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DIE RUTI1ENEN ONO IHRE QEQNER IN ‘ ‘ ‘ QflLIZIEN < ‘ * von JULIAN ROMANCZUK Mitglied des Abgeordnetenhauses * = WIEN 1302 ===== C. W STEHN fBuchh. U- Hosner Verlag).

Der k. k. Hofrat und Universitätsprofessor in Krakau Dr. Stanislaus Smolka, Mitglied des Herrenhauses, hat vor einigen Wochen eine Broschüre herausgegeben unter dem Titel: „Die Ruthenen und ihre Gönner in Berlin.“ Anlass dazu gah ihm eine Rede, welche der Geheime Regierungsrat Dr. Sattler am 10. Dezember 1901 im Deutschen Reichstage während der Debatte über die Wreschener Vorgänge gehalten hatte. In jener Rede wurde nämlich auch die Lage der Ruthenen in Galizien ziemlich ausführlich besprochen, und zwar, nach den Worten Dr. Smolkas, „zu dem Zwecke, um den Polen vor- zuwerfen, dass sie sich über die Verhältnisse in Posen beklagen, während sie selbst eine andere Nationalität be- drücken, wenn sie nur über die dazu erforderlichen Macht- mittel verfügen“. Dr. Smolka sucht nun in seiner Broschüre nach- zuweisen, dass die Behauptungen des Dr. Sattler „crasse Unwahrheiten“ seien, dass vielmehr die nationalen Rechte der Ruthenen „in ausgiebiger Weise gewahrt worden“, speziell dass die Ruthenen „auf dem Gebiete des Volks- schulwesens das am meisten bevorzugte Element bilden“, dass deren Interessen im Mittelschulwesen sich eines beson- deren „Entgegenkommens des galizischen Landesschulrates erfreuen“, und dass auch in Bezug auf die Amtssprache „den nationalen Interessen der Bevölkerung beider Nationali- täten des galizischen Landes vollkommen Rechnung getragen werde“. Zur Begründung diesei’ Behauptungen, werden von Dr. Smolka auch einige statistische Daten angeführt. Noch vor der Herausgabe dieser Broschüre hatte der Obmann des Polenklubs im österreichischen Abgeordneten- hause, Exzellenz von Jaworski, an den Obmann des Polen- klubs im Deutschen Reichstage, Fürsten Radziwill, ein Informationsschreiben gerichtet, in welchem er die Verhält- nisse der Ruthenen in Galizien, namentlich die Schulver- hältnisse, in einer ähnlichen Weise, wie später Dr. Smo lka,
2 darstellte. Ich hätte wohl schon auf dieses Schreiben, nach- dem es in polnischen Zeitungsblättern veröffentlicht worden war, eigentlich reagieren sollen, habe es aber nicht getan und glaube damit die grösstmögliche Zurückhaltung bewiesen zu haben. Nun aber ein zweites Mitglied des Reichsrates, und dazu noch ein gelehrter Historiker, die ruthenischen Verhältnisse bespricht, und zwar nicht mehr in einem privaten Schreiben, sondern in einer für die gesamte Oeffentlichkeit bestimmten Broschüre, kann ich nicht länger schweigen, weil ja die Ruth en en einer über ihre Angelegen- heiten vor der öffentlichen Meinung geführten Verhandlung sich nicht entziehen dürfen. Ich werde somit die ruthenischen Verhältnisse in Galizien in ihrem wahren Lichte zeigen, und mich dabei auch gegenüber Gegnern einer möglichsten Objectivität befleissigen. Ich bin ein Feind jeder Übertreibung und glaube auch, dass einer guten Sache mit Aufrichtigkeit und Wahrheit am besten gedient wird. Der Streit zwischen Dr. Sattler und Dr. Smolka geht mich übrigens nicht an, und ich werde mich in denselben auch nicht einmischen. 1. Galizien. Polen und Ruthenen. Bevor ich auf die eigentliche Sache eingehe, muss ich zum besseren Verständnis für auswärtige Leser einige Worte über das galizische Land sowie über die. beiden Hauptvölker desselben, die Polen und Ruthenen, voraus- schicken. Galizien ist das grösste unter den 17 Kronländern Österreichs und auch eines der grössten Länder von Europa. Es umfasst 78.500 km2 und hat, nach der letzten Volks- zählung vom 31. Dezember 1900, eine Bevölkerung von 7,316.000 Seelen.*) Es ist also l1/2mal so gross als das nächstgrösste Kronland Böhmen, und hat eine um rund 1,000.000 grössere Bevölkerung. In Bezug auf die Ein- wohnerzahl wird es in Europa nur von den sechs. Gross- staaten und von Spanien übertroffen; unter den übrigen Ländern hat nur Schweden zusammen mit Norwegen eine nahezu gleich grosse, alle anderen Staaten, die europäische Türkei, Belgien, Rumänien, Holland, Portugal u, s. w., haben eine bedeutend kleinere Bevölkerung. *) Genauer 78.496 km2 und 7,315.817 Seelen, ich werde aber überall nur runde Zahlen angeben.
3 Galizien wird von Polen, Ruthenen, Juden und Deutschen bewohnt. Die Zahl der Polen beträgt etwa 3,340.000, der Ruthenen 3,090.000, der Juden 811.000, der Deutschen 60.000. Mit« wenigen Ausnahmen sind die Polen römisch-katholischen Glaubens, die Ruthenen griechisch- uniert, die Deutschen evangelisch (48.000) und katholisch (etwa 12.000?).*) *) Die genauen Zahlen der einzelnen Nationalitäten des Landes sind nicht leicht zu ermitteln. In den Tabellen der Volkszählung fehlt die Rubrik „Nationalität“, es kommen nur die Rubriken „Umgangssprache“ und „Religion“ vor. Nach der Umgangssprache gab es im Jahre 1880: 3,058.000 Polen, 2,550.000 Ruthenen, 324.000 Deutsche; im Jahre 1890: 3,519.000Polen, 2,826.000Ruthenen, 227.000 Deutsche; im Jahre 1900 (s. Twardowski, Statistische Daten über Österreich, Wien 1902): 3,990.000 Polen, 3,042.000 Ruthenen, 211.000 Deutsche. Nach der Religion waren im Jahre .1880: 2,707.000 römisch-katholisch, 2,518.000 griechisch-uniert, 686.000 mosaisch, 40,000 evangelisch; im Jahre 1890: 3,000.000 röm.-kath., 2,791.000 griech.-uniert, 769.000 mos., 43.000 evang.; im Jahre 1900: 3,350.000 röm.-kath., 3,090.000 griech.-uniert, 811.000 mos., 48.000 evangelisch. Unter den 3,990.000 Einwohnern, bei denen in der letzten Volkszählung die polnische Sprache als ihre Umgangssprache verzeichnet ist, müssen sich wenigstens 650.000 Juden befinden, welche nur aus Opportunitätsgründen sich zur polnischen Sprache einbekannt haben, in der Tat aber, mit sehr wenigen Aus- nahmen, sich bekanntlich nicht der polnischen Sprache, sondern ihres Jargons bedienen und viel eher den Deutschen zugezählt werden könnten, als welche sich auch die übrigen Juden eingetragen haben. Viel näher der Wahrheit kommt man, wenn man die Religion als Grundlage der Nationalität annimmt. Allerdings rechnen sich einige den intelligenten Ständen angehörende Familien griechisch-unierter Religion zu den Polen, und manche griechisch-unierte Bauern in den Grenzbezirken Ost- und Westgaliziens sprechen nur polnisch; aber dafür gibt es noch beiweitem mehr Bauern und Klein- städter römisch-katholischer Religion, namentlich in den südöstlichen Teilen des Landes, welche die polnische Sprache gar nicht verstehen und denen deshalb ihre polnischen Geistlichen ruthenisch predigen müssen. Uebrigens wird die Volkszählung vielfach mit der Tendenz durchgeführt, die
4 Das Land zerfällt, historisch und national, in zwei Teile: ein beinahe rein polnisches Westgalizien und ein ruthenisches Ostgalizien. Jenes bildete seit jeher einen Teil des polnischen Reiches, dieses staijd unter ruthenischen Fürsten und Königen, bis es im Jahre 1340 vorübergehend und im Jahre 1386 dauernd von Polen annektiert wurde. Nach der ersten Teilung Polens im Jahre 1772 wurde das ganze Land, aber jeder der beiden Teile auf Grund anderer Ansprüche, Österreich einverleibt. In Bezug auf die poli- tische und die Schulverwaltung bildet es jetzt eine Einheit (eine Zeitlang bestand für Westgalizien eine besondere Statthalterei in Krakau, in Ostgalizien für Lemberg); be- züglich der Justizverwaltung zerfällt es in zwei Oberlandes- gerichtssprengel. In Westgalizien leben etwa 36’3%, in Ostgalizien 63'7% der gesamten Bevölkerung. Nach der Nationalität wohnen etwa: in Westgalizien 87’5% Polen, 4% Ruthenen, 0'5% Deutsche, 8% Juden; in Ostgalizien 64% Ruthenen, 21’8% Polen, 1% Deutsche, 13’2% Juden. Die Juden wohnen am meisten in Städten; in Dörfern leben sie als Schankwirte, Handelsleute und in neuerer Zeit auch als Gutspächter und Grossgrundbesitzer. Die Deutschen leben sowohl auf dem Lande als Bauern in besonderen Kolonien, • wie auch in Städten; von letzteren haben sich viele, namentlich die Katholiken, polonisiert. In Ostgalizien leben die Polen auf dem Lande als Grossgrundbesitzer und auch, ebenso wie die Deutschen, als angesiedelte Bauern; die in Städten wohnenden Zahl der polnisch sprechenden Bevölkerung grösser erscheinen zu lassen. Zu diesem Zwecke wurde, namentlich im Jahre 1900, die Vornahme der Volkszählung auch in rein ruthe- nischen Gemeinden Polen oder solchen Ruthenen anvertraut, welche sich bei den eben vorausgegangenen Reichsrats- wahlen als Agitatoren oder fügsame Diener der polnischen Regierungspartei bewährt hatten; in den hohen, den Ge- meinden auferlegten Kosten fanden sie auch eine Entlohnung für ihre früheren Dienste. Unter- solchen Umständen wurde zustande gebracht, dass die Zahl der ruthenisch sprechen- den Bevölkerung, welche im Jahre 1880 um 32.000 und im Jahre 1890 um 35.000 Seelen grösser war als die Zahl der griechisch-unierten, sich jetzt um 48.000 kleiner ergeben hat, während polnische Blätter fortwährend über Ruthenisierung polnischer römisch-katholischer Bauern klagen!
5 Polen sind grossenteils polonisierte Ruthenen. In den ost- galizischen Städten dürften etwa wohnen: 44% Juden, 31% Polen, 24% Ruthenen und 1% Deutsche. Die galizischen Ruthenen bilden einen Teil des grossen ruthenischen (kleinrussischen) Volkes, welches nach den Russen (Grossrussen) der zahlreichste slavische Volksstamm ist und in Osterreich-Ungarn nahezu 4 Millionen, in Süd- westrussland weit über 20 Millionen peelen zählt. Durch die Einfälle der Mongolen geschwächt, geriet das in viele souveräne Fürstentümer zersplitterte ruthenische Land im Laufe des 14. Jahrhunderts unter die Herrschaft von Polen (und Lithauen). Die Ruthenen verloren nach und nach ihren Adel, welcher den römisch-katholischen Glauben und damit auch die polnische Nationalität annahm; das übrige Volk, seiner oberen Schichten beraubt, -wurde Jahrhunderte lang in einem Zustande religiöser und nationaler Erniedrigung und sozialer Knechtschaft gehalten. Die österreichische Verwaltung hat sich namentlich in den ersten Jahrzehnten durch die Gleichstellung der Ruthenen mit den Polen inbetreff der staatsbürgerlichen Rechte, durch die Sorge um die Ausbildung des ruthenischen Klerus und Bildung des ruthenischen Volkes, durch die Aufhebung der Leibeigenschaft, durch die Einführung der ruthenischen Sprache als Unterrichtsprache in den Volks- schulen vielen Dank von Seiten der Ruthenen verdient. Später wurden die Ruthenen als Gegengewicht gegen die Polen gebraucht, da letztere die Wiederherstellung des polnischen Reiches und somit auch die Losreissung von Österreich anstrebten. Als aber die Polen nach dem missglückten Auf- stände gegen Russland vom Jahre 1863 eine andere Taktik anzuwenden begannen, änderte sich auch die österreichische Politik ihnen gegenüber. Im Jahre 1867 wurde die polnische Sprache an die Stelle der deutschen in der Schule, im Jahre 1869 auch im Amt und Gericht eingeführt, die ganze Verwaltung des Landes wurde den Polen anvertraut, die Ruthenen wurden ihnen preisgegeben. Wenn die Ruthenen seitdem noch dann und wann eine Schule, einige ruthenische Aufschriften, einen einigermassen wichtigeren Posten in der Verwaltung oder ein ähnliches Zugeständnis erhielten, so wurden diese Errungenschaften durch anderweitige legislative und administrative Massregeln mehr als ausgeglichen, damit es ja nicht zu einer politischen Erstarkung des ruthenischen Volkes komme.'
