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                    MARX/ENGELS
GESAMTAUSGABE


Tafel I Friedrich Engels im Jahre 1839
MARX / ENGELS GESAMTAUSGABE GLIEDERUNG: ERSTE ABTEILUNG: SÄMTLICHE WERKE UND SCHRIFTEN MIT AUSNAHME DES «KAPITAL» ZWEITE ABTEILUNG: DAS «KAPITAL» MIT VORARBEITEN DRITTE ABTEILUNG: BRIEFWECHSEL VIERTE ABTEILUNG: GENERALREGISTER
MARX / ENGELS GESAMTAUSGABE ERSTE ABTEILUNG BAND 2 ENGELS: WERKE UND SCHRIFTEN BIS ANFANG 1844 NEBST BRIEFEN UND DOKUMENTEN
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS HISTORISCH-KRITISCHE GESAMTAUSGABE WERKE / SCHRIFTEN / BRIEFE IM AUFTRAGE DES MARX-ENGELS-INSTITUTS MOSKAU HERAUSGEGEBEN VON D. RJAZANOV MARX-ENGELS-VERLAG G. M. B. H. BERLIN
FRIEDRICH ENGELS WERKE UND SCHRIFTEN BIS ANFANG 1844 NEBST BRIEFEN UND DOKUMENTEN MARX/ENGELS GESAMTAUSGABE ERSTE ABTEILUNG B AN D 2 MARX-ENGELS-VERLAG G. M. B. H. BERLIN 1 930
Drude J. B. Hirschfeld (Amo Pries), Leipzig Einband : Carl Einbrodt, Großbuchbinderei G. m. b. H., Leipzig
EINLEITUNG ZUM ZWEITEN BANDE DER ERSTEN ABTEILUNG
I Die literarischen Dokumente, die wir im ersten Bande unserer Ge¬ samtausgabe veröffentlicht haben, lassen die geistige Entwicklung des jungen Karl Marx bis zu seiner engen Verbindung mit Friedrich Engels in allen bedeutenden Momenten und Perioden dieser Entwicklung über¬ schauen. Els sind unter diesen Dokumenten nicht wenige, die Engels in seinem für das „Handwörterbuch der Staatswissenschaften“ verfaßten biographischen Abriß nicht erwähnt hatte und die auch Kautsky, Bern¬ stein und Mehring unbekannt geblieben waren; ferner noch solche, die — wie eine Anzahl von Artikeln aus der Rheinischen Zeitung — Mehring wohl gekannt, aber in die Nachlaß-Ausgabe nicht aufgenommen hatte. Wenn diese neuen Dokumente nicht dazu angetan sind, das bekannte Ge¬ samtbild von der intellektuellen Entwicklung des jungen Marx radikal zu verändern, so geben sie doch die Möglichkeit, manchen sehr bedeutenden Zug in diesem Bilde richtigzustellen und zu ergänzen; insbesondere wer¬ fen sie ein sehr helles Licht auf einige Übergangsstadien der theoretischen Entwicklung, die zwischen Marxens junghegelianischer Periode und sei¬ ner mit den Deutsch-Französischen Jahrbüchern beginnenden kommu¬ nistischen Periode liegen. Ganz anders verhält es sich nun mit den Artikeln und Briefen des jungen Friedrich Engels. Die im vorliegenden zweiten Bande gesammelten Dokumente sollen ihrerseits dazu beitragen, die hauptsächlichen Abschnitte von Engels’ gei¬ stiger Entwicklung vor seiner Bekanntschaft mit Marx deutlich zu machen. Kautsky und Mehring — der erste Engelsi-Biograph und der erste Heraus¬ geber der vor 1850 erschienenen kleineren Schriften Engels’ — gingen beide von der Auffassung aus, daß Engels’ literarische Tätigkeit erst mit seinen Beiträgen für die Deutsch-Französischen Jahrbücher, also 1844, be¬ gonnen habe. Daher dann auch die bekannte Gegenüberstellung: Engels sei von der Ökonomie hergekommen und zur Philosophie gelangt, Marx habe den umgekehrten Weg gemacht. Es wurde eine Art von Dogma ge¬ schaffen, wonach Engels sein literarisches Werk mit einer Untersuchung eröffnet habe, die sich durch hohe Reife des theoretischen Gedankens aus¬ zeichne und dem wissenschaftlichen Kommunismus bereits näher stehe als die Marxschen Erstlingsschriften, — nämlich mit den von Marx selbst als „geniale Skizze“ gerühmten „Umrissen zu einer Kritik der National¬ ökonomie“.
X Einleitung Aber schon im Jahre 1885 hatte die bekannte historische Arbeit von Georg Adler1) manche interessanten Angaben über Engels gebracht, die eine kritische Nachprüfung erheischten. Auf Grund von Daten, die zuerst in der „Barmer Zeitung“2) veröffentlicht, sodann in dem damaligen legalen Organ der deutschen Sozialdemokratie wiederabgedruckt worden waren3), berichtete Adler, Engels habe in jungen Jahren im Gutzkowschen „Tele¬ graphen für Deutschland“ „Briefe aus dem Wuppertal“ veröffentlicht und eine gegen Schelling gerichtete Broschüre „Schelling und die Offen¬ barung“ verfaßt; derselben Quelle zufolge sollte Engels überdies die Ver¬ fasserschaft an einem satirischen „christlichen Heldengedicht“ schon sei¬ nerzeit zugeschrieben worden sein. Das Buch Adlers erfuhr durch Kautsky in der Neuen Zeit eine sehr scharfe Ablehnung. In seiner Rezension zeigte Kautsky allerdings, mit welcher Leichtfertigkeit Adler sein Buch kompiliert und mit welcher Leichtgläubigkeit er sich auf Polizeiberichte gestützt hatte, überging aber die genannten Angaben, denen er gar keine Beachtung schenkte; diese Achtlosigkeit ist um so auffälliger, als Kautsky für die Abfassung der Re¬ zension von Engels selbst nicht nur die verschiedensten Hinweise und An¬ gaben mitgeteilt bekommen, sondern auch das mit vielen Randbemerkun¬ gen versehene Engelssche Handexemplar des Adlerschen Buchs zur Be¬ nutzung erhalten hatte. In der für den Österreichischen Arbeiterkalen¬ der (1888) verfaßten — übrigens von Engels selbst durchgesehenen — Engels-Biographie erwähnte Kautsky ebenfalls mit keinem Wort jene sei¬ nem Lehrer zugeschriebenen Erstlingsschriften ; und auch 1895, als dieser biographische Aufsatz mit verschiedenen Ergänzungen in Broschürenform neu veröffentlicht wurde4), vermerkte er in keiner Weise ein literarisches Auftreten von Engels vor dem Zeitpunkt von 1844. Auch Mehring, der sich noch schärfer als Kautsky gegen Georg Adler gewandt hatte, versäumte es, den erwähnten Angaben noch vor 1895, d. h. noch zu Engels’ Lebzeiten, nachzugehen, obwohl ihm dies um so leichter gewesen wäre, als er selbst bei der Sichtung des literarischen Nachlasses von Marx noch zu Anfang der neunziger Jahre Engels tätigen Beistand geleistet hatte. Als Mehring sich dann vor die Aufgabe gestellt sah, über die Früh¬ schriften von Engels zu berichten, war er — wie er selbst schreibt — nun 1 ) G. Adler, Die Geschichte der ersten sozialpolitischen Arbeiterbewegung in Deutschland mit besonderer Rücksicht auf die einwirkenden Theorien. Bres¬ lau 1885. S. 141 2) Jahrg. 51, Nr. 151 vom 1. Juli 1884 (Jubiläumsnummer); anonymes Feuil¬ leton: „Barmer Dichter während der letzten fünfzig Jahre“ 8) Berliner Volksblatt, 3. Juli 1884 4) [K. Kautsky,] Friedrich Engels. Sein Leben, sein Wirken, seine Schrif¬ ten. Berlin 1895
Einleitung XI schon nicht mehr in der Lage, festzustellen, inwieweit die von Adler vor¬ gebrachten Angaben der Wirklichkeit entsprächen, — wenn er sie auch, im Gegensatz zu Kautsky, wenigstens nicht unerwähnt ließ. Aber damit nicht genug.Während Mehring von Engels’ Mitarbeit an der Rheinischen Zeitung ganz bestimmte Kenntnis hatte, vermochte er doch keine einzige von den Engelsschen Korrespondenzen aufzufinden, obwohl auch dies mit Engels’ Hilfe eine leichte Sache gewesen wäre1). Was nun die Engels zugeschriebene philosophische Broschüre betraf, so erhielt Mehrings Mißtrauen neue Nahrung aus einem andern Umstand. Schon nach dem Erscheinen des Adlerschen Buches wurde der Brief¬ wechsel Arnold Ruges publiziert und damit ein an den Hegelianer Karl Rosenkranz gerichteter Brief vom April 1842 bekannt, worin der Heraus¬ geber der Deutschen Jahrbücher sehr kategorisch die Behauptung aus¬ spricht, die Broschüre „Schelling und die Offenbarung“ sei von Bakunin verfaßt. Der Wortlaut des Briefes erlaubte die Annahme, Ruge habe dies von dem Autor der Broschüre selbst erfahren2). Es versteht sich, daß ein so gründlicher und umsichtiger Gelehrter wie Nettlau, Verfasser einer großen Bakunin-Biographie, an diesem inter¬ essanten Hinweis nicht vorübergehen konnte. Er wußte besser als jeder andere, was und worüber Bakunin je geschrieben hatte: aber weder Baku¬ nin selbst noch irgendeiner seiner Freunde hatte jemals eine solche Baku- ninsche Broschüre erwähnt. Ihm, Nettlau, mußte der Umstand auffallen, daß in anderen Quellen von dem Antipoden Bakunins, nämlich von Engels, als dem Autor der anonymen Broschüre die Rede war, obwohl es auch ihn wundemahm, daß Kautsky und Mehring Georg Adlers Darstellung wohl in zahlreichen Punkten richtigstellten, aber gerade die erwähnten Angaben mit Stillschweigen übergingen. Nettlau selbst fand in der Literatur noch weitere Fingerzeige: während Kuno Fischer die Broschüre Engels zu¬ schreibt3), nennt Ludwig Noack als Verfasser einen gänzlich unbekannten O s w a 1 d4). Gestützt auf die wahrscheinlichere Aussage des mit Bakunin persönlich befreundeten Ruge, führte Nettlau — Philologe ex professo — eine sorg¬ fältige, peinlich genaue Vergleichung der Broschüre „Schelling und die Offenbarung“ mit dem in den Deutschen Jahrbüchern erschienenen Auf¬ satz Bakunins durch. Er kam zu dem Ergebnis: es müsse eine auffallende *) Mehring, Aus dem literarischen Nachlaß von K. Marx und F. En¬ gels. Stuttgart 1902. Bd. I, S. 357 2) Arnold Ruges Briefwechsel und Tagebuchblätter. Hg. v. P. Nerrlich. Berlin 1886. Bd. I, S. 273 3) K. Fischer, Geschichte der neuem Philosophie. Bd. VII. 1872. (3. Aufl. Heidelberg 1902. S. 260 f.) 4 ) Ludwig Noack, Schelling und die Philosophie der Romantik. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des deutschen Geistes. Berlin 1859. Bd. II, S. 477
XII Einleitung Ähnlichkeit des Stils und der Ideen festgestellt werden. Doch blieb ihm unerklärlich, woher der Hinweis auf die Verfasserschaft Engels’ stammen könnte, zumal in der entschiedenen, apodiktischen Form, in der Kuno Fischer diese Angabe vorgebracht hatte. Erst nach dem Erscheinen der Bakunin-Biographie und des von Meh¬ ring redigierten literarischen Nachlasses von Marx und Engels wurden dann neue Gesichtspunkte in der hier interessierenden Frage geltend ge¬ macht, und zwar in den von Bernstein seit 1902 herausgegebenen „Doku¬ menten des Sozialismus“. „Doubley ou“, hinter welchem Namen sich einer der rührigsten und kundigsten Sammler sozialistischer Literatur1), der Wiener Rechtsanwalt Wilhelm Pappenheim verbarg, hatte neue Angaben aufgefunden, welche die Autorschaft Bakunins wieder in Zweifel rück¬ ten2). In einem 1845 erschienenen Überblick über die Literatur zum Schelling-Streit, nennt der Verfasser, ein Theologe namens Merz, als Autor der Broschüre einen A. Engels3). Wie naheliegend die Annahme, es handle sich bei der störenden Initiale nur um einen Druckfehler! Aber W. Pap¬ penheim machte noch eine andere Entdeckung, die ihn wieder zur Preisgabe der Vermutung veranlaßte, daß dieser „A. Engels“ mit Friedrich Engels identisch sein könnte. Es gelang ihm, das von Adler erwähnte „christliche Heldengedicht“ zum Vorschein zu bringen, in dem unter an¬ deren Junghegelianem auch ein Oswald angeführt wird, also offenbar der¬ selbe, den Noack als Autor der Schelling-Broschüre nennt. Und bei Durch¬ sicht des Jahrgangs 1842 der Deutschen Jahrbücher fand Pappenheim dann einen Artikel von Friedrich Oswald4), worin dieser sich selbst als Autor der Broschüre „Schelling und die Offenbarung“ bezeichnet. Die Existenz eines Oswald schien damit nachgewiesen zu sein. W. Pappenheim glaubte klargestellt zu haben, daß die Broschüre weder von Engels, noch von Bakunin, sondern von eben diesem Friedrich Oswald verfaßt sei, daß es also mit der Angabe Noacks seine Richtigkeit habe. Es war dies aber eine Lösung des Rätsels, die den Forscher keineswegs zufriedenstellen konnte. Es erhob sich die Frage, wie denn ein Schrift¬ steller hatte spurlos verschwinden können, der seine Laufbahn mit einer so deutlich in die Literaturgeschichte eingezeichneten Schrift begonnen hatte. Mußte da nicht eine andere Hypothese glaubwürdiger erscheinen, x) In Gemeinschaft mit Theodor Mauthner brachte Pappenheim eine ganz vorzügliche Privatbibliothek zur Geschichte des Sozialismus zusammen, die jetzt im Besitze des Marx-Engels-Instituts ist. 2) Doubleyou, Schelling und die Offenbarung. Auch ein Beitrag zui Ge¬ schichte der Berliner „Freien“. Documente des Socialismus, Bd. I (1902), S. 436—443 3) [L. Merz,] Schelling und die Theologie. (Sonderabdruck aus dem Neuen Repertorium für theologische Literatur und kirchliche Statistik. Jg. 1845, Heft 2.) Berlin 1845. S. 22, 27—28 4) Siehe in diesem Band S. 322—335; vgl. S. 333
Einleitung XIII daß nämlich der Name Friedrich Oswald von Friedrich Engels, der ja da¬ mals noch als Artillerist im preußischen Militärdienst stand, nur als lite¬ rarischer Deckname gebraucht worden sei? Diese Möglichkeit gab schon Bernstein zu, dem an der äußeren Be¬ schreibung Oswalds, wie sie in dem erwähnten satirischen Poem vorkommt, eine gewisse Ähnlichkeit mit der Erscheinung von Engels auffiel1). Aber auch er kam dann zu demselben Schluß wie Pappenheim, daß nämlich Engels dem Autor der Schelling-Broschüre zwar nahegestanden habe, aber nicht selbst der Autor sein könne; Verfasser sei kein anderer als der sonst unbekannte Oswald. Im Nachwort zum dritten Bande der Nachlaß- Ausgabe schloß sich Mehring der von Pappenheim und Bernstein ver¬ tretenen Meinung an 2). II Nachdem ich mich in der Mauthner-Pappenheimschen Bibliothek mit dem zu dieser Frage gesammelten Material vertraut gemacht, begann ich mich selbst dafür zu interessieren, wer hinter diesem rätselhaften Oswald verborgen sei. Die Möglichkeit, daß ein Schriftsteller aus diesen oder je¬ nen Gründen seine literarischen Jugendarbeiten absichtlich verschwiegen, oder daß er sie im Abstand der Jahre völlig vergessen habe, konnte ohne weiteres angenommen werden. Die Beschäftigung mit der Geschichte des Kommunistenbundes, als des wichtigsten Vorläufers der Internationale, hatte mich überdies zu der Überzeugung geführt, daß Marxens und Engels’ Äußerungen über die früheste Periode ihres Auftretens nicht immer genau sind, daß vielmehr nach Verlauf von zwei, drei Jahrzehnten ihnen beiden so manche Einzelheit ihres literarischen und organisatorischen Wirkens gänzlich aus dem Gedächtnis entfallen war. Im Jahre 1913 untersuchte ich Engels’ Beiträge für die owenistische Zeitschrift The New Moral World. Diese Artikel, deren erster schon im November 1843 erschienen war, be¬ wiesen nun nicht nur, daß Engels seine literarische Tätigkeit vor dem Jahre 1844 begonnen, — aus ihrem Inhalt ging auch hervor, daß er noch an der junghegelianischen Bewegung in Deutschland tätigen Anteil genommen hatte. In einem dieser Aufsätze fand ich Hinweise auf eine von ihm selbst herausgegebene philosophische Broschüre3), womit nach meiner Meinung nur die anonyme Schelling-Broschüre gemeint sein konnte. So kam ich zu der Schlußfolgerung, daß der Autor dieser Broschüre niemand anders 0 [Ed. Bernstein,] Aus der Schrift: Schelling und die Offenbarung. Ein Päan des radikalen Junghegelianismus von 1842. Documente des Socialismus, Bd.I (1902), Heft 12, S. 552—557 2) Mehring, Aus dem literarischen Nachlaß von K. Marx und F. Engels. 1902. Bd.III, S. 489 3) Siehe in diesem Band S. 447
XIV Einleitung als eben Engels sei. Hatte sich aber die Angabe G. Adlers, d. h. der „Bar¬ mer Zeitung“, einmal bestätigt, so mußten auch die übrigen Angaben, nämlich über die Urheberschaft der „Briefe aus dem Wuppertal“ und des „christlichen Heldengedichts“, an Glaubwürdigkeit gewinnen. Und wenn sich der Verfasser der Schelling-Broschüre in den Deutschen Jahrbüchern Friedrich Oswald nannte, so konnte dieser „Oswald“ kein anderer sein als Friedrich Engels. Um dieselbe Zeit fand Gustav Mayer Dokumente, die es ihm möglich machten, die Identität des „Friedrich Oswald“ mit Friedrich Engels „un¬ widerleglich“ — wie es mir im Jahre 1913 schien1) — festzustellen. In Briefen dés jungen Engels an die mit ihm befreundeten Brüder Graeber — G. Mayer hatte diese Briefe von Engels’ Verwandten zur Verfügung ge¬ stellt bekommen — bezeichnet sich Engels als den Verfasser der „Briefe aus dem Wuppertal“2). Und in einem Briefe an Johann Jacoby spricht der junge Eduard Flottwell im November 1841 von dem „bekannten Oswald aus dem Telegraphen, der eigentlich ein junger Kaufmann aus der Rhein¬ provinz, und gegenwärtig hier [in Berlin] sein Jahr abdient, um Schelling und Werder zu hören“3). So konnte Mayer in seiner 1920 erschienenen Engels-Biographie über eine große Anzahl von noch vor 1844 entstandenen Aufsätzen Engels’ be¬ richten und einen stattlichen „Ergänzungsband“ mit diesen „Schriften der Frühzeit“ füllen4). Die „absolute Gewißheit“ — wie Carl Grünberg sich ausdrückte5) —, daß „Oswald“ mit Engels identisch sei, besser gesagt, den „juristisch“ un¬ anfechtbaren Beweis für diese Identität, erbrachte allerdings erst jener Engelssche Brief, den ich im Jahre 1921 in der Autographensammlung der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin auffand, wo er der Aufmerksamkeit G. Mayers zufällig entgangen war. Der Brief, um den es sich handelt, ist an Ruge adressiert, denselben, der noch im April 1842 Bakunin für den Verfasser der Schelling-Broschüre er¬ klärt hatte. Wenn dieser Brief die letzten Zweifel an jener Identität be¬ seitigte und den wirklichen Verfasser der so lange umstrittenen Broschüre *) Friedrich Engels’ Jugendarbeiten. Der Kampf (Wien), H. 7, Nr. 4 (1. Ja¬ nuar 1914), S. 158 2) Siehe in diesem Band S. 505 f. 3) G. Mayer, Ein Pseudonym von Friedrich Engels. Grünbergs Archiv, Jg. IV (1914), H. 1, S. 86—89. — Friedrich Engels’ Jugendbriefe. Neue Rund¬ schau, Jg. 24, H.9—10 (Sept.-Okt. 1913), S. 1141—1257, 1396—1416 4) G. Mayer, Friedrich Engels. Eine Biographie. Erster Band: Friedrich Engels in seiner Frühzeit, 1820—1851. — Ergänzungsband zum ersten Bande: Fried¬ rich Engels. Schriften der Frühzeit, Aufsätze, Korrespondenzen, Briefe, Dichtungen aus den Jahren 1838—1844 nebst einigen Karikaturen und einem unbekannten Ju¬ gendbildnis des Verfassers. Berlin 1920 6) Im Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Jg.XI (1925), S.184
Einleitung XV enthüllte, so gab er mir überdies die Möglichkeit, noch eine weitere Schrift über Schelling aufzufinden, die zu ihrer Zeit Aufsehen erregt hatte und deren Verfasser wiederum kein anderer als Engels war. Es heißt in diesem von Berlin, 15. Juni 1842, datierten Brief an Ruge folgendermaßen: „Warum ich ,Schelling und die Offenbarung4 nicht für die Jahrbücher einsandte? 1. weil ich auf ein Buch von 5—6 Bogen rechnete und erst im Laufe der Unterhandlungen mit dem Verleger auf den Raum von 3% Bo¬ gen beschränkt wurde; 2. weil die Jahrbücher bis dahin über Schelling noch immer etwas zurückgehalten hatten; 3. weil mir hier abgeraten wurde, Schelling fernerhin in einem Journale anzugreifen, dagegen lieber gleich eine Broschüre gegen ihn loszulassen. ,Schelling, der Philosoph in Christo4 rührt ebenfalls von mir her. Doktor bin ich übrigens nicht und kann es nie werden, ich bin nur Kaufmann und k. preuß. Artillerist; erlassen Sie mir also gütigst jenen Titel.. .441). Der Brief ist unterzeichnet: F. Engels (Oswald). Es fanden sich dann in der Publizistik der vierziger Jahre noch weitere Angaben über die Identität Engels’ mit jenem „Oswald44. Nach Erschei¬ nen der Deutsch-Französischen Jahrbücher hebt ein Korrespondent der „Aachener Zeitung44 auch die Aufsätze von „Friedrich Oswald44 hervor2), die Engels doch mit seinem wirklichen Namen gezeichnet hatte. Weiter unten zitieren wir einen aus dem Jahre 1843 stammenden Artikel über Schelling, worin der Autor der ersten von den beiden anonymen Schelling- Broschüren zwar nicht mit Namen genannt, aber als „Barmener Kauf¬ mannsdiener44 bezeichnet wird. Im März 1845 bringt der „Telegraph für Deutschland443) eine Notiz über den Aufenthalt von „Engels (Friedrich Oswald)44 in Barmen. Im Jahre 1846 wird das Pseudonym in Wigands Konversationslexikon gelüftet4). In der späteren philosophie¬ geschichtlichen Literatur werden, wie schon bemerkt, Engels’ Schelling- Broschüren mehrfach erwähnt, bei Kuno Fischer mit Nennung des Ver¬ fassers. Obwohl also in den vierziger Jahren sogar ein Konversationslexikon das Geheimnis jenes Pseudonyms enthüllt hatte, zudem in den achtziger Jahren die Anfänge des inzwischen berühmt gewordenen Sozialisten Engels 1) Siehe in diesem Bande S. 631 2) Aachener Zeitung, Nr. 57 v. 27. Febr. 1844, Korrespondenz v. 23. Fehr.; nach¬ gedruckt in der Barmer Zeitung, Nr. 60 v. 29. Febr. 1844. — Auch Der Sprecher oder Rheinisch-Westphälische Anzeiger, Nr. 22 v. 16. März 1844, erwähnt als Mit¬ arbeiter der Deutsch-Französischen Jahrbücher neben Heine, Ruge, Marx und Heß nicht den Namen Engels, sondern Oswald. 3) Nr. 45, S. 180 4) Bd. 2, S. 81; Artikel „Edgar Bauer“. - Vgl. unten S. LIV
XVI Einleitung der Literaturgeschichte des Wuppertals wohl bekannt waren D, bedurfte es doch fast zweier Jahrzehnte nach Engels’ Tod, bis die Geschicht¬ schreibung des Sozialismus die Verbindung zwischen dem „historischen“ und dem „vorhistorischen“ Engels nicht nur bibliographisch, wie dies Georg Adler getan, sondern im vollen Sinne der biographischen und historischen Entwicklung herstellen konnte. III Das Hauptverdienst um die Erforschung dieser Friihperiode kommt zweifelsohne dem Engels-Biographen und Herausgeber der „Schriften der Frühzeit“, Gustav Mayer, zu. Manche Engelssche Jugendarbeit, so die zweite Schelling-Broschüre, entging allerdings auch seiner Aufmerksam¬ keit, doch ist es vor allem seinen erfolgreichen Nachforschungen zu ver¬ danken, wenn wir heute die Möglichkeit haben, das literarische Wirken des jungen Engels in den Jahren vor seiner Begegnung mit Marx — also vor der Zeit, in die Mehring die Anfänge verlegt hatte — nach Charakter und Umfang mit nahezu erschöpfender Vollständigkeit zu bestimmen. Von den im vorliegenden Bande wiedergegebenen Schriften und Brie¬ fen waren Gustav Mayer die meisten bekannt, als er die „Schriften der Frühzeit“ herausgab. Trotzdem bringt unsere Sammlung rund zweimal so viel Texte wie jene Ausgabe, die keine vollständige Reproduktion der ihrem Editor bekannten Texte sein sollte. Auf den Wiederabdruck der in dei Mehringschen Nachlaß-Ausgabe zugänglich gemachten zwei Aufsätze aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern hatte Mayer verzichtet. Die Bro¬ schüre „Schelling und die Offenbarung“ war aus Raummangel von der Wiedergabe ausgeschlossen worden. Auch die „Lombardischen Streifzüge“ aus dem „Athenäum“ und verschiedene Artikel aus der Rheinischen Zei¬ tung ließ Mayer beiseite. Den Aufsatz über Joel Jacoby aus dem „Tele¬ graphen“ publizierte er in der Neuen Zeit Die für The New Moral World geschriebenen Beiträge nahm er nicht auf, weil sie in deutscher Übersetzung schon früher, teils in der Neuen Zeit2), teils von mir im Wie¬ ner „Kampf“3), veröffentlicht worden waren. Auch die Briefe an die 9 Wir meinen nicht nur den genannten Feuilleton-Artikel der „Barmer Zei¬ tung“. Im Jahre 1886 spricht Friedrich Roeber, selbst ein Wuppertaler Schriftstel¬ ler, Verfasser eines Romans über das von sozialen Kämpfen durchwühlte Elberfeld der vierziger Jahre („Marionetten“, 2. Aufl. Iserlohn 1885), in einem Buch über „Literatur und Kunst im Wuppertale“ (Iserlohn 1886, S. 74) auch über „Fritz Engels von Barmen, der sich später... als Führer der sozialistischen Bewegung einen weit bekannten Namen erworben“ und der „in seinem allerersten literarischen Auftreten, nämlich in einem Artikel über das Wuppertal, der im Gutzkowschen ,Tele¬ graphen* erschien, den Kunstgeschmack zu Elberfeld in seiner Weise zu beleuch¬ ten“ versucht habe. a) Die Neue Zeit, Jg. 28, Bd. 1 (1910), S. 427—431. (Nach dem englischen Wiederabdruck in The Social-Democrat, London, vol. 13, 1909, p. 517—522) 3) Der Kampf, Jg. 7 (1914), S. 162ff.
Einleitung XVII Schwester Marie ließ Mayer aus seiner Sammlung weg, er veröffentlichte sie — mit Auslassungen — in der „Deutschen Revue“1). Es versteht sich von selbst, daß wir alle diese Mayer bekannten, aber in seine Ausgabe der „Schriften der Frühzeit“ aus diesem oder jenem Grunde nicht auf genommenen Stücke in unserer Gesamtausgabe abdrucken. Wir bringen aber dazu noch manches, was Mayer seinerzeit unbekannt ge¬ blieben war. Am wichtigsten ist hier das erwähnte parodistische Pam¬ phlet „Schelling, der Philosoph in Christo“. Aus dem „Telegraphen“ bringen wir zwei Notizen über Krummacher, und eine dritte über Anasta¬ sius Grün2>, die Mayers Aufmerksamkeit entgangen waren, ferner die Ode auf die (Ende 1840 erfolgte) Überführung der Leiche Napoleons nach Paris3). Die Briefe an die Brüder Graeber und an die Schwester Marie bezeugen die sprudelnde Produktivität, mit welcher der junge Engels belletristische und kritische Versuche niedergeschrieben hat. In ihnen fand sich mancher mehr oder minder sichere Anhaltspunkt für Nachforschungen; wir veranlaßten daher die systematische Durchsicht einer großen Anzahl von Zeitungen und Zeitschriften der Jahre 1838 bis 1842. Es konnte festgestellt werden, daß die erste gedruckte Arbeit 4) des jungen Engels im „Bremischen Conversationsblatt“, einer recht ge¬ diegenen, sich über das lokale Niveau erhebenden Bildungszeitschrift erschienen ist; — es ist das Gedicht „Die Beduinen“, dessen authentischer Text schon aus einem Briefe an die Brüder Graeber bekannt war 6\ Den Bremer „Stadtboten“, den Engels unter dem Pseudonym „Theodor Hilde¬ brand“ durch Einsendung salbungsvoll moralisierender Gedichte ein ganzes Vierteljahr lang zum Narren gehalten hat 7), vermochten wir nicht ausfindig zu machen 8) ; allem Anschein nach sind die wenigen Nummern dieses kurzlebigen 9) Lokalblättchens, dessen Herausgeber, der Porzellan¬ x) Deutsche Revue, Jg. 45, 1920 (November- und Dezemberheft), S. 126—138, 218—229 2) In diesem Bande S. 44, 88 f. und 71 8) In diesem Bande S. 109 f. Vgl. auch Engels’ Brief vom 6.—8. Dez. 1840 an seine Schwester Marie (S. 603). 4) Vgl. Engels an Friedrich und Wilhelm Graeber, 17.—18. Sept. 1838, S. 486f. 5) Das „Bremische Conversationsblatt“ erschien im gleichen Verlage wie die „Bremer Zeitung“ und wurde von Ludwig Wilhelm Heyse redigiert. Vgl. Heinrich Tidemann, Die Zensur in Bremen von den Karlsbader Beschlüssen 1819 bis zu ihrer Aufhebung 1848. Bremisches Jahrbuch, Bd. 32 (1929), S. 9f. — Siehe auch die Engelssche Charakteristik in diesem Bande S. 124. 6) Siehe ebendort S. 489 f. 7) Vgl. in diesem Bande S. 517, 579, 580 8) Alle dahin gehenden Bemühungen waren vergeblich. Wir ergreifen die Ge¬ legenheit, um der Leitung der Bremer Stadtbibliothek, insbesondere deren Direktor H.Knittermeyer, für freundlicherweise angestellte Nachfor¬ schungen in diesem und in ähnlichen Fällen unseren Dank auszusprechen. Für die gleiche Zuvorkommenheit haben wir auch der Leitung des Bremischen Staatsarchivs, insbesondere seinem Direktor H. Entholt,zu danken. •) Es existierte von Mitte Januar bis Ende April 1839. Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. H
XVIII Einleitung händler Albertus Meyer, sich als Bremens Tugendwächter auf spiel te unwiderbringlich verschollen. Doch fand sich in einer anderen Lokal¬ zeitschrift, dem „Bremischen Unterhaltungsblatt“, das mit dem „Stadt¬ boten“ seit dessen erster Nummer im Streit lag2), in einem der vielen polemischen Artikel ein Gedicht des tugendhaften Theodorus Hildebrand „An die Feinde“ des „Stadtboten“ vollständig abgedruckt3). Wir sind so in der Lage, ein Beispiel von dem „konfusen Zeug“ wiederzu¬ geben, mit dem Engels den „Stadtboten“ fütterte 4). Er wurde des Spaßes bald überdrüssig; Ende April schrieb er an Wilhelm Graeber, er habe dem „Stadtboten“ nun mit einem gereimten Briefe „abgesagt“ 5). Das Absagegedicht „A n den Stadtbote n“, dessen Text uns schon aus dem genannten Brief bekannt war, ist am 27. April 1839 im „Bremischen Unterhaltungsblatt“ erschienen; wir haben es daher auch unter die ge¬ druckten Schriften im ersten Teil des vorliegenden Bandes aufgenommen. Ein Oswald-Gedicht, „N a c h t f a h r t“ betitelt6), fand sich im Stutt¬ garter „Deutschen Courier“ vom 3. Januar 1841. Da dieses von Carl Weil redigierte liberale Blatt sonst fast nie Originalgedichte brachte, so kann mit ziemlicher Bestimmtheit gesagt werden, daß diese die Freiheits¬ schwärmerei mit Naturbildern vereinigenden Verse einem anderen Blatte nachgedruckt wurden; wo sie zuerst erschienen, ließ sich nicht feststellen. Von einer nächtlichen Wagenfahrt Engels’ nach „S t ü v e ’ s Stadt, . . . der Freiheit Stadt“, Osnabrück, wissen wir sonst nichts7). Besonderes Interesse verdient unter den neu auf gefundenen Stücken D In einer der Ankündigungen Albertus Meyers in den „Bremer Wöchent¬ lichen Nachrichten“ (Nr. 8 v. 18. Jan. 1839, S. 4) heißt es u. a.: „Möge es dem Boten gelingen, auch nur ein Geringes dazu beizutragen, den Geist der Tugend immer herrschender zu machen; welcher Geist es ist, der Segen bringt in alle die mannigfaltigen Verhältnisse des bürgerlichen und häuslichen Lebens. Möge hin¬ gegen der finstere, beständig verneinende Geist immer mehr erkannt und gewür¬ digt, mögen Vorurteil und Kaltherzigkeit durch Prüfung und durch die Macht der Wahrheit und Liebe besiegt werden.“ 2) Vgl. S. 579. — Über das „Bremische Unterhaltungsblatt“ vgl. H. Tide¬ mann, a. a. O. S. 8(, und die Engelssche Charakteristik in diesem Bande S. 124f. 3) Bremisches Unterhaltungsblatt, Jg. 17 v. 27. Febr. 1839, Sp. 138f. 4) Vgl. den Brief Engels’ vom 12. Februar 1839 an seine Schwester Marie (S. 580). Die in demselben Brief mitgeteilten einfältigen Reime unter dem Titel „Bücherweisheit“ wurden in Nr. 8 des „Bremer Stadtboten“, am 24. März, gleich¬ falls „ganz treuherzig“ abgedruckt; dies ergibt sich aus dem Inhaltsverzeichnis die¬ ser Nummer, das uns aus einem Inserat bekannt ist. (Die Inhaltsangaben der ein¬ zelnen Nummern des „Bremer Stadtboten“ finden sich — ohne Vermerk der Auto¬ rennamen — in den Ankündigungen, die Albertus Meyer in die „Bremer Wöchent¬ lichen Nachrichten“ einrücken ließ; die Ankündigung der Nr. 8 des „Stadtboten“ mit dem Poem „Bücherweisheit“ ist in den „Nachrichten“ am 25. März 1839, Nr. 36, 2. Beilage S. 2, enthalten.) 5 ) Siehe S. 517. •) Siehe S. 17 f. 7) Ob dem Gedicht dieselbe Reise zugrunde lag wie der Beschreibung der norddeutschen Heide in dem ein halbes Jahr früher im „Telegraphen“ erschienenen Aufsatz „Landschaften“ (S. 761L) läßt sich nicht mit Bestimmtheit ausmachen.
Einleitung XIX eine poetische Übersetzung, die der Zwanzigjährige in einem der vierten Saekularfeier der Buchdruckerkunst gewidmeten Album erscheinen ließ. Im Jahre 1840 feierte man die irrtümlich in das Jahr 1440 verwiesene Er¬ findung Gutenbergs wie im Auslande, so auch in allen größeren Städten Deutschlands. Auch in Bremen wurde ein Gutenberg-Fest veranstaltet D. Ein Braunschweiger Verleger, Dr. Heinrich Meyer, bereitete im Verein mit amerikanischen und englischen Verlegern ein großes Album zu Ehren Gutenbergs vor, für welches Dichter und Schriftsteller ver¬ schiedener Länder um Beiträge angegangen wurden ; dieses „Gutenbergs- Album“ erschien im Juli 1840 in zwei Ausgaben — als Prachtband in Großquartformat und als einfacher Oktavband.2) Engels steuerte die Über¬ setzung einer großen Ode des berühmten spanischen Dichters Manuel José de Quintana bei —, das erste gedruckte literarische Erzeugnis, das mit Engels’ wirklichem Namen unterzeichnet war. Die Luxusausgabe brachte in einem Anhang die faksimilierten Namenszüge aller Beteiligten, darunter auch den von Engels, wohl dem jüngsten unter den Mitarbeitern des Albums. Der Name Friedrich Engels trat so zum erstenmal in einer inter¬ nationalen Publikation vor die Öffentlichkeit. Von recht großer Bedeutung nach Inhalt und Umfang sind unter den neuentdeckten Stücken diejenigen, die Engels im Zeitraum einest halben Jahres, zwischen Juli 1840 und Januar 1841, dem Stuttgarter „Morgen¬ blatt für gebildete Leser“ eingesandt hat. Es sind dies Korrespondenzen, eine „Volkssage“, ein Gedicht — teils mit „Friedrich Oswald“, teils mit den Initialen „F. O.“ gezeichnet, teils ohne Signatur gedruckt. Wir kom¬ men auf sie noch weiter unten zurück. In einem Briefe an Conrad Schmidt erwähnt Engels in späteren Jahren seine „gelegentliche“ Mitarbeit an der „Königsberger Zeitung“3); er schreibt in diesem Briefe vom 26. September 1887: „Es hat mich sehr gefreut..., daß Sie ... in die Atmosphäre der rei¬ nen Vernunft zurückgekehrt sind. Von den seltsamen Abenteuern, die sich an die Ankunft Ihrer Bücherkiste geknüpft, hatte ich durch die Zei¬ tungen erfahren und glaubte mich wieder in die verschollenen Zeiten ver¬ setzt, da ich selbst in Berlin als gelegentlicher Mitarbeiter der Hartung- *) Siehe z. B. Bremisches Unterhaltungsblatt, Jg. 17, Nr. 52 v. 27. Juni 1840, S. 207 f. Vgl. auch in diesem Band S. 122 f. a) „1840. Gutenbergs-Album.“ Hg. v. Dr. Heinrich Meyer. Braunschweig, Ver¬ lag von Johann Heinrich Meyer. London, bei C. und H. Senior. Philadelphia, bei J. G. Wesselhöft. — In der Oktavausgabe war nur der Braunschweiger Verlag an¬ geführt. — Die Engelssche Übersetzung zusammen mit dem spanischen Original des Quintana auf S. 200—217 ; die „Autographa der Mitarbeiter“, mit dem Namenszug „Friedrich Engels“, zwischen S. 346 und 347. 8) Siehe Sozialistische Monatshefte, Jg. 26 (1920), Bd. II, S. 663 IP
XX Einleitung sehen Zeitung war, und alles verboten war, außer dem beschränkten Untertanenverstand. Es wird aber wohl noch besser kommen.“ Während seiner Berliner Militärzeit stand Engels nachweislich in nähe¬ ren Beziehungen zu Vertretern des ostpreußischen Liberalismus. Er war befreundet mit dem damals zum Kreis der Berliner „Freien“ gehörigen Eduard Flottwell, dem radikal gesinnten Sohn des ostpreußischen Staats¬ mannes1). Auch mit Johann Jacoby, der manchmal im Kreise der Berliner Radikalen erschien, wurde Engels damals persönlich bekannt2). Von ein¬ dringlicher Beschäftigung mit den ostpreußischen liberalen Bestrebungen und Bewegungen zeugen mehrere um diese Zeit geschriebene Aufsätze3). Eine Verbindung mit dem Hauptorgan des ostpreußischen Liberalismus konnte auf diese Weise leicht zustandegekommen sein. Man könnte also meinen, daß heute, da wir den Charakter der Engelsschen Publizistik aus der fraglichen Zeit aus so zahlreichen Dokumenten kennen, der in dem Brief an Conrad Schmidt enthaltene Hinweis sichere Feststellungen erlau¬ ben werde. Und dennoch gelang es uns ebensowenig wie Gustav Mayer* ), die Engelsschen Beiträge für die „Königsberger Zeitung“ mit einiger Be¬ stimmtheit festzustellen. Im Jahre 1842 erschienen in diesem Blatte zahlreiche, insgesamt etwa dreißig Berliner t Korrespondenzen, die, ganz und gar im Geiste der Ber¬ liner „Freien“ gehalten, dem Inhalte wie der Tendenz nach sehr wohl von Engels herrühren konnten. Es befindet sich darunter auch die berühmte Korrespondenz (vom 17. Juni 1842) über die Bildung des Vereins der „Freien“. Der Verfasser dieser regulären Berliner Korrespondenzen ließ sich noch nicht feststellen, doch ist sicher, daß sie nicht von Engels her¬ rühren, und zwar schon deshalb, weil die letzte dieser Berliner t Korre¬ spondenzen in eine Zeit fällt (Dezember 1842), in der Engels Berlin schon verlassen hatte. Außerdem befindet sich im Jacoby-Nachlaß dasManuskript eines von der Zensur nicht durchgelassenen Artikels dieses regulären Ber¬ liner Korrespondenten 5) ; durch die freundlicheVermittlungGustavMayers erhielten wir eine Photographie dieses Manuskriptes, — es sind nicht die Schriftzüge von Friedrich Engels6). Die übrigen — nicht zahlreichen — „gelegentlichen“ Berliner Korrespondenzen im Jahrgang 1842 der „Kö¬ 0 Vgl. den oben zitierten Aufsatz von G. Mayer in Grünbergs Archiv, Bd. IV, S. 87 2) Vgl. G. Mayer in Grünbergs Archiv, Bd. I (1911), S. 354—357 3) Siehe in diesem Bande S. 299—302, 311 ff., 324 4) Vgl. G. Mayers Vorbemerkung zu den „Schriften der Frühzeit“, S. XI 6) Vgl. G. Mayer, Die Anfänge des politischen Radikalismus im vormärz¬ lichen Preußen. Zeitschrift für Politik, Bd. VI (1913), S. 109 6) Auch nicht die von Stirner, in dem G. Mayer 1913 den Verfasser vermutete. Der Namenszug des jungen Flottwell ist der Schrift des Manuskripts ähnlich, doch läßt sich auf Grund allein des Namenszuges — Briefe oder Manuskripte Flottwells sind uns nicht bekannt — kein bestimmtes Urteil fällen.
Einleitung XXI nigsberger Zeitung“ sind teils ganz farblos1), teils rühren sie von „einem ehemaligen Bewohner Preußens“ her 2\ Es bleiben so nur noch drei Kor¬ respondenzen übrig, bei denen Engels’ Verfasserschaft an sich nicht aus¬ geschlossen wäre8). Ihr ganz bedeutungsloser Inhalt bietet jedoch keiner¬ lei positive Anhaltspunkte für die Feststellung der Verfasserschaft; wir konnten uns nicht entschließen, sie, wenn auch nur als Dubiosa, in unsern Band aufzunehmen. Stammen auch diese Beiträge — wie uns scheint — nicht von Engels, so bleibt noch die Hypothese, daß Engels „gelegentlich“ — etwa auch mit der Korrespondenz über die „Freien“ — für den regelmäßigen Berliner Korrespondenten unter dessen Zeichen „ein¬ gesprungen“ sei, in welchem Falle wir die von Engels gelieferten Bei¬ träge nicht zu unterscheiden vermögen, — oder aber es muß die zitierte Stelle aus dem Briefe an Conrad Schmidt so gedeutet werden, daß der „Königsberger Zeitung“ von Engels zwar „gelegentlich“ Korrespon¬ denzen eingesandt, diese jedoch von der Zensur nicht durchgelassen wor¬ den seien. Wir sind überzeugt, daß es bei einer noch umfassenderen Durchsicht der Zeitungen, Zeitschriften und Almanache aus den Jahren 1838 bis 1842 gelingen wird, noch manches literarische Erzeugnis des Barmer Handels¬ kommis und Berliner Gardeartilleristen zum Vorschein zu bringen4). Engels war ungemein fleißig im Schreiben und brauchte nicht wenige Presseorgane, um die Erzeugnisse seiner Feder unterbringen zu können. Bis zum Ablauf seiner Militärzeit, Ende Oktober 1842, waren es neun verschiedene Blätter und Sammelwerke, in denen — so¬ So die mit dem Korrespondenzzeichen A 2) So die mit dem Korrespondenzzeichen 0 8) Es handelt sich um die Korrespondenzen „0 Berlin, 24. Jan.“ in Nr. 23 v. 28. Jan. 1842; „§ Berlin, 31. Jan.“ vom 5. Febr. 1842; „§ Berlin, 4. März“ in Nr. 58 v. 10. März 1842. 4) Am gründlichsten wurde die Bremer und die Hamburger periodische Presse durchgesehen; die betreffenden Titel seien hier aufgeführt. — Bremen : Bremer Zeitung 1839—1841; Bremisches Conversationsblatt 1838—1839; Bremisches Unter¬ haltungsblatt 1838—1843; Bremer Volksblatt 1840; Bremer Abendblatt 1843; Bre¬ mer Lesefrüchte angenehmen und nützlichen Inhalts 1839—1841; Bremer Bürger- Freund 1839—1841; Bremisches Album 1839; Bremische Wöchentliche Nachrich¬ ten 1839—1841; Das Dampfschiff 1839 (April bis Oktober); Der Patriot 1838 (Juli—Dezember); Union 1842. — Hamburg: Freischütz 1839—1840; Freihafen 1841—1842; Hamburgischer Correspondent 1840—1842; Hamburger literarische und kritische Blätter 1839—1842; Hamburger Neue Zeitung 1839—1842; Hansa- Album 1842; Jahreszeiten 1842; Telegraph für Deutschland 1838—1842; Die Zeit 1841. Es schien uns notwendig, der Frage nachzugehen, ob Engels nicht auch für die „Leipziger Allgemeine Zeitung“, an der 1841—1842 besonders viele Literaten aus dem Kreise der Berliner Junghegelianer mitarbeiteten, Korrespondenzen ge¬ schrieben habe. Herr F. A. Brockhaus hatte die Freundlichkeit, eine Durchsicht der Geschäftsbücher der fraglichen Jahre zu veranlassen; doch ohne positives Er¬ gebnis: unter den Namen, für die Honorarzahlungen eingetragen sind, figuriert weder „Oswald“ noch Engels.
XXII Einleitung weit uns heute bekannt — seine Arbeiten erschienen 1). Daß er während derselben Zeit noch mehr Blättern Beiträge zugesandt hat, wissen wir aus seinen Briefen; sicherlich ist auch davon noch manches gedruckt wor¬ den. So sehr aber unsere Gesamtausgabe Vollständigkeit anstrebt, wollten wir doch um dieser oder jener noch in den Archiven und Bibliotheken vergrabenen Korrespondenz willen das Erscheinen des vorliegenden Ban¬ des nicht noch weiter verzögern. IV Bei der Anordnung der gedruckten Schriften des jungen Engels gin¬ gen wir vom entwicklungsgeschichtlichen, chronologischen Prinzip aus, ohne jedoch einfache mechanische Konsequenz walten zu lassen; wir be¬ rücksichtigten die Publikationsorgane, worin diese Korrespondenzen, Dichtungen und Aufsätze erschienen waren, also den publizistischen Rah¬ men, der die Engelsschen Beiträge umfaßt und ihren Inhalt oder ihre Richtung mehr oder minder mitbestimmt hatte. Die eine längere Zeitspanne hindurch „parallel“ laufenden Beiträge für den „Telegraphen“ und für das „Morgenblatt“ wurden also je für sich gesondert zusammengestellt Ebenso gaben wir den in den Deutschen Jahrbüchern erschienenen Auf¬ satz über Alexander Jung nicht im Zusammenhang mit den Artikeln aus der Rheinischen Zeitung wieder, wohin er entsprechend dem Zeitpunkt seiner Abfassung und seines Erscheinens gehören würde. Sechs in ver¬ schiedenen Blättern bzw. in dem genannten Gutenbergs-Album veröffent¬ lichte Gedichte aus der Zeit vom Herbst des Jahres 1838 bis zum Jahre 1841 wurden, angefangen mit den „Beduinen“, also überhaupt der ersten gedruckten Arbeit von Engels, zu Beginn des Bandes gesondert zusam¬ mengestellt. Die großen, bedeutsamen Zeitabschnitte im Leben des jun¬ gen Engels, die „Knotenpunkte“ seiner geistigen Entwicklung und Wende¬ punkte seiner äußeren Existenz, blieben jedoch unbedingt maßgebend für die Einrichtung des ganzen Bandes2). Vom wirklichen Beginn der literarischen Tätigkeit Friedrich Engels’ — September 1838 — bis zum Erscheinen der Deutsch-Französischen Jahrbücher — Ende Februar 1844 — vergingen fünfeinhalb Jahre; diese Frühzeit seines Wirkens gliedert sich in drei Hauptabschnitte: die Bre¬ mer Periode bis zum Frühling 1841, die Berliner Periode bis zum Herbst 1842 und die M an ehest er • Lon d o ne r P e r i ode. In Bremen befreit sich Engels nach qualvollem inneren Ringen von dem Banne der religiösen Tradition, durchlebt eine Zeit der Begeisterung für das „Junge Deutschland“, wird, hauptsächlich unter dem Einfluß von *) Die „Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz“, die erst 1843 herauskamen, und die „Königsberger Zeitung“ nicht eingerechnet. 2) Durch besondere Titelblätter und Kolumnentitel wurden diese Zeitabschnitte deutlich hervorgehoben.
Einleitung XXIII Ludwig Börne, zum politischen Demokraten und tritt um die Jahreswende 1840/41 ins Lager der Junghegelianer über. In diese Zeit fällt seine Mitarbeit an Bremer Lokalblättern, an Gutzkows „Telegraph“ und am Cottaschen „Morgenblatt“. In Berlin tritt er sogleich in engere Verbin¬ dung mit den „Athenäem“, dem Kreise Bruno Bauers; in der literari¬ schen Fehde, die damals ausgefochten wird, steht er als Verteidiger der junghegelianischen Sache, insbesondere aber als Gegner Schellings und der Schellingschen Schule in der vordersten Reihe. Außer Broschüren schreibt er um diese Zeit Artikel für die Rheinische Zeitung, für die Deut¬ schen Jahrbücher und für den Deutschen Boten aus der Schweiz (welch letztere dann in den Einundzwanzig Bogen erschienen). Als er im Herbst 1842 nach England geht, ist er bereits konsequenter Materialist; früher als Marx entwickelt er sich, bis zu einem gewissen Grade von Moses Heß angeregt und angeleitet, zum Kommunisten. In diese Periode fallen seine englischen Briefe für die Rheinische Zeitung und für den Schweizerischen Republikaner, seine Berichte über den kontinentalen Sozialismus für The New Moral World und die beiden Aufsätze für die Deutsch-Französischen Jahrbücher. Der Zeitpunkt, an dem die erste und einzige Lieferung dieser von Marx und Ruge begründeten Zeitschrift erschien, bezeichnet die zeit¬ liche Grenze für den Inhalt des vorliegenden zweiten Bandes unserer Ge¬ samtausgabe, — wir haben das Ende des ersten, der Frühzeit von Karl Marx gewidmeten Bandes an denselben Zeitpunkt gesetzt. Wir drucken, entsprechend dem beim ersten Bande befolgten Verfah¬ ren außer den Werken und Schriften auch die Briefe ab, soweit sie aus diesem Zeitraum, bis Anfang 1844, erhalten geblieben sind. Die Briefe, die Engels den intimsten Freunden seiner Jugend, den Brüdern Graeber schrieb, ragen durch den Reichtum ihres Inhalts über die anderen Kor¬ respondenzen durchaus hervor; sie werfen ein helles Licht auf Engels’ geistige Entwicklung vor dem Jahre 1841 und können zugleich als Kom¬ mentar oder Ergänzung zu seinen im „Telegraphen“ gedruckten Aufsätzen, in geringerem Grade auch zu seinen Beiträgen für das „Morgenblatt“ gel¬ ten; auch mehrere literaturkritische und poetische Versuche sind in diese Briefe eingeschaltet. Das letzte Stück dieses Briefbündels ist vom 22. Fe¬ bruar 1841 datiert. Die inhaltlich weniger bedeutsamen, an Gedichten und Karikaturen aber ebenso reichhaltigen Briefe an die Schwester Marie reichen etwas weiter, bis Anfang August 1842. In der zweiten Abteilung des vorliegenden Bandes („Handschriftliches, Briefe, Dokumente“) sind diese Briefe vereinigt mit zwei wichtigen Briefen an Ruge, mit einigen Dokumenten (der Geburts- und Taufurkunde, dem Abgangszeugnis vom Gymnasium, dem militärischen Führungsattest) und ferner mit einigen noch handschriftlich erhalten gebliebenen ersten Jugendversuchen.
XXIV Einleitung V Engels verläßt das Elberfelder Gymnasium im Jahre 1837. Aus dem Abgangszeugnis1) ersieht man, daß er schon in jungen Jahren durch her¬ vorragende Sprachkenntnisse geglänzt hat. Mit dreizehn Jahren schreibt er Verse, so z.B. ein Gedicht auf den Geburtstag des Großvaters. 1837 ver¬ faßt er eine „Seeräubergeschichte“. Bei den öffentlichen Schulfeierlich¬ keiten des Elberfelder Gymnasiums im September 1837 trägt er ein selbst- verfaßtes griechisches Gedicht vor, das den Zweikampf des Etheokles und Polyneikes zum Gegenstände hat.2) Nach kurzer Tätigkeit im väterlichen Geschäft wird Engels 1838 nach Bremen geschickt; dort tritt er in das Großhandelshaus des Konsuls Hein¬ rich Leupold ein, der ein Geschäftsfreund seines Vaters ist und in Barmen Verwandte hat. Die väterliche Vorsorge verschafft ihm Unter¬ kunft als Pensionär im Hause des Pastors Treviranus, eines mit der Pa¬ storenfamilie Krummacher eng befreundeten Pietisten. Engels, der sich damals noch zum Dichter berufen glaubt, macht hier in Bremen die ersten Versuche, gedruckt zu werden. Die erste literarische Arbeit, mit der er vor das Publikum tritt, ist, wie wir aus seinem Brief vom 17. September 1838 an die Brüder Grae¬ ber3) wissen, die Ballade „Die Beduinen“4). Sie ist, wie nach eini¬ gem Nachforschen in verschiedenen Bremer Zeitungen und Zeitschriften festgestellt werden konnte, am 16. September 1838 im „Bremischen Con- versationsblatt“ erschienen, — womit das Datum von Engels’ literari¬ schem Debüt um einiges weiter zurückverlegt ist6). Aufmerksamkeit erregte Engels zuerst durch einen Versuch in Prosa, mit dem seine regelmäßige literarische Tätigkeit begann. Einer der her¬ vorragendsten Vertreter des Jungen Deutschland, Karl Gutzkow, Autor des Dramas „Uriel Acosta“, stand bei dieser Arbeit Taufpate. Im Jahre 1836 hatte Gutzkow in Frankfurt die „Börsenzeitung“, mit einer „Telegraph“ betitelten literarischen Beilage, gegründet Das Blatt war bald eingegangen, doch gelang Gutzkow die Umgestaltung der lite¬ rarischen Beilage in eine selbständige Zeitschrift, die im September 1837 *) In diesem Bande S. 480 f. 2 ) Die genannten Jugendarbeiten siehe S. 462—479 8) Siehe S. 486ff. 4) Der Kuriosität halber sei hier erwähnt, daß P. Lavrov, Engels’ späterer Freund, ebenfalls mit einem „Die Beduinen“ betitelten Gedicht die literarische Arena betrat (in der „Biblioteka dl ja ëtenija“, Mai 1841). Der eine wie der andere war durch die Freiligrathsche Poesie beeinflußt. 5) Wir geben das Gedicht nicht nur in der gedruckten Fassung wieder (S. 7f.), sondern auch in der ursprünglichen, in der es Engels den Brüdern Graeber mitteilte (S. 489 f.); sein Brief vom 17. September 1838 zeigt den Ärger, den ihm die von dem Redakteur vorgenommenen Veränderungen verursachten, aber auch den nicht minder berechtigten Unwillen, den ihm seine Verse selbst erregten, als er sie ge¬ druckt „mit viel schärferen Augen“ ansah (S. 487).
