomorjany Bez. Zolocziw, in Peyedryidichy Bez. Zow- kiw, in Krasna Bez. Kalusz, in Zylince, Skala, Cyhany Bez. Borszcziw, in Zawozie Bez. Sianik, in Bibrka, in Ho- rodenka. In Bibrka, einer Bezirksstadt, warteten mehrere Hunderte Urwähler vor der Gemeindekanzlei, während drinnen verschlossen der Bezirksbauptmann mit 9 Ur- wählern 10 Wahlmänner wählen liess. lu Horodenka
22 durch ei^AuTlnng UhfanVa^ die Urwä}>!er an, weiche von Bevollmächtigen C<™ssär Stimmen Czechy Bez. Brody, in rvi,gt ab8egeben wurden. fn der Commissär Abstimmung Sd’ Borszcziw fälschte andert”S,iebigen Candidaten failenden“ einen anderen zugutschrieb. Ebenso . 17 o Stimmen einem nyhw, Kalusz, Moszkiwci T * der Gom,nissär in Woj- Mychnowec ßk TurU Bez« Ka^z- h> auf den Ortsvorstand 6 Stimmend d!‘aGeist,ichen >3, letzterer vom Commissär alT^-nTT® aber ™e wyry Bez. Zoiocziw gip" es eben i e^’ärt In Ser- Bez. Äowkiw fehlte gdem OrtswX°‘ T ^llka-kunynska MehrheIt, und der Commissär LTT T" StilDme Zur In ^ydacziw entzog der Bezirkt ’T S® bst eine hirlzu- Stimme dem ruthenischen XÄP “TGaIecki eine die Mehrheit für sich hattZ u'?e\ Tcher factisch Gegner hinzu. e> Und gab dieselbe seinem Ruthenengepr0St°esthee Sbe^ dlcTT T Seiten der unseren Protesten wn’rde VT keinem v°« Gegenteil, wo die Ruthenen trotz »iTttgf;geberl- Im Ulegahtäten in der Mehrheit Xw- h °ben geSChiIderten unter deu nichtigsten Vorwn gblb7’ waren, wurden von denen viele ohne miXro r PTt6Ste erboben, tigung fanden, - und ”Tte Grundlage Berücksich- mishebigen Urwahlen schoni voJd wurden die selbst bei Abgang eines Pmt * T Bez,rksbauptleuten uullirt und nene Urwahlen °hnG aIleD Grund An- kündigung, durchgeführt So LTJ °hnG vorben'ge An- zupil nnd Hanusiwci Bez f! T? GsKniby™, Je- Turka, in Kawsko BUßStryFTiSiS’i-n ^°rynia ’Bez- Im Bez. Rohatyn wurden nTmeh Rrechiw Bez. ^owkiw. vie7enhanndearenU1Krt’ ira Bez- ^lyS^unä ’*• t „Ä:. 23 bezirken, in denen trotz der Misbräuche bei den Urwahlen die Möglichkeit der Wahl eines Abgeordneten im Sinne des Volkswillens nicht ausgeschlossen war, nach den Wahlmännerwahlen der Terrorismus im höheren Masse zur Anwendung, welcher bei dem Wahlacte selbst zum Cuhninationspuncte gelangte. Wie einige Regierungsorgane die Freiheit der Wahl auffassten, beweisen beispielsweise, folgende Tatsachen. Der k. k. Bezirkshauptmann in Zowkiw äusserte vor den versammelten Gemeindevorstehern seines Bezirkes: „Wenn ihr bei den Wahlen nicht nach meinem Willen vorgehen werdet, so werde ich euch pressen, wie Oel gepresst wird.“ Der k. k. Bezirkshauptmann in Horodok äusserte der ruthenischen Geistlichkeit seines Bezirkes gegenüber: „Eure Mühe ist vergeblich, denn die Wahl des Regierungscandidaten ist gesichert.“ Der k. k. Be- zirkshauptmann in Stryj kündigte dem ruthenischen Can- didaten offen an, er werde gegen dessen Wahl allo möglichen ihm zur Verfügung stehenden Repressalien in Anwendung bringen. Mit Rücksicht auf eine solche Stimmung der Re- gierungsprgane ist es begreiflich, dass an vielen Orten den Wahlen der Landtagsabgeordneten himmelschreiende Verletzungen der Staatsgrundgesetze, insbesondere des Hausrechtes und der persönlichen Freiheit, vorangiengen. Der Bezirkshauptmann von Zydacziw erliess eine Kundmachung, wodurch jedermann, mit Ausnahme der Wähler, verboten wurde, am 25. September d. i. am Wahltage in Zydacziw zu erscheinen. Vor den Wahlen wurden viele Wahlmänner grund- los verhaftet; z. B. in Brody Wasyl Czemiak, Anton Czerniak und noch einige Wahlmänner, welche öffentlich bis aufs Blut geschlagen, dann verhaftet und erst am Tage nach der Wähl freigelassen wurden; in Stryj der Wähler Andrufi Bernyk, welcher unter einer falschen Anklage 23 Tsge in Haft behalten wurde. Vielen Wählern wurden die Legitimation s-. karten nicht zugestellt, wie z. B. den Wählern’ von Pyiypcze Bez. Borszcziw, Pokrnpywna Bez. Terno-
pil, Rudnyky Bez. Zydacziw. Einem Wähler im Bez. Zy- dacziw wurde statt der Legitimationskarte ein Viehpass eingehändigt. Wie schon oben erwähnt, waren dort, wo nach dem Ergebnisse der Urwahlen die Wahl des Regierungscandi- daten nicht gesichert war, die Landtagswahlen von der- artigen Misbräuchen und Gewaltmassregeln begleitet, welche sicherlich ein abschreckendes Unicuin in dem con- stitutionellen Leben Oesterreichs bilden werden. Zu den in dieser Weise durchgeführten Wahlen gehören insbe- sondere jene in Turka, Kalusz, Stryj, Stanisiawiw und Zydacziw. Die Wahl der Wahlcommission und die Abstimmung selbst geschah unter teil- weisem Ausschluss derOeffentlichkeit, indem die Wähler in zwei Gruppen geteilt und in Separat- c zimmern so untergebracht wurden, dass sie sich gar nicht verständigen konnten; das geschah in Zydacziw, Kalusz, Turka, Stanisiawiw. In einigen Wahlbezirken wurde zur Wahl der Wahl- commission nur derjenige Teil der Wahlmänner zuge- lassen, weicher für den Regierungscandidaten gesichert war. In Stryj wurde dieser Teil der Wahlmänner heim- lich durch eine. Hintertüre eine Stunde vor der zur Vor- nahme der Wahl festgesetzten Zeit in das Wahllocal hineingelassen, während die dem ruthenischen Candida- ten zugetanen Wahlmänner vor der versperrten Haupt- eingangstür warteten, umringt von einem Haufen Agita- toren für den Regierungscandidateu, und von demselben vor den Augen der k. k. Beamten und Gendarmen mit äusserst beleidigenden Worten belegt, welche insbesondere auch gegen die Geistlichkeit gerichtet waren, was unter dem Volke grosses Aergernis erregte. In Brody wurden die dem oppositionellen Candidaten zugetanen Wahl- männer erst nach Vollzug der Wahicommission durch die für den Regierungscandidaten gewonnenen und früher hineingelassenen Wahlmänner in das Wahllocal binein- gebracht. Fast in allen Bezirken wurde in das Wahllocal eine grosse Zahl von Agitatoren für den Regierungscan- didaten hineingelassen, denen volle Freiheit gewährt war, die dem ruthenischen Candidaten zugetanen Wahlmänner wörtlich und sogar tätlich zu beleidigen und ihnen die Legitimationskarteu zu entreissen, so dass der Wahlact eigentlich in eine Hetzjagd gegen die ruthenischen Wahl- männer verwandelt wurde, welche verunglimpft, abge- prügelt, verletzt, hie und da sogar beraubt das Wahl- local verliessen. So z. B. in Zydacziw haben die Agi- tatoren im Wahllocale die ruthenischen Wahlmänner niedergeworfen, bis aufs Blut geprügelt, ihnen die Legi- timationskarten und einigen, wie z. B. dem Wasyl Ko- stiw aus Rozwadiw und N. Gre&ko aus Demnia, Geld aus der Tasche entrissen, und all’ dies taten sie unge- stört vor dem Angesichte der Regiernngsorgane. In Sniatyn