6 Und in der Tat sind die Ruthenen beinahe vollkommen machtlos. Rechtlich sind sie zwar durch die Staatsgrund- gesetze vom 21. Dezember 1867 den Polen sowie allen anderen Völkern des Staates gleichgestellt: sie haben gleichen Zutritt zu allen öffentlichen Aemtern, ihre Kirche hat das selbständige Verwaltungsrecht in allen ihren inneren An- gelegenheiten, ihre Sprache ist gleichberechtigt in Schule, Amt und öffentlichem Leben, sie haben das Recht Vertreter in alle gesetzgebende und sonstige Körperschaften sich frei zu wählen u. s.- w. Aber alles dieses gilt nur im Prinzip, in der Theorie. Abgesehen davon, dass die allgemeinen Grundgesetze durch verschiedene Spezialgesetze nicht unwesentlich eingeschränkt, ja modifiziert worden sind, hängt ja die Ausführung der Gesetze von der Verwaltung ab, und die galizische Verwaltung liegt in den Händen einer polnischen Partei, die nichts weniger als skrupulös sich zeigt. Ich will indessen liier nicht die ganze galizische Ver- waltung und die gesammten Verhältnisse der Ruthenen be- sprechen, ich behalte mir dies eventuell für eine spätere Zeit vor; jetzt will ich bloss mit denjenigen Gegenständen mich befassen, welche der Herr Hofrat Smolka in seiner Rroschüre besprochen hat. Eine Bemerkung muss ich aber noch vorausschicken. Die polnischen Machthaber rühmen sich häufig, dass sie den Ruthenen in Galizien mehr gönnen, als ihnen in Preussen von den Deutschen oder in Russisch-Polen von den Russen zugestanden wird. Solche Vergleichungen sind durchaus unstatthaft. Preussen und Russland sind souveräne Staaten, in denen die Deutschen und Russen die herrschenden Nationen sind und eine ungeheure Mehrheit gegenüber den Polen bilden; es sind dies deutsche, beziehungsweise russische Länder, in denen es auch keine Staatsgrundgesetze gibt, welche die nationale und sprachliche Gleichberechtigung verbürgen. Galizien ist aber kein souveräner Staat und kein polnisches Land; die Polen in diesem Lande sind nur eines der acht Völker Oesterreichs, welchem genau dieselben Rechte zukommen, wie allen anderen Völkern, also auch wie den ihnen übrigens an Zahl fast gleichen Ruthenen, die zudem auf Ostgalizien grössere historische Ansprüche haben als sie. Wehn etwa Russisch-Polen und Preussisch- Polen mitsamt Galizien ein unabhängiges polnisches Reich bilden würden, dann wäre eine Analogie des Verhältnisses der galizischen Ruthenen zu den Polen mit dem Verhält-
— 7 — nisse der jetzigen preussischen oder russischen Polen zu Preussen oder Russland vorhanden; aber da fragt es sich erst, wie die Polen als herrschende Nation in einem souve- ränen Polenreiche die Ruthenen behandeln würden — weder die Vergangenheit noch die Gegenwart bestätigt die Wahrheit der schönen polnischen Devise: Freie mit Freien und Gleiche mit Gleichen . , . . Wenn eine Vergleichung gemacht werden soll, so nehme man dazu bloss die österreichischen Verhältnisse und ver- gleiche das Verhalten der Majoritäten in anderen Kron- ländern gegenüber den dortigen Minoritäten mit dem Ver- halten der polnischen Majorität gegenüber den Ruthenen in Galizien. Und da muss sich für jedermann klar heraus- stellen, dass die Ruthenen unter sämmtlichen acht Nationen Österreichs am meisten benachteiligt und zurückgesetzt sind, dass sie, Dank den Polen, die letzte Stelle im Staate einnehmen, obwohl sie ihrer Grösse nach das vierte Volk in Österreich sind. Man vergleiche nur die Zahl der Ab- geordneten und die Zahl der Schulen. Ich sehe von den zwei grössten Völkern, den 9*/4 Millionen Deutschen und den 6 Millionen Öechen ab, und will nur die sechs übrigen kleineren Völker in Betracht ziehen. Es haben also die Polen.....auf 4,261.000 Seelen*) 72 Abgeordn. m 31 Ruthenen. . . » 3,343.000 » 10 » „ 5 Slovenen . . . 1,193.000 n 15 n „ 6 Italiener . . . n 727.000 18 n „ 4 » Serbo-Kroaten v 711.000 12 n , 5 Rumänen. . . n 231.000 n 5 9 » 1 Gymn. **) »***) *) Richtiger 3,600.000 ; ich nehme aber hier, wie auch weiterhin, nach der offiziellen Statistik die volle Anzahl der angeblich polnisch Sprechenden, wiewohl man von ihnen in Galizien, wie ich oben nachgewiesen habe, wenigstens 650.000 Juden abziehen sollte. **) Nicht eingerechnet sind die zwei polnischen Privatgymnasien, in Bonkowice-Chyröw in Galizien und in- Teschen in Schlesien, welche beide das Öffentlichkeits- recht haben und von denen das letztere auch eine grössere Subvention vom Staate bezieht, demnächst auch ganz ver- staatlicht werden soll. Auch zwei italienische und ein rumänisches Privatgymnasium rechne ich nicht ein. ***) Einschliesslich des unvollständigen, bis jetzt nur 4-classigen Gymnasiums in Tarnopol und des ruthenisch- deutschen Untergymnasiums in Czernowitz in der Bukowina.
— 8 — Es kommt also bei den Polen ..... .Ein Abg. auf 59.000, Ein Gymn. auf 138.000 Seelen Ruthenen. . . „ „ „ 334.000 „ „ „ 669.000 „ Sloveiien . . . . „ „ „ 79.000 „ „ „ 199.000 „ Italienern . . . „ „ „ 40.000 „ „ „ 182.000 „ Serbo-Kroaton. „ „ „ 59.000 „ „ „ 142.000 „ Rumänen. . . . „ „ „ 46.000 „ „ „ 231.000 Allerdings muss inan bezüglich der Zahl der Ab- geordneten in Berücksichtigung nehmen, dass die Ruthenen auch von der österreichischen Gesetzgebung noch während der Herrschaft der Deutschen verkürzt worden sind. Jeden- falls räumt ihnen aber die Gesetzgebung ein, sich in Galizien 24 Abgeordnete zu wählen. Die galizische Ver- waltung hat aber bei den letzten Reichsratswahlen diese Zahl auf den dritten Teil reduziert, so dass ein ruthenischer Abgeordneter auf 380.000 ruthenische Einwohner kain. In der benachbarten Bukowina, wo die Ruthenen von der Gesetzgebung auch benachteiligt sind, wo aber die Verwal- tung nicht in polnischen Händen liegt, sind bei denselben Wahlen auf 298,000 Ruthenen 2 ruthenische Abgeordnete gewählt worden, also ein Abgeordneter auf 149.000 Seelen. Dass die winzige Gruppe von 10 Ruthenen unter den 42o Mitgliedern des Abgeordnetenhauses keinen auch nur einigermassen der Zahl und den Bedürfnissen ihres Volkes entsprechenden Einfluss haben kann, ist einleuchtend. — Uber die Gymnasien werde ich weiter sprechen. II. Die galizischen Wahlen und die galizische Verwaltung. Dr. Smolka spottet über die „angeblichen blutigen Greueltaten, welche von den Polen in Galizien und nament- lich von Seiner Exzellenz demGrafenAdalbertDzieduszycki während der Reichratswahlen von 1897 verübt sein sollten“. Jene blutigen Wahlen aber sind wahrlich kein Gegenstand des Spottes, sondern vielmehr der Scham. Hat doch selbst ein Pole, ein polnischer Edelmann und ehemaliger lang- jähriger Abgeordneter und Mitglied des Polenklubs, der all- gemein hochgeachtete Eduard Ritter von G n i e w o s z, Sectionschef i. R., dem Obmann des polnischen Zentral- wahlkomitfjs, welches jene Wahlen leitete, dem eben er- wähnten Grafen Adalbert D z i e d u s z y c k i die Hand nicht reichen wollen, weil dessen Hand mit dem Blute des gali- zischen Volkes befleckt sei! . . .
9 Dr. 8 m o 1 ka bezweifelt die Angaben desDr. Sattler über die Zahl der bei jenen Wahlen Getödteten, Verwun- deten und Verhafteten, und weiss nur von einem Todtschlage, wo der Getödtete aber ein Pole war, der Vorsitzende einer Wahlkommission, welchen ein fanatischer Haufe ruthenischer Bauern umgebracht habe. Sonderbar! Ein Galiziauer, ein Historiker und ein Politiker, ein Mitglied des österrei- chischen Reichsrates, weiss so wenig von galizischen Wahlen, welche sogar im Auslande bekannt sind und eine traurige Berühmtheit erhalten haben. Wenn Dr. Smolka sich damit entschuldigt, dass er die Angaben des Dr. Sattler augenblicklich nicht prüfen könne, weil er seit längerer Zeit im Auslande verweile, so hätte er sich um Auskunft an. einen Gewährsmann in Galizien ebenso wenden können, wie er dies in betreff der galizischen Schulstatistik getan zu haben eingesteht. Ich will auf die galizischen Reichsratswahlen vom Jahre 1897 nicht näher eingehen; es existirt über dieselben ein besonderes im Jahre 1898 in Wien vom Ausschüsse des ruthenischen Landeskomites herausgegebenes Buch von 272 Seiten. Nur so viel will ich zur Berichtigung der Be- hauptungen des Dr. Smolka anführen: 1. Jener einzige ihm bekannte Todtschlag wurde nicht von ruthenisclnm, sondern von polnischen Bauern, welche überhaupt hitziger sind, als die Ruthenen, in der Ortschaft Dawidow bei Lemberg verübt; auch von den dortigen Kandidaten war keiner ein Ruthene, somit geht diese Sache die Ruthenen gar nichts an und der Herr Hofrat möge dieselbe mit seinen Volksangehörigen ausmachen. 2. Der damalige Minister- präsident Graf Kasimir Badeni hat selbst am 7. April 1897 im Abgeordnetenhause, auf Grund eines offiziellen Berichtes der galizischen Statthalterei, welcher übrigens sehr parteiisch für die Polen und die Regierung abgefasst war und von offenkundigen Unwahrheiten wimmelte, die später sogar durch gerichtliche Erkenntnisse blossgelegt wurden, folgende Todtschlage eingestanden: a) des Bauers Peter Stasiuk in Czernijiw, Bezirk Stanislau (derselbe wurde am 27. Febrnar 1897 von einem Gendarmen mit einem Bajonnett rücklings erstochen): b) des Bauers in Stojance, Bezirk Mostyska, Thomas Mazur (derselbe wurde am 1. März von einem Gen dannen niedergeschossen); c) der Arbeiter Samuel Lipp- schütz und Elias Rotstein in Skole, Bezirk Stryj (diese beiden wurden am 2. März vom Militär erschossen). Graf
10 Badeni hat ferner folgende Fälle von Verwundungen an- geführt: 4 oder B in Czeraijiw, 2 in Stojance, 4 in Skole, und von Verhaftungen: 24 in Czernijiw, B3 in Stojafice, 2B in Skole, BO in Balice (Bezirk Mostyska), 36 in Berezo- wycia (Bezirk Tarnopol), 70 in Koinanio (Bezirk Rudki); er erklärte aber selbst, dass er noch nicht alles gesagt hätte. Hinzugefügt muss werden, dass der damalige ruthenische Abgeordnete Dr. Okuniewski am 10. November 1897 einen von 78 Abgeordneten unterzeichneten Antrag auf Versetzung des Ministerpräsidenten Grafen Kasimir Badeni in den An- klagestand wegen der galizischen Wahlmissbräuche gestellt hat; der Antrag kam nicht zur Verhandlung, weil Graf Badeni bald darauf demissionieren musste. Dr. Smolka behauptet, es hätten bei den Reichsrats- wahlen im Jahre 1897 die ruthenischen Radikalen Exzesse verübt, und. es würde für die Verwaltung Galiziens wohl kein traurigeres Zeugnis erbracht werden können, wenn diese Exzesse zu keinen Verhaftungen geführt hätten und ganz straflos vorüber gegangen wären. Nun, über die ruthe- nischen Parteien werde ich später sprechen; hier muss ich aber bemerken, dass die Wahlaktiön im Jahre 1897 nicht von Radikalen geführt worden ist, dass das ruthenische Zentralwahlkomite aus 30 Geistlichen, 30 der weltlichen Intelligenz angehörenden Personen (Advokaten, Ärzten, Notaren, Professoren u. dgl.) und 30 Stadtbürgern und Bauern bestand und der Obmann desselben, ein ehemaliger als sehr gemässigter Mann bekannter Reichsratsabgeordneter (Pater Ozarkewycz) war, dass ferner die allermeisten verhafteten „Exzedenten“ bald freigelassen werden mussten, dass der grössere Teil der von den k. k. Staatsanwaltschaften wegen öffentlicher Gewalttätigkeit, Widersetzlichkeit gegen Gendarmen, Beleidigung der Wahlkommissäre und dergl. angeklagten Personen von k. k. Gerichten freigesprochen wurde, und dass die Verurteilten nur durch ärgste Miss- bräuche zu Exzessen provoziert worden waren. Ja, die gerichtlichen Verhandlungen, selbst diejenigen, welche mit einer Verurteilung endigten, haben wirklich ein sehr trauriges Zeugnis für die galizische Verwaltung erbracht. Sonderbar, um nicht zu sagen naiv, ist die Bemerkung des Dr. Smolka, dass solche Reden, wie die des Dr. Sattler im Deutschen Reichstage, wenn sie in radikalen ruthenischen Blättern reproduziert werden, zu einer Beun- ruhigung von Gemütern in Galizien führen dürften, weil