Einleitung XXV nach Hamburg in den Verlag Hoffmann und Campe überging. Dank dem Geschick Gutzkows, der eine Menge begabter Mitarbeiter heranzog, errang diese Zeitschrift, nunmehr „Telegraph für Deutschland“ be¬ titelt, sehr bald vorzüglichen literarischen Ruf. Die Jahre 1838—1841 bedeuteten den Höhepunkt ihrer Popularität und Verbreitung. Obwohl Gutzkow selbst politisch über „schöne“, aber gemäßigte Worte niemals hinausging und jede deutlich politische Tendenz immer vermied, ver¬ setzte die preußische Regierung Ende 1841 seiner Zeitschrift einen harten Schlag, indem sie ihre Verbreitung in den preußischen Landen verbot Zu dieser Zeit war Gutzkow allerdings hinter der jüngeren Generation schon sehr zurückgeblieben: sie jubelte jetzt neuen politischen Lyrikern zu, vor allem Georg Herwegh. Als Gutzkow 1841 seine „Briefe aus Paris“ erscheinen ließ, begegneten sie scharfer Kritik D. Der Dichter, der 1831 zu den fortschrittlichsten Vertretern der deutschen Literatur gezählt hatte, war noch vor Ausbruch der Revolution von 1848 zu einem sächsischen Hofdramaturgen herabgesunken. Während seines Aufenthalts in Bremen arbeitete Engels unausgesetzt am „Telegraphen“ mit. Es scheint, daß das Ungestüm seiner geistigen Ent¬ wicklung Gutzkow schon zu ängstigen begann, obwohl Engels — wie aus seinen Briefen an die Brüder Graeber hervorgeht — auf die Forderungen der Zensur2) Rücksicht zu nehmen trachtete. „Das traurige Verdienst, den Oswald in die Literatur eingeführt zu haben — schreibt Gutzkow am 6. Dezember 1842 an Alexander Jung —, gebührt leider mir. Vor Jahren schickte mir ein Handlungsbeflissener namens Engels aus Bremen ,Briefe über das Wuppertal4. Ich korrigierte sie, strich die Persönlichkeiten, die zu grell waren, und druckte sie ab. Seither schickte er manches, das ich regelmäßig umarbeiten mußte. Plötz¬ lich verbat er sich diese Korrekturen, studierte Hegel, legte sich den Namen Oswald bei und ging zu anderen Organen über. Noch kurz vor dem Erscheinen der Kritik über Sie hatte ich ihm 15 rx nach Berlin ge¬ schickt. So sind diese Neulinge fast alle. Uns verdanken sie, daß sie denken und schreiben können, und ihre erste Tat ist geistiger Vater¬ mord. Natürlich würde all diese Schlechtigkeit nichts sein, wenn ihr nicht Ein Echo dieser Kritik drang übrigens bis nach Rußland, wie ein gleich¬ zeitiger ausführlicher Artikel von V. Botkin in den „Oteëestvennye Zapiski“ be¬ zeugt. (Wieder abgedruckt in der späteren Ausgabe der Botkinschen „Werke“: Soëinenija. St. Petersburg 1891. Bd. II, S. 291—342.) 2) Von den Akten der Hamburger Zensur sind aus dieser Zeit einige kümmer¬ liche Reste vorhanden. Wie aus ihnen hervorgeht, stieß schon der erste der „Briefe aus dem Wuppertal“ auf Zensurhindemisse: der Zensor verweigerte die Erlaubnis zur Veröffentlichung, und erst die Zensur-Kommission des Senats erteilte auf Gutz¬ kows Beschwerde hin das Imprimatur. (Am 13. und 15. März 1839. Censurakten 1839—1840: Cl. VII. Lit. Lb N. 16. Vol. 7, Fase. 3; Protocoll der Censur-Com- mission 1837—1844.)
XXVI Einleitung die Rheinische Zeitung und Ruges Blatt entgegenkäme.“1) An diesen charakteristischen Klagen interessiert uns hier nur die Tatsache, daß Engels’ Artikel von Gutzkow redigiert worden sind, was besonders für die erste Periode der Mitarbeit am „Telegraphen“ zu beachten ist. Die „Briefe ausdem Wupperta 1“, Engels’ erster Beitrag für den „Telegraphen“, erschienen im März und April 1839. Die kritische Darstellung des Lebens und der Sitten in jenem industriellen Zentrum, in dem Engels auf gewachsen war, erregte in seiner Heimat einige Sen¬ sation. Barmen und Elberfeld, diese geographisch so eng benachbarten Städte, waren nicht nur verwaltungsmäßig getrennt2). In Barmen war (1840) bei einer Bevölkerung von 30 847 Köpfen die Zahl der Katholiken ganz unbedeutend; in Elberfeld aber bildeten sie ein Viertel der 32 384 Köpfe zählenden Einwohnerschaft. Elberfeld war mit dem industriellen und literarisch-künstlerischen Zentrum Düsseldorf auch in kulturellen Dingen enger verbunden. Während Engels’ Geburtsstadt Barmen sich durch ihr Muckertum und ihren Obskurantismus hervortat, trug Elberfeld eher den Charakter einer fortschrittlichen Stadt. Auch die Arbeiter zeigten hier keine so lammfromme Ergebenheit in ihr Los, wie es die Barmer taten. Elberfeld hatte seine revolutionären Traditionen. 1829 hatte sich die Em¬ pörung der Elberfelder Arbeiterschaft in elementaren Ausbrüchen Luft gemacht, wobei manche Fabrik arg mitgenommen worden war. Auch in der revolutionären Bewegung der deutschen Intelligenz zur Zeit der „De¬ magogenverfolgung“ spielte Elberfeld eine Rolle. Aus den Briefen von Engels selbst geht hervor, daß das Elberfelder Gymnasium, das er be¬ sucht hatte, unter seinen Lehrern Freisinnige vom Schlage eines Clausen aufwies, über welch letzteren Engels sich mit besonderer Wärme äußerts). Die „Briefe aus dem Wuppertal“, Dokumente von großer biogra¬ phischer Bedeutung4), geben ein lebendiges Bild von dem bigotten Phi¬ listermilieu, in welchem der künftige Materialist und Revolutionär auf- wuchs. In ganz Deutschland galt das Wuppertal als der Herd des Pie¬ tismus. An der Spitze einer streitbaren Geistlichkeit stand Friedrich Wil¬ helm Krummacher, der Sohn des Parabeldichters Friedrich Adolf Krum- x) Vgl. den zitierten Artikel von G. Mayer, Ein Pseudonym von Friedrich Engels (Grünbergs Archiv, Jg. IV, H. 1, S. 88f.) 2) Barmen gehörte zum Aachener, Elberfeld zum Düsseldorfer Regierungs¬ bezirk. 8) Siehe S. 36f. Von Engels’ Anhänglichkeit an diesen „in der Geschichte und Literatur ausgezeichneten“ Lehrer zeugt wohl auch der Umstand, daß sich in Engels’ Nachlaß ein Schulheft erhalten hat, in dem er Clausens Vorträge über alte Geschichte — „von Erschaffung der Welt bis auf den Peloponnesischen Krieg, 4000—401“ — in sorgfältiger Ausarbeitung, mit Plänen und Zeichnungen, wieder¬ gegeben hatte. 4) Vgl. dazu einige Stellen aus den Briefen an die Brüder Graeber, S. 505f., 518 f., 521, 536, 539.
Einleitung XXVII mâcher ; Engels kam in Bremen, wo sich ebenfalls ein Zentrum des deut¬ schen Pietismus gebildet hatte, auch mit Krummacher, dem Vater, noch in BerührtingD. Ein wenig sonderbar erscheint Engels’ Urteil über die „Elberfelder Zeitung“ und deren Redakteur Martin Runkel. Dieses Blatt hatte zwar Beziehungen zum rheinischen Liberalismus, d. h. zu dessen äußerstem rechten Flügel, war aber in völliger Abhängigkeit von den Pietisten2). Und das bewies Runkel auch unverzüglich. Nach dem Erscheinen des ersten von den „Briefen aus dem Wuppertal“, noch ehe er den zweiten und die darin gegebene anerkennende Beurteilung seines Blattes zu Gesicht bekommen hatte, entgegnete er sofort mit einer kurzen, in scharfem Ton gehaltenen Zurückweisung, in welcher er die Engelssche Darstellung als „Karikatur“ bezeichnete. Er schrieb den Aufsatz einem „von Düsseldorf ins Märkische gereist sein wollenden Jungdeutschen“ zu, bezweifelte, daß „der Reisende seine Notizen in Elberfeld selbst auf gesammelt“ habe, und machte dem Verfasser einen Vorwurf daraus, daß er „trotz aller... Persönlichkeiten anonym geblieben“ sei; die Schilderung strotze von „entschiedener Unkunde“ der Wuppertaler Verhältnisse und verrate ledig¬ lich „die Absicht, zu schmähen und irre zu leiten“3). Um seinen Aufent¬ haltsort nicht preiszugeben, ließ ihm Engels, wohl durch Vermittlung eines Barmer Freunds, vermutlich Wilhelm Blanks4), eine vom 6. Mai datierte, aber wohl etwas früher verfaßte Erwiderung zugehen, die Run¬ kel dann, um den Schein der Unvoreingenommenheit zu wahren, am 9. Mai in seinem Blatt abdruckte, nachdem er noch tags zuvor — noch ohne Kenntnis des inzwischen erschienenen zweiten Briefes — in einer längeren, sehr gehässigen Replik „aus dem Bergischen“ die Engelssche Schilderung als „roheste Kalumniation“ angegriffen hatte6). Der Engelssche Brief an „Herrn Dr. Runkel in Elberfeld“ — er ist übrigens durchaus maßvoll, ja fast bescheiden gehalten — ge¬ hört zu den neuentdeckten Texten unseres Bandes; obwohl er nicht im „Telegraphen“ erschienen ist, lassen wir ihn doch des engen Zusammen¬ x) Von den „Parabeln“ des Bremer Krummacher schrieb Belinskij im Jahre 1843: „Krummachers ,Parabeln* erschienen einst in einer russischen Zeitschrift zu¬ sammen mit Gedichten Byrons. Das war in den ,Novosti russkoj literatury*, die 1822—1826 vom seligen Vojejkov herausgegeben wurden. Jetzt haben sich die Zeiten geändert: Die Byronschen Gedichte werden nach wie vor von Erwachsenen gelesen und studiert, die ,Parabeln* Krummachers eignen sich höchstens noch für Kinder... Für Kinder unter 12 Jahren ist Krummacher ein tiefer und beredter Schriftsteller“ (Soèinenija. Hg. v. S. Vengerov. Bd. VIII, S. 297). 2) Vgl. L. Salomon, Geschichte des deutschen Zeitungswesens... Bd. III. S. 367f. — Dr. Leo Busch, Die Wuppertaler Presse bis zum Jahre 1850. Blätter für Heimatkunde (Beilage zur „Barmer Zeitung“) 1926, Nr. 76—77, S. 305 f., 310f. 8) Elberfelder Zeitung, Nr. 101 vom 12. April 1839 4) Vgl. Engels’ Brief vom 30. April 1839 an Wilhelm Graeber, S. 519, und Runkels redaktionelle Anmerkung, S. 42 5) Elberfelder Zeitung, Nr. 126 vom 8. Mai 1839
XXVIII Einleitung hanges wegen unmittelbar auf den zweiten der „Briefe aus dem Wupper¬ tal“ folgen; ebenso noch zwei im „Telegraphen“ veröffentlichte Notizen, in denen Engels gleichfalls Elberfelder Verhältnisse behandelt1). Von den „Briefen aus dem Wuppertal“ meint Engels in einem etwas späteren Schreiben an Wilhelm Graeber2): sie seien „in der Hitze ge¬ schrieben“ und litten daher „an Einseitigkeiten und halben Wahrheiten“. Der öffentlichen Meinung Elberfelds schlug die Schilderung jedenfalls ins Gesicht. Sie machte — wie Wilhelm Blank in einem Brief an seinen Freund Engels schrieb — in Elberfeld „rasenden Rumor“3). Gutzkow selbst glaubte den Protesten der erregten Gemüter Rechnung tragen zu müssen; kurz nach Erscheinen des zweiten der „Briefe“ druckte er „Einige Berichtigungen der Briefe aus dem Wuppertale“ ab4). Der an¬ onyme Verfasser dieser Zuschrift findet für vieles, was von Engels an¬ gegriffen worden war, eine Entschuldigung; er ist insbesondere bestrebt, die kulturellen Zustände Elberfelds in ein besseres Licht zu setzen, und beschäftigt sich daher hauptsächlich mit dem zweiten der „Briefe“. Inter¬ essant ist die Polemik, die der Verfasser der „Berichtigungen“ gegen die Engelseche Darstellung der Lohnverhältnisse der Weber6) führt. Der An¬ onymus bestreitet, daß der wegen Verkürzung des Arbeitslohns erhobene Vorwurf gerade die zur pietistischen Partei gehörigen Kaufleute treffe; „im Gegenteil — schreibt er — hängen gewiß viele aus der arbeitenden Klasse dieser Richtung an, um der Wohltätigkeit teilhaftig zu werden, die die angesehensten Familien jener Partei auszeichnet... Überhaupt möchte das Vermindern des Arbeitslohnes, wenn es nicht, um mit dem Ausland konkurrieren zu können, unabweisbar nötig wird, den Fabrikanten, der es sich erlaubte, allgemeiner Infamie in Elberfeld aussetzen.“ Der Aufsatz über „D ie deu t sehen Vo 1 k sb üch er“®), im „Te¬ *) Siehe S. 42—46. — Zu der kurzen Notiz über eine Krummacher-Predigt vgl. Engels’ Brief vom 30. April 1839 an Wilhelm Graeber (S. 519), der Engels’ Verfasserschaft außer Zweifel stellt. 2) Am 8. Oktober 1839. Siehe S. 539 8) Vgl. Engels an Wilhelm Graeber, 30. April 1839 (S. 519). Der Blanksche Brief an Engels ist nicht erhalten geblieben, dafür aber ein anderer, den derselbe W. Blank um die gleiche Zeit, am 24. Mai 1839, an Wilhelm Graeber — also gleichfalls einen eingeweihten Jugendfreund — über diesen „rasenden Rumor“ schrieb. In Elberfeld — heißt es in diesem Briefe — sei man „ganz wütend“ über den „Telegraphen“: „alle Exemplare, die sich hier finden, waren im Augenblick vergriffen. Merkwürdig ist es, wie man sich hier abplagt, den Verfasser zu finden; der Eine sagt, es ist Freiligrath, der Andere — Clausen, der Dritte — Holzapfel u. s. fort, den Rechten raten sie aber nicht, es ist auch gut, denn sie würden den Friedrich Engels, wenn sie wüßten, daß er es wäre, bei seiner Rückkehr entsetzt vornehmen. Übrigens hat der erste Lärm deshalb schon ziemlich abgenommen, und diejenigen, gegen welche der Angriff gerichtet, halten sich darüber erhaben, und so ist die Wirkung, die es haben sollte, meist verloren gegangen.“ (Der Brief be¬ findet sich im Besitze von Emil Engels in Engelskirchen.) 4) Telegraph für Deutschland, Mai 1839, Nr. 80, S. 635—638 B) Im ersten der „Briefe aus dem Wuppertal“. fl) Siehe S. 49 ff.
Einleitung XXIX legraph“ im November 1839 erschienen, bezeugt Engels’ früh erwachen¬ des Interesse für folkloristische Studien. Er hebt nicht nur die dichte¬ rische und ethnographische Bedeutung der Volksbücher hervor, son¬ dern betont auch ihre mögliche politische Verwendung in der Propaganda für die Freiheit, gegen den Adel, gegen den Pietismus. Da der Aufsatz „mehrere sehr bittre Sarkasmen für den Bundestag und die preußische Zensur“ enthielt, wunderte sich Engels einigermaßen, als die Hamburger Zensur ihn ganz unangetastet passieren ließ1). Der Artikel „Karl Beck“2), veröffentlicht im „Telegraph“ im No¬ vember und Dezember desselben Jahres, zeigt Engels von jener Verehrung für den populären Dichter des Jungen Deutschland geheilt, die ihn ein¬ mal in seinen Briefen an die Brüder Graeber veranlaßt hatte, jenen mit Schiller zu vergleichen. Einige Jahre später machte Engels die Dichtung Becks als Musterbeispiel für die Poesie des „wahren Sozialismus“ zum Gegenstand einer vernichtenden Kritik. Der Aufsatz „RetrogradeZeichenderZeit“3) — der „Tele¬ graph“ brachte ihn im Februar 1840 — verrät mit besonderer Deutlich¬ keit die literarischen und stilistischen Einflüsse des Jungen Deutschland, bedeutet aber einen weiteren Fortschritt in Engels’ politischer Entwick¬ lung. Hatte er bis dahin noch stark unter dem Einflüsse Gutzkows, Laubes und Kühnes gestanden — also gerade jener Jungdeutschen, die sich haupt¬ sächlich mit literarischen Fragen befaßten und selbst für die Philosophie nur insoweit Interesse übrig hatten, als sie die Ästhetik und die Literatur betraf —, so spricht er jetzt schon von dem Hegelschen System als dem¬ jenigen, „dasi alle früheren an Konsequenz übertrifft“; er legt dar, daß im Jungen Deutschland selbst auch Kräfte wirksam seien, welche die „Vermittlung der Wissenschaft und des Lebens, der Philosophie und der modernen Tendenzen, Börnes und Hegels“, sich zum Ziel gesetzt hätten. — Die Notiz über Anastasius Grün4) — April 1840 — ist als eine nachträgliche Illustration zu den „Retrograden Zeichen der Zeit“ zu betrachten. In dem Artikel „Platen“6) — gleichfalls Februar 1840 — kenn¬ zeichnet Engels den rationalistischen Charakter der Platenschen Poesie sehr richtig. Er spricht von dem Dreigestim Platen, Chamisso und Immer¬ mann. Bei Platen, sagt er, habe die poetische Kraft ihre Selbständigkeit auf gegeben und stehe unter der Herschaft des mächtigeren Verstandes; 1) Engels an die Brüder Graeber, 9. Dezember 1839 (S. 554). Vor allem hatte er wohl die auf S. 53u und S. 54* wiedergegebenen Stellen im Auge. — Zur Ent¬ stehungsgeschichte des Aufsatzes vgl. noch S. 497, 575 *) Siehe S. 57 ff. 8) Siehe S. 62 ff. 4) Siehe S. 71 B) S. 67f.
XXX Einleitung darum vertrete er gerade das Verstandesmäßige der Poesie, nämlich die Form. Vor allem gelte dies Von den Polenliedem, in denen der mangelnde poetische Duft durch eine Fülle erhabener, leidenschaftlicher, edler Ge¬ danken ersetzt sei. „Platens literarische Stellung in der öffentlichen Mei¬ nung wird sich verändern ; er wird weiter von Goethe, aber näher zu Börne treten.“ In diesen Sätzen gibt Engels zugleich sein Urteil über die poli¬ tische Bedeutung Platens, des Dichters, dessen Verse den ganzen Haß der radikalen deutschen Intelligenz gegen das Moskowitertum ausgesprochen hatten1). Der Artikel „J o e 1 J a c o b y“ 2) — April 1840 — ist gegen den be¬ kannten deutschen Renegaten gerichtet, der aus einem Radikalen zu einem verbissenen Reaktionär geworden war und später sein Leben als Würdenträger der Berliner Polizei beschloß3). Das „R eq u i em f ü r d i e d eut so h e Adel sz ei t u n g“4) — cs erschien im „Telegraph“ gleichfalls im April 1840 — ist durch den Pro¬ spekt eines neuen Blattes, der „Zeitung für den deutschen Adel“, angeregt und bemerkenswert als frühester Ausdruck des Protests gegen alle und jede Idealisierung des Adels und des Mittelalters, der für Engels während seiner ganzen ferneren politischen Tätigkeit charakteristisch bleibt. Die Kritik an dem romantisch phantasierenden Baron De la Motte-Fouqué, der sich in seinen Ritterromanen — um mit dem Kommunistischen Manifest zu reden — für jene „brutale Kraftäußerung“ begeisterte, die ihre „pas¬ sende Ergänzung in der trägsten Bärenhäuterei“ findet, bildet zusammen mit der Kritik, die Marx in der Rheinischen Zeitung an der Anmaßung des preußischen Adels übte, eine prächtige Illustration für die späteren Leitsätze über den „feudalen Sozialismus“. Die „Requiem“-Form des Engelsschen Pamphlets erklärt sich übrigens aus dem Umstand, daß meh¬ rere Zeitungen das Gerücht verbreitet hatten, die Adelszeitung sei — kaum einige Monate nach ihrer Gründung — bereits eingegangen ; faktisch exi¬ stierte das erzreaktionäre Blatt noch einige Jahre. In den „Landschaften“6) — veröffentlicht im Juli 1840 — ver¬ rät sich zum ersten Male die besondere Neigung für die Geographie, die Engels auch in reiferen Jahren eigen geblieben ist. Der Artikel läßt ver¬ muten, daß Engels im Frühjahr 1840 seine erste Reise nach Holland und England gemacht hat. Bemerkenswert ist die Verbindung, in welche x) Über Engels' früheste Beschäftigung mit außenpolitischen Angelegenheiten vgl. auch Friedrich Hertneck, Die deutsche Sozialdemokratie und die orien¬ talische Frage im Zeitalter Bismarcks (Archiv für Politik und Geschichte, 1926, S. 645f.). ’) S. 69ff. 8 ) Vgl. die Bemerkungen G. Mayers in der Neuen Zeit, XXXIX/1, S. 208ff. (November 1920) 4) Siehe S. 72ff. 6) Siehe S. 76 ff.
Einleitung XXXI die holländische Landschaft mit dem Calvinismus gebracht wird. Es ist ein erstes Gefühl für den Zusammenhang, der zwischen Hollands gesell¬ schaftlichen Lebensformen und der religiösen Prädestinationslehre be¬ steht, — für einen Zusammenhang, den Engels viele Jahre später in einer ganz anderen Weise erklären wird. Den Aufsatz „Siegfrieds Heimat“1) brachte der „Telegraph“ im Dezember 1840. Die Gestalt Siegfrieds beschäftigte den jungen Engels sehr lebhaft. In dem Helden des Nibelungenlieds verkörperte sich ihm das Element der Tatkraft und des Tatendranges, die Auflehnung gegen Überliefertes, der Abscheu vor dem Gewöhnlichen. Engels trug sich so¬ gar mit dem Plan einer Tragikomödie, in der Siegfried als der Repräsen¬ tant der jungen deutschen Generation, erfüllt von den Idealen der Freiheit, allen Mächten der Finsternis und der Reaktion in den Weg treten sollte. In den erhalten gebliebenen Bruchstücken — man findet sie in einem Brief an Friedrich Graeber2) — tritt eine Reihe von Vertretern der damaligen Literatur auf. Der im „Telegraphen“ veröffentlichte Aufsatz beginnt mit archäologischen und kunstgeschichtlichen Betrachtungen und klingt in radikaler politischer Publizistik aus. Die Zensur machte deshalb zunächst Schwierigkeiten. Erst auf die Beschwerde des Verlegers erteilte die Zen¬ sur-Kommission die Druckerlaubnis3), verfügte aber die Abschwächung „einer Stelle“; es läßt sich nicht mehr ausmachen, um welche Stelle es sich handelte. In dem Artikel „Ernst Moritz Arndt“4) — Januar 1841 — tritt Emgels als Publizist hervor. Um die Wahl und Behandlung des Themas begreiflich zu machen, müssen wir daran erinnern, daß im Jahre 1840 die Angelegenheiten der Außenpolitik, insbesondere die deutsch¬ französischen Beziehungen, wieder stark in den Vordergrund gerückt waren. Ehe Verschärfung des Verhältnisses zwischen Frankreich und England, hervorgerufen durch Konflikte im nahen Osten — in Ägypten und Syrien —, hatte hart an den Rand eines Krieges geführt. In Deutsch¬ land regte sich wieder der alte Franzosenhaß. Es wurden Stimmen laut, man müsse Frankreichs schwierige Lage ausnützen, um im Bunde mit Eng¬ land das linke Rheinufer zurückzugewinnen. Nikolaus Becker, der Dich¬ ter des Rheinlieds, wurde der Held des Tages. In Engels’ Artikel, der für die Beurteilung dieser Phase seiner Ent¬ wicklung ganz besonders wichtig ist, spricht sich zunächst unverkennbar der Einfluß des Bömeschen Pamphlets wider „Menzel, den Franzosen¬ 0 Siehe S. 91 ff. *) Siehe S. 507—515 8) Am 30. November 1840. Vgl. die oben zitierten Akten des Hamburger Staatsarchivs. 4) Siehe S. 96ff.
XXXII Einleitung fresser“, aus. Die letzten Spuren seiner religiös-orthodoxen Erziehung hat Engels jetzt abgestreift, seine Hinwendung zum Junghegelianismus ist entschieden. Jener Gedanke, der sich in den „Retrograden Zeichen der Zeit“ erst angedeutet findet: die Synthese Börne-Hegel, die Vereinigung von Tat und Idee, wird nun mit größerer Bestimmtheit ausgeführt. Engels stellt sich vollkommen auf die Seite der Hegelschen Linken, der Ruge, Strauß, Köppen. Allein bei aller Entschiedenheit des demokratischen Standpunktes, den er vertritt, und bei aller Absage an die Deutschtümelei hält Engels die Wiedergewinnung des linken Rheinufers und selbst die Germanisierung der Niederlande und Belgiens für eine politische Notwendigkeit, solle die Einigung Deutschlands erreicht werden. Inso¬ weit erscheint Engels bis zu einem gewissen Grade als deutscher Pa¬ triot. In seiner Kritik der aristokratischen Ideologie an das „Requiem für die deutsche Adelszeitung“ anknüpfend, handelt dieser Artikel aber noch von anderen Dingen, die für Engels’ fernere Entwicklung be¬ sonders bedeutungsvoll geworden sind. In der Schilderung der Wupper¬ taler Zustände war er gewissermaßen schon auf die „Arbeiterfrage“ ge¬ stoßen; hier beschäftigt er sich nun — ungeachtet jenes Vorwaltens der literarischen und politischen Interessen, das für seine Frühzeit überhaupt charakteristisch ist — bereits mit der Agrarfrage, mit ökonomischen Angelegenheiten wie die Freiheit des Grundeigentums und die Boden¬ parzellierung. Es sind dies alles Probleme, die auch für den jungen Marx ein bedeutender Anstoß zum Studium der politischen Ökonomie ge¬ wesen sind. Noch im November 1840 hatte der „Telegraph“ das gereimte „Frag¬ ment“ „S an o t H e 1 e n a“1) veröffentlicht, im Februar 1841 brachte er die Ode „Der K ai ser z ug“2\ die anläßlich der am 15. Dezember erfolgten pomphaften Beisetzung Napoleons im Hôtel des Invalides ge¬ schrieben war, — beides Zeugnisse des Einflusses, den der Heinesche Na¬ poleonkult auf den jungen Engels ausgeübt hat. „Ich wollt’, ich wäre jetzt in Paris“, heißt es in dem Brief, in dem er die Überführung der kaiserlichen Leiche nach Frankreich der Schwester Marie mitteilt3), ihr, der er sonst von politischen Fragen oder Ereignissen nie zu schreiben pflegt Mit dem Aufsatz über „I mm e r m a n n s Mem or a b i 1 ien“ 4) — im April 1841 erschienen — endet Engels’ regelmäßige Mitarbeit am „Telegraphen“. Immermann, einer der begabtesten Vertreter der Über- 1) Siehe S. 90 2) Siehe S. 109f. 3) Am 8. Dezember 1840 (S. 603) 4) Siehe S. 111 ff.
Einleitung XXXIII gangsepoche zwischen Romantik und Realismus, neigte mit seinen Sym¬ pathien zum Jungen Deutschland. Sein Roman „Die Epigonen“ schilderte den Kampf zwischen Adel und Bürgertum, das Ringen der industriellen mit der feudalen Welt. Er war der Begründer des berühmten Muster- theaters in Düsseldorf und hatte auch in Elberfeld eine Filiale errichtet. Engels war mit ihm wohl schon in seiner Heimatstadt bekannt geworden, wo die Theaterfrage seinerzeit zu einem scharfen Konflikt geführt hatte; die ehrenwerten Barmer Pfahlbürger hatten von einem Theater nichts wissen wollen, hatten aber die lebensfroheren Elberfelder Nachbarn nicht daran hindern können, daß sie in ihren Mauern eine Lasterhöhle Beelze¬ bubs sich auftun ließen. Wenn Immermann, der sich über Krummachers „Gott der Spinner“ nicht wenig mokiert hatte, für die literarische Jugend des Wuppertals, und so auch für Engels, jetzt freilich hinter dem Schritt der Zeit schon zurückgeblieben war, so galt er doch immer noch als der geliebte Lehrer und Bildner der Geister. VI Von Engels’ Beiträgen für den „Telegraphen“ behandeln nur die ersten, die „Briefe aus dem Wuppertal“, Ereignisse und Erscheinungen von eigentlich lokalem Charakter, sonst aber durchweg allgemeine deutsche Angelegenheiten: die literarischen Fehden, geistigen Strömungen, poli¬ tischen Bestrebungen, die den ganzen deutschen Globus damals in Bewe¬ gung hielten. Anders die Aufsätze, die Engels — während dieser selben Zeit seiner regelmäßigen Mitarbeit am „Telegraphen“ — im Verlauf von etwa einem halben Jahr einer anderen Zeitschrift zusendet. Sie tragen zumeist lokale Farbe, wenigstens ihrem Stoffe nach, dem Engels allerdings allgemei¬ ner interessierende Seiten abzugewinnen bestrebt ist. Diese Gruppe von Arbeiten der Frühzeit war, wie schon erwähnt, auch Gustav Mayer unbe¬ kannt geblieben. Weder in den Briefen an die Brüder Graeber oder an die Schwester, noch in der späteren Tradition wird ihrer gedacht Ihre Auf¬ findung war das Ergebnis der systematischen — obwohl, wie schon betont, noch durchaus nicht erschöpfenden — Durchsicht der deutschen Zeit¬ schriften aus den Jahren 1838—1842. Die Zeitschrift, in der diese Beiträge erschienen, war das Stuttgarter „Morgenblatt für gebildete Leser“. Im Jahre 1807 von Cotta begründet, hatte das „Morgenblatt“ (es wurde täglich in vierseitigen Lieferungen ausgegeben) um 1840 zwar nicht mehr die dominierende Stellung unter den deutschen Bildungs- und Unterhaltungs-Zeitschriften, die es in den ersten zwei Jahrzehnten seines Bestehens innegehabt hatte, war aber doch noch immer und noch für lange eine der meistverbreiteten Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., BJ. 2. III
XXXIV Einleitung Zeitschriften. Es war ein Juste-milieu-Blatt, das sich, keiner literarischen Richtung, wohl aber jedem „Extrem“ verschloß. Hinsichtlich der lokalen Korrespondenzen war im Verlagsprogramm gesagt: das Blatt sei nicht in der Lage, „von irgendeinem Orte eine eigent¬ liche Musik- und Theater-Chronik zu geben“, doch sei es bereit, „derglei¬ chen Leistungen“ „in Bezug aufs Allgemeine zu besprechen“. Diesem Vor¬ behalt tragen auch die Bremer Korrespondenzen von Engels Rechnung. Wie aber kam Engels, damals schon radikaler Jungdeutscher und He- geling, dazu, an einer so farblosen Zeitschrift mitzuarbeiten, deren „Lite¬ raturblatt“ — die nicht obligatorische Beilage, das „krittlichste und dürrste Blatt im ganzen Literaturwald“ 1) — von Wolfgang Menzel, dem „Denun¬ zianten“, redigiert wurde? Diese Frage ist nicht mit Bestimmtheit zu be¬ antworten. Persönliche Vermittlung durch irgendeinen andern Mitarbei¬ ter der Zeitschrift kann, wie wir noch sehen werden, dabei keine Rolle gespielt haben. Die Sache mag sich einfach daraus erklären, daß Engels zu dieser Zeit noch nicht so „wählerisch“ gewesen ist Seit Anfang 1839 schreibt er allerdings — soweit sich feststellen läßt — nur für den „Tele¬ graphen“ 2>. Da aber das „Morgenblatt“ selbst keineswegs aggressiv gegen die jungdeutschen Richtungen auf trat und in seinen Korresponden¬ zen, sofern sie politische Fragen berührten, liberalen Geist im allgemeinen nicht vermissen ließ, konnte Engels die Mitarbeit an diesem Juste-Milieu- Blatt mit der Tätigkeit für das jungdeutsche Hauptorgan immerhin für vereinbar halten. Vielleicht reizte ihn auch der Gedanke, in demselben Blatt aufzutreten, an dem einst auch der hochverehrte Börne, der Leitstern seiner Jugendjahre, mitgearbeitet hatte? Engels’ ersten Beitrag für das „Morgenblatt“, eine Korrespondenz über das „Kulturleben“ Bremens, ist in den Nummern vom 30. und 31. Juli 1840 erschienen, der letzte in den Nummern vom 17. bis 21. August 1841. Es könnte demnach scheinen, daß er über ein ganzes Jahr lang an dem Blatt mitgearbeitet hätte. Bei näherem Zusehen ergibt sich, daß dem nicht so ist. Der zuletzt erschienene Artikel, eine in leichtem, spielerisch-ernstem, typisch jungdeutschem Plauderton gehaltene Schilde¬ rung einer Fahrt nach Bremerhaven, ist bestimmt ein gutes Jahr vor dem Erscheinen verfaßt worden. Dies ergibt sich bei der Untersuchung der V erf asserschaft. 0 So Engels in einer Xenie auf das „Literaturblatt“; Brief an Friedrich Graeber, 20. Januar 1839, S 498 2) Es scheint, daß sich Engels in dieser Zeit mit der Absicht getragen hat, auch an der „Zeitung für die elegante Welt“, dem Organ der Berliner Jungdeutschen, mit¬ zuarbeiten. In dem Brief vom 30. Juli 1839 an Wilhelm Graeber spricht er davon, daß er „nächstens“ eine Notiz „in die Elegante Zeitung rücken lassen“ werde. Wir konnten in dieser Zeitschrift keinen einzigen Beitrag feststellen, bei dem Engels* Autorschaft angenommen werden könnte.
Einleitung XXXV Daß der anonym erschienene Aufsatz von Engels herrührt, wird durch einen seiner Briefe an die Schwester sinnfällig bewiesen. Der Brief schildert eine Fahrt nach Bremerhaven. Fast sämtliche Einzelheiten, die Engels seiner Schwester mitteilt, sind in dem feuilletonistischen Aufsatz wiederzufinden.1) Es ist ganz klar: der Artikel beschreibt — nur viel aus¬ führlicher, untermischt mit vielen Einzelbeobachtungen und mit Reflexio¬ nen über national politische und handelspolitische Fragen — dieselbe „sonntägliche Lustfahrt“, die im Briefe geschildert ist. Dieser Brief ist nun am 7. Juli 1840 geschrieben, zwei Tage nach der Fahrt. Um die¬ selbe Zeit muß aber auch der Artikel geschrieben worden sein; sein Da¬ tum, „Bremen, Juli“, bezieht sich demnach ursprünglich auf das Jahr 1840, und nicht auf das Jahr des Erscheinens, 1841. Über das Leben und Treiben an den Ufern der Weser konnte Engels im Monat Juli des Jahres 1841 keine Beobachtungen anstellen, er weilte damals im Elternhaus oder streifte gerade irgendwo in der Lombardei herum. Es ist wohl möglich, daß Engels das Erscheinen seines Feuilletons gar nicht mehr bemerkte. Im August 1841 trennten ihn nur noch wenige Wochen von seiner Übersiedelung nach Berlin und also von dem Eintritt in neue, weitere Horizonte; zudem lag das faktische Ende seiner Tätig¬ keit für das „Morgenblatt“ — der von ihm zuletzt eingesandte Beitrag war am 15.—19. Januar erschienen — jetzt schon fast volle acht Monate zu¬ rück; — in diesem Augenblick wird er sich um das Schicksal jener, ein volles Jahr früher übersandten „Stilübung“ kaum mehr gekümmert haben. Engels’ Mitarbeit an der Cotta’schen Zeitschrift erstreckt sich also in Wirklichkeit auf ein halbes Jahr, auf die Zeit von Juli 1840 bis Ja¬ nuar 1841. Während dieses Zeitraumes brachte das „Morgenblatt“ von ihm drei längere Korrespondenzen, ein Gedicht und eine Bremer „Volks¬ sage“. Der die erste Korrespondenz einleitende Hinweis auf den Um¬ stand, daß „kein namhaftes Journal einen stehenden Korrespondenten in Bremen“ habe2), läßt keinen Zweifel zu, daß wir Engels’ ersten Beitrag für das „Morgenblatt“ vor uns haben. Der einzige Beitrag, in dem er keinen lokalen Stoff, sondern Probleme der „gemeinsam deutschen Literatur“ 3 ) behandelt, ist die Ode „B e i I m - mermanns To d“. Sie erschien im „Morgenblatt“ am 10. Oktober Ü So das ungünstige, mit Stürmen drohende, regnerische und windige Wetter, die schauderhafte Lage der armen Passagiere im Zwischendeck der Auswanderer¬ schiffe; so der Schrecken, der „alle Damen“ ergreift, als das Dampfschiff „ein wenig schwankt“; so endlich die Abholung des Kapitäns von einem großen Drei¬ master, der zufällig den Namen der Schwester, „Maria“, trägt, usw. Vgl. S. 589—590 mit S. 148, 151 f., 153 f. 2) Siehe S. 121 3) Siehe S. 111 III*
XXXVI Einleitung 1840 an vornehmer Stelle, auf der ersten Seite, mit dem vollen Pseudonym „Friedrich Oswald“ gezeichnet Wiederum gewinnt man, wie beim Lesen des um etwa ein halbes Jahr später geschriebenen Immermann-Aufsatzes im „Telegraphen“, den Eindruck, daß Engels selbst auch zu jenem Kreis junger Poeten gehörte, die sich um den in Düsseldorf seßhaft gewordenen Dichter „zusammenfanden und aus der Nachbarschaft zu ihm herüber¬ kamen“1), die der „Klausner in der deutschen Dichtung Hain“ seinem „moosbewachsnen Haus“ voll Ehrfurcht nahen und still zu seinen Füßen sitzen sah2>. Jener spätere Aufsatz ist trotz der weiter entwickelten kriti¬ schen Auffassung der beste Kommentar zu der Ode. Die Ode aber bezeugt unmittelbar den mächtigen Einfluß, den der Dichter, seit er nach dem „wilden Donner“ der Julirevolution3) von der Generation seiner Jugend und damit von seiner exklusiv romantischen Periode Abschied genommen, auf die jüngeren literarischen Kräfte am Rheine und in Westfalen aus¬ übte; zu Eingang seines Aufsatzes gibt Engels eine Schilderung dieses Ein¬ flusses4). Ungeachtet der großen Unterschiede, die in der Beurteilung, zumal der politischen Gesinnung Immermanns und seines „deutschen“ Berufs, zwischen der Ode und dem Aufsatz hervortreten, liefert die Ode einen neuen Beweis dafür, daß — außer Freiligrath — Immermann der¬ jenige gewesen ist, der für den jungen Engels den „vermittelnden Über¬ gang von der provinziellen zur gemeinsam deutschen Literatur“6) ge¬ bildet hat. Die ohne jede Autor-Signatur veröffentlichte „Volkssage“ über den „Ratsherrn von Bremen“ stammt zweifellos gleichfalls von Engels. Inmitten zweier Engelsscher Korrespondenzen erschien sie in einer Periode, in der das „Morgenblatt“ außer Engels-Oswald keinen ande¬ ren Bremer Mitarbeiter hatte. Sie gehört — wie eigentlich alle Beiträge für das „Morgenblatt“ — sicherlich zu jener Art von „diversen Prosa¬ stücken“, von denen Engels in einem Brief an Friedrich Graeber am 9. De¬ zember 1839 sagt: er schreibe sie, um seinen „Stil zu üben“, — also zu jenen Dingen, die er jeweils an einem freien Abend fabrizierte, nebenher mit dem Gedanken, ein Büchlein „zusammenzuschmieren“ und heraus¬ zugeben.6) Aber ganz ohne jede, wenn auch noch so geringe Dosis eines politischen Bekenntnisses vermochte er jetzt auch beim „Schmieren“ von „Stilübungen“ nicht mehr auszukommen. Die wundersame Historie von dem ehrsamen Bremer Ratsherrn Sebaldus Beer lein, der im Jahre 1749 Ü Siehe S. 111 2) Siehe S. 127 3) Vgl. S. 12722 4) Vgl. S. 111 f. B) Vgl. S. 11135—36 6) Siehe S. 553
Einleitung XXXVII eines schönen Sommerabends auf das Geheiß einer geheimnisvollen Stimme Heim und Familie verläßt und in eine gespensterhafte Versamm¬ lung vornehmer Herren und wunderschöner Damen geführt wird, reizte den jungen Engels sicherlich wegen der Pointe der ganzen Geschichte: über der Tür eines der prächtigen Säle, in welchen die mit roten Schnü¬ ren um den Hals gezeichneten aristokratischen Spukgestalten hausen, ist „in großenschwarzen Ziffern 1789 an geschr i eben“ 1). Also auch in dieser „Volkssage“ ein gewisser Ausdruck jener Erkennt¬ nis, zu der ihn die politische Analyse der „Zeichen der Zeit“ damals ge¬ führt hatte, daß nämlich die Zeit mit einem der großen französischen Re¬ volution ähnlichen Umsturz drohte2); es waltet hier die Stimmung, in der er sich, von dem Gedanken an diese nahende Revolution ganz erfüllt, selbst auch berufen fühlt zu den Siegfried-Taten, die für die Söhne des neunzehnten Jahrhunderts Vorbehalten sind.3) *) Die drei Korrespondenzen, jeweils durch zwei oder drei Nummern des „Morgenblatts“ fortlaufend erschienen, behandeln — wie es bei dieser Gattung anders auch nicht zu erwarten ist — Bremische Zustände und Er¬ eignisse: Theater, Musik und Literatur, Handel und Schiffahrt, Feste und Zeitungen, kirchliche Fehden und militärische Manöver, — kurz viele Seiten des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens kommen nacheinander und wiederholt an die Reihe. Die Beleuchtung der „sozialen Zustände“, die in den „Briefen aus dem Wuppertal“ so eindrucksvoll geschildert waren, fehlt. Aber am Schlüsse seines ersten Beitrages für das „Morgen¬ blatt“ hatte er fürs nächste „etwas über Bremerhafen und über die sozialen Zustände Bremens“ angekündigt.6) In der Beschreibung jener „Fahrt“ gab er tatsächlich die versprochene Korrespondenz „über Bremerhafen“. Man darf annehmen, daß er auch die Schilderung der „sozialen Zustände“ Bremens nicht ungeschrieben gelassen hat, daß sie aber von der Redaktion des „Morgenblattes“ nicht publiziert worden ist. Trifft es zu, was Engels zu Eingang seines ersten Briefes betonte®), daß nämlich damals kein namhaftes Journal einen ständigen Korrespon¬ denten in Bremen hatte — und die systematische Durchsicht der Zeit¬ schriften jener Jahre brachte tatsächlich sehr wenig Bremer Beiträge zum Vorschein —, so dürften die kritischen Berichte von Engels beachtenswerte Dokumente zur Geschichte Bremens sein. Umsomehr, als es ein Orts¬ D Siehe S. 139 a) Vgl. den Dezember 1840 geschriebenen Aufsatz über Arndt; siehe vor allem S. 105, 106 8) Vgl. den im Dezember 1840 im „Telegraphen“ erschienenen Artikel „Siegfrieds Heimat“; S. 91 4) Die „Volkssage“ wurde zwei Monate später im „Bremischen Unterhaltungs¬ blatt“ nachgedruckt (24. Febr.—7. März 1841, Nr. 16—19, S. 62 f., 65 f., 69 f., 74), ®) Siehe S. 125 •) Siehe S. 121
XXXVIII Einleitung fremder war, der die Zustände und Ereignisse schilderte, und noch dazu einer, der sich des dialektischen Widerstreites zwischen den „fortlaufen¬ den“, d. h. sich progressiv entwickelnden Problemen des „Gesamtvater¬ landes“ und den „abgeschlossenen“, d. h. örtlich beschränkten Problemen der Weser-Stadt klar bewußt und der bestrebt war, die letzteren auf die Höhe der ersteren zu erheben. In den aus der Bremer Zeit erhalten gebliebenen Briefen Engels’ an die Brüder Graeber und an seine Schwester Marie finden sich nun zahl¬ reiche Elemente der in den Korrespondenzen gegebenen Darstellungen: Bemerkungen und Mitteilungen über Bremerhaven, über die kirchlichen Fehden, den Lesezirkel „Union“, über Lokalblätter, Theater, Manöver, Konzerte usw. Die Korrespondenzen sind so in ihrem Zusammenhang mit den Briefen vor allem wertvolle Beiträge zur Biographie des jungen Engels. Sie sind als ein literarischer Ausdruck der Bestrebungen, Stimmungen und Meinungen anzusehen, die er damals vertrat und mit denen er in einem ganzen Kreise von in Gebaren, Sitten und Gesinnung rebellierenden jungen Leuten gewiß nicht allein stand. Es ist der Kreis jener „schnurr¬ bartsfähigen“ jungen Leute, die unter Engels’ Anleitung durch Schnurr¬ barttragen „die Philister zu perhorreszieren“ sich anmaßten1), die Ende Juli 1840 drei Tage lang zu Ehren der Julirevolution kneipten 2), die als „Jünglingsverein“ unter der Führung von Richard Roth — einem Jugend¬ freunde von Engels noch von Barmen her — die kirchlichen Skandale nach besten Kräften zu steigern bemüht waren3), die statt des Becker- schen Rheinlieds verbotene Studentenlieder sangen, die im Winter 1840 einen „Verein“ stifteten, wo sie Reden hielten und wo auch Engels als Redner hospitieren sollte.*) Gustav Mayer hat nach unserer Meinung die „geistige Einsamkeit“, in der Engels in Bremen gelebt habe, etwas über¬ trieben®). Die Korrespondenzen für das „Morgenblatt“ dokumentieren eine sehr rege Anteilnahme an dem zu dieser Zeit stärker pulsierenden wirtschaftlichen und kulturellen Leben des Stadtstaates an der Weser, dem Engels damals für das Werden des Staates „Deutschland“ eine große Rolle zudachte. Wenn Engels Anfang Januar 1841 von dem schon mit einigen Buchhändlern besprochenen Plan eines neuen Journals berichtet, dessen Verwirklichung, wenn nur noch zwei—drei tüchtige Literaten von auswärts herangezogen würden, den größten Einfluß auf die Kulturentwicklung Norddeutschlands haben könnte®), — so dürfen wir wohl annehmen, daß Engels an die Schwester, 29. Oktober 1840; S. 601 2) Engels an die Schwester, 4. August 1840; S. 592 3) Vgl. Engels an Wilhelm Graeber, 20. November 1840; S. 561 4) Engels an die Schwester, 8. Dezember 1840; S. 604 5) G. Mayer, Friedrich Engels . . . Bd. I, S. 62 ff. •) Siehe S. 144-145
Einleitung XXXIX an diesem Plane außer Engels noch mancher andere von jenen „schnurr¬ bartsfähigen“ jungen Leuten beteiligt war.1) Am ausführlichsten behandelt Engels in seinen Korrespondenzen die Auseinandersetzung zwischen Pietismus und Rationalismus, zwischen Of¬ fenbarungstheologie und Vernunftglauben, — diesen Pastorenstreit, der Bremen, „die Hauptstadt des norddeutschen Buchstabenglaubens“, in großer Aufregung hielt und auch weit über ihre Grenzen hinaus starken Widerhall fand. Der Streit hub an, kurz bevor Engels seine erste Korre¬ spondenz für das „Morgenblatt“ schrieb, — und zwar am 12. Juli mit der Gastpredigt des „Elberfelder Eiferers“ Friedrich Wilhelm Krummacher in der St. Ansgarii-Kirche und mit der noch am selben Nachmittag eben¬ dort gehaltenen Kontroverspredigt des rationalistischen Pastors Karl Friedrich Wilhelm Paniel. Weitere Predigten und Gegenpredigten, die Veröffentlichung der beiden Reden Krummachers, Repliken und neue Ausfälle, Sendschreiben und offene Briefe zogen bald die ganze Stadt in Mitleidenschaft. 2) In seinem Briefe vom 20. November 1840 an Wilhelm Graeber be¬ handelt Engels den Fall als einen „großartigen Ulk“ und entwirft dem Freunde über den Verlauf der heftig hin und her wogenden Diskussion einen satirischen Schlachtenbericht, wobei er seiner strategischen Phan¬ tasie, der die Manöver3) starke Nahrung gegeben hatten, freien Lauf läßt. Engels konnte sich mit keiner der streitenden Parteien solidarisieren O Das von Engels sehr ironisch behandelte „Bremische Unterhal¬ tungsblatt“ (vgl. S. 124 f.) äußerte sich — wie noch notiert werden soll — zu seinen kritischen Bemerkungen über die lokale Beschränktheit und Rückständig¬ keit der literarischen Bildung in Bremen zustimmend, und zwar in einem Artikel über „Bremische Literatur“ (Nr. 69 v. 26. Aug. 1840, S. 277). In der nächsten Nummer druckte es aber eine Notiz aus den Leipziger „Rosen“ ab, worin die in der Engels- schen Korrespondenz erhobenen Beschuldigungen zurückgewiesen werden, weil die Klatschsucht der Bremer Lokalblätter übertrieben geschildert und den Kaufleuten Bremens zu Unrecht der Vorwurf gemacht werde, daß „sie die Handelsblätter eifriger als unsere belletristischen Journale studieren und daß sie eher über einen veränderten Kurszettel in Ekstase geraten, als über einen kritischen Artikel in den »Hallischen Jahrbüchern*“ (Nr. 70 v. 29. Aug. 1840, S. 281). 2) Zu Engels’ ziemlich ausführlicher Darstellung des Streites und seines Ver¬ laufs bis Ende 1840 (S. 128—130, 141—144) vgl. von späteren Untersuchungen: Bruno Weiss, Bilder aus der Bremischen Kirchengeschichte um die Mitte des 19. Jahr¬ hunderts. Bremen 1896. S. 4—22, 69*—70. — I. F. I k e n , Kirchliche Arbeiten und Kämpfe ... zu Bremen . . . Ein Vortrag. Bremen 1889. S. 43 f. — Otto V e e c k , Geschichte der reformierten Kirche Bremens. Bremen 1909. S. 131—133. — Hein¬ rich T i d e m a n n , Die Zensur in Bremen von den Karlsbader Beschlüssen 1819 bis zu ihrer Aufhebung 1848. II. Teil. Bremisches Jahrbuch. Bd. 32. Bremen 1929. Bes. S. 45 ff. — In der letztgenannten Abhandlung finden sich wertvolle Angaben über mehrere der von Engels behandelten Bremer Lokalblätter. Laut einer Fußnote Tidemanns (S. 45) wird in absehbarer Zeit eine größere Arbeit von Hermann Ent- h o 11 über „Geistige Bewegungen und Zustände Bremens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1815—1848)“ erscheinen. 8) Siehe S. 131; vgl. die Briefe an die Schwester vom 20. August und vom 18. September 1840.