inishandelten im Wahllocale der als Bezirksleiter fungirende k. k. Bezirkscommissär Zulauf und der k.k. Bezirkssecretär Wagner die Wahlmänner Kej- wan und Iwaniszczuk derart, dass sie vor Gericht zur Verantwortung gezogen wurden und der Bezirkssecretär hiefür zum eintägigen Arreste verurteilt, der unmittelbar nach den Wahlen zum k. k. Statthaltereisecretär beför- derte Bezirksleiter aber nur unter Angabe des Grundes freigesprochen wurde, dass ihm die böse Absicht fehlte. Gesetzwidrige Abstimmungen durch Bevollmächtigte zu Gunsten des Regierungscandi- daten wurden zugelassen in Kalusz, Zowkiw und an- derwärts. Manche Wähler wurden von der Wahlcom- mission zur Abstimmung nicht zu gelassen, weil dieselben Namensvettern im Dorfe hatten (so ge- schah es z. B. in Kalusz). Stimmen wurden annullier, natürlich solche, welche auf ruthenische Candidaten abgegeben waren, schon bei der geringsten Uncorrectheit in der Aussprache des Namens: dagegen wurden weit grössere Uncorrect- heiten mit Nachsicht behandelt, wenn die Stimme auf den Regierungscandidaten fiel. In Kalusz, Stanisiawiw
26 27 1. zur Feststellung der gesetzwidrigen Vor- gänge uud Vergewaltigungen von Seite der k. k. Behörden und Regierungsorgane bei Vorbereitung: und Durchführung der heurigen Landtagswahlen aus der Gruppe der Landgemeinden in Galizien die Abordnung eines vorurteilsfreien mit ausgedehnten Vollmachten ausgestatteten Commissärs verfügen; 2. nach Feststellung dieser Gesetzwidrigkeiten und Vergewaltigungen den galizischen Landtag als einen in der Classe der Landgemeinden ungesetz- lich gewählten auflösen; 3. für die Zukunft ein gesetzmässiges und unparteiisches Vorgehen der k. k. Behörden und Regierungsorgäne bei aller Wahlen anbefehlen zu wollen. (Folgen die Unterschriften der 6 Delegirten.) die Gefertigten alleruntertänigst wurden auch solche Stimmen dem Regierungscandidaten Demzufolge y*a.®eU.jc|ie und königliche Apostolische gut geschrieben, wo der Wähler ganz schwieg und nur^u bitten, Euere k saigsf unberufene Agitatoren den Namen des Regierungscandi-lMajestät geruhen allergn g • dateu ausriefen. Als endlich in Zydacziw trotz aller oben angeführ- ten Misbräuche die Wahl des ruthenischen Caiididaten auf keine andere Weise verhindert werden konnte, liess der k. k. Bezirkshauptmann im Wahllocale 16 Wahlmänner und darunter ein Mitglied der Wahlcommission, welche trotz aller möglichen Agitationsmittel dem ruthenischen Candidaten nicht abwendig gemacht werden konnten, vor Abgabe ihrer Stimmen verhaften, und einzig und allein nur auf diese Weise gelang es ihm, den Wahlsieg des Regierungscandidaten zu ermöglichen. Diese und ähnliche Tatsachen sind geeignet, nicht nur die Autorität der Behörden zu untergraben und das Vertrauen der Bevölkerung zu denselben sehr bedeutend zu schwächen, sondern auch den intelligenteren und sich seiner Rechte bewussten Teil der Bevölkerung zur Ver- zweiflung zu treiben, da er sich ja trotz Constitution, Wahlordnung und sonstiger Gesetzesvorschriften der Willkür der Behörden überlassen sieht, und infolge dessen nur die Härte, nicht aber den Schutz der Gesetze empfindet. Das Auswanderungsfieber, welches gerade nach den letzten Landtagswahlen in Ostgalizien sich noch zu steigern begann, ist nur als ein Symptom dieser totalen . Verzweiflung an einen Rechtsschutz, an eine Möglichkeit normaler Entwickelnng in Galizien begreiflich. In solcher Not und tiefer Bedrängnis wendet, das ru - thenische Volk, wie es seit jeher gewohnt ist, seine Augen und sein Herz Euerer Majestät zu. Im Augenblicke,wo es in seinen heiligsten Gefühlen verletzt ist, wo leichtfertige Hände zu Parteizw’ecken es gewagt haben, an seinen höchsten bür- gerlichen Rechten frevelhaft zn rütteln, erhofft es von der Höhe des Thrones die Herstellung des gesetzlichen Zustandes, welche Herstellung es zugleich als die grösste Genugtuung für seine Leiden und erlittenen Unbilden betrachten wird. IV. Bittgedicht an den Kaiser. Ein • Ruthene, welcher an. der Deputation nicht teilnehmen konnte, hat dem Deputationscomite folgendes Gedicht eingesandt, welches wir hier gewissermassen als Beilage zum Memorandum mitteilen. Allerhöchster Monarch I unser allgiltigster Landesvaterl In schwerer Not, in bittrer Lage, Nun treten wir an ~ Um darzulegen Dir Der hartbedrückten Des Volkes, das in Des „Aufruhrs und Gieng freudig für die Kron zu streiten, Hieng an dem Throne treu. Deinen Thron, die Klage Nation — trüben Zeiten der Meuterei“
28 Wer kennt nicht Opfer, die wir brachten? Wer kennet nicht den kühnen Mut. Mit dem wir in so manchen Schlachten Vergossen unser Blnt? Nicht wichen wir vor Bajonetten, Nicht dachten wir an einen Lohn, Wenn es nur galt, das Reich zu retten, Zn kämpfen für den Thrön. — Die Zeit verrann nnd bracht’ indessen So manche Aend’rung in die Weit; So manches wurde bald vergessen, So manches ganz verstellt. So nun: der ferne stand vom Throne, Der an des „Anfruhrs“ Seite stand, Der ist jetzt unser Hegemone, Drückt uns mit fester Hand. Noch mehr, der stolze Hegemone In seinem kühnen Frevelmut Verleumdet nns vor Deinem Throne, Entzieht uns Deiner Hut; Und will uns schlagen in die Bande, Bedrücken mit dem harten Joch, In dem bisnun im Nachbarlande Sein Bruder stöhnet noch. Er dränget auf sich zum Vertreter Der selbstbewussten Nation, Und fördert unsere Verräter, Und lacht uns bitt’ren H°hn- Wir sehen zu dem bösen Spiele, Wie man nns trieget, drückt und hetzt, Wie nns’re heiligsten Gefühle Der „Stärkere“ verletzt! Schon allzu arg ist nns’re Lage! Wir sind, o Vater, hart bedrückt! Uud harren nur von Tag zu Tage, Wann Gott nns Hilfe schickt.
2(J Wir sind in Wünschen sehr bescheiden, Doch wird zu lang das Harren schon; Drum treten wir mit unsern Leiden Vor Deinen Hohen Thron. Erhör’ uns, die um Hilfe rufen, Vor Dir in tiefster Demut steh’n Und jetzt an Deines Thrones Stufen Um Schutz und Obhut fleh’n. Erbarm’ Dich unser und gewähre Auch nns, was billig nnd gerecht! Beschütz’ nns, Vater, und verwehre, Zu schmälern unser Recht! Lass uns allein „Vertreter“ wählen, Nach unsrem Wunsche recht und frei, Die nicht zu unsern Gegnern zählen, Zum Tross und Sclaverei; Lass Recht zu iiben uns nicht hindern, Das alle Völker üben frei! O hilf uns, Vater, hilf den Kindern, Die stets Dir waren treu! Wir sind, wie wir es immer waren, Bereit zu allen Opfern gleich, Bereit, in jeglichen Gefahren Zn schützen Kron’ und Reich. Wir opfern gern für sein Gedeihen All unser Gilt und unser Blut... Doch, Vater, lass uns Recht verleihen! Nimm uns in Deine Hut! Die treu ergebensten Ruthenen.