11 manche ruthenische Bauern aus ihnen entnehmen könnten, dass hohe österreichische Würdenträger polnischer Nationalität blutige Greueltaten begangen hätten! Ruthenische Bauern sollten also erst im Jahre 1901 oder 1902 aus den Reden im Deutschen Reichstage dasjenige erfahren, was sie fünf Jahre früher selbst erlebt oder von anderen Leuten gehört oder in Zeitungen gelesen haben! Endlich bemerkt Dr. Smolka, dass die neuen Reichs- ratswahlen vom Jahre 1900 verhältnismässig ganz ruhig abgelaufen sind. Da muss ich zu dem über die galizische Verwaltung schon Gesagten noch einiges hinzufügen. Die politische Verwaltung steht überhaupt in ganz Österreich nicht gerade auf der Höhe ihrer Aufgabe, sie kann sich mit den Verwaltungen der anderen mitteleuro- päischen und westeuropäischen Staaten nicht messen. Aber es ist ein sehr grosser Unterschied zwischen der Verwaltung in den östlichen und der in den westlichen Ländern Öster- reichs. In den östlichen Ländern, in Galizien und Bukowina, ist die Verwaltung allmächtig oder wenigstens übermächtig, und die konstitutionelle Verfassung ist hier eigentlich nur eine Form ohne wirklichen Inhalt. Aber dabei ist in der Bukowina die Verwaltung im ganzen eine gerechte und wohlwollende, sie wird nicht speziell zum Nutzen einer Nationalität oder einer Klasse geführt. Die galizische Ver- waltung hingegen, und zwar' sowohl die staatliche wie auch die autonome, ruht, wie ich schon bemerkt habe, ausschliesslich in den Händen der Polen, oder, genauer gesagt, einer polnischen Partei, und -wird 'im polnischen Geiste gegen die gesamte ruthenische Nation und im Klassen- und Partei- interesse gegen die ruthenischen und polnischen Volks- parteien (nicht durchgehends gegen radikale!) rücksichtslos ausgeübt.' Gegen die Verwaltung, gegen die Praktiken der administrativen Beamten sind die Ruthenen einfach ohn- mächtig, und würden es wohl auch manche andere Nationen sein, wenn bei ihnen das Regime auf eine solche Weise ausgeübt würde. Die politischen Beamten in Galizien sind fast aus- schliesslich Polen, und die wenigen Ruthenen, welche in den politischen Dienst treten, verleugnen gewöhnlich unter dem Drucke der Verhältnisse ihre Nationalität, oft auch ihre Religion. Ebenso haben die autonomen Behörden, die Bezirks- vertretungen, auch in solchen politischen Bezirken, wo die Ruthenen 80 und mehr Perzent und die Polen , nur 3 bis
12 10 Perzent der Bevölkerung ausmachen, eine polnische Majorität, da die polnischen Grossgrundbesitzer auf dem Lande und die mit den Polen aus Opportunitätsgründen haltenden Juden in den Städten, mit einander vereint, die ruthenischen Landgemeindevertreter überwiegen. Die staat- lichen Bezirkshauptmannschaften und die autonomen Bezirks- vertretungen gehen gegen die Ruthenen zusammen vor, und beide zusammen haben eine Menge von Mitteln, um auf die ruthenischen Gemeinden, die ruthenischen Kleinstädter und Bauern, namentlich die Gemeindevorsteher und Gemeinde- schreiber, ja auch auf die ruthenischen Geistlichen und gar schon auf die ruthenischen Volksschullehrer einzuwirken, sic zu chikanieren und mürbe zu machen. Dagegen werden die Gefügigen und gar schon die Mithelfer geschützt, prote- giert, und etwaige ihrer kleinen oder auch grossen Fehler und Delikte übersehen. Das sichert allerdings den Einfluss und die Macht der Behörden, aber es erzeugt auch eine Destruktion in der Verwaltung der Gemeinden und eine Demoralisation, welcher, zumal bei der grossen Armut des ruthenischen Volkes und dessen vielfacher Abhängigkeit von dem Grossgrundbesitze, von ruthcnischer Seite schwer bei- zukommon ist. Unter solchen Umständen dürfte es wohl begreiflich sein, dass der ruthenische Bauer hei Wahlen seinen zahl- reichen Gegnern, die von allen Seiten auf ihn eindringen, dem allmächtigen Bezirkshauptmanne, dem vielmächtigen Bezirkspräses, dem in vielen Gemeinden diesen beiden an die Hand gehenden Gemeindevorsteher und Gemeinde- Schreiber, dem Grossgrundbesitzer, der ihm die Arbeit ent- ziehen, den Wald oder die Weide absperren kann, dem Steuerinspektor, von dem er eine Steuererhöhung zu be- fürchten hat, dem listigen Juden, der ihn mit allerlei Mitteln zu überreden oder auch — natürlich nicht mit eigenem Geldc — zu bestechen sucht, dass also der arme bedrängte Bauer nicht Stand hält und für den polnischen Regierungs- kandidaten stimmt. Andererseits ist es auch nicht zu ver- wundern, wenn hie und da ehrlichere und standhaftere Bauern gegen den Terrorismus der Gegenpartei sich in der Weise zur Wehre setzen, dass sie ihre abtrünnigen Brüder (denn nur diese können sie erreichen, obwohl dieselben am wenigsten schuldig sind) auch ihrerseits, zumeist durch einen Boycott, einzuschüchtern suchen, was sodann als Beweis eines schrecklichen ruthenischen Terrorismus aus-
13 posaunt wird. Ferner ist es auch nicht zu verwundern, wenn das ruthenische Volk, nach einer wirklich grossartigen Er- hebung im Jahre 1897, als es, niedergerungen in einem verzweifelten Kampfe, am Ende wahrnahm, dass alle seine Anstrengungen erfolglos, dass alle Opfer vergeblich seien, dass Hunderte im Kerker schmachten und andere Hunderte oder Tausende allerlei Verfolgung und Schaden leiden mussten, ohne dass sie etwas hätten ausrichten können, dass nach solchen Erfahrungen das Volk die Hoffnung verliert und sich hie und da einer gewissen Apathie hingibt. Unter solchen Verhältnissen fanden’ die neuen Reichs- ratswahlen im Jahre 1900 statt. Todtschläge und Verwun- dungen gab es jetzt allerdings nicht, auch Verhaftungen waren nur wenige, aber die frühere Brutalität wurde durch eine grössere Raffiniertheit ersetzt. Gefälschte Wählerlisten, verheimlichte Wahlmännerwahlen, unkorrekte Durchführung dieser Wahlen, gefälschte Abstimmungen bei der Endwahl. Bestechungen, Drohungen, Ueberlistungen und alle die alten Mittel, weiche eine vieljährige Erfahrung, sowie neue Mittel, welche den Wahlmachern ihre Findigkeit eingab, haben auch diesmal über das ruthenische Volk den Sieg davongetragen. Fast aus allen Wahlbezirken aber sind Pro- teste eingebracht worden. HI. Die galizischen Volksschulen. Den grössten und wichtigsten Teil der Broschüre des Dr. Smolka nimmt eine Darstellung der galizischen Schul- verhältnisse ein. Zum Zwecke einer sicheren Informierung hat sich Dr. Smolka an den Hofrat Dr. Th. P i 1 a t, Mitglied des galizischen Landesausschusses und Vorstand des statistischen Landesbureaus, sowie an den Stattbaiteroi- rat Dr. J. D e m b o w s k i, den Referenten für die admini- strativen Angelegenheiten im galizischen Landesschulrate, wiederholt gewendet und von beiden selbstverständlich die ihm nötigen Aufklärungen erhalten. Ich werde mich in meinen Ausführungen nur auf polnische amtliche Quellen stützen, namentlich auf die gedruckten Jahresberichte des k. k. galizischen Landesschulrates, welche Dr. Sm o 1 ka nicht in Händen gehabt zu haben scheint, wiewohl er dies an einer Stelle behauptet. Dr. Smolka schreibt: Galizien zählt im ganzen 4347 Volksschulen, darunter 2144 mit ruthenischer, 2084 mit polnischer, 119 mit deutscher Unterrichtssprache. Es
14 entfallen dabei-: je eine ruthenische Volksschule auf 1443 Ruthenen, je eine deutsche Volksschule auf 1771 Deutsche und je eine polnische Volksschule auf 1914 Polen. Die grosse Zahl der ruthenischen Volksschulen ist aber nicht etwa die Folge eines besonderen Wissensdurstes der Ru- thenen und der Unkultur der Polen, sondern eine Folge davon, dass in Ostgalizien die Dorfgemeinden grossenteils gemischt sind, aber eine ruthenische Mehrheit haben: zahl- reiche polnische Minoritäten müssen demnach ihre Kinder in ruthenische Schulen schicken. Vor allem decken sjch die obigen Ziffern des Dr. S m o 1 k a nicht mit den amtlichen Ausweisen. Ich habe vor mir den letzten amtlichen Bericht des k. k. galizischen Landesschulrates für das Schuljahr 1900/1901. Nach diesem Berichte gab es in Galizien im besagten Jahre öffentliche Volksschulen 4323, davon waren aber 319 aus Mangel au Lehrern oder aus Mangel an Lehrern und an Schulgebäuden noch nicht aktiviert, diese müssen also in Abzug gebracht werden, ebenso wie die weiteren 232 Privatschulen nicht in Betracht, kommen können. So stellt sich demnach die Zahl der wirklich bestehenden öffentlichen Volksschulen folgendermassen heraus: Gesamtzahl 4004 (auf 6257 Orts- gemeinden und 5293 Gutsgebiete), davon waren mit pol- nischer Unterrichtssprache 2043, mit ruthenischer Unterrichts- sprache 1932, mit deutscher Unterrichtssprache 29.*) Auf welche Weise Dr. Smolka zu anderen Zahlen gekommen ist, weiss ich nicht; es lässt sich kaum annehmen, dass er neuere Ausweise, ächon für das Schuljahr 1901/1902 hätte, da der letzte von mir angeführte Bericht erst im Spätherbste des Jahres 1901 erschienen ist, übrigens die Zahlen auch sonst nicht stimmen könnten. Wenn man nun die Zahl der Schulen mit der Zahl der Einwohner nach der Umgangs- ®) Wenn man auch die noch nicht aktivierten (88 pol- nischen und 231 [!] ruthenischen) Schulen einbeziehen wollte, so würde sich ergeben: polnische Schulen 2131, ruthenische 2163, deutsche 29. Und wenn man noch, wie dies Dr. Smolka bezüglich der deutschen Schulen (aber wohl nur dieser 1) augenscheinlich tut, auch die (133 pol- nischen, 2 ruthenischen und 97 deutschen oder polnisch- deutschen) Privatschulen hinzurechnen würde, so ergäbe sich: polnische Schulen 2264, ruthenische Schulen 2165, deutsche (und polnisch-deutsche) 126.