XL Einleitung oder gar identifizieren. Er hatte nicht nur den Pietismus und Mystizismus, sondern auch den Rationalismus bereits überwunden, von dessen Basis aus er noch in den „Briefen aus dem Wuppertal“ die Krummacherschen Predigten beurteilt hatte.1) Im Juli 1840 stand er als Junghegelianer über den beiden streitenden Parteien und konnte in der wütenden Fehde wohl einen „großartigen Ulk“ erblicken; aber er wäre kein Hege¬ lianer gewesen, hätte er sie nur als einen eitlen Streit von völlig gleich¬ gültigem Inhalt und nicht auch als eine Erscheinung von einer gewissen historischen und politischen Bedeutung aufgefaßt. In dieser Hinsicht} sind die im September 1840 und Anfang Januar 1841 für das „Morgen¬ blatt“ geschriebenen Korrespondenzen viel bedeutsamer, als der aller¬ dings sehr kurze Artikel, den Engels anläßlich des Kirchenstreits über F. W. Krummacher, den Verfasser der zwei, eben im Druck erschienenen Bremer Verfluchungspredigten, ebenfalls im September, aber wohl etwas vor der ersten „Morgenblatt“-Koirrespondenz dem „Telegraphen“ ein¬ sandte. Während Engels in diesem Artikel 2) nur Persönlichkeit und Stil des eifernden, manchmal aber doch Töne der echten Poesie anschlagenden „Glaubens-Virtuosen“ charakterisiert, stellt er in der September-Korre¬ spondenz für das „Morgenblatt“ mit lebhafter Begeisterung den Fort¬ schritt fest, den „der Kampf um freiere oder beschränktere Auffassung des Christentums“ in dem Kulturleben der „Hauptstadt des norddeutschen Buchstabenglaubens“ bedeute; wie immer der Streit ausfallen werde, der „alte Sauerteig“ sei „aufgerüttelt“, das „Gewitter am Himmel der Zeit“ habe auch in Bremen eingeschlagen.3) Auch im zweiten, im Januar- Artikel erklärt Engels: bei diesem Streit, der kein wissenschaftliches In¬ teresse habe, vielmehr „nur auf dem Boden von wissenschaftlich längst abgefertigten Richtungen“ Geltung habe, komme es hauptsächlich auf den „Anteil des Volks“ an.4) Trotz, oder besser gesagt, gerade wegen der „unparteiischen“ Behand¬ lung der Kirchenfehde dürften die Engelsschen Korrespondenzen keine der streitenden Parteien zufriedengestellt haben. Es ist also nicht ver¬ wunderlich, daß ein enragierter Panielit sich veranlaßt fühlte, gegen diese Art von „Unparteilichkeit“ zu protestieren und vom „Morgenblatt“ den Abdruck einer eigenen „wahrheitsgetreuen“ Darstellung der Bremer Streitigkeiten zu fordern.6) Dieser Kontroversbericht erschien etwa drei 1) Siehe S. 30ff. Vgl. auch die Briefe an die Brüder Graeber aus derselben Zeit; besonders S. 504—506, 519. 2) Siehe S. 88 f. 8) Siehe S. 128,130. 4) Siehe S. 141 5) Im „Morgenblatt“. Nr. 83 vom 7. April 1841, S. 332, heißt es darüber in einer „Stuttgart, 2. April“ datierten redaktionellen Vorbemerkung: „In einem Schreiben
Einleitung XLI Monate später als Engels’ Korrespondenz. Eine Engeksche Replik suchen wir vergeblich. Die in vier Nummern des „Morgenblatts“ erschienene Januar-Korrespondenz war die letzte, die er dem Blatte einsandte. Die fernere Radikalisierung seiner Anschauungen und sein Ver¬ langen nach wirklicher publizistischer Aktivität, wovon der letzte noch vorliegende Brief an die Brüder Graeber 1) und der Aufsatz über Arndt Zeugnis ablegen, erklären es hinlänglich, wenn er an einer farblosen Publizistik in einem farblosen Blatte nun schon kein Interesse mehr hatte. VII Im Frühling 1841 endlich gelang es Engels, von Bremen loszukommen. Er war um diese Zeit bereits konsequenter Junghegelianer. Wie er sich am Schlüsse des Aufsatzes über Immermann in Hinsicht auf die neuere, von Hegel eingeleitete Philosophie ausdrückte, hatte er unwider¬ ruflich beschlossen, „sich durch sie hindurchzuarbeiten und doch die jugendliche Begeisterung nicht zu verlieren“. „Denn nur“ — hieß es dort weiter — „die Begeisterung ist echt, die wie der Adler die trüben Wolken der Spekulation, die dünne, verfeinerte Luft in den obem Regionen der Abstraktion nicht scheut, wenn es gilt, der Wahrheitssonne entgegenzu¬ fliegen.“ 2) Er mußte nun seiner militärischen Dienstpflicht nachkommen und machte sich diesen Umstand zunutze, um Bremen zu verlassen; er ent¬ schied sich für Berlin als das größte Universitätszentrum. Bevor er sich aber dahin begab, verbrachte er noch mehrere Monate im Elternhaus und aus Bremen werden wir sehr dringend aufgefordert, den nachfolgenden Aufsatz abdrucken zu lassen, durch den unsere in Nr. 249 und 250 des vorigen und in Nr. 13 und 14 dieses Jahres mitgeteilten Berichte . . . berichtigt werden sollen. Wir haben die erwähnten Briefe aufgenommen, weil der Verfasser keinem der streitenden Teile anzugehören schien und, er mag in Wirklichkeit sein, wer es will, für den mit den Bremer Verhältnissen nicht näher Bekannten, und somit auch für die Redaktion, außerhalb der Parteien steht. Der Einsender der Berichtigung glaubt nun aber ver¬ sichern zu können, die Unbefangenheit unseres Korrespondenten sei nur Maske, und sein Bericht ein vom Lager der Pietisten ausgegangenes Pasquill auf die Partei der Denkgläubigen und ihre Hauptvertreter . . . .“ (Diese Stelle scheint übrigens auch zu bezeugen, daß die Redaktion des „Morgenblatts“ über Engels’ Person und Beruf nichts näheres wußte.) Unter Ablehnung jeder Verantwortung druckte die anscheinend etwas einge¬ schüchterte Redaktion den neuen Bericht tatsächlich ab; dieser enthielt keine direkte Polemik mit dem Engelsschen „Pasquill“, sondern gab eine weit zurückgreifende Darstellung über den Verlauf der Streitigkeiten, — natürlich mit der „Zermalmung“ des bösen Krummacher durch den guten Paniel endend. Trotz des gegensätzlichen Standpunktes stimmte der streitbare Rationalist in einem Punkte mit dem verkappten „Pietisten“ Engels überein, nämlich im Lobe des Professors Wilhelm Ernst Weber, den Engels wegen seiner hohen Bildung und „freien Gesinnung“ „aus dem rationali¬ stischen Vulgus“ „hervorgehoben“ hatte. Siehe S. 143; vgl. auch S. 122, 124, 129 (über den „Anonymus“). 1) Engels an Friedrich Graeber, 22. Februar 1841; siehe S. 562—564 2) Siehe S. 118
XLII Einleitung unternahm eine Wanderung durch die Schweiz und Oberitalien. Seine Reiseeindrücke schilderte er in den „Lombardischen Streifzü¬ gen“, die am 4. und 11. Dezember im Berliner „Athenäum“ (Nr. 48 und 49) erschienen, in demselben Organ, das wenige Monate zuvor Mar¬ xens „Wilde Lieder“ abgedruckt hatte1). Die „Streifzüge“ erschienen unter dem alten Decknamen; es ist bezeichnend, daß auf dem Umschlag dieser junghegelianischen Zeitschrift schon im zweiten Halb jahrgang neben den Namen der damaligen Berliner „literarischen Führer“ — Buhl, Köppen, Rutenberg, Meyen, welch letzterer die Zeitschrift faktisch lei¬ tete — auch der Name Oswald genannt ist.2) Unter den Erwähnten finden wir zugleich auch die nächsten Freunde Marxens, Mitglieder jenes philosophischen und politischen Zirkels, dessen Mittelpunkt Bruno Bauer gewesen war. Bruno Bauer hatte zusammen mit Marx zu dieser Zeit Ber¬ lin schon verlassen. So war also Engels alsbald nach seiner Ankunft in Berlin, im Herbst 1841, mit dem Berliner Kreis der Junghegelianer in Verbindung getreten. Er stürzte sich unverzüglich in den philosophischen Kampf. Eben zu dieser Zeit war Schelling nach Berlin berufen worden, wo er der Hegel sehen Philosophie entgegentreten sollte. Die gesamte Ber¬ liner Intelligenz, insbesondere aber die junghegelianische Schule, erwar¬ tete mit Ungeduld die Eröffnung der Schellingschen Universitäts-Vorle¬ sungen. Das Auditorium Nr. 6 in dem Schelling seine Philosophie der Offenbarung vortrug, war — um mit Engels zu sprechen — der „Kampf¬ platz“, „auf dem um die Herrschaft über die öffentliche Meinung Deutsch¬ lands in Politik und Religion, also über Deutschland selbst, gestritten“ wurde3). Am 15. November hielt Schelling seine Antrittsrede. Hinter den „Notabilitäten der Universität“, den „Koryphäen der Wissenschaft“, in¬ mitten der „durcheinandergewürfeiten“ „Repräsentanten aller Lebens¬ stellungen, Nationen und Glaubensbekenntnisse“, saß auch trotz der Nähe von manchen „graubärtigen Stabsoffizieren“ „ganz ungeniert“ der ein¬ undzwanzigjährige „Freiwillige“ Friedrich Engels; und er war da, nicht nur „in eigener Person“, sondern zugleich als einer der Abgesandten der streitbaren Berliner Junghegelianer. Wie die übrigen Literaten des „Athenäum“-Kreises erachtete es auch Engels als seine Pflicht, nachdem O Siehe Bd. 1/1, S.XXXVIff. und 147f. a) Diese ganze Gruppe war übrigens auch den russischen Junghegelianern wohlbekannt. In den „Oteèestvennye Zapiski“, September—Oktober 1839, findet sich ein Artikel über „Deutsche Literatur“, „von dem Berliner Literaten Buhl, eigens für die ,0. Z.‘ geschrieben und der Redaktion durch Varnhagen von Ense zugestellt“. Im Dezember 1840 brachten die „Oteèestvennye Zapiski“ eine kleine Besprechung des Köppenschen Buchs: „Friedrich der Große und seine Widersacher“, das der Verfasser bekanntlich Karl Marx gewidmet hatte. 8) Siehe S. 173
Einleitung XLHI er die Antrittsrede und einige weitere Vorlesungen Schellings mitange¬ hört und eifrig notiert hatte, „für den großen Toten in die Schranke zu treten“. Er schrieb einen geharnischten Aufsatz über die Ausfälle, die der Autor der „philosophia secunda“ gegen Hegel gemacht hatte, und sandte ihn an Gutzkow, dem er seit April, während seines Aufenthaltes im Eltern¬ haus und seiner Wanderungen in der Schweiz und Oberitalien keine Bei¬ träge mehr hatte zukommen lassen. Unter dem Titel „Schelling über Hegel“ erschien der Kampfartikel Mitte Dezember im „Tele¬ graphen“. Er rief die Anhänger der Hegelschen Lehre auf, „des großen Meisters Grab vor Beschimpfung zu schützen“, auch wenn es notwendig werden sollte, „für eine Zeitlang ecclesia pressa zu sein“.1) Als geschicht¬ liches Dokument, als Zeugnis eines Zeitgenossen, ist der Engelssche Ar¬ tikel, wie Hermann Oncken sich ausdrückt2), eine überaus wichtige Ergän¬ zung zu der Darstellung des Streits für und wider Schelling, die Max Lenz in seinem Werk über die „Geschichte der Fried rieh-Wilhelms-Universität zu Berlin“ gibt.3) Engels’ Mitarbeit am „Telegraphen“ hört mit diesem Beitrag auf. Wie wir aus Gutzkows Brief an Alexander Jung wissen, ist Engels’ Auflehnung gegen die von Gutzkow vorgenommenen Korrekturen und Streichungen die unmittelbare Ursache für seinen Bruch mit dem „Telegraphen“ ge¬ wesen 4) ; es ist also anzunehmen, daß auch die Schrift wider Schelling unter solchen redaktionellen Eingriffen gelitten hat. Der Aufsatz war nur ein Prolog. In ähnlichen Zeitschriftenartikeln gedachte Engels die Attacke fortzusetzen. Auf den Rat der Berliner Freunde entschloß er sich dann aber zu einer Broschüre, der er gleich den Umfang von fünf bis sechs Druckbogen geben wollte; im Laufe seiner Unterhandlungen mit dem Verleger mußte er sich aber auf die Hälfte dieses Umfangs beschränken.6) Noch ehe die Schellingschen Vorlesungen gedruckt waren, trat Engels mit dieser Broschüre, einer neuen scharfen Streitschrift, gegen sie auf. „Er [Schelling] hatte seine erste Vorlesung in Berlin noch nicht beendet,“ schreibt Kuno Fischer, „als eine Schrift erschien, die aus der Vergleichung dreier Kollegienhefte die Schelling- sche Offenbarungslehre wiedergeben, in ihrem Unwerte namentlich Hegel gegenüber dartun, als den ,neuesten Reaktionsversuch gegen die freie Philosophie4 vernichten sollte.“ «) Die literarischen Schicksale dieser an- O Siehe S. 179 a) H. Oncken, Friedrich Engels und die Anfänge des deutschen Kom¬ munismus. Historische Zeitschrift. Bd. 123 (1921), S. 239—246 8) Schellings Auftreten ist ausführlich im zweiten Band des Lenzschen Wer¬ kes in der zweiten Hälfte (1918), S. 42—56, behandelt. 4) Vgl. hiezu den oben zitierten Artikel G. Mayers, Ein Pseudonym... B) Vgl. Engels an Ruge, 15. Juni 1842 (S. 631), e) Kuno Fischer, Geschichte der neuem Philosophie. Bd VII (3. Aufl. Hei¬ delberg 1902), S.260f.
XLIV Einleitung onymen Broschüre über „Schelling und die Offenbarung“ sind schon früher vorgeführt worden; sie wurde, wie gesagt, lange Zeit Bakunin zugeschrieben. Aus dem früher erwähnten Ruge-Brief geht her¬ vor, daß sie noch im März 1842 erschienen ist. Engels hat also seinen Vorsatz, für Hegel auf den Plan zu treten, sehr rasch verwirklicht Und er führt diese Verteidigung mit wahrer Leidenschaft: „Wer mit kaltem Blut seine Klinge zieht, hat selten viel Begeisterung für die Sache, die er verficht“.1) Der erste Teil der Schrift handelt von der Entwicklung des Streits zwischen den Schelling-Anhängern und der Hegelschen Schule und stellt dar, wie Schelling mit seiner Berufung nach Berlin die nicht beneidens¬ werte Rolle zugefallen sei, das etliche Jahre zuvor von Heinrich Leo be¬ gonnene Werk fortzusetzen. Im Jahre 1838 war Leo, der Historiker, mit einem förmlichen Anklageakt gegen die D. Fr. Strauß, Ruge und Genos¬ sen aufgetreten, — gegen die „Hegelingen“, wie er die „Linken“ im Un¬ terschied zu den Vertretern des orthodoxen, „positiven“ Hegelianismus nannte. 2> Bruno Bauer, der noch einige Jahre vorher selbst gegen Strauß ge¬ kämpft hatte, ging dann im Verlauf der so entbrannten Fehde zu den „Lin¬ ken“ über; er brach, wie Ludwig Feuerbach im „Wesen des Christen¬ tums“, mit der religiösen Orthodoxie. Bald gesellte sich ihm Marx. Friedrich Köppen, Bauers Freund, war in den Deutschen Jahrbüchern gegen Leo, den Historiker, auf getreten. In der zweiten Hälfte des Jahres 1841 entschloß sich Bauer, die Form der Polemik zu ändern, er versuchte — mit Marxens Beteiligung, wie wir annehmen dürfen — in der anonymen Broschüre „Die Posaune des Jüngsten Gerichts über Hegel, den Atheisten und Antichristen“ darzutun, daß im Grunde der alte Hegel selbst gar nicht weit vom Atheismus und von allen den Todsünden entfernt gewesen sei, die Leo den „Hegelingen“ vorwarf. Dieser Kampfschrift schließt sich nun Engels mit der Erklärung an: die „hegelingische Rotte“ verhehle nicht mehr, daß sie weder imstande noch gewillt sei, das Christentum weiterhin als Grenze zu betrachten, über die keiner seinen Fuß setzen dürfe. „Alle Grundprinzipien des Christentums, ja sogar dessen, was man bisher über¬ haupt Religion nannte, sind gefallen vor der unerbittlichen Kritik der Ver¬ nunft.“3) Das Problem, das Engels schon früher beschäftigt hat — die Synthese des philosophischen Gedankens mit der politischen Tat in Gestalt des mit Börne vereinigten Hegel —, läßt ihn auch jetzt nicht ruhen. Die Broschüre U Siehe S. 178 2) H. Leo, Die Hegelingen. Aktenstücke und Belege zu der sogenannten De¬ nunziation der ewigen Wahrheit. Halle 1838 8) Siehe S. 185
Einleitung XLV schließt mit dem Ruf zum Kampf und zur Opferbereitschaft im Namen des neuen Grals, mit dem Appell, daß man sich rüste zur großen Völker¬ schlacht „Seht ihr unsre Fahnen wehen von den Bergesgipfeln herab? Seht ihr die Schwerter unsrer Genossen blinken, die Helmbüsche flattern? Sie kommen, sie kommen, aus allen Tälern, von allen Höhen strömen sie uns zu, mit Gesang und Hömerschall ; der Tag der großen Entscheidung, der Völkerschlacht, naht heran, und der Sieg muß unser sein!“ 1) In den Deutschen Jahrbüchern2) behandelte Ruge die Broschüre in einem größeren Artikel, in dem er für Engels und gegen Schelling entschie¬ den Partei ergriff und die in der Broschüre gegebene Darstellung der Schellingschen Vorlesungen als richtig bestätigte. „Sein [des Autors] Charakter und sein Standpunkt ist jugendlich; Ende und Anfang des Bü- chelchens zeigen Lust an bilderreicher Sprache und ein frisches Feuer der Begeisterung für die große Entwicklung, in der wir uns befinden. In der Mitte des Buchs und in der eigentlichen Exposition und Kritik der Schel¬ lingschen Philosopheme herrscht dagegen eine sachgemäße Ruhe und eine sehr klare Haltung.“ Auch sonst fand die Broschüre in der philosophischen Literatur und in der Publizistik der Zeit starke Beachtung. Die eine oder die andere Äußerung oder Erwähnung haben wir schon früher, in der Erzählung der weiteren Schicksale der Schrift, angeführt.3) In einem um diese Zeit im „Jahrbuch der deutschen Universitäten“ erschienenen Aufsatz, der sich für den alten Philosophen einsetzt,4) werden die schwungvollen Schlu߬ worte der Engelsschen Broschüre mit der Bemerkung zitiert : „0 über eure Visionen . .., ich sehe und höre von dem Allen Nichts. Ich höre wohl das Geschrei jener Herren, die es lieben, auf der Straße Lärm zu machen, bis die Polizei sie auseinandertreibt.“ Und hämisch fügt der Schreiber des Artikels einen Satz hinzu, mit dem er beweist, daß ihm der Autor der anonymen Broschüre wohlbekannt war: „Oder ist jener Barmener Kaufmannsdiener euer Führer, der seine herzhaften Angriffe bald anonym, bald pseudonym in Broschüren und Zeitschriften macht?“ In seiner „Kritik der Schellingschen Offenbarungsphilosophie“B) stützte sich Marheineke auf die in der Broschüre enthaltene Darstellung der Schellingschen Vorlesungen als auf seine Quelle. Paulus0), dessen 0 Siehe S. 227 2) Nr. 126—128; 28., 30., 31. Mai 1842; S. 502—512 3) Siehe S. XV 4) G. Heine, Schelling in Berlin. »Jahrbuch der deutschen Universi¬ täten“. Hg. v. Heinrich Wuttke. Winterhalbjahr 1842/43. Leipzig 1842. S. 1—24 6) Berlin 1843 6) Dr. H. E. G. Paulus, Die endlich offenbar gewordene positive Philo¬ sophie der Offenbarung oder Entstehungsgeschichte, wörtlicher Text, Beurthei- lung und Berichtigung der von Schellingschen Entdeckungen . . . Darmstadt 1843
XLVI Einleitung „unbefugte“ Veröffentlichung diese Vorlesungen am ausführlichsten wiedergab, fand gleichfalls anerkennende Worte für den Verfasser der Broschüre; in seiner „Vorläufigen Appellation“ wider die von Schelling veranlaßten Gegenmaßnahmen schrieb er: „Die Denkenderen, die ihn [Schelling] hörten, wie Frauenstädt, Alexis Schmidt, Fr. Oswald u. a. gaben sich die Mühe, durch die Auszüge, welche sie gaben, Gedanken, Ordnung, Probabilitäten in das diktatorische Gerede hineinzubringen, welches sie ganz vorzulegen nicht wagten.“ D VIII Wir werden des Interesses auch der nichtrussischen Leser sicher sein, wenn wir in Kürze berichten, welche Bedeutung die Engelssche Broschüre für die russischen Junghegelianer jener Zeit gehabt hat. In der Tat ge¬ langte die Schrift bis nach St. Petersburg und Moskau. Daß sie Alexander Herzen und seinem Kreis wohlbekannt war, verstand sich von selbst. Bei Schellings ersten Vorlesungen war, wie Engels selbst in seinem für den „Telegraphen“ geschriebenen Artikel erzählt, unter der Zuhörerschaft mit vielen anderen Nationalitäten auch die russische vertreten.2) Die damals in Berlin weilenden russischen Junghegelianer verfolgten diesen ideologi¬ schen Kampf mit nicht geringerer Spannung als ihre deutschen Gesin¬ nungsgenossen. Bakunin schrieb in einem Briefe vom 3. November 1841 an seine Verwandten in der Heimat: „Heuer werde ich hören: Logik bei Werder; Philosophische Offenbarung bei Schelling; Geschichte der neuesten Zeit bei Ranke... Ihr könnt Euch vorstellen, mit welcher Un¬ geduld ich Schellings Vorlesungen entgegensehe.“ 3) Aber der Kampf um Schelling und Hegel wurde, wie gesagt, auch in Rußland selbst, in St. Petersburg und Moskau, mit großem Interesse ver¬ folgt. Und die Engelssche Broschüre spielte hier eine nicht geringe Rolle. In der großen Revue Oteëestvennye Zapiski (Vaterländische Annalen) O Dr. Paulus’ vorläufige Appellation an das wahrheitswollende Publikum contra des Philosophen Fr. W. Joseph von Schelling Versuch mittels der Polizei sich unwiderlegbar zu machen. (Lex tuetur bene merentes.) Darmstadt 1843. (Da¬ tiert: Heidelberg, August 1843.) S. 11 2) Siehe S. 174. — In späterer Zeit, in einem (bisher nur in russischer Über¬ setzung veröffentlichten) Brief vom 22. Oktober 1889 an Max Hildebrand, worin Engels seines Hospitierens an der Berliner Universität gedenkt, erwähnt er auch wieder die Russen, die mit ihm zusammen damals die Vorlesungen Schellings und Werders hörten; mit Namen nennt er hier nur Bakunin: offenbar waren ihm sei¬ nerzeit die übrigen russischen Gäste, unter ihnen Turgenjev und Katkov, unbe¬ kannt geblieben 8) Kornilov, Gody stranstvij Michaila Bakunina [Die Wanderjahre Michael Bakunins]. Leningrad 1925. S. 84
Einleitung XLVII erschien im Januar 1843 ein ausführlicher Bericht über Schellings Auf¬ treten in Berlin. Der Verfasser dieses Aufsatzes, der schon erwähnte russische Kritiker V. Botkin, hält es für „unerläßlich“, über die Be¬ rufung Schellings an die Berliner Universität einige Worte zu sagen, da deren Geschichte „in der zeitgenössischen Entwicklung der deutschen Wissenschaft“ ein höchst bemerkenswertes Ereignis darstelle; der darauf folgende Bericht lehnt sich nun ganz eng an die Engelssche Broschüre an, deren erste Seiten beinahe wörtlich wiedergegeben sind.1) Dieser Botkinsche — man könnte fast sagen: Engelssche — Artikel gefiel Belinskij, dem Lessing der russichen Literatur, ungemein2). Und Plechanov, in seiner großen Studie über Belinskij 8), legte Wert darauf, diese Tatsache hervorzuheben; er führte eine längere Stelle aus Botkins Artikel wörtlich an: „Sein [Hegels] System war in den Grundzügen schon vor 1810 abgeschlosen ; seine Ansichten über die zeitgenössische Gesellschaft vollendeten sich um 1820. Seine politische Gesinnung, sein Staatsbegriff, den er an dem Muster Englands entwickelte, tragen an sich sehr deutlich das Gepräge der Restaurationsepoche. Daraus erklärt sich auch, warum sich ihm die späteren Ereignisse in Europa in so trübem Lichte darstellten. Aber die ungewöhnliche Sicherheit und Stärke seines Gedankens ist gerade darin zu erkennen, daß sein System sich unabhängig von seinen persönlichen Gesinnungen ausgeformt hat, dermaßen, daß die beste Kritik seiner Ergebnisse sich unter dem Prüfstein seiner eigenen Methode ergibt. Und eben in diesen Ergebnissen tritt oft der Einfluß sei¬ ner persönlichen Gesinnung zutage. Seine Religions- und seine Rechts¬ philosophie würden ein anderes Gesicht bekommen haben, hätte er sie aus dem reinen Gedanken entwickelt und sie nicht mit positiven Elementen aus der Zivilisation seiner Zeit durchsetzt; denn von letzteren stammen die Widersprüche und falschen Konsequenzen her, die sich in seiner Re¬ ligions- und Rechtsphilosophie vorfinden. Deren Prinzipien sind immer unabhängig, frei und wahr, — die Ableitungen und Schlußfolgerungen hingegen oft kurzsichtig. In diesem Umstand liegt der Grund, warum sich die Schule in einen rechten und einen linken Flügel spalten mußte. Ein Teil der Schüler berief sich auf die Prinzipien und lehnte die Folgerungen ab, sofern sie nicht aus jenen hervorgingen; diese Schule war es auch, die die dialektische Methode auf alle Lebensfragen der Zeit anwandte. Sie 1) Der Artikel ist in der Ausgabe seiner „Werke“ („Soöinenija“, 1891), Bd. II, S. 255—275, wiederabgedruckt. 2) „Dein Artikel — schrieb er darüber an Botkin — hat mir außerordentlich gut gefallen, — verständig, gescheit und geschickt.“ (Belinskij, Pis’ma, Bd. II, S.334) 8) „Sovremennyj Mir“. April 1911. — Wiederabgedruckt im 23. Band der von mir herausgegebenen „Werke“ Plechanovs („Soëinenija“. Moskau-Leningrad 1926. S. 168—222)
XLVIII Einleitung wurde die linke genannt. Die rechte blieb bei den bloßen Ergebnissen, ohne sich um die Prinzipien zu bekümmern.“1) „Der Gedanke ist hier — bemerkt dazu Piechanov — derselbe, dem wir bei Belinskij begegnet sind: das Verdienst der linkshegelianischen Schule besteht in der Auflehnung gegen die absoluten Schlußfolgerungen Hegels (in der Verabschiedung der philosophischen Schlafmütze4) und in der Hervorkehrung der dialektischen Seite seines Systems, — d. h. darin, daß man die Idee der Negation entwickelte.“ Es war Plechanov natürlich nicht bekannt, daß Belinskij, wenn un¬ mittelbar durch Botkin, so doch eigentlich durch Engels zu diesen Ge¬ dankengängen angeregt worden war. In der Tat findet sich in Engels’ Broschüre auch diese aus dem Botkinschen Artikel angeführte Stelle fast wörtlich wieder.2) Aber Botkin und Belinskij waren nicht die einzigen, denen die Schrift des jungen Engels so starke Anregungen gab. Wenn dieser es sich zur Hauptaufgabe gemacht hatte, aus der Philosophie Hegels die „äußersten Folgerungen“ zu ziehen und sie „offen und verständlich“ auszusprechen, „mag daraus kommen, was da wolle“ 3\ — so entwickelte Herzen diesen Gedanken folgendermaßen: „Das Heldentum der Konsequenz, der Selbstverleugnung, der Furcht¬ losigkeit vor den Folgen ist so schwer, daß schon die größten Menschen vor den augenscheinlichen Ergebnissen ihrer Grundsätze zurückgeschreckt sind. So auch Hegel, die Entwicklung des Junghegelianismus, die Entwick¬ lung seiner Anfänge; Hegel würde sich von ihnen lossagen, er liebte, er achtete das Bestehende, er sah, daß er keinen Schlag aushalten würde, und wollte darum nicht selbst schlagen ; ihm schien zuallernächst genug daran, daß er zu seinem Anbeginn gelangt war. Dort eben setzte die junge Gene¬ ration ein, ein Schritt voran war eben jener Schlag, der das Bestehende aufs tiefste erschüttern konnte. Hegel würde sich von ihnen lossagen, aber wahrlich: sie wären ihm treuer als er sich selbst, treuer ihm, dem von seiner zufälligen Person, Epoche u. a. losgelösten Denker. Schelling ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie man hinter seinem eigenen Gedanken zurückstehen kann, wenn man als Denker auf halbem Wege haltmacht, ohne die Kraft, die dem Gedanken gegebene Bewegung aufzuhalten. Die Lage Schellings ist wahrhaft tragisch, wie sich Ruge ausdrückt.“4) Die in den letzten Worten enthaltene Anspielung auf den Schluß des Artikels, in dem der Herausgeber der Deutschen Jahrbücher über die En- 1 ) Plechanov, Soèinenija, Bd. XXIII, S. 173 f. 2 ) Siehe in diesem Bande S. 184 3) Ebendort 4) A. G e r c e n , Polnoe sobranie soèinenij [Gesamtausgabe der Werkel. Bd. III, S. 43 (Im „Tagebuch“ — Dnevnik — am 22. September 1842)
Einleitung XLIX gelssche Broschüre gesprochen hatte1), beweist, daß Herzen jedenfalls diesen Rugeschen Bericht aufmerksam gelesen hatte. Nur auf Katkov machten die Vorlesungen Schellings einen günstigen Eindruck 2). Im April 1842 schreibt darüber Belinskij an Botkin: „Katkov ist ganz offensichtlich ein Anhänger der Berliner philosophischen Schule: die Vorlesungen Schellings über die Offenbarung betrachtet er als die tiefste Weisheit des Universums. Armer Hegel!“3) IX Unmittelbar auf die Schrift gegen „Schelling und die Offenbarung“ ließ Engels noch ein anderes Pamphlet folgen. Es gab sich aus als „für gläubige Christen“ bestimmt, denen „der philosophische Sprachgebrauch unbekannt“ sei, und trug den Titel : „Schelling, derPhilosoph in Christo, oder die Verklärung der Weltweisheit zur Gottesweisheit“. Jahrzehnte lang war diese Engelssche Bro¬ schüre, die doch anno 1842 kein geringeres Aufsehen erregt hatte als die erste, völliger Vergessenheit anheimgefallen, — bis sie von mir, wie schon berichtet, für die Geschichtschreibung wiederentdeckt wurde. Wie schon Ruge in seinem Aufsatz über die Streitschrift „Schelling und die Offenbarung“ vermerkte4), waren in ihr von den Schellingschen Vorlesungen nur die drei ersten abgehandelt, hingegen die „positive christ¬ liche Philosophie“ kaum berührt. Diesen Mangel sollte die zweite Bro¬ schüre nun beseitigen. Während aber die erste in leidenschaftlicher, zu¬ gleich scharfer und ernster Form geschrieben war, schlug Engels nun¬ mehr nach dem Vorgang Bruno Bauers eine andere Tonart an; er trat jetzt unter der Maske der ihm wohlbekannten Wuppertaler und Bremer Pie¬ tisten auf. Wie wir aus dem angeführten Brief von Engels an Ruge schon wissen, ist diese zweite Broschüre jedenfalls vor dem 15. Juni 1842 erschienen. Zeitgenössische Berichte lassen ihr Erscheinungsdatum noch genauer fixieren. Die Berliner „Freien“ beeilten sich, die Schrift gleich nach ihrem Erscheinen zu denunzieren. Die Rheinische Zeitung brachte am 6. Mai 1) Ruges Schlußsatz lautete: „Sein [Schellings] Los, mag es immerhin ein verdientes sein, es ist ein großes Unglück, ja es ist, wenn es sich erst ganz erfüllt haben wird, so eigentümlich, daß es in der ganzen Geschichte vergeblich seines Gleichen sucht.“ (Deutsche Jahrbücher, Nr. 128 vom 31. Mai 1842, S. 512) 2) Vgl. Katkovs Brief vom 18. März 1842 über Schelling in den Oteèestvennye Zapiski, Jg.1842, Bd. XXII 8) Belinskij, Pis’ma [Briefe!. Bd. II, S. 306. In einem späteren Brief vom 15. Mai 1846 an Kudrjavcev schreibt er: „Wird Schelling nicht bald auf- hören, sich selbst zu entehren, d. h wird er sterben? Wirklich, es lohnt nicht zu leben, wenn man nach solch einem Ruhm auf seine alten Tage zu einem Sevyrev wird.“ (Pis’ma, Bd. III, S. 119) 4) Deutsche Jahrbücher, Nr. 126—128 vom 28.—31. Mai 1842 (S. 502ff.) Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. IV
L Einleitung 1842 (in Nr. 126) eine vom 2. Mai datierte Potsdamer Korrespondenz über die „soeben erschienene Schrift“. In der Königsberger Zeitung richtete der reguläre Berliner Korrespondent, der sicher über den Verfasser der Schrift genau Bescheid wußte, am 7. Mai einen Scheinangriff gegen den „borniert-orthodoxen Standpunkt“ dieses Autors, dem es, wie er gezeigt habe, gelungen sei, „sich der verhaßten Vernunft auf eine vollkommene Weise zu entäußern.“ O Bei den Orthodoxen durchschaute man dennoch sehr bald den wirklichen Charakter des Pamphlets, den lange geheimzu¬ halten wohl gar nicht in der Absicht des Verfassers und seiner Freunde lag. In der Rheinischen Zeitung rückte am 18. Mai einer von den Berliner „Freien“ — Mey en oder Mügge — mit dem Geheimnis heraus, daß die Broschüre gamicht „ernsthaft und in pietistischem Sinne“ verfaßt, der pietistische Ton nur „sehr geschickt nachgemacht“ sei.2) Am selben Tage aber enthüllte auch schon in der pietistischen Elberfelder Zeitung ein ge¬ ärgertes „Schreiben aus Berlin“ vom 14. Mai zwar nicht die Person, aber den wahren Standpunkt des Verfassers: „Ein junger, leichtsinniger Skri¬ bent nahm die Maske eines rechtgläubigen Kopfhängers vor, hieß Schel¬ ling als Restaurator der Orthodoxie willkommen und knüpfte daran eine Menge auf Schwäche berechnete abenteuerliche Befürchtungen. Der Spaß war indes zu plump, er blieb daher ohne Wirkung.“ s) Fast gleichzeitig mit diesem Angriff zog auch die „große“, die „berühmte“ Augsburger All¬ gemeine Zeitung gegen den anonymen Pamphletisten zu Felde. Der Ver¬ fasser habe sich — so schrieb das würdevolle Weltblatt — durch seine „ungeschickte Plumpheit“ und durch den „empörenden Mißbrauch“, den er mit dem Worte der Bibel getrieben, den Stab selbst gebrochen; zur Ehre des Schreibers könne nur gesagt werden, daß er noch so viel Schamgefühl besessen habe, um seinen Namen zu verschweigen.4) Die „Freien“ blieben die Antwort nicht schuldig. In der Rheinischen Zeitung trat einer aus ihrer Mitte — wahrscheinlich Edgar Bauer — für die beiden so heftig befehdeten antischellingischen Pamphlets in die Schranke; er sah in dem „einstimmigen Urteile“ der Elberfelder und der 1 ) Königsberger Zeitung, Nr. 104 vom 7. Mai 1842, S. 838 2) Rheinische Zeitung, Nr. 138 vom 18. Mai 1842, Korr.: H], Berlin, 14. Mai 8) Elberfelder Zeitung, Nr. 135 vom 18. Mai 1842. Dasselbe „Schreiben aus Berlin“ behandelte auch noch die erste Broschüre „Schelling und die Offen¬ barung“ und äußerte sich über deren Verfasser mit den Worten: „Er ist ein Mensch von Talent, sonst fanatisch, scheut sich auch nicht, geradezu Unwahr¬ heiten zu sagen.“ 4) Allgemeine Zeitung, Nr. 139 vom 19. Mai 1842, S. 1112: 9 Berlin, 12. MaL — In derselben Korrespondenz wird „Schelling und die Offenbarung“ etwas glimpflicher behandelt, weil der Verfasser der Broschüre — nach Meinung des Korrespondenten — „den Zusammenhang mit dem Zentrum und mit den Rechten“ noch „nicht ganz“ aufgehoben habe. Durch seine subjektiv gefärbte Darstellung und besonders durch „die selbstgefälligen Ergüsse widriger Siegestrunkenheit“’ habe er jedoch „seine eigene Sache total verdorben.“
Einleitung LI Augsburger Zeitung einen Beweis dafür, daß die beiden Streitschriften „die wunden Stellen ihrer Gegenstände getroffen“ hätten. Er goß seinen Spott über die geärgerten Korrespondenten,die den Autor der Broschüre nicht herauszufinden vermocht hätten : „Beide. .. können unmöglich gute Konnexionen mit der Schar unserer großen Sicherheitsmannschaft be¬ sitzen, denn sonst wüßten sie, wer jene Broschüren geschrieben hätte, und würden sich darauf eine zarte Anspielung erlauben, während ihnen jetzt nur die Pein ihrer Unkunde verbleibt.“1) Mit diesem Pfeil des Hohns war natürlich nicht nur auf die Schreiber der gegnerischen Artikel, sondern auch — vielleicht sogar in erster Linie — auf die Zensur und die Polizei gezielt. In den Deutschen Jahrbüchern widmete Ruge diesem zweiten Pamphlet — wie kurz zuvor dem ersten — eine ausführliche Besprechung; der Auf¬ satz trug den Titel „Das Selbstbewußtsein des Glaubens oder die Offen¬ barung unserer Zeit“ und behandelt zugleich auch den zweiten Teil der „Posaune“ („Hegels Lehre von der Religion und Kunst“).2) Ruge beginnt mit einer ironischen Polemik gegen die von dem „Berliner Zeitungskorrespondenten“ vorgebrachte Ansicht, daß die extreme Gläubig¬ keit in der Broschüre nur geheuchelt sei. Er beruft sich auf die Predigten F. W. Krummachers und Arndts als Beweisstücke dafür, daß „Inhalt und Absicht eines konsequenten Glaubens... keineswegs ohne Beispiel in unserer Zeit“ seien ; nur der „ostensible Liberalismus“ sei so heuchlerisch, jede „entschiedne Ansicht“, jeden „reinen runden Fall des Zeitgenius“ so¬ gleich zu leugnen. Diese beiden Schriften seien Beispiele von „wirklichen Glaubensfällen“: „ebenso wie wir es mit wirklicher Cholera zu tun haben auch dann, wenn der Kranke sich selbst die Cholera eingeimpft hatte.“3 > Allerdings macht dann Ruge, wo er den Inhalt der Broschüre darzustellen beginnt, gleich eingangs die Bemerkung: „alles“, was unlängst das Schriftchen „Schelling und die Offenbarung“ von der Offenbarungslehre polemisch mitgeteilt habe, komme „nunmehr apologetisch“ vor. Und auch noch an einer andern Stelle scheint er den Zusammenhang des „apologe¬ tischen“ mit dem „polemischen“ Pamphlet leise andeuten zu wollen. 4> Sonst aber behandelt er das „Traktätchen“ mit geheucheltem Emst als eine getreue Wiedergabe der Ansichten Schellings und zollt ihm zum Schluß hohes Lob : „die Erscheinungen, welche wie Krummacher, Schel¬ ling und Arndt den Mut haben, entschieden mit dem Zeitgeist und den Prätensionen der menschlichen Vernunft zu brechen, und die kleinen 1) Rheinische Zeitung, Nr. 149 vom 29. Mai 1842: Berlin, 25. Mai 2) Deutsche Jahrbücher, Nr. 143—145 vom 17.—20. Juni 1842, S. 571—579. Die weiteren Teile des Aufsatzes — bis Nr. 150 vom 25. Juni — behandeln aus¬ schließlich die genannte Bauersche Schrift. 8) Ebendort S. 571 f. 4) Ebendort S. 578 IV*
LU Einleitung Volksschriften, welche, wie gegenwärtiges Traktätchen, dies aussprechen“, seien „von höchster Wichtigkeit und aller Beächtung wert.“1) Es unterliegt keinem Zweifel, daß Herzen und seinen Freunden auch diese Broschüre — wenigstens aus Ruges Wiedergabe — wohlbekannt war. Dafür sprechen zur Genüge Herzens Tagebuch-Auf Zeichnungen über das gleichfalls gegen Schelling gerichtete Buch von Frauenstädt („Schellings Vorlesungen in Berlin“, 1842). „Es gibt keine undankbarere Sache,“ schreibt Herzen, „als die Schellingsche: die taschenspielerische Anpassung des philosophischen Gedankens an die gegebene unbewegliche, abgelebte Anschauung. Das ist Scholastik und zugleich Lüge. Wieviel poetische Be¬ gabung und Scharfsinn wird da zur Erklärung der Mythen aufgewendet, und dabei lassen diese Erklärungen irgendein unangenehmes Gefühl zu¬ rück: man fühlt, daß alles nachträglich bedacht ist Schellings These fet begreiflich; begreiflich, daß seine platonische Seele durch den Anblick der Negation, der nackten Negation, verletzt wird; wie soll man aber ver¬ stehen, daß er sich mit elenden, mystisch-philosophischen, verzerrten und schlecht geleimten Anschauungen zufrieden gibt? Er beginnt beim Pan¬ theismus und kommt zum Judaismus, und diesen Judaismus nennt er po¬ sitive Philosophie. Je weiter er seine positive Lehre entwickelt, um so be¬ schwerlicher und peinlicher wird einem zu Mut; man fühlt, daß seine Lösungen nichts lösen, daß alles nebelhaft, unfrei bleibt. Nach und nach verläßt er völlig den Weg der wissenschaftlichen Form und verliert sich ganz in exzentrischem Mystizismus, erklärt den Satan, die Wunder, die Auferstehung, die Ausgießung des heiligen Geistes au pied de la lettre. Man will nicht glauben, daß dies im XIX. Jahrhundert geschrieben sei; es scheinen die Worte eines Scholastikers aus dem XIV. oder eines Theologen aus den ersten Jahren der Reformation . .. Schelling hat dem Christentum einen furchtbaren Schlag zugefügt; seine Philosophie hat endlich die ganze Abgeschmacktheit des christlichen Philosophierens entlarvt, er hat durch seinen Namen und durch seinen Streit mit Hegel das ganze gelehrte Deutschland gezwungen, bei sich Einkehr zu halten und über seinen Fie¬ berwahn nachzudenken. Es gibt Dinge, denen Öffentlichkeit, Entlarvung, Nachforschung den Tod bringen.“ 2) Wenn man nun den bekannten Aufsatz Bakunins aus den Deutschen Jahrbüchern im konkreten geschichtlichen Zusammenhang betrachtet und sich die schnell aufeinanderfolgenden Etappen des junghegelianischen Streits mit Schelling vergegenwärtigt, so muß festgehalten werden, daß dieser Aufsatz 3) erst in der zweiten Hälfte des Oktober 1842, das heißt 1) Ebendort S. 579 2) A. Gercen, Soëinenija. Bd. III, S. 132f. (Dnevnik, 17. August 1843) 8) „Die Reaktion in Deutschland. Ein Fragment von einem Franzosen“. Unter dem Pseudonym „Jules Elysard“, — in Nr. 247—251 v. 17.—21. Okt. 1842.
Einleitung LUI aber erst nach dem Erscheinen all der genannten Broschüren und der ihnen gewidmeten Rugeschen Besprechungen geschrieben und veröffentlicht worden ist In der Tat machte Bakunin seine jähe radikale Wendung erst unter dem Eindruck des Feldzuges gegen Schelling, bei welchem übrigens der Vertreter des hegelianischen Zentrums, Werder, der Freund von Stan- kevië, Bakunin und vielen anderen Russen, eine nicht ganz saubere Rolle spielte. Belinskij schreibt am 7. November 1842 über Bakunin an dessen Bruder Nikolaj : „Ich weiß, daß er von Werder abgerückt ist, weiß, daß er zum linken Flügel des Hegelianismus unter dem Zeichen R. [Ruge] ge¬ hört und den traurigen, bei Lebzeiten gestorbenen Romantiker Schelling durchschaut.“ 1) Nur in Verkennung dieser geschichtlichen Zusammenhänge hat man den Grad der Originalität und den revolutionären Charakter des Bakunin- schen Artikels überschätzen können. Die auffallende Ähnlichkeit im Stil und in der Idee, die Bakunins Biograph Max Nettlau zwischen Engels’ Streitschrift wider „Schelling und die Offenbarung“ und Bakunins Aufsatz über „Die Reaktion in Deutschland“ festgestellt hat2>, erklärt sich — so¬ weit dies Urteil nicht durch den Wunsch beeinflußt ist, in Bakunin den Autor einer der talentvollsten Schöpfungen der junghegelianischen Lite¬ ratur zu finden — sehr einfach: Bakunins Aufsatz war ein Widerhall fremder Gedanken, der durch den Umstand, daß man in dem Autor, „Jules Elysard“, zu Anfang tatsächlich einen Franzosen vermutete, an Interesse und Wirkung gewann. X In engem Zusammenhang mit den beiden philosophischen Pamphlets gegen Schelling entstand das „christliche Heldengedicht“, betitelt: „Der Triumph des Glaubens. Das ist: Schreckliche, jedoch wahrhafte und erkleckliche Historia von dem weiland Licentiaten Bruno Bauer“. „Einen unmittelbaren Hinweis darauf — schrieb Gustav Mayer im Jahre 1920 —, daß Engels der Verfasser des Christlichen Heldengedich¬ tes... sei, besitzen wir bis jetzt bloß in jenem Artikel der Barmer Zeitung vom 1. Juli 1884, dessen übrige Angaben sich freilich ausnahmslos als richtig erwiesen haben.“ Trotzdem hielt er es für „ganz zweifellos, daß niemand anderer als Engels der Verfasser der kecken Dichtung“ sein könne.3) Mir schien die Verfasserschaft weniger zweifelsfrei. Ich schrieb darüber 1923 in den Anmerkungen zu der von mir herausgegebenen ersten russi¬ schen Ausgabe der Schriften des jungen Engels wie folgt: „Meines Erach¬ 0 Belinskij, Pis’ma. Bd. II, S. 317 2) Siehe oben S.XI-XII 8) Friedrich Engels, Schriften der Frühzeit ... S. IX
LIV Einleitung tens kann diese Dichtung nicht Engels allein zum Autor haben, wenn¬ gleich ihm gewiß der Hauptanteil an ihrer Abfassung zuzuschreiben ist. Die bedeutende Rolle, die darin das,Ungetüm4 aus Trier, d. h. Marx, spielt, beweist, daß der oder die Verfasser des Gedichts Marx persönlich gekannt haben müssen. Indes absolvierte Engels seinen Militärdienst in Berlin zu einer Zeit (1. Oktober 1841 — 30. September 1842), als Marx nicht mehr dort war. Nach Engels’ eigenem Zeugnis schloß er übrigens erst 1842 in Köln mit Marx persönliche Bekanntschaft. Allerdings konnte er aus Er¬ zählungen von Marxens Freunden — den Brüdern Bauer und Köppen — viele Einzelheiten über ihn erfahren und sie in seiner Parodie verwendet haben. Das Wahrscheinlichste dünkt uns aber, daß ihm ein Mitglied des Berliner Kreises — wir meinen, es dürfte Edgar Bauer gewesen sein — bei dieser Arbeit Beistand geleistet hat.“ 1) Diese Vermutung, die zunächst nur auf den Inhalt des Gedichts selbst gegründet war, fand ich dann später durch direkte, völlig zuverlässige An¬ gaben bestätigt, die mir 1923 noch unbekannt gewesen waren. In dem bio¬ graphisch-bibliographischen Lexikon der im Jahre 1845 in Berlin leben¬ den Schriftsteller heißt es über Edgar Bauer u. a. : „Zugleich [nämlich im Jahre 1842] verfertigte er mit Friedrich Os¬ wald ein ,christliches Heldengedicht4, ,Die frech bedräute jedoch glorreich befreite Bibel4, welches in Neumünster bei Heß erschienen ist.“2) Das genannte Lexikon war auf Grund der von den befragten Schrift¬ stellern selbst ausgefüllten Fragebogen zusammengestellt Kein Zweifel, daß hier Edgar Bauer selbst die Verfasserschaft des „christlichen Helden¬ gedichtes“ enthüllt hat Die Angabe ging dann im nächsten Jahre in das Konversations-Lexikon Wigands, des Verlegers der Junghegelianer, über; in diesem wird unter dem Titel „Edgar Bauer“ gesagt: „Bei seiner großen kritischen Tätigkeit blieb ihm noch Zeit übrig, Novellen zu schreiben . . ., ja sogar wie es heißt, mit Oswald (Engels) ein komisches Heldengedicht ,Die bedräute Bibel4 (1842) herauszugeben.“3) Versuchen wir nun zunächst den Zeitpunkt festzustellen, zu welchem dies Poem verfaßt worden ist. Da Bruno Bauers Absetzung, d. h. die Ent¬ ziehung der venia legendi, am 29. März 1842 erfolgt war4), kann das 1)K. Marks i F. Engels, Soëinenija. Tom 2: F. Engels, Stat’i i Korrespondencii 1839—1844 g. CK. Marx und F. Engels, Werke. Bd. 2: F. Engels, Artikel und Korrespondenzen 1839—1844.] Moskva—Leningrad 1923. S. 608 2) [W. Koner,] Gelehrtes Berlin im Jahre 1845. Verzeichnis im Jahre 1845 in Berlin lebender Schriftsteller und ihrer Werke. Berlin, Verlag von Th. Scherk, Athenäum in Berlin, 1846. S. 15 8) Wigands Conversations-Lexikon . . . Leipzig. Bd. II, S. 81 4) Vgl. Bezold, Geschichte der Bonner Universität. Bonn 1920. S. 374 f. — Max Lenz, Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Halle 1910—1918. Bd. II/l, S. 25—38
Einleitung LV „Heldengedicht“, in dessen Mittelpunkt eben dieses Ereignis steht, natür¬ lich nicht vor April entstanden sein. Das heißt aber noch nicht, daß es — wie Gustav Mayer annimmt1) — eben im April geschrieben und auch noch im selben Monat erschienen sein muß. Gegen diesen Zeitpunkt spricht schon der Umstand, daß in der Dich¬ tung das Pseudonym „Radge“ vorkommt, unter welchem Edgar Bauer aber erst im Juni 1842, und zwar gerade zur Verteidigung seines Bruders, auf- getreten ist2). Ferner wird Marx zusammen mit Rutenberg und Jung in die Kölner Gruppe der Streiter eingereiht, woraus allein schon folgt, daß das Gedicht nicht früher entstanden sein kann, als Marx zu einem der einflu߬ reichsten Mitarbeiter der Rheinischen Zeitung geworden war, — d. h. nicht früher als Mai 1842. Die ersten Nachrichten über die Vereinigung der „Freien“, deren Existenz in dem Gedicht schon als bekannt vorausgesetzt ist, gelangten erst im Juni in die Presse. Die bekannte Berliner Korrespon¬ denz der „Königsberger Zeitung“ $, worin die Bildung des Vereins der „Freien“ an die Öffentlichkeit gebracht wurde, trug das Datum des 12. Juni. Somit kann das „christliche Heldengedicht“ nicht vor Mitte Juni entstan¬ den sein . Da nun Engels in seinem Brief an Ruge am 26. Juli 1842 bereits schreibt, er habe beschlossen, „für einige Zeit aller literarischen Tätigkeit zu entsagen“, — so meinen wir nach allem, daß die Abfassungszeit der Satire in die Monate Juni und Juli 1842 fällt. Sie erschien etwa ein halbes Jahr später, im Dezember 1842, in der Schweiz bei Joh. Fr. Heß, einem kleinen Drucker in Neumünster bei Zü¬ rich, dessen sich das Züricher „Literarische Comptoir“ bei besonders ge¬ fährlichen Schriften als „Blitzableiters“4) bediente; eigentlicher Heraus¬ geber war also Julius Fröbel, der Verleger der „Anekdota“ und der „Deutsch-Französischen Jahrbücher“. Das Erscheinungsdatum läßt sich auf Grund der ersten Zeitungsnachrichten genauer feststellen. In Fröbels Blatt, dem „Schweizerischen Republikaner“, erschien die Ankündigung des Verlags am 9. Dezember.5) !) In seiner Engels-Biographie, Bd. I, S. 84 a) Deutsche Jahrbücher, Nr. 151—154 vom 27.—30. Juni 1842. „Die Bruno Bauersche Angelegenheit . . .“ 3) Nr. 138 vom 17. Juni 1842 4) Nach einem Ausdruck von August Becker. Vgl. [Bluntschli,] Die Kommunisten in der Schweiz nach den bei Weitling vorgefundenen Papieren . . . Zürich 1843. S. 59. — Über Joh. Fr. Heß vgl. auch den „Schweizerischen Re¬ publikaner“, Nr. 48 und 49 vom 16. und 20. Juni 1843 5) Nr. 98, S. 404. In dem Inserat war das ganze Titelblatt der Broschüre wiedergegeben und folgende kuriose Empfehlung hinzugefügt: „Dieses Gedicht, dem satirisch-poetischer Wert nicht abgesprochen werden wird, hat die religiösen und theologischen Kämpfe der neuesten Zeit und insbesondere die Absetzung Bruno Bauers zum Gegenstände, und wird überall, wo man von den Bewegungen unserer Tage irgend Notiz genommen hat, um so weniger ohne Interesse gelesen werden, als in demselben fast alle in diesen Bewegungen beteiligten Notabilitäten persön¬ lich figurieren.“
LVI Einleitung Noch im Dezember brachte die Leipziger „Eisenbahn“ Auszüge aus dem Poem, die uns aus den ebenfalls in Leipzig herausgegebenen „Frei¬ kugeln“ bekannt sind1). Der „Eibinger Anzeiger“, ein Blatt, dessen Spal¬ ten den Berliner Junghegelianem offen standen, berichtete am 18. Januar 1843 in einer Notiz über das „vor kurzem“ erschienene „Büchlein“, in dem „die neuesten theologischen Wirren“ „nun auch von der Knittelvers¬ poesie ausgebeutet“ würden.2) Die Idee der Satire stammte sicherlich von Engels, der die Waffe der Parodie eben erst an Schelling erprobt hatte. In ähnlicher Tonart hatte er schon früher, in einem Briefe an Wilhelm Graeber8), den Froschmäuse¬ krieg zwischen den Bremer Pietisten und Rationalisten behandelt. Das Haupt der Bremer Pietisten, Mallet, figuriert im „Heldengedicht“ als Führer der Bremer Gläubigenschar. Das Werk verrät gründliche Bekanntschaft mit der intimen Geschichte des Berliner Junghegelianismus, und zwar auch für die Periode vor dem Herbst 1841, cL h. vor dem Zeitpunkt von Engels’ Eintreffen in Berlin. Bruno Bauer übersiedelte von Bonn nach Berlin erst Anfang Mai 18424); es ist darum am ehesten anzunehmen, daß Engels durch Edgar Bauer, an den er sich im Winter 1841/42 eng anschloß, in die vergangene Geschichte des Kreises eingeweiht worden ist. Demnach würde, wie Bruno Bauer mit Marx, so hier Edgar Bauer mit Engels verbunden erscheinen. In der Darstellung des „Heldengedichts“ beruft Ruge alle seine Käm¬ pen nach Bockenheim bei Frankfurt am Main, d. h. an den Sitz des Bun¬ destags, gewissermaßen um zu betonen, daß man sich für Deutschlands Freiheit inmitten ihrer Gegner zu schlagen habe. Der ganze „Atheisten¬ trupp“ zieht hier an uns vorüber; darunter fast alle Mitglieder des Ber¬ liner Klubs, dem Marx 1838—1841 angehört hat: Köppen, Marxens Freund, der diesem seine „Jubelschrift“ über Friedrich den Großen ge¬ widmet hatte; Mey en, Redakteur des „Athenäums“, der „schon seit Mutterleib täglich im Voltaire liest“ ; EdgarBauer, „von außen Mo¬ demann, von innen sansculottig“ ; hinter ihm R a d g e, sein „arger Schat¬ ten 5) ; dann „der Patriot“, „von innen schmeidig-zart, von außen Sans- culot“, — nämlich Ludwig Buhl, Herausgeber der Zeitschrift „Der Patriot“; Bruno Bauer, „ein schmaler Bösewicht“ im grünen Rock, 1) „Freikugeln“, Leipzig. Red. M. Bauschke. Verlag des literarischen Museums. Nr. 52 vom 30. Dezember 1842, S. 208. — Es gelang uns bisher nicht, den be¬ treffenden Jahrgang der radikalen „Eisenbahn“ ausfindig zu machen. — Auch die „Hamburger literarischen und kritischen Blätter“ (Nr. 2220 v. 19. Dez. 1842, S. 1044, „Miscellen“ von [Eduard Kohln) und die „Hamburger Neue Zeitung“ (Nr. 303 v. 31. Dez. 1842, S. 3) nahmen schon im Dezember vom Erscheinen des Poems Notiz. 2) Eibinger Anzeiger, Nr. 5 vom 18. Januar 1843, S. 3f. 8 ) Vom 20. November 1840. Siehe S. 561 4) Siehe Rheinische Zeitung, Nr. 128 vom 8. Mai 1842, Korr, aus Bonn, 5. Mai 5) D. i. Edgars Deckname (Anagramm)
Einleitung LVII mit der „Kritik der synoptischen Evangelien“ fuchtelnd ; Marx, „ein schwarzer Kerl aus Trier“ mit rasender Seele, losgehend wie vom Teufel besessen; Georg Jung, der „Jüngling aus Köln“, Mitbegründer der Rheinischen Zeitung, Sohn eines Amsterdamer Patriziers; „Rtg“, d. h. Adolf Rutenberg, den der junge Marx im Brief an seinen Vater seinen besten Freund nannte und von dem er später so sehr enttäuscht werden sollte. Aber in diesem Zug der Janitscharen gibt es zwei neue Käm¬ pen, die im Berliner Kreis erst auf tauchten, als Marx schon aus ihm ge¬ schieden war: das ist „O s w a 1 d, der Montagnard“, der Unversöhnliche, „grau berockt und pfefferfarb behoset, auch innen pfefferfarb“, der nur ein Instrument spielt — die Guillotine; und Stirner, grimmiger Feind aller Schranken, der immer, wenn andere „à bas les rois!“ schreien, hin¬ zusetzt „à bas aussi les lois!“ Und man sieht zu dieser Versammlung auch einen aus dem Süden sich gesellen, den Einspänner, der doch allein „ein ganzes Heer von frechen Atheisten“ aufwiegt, der im „Fressen, Saufen und Baden“ die „Wahrheit der Sakramente“ sieht, — LudwigFeuer- bach. XI In dem „christlichen Heldengedicht“ werden die „Freien“, wie man sieht, als einige, geschlossene Schar dargestellt, durchaus solidarisch im Kampf gegen das feindliche Heer der Dunkelmänner, Pietisten, Theo¬ logen von allen Ecken und Enden Deutschlands. Wir haben schon oben gesagt, daß das Poem nicht vor dem Zeitpunkt entstanden sein kann, zu dem Marx in der Rheinischen Zeitung zu Einfluß und Ansehen gelangt war; wir können nunmehr hinzufügen: die Schrift muß vor Marxens Zerwürfnis mit den „Freien“ verfaßt sein ; dieser Kon¬ flikt aber hatte sich noch vor seinem Eintritt in die Redaktion, also Juli- August 1842, angekündigt, verschärfte sich in den ersten Wochen seiner Redaktionszeit und endete im November mit dem völligen Bruch. Marx hielt sich noch in Trier auf, als Zeitungsmeldungen die Grün¬ dung des neuen „Vereins der Freien“ in Berlin anzeigten. Aus seinem Schreiben vom 9. Juli 1842 an Ruge wird ersichtlich, daß er von den Ver¬ änderungen, die in dem Berliner Freundeskreis vor sich gegangen waren, keinerlei Vorstellung hatte; er schreibt: „Wissen Sie was Näheres von den sogenannten ,Freien4? Der Artikel in der Königsberger war mindestens nicht diplomatisch. Ein anderes ist, seine Emanzipation erklären, was Gewissenhaftigkeit ist, ein anderes, sich im voraus als Propaganda aus¬ schreien, was nach Renommisterei klingt und den Philister aufbringt. Und dann, bedenken Sie diese ,Freien4, ein Meyen etc.... Es ist ein Glück, daß Bauer in Berlin ist. Er wird wenigstens keine ,Dummheiten4 begehn
LVIII Einleitung lassen, und das einzige, was in dieser Sache (wenn sie wahr ist und kein bloßer absichtlicher Zeitungsversuch) mich beunruhigt, ist die Wahr¬ scheinlichkeit, daß die Berliner Fadheit irgendwie ihre gute Sache lächer¬ lich macht und diverse ,Dummheiten4 bei dem Emst nicht entbehren kann. Wer so lang unter diesen Leuten war wie ich, wird diese Besorgnis nicht unbegründet finden.“ D Die von Marx ausgesprochenen Befürchtungen bewahrheiteten sich; nicht aber seine Hoffnungen auf Bruno Bauer, der kurz zuvor gezwungen worden war, die gewisse Bindungen auf erlegende Professur mit dem Beruf des „freien Schriftstellers“ zu vertauschen, und der sich nun mit besonde¬ rer Lust daranmachte, das gelehrte und literarische Publikum anzufallen. Marx hegt also, wie der angeführte Brief bezeugt, schon im Juni 1842 einiges Mißtrauen gegen das „renommistische“ und „nicht diplomatische“, vielmehr nur den „Philister aufbringende“ Treiben der Berliner „Freien“. Mit wachsender Unlust betrachtet er von nun an den Charakter ihrer Bei¬ träge für die Rheinische Zeitung. Als Edgar Bauer in vier großen Artikeln über „Das Juste-Milieu“ gegen das Repräsentativsystem zu Felde zieht, rüstet sich Marx zu einer öffentlichen Kritik, und der Leitung der Rheini¬ schen Zeitung gegenüber spricht er sich am 25. August scharf gegen solche provokatorische Erörterungen aus, die nur dazu angetan seien, „eine große . . . Menge freigesinnter praktischer Männer, welche die mühsame Rolle übernommen haben, . . . innerhalb der konstitutionellen Schranken, die Freiheit zu erkämpfen“, vor den Kopf zu stoßen 2). Eben dieses Auftreten gegen die Taktik der „Freien“ bildete dann einen starken Anstoß zu Mar¬ xens Berufung in die Redaktion der Rheinischen Zeitung. Während seiner Redakteurzeit verschärft sich sein Gegensatz zu den „Freien“ — man kann füglich annehmen — von Woche zu Woche, ja von Tag zu Tag. Er „annul¬ liert“ „haufenweise“ Artikel von „Meyen und Konsorten“ — seiner Auf¬ fassung nach „weltumwälzungsschwangre und gedankenleere Sudeleien in saloppem Stil, mit etwas Atheismus und Kommunismus . . . versetzt“.3) Als Marx die Redaktion antrat, befand sich Engels nicht mehr in Berlin, aber er verließ diese Stadt — um den 10. Oktober 4) — als intimes Mitglied der „Freien“ und als besonders naher Freund Edgar Bauers. Auf der Reise nach Barmen stattete er der Redaktion der Rheinischen Zei¬ tung, für die er von Berlin aus seit April mehrere Artikel und Korrespon¬ denzen geschrieben hatte, einen Besuch ab. Er traf — Marx war damals noch nicht nach Köln übergesiedelt — in der Redaktion mit Heß und *) Siehe Band 1/2 der Gesamtausgabe, S. 278 2) Marx an Dagobert Oppenheim am 25. August 1842; Bd. 1/2 der Gesamt¬ ausgabe, S. 280 3) Marx an Ruge am 30. November 1842; Bd. 1/2, S. 285 4) Das militärische Führungsattest (siehe S. 635) wurde am 8. Oktober 1842 ausgestellt; Engels reiste wohl unmittelbar darnach aus Berlin ab.