30 31 Reden und I f dent ’n e’ner Öffentlichen Versammlung zur Sprache ge- j n I- • , n‘erPe*’a^°nen im Reichsrate in Rof» # bracht hat. Ich meine da vor allem die heurigen Land- gaiizischen Landtagswahlen vom Jahre irck * tagswahleu in Galizien. Ich kann selbstverständlich jetzt der ruthenischen Massendenut f e un«'ins Detail nicht eingehen ; ich glaube, dass mir Gelegeu- P tation. Beit geboten werden wird, das Nähere über dieselben in (Nach den stenographischen Protocollen.) I. Aus der Rede des Abgeordneten Romanczuk am 28. October 1895. Seine Excellenz der Herr Ministerpräsident hat als oberstes Princip der Wirksamkeit der Regierung, als urverrückbare Richtschnur seines Tuns und Lassens die Gerechtigkeit hingestellt. Ein schönes Wort und ein viel umfassendes Wort, und ich kann sagen, wenn die Regie- rung ihr ganzes Programm in dieses eine Wort zusam- mengefasst hätte, so könnte jede auf »ethischer Grund- lage gebildete und ideale Ziele, wenn auch mit prak- tischer Unterlage anstrebende Partei“ mit diesem Pro- gramme zufrieden sein. Dieses Wort ist auch ein kühnes, zwar nicht kühn an und für sich, aber kühn im Munde des gegenwärtigen Herrn Ministerpräsidenten. Denn mag derselbe auch noch so viele vorzügliche Eigenschaften be- sitzen, die Gerechtigkeit ist eine Tugend, welche er in seiner bisherigen politischen Wirksamkeit am wenigsten bethätigt haben dürfte. Ich will nicht auf ältere Thatsa- chen zurückgreifen, ich will nicht davon sprechen, wie derselbe noch als Bezirkshauptmann in Zowkiw die na- tionale Gerechtigkeit gegenüber den Ruthenen, wie er später als Delegirter der Statthalterei in Krakau die sociale Gerechtigkeit gegenüber den polnischen Bauern und die politische Gerechtigkeit gegenüber den polnischen Demokraten ausgeübt hat; ich will nur einige Thatsachen aus der letzten Zeit vorbringen, aus der Zeit, welche den Schluss der Statthalterschft und die Einleitung zur Mi- nisterschaft des Grafen Badeni bildet. Und zwar muss ich umsomehr darauf eingehen, als einen Theil dieser Angelegenheiten Seine Excellenz schon als Ministerpräsi- heit geboten werden wird, das Nähere über dieselben m einer anderen Form dem hohen Hause und der öffentli- chen Meinung zur Kenntnis zu bringen. Ich muss aber doch Einiges jetzt zur Sprache bringen, einige wenige Beispiele, welche als Typen gelten mögen, wie die h u- rigen Landtagswahlen durchgeführt worden sind. Bekanntlich besteht eine Landtags • oder Reichs- rathswahl in den Landbezirken aus zwei Theilen. Der erste Theil, das ist die Urwahlen, ist der wichtigere, weil die eigentlichen Wahlen in der That nur das Ergeb- nis der Urwahlen bilden.—Wie wurden nun diese Wahlen in Galizien durchgeführt? Erstes Bild: Bezirksstadt Bibrka. Die Urwahlen sol- len beginnen. 300 bis 400 "Wähler drängen sich vor das Wahllocal. Ein Gendarm steht vor der Thüre und lässt sie nicht hinein. Der — nebenbei bemerkt — gesetzwi- drig gewählte Bürgermeister tritt hervor, beruhigt die Wähler und sagt ihnen, sie sollen sich nicht drängen, sie werden doch zur Wahl kommen. Sie warten. Endlich wird es Einem zu lang, es gelingt ihm. io das Innere des Wahllocales zu gelangen; er findet dort die Wahl- commission, bittet, seine Stimme anzunehmen, und erfährt, dass die Wahlen ja schon beendigt sind. (Hört!) In der That haben sich sieben Wähler durch eine andere Thür, durch eine Hinterthür in dem Wahllocale einge- funden, und diese sieben Wähler, sämmtlich Vertrauens- männer der Regierung, haben zehn Wahlmäuner gewählt, während die übrigen Hunderte vor dem Hauseiugange standen. • Ein zweites Bild: Bezirksstadt Horodenka. Späte Nacht. Die Urwahlen werden durchgeführt, die Abstim- mung findet eben statt. Momentan steht die Sache für die Regierung günstig, da jene Elemente, welche ihre Stimme immer für die Regierung abgeben, namentlich die Juden, sich vorgedrängt hatten. Aber es warten noch
32 33 mehr als hundert Urwähler im Vorhof ond wollen einge- lassen werden und abstimmen. Der Regierungscoramissär möchte aber schon jetzt die Wahlen schliessen. Was ge- schieht? Man hört auf einmal Pferdegetrappel, es er- scheint eine Abtheilung Cavallerie im Hofe und jagt die Urwähler auseinander. (Lebhafte Rufe: Hört! Hört!) Die Wahlen sind zu Ende. (Abgeordneter Ritter v. Wie- lowieyski: Das ist nicht wahr!) Bitte, Sie können das ja berichtigei Ein drittes Bild: In Ulaszkiwci sollen Urwahlen vorgenommeu werden. Die Regierung besorgt aber, dass die Mehrzahl der Urwähler solche Wahlmänner wählen wird, welche ihr nicht genehm sind. Wie soll nun dem abgeholfen werden ? Eine Anzahl von Urwählern wird verhaftet und in die Bezirksstadt abgeführt, inzwischen werden die Urwahlen vorgenommen und die Verhafteten tags darauf entlassen, nachdem die Urwahlen beendet sind. (Hört! Hört!) Ein vierter Fall: Im Bezirk Zydacziw hat sich herausgestellt, dass der der Regierung missliebige Can- didat die Mehrzahl der Stimmen auf sich vereinigen wird. Was geschieht? Plötzlich in einer Nacht werden die Urwahlen in 17 Bezirken ohne allen Grund cassirt, ohne dass überall ein Protest gegen dieselben eingebracht worden wäre. Die Urwahlen werden anfs neue, zum grössten Theile mit gesetzwidrigen Mitteln dürchgeführt, und ein Tbeil wenigstens fällt günstig für die Regierung ans. Das sind nur einige wenige nicht Beispiele — denn solche würde ich ins unendliche anfübren können — sondern Typen. Was geschieht ferner in der Zeit zwischen den Urwahlen und den eigentlichen Wahlen ? Natürlich wer- den alle Mittel in Bewegung gesetzt, um die Regierungs- candidaten dnrchzubringen. Da ist erstens die Bestechung. Der Wahlfond wird aus folgenden Mitteln gebildet: Erstens müssen natürlich die Candidaten das Geld dazu hergeben; nun das ist selbstverständlich. (Abgeordneter Dr. Kronawetter: 0 nein, in einem ordentlichen Staat ist das nicht selbstverständlich!) Bei uns ist das selbst- verständlich. (Heiterkeit.) Zweitens wurde ein Zuschlag zur Grundsteuer für die Grossgrundbesitzer ausgeschrie- ben. Sonderbar nur, woher das polnische Wahlcoraite welches diese Zuschläge ausgeschrieben hat, erfahren konn- te, wie viel jeder an wirklicher Steuer entrichtet. Drittens musste auch der Dispositionsfond herhalten, um in eini- gen Bezirken, wo die übrigen Summen nicht ausreichten, die zur Bestreitung der Wahlkosten nöthigen Gelder aufz'ibringen. (Abgeordneter Dr. Ritter v. Wielowieyski; Räubergeschichten !) Traurig, dass in Galizien solche Räubergeschichten die Wahrheit sind; auderswo wären sie wirklich nur Räubergeschichten.—Weiters fanden Arretirungen,Verhaf- tungen statt, zum Beispiel im Stryjer Bezirke wird ein angesehener Wähler, welcher ein grosses Ansehen genoss, dem gewiss auch viele andere Wähler gefolgt wären, plötzlich verhaftet und erst einige Zeit nach der Wahl frei gelassen. Sonstiger Terrorismus: zum Beispiel in ebendem- selben Stryjer Bezirk erscheint unvermuthet in einem Dorfe eine Steuerexecution, sie nimmt den Leuten alle ihre bewegliche Habe und allsbgleich, ohne dass dies im voraus knndgemacht worden wäre, wird die gepfändete Habe an Juden, welche mitgereist waren, verkauft und die Leute um ihr Hab und Gut gebracht; das sollte eben auch zur Terrorisirung beitragen. Nun aber kommt die eigentliche Wahl, und da will ich Ihnen nur ein Bild vorführen. Es geschieht in der Stadt Zydacziw. Trotz aller vorhergegangenen Massregeln hat noch immer der oppo- sitionelle Candidat das üebergewicht. Wie soll nun da Rath geschafft werden ? Erstens wird eine bedentende Zahl Gendarmerie aus dem ganzen Bezirk und den umliegenden Bezirken herangezogen, als wenn in dem kleinen Städtchen wirk- lich ein Aufstand oder eine Revolution auszubrechen drohte. Es sollen dort über hundert Gendarmen , gewesen sein (Widerspruch), mehr Gendarmen beinahe als Wähler. Die Wähler mussten in das Wahlloeal förmlich durch eine Gasse von Gendarmen hindurchdringen. Aber das 3