— 15 — spräche vergleicht, so entfallen: je eine polnische Schule auf 1953 polnisch sprechende, je eine ruthenische Schule auf 1574 ruthenisch sprechende und je eine deutsche Schule auf 7298 deutsch sprechende Einwohner. Dem könnte man vor allem entgegenstellen, was ich bereits oben (I) gesagt habe, dass die Zahl der Polen, Ruthenen und Deutschen (oder der polnisch, ruthenisch und deutsch Sprechenden) in den amtlichen Angaben der Volks- zählung entschieden unrichtig ist. Wenn man meine früher angeführten Ziffern annimmt und den Deutschen alle Juden, nicht nur einen Teil derselben, zuzählt, so ergäbe sich.: je eine polnische Schule auf 1684 Polen, je eine ruthenische auf 1600 Ruthenen und je eine deutsche auf 30.034 Deutsche (und Juden). Da aber die Juden, mit Ausnahme der Städte, nicht in compakten Massen, sondern zerstreut wohnen, so ist natürlich eine der Zahl der Juden entsprechende Zahl deutscher Schulen weder nötig noch auch möglich. Übrigens wäre diese Rektifizierung auch sonst noch das mindeste. Ich gehe also auf dieselbe nicht weiter ein. Wichtiger sind folgende Momente: Vor allem ist es nicht sicher, ob die angegebenen amtlichen Zahlen der Schulen dem tatsächlichen Zustande entsprechen. Die ruthenischen Landtagsabgeordneten haben mehrmals verlangt, dass einmal in einem Berichte des Landesschulrates ein Einzelnverzeichnis aller Schulen mit Angabe ihrer Unterrichtssprache gegeben werde, weil mehr- mals Klagen — vielleicht unbegründete — vorgekommen sind, dass polnische Lehrer oder Lehrerinnen in einer ruthenischen Volksschule eigenmächtig die polnische Unter- richtssprache eingeführt hätten und daran von den gleich- falls polnischen Bezirksschulinspektoren nicht nur nicht ge- hindert worden seien, sondern auch die Billigung derselben fanden ; es möge also einmal amtlich konstatiert werden, welche Schulen als polnische und welche als ruthenische zu gelten haben. Ich habe selbst vor 10 oder 11 Jahren Schritte in dieser Hinsicht getan, aber mir wurde nur die Antwort zuteil, dass der Landesschulrat nicht in der Lage sei, eine solche Konstatierung vorzunehmen, er halte sich bloss an die Berichte der Bezirksschulräte. Es ist also vielleicht doch möglich, dass nicht alle als ruthenisch angeführten Schulen auch tatsächlich ruthenisch sind. Wichtiger jedoch als diese Ungewissheit ist der Um- stand, dass die ruthenischen Schulen in der Regel nur ein-
16 — klassig, selten zweiklassig und nur ganz ausnahmsweise drei- oder vierklassig sind. Leider gibt der Bericht des Landesschulrates die Zahl der ein- und mehrklassigen Schulen nach der Unterrichtssprache nicht an. Es ist aber ein grosser Unterschied zwischen ein- und mehrklassigen Schulen sowohl im Lehrplan als auch im Unterricht und in der Zahl der Lehrer, welche sich nach der Zahl der Klassen richtet. Aus einer vierklassigen Volksschule kann der Schüler nach vier Jahren, aus einer ein- oder zwei- te lässigen nicht einmal nach sechs Jahren in eine Mittel- schule hinaufsteigen. Sämmtliche öffentlichen Volks- (und Bürger-)schulcn hatten im vorigen Schuljahre 8182 Klassen; wie gross die Zalil der ruthenischen Klassen war, lässt sich beim Mangel oben erwähnter Ausweise nicht bestimmt sagen, aber ich glaube, dass die Zahl 3100 nicht zu niedrig, sondern eher zu hoch sein dürfte. Demgegenüber stünde also die Zahl 5082 polnischer Klassen. Das gibt nun schon ein ganz anderes Verhältnis, als die Zahl der Schulen. Allerdings will ich zugeben, dass die Zahl der Klassen in einer Schule sich nach der Zalil der Schüler richtet, die ruthenischen Schulen aber, weil sie sich gewöhnlich in Dörfern befinden, die zu einer vier- oder mehrklassigen Schule notwendige Frequenz nicht haben. Aber nicht um dieses handelt es sich, sondern darum, dass, wenn die Polen etwa verhältnismässig weniger Schulen haben sollten, ihnen dieser Mangel durch den Reichtum an Klassen überreich ersetzt würde. Und auch um etwas anderes handelt es sich noch, nämlich, dass es in vielen grösseren Städten überhaupt keine ruthenischen Schulen gibt, wiewohl die Zalil der Ruthenen in denselben oft mehrere Tausende beträgt. [ Das Schlimmste aber ist, dass die sogenannten ruthenischen Schulen in der Regel keineswegs wirklich ganz ruthenisch sind. Im geraden Gegensatz zum Artikel 19 der Staatsgrund- gesetzo über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, ja im Widerspruche mit dem übrigens denRuthenen ungünstigen und durch jenes Staatsgrundgesetz rechtlich aufgehobenen, aber in Galizien noch immer als bindend angesehenen Landes- gesetze vom 22. Juni 1867 über die Unterrichtssprache in den Volles- und Mittelschulen, gilt die polnische Sprache in jeder Volksschule, auch dort, wo es keinen einzigen pol- nischen Schüler gibt, als obligater Unterrichtsgegenstand, während die ruthenische Sprache natürlich dieses Privilegium nicht geniesst. Nach dem Lehrplan vom Jahre 1893 sind
— 17 — für die polnische Sprache in ein- und zweiklassigen ruthe- nischen Schulen 3 bis 7 Stunden wöchentlich auf 13 bis 32 sämtlicher Lehrstunden bestimmt, der Unterricht der- selben soll also beinahe den vierten bis sechsten Teil des Gesamtunterrichtes einnehmen. Da aber als Ziel vorge- steckt ist, nicht nur das Verstehen der Sprache im münd- lichen und schriftlichen Ausdrucke, sondern auch das möglichst korrekte Sprechen, so kann dieses Ziel in den Schulen solcher Ortschaften, wo die polnische Sprache gar nicht gesprochen wird, in jener Stundenzahl nicht erreicht werden. Nun legen aber die polnischen Schulbehörden gerade auf die Erlernung der polnischen Sprache ein be- sonderes Gewicht und verlangen von den Lehrern streng die Beibringung derselben an die Jugend; demnach sind die Lehrer gezwungen, auch einen Teil der für ander- weitigen Unterricht bestimmten Schulstunden auf den Unter- richt der polnischen Sprache zu verwenden. Auf diese Weise aber hören die ruthenischen Schulen auf, wirklich ruthenisch zu sein und werden zu utraquistischen Schulen. Das findet sich allerdings nicht in den offiziellen Be- richten des galizischen Landesschulrates. Aber es gab eine Zeit, wo der Landesschulrat offener vorging und wo man dies auch aus seinen Berichten ersehen konnte. Namentlich finden wir in den älteren Berichten desselben folgende merkwürdige Angaben: Im Schuljahr 1868/1869 gab es: ruthenische Schulen 1293, polnisch-ruthenische 67 (diese Zahlen zeigen offenbar den Stand, in wmlchem der Landes- schulrat, der am 24. Jänner 1868 ins Leben trat, die ruthe- nischen Schulen vorgefunden hat); im Jahre 1871 gab es: ruthenische Schulen 672, polnisch-ruthenische 787. Diese Zahlen wieder zeugen von einem planmässigen Vorgehen des Landesschulrates, die ruthenischen Schulen in polnisch- ruthenische umzuwandeln. Aber es folgt weiter noch etwas merkwürdigeres: für das Schuljahr 1874 wird die Zahl der ruthenischen Volksschulen mit 1537, die Zahl der polnisch- ruthenischen mit 0 angegeben! Wie, sollte der galizische Landesschulrat nicht nur seinen früheren Plan aufgegeben, sondern sogar einen ganz entgegengesetzten Plan gefasst und die 787 polnisch-ruthenischen Schulen des Jahres 1871 im Jahre 1874 in rein ruthenische umgewandelt haben? Ein solches Vorgehen dürfte auch ein Pole, der nur halb- wegs aufrichtig ist, dem galizischen Landesschulrate kaum zuschreiben. Vielmehr ist der natürliche Schluss folgender:
— 18 Die U traquisierung der ruthenischen Volksschulen ging auch nach dem Jahre 1871 weiter vor sich, aber aus politischen Gründen fand man es nicht mehr für angezeigt, dieselbe offen einzugestehen. Und zwar aus folgenden politischen Gründen: Bei den Reichsratswahlen im Jahre 1873 waren 16 ruthenische und nur 42 polnische Abgeordnete gewählt worden. Die ruthenischen Abgeordneten traten energisch gegen den galizischen Landesschulrat auf, und wurden hierin sehr wirksam von den Deutschen unterstüzt. Der Ab- geordnete Wildauer stellte im Jahre 1874 den Antrag, die besonderen Prärogative des galizischen Landesschul- rats aufzuheben und denselben den anderen Landesschul- räten gleichzustellen.*) Der galizische Landesausschuss sah sich veranlasst zur Verteidigung des k. k. Landesschulrates eine Denkschrift an den Reichsrat, an das Ministerium und an die Krone zu entsenden, und suchte in dieser Denk- schrift die erspriessliche Tätigkeit des Landesschulrates und dessen Gerechtigkeit gegen die Ruthenen mit statistischen Daten nachzuweisen. In dieser Zeit nun wurde der Bericht des Landesschulrates für das Schuljahr 1874 zusammen- gestellt. Selbstverständlich durfte man da die Umwandlung der ruthenischen Schulen in polnisch-ruthenische nicht ein- gestehen, man nannte alle diese Schulen ruthenische und gab die Zahl sämmtlicher ruthenischer Volksschulen mit 1537 und die Zahl der polnischen Schulen mit 1117 an, was also einen augenscheinlichen Beweis der Fürsorge des Landesschulrats für die Schulbedürfnisse der Ruthenen abgeben sollte. Diese Beispiele dürften genügen, um nach- zuweisen, inwiefern man sich auf die amtlichen Berichte des galizischen Landesschulrates verlassen kann. Es könnte vielleicht bemerkt werden, dass die ruthe- nische Bevölkerung und speziell die ruthenischen Ge- meinden mit der Utraquisierung ihrer ruthenischen Volks- schulen einverstanden sein müssen, wenn sie nicht auch noch in anderer Weise, als bloss durch den Mund ihrer Ab- geordneten, dagegen remonstrierten, wenn sie z. B. nicht den Schutz des Reichsgerichtes ansuchten. Nun, Versuche *) Der galizische Landesschulrat hatte bis zum Jahre 1875 ganz besondere Prärogative, z. B. das Ernen- nungsrecht von Gymnasialdirektoren, welches sonst überall in Österreich nicht einmal dem Ministerium, sondern erst der Krone zusteht!
— 19 wurden gemacht, aber die galizische Verwaltung wusste sich zu helfen. Vor etwa zwanzig Jahren haben sich einige Ge- meinden des Kaluszer Bezirkes an die Regierung mit dem Ansuchen gewendet, den Unterricht der polnischen Sprache in ihren Schulen als einen durch das Gesetz nicht ge- botenen abzuschaffen. Der dortige Bezirkshauptmann aber lud die betreffenden Gemeinderäte vor, und bearbeitete und terrorisierte sie dermassen, dass sie sich bemüssigt fanden, ihr Ansuchen zurückzuziehen. Dem ruthenischen Pfarrer aber (in Dolha), welcher den Bauern in dieser Angelegen- heit behilflich war, wurde zur Strafe dafür der Unter- stützungsbeitrag entzogen, welchen er bis dahin ge- nossen hatte. Dr. Smolka sucht, wie gesagt, die vermeintlich grössere Zahl der ruthenischen Volksschulen damit zu erklären, dass in vielen Dorfgemeinden Ostgaliziens, wo die Bevölkerung gemischt ist, die Ruthenen aber die Majorität haben, die Unterrichtssprache nach dem Majoritätsprinzip ruthenisch ist. Das mag allerdings hie und da auch vorkommen, aber es gibt noch andere Ursachen dafür. Ich will nur zwei anführen. In Ostgalizien konzentriert sich die polnische Bevölkerung hauptsächlich in Städten, wo sie in dichter Masse wohnt, demnach auch nicht so viele Schulen nötig hat, wie die auf dem Lande zerstreute. So gibt es z. B. in der Hauptstadt des Landes, Lemberg, auf eine Bevölkerung von 159.000 nur 31 Volks- (und Bürger-)schulen, im Lemberger Bezirke aber auf eine gewiss nicht grössere Bevölkerung (im Jahre 1890 betrug sie 109.000) gibt es 116 Schulen. Allerdings sind die städtischen Schulen in Lemberg vier- oder sechsklassig, dagegen die im Bezirke zumeist ein- oder zweiklassig. Ueber einen zweiten Grund sucht Dr. Smolka mit einer gewissen Ironie hinwegzugehen, wenn er von dem angeb- lichen Wissensdurste der Ruthenen und der Unkultur der Polen spricht. Es ist aber doch, wenigstens was den ersten Umstand anbelangt, viel wahres daran. Bis zum Jahre 1868 gab es in Galizien keinen Landesschulrat und bis zum Jahre 1873 keinen Schulzwang und keine Pflicht zur Er- richtung von Volksschulen; die Gründung neuer Schulen hieng nur von dem guten Willen der Bevölkerung, speziell der Gemeinden ab. Nun hat die ruthenische Minorität des Landes bis zum Jahre 1868 bereits 1293 rein ruthenische und 67 polnisch-ruthenische, also zusammen 1360 Schulen errichtet, während die Zahl der polnischen Volksschulen um
20 diese Zeit bloss 1055, also um 305 weniger betrug. Darin liegt doch gewiss ein grösserer Bildungsdrang der Ruthenen oder eine grössere Fürsorge der ruthenischen Intelligenz, namentlich der ruthenischen Geistlichkeit, um die Bildung des Volkes. Seit dieser Zeit, während des Regimes. des Landesschulrates, hat die Zahl der ruthenischen oder an- geblich ruthenischen Volksschulen nur um 572, dagegen die der polnischen um 988 zugenommen, was vielleicht doch von einer gewissen Einseitigkeit des Landesschulrates zeugen dürfte.*) Aus allem dem Gesagten ergibt sich also folgendes: 1. Die weitaus grössere Zahl der Volksschulen (nämlich 1360 von den jetzt bestehenden 1932) haben sich die Ru- thenen selbst, noch vor der Errichtung des Landesschulrates, gegründet. 2. Die Ruthenen besassen, so lange sie allein für ihre Schulen zu sorgen hatten, weit mein' Volksschulen als die Polen: 1360 gegen 1055 oder 54'9 gegen 42-6%. 3. Jetzt haben die Polen faktisch um 111 Volksschulen mehr als die Ruthenen und eine Klassenzahl von etwa 5082 gegen 3100. 4. Die jetzigen ruthenischen Volksschulen sind nicht rein ruthenische Anstalten, sondern haben einen mehr utraquistischen Charakter. Und bei alledem spricht Dr. Smolka von einer be- sonderen „Bevorzugung des ruthenischen Elementes!“ Ich bin kein solcher Gegner der Polen, dass ich ihnen eine solche Bevorzugung sei es auf dem Gebiete des Volks- schulwesens, sei es auf irgend einem anderen' Gebiete wünschen würde. IV. Die galizischen Gymnasien. Auch hier stimmen die statistischen Daten des Dr. Smolka mit den offiziellen Ziffern nicht überein; manchmal fällt dies sogar zu seinem Nachteile, in dei’ Regel allerdings zum Vorteil des Zieles aus, welches er sich vor- gesteckt haben musste. Ich halte mich wieder streng an *) Dr. Smolka schiebt die Schuld des bekanntlich starken Analphabetismus in Galizien der ehemaligen deutschen Bureaukratie zu, aber die eben angeführten Ziffern sprechen nicht sein’ zu Gunsten der jetzigen Verwaltung.