Einleitung LIX Rutenberg zusammen. Heß berichtet über diese Begegnung an Berthold Auerbach: „Wir sprachen über die Zeitfragen und er, ein Anno I Revo¬ lutionär, schied von mir als allereifrigster Kommunist“ 1) Die Wandlung oder wenigstens Wendung, von der hier die Rede ist, erfolgte gerade einige Tage vor dem Erscheinen des Marxschen Artikels über den „Kommunismus und die Augsburger Allgemeine Zeitung“, wo¬ rin Marx den kommunistischen Ideen „in ihrer jetzigen Gestalt nicht ein¬ mal theoretische Wirklichkeit zuzugestehen“, noch weniger „ihre prak¬ tische Verwirklichung“ zu wünschen bereit war und eine „gründliche Kritik“ auf Grund „lang anhaltenden und tief eingehenden Studiums“ für nötig hielt2). Die darauf folgenden Wochen verbrachte Engels im Eltemhause zu Barmen ; er bereitete sich für die Übersiedlung nach England vor. Wäh¬ rend dieser Wochen verfinstert sich „der Berliner Himmel“ über der Rhei¬ nischen Zeitung und deren Redakteur Marx immer mehr. Um den 10. No¬ vember kommt es in Berlin zu einem heftigen Konflikt zwischen den „Freien“ einerseits, Ruge und Herwegh andererseits. Der um die Mitte November auf Wunsch der Regierung auch formell von der Redaktion entfernte Rutenberg schreibt „in alle Welt“, daß mit seinem Fortgang die Rheinische Zeitung eine „ander e“, d. h. transigent© Haltung gegen¬ über der Regierung einnehmen werde3). Die „Freien“ sind der Rheini¬ schen Zeitung und ihrem Redakteur Marx gegenüber äußerst mißtrauisch geworden; um den 20. November verlangen sie von Marx, daß er über „das neue Redaktionsprinzip“ und über sein Verhältnis zu ihnen selbst, zu Ruge und Herwegh Rechenschaft ablege4). Der Bruch steht unmittel¬ bar bevor. Es ist anzunehmen, daß der in Barmen weilende Engels von seinen Berliner Freunden über diese Vorgänge brieflich auf dem laufenden ge¬ halten wurde. Insbesondere muß er — und zwar doch wohl von Edgar Bauer — ausführlichen Bericht über die stürmische Szene erhalten haben, die sich um den 10. November zwischen den „Freien“ und Ruge in der Walburgschen Weinstube (Poststraße 28) abspielte. Denn er gab diese Szene, der er nicht beiwohnte, in einer roh ausgeführten, aber doch in den Details mit der Überlieferung aller sonstigen Quellen genau über¬ einstimmenden Handzeichnung wieder®). 1) Heß an Auerbach, Köln 19. Juni 1843. (Ungedruckt. Original im Schiller- Archiv, Marbach) 2) Siehe Bd. 1/1 der Gesamtausgabe, S. 263 3) Vgl. Marx an Ruge, 30. November 1842; Bd. 1/2, S. 286 4) Siehe ebendort 5) Eine Analyse dieser Karikatur und die ausführlichste Darstellung der Szene in der Walburgschen Weinstube — auf Grund aller früheren Forschungen von Mackay, Mehring und G. Mayer — gibt Rolf Engert in der Schrift: Das Bildnis Max Stirners. Das Bild der Freien (Neue Beiträge zur Stimerforschung.
LX Einleitung Noch bevor in Gestalt eines heftigen Briefwechsels zwischen Marx und Mey en und des Rücktritts der „Freien“ von der Mitarbeit an der Rhei¬ nischen Zeitung der Bruch Ende November wirklich eintrat, besuchte Engels, jetzt auf der Reise nach England, Ende November (etwa am 25.) ein zweites Mal die Redaktion der Rheinischen Zeitung in Köln. Diesmal traf er dort Marx an. Mehr als ein halbes Jahrhundert später schrieb Engels über diese seine erste Begegnung mit Marx: „Als ich gegen Ende November auf der Durchreise nach England wieder [in der Redaktion der Rheinischen Zei¬ tung] vorsprach, traf ich Marx dort, und wir hatten bei der Gelegenheit unser erstes sehr kühles Zusammentreffen. Marx war inzwischen gegen die Bauers auf getreten, das heißt, hatte sich dagegen erklärt, daß die Rheinische Zeitung vorwiegend ein Vehikel für theologische Pro¬ paganda, Atheismus etc., statt für politische Diskussion und Aktion werde, und ebenso gegen den Edgar Bauerschen, auf bloßer Lust am ,am weitesten Gehen4 beruhenden Phrasenkommunismus, der dann auch bald bei Edgar durch andere extrem klingende Phrasen ersetzt wurde; da ich mit den Bauers korrespondierte, galt ich für ihren Alliierten, während Marx mir verdächtigt war von jenen.“ *) Diese erste Begegnung verlief also „sehr kühl“. In der Tat führte Marx gerade in diesen Tagen sein briefliches Duell mit Eduard Meyen als dem Wortführer der „Freien“; und nur wenige Tage später rückte er dann in die Rheinische Zeitung jene vom 25. November datierte Notiz über „Herweghs und Ruges Verhältnis zu den Freien“2) ein, die den end¬ gültigen Bruch mit den „Freien“ herbeiführte. Wir gingen auf die Vor¬ geschichte dieser Begegnung ausführlicher ein, um deutlich zu machen, daß einerseits der damals gerade akute Konflikt zwischen Marx und den „Freien“, andererseits das Freundschaftsverhältnis zwischen Engels und den „Freien“, besonders den Brüdern Bauer, vollauf hinreichte, um — Zweites und drittes Heft. Dresden 1922). Engert zögerte noch, die Zeichnung mit Bestimmtheit Engels zuzuschreiben. Wer aber mit Engels’ Schriftzügen ver¬ traut ist, kann über die Autorschaft nicht die geringsten Zweifel hegen. (Zur Identifizierung der Handschrift vgl. Julius Schuster in der Festschrift: Aus der Handschriftenabteilung der Preußischen Staatsbibliothek... Ludwig Darm¬ städter zum 75. Geburtstag dargebracht... Berlin 1922. S. 176f.) — Die Zeich¬ nung befindet sich seit 1927 im Besitze des Marx-Engels-Instituts in Moskau. Ihre ikonographische Bedeutung ist außerordentlich groß. Von nicht weniger als sechs der darauf abkonterfeiten Literaten sind der Forschung bis jetzt gar keine andern Bildnisse bekannt, — nämlich von Bruno und Edgar Bauer, Ludwig Buhl, Fried¬ rich Köppen, Eduard Meyen und Max Stirner. — Wir reproduzieren die Zeich¬ nung auf Tafel VI, an der Stelle des „christlichen Heldengedichts“, wo die Per¬ sonen der gezeichneten Szene allesamt auch literarisch porträtiert sind; allerdings hat sich die Szene in der Walburgschen Weinstube erst mehrere Monate später abgespielt. 1) Vgl. Mehring, Geschichte der Deutschen Sozialdemokratie. Stuttgart 1898. Zweiter Teil. S. 554 2) Rheinische Zeitung, Nr. 333 vom 29. November 1842; siehe Band 1/1, S. 309
Einleitung LXI schon vor dem Bruch der „Freien“ mit der Zeitung — in Marx und Engels ein gegenseitiges Mißtrauen zu erwecken und ihr erstes Zusam¬ mentreffen frostig zu gestalten. Engels’ literarische Arbeiten, die Marx bekannt sein mußten, im besonderen seine Beiträge für die Rheinische Zeitung, konnten dabei keine Rolle spielen : die kritischen Einwände, die Marx gegen die Beiträge der „Freien“ erhob, konnten in keiner Weise auf die Engelsschen Artikel zutreffen. Trotz der „sehr kühlen“ Aussprache muß die Begegnung mit dem Versprechen Engels’ geendet haben, daß er aus England Korrespondenzen senden werde, — denn kaum in London angekommen, schon am 30. November, sandte er einen Beitrag, worin er seine schon in Deutschland in „stiller Beschäftigung“ mit den englischen Zuständen1) gewonnenen Ansichten über den krisenhaften Zustand Eng¬ lands auseinandersetzte. XII Engels hatte seine Mitarbeit an der Rheinischen Zeitung früher als Marx begonnen. Während dessen erster Beitrag am 5. Mai 1842 erschien, war der erste Artikel von Engels um fast einen Monat früher, am 12. April, veröffentlicht worden 2)e Da Engels aktives Mitglied des junghegelianischen Literatenkreises in Berlin war, der an der Gründung der Rheinischen Zeitung sehr stark be¬ teiligt gewesen war und die gesamte Berliner Korrespondenz des Blattes besorgte, so war es selbstverständlich, daß auch er seine Feder in den Dienst des Blattes stellte. Doch war er nicht regulärer Mitarbeiter oder Korrespondent der Zeitung in dem Sinne, wie es andere aus der Gesell¬ schaft der „Freien“ — etwa die professionellen Publizisten Buhl, Mey en oder Edgar Bauer — waren. Was er schrieb, waren vorwiegend Feuille¬ tons und Artikel allgemeinen Inhalts, — nicht Korrespondenzberichte. Engels’ Beiträge sind zweimal mit den Initialen seines Pseudonyms „F. 0.“ gezeichnet3) ; die übrigen tragen an der Spitze ein Korresponden¬ tenzeichen (ein liegendes, manchmal stehendes Kreuz zwischen zwei Stern¬ chen), dessen Entzifferung dem Umstande zu danken ist, daß das Manu¬ skript eines unter diesem Zeichen erschienenen Artikels unter den Resten der Redaktionspapiere der Rheinischen Zeitung erhalten geblieben ist4). Gustav Mayer erklärte mit Recht, daß derlei Autoren- und Korrespon¬ dentenzeichen nicht immer zuverlässig und eindeutig sind 5) ; er behandelte darum in seiner Engels-Biographie von den Beiträgen, die das genannte *) Siehe in diesem Bande S. 356.3—10 2) Siehe S. 287ff. Der Artikel war zudem noch vom März datiert. 8) Siehe S. 298 und 302 4) Es handelt sich um den Artikel „Zur Kritik der Preußischen Preßgesetze“ (S. 310—317); das Manuskript befindet sich im Historischen Archiv der Stadt Köln. 6) Vgl. Engels, Schriften der Friihzeit... S. IX
LXII Einleitung Zeichen tragen, nur diejenigen als von Engels geschrieben, bei denen ihm auch aus „inneren Gründen“ die Autorschaft völlig erwiesen schien. Wir gingen etwas weiter, indem wir von den *x* Artikeln nicht nur die auf¬ nahmen, bei denen „innere Gründe“ für die Autorschaft Engels’ spre¬ chen, sondern sämtliche, bei denen „innere Gründe“ nicht schwerwie¬ gend gegen Engels sprechen. Die von der Rheinischen Zeitung geübte Konsequenz im Gebrauch der Chiffres, soweit sie bis jetzt von der For¬ schung enträtselt worden sind — es handelt sich um die Chiffres von Bruno Bauer, Heß, Marx, Stimer, Ruge u. a. —, gibt keinen Anlaß zu überkritischem Mißtrauen. So schlossen wir nur zwei *x* Artikel aus unserer Sammlung aus: eine aus „Berlin, 25. Juni“ datierte Korrespon¬ denz über die „Teilnahme an den Verhandlungen der badischen Kam¬ mer“ 1) und ferner einen großen Artikel über „Zentralisation und Frei¬ heit“, der ohne Orts- und Zeitbestimmung im Beiblatt zu Nr. 261 der Rheinischen Zeitung am 18. September erschienen ist.2) Da die schadenfrohe Korrespondenz über „Das Aufhören der kriminalistischen Zeitung‘“3) auch nach Gustav Mayers Ansicht „wohl sicher“ 4) von Engels stammt, ist die Zahl der von Mayer abgelehnten, von uns auf genommenen *x* Artikel nur vier. Von diesen ist der zeitlich frühesteß) eine Polemik gegen Heinrich Leo, der die Medizin — beiläufig auch die Jurisprudenz — durch mystisch¬ theologische Deutungen zu Nutzen der christlichen Frömmigkeit zu ex- ploitieren versucht hatte. Diese draufgängerische Polemik ist echter Engels. An seiner Verfasserschaft kann nicht im geringsten gezweifelt werden. Anders mit den übrigen drei kleinen Korrespondenzen 6). Sie sind inhaltlich wenig bedeutend und auch stilistisch farblos. Nichts spricht gegen Engels, für ihn aber auch nur das Korrespondenzzeichen. Die übrigen Berliner Beiträge, die Engels der Rheinischen Zeitung gesandt hat, seien nun noch mit einigen Worten gestreift. In dem ersten Artikel — über „N ord- und Süddeutschen Liberalismus“7) — rühmt Engels die entschiedene Konsequenz, die O Erschienen in Nr. 176 vom 25. Juni 1842 2) Wir werden beide Artikel in dem geplanten Ergänzungsband abdrucken, bei welcher Gelegenheit wir auch auf die Frage der Verfasserschaft ausführlich ein- gehen werden. 8) Datiert „Berlin, 25. Juni“; erschienen am 30. Juni 1842. Siehe S. 308f. 4) A. a. O. S. 116. 6) Datiert „Von der Hasenheide, im Mai“; erschienen am 10. Juni 1842. Siehe S. 303—305 •) S. 306f.: „Die Freisinnigkeit der Spenerschen Zeitung“ (datiert: „Berlin, 22. Juni“, erschienen am 26. Juni) ; ferner zwei in der Nr. 241 vom 29. August unter dem Strich hintereinander erschienene kleine Notizen, von denen die erste „Berlin. 19. August“ datiert ist. Siehe S. 318f. 7) Datiert: „Berlin, im März“. Rheinische Zeitung, Nr. 102 vom 12. April 1842. Siehe S. 287—289
Einleitung LXIII Bestimmtheit der Forderungen, den welthistorischen Weitblick, wodurch der norddeutsche Liberalismus sich vor dem süddeutschen aus¬ zeichne. Bekanntlich war Ende September 1841, also kurz vor Engels’ Ankunft in Berlin, dem berühmten Führer der badischen Opposition und Mitherausgeber des „Staatslexikons“ Karl Welcker in Berlin ein Ständchen gebracht worden. Bei einem Festessen, das bei dieser Gelegenheit veranstaltet worden war, hatten die Berliner Junghegelianer ihre kritische Haltung gegenüber dem zurückgebliebenen, abgelebten süd¬ deutschen Liberalismus demonstrativ zum Ausdruck gebracht; Bruno Bauer hatte in seinem Trinkspruch die Staatsauffassung Hegels gepriesen, die durch Kühnheit und Entschiedenheit die der süddeutschen Liberalen weit überrage. Und diese kritische Meinung über den süddeutschen Libe¬ ralismus teilte damals auch Engels, der ja eben erst mit den Vertretern des jungen norddeutschen Liberalismus — mit den liberalen und radi¬ kalen Hegelianern — und ebenso mit Anhängern des ostpreußischen Libe¬ ralismus, ja wahrscheinlich mit Johann Jacoby selbst, Bekanntschaft ge¬ schlossen hatte. Der Vergleich, den er dann in der Rheinischen Zeitung zwischen dem norddeutschen und dem süddeutschen Liberalismus an¬ stellte, fiel durchaus zugunsten des ersteren aus. In Börne, dessen Bedeu¬ tung überschwänglich hervorzuheben er auch hier nicht versäumte, sah er den Vorläufer und Propheten des norddeutschen Liberalismus. Wäh¬ rend die Bewegung des Südens allmählich einschlummere, bringe der Norden einen Stab von energischen Politikern und Publizisten hervor, wie ihn der Süden in seiner schönsten Blütezeit nicht gehabt habe. Die „Herrschaft über Deutschland“ könne dem norddeutschen Liberalismus nicht mehr abgestritten werden. In dem Artikel „R h e i n i s c h e F e s t e“ O unternimmt Engels — er hatte sich in jungen Jahren nicht nur an poetische Produktionen, sondern auch an musikalische Kompositionen gemacht 2> — den interessanten Ver¬ such, aus den „klimatischen und sozialen Verhältnissen“ Deutschlands, vor allem der Rheinlande, den Primat der Musik zu erklären. Die zwei unter dem Titel „Tagebuch eines Hospitanten“" erschienenen Feuilleton-Artikel sind mit den Initialen F. 0. gezeichnet Sie schildern das Leben an der Berliner Universität und sind biographisch recht wichtig. Der erste Artikel handelt von Marheinekes am 2. Mai ge¬ haltener erster Vorlesung über die Bedeutung der Hegelschen Philoso¬ phie in der Theologie4) und schließt sich eng an die philosophischen *) Datiert „Berlin, den 6. Mai“, erschienen am 14. Mai 1842; siehe S. 293ff.. 2) Vgl. die Briefe an seine Schwester Marie, S. 576—579, auch S. 612 8) Sie erschienen am 10. Mai und am 24. Mai 1842. Siehe S. 290—292, 296 —298 4) Vgl. Rheinische Zeitung, Nr. 128 vom 8. Mai 1842, Korr. „Berlin, 2. Mai“ (aus der Leipziger Allgemeinen Zeitung)
LXIV Einleitung Pamphlets an, die Engels zur „Ehrenrettung der gekränkten Manen Hegels“1) gegen Schelling gerichtet hatte. Das Feuilleton erschien fast gleichzeitig mit Marheinekes Separatvotum über die Entsetzung Bruno Bauers2). Im zweiten Tagebuchblatt des Hospitanten — über v. Henning — ist außer dem polemischen Seitenhieb gegen die historische Rechts¬ schule, die so gern von „historischer, organischer, naturgemäßer Ent¬ wicklung“ rede, die hier zum erstenmal ausgesprochene Überzeugung be¬ merkenswert, daß Preußen „mit Hintansetzung aller Rücksichten rein den Eingebungen der Vernunft folgen“ und daher „wie kein anderer Staat von den Erfahrungen seiner Nachbarn lernen“ könne3). Die „Glossen und Randzeichnungen zu Texten aus unserer Zeit“4) sind den öffentlichen Vorlesungen gewidmet, die der bekannte demokratische Publizist und Freund Jacobys, Ludwig Wales¬ rode, in Königsberg gehalten hatte. In dessen Stil und Auffassungsweise findet Engels große Verwandtschaft mit Börne; er rügt bei dieser Ge¬ legenheit zum erstenmal die „Erschlaffung“ und das „fruchtlose Streben“ des Jungen Deutschland6). Der Artikel „Zur Kritik der Preußischen Preßge- setze“8) ist zuerst von Prof. Joseph Hansen, dem Entdecker des Manu¬ skripts, als Engelssche Arbeit festgestellt worden. Er interessiert nicht nur wegen seines besonderen Gegenstands, sondern fordert geradezu einen Vergleich mit dem entsprechenden Marxschen Artikel heraus: es kann so schon an einem sehr frühen Beispiel der Unterschied in der Behand¬ lung eines und desselben Themas durch Marx und durch Engels deutlich gemacht werden. Zur Illustrierung seiner kritischen Analyse behandelt Engels ausführlich den Prozeß gegen Johann Jacoby wegen der „Vier Fra¬ gen“; über den Stand dieses Prozesses hatte Jacoby soeben in einer in der Schweiz gedruckten Broschüre der Öffentlichkeit Bericht vorgelegt7). Mit diesem Beitrag schließt etwa für ein halbes Jahr Engels’ regel¬ mäßige Mitarbeit an der Rheinischen Zeitung. XIII Fast gleichzeitig mit dem zur Verteidigung des intransigent liberalen Königsberger Publizisten geschriebenen Artikel brachte Ruge in den Deut- i) Siehe S. 290f. 2) Über den Zeitpunkt, an dem das Separatvotum erschien, vgl. Rheinische Zeitung Nr. 134 vom 14. Mai 1842, Korr. „Berlin, 9. Mai“ (aus der „Düsseldorfer Zeitung“). 3) Siehe S. 298 4) Gezeichnet F. 0., erschienen am 25. Mai 1842. Siehe S. 299—302 6) Siehe S. 301f. 6) Datiert „Berlin, im Juni“, erschienen am 14. Juli 1842. Siehe S. 310—317 7) Dr. Jacoby, Meine weitere Verteidigung wider die gegen mich erhobene Beschuldigung der Majestätsbeleidigung und des frechen, unehrerbietigen Tadels der Landesgesetze. Zürich und Winterthur 1842
Einleitung LXV sehen Jahrbüchern einen Aufsatz von Engels, der gegen einen gemäßigt liberalen Königsberger Schriftsteller, gegen den Herausgeber des „Kö¬ nigsberger Literaturblattes“, Alexander Jung, gerichtet war. Der Aufsatz — betitelt „Alexander Jung, Vorlesungen über die mo- derne Literatur der Deutschen“1) — entstand in der ersten Hälfte des Juni 18422 ) ; am 15. Juni sandte ihn Engels an Ruge mit einem Begleitbrief, der erhalten geblieben ist: es ist der wiederholt angeführte Brief, in dem sich Engels als Verfasser des „Traktätchens“ über Schel¬ ling bekennt. Erschienen ist der Aufsatz in den Nummern vom 7. bis 9. Juli 1842. Die Überschrift führt zwar nur ein einziges Werk an — die erwähnten, 1842 in Danzig publizierten „Vorlesungen“ —, tatsächlich aber wird fast die gesamte literarisch-kritische Tätigkeit Jungs mit einer vehementen Kritik attackiert, die seine Exkommunizierung aus der Ge¬ meinschaft der Entschiednen und „Freien“ motivieren soll. Engels, der innerhalb zweier Jahre eine überaus rasche Entwicklung durchgemacht und die Schule des Jungen Deutschland als bedeutende Phase seiner geistigen Entwicklung passiert hat, übt hier zugleich eine gewisse Selbstkritik, wie er es dann einige Jahre später in der nicht min¬ der scharfen Kritik des „wahren Sozialismus“ tut. Auch jetzt will er Börne nicht nur von solchen Repräsentanten des Jungen Deutschland wie Mundt, Kühne, Laube, sondern auch von Gutz¬ kow und Wienbarg gesondert wissen. Gegen Heine, der 1840 sein bitter¬ böses Pamphlet gegen Börne veröffentlicht hatte, kann er nicht genug scharfe Worte finden. Später besserten sich dann seine Beziehungen zu dem Dichter, was jedoch nicht nur dem Marxschen Einfluß zuzuschreiben war, sondern auch einer mit Heine selbst vorgegangenen Wandlung: noch im Jahre 1843 schlug sich dieser — nicht zuletzt unter der Einwirkung von Marx — entschiedener als je auf die Seite der radikalen Opposition, er schrieb zu dieser Zeit seine besten politischen Gedichte. Engels beschränkt sich nun aber nicht allein auf die Kritik von Jungs literatur-kritischem Wirken, er analysiert auch seine philosophischen Ansichten und greift speziell seine versöhnliche Haltung gegenüber der Offenbarungsphilosophie des alten Schelling an. Der Engelssche Aufsatz bildet insofern den Abschluß der mannigfachen literarischen Arbeiten, mit denen der junge Engels gegen Schellings Wirken in Berlin, gegen die „Todeserklärung Hegels“3) und gegen die Herabwürdigung der klassi¬ schen deutschen Philosophie zur Dienstmagd der Theologie hervor¬ getreten ist. i) Siehe S. 323—335 2) Die letzte der in dem Aufsatz behandelten Nummern des „Literaturblatts“ war am 8. Juni erschienen; vgl. S. 335 und die dazu gehörigen Zitatennachweise am Schlüsse dieses Bandes. 8) Vgl. S. 173 Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. V
LXVI Einleitung Alexander Jung veröffentlichte übrigens im „Königsberger Literatur¬ blatt“ 1) eine in überlegenem Ton geschriebene, ironisch sein sollende Er¬ widerung, in der er auf den Inhalt der von Engels vorgebrachten Kritik jedoch gar nicht einging2). Wenn Engels über Jungs Erwiderung äußerte8): „ich behaupte, sie ist das Beste, was er bis jetzt geschrieben hat“, so war dies in keinem anderen als in einem ironischen Sinne gemeint. In diesem Brief —wir haben schon früher davon gesprochen — mel¬ dete Engels auch seinen „Entschluß“ an, „für einige Zeit aller literari¬ schen Tätigkeit zu entsagen und dafür desto mehr zu studieren“. Lange hielt es ihn allerdings nicht beim bloßen Studieren. Die Zeiten waren nicht darnach. Spätestens Anfang November nahm er die literarische Fehde wieder auf, und zwar mit einem größeren Artikel über „Fried¬ rich Wilhelm IV., König von Preußen“4). Der Artikel er¬ schien in dem von Georg Herwegh herausgegebenen Sammelband „Ein¬ undzwanzig Bogen aus der Schweiz“0), im Verlag des von Julius Fröbel geleiteten „Literarischen Comptoirs Zürich und Winterthur“. Die in diesem Band vereinigten Aufsätze und Gedichte waren ur¬ sprünglich für die ersten Hefte der von Herwegh geplanten Monatsschrift „Der deutsche Bote aus der Schweiz“ bestimmt. Die Monatsschrift sollte eine im Plan und in der Redaktion radikal veränderte Fortsetzung des gleichnamigen, seit Anfang 1842 in Zürich wöchentlich zweimal erschei¬ nenden Blattes von Karl Fröbel sein; aber noch bevor der Plan ins Werk gesetzt werden konnte, verbot die preußische Regierung Ende November die Einfuhr des „Boten“ nach Preußen. Damit war der ursprüngliche Plan zunichte gemacht. Statt der Monatsschrift gelang es dann nach vielerlei Plagen und Schwierigkeiten, auf die hier einzugehen nicht nötig ist6), den Sammelband „Einundzwanzig Bogen“ herauszubringen; er er¬ schien erst Mitte Juli 1843. Er brachte auch das von Engels verfaßte Charakterbild Friedrich Wil¬ helms IV. ; es war mit den Initialen F. 0. gezeichnet. Die Entstehungszeit des Aufsatzes ist nicht ganz leicht zu fixieren. Eingangs spricht Engels i) Nr. 42 vom 20. Juli 1842, S. 329 ff. 2) Jungs Erwiderung trug den Titel: „Ein Bonbon für den kleinen Oswald, meinen Gegner in den deutschen Jahrbüchern“, und hetzte einen einzigen Witz zu Tode: daß nämlich dieser Gegner ein kleines Kind sei, ein Schulknabe, der komische Anstrengungen mache, als Erwachsener zu erscheinen. Nicht minder kin¬ disch sei auch die Schrift über „Schelling und die Offenbarung“ gewesen, als deren Verfasser sich „der Kleine“ nun zu erkennen gegeben habe. 8) Engels an Ruge, 26. Juli 1842. Siehe S. 632 4) Siehe S. 339—346 6) Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz. Herausgegeben von Georg Her¬ wegh. Erster Teil. Zürich und Winterthur, Verlag des Literarischen Comptoirs, 1843 6) Aus der umfangreichen Literatur vgl. z. B. Victor Fleury, Le poète Geor¬ ges Herwegh. Paris 1911. p. 79—112. — Werner Näf, Das Literarische Comptoir Zürich und Winterthur. (Neujahrsblätter der Literarischen Gesellschaft Bern. N. F. H. 7.) Bern 1929
Einleitung LXVII von den „beiden Jahren“ der Regierung des Königs; nähme man dies wörtlich genau, so müßte der Aufsatz im Juni 1842 geschrieben worden sein, und ursprünglich schien uns dieses Datum ganz annehmbar1). Eine genauere Prüfung führt jedoch zu einem andern Ergebnis. Der Plan, aus dem bis dahin fast ausschließlich auf Schweizer Inter¬ essen zu geschnittenen „Deutschen Boten“ eine große politische Monats¬ schrift zu machen, war frühestens Ende August 1842 entstanden. Im „Boten“ selbst war die bevorstehende „Veränderung des Plans und der Redaktion“ zuerst am 17. September angekündigt worden. Herwegh hatte seine ersten Werbebriefe — an Prutz, an Feuerbach — Anfang Septem¬ ber2) geschrieben. Der Engelssche Aufsatz konnte demnach frühestens im September verfaßt werden. Für ein noch späteres Datum spricht aber ein anderes Moment, nämlich die Stelle des Aufsatzes, wo es heißt, daß in Preußen „seit der angeblich freieren Bewegung der Presse“, d. h. „seit einem Jahre“, das preußische Volk einen großen Aufschwung genom¬ men habe3). Das würde — buchstäblich genommen — etwa auf die Jah¬ reswende 1842/43 hinweisen; die bekannte, vom 24. Dezember 1841 da¬ tierte Zensurinstruktion, die eine mildere Handhabung der Zensur ver¬ fügte, war am 14. Januar 1842 publiziert worden. Es gibt aber einen direkten Beweis dafür, daß der Aufsatz spätestens um die Mitte November entstanden ist: Herwegh erwähnt ihn noch vor seinem Weggang von Ber¬ lin — am 24. November4) — in einem undatierten Briefe an Fröbel6). Der Aufsatz ist also zwischen Mitte September und Mitte November 1842 niedergeschrieben worden. Eine der Hauptstützen des Herwegh- schen Unternehmens war Moses Heß, der Verfasser der bedeutsamsten Beiträge des Sammelbandes, — Herwegh hatte diese übrigens gleichfalls schon vor dem 24. November in Händen; die Annahme liegt nahe, daß es eben Moses Heß war, der Engels bei Gelegenheit ihrer Kölner Begeg¬ nung um die Oktobermitte6) zur Mitarbeit am „Deutschen Boten“ auf- forderte. Die Abfassungszeit des Aufsatzes fiele demnach in jene Wochen, die Engels vor seiner Übersiedlung nach England im Elternhaus in Bar¬ men verbrachte. Da die Herweghsche Zeitschrift für die Verbreitung in Deutschland und vor allem in Preußen berechnet war, mußten die Autoren bestrebt sein, allzu schroffe Wendungen und Urteile zu vermeiden. So ist denn auch dem Engelsschen Aufsatz eine gewisse Mäßigung des Tons anzuspü- In der 1929 erschienenen russischen Ausgabe dieses Bandes datierten wir den Aufsatz vom Juni—Juli 1842. 2) Vgl. Fleury, 1. c. p. 85 8) Siehe S. 345 4) Vgl. Fleury, p. 102 6) Vgl. W.Näf, S. 82 Fußn. «) Siehe oben S. LVIII—LIX V*
LXVIII Einleitung reu. Wo Engels das System Friedrich Wilhelms IV. als das ausgeführte System der Romantik darstellt, nimmt er den Gedanken des D. Fr. Strauß- schen Pamphlets „Der Romantiker auf dem Thron der Caesaren“ vorweg, worin der Autor des „Lebens Jesu“ den preußischen König in Gestalt Ju¬ lians des Abtrünnigen vorführt. Engels zieht eine andere historische Paral¬ lele — mit Ludwig XVI. ; doch unterläßt er mit Rücksicht auf die Zen¬ surverhältnisse eine breitere Entwicklung dieses Gedankens. Er hat ihn dann später, in den Aufsätzen über die „Revolution und Konterrevolu¬ tion in Deutschland“, ausgeführt, zu einer Zeit, als eine offenere Charak¬ teristik des preußischen Königs gegeben werden konnte. Trotz des gemäßigten Tons führt Engels die eingangs versprochene „rücksichtslose“ Beurteilung in re durch: zum Schlüsse resümiert er seine Analyse dahin, daß die Lage Preußens viel Ähnlichkeit habe mit der Lage Frankreichs vor der Revolution. XIV Preußen — Deutschland — geht einer baldigen bürgerlichen Revolution entgegen: in dieser Erkenntnis resümiert sich zuletzt die fast vierjährige publizistische Schriftstellerei des jungen Engels, unmittelbar bevor er den Boden Deutschlands auf anderthalb Jahre mit dem Englands ver¬ tauscht. England steht am Vorabend einer gewaltsamen sozialen Revolution: dies der leitende Gedanke, der sämtliche publizistischen Arbeiten be¬ herrscht, die er in England und über England schreibt; dies gilt schon von der ersten Korrespondenz, die er einige Tage nach der Ankunft in London an die Rheinische Zeitung sendet. Engels betrat den Boden von England kurz nach dem Zurückgehen der letzten Wellen jener mächtigen Streikbewegung, die im August 1842 fast über das ganze industrielle England hinweggegangen war. Hervor¬ gerufen durch die herausfordernde Taktik der Bourgeoisie, hatte sich die Bewegung unter dem Einfluß der Chartisten in einen politischen Massen¬ streik verwandelt. Es war dies zugleich auch der erste Versuch, den „hei¬ ligen Monat“ zur Erkämpfung der Volkscharte zu verwirklichen. Schon gegen Ende desselben Jahres mußten sich die Chartisten ihre Niederlage eingestehen. O’Connor und seine Genossen wurden verhaftet, doch bald wieder freigelassen, noch ehe es zur Gerichtsverhandlung kam (sie fand erst ein Jahr später statt). Für einige Zeit waren die Chartisten gezwun¬ gen, ihre Tätigkeit auf Propaganda und Agitation zu beschränken. Die Schlappe des Chartismus leitete ein Wiederaufleben der Gewerk¬ schaftsbewegung ein, sie belebte ebenso auch wieder die owenistische Richtung, die einen neuen Vorstoß zur Gewinnung der Massen unternahm:
Einleitung LXIX wenn früher Owen und seine Schüler ihre Werbearbeit auf die Eroberung der Trade Unions gerichtet hatten, so verstärkten sie jetzt die Propaganda zugunsten der Genossenschaften. „Ist in England eine Revolution möglich oder gar wahrscheinlich?“ Mit dieser Frage beginnt Engels seine Korrespondenzen für die Rhei¬ nische Zeitung. Die erste, noch in London geschrieben und vom 30. No¬ vember 1842 datiert, erschien am 9. und 10. Dezember. Die zweite, eben¬ falls noch aus London, trug das Datum des 3. Dezember und erschien einen Tag vor der ersten. Die übrigen, bereits „aus Lancashire“, d. h. aus Manchester eingesandt, wurden in den Nummern vom 24., 25. und 27. Dezember 1842 abgedruckt1). Schon der erste dieser Beiträge erklärt jede andere als eine soziale Revolution in England für unmöglich. Der zweite legt dar, daß die Mit¬ telklasse nur zu den Whigs oder zu den Tories, keineswegs zu den Char¬ tisten stoßen könne. In der dritten Korrespondenz versucht Engels zwi¬ schen den englischen und den deutschen Parteien eine Parallele zu ziehen, indem er die Tories mit der Partei des „Politischen Wochenblatts“ und der historischen Rechtsschule vergleicht. Er zeigt zugleich den Wesens¬ unterschied zwischen den von den Whigs geführten englischen Mittel¬ klassen und dem Mittelstand in Deutschland, zu welchem die Handwerker und Bauern gehören. Die dritte, die radikal-demokratische Partei, stütze sich auf die Arbeiterklasse, sei aber erst in der Bildung begriffen. Deutsch¬ land habe im Gegensatz zu England keine so zahlreiche Klasse von Fabrik¬ arbeitern aufzuweisen. Darauf folgt eine Charakteristik der „Übergangs¬ nuancen“, zu welchen Engels die künftigen Peel-Anhänger und die Gruppe um Cobden und Bright, die Freihändler und Gegner der Kom- gesetze, rechnet. Seine weiteren Perspektiven für die kommenden parla¬ mentarischen Kombinationen haben sich später im allgemeinen bewahr¬ heitet. Die beiden letzten Berichte behandeln die Haltung der Arbeiter¬ klasse im Kampfe gegen die Komgesetze. Engels’ Versprechen, die Tätig¬ keit der Anti-Corn-Law-League darzustellen, blieb unerfüllt. Die letzte dieser Korrespondenzen für die Rheinische Zeitung ist vom 22. Dezember datiert. Warum stellte Engels seine Beiträge für das Blatt, das doch noch bis Ende März erschien, so plötzlich ein? Möglich, daß die um die Jahreswende 1842/43 eingetretene Verschärfung der preußischen Zensur und das bald — am 21. Januar — ausgesprochene Verbot der Rheinischen Zeitung die Ursache war. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß das Aufhören der Engelsschen Beiträge mit dem inzwischen erfolgten endgültigen Bruch zwischen den „Freien“ und1 der Rheinischen Zeitung im Zusammenhänge steht. Wie wir oben2) schon gesagt haben, war zu dem i) Siehe S. 351—364 2) S.LX-LXI
LXX Einleitung Zeitpunkt, als Engels bei seinem zweiten Besuch in der Redaktion des Blattes mit Marx seine erste „sehr kühle“ Begegnung hatte, das Verhältnis zwischen den „Freien“ und dem Blatte zwar schon sehr gespannt, ein Bruch aber noch nicht erfolgt; dieser wurde erst Tatsache, als Marx am 29. November 1842 die bekannte Notiz über „Herweghs und Ruges Ver¬ hältnis zu den Freien“ abdruckte1). Die „Freien“ sprachen nun den Boy¬ kott über die Rheinische Zeitung aus2). Es kann nun angenommen wer¬ den, daß Engels von seinen Berliner Freunden — und zwar wohl von Edgar Bauer — über den Bruch informiert, ja vielleicht sogar direkt auf- gefordert worden ist, seine Tätigkeit für die Rheinische Zeitung einzu¬ stellen, und daß Engels sich dann in der Tat mit den „Freien“ solidari¬ siert hat. Nach dem Aufhören der Rheinischen Zeitung und der Deutschen Jahr¬ bücher gab es in Deutschland selbst kein einziges Organ mehr, das Engels’ Freunden zur Verfügung gestanden hätte. Ruge und Marx waren erst dabei, den Plan einer neuen Zeitschrift auszuarbeiten, und es verging noch mancher Monat, bis dieser Plan Wirklichkeit gewann. In der Zwi¬ schenzeit blieb als das einzige, schon zum Sozialismus hinneigende Organ der „Schweizerische Republikaner“ in Zürich; Redakteur dieses Blattes war Julius Fröbel, derselbe, der als Leiter des „Literari¬ schen Comptoirs“ auch Ruges „Anekdota“ und Herweghs „Einund¬ zwanzig Bogen aus der Schweiz“ verlegte. An den „Schweizerischen Re¬ publikaner“ sandte Engels im Mai und Juni 1843 insgesamt vier Korre¬ spondenzen3), die, obwohl bestimmt aus Manchester geschrieben, von der Redaktion als „B r i e f e aus London“ abgedruckt wurden. Im Zeitraum seit seiner letzten Korrespondenz für die Rheinische Zei¬ tung hatte Engels bedeutende Fortschritte gemacht. Man merkt, daß er inzwischen Zeit gefunden hatte, die Hauptwerke der englischen politischen Literatur kennen zu lernen und sich gründlich an das Studium der poli¬ tischen Ökonomie zu machen. Auch war er mit einigen führenden So¬ zialisten und Chartisten persönlich bekannt geworden. Die „Briefe aus London“ enthalten wohl manche starke Übertreibung, doch geben sie von dem geistigen und materiellen Leben der englischen Arbeiter bereits ein Bild, aus dem Engels dann später manchen charakteristischen Zug und manche Tatsache in sein Buch über die „Lage der arbeitenden Klasse in England“ übernehmen konnte. Engels’ Mitarbeit am „Schweizerischen Republikaner“ fand dann ein jähes Ende. Weitlings Verhaftung in Zürich und die Panik, von der die Ü Siehe Bd. 1/1 der Gesamtausgabe, S. 309 2) Im Laufe des Monats Dezember verschwanden, von zwei oder drei Ausnah¬ men abgesehen, sämtliche alten Chiffres aus den Berliner Korrespondenzen, um ganz neuen Zeichen Platz zu machen. 3) Siehe S. 365—376
Einleitung LXXI Züricher Bourgeois ergriffen wurden, wirkten sich auch auf die Geschicke des „Schweizerischen Republikaners“ aus, zumal da dessen Mitarbeiter Bakunin und der Redakteur Fröbel selbst in die Weitlingsche Affäre ver¬ wickelt waren. Fröbel mußte die Leitung der Zeitschrift auf geben. XV Aus Herweghs Briefwechsel ist bekannt, daß Engels im September 1843 auf den Kontinent heriiberkam und in Ostende mit Herwegh, übri¬ gens auch mit dem Historiker Gervinus zusammentraf1), der ihm seine Ideen über die Begründung der deutschen Einheit unter der Hegemonie eines konstitutionellen Preußen auseinandersetzte2). Von Herwegh konnte er über die von Marx und Ruge geplanten Deutsch-Französischen Jahr¬ bücher näheres erfahren, ebenso manches über die neuen Stimmungen unter seinen alten Freunden hören. Bald begann er denn auch für die Deutsch-Französischen Jahrbücher zu schreiben. Von wem er zur Mitarbeit auf gefordert worden ist, läßt sich nicht mit völliger Bestimmtheit feststellen. Vielleicht von Herwegh, der ja da¬ mals mit Fröbel und Ruge aufs engste verbunden war. Aber auch Ruge kannte, wie wir wissen, Engels’ Leistungen und Fähigkeiten und wußte ihn genügend zu schätzen, um ihn von sich aus um Mitarbeit anzugehen. Die geringste Wahrscheinlichkeit scheint uns dafür zu sprechen, daß diese Aufforderung von Marx gekommen sei3). Engels’ spätere Angabe, daß er und Marx „seit der gemeinsamen Arbeit an den Deutsch-Französischen Jahrbüchern in Briefwechsel getreten“ seienspricht nicht für diese An¬ nahme, noch weniger Marxens Bericht, wonach er mit Engels „seit dem Erscheinen“ der „Umrisse“ in den Deutsch-Französischen Jahrbüchern „einen steten schriftlichen Ideenaustausch unterhielt“5). Wie dem immer sei, der Gang der Dinge fügte es, daß die bedeutendsten Aufsätze der neuen Zeitschrift von den beiden künftigen Freunden geschrieben wur¬ den. Die Engelsschen Beiträge erregten allgemeine Aufmerksamkeit. Wer den Autor noch von den „Oswald“-Artikeln her kannte, dem mußte so¬ 1) Vgl. „1848. Briefe von und an Herwegh.“ Hg. v. Marcel Herwegh. Mün¬ chen 1896. S. 88 2) Vgl. Engels, Gewalt und Ökonomie bei der Herstellung des neuen Deut¬ schen Reiches. Zuerst abgedruckt in der Neuen Zeit, Jg. 14, Bd. 1 (1895/96), S. 710 Fußn. — Acht Jahre später, als Engels in dem vom September 1851 datierten dritten Artikel der für The New York Tribune verfaßten Aufsatzreihe auf den Plan der „Gothaer“ zur „kleindeutschen“ Lösung der Nationalfrage zu sprechen kam, be¬ zeichnete er Gervinus als den Erfinder dieses Planes; sicherlich hatte er dabei auch die genannte Unterredung in Ostende in Erinnerung. 3) Wie Gustav Mayer in seiner Engels-Biographie (Bd. I, S. 157) meint. 4) Siehe Engels’ Artikel im Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Bd. VI, Jena 1892. S. 1130 ff. 5) Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, im Vorwort (1859)
LXXII Einleitung gleich der gewaltige Unterschied auffallen, der zwischen seinen Arbeiten von 1842 und von 1844 bestand. Ein interessantes Zeugnis dafür wird von G. Mayer aus dem Jacoby-Archiv angeführt: „Engels hat an sich selbst ein wahres Wunder vollbracht — so schreibt der Berliner Arzt Dr. Julius Waldeck an Johann Jacoby —, wenn man die Gereiftheit und Männlich¬ keit seiner Gedanken und seines Stils gegen sein vorjähriges Wesen hält.“1 ) In beiden Aufsätzen erscheinen in der Tat zum erstenmal die Ergeb¬ nisse, die Engels aus dem eindringlichen Studium des Lebens und Trei¬ bens der großen industriellen Zentren Englands gewonnen hatte. Die „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökono¬ mie“2) hat Marx im Vorwort zur „Kritik der politischen Ökonomie“ eine „geniale Skizze zur Kritik der ökonomischen Kategorien“ genannt. Hauptsächlich auf Proudhon, Fourier und Owen gestützt, manche Ge¬ dankengänge aber konsequent weiter entwickelnd, zeigte Engels in selb¬ ständiger Darstellung schon jetzt, wie fruchtbar in der politischen Öko¬ nomie die Anwendung der Hegelschen Dialektik auf die Tatsachen der Gesellschaft sei. Zuweilen beschränkt er sich allerdings auf bloße ethische Urteile und auf den Nachweis des Widerspruchs zwischen Ideal und Wirklichkeit, statt die inneren Widersprüche dieser Wirklichkeit selbst und damit die Dialektik der bürgerlichen Gesellschaftsverhältnisse zu enthüllen. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen, daß Engels mit dieser ökonomischen Untersuchung auf Marx anregend eingewirkt, dem theoretischen Denken dessen, der kurz darauf sein Freund für immer werden sollte, einen bedeutsamen Anstoß gegeben hat. Aus diesem Grunde ist die Bedeutung des Aufsatzes für die Ent¬ stehungsgeschichte des Marxismus außerordentlich groß; daran ändert A) G. Mayer, Friedrich Engels in seiner Frühzeit... S. 181. — Von Interesse ist auch eine Äußerung Friedrich Hebbels über die Deutsch-Französischen Jahr¬ bücher und speziell über die Engelsschen Aufsätze; er schreibt in einem Brief vom 2. April 1844 aus Paris: Diese Jahrbücher enthalten „zwei ausgezeichnete Aufsätze von einem Preußen, Friedrich Engels in Manchester; die Lage Englands, tmd Kritik der National-Ökonomie, wovon namentlich der letztere die ungeheure Unsittlichkeit, worauf aller Handel der Welt basiert ist, bloß legt. Für mein letztes Drama: „zu irgend einer Zeit“ hatte ich mir, nebst anderen Konsequenzen, die mit der Zeit aus der jetzigen Weltlage hervorgehen, auch die notiert, daß, so wie jetzt die Kindes-Mörderinnen bestraft werden, sie dann eine Belohnung erhalten und daß Staatsanstalten existieren müßten, worin die Kinder der Pauperisten getötet würden. Es steht in meiner Schreibtafel. Zu meinem größten Erstaunen lernte ich nun aus dem Engelsschen Aufsatz über Na¬ tional-Ökonomie, daß der berühmte National-Ökonom M a 11 h u s dies schon wirk¬ lich in Vorschlag gebracht, meine Phantasie also zur Nachhinkerin seines Verstan¬ des gemacht hat. Es war mir lieb, denn ich sehe doch daraus, daß ich unser jetzi¬ ges soziales Prinzip richtig gefaßt habe.“ (Fr. Hebbel, Sämtliche Briefe. Histo¬ risch-kritische Ausgabe von R. M. Werner. Bd. III, S. 73 f.) Schon Oncken hat 1921, in einem Aufsatz über G. Mayers Engels-Biographie, auf die zitierte Hebbel- sche Äußerung hingewiesen. (H. Oncken, Friedrich Engels und die Anfänge des deutschen Kommunismus. Historische Zeitschrift, Bd. 123, S. 239ff.) 2) Siehe S. 379—404
Einleitung LXXIII nicht das geringste die Tatsache, daß später, im Jahre 1871, Engels selbst — in einem Briefe an Liebknecht — von dem Aufsatz erklärt hat, er sei seinem theoretischen Inhalt nach „ganz veraltet und voller Un¬ richtigkeiten“1). Liebknecht wollte damals die „Umrisse“ im Zentral¬ organ der Partei, im Leipziger „Volksstaat“, wieder abdrucken; Engels meinte aber: „das Ding... hat nur noch Wert als historisches Akten¬ stück“; es im Parteiorgan abzudrucken, „geht absolut nicht“, schon wegen der „Hegelschen Manier“, die „absolut nicht mehr paßt“, vor allem aber wegen der vielen „Unrichtigkeiten, die die Leute nur konfus machen würden“. Sicherlich hatte er dabei vor allem jene These im Auge, wonach „der Arbeit nur das Allemotdürftigste, die nackten Sub¬ sistenzmittel zufallen“2), also die erst von Marx im „Kapital“ richtig¬ gestellte Auffassung, die unter dem Namen des „ehernen Lohngesetzes“ in dem Streit zwischen den Lassalleanem und den Eisenachern eine so große Rolle gespielt hat8). Trotz dieser und vieler anderer veralteten und unrichtigen Ausführungen bleibt der Aufsatz eine „geniale Skizze“; er verwies Marx unmittelbar auf die politische Ökonomie; er machte Epoche in der Genesis der marxistischen Lehre. Der andere Engelssche Beitrag für die Deutsch-Französischen Jahr¬ bücher, der Aufsatz über „D i e Lag e Englands“4), ist, wie aus den ersten Zeilen ersichtlich6), schon im Jahre 1844 geschrieben. Da die „Jahrbücher“ Ende Februar schon unter der Presse waren, so kommt für die Abfassungszeit dieses Aufsatzes nur der Januar in Betracht. Car¬ lyles sozialpolitische Pamphlets mit ihrer bitteren Kritik an den Zuständen Englands machten auf Engels starken Eindruck; schon in den „Um¬ rissen“ finden sich — in der Beurteilung Malthus’ — Anklänge an Car- lylesche Ideen. Noch in dem späteren Werk über die „Lage der arbei¬ tenden Klasse in England“ fühlt man Carlyles Einfluß. Nach der Revo¬ lution von 1848, als sich Carlyle in einen Durchschnitts-Konservativen und Apologeten des „geheiligten Despotismus“ verwandelt hatte, wird dann Engels’ und Marxens Verhalten zu ihm durchaus negativ. In der Kritik der geschichtsphilosophischen Ansichten Carlyles, die im letzten Teil des Aufsatzes gegeben wird, lehnt sich Engels noch an Bruno Bauer und insbesondere an Feuerbach an. Man weiß, welch be¬ geisterter „Feuerbachianer“ Engels nach dem Erscheinen des „Wesens des Christentums“ geworden war. Als das A und 0 der Philosophie gilt ihm *) Dieser — undatierte — Brief ist wahrscheinlich Anfang April 1871 geschrie¬ ben. (Unterstreichung von Engels.) 2) Siehe S. 401 3) Vgl. Engels’ Anmerkung aus dem Jahre 1884 zu der deutschen Ausgabe von Marxens Werk „Misère de la Philosophie“. (In der Dietzschen Ausgabe S. 24) 4) Siehe S. 405—431 5) Carlyles Buch „Past and Present“4 wird dort unter die „im vergangenen Jahr“ erschienenen Schriften gerechnet (S. 405).
LXXIV Einleitung zwischen 1843 und 1845 das anthropologische Prinzip.1) Die hohe Ein¬ schätzung Goethes zeigt Engels in diesem Punkt schon von dem Böme- schen Einfluß befreit Die Kritik des Carlyleschen Heroenkultus, der Carlyleschen Scheidung der Menschen in Schafe und Böcke, bereitet schon die kommende Kritik an Bruno Bauers späterer Lehre vom „Hel¬ den“ und von der „Masse“ vor. Engels schließt diesen Aufsatz mit dem Versprechen, in den folgenden Heften der Zeitschrift „genauer auf die Lage Englands und ihren Kem, die Lage der arbeitenden Klasse“, einzugehen, weil nämlich die Verhält¬ nisse dieses Landes „von der unermeßlichsten Bedeutung für die Ge¬ schichte und für alle andern Länder“ seien.2) Er führte dies Vorhaben in der Tat aus, — allerdings nicht in den Deutsch-Französischen Jahr¬ büchern, die mit ihrem ersten Doppelheft zu erscheinen aufhörten. Zum „Kern“ der Frage kam er erst in seinem großen Werke vom Jahre 1845. Aber schon vordem schrieb er eingehende Studien über die „Lage Eng¬ lands“, die er in einem seit Anfang 1844 in Paris erscheinenden deut¬ schen Blatt, im „Vorwärts“, publizierte. Da sie jedoch frühestens im Juni 1844 geschrieben und mehrere Monate später, im September und Oktober 1844, erschienen sind, gehören diese Beiträge für den Pariser „Vorwärts“ nicht mehr in den vorliegenden Band, der, ganz entsprechend dem Plane des ersten Bandes unserer Gesamtausgabe, durch die Periode der Deutsch-Französischen Jahrbücher und den unmittelbar darauf fol¬ genden Ideenaustausch zwischen Marx und Engels begrenzt sein soll. XVI In den vorliegenden Band gehören dagegen noch einige Artikel, die Engels — zum Teil noch vor der Zeit des Aufsatzes über Carlyle — für ein englisches sozialistisches Blatt schrieb. Bis zum Herbst 1843 hatte er sich schon so eng mit den englischen Sozialisten befreundet, daß er sie über die Erfolge des Sozialismus und Kommunismus auf dem Kon¬ tinent unterrichten zu müssen glaubte. Er tat dies im Zentralorgan der Owenisten, „The New Moral Worl d“, zu dem er, wahrscheinlich durch John Watts, Beziehungen angeknüpft hatte. Das noch im Jahr 1834 begründete Blatt hatte, die alte Bezeichnung als Hauptnamen weiterfüh¬ rend, zur Unterstreichung der neuen Richtung einen zusätzlichen Titel an¬ genommen und nannte sich seit Juli 1839 „The New Moral World, or Gazette of the Universal Comunity Society or Rational Religionisits“, seit Juli 1842 „The New Moral World and Gazette of the Rational Society“. 1) Ein Vergleich der Engelsschen Anschauungen mit denen von Éernyèev« s k i j , der bis ans Ende seiner Tage in seinem Enthusiasmus für Feuerbach ver¬ harrte, wäre sehr interessant und aufschlußreich. 2) Siehe S. 431
Einleitung LXXV Engels’ Mitarbeit dauert insgesamt vom November 1843 bis zum Mai 1845. Es handelt sich aber um drei verschiedene Perioden dieser Mit¬ arbeit. In diesen Band gehören nur die vier Artikel der ersten Periode, deren frühester am 4. November 1843 und deren letzter am 3. Februar 1844 erschienen ist. Der Aufsatz „Progress of Social Reform on the Con¬ tinent“ („I. France“)1) erschien am 4. November 1843. Gleich in den ersten Sätzen überrascht die hohe Zahl der Kommunisten, die Engels für Frankreich annimmt. Es ist dies eine jener Übertreibungen, denen wir auch in Engels’ Briefen aus England begegnen. Den Unterschied zwischen Frankreich, England und Deutschland als Ländern, die sich jedes auf seinem besonderen Weg ein und derselben, für alle unausweichlichen so¬ zialen Revolution nähern, hatte schon früher Moses Heß behandelt, der ebenfalls die Notwendigkeit eines Bündnisses zwischen den drei Nationen unterstrich. Schon in diesem Artikel — früher als Marx — bekennt sich Engels als entschiedenen Kommunisten, dem eine radikale Revolution, die das Privateigentum beseitigen werde, notwendig und unausweichlich scheint Der Kommunismus folgt ihm nicht aus irgendwelchen Voraussetzungen, die dieser oder jener Nation, z. B der englischen, eigentümlich wären, sondern ist das notwendige Resultat aus allen durch die moderne Zivili¬ sation geschaffenen Bedingungen. Er betrachtet also die kommunistischen Bewegungen in den einzelnen Ländern als voneinander unabhängig sich entwickelnde nationale Bewegungen, deren gemeinsame Grundlage inter- naionalen Wesens ist Er betont die Notwendigkeit der gegenseitigen in¬ ternationalen Fühlungnahme, aber ohne daß er schon dem Gedanken der gemeinsamen, internationalen Aktion Ausdruck gäbe. Engels beginnt die Darstellung des „Progress of Social Reform on the Continent“ mit der Geschichte des Sozialismus in Frankreich, weil ihm dieses Land dazu berufen scheint, alle politischen Entwicklungs¬ formen zu durchschreiten, bevor es zu demselben Endergebnis gelange, zu dem schließlich auf verschiedenen Wegen alle Nationen kommen mü߬ ten : zum Kommunismus. In der Kritik der Demokratie ist in der Form des Protests gegen jede Art von Staatswesen noch ein anarchistisches Element spürbar. Kenn¬ zeichnend ist die Gegenüberstellung Napoleon-Babeuf. Leider wird die „rohe und oberflächliche Art“ des babouvistischen Kommunismus — den Engels als dem englischen Leser bekannt voraussetzt — nicht näher unter¬ sucht. Den Saint-Simonismus betrachtet Engels als eine vom sozialen Schauplatz bereits „verschwundene“ Lehre. Einige Vertreter des Jungen i) Siehe S. 435 ff.