34 35 Anbringeii einer so grossen bewaffneten Schutzmacht hat es gar nicht gehindert, dass ruthenische Wähler von be- zahlten Individuen, vnn einem Gesindel der niedrigsten Gattung öffentlich inSultirt wurden. Das Wahllocal war aber so eingerichtet, dass die Wähler in zwei Zimmer vertheilt waren, welche miteinander in keinem Zusam- menhänge standen. Das eine Zimmer war für die Intelli- genz, das andere für die Bauern bestimmt. Die Wähler durften von einem Zimmer ins andere nicht kommen, aber eine Rotte von Nichtwählern, von jenem schlimmen Gesindel, hatte freien Zutritt in das Wahllocal, in das Zimmer, in welchem die Stimmen ab- gegeben wurden, und in dasjenige, wo die Bauern waren. Noch vor dem Beginne der Wahl wird ein Wähler, den man in die Wahlcomission wählen wollte, arretirt. Während der Abstimmung selbst aber kommt die Rotte der Agitatoren in das Zimmer, in welchem die bäueri- schen Wähler versammelt waren, provocirt und insultirt dieselben und erregt einen Lärm. Infolge dieses Lärmes wurden jedoch nicht die Agi- tatoren, sondern die ruhigen Wähler einer nach dem andern verhaftet, so dass 16 Verhaftungen an diesem Tage stattfanden. Nachdem nun dies geschehen, war die Mehrzahl der Stimmen schon für den Regieraugscan - didaten gesichert, denn die Wähler waren natürlich ver- haftet worden, bevor sie ihre Stimmen abgegeben batten, und der Regiernngscandidat ist auf diese Weise durch- gedrungen, {Gelächter. — Abgeordneter Dr. Bitter v.. Kraus: Bitte zu widersprechen, meine Herren 1 So etwas sollte unmöglich sein!) Allerdings sollte so etwas unmöglich sein ; bei uns ist es leider möglich. Und ich weiss nicht, wie Seine Excellenz der Herr Ministerpräsident den Muth gefunden hat, am 1. October d. J. in einer Wählerversamtnlung des Grossgrundbesitzes in Krakau zu behaupten, dass „alle Gerüchte über syste- matische Illegalität erfunden sind“, dass diese Wahlen „ohne Beschränkung stattfauden" und dass „das Vorgehen überall ein vollkommen legales war“. Es werden selbstver- ständlich Proteste gegen solche Wahlen eingebraebt wer- den, leider aber, nach den bisherigen Erfahrungen zu schliessen, dürfte man von diesen Protesten keinen, beson- deren Erfolg erwarten, zumal eine solche Autorität wie der Herr Ministerpräsident sich auf diese Weise über die Legalität der Wahlen ausgesprochen hat. Jenes Zeugnis des Herrn Ministerpräsidenten hat auch eine weitere Folge auf die Pressverhältnisse gehabt. Als nämlich ein Blatt in Lemberg mebreremale deshalb confiscirt worden, war, weil es Berichte über die Art der Durchführung der Wahlen brachte, und der betreffende Redacteur bei dem Staatsanwalte erschien und ihn um den Grund dieser wiederholten Confiscationen befragte, erhielt er zur Antwort: Ja, früher haben wir nicht con- fiscirt, weil wir glaubten, dass an dem Vorgebrachten etwas Wahres sein könne: jetzt aber, nachdem der Herr Ministerpräsident erklärt hat, dass alles dies unrichtig sei und dass die Wahlen ganz gesetzmässig durchgeführt worden sind, müssen wir natürlich seine Behauptung als wahr ansehen und alles Gegenteilige confisciren. Übrigens warum bat man denn das Blatt „Die Zeit“, welches über diese Wahlen einen Artikel gebracht hat, confiscirt und nicht zugleich das subjective Ver- fahren eingeleitet? Da wäre doch Gelegenheit gewesen, das Unrichtige dieser Berichte zu constatiren... Es ist na- türlich, dass infolge solcher Wahlvorgänge in dem gan- zen Lande Galizien • unter dem Volke die grösste Erbit- terung eingetreten ist, dass sogar in einer Wählerver- sammlung der galizischen Hauptstadt Lemberg die Wählerschaft sich scharf gegen solche Vorgänge ausge- sprochen hat. — II. Interpellation des Abgeordneten Eomanczuk vom 8. November 1895. Die Bewohner von Galizien sind seit Jahren ge- wöhnt, bei den Landtags- und Reichsrathswahlen seitens der dortigen k. k. Behörden und Regierungsorgane nicht ein unparteiisches Walten, nicht die Sorge für eine allseitige Beobachtung der Gesetze, sondern eine
36 37 parteiische Einflussnahme zn finden. Und zwar wird dieser Einfluss zu Gunsten des Starken gegen den Schwachen, des Bedrückenden gegen den Bedrückten, der herrschenden Polenpartei gegen das von materieller Noth gedrückte und vielfach abhängige Volk, namentlich das ruthenische, aber auch das polnische, ausgeübt. Schon die ungerechte und veraltete Wahlordnung schränkt die Zahl der ruthenichen Abgeordneten ungebürlich ein, durch die Art der Durchführung der Wahlen wird aber dieselbe noch sehr erheblich vermindert. So waren die galizischen Ruthenen auch heuer auf ein parteiisches Vorgehen der k k. Behörden und Regierungsorgane im vornhinein gefasst. Diese Parlei- nahme zeigte sieh noch vor den Wahlen dadurch, dass die k. k. Steuerämter, gleichwie in früheren Jahren, den polnischen Centralwahlconiites die Ausweise der Grundsteuer des Grossgrundbesitzes lieferten, zu dem Zwecke, damit dieselben einen Zuschlag zur Grund- steuer behufs Bildung eines Wahlfonds ausschreiben. Aber der diesmalige Verlauf der Wahlen hat selbst die schlimmsten Erwartungen übertroffen und die galizische, damit aber auch die österreichisch» Verwaltung vor ganz Europa blossgestellt. Die ganze Wahlaction vom Beginn der Urwahlen bis zur Proclamirung der gewählten Abge- ordneten war eine ununterbrochene Kette vpn Missbrau- chen. Gesetzwidrigkeiten nnd Gewalttätigkeiten, durch welche die Freiheit der Wahlen völlig vernichtet worden ist. Auf diese Weise ist es freilich gelungen, die Zahl der ruthenischen Abgeordneten, namentlich der unab- hängigen, auf ein Minimum zu reduciren, ein Resultat, welches mit der Stimmung und dem wahren Willen des Volkes, beziehungsweise der Wahlberechtigten, in einem grellen Gegensätze steht; aber durch dieses dem Volke zugefngte schwere Unrecht ist nur der Nationali- täten- nnd Classenhass verchärft, eine allseitige Erbit- terung erregt und der Glaube an eine Rechtssicherheit in Galizien sehr bedenklich erschüttert worden. Von den sehr vielen Bezirken Galiziens, in denen die Wahlen auf diese Weise durchgeführt worden sind. seien hier, wegen Ueberfülle des Materials, nur fünf (Zydaczow, Kalusz, Stryj, Zolkiew und Stanislawow) in Betracht gezogen, und von den vielen und mannig- fachen Ungesetzlichkeiten der k. k. Behörden und Regierungsorgane nur folgende angeführt: 1. Noch vor den Urwahlen wurde den Gemeinde- vorstehern in den k. k. Bezirkshauptmannschaften die strenge Weisung ertheilt, dass sie sich hinsichtlich der Wahlen vollständig dem Willen der k. k. Be- zirkshauptleute fügen, die Urwahlen in deren Sinne durchzuführen helfen, sich selbst zu Wahlmännern wählen lassen nnd sodann selbstverständlich ihre Stimmen für den ihnen empfohlenen Candidaten abgeben sollen. Ira Falle des Ungehorsams wurde ihnen angedroht, dass man sie „wie Oel in der Presse drücken“ werde (so in Äol- kiew), dass der schwere Zorn des künftigen Herrn Mi- nisterpräsidenten auf sie niederfallen werde (so in 2y- daczow) u. s. w. 2. Bäuerische Urwähler, deren Einfluss gefährlich schien, wurden fon der k k. Bezirkshauptmannschaft unter nichtigen Vorwänden vor den Ur wählen verhaftet und bis zur Vollendung der Urwahlen im Arrest behalten (zum Beispiel aus Zeldec iiu Zolkiewer Bezirke). Oder es wurden solche Urwähler amtlich und nnter Androhung von Strafen vorgeladen, am Tage' der Urwahlen in der weit entfernten Bezirksstadt in der Bezirkshauptmann- schaft zu erscheinen (zum Beispiel aus Jezupol im Sta- nislauer Bezirke am 23. September). 3. Der Termin und der Ort der Urwahlen wurden seitens der k. k. Bezirkshauptmannschaft gar nicht oder unrichtig kundgegeben, damit die Gesararatheit der Urwähler an denselben nicht theilnehinen und nur einige zuverlässige Leute erscheinen könnten. So zum Beispiel in Moszkowce und anderen im Kaluszer Bezirke, in Kolodijowka, Pawelcze, Zagwozd’ und anderen im Sta- nislauer Bezirke, in den meisten Gemeinden des Zolkie- wer Bezirkes u. s. w. Um die Urwahlen vor den Bauern, welche häufig einen halben Tag oder auch länger war- teten und förmliche Wachposten auf allen Strassen