21 die offiziellen Angaben in dem Berichte des k. k. Landes- schulrates für das Schuljahr 1900/1901, in welchem Berichte auch einige allgemeine Daten für das Schuljahr 1901/1902 angegeben sind. Gegenwärtig bestehen in Galizien (nicht 32, wie Dr. Smolka schon mit Einreclinung des von mir nicht berücksichtigten polnischen Privatgymnasiums in Bonkowice meint, sondern) 33 Öffentliche Gymnasien. Wenn man aber noch die neu errichteten 3 Filialgymnasien in Lemberg und ein Filialgymnasium in Tarndw, welche alle unter beson- deren Leitern stehen, in Rechnung nimmt, so gibt es der- zeit 37 Gymnasien; zu diesen soll mit Beginn des nächsten Schuljahres, d. i. vom 1. September 1902, noch eine Filiale des Gymnasiums in Rzeszöw, gleichfalls unter eigenem Leiter, hinzukommen. Von den gegenwärtigen 37 Gymnasien sind 31 polnisch, 4 (eigentlich 37i, da das Tarnopoler Gymnasium heuer erst 4 untere Klassen hat, aber es soll nach und nach ergänzt werden) ruthenisch und 2 deutsch. In allen diesen Gymnasien waren am Anfänge des laufenden Schuljahres 19.786 Schüler eingetragen, also entfallen auf eine Anstalt 535 Schüler (und mit Berücksichtigung der 4 unvollständigen Gymnasien in Tarnopol, Dembica und Filialgymnasien in Lemberg und Tarnöw 575 Schüler). *) Das ist nun sicherlich eine starke und sonst wohl nirgends vorkommende Ueber- *) Merkwürdig ist die Nachlässigkeit in den Ziffern und Rechnungen des Landesschulrates. So hat z. B. das jetzt zweiklassige Gymnasium in Dembica in der ersten Klasse 88, in der zweiten 62, also zusammen 150 Schüler; aber die Summe wird an einer Stelle mit 159 und erst an der. zweiten mit 150 angegeben. Nun, das liesse sich durch einen Druckfehler erklären. Aber beim vierklassigen ruthe- nischen Gymnasium in Tarnopol kommen folgende Ziffern vor: erste Klasse 109 Schüler, zweite Klasse 99, dritte Klasse 70, vierte Klasse 43, das macht also zusammen 321. Die Summe wird jedoch nicht mit 321, sondern an einer Stelle mit 310, an der zweiten mit 312 angegeben. Was ist also das Richtige: 310, 312 oder 321? Ich nehme die Zahl mit 312 an, weil dieselbe noch an einer anderen Stelle er- scheint. Ob sonst noch irgendwo Fehler vorkommen, habe ich mir nicht die Mühe genommen, nachzurechnen, weil ich ohnehin das Richtige kaum finden könnte.
— 22 — füllung, eine Art von Kalamität, wie Dr. Smolka richtig meint, welcher dringend abgeholfen werden muss. Was jedoch Dr. Smolka weiter schreibt, dass die polnische Bevölkerung von den Folgen dieses Uebelstandes am härtesten getroffen wird und dass die Ruthenen und Deutschen sich über Überfüllung ihrer Gymnasien gar nicht zu beklagen haben, ist nur eine Verschiebung der Frage, um die es sich hier handeln muss, nämlich: welcher Volksstamm in Galizien ist in Bezug auf die Zahl der Gymnasien am meisten verkürzt und welcher bedarf am meisten neuer Gymnasien? Allerdings beträgt die Durchschnittszahl der Schüler an den polnischen Gymnasien 588, an ruthenischen nur 526.:i:) Aber man muss ja dabei berücksichtigen, dass die ruthenischen Gymnasien nur von ruthenischen und die pol- nischen in denjenigen Städten, wo sich keine andersspra- chigen Gymnasien befinden, nicht nur von polnischen, sondern gleichfalls von ruthenischen Schülern besucht werden, und auch besucht werden müssen, weil diese ja nicht 20, 30 oder noch mehr Meilen fahren können, um an einer ruthe- nischen Anstalt zu studieren, nachdem an Ort und Stelle oder doch in der Nähe eine polnische Anstalt besteht. Solches übersehen zu haben, ist wahrlich ein unverzeihlicher Fehler, zumal Dr. Smolka, um sich recht gewissenhaft zu zeigen, noch von einer Rechnung lege artis spricht. Wenn man diesen Umstand berücksichtigt — und er muss absolut berücksichtigt werden, so kommt man zu ganz anderen Resultaten. Ich werde gleich die Korrektur vornehmen, nur muss ich dabei die statistischen Daten nicht vom laufenden, sondern vom abgelaufenen Schuljahre t,nehmen, weil bloss für dieses Jahr die Nationalität der Schiller in dem Jahres- berichte des k. k. Landesschulrates angegeben ist. Im Jahre 1900/1901 gab es 32 (richtiger, mit den 2 Filialgymnasien in Lemberg, 34) öffentliche Gymnasien, Ich rechne nämlich die vier unvollständigen Gym- nasien mit 2 bis 4 Klassen ab, und zwar ebenso die pol- nischen wie das ruthenische, und nehme somit 28 vollständige polnische und 3 vollständige ruthenische Gymnasien an. Tut man das nicht und bezieht auch die unvollständigen Gymnasien hinein, so ergibt sich als Durchschnittszahl für die polnischen Gymnasien 547, für die ruthenischen 472 Schüler.
— 23 — von denen 2 (und mit den Lemberger Filialen 4) unvoll- ständig waren (nur 1, 3 oder 4 Klassen hatten). Ich mache dem Dr. Smolka das Zugeständnis, dass ich nur 32 Gymnasien rechne, und dass ich auch die unvoll- ständigen Gymnasien nicht abziehe. Von diesen 32 Gym- nasien waren 26 polnisch, 4 ruthenisch und 2 deutsch. Sämmtlicher Schüler polnischer Nationalität gab es an allen' diesen 32 Gymnasien 13.303, ruthenischer Nationalität 3330. Ich mache dem Dr. Smolka weiters das Zugeständnis, dass ich 2825 Juden als Polen anrechne und sie von jener Zahl 13.303 polnischer Schüler nicht abziehe. Ich mache ihm noch das dritte Zugeständis, dass ich dagegen von den 3330 ruthenischen Schülern 255 abziehe, welche in Lemberg, Prze- mysl und Kolomyja polnische Gymnasien besuchen, obwohl dort auch ruthenische Gymnasien bestehen. (Die ruthenischen Gymnasien wurden nur von 2 Polen und 5 Juden besucht.) Es bleiben also 13.301 „Polen“ und 3075 Ruthenen übrig. Die Durchschnittszahl der Polen kommt demnach auf 511, die Durchschnittszahl der Ruthenen auf 769 heraus. Es müssten somit noch wenigstens zwei weitere ruthenische Gymnasien errichtet werden, damit die Durch- schnittszahlen der polnischen und ruthenischen Gymnasial- schüler nahezu gleichkommen. Noch viel schlimmer für Dr. Smolka kommt die Sache heraus, wenn man nicht die Zahl der Schüler, son- dern die Zahl der Einwohner überhaupt in Anschlag nimmt. Und eine solche Rechnungsweise ist wohl begründet. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Ruthenen, und zwar nicht so sehr die Intelligenz, als vielmehr die Bauern, ihre Söhne nicht leicht in polnische Gymnasien schicken, dagegen ruthenische Anstalten gern besuchen lassen. So haben z. B. in Przemysl, als es dort vor 13 Jahren nur ein polnisches Gymnasium gab, an demselben 212 Ruthenen und 502 Polen studiert. Seitdem aber neben dem polnischen Gym- nasium auch ein ruthenisches errichtet worden ist, hat die Zahl der ruthenischen Schüler um 141%, dagegen die der polnischen nur um 45% zugenommen, obwohl im Landtage hei der Beratung über die Errichtung des ruthenischen Gymnasiums von polnischer Seite der Einwand erhoben wurde, dass dieses Gymnasium keine genügende Schüler- zahl haben werde. In noch höherem Grade dürfte sich die Zunahme der Zalil ruthenischer Schüler am Gymnasium in Tarnopol zeigen.
— 24 — Nimmt mau also die Gesammtzalil der Bevölkerung in Rechnung (und Dr. Smolka tut dies auch, wenn er schreibt, dass 32 Gymnasien für eine Bevölkerung von über 7 Millionen durchaus unzureichend sind), und rechnet man auch, hach der offiziellen Statistik, 650.000 Juden fälschlich zu den Polen, so ergibt es sich, dass bei einer Gesamtzahl von 37 Gymnasien ein polnisches Gym- nasium auf 128.700 „Polen“ und ein ruthenisches Gym- nasium auf 760.500 Ruthenen entfällt. Wenn also die Ruthenen den Polen gl ei chg es t e 111 werden sollten, so müssten sie n i c h t 4, sondern wenig- stens 23 Gymnasien haben. Kann also der gegenwärtige Tatbestand, wie Dr. Smolka meint, „aufs deutlichste beleuchten“, dass die Ruthenen „seitens der Regierungsweise, wo die polnische Be- völkerung allein das lieft in der Hand hat“, mit grosser, ja übergrosser Rücksicht behandelt werden ? Und ist es richtig, wie Dr. Smolka weiter meint, dass „eine jede Unterrichts- verwaltung, welche sich lediglich durch objective Stellung- nahme den Bedürfnissen der Bevölkerung gegenüber ohne Rücksicht auf die nationalen Ansprüche der Ruthenen leiten liesse, selbstverständlich eher an Entlastung der überfüllten polnischen Gymnasien denken, als Neugründungen von ruthenischen Mittelschulen vornehmen müsste?“*) Dr. Smolka spottet über die Unkenntnis der gali- zischen Verhältnisse und Einrichtungen bei Dr. Sattler. Was soll man aber von Dr. Smolka selbst sagen, der doch ein Galizianer und Mitglied des Herrenhauses ist, also wie über alle österreichischen so auch über galizische Ver- hältnisse zu Rate sitzt und zu entscheiden hat? Er schreibt: „Bekanntlich verhält es sich so, dass die Errichtung einer jeden Mittelschule auf Vorschlag des k. k. galizischen Lan- desschulrates im k. k. Ministerium für Kultus und Unter- richt entschieden wird.“ Bekanntlich verhält es sich aber, wenn es sich um die Errichtung einer ruthenischen Mittel- schule handelt, ganz anders, und wenn Dr. Smolka das nicht gewusst hat, so hätte er als ein gewissenhafter *) Dr. Smolka verlangt vor allem die Errichtung neuer polnischer Gymnasien in Lemberg, Krakau und Tarnow. Das ist ja aber bereits geschehen, allerdings vorläufig in Form von Filialen, welche aber eigene Leiter haben, wie ich schon oben erwähnt habe.