LXXVI Einleitung Deutschland, besonders Gutzkow, und später Heß, hatten ihm wohl ge¬ wisse Elemente aus dieser Lehre vermittelt, aber schon stößt ihn der saint-simonistische „Mystizismus“ ab, dem er als einer „sozialen Poesie“ die ernste, wissenschaftliche „soziale Philosophie“ Fouriers entgegenhält. Die alten Sympathien für seinen Lehrer verrät er auch hier wieder, wo er Börnes Kritik an dem saint-simonistischen Distributionsprinzip an¬ führt. Bei Fourier hebt er dieselben Grundsätze hervor, die viele Jahre später Cernysevskij gegen Mill vorgebracht, — dieselben, die Engels selbst späterhin in der Kritik der bürgerlichen politischen Ökonomie an¬ geführt hat Engels kennt bereits die „Travailleurs égalitaires“ und andere babouvistische Geheimgesellschaften aus der Epoche der Juli¬ monarchie. Er erwähnt auch die Organisation Blanquis, ohne dessen Na¬ men zu nennen. Das begeisterte Lob, das er Proudhon erteilt, weist auf eine andere Quelle der in den „Umrissen“ enthaltenen Kritik am Privat¬ eigentum und an den Folgen der freien Konkurrenz hin. Die Fortsetzung des Artikels: „G e r m a n y a n d S w i t zer 1 a n d“1), in The New Moral World am 18. November 1843 unter besonderem Titel erschienen, ist für die Geschichte des deutschen Kommunismus von außer¬ ordentlicher Bedeutung. Sie bezeichnet den Höhepunkt, den die Entwick¬ lung des deutschen Kommunismus vor Marxens Auftreten in den Deutsch- Französischen Jahrbüchern erreicht hat,und macht es darum allein mög¬ lich, das Neue zu bestimmen, das Marx in die Bewegung gebracht hat. Engels zieht zwischen dem Kommunismus der Arbeiterklasse und dem philosophischen Kommunismus der revolutionären Intelligenz einen scharfen Trennungsstrich, — wenigstens behandelt er die beiden Bewe¬ gungen voneinander völlig getrennt, ohne auch nur mit einem Worte die Möglichkeit oder Notwendigkeit ihrer Verschmelzung anzudeuten. Er erkennt zwar schon die Verdienste Weitlings, den er den „Begründer des deutschen Kommunismus“ nennt, schreibt aber der Weitlingschen Bewe¬ gung, die wegen des Fehlens einer hoch entwickelten Industrie in Deutsch¬ land ihre Anhänger nur unter den Handwerksgesellen rekrutieren kann, offenbar keine große Bedeutung zu. Überdies betrachtet er das Bestreben, den Kommunismus mit dem Christentum zu verbinden — ein Punkt, den er ebenso an Cabet rügt —, als eine theoretische Unzulänglichkeit der Weitlingschen Lehre. Sehr eingehend untersucht Engels die geschichtlichen Wurzeln des philosophischen Kommunismus. Dieser stellt sich ihm als logische Folge der philosophischen Entwicklung in Deutschland dar, die von Kant über Fichte und Schelling zu Hegel geführt hat. Er spricht weiter von der Spal¬ tung der Hegelschen Schule, die, durch David Friedrich Strauß’ „Leben 0 Siehe S. 443 ff.
Einleitung LXXVII Jesu“ hervorgerufen, zu heftigen Attacken der „christlichen“ gegen die „neuen Hegelianer“ das Signal gegeben hat. Er betont die theoretische Verzagtheit der Junghegelianer. Auf seine eigene Schrift gegen „Schel¬ ling und die Offenbarung“ anspielend, fügt er hinzu: erst im Vorjahre habe er, „Autor dieser Zeilen“, in einem Pamphlet den — gegen die Jung¬ hegelianer erhobenen — Vorwurf des Atheismus als begründet dargestellt. Des weiteren skizziert Engels die Bewegung von 1842. Das „political paper“, von dem er spricht, vorerst ohne es beim Namen zu nennen, ist die Rheinische Zeitung; die Pamphlets, mit denen die Junghegelianer das Land „überschwemmt“ haben, sind uns schon bekannt. Die Angabe, daß im Herbst 1842 einige Vertreter der atheistischen und republikanischen Partei mit der Erklärung auf getreten seien, bloße politische Reformen genügten nicht mehr und nur eine soziale Revolution mit der Beseiti¬ gung des Privateigentums sei die ihren abstrakten Grundthesen einzig entsprechende Ordnung, — bezieht sich vor allem auf Heß, der ver¬ mittelst einiger seiner Artikel den Kommunismus in die Rheinische Zei¬ tung „eingeschwärzt“ hatte1). Wie wenig jedoch 1843 der „philoso¬ phische Kommunismus“ noch entwickelt war, geht schon daraus hervor, daß Engels neben Heß, dem „first communist of the party“, auch Arnold Ruge unter die Kommunisten rechnet. Außer diesen beiden wird aus dem Kreis der zu Kommunisten gewordenen Junghegelianer namentlich noch Marx und Herwegh erwähnt. Alle Genannten waren damals direkt be¬ teiligt an der Vorbereitung der „neuen Zeitschrift“, von der Engels am Schlüsse des Artikels spricht2); die Deutsch-Französischen Jahrbücher sollten also nach Engels’ Meinung ein kommunistisches Kampf organ, ein Organ der kommunistischen Propaganda werden. Dem Heßschen Einflüsse ist auch die in Engels’ Artikel so deutlich ausgesprochene Illusion zuzuschreiben, daß in keinem Lande unter den gebildeten Ständen für die Schaffung einer kommunistischen Partei mehr Aussicht bestehe als gerade in Deutschland. Engels’ Argumentation er¬ innert hier verblüffend an die wohlbekannte Apologie der russischen In¬ telligenz, die auch ihre „eigene Statur“ besitzen wollte. Im Gefühl seiner philosophischen Überlegenheit über die englischen Sozialisten gibt Engels gleichwohl zu, daß in allen Fragen der Praxis und des gesellschaftlichen Wirkens die englischen Sozialisten den deutschen voraus seien, letztere daher bei ihren englischen Kameraden noch manches zu lernen hätten. 9 So Heß’ eigener Ausdruck; vgl. seinen Aufsatz „Über die sozialistische Be¬ wegung in Deutschland“ in den Neuen Anekdota, hg. v. Karl Grün. Darmstadt 1845. S. 188ff. (Wiederabdruck: Moses Heß, Sozialistische Aufsätze. Hg. v. Th. Zlocisti. Berlin 1921. S. 103ff.) 2) Siehe S. 449
LXXVIII Einleitung Als The New Moral World ganz unerwartet einen Artikel der Times über den deutschen Kommunismus abdruckt, wendet sich Engels unver¬ züglich mit einem — am 20. Januar 1844 veröffentlichten — Brief an die Redaktion („The ,Times6 on German Communism“) 1>, worin er dem Korrespondenten der Times wohl ganz richtig eine ganze Reihe von Fehlern nach weist, aber an seinen übertriebenen Angaben über die Stärke der kommunistischen Bewegung in Frankreich festhält. Seine Äußerung, er sei mit aktiven Teilnehmern des Maiaufstands von 1839 persönlich bekannt, zwingt zu der Annahme, daß er schon damals mit Schapper, Bauer und Moll, den Führern des 1840 gegründeten Londoner kommunistischen ArbeiterinIdungs-Vereins bekannt geworden ist. Vier Jahrzehnte später berichtet Engels darüber: „Ich lernte sie alle drei [Schapper, Bauer und Moll] 1843 in London kennen; es waren die ersten revolutionären Proletarier, die ich sah; und soweit auch im Einzelnen damals unsre Ansichten auseinandergingen — denn ich trug ihrem bor¬ nierten Gleichheitskommunismus damals noch ein gut Stück ebenso bor¬ nierten philosophischen Hochmuts entgegen — so werde ich doch nie den imponierenden Eindruck vergessen, den diese drei wirklichen Männer auf mich machten, der ich damals eben erst ein Mann werden wollte.66 2) In der Tat, in dem November-Artikel haben wir den „philosophischen Kommunismus66 dem „Gleichheitskommunismus66 mit Schärfe, ja „Hoch¬ mut66 entgegengestellt gesehen. Einen in seiner Korespondenz vom 13. Januar enthaltenen Irrtum in bezug auf den Abbé Constant berichtigte Engels in einem besonderen Schreiben vom 28. Januar 1844, das am 3. Februar unter dem Titel „French Communis m“ 3> in New Moral World erschien. Es ergibt sich daraus — und dies ist bemerkenswert —, daß Engels mit dem damals weit berühmten, zu jener Zeit noch revolutionären und kommunistischen Prediger und Propagandisten Goodwyn Barmby persönlich bekannt ge¬ wesen ist. Barmby hatte 1840 mehrere Monate in Paris geweilt; er konnte also Engels tatsächlich auf Grund eigener Kenntnis über die kommuni¬ stische Bewegung in Paris informiert haben. Gleichzeitig mit der genannten Berichtigung sandte Engels eine kleine Korrespondenz über einige neuere Vorgänge in der kommunistischen Bewegung des Kontinents; sie wurde am gleichen Tage unter dem Titel „Continental Movements“4) abgedruckt. Siehe S 450 ff. Der Brief ist (wie aus S. 454 6 ersichtlich) am 13. Januar geschrieben. 2) Engels in der (aus London, 8. Oktober 1885 datierten) Einleitung zu Karl Marx, Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln. Hottingen-Zürich, 1885. S. 4. — In der Mehringschen Ausgabe (Berlin 1914) S. 31 3) Siehe S. 454 4) Siehe S. 455
Einleitung LXXIX Das hier ausgesprochene wohlwollende Urteil über Suei’s „Mystères de Paris“ hat Engels unter dem Einflüsse von Marx dann sehr bald ge¬ ändert. Durchaus richtig ist vermerkt, daß im Jahre 1843 in der deutschen Presse ein Interesse für die Schicksale der Besitzlosen zu erwachen begann. Zum Schlüsse erwähnt Engels wiederum — wie im November — die Deutsch-Französischen Jahrbücher, die neue Zeitschrift von Dr. Ruge und Dr. Marx, die eine „radikale gesellschaftliche Reform befürworten“ werde; der — bekanntlich fehlgeschlagene — Plan, in diesen Jahrbüchern Beiträge von französischen und deutschen Autoren zu vereinigen, wird registriert, ohne daß der Gedanke einer internationalen sozialistischen Aktion besonders betont würde. Das nächste halbe Jahr verwandte Engels vor allem zu Studien und Beobachtungen über die „Lage Englands und ihren Kern, die Lage der arbeitenden Klasse“1), aus denen zunächst die erwähnten Beiträge für den Pariser „Vorwärts“, später das große Werk über das englische Proletariat hervorgingen. Während dieser Zeit schrieb er für The New Moral World nichts. Sein nächster Beitrag darin erschien erst zu Anfang Oktober 1844: eine kleine Korrespondenz, die er schon aus Barmen sandte, nachdem er kurz vorher auf der Heimreise aus England zehn Tage in Paris verbracht und seinen Anteil für die „Heilige Familie“ fertiggestellt hatte, — für das erste literarische Erzeugnis der eben geschlossenen Arbeitsgemein¬ schaft mit Karl Marx. XVII Im zweiten Teil unseres Bandes bringen wir Handschrift¬ liches, BriefeundDokument e.2) Wir haben den Inhalt dieses Teils schon oben skizziert; wir haben insbesondere im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte der Jung-Engelsschen Schriften auf die Briefsammlung mehrfach hingewiesen. Von diesen Briefen war durchaus der größte Teil schon publiziert3) und der Forschung bekannt. Herr Emil Engels in Engelskirchen, in dessen Besitz sich heute der größte Teil der Briefe und Handschriften be¬ findet, erlaubte uns freundlich, die Originale photographisch aufzuneh¬ men; auch an dieser Stelle sei dafür unser Dank ausgesprochen; des¬ gleichen gebührt unser Dank der Familie Mittelstenscheid in Barmen, die uns den vollständigen Abdruck der Briefe an die Schwester Marie4) ermöglichte. O Vgl. S. 431 2) S. 457—635 8) Vgl. das Verzeichnis der ersten Wiederabdrucke, bzw. Erstveröffentlichungen, S.66H. 4) Gustav Mayer hatte im Jahre 1920 nur 13 von diesen 29 Briefen veröffentlicht.
LXXX Einleitung Die beiden großen Briefreihen tragen in bedeutendem Maße dazu bei, den äußeren Lebensgang des jungen Engels, die Entstehungsgeschichte seiner frühen Schriften, die geistige Entwicklung seiner Frühzeit zu er¬ hellen. Die Briefe an die Freunde machen insbesondere den Prozeß an¬ schaulich, in dessen Verlauf sich Engels von der pietistischen Weltan¬ schauung, von der Überlieferung seines elterlichen Hauses befreite. Die vielen kritischen und poetischen Versuche, die in die Briefe an die Freunde wie an die Schwester eingeflochten sind, können als nicht unwesentliche Ergänzung zu den gedruckten Arbeiten aus derselben Periode genommen werden. Früheren Datums sind die wenigen literarischen Arbeiten, die sich handschriftlich im Engelskirchener Familienarchiv erhalten haben. Am umfangreichsten ist die schon genannte „Seeräubergeschichte“1), die noch während der Schulzeit, wohl im letzten Schuljahre — also etwa Anfang 1837 — entstanden sein muß. Gustav Mayer schloß diese litera¬ risch bedeutungslose, jeder persönlichen Note entbehrende Skizze aus seiner Auswahl-Ausgabe — den „Schriften der Frühzeit“ — mit Recht aus; in einer Gesamtausgabe durfte sie jedoch nicht fehlen, um so weniger, als sie immerhin die philhellenische Begeisterung des achtzehnjährigen Gymnasiasten dokumentiert und darum biographisch von Interesse ist. Auch wir verzichten jedoch auf den Abdruck eines erhalten gebliebe¬ nen Schulheftes, in dem Engels die Vorträge seines Geschichtslehrers Clausen, dieses „tüchtigsten Mannes in der ganzen Schule“2), über alte Geschichte „von Erschaffung der Welt bis auf den Peloponnesischen Krieg 4000—401“ sehr sorgfältig ausgearbeitet hat; auf die Wiedergabe der zahlreichen darin enthaltenen Pläne und Zeichnungen meinten wir gleich¬ falls verzichten zu dürfen; ohnehin werden durch die Zeichnungen in den Briefen — wir reproduzierten sie restlos — ferner durch das Bild der „Freien“ die zeichnerischen Künste des jungen Engels genügend charak¬ terisiert Die interessanteste von den Zeichnungen des Schulhefts ist ein Bild der „colossalen Sphinx bei Cairo“, — die Sphinx trägt unverkenn¬ bar die Gesichtszüge des jungen Engels.3) Im handschriftlichen Nachlaß von Marx und Engels — und zwar in dem bis Ende 1924 bei Eduard Bernstein aufbewahrten Teil — fand sich inmitten der Manuskripte der „Deutschen Ideologie“ noch ein Studien¬ heft, das aus der von diesem Bande umfaßten Periode, nämlich aus der Berliner Militärzeit stammt und betitelt ist: „Studien zur Kritik der Evangelien“. Es enthält sehr gedrängte, häufig nur stichwort¬ artige Auszüge aus dem Mitte Juli 1841 erschienenen ersten Band von 1) Siehe S. 465 ff. 2) Vgl. S. 36 8) Vgl. Tafel X
Einleitung LXXXI Bruno Bauers „Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker“ ; ver¬ hältnismäßig am ausführlichsten ist die „Beilage“ über „Die messiani¬ schen Erwartungen der Juden zur Zeit Jesu“ D exzerpiert. Die Auszüge aus dem ersten Bande der „Synoptiker“ füllen die ersten sieben Seiten des Heftes; danach fehlen 1—2 Blätter, die übrigen 17 beschriebenen Seiten enthalten Notizen, Stichworte, Zitate, Bibel- und Literaturhinweise in außerordentlich gedrängter Form. Bei näherem Zusehen ergibt sich, daß es sich um die Geschichte und Auslegung des „Buches der Offenbarung“ handelt. Daß Engels sich im Jahre 1841 — also zu einer Zeit, als in Deutschland die Phase der „Kritik der Religion“ noch nicht abgeschlossen war — mit Bibelstudien, mit der Kritik der neutestamentlichen Bücher beschäftigte, ist gar nicht überraschend. Er bewahrte sein ganzes Leben lang sein Interesse für dieses Thema, das um 1840 eine so eminente Rolle in dem Kampf der Weltanschauungen spielte. Ein Artikel über „The book of Revelation“, von Engels im Jahre 1883 für die englische Frei¬ denker-Zeitschrift „Progress“ geschrieben, erlaubt uns, die Herkunft des Studienheftes zweifelsfrei festzustellen. Der Artikel hat nämlich in allem Wesentlichen jene alten Notizen zur Grundlage; die Quelle seiner Spezial¬ kenntnisse gibt Engels hier in folgenden Worten an: „Professor Ferdinand Benary, to whose course of lectures in Berlin University, in 1841, I am indebted for what follows, has proved, chapter and verse, whence our author [der Verfasser des Buches der Offenbarung] borrowed every one of his pretended visions.“2) In den „Studien zur Kritik der Evangelien“ haben wir also entweder ein Kollegheft vor uns, das Engels nach den Vorlesungen des liberalen Hegelianers Ferdinand Benary niedergeschrie¬ ben hat, oder aber Notizen, möglicherweise das Konzept zu einem Vor¬ trag, den er über das Buch der Offenbarung, oder allgemeiner über die Entstehung des Christentums, in Benarys Seminar gehalten haben würde. Etwa ein Jahr vor seinem Tode beschäftigte sich dann Engels noch einmal mit der Geschichte des Urchristentums. In einem in der Neuen Zeit publizierten größeren Aufsatz verwertet er unter anderem auch den genannten englischen Artikel aus dem Jahre 1883; er mag dabei wohl auch das alte Studienheft wieder zur Hand gehabt haben. Auf die Entdeckung Ferdinand Benarys beruft er sich auch hier, — aber ohne auf dessen Vor¬ lesungen vom Jahre 1841 hinzuweisen3). Da das Heft mit den „Studien zur Kritik der Evangelien“ insgesamt nur Exzerpte, bibliographische Hinweise, Notizen usw. enthält, da es zudem ohne die vollständige Wiedergabe der vielen von Engels heran- i) Bei Bauer, Bd. I, S. 391—416 a) The Progress. London 1883. Vol. 2 (July—December), p. 114 8) Vgl. Engels, Zur Geschichte des Urchristentums. Die Neue Zeit. Jg. 13 (1894/95), Bd. 1, S. 4—13, 36—43. Über Benary S. 40 und 41 Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. VI
LXXXII Einleitung gezogenen, aber nur bibliographisch bezeichneten Stellen ganz unver¬ ständlich wäre, so entschlossen wir uns, von einem Abdruck in diesem ohnehin schon stark angeschwollenen Bande abzusehen; wir werden das Heft in einem besonderen Ergänzungsbande bringen oder als Beilage zu jenem Bande, in dem die beiden Engelsschen Aufsätze über die Ent¬ stehung des Christentums ihren Platz finden werden. * Ich habe schließlich noch die Namen der an der Herausgabe dieses Bandes beteiligten Mitarbeiter des Marx-Engels-Instituts zu nennen. Bei der Vorbereitung des Bandes war mir die Mitarbeit von E. C z ô b e 1 von Wert. Die mit der Textgestaltung verknüpften Arbeiten wurden in der Hauptsache von Frau A. Bernfeld-Schmückle und K. Nix¬ dorff ausgeführt, die gemeinsam mit Frau V. Kropp-Löffler zugleich den Titel- und Zitatennachweis und das Namenregister zusam¬ menstellten. Dabei leistete K. Schmückle dauernden Beistand. Bei der Textherstellung wirkte F. P. Schiller mit. Unser Berliner Korre¬ spondent B. Nikolaj evskij war auch diesmal, wie beim ersten Bande der Gesamtausgabe, unermüdlich im Sammeln von Angaben aller Art; die erwähnte systematische Durchsicht der deutschen Zeitschriften aus den Jahren 1838—1842 wurde von ihm vorgenommen. Von den Mit¬ arbeitern, die bei der Kontrolle des Textes und bei den sonst notwendigen Arbeiten der verschiedensten Art mitwirkten, seien genannt Frau G. G. L. Alexander, Frau N. Drösemeier, R. Fox, H. Huppert, H. Jaeger, Frau A. Koppel, Frau B. Waldheim, P. Weller. D. Rjazanov
ERSTER TEIL: DIE GEDRUCKTEN SCHRIFTEN
Bremen 1838—1841
ZERSTREUTE GEDICHTE 1838—1841
Die Beduinen 7—8 Geschrieben in der ersten Septemberhälfte 1838 An die Feinde 9 Geschrieben im Februar 1839 AndenStadtboten 10 Geschrieben im April 1839 [Die Erfindung der Buchdruckerkunst] . . . 11—16 Nachtfahrt 17-18
Die Beduinen [Bremisches Conversationsblatt. 16. Sept. 1838. Nr. 40, p. 257] Die Glocke tönet, und empor 5 Der seid’ne Vorhang rauscht alsbald, Aufmerksam lauschet jedes Ohr Jedwedem Wort, das dort erschallt. Doch heut ist’s nicht der Kotzebue, Dem sonst ihr schallend Lachen zollt, 10 Heut tritt nicht Schiller ernst hervor, Ausgießend seiner Worte Gold. Der Wüste Söhne, stolz und frei, Sie treten still zu euch heran; Der edle Stolz — er ist vorbei, 15 Die Freiheit — sie ist abgetan. Da springen sie für Geld herum, — Der Knab’, so in der Wüste sprang In Jugendlust; doch alle stumm, Nur einer singt ’nen Klaggesang. 20 Man wundert sich ob ihrer Kraft. Ja, wie man sonst dem Kotzebue Geklatscht, wenn er sein Krämchen schafft, So klatschet ihnen jetzt man zu. — Ihr Wüstensöhne, flink und stark, 25 Ihr zogt wohl sonst im Mittagsstrahl Hin durch Marokkos sand’ge Mark, Und durch das milde Datteltal! Ihr streiftet durch die Gärten hin Des Landes Biled ul Dscherid, 30 Zum Raube stand der mut’ge Sinn, Zum Kampfe ging der Rosse Schritt! Ihr saßet wohl im Mondenglanz Am Palmenquell im dürren Land, Und holder Märchen bunten Kranz 35 Flocht euch ein schöner Mund gewandt.
Bremen 1838—1841. Zerstreute Gedichte Ihr schlummertet im engen Zelt Im Arm der Liebe träumevoll. Bis Morgenlicht den Himmel hellt, Und der Kamele Brüllen scholl. Jetzt springet ihr für Geld herum — 5 Nicht der Natur urkräft’ger Drang — Das Aug’ erloschen, alle stumm, Nur einer singt ’nen Klaggesang.
An die Feinde 5 10 15 20 25 [Der Stadtbote. Bremen, 24. Febr. 1839, Nr. 41)] Könnt Ihr nie ein treues, redlich Streben, Nie ein gutgemeintes Wort Lassen sich auf seine Art erheben, Und im Stillen wirken fort? Freilich, wer es will, der kann verdrehen Jedes Wort mit leichter Müh’, 0, Ihr könnt im Guten Schlechtes sehen, Schlecht macht Ihr das Gute aber nie! Meint Ihr selber Vorteil draus zu ziehen, Wenn Ihr And’rer Wort und Werk’ Zieht herab! Nein! Ehre wird Euch fliehen, Schafft Ihr sie Euch nicht durch eig’ne Stärk’! Wollt Ihr steigen, müßt Ihr selbst ja handeln, Selber schaffen mit dem eig’nen Sinn, Andern nach auf ihrem Pfad zu wandeln, Sie verkleinernd, bringt Euch nicht Gewinn! Sagt, und könnt Ihr denn dem Boten schaden, Dem Ihr hämisch Schlingen legt? Laßt ihn gehen doch auf seinen Pfaden, Wenn er ringsum seine Botschaft trägt! Wahrheit bleibt’s doch, wenn er Wahrheit bringet, Und erhebend über List und Trug. Ihm ein altes Wort zum Herzen dringet: „Redlich Streben ist sich selbst genug!66 !) Nachdruck aus Bremisches Unterhaltungsblatt. 27. Febr. 1839. Nr. 17, p. 138 sq.
An den Stadtboten [Bremisches Unterhaltungsblatt. 27. April 1839. Nr. 34, p. 280] Stadtbote, hör’s, doch ärg’re Dich nicht driiber Wie man zum Besten lange Dich gehabt, 5 Denn merke Dir’s, man spottet deß, mein Lieber, Der stets sich zeigt nur als übergeschnappt. Dein blauer Freudenhimmel wird stets trüber, Nun Du ein Vierteljahr herumgetrabt, Was Du zu sagen, Edler, dich beflissen, 10 Das hast Du alles wiederkäuen müssen. Ich nahm stets aus Dir selber meine Themata, Du hast sie Alle selbst nur präparieret, Aus Deinen Reden machte ich Poemata, Drin hab’ ich Dich, allein Dich persiflieret; 15 Nimm ihnen nur des Reims, der Metrik Schemata, So wird Dein Ebenbild Dir vorgeführet; Nun fluch’, beliebt es Dir, vom Zorne wild entbrannt Auf Deinen ganz ergeb’nen TheodorHildebrand 20
[Die Erfindung der Budidruckerkunst1)] 5 10 15 20 25 30 35 [Gutenbergs-Album. Hg. v. H. Meyer. Braunschweig 1840, p. 208—225] Wird denn allein des Dichters Stimme singen Von blut’gem Ehrgeiz und von stolzen Thronen, Wenn die Drommeten Fama’s um ihn klingen. Die Lippen schwellend, wo die Götter wohnen? Ward euch so fremd die Scham? Des Preisens Gabe, Des Ruhmes Strahl mit seinem hellen Lichte Verschwendet ihr an Männern, welchen ewig Fluch spendet und Verwünschung die Geschichte? Erwacht, erwacht! die Wolken überfliege Der Sang, der scheugeword’ne, Mit nie geseh’ner Kraft in hehrem Siege! Und wollt ihr, daß die Welt euch würdig halte Des Lorbeers, der um eure Stirne blüht, So sorgt, daß euer Lied Würdig der Welt und kräftig sich entfalte! In alter Zeit ward nimmermehr verschwendet Der Opferduft des Lobes; An dem Altar wohltätiger Erfindung, Wohltät’gen Geistes ward er stets gespendet. Einst kam Saturn, und mit dem mächt’gen Pfluge Zerteilte er der Erde Mutterbusen, Da sah der Mensch sich breiten Lebend’ge Saat rings über dürren Boden, Zum Himmel steigen seines Dankes Oden, Sie nennen ihn den Gott der goldnen Zeiten. Warst du nicht auch ein Gott, der dem Gedanken, Dem Wort du einen Leib einst hast gegeben, In Zeichen fesseltest der Rede Leben, Das sonst entfloh, gehemmt von keinen Schranken? Verschlungen immer wieder Hätt’ ohne dich sich selbst die Zeit, in’s Grab Ew’gen Vergessens sinkend, tot, hernieder. x) Übersetzung a. d. Spanischen: Manuel José de Quintana: A la invencion de la imprenta
12 Bremen 1838—1841. Zerstreute Gedichte Du kamst, und der Gedanke Sah rasch erweitert seine enge Sphäre, Die ihn umgrenzt in seiner langen Kindheit. Ihn trug sein Fittich in die ferne Welt, Wo mit zukünft’ger Zeit die tatenschwere 5 Vergangenheit gewalt’ge Zwiesprach hält. Erleuchter du der Blindheit! Erfreue dich, Unsterblicher, der Ehre, Des hohen Ruhmgesanges nun allein, Die dir gebühren, dem erhabnen Geiste! io Und die Natur, als hätte die Erfindung Allein genügt, zu zeigen ihre Macht, Sie hat geruht seitdem, und, geizig, nicht Ein gleiches Wunder mehr der Welt gebracht. Endlich erhebt sie sich, ein neues Zeichen 15 Sich zu erschaffen, und der eis’ge Rhein Sah Gutenberg erstehn. „Vergebliche Mühen! Was hilft es euch, daß Leben ihr verleiht Eurem Gedanken, schreibend, Wenn er erstirbt, starr in der Dunkelheit 20 Lethargischen Vergessens ferner bleibend? Kann Ein Gefäß die breiten Wogen alle Des Ozeans, des tosenden, enthalten? So können nicht in Einem Buch allein Des Menschengeistes Gaben sich entfalten! 25 Was fehlt? die Kunst des Flugs? Doch wenn Natur Nach Einem Bilde unzählbare Wesen Erschuf, wohlan, ihr nach, meine Erfindung! Daß tausendfach im Echo Eine Wahrheit Erschalle in gewaltiger Verkündung, 30 Empor sich schwingend mit dem Flug der Klarheit!“ Er sprach’s — da ward der Druck, und sieh, Europa Erstaunt, bewegt, erhebt sich alsobald Mit lautem Brausen, wie vom Sturmeswinde Emporgefacht, erschallt 35 Das grimme Feuer, dessen Flammen schliefen Verschlossen in der Erde finstern Tiefen. — O schlimme Burg, dem Irrtum auf gemauert Durch schnöde Roheit und Tyrannenwüten! Es platzte der Vulkan, die Felsen glühten, 40 Da bebten deine Gründe, schreckdurchschauert! Wer ist das Ungetüm, des bösen Geistes Unreine Mißgeburt, die ohn’ Erröten
Die Erfindung der Buchdruckerkunst 13 5 10 15 20 25 30 35 40 Auf dem verfallnen Kapitol den Thron, Den scheußlichen, sich gründet, und zu töten, Ja, zu verschlingen drohet Alles schon? Wohl lebt es noch, doch seiner Macht Gebäude Bricht langsam ein; einst aber stürzt der Wipfel, Und weithin breiten rings sich die Ruinen. Also beherrscht den hohen Bergesgipfel Ein starker Turm auf hoher Felsenzinne; Des Krieges Söhne haben auf geschlagen Die feste Wohnung drinne, Dort herrschen sie mit der geraubten Macht, Laut brüllend stürzen sie von da zur Schlacht; Verlassen bleibt er stehen, Der Turm, einsam im Wald, und ungesehen. Noch schaut er, auch gebrechlich, wie vor Zeiten, Mit droh’ndem Anlitz rings nach allen Seiten. Einst aber kommt die Zeit, da fällt er nieder, Er fällt, die Felder ächzen, Trümmerbedeckt; bis dahin bleibt er freilich Popanz und Vogelscheuche aller Leute, Der doch ihr Schreck, ihr Ärgernis war neulich. Das war der erste Lorbeer, der die Schläfe Bekränzte der Vernunft; doch kühn erhebt Sich der Verstand, nach sicherm Wissen dürstend, Und er umarmt die Welt in ihrem Fluge. Copernicus schwingt sich zum Stemenzuge, Den, undurchdringlich, deckte sonst ein Schleier; Dort schaut er, wie in ungemeßner Ferne Der leuchtendste der Sterne, Der uns den Tag bringt, ruht in ew’ger Feier. Unter der Sohle fühlet Galileo Der Erde Kugel rollen, und zum Lohne Gibt ihm Italien einen Kerker, blind ; Und dennoch schifft indeß die Erde ohne Aufhören durch des Raumes Meer geschwind, Und mit ihr schiffen, Blitzen gleich, die Sterne, Die schimmernden, im Flug; da ward geschleudert In ihre Mitte Newtons rascher Geist; Er folgt, und er versteht sie, Bestimmend die Geleise Des Triebs, der sie gescheucht in ihre Kreise. Was hilft es dir, den Himmel zu erobern, Zu finden das Gesetz, das ewig regt
14 Bremen 1838—1841. Zerstreute Gedichte Den Luftkreis und das Meer? Den Strahl zu teilen Des unantastbar’n Lichts, und in die Erde Dich zu vergraben, und des Goldes Wiege Und des Krystalles zu ertappen? Kehre Zum Menschen, Geist! — Er tat’s, und warf die schwere s Erbitterung in seine lauten Klagen. „Wie ist der Sinn mit Blindheit doch geschlagen, Wie klirrt die wilde Kette, Die Tyrannei in ihrer Wut geschmiedet, An diesem Pol und jenem um die Wette, 10 Und bannt an’s Totenbette Den Menschen, wenn der Knechtschaft er ermüdet! So sei’s nicht mehr!“ — Das hörten die Despoten, Da fühlten sie das Feuer und das Schwert In der verruchten Hand, zwei sichre Boten. 15 Unsinnige! die hohen Scheiterhaufen, Die schrecklich dorther droh’n mich zu verschlingen, Die mit der Wahrheit wollen um mich streiten, Leuchttürme sind’s ja, die zu ihr mich leiten, Und Fackeln, Licht für ihren Sieg zu bringen! 20 In Liebe sie verlangend Betet sie an mein Herz, begeistrungstrunken, Mein Geist schaut sie, ihr folgen meine Schritte, Nicht vor dem Feu’r, nicht vor dem Schwerte bangend, Und dennoch sollen wanken meine Tritte? 25 Kann ich zurück denn setzen Vielleicht den Fuß? des Tajo Wogen kehren Niemals zurück zu ihrer ersten Quelle, Wenn einmal sie zum Meer hinabgeflossen; Vergebens stellen Berge sich entgegen, 30 Sie halten ihn in seinem Lauf nicht an; Ihr jagt auf raschen Wegen Das Schicksal brausend in den Ozean. Da kam der Tag, der große, An dem ein Sterblicher sich aus der Schande, 35 Der allwärts gleichen, sich erhob im Grimme, Und mit allmächt’ger Stimme Vor aller Welt es rief : Frei ist der Mensch! Und enge Grenzen schlugen nicht in Bande Den heil’gen Ruf ; auf seine Schwingen nahm 40 Das Echo ihn, das Gutenberg erfunden, Und trug ihn wundersam, Daß er in Einem Augenblick, beflügelt,
Die Erfindung der Buchdruckerkunst 15 Die Berge übersprang, die weiten Meere, Und in den Winden herrschte, ungezügelt. Nicht übertönt’ ihn der Tyrannen Schrei, Und kräftig scholl und laut nach allen Seiten 5 Das Jauchzen der Vernunft: der Mensch ist frei! Ja, frei, ja frei! o süßes Wort, die Brust Schwillt, höher klopfend, wenn du ihr erklungen, Mein Geist, von dir durchdrungen, Erfüllt von deiner heiligen Begeist’rung, 10 Schwingt sich empor zu himmlisch heitern Wegen, Und reißt mich mit in feur’gen Fittichschlägen. Wo bleibt ihr, die ihr höret Auf meinen Sang, ihr Sterblichen? Von oben Seh ich das ehrne Kerkertor des Schicksals Sich öffnen, und den dichten Schlei’r der Zeiten Zerreißen — offen liegt vor mir die Zukunft! Ich sah es klar, nicht ist von nun die Erde Mehr der Planet, der arme, wo die Ehrsucht, Der Krieg geherrscht mit grimmiger Gebärde. so Die sind auf ewig beide mm entflohen, Wie Pest und Sturm, die Peiniger, sich schickten Zur Flucht weg von der Zone, der bedrückten, Wenn von dem Pol her eis’ge Winde drohen. Die Menschen fühlten ihre Gleichheit alle, 25 Mit ungezähmter Kraft die tapfem Mannen Erkämpften sie mit lautem Jubelschalle. Jetzt sind nicht Sklaven mehr und nicht Tyrannen; Liebe und Friede in der Welt sich breiten, Liebe und Friede atmet rings die Erde, „Liebe und Friede!“ schallt’s durch alle Weiten. Und droben streckt auf seinem goldnen Throne Gott seinen Szepter über sie zum Segen, Und spendet Lust und Freude rings hernieder, Daß sie auf allen Wegen ss In Strömen rinnen, so wie vormals wieder. Seht ihr sie nicht? seht ihr sie nicht, die Säule, Die große, jenes Denkmal, hehr und prächtig, Wie hell aufblitzend es die Augen blendet? So sind nicht jene Pyramiden mächtig, 40 Der Sklaven Werk, die scheu vor dessen Keule Gebebt, dem Unterdrückung Ruhm gespendet!
16 Bremen 1838—1841. Zerstreute Gedichte Vor ihm, unabgewendet Dampft ew’ger Weihrauch schon. Den Gutenberg der Erdkreis dankbar weihet; Für seine große Wohltat kleiner Lohn! Ruhm dem, der die unsinn’ge Macht zerschlug 5 Der pochenden Gewalt, und des Verstandes, Der Seele Kraft erhob zu raschem Flug! Ruhm dem, den im Triumph die Wahrheit trug, Und ewig fruchtbar machte seine Hände! Dem Weltwohltäter Hymnen ohne Ende! io Bremen. Friedrich Engels
Nachtfahrt 5 10 15 20 25 30 Gedicht von Friedrich Oswald [Deutscher Courier. 3. Jan. 1841. Nr. 1, p. 8] Ich fuhr bei dunkler Nacht allein im Wagen In einem deutschen Lande, das Ihr kennet, Wo rings, zu Boden von der Macht geschlagen, Manch’ Mannesherz im heißen Zorn entbrennet; Im Zorne, daß die Freiheit, die errungen Mit saurer Müh’, in ruhelosem Wachen, Vertrieben ward, und nun von feilen Zungen Verspottet wird, verhöhnt mit Schimpf und Lachen. Ein dichter Nebel deckte Haid’ und Fluren, Nur selten, daß des Windes Stöße trafen Die Pappeln, die aus ihrem Schlummer fuhren Erschreckt, um eilig wieder einzuschlafen. Doch hell die Luft; Damokles Schwerte gleichend, Hängt über jener Stadt, dahin ich eile, Des Mondes scharfe Sichel — femhinreichend Ist Königszom, und trifft in kurzer Weile! Und um des Wagens Räder springend bellen Die Hunde auf zu mir; sind sie erbittert, Verwandt der Hauptstadt feilen Schreibgesellen, Weil meinen freien Geist sie ausgewittert? Was kümmern die mich? tief gedrückt ins Kissen, Leb’ ich in Zukunftsträumen, freien, dreisten: Laßt Euch nicht irre machen, denn wir wissen, Wenn nah’ der Morgen, drückt der Alp am meisten ! Und ja, der Morgen ist herbeigekommen, Sein Stern flammt vor ihm her, den Weg bereitend, Der Freiheit Glocken wecken alle Frommen, Nun nicht mehr Sturm, nein, heitern Frieden läutend! Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 2
18 Bremen 1838—1841. Zerstreute Gedichte Des Geistes Baum mit Wurzelarmen preßte Den Rest der abgestorb’nen Zeit zu Trümmern, Und über alle Welt streu’n seine Äste Die Blüten aus, die ewig golden schimmern! So schlief ich ein ; und Morgens drauf erwachend, Sah’ ich die Erde selig, lichtumfangen, Und vor mir S t ü v e’s Stadt, umglänzt und lachend, Der Freiheit Stadt, im Morgenlichte prangen.
Aus: TELEGRAPH FÜR DEUTSCHLAND Hamburg 1839—1841 Briefe aus dem Wuppertal Aufsätze und Gedichte
Die Artikel wurden in der Zeit von März 1839 bis April 1841 im Telegraph für Deutschland veröffentlicht, mit Ausnahme der Notiz „Elberfeld, den 6. Mai“ (p. 42—43), die in der Elber¬ felder Zeitung erschien. Wir haben diese Notiz des unmittelbaren inhaltlichen Zusammenhanges wegen nach den „Briefen aus dem Wuppertal“ eingefügt
AUS DEM WUPPERTAL
Briefe aus dem Wuppertal** [TfD März 1839. Nr. 49, p. 385-388; Nr. 50, p. 393-396; Nr. 51, p. 401-404; Nr. 52, p. 412-415] Bekanntlich begreift man unter diesem bei den Freunden des 5 Lichtes sehr verrufenen Namen die beiden Städte Elberfeld und Barmen, die das Tal in einer Länge von fast drei Stunden ein¬ nehmen. Der schmale Fluß ergießt bald rasch, bald stockend seine purpurnen Wogen zwischen rauchigen Fabrikgebäuden und garn¬ bedeckten Bleichen hindurch; aber seine hochrote Farbe rührt io nicht von einer blutigen Schlacht her, denn hier streiten nur theo¬ logische Federn und wortreiche alte Weiber, gewöhnlich um des Kaisers Bart; auch nicht von Scham über das Treiben der Men¬ schen, obwohl dazu wahrlich Grund genug vorhanden ist, sondern einzig und allein von den vielen Türkischrot-Färbereien. Kommt 15 man von Düsseldorf her, so tritt man bei Sonnbom in das heilige Gebiet; die Wupper kriecht träg und verschlammt vorbei und spannt durch ihre jämmerliche Erscheinung, dem eben verlasse¬ nen Rheine gegenüber, die Erwartungen bedeutend herab. Die Gegend ist ziemlich anmutig; die nicht sehr hohen, bald sanft 2o steigenden, bald schroffen Berge, über und über waldig, treten keck in die grünen Wiesen hinein, und bei schönem Wetter läßt der blaue, in der Wupper sich spiegelnde Himmel ihre rote Farbe ganz verschwinden. Nach einer Biegung um einen Abhang sieht man die verschrobenen Türme Elberfelds (die demütigen Häuser 25 verstecken sich hinter den Gärten) dicht vor sich und in wenigen Minuten ist das Zion der Obskuranten erreicht. Fast noch außer¬ halb der Stadt stößt man auf die katholische Kirche ; sie steht da, als wäre sie verbannt aus den heiligen Mauern. Sie ist im byzan¬ tinischen Stil nach einem sehr guten Plan von einem sehr unerfah- 30 renen Baumeister sehr schlecht ausgeführt; die alte katholische Kirche ist abgebrochen, um dem linken noch nicht gebauten Flügel das Rathauses Platz zu machen ; nur der Turm ist stehen geblieben und dient dem allgemeinen Wohl auf seine Art, nämlich als Ge¬ fängnis. Gleich darauf kömmt man an ein großes Gebäude — auf 35 Säulen ruht sein Dach, aber diese Säulen sind von ganz merk¬ * ) Unsre Leser werden uns Dank wissen für diese authentische Schilderung einer Gegend, welche das wahre Zion der häßlichsten Form des an manchen Orten in Deutschland grassierenden und das Mark des Volkes ausmergelnden Pietismus ist. A. d. R.
24 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph würdiger Beschaffenheit; ihrer Dicke nach sind sie unten egyp- tisch, in der Mitte dorisch und oben jonisch, und außerdem ver¬ achten sie alles überflüssige Beiwerk, als Piédestal und Kapitäl, aus sehr triftigen Gründen. Dieses Gebäude hieß früher das Mu¬ seum; die Musen aber blieben weg und eine große Schuldenlast 5 blieb da, so daß vor einiger Zeit das Gebäude verauktioniert wurde und den Namen Kasino annahm, der auch, um alle Erinne¬ rungen an den ehemaligen poetischen Namen zu entfernen, auf das leere Frontispice gesetzt wurde. Übrigens ist das Gebäude so plump in allen Dimensionen, daß man es abends für ein Kamel 10 hält. Von nun an beginnen die langweiligen, charakterlosen Stra¬ ßen; das schöne neue Rathaus, erst halb vollendet, ist aus Mangel an Raum so verkehrt gesetzt, daß die Fronte nach einer engen, häßlichen Gasse geht. Endlich gelangt man wieder an die Wupper, und eine schöne Brücke zeigt, daß man nach Barmen kommt, wo 15 wenigstens auf architektonische Schönheit mehr gegeben wird. Sowie die Brücke passiert ist, nimmt alles einen freundlicheren Charakter an; große, massive Häuser in geschmackvoller, mo¬ derner Bauart, vertreten die Stelle jener mittelmäßigen Elber¬ felder Gebäude, die weder altmodisch noch modern, weder schön 20 noch karikiert sind; überall entstehen neue, steinerne Häuser, das Pflaster hört auf, und ein grader chaussierter Weg, an beiden Seiten bebaut, Setzt die Straße fort. Zwischen den Häusern sieht man auf die grünen Bleichen; die hier noch klare Wupper, und die sich dicht herandrängenden Berge, welche durch leicht ge- 25 schwungene Umrisse und durch mannigfaltige Abwechselung von Wäldern, Wiesen und Gärten, aus denen überall rote Dächer her¬ vorschauen, die Gegend immer anmutiger machen, je weiter man kommt. Halbweg der Allee sieht man gegen die Fronte der etwas zurückliegenden Unterbarmer Kirche; sie ist das schönste Ge- 30 bäude des Tals, im edelsten byzantinischen Stil sehr gut ausge¬ führt. Bald aber tritt das Pflaster wieder ein, die grauen Schiefer¬ häuser drängen sich eins an das andre; doch herrscht hier weit mehr Abwechselung als in Elberfeld, indem bald eine frische Bleiche, bald ein modernes Haus, bald ein Stückchen vom Fluß, 35 bald eine Reihe Gärten dicht an der Straße das ewige Einerlei unterbrechen. Dadurch bleibt man im Zweifel, ob man Barmen für eine Stadt oder für ein bloßes Konglomerat von allerlei Ge¬ bäuden halten soll; auch ist es nur eine Vereinigung vieler Ort¬ schaften, die durch das Band städtischer Institutionen zusammen- 40 gehalten werden. Die bedeutendsten dieser Ortschaften sind: Ge- marke, von jeher der Mittelpunkt reformierter Konfession; Unter¬ barmen, nach Elberfeld zu, unweit Wupperfeld, oberhalb Ge marke, und noch weiter Rittershausen, welches links Wichling- hausen, und rechts Hekinghausen mit dem wunderschönen Rauhen- 45
Briefe aus dem Wuppertal I 25 tal neben sich hat; alle lutherisch in zwei Kirchen; die Katholiken, zwei- bis dreitausend höchstens, sind im ganzen Tal zerstreut. Nachdem der Durchreisende nun Rittershausen passiert hat, ver¬ läßt er am Ende der Welt das Bergische und tritt durch den 5 Schlagbaum in das altpreußische, westfälische Gebiet ein. Das ist die äußere Erscheinung des Tals, die im allgemeinen, mit Ausnahme der trübseligen Straßen Elberfelds, einen sehr freundlichen Eindruck macht; daß dieser aber für die Bewohner verloren gegangen ist, zeigt die Erfahrung. Ein frisches, tüchtiges 10 Volksleben, wie es fast überall in Deutschland existiert, ist hier gar nicht zu spüren; auf den ersten Anblick scheint es freilich anders, denn man hört jeden Abend die lustigen Gesellen durch die Straßen ziehen und ihre Lieder singen, aber es sind die ge¬ meinsten Zotenlieder, die je über branntweinentflammte Lippen 15 gekommen sind; nie hört man eins jener Volkslieder, die sonst in ganz Deutschland bekannt sind, und auf die wir wohl stolz sein dürfen. Alle Kneipen sind, besonders Sonnabend und Sonntag, überfüllt, und abends um elf Uhr, wenn sie geschlossen werden, entströmen ihnen die Betrunkenen und schlafen ihren Rausch 2o meistens im Chausseegraben aus. Die gemeinsten unter diesen sind die sogenannten Karrenbinder, ein gänzlich demoralisiertes Volk, ohne Obdach und sichern Erwerb, die mit Tagesanbruch aus ihren Schlupfwinkeln, Heuböden, Ställen usw. hervorkriechen, wenn sie nicht auf Düngerhaufen oder den Treppen der Häuser 25 die Nacht überstanden hatten. Durch Beschränkung ihrer früher unbestimmten Zahl ist diesem Wesen von der Obrigkeit jetzt einigermaßen ein Ziel gesetzt worden. Die Gründe dieses Treibens liegen auf der Hand. Zuvörderst trägt das Fabrikarbeiten sehr viel dazu bei. Das Arbeiten in den 30 niedrigen Räumen, wo die Leute mehr Kohlendampf und Staub einatmen als Sauerstoff, und das meistens schon von ihrem sechsten Jahre an, ist grade dazu gemacht, ihnen alle Kraft und Lebenslust zu rauben. Die Weber, die einzelne Stühle in ihren Häusern haben, sitzen vom Morgen bis in die Nacht gebückt dabei 35 und lassen sich vom heißen Ofen das Rückenmark ausdörren. Was von diesen Leuten dem Mystizismus nicht in die Hände gerät, verfällt ins Branntweintrinken. Dieser Mystizismus muß in der frechen und widerwärtigen Gestalt, wie er dort herrscht, notwendig das entgegengesetzte Extrem hervorrufen, und daher kommt es 40 hauptsächlich, daß das Volk dort nur aus „Feinen66 (so heißen die Mystiker) und liederlichem Gesindel besteht. Schon diese Spaltung in zwei feindselige Parteien wäre, abgesehn von der Be¬ schaffenheit derselben, allein imstande, die Entwicklung alles Volksgeistes zu zerstören, und was ist da zu hoffen, wo auch das 45 Verschwinden der einen Partei nichts helfen würde, weil beide
26 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph gleich schwindsüchtig sind? Die wenigen kräftigen Gestalten, die man dort sieht, sind fast nur Schreiner oder andre Handwerker, die alle aus fremden Gegenden her sind; unter den eingebornen Gerbern sieht man auch kräftige Leute, aber drei Jahre ihres Lebens reichen hin, sie körperlich und geistig zu vernichten; von 5 fünf Menschen sterben drei an der Schwindsucht, und alles das kommt vom Branntweintrinken. Dies aber hätte wahrlich nicht auf eine so furchtbare Weise überhand genommen, wenn nicht der Betrieb der Fabriken auf eine so unsinnige Weise von den In¬ habern gehandhabt würde, und wenn der Mystizismus nicht in der io Art bestände, wie er besteht, und wie er immer mehr um sich zu greifen droht. Aber es herrscht ein schreckliches Elend unter den niedern Klassen, besonders den Fabrikarbeitern im Wuppertal; syphilitische und Brustkrankheiten herrschen in einer Ausdeh¬ nung, die kaum zu glauben ist; in Elberfeld allein werden von 15 2500 schulpflichtigen Kindern 1200 dem Unterricht entzogen und wachsen in den Fabriken auf, bloß damit der Fabrikherr nicht einem Erwachsenen, dessen Stelle sie vertreten, das Doppelte des Lohnes zu geben nötig hat, das er einem Kinde gibt. Die reichen Fabrikanten aber haben ein weites Gewissen, und ein Kind mehr 20 oder weniger verkommen zu lassen, bringt keine Pietistenseele in die Hölle, besonders wenn sie alle Sonntage zweimal in die Kirche geht. Denn das ist ausgemacht, daß unter den Fabrikanten die Pietisten am schlechtesten mit ihren Arbeitern umgehen, ihnen den Lohn auf alle mögliche Weise verringern, unter dem Vor- 25 wände, ihnen Gelegenheit zum Trinken zu nehmen, ja bei Prediger¬ wahlen immer die ersten sind, die ihre Leute bestechen. In den niedern Ständen herrscht der Mystizismus am meisten unter den Handwerkern (zu denen ich die Fabrikanten nicht rechne). Es ist ein trauriger Anblick, wenn man solch einen Men- 30 sehen, gebückten Ganges, in einem langen, langen Rock, das Haar auf Pietistenart gescheitelt, über die Straßen gehen sieht. Aber wer dies Geschlecht wahrhaft kennen will, der muß in eine pie¬ tistische Schmiede- oder Schusterwerkstatt eintreten. Da sitzt der Meister, rechts neben ihm die Bibel, links, wenigstens sehr häufig 35 — der Branntwein. Von Arbeiten ist da nicht viel zu sehen; der Meister liest fast immer in der Bibel, trinkt mitunter eins und stimmt zuweilen mit dem Chore der Gesellen ein geistlich Lied an; aber die Hauptsache ist immer das Verdammen des lieben Nächsten. Man sieht, diese Richtung ist hier dieselbe wie überall. 40 Ihre Bekehrungswut bleibt auch nicht ohne Früchte. Besonders werden viele gottlose Säufer etc. bekehrt, meist auf wunderbare Weise. Aber das hat sich wohl; diese Proselyten sind alle ent¬ nervte, geistlose Menschen, die zu überzeugen eine Kleinigkeit ist; diese bekehren sich, lassen sich jede Woche mehrere Male zu Trä- 45
Briefe aus dem Wuppertal I 27 nen rühren, und treiben ihr ehemaliges Leben im geheimen fort. Vor mehreren Jahren kam diese Wirtschaft einmal ans Tageslicht, zum Schrecken aller Mucker. Es fand sich nämlich ein amerika¬ nischer Spekulant unter dem Namen Pastor Jürgens ein; er pre- 5 digte mehrere Male und hatte sehr viel Zulauf, weil die meisten Leute glaubten, er müsse als Amerikaner notwendig braun oder gar schwarz sein. Aber wie erstaunten sie, als er nicht nur ein Weißer war, sondern auch dergestalt predigte, daß die ganze Kirche in Tränen zerfloß; das hatte übrigens seinen Grund darin, 10 daß er selbst, wenn alle Mittel der Rührung fehlschlugen, zu wim¬ mern anfing. Nun war eine Stimme des Staunens unter den Gläu¬ bigen; zwar opponierten einige Vernünftige, aber da wurden sie recht als Gottlose verschrieen; bald hielt Jürgens Konventikel, be¬ kam reiche Geschenke von seinen angesehnen Freunden und lebte 15 herrlich und in Freuden. Seine Predigten wurden so stark besucht wie keine andern; seine Konventikel waren überfüllt, jedes seiner Worte ließ Männer und Weiber weinen. Jetzt glaubten alle, er sei zum wenigsten ein halber Prophet und werde das neue Jerusalem bauen, aber auf einmal war der Spaß vorbei. Es wird plötzlich 20offenbar, was für Dinge in seinen Konventikeln getrieben werden; Herr Jürgens wird festgesetzt und hat ein paar Jahre in Hamm auf dem Inquisitoriat Buße getan für seine Frömmigkeit. Nachher ist er mit dem Versprechen der Besserung entlassen und wieder nach Amerika spediert worden. Auch erfuhr man, daß er seine 25 Künste schon in Amerika angewandt, deshalb von da weiterge¬ schickt, in Westfalen schon, um nicht aus der Übung zu kommen, eine Repetition angestellt, wo er aus Gnade oder vielmehr Schwachheit der Behörden ohne weitere Nachforschungen entlas¬ sen, und sodann in Elberfeld seinem liederlichen Leben durch 30 nochmalige Wiederholung die Krone aufgesetzt. Als nun offenbar wurde, was da war geschehen in den Versammlungen dieses Edlen, siehe, da erhob sich wider ihn alles Volk, und war keiner, der etwas von ihm wissen wollte; sie sind alle von ihm abgefallen, vom Libanon bis an das Salzmeer, das heißt vom Rittershauser Berg bis 35 an das Wehr zu Sonnbom in der Wupper. Der eigentliche Mittelpunkt alles Pietismus und Mystizismus ist aber die reformierte Gemeinde in Elberfeld. Von jeher zeich¬ nete sie sich durch streng calvinistischen Geist aus, der in den letzten Jahren durch die Anstellung der bigottesten Prediger — 4o jetzt wirtschaften ihrer viere zugleich dort — zur schroffsten In¬ toleranz geworden ist und dem papistischen Sinn wenig nach¬ steht. Da werden komplette Ketzergerichte in den Versammlungen gehalten; da wird der Wandel eines jeden, der diese nicht be¬ sucht, rezensiert, da heißt es: der und der liest Romane, auf dem 45 Titel steht zwar christlicher Roman, aber der Pastor Krummacher
28 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph hat gesagt, Romanenbücher seien gottlose Bücher; oder der und der schiene doch auch vor dem Herm zu wandeln, aber er ist vor¬ gestern im Konzert gesehen — und sie schlagen die Hände über dem Kopf zusammen vor Schreck über die greuliche Sünde. Und steht nun erst ein Prediger im Ruf eines Rationalisten (darunter 5 verstehen sie jeden, der nicht mit ihrer Ansicht aufs Haar überein¬ stimmt), so wird er hergenommen, und sie sehen genau zu, ob sein Rock auch ganz schwarz und seine Hose recht von orthodoxer Farbe war; und wehe ihm, wo er sich in einem etwas ins Blaue fallenden Rock oder mit einer rationalistischen Weste betreten # läßt! Kommt nun gar einer, der die Prädestination nicht glaubt, so heißt’s gleich: der ist beinahe so schlimm als ein Lutheraner, ein Lutheraner ist nicht viel besser als ein Katholik, ein Katholik und ein Götzenanbeter aber ist von Natur verdammt. Und was sind das für Leute, die so reden? Unwissendes Volk, die kaum # wissen, ob die Bibel chinesisch oder hebräisch oder griechisch ge¬ schrieben, und nach den Worten eines einmal als orthodox aner¬ kannten Predigers alles beurteilen, es mag dahin gehören oder nicht. Dieser Geist war vorhanden, seit die Reformation hier die 20 Oberhand bekam, blieb aber unbeachtet, bis der vor einigen Jah¬ ren verstorbene Prediger G. D. Krummacher an eben dieser Ge¬ meinde anfing, ihn recht zu hegen und zu pflegen; bald war der Mystizismus in der schönsten Blüte, aber K[rummacher] starb, ehe die Frucht reif wurde; dies ist erst geschehen, seit sein Bru- 25 derssohn, Dr. Friedrich Wilhelm Krummacher, die Lehre so scharf ausgebildet und bestimmt hat, daß man nicht weiß, ob man das Ganze für Unsinn oder für Blasphemie halten soll. Nun, die Frucht ist reif ; es wird sich keiner verstehen, sie zu pflücken, und so wird sie wohl mit der Zeit elendiglich faul abfallen müssen. 30 Gottfried Daniel Krummacher, Bruder des durch seine Para¬ beln bekannten Dr. F. A. Krummacher in Bremen, starb vor etwa drei Jahren in Elberfeld nach einer sehr langen Amtstätigkeit. Als vor mehr als zwanzig Jahren in Barmen ein Prediger die Prä¬ destination nicht ganz so scharf wie er von der Kanzel lehrte, 35 fingen sie, unter dem Vorwande, solch eine ungläubige Predigt sei gar keine, an, in der Kirche zu rauchen, Lärm zu machen und ihn am Predigen zu verhindern, so daß die Obrigkeit sich genötigt sah, einzuschreiten. Da schrieb Krummacher einen entsetzlich groben Brief an den Barmer Magistrat, wie Gregor VII. an Hein- 40 rieh IV. geschrieben haben würde, und befahl, die Mucker unge¬ schoren zu lassen, da sie nur ihr teures Evangelium verteidigten; auch predigte er davon. Er wurde aber nur verlacht. Dies bezeich¬ net seinen Geist, den er bis an sein Ende bewahrt hat. Übrigens war er von so merkwürdigen Sitten, daß tausend Anekdoten von 45
Briefe aus dem Wuppertal I 29 ihm zirkulieren, nach denen man ihn entweder für einen kuriosen Sonderling oder einen herzlich groben Menschen halten muß. Dr. Friedrich Wilhelm Krummacher, ein Mann von ungefähr vierzig Jahren, groß, stark, von imposanter Gestalt, doch nimmt 5 er, seitdem er in Elberfeld ist, einen nicht unbedeutenden körper¬ lichen Umfang an. Sein Haar trägt er auf ganz absonderliche Weise, worin ihm alle seine Anhänger nachahmen, wer weiß, viel¬ leicht wird es noch einmal Mode, die Haare à la Krummacher zu tragen; doch würde diese Mode alle frühem, sogar die der 10 Puderperücken, an Abgeschmacktheit übertreffen. — Als Student war er Mitarbeiter an der turnenden Demagogie, schrieb Freiheits¬ lieder, trug auf dem Wartburgfeste eine Fahne und hielt eine Rede, die großen Eindruck gemacht haben soll. Dieser flotten Jahre gedenkt er noch häufig auf der Kanzel mit den Worten: als 15 ich noch unter den Hethitern und Kananitem war. Später wurde er in Barmen von der reformierten Gemeine zum Pfarrer gewählt, und seine eigentliche Reputation datiert sich erst von dieser Zeit. Kaum war er da, so rief er schon durch seine Lehre der strengen Prädestination eine Spaltung, nicht nur zwischen Lutheranern und 2o Reformierten, sondern auch unter letztem zwischen strengen und gelinden Prädestinatianem hervor. Einmal kam ein alter steifer Lutheraner ein wenig angetrunken aus einer Gesellschaft und mußte über eine baufällige Brücke gehen. Das mochte ihm in seinem Zustande doch etwas gefährlich dünken, und so begann er 25 zu reflektieren: Gehst du hinüber, und es geht gut, so ist’s gut, geht es aber nicht gut, dann fällst du in die Wupper und dann sagen die Reformierten, es hätte so sein sollen; nun soll es aber nicht so sein. Er kehrte also um, suchte eine seichte Stelle, und an dieser watete er, bis an den Leib im Wasser, hindurch, mit dem seligen 3o Gefühl, die Reformierten eines Triumphes beraubt zu haben. Als in Elberfeld eine Stelle vakant wurde, wählte man Krum¬ macher dahin, und in Barmen schwand alsbald aller Zwist, wäh¬ rend er in Elberfeld noch weit stärker erregt wurde. Schon Krum¬ machers Antrittspredigt erzürnte die einen und begeisterte die 35 andern; der Zwist steigerte sich immer mehr, besonders da bald jeder Prediger, wenn auch alle dieselben Ansichten hatten, eine eigne Partei bekam, die sein einziges Auditorium ausmachte. Später wurde man der Sache überdrüssig und das ewige Schreien: ich bin krummacherisch, ich bin kohlisch etc. fiel weg, nicht aus to Liebe zum Frieden, sondern weil die Parteien sich immer be¬ stimmter schieden. Krummacher ist unleugbar ein Mann von ausgezeichnetem rhetorischen, auch poetischen Talent; seine Predigten sind nie langweilig, ihr Zusammenhang ist sicher und natürlich; vorzüg- *5 lieh stark ist er in dunkelschattigen Schilderungen — seine Schil¬
30 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph derung der Hölle ist stets neu und kühn, wie oft sie auch vor¬ kommt — und in Antithesen. Dagegen hält er sich wieder sehr häufig an der biblischen Phraseologie und an den darin gegebenen Bildern, die, wenn auch ihre Anwendung meistens geistreich ist, zuletzt doch sich wiederholen müssen; dazwischen trifft man denn 5 wieder ein höchst prosaisches Bild aus dem gewöhnlichen Leben oder eine Erzählung aus seinen eignen Schicksalen und seinen unbedeutendsten Erfahrungen. Alles bringt er auf die Kanzel, es mag passen oder nicht; eine Reise nach Württemberg und der Schweiz hat er neulich in zwei Predigten seinen andächtigen Zu- io hörern zum Besten gegeben, darin sprach er von seinen siegreichen vier Disputationen mit Paulus in Heidelberg und Strauß in Tü¬ bingen, freilich ganz anders, als Strauß sich in einem Briefe dar¬ über ausdrückt. — Seine Deklamation ist stellenweise sehr gut und seine gewaltsame, handgreifliche Gestikulation oft ganz pas- 15 send angebracht; zuweilen aber über alle Begriffe manieriert und abgeschmackt. Dann rennt er in allen Richtungen auf der Kanzel umher, beugt sich nach allen Seiten, schlägt auf den Rand, stampft wie ein Schlachtroß und schreit dazu, daß die Fenster klirren und die Leute auf der Straße zusammenfahren. Da beginnen denn die 20 Zuhörer zu schluchzen; zuerst weinen die jungen Mädchen, die alten Weiber fallen mit einem herzzerschneidenden Sopran ein, die entnervten Branntweinpietisten, denen seine Worte durch Mark und Bein gehen würden, wenn sie noch Mark in den Knochen hätten, vollenden die Dissonanz mit ihren Jammertönen, und da- 25 zwischen tönt seine gewaltige Stimme durch all das Heulen hin, mit der er der ganzen Versammlung unzählige Verdammungs¬ urteile oder diabolische Szenen vormalt. Und nun gar seine Lehre! Man begreift nicht, wie ein Mensch dergleichen, was mit der Vernunft und der Bibel im direktesten 30 Widerspruch steht, glauben kann. Demungeachtet hat Krum¬ macher die Doktrin so scharf ausgeprägt und in allen Konse¬ quenzen verfolgt und festgehalten, daß man nichts verwerfen kann, sobald die Grundlage zugegeben ist, nämlich die Unfähig¬ keit des Menschen, aus eigner Kraft das Gute zu wollen, ge- 35 schweige zu tun. Daraus folgt die Notwendigkeit einer Befähigung von außen, und da der Mensch das Gute nicht einmal wollen kann, so muß ihm Gott diese Befähigung auf dringen. Aus dem freien Willen Gottes folgt nun die willkürliche Verleihung derselben, die sich auch, wenigstens scheinbar, auf die Schrift stützt. — Auf 40 solcher Konsequenzmacherei beruht die ganze Lehre; die wenigen Erwählten werden nolentes, volentes selig, die andern werden also verdammt, auf ewig. „Auf ewig? — Ja, auf ewig!!66 (Krum¬ macher). Ferner steht geschrieben: Niemand kommt zum Vater, denn durch mich ; die Heiden können aber nicht durch Christum 45
Briefe aus dem Wuppertal I 31 zum Vater kommen, weil sie Christum nicht kennen, also sind sie alle bloß da, um die Hölle zu füllen. — Unter den Christen sind viele berufen und wenige auserwählt; die vielen Berufenen sind aber nur zum Schein berufen, und Gott hütete sich wohl, sie so 5 stark zu berufen, daß sie Folge leisteten, alles zur Ehre Gottes und auf daß sie keine Entschuldigung haben. Dann steht auch ge¬ schrieben: Die Weisheit Gottes ist den Klugen dieser Welt eine Torheit; dies ist für die Mystiker ein Befehl, ihren Glauben recht unsinnig auszubilden, damit doch ja dieser Spruch in Erfüllung 10 gehe. Wie das alles mit der Lehre der Apostel stimmt, die vom vernünftigen Gottesdienst und vernünftiger Milch des Evange¬ liums sprechen, das ist ein Geheimnis, das der Vernunft zu hoch ist. Solche Lehren verderben alle Krummacherschen Predigten; 15 die einzigen, in denen sie nicht so stark hervortreten, sind die Stellen, wo er von dem Gegensatz der irdischen Üppigkeit und der Niedrigkeit Christi oder des Stolzes der weltlichen Fürsten und Gottes spricht. Da bricht sehr häufig noch ein Strahl von seiner frühem Demagogie durch, und redete er dann nicht so allgemein, 2o so würde die Regierung nicht dazu schweigen. Der ästhetische Wert seiner Predigten wird nur von sehr weni¬ gen in Elberfeld gewürdigt; denn wenn man seine drei Kollegen, die fast alle ein gleich starkes Auditorium haben, gegen ihn hält, so erscheint er als Eins, die andern als lauter Nullen dahinter, die 25 nur dazu dienen, seinen Wert zu erhöhen. Die älteste dieser Nullen heißt Kohl, dessen Name zugleich seine Predigten bezeichnet; die zweite Herrmann, kein Nachkomme dessen, dem sie jetzt ein Denk¬ mal setzen, das die Geschichte und den Tacitus überleben soll, die dritte Ball — nämlich Krummachers Spielball; alle drei höchst 30 orthodox und in den Predigten Nachtreter der schlechten Seiten Krummachers. Lutherische Pfarrer in Elberfeld sind : Sander und Hülsmann, die früher, als ersterer noch in Wichlinghausen stand und in den bekannten Streit mit Hülsmann in Dahle, jetzt in Len¬ nep, dem Bruder von Sanders jetzigem Kollegen, verwickelt war, 35 sich wütend in den Haaren lagen. In ihrer jetzigen Stellung be¬ nehmen sich beide würdig gegeneinander, die Pietisten aber suchen die Zwietracht wieder hervorzulocken, indem sie Hüls¬ mann immer allerlei Vergehen gegen Sander vorzuwerfen haben. Der dritte im Bunde ist Döring, dessen Zerstreutheit sehr originell 40 ist; er kann keine drei Sätze im Zusammenhang sprechen, dagegen aus drei Teilen einer Predigt vier machen, indem er einen wört¬ lich wiederholt, ohne das geringste zu merken. Probatum est. Von seinen Gedichten wird später die Rede sein. Unter den Barmer Predigern ist nicht viel Unterschied; alle 45 streng orthodox, mit mehr oder weniger pietistischer Beimischung.