38 aufstellten, sicherer geheirozuhalten, stahlen sich die Wahlcommissäre oft durch Gärten und Hinterpforteu in das Gemeindehaus (in Krasna im Kaiuszer Bezirke) oder noch lieber in ein Wirtshans oder ein anderes Privatge- bäude (in Bojanec, Krechow, Reklinec, Turynka und anderen im Zolkiewer Bezirke), wo einige bestellte Ver- trauenspersonen, zumeist Juden, verlässliche Bauern oder herrschaftliche Officialisten, bereits erschienen waren oder schnell herbeigeholt wurden, und nahmen mit denselben rasch die .Urwahlen vor. während vor dem eigentlichen Wahllocale eine Menge Wähler den Commissär vergeb- lich erwartete. Und wenn irgendwo ein Gemeindevorsteher zu einem solchen Vorgehen sich nicht hergeben wollte, so terrorisirte und zwang ihn dazn der Wahlcommissär (z. B. in Dworce im Zolkiewer Bezirke durch die Drohung, ihn in Ketten zu legen). 4. Weiters wurde der eigentliche Act der Urwähleu selbst tendenziös und ungesetzlich durchgeführt. Damit die ruthenischen Geistlichen durch ihre Abstimmung kein „böses Beispiel“ den Bauern geben, wurden sie in den Wahllisten nicht, wie ehedem, am Anfang sondern ge- wöhnlich am Ende gesetzt. Wo die Urwähler, trotz et- waiger Vorsichtsmassregeln, sich zahlreicher eingefunden hatten, agitirten die Wahlcommissäre offen für ihre Candidaten, hielten in diesem Sinne Anreden (zum Bei- spiel in Nahorce, Lubella im Zolkiewer Bezirke), oder terrorisirten die Urwähler in brutaler Weise (zum Bei- spiel der Bezirkscomraissär Sowihski in Wojnilow im Kaiuszer Bezirke, welcher anständige Bürger mit den Worten anfuhr: „Ich schlag’ dich aufs Maul, dass du nmfällst“, „ich lass’ dich einsperren“ u. dgl.), oder sie fälschten die Abstimmung (wie znm Beispiel der als Wablcorouiissär fungirende Diurnist Kessler in Wdlka- Kunihska im Zolkiewer Bezirke), oder sie liessen eine ganze Menge von Urwählern zur Abstimmung nicht zu (wie zum Beispiel der Bezirkssecretär Slonecki in Pere- drymichy im Zolkiewer Bezirke, den sodann die Bauern deshalb nicht fortlassen wollten, indem sie sich an den Rädern seinesWagens anklammerten, bis er sie mit einem'
39 Revolver zu erschiessen drohte; ferner der Wahlcoimnissär in Cuculowce im Zydaczower Bezirke, wo die Urwähler durch Gendarmen auseinandergejagt wurden), oder es wurde die Wahl desjenigen Wählers, der .die meisten Stimmen erhalten hatte, einfach annullier nnd ein an- derer, welcher weniger Stimmen hatte, als gewählt er- klärt (zum Beispiel in Tomaszowce im Kaiuszer Be- zirke) u. s. w. u. s. w. 5. Die gegen solche ungesetzliche Wahlen erhobe- nen Proteste wurden gar nicht oder nur ganz ausnahms- weise berücksichtigt und gewöhnlich kurz und bündig mit der Formel abgethan: „Nach Angabe des Gemeinde- vorstehers waren die Wahlen gehörig kundgemacht“ u. dgl. (So in vielen Gemeinden des Zolkiewer Be- zirkes. in Moszkowce, Krasna, Wojnilow, Tomaszowce des Kaiuszer Bezirkes und anderen.) Es sind auch zahlreiche Telegramme mit Beschwerden an den damali- gen Ministerpräsidenten und Minister des Innern, einige auch an den Statthalter, abgesendet worden, aber sie hatten gleichfalls keinen Erfolg, Dagegen wurden durchaus unbegründete, gewöhnlich von einem Beamten der Bezirks- hauptmannschaft selbst angerathene Proteste in solchen Gemeinden, wo die Urwahlen nicht nach dem Willen der Regierung ausgefallen waren, aber im Falle eine; stär- keren Druckes, oder anderer Mittel Hoffnung auf die Erzielung eines anderen Resultates vorhanden war, in der Regel berücksichtigt (zum Beispiel in Bania, Za- wadka. Niebylow in Kaiuszer Bezirke, in Banusowce, Kniahynin, Jezupol im Stanislauer Bezirke, in vielen Gemeinden des Zydaczower Bezirkes), und in vielen Fällen wurde in der That durch Mittel oberwähnter Art bei der neuen Wahl ein anderes Resultat erreicht. 6. Nach vollzogenen Urwahlen wurden weiter Terro- rismus, Gewalt und andere ungesetzliche Mittel ange- wendet. Im Zydaczower Bezirke drohte der Bezirksgeo- meter den Bauern, dass ihre Aecker bei der Regulirung der Grundsteuer hoch classirt werden, falls ihre Wähler für den nationalen Candidaten stimmen; der Bezirks- hauptmann berief die Wähler einzeln zu sich und terro-
40 41 risirte sie in anderer Weise. In Zolkiew confiscirte die Bezirksbauptmannschaft die gedruckten Einladungen zu einer Wahlversammlung, welche infolge dessen auch nicht stattfinden konnte, ohne dass die Behörde irgend einen Grund dazu gehabt oder einen angegeben hätte. Ira Stryjer Bezirke wurde der einflussreichste Wähler, der Bauer Bernyk, zwei Tage vor den Wahlen verhaftet und erst einige Zeit nach den Wahlen freigelassen, ohne dass eine Anklage gegen ihn erhoben worden wäre. In Kalusz wurde in der Nacht vor dem Wahltage auf die bäu- erischen Wähler vom Lande, welche schon einzutreffen begannen, eine förmliche Treibjagd veranstaltet; eine Rotte von gedungenem mit Knütteln und Stöcketi be- waffnetem Gesindel machte die Strassen unsicher, überfiel die ankommenden Fuhren, raishandelte die Nichtwähler und schleppte die Wähler, zum Theile mit Hilfe der Ortspolizei, trotz ihres Widerstrebens nnter Anwendung von Gewalt in Wirtshäuser, wo k k. Beamten dei' Bezirkshanptmannschaft sie erwarteten, reichlich bewirte- ten, zur Stimmenabgabe für den Regierungscandidaten beredeten und ungeachtet ihrer Bitten die ganze Nacht nicht freiliessen. 7. Von den Urwählen angefangen bis zum Schlösse der Wahlen wurde die Bestechung in reichlichstem Masse in Anwendung gebracht, ohne dass die Behörden, denen dies ganz wohl bekannt war, dagegen eingeschritten wären. Im Stryjer Bezirke .erhielten einzelne Wähler 50, 100, ja 200 Gulden, in Zydaczdw wnrden einigen Wählern im Wahllocal während des Wahlactes 200 Gulden öffe- rirt, im Kaluszer Bezirke wurde dem Wähler Lncas Koblowski für ihn und zwei andere Wähler aus der- selben Gemeinde 1.50 Gulden angeboteu, der Wähler Andreas Czipko bekam 130 Gnlden u. s. w. u. s. w, 8. Am Wahltage duldeten die k. k. Behörden nicht nur ungesetzliche Agitationen und Terrorismus, sondern es nahmen auch die Regierungsorgane selbst theil daran. Am Wahlorte waren zwar starke Schutzmann- schaften aufgeboten worden (in dem kleinen nnd ruhigen Städtchen Zydaczöw gegen hundert Gendarmen), aber nicht zum Schutze der ruhigen Wähler, sondern gegen dieselben. Es waren nämlich die unabhängigen ruthenischen Wähler allen Insulten und Gewalttätig- keiten gedungener, aus dem niedrigsten Gesindel be- stehenden Rotten ausgesetzt, vor denen die Gendarmen sie nicht schützen wollten, so dass dieselben in Kalusz und Stryj sich damit halfen, dass sie, sich dicht anein- ander haltend, unter Absingen der Volkshytune und kirchlicher Lieder durch die Strasse bis zum Wabllocal zogen, zumal sie hach früheren Erfahrungen wohl wussten, dass jeder Widerstand gegen einen Angriff der Rotte die Arretirung nicht des Angreifers, sondern des Ange- griffenen zur Folge haben werde. Dieses Gesindel hatte auch zum Wahliocal freien Zutritt, welcher