- 25 - Historiker sich früher erkundigen sollen, bevor er etwas niederschreibt. Die Sache verhält sich nämlich „bekanntlich“ folgendermassen: Nach Artikel VII des galizischen Landes- gesetzes vom 22. Juni 1867 entscheidet über die Errichtung neuer ruthenischen Gymnasien der Landtag nach Anhören der Bezirksvertretung. Infolge dieser in keinem anderen Kronlande vorkommenden galizischen Spezialität musste wegen des ruthenischen Gymnasiums in Przemysl erst ein vierjähriger Kampf im Landtag geführt werden (1884—1887), und auch dann entschied der Landtag, trotz des Eingreifens der Zentralregierung, dass nicht ein ruthenisches Gym- nasium, sondern nur ruthenische Parallelklassen „nach dem Masse des erwiesenen Bedarfes“ zu errichten seien. Glück- licherweise hat der damalige Unterrichtsininister eine Aller- höchste Entschliessung erwirkt, welche diesen Beschluss des Landtages in einer modifizierten, für die Ruthenen günsti- geren Form zur Durchführung brachte. Ebenso gab es im Landtage im vorigen Jahre Schwierigkeiten mit der Er- richtung eines neuen ruthenischen Gymnasiums in Stanislau, indem Graf Adalbert Dzieduszycki eine Beschluss- fassung darüber vereitelte, so dass diese Angelegenheit bis jetzt noch nicht erledigt ist. Dr. Smolka beruft sich am Schlüsse seiner Ausführ- ungen auf amtliche Quellen, denen er seine Ziffern ent- nommen habe und welche jedem zu Gebote stehen, vor allem auf die gedruckten Jahresberichte des k. k. galizischen Landesschulrates. Ja wenn man aber die Quellen so benützt, wie es Dr. Smolka tut, obwohl er Geschichtsforscher ist, und wenn man eine solche Unkenntnis der galizischen Ein- richtungen und Verhältnisse zeigt, wie es wieder Dr. Smolka, tut, obwohl er ein Politiker und Mitglied des Reichsrates ist, so ist das — sehr zu bedauern. Es wäre noch manches über das „besondere Entgegen- kommen des galizischen Landesschulrates“ gegenüber den Ruthenen zu sagen, aber ich will es lieber unterlassen, weil ich weitere unangenehme Dinge berühren müsste, die natio- nale Verbitterung in Galizien aber nicht verschärfen möchte. V. Die ruthenische Universitätsfrage. Dr. Smolka bespricht weiter auch die Universitäts- frage in Galizien, namentlich das Postulat der Ruthenen nach Errichtung' einer ruthenischen Universität in Lemberg. Er will dieses Postulat nicht „vom Standpunkte der reellen,
26 sowohl politischen als auch kulturellen Interessen der ruthe- nischen Nationalität erörtern“, weil dann seine Schrift zu einer umfangreichen Abhandlung' heranwachsen müsste, sondern sich nur auf Mitteilung weniger Tatsachen beschränken. Ich meine vor allem, dass die Erörterung dieser Frage vom Standpunkte ruthenischer Interessen wohl zunächst Sache der Ruthenen sein dürfte, und kann Herrn Dr. Smolka nur rechtgeben, wenn er dieselbe, wenngleich aus anderen Motiven, unterlässt. Ich werde übrigens seinem Beispiele folgen und mich gleichfalls auf einige Tatsachen beschränken. Also Tatsache ist vor allem, dass die österreichischen Polen zwei vollständige Universitäten, in Krakau und in Lemberg, haben, und in dieser Hinsicht neben den Deutschen am besten gestellt sind. Die Cechen mit einer Bevölkerung von 5,960.000, also um wenigstens 1,700.000 (richtiger um 2,350.000) mehr als die Polen, haben nur eine, die 3,343.000 Ruthenen und ebenso die anderen kleineren Volksstämme des Reiches haben keine einzige Universität. Eine Tatsache ist ferner, dass an der im Jahre 1784 gegründeten deutschen Universität in Lemberg schon vom Jah re 1787 bis 1804 mehrere ruthenische aber keine polnischen Lehrkanzeln bestanden, dass diese Universität nach ihrer Reaktivierung im Jahre 1817 (sie war im Jahre 1805 auf- gehoben worden) zwar einen rein deutschen Charakter hatte, aber im Jahre 1848 zwei ruthenische Lehrkanzeln erhielt und für eine spätere Zeit, mit nur vorläufiger Beibehaltung des deutschen Charakters, für die Ruthenen bestimmt wurde, dass im Jahre 1862 zwei neue ruthenische Lehrkanzeln, ohne gleichzeitige polnische Lehrkanzeln, an derselben syste- misiert und weitere in Aussicht gestellt wurden, und dass man erst später, nach der Wandlung der österreichischen Politik gegenüber den Polen, auch an die Errichtung pol- nischer Lehrkanzeln gieng, bis schliesslich diese Universität im Jahre 1871 utraquisierf, d. i. für polnische und ruthe- nische Vorträge bestimmt worden ist, worauf dann noch im Jahre 1879 die Einführung der polnischen Amtssprache, aber mit einigen Einschränkungen zu Gunsten der ruthe- nischen Sprache folgte. Die Polen waren, bei ihrer weit zahlreicheren Intelligenz und bedeutend grösserer Wohlhabenheit, sowie bei ihrer schon damals bestellenden Vorherrschaft im Lande, endlich weil die Landesregierung- gänzlich in ihren Händen war, viel
— 27 — früher als die Ruthenen imstande, die nach Abgang der deutschen Professoren frei gewordenen Lehrkanzeln zu besetzen. Freilich wurden in der ersten Zeit manche Lehr- kräfte nur aus Notbedarf, in Ermangelung von besseren, aufgenommen, auch mit der wissenschaftlichen Literatur, ja mit der Terminologie, war es noch ziemlich schwach bestellt. Erst mit der Zeit ging es allmählich besser. Als aber die Uni- versität schon vollständig polonisiert war und nun sich auch Ruthenen als Bewerber um Lehrkanzeln meldeten, wurden ihnen die grössten Schwierigkeiten in den Weg gelegt. Diejenigen Ruthenen, welche sich habilitieren wollten, wurden unter dem Vorwande eines Mangels an genügender wissen- schaftlichen Eignung abgewiesen, wiewohl deutsche Autori- täten, z. B. der Wiener Universität, deren für die Habili- tation bestimmte Abhandlungen vollkommen geeignet fanden, und umgekehrt eine absprechende und nachträglich ver- öffentlichte Rezension des betreffenden polnischen Professors besonderen .Mangel an Wissenschaftlichkeit zeigte. Demnach geschah es, dass ahgewiesene ruthenische Kandidaten ent- weder an auswärtige Universitäten als Dozenten gingen oder anderen mit weniger Hindernissen verbundenen Berufen (z. B. der Advokatur) sich zuwandten. Ihre Beispiele schreckten natürlich weitere ab, da ja die Tendenz für jedermann offen lag. So kam es, dass an der juridischen Fakultät die Ruthenen auch jetzt nur die zwei Lehrkanzeln besitzen, -welche sie schon vor vierzig Jahren innehatten. Im Jahre 1890 wollte der damalige Statthalter von Galizien, dei’ spätere Ministerpräsident Graf Kasimir Badeni, durch eine grössere Tat, durch das Zustandebringen eines Ausgleichs zwischen der Landesregierung und den Re- gierungspolen einerseits und den Ruthenen andererseits, sich besonders hervortun und damit seine politische Begabung und sein erspriessliches Wirken für den östen-eichiscben Staat zeigen. Unter den Punkten, welche damals zwischen ihm und den Ruthenen vereinbart wurden, war auch die Systemisierung einer Lehrkanzel für die ruthenische Ge- schichte, selbstverständlich mit ruthenischer Vortragssprache. Auf Grund dieser Vereinbarungen wurde Professor Hru- szewskyj aus Kijew berufen. Dr. Smolka rechnet diese Berufung den Polen als riesiges Verdienst an und bezeichnet dieselbe als einen sehr charakteristischen Fall und einen besonderen Beweis der Objektivität der polnischen Pro- fessoren, indem es keinen wissenschaftlich geschulten Kan-
— 28 — didaten für dieses Lehrfach gegeben habe und Professor H r uszewskyj jederzeit vielmehr als Gegner der Polen bekannt gewesen sei. Diese Angaben sind wieder unrichtig. Professor Hruszewskyj hatte damals überhaupt noch keine Gelegenheit gehabt, sich als Gegner der Polen zu zeigen, und war als solcher auch gar nicht bekannt; ferner gab es äusser ihm noch einen anderen wissenschaftlich geschulten Kandidaten, welcher später eine Lehrkanzel für ein ähnliches Fach an der Czernowitzer Universität erhielt. Aus ähnlichen Rücksichten politischer, zum Teile auch privater Natur, auf die ich nicht näher eingehen will, wurde vor drei Jahren eine Lehrkanzel für kirchenslavische und ruthenische Sprache an der Lemberger Universität errichtet. Dr. Smolka macht auch aus dieser Sache eine grosse Bevorzugung der Ruthenen, weil die polnische Sprache und Literatur weder in Lemberg noch in Krakau durch eine zweite Lehrkanzel vertreten sei. Die Ruthenen aber sahen in der Errichtung dieser Lehrkanzel, welche übrigens von der Wiener Regierung ausging und der gegenüber die Lem- berger Fakultät sich ablehnend verhielt, mehr ein Zu- geständnis von persönlichem als von nationalem Charakter und würden dieselbe gerne für irgend eine andere not- wendigere und erwünschtere hingegeben haben, wiewohl sie immerhin die Systemisierung einer neuen ruthenischen wenn auch minder dringenden Lehrkanzel als einen Gewinn an- sehen müssen. So haben also die Ruthenen gegenwärtig: drei Lehr- kanzeln an der philosophischen Fakultät, zwei an der juri- dischen, drei an der theologischen. Hinsichtlich der letzteren muss ich bemerken, dass an der theologischen Fakultät dreimal soviel Ruthenen studieren als Polen, und dass fast nur die ruthenischen Studenten ordentliche Universitätshörer sind, da die polnischen Seminarzöglinge meistenteils keine Maturitätsprüfung abgelegt haben. Das Bestreben der Ruthenen geht dahin, dass an der Lemberger Universität ruthenische Lehrkanzeln in genü- gender Zahl errichtet und nach ihrer möglichst raschen Besetzung abgetrennt und als selbständige ruthenische Uni- versität organisiert werden. Sie verlangen von den Polen, dass dieselben ihnen hierin keine Schwierigkeiten in den Wog legen. Dafür würden sie die gegenwärtig bestehende Universität nicht mehr für sich reklamieren.
— 29 — Ebenso wie in betreff der Errichtung neuer und der Besetzung bereits bestehender ruthenischer Lehrkanzeln, haben die Ruthenen in betreff der Amtssprache an der Uni- versität von selten der polnischen Universitätsbehcrden manche Unbill erfahren. Nicht nur rechtlich zukommende Rechte wurden verweigert, sondern auch tatsächlich genossene eingeschränkt oder entzogen. Das chauvinistische und pro- vozierende Benehmen einiger Professoren, namentlich eines Dekans der philosophischen, und eines Dekans der theolo- gischen Fakultät musste einen Konflikt hervorrufen, umso- mehr, als es in eine Zeit fiel, wo die Ruthenen immer ernst- licher und lebhafter an die Errichtung einer eigenen ruthe- nischen Universität zu denken begannen und dieses durch Stellung von Interpellationen und Anträgen im Reichsrate und im Landtage, durch Abhaltung allgemeiner Studenten- tage sämmtlicher ruthenischer Hochschüler, durch Absenden von Denkschriften seitens ruthenischer Vereine an das Unterrichtsministerium u. s. w. vielfach betätigten. Für den 19. November 1901 war die Stellung eines Dringlichkeitsantrags auf Errichtung einer ruthenischen Universität im Abgeordnetenhause angesagt, und im Uni- versitätsgebäude zu Lemberg wurde zur Besprechung der- selben Angelegenheit eine Versammlung der ruthenischen Studenten, jedoch im Widerspruche mit einigen Anordnungen der Universitätsbehörden, abgehalten. Da nun die Universi- tätsbehörden diese Versammlung als eine gesetzwidrige aufzu- lösen kamen, wurden sie in den Versammlungssaal nicht liinein- gelassen, beziehungsweise aus demselben herausgedrängt; die Studenten, gereizt durch das anmassende Vordrän gen eines der erwähnten Dekane, stiessen lärmende Pereatrufe ans, führten ihre Beratungen bis zum Ende ab und hielten dann einen Massenumzug durch die Stadt, ohne indes die Ruhe zu stören. Die polnischen offiziellen Kreise und die Mehrzahl der polnischen Pressorgane stellten diese Demonstration als einen Akt nie dagewesener Roheit und Wildheit dar, mehrere ruthenische Studenten wurden relegiert und die Universität geschlossen. Nach 13 Tagen sollte die Universität wieder eröffnet werden, und der akademische Senat forderte in einem gedruckten, sehr unglücklich stilisierten Aufrufe die polnischen Studenten auf, die Privilegien ihrer Alma matcr zu verteidigen. Die ruthenischen Studenten nahmen diesen Aufruf als eine Provokation und Beleidigung gegen sie auf, und da ausserdem ein gefährlicher vielleicht blutiger Konflikt