32 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph Nur Stier in Wichlinghausen ist einigermaßen bemerkenswert. Jean Paul soll ihn als Knaben gekannt und ausgezeichnete An¬ lagen in ihm entdeckt haben. Er war als Pfarrer in Frankleben bei Halle angestellt, und gab in dieser Zeit mehre poetische und prosaische Schriften heraus, eine Verbesserung des luther- s sehen Katechismus, ein Surrogat für denselben, und ein Hülfs- büchlein dazu für stupide Lehrer, nicht weniger auch ein Werk¬ lein über die Gesangbuchsnot in der Provinz Sachsen, welches von der evangelischen Kirchenzeitung ausnehmend belobt wurde, und wenigstens vernünftigere Ansichten über Kirchenlieder ent- hielt, als man im gesegneten Wuppertal vernimmt, wenn auch noch mancher unbegründete Machtspruch darin vorkommt. Seine Gedichte sind höchst langweilig, auch hat er sich das Verdienst erworben, einige heidnische Gedichte Schillers für die Ortho¬ doxen genießbar zu machen. Z. B. aus den Göttern Griechenlands: 15 Da ihr noch die eitle Welt regiertet, An der Sünde trügerischem Band, Lange Zeit manch Menschenalter führtet, Leere Wesen aus dem Fabelland! Ach, da euer Sünderdienst noch glänzte, 20 Wie ganz anders, anders war es da! Da man deine Tempel noch bekränzte, Venus Amathusia! Wirklich sehr geistreich, ja wahrhaft mystisch! Seit einem halben Jahre ist Stier in Wichlinghausen an Sanders Stelle, hat 25 die Barmer Literatur indes noch nicht bereichert. Ein Ort bei Elberfeld, Langenberg, gehört seinem ganzen Wesen nach noch zum Wuppertal. Dieselbe Industrie wie dort, derselbe pietistische Geist. Dort steht Emil Krummacher, Bruder des Friedrich Wilhelm; er ist nicht so schroffer Präde- 30 stinatianer wie dieser, ahmt ihm aber sehr nach, wie diese Stelle seiner letzten Weihnachtspredigt zeigt: „Mit den irdischen Lei¬ bern sitzen wir hier zwar noch auf den hölzernen Bänken, aber unsre Geister schwingen sich mit Millionen Gläubigen auf den heiligen Berg, und nachdem sie dort das Jauchzen der himm- 35 lischen Heerscharen vernommen, gehen sie hinab in das arme Bethlehem. Und was erblicken sie da? Zuerst einen armen Stall, und in dem armen, armen Stall eine arme Krippe, und in der armen Krippe armes, armes Heu und Stroh, und auf dem armen, armen Heu und Stroh liegt wie das arme Kind eines Bettlers in 40 armen Windeln der reiche Herr der Welt/6 Nun wäre wohl das Missionshaus noch zu besprechen, aber die in diesen Blättern schon früher erwähnten Harfenklänge eines Exmissionärs geben genügend Zeugnis davon, was für ein Geist dort herrscht. Der Inspektor desselben, Dr. Richter, ist übri- 45
Briefe aus dem Wuppertal I 33 gens ein gelehrter Mann, bedeutender Orientalist und Natur¬ forscher, gibt auch eine „erklärte Hausbibel“ heraus. Das ist das Treiben der Pietisten im Wuppertal; man begreift nicht, daß zu unsrer Zeit dergleichen noch aufkommen kann; aber 5 es scheint doch, als könne auch dieser Fels des alten Obskurantis¬ mus dem rauschenden Strom der Zeit nicht mehr widerstehen; der Sand wird weggespült, der Fels stürzt und tut einen großen Fall.
Briefe aus dem Wuppertal [TfD April 1839. Nr. 57, p. 449-454, Nr. 59, p. 468-472] IL In einer Gegend, die so von Pietisterei erfüllt ist, versteht es * sich von selbst, daß diese, nach allen Seiten sich ausdehnend, jede einzelne Richtung des Lebens durchdringt und verdirbt. Ihre Hauptgewalt übt sie aus auf das Unterrichtswesen, vor allem auf die Volksschulen. Der eine Teil von diesen liegt ganz in ihren Händen; es sind dies die kirchlichen Schulen, deren jede Ge- 10 meinde eine hat. Freier schon, doch auch noch immer unter Auf¬ sicht des kirchlichen Scholarchats, stehen die übrigen Volksschu¬ len da, auf die die Zivilverwaltung einen bedeutenderen Einfluß hat. Und da liegen die hindernden Einwirkungen des Mystizismus auf der Hand; denn während die kirchlichen Schulen noch immer, wie weiland unter dem hochseligen Kurfürsten Karl Theodor, außer Lesen, Schreiben und Rechnen nur den Katechismus ihren Schülern einprägen, werden auf den andern doch die Anfangs¬ gründe einiger Wissenschaften, auch etwas Französisch gelehrt, und viele der Schüler, dadurch angeregt, suchen sich, auch wenn 20 sie die Schule schon verlassen, weiter fortzubilden. Diese Schulen sind in einem starken Fortschreiten begriffen und haben seit dem Eintritte des preußischen Gouvernements die kirchlichen, hinter denen sie damals sehr zurückstanden, weit überholt. Die kirch¬ lichen Schulen werden aber viel stärker besucht, da sie weit weni- ger Kosten machen und viele Eltern ihre Kinder teils aus Anhäng¬ lichkeit, teils weil sie in dem Fortschreiten der Kinder ein Über¬ handnehmen des weltlichen Sinnes sehen, immer noch dahin schicken. Von höheren Lehranstalten ernährt das Wuppertal drei: die ja Stadtschule in Barmen, die Realschule in Elberfeld und das Gym¬ nasium daselbst. Die Barmer Stadtschule, sehr schwach dotiert und deshalb sehr schlecht mit Lehrern besetzt, tut indes alles, was in ihren Kräften steht. Sie liegt ganz in den Händen eines beschränkten, & knickerigen Kuratoriums, das meist auch nur Pietisten zu Lehrern wählt. Der Direktor, der dieser Richtung auch nicht fremd ist, versieht sein Amt indes nach festen Prinzipien und weiß sehr ge¬
Briefe aus dem Wuppertal II 35 schickt jedem Lehrer seine Stelle anzuweisen. Auf ihn folgt Herr Johann Jakob Ewich, der nach einem guten Lehrbuche gut unter¬ richten kann und im Geschichtsunterricht eifriger Anhänger des Nösseltschen Anekdotensystems ist. Er ist Verfasser vieler 5 pädagogischer Schriften, deren größte, d. h. dem Umfange nach, den Titel führt: Human, Wesel bei Bagel, zwei Bände, 40 Bogen, Preis 1 Rtlr. Alle sind voll hoher Ideen, frommer Wünsche und unausführbarer Vorschläge. Man sagt, seine pädagogische Praxis solle hinter der schönen Theorie weit zurückstehn. io Dr. Philipp Schifflin,^ zweiter Oberlehrer, ist der tüchtigste Lehrer der Schule. Vielleicht ist keiner in Deutschland so tief in die grammatische Struktur des modernen Französischen einge¬ drungen wie er. Er ging nicht vom Altromanischen aus, sondern faßte die klassische Sprache des vorigen Jahrhunderts, besonders 15 Voltaires, auf und ging von dieser zum Stil der neuesten Autoren über. Die Resultate seiner Forschungen liegen in seiner „Anlei¬ tung zur Erlernung der französischen Sprache, in drei Cursen“, vor, von denen der erste und zweite schon in mehreren Auflagen erschienen und der dritte jetzt zu Ostern herauskömmt. Dies ist so ohne Zweifel neben der Knebelschen die beste französische Sprach¬ lehre, die wir besitzen; sie fand gleich beim Auftreten des ersten Kursus ungemessenen Beifall und erfreut sich schon jetzt einer fast beispiellosen Verbreitung durch ganz Deutschland, bis nach Ungarn und den russischen Ostseeprovinzen hin. 25 Die übrigen Lehrer sind junge Seminaristen, von denen sich einige tüchtig herangebildet haben, andre aber mit einem Chaos von allerlei Wissenschaften schwanger gehen. Der beste von diesen jungen Lehrern war Herr Köster, Freiligraths Freund, von dem ein Abriß der Poetik in einem Programme steht, worin er die 30 didaktische Poesie ganz ausschloß und die ihr gewöhnlich zuge¬ teilten Gattungen der Epik oder Lyrik unterordnete; der Aufsatz zeugte von Einsicht und Klarheit. Er wurde nach Düsseldorf be¬ rufen, und da die Herren vom Kuratorium ihn als Gegner aller Pietisterei kannten, ließen sie ihn sehr gerne ziehen. Den Gegen- 35 satz zu ihm bildet ein anderer Lehrer, der auf die Frage eines Quartaners, wer Goethe gewesen sei, antwortete: „ein gottloser Mann66. Die Elberfelder Realschule ist sehr gut fundiert und kann des¬ halb tüchtigere Lehrer wählen und einen vollständigeren Kursus 40 einrichten. Dagegen herrscht auf ihr jene fürchterliche Heftschrei¬ berei, die einen Schüler in einem halben Jahre stumpf machen kann. Nebenbei ist von Direktion wenig zu spüren; der Direktor ist die Hälfte des Jahres verreist und betätigt seine Anwesenheit 1) Im TfD Schifflern 3*
36 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph nur durch übertriebene Strenge. Mit der Realschule ist eine Ge¬ werbschule verbunden, auf der die Schüler ihr halbes Leben ver¬ zeichnen. Von den Lehrern ist Herr Dr. Kruse bemerkenswert, der sechs Wochen in England war und ein Werklein über die englische Aussprache schrieb, welches sich durch seine ausgezeichnete Un- 5 brauchbarkeit bemerklich macht; die Schüler stehen in einem sehr schlechten Rufe und sind die Veranlassung zu Diesterwegs Klagen über die Jugend Elberfelds. Das Gymnasium in Elberfeld ist in sehr bedrängten Verhält¬ nissen, aber anerkannt eins der besten im preußischen Staat. Es 10 ist Eigentum der reformierten Gemeinde, hat von ihrem Mystizis¬ mus wenig zu leiden, weil die Prediger sich nicht darum beküm¬ mern und die Scholarchen nichts von Gymnasialsachen verstehen; desto mehr aber von ihrer Knauserei. Diese Herren haben nicht die geringste Idee von der Vorzüglichkeit der preußischen Gym- # nasialbildung, suchen der Realschule alles, Geld wie Schüler, zu¬ zuwenden und werfen doch dem Gymnasium vor, daß es durch Schulgeld seine Auslagen nicht einmal decken könne. Es wird jetzt unterhandelt, daß die Regierung, der es sehr darum zu tun ist, das Gymnasium übernimmt; käme es nicht dazu, so müßte es in 20 wenigen Jahren aus Mangel an Mitteln suspendiert werden. Die Lehrerwahlen liegen jetzt auch in den Händen der Scholarchen, Leute, die zwar einen Posten sehr korrekt ins Hauptbuch über¬ tragen können, aber von Griechisch, Latein oder Mathematik keine Idee haben. Das Hauptprinzip ihrer Wahl ist: lieber einen refor- 2s mierten Stümper als einen tüchtigen Lutheraner oder gar Katholiken zu wählen. Da aber unter den preußischen Philologen weit mehr Lutheraner als Reformierte sind, haben sie diesem Prinzipe fast nie recht folgen können. Dr. Hantschke, königlicher Professor und provisorischer Direk- 30 tor, ist aus Luckau in der Lausitz, schreibt ein ciceronianisches Latein in Versen und Prosa, ist auch Verfasser mehrerer Predig¬ ten, pädagogischer Schriften und eines hebräischen Übungs¬ buches. Er wäre längst fester Direktor geworden, wenn er nicht lutherisch und das Scholarchat weniger geizig wäre. 35 Dr. Eichhoff, zweiter Oberlehrer, schrieb mit seinem jüngeren Kollegen, Dr. Beltz, eine lateinische Grammatik, die aber in der Allgemeinen Litteratur-Zeitung von F. Haase nicht sehr günstig rezensiert wurde. Seine Hauptforce ist das Griechische. Dr. Clausen, dritter Oberlehrer, ohne Zweifel der tüchtigste 40 Mann in der ganzen Schule, in allen Fächern bewandert, in der Geschichte und Literatur ausgezeichnet. Sein Vortrag ist von selte¬ ner Anmut; er ist der einzige, der den Sinn der Poesie in den 1) Im TfD Hase
Briefe aus dem Wuppertal II 37 Schülern zu wecken weiß, den Sinn, der sonst elendiglich verküm¬ mern müßte unter den Philistern des Wuppertales. Als Schrift¬ steller ist er meines Wissens nur in einer Programm-Dissertation: „Pindaros der Lyriker66 aufgetreten, die ihm einen großen Ruf 5 unter den Gymnasiallehrern in und außerhalb Preußen gemacht haben soll. In den Buchhandel ist sie natürlich nicht gekommen. Diese drei Schulen sind erst seit 1820 eingerichtet worden; früher bestand nur in Elberfeld und Barmen je eine Rektorat¬ schule und eine Menge von Privatinstituten, die keine gediegene io Bildung geben konnten. Ihre Nachwirkungen sind noch an den älteren Kaufleuten Barmens zu spüren. Von Bildung — keine Idee; wer Whist und Billard spielen, etwas politisieren, ein ge¬ wandtes Kompliment machen kann, das ist in Barmen und Elber¬ feld ein gebildeter Mann. Es ist ein schreckliches Leben, was diese 15 Menschen führen, und sie sind doch so vergnügt dabei; den Tag über versenken sie sich in die Zahlen ihrer Konti, und das mit einer Wut, mit einem Interesse, daß man es kaum glauben möchte; abends zur bestimmten Stunde zieht alles in die Gesellschaften, wo sie Karten spielen, politisieren und rauchen, um mit dem 20 Schlage neun nach Hause zurückzukehren. So geht es alle Tage, ohne Veränderung, und wehe dem, der ihnen dazwischen kömmt; er kann der ungnädigsten Ungnade aller ersten Häuser gewiß sein. — Die jungen Leute werden brav von ihren Vätern in die Schule genommen; sie lassen sich auch sehr gut an, ebenso zu werden. 25 Ihre Unterhaltungsgegenstände sind ziemlich einförmig; die Bar¬ mer sprechen mehr von Pferden, die Elberfelder von Hunden; wenn’s hoch kömmt, werden auch Schönheiten rezensiert oder es wird von Geschäftssachen geplappert, das ist alles. Alle halbe Jahrhundert sprechen sie auch von Literatur, unter welchem Na- 50 men sie Paul de Kock, Marryat, Tromlitz, Nestroy und Konsorten verstehen. In der Politik sind sie als sehr gute Preußen, weil sie unter preußischer Herrschaft stehen, a priori allem Liberalismus gar sehr zuwider, alles, solange es Sr. Majestät gefällt, ihnen den Code Napoleon zu lassen; denn mit ihm würde aller Patriotismus 55 schwinden. Das junge Deutschland kennt niemand in seiner lite¬ rarischen Bedeutung; es gilt für eine geheime Verbindung, etwa wie die Demagogie, unter dem Vorsitze der Herren Heine, Gutz¬ kow und Mundt. Einige der edlen Jünglinge haben wohl etwas von Heine gelesen, vielleicht die Reisebilder mit Übergehung der 40 Gedichte darin, oder den Denunzianten, aber von den übrigen herrschen nur dunkle Begriffe aus dem Munde der Pfarrer oder Beamten. Freiligrath ist den meisten persönlich bekannt und steht im Rufe eines guten Kameraden. Als er nach Barmen kam, wurde er von diesem grünen Adel (so nennt er das junge Kaufmanns- 45 volk) mit Besuchen überhäuft; bald aber hatte er ihren Geist er¬
38 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph kannt und zog sich zurück; aber sie verfolgten ihn, lobten seine Gedichte und seinen Wein und strebten mit aller Gewalt darnach, mit einem Brüderschaft zu trinken, der etwas hatte drucken lassen; denn diesen Menschen ist ein Dichter nichts, aber ein Schrift¬ steller alles. Nach und nach brach Freiligrath allen Umgang mit 5 diesen Menschen ab und verkehrt jetzt nur mit wenigen, nachdem Köster Barmen verlassen hat. Seine Prinzipale haben sich in ihrer prekären Stellung immer sehr anständig und freundlich gegen ihn benommen; merkwürdigerweise ist er ein höchst exakter und flei¬ ßiger Comptoirarbeiter. Über seine dichterischen Leistungen zu 10 sprechen, wäre sehr überflüssig, nachdem Dingelstedt, in dem Jahrbuche der Literatur, und Carrière in den Berliner Jahr¬ büchern ihn so genau beurteilt haben. Indes scheinen mir beide nicht genug beachtet zu haben, wie er bei allem Schweifen in die Feme doch $o sehr an der Heimat hängt. Darauf deuten die häu- is figen Anspielungen auf deutsche Volksmärchen, z. B. S. 54, die Unkenkönigin, S. 87, Snewittchen u. a., denen S. 157 ein ganzes Gedicht (Im Walde) gewidmet ist, hin, die Nachahmung Uhlands (der Edelfaik, S. 82, die Schreinergesellen, S. 85, auch das erste der zwei Feldherrngräber erinnert doch nur zu seinem Vorteile an 20 ihn), dann die Auswanderer und vor allen sein unübertrefflicher Prinz Eugen. Auf diese wenigen Momente muß man desto mehr achten, je mehr Freiligrath in die entgegengesetzte Richtung sich verliert. Einen tiefen Blick in sein Gemüt eröffnet auch der aus¬ gewanderte Dichter, besonders die Fragmente, die im Morgenblatt 25 abgedruckt sind; darin fühlt er schon, wie er in der Ferne nicht heimisch werden kann, wenn er nicht in echt deutscher Dichtkunst wurzelt. In der eigentlichen Wuppertaler Literatur nimmt die Journa¬ listik die wichtigste Stelle ein. Oben an steht die Elberfelder Zei- 30 tung, redigiert von Dr. Martin Runkel, die sich unter seiner ein¬ sichtsvollen Leitung einen bedeutenden und wohlverdienten Ruf erworben hat. Er übernahm die Redaktion, als zwei Zeitungen, die Allgemeine und Provinzialzeitung, zu einer verschmolzen wurden; unter nicht sehr günstigen Auspizien entstand das Blatt; 35 die Barmer Zeitung trat konkurrierend auf, aber Runkel hat es nach und nach durch Streben nach eigner Korrespondenz und durch seine leitenden Artikel zu einer der ersten Zeitungen des preußischen Staates gemacht. Sie fand zwar in Elberfeld, wo die leitenden Artikel nur von wenigen gelesen werden, wenig, auswärts 40 aber desto mehr Anerkennung, wozu der Verfall der Preussischen Staatszeitung (?) auch das Seinige beigetragen haben mag. Die belletristische Beilage, Intelligenzblatt, erhebt sich nicht über das Gewöhnliche. Die Barmer Zeitung, deren Verleger, Redaktoren und Zensoren häufig wechselten, steht jetzt unter der Leitung von 45
Briefe aus dem Wuppertal II 39 H. Püttmann, der zuweilen in der Abendzeitung rezensierend auf¬ tritt. Er möchte die Zeitung wohl gerne heben, aber durch des Ver¬ legers wohlbegründete Kargheit sind ihm die Hände gebunden. Das Feuilleton mit einigen seiner Gedichte, Rezensionen oder 5 Auszügen aus größeren Schriften angefüllt, tut’s auch nicht. Der sie begleitende „Wuppertaler Lesekreis“ nährt sich fast nur von Lewalds Europa. Außer diesen erscheint noch der Elberfelder tägliche Anzeiger nebst Fremdenblatt, ein Kind der Dorfzeitung, unübertrefflich in herzbrechenden Gedichten und schlechten 10 Witzen, und das Barmer Wochenblatt, eine alte Nachtmütze, dem die pietistischen Eselsohren alle Augenblick unter der belletristi¬ schen Löwenhaut hervorschauen. Von der übrigen Literatur ist die Prosa gar nichts wert; nehme ich die theologischen oder vielmehr pietistischen Schriften, einige is Werklein über Barmens und Elberfelds Geschichte, die sehr ober¬ flächlich abgefaßt sind, weg, so bleibt nichts übrig. Aber die Poe¬ sie findet reichliche Pflege in dem „gesegneten Tale“, und eine ziemliche Anzahl Poeten haben dort ihren Wohnsitz auf geschlagen. Wilhelm Langewiesche, Buchhändler zu Barmen und Iserlohn, 20 schreibt unter dem Namen W. Jemand, sein Hauptwerk ist eine didaktische Tragödie, der ewige Jude, die freilich nicht an Mosens Bearbeitung desselben Gegenstandes reicht. Er ist als Verleger der bedeutendste seiner Wuppertaler Konkurrenten, was übrigens sehr leicht ist, da ihrer zwei, Hassel in Elberfeld, Steinhaus in 25 Barmen, nur echten Pietismus verlegen. Freiligrath wohnt in sei¬ nem Hause. Karl August Döring, Prediger in Elberfeld, ist Verfasser einer Menge von prosaischen und poetischen Schriften; von ihm gilt Platens Wort: Sie sind ein wasserreicher Strom, den niemand bis 30 zu Ende schwimmt. In seinen Gedichten unterscheidet er zwischen geistlichen Lie¬ dern, Oden und lyrischen Gedichten. Zuweilen hat er schon auf der Mitte des Gedichts den Anfang vergessen und gerät dann in ganz eigentümliche Regionen; von den Südseeinseln und ihren 35 Missionären gerät er in die Hölle und von den Seufzern der zer¬ knirschten Seele nach dem Eise des Nordpols. Lieth, Vorsteher einer Mädchenschule in Elberfeld, Verfasser von Kindergedichten, die meistens in einer schon veralteten Ma¬ nier geschrieben sind und keinen Vergleich mit denen Rückerts, 40 Gülls und Heys aushalten können; doch finden sich auch einzelne hübsche Sachen darunter. Friedrich Ludwig Wülfing, unstreitig der größte Dichter des Wuppertals, ein Barmer von Geburt, ist ein Mann, in dem die Genialität gar nicht zu verkennen ist. Sieht man einen langen 45 Menschen, von etwa fünfundvierzig Jahren, in einen langen rot¬
40 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph braunen Rock verhüllt, der halb so alt ist, wie sein Herr, auf den Schultern ein unbeschreibliches Antlitz, auf der Nase eine ver¬ goldete Brille, in deren Gläsern sich die strahlenden Blicke der Augen brechen, das Haupt gekrönt mit einer grünen Mütze, im Munde eine Blume, in der Hand einen eben vom Rock gedrehten 5 Knopf — das ist der Horaz Barmens. Tag für Tag ergeht er sich auf dem Hardtberge und wartet, ob ihm nicht ein neuer Reim oder eine neue Geliebte aufstoße. Bis in sein dreißigstes Jahr huldigte er Pallas Athenen als industriöser Mann; dann geriet er Aphroditen in die Hände, die ihm neun Dulcineen nacheinander 10 zuführte; diese sind seine Musen. Man spreche nicht von Goethe, der allem eine poetische Seite abgewann, nicht von Petrarca, der jeden Blick, jedes Wort der Geliebten in ein Sonett brachte — an Wülfing reichen sie lange nicht. Wer zählt die Sandkörner, die der Geliebten Fuß zerknittert? Das tut der große Wülfing. Wer besingt Minchens (die Clio der neun Musen) in einer sumpfigen Wiese beschmutzte Strümpfe? Nur Wülfing. — Seine Epigramme sind Meisterwerke der originellsten, volkstümlichsten Grobheit. Als seine erste Frau starb, schrieb er eine Todesanzeige, die alle Dienstmädchen zu Tränen rührte und eine noch weit schönere 20 Elegie: „Wilhelmine, schönster aller Namen!“ Sechs Wochen spä¬ ter verlobte er sich schon wieder und jetzt hat er die dritte Frau. Der geistreiche Mann hat alle Tage andere Pläne. Als er noch so recht in seiner poetischen Blütezeit stand, wollte er bald Knopf¬ macher, bald Landmann, bald Papierhändler werden; zuletzt ist 25 er in den Hafen der Lichtzieherei geraten, um sein Licht auf irgendeine Weise leuchten zu lassen. Seine Schriften sind wie der Sand am Meer. Montanus Eremita, ein Solinger Anonymus, gehört als nach¬ barlicher Freund auch hieher. Er ist der poetischste Historiograph 30 des bergischen Landes; seine Verse sind weniger unsinnig als langweilig und prosaisch. Ebenso Johann Pol, Pastor zu Heedfeld bei Iserlohn, der ein Bändlein Gedichte schrieb. Könige kommen von Gott und Missionäre desgleichen, 35 Aber der Goethe-Poet kommt von den Menschen allein. Dies zeigt den Geist des ganzen Bandes. Aber er hat auch Witz, denn er sagt: Die Dichter sind Lichter, die Philosophen sind der Wahrheit Zofen. Und welche Phantasie liegt in den beiden An¬ fangszeilen seiner Ballade: Attila an der Marne: 40 Gleich Lawinen ungeheuer, schneidend hart wie Schwert und Kiesel, 1) Im TfD Hanfeld
Briefe aus dem Wuppertal II 41 Wälzt durch Schutt und Städteflammen sich nach Gallien Godegisel. Auch hat er Psalme gedichtet, oder vielmehr aus Davidschen Fragmenten komponiert. Sein Hauptwerk ist die Besingung des 5 Streits zwischen Hülsmann und Sander und zwar auf eine höchst originelle Weise, in Epigrammen. Da dreht sich alles um den Ge¬ danken, die Rationalisten wagten — Zu schmähen und zu lästern den Herrn Herrn. Weder Voß noch Schlegel haben jemals einen so vollkommenen 10 Spondeus am Schluß eines Hexameters gehabt. Er versteht die Einteilung seiner Gedichte noch besser als Döring, er teilt sie in : „Geistliche Gesänge und Lieder und vermischte Gedichte.66 F. W. Krug, Kandidat der Theologie, Verfasser von poetischen Erstlingen oder prosaischen Reliquien, Übersetzer mehrerer hol- 15 ländischer und französischer Predigten, schrieb auch eine rüh¬ rende Novelle im Geschmack Stillings, worin er unter andern einen neuen Beweis für die Wahrheit der mosaischen Schöpfungs¬ geschichte auf stellt. Das Buch ist ergötzlich. Zum Schlüsse muß ich noch eines geistvollen jungen Mannes 20 erwähnen, der die Idee hat, da Freiligrath Handlungsdiener und Dichter zugleich sei, müßte er es auch können. Hoffentlich wird die deutsche Literatur bald durch einige seiner Novellen vermehrt werden, die von den besten nicht übertroffen werden; die ein¬ zigen Fehler, die man ihnen vorwerfen kann, sind Abgedroschen- 25 heit der Handlung, übereilte Anlage und nachlässiger Stil. Sehr gern würde ich eine im Auszuge mitteilen, wenn es die Dezenz nicht verböte; doch wird sich vielleicht bald ein Buchhändler des großen D. (seinen ganzen Namen wage ich nicht zu nennen, weil ihn sonst seine verletzte Bescheidenheit zu einem Injurienprozeß 3o gegen mich verleiten würde) erbarmen und seine Novellen ver¬ legen. Auch will er ein sehr genauer Freund Freiligraths sein. Dies sind so ziemlich die literarischen Erscheinungen des welt¬ berühmten Tals, wozu vielleicht noch einige weinentflammte Kraftgenies zu zählen wären, die sich dann und wann reimend 36 versuchen, und die ich Herm Dr. Duller zur Porträtierung für einen neuen Roman sehr empfehlen kann. Die ganze Gegend liegt von einem Meer von Pietismus und Philisterei überschwemmt, und was daraus hervorragt, sind keine schönen blumenreichen Ei¬ lande, nur dürre nackte Klippen oder lange Sandbänke, und io Freiligrath irrt dazwischen umher wie ein verschlagener Schiffer.
[Offener Brief an Dr. Runkel] [Elberfelder Ztg. 9. Mai 1839. Nr. 127] f Elberfeld, den 6. Mai.*) Herrn Dr. Runkel in El¬ berfeld. Sie haben mich und meine Briefe aus dem Wuppertal in Ihrer Zeitung heftig angegriffen, haben mir absichtliche Ent¬ stellungen, Unkenntnis der Verhältnisse, Persönlichkeiten, ja Un- «5 Wahrheiten vorgeworfen. Daß Sie mich einen Jungdeutschen nen¬ nen, kann mir gleichgültig sein, da ich weder die Vorwürfe, die Sie der jungen Literatur machen, anerkenne, noch zu ihr zu ge¬ hören die Ehre habe. Ich habe Sie bisher als Literat und Publi¬ zisten nur geachtet, meine Ansicht dahin auch im zweiten Artikel 10 ausgesprochen und absichtlich die von Ihnen herrührenden Ge¬ dichte im Rheinischen Odeon nicht erwähnt, weil ich diese nicht hätte loben können. Absichtliche Entstellung kann man jedem vor¬ werfen und pflegt dies auch überall zu tun, wo eine Erzählung nicht mit des Lesers vorgefaßten Meinungen stimmt. Warum haben 15 Sie mir keine einzige nachgewiesen? Was die Unkenntnis der Verhältnisse betrifft, so hätte ich diesen Vorwurf am wenigsten erwartet, wenn ich nicht wüßte, wie sehr diese Redensart eine nichtssagende, überall in Ermangelung eines Besseren gebrauchte Floskel geworden ist. Ich habe mich vielleicht doppelt so lange 20 im Wuppertal auf gehalten wie Sie, habe in Elberfeld und Barmen gewohnt und die günstigste Gelegenheit gehabt, das Leben aller Stände genau zu beobachten. — Herr Runkel, auf Genialität, wie Sie mir vorwerfen, mache ich keine Ansprüche, aber dazu gehörte wahrlich ein außerordent- 25 lieh stupides Ingenium, unter solchen Umständen die Verhält¬ nisse nicht kennen zu lernen, besonders wenn man sich darum be¬ müht. Persönlichkeiten — ein Prediger, ein Lehrer ist so gut wie ein Schriftsteller ein öffentlicher Charakter, und eine Schilderung seines öffentlichen Auftretens nennen Sie doch wohl keine Per- 30 sönlichkeit? Wo habe ich Privatangelegenheiten zur Sprache ge¬ bracht, wo nun gar solche, die die Nennung meines Namens er¬ forderten, wo dergleichen verspottet? Und was die mir aufgebun¬ denen Unwahrheiten betrifft, so sehe ich mich, so gern ich alle Klopffechter ei oder nur Aufsehen vermieden hätte, genötigt, um 35 ♦) Diesen Artikel fanden wir gestern in unsrer Wohnung vor, ohne zu wissen, von wem er zugesandt worden. Wir drucken ihn wörtlich ab, da wir gern unpar¬ teiisch verfahren, bemerken aber unsrerseits, daß wir unsre allgemein aus¬ gesprochenen Behauptungen nur dann in Details verteidigen, wenn, was wir getan haben, jener Wuppertaler Briefsteller sich genannt haben wird. D. Red. d. Elberf. Ztg.
Brief an Runkel in Elberfeld 43 weder den Telegraphen noch meine anonyme Ehre zu kompromit¬ tieren, Sie aufzufordern, mir doch aus der „Fülle von Unwahr¬ heiten66 nur Eine nachzuweisen. Ehrlich gesagt, zwei sind wirk¬ lich drin. Die Umdichtung von Stier ist nicht wörtlich abgedruckt, 5 und mit dem Reisen des Herrn Egen ist es nicht so schlimm. Aber nun haben Sie doch die Güte, das Kleeblatt voll zu machen! Ferner sagen Sie, ich hätte nicht eine einzige Lichtseite der Gegend dar¬ gestellt. Das ist wahr; im einzelnen habe ich überall das Tüchtige anerkannt (nur Herm Stier habe ich nicht in seiner theologischen 10 Bedeutsamkeit dargestellt, was mir wirklich leid tut), aber im all¬ gemeinen habe ich keine reinen Lichtpartien finden können; die Darstellung derselben erwarte ich gleichfalls von Ihnen. Ferner ist es mir nicht eingefallen, zu sagen, die rote Wupper werde bei Barmen wieder klar. Das ist ja Unsinn, oder fließt die Wupper in bergan? Zum Schluß bitte ich Sie, erst zu urteilen, nachdem Sie das Ganze gelesen und den Dante künftig wörtlich oder gar nicht zu zitieren; er sagt nicht: qui si entra nell’ etemo dolore, sondern per me si va nello etemo dolore (Inferno III, 2). — Der Verfasser der Briefe aus dem Wuppertal.
[F. W. Krummachers Predigt über Josua] [TfD Mai 1839. Nr. 84, p. 671-672] * Krummacher in Elberfeld stellte kürzlich in einer Predigt über Josua 10, 12, 13, wo Josua die Sonne stillstehen heißt, die interessante Behauptung auf, daß fromme Christen, Auserwählte, 5 an dieser Stelle nicht annehmen dürften, daß Josua sich den An¬ sichten des Volkes hier akkomodiert habe, sondern glauben mü߬ ten, daß die Erde stille stehe und die Sonne sich um dieselbe bewege. Um diese Ansicht zu begründen, bewies er, daß sie in der ganzen Bibel ausgesprochen sei. Den Narren, io welchen die Welt ihnen, den Auserwählten, deshalb anhängen werde, sollten sie getrost zu den vielen, die sie schon bekommen, in die Tasche stecken. — Eine Widerlegung dieser uns aus guter Quelle gekommenen traurigen Anekdote würden wir mit Freuden aufnehmen. i5
Aus Elberfeld [TfD Nov. 1839. Nr. 178, p. 1420-1422] Es sind seit einiger Zeit Klagen laut geworden, bittere Klagen über die trostlose Kraft der Skepsis; hier und da schaute man 5 trübe auf das niedergerissene Gebäude des alten Glaubens, bang harrend, daß die Wolken zerreißen möchten, die den Himmel der Zukunft bedecken. Mit einem ähnlichen, wehmütigen Gefühle lege ich die „Lieder eines heimgegangenen Freundes46 aus der Hand ; es sind Lieder eines Toten, eines echten Wuppertaler Chri- io sten, an die glückliche Zeit erinnernd, wo man selbst noch kindlich glauben konnte an eine Lehre, deren Widersprüche man sich jetzt an den Fingern abzählen kann, wo man von heiligem Eifer glühte gegen religiöse Freisinnigkeit — einem Eifer, über den man jetzt lächelt oder errötet. — Der Druckort schon zeigt, daß man diese 15 Verse nicht nach dem gewöhnlichen Maßstabe beurteilen darf, daß hier keine blendenden Gedanken, kein fesselloser Schwung eines freien Geistes zu finden sind; ja es wäre unbillig, etwas anderes zu verlangen als Produkte des Pietismus. Der einzig rich¬ tige Maßstab, den man an diese Gedichte legen darf, ist durch die 2o frühere Wuppertaler Literatur gegeben, an der ich meinen Un¬ mut schon hinlänglich ausgelassen habe, um mm auch einmal von andrem Gesichtspunkte eines ihrer Erzeugnisse beurteilen zu dür¬ fen. Und da ist unverkennbar, daß in diesem Buche ein Fort¬ schritt sich zeigt. Die Gedichte — die von einem, wenn auch nicht 25 ungebildeten Laien herzurühren scheinen — stehen den Gedanken nach zum wenigsten gleich mit denen der Prediger Döring und Pol, ja zuweilen ist ein leiser Hauch von Romantik, soviel sich davon an die calvinistische Lehre anhängen läßt, nicht zu verken¬ nen. Was die Form betrifft, sind sie aber unstreitig das Beste, was so das Wuppertal bis jetzt hervorgebracht hat; neue oder seltene Reime sind oft nicht ohne Geschicklichkeit angebracht; ja bis zum Distichon und zur freien Ode hat sich der Verfasser erhoben, welche Formen ihm aber zu hoch waren. Krummachers Einfluß ist unverkennbar; seine Redensarten und Bilder sind überall be- 35 nutzt; wenn der Dichter aber singt: Pilger: Arme Schäflein von Christi Herde, Ich seh’ ja nichts von seiner Zierde An Dir, o Schäflein, so still.
46 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph Schäflein: Gedrückt ein Weilchen, dann hoch erhöht Das Schäflein im Paradiese steht. Pilger, schweige, und werd’ ein Lämmlein, Die still Gebeugten geh’n zum engen Tor ein, Drum schweig’ und bete und werd’ ein Lämmlein, & so ist das keine Nachahmung Krummachers, sondern schon er selbst! Dagegen finden sich einzelne Stellen dieser Gedichte, die durch die Wahrheit der Empfindung wirklich rührend sind — ach, man kann nur nie vergessen, daß diese Empfindung größtenteils krankhaft ist! Und doch zeigt es sich auch hier, wie stärkend und m tröstend eine wirklich zur Herzenssache gewordene Religion, selbst in ihren traurigsten Extremen, überall wirkt. Lieber Leser, verzeihe mir, daß ich Dir ein Buch vorführte, das unendlich wenig Interesse für Dich haben kann; Du bist nicht im Wuppertale geboren, Du standest vielleicht nie auf den Ber- iz gen und sahst nie die beiden Städte zu Deinen Füßen; aber Du hast auch eine Heimat und kehrst vielleicht mit derselben Liebe wie ich zu ihren unbedeutenden Erscheinungen zurück, wenn Du Deinen Zorn gegen ihre Verkehrtheiten ausgelassen hast. — S. O s w a 1 d *) 20 *) Verfasser der „Briefe aus dem Wuppertal“, die der Telegraph unlängst mit¬ teilte, und die niemand harmloser aufgenommen hat als F. W. Krummacher. An m. d. Red.