jedoch den anständigsten Nichtwählern der nationalen Partei versagt war, von der nur die Wähler, oft erst nach mehrmali- gem Vorzeigen ihrer Legitimationskarten, zagelassen wurden. Das Gesindel agitirte ungescheut vor den Augen der fungireuden k. k. Beamten, schrie, beschimpfte, stiess, schlng; raishandelte und terrorisirte auf jegliche Art die Wähler, trieb offen Stimmenschacher, entriss den Wählern die Legitimationskarten u. dgl., während es auf Seiten der ruthenischen Partei nicht einmal den Wählern gestattet war, sich mit einander zu besprechen. Wiederholte Vorstellungen vermochten die als Wahlcom- inissäre fungirenden k. k. Beamten nicht zu bewegen, diesem Treiben Einhalt zu thun. Ein achtzigjähriger, sehr geachteter Wähler und ehemaliger langjähriger Ge- meindevorsteher beschwerte sich vor der Wahlcommission in Kalnsz, dass er, obwol er seit dem Bestände der Verfassung jedesmal Wälder gewesen war, noch nie solche Wahlen gesehen hätte, auf diese Beschwerde wurde ihm aber Schweigen geboten. — Die Beamten der k. k. Be- zirkshauptmanuschaft selbst nahmen, wie gesagt, vor und im Wahliocal an der Agitation theil. Der k. k. Bezirkscoromissär Sowihski in Kalusz, in Uniform zwi- schen den Wählern herumgeheud, verkündete, behnfs Irreführung derselben, mehrmals fälschlich zu Gunsten des Regiernngscandidaten den jeweiligen Stand der Ab-
42 43 Stimmung und stellte den oppositionellen Wählern das Vergebliche ihrer Haltung vor oder terrorisirte die Wähler, indem er zum Beispiel den Bauern aus Jaseii drohte, dass sie den bisherigen freien Bezug der Salz- soole verlieren werden, was in der That zwei von ihnen bewog, gegen ihren Vorsatz, für den Regierungscatidida- ten zu stimmen. 9. Unmittelbar vor und während des Wahlactes fanden ohne allen Grnnd weitere Verhaftungen statt, und zwar von Wählern offenbar zu dem Zwecke, damit sie ihre Stimmen für den nationalen Candidaten nicht abgeben können, und von Nichtwählern, damit ihre Verhaftung einschüchternd auf die Wähler wirke. In Stryj wurden mehrere bäuerische Wähler unter dem Vorwande verhaftet, dass sie Branntwein in die Stadt einschmuggeln wollten. Ausserdem wurden dort ruhige und anständige Nichtwähler, welche mit den Wählern zusaroroengingen, ein Lehrer und ein Notariatsconcipient, auf der Strasse arretirt und erst nach der Wahl freige- lassen. In Zydaczow wurden ein Wähler vor dem Wahlacte und sechzehn Wähler während des Wahlactes im Wahllocal verhaftet, das sind so viele, als nöthig war, um dem Regierungscandidaten die Stimmenmehrheit zu sichern. Ihre Verhaftung geschah in der Weise, dass jüdische und sonstige Agitatoren zu ihnen vordrangen, dieselben provozirten, misshandelten, schlugen, dabei aber zugleich selbst Lärm machten, worauf die Gendarmen in gewohnter Weise einschritten. 10. Die Wahlcommissionen wurden ungesetzlich gewählt, ohne Controle, ohne Lesung der Wahlliste (in Stanislau), durch das Hineinwerfen mehrerer Zetteln von Seiten einzelner Agitatoren (in Kalusz) u. s. w. 11. Einigen oppositionellen Wählern wurden trotz ihrer Forderung die Legitimationskarten nicht eingehän- digt (in Zydaczow vieren, von denen einer der des Lesens unkundig war, statt der Legitimationskarte einen Schweinepass erhalten hatte), andern wurden im Wahllocat von den Agitatoren der Regierungspartei unter den Augen der k. k. Behörden die Legitimationskarten entrissen und keine Duplicate ausgefolgt (in Kalusz sechsen), andere wurden unter nichtigen Vorwänden zur Abstimmung nicht zugelassen (in Stanislau, Kalusz) oder von den Gendarmen aus dem Wahllocal hinausgeworfen (in Zydaczow). 12. Während die für oppositionelle Candidaten abgegebenen Stimmen bei der geringsten Ungenauigkeit für ungiltig erklärt wurden, wurden die für einen Re- gierungscändidaten abgegebenen Stimmen selbst dann für giltig erklärt, wenu der Name des Candidaten un- vollständig, stückweise, verdreht oder theilweise falsch ausgesprochen worden war. Ja in • Kalusz hat ein Wähler, unter dem Lärm und Terrorismus der Agitatoren während dir Abstimmung, den Namen des Candidaten gar nicht ausgesprochen, und ein ariderer hat vor Schrecken nicht einmal den Mund geöffnet, in beiden • Fällen aber wurde der bloss von den Agitatoren laut ausgerufene Name des Regierungscandidaten als Stimme des Wählers ange- schrieben. In Anbetracht aller dieser Umstände richten die Gefertigten an Seine Excellenz folgende Fragen: „1. Was war die Ursache und der Zweck dieses Vorgehens der k. k. Behörden und Regie- rungsorgane ? Hält etwa die k. k. Regierung die von diesen Behörden und Organen bekämpften Candidaten für Feinde des Staates oder der gesell- schaftlichen Ordnung, und zwar so gefährlicher Art, dass sie mit jeglichen Mitteln bekämpft wer- den müssen ? 2. Hält die k. k. Regierung es mit der con- stitutionellen Verfassung und den Principien der Gerechtigkeit für vereinbar, im Wahlkampfe Partei' zu ergreifen, nnd hält sie es für zulässig, zur Durchsetzung ihrer Candidaten sich solcher Mittel, wie die oben angeführten, zu bedienen ? 3. Gedenkt die k. k. Regierung diejenigen' ihrer Organe, welche bei der Durchführung der heurigen Landtagswahlen in Galizien die Gesetze verletzt haben, dafür zur Verantwortung zu ziehen?
44 45 4. Was gedenkt die k. k. Regierung zu thjin, um in der Zukunft die Freiheit der Wahlen in Galizien zu wahren und allen Missbräuchen und Ungesetzlichkeiten bei denselben vorzubeugen?“ III. Interpellation des Abgeordneten Romanczuk vom 19. Dezember 1895. Aus der in Wiener offieiösen Blättern enthaltenen Darstellung der Ereignisse bezüglich der in Wien er- schienenen ruthenischen Deputation geht unzweifelhaft her- vor, dass über dieselbe ganz und gar unrichtige Ansich- ten verbreitet und an massgebender Stelle auch unrichtige Informationen gegeben wurden, deren Unwahrheit darzu- legen — aber auch deren Ursprung zu erforschen — ge- wiss eine eminent patriotische Pflicht ist. Unrichtig ist es namentlich, dass die der Deputa- tion angehörenden Geistlichen zu einer Demonstration nach Wien in dem Augenblicke fuhren, wo der neuer- nannte Cardinal Silvester Seinbratowicz in Lemberg seinen Einzng hielt. Denn diese Geistlichen, ja. auch viele Bauern haben an jenem Einzuge theilgenommen. die Geistlichen haben sogar einen Gottesdienst abgehalten, und sind erst lange nach Schluss der Feierlichkeiten abends nach Wien abgereist. Unrichtig und eine verabscheuungswerte Verdächtigung ' ist es ferner, wenn behauptet wird, dass die Kosten der Deputation zweifelhaften Ursprungs seien oder gar ange- deutet wird, dass ein grosser ja der grösste Theil der- selben aus einer russischen Quelle herrühre. Nicht nur die der Intelligenz angehörenden Mit- glieder der Deputation, sondern auch die Bauern haben die Kosten aus eigenen Mitteln bestritten, und wo diese nicht ausreichten, wurde der nöthige Rest einzig und allein durch freiwillige Beiträge in den betreffenden Be- zirken, beziehungsweise im ganzen Lande zusammenge- bracht. Es ist ein nicht genug zu verdammendes Manöver, demjenigen, was der Ausfluss eines unbegrenzten Ver- trauens znr Krone und einer besonderen Loyalität des ruthenischen Volkes war. irgendwelche unlautere Motive oder Quellen zu unterschieben. Die Behauptung von dem russischen Gelde ist umso widersinniger, als der weitaus grösste Theil des Deputationscomites und der Deputation aus ausgesprochenen Gegnern des in Russland gegen die ruthenische oder kleinrussische Nation herrschenden Sy- stems bestand, Da diese Anwürfe nicht nur eine Verdächtigung der Mitglieder der betreffenden Deputation sondern auch des ganzen ruthenischen Volkes involviren, so fragen die Gefertigten: „1. Ist der Herr Ministerpräsident geneigt, die Quelle dieser unrichtigen Informationen bekannt zu geben, und wievermag er dieselben zu rechtfertigen? 2. Was gedenkt der Herr Ministerpräsident zu tun, um den durch eine unrichtige Information dem ruthenischen Volke zugefügten Schaden gut zu machen?“ IV. Aus der Rede des Abgeordneten Romanczuk vom 20. Dezember 1895. Hohes Haus! Ich werde mit möglichst wenigen Worten zwei Ereignisse besprecheu, welche in der letz- ten Zeit eine besondere Aufmerksamkeit auf Galizien hingelenkt haben. Es siud dies die Massendeputation der ruthenischen Bauern nach Wien und die massenhafte Auswanderung galizischer Bauern nach Brasilieu. Sie sind Ereignisse trauriger Natur, und legen ein beredtes Zeug- nis ab von den politischen Zuständen und den materiel- len Verhältnissen der galizischen Bevölkerung. Ich erachte es als meine Pflicht, diese Angelegenheiten zu bespre- chen, umsomehr, als über beide, namentlich aber über die erstere, vielfach unrichtige und tendenziöse Nach- richten in die Welt gesetzt wurden. Was zunächst die Genesis der Massendeputation der ruthenischen Bauern nach Wien anbelangt, so war dieselbe folgende:
46 47 Schon nach den Urwahlen für den Landtag, wei- che in den meisten Fällen wider alles Recht und Ge- setz durchgeführt worden waren, gab sich das Verlangen kund, eine Deputation nach Wien zu entsenden, um die Sistirung der weiteren Wahlen und die Cassirung der Urwahlen zu erwirken. Da dieses aber einerseits technisch undurchführbar, andererseits auch verfassungs- mässig nicht leicht möglich war, so liess man diese Sa- che liegen und erst, nachdem auch die eigentlichen Wahlen in ähnlicher Weise wie die Urwahlen dnrch- geführt worden waren, wurde dieselbe aufs neue an- geregt. In sehr vielen Bezirken verlangten es namentlich die ruthenischen Bauern dringend, dass möglichst bald eine Deputation nach Wien zu Seiner Majestät entsen- det werde, damit der Landtag aufgelöst und die Organe der Regierung, welche sich Gesetzwidrigkeiten zuschul- den hatten kommen lassen, zur Verantwortung gezogen werden. Damit aber die Entsendung einer solchen Deputa- tion nicht vielleicht als Ausfluss einer Agitation seitens eines kleinen Kreises angesehen werde, so sollten vorerst Protestmeetings in allen bedeutenderen Städten Ostga- liziens stattfinden, auf denen tausende und tausende Bau- ern erscheinen und ihre Stimmen erheben könnten. Nun wurden aber alle diese Protestmeetings bis auf ein ein- ziges verhüten. Es war also die Besorgnis vorhanden, dass, wenn eine aus wenigen Personen bestehende Depu- tation nach Wien käme, dieselbe nicht als der Ausdrück des Gesammtwillens des Volkes angesehen würde; Da ausserdem die Bauern selbst nach Wien zn gehen ver- langten, so fand die bekannte Massendeputation statt. Das ist der Grund derselben, ihren Zweck aber werde ich noch weiter darlegen. . . . Es wurde die Frage aufgeworfen, wer die Kosten dieser Deputation bestritten habe. Ja, es wurden Ver- muthungen ausgesprochen, dass diese Kosten aus einer unlauteren Quelle herrühren. Ich habe sogar gehört, dass in den hiesigen Regierungskreisen behauptet wurde, es von 180 rn- hätte der russische Consul in Lemberg die Summe 6000 Gulden dazu hergegeben. Nun, es waren im ganzen in der Deputation ruthenische Bauern. Es gibt gber in Galizien 3600 thenische Gemeinden, somit entfällt ein bäuerliches Mit- glied der Deputation auf 20 ruthenische Gemeinden. Glauben Sie nun, dass 20 Gemeinden in Ostgalizien nicht imstande wären, einen Bauern nach Wien zu schik- ken, der 20 bis 30 fl. für diese Reise braucht? Ist da wirklich noch eine Hilfe von aussen nothwendig ? Die meisten Bauern sind übrigens auf eigene Kosten nach Wien gefahren, und wo deren Mittel nicht ausreichten, da haben freiwillige Beiträge in den betreffenden Be- zirken, beziehungsweise in dem ganzen Lande den nö- thigen Rest zusammengebracht. Es wurde hier in Wien in einer Volksversammlung auch eine Collecte für den Empfang der Bauern veranstaltet, welche mehr als 70 Gulden brachte. Die Bauern aber haben das Geld mit Dank abgelelmt, weil sie glaubten, sie dürfen auch nicht den Anschein erwecken, als wenn sie als unterstützungs- bedürftige Bittgänger nach Wien, gekommen wären. Sie haben das Geld zu dem Zwecke bestimmt, dasselbe den galizischen Auswanderern, welche nach Wien kommen und oft in grosser Nothlage sich befinden, zu verabfolgen. Es wurde gegen diese Deputation der Anwurf er- hoben, sie sei zu dem Zwecke hergekommen, um eine Demonstration zu veranstalten. Ja; das ist richtig, sie kam zu diesem Zwecke. WTelche Partei veranstaltet denn keine Demonstrationen und. seit wann ist denn eine Ver- anstaltung von Demonstrationen gesetzwidrig oder ver- boten ? Was war aber der Zweck dieser Demonstra- tion ? Der Zweck war, die Aufmerksamkeit auf die gali- zischen, insbesondere die politischen Verhältnisse und auf die Klagen der ruthenischen Bauern zu lenken. Ohne eine solche in grösserem Masse in Scene gesetzte De- monstration würde dieser Zweck sicherlich nicht erreicht. Man sagt, es hätte auch eine Deputation' von einigen wenigen Mitgliedern äusgereieht.' Wir haben schon solche
48 49 Deputationen abgeschickt. Vor zehn Jahren war eine De- putation abgeschickt worden, um sich wegen Besitznahme der Basilianerklöster durch die Jesuiten zu beklagen. Vor acht Jahren ist eine kleine^ Deputation, allerdings nicht an Seine Majestät den Kaiser, sondern nur an den Mi- nisterpräsidenten und einen zweiten Minister gesandt wor- den, welche über die Behandlung der Rnthenen überhaupt sich beklagte, Haben aber diese Deputationen einen Er- folg gehabt? Oder haben sie auch nur eine allgemeine Aufmerksamkeit erregt? Durchaus nicht! Wenn man je- doch meint, die Demonstration wäre eine ungehörige, sie hätte eine gegen die Krone verstossende Form gehabt, so muss ich erklären, dass die Deputation hieher gekom- men ist, um Seiner Majestät ihre Huldigung darzubrin- gen; sie hat durch ihr Kommen ihr unbegrenztes Ver- trauen auf die Krone ausgesprochen. Wenn sie sich hier über jemand beklagte, so galt diese Klage der politischen Verwaltung in Galizien, gegen diese also war die De- monstration gerichtet. Als einen besonderen Vorwurf hat man der Depu- tation angerechnet, das sie zuerst eine Versammlung der Christlich-Socialen und dann eine Arbeiterversammlung besucht hat. Ja, welche Versammlungen sollte sie denn besuchen ? Vielleicht diejenige, welche auch vor einigen Tagen stattfand und in der „Hoch Badeni!“ gerufen wurde? Die ruthenischen Bauern, welche hier erschienen waren, sind doch eine Volkspartei Wenn sie also die Gelegenheit ihrer Ankunft in Wien benützen woll- ten, um mit irgend jemand in Verbindung zu treten, so konnten dies wieder nur Volksparteien sein. Volkspar- teien aber, namentlich grössere, gibt es meines Wissens nur zwei in Wien: die christlich-sociale Partei und die Arbeiterpartei. Uebrignns, dass die Deputation gleich un- mittelbar nach ihrer Ankunft sich in die Versammlung der christlich-socialen Partei begeben hat, war ein Zufall, indem eben an diesem und nur an diesem Tage eine Ver- sammlung dieser Partei stattfand, somit die Deputation an einem der folgenden Tage in einer christlich-socialen Versammlung nicht hätte erscheinen können. Aber nicht nur dorthin ging diese Deputation, sie machte noch andere Besuche in Wien. Sie gieng auch in die Kapuzinergruft und betete an den Särgen der Kaiserin Maria Theresia, des Kaisers losef II. und des Kronprinzen Rudolf. Ja, das Volk, zumal das ruthenische, vergisst seine Wohlthäter und Gönner nicht. Ein deut- scher Dichter sagt mit Recht: „Ein gut Gedächtnis hat das Volk, ------es führt ein Buch, Mit Soll nnd Haben wird notirt Der Segen wie der Fluch.“ Allerdings, einen Besuch hat die Deputation nicht machen können, den sie doch am liebsten gemacht hätte: in die Hofburg wurde sie nicht zugelassen. Es war dies eine bittere Enttäuschung für die ruthenischen Bauern, Wer waren doch diese Bauern? Das waren die Brüder und Söhne derjenigen, welche bei Magenta nnd König- grätz ihr Leben gelassen haben, es waren die Söhne der- jenigen, von welchen einst der Vorgänger Seiner Majestät, als er in den Tagen der höchsten Gefahr sich zum Schlafe begab und auf seine Frage: von wem die Hof- burg bewacht werde, die Antwort erhielt, dass es ein ruthenisches Regiment sei, mit vollem Vertrauen sagte: Ich kann mich ruhig niederlegen, weil ich unter meinen Ruthenen bin. Was mochten sich jetzt die ruthenischen Bauern gedacht haben, wenn sie in diese Hofburg nicht zugelas- sen wurden, welche ihre Väter in den Tagen der Ge- fahr auf diese Weise bewacht und vertheidigt haben? Und ihre Wünsche waren doch so bescheiden! Ihre kühnsten Träume gingen dahin, sie würden in die Hof- burg kommen und durch das Fenster Seine Majestät se- hen oder höchstens es würde Seine Majestät vielleicht auf dem Balkon für einen Augenblick sich zeigen. Denn das wussten sie wohl, das die ganze Massendeputation nicht zugelassen werden könne. Ob es nnn klug und po- litisch war, ein solches Volk vom Throne zurückzudrän- gen, gleichsam eine Scheidewand zwischen diesem Volke und dem Throne zu errichten? Diese Frage mögen sich 4
60 .diejenigen wohl überlegen, welche die betreffenden Ver- fügungen getroffen haben. (Zustimmung.) Gleich nach ihrer Ankunft wurde die Deputation durch die hiesigen offieiösen Blätter in eigentümlicher Weise begrüsst. Das „Fremdenblatt“ brachte einen Ar- tikel über die galizischen Wahlen, wobei es, wie es sich ausdrückte, auf eine weit verbreitete Publication in Ga- lizien sich berief, in welchem Artikel die Grundlosigkeit aller ruthenischen Beschwerden über die Wahlmissbräuche behauptet wurde. Nun, diese Publication hat folgenden Ursprung. Es waren vier Artikel in dem der Regierung na- hestehenden Krakauer Blatte „Czas“ erschienen, welche allgemein dem Redacteur der polnischen officiellen „Lem- : berger Zeitung“ zugeschrieben werden In dem ersten dieser Artikel hat es der Verfasser versucht, die An- würfe, welche ich in meiner Rede im hohen Hause ge- gen die Durchführungsart der galizischen Wahlen erho- ben hatte, zu entkräften. Er ist aber, so viel ich mich erinnere, gleich bei dem ersten Punkte stehen geblieben. In den weiteren drei Artikeln gab er diese vergebliche Mühe gänzlich auf und ging dazu über, etwas zu wider- legen, was hier wenigstens nicht behauptet, worden ist. Er hörte auf, mit den Landtagswahlen, über welche Kla- gen geführt wurden, sich zu befassen, und schrieb über die Reichrathswahlen, obwohl ich dieselben hier im Hanse weder in meinen Reden, noch in meiner Interpellation auch nur mit einem Worte erwähnt habe. Allerdings, auch jene drei langen Artikel über die Reichsrathswahl in PrzemyÄl, Dobromil, Mosciska strotzen von Unrichtig- keiten, und der Verfasser entblödet sich nicht, alle Ge- setzwidrigkeiten, welche sich die herrschende und stär- kere Partei, namentlich aber die Regierungsorgane ha- ben zuschulden kommen lassen, auf die Ruthenen zu wälzen. Ich werde nun einmal auch diese Angelegenheit hier zur Sprache bringen und dann werde ich nicht mit allgemeinen Behauptungen, wie es das „Fremdenblatt“ thut, sondern mit gerichtlichen Erkenntnissen hervor- treten.
51 Dem „Fremdenblatt“ hatte noch ein anderes Blatt präludirt, nämlich das „Vaterland“, wol das einzige Wie- ner Blatt, welches sich dazu hergab, bezüglich der Wah- len gegCj die Ruthenen aufzutreten. Sonderbar! Dasselbe Blatt, welches so viele Klagen und Jammer über die Wahlen in Ungarn erhebt, und auch mit Recht erhebt, dass dort gegen die ungarischen Bauern gesetzwidrig vorgegangen wird, hat nicht nur kein Wort der Theilnahine für die ruthenischen Bauern, son- dern stellt sich sogar gegen diese Bauern auf die Seite der Stärkeren und Bedrückenden.— Das „ Fremdenblatt ” also hat sich auf die besagten Artikel des „Czas“ ge- stützt, welche Artikel allerdings noch von zwei anderen polnischen Blättern nachgedruckt wurden, worüber in Ga- lizien spöttisch gesagt wurde: es werde hier das Spiel „Reiche weiter“ gespielt. Iin Sinne des „Frenidenblatt“ traten gegen die ru- thenische Deputation dann leider auch unabhängige oder wenigstens als unabhängig geltende Blätter allerdings nur einer Partei auf. Wie viele falsche, unrichtige, geradezu lügenhafte Angaben sind in der Presse gemacht worden! Es hiess, dass die bäuerlichen Mitglieder der Deputation sich hier darüber beklagt hätten, dass ihnen das Geld ausgegangen sei und sie ihre Pelze versetzen müssen, weil sie nichts zu essen haben, Ich habe schon auseinan- dergesetzt, auf welche Weise und welche Mittel zusam- mengebracht wurden. Es wurde weiter gesagt, dass die Bauern aut die ihnen hier geste.lten Anfragen geantwor- tet hätten, sie wüssten nicht'' wozu man sie nach Wien geführt hätte. Meine Herren! Wenn sie in der Ver- sammlung gewesen wären welche hier am zweiten Tage nach der Ankunft der Deputation stattfand und an wel- cher alle Mitglieder der Deputation theilnahinen, und wenn sie dort die Reden der Bauern und ihre Gedichte gehört hätteu, welche sie selbst verfasst hatten und nun vortrugen, und in welchen sie ihre Lage schilderten so- wie die wichtigsten Ereignisse der Zeit besprachen, so würden Sie einen ganz anderen Begriff von den ruthe- nischen Bauern und namentlich von denjenigen, welche
52 der Deputation angehörten, erhalten haben. Ja, das ru- thenische Volk ist ein befähigtes Volk und es ist jam- merschade, dass es unter der Ungunst der Umstände so elend Verkümmert. Einen Fehler hat das Volk allerdings, es ist zu gutmüthig, es ist aus zu weichem Holze ge- schnitzt... Noch eine andere Unrichtigkeit gegenüber der ru- thenischen Deputation wurde vorgebracht. Diese richtete sich aber nicht mehr gegen die Bauern, sondern gegen die Geistlichen. Es hiess, die Geistlichen seien in eben dem Augenblicke nach Wien abgereist, wo der neu er- nannte ruthenische Cardinal in Lemberg seinen Ein- zug hielt. Dies ist nun unrichtig; es ist dies auch schon in einem Wiener Blatte, und zwar in einem liberalen Blatte, und Sodann auch in einem polnischen Krakauer Blatte auf Grund von Angaben ruthenischer Banern dementirt worden. Die Geistlichen haben an der Feierlichkeit theil— genommen, die Feierlichkeit fand nämlich nachmittags statt, die Geistlichen haben sogar einen Gottesdienst ab- gehalten und erst nach Schluss der Feierlichkeiten um 7 Uhr abends haben sie sich nach Wien begeben. Wie kann es also die Regierung mit ihrer Pflicht Vereinbar finden, wenn sie diesfalls unrichtige Informa- tionen, und zwar sogar an Allerhöchster Stelle, unter- breitet? (Sehr grd!) Es kann sich allerdings auch die Regierung hie und da irren, sie kann unrichtige Informa- tionen erhalten haben, aber sie soll es wohl erwägen, wenn sie eine Information', ohne sich vollständig von ihrer Richtigkeit überzeugt zu haben, an Allerhöchster Stelle vorbringt. (Sehr richtig!) — — Auf diese Rede antwortete der Finanzminister Dr. Ritter von Bilinski, dass '„für die galizischen Landtags- wahlen der galizische Landtag das einzige Forum sei“ und dass in Betreff der ruthenischen Deputation „Seine Majestät die Antwort gegeben habe, somit über diese Frage eine weitere Debatte nicht zulässig sei. Roma, locuta est.“