— 30 — mit der Mehrheit der polnischen Studenten zu erwarten war, so traten sie, um eine Anwendung illegaler Mittel unter den unleidlich gewordenen Verhältnissen zu vermeiden, fast ins- gesamt, 600 an der Zahl, aus der Lemberger Universität aus. Es war dies ein Ereignis, wie es seit der Auswanderung der deutschen Studenten aus Prag im Jahre 1409 nirgends wieder vorgekommen ist. Die ausgewanderten Studenten wurden in Wien, Prag und Krakau ohne Anstand auf ge- nommen, nur in Czernowitz wurde ihnen die Aufnahme verweigert. Das ganze ruthenische Volk nahm an dieser Sezession der Studenten innigen Anteil und ermöglichte ihnen, trotz seiner Armut, durch reichliche Geldsammlungen, an denen sicli alle Volksklasseu beteiligten, einen längeren Aufenthalt in der Fremde. Der akademische Senat in Lemberg liess sich inzwischen nach langem Zögern zu einer teilweisen Regelung der Rechte der ruthenischen Sprache herbei, und seine Vorschläge wurden, über Antrag des Statthalters, vom Unterrichtsminister genehmigt und mit Verheissungen weiterer Zugeständnisse ergänzt; aber die grosse Mehrheit der Stu- denten erklärte jene Regelung als durchaus unzulänglich und setzte den Verheissungen Misstrauen in ihre Erfüllung entgegen. Zu erwähnen ist noch, dass die Gesamtzahl der ru- thenischen Studenten an allen österreichischen Universitäten über 800 beträgt und dass ruthenische Professoren an anderen Hochschulen Österreichs und Russlands in deutscher, pol- nischer, cechischer, kroatischer und russischer Sprache dozieren. Wie sehr die Universitätsfrage den Ruthenen am Herzen liegt, zeigt der Umstand, dass jetzt ganz ernstlich ein phantastischer Plan erwogen wird, durch eine allge- meine Subskription eine ruthenische Privatuniversität zu errichten. VI. Die Amtssprache in Galizien. Dr. Smolka sagt in betreff der Amtssprache in Galizien, dass „den nationalen Interessen der Bevölkerung beider Nationalitäten des Landes vollkommen Rechnung getragen werde“; denn wenn auch die Amtssprache polnisch und in den dem Finanz-, Handels- und Eisenbahnministerium unterstehenden Behörden noch immer deutsch ist, so sind auf Grund der Allerhöchsten Entschliessung vom 4. Juni 1869 und infolge des Erlasses des Gesamtministeriums von demselben Tage, sowie nachträglicher Verordnungen
— 31 — des Ministeriums des Innern und der Lemberger Statthalterei, sowohl Private als . auch sämtliche Korporationen, Ge- meindebehörden u. s. w. berechtigt, bei allen Staatsbehörden schriftlich und mündlich in einer der beiden Landessprachen (d. h. polnisch oder ruthenisch) einzuschreiten, und alle Behörden sind verpflichtet, die betreffende Erledigung- in derjenigen Sprache, in welcher die Eingabe eingebracht wurde, erfolgen zu lassen. Vor allem ist es schwer zu verstehen, wie so, nach der Behauptung Dr. S m o 1 k a s, den nationalen Interessen der Ruthenen in gleicher Weise wie der Polen voll- kommen Rechnung getragen wird, wenn die Amtssprache polnisch ist und den Ruthenen nur einige Rechte bezüglich des Verkehrs mit Behörden eingeräumt werden. Stellen wir uns die Sache umgekehrt vor. Wenn in Ostgalizien, wo es 64% Ruthenen und nur 21'8% Polen gibt, die ruthenische Sprache als Amtssprache erklärt würde, also die Ruthenen in die jetzige Lage der Polen und die Polen in die der Ruthenen versetzt würden; würde dann die polnische Min- derheit anerkennen, dass „ihren nationalen Literessen voll- kommen Rechnung getragen werde?“ Und doch wäre ein solcher Zustand der richtigere und natürlichere, weil ja 21’8% sich nach 64% richten sollten, und nicht umgekehrt, nach den Staatsgrundgesetzen aber alle Volksstämme und alle Sprachen gleichberechtigt sind, die Polen also keine Privilegien beanspruchen dürfen. Dr, S m o 1 k a meint cs freilich anders. An diesem Zustande oder „an diesen Tat- sachen“, behauptet er, „wird selbstverständlich nicht im ge- ringsten etwas geändert, ob die Ruthenen damit zufrieden sind oder nicht.“ Also nur die Zufriedenheit der Polen soll das Entscheidende sein, an der Zufriedenheit der Ruthenen ist aber nichts gelegen 1 . . . Diese Worte verdienen ange- nagelt zu werden als Beispiel, wie die Polen sich ihr Ver- hältnis zu den Ruthenen vorstellen. Abgesehen von dieser sonderbaren Auffassung zeigt Dr. Smolka hier wieder einen Mangel an Kenntnis der Dinge, über die er schreibt. Erstens ist die Amtssprache in den dem Finanzministerium unterstehenden Behörden nicht deutsch, sondern polnisch; deutsch ist sie nur für einige wenige Agenden. Zweitens bilden die Allerhöchste Ent- schliessung und der Erlass des Gesamtministeriums vom 4. Jmii 1869 keine eigentliche Grundlage für die natio- nalen Rechte der ruthenischen Sprache im Amtsgebranch,
— 32 — denn sie erteilen nicht der ruthenischen Sprache irgend welche Rechte, sondern belassen nur die alten Rechte. Drittens gibt es keine nachträglichen Verordnungen des Ministeriums des Innern und der galizischen Statthalterei, welche den Ruthenen weitere sprachliche Rechte in der von Dr. Smolka angegebenen Richtung verleihen würden. Die Rechte der ruthenischen Sprache im Verkehr- mit den Behörden waren noch während der Herrschaft der deutschen Amtssprache durch Allerhöchste Entschliessungen und ministerielle Erlässe in den Jahren 1848 bis 1862 nor- miert worden. • Die Allerhöchste Entschliessung vom Jahre 1869, welche an die Stelle der deutschen Amts- sprache die polnische einführte, hat den Polen alles, den Ruthenen aber nichts gebracht, und deshalb klagen die Ruthenen, dass sie damals bei jener so reichlichen Be- teiligung ganz leer ausgegangen sind. Zweitens klagen die Ruthenen, dass ihre Rechte in betreff der Amtssprache auch in den folgenden 32 Jahren nicht erweitert worden sind. Aber die meisten und die schwersten Klagen werden dar- über erhoben, dass auch die bestehenden Rechte nicht ausgeübt werden. Die noch iin Jahre 1848 durch eine Allerhöchste Entschliessung den k. k. Beamten in Ostgalizien auferlegte und seitdem wiederholt cingeschärfte Verpflichtung, sich die ruthenische Sprache anzueignen, hat auch jetzt noch keine praktische Geltung. Die meisten Beamten geben zwar in ihren Qualifikationstabellen an, dass sie der ruthenischen Sprache in Wort und Schrift mächtig sind, aber eine Kon- trolle über die Richtigkeit diesei* Angaben wird nicht ge- führt, und in der Wirklichkeit können sehr viele das Ruthenische kaum zur Not radebrechen. Ist ja doch erst vor wenigen Monaten ein Fall vorgekommen, als es sich beim k. k. Landesgerichte in Lemberg um einen Einspruch gegen die Konfiskation einer ruthenischen Zeitung handelte, dass der ganze Gerichtshof einschliesslich des Schriftführers sich ausserstande zeigte, ruthenisch zu lesen und deshalb die Verhandlung lange nicht geführt werden konnte, bis man endlich einen Aushilfsschriftführer gefunden hat. Bei den Verwaltungsbehörden steht die Sache in der Regel noch schlimmer. Aus dieser Unkenntnis der Sprache folgt natürlich, dass inan die ruthenischen Eingaben nicht in ruthenischer Sprache erledigt, dass die Verhandlungen sehr
— 33 — häufig in polnischer Sprache geführt und die Protokolle nur in ziemlich seltenen Fällen in ruthenischer Sprache geschrieben werden.. Die Zuschriften der k. k. Ämter und Behörden an die Ruthenen ergehen in der Regel in pol- nischer Sprache und auch die Weigerung vieler Ruthenen, solche Zuschriften anzunehmen, hat diesem gesetz- widrigen Vorgehen noch kein Ende gemacht. Die ruthenische Geistlichkeit hat durch mehrere Jahre einen Kampf mit den k. k. Behörden geführt, indem sie von denselben keine polnischen Zuschriften annehmen wollte; da gebrauchten die letzteren das Mittel, dass sie anstatt einfach „ an das griech.-kathol. Pfarramt“ zu adressieren, in der Adresse noch den Zusatz „als Matrikelamt“ gebrauchten, und da das Matrikelamt als ein staatliches Amt angesehen wird, die Korrespondenz zwischen staatlichen Ämtern und Behörden aber in der Amtssprache d. i. in der polnischen Sprache geführt werd en muss, so. blieben sie in diesem Kampfe Sieger. Übrigens ist nicht allein Unkenntnis der ruthenischen Sprache schuld an der Missachtung ihrer Rechte, sondern auch die Gegner- schaft zu derselben und der nationale Chauvinismus vieler polnischer Beamten. Manche Ruthenen scheuen auch vor einem Kampfe um die ruthenische Sprache zurück und lassen sich die Erledigung ihrer Angelegenheiten in pol- nischer Sprache gefallen, weil sie den Unwillen der be- treffenden Beamten zu erregen fürchten. Von den ruthe- nischen Dorfgemeinden korrespondieren nur ziemlich wenige mit den k. k. Bezirkshauptmannschaften und mit den Be- zirksvertretungen in ruthenischer Sprache, weil der Ge- meindevorsteher Angst hat vor den gestrengen Herren, welche eine ruthenische Korrespondenz nicht leiden mögen. So sieht es in der Praxis mit dem Rechte der Ru- thenen in Bezug auf die Amtssprache aus, und das ist eine der Hauptursachen der nach den Worten des Dr. Smolka „leider unleugbaren Tatsache, dass aus dem ruthenischen Lager fortwährend Klagen über die gewaltsame Beeinträchti- gung der nationalen Interessen dei’ Ruthenen aufsteigen“. Dass jedoch diese Klagen, wie Dr. Smolka behauptet, sofort von den Wiener und Berliner Alldeutschen sorgfältig ver- zeichnet und in der gehässigsten Weise ausgebeutet werden, könnte ich nicht gerade bestätigen; die Wiener Alldeutschen wollen im Gegenteil von Galizien nichts wissen, sie streben die Ausscheidung Galiziens und der Bukowina aus dem übrigen Österreich an. Die Ruthenen sind zumeist., auf sich
— 34 — selber angewiesen, und sie kämpfen auch um ihre Rechte immer energischer, je mehr die Zahl der ruthenischen In- telligenz, namentlich der unabhängigen, zunimmt, und je mehr der ruthenische Bauer und Kleinstädter zum nationalen Bewusstsein und zur Kenntnis seiner nationalen Rechte kommt. Ist aber dieser Kampf durchaus notwendig? Könnte er nicht durch ein Entgegenkommen der anderen Seite ver- mieden werden? Und zwar zunächst nicht einmal durch irgend welche grosse Zugeständnisse, sondern schon dadurch, dass die Gesetze erfüllt und die den Ruthenen zukommenden Rechte nicht vorenthalten werden. _ VII. Die ruthenischen Parteien. Dr. Smolka behauptet, dass die Klagen der Ruthenen „grösstenteils aus den Reihen der radikalen ruthenischen Partei stammen, welche neben den nationalen auch äusserst extreme soziale Tendenzen verfolgt und seit längerer Zeit allerdings die stärkste Fraktion des ruthenischen Lagers bildet. Die eigentlichen Postulate jener Fraktion finden ihren vielsagenden Ausdruck in dem bündigen Losungsworte Proc cuzi lüde! (Fort ihr Fremden!“ d. i. „sämmt- liehe polnische Bewohner Ostgaliziens, deren Ansässigkeit ins 14. Jahrhundert reicht“). Dr. Smolka gibt indessen zu, dass auch „die Gemässigten, welche von den Ultras >der Polenfreundschaft verdächtigt, werden, mitunter wirklich Erstaunendes auf dem Gebiete der Rekriminationen leisten“. Die tiefere Ursache davon findet er in der „merkwürdigen Assimilierungskraft des polnischen Elementes“, welche sogar in Posen gegenüber den Deutschen sich äussert, „ganz be- sonders aber im Laufe vieler Jahrhunderte sich den Ru- thenen gegenüber betätigt hat und noch immer nicht auf- hört, zum Vorschein zu treten. ... Die Ruthenen fürchten nun nichts so sehr, als jene spontane Polonisierung und suchen das einzige Schutzmittel gegen dieselbe in einem erbitterten Kampfe gegen die Polen. So lange daher die Ruthenen sich noch ihrer eigenen Schwäche auf so manchen Gebieten, namentlich auf dem volkswirtschaftlichen sowie auf dem kulturellen Gebiete, bewusst sind, was bei der verhältnismässig kurzen Dauer ihrer Bewegung (etwa seit 50 Jahren) kaum anders sein kann, darf man schwerlich eine Besserung diesbezüglicher Zustände erhoffen“. Nachdem Dr. Smolka so manche Unkenntnis bezüglich wichtiger Vorgänge in Galizien, bezüglich der SchuL
— 35 — Verhältnisse und bezüglich der Landesgesetze, gezeigt hat, ist es nicht besonders zu verwundern, wenn er auch über Parteiverhältnisse der Ruthenen nicht gehörig unterrichtet ist. Ich werde die einzelnen ruthenischen Parteien nicht ein- gehend schildern, ich werde nicht ihre Programme anführen, will aber ihre hauptsächlichsten Merkmale angeben. Es gibt also gegenwärtig unter den galizischen Ru- thenen folgende Parteien: 1. Die nationale (national-demokratische), auch jung- ruthenische oder ukrainisch-ruthenische Partei genannt; sie ist die stärkste Partei unter den Ruthenen, welche Doctor Smolka ganz mit Unrecht als eine „radikale mit extremen sozialen Tendenzen“ bezeichnet. Schon ihr Name „national- demokratisch“ deutet ihre Tendenzen an. Ihr Programm ist: nationale Autonomie (im Gegensätze zu der von den Polen angestrehten Erweiterung der Landesautonomie) mit demo- kratischen Einrichtungen. Ihr Hauptorgan in der Presse ist das grösste und verbreitetste ruthenische Tagblatt „Dilo“. — Im Jahre 1894 hatte sich von ihr eine Gruppe ausge- schieden, „die Gemässigten“ des Dr. Smolka, welche sieh deren Opposition gegen die Regierung und die Polen, sowie angeblich deren zeitweiligen Kompromissen mit der altruthenischen Partei nicht anschliessen wollte; in der letzten Zeit hat diese Fraktion, die übrigens niemals einen Anhang im Volke gehabt hat, sich wieder der Nationalpartei genähert und geht mit ihr in der Regel zusammen. Sie hat ihr eigenes (durch .Subvention erhaltenes) Pressorgan, das Tagblatt „Ruslan“. 2. Die radikale Partei; sie sucht die Nationalen, von denen sie sieh erst im Jahre 1890 förmlich los- getrennt hat, durch ein radikaleres Programm und radikaleres Vorgehen auf allen Gebieten zu über- trumpfen; unter anderem führt sie einen Kampf gegen das „Pfaffentum“. Seitdem vor drei Jahren gemässigte Radi- kale auf Grund eines gemeinsamen Programms sich wieder mit den Nationalen vereinigt haben und andererseits die tüchtigsten Agitatoren der Radikalen zur sozialdemokra- tischen Partei übergetreten sind, ist diese Partei, die übrigens niemals gross aber bisweilen äusserst rührig war. sehr ge- schwächt worden und hat nur in einigen Bezirken An- hänger unter dem Volke. Ihr einziges Pressorgan ist das jetzt nur alle zwei Wochen.erscheinende Blatt „Hromadskvi Holos“.
36 3. Die sozialdemokratische Partei; sie ist erst jüngst aus der radikalen Partei hervorgegangen, steht noch in den ersten Anfängen und bildet nur einen Teil der gemeinsamen ruthenisch-jüdisch-polnischen sozialdemokratischen Organi- sation in Galizien. Sie hat ebenfalls ein alle 14 Tage er- scheinendes Pressorgan „Wola“. Alle diese drei Parteien stehen auf einem gemein- samen nationalen Boden: sie streben die Entwicklung des ruthenischen Volkes als einer selbständigen, nicht nur von den Polen, sondern auch von den Russen (Grossrussen) be- sonderen Nation an. Sie gebrauchen demnach in Wort und. Schrift die ruthenische Volkssprache mit phonetischer (von der russischen durchaus verschiedenen) Schreibweise. Einen wesentlich anderen nationalen Standp unkt nimmt ein 4. die altruthenische oder russophile Partei. Sie steht auf dem Prinzip der nationalen Einheit der Ruthenen oder Kleinrussen mit den Grossrussen, bemüht sich, mit Ausnahme der für das Volk bestimmten Ausgaben, in russischer Sprache zu schreiben und perhorresziert die Ent- wicklungeiner selbständigen ruthenischenNationalitätund einer besonderen ruthenischen Literatur. Ihr Programm ist Russo- philismus, Konservatismus, Klerikalismus (aber mehr in der Richtung nach der Orthodoxie hin). Sie ist nach der natio- nalen die stärkste Partei unter den Ruthenen; ihr Press- organ ist das (nach der allgemeinen Überzeugung von Russland aus subventionierte) Tagblatt „Halyczanyn“ (nach der russischen Aussprache: Galiczanin). Was Dr. Smolka über das angebliche Losungswort „Fort mit den Fremden!“ sagt, ist ein aus chauvinistischen polnischen Zeitungsblättern geschöpftes Märchen, dessen Ursprung darin liegt, dass in einem Aufrufe ruthenischer Landtagsabgeordneter im Jahre 1888 von den Polen als von Fremden, d. i. nationalfremden, Nichtruthenen, gesprochen wurde. Die Vertreibung einer Million Polen aus Ostgalizien wäre ja eine solche Unmöglichkeit, dass ernste Poli- tiker einer ernsten Partei ein solches Ziel doch nicht zu- schreiben sollten, umsomehr, als die Ruthenen alle Mühe haben, sich selbst in ihrer Heimat zu behaupten. Allerdings wollen die Ruthenen in Ostgalizien jene Stellung einnehmen, welche ihnen auf Grund ihrer historischen Rechte und ihrer Zahl in ihrem eigenen Lande zukommt.', Eine geradezu polenfreundliche Partei gibt es unter den galizischen Ruthenen nicht; selbst die sogenannten
37 Gemässigten sind oder waren nur Opportunitätspolitiker. Ausgleichsfreundliche Ruthenen gibt es allerdings noch immer; aber alle bisherigen ruthenischerseits unternommenen oder von der Landesregierung (dem Grafen Kasimir Badeni) initiierten Versuche, einen auch nur halbwegs annehmbaren Ausgleich herbeizuführen, scheiterten an den übermässigen Ansprüchen der Polen, welche Ostgalizien als ihr durch die historische Entwicklung ihnen zukommendes Eigentum ansehen und die polnische Staatsidee auch bei den galizischen Ruthenen zur Geltung bringen möchten. Etwaige weitere Ausgleichsversuche müssten jetzt von den Polen ausgehen und die Gleichberechtigung der Ruthenen zur Grundlage haben. Was Dr, Smolka von der besonderen Assimilicrungs- kraft des Polentums sagt, darin ist manches Richtige ent- halten. Die Polen sind sicherlich national ein sein- starkes Element. Weder der russische Druck in den ehemaligen polnischen Provinzen Russlands, noch der deutsche Druck in Posen hat ihre nationale Kraft zu schwächen vermocht, und die noch unlängst ziemlich starke deutsche Intelligenz in Galizien hat sich bereits fast vollständig polonisiert. An- dererseits ist jedoch zu bemerken, dass die ruthenische Bauernschaft in Westgalizien durch Jahrhunderte ihre Nationalität und ihre Religion sich erhalten hat, und nicht nur polnische Hetzblätter, sondern auch polnische Politiker klagen, dass die polnischen. Kolonien in Ostgalizien, trotz der Herrschaft des Polentums, sich nach und nach ruthe- nisieren. Allerdings mögen dies nicht immer wirkliche polnische Kolonisten sein, sondern ursprüngliche Ruthenen, welche zwar den polonisierenden römisch-katholischen Ritus angenommen haben, aber an ihrer Nationalität noch immer festhalten. Jedenfalls fürchten die Ruthenen einen nationalen Kampf mit den Polen nicht, aber einen Kampf unter gleichen Bedingungen und mit gleichen Waffen. Zwar sind die Ruthenen in der Vergangenheit den Polen im nationalen Kampfe unterlegen: die bedeutendsten polnischen Magnatenfamilien, die Czartoryski, San- guszko, Sapieha, Dzieduszycki und viele viele andere sind ruthenischer Herkunft; noch unter österreichischer Herrschaft haben sich zahlreiche, namentlich der Intelligenz angehörende ruthenische Familien aus dem Adel und dein Bürgerstande polonisiert, und dieser Entnationalisierungs- prozess hat auch jetzt noch nicht ganz aufgehört. Aber die
— 38. Ruthenen sind dabei zu einer durch und durch demokratischen Nation geworden, sie schöpfen ihre Kraft im Volke und hoffen durch Einbeziehung des ganzen Volkes in die nationale Arbeit sich ihre Nationalität erhalten zu können, wenn sie auch einen schweren Kampf werden auszufechten haben. VIIL Schlussbemerkungen. Es ist nicht zu leugnen, dass der Antagonismus zwischen Polen und Ruthenen in der letzten Zeit bedeutend zuge- nommen hat. Die Polen setzen alle ihre Kräfte an, um ihr jetziges Übergewicht, welches ihnen durch die trotz aller Hindernisse fortschreitende Entwicklung des ruthenischen Elementes als bedroht erscheinen mag, sich dauernd zu sichern und ihre Position in Ostgalizien derart zu stärken, dass sie auch bei einer etwaigen Aenderung politischer Verhältnisse nicht ernstlich erschüttert werden könnte. Der Kampf wird auf der ganzen Linie geführt. Mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung und auch auf die massgebenden Wiener Kreise können diePolen den Ruthenen nicht alle Rechte versagen, sie müssen ihnen dann und wann auch irgend ein Zugeständnis machen, aber sie trachten immer, wie ich schon bemerkt habe, den angeblichen Verlust auf einem Felde durch möglichsten Gewinn auf anderen Feldern wett- zumachen. Die Polen haben lange geglaubt, dass die galizischen Ruthenen national und politisch bereits todt seien. Bei der ruthenischen Bewegung im Jahre 1848 mochten sie noch glauben, dass dieselbe von der österreichischen Regierung hervorgerufen sei und nur mit Hilfe dieser Regierung sich halten könne. Damals und auch viel später erschollen von ihrer Seite Rufe: „niema Rusi!“ (es gibt keine ruthenische Nation), es gibt nur „gente Rutheni, natione Poloni“, etwa wie die Magyaren heute von nichtmagyarischen Völkern in Ungarn sagen. Mit der Zeit sahen sie allerdings ein, dass diese Fiktion nicht aufrecht zu erhalten sei, aber sie pochten auf die Wendung, welche in der österreichischen Politik zu ihren Gunsten eintrat. Damals überwog die russophile Rich- tung bei den Ruthenen; diese glaubten die Polen umsomehr bekämpfen zu müssen, als sie überhaupt in Russland ihren mächtigsten Hauptfeind sahen und eine Stärkung der Ru- thenen von Russland aus befürchteten. Aber der end- liche Verfall des übrigens von vornherein aussichtslosen, weil nicht auf eigener Kraftentfaltung des Volkes beruhenden
— 39 — Russophilismus kam weniger ihnen zugute, als den ru- thenischen Nationalen. Die Ruthenen sind mit der Zeit politisch schwächer geworden, aher kulturell und national haben sie sich gekräftigt und beginnen auch an ihrer wirt- schaftlichen Hebung eifrig zu arbeiten. Deshalb wird jetzt zu neuen Mitteln gegriffen, ohne die alten aufzugeben. Man begnügt, sich nicht mehr mit politischen Zwangsmitteln seitens der Regierungsbehörden und der Landtagsmajorität; man sucht gegen die erwachten und sich wenngleich langsam entwickelnden Kräfte des ruthenischen Volkes auch die eigenen Kräfte des polnischen Gemeinwesens in Bewegung zu setzen..Ein polnischer Schul- verein gründet polnische Volksschulen selbst für kleine polnische Minoritäten in ruthenischen Gemeinden; ebenso werden unter Patronanz des polnischen Episkopats Sammlungen veranstaltet, um überall für jeden Bruchteil der polnischen oder richtiger der römisch - katholischen Bevölkerung in Ostgalizien eine Kirche oder Kapelle zu bauen, wiewohl die Religion auch bei den Ruthenen katho- lisch (griechisch-uniert) ist und die päpstliche Kurie selbst die Inanspruchnahme griechisch-unierter Priester für römi- sche Katholiken gestattete; polnische Klöster, namentlich Frauenklöster, werden errichtet, um auf die ruthenische Bauernschaft einzuwirken; polnische Volksvereine, welche angeblich die ökonomische Hebung des Volkes sich zum Ziele setzen, werden in polnisch-ruthenischen und auch in rein ruthenischen Gemeinden, wo nur der Herrenhof polnisch ist, in grosser Anzahl gegründet; aus Westgalizien führt man immer mehr polnische Kolonisten herein, welche sich in den parzellierten Gutsgebieten ansetzen. Jetzt wird dahin agitiert, dass die polnische Geistlichkeit zu ihren römisch- katholischen Pfarrkindern ruthenischer Nationalität sich nicht mehr, wie sie es oft tat und auch tun musste, der ruthe- nischen Sprache, sondern nur der polnischen bediene; das- selbe wird in Aufrufen von den polnischen Gutsherrschaften verlangt, damit sie es allen ruthenischen Bauern, vor allem ihrem Gesinde gegenüber tue. Dabei arbeitet auch die Landesgesetzgebung. Im vorigen Jahre wurde ein Gesetz über Rentengüter beschlossen, welches die Parzellierung des stark verschuldeten Grossgrundbesitzes erleichtern, aher dieselbe namentlich zu Gunsten polnischer Bauern, welche aus Westgalizien einzuführen wären, bewerkstelligen soll. Was in Preussisch-Polen mittels riesiger Summen versucht
40 — wird, deutsche Kolonisation im polnischen Gebiete, soll hier als polnische Kolonisation im ruthenischen Lande auf leichtere-Weise durchgoführt werden. Ein anderes in Aus- sicht genommenes Landesgesetz soll durch Schaffung von Kreisgemeinden auch die Gemeindeverwaltung vollständig in polnische Hände überliefern. Diese Anschläge und nicht die Furcht vor einer spon- tanen Polonisierung, wie Dr. Smolka meint, weckt oder schärft den erbitterten Kampf gegen die Polen. Natürlich müssen sich die Ruthenen mit allem Aufwande ihrer Kräfte gegen diese gefährlichen Anschläge zur Wehre setzen. Es wurden auch schon energische Massregeln, unter anderm der Strike der Feldarbeiter und der Boycott vorgeschlagen. Die Gegensätze spitzen sich immer mehr zu, die Situation verschlechtert sich zusehends. Wenn solche Anschläge aufhören, wenn die Polen es aufgeben, an die vollständige politische und wirtschaftliche Unterjochung und an die Entnationalisierung der Ruthenen zu denken, dann wird auch „Schritt auf Schritt der Antago- nismus der Ruthenen ihren polnischen Mitbürgern gegen- über sich lindern und hoffentlich mit der Zeit auch gänzlich verschwinden“. Und dieses ist in der Tat, wie Dr. Smolka ganz richtig sagt, sowol im gemeinsamen Interesse, wie auch im Interesse der österreicbichen Staatsidee zu wünschen. Den zweiten Wunsch des Dr. Smolka, dass die ruthenische Nationalität als eine besondere, selbst- bewusste Nationalität sicherhalte, teile ich gleichfalls, und nicht nur ich, sondern die übergrosse Mehrheit des ruthenischen Volkes. Dieser Wunsch wird sicherlich in Er- füllung gehen, wenn nur nicht die Polen und die öster- reichischen Regierungen eine verkehrte Politik zum Schaden der Ruthenen und zu ihrem eigenen Schaden gegen das ruthenische Volk anwenden. Wien, 14. April 1902.