VERSCHIEDENES
Die deutschen Volksbücher Von Friedrich Oswald [TfD Nov. 1839. Nr. 186, p. 1481-1484; Nr. 188, p. 1501-1502; Nr. 189, p. 1509-1512; Nr. 190, p. 1518-1519; Nr. 191, p. 1526-1528] Ist es nicht ein großes Lob für ein Buch, wenn es ein Volksbuch, ein deutsches Volksbuch ist? Aber darum dürfen wir auch Großes von einem solchen Buche verlangen, darum muß es allen vernünf¬ tigen Ansprüchen genügen und von jeder Seite in seinem Werte unangreifbar sein. Das Volksbuch hat den Beruf, den Landmann, 10 wenn er abends müde von seinem harten Tagewerk zurückkehrt, zu erheitern, zu beleben, zu ergötzen, ihn seiner Mühen vergessen zu machen, sein steiniges Feld in einen duftigen Rosengarten um¬ zuwandeln; es hat den Beruf, dem Handwerker seine Werkstatt, dem geplagten Lehrjungen seine elende Dachkammer in eine Welt io der Poesie, in einen goldenen Palast umzuzaubem und ihm sein handfestes Liebchen in Gestalt einer wunderschönen Prinzessin vorzuführen; aber es hat auch den Beruf, neben der Bibel ihm sein sittliches Gefühl klarer zu machen, ihm seine Kraft, sein Recht, seine Freiheit zum Bewußtsein zu bringen, seinen Mut, seine Vater- 20 landsliebe zu wecken. Sind also im allgemeinen die Anforderungen, die man, ohne ungerecht zu sein, an ein Volksbuch machen darf, reicher poeti¬ scher Inhalt, derber Witz, sittliche Reinheit, und für das deutsche Volksbuch kräftiger, biederer deutscher Geist, Eigenschaften, 25 die zu jeder Zeit sich gleichbleiben, so sind wir daneben auch be¬ rechtigt, zu verlangen, daß das Volksbuch seiner Zeit entspreche oder aufhöre, Volksbuch zu sein. Sehen wir insbesondere die Gegenwart an, das Ringen nach Freiheit, das alle ihre Erschei¬ nungen hervorruft, den sich entwickelnden Konstitutionalismus, 5o das Sträuben gegen den Druck der Aristokratie, den Kampf des Gedankens mit dem Pietismus, der Heiterkeit mit den Resten düsterer Askese, so sehe ich nicht ein, inwiefern es Unrecht wäre, zu verlangen, das Volksbuch solle hier dem Ungebildeteren zur Hand gehen, ihm, wenn auch natürlich nicht in unmittelbarer 35 Deduktion, die Wahrheit und Vernünftigkeit dieser Richtungen zeigen — aber auf keinen Fall die Duckmäuserei, das Kriechen vor dem Adel, den Pietismus befördern. Von selbst versteht es sich aber, daß Gebräuche früherer Zeiten, deren Ausübung jetzt Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 4
50 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph Unsinn oder gar Unrecht wäre, dem Volksbuche fremd bleiben müssen. Nach diesen Grundsätzen dürfen und müssen wir auch die¬ jenigen Bücher beurteilen, die jetzt wirklich deutsche Volksbücher sind und gewöhnlich unter diesem Namen zusammengefaßt $ werden. Sie sind teils Erzeugnisse der mittelalterlichen deutschen oder romanischen Poesie, teils des Volksaberglaubens. Früher von den hohem Ständen verachtet und verspottet, wurden sie von den Romantikern hervorgesucht, bearbeitet, ja gefeiert. Aber die Romantik sah nur auf den poetischen Gehalt, und, wie unfähig sie 10 war, ihre Bedeutung als Volksbücher zu fassen, zeigt Görres in seinem Werk darüber. Daß Görres überhaupt seine Urteile alle dichtet, hat er ja noch in der neuesten Zeit gezeigt. Doch beruht auf seinem Buche noch immer die gewöhnliche Ansicht über diese Bücher, und Marbach beruft sich noch darauf bei der Ankün- is digung seiner Ausgabe. In der dreifachen neuen Bearbeitung dieser Bücher — durch Marbach in Prosa, durch Simrock eine prosaische und eine poetische — von denen zwei wieder für das Volk bestimmt sind, war die Aufforderung gegeben, die Gegen¬ stände dieser Bearbeitungen nochmals genau in ihrem volkstüm- 20 liehen Werte zu prüfen. Das Urteil über den poetischen Wert dieser Bücher muß jedem Einzelnen überlassen bleiben, so lange die Poesie des Mittelalters überhaupt so sehr verschieden beurteilt wird ; daß sie aber wirk¬ lich echt poetisch sind, wird wohl keiner leugnen. Mögen sie also 25 auch als Volksbücher sich nicht legitimieren können, der poetische Gehalt soll ihnen ungeschmälert bleiben, ja, nach Schillers Worten: Was unsterblich im Gesang soll leben, Muß im Leben untergehn, 30 möchte vielleicht mancher Dichter einen Beweggrund mehr finden, das, was sich als unhaltbar fürs Volk erweist, der Poesie durch Bearbeitung zu retten. — Zwischen denen dieser Erzählungen, die deutschen, und denen, die romanischen Ursprungs sind, findet sich ein sehr bezeichnender Unterschied; die deutschen, echte 35 Volkssagen, stellen den Mann handelnd in den Vordergrund; die romanischen heben das Weib, entweder geradezu duldend (Ge¬ novefa) oder liebend, also auch passiv gegen die Leidenschaft, hervor. Nur zwei sind ausgenommen: die Haimonskinder und Fortunat, beide romanisch, aber auch Volkssagen, während Okta- & vian, Melusine usw. Produkte der Hof poesie und erst später durch prosaische Bearbeitung ins Volk übergegangen sind. — Von den komischen ist auch nur eins nicht geradezu deutschen Ursprungs, Salomon und Morolf, während Eulenspiegel, die Schildbürger usw. uns nicht streitig gemacht werden können. 45
Die deutschen Volksbücher 51 Fassen wir die Gesamtheit dieser Bücher ins Auge und be¬ urteilen wir sie nach den im Anfänge ausgesprochenen Grund¬ sätzen, so ist es klar, daß sie nur nach einer Seite hin diesen An¬ sprüchen genügen; sie haben Poesie und Witz in reichem Maße und in einer auch dem Ungebildetsten im allgemeinen ganz ver¬ ständlichen Form, nach der andern Seite hin aber genügt die Gesamtheit gar nicht, einzelne sprechen gerade das Gegenteil aus, andere genügen nur teilweise. Die besonderen Zwecke, die die Gegenwart von ihnen verlangen dürfte, gehen ihnen als Pro- 10 dukten des Mittelalters natürlich ganz ab. Trotz der äußeren Reichhaltigkeit dieses Literaturzweiges und trotz Tiecks und Gör¬ res’ Deklamationen lassen sie also noch sehr zu wünschen übrig; ob diese Lücke aber jemals auszufüllen sein wird, ist eine andere Frage, die ich mir nicht zu beantworten getraue. 15 Um nun zu dem einzelnen überzugehen, so ist ohne Zweifel das wichtigste die Geschichte vom gehörnten Siegfried. — Das Buch laß’ ich mir gefallen; das ist eine Erzählung, die wenig zu wünschen übrig läßt, da ist die üppigste Poesie, bald mit der größten Naivetät, bald mit dem schönsten humoristischen Pathos 2o vorgetragen; da ist sprudelnder Witz — wer kennt nicht die kost¬ bare Episode vom Kampf der beiden Memmen? Da ist Charakter, ein kecker, jugendlich-frischer Sinn, an dem sich jeder wandernde Handwerksbursche ein Exempel abnehmen kann, wenn er auch nicht mehr mit Drachen und Riesen zu kämpfen hat. Und werden 25 nur die Druckfehler verbessert, an denen besonders die mir vor¬ liegende (Kölner) Ausgabe überaus reich ist, und die Interpunk¬ tion richtig gesetzt, so verschwinden Schwabs und Marbachs Über¬ arbeitungen gegen diesen echten Volksstil. Das Volk hat sich aber auch dankbar dagegen bewiesen ; keines dieser Bücher ist mir so so häufig vorgekommen wie dieses. Herzog Heinrich der Löwe. — Von diesem Buche habe ich mir leider kein altes Exemplar verschaffen können; die neuere, in Einbeck gedruckte Ausgabe scheint ganz an die Stelle der alten getreten zu sein. Voran geht eine Genealogie des Braunschweigi- 35 sehen Hauses, die bis zum Jahr 1735 geht, dann folgt die Bio¬ graphie des Herzogs Heinrich nach der Geschichte und darauf die Volkssage. Noch sind beigefügt eine Erzählung, die von Gott¬ fried von Bouillon dasselbe erzählt, wie die Volkssage von Hein¬ rich dem Löwen, die Geschichte vom Sklaven Andronicus, welche 4o einem palästinischen Abt Gerasimi zugeschrieben und am Schluß bedeutend verändert wird und ein Gedicht aus der neueren roman¬ tischen Schule, dessen Verfasser mir nicht einfällt, in dem die Sage vom Löwen noch einmal erzählt wird. So verschwindet die Sage, auf der doch das Volksbuch beruht, gänzlich unter den An- 45 hängsein, mit denen es die Freigebigkeit des weisen Herausgebers
52 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph ausstattete. Die Sage selbst ist sehr schön, aber das übrige kann nicht interessieren; was geht den Schwaben die braunschweigische Geschichte an? Und was soll die moderne, wortreiche Romanze hinter dem einfachen Stil des Volksbuches? — Doch auch der ist fort; der geniale Bearbeiter, der mir ein Pfarrer oder Schul- 5 meister aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts zu sein scheint, schreibt folgendermaßen: „So war das Ziel der Reise erreicht, das heilige Land lag vor Augen, der Boden wurde betreten, an den sich die bedeutendsten Erinnerungen der religiösen Geschichte knüpfen! Die fromme Einfalt, die hieher verlangensvoll geschaut 19 hatte, ging hier über in inbrünstige Andacht, fand hier volle Be¬ friedigung und ward die lebhafteste Freude in dem Herrn.“ — Man stelle die Sage in ihrer alten Sprache wieder her, füge, um ein Buch voll zu machen, andre echte Volkssagen hinzu und sende sie so unters Volk, so wird sie den poetischen Sinn wach halten; aber u in dieser Gestalt ist sie es nicht wert, unter dem Volke zu zirku¬ lieren. Herzog Ernst. — Der Verfasser dieses Buches ist kein be¬ sonderer Poet gewesen, indem er alle poetischen Momente im orientalischen Märchen vorfand. Doch ist das Buch gut geschrie- 20 ben und sehr unterhaltend für das Volk; das ist aber auch alles. An die Wirklichkeit der darin vorkommenden Phantasiegebilde wird doch kein Mensch mehr glauben; man mag es darum un¬ verändert in den Händen des Volks lassen. Ich komme jetzt zu zwei Sagen, die das deutsche Volk schuf 25 und ausbildete, zu dem Tiefsten, was die Volkspoesie aller Völker aufweisen kann. Ich meine die Sage von Faust und vom ewigen Juden. Sie sind unerschöpflich, jede Zeit kann sie sich aneignen, ohne sie in ihrem Wesen umzumodeln; und wenn auch die Be¬ arbeitungen der Faustsage nach Goethe zu den Iliaden post Home- 30 rum gehören mögen, so decken sie uns doch immer neue Seiten daran auf — von der Wichtigkeit der Ahasversage für die neuere Poesie gar nicht zu reden. Aber wie enthalten die Volksbücher diese Sagen! Nicht als Produkte der freien Phantasie, nein, als Kinder eines sklavischen Aberglaubens sind sie auf gefaßt; das 35 Buch vom ewigen Juden verlangt sogar einen religiösen Glauben an seinen Inhalt, den es mit der Bibel und vielen abgeschmackten Legenden zu rechtfertigen sucht; von der Sage enthält es nur das Alleräußerlichste, aber eine sehr lange und langweilige christliche Vermahnung über den Juden Ahasvérus. Die Faustsage ist zu 40 einer gemeinen Hexereigeschichte herabgesunken, mit ordinären Zauberanekdoten verziert, sogar die wenige Poesie, die sich in der Volkskomödie erhalten hat, ist fast ganz verschwunden. Nicht nur aber sind diese beiden Bücher unfähig, einen poetischen Ge¬ nuß zu bieten, sie müssen in der gegenwärtigen Gestalt den alten 45
Die deutschen Volksbücher 53 Aberglauben wieder befestigen und erneuern; oder was soll man anders von solchen Teufeleien erwarten? Das Bewußtsein der Sage und ihres Inhalts scheint auch im Volke ganz zu verschwin¬ den; Faust gilt für einen ganz gewöhnlichen Hexenmeister und s Ahasver für den größten Bösewicht außer Judas Ischariot. Aber sollte es nicht möglich sein, diese beiden Sagen dem deutschen Volke zu retten, sie in ihrer ursprünglichen Reinheit wieder herzustellen und ihr Wesen so klar auszudrücken, daß auch dem Ungebildeteren der tiefe Sinn nicht ganz unverständlich ist? Mar- bach und Simrock sind noch nicht zur Bearbeitung dieser Sagen gekommen; möchten sie bei diesen eine weise Kritik vorwalten lassen! Eine andre Reihe der Volksbücher liegt vor uns, es sind die scherzhaften, Eulenspiegel, Salomon und Morolf, der Pfaff 15 vom Kalenberge, die sieben Schwaben, die Schildbürger. Das ist eine Reihe, wie sie wenige Völker aufzuweisen haben. Dieser Witz, diese Natürlichkeit der Anlage wie der Ausfüh¬ rung, der gutmütige Humor, welcher den beißenden Spott überall begleitet, damit er nicht zu arg werde, diese frappante 20 Komik der Situation könnte wahrlich einen großen Teil unserer Literatur beschämen. Welcher Autor der Gegenwart hätte Er¬ findungsgabe genug, ein Buch wie die Schildbürger schaffen zu können? Wie prosaisch steht Mundts Humor da, vergleicht man ihn mit dem der sieben Schwaben! Freilich gehörte eine ruhigere 25 Zeit dazu, dergleichen zu produzieren, als die unsrige, die, einem ruhelosen Geschäftsmanne gleichend, stets die wichtigen Fragen im Munde führt, die sie zu beantworten habe, ehe sie an andres denken könne. — Was die Form dieser Bücher betrifft, so möchte außer Entfernung eines oder des andern mißratenen Witzes und 5o Reinigung des entstellten Stils, wenig an ihnen zu ändern sein. Von Eulenspiegel sind mehrere, mit preußischem Zensurstempel ver¬ sehene Ausgaben weniger vollständig; gleich im Anfänge fehlt ein derber Witz, der bei Marbach in einem sehr guten Holzschnitte dargestellt ist. 35 Einen schroffen Gegensatz hierzu bilden die Geschichten von Genovefa, Griseldis und Hirlanda, drei Bücher romanischen Ursprungs, die alle ein Weib zur Heldin haben, und zwar ein leidendes Weib; sie bezeichnen das Verhältnis des Mittelalters zur Religion, und das auf sehr poetische Weise — nur sind 40 Genovefa und Hirlanda zu sehr über einen Leisten gehauen. Aber, um Gottes Willen, was soll das deutsche Volk heutzutage damit? Man kann sich zwar unter Griseldis das deutsche Volk sehr schön vorstellen und unter Markgrafen Walther die Fürsten — aber da müßte denn die Komödie doch ganz anders schließen, als es im !) Im TfD romantischen
54 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph Volksbuche geschieht, man würde sich die Vergleichung beider¬ seits verbitten und würde hie und da gutes Recht dazu haben. Soll die Griseldis noch Volksbuch bleiben, so kommt sie mir vor wie eine Petition an die hohe deutsche Bundesversammlung um Emanzipation der Frauen. Man weiß aber hie und da, wie vor s vier Jahren dergleichen romanhafte Petitionen auf genommen wur¬ den, weshalb ich mich sehr wundere, daß Marbach nicht nach¬ träglich zum jungen Deutschland gerechnet worden. — Das Volk hat lange genug Griseldis und Genovefa vorgestellt, es spiele jetzt auch einmal den Siegfried und Reinald; aber der rechte Weg, es 10 dahin zu bringen, ist doch wohl nicht das Anpreisen jener alten Demütigungshistorien ? Das Buch vom Kaiser Octavianus gehört seiner ersten Hälfte nach dieser Klasse an, während es durch die zweite Hälfte sich an die eigentlichen Liebesgeschichten anschließt. Die Ge- # schichte von der Helena ist nur eine Nachahmung des Oktavian, oder beide sind vielleicht verschiedene Auffassungen derselben Sage. Die zweite des Oktavian ist ein vortreffliches Volksbuch und allein dem Siegfried zur Seite zu stellen; die Charakteristik des Florens, sowie seines Pflegevaters Clemens und des Claudius 20 ist ausgezeichnet, und Tieck hatte es hier sehr leicht; aber zieht sich nicht überall der Gedanke hindurch, daß adliges Blut besser sei als Bürgerblut? Und wie oft finden wir nicht diesen Gedanken noch im Volke selbst! Wenn dieser Gedanke nicht aus dem Okta¬ vian verbannt werden kann — und das halte ich für unmöglich — 25 wenn ich bedenke, daß e r zuerst entfernt werden muß, wo kon¬ stitutionelles Leben erstehen soll — so mag das Buch so poetisch sein, wie es will, censeo Carthaginem esse delendam. Den genannten tränenreichen Leidens- und Duldergeschichten stehen drei andre gegenüber, die die Liebe feiern. Es sind: Ma- 30 gelone, Melusina und Tristan. Magelone sagt mir als Volks¬ buch am meisten zu; Melusina ist wieder voll von absurden Mon¬ strositäten und fabelhaften Übertreibungen, so daß man beinahe eine Donquijotiade darin sehen möchte, und ich wieder fragen muß: was soll das dem deutschen Volke? Und nun gar die Ge- schichte von Tristan und Isolde — ihren poetischen Wert will ich nicht antasten, weil ich die herrliche Bearbeitung Gottfrieds von Straßburg liebe, wenn auch hie und da Mängel in der Erzählung zu finden sein möchten — aber es gibt kein Buch, das weniger dem Volke in die Hände gegeben werden dürfte als gerade dieses. 40 Zwar liegt hier eine moderne Frage wieder sehr nahe, die Eman¬ zipation der Frauen; ein geschickter Dichter würde bei einer Be¬ arbeitung des Tristan jetzt diese Frage gar nicht mehr von seiner Arbeit ausschließen können, ohne darum in eine gesuchte und langweilige Tendenzpoesie zu verfallen. Aber im Volksbuch, wo
Die deutschen Volksbücher 55 von dieser Frage keine Rede ist, kommt die ganze Erzählung auf eine Entschuldigung des Ehebruchs heraus — und das in den Händen des Volks zu lassen, ist doch sehr bedenklich. Indes ver¬ schwindet das Buch fast ganz, und sehr selten bekommt man ein 5 Exemplar davon zu Gesicht. Die Haimonskinder und Fortunat, wo wir wieder den Mann im Mittelpunkte der Handlung sehen, sind einmal wieder ein paar rechte Volksbücher. Hier der heiterste Humor, mit dem der Sohn Fortunas alle seine Abenteuer durchficht — dort der 10 kecke Trotz, die ungebändigte Oppositionslust, die der absoluten, tyrannischen Gewalt Karls des Großen jugendkräftig entgegen¬ tritt und sich nicht scheut, erlittene Beleidigungen mit eigner Hand, auch vor dem Auge des Fürsten, zu rächen. Solch’ ein jugendlicher Geist muß in den Volksbüchern herrschen, der läßt iß viele Mängel übersehen; aber wo ist der in Griseldis und ihren Verwandten zu finden? Zuletzt kommt das Beste, der geniale hundertjährige Kalender das superkluge Traumbuch, das nie fehlende Glücksrad und ähnliche unsinnige Kinder des leidigen Aberglaubens. Mit 20 welchen elenden Sophismen Görres dieses Zeug entschuldigt hat, weiß ein jeder, der sein Buch nur einmal angesehen hat. Alle diese traurigen Bücher hat die preußische Zensur mit ihrem Stempel beehrt. Freilich sind sie weder revolutionär, wie Börnes Briefe, noch unsittlich, wie man von der Wally behauptet. Man 26 sieht, wie falsch die Anschuldigungen sind, als sei die preußische Zensur ausnehmend scharf. Ich brauche wohl kein Wort mehr darüber zu verlieren, ob solches Zeug ferner unter dem Volke bleiben solle. Von den übrigen Volksbüchern ist nichts zu sagen; die Ge- 30 schichten von Pontus, Fierabras usw. haben sich längst ver¬ loren und verdienen also diesen Namen nicht mehr. Aber ich glaube schon in diesen wenigen Andeutungen gezeigt zu haben, wie ungenügend diese Literatur erscheint, wenn man jsie im In¬ teresse des Volks, nicht im Interesse der Poesie beurteilt. Was ihr 35 nottut, sind Bearbeitungen einer strengen Auswahl, die vom alten Ausdruck nicht ohne Not abgehen und gut ausgestattet, unter das Volk gebracht werden. Mit Gewalt die auszurotten, die vor der Kritik nicht bestehen können, dürfte weder leicht möglich, noch rätlich sein; nur dem wirklich Abergläubischen darf der Zensur- 40 stempel versagt werden. Die übrigen verlieren sich von selbst; Griseldis findet sich selten, Tristan fast gar nicht. In manchen Gegenden ist es nicht möglich, auch nur ein einziges Exemplar aufzutreiben, z. B. im Wuppertal; in andern, wie in Köln, Bremen usw. hat fast jeder Krämer Exemplare an den Fenstern für die 45 hereinkommenden Bauern ausgehängt.
56 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph Aber eine vernünftige Bearbeitung ist das deutsche Volk, sind die besseren dieser Bücher doch wohl wert? Es ist freilich nicht jedermanns Sache, eine solche Bearbeitung auszuführen; ich kenne nur zwei, die kritischen Scharfsinn und Geschmack genug bei der Auswahl, Gewandtheit im altertümlichen Stil bei der Aus- 5 führung besitzen ; das sind die Brüder G r i m m ; ob sie aber auch Lust und Muße zu dieser Arbeit haben würden? Die Marbachsche Bearbeitung paßt gar nicht für das Volk. Was ist da zu hoffen, wenn er gleich mit Griseldis anfängt? Nicht nur fehlt ihm alle Kritik, auch hat er sich zu Auslassungen hinreißen lassen, die gar io nicht nottaten; dazu hat er den Stil recht matt und farblos gemacht — man vergleiche das Volksbuch vom gehörnten Siegfried und jedes andre mit der Bearbeitung. Da ist nichts als auseinander¬ gerissene Sätze, Wortversetzungen, zu denen keine Veranlassung war, als Herm Marbachs Sucht, in Ermanglung anderweitiger x Selbständigkeit, hier selbständig zu scheinen. Oder was trieb ihn sonst dazu, die schönsten Stellen aus dem Volksbuch zu verändern und mit seiner unnötigen Interpunktion zu versehen? Wer das Volksbuch nicht kennt, für den sind die Marbachschen Erzäh¬ lungen ganz gut, aber sobald man beide vergleicht, sieht man, daß 20 Marbachs ganzes Verdienst die Verbesserung der Druckfehler ist. Seine Holzschnitte sind von ganz verschiedenem Wert. — Die Sim- rocksche Bearbeitung ist noch nicht weit genug gediehen, um ein Urteil darüber fällen zu können; doch traue ich Simrock weit mehr zu als seinem Nebenbuhler. Seine Holzschnitte sind auch durch- 25 gängig besser als die Marbachs. Sie haben für mich einen außerordentlichen, poetischen Reiz, diese alten Volksbücher mit ihrem altertümlichen Ton, mit ihren Druckfehlern und schlechten Holzschnitten; sie versetzen mich aus unsern geschraubten, modernen „Zuständen, Wirren und fei- 30 nen Bezügen“ in eine Welt, die der Natur weit näher liegt. Aber davon darf hier keine Rede sein; Tieck freilich hatte in diesem poetischen Reiz sein Hauptargument — aber was gilt Tiecks, Görres’ und aller andern Romantiker Autorität, wenn die Ver¬ nunft dawider spricht, und wenn es sich um das deutscheVolk 35 handelt?
Tafel II îd ejj t ap I) für $ e il t f dH a n b. 1839. $ e c e m b e t. 3^ 202. Ä a r l SB e cf. 23on JftUbKUfi OetoalH. Gin Fulton bin i$, roilb unb fturmberoegt Win J^eer bed 8iebê geyanjerte Geflattern Um meine ©ttrne bat ber Gram gelegt 2)en Œurban in gebeimnifreirfje galten — 5Dîit tiefen fdjnjüïfh'gen SBorten tratc&err Secf, SinlaÇ begebrenb, «n Vie Sieben ber beutfcljen Dichter; im Sluge bas ftoljeSewuftfepn feines SerufS, um ben SWunb einen wcltfchmerjlichen mobernen Bug. So firecfte er bie £>anb nad; bem Corbeer aue. 3«ei 3a|re ftnb feitbem vergangen; bebecft ber Corbeer verfôbnenb bie „geheimnisvollen galten" feiner Stirn? ©S lag in feiner erften ©ebichtfammlung eine gro^e Âü^n# bett. „©epanjerte Cieber," eine „neue Sibel," ein „junges ^aläfh'na, " — ber gwanjigjäbrige liierter fprang aus ÿrima gleich in ben britten Rimmel! DaS war ein geuer, rote es lange nicht loberte, ein geuer, bad ftarf rauchte, weil eS von olivgrünem frifchem $olje fam. Die junge Literatur entwicfelte ftch fo rafch unb glänjenb, bafj ihre ©egner einfahen, wie man burch b>ocf>inütb>ißeö DeS« avoniren ober Slburtbeilen mehr verlieren als gewinnen muffe. 6S war hob« 3tit, fte genauer ju betrachten unb t£re roirflü eben Schwächen angußreifen. Damit war benn bie junge Cite# ratur freilich als ebenbürtig anerfannt. Unb man fanb tiefer fdjwacben Seiten — ob wirtliche ober febeinbare, gebt uns h’tr Eine Seite aus dem Telegraph für Deutschland“ mit Engels’ Aufsatz „Karl Beck“
Karl Bede. Von Friedrich Oswald [TfD Nov. 1839. Nr. 202, p. 1609-1611; Dez. 1839. Nr. 203, p. 1619-1622] 5 Ein Sultan bin ich, wild und sturmbewegt, Mein Heer des Lieds gepanzerte Gestalten; Um meine Stirne hat der Gram gelegt Den Turban in geheimnisreiche Falten — Mit diesen schwülstigen Worten trat Herr Beck, Einlaß be- 10 gehrend, an die Reihen der deutschen Dichter; im Auge das stolze Bewußtsein seines Berufs, um den Mund einen weltschmerzlichen modernen Zug. So streckte er die Hand nach dem Lorbeer aus. Zwei Jahre sind seitdem vergangen; bedeckt der Lorbeer ver¬ söhnend die „geheimnisvollen Falten“ seiner Stirn? 16 Es lag in seiner ersten Gedichtsammlung eine große Kühnheit. „Gepanzerte Lieder“, eine „neue Bibel“, ein „junges Palästina“, — der zwanzigjährige Dichter sprang aus Prima gleich in den dritten Himmel! Das war ein Feuer, wie es lange nicht loderte, ein Feuer, das stark rauchte, weil es von allzugrünem frischem 20 Holze kam. Die junge Literatur entwickelte sich so rasch und glänzend, daß ihre Gegner einsahen, wie man durch hochmütiges Desavouieren oder Aburteilen mehr verlieren als gewinnen müsse. Es war hohe Zeit, sie genauer zu betrachten und ihre wirklichen Schwächen an- 25 zugreifen. Damit war denn die junge Literatur freilich als eben¬ bürtig anerkannt. Und man fand dieser schwachen Seiten — ob wirkliche oder scheinbare, geht uns hier nichts an — bald eine ziemliche Anzahl; am lautesten aber wurde behauptet, das ge¬ wesene junge Deutschland wolle die Lyrik stürzen. Freilich, Heine 30 kämpfte gegen die Schwaben; Wienbarg machte bittere Bemer¬ kungen über die alltägliche Lyrik und ihr ewiges Einerlei, Mundt verwarf alle Lyrik als unzeitgemäß und prophezeite einen Lite¬ raturmessias der Prosa; das war zu arg. Wir Deutschen sind von jeher stolz gewesen auf unsere Lieder; rühmte sich der Franzose 35 seiner selbsterkämpften Charte und spottete er unserer Zensur, so zeigten wir stolz auf die Philosophie von Kant bis Hegel und auf die Liederreihe vom Ludwigslied bis auf Nikolaus Lenau. Und dieser lyrische Schatz sollte uns nun verkümmert werden? Siehe»
58 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph da kommt die Lyrik der „jungen Literatur“ mit Franz Dingel¬ stedt, Emst von der Haide, Theodor Creizenach und Karl Beck. Kurz vor Freiligraths Gedichten erschienen Becks „Nächte“. Es ist bekannt, welches Aufsehen beide Gedichtsammlungen er¬ regten. Zwei junge Lyriker standen auf, denen damals von den 5 Jüngeren keiner an die Seite zu setzen war. Das Verhältnis Becks und Freiligraths zu einander wurde in der Eleganten Zeitung von Kühne in seiner, von den Charakteren her bekannten Manier be¬ sprochen. Ich möchte auf diese Kritik die Worte Wienbargs über G. Pfizer anwenden. io Die Nächte sind ein Chaos. Alles liegt bunt und regellos durch¬ einander. Bilder, oft kühn, wie seltsame Felsformationen; Keime eines künftigen Lebens, übergossen aber von einem Phrasenmeer; hier und da beginnt schon eine Blume zu sprossen, eine feste Insel sich anzusetzen, eine Kristallschichte sich zu bilden. Aber noch w ist alles Verwirrung und Unordnung. Nicht auf Börne, auf Beck selbst passen die Worte: Wie sich die Bilder wüst und blitzend treiben Durch mein gewitterschwüles, zürnend Haupt! Das Bild, welches uns Beck in seinem ersten Versuch von so Börne gibt, ist entsetzlich schief und unwahr; Kühnes Einfluß ist dabei nicht zu verkennen. Abgesehen davon, daß Börne nun und nimmermehr in solchen Phrasen gesprochen hätte, kannte er auch den ganzen verzweifelnden Weltschmerz nicht, den ihm Beck zu¬ schreibt. Ist das der klare Börne, der feste, unerschütterliche Cha- 25 rakter, dessen Liebe wärmte, aber nicht verbrannte, am wenigsten ihn selbst? Nein, das ist Börne nicht, das ist nur ein unbestimmtes Ideal des modernen Dichters, aus Heinescher Koketterie und Mundtschen Floskeln zusammengesetzt, ein Ideal, vor dessen Realisierung uns Gott bewahren möge. In Börnes Haupt haben so sich nie die Bilder wüst und blitzend herumgetrieben, seine Locken haben sich nicht fluchend gen Himmel gebäumt; in seinem Herzen scholl es nie Mitternacht, sondern immer Morgenstunde, sein Himmel war nicht blutig rot, sondern immer blau. Börne war glücklicherweise nicht so gräßlich verzweiflungsvoll, daß er die 35 „achtzehnte Nacht“ hätte schreiben können. Schwatzte Beck nicht so viel vom Rot des Lebens, mit dem sein Börne schreibt, so würd’ ich glauben, er hätte den Franzosenfresser nicht gelesen. Beck mag die allerwehmütigste Stelle des Franzosenfressers nehmen, und sie ist lichter Tag gegen seine affektierte Sturmnachtverzweif- 40 lung. Ist denn Börne an sich nicht poetisch genug; muß er erst mit diesem neumodischen Weltschmerze gepfeffert werden? Neu¬ modisch sage ich — denn daß dergleichen zur echten modernen Poesie gehöre, kann ich nie glauben. Das ist ja eben die Größe
Karl Beck 59 Börnes, daß er erhaben war über die jämmerlichen Floskeln und Koteriestichwörter unserer Tage. Noch ehe sich ein fertiges Urteil über die „Nächte“ bilden konnte, trat Beck schon mit einer neuen Reihe Dichtungen her- 5 vor. Der fahrende Poet zeigte ihn uns von anderer Seite. Der Sturm hatte ausgeweht, das Chaos begann sich zu ordnen. Man hatte keine so vortrefflichen Schilderungen erwartet, wie der erste und zweite Gesang sie aufwiesen; man hatte nicht geglaubt, daß Schiller und Goethe, die unserer pedantischen Ästhetik in die 10 Krallen geraten waren, zu einer so poetischen Zusammenstellung Stoff bieten könnten, wie sie im dritten Gesänge gegeben wurde; daß Becks dichterische Reflexion so ruhig und beinahe philiströs über der Wartburg schweben würde, wie sie es nun wirklich tat. Mit dem fahrenden Poeten war Beck förmlich in die Literatur io eingetreten. Beck kündigte stille Lieder an, und die Jour¬ nale berichteten, daß er ein Trauerspiel: Verlorne Seelen, aus¬ arbeite. Ein Jahr verging. Außer einzelnen Gedichten ließ Beck nichts von sich hören. Die stillen Lieder blieben aus und von den ver- 20 lorenen Seelen war nichts Gewisses zu erfahren. Endlich brachte die Elegante novellistischeSkizzen von ihm. Ein Versuch in Prosa von einem solchen Autor konnte jedenfalls Beachtung verlangen. Ich bezweifle indes, daß dieser Versuch selbst irgend¬ einen Freund der Beckschen Muse befriedigt hat. An einigen 25 Bildern war der Frühere zu erkennen; der Stil konnte bei sorg¬ samer Pflege sich recht nett herausbilden, das ist aber auch alles Gute, was von dieser kleinen Erzählung zu sagen ist. Weder tiefe Gedanken noch poetischer Schwung erhoben sie über die Sphäre der gemeinen Unterhaltungsliteratur; die Erfindung ziemlich all- 30 täglich und sogar unschön; die Ausführung gewöhnlich. In einem Konzerte sagte mir ein Freund, daß Becks stille Lie¬ der angekommen seien. Eben erklang das Adagio einer Beet- hovenschen Symphonie. So, dacht’ ich, werden diese Lieder sein; aber ich hatte mich getäuscht, es war wenig Beethoven und viel 35 Bellinisches Lamentieren darin. Als ich das kleine Heft zur Hand nahm, erschrak ich. Gleich das erste Lied so unendlich trivial, in einer so wohlfeilen Manier, nur durch gesuchte Redeweisen quasi¬ originell ! An die „Nächte“ erinnert nur in diesen Liedern noch die 40 enorme Träumerei. Daß in den Nächten viel geträumt wurde, war zu entschuldigen; dem fahrenden Poeten sah man’s nach, aber jetzt kommt Herr Beck aus dem Schlafen gar nicht heraus. Schon Seite 3 wird geträumt; S. 4, S. 8, S. 9, S. 15, S. 16, S. 23, S. 31, S. 33, S. 34, S. 35, S. 40 usw. überall Träume. Dazu kommt eine 45 ganze Reihe Traumbilder. Es wäre lächerlich, wenn es nicht gar
60 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph zu traurig wäre. Die Hoffnung auf Originalität mußte bis auf einige neue Versmaße verschwinden; dafür müssen uns denn Heinesche Anklänge entschädigen und eine grenzenlos kin¬ dische Naivität, die durch fast alle diese Lieder sich höchst widerwärtig hindurchzieht. Besonders leidet die erste Abteilung: 5 „Lieder der Liebe, Ihr Tagebuch“ daran. Von einer lodernden Flamme, von einem edeln, kräftigen Geist, wie Beck sein will, hätte ich solch’ einen matten, widerlichen Brei nicht erwartet. Nur zwei oder drei Lieder sind erträglich. „Sein Tagebuch“ ist etwas besser; da ist denn doch hier und da ein wirkliches Lied, das uns für die vielen Unsinnigkeiten und Faseleien entschädigen kann. Die größte dieser Faseleien seines Tagebuchs ist „Eine Träne“. Man weiß, was Beck früher schon in der Tränenpoesie leistete. Da ließ er „das Leid, den rohen blutigen Korsaren, im stillen Meer der Träne kreuzen“, und „den Gram, den stummen, kalten Fisch“, darin plätschern, jetzt gesellt sich noch mehr dazu: Träne, nicht vergebens Bist du voll und groß, Schwimmt doch meines Lebens Glück in deinem Schoß (!) 20 Es schwimmen in dir so viel, so viel, Mein Lieben und mein Saitenspiel. Träne, nicht vergebens Bist du voll und groß! Wie albern ist das! Die Traumbilder enthalten noch das Bessere 26 des ganzen Hefts, und einzelne Lieder darunter sind wenigstens herzlich. Besonders: Schlaf’ wohl! das, nach der Zeit des ersten Abdrucks in der Eleganten zu schließen, unter die frühem dieser Lieder gehören muß. Das Schlußgedicht ist eins der besseren, nur etwas phrasenhaft, und zum Schluß ist wieder die „Träne des m Weltgeistes starker Schild“. Den Schluß machen Versuche in der Ballade. Der Zigeu¬ ner k ö n i g, dessen Anfang stark nach Freiligraths Schilderungs¬ weise schmeckt, ist matt gegen die lebendigen Gemälde des Zi¬ geunerlebens bei Lenau, und der Phrasenschwall, der uns zwingen 36 soll, das Gedicht frisch und kräftig zu finden, macht es nur noch widerwärtiger. Dagegen ist „Das Röslein“ ein hübsch wieder¬ gegebener Moment. Das ungrische Wachthaus gehört in die Kategorie des Zigeunerkönigs; die letzte Ballade dieses Zyklus ist ein Exempel, wie ein Gedicht fließende und volltönende Verse 40 und schöne Floskeln haben kann, ohne doch einen besondem Ein¬ druck zu hinterlassen. Der frühere Beck hätte mit drei treffenden Bildern den finstern Räuber Janossyk anschaulicher hingestellt. Dieser muß denn noch zu guter Letzt auf der vorletzten Seite träumen, und so schließt das Heft, aber nicht das Gedicht, des- 46 sen Fortsetzung im zweiten Bändchen versprochen wird. Was
Karl Beck 61 soll das heißen? Sollen Dichtungen wie Journale schließen mit „Fortsetzung folgt“. Die Verlornen Seelen hat der Verfasser, nachdem sie als Drama von der Regie mehrer Theater für unaufführbar erklärt worden, 5 wie man hört, vernichtet: ein anderes Trauerspiel: „Saul“, scheint er jetzt auszuarbeiten, wenigstens hat die Elegante nur den ersten Akt und die Theater-Chronik einen großen Prospektus davon ge¬ geben. Dieser Akt ist schon in diesen Blättern besprochen worden. Ich kann das darin Gesagte leider nur bestätigen. Beck, dessen 10 regellose tastende Phantastik ihn unfähig macht zu plastischer Charakterdarstellung und allen seinen Personen dieselben Phrasen unterlegt, Beck, der in seiner Auffassung Börnes zeigte, wie wenig er einen Charakter verstehen kann, geschweige schaffen, konnte auf keinen unglücklicheren Gedanken kommen, als ein iß Trauerspiel zu schreiben. Beck mußte die Exposition unwill¬ kürlich von einem eben erschienenen Vorbilde entlehnen, mußte seinen David und Merob im weinerlichen Ton „Ihres Tagebuchs“ sprechen lassen, er mußte die Stimmungsübergänge im Gemüte Sauls mit der Plumpheit einer Jahrmarktskomödie wiedergeben. 2o Wenn man den Moab sprechen hört, so erkennt man erst die Be¬ deutung, die bei seinem Vorbilde Abner hat; dieser Moab, dieser rohe, blutige Molochjünger, der dem Tiere näher steht als dem Menschen, sollte Sauls „böser Geist“ sein? Ein Naturmensch ist noch keine Bestie, und Saul, der gegen die Priester opponiert, fin- 25 det darum doch noch keinen Gefallen an Menschenopfern. Dazu der Dialog über alle Maßen ledern, die Sprache matt, und nur einige erträgliche Bilder, die aber noch keinen Akt eines Trauer¬ spiels stützen können, erinnern an Erwartungen, die Herr Beck nicht mehr erfüllen zu können scheint.
Retrograde Zeichen der Zeit Von Friedrich Oswald [TfD Febr. 1840. Nr. 26, p. 101-102; Nr. 27, p. 107-108; Nr. 28, p. 111] Nichts Neues unter der Sonne! Das ist eine jener glücklichen 5 Pseudowahrheiten, denen die brillanteste Karriere zugedacht war, die von Mund zu Mund ihren Triumphzug um die Erde machten und nach Jahrhunderten noch so oft zitiert werden, als kämen sie erst eben zur Welt. Die echten Wahrheiten sind selten so glücklich gewesen ; sie mußten ringen und dulden, sie wurden gefoltert und 10 lebendig begraben und jeder knetete sie nach seinem Gutdünken zurecht. Nichts Neues unter der Sonne! Nein, Neues genug, aber es wird unterdrückt, wenn es nicht zu jenen geschmeidigen Pseudowahrheiten gehört, die immer ein loyales „das heißt usw.“ in ihrem Gefolge führen und die wie ein aufflackemdes Nordlicht 15 bald der Nacht wieder weichen; steigt aber eine neue, echte Wahr¬ heit am Horizonte morgenrötlich empor, so wissen die Kinder der Nacht wohl, daß sie ihrem Reich den Untergang droht und greifen zu den Waffen. Das Nordlicht findet ja stets einen heitern, das Morgenrot meist einen bewölkten Himmel, dessen Trübe es nieder- 20 zukämpfen oder mit seinen Flammen zu durchgeisten hat. Und einige solcher Wolken, die sich an die Morgenröte der Zeit ge¬ hängt haben, sollen jetzt vor uns Revue passieren. Oder fassen wir unsern Stoff anders an! Die Versuche, den Lauf der Geschichte mit einer Linie zu vergleichen, sind bekannt. 25 „Die Form der Geschichte“, heißt es in einem geistvollen Werke, das gegen die Hegelsche Geschichtsphilosophie geschrieben ist, „die Form der Geschichte ist nicht Auf- und Absteigen, nicht der konzentrische Kreis oder die Spirale, sondern der epische Paral- lelismus, bald konvergierend (so soll es wohl statt „kongruierend“ 30 heißen) bald divergierend.“ Ich halte mich indes lieber an eine aus freier Hand gezogene Spirale, die es mit ihren Windungen nicht zu genau nimmt. Langsam beginnt die Geschichte ihren Lauf von einem unsichtbaren Punkte aus, um den sie in schläfrigen Windungen kriecht; aber immer größer werden ihre Kreise, im- 35 mer rascher und lebendiger der Schwung; endlich schießt sie wie ein flammender Komet von Stern zu Stern, ihre alten Bahnen oft streifend, oft durchkreuzend und tritt mit jeder Umkreisung ihrer
Retrograde Zeichen der Zeit 63 selbst dem Unendlichen näher. — Wer will das Ende absehen? Und an jenen Stellen, wo sie ihre alte Bahn wieder aufzunehmen scheint, da erhebt sich die naseweise Kurzsichtigkeit und schreit frohlockend, daß sie einmal einen Gedanken gehabt! Da haben 5 wir’s, es ist nichts Neues unter der Sonne! Da jubeln unsre chine¬ sischen Stillstandshelden, unsre Rückschrittsmandarine und ma¬ chen Miene, drei Jahrhunderte als einen vorwitzigen Ausflug in verbotene Regionen, als einen Fiebertraum aus den Weltannalen hinauszurezensieren — und sie sehen nicht, daß die Geschichte 10 nur den gradesten Weg einem neuen, leuchtenden Ideengestirn entgegenbraust, das bald in seiner Sonnengröße ihre blöden Augen blenden wird. An einem solchen Punkte der Geschichte stehen wir jetzt. Alle Ideen, welche seit Karl dem Großen in die Arena traten, alle Ge- 15 schmäcke, die seit fünf Jahrhunderten einander verdrängten, wol¬ len ihr abgestorbenes Recht bei der Gegenwart noch einmal wieder geltend machen. Der Feudalismus des Mittelalters und der Abso¬ lutismus Ludwigs XIV., die Hierarchie Roms und der Pietismus des vorigen Jahrhunderts streiten sich um die Ehre, den freien; 2o Gedanken aus dem Felde zu schlagen! Man wird mir erlassen, von diesen ein Breiteres zu reden; blitzen doch gleich tausend Schwerter, alle schärfer als das meinige, gegen jeden, der eine dieser Devisen auf dem Schilde führt, und wissen wir doch, daß sie alle sich aneinander und am diamantharten Fuße der fort- 25 schreitenden Zeit zerreiben. Aber jenen kolossalen Reaktionen im kirchlichen und Staatsleben entsprechen unbemerktere Be¬ strebungen in Kunst und Literatur, unbewußte Rückschritte zu frühem Jahrhunderten, die zwar nicht der Zeit, aber doch dem Zeitgeschmack Gefahr drohen und deren Zusammenstellung selt- 30 samerweise noch nirgend geschehen ist. Man braucht eben nicht weit zu gehen, um diese Erscheinungen anzutreffen. Geht nur in einen modem möblierten Salon, so werdet ihr sehen, wes Geisteskinder die Formen sind, mit denen man euch umgibt. Alle die Rokokomißgeburten aus der Zeit des krassesten 35 Absolutismus sind heraufbeschworen worden, um den Geist der Bewegung in die Formen zu zwängen, in denen sich der „l’Etat c’est moi“ behaglich fühlte. Unsre Salons sind geschmückt, Stühle, Tische, Schränke und Sofas im style de la renaissance, und es fehlte nur noch, daß man Heinen eine Perücke auf setzte und Bet- 40 tinen in einen Reifrock preßte, um das siècle vollständig wieder herzustellen. Solch ein Zimmer ist freilich dazu gemacht, um darin einen Roman des Herm von Sternberg mit seiner merkwürdigen Vorliebe für das Zeitalter der Maintenon zu lesen. Man hat dem 4-, Geiste Sternbergs diese Kaprice verziehen, man hat sich auch
64 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph wohl, aber natürlich umsonst, nach tiefem Gründen dafür um¬ gesehen; ich erlaube mir indes zu behaupten, daß grade dieser Zug Stembergscher Romane, der für den Augenblick vielleicht ihre Verbreitung befördert, ihrer Fortdauer bedeutend schaden wird. Abgesehen davon, daß ein ewiges Hindeuten auf die dürrste, 5 prosareichste Zeit, gegen deren verschrobenes, zwischen Himmel und Erde zappelndes Wesen, gegen deren Konvenienzmarionetten unsre Zeit und ihre Kinder noch natürlich sind, die Schönheit einer Dichtung eben nicht hebt, so sind wir doch zu sehr gewohnt, diese Zeit in spöttischem Lichte zu betrachten, als daß sie uns auf die 10 Dauer in andrer Beleuchtung zusagen könnte, und eine solche Kaprice in jedem Stembergschen Romane wiederzufinden, wird am Ende doch überaus langweilig. Für mehr als eine Kaprice kann diese Neigung, wenigstens in meinen Augen, nicht gelten, und entbehrt sie schon dämm aller tiefem Gründe, so glaube ich 15 doch, den Anknüpfungspunkt im Leben der „guten Gesellschaft46 gefunden zu haben. Herr von Sternberg ist ohne Zweifel für sie erzogen worden und hat sich mit Behagen in ihr bewegen gelernt, hat vielleicht seine eigentliche Heimat in ihren Zirkeln gefunden; und da ist’s kein Wunder, wenn er mit einer Zeit liebäugelt, deren 20 gesellschaftliche Formen weit bestimmter und gerundeter, wenn auch hölzerner und geschmackloser waren als die heutigen. Weit kühner als bei Herm von Sternberg ist der Geschmack des siècle in seiner Mutterstadt Paris auf getreten, wo er ernsthafte Miene macht, den Romantikern den kaum errungenen Sieg wieder zu 25 entreißen. Victor Hugo kam, Alexander Dumas kam und die Herde der Nachahmer mit ihnen; die Unnatur der Iphigenien und Athalien wich der Unnatur einer Lucrezia Borgia, auf einen Starr¬ krampf folgte ein hitziges Fieber; man wies den französischen Klassikern Plagiate aus den Alten nach — da tritt Dem. Rachel 30 auf und alles ist vergessen, Hugo und Dumas, Lucrezia Borgia und die Plagiate; Phädra und der Cid spazieren mit abgemessenen Schritten und geschniegelten Alexandrinern über die Bühne, Achilles paradiert mit seinen Anspielungen auf den großen Lud¬ wig, und Ruy Blas und Mademoiselle de belle Isle wagen sich 35 kaum aus den Kulissen hervor, um sich gleich in deutsche Uber- setzungsfabriken und auf deutsche Nationalbühnen zu retten. Es muß ein seliges Gefühl sein für einen Legitimisten, im Anschauen Racinescher Stücke, die Revolution, Napoleon und die große Woche vergessen zu können; die Glorie des ancien régime steigt 40 aus der Erde hervor, die Welt behängt sich mit Hautelisse-Tape- ten, der absolute Ludwig spaziert in brokatner Weste und Allonge¬ perücke durch die gestutzten Alleen von Versailles, und ein all- *) Dies Sujet ist auch rococo. A. d. R.
Retrograde Zeichen der Zeit 65 mächtiger Maitressenfächer regiert den glücklichen Hof und das unglückliche Frankreich. Während hier indes die Reproduktion des Frühem in Frank¬ reich selbst bleibt, scheint eine Eigentümlichkeit der französischen 5 Literatur im vorigen Jahrhundert bei der gegenwärtigen deut¬ schen sich wiederholen zu wollen. Ich meine den philosophischen Dilettantismus, der sich bei mehreren neuern Schriftstellern eben so gut wie bei den Enzyklopädisten zeigt. Was hier der Materialis¬ mus war, beginnt dort Hegel zu werden. Mundt war der erste, 10 der — um in seinem eignen Sprachgebrauch zu reden — die Hegelschen Kategorien in die Literatur einführte; Kühne, wie immer, unterließ nicht, ihm zu folgen und schrieb die „Quaran¬ täne im Irrenhause“, und obgleich der zweite Band der „Charak¬ tere“ von einem teilweisen Abfall von Hegel zeugt, so enthält ihr 15 erster Band doch Stellen genug, in denen er Hegel ins Moderne zu übersetzen versucht. Leider gehören diese Übersetzungen aber zu denen, deren Verständnis nicht ohne das Original gewonnen werden kann. Die Analogie ist nicht zu leugnen; wird die Folgerung, die der 2o schon einmal angezogene Autor aus dem Schicksale des philoso¬ phischen Dilettantismus im vorigen Jahrhundert zog, nämlich, daß mit dem System der Keim des Todes in die Literatur kommt, wird sie auch bei dem des gegenwärtigen Jahrhunderts sich betätigen? Werden die Wurzeln eines Systems, das alle frühem an Konse- 25 quenz übertrifft, sich störrig quer über das Feld legen, das der poetische Genius beackert? Oder entsprechen diese Erscheinungen nur der Liebe, mit der die Philosophie der Literatur entgegen¬ kommt und deren Früchte an Hotho, Rötscher, Strauß, Rosen¬ kranz und den Hallischen Jahrbüchern so glänzend hervortreten? 30 Dann freilich würde sich der Gesichtspunkt anders stellen und wir dürften auf jene Vermittelung der Wissenschaft und des Lebens, der Philosophie und der modernen Tendenzen, Börnes und Hegels hoffen, deren Vorbereitung früher schon von einem Teile des so¬ genannten jungen Deutschland beabsichtigt wurde. Außer diesen 35 bleibt nur noch ein Ausweg offen, der sich hinter diesen beiden freilich etwas komisch ausnimmt; der, angenommen, daß Hegels Einfluß auf die schöne Literatur ohne alle Bedeutung sein werde. Ich glaube indes, nur wenige werden sich entschließen können, diesen einzuschlagen. 4o Aber wir müssen noch weiter zurück als bis zu den Enzyklo¬ pädisten und der Frau von Maintenon; Duller, Freiligrath und Beck erlauben sich, die zweite schlesische Schule des siebzehnten Jahrhunderts in unsrer Literatur zu repräsentieren. Wen erinnern Dullers Ketten und Kronen, Antichrist, Loyola, Kaiser und Papst 45 in ihrer Darstellung nicht an das himmelstürmende Pathos der Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 5
66 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph asiatischen Banise von weiland Ziegler von Klipphausen, oder an den „Großherzog Arminius samt seiner durchlauchtigsten Thus¬ nelda“ Lohensteins? Beck nun gar hat jene guten Leute an Schwulst noch übertroffen; man hält einzelne Stellen seiner Ge¬ dichte fast für nichts andres als für Produkte des siebzehnten 5 Jahrhunderts, eingetaucht in moderne Weltschmerztinktur; und Freiligrath, der auch zuweilen Schwulst von poetischer Sprache nicht unterscheiden kann, macht den Rückschritt zu Hofmanns¬ waldau vollständig, indem er den Alexandriner erneuert und die Koketterie mit Fremdwörtern wieder einführt. Er wird dies aber io hoffentlich mit seinen ausländischen Stoffen ablegen, Die Palme dorrt, der Wüstensand verweht, Ans Herz der Heimat wirft sich der Poet, Ein anderer und doch derselbe! und täte Freiligrath dies nicht, wahrlich, in hundert Jahren würde 15 man seine Gedichte für ein Herbarium oder eine Streusandbüchse halten und sie, den lateinischen Versregeln gleich, für den Schul¬ unterricht in der Naturgeschichte benutzen. Ein Raupach dürfte auf keine andre als eine solche praktische Unsterblichkeit seiner Jambenchroniken rechnen, aber Freiligrath wird uns hoffentlich 20 Dichtungen bringen, die des neunzehnten Jahrhunderts vollkom¬ men würdig sind. — Aber ist es nicht hübsch, daß wir in unsrer Reproduktionsliteratur seit der romantischen Schule schon vom zwölften bis ins siebzehnte Jahrhundert gediehen sind? Dann wird auch wohl Gottsched nicht lange mehr auf sich warten lassen. 25 Ich gestehe meine Verlegenheit, wie ich diese Einzelnheiten unter einen Gesichtspunkt rangieren soll; ich gestehe, die Fäden verloren zu haben, mit denen sie sich an die fortrollende Masse der Zeit knüpfen. Vielleicht sind sie noch nicht reif zu einem sichern Überblick und gewinnen noch an Umfang und Zahl. Aber 30 es bleibt merkwürdig, daß wie im Leben, so in Kunst und Literatur diese Reaktion hervortritt, daß die Klagen ministerieller Blät¬ ter von Wänden widerhallen, die das l’état c’est moi gehört zu haben scheinen und dem Geschrei der modernen Dunkelmänner auf dieser Seite die überladene Dunkelheit eines Teils der neuem 35 deutschen Poesie auf jener entspricht.
Platen [TfD Febr. 1840. Nr. 31, p. 124] Von den poetischen Kindern der Restaurationsperiode, deren Kraft durch die elektrischen Schläge des Jahres 1830 nicht ge- 5 lähmt wurde, und deren Ruhm sich erst in der gegenwärtigen Literaturepoche begründete, zeichnen sich drei durch eine be¬ zeichnende Ähnlichkeit aus: Immermann, Chamisso und Platen. Bei allen dreien eine ungewöhnliche Individualität, ein bedeuten¬ der Charakter und eine Verstandeskraft, die ihr poetisches Talent 10 zum mindesten aufwiegt. Bei Chamisso herrscht bald Phantasie und Gefühl vor, bald der berechnende Verstand; in den Terzinen besonders ist die Oberfläche durchaus kalt und verständig, aber man hört das edle Herz darunter pochen; bei Immermann be¬ kämpfen sich diese beiden Eigenschaften und bilden jenen Dualis- 15 mus, den er selbst anerkennt und dessen äußerste Spitzen seine starke Persönlichkeit wohl zusammenbiegen, aber nicht vereinen kann; bei Platen endlich hat die poetische Kraft ihre Selbständig¬ keit auf gegeben und findet sich leicht in die Herrschaft des mäch¬ tigeren Verstandes. Hätte Platens Phantasie sich nicht anlehnen 20 können an seinen Verstand und seinen großartigen Charakter, er wäre nicht so berühmt geworden. Darum vertrat er das Verstandes¬ mäßige der Poesie, die Form, und darum ward ihm sein Wunsch nicht gewährt, mit einem großen Werke seine Laufbahn zu be¬ schließen. Er wußte wohl, daß ein solches großes Werk nötig sei, 25 um seinem Ruhme Dauer zu verleihen; aber er fühlte auch, daß seine Kraft noch nicht dazu ausreiche, und hoffte von der Zukunft und seinen Vorarbeiten; indessen verfloß die Zeit, er kam aus den Vorarbeiten gar nicht heraus und starb endlich. Platens Phantasie folgte ängstlich dem kühnen Schritte seines so Verstandes; und als es auf ein geniales Werk ankam, als sie einen kühnen Sprung wagen sollte, den der Verstand nicht vollbringen konnte, da mußte sie zurückbeben. Daraus entsprang Platens Irr¬ tum, daß er die Produkte seines Verstandes für Poesie hielt. Für anakreontische Ghaselen reichte seine poetische Schöpferkraft 35 aus; zuweilen auch blitzte sie in seinen Komödien wie ein Meteor auf ; aber gestehen wir uns nur, von dem, was Platen eigentümlich war, ist das meiste Produkt des Verstandes, und als solches wird es immer anerkannt werden. Man wird seiner überkünstelten Gha¬ sele, seiner rhetorischen Oden müde werden; man wird die Pole- 5*
68 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph mik seiner Komödien größtenteils unberechtigt finden, aber man wird dem Witze seiner Dialoge, der Erhabenheit seiner Parabasen alle Achtung zollen und seine Einseitigkeit in der Größe seines Charakters begründet finden müssen. Platens literarische Stellung in der öffentlichen Meinung wird sich verändern; er wird weiter 5 von Goethe, aber näher zu Börne treten. Daß ihn auch seine Gesinnungen mehr zu Börne hinziehen, da¬ für zeugten außer einer Masse von Anspielungen in den Komö¬ dien schon mehrere Gedichte in der Gesamtausgabe, von denen ich nur die Ode an Karl X. erwähne; eine Reihe Lieder, die den 10 polnischen Freiheitskampf zur Veranlassung hatten, waren in diese Sammlung nicht aufgenommen, obwohl sie für die Charak¬ teristik Platens von hohem Interesse sein mußten. Jetzt sind sie, als Anhang zur Gesamtausgabe, in einer andern Verlagshandlung erschienen. Meine Ansicht über Platen finde ich darin bestätigt, w Der Gedanke und der Charakter müssen hier mehr und auffallen¬ der als sonst irgendwo die Poesie ersetzen. Darum findet sich Platen in der einfachen Weise des Liedes selten zurecht; es müssen lange, gestreckte Verse sein, deren jeder einen Gedanken betten kann, oder künstliche Odenmetra, deren ernster, gemessener Gang 20 einen rhetorischen Inhalt fast zu fordern scheint. Mit der Kirnst des Verses kommen Platen auch die Gedanken, und das ist der stärkste Beweis für den verstandesmäßigen Ursprung seiner Ge¬ dichte. Wer andere Ansprüche an Platen macht, den werden diese Polenlieder nicht befriedigen ; wer aber mit diesen Erwartungen 25 das Heftchen in die Hand nimmt, der wird für den mangelnden poetischen Duft durch eine Fülle erhabener, mächtiger Gedanken, die auf dem Boden des edelsten Charakters gewachsen sind, und durch eine „großartige Leidenschaftlichkeit46, wie die Vorrede treffend sagt, reichlich entschädigt werden. Schade, daß diese Ge- u dichte nicht einige Monate früher erschienen sind, als das deutsche Nationalbewußtsein sich gegen die kaiserlich russische euro¬ päische Pentarchie erhob; sie wären die beste Antwort darauf ge¬ wesen. Vielleicht hätte auch der Pentarchist hier manches Motto für sein Werk gefunden. 35 Friedrich Oswald
Joel Jacoby [TfD April 1840. Nr. 55, p. 219-220] Die Görressche Seiltänzertruppe hat an Joel Jacoby eine kostbare Akquisition gemacht. Die Partie des Bajazzo war früher 5 von Herm Guido Görres vertreten, dessen Späße dem Publikum indes nicht zusagen wollten; das neue Mitglied aber hat neuer¬ dings wieder in seinem „Kampf und Sieg“ seinen Beruf zu die¬ ser Rolle auf überraschende Weise dargetan. Ein Mann von sol¬ cher Vielseitigkeit, dem die rote Mütze und der Purpur Davids, io der Frack eines anstellungshungrigen Kandidaten und das Bu߬ hemd des Katechumenen gleich gut stehen, der mit Vergnügen das Amt einer ambulanten Anzeige übernimmt und vom eine Num¬ mer des Berliner politischen Wochenblattes, hinten den Verlags¬ katalog von Manz in Regensburg trägt, ein solcher Mann findet sich 15 mit Leichtigkeit in alle Rollen. Da tritt er nun zum ersten Male auf, ohne alle Befangenheit, und während „Heil und Frieden, Kampf und Sieg euch künden seine Töne“, schielt er mit dem einen Auge nach dem Roten Adlerorden, mit dem andern nach der Bischofsmütze. so „Womit soll ich euch erquicken?“ fragt er das Publikum. „Wollt ihr vom Jahrgange 1832 oder 1834, 1836 oder 1839? Was soll ich deklamieren, Marat oder Jarcke, David oder Görres oder Hegel?“ Aber er ist großmütig und gibt uns ein Ragout von allen Reminiszenzen, die sich in der Wüste seines Kopfes auf- 25 scheuchen lassen, und es ist wahr, er gibt uns etwas Erquickliches. Man ist in Verlegenheit, wo man diesen Unsinn anfassen soll. Es wird mir gern erlassen werden, die Perfidie der Gesinnung, die chaotische Konfusion der Begriffe, die auch diese Schrift des Ver¬ fassers auszeichnet, auseinanderzulegen; haben wir doch einen 3o Halbwahnsinnigen vor uns, in dessen Kopfe die eignen, unge- stalten Gedankenembryone mit den eingepfropften Begriffen an¬ derer eine zügellose Orgie anstellen! Wie viel mag z. B. unser Poet noch von seiner Vergangenheit wissen, wenn er sich „einen stillen Mann“ nennt! Er, der seit acht Jahren in einem fort schreit, 35 wütet, tobt für die Revolution, gegen die Revolution, für Preußen, für den Papst. Der ist ein stiller Mann? Er, dessen Klagen immer gleich V e r klagen war, der gebome Denunziant, der immer mas¬ senweise verdächtigte, der gehört zu den Stillen im Lande? •) Regensburg, 1840.
70 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph Die Sprachverwirrung Franz Karl Joel Jacobys ist seiner Ge¬ dankenverwirrung angemessen. Ich hätte nie der deutschen Sprache zugetraut, daß sie sich so eng an die verworrensten Vor¬ stellungen anschließen könne. Worte, die sich nie gesehen haben, werden hier zusammengeworfen; Begriffe, die sich abstoßen, wer- 5 den mit einem allmächtigen Zeitwort aneinandergekoppelt; die rechtlichsten, unschuldigsten Ausdrücke finden sich plötzlich zwi¬ schen Reminiszenzen aus Joels Revolutionsjahren, zwischen ver¬ dächtig blickenden Phrasen Menzels, Leos und Görres’, zwischen mißverstandenen Gedanken Hegels, und auf alle schwingt der io Dichter seine Hetzpeitsche, daß die ganze wilde Jagd, sich nieder¬ stürzend, radschlagend und taumelnd daherbraust und endlich im Schoß der alleinseligmachenden Kirche Ruhe findet. Der eigentliche Inhalt dieses Meisterwerks, das in einem Pseu- doparallelismus abgefaßt ist, in der alten „großartigen Manier, w alles zweimal (auch wohl drei- oder sechsmal) zu sagen“, besteht aus den lyrischen Klagen eines Juden und eines Katechumenen, und sodann aus den Klagen eines Katholiken, in welchen der Ver¬ fasser aus der einseitigen lyrischen Subjektivität heraustritt und ein echt modernes Drama entwickelt, in dessen Zentrum die ener- 20 gische Persönlichkeit des Verfassers tragiert (er ist wenigstens traurig genug anzuschauen), und über dessen trostlose Wirren die mittelalterliche Aurora der katholischen Kirche auf geht; riesen¬ groß erhebt sich der neue Prophet Joel aus dem modernen Chaos und weissagt den Untergang aller revolutionären, liberalen, hege- 25 lingischen und protestantischen Bestrebungen, welche einem neuen Zeitalter der Gedankenlosigkeit Platz machen werden. Der Fluch wird über alles ausgesprochen, was sich nicht dem Krummstab beugt; nur das „preußische Vaterland“ erhält pia desideria; da¬ gegen gehen die karlistischen Basken und die „belgische Nachti- 30 gall“ ein zu der Freude ihres Herrn Loyola. Man sieht, der Terro¬ rismus aus der Jakobinerepoche ist Herrn Jacoby gut im Gedächt¬ nis geblieben. Ein blutiges Gericht ergeht über alle Feinde des Jesuitismus und des monarchischen Prinzips, vor allem über die neuen Philosophen, welche einen Dolch in einem Futteral von 3s sinnverwirrenden Begriffen tragen und unter ihren bunten Lappen das wohlbekannte Leichentuch (wenigstens Herr Jacoby kennt es von früher sehr genau), in dem die Priester und die Fürsten bei¬ sammen finden ihren Todesschlaf. Aber der neue Prophet kennt sie, „ich hab’ euch stets verstanden“, sagt er selbst. Den Meister 40 dagegen spricht er frei, weil einige von des Meisters Ideen in Herrn Jacobys heißen Kopf geschneit und dort freilich zu Wasser geworden sind. Vor dem jetzt folgenden Chor der Geier und Eulen, so wie vor dem infernalischen Jauchzen verstummt die Kritik billigerweise. 45
Joel Jacoby 71 In Joel Jacoby sehen wir das schauderhafte Extrem, wohin end¬ lich alle die Herren Ritter vom Unverstände getrieben werden. Dahin führt endlich alle Feindschaft wider den freien Gedanken, alle Opposition gegen die absolute Macht des Geistes, möge sie 5 auftreten als wilder, regelloser Sansculottismus oder als gedan¬ kenloser, serviler Knechtsgeist; möge sie sich darstellen mit dem gescheitelten Haar des Pietisten oder der Tonsur des Pfaffen. Joel Jacoby ist eine lebendige Trophäe, ein Zeichen des Sieges, den der denkende Geist errungen hat. Wer jemals für das neunzehnte 10 Jahrhundert in die Schranken getreten ist, der kann mit triumphie¬ renden Blicken auf diesen verunglückten Zeitdichter hinschauen, denn über kurz oder lang werden alle seine Widersacher diesem gleichen. Friedrich Oswald 15 [Über Anastasius Grün] [TfD April 1840. Nr. 61, p. 244] * Bei der Kammerherrn-Bewerbung Anastasius Grüns wird man unwillkürlich an die Verse erinnert, die er vor zwei Jahren in der Eleganten abdrucken ließ. Das Gedicht war überschrieben: Apo- 2o stasie, und schloß : Will’s Gott, so lang ich gesund, erspäht Ihr mich bei diesem Panier. Wahr’s Gott! Wenn Ihr je mich drüben säht, Krank oder tot bin ich schier! 25 Denkt mein wie eines Toten dann; — Es mag oft bitter sein, Vorbeizugehn als Lebend’ger Am eignen Leichenstein. Das klingt fast wie Vorgefühl. F. 0.
Requiem für die deutsche Adelszeitung [TfD April 1840. Nr. 59, p. 235-236; Nr. 60, p. 238-239] Dies irae, dies illa Saecla solvet in favilla. — Jener Tag, an dem Luther die Urschrift des neuen Testamentes 5 hervorzog und mit diesem griechischen Feuer die Jahrhunderte des Mittelalters, mit ihrer Herrlichkeit und ihrer Knechtschaft, mit ihrer Poesie und Gedankenlosigkeit, zu Staub und Asche ver¬ brannte, jener Tag und die ihm folgenden drei Jahrhunderte haben endlich eine Zeit geweckt, „die so ganz der Öffentlichkeit ange- 10 hört, eine Zeit, von der Napoleon, dem man trotz vieler Eigen¬ schaften, die namentlich in den Augen der Deutschen verwerflich sind, einen seltnen Scharfsinn nicht absprechen kann, gesagt hat: ,Le journalisme est une puissance/ “ Ich führe diese Worte nur hier an, um zu zeigen, wie wenig mittelalterlich, d. h. gedankenlos, der 15 Prospektus der Adelszeitung ist, dem sie entlehnt sind. Und dieser Öffentlichkeit sollte die Krone aufgesetzt, sollte das Bewußtsein gegeben werden mit der deutschen Adelszeitung. Denn das ist klar, Gutenberg erfand den Druck nicht, um einem Börne — das war ja ein Demagoge — oder Hegel — der ist ja vom servil, wie 20 Heine, und hinten revolutionär, wie Schubarth bewiesen hat — oder irgend einem andern Bürgerlichen seine verworrenen Ge¬ danken in die Welt verbreiten zu helfen, sondern einzig und allein, um die Stiftung der Adelszeitung möglich zu machen. — Wohl ihr, sieisthinüber! Sie tat nur einen verstohlenen, scheuen 25 Blick in diese arge, unmittelalterliche Welt und ihr reines Jung¬ frauen- oder vielmehr gnädiges Fräuleinherz bebte zurück vor dem Greuel der Verwüstung, vor dem Schmutz der demokrati¬ schen Canaille, vor der schauderhaften Arroganz der Courunfä¬ higkeit, vor allen jenen bejammernswerten Zuständen, Bezügen so und Wirren dieser Zeit, die an den Toren freiherrlicher Schlösser, wenn sie sich dort melden, mit der Hetzpeitsche begrüßt werden. Wohl ihr, sie ist hinüber, sie sieht die Hohlheit der Demokratie, das Rütteln am Bestehenden, die Tränen der Hochwohl- und Hoch- gebomen nicht mehr, sie ist entschlafen. — 35 Requiem aetemam dona ei, Domine! Und doch, wir haben viel an ihr verloren! Welche Freude war nicht in allen Salons, wo nur Herren von sechzehn Ahnen Zutritt
Requiem für die deutsche Adelszeitung 73 haben, welcher Jubel in allen halbverlomen Vorposten der recht¬ gläubigen Aristokratie! Da saß der alte gnädige Papa im Erb¬ lehnstuhl, von den Lieblingshunden umgeben, in der Rechten die Erbpfeife, in der Linken die Erbkarbatsche und studierte an- 5 dächtig den antediluvianischen Stammbaum im ersten Buche Mosis, als die Tür aufging und der Prospektus der Adelszeitung hereingebracht wurde. Der Hochwohlgebome, als ihm das Wort Adel, mit großen Lettern gedruckt, begegnet, rückt eilig die Brille zurecht und liest beseligt das Blatt durch, er sieht, daß auch Fa- 10 miliennachrichten in der neuen Zeitung eine Stelle finden und freut sich schon auf seinen Nekrolog — wie gern möchte er ihn nicht selbst lesen! — wenn er einmal zu seinen Ahnen versammelt wird. — Da galoppieren die jungen Herren in den Schloßhof; der Alte läßt sie eilig heraufrufen, Herr Theoderich „von der Neige66 15 jagt die Rosse mit einem Peitschenhiebe in den Stall, Herr Sieg¬ wart überrennt mehrere Lakaien, tritt der Katze auf den Schwanz und schleudert ritterlichst einen alten, suppliziert habenden und abgewiesenen Bauern auf die Seite, Herr Giselher befiehlt den Dienern bei Leibesstrafe die Anordnungen zur Jagd ja untadelhaft zu treffen und so poltern die jungen Barone in den Saal. Die Hunde, welche ihnen heulend entgegenspringen, werden mit der Karbatsche unter den Tisch getrieben und Herr Siegwart von der Neige, der den Lieblingshund mit gnädigem Fuße zur Ruhe ver¬ wiesen, bekommt von dem entzückten Papa nicht einmal den ge- 25 wohnten zornigen Blick dafür. Herr Theoderich, der außer der Bibel und dem Stammbaum auch einiges im Konversationslexikon gelesen hat und also die Fremdwörter am richtigsten aussprechen kann, muß den Prospektus vorlesen und der Alte vergißt bei sei¬ nen Freudentränen Ablösungsordnung und Adelsbeschwerung. 30 Wie sittig-bescheiden-herablassend ritt die Gnädige nicht her¬ ein in die moderne Welt auf ihrem weißen Papierzelter, wie kühn sahen ihre beiden Ritter nicht in die Welt hinaus, jeder Zoll ein Baron, jeder Blutstropfen die Frucht von vierundsechzig eben¬ bürtigen Beilagem, jeder Blick eine Herausforderung! Zuerst 35 Herr von Alvensleben, der sein ritterliches Streitroß auf der dürren Heide französischer Romane und Memoiren herumgetum¬ melt hat, um nun auch einen Tyost gegen bürgerliche Rangen wagen zu können. Auf dem Schilde trägt er die Devise: „Ein wohl¬ erworbenes Recht kann nie ein Unrecht werden66, und schreit mit 40 starker Stimme in die Welt hinaus: „der Adel hat vor Zeiten die Gnade gehabt, sich verdient zu machen, jetzt ruht er auf seinen Lorbeeren, oder zu deutsch, liegt auf der Bärenhaut, und der Adel hat die Fürsten und somitauchdieVölker kräftiglich ge¬ schützt, und ich werde schon Sorge tragen, daß diese Großtaten 45 nicht vergessen werden und meine Geliebte, die Adelszeitung —
74 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph requiescat in pace — ist die schönste Dame in der Welt, und wer das leugnet, der —66 Da fällt der adelige Held vom Pferde und an seiner Stelle zockelte Herr Friedrich Baron de la Motte-Fouqué in die Schranken. Der alte „lichtbraune66 Rosinante, dem wegen langen 5 Stallebens die Eisen abgefallen waren, der in seinen besten Tagen nie fett gewesene Hippogryph, dem die romantischen Sprünge unter den Nordlandsrecken längst vergangen waren, fing plötzlich an zu stampfen; Herr von Fouqué vergaß den jährlichen poeti¬ schen Kommentar zum Berliner politischen Wochenblatt, ließ den 10 Panzer scheuren und das alte blinde Roß hervorführen und ging in einsamer Heldengröße auf den Kreuzzug der Ideen der Zeit; damit aber der ehrliebende Bürgerstand nicht glaube, gegen ihn richte sich die geknickte Lanze des alten Recken, wirft er ihm ein Vorwort hin. Solch herablassende Güte verdient Besprechung. 15 Das Vorwort belehrt uns, daß die Weltgeschichte nicht, wie Hegel höchst irrig meint, da ist, um den Begriff der Freiheit zu realisieren, sondern allein, um zu beweisen, daß es drei Stände geben muß, von denen der Adel fechten, der Bürger denken, der Bauer pflügen soll. Nun sollen das aber keine Kastenunterschiede 20 sein, sondern die Stände sollen sich gegenseitig flicken und er¬ frischen, nicht durch Mesalliancen, sondern durch Standes¬ erhöhungen. Es ist freilich schwer zu begreifen, daß der „quellen¬ klare See66 des Adels, der aus den reinen Quellen zusammenrann, die von den Höhen der Raubschlösser sprudelten, daß dieser See 25 noch eine Erquickung nötig haben soll. Aber der edle Baron er¬ laubt, daß Leute, welche nicht nur allein Bürger, sondern auch „Reitersknechte66 und vielleicht sogar Schneiderge¬ sellen gewesen sind, den Adel erfrischen sollen. Wie aber die übrigen Stände vom Adel erfrischt werden sollen, das sagt Herr 30 Fouqué nicht. Wahrscheinlich durch die aus dem Adel degra¬ dierten Subjekte; oder, da Herr Fouqué so gütig ist, zu gestehen, daß der Adel eigentlich innerlich nicht besser ist als die Canaille, so wird für den Adeligen die Erhebung in den Bürgerstand, oder gar in den Stand der Bauern von derselben Ehre sein, als das 35 Adelsdiplom für den Bürgerlichen? In dem Staate des Herm Fouqué ist ferner dafür gesorgt, daß die Philosophie nicht zu sehr überhand nimmt; Kant wäre mit seinen Gedanken über den ewigen Frieden dort auf den Scheiterhaufen gekommen, denn beim ewigen Frieden könnten die Adeligen gar nicht fechten, son- 40 dern höchstens etwa die Handwerksburschen. Man sieht, Herr Fouqué verdiente für seine gründlichen Stu¬ dien der Geschichte und Staatswissenschaft die Erhebung in den denkenden, d. h. in den Bürgerstand: er ist vortrefflich eingeübt,
Requiem für die deutsche Adelszeitung 75 bei Hunnen und Avaren, bei Baschkiren und Mohikanern, ja so¬ gar bei den Antediluvianern nicht nur ein verehrliches Publikum, sondern auch einen hohen Adel aufzuspüren. Er hat auch die nagelneue Entdeckung gemacht, daß im Mittelalter, als der Bauer 5 leibeigen war, der Bauernstand Liebes und Gutes in bezug auf die beiden andern gab und empfing. Seine Sprache ist unvergleichlich, er schleudert mit „wurzeltief eingreifenden Dimensionen“ um sich und „weiß Gold aus den a n s i c h (Hegel — Saul unter den Propheten) dunkelsten Erscheinungen zu ziehen“. — 10 Et lux perpétua luceat eis — sie haben’s wahrlich nötig. Sie hat noch so manchen schönen Gedanken gehabt, die selige Adelszeitung, zum Exempel den über den Grundbesitz des Adels und noch hundert andre, die zu preisen ein Ding der Unmöglich- 15 keit wäre, aber ihr schönster Gedanke war doch, in ihrer ersten Nummer unter den Ankündigungen gleich eine Mesalliance anzuzeigen. Ob sie mit gleicher Humanität Herrn von Rothschild unter den deutschen Adel rechnen wolle, hat sie nicht gesagt. Gott tröste die beklagenswerten Eltern und erhebe die Selige in den 2o himmlischen Grafenstand, Und laß sie ruhig schlafen. Bis über den jüngsten Tag! — Wir aber wollen ihr ein Requiem singen und eine Leichenrede halten, wie es eines braven Bürgers Pflicht ist. 25 Tuba mirum spargens sonum Per sepulcra regionum Coget omnes ante thronum. Hört ihr sie nicht, die Posaune, die die Grabsteine umbläst und die Erde freudig wogen macht, daß die Gräber sich auftun? Der so jüngste Tag ist angebrochen, der Tag, dem keine Nacht1* mehr fol¬ gen wird; der Geist, der ewige König ist auf seinen Thron ge¬ stiegen und zu seinen Füßen versammeln sich die Völker der Erde, Rechenschaft zu geben von ihrem Dichten und Trachten; es geht ein neues Leben durch die Welt, daß die alten Völkerstämme ihre 35 laubigen Zweige freudig wiegen im Hauche des Morgens und ab¬ schütteln alle alten Blätter zum Spiel des Windes, der sie zusam¬ menweht zu einem großen Scheiterhaufen, den Gott selbst mit seinen Blitzen entflammt. Das Gericht ist ausgegangen über die Geschlechter der Erde, das Gericht, das die Kinder der Vergan- 4o genheit gern niederschlagen möchten wie einen Erbschaftsprozeß; aber unerbittlich droht der ewige Richter mit seinen durchdringen¬ den Blicken; das Pfund, mit dem sie nicht gewuchert haben, wird von ihnen genommen, und sie werden hinausgestoßen in die Fin¬ sternis, wo kein Strahl des Geistes sie erquickt. 45 Friedrich Oswald *) Im TfD Macht
Landschaften Von Friedrich Oswald [TfD Juli 1840. Nr. 122, p. 485-487; Nr. 123, p. 490-491] Hellas hatte das Glück, seinen landschaftlichen Charakter in der Religion seiner Bewohner zum Bewußtsein gebracht zu sehen. 5 Hellas ist ein Land des Pantheismus; alle seine Landschaften sind — oder waren es wenigstens — in den Rahmen der Harmonie ge¬ faßt. Und doch drängt sich jeder Baum, jede Quelle, jeder Berg zu sehr in den Vordergrund, und doch ist sein Himmel viel zu blau, seine Sonne viel zu strahlend, sein Meer viel zu großartig, 10 als daß sie sich mit der lakonischen Vergeistigung eines Shelley- schen Spirit of nature, eines allumfassenden Pan begnügen soll¬ ten; jedes einzelne macht auch in seiner schönen Abrundung An¬ sprüche auf einen besondern Gott, jeder Fluß will seine Nymphen, jeder Hain seine Dryaden haben — und so ward die Religion der 15 Hellenen. Andere Gegenden waren nicht so glücklich ; sie dienten keinem Volke zur Grundlage seines Glaubens und müssen ein poetisches Gemüt abwarten, das den religiösen Genius, der in ihnen schlummert, heraufbeschwört. Steht ihr auf dem Drachen¬ fels oder auf dem Rochusberg bei Bingen und schaut ihr hin über 20 das rebenduftende Rheintal, die fernen blauen Berge mit dem Horizont verschmolzen, das Grün der Felder und Weinberge, vom Golde der Sonne übergossen, das Blau des Himmels widerstrah¬ lend aus dem Strom — da senkt sich der Himmel mit seinem Licht auf die Erde und spiegelt sich in ihr, der Geist versenkt sich in die 25 Materie, das Wort wird Fleisch und wohnt unter uns — das ist ver¬ körpertes Christentum. Im graden Gegensatz dazu steht die nord¬ deutsche Heide; da ist nichts als dürre Halme und demütiges Heidekraut, das im Bewußtsein seiner Schwäche nicht von der Erde aufzukriechen wagt; hier und da ein ehemals trotzender, jetzt 30 vom Blitz zersplitterter Baum; und je heiterer der Himmel ist, desto schärfer scheidet er sich in seiner selbstgenügsamen Herr¬ lichkeit von der armen verfluchten Erde, die im Sack und in der Asche vor ihm liegt, desto zomesheißer blickt sein Sonnenauge auf den kahlen, unfruchtbaren Sand — hier ist die jüdische Welt- 35 anschauung repräsentiert. Die Heide ist genug gescholten worden, die ganze Literatur hat ihr einen Fluch zugewälzt und sie nur, wie in Platens Ödipus, *) Im dritten Bande des Blasedow nimmt sich der Alte der Heide an.
Landschaften 77 zur Staffage der Satire angewandt, aber man hat es auch ver¬ schmäht, ihre seltenen Reize, ihre versteckten poetischen Beziehun¬ gen aufzusuchen. Man muß eigentlich in einer schönen Gegend, auf Bergeshöhen und waldigen Felsenkronen, auf gewachsen sein, 5 um das Abschreckende, Trostlose der norddeutschen Sahara recht zu empfinden, aber auch um den verborgenen, wie die libysche Mirage nicht immer sichtbaren Schönheiten dieses Gebietes mit Lust nachzuspüren. Die eigentliche Prosa Deutschlands steckt nur in den Kartoffelsteppen der linkenElbseite. Aber die Heimat der 10 Sachsen, des tatenreichsten deutschen Stammes, ist auch in ihrer Öde poetisch. In einer Sturmnacht, wenn die Wolken gespenstisch um den Mond flattern, wenn die Hunde sich von fern einander zu¬ bellen, dann jagt auf schnaubenden Rossen hinein in die endlose Heide, dann sprengt mit verhängten Zügeln über die verwitterten 15 Granitblöcke und die Grabhügel der Hünen; in der Feme blitzt das Wasser der Moore im Widerscheine des Mondes, Irrlichter gaukeln darüber hin, unheimlich tönt das Geheul des Sturmes über die weite Fläche; der Boden wird unsicher unter euch und ihr fühlt, daß ihr in den Bereich der deutschen Volkssage gekom- 20 men seid. Erst seit ich die norddeutsche Heide kenne, hab’ ich die Grimmschen „Kinder- und Hausmärchen66 recht verstanden. Fast allen diesen Märchen sieht man es an, daß sie hier entstanden sind, wo mit dem Anbruch der Nacht das Menschliche verschwin¬ det und die grausigen, formlosen Geschöpfe der Volksphantasie 25 über einen Boden hinhuschen, dessen Öde am hellen Mittag schon unheimlich ist. Sie sind die Versinnlichung der Gefühle, die den isolierten Bewohner der Heide erfassen, wenn er in einer solchen wilden Nacht durch sein Heimatland geht oder vom hohen Turme die öde Fläche schaut. Da treten die Eindrücke, die ihm von den 30 Sturmnächten der Heide aus seiner Kindheit geblieben sind, wie¬ der vor ihn und gestalten sich zu jenen Märchen. Das Geheimnis von der Entstehung des Volksmärchens belauscht ihr am Rhein und in Schwaben nicht, während hier jede Blitznacht — helle Blitznacht, sagt Laube — davon mit Donnerzungen redet. 35 Der Sommerfaden meiner Apologie der Heide würde, vom Winde getragen, sich wohl noch länger fortspinnen, wenn er sich nicht eben um einen unglücklichen, mit hannoverschen Landes¬ farben angemalten Wegweiser verwickelt hätte. Ich habe lang’ über die Bedeutung dieser Farben nachgedacht. Die königlich 4o preußischen zeigen zwar das nicht an, was Thiersch in seinem schlechten Preußenliede darin finden will; immerhin aber erin¬ nern sie in ihrer Prosa an die kalte, herzlose Bureaukratie und alles das, was dem Rheinländer vom Preußentum noch nicht recht einleuchten will; der schroffe Abstand zwischen Schwarz und x) Wohl irrtümlich statt rechten
78 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph Weiß kann ein Analogon bieten für das Verhältnis zwischen König und Untertanen in der absoluten Monarchie; und da sie eigentlich nach Newton gar keine Farben sind, so können sie andeuten, daß die loyale Gesinnung in der absoluten Monarchie die ist, welche sich zu gar keiner Farbe hält. Die muntre rote und weiße Fahne s der Hanseaten paßte doch wenigstens vor Zeiten; der französische Esprit schillert in der Trikolore, deren Farben sich auch das phlegmatische Holland aneignete, wahrscheinlich um sich selbst zu persiflieren; am schönsten und deutungsvollsten bleibt freilich immer die unglückliche deutsche Trikolore. Aber die hannover- io sehen Farben! Denkt euch einen Stutzer, der mit seinen weißen Inexpressibles eine Stunde lang über Stock und Stein, durch Chausseegräben und frischgepflügte Felder gejagt ist, denkt euch Lots Salzsäule — ein Exempel für das ehemals hannoversche Nunquam retrorsum, zur Warnung für viele — denkt euch dieses ehrwürdige Denkmal von der ungezogenen Beduinenjugend mit Lehm beworfen, und ihr habt einen hannoverschen Wappenpfahl. Oder bedeutet das Weiß vielleicht das unschuldige Staatsgrund¬ gesetz und das Gelb den Kot, mit dem es von gewissen feilen Federn bespritzt wird? — 20 Wenn ich den religiösen Charakter der Gegenden festhalte, so sind die holländischen Landschaften wesentlich calvi- nistisch. Die totale Prosa, die Unmöglichkeit einer Vergeistigung, die auf einer holländischen Fernsicht lastet, der graue Himmel, der nun einmal einzig zu ihr paßt, alles das erweckt denselben 25 Eindruck, den die unfehlbaren Beschlüsse der Dordrechter Synode in uns zurücklassen. Die Windmühlen, das einzig Bewegte in der Landschaft, erinnern an die Erwählten der Prädestination, die sich einzig und allein vom Hauche der göttlichen Fügung antreiben lassen; alles andere liegt im „Geistlichen Tod66. Und der Rhein 30 wie der strömende, lebendige Geist des Christentums verliert in dieser dürren Orthodoxie seine befruchtende Kraft und muß ganz und gar versanden. So erscheinen, vom Rheine aus gesehen, seine holländischen Ufer; andre Teile des Landes sollen schöner sein, ich kenne sie nicht. — Rotterdam, mit seinen schattigen Kais, 35 mit seinen Grachten und Schiffen, ist für Kleinstädter aus dem Innern Deutschlands eine Oase; hier begreift man, wie die Phan¬ tasie eines Freiligrath mit den scheidenden Fregatten zu fernen, üppigeren Gestaden ziehen konnte. Dann wieder die verdammten seeländischen Inseln, nichts als Schilf und Dämme, Windmühlen 40 und glockenspielende Kirchturmspitzen, zwischen denen sich das Dampfboot stundenlang hindurchwindet ! Aber nun, welch seliges Gefühl, wenn wir hinausfliegen aus den philiströsen Dämmen, aus der enggeschnürten, calvinistischen
Landschaften Orthodoxie in das Gebiet des freiwogenden Geistes! Helvoetsluys verschwindet, die Waalufer versinken rechts und links in den höher auf jubelnden Wellen, das sandige Gelb des Wassers verwandelt sich in Grün, und nun vergessen, was dahinten ist und mit frohem 5 Herzen hinaus in die dunkelgrüne, durchsichtige Flut! Und nun vergiß der Schmerzen, Die man dir angetan, Und geh’ mit ganzem Herzen Die große freie Bahn. 10 Der Himmel beugt sich nieder Wird Eines mit dem Meer — Du willst zerrissen wieder Fahren dazwischen her? Der Himmel beugt sich nieder, 15 Umfängt die schöne Welt, Selig der schönen Glieder, Die er umschlungen hält, Als wollte sie ihn küssen, So hüpfte die Welle auf, 20 Und du, du willst zerrissen Vollenden deinen Lauf? Sieh’ wie der Gott der Liebe Sich in die Welt versenkt. Und daß er ihr verbliebe, 25 Sich ihr im Menschen schenkt! Trägst du nicht allerwegen Den Gott im Busen dein? So lass’ ihn frei sich regen, Und seiner würdig sein! 30 Dann hänge dich in die Taue des Bugspriets und schau’ in die Wogen, wie sie vom Kiele zerteilt, den weißen Schaum weit hinaus spritzen über dein Haupt, dann sieh’1) über die ferne, grüne Fläche, wo die schäumenden Wellenhäupter in ewiger Unruhe auftauchen, wo die Sonnenstrahlen aus tausend tanzenden Spiegeln in dein 35 Auge zurückfallen, wo das Grün des Meeres mit dem spiegelnden Himmelblau und Sonnengold zu einer wunderbaren Farbe ver¬ schmilzt, da entschwinden dir alle die kleinlichen Sorgen, alle Erinnerungen an die Feinde des Lichts und ihre hinterlistigen Ausfälle, und du gehst auf im stolzen Bewußtsein des freien, un- 40 endlichen Geistes! Ich habe nur einen Eindruck, den ich diesem vergleichen konnte; als sich zum erstenmal die Gottesidee des letzten Philosophen vor mir auftat, dieser riesenhafteste Gedanke des neunzehnten Jahrhunderts, da erfaßten mich dieselben seligen Schauer, da wehte es mich an, wie frische Meerluft, die vom 45 reinsten Himmel herniederhaucht; die Tiefen der Spekulation lagen vor mir wie die unergründliche Meerflut, von der das zum Boden strebende Auge sich nicht abwenden kann; in Gott leben, O Im TfD sich
80 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph weben und sind wir! Das kommt uns auf dem Meere zum Bewußt¬ sein; wir fühlen, daß alles um uns und wir selbst von Gott durch¬ haucht sind; die ganze Natur ist uns so verwandt, die Wellen win¬ ken uns so vertraut zu, der Himmel breitet sich so liebeselig um die Erde, und das Licht der Sonne hat einen so unbeschreiblichen s Glanz, daß man meint, es mit Händen greifen zu können. — Die Sonne sinkt im Nordwest; links von ihr erhebt sich ein leuchtender Streif aus dem Meere, die Küste von Kent, das süd¬ liche Ufer der Themse. Auf der See liegen schon die Nebel der Dämmerung, nur im Westen ist, wie über den Himmel, auch übers 10 Wasser, der Purpur des Abends ausgegossen; der östliche Himmel prangt in tiefem Blau, aus dem die Venus schon hell heraustritt; im Südwesten zieht sich lang am Horizonte Margate hin, in dessen Fenstern das Abendrot sich spiegelt, ein langer goldener Streif in zauberischem Lichte; und nun schwingt die Mützen und begrüßt # das freie England mit freudigem Rufe und vollem Glase. Gute Nacht, auf fröhliches Erwachen in London! Ihr, die ihr über die Prosa der Eisenbahnen klagt, ohne je eine gesehen zu haben, laßt euch fahren auf der, die von London nach Liverpool geht. Wenn es irgend ein Land gibt, das gemacht20 ist, auf der Eisenbahn durchflogen zu werden, so ist es England. Keine blendenden Schönheiten, keine kolossalen Felsmassen, aber ein Land voll sanfter Hügelwellen, das bei der englischen, nie ganz klaren Sonnenbeleuchtung einen wunderbaren Reiz hat. Man staunt über die mannigfachen Gruppierungen der einfachen Staf- 25 fage; aus ein paar Hügeln, Feld, Bäumen, weidendem Vieh macht die Natur tausend anmutige Landschaften. Eigentümlich schön erscheinen die Bäume, mit denen alle Felder, einzeln und in Gruppen, besetzt sind, so daß die ganze Gegend etwas Park¬ ähnliches erhält. Dann wieder ein Tunnel, der den Wagenzug für 30 einige Minuten im Dunkel hält, und der in einen Hohlweg ausläuft, aus dem man plötzlich wieder in die lachenden, sonnigen Felder versetzt wird. Auf einmal führt der Weg auf einem Viadukt quer durch ein langes Tal; tief unten liegen die Städte und Dörfer, die Wälder und Wiesen, zwischen denen der Fluß sich hindurch-35 schlängelt; rechts und links Berge, die im Hintergründe ver¬ schwimmen, und über dem reizenden Tale eine zauberhafte Be¬ leuchtung, halb Nebel, halb Sonnenschein — doch kaum hat man das wunderbare Gebiet überschaut, so ist man ihm in einen kahlen Hohlweg entrückt und hat Zeit, das magische Bild in der Phan- 40 tasie neuzuschaffen. Und so geht es fort, bis die Nacht herein¬ bricht und der Schlummer die schauensmatten Augen schließt. 0, es liegt eine reiche Poesie in den Provinzen Britanniens! Oft meint man, noch in den golden days of merry England zu sein, und Shakespeare mit der Büchse hinterm Hag schleichen zu sehen, 45
Landschaften 81 wie er noch nach fremdem Wilde jagte, oder man wundert sich, daß auf dieser grünen Au nicht eine seiner göttlichen Komödien wirklich sich abwickelt. Denn wo die Szene auch liegen mag, in Italien, in Frankreich oder Navarra, immer ist’s im Grunde doch 5 merry England, wohin seine barocken Rüpel, seine superklugen Schulmeister, seine liebenswürdig-bizarren Frauen gehören, über¬ all merkt man dem Ganzen an, daß nur der englische Himmel dazu paßt. Nur einige Komödien, wie der Sommernachstraum, haben das Südlich-Klimatische so vollkommen wie Romeo und 10 Julie, auch in den Charakteren. Und nun zurück zu unserem Vaterlande! Das malerische und romantische Westfalen ist ganz ärgerlich geworden über seinen Sohn Freiligrath, der es über den freilich weit malerischeren und romantischeren Rhein ganz und gar vergessen hat; trösten wir es 15 mit einigen schmeichelnden Worten, damit seine Geduld nicht eher bricht, als das zweite Heft erscheint. Westfalen ist von Berg¬ ketten gegen Deutschland hin umgeben und nur gegen Holland offen, gleichsam als sei es von Deutschland ausgestoßen. Und doch sind seine Kinder echte Sachsen, treue, gute Deutsche. Nun, 20 jene Berge bieten herrliche Punkte dar; im Süden die Ruhr- und Lennetäler, im Osten das Wesertal, im Norden eine Bergkette von Minden nach Osnabrück — überall die reichsten Aussichten, nur in der Mitte des Landes eine langweilige Sandfläche, die man durch Gras und Korn immer hindurchscheinen sieht. Und dann 25 die alten schönen Städte, vor allen Münster mit seinen gotischen Kirchen, mit den Arkaden seines Marktes, mit Annette Elisabeth von Droste-Hülshoff und Levin Schücking. Der letztere, den ich das Vergnügen hatte, dort kennenzulemen, war so gütig, mich auf die Gedichte jener Dame aufmerksam zu machen, und ich kann so diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne einen Teil der Schuld abzutragen, die das deutsche Publikum sich gegen diese Poesien auf geladen hat. Es hat sich bei ihnen wiederum bewährt, daß die gepriesene deutsche Gründlichkeit es sich nur zu leicht mit der Würdigung von Gedichten macht; man blättert sie durch, 35 untersucht, ob die Reime rein, die Verse fließend sind, ob der Inhalt leicht zu verstehen und an schlagenden, wenigstens blenden¬ den Bildern reich ist, und das Urteil ist fertig. Aber Dichtungen wie diese, wo eine Innigkeit des Gefühls, eine Zartheit und Origi¬ nalität der Naturbilder, wie sie nur Shelley haben mag, eine 40 kühne, Byronsche Phantasie im Gewände einer freilich etwas steif drappiertenForm, einer von Provinzialismen nicht freien Sprache auf treten, gehen spurlos vorüber; wer hätte aber auch Lust, sie etwas langsamer zu lesen als gewöhnlich — und da man doch nur Gedichte zur Hand nimmt, wenn die Stunde der Siesta kommt, 45 so könnte die Schönheit derselben wohl gar dem Schlafe Abbruch Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 6
82 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph tun! Dazu ist die Dichterin eine gläubige Katholikin, und wie kann sich ein Protestant dafür interessieren! Aber wenn der Pietismus den Mann, den Magister, den Oberhelfer Albert Knapp lächerlich macht, so steht der kindliche Glaube dem Fräulein von Droste gut. Es ist eine mißliche Sache um die religiöse Freisinnigkeit der 5 Frauen. Die George Sands, die Mistreß Shelleys sind selten; nur zu leicht zernagt der Zweifel das weibliche Gemüt und erhebt den Verstand zu einer Macht, die er bei keinem Weibe haben darf. Wenn aber die Ideen, mit denen wir Kinder des Neuen stehen und fallen, Wahrheit sind, dann ist auch die Zeit nicht mehr fern, wo 10 das weibliche Herz ebenso warm für die Gedankenblüten des mo¬ dernen Geistes schlägt wie jetzt für den frommen Glauben der Väter — und erst dann wird der Sieg des Neuen vor der Tür sein, wenn die junge Generation es mit der Muttermilch in sich auf¬ nimmt. 15
10 15 20 25 30 35 Ein Abend Von Friedrich Oswald [TfD Aug. 1840. Nr. 125, p. 498-500] To morrow comes! Shelley. 1. Im Garten sitz’ ich — eben ist gesunken Des alten Tages Sonne in die Fluten Und, die von ihr beherrscht, verborgen ruhten, Spriih’n lustig jetzt, der Abendröte Funken. Die Blumen steh’n und schau’n sich an so trübe, Daß ihnen schwand der Sonne heit’res Leuchten, Die Vögel aber auf den unerreichten Baumgipfeln singen froh ihr Lied der Liebe. Die Schiffe ruhen auf des Stromes Rücken, Die sonst den weiten Ozean durchfahren, Und fernherüber dröhnt das Holz der Brücken, Drauf heimwärts ziehn der Menschen müde Scharen. Der kühle Trank braust auf im hellen Becher, Und vor mir liegen Calderons Komödien; Und so berausch’ ich mich, ein rechter Zecher, Am Wein und den gewaltigen Tragödien. 2. Bleich wird das Abendrot im Westen schon — Geduld, ein Morgen kommt, ein Freiheitsmorgen, Die Sonne steigt, und ewig glüht ihr Thron, Fern bleibt die Nacht mit ihren trüben Sorgen. Da sprießen neu die Blumen, nicht in Beeten, Nicht da allein, wo wir den Samen säeten, Die ganze Erde wird ein lichter Garten. Und alle Pflanzen wechseln ihre Länder, Die Friedenspalme schmückt des Nordens Ränder, Der Liebe Rose kränzt die Frosterstarrten. Die feste Eiche wandert nach dem Süden, Despoten trifft als Keule dort ihr Ast, Und wer dem Lande wiedergab den Frieden, Der sieht von ihrem Laub sein Haupt umfaßt. Die Aloe sproßt in aller Welt empor — 6*
84 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph Ihr ist der strenge Geist des Volkes ähnlich. So stachelvoll, so plump und unansehnlich, Bis plötzlich, laut erkrachend, bricht hervor Durch jedes Hemmnis eine lichte Blüte, Die Freiheitsflamme, die verborgen glühte, 5 Den Duft verhauchend, der zu Gott mag dringen Eh’ als der Weihrauch, den ihm Heuchler bringen. Und einsam steh’n im Haine und vergessen, Jetzt ohne Deutung, einzig die Zypressen. 3* 10 Die Vögel, die dann auf den grünen Zweigen Mit lautem Sang das Morgenrot verkünden, Die schon erkennen, wenn die Wolken neigen Ihr feuchtes Haupt zu niedem Tälergründen, Daß bald die Sonne wird den Thron besteigen, u Das sind die Männer aus dem Dichterreigen; Ihr Wort wird fortgetragen an den Winden, Die, frei, sich gern mit freiem Wort verbünden. Die Sänger stehn nicht auf der Schlösser Warten — Die Adelsschlösser sanken längst, zertrümmert — 20 Von stolzen Eichen, die im Sturm nicht knarrten, Sehn sie zur Sonne kühn und unbekümmert; Ob sie der Strahl des Lichts, des langerharrten, Auch blende, wenn er rein die Welt umschimmert, Und ich bin einer auch der freien Sänger; 25 Die Eiche Börne ist’s, an deren Ästen Ich aufgeklommen, wenn im Tal die Dränger Um Deutschland enger ihre Ketten preßten. Ja, einer bin ich von den kecken Vögeln, Die in dem Äthermeer der Freiheit segeln; 30 Und wär’ ich Sperling nur in ihren Zügen — Ich wäre Sperling lieber unter ihnen, Als Nachtigall, sollt’ ich im Käfig liegen, Und mit dem Liede einem Fürsten dienen. 4. 35 Dann trägt das Schiff, das durch die Wogen schäumt, Nicht Waren mehr, um einz’le zu bereichern, Nicht dient’s dem gier’gen Kaufmann mehr zu Speichern, Es bringt die Saat, der Menschenglück entkeimt; Es ist ein Roß, das jugendfroh sich bäumt, 40 Sein Reiter bringt den Heuchlern Tod und Schleichern, ’s ist einer von den mut’gen Gramverscheuchern, ’s ist ein Gedanke, der von Freiheit träumt.
Ein Abend 85 5 10 15 20 25 30 35 40 Die Flagge trägt nicht mehr des Königs Wappen, Dem sich das Schiff svolk beugt mit Furcht und Zittern — Sie trägt die Wolk’, um die nach Ungewittern, Wenn sie der Blitz zerriß mit seinen Schlägen, Sich sühnend will der Friedensbogen legen. 5. Dann wölbt die Liebe Brücken, unsichtbare, Von Herz zu Herzen; ob durch ihren Bogen Herniederbraust der rasche Strom der Jahre, Der Strom der Leidenschaften, schaumumflogen, Die Brücke wanket nicht, die demantharte, Und d’rüber weht der Freiheit Lichtstandarte Und d’rüber geht der Mensch; wohin er sendet Den Blick, wohin sein Fuß ihn möge tragen, Er sieht ein gastlich Dach gen Himmel ragen, Erquickung wird ihm gerne stets gespendet; Wo er sich legt, das Auge schlaf geblendet, Da fühlt er heimisch sich und sonder Zagen. Zum Äther aber wölbet neue Brücken, Ein rein’rer Glaube, d’rauf die Menschen dreister Zum Himmel geh’n, demütig-stolz zu blicken Ins Aug’ dem ew’gen Urbild aller Geister. Aus seinem Schoße sind sie ausgegangen, Zu seinem Schoße kehren sie hinwieder, Sich fühlend als der Geisteskette Glieder, Die ewig die Materie umfangen. 6. Ein neuer Wein wird dann die Becher füllen, Der Freiheit Wein, zu üppiger Berauschung; Er wird die Sinne nicht in Nebel hüllen, Gibt neuen Sinn in glücklicher Vertauschung, Daß du vermagst, die Melodie der Sphären Dir aufzufangen mit des Ohres Lauschung, Daß in den Adem sich dein Blut verklären, Zu Äther wird, der die Unendlichkeiten Durchströmt, daß deine Blicke durch den hehren Uralten Raum, wie kecke Krieger schreiten, Und Sterne sich erobern in der Höh’; Dazwischen, wie Irrlichterscheine, gleiten Vorbei die Bilder aus vergangenem Weh’.
86 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph 7. Und dann ersteht, ein Calderon, ein neuer, Ein Perlenfischer in dem Meer der Dichtung, Von Bildern dämmt sein Lied, die Opferfeuer Von duft’ger Zedernblöcke hoher Schichtung; 5 Es rauscht sein Sang, es rauscht die gold’ne Leier Von des Tyrannen blutiger Vernichtung: Die Menschheit horcht dem stolzen Siegesliede, Und alle Welt durchhaucht der milde Friede. Auch jener singt, wie einst den Sieg erstritten io Die Menschheit über der Tyrannen Heere Auf der Mantibler Brücke1), wo sie mitten Durch alle Lanzen eindrang in das hehre Gelobte Freiheitsland mit kühnen Schritten; Wie da sie ward der Arzt der eignen Ehre2), « Sie, die so lang’, gleich dem standhaftenFürsten8), In Ketten mußte nach Erlösung dürsten. TochterderLuft4), stieg da die Freiheit nieder Zur Erde fröhlich aus des Äthers Raum, Sang ihre wundervollen Zauberlieder, 20 Da ward das Leben5) rings ein süßer Traum. Da glänzte klar der Freude Becher wieder Und ungetrübt von wilder Gärung Schaum; Die Sonne scheucht die Wolken wie die Sorgen Und bringt, stets froh, April - und M ai enmo rgenfl). 25 8. Doch wann wird jene neue Sonn’ erstehen, Wann wird die alte Zeit zusammenkrachen? Wir sah’n die alte Sonne untergehen, Wie lang wird uns die finst’re Nacht umdachen? 30 Durch Wolkenschleier lugt der trübe Mond, Der Nebel lagert auf den Tälergründen; Im Nebel ruht, was auf der Erde wohnt, Wir, die wir wachen, tappen wie die Blinden. Geduld! die Wolken, die den Mond umringen, 36 Scheucht vor sich her die Sonne schon im Steigen, Die Nebel, die sich durch die Täler schlingen, Sind morgenhauch-geweckte Geisterreigen. Im Osten tanzt der Morgenstern empor, Blutrote Strahlen durch die Nebel schießen — 40 O La puente de Mantible 3) El Principe constante ö) La Vida es sueno 2) El Médico de su honra •) La hija del aire •) Mananas de Abril y Mayo
Ein Abend 87 Seht ihr nicht Blumen schon den Kelch erschließen. Schmettert nicht schon der Vöglein froher Chor? Der halbe Himmel strahlt im lichten Scheine, Schneegipfel werden Rosenedelsteine; Die gold’nen Wolken, die dort aufgeschossen, Die Häupter sind’s von edlen Sonnenrossen; Schaut dorthin, wo die dicht’sten Strahlen fließen, Die junge Sonne jubelnd zu begrüßen!
[Zwei Predigten von F. W. Krummadier] [TfD Sept. 1840. Nr. 149, p. 596] * Die zwei Predigten liegen vor uns, welche die sonst so frommen Bremenser veranlaßten, dem Elberfelder Eiferer, F. W. Krum¬ macher, das fernere Hospitieren in der Kirche St. Ansgarii zu 5 untersagen. Wenn man von den gewöhnlichen Predigten, wo Gott nur der Weltenvater oder das höchste Wesen genannt wird, einen meist sehr wässerigen Eindruck hat, so ist der Text dieser Krummacher’schen Reden Lauge, Beize, ja Scheide¬ wasser. Schon der Originalität wegen, so von der Kanzel herab, 10 wie es hier geschieht, mit den Gemeinden zu verkehren, wird man die Reden mit Interesse lesen; sie zeigen, daß Krummacher ein geistvoller, mit Witz und Phantasie gesegneter Zelote ist. Ob diese geharnischte Sprache aus einem wirklichen Felsenglauben an das Christentum fließt, kann man bezweifeln. Wir glauben, 15 daß Krummacher kein Heuchler ist, sich aber in diese Predigt¬ weise nur aus Geschmack festrannte und sie um so weniger lassen kann, als allerdings der gewöhnliche Ton der evangelischen Liebessäusler und der Damenprediger ein sehr abgeschmackter ist. Soviel aber ist gewiß, daß Krummacher die Bedeutung der 20 Kanzel sehr verkennt, wenn er sie zum Inquisitionsstuhle erhebt. Was kann eine Gemeinde aus einer solchen Predigt mit nach Hause nehmen? Nichts, als jenen geistlichen Hochmut, der am Pietismus so widerwärtig ist. Wer von seiner Gemeinde nur Glauben verlangt, dies starre Gebot nur mit Synonymen 25 umschreibt und den übrigen Teil des Predigtvortrags zur Tages¬ polemik benutzt, wird sehr viel Eigendünkel, Hochmut und ortho¬ doxe Verstocktheit, aber sehr wenig Christentum verbreiten. Krummacher scheint diese Aufgabe, die christliche Einfalt zum Hochmut zu emanzipieren, methodisch zu betreiben. Die Wendung, 30 daß Geist, Witz, Phantasie, Dichtertalent, Kunst, Wissenschaft, alles vor Gott nichts wäre, ist ihm stereotyp. Er sagt: „Im Himmel ist ein Festtag, nicht wenn ein Dichter geboren wird, sondern ein Irrender geweckt wird/6 Er schildert dem Ärmsten in seiner Ge¬ meinde eine Bedeutung, die er haben könne, daß dieser un- 35 fehlbar sich höher und weiser bedünken muß als Kant, Hegel, Strauß etc., die Krummacher fortwährend in seinen Predigten anathematisiert. Sollte Krummacher’s eigenstes Wesen nicht auch aus einem — zurückgetretenen Ehrgeize, aus der Sucht nach Aus-
Zwei Predigten von F. W. Krummacher 89 Zeichnung entstehen? Es gibt viele Köpfe, die das Höchste erstreb¬ ten, es nicht durch Fleiß, Talent und Gediegenheit erreichen konn¬ ten und dann hoffen, durch eine beispiellose Glaubens-Vir¬ tuosität es bis zur ewigen Krone zu bringen. Wenigstens <5 möchte man sehr geneigt sein, die fortwährende Polemik Krum- macher’s gegen alles, was in der Welt berühmt ist, sich so und nicht anders zu erklären. — Recht schmerzlich ist es, in den erwähnten Predigten wenig auflösende Elemente, Rührung, Gemüt, echten Schmerz zu finden. Einem so starren, 10 eifernden Wesen kann der Ton der Liebe nicht geläufig sein. In¬ dessen finden sich doch Stellen, die mit dem wunderlichen Wesen dieses Mannes wieder aussöhnen. Wie wenig Predigten haben wir, in denen sich eine so schöne Stelle, wie die folgende, finden wird: „Ja, Freunde, die Welt ist da noch nicht zu Ende, wo am fernen n Seegestade der Sturm heult, oder wo droben der trauernde Mond geht und die stillen Sterne wehmütig zur Erde niederschauen. Es geht darüber hinaus eine andere, weitere, lichtere Region. 0 da ist’s besser sein, als hier. Da trägt man keine Rosen mehr zu Grabe; da droht der Liebe keine Trennung mehr; da ruht kein 2o Galletropfen mehr im Freudenbecher. Eine solche Welt ist da, so wahr sich der Herr Jesus sichtbar (?) in sie hinüberschwang.“
Sanct Helena Fragment [TfD Nov. 1840. Nr. 191, p. 764] Du stolzer Fels in Meereseinsamkeit, Du harte Gruft des größten Felsenherzen, Das hier gedacht der selbstgeschaff’nen Zeit, Das hier verschied an des Prometheus Schmerzen; Wie stehst du da im schwarzen Priesterkleid, Du, eine jener ausgeglühten Kerzen, Die Gott, als er die Welt gesetzt zusammen, io Entbrannt, um Licht zu seinem Werk zu flammen. Wohl möchten sie zu dir den Heros senden, Der als ein neu Jahrhundert ward geboren, Mit seinen Blitzen mußt’ Erleuchtung spenden, Mit seinem Donner füllen alle Ohren, 15 Bis, ungehört, sich in des Weltraums Wänden Des Kindes erster Wehschrei sich verloren; Dann warf die Zeit, in ihren bittern Scherzen, Ihn zu den andern ausgeglühten Kerzen.
Siegfrieds Heimat Von Friedrich Oswald [TfD Dez. 1840. Nr. 197, p. 785-787] Do wuohs in Niderlanden eins riehen Kiineges kint, 5 Sin vater hiez Siegmunt, sin muoter Siglint, In einer bürge riche, diu witen was bekant, Niden bi dem Rine, diu was ze Santen genant. Der Nibelunge Not, 20 Nicht allein oberhalb Köln sollte der Rhein besucht werden, io und namentlich die deutsche Jugend sollte sich nicht dem reisenden John Bull gleichstellen, der sich von Rotterdam bis Köln in der Kajüte des Dampfschiffes langweilt, und erst dann aufs Verdeck steigt, weil hier sein Panorama des Rheins von Köln bis Mainz oder sein Guide for travellers on the Rhine beginnt. Die deutsche Ju- 15 gend sollte sich einen wenig besuchten Ort zum Wallfahrtsorte wählen, ich meine die Heimat Hürnensiegfrieds, Xanten. Römerstadt, wie Köln, blieb es im Mittelalter klein und äußer¬ lich unbedeutend, während Köln groß wurde und einem kurfürst¬ lichen Erzbistume den Namen gab. Aber Xantens Kathedrale 2o blickt in herrlicher Vollendung weithin in die Prosa der hollän¬ dischen Sandfläche, und Kölns kolossalerer Dom blieb Torso; aber Xanten hat Siegfried und Köln nur den heiligen Hanno, und was ist das Hannolied gegen die Nibelungen! Ich kam vom Rheine her. Durch enge, verfallene Tore trat ich 25 in die Stadt; schmutzige, enge Gassen führten mich auf den freundlichen Markt, und von dort schritt ich auf ein überbautes Tor in der Mauer zu, die den ehemaligen Klosterhof mit der Kirche umgrenzte. Über dem Tore, rechts und links, unter den beiden Türmchen, standen zwei Basreliefs, unverkennbar zwei Siegfriede, 30 leicht von dem Schutzpatron der Stadt, dem über jeder Haustüre abgebildeten heiligen Viktor zu unterscheiden. Der Held steht da, im enganschließenden Schuppenpanzer, den Speer in der Hand, auf dem Bilde rechts dem Lindwurm den Speer in den Rachen rennend, links den „starken Zwerg44 Alberich niedertretend. Es 35 war mir auffallend, diese Bildwerke in Wilhelm Grimms deut¬ scher Heldensage, wo doch sonst alles gesammelt ist, was sich auf den Gegenstand bezieht, nicht erwähnt zu finden. Auch sonst er¬ innere ich mich nicht, von ihnen gelesen zu haben, und doch ge¬
92 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph hören sie mit zu den wichtigsten Zeugnissen für die örtliche An¬ knüpfung der Sage im Mittelalter. Ich durchschritt den hallenden, gotisch gewölbten Torweg und stand vor der Kirche. Die griechische Baukunst ist helles, heiteres Bewußtsein, die maurische Trauer, die gotische heilige Ekstase; 5 die griechische Architektur ist lichter, sonniger Tag, die maurische stemdurchflimmerte Dämmerung, die gotische Morgenröte. Hier vor dieser Kirche empfand ich, wie niemals, die Gewalt des goti¬ schen Baustils. Nicht zwischen modernen Gebäuden, wie der Köl¬ ner Dom, oder gar verbaut mit Häusern, die sich Schwalben- 10 nestem gleich daran gehängt haben, wie die Kirchen in den nord¬ deutschen Städten, erregt eine gotische Kathedrale den bewäl- tigendsten Eindruck; sondern nur zwischen waldigen Bergen, wie die Kirche von Altenberg im Bergischen, oder wenigstens getrennt von allem Fremdartigen, Modernen, zwischen Klostermauem und 15 alten Gebäuden, wie der Dom von Xanten. Da erst empfindet man es tief, was ein Jahrhundert vollbringen kann, wenn es sich mit aller seiner Macht auf ein Einziges, Großes wirft. Und stände erst der Kölner Dom so frei und dem Blick von allen Seiten, in allen seinen riesigen Dimensionen so offen, wie die Kirche von Xanten, 20 wahrlich, das neunzehnte Jahrhundert müßte sterben vor Scham, daß es mit all seiner Superklugheit dieses Gebäude nicht vollenden kann. Denn wir kennen die religiöse Tat nicht mehr, und darum wundem wir uns auch über eine Mistreß Fry, die im Mittelalter zu den gewöhnlichsten Erscheinungen gehört hätte. 25 Ich trat in die Kirche; es wurde gerade das Hochamt gehalten. Die Orgeltöne brausten vom Chor herunter, eine jubelnde Schar herzenerobemder Krieger, und jagten durch das hallende Schiff, bis sie sich in den entferntesten Gängen der Kirche verliefen. Und laß auch du dein Herz von ihnen bezwingen, Sohn des neunzehnten 30 Jahrhunderts — diese Klänge haben Stärkere und Wildere ge¬ bändigt denn du! Sie haben die alten deutschen Götter aus ihren Hainen vertrieben, sie haben die Helden einer großen Zeit über das stürmische Meer, durch die Wüste und ihre niebesiegten Kinder nach Jerusalem geführt, sie sind die Schatten tatendürstender, 35 heißblütiger Jahrhunderte! Dann aber, wenn die Posaunen das Wunder der Transsubstantiation verkünden, wenn der Priester die blitzende Monstranz erhebt und alles Bewußtsein der Gemeine trunken ist vom Wein der Andacht, dann stürze hinaus, rette dich, rette dein Denken aus diesem Meere des Gefühls, das durch die 40 Kirche wogt, und bete draußen zu dem Gott, des Haus nicht von Menschenhänden gemacht ist, der die Welt durchhaucht und im Geist und in der Wahrheit angebetet sein will. Erschüttert ging ich weg und ließ mich zu einem Gasthof, dem einzigen des Städtchens, zeigen. Als ich in die Wirtsstube trat, 45
Siegfrieds Heimat 93 merkte ich, daß ich in Hollands Nachbarschaft sei. Eine seltsam ge¬ mischte Ausstellung von Gemälden und Kupferstichen an den Wän¬ den, ins Glas geschnittenen Landschaften an den Fenstern, Gold¬ fischen, Pfauenfedern und tropischen Blattgerippen vor dem Spie- 5 gel zeigten recht deutlich den Stolz des Wirtes, Dinge zu besitzen, die andere nicht haben. Diese Raritätensucht, die in entschiedener Geschmacklosigkeit sich mit den Produkten der Kunst und Natur, gleichviel ob schön oder häßlich, umgiebt und die sich am wohlsten in einem Zimmer befindet, das von solchen Unsinnigkeiten strotzt, 10 das ist die Erbsünde des Holländers. Welch’ ein Schauder ergriff mich aber erst, als der gute Mann mich in seine sogenannte Ge¬ mäldesammlung führte! Ein kleines Zimmer, die Wände ringsum dicht bedeckt von Gemälden geringen Wertes, obwohl er behaup¬ tete, Schadow habe ein Porträt, welches freilich viel hübscher war 15 als die übrigen, für einen Hans Holbein erklärt. Einige Altar¬ bilder von Jan van Calcar1) (einem benachbarten Städtchen) hatten lebhaftes Kolorit und würden dem Kenner interessant gewesen sein. Aber wie war dieses Zimmer noch sonst dekoriert! Palmen¬ blätter, Korallenzweige und dergleichen ragten aus jeder Ecke her- 2o vor, ausgestopfte Eidechsen waren überall angebracht, auf dem Ofen standen ein paar von bunten Seemuscheln zusammengesetzte Figuren, wie man sie namentlich in Holland häufig findet; in einer Ecke stand die Büste des Kölners Wallraf und unter ihr hing der mumienhaft ausgedörrte Leichnam einer Katze, die mit einem 25 Vorderfuß einem gemalten Christus am Kreuz grade ins Gesicht trat. Sollte einer meiner Leser einmal nach Xanten in dies einzige Hotel verschlagen werden, so frage er den gefälligen Wirt nach seiner schönen antiken Gemme; er besitzt eine wunderschöne, in einen Oval geschnittene Diana, die mehr wert ist als seine ganze 30 Gemäldesammlung. In Xanten muß man nicht versäumen, die Sammlung von Alter¬ tümern des Herrn Notar Houben2) zu sehen. Hier ist fast alles ver¬ einigt, was auf dem Boden der Castra vetera ausgegraben und auf¬ gefunden wurde. Die Sammlung ist interessant, doch enthält sie 35 nichts von besonderem Kunstwert, wie das von einer Militärstation, wie Castra vetera war, auch zu erwarten ist. Die wenigen schönen Gemmen, die hier gefunden wurden, sind ganz zerstreut in der Stadt; das einzige größere Denkmal der Skulptur ist eine etwa drei Fuß lange Sphinx im Besitze des erwähnten Gastwirts; sie ist 4o von gewöhnlichem Sandstein, schlecht erhalten, übrigens auch nie schön gewesen. Ich ging vor die Stadt und bestieg einen Sandberg, die einzige natürliche Erhöhung in weitem Kreise. Das ist der Berg, wo nach 9 Im TfD Kalkar ’) Im TfD Huber
94 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph der Sage Siegfrieds Burg gestanden hat. Am Eingänge eines Fichtenwaldes setzte ich mich nieder und sah auf die Stadt herab. Von allen Seiten durch Dämme umgeben, lag sie in einem Kessel, über dessen Rand sich nur die Kirche majestätisch erhob. Rechts der Rhein, der mit breiten, blinkenden Armen eine grüne Insel 5 umschließt, links die Clevischen Berge in blauer Feme. Was ist es, das uns in der Sage von Siegfried so mächtig er¬ greift? Nicht der Verlauf der Geschichte an sich, nicht der schmäh¬ lichste Verrat, dem der jugendliche Held unterliegt; es ist die tiefe Bedeutsamkeit, die in seine Person gelegt ist. Siegfried ist der io Repräsentant der deutschen Jugend. Wir alle, die wir ein von den Beschränkungen des Lebens noch ungebändigtes Herz im Busen tragen, wissen, was das sagen will. Wir fühlen alle denselben Tatendurst, denselben Trotz gegen das Herkommen in uns, der Siegfrieden aus der Burg seines Vaters trieb ; das ewige Überlegen, is die philiströse Furcht vor der frischen Tat ist uns von ganzer Seele zuwider, wir wollen hinaus in die freie Welt, wir wollen die Schran¬ ken der Bedächtigkeit umrennen und ringen um die Krone des Lebens, die Tat. Für Riesen und Drachen haben die Philister auch gesorgt, namentlich auf dem Gebiete von Kirche und Staat. Aber 20 das Zeitalter ist nicht mehr; man steckt uns in Gefängnisse, Schulen genannt, wo wir, statt selber um uns zu schlagen, das Zeitwort: schlagen so recht zum Spott durch alle Modi und Tempora grie¬ chisch durchkonjugieren müssen, und wenn man uns aus der Disziplin losläßt, so fallen wir der Göttin des Jahrhunderts, 25 der Polizei, in die Arme. Polizei beim Denken, Polizei beim Sprechen, Polizei beim Gehen, Reiten und Fahren, Pässe, Aufenthaltskarten und Douanenscheine — es schlage der Teu¬ fel Riesen und Drachen tot! Nur den Schein der Tat haben sie uns gelassen, das Rappier statt des Schwertes; und was 30 soll alle Fechterkunst mit dem Rappier, wenn wir sie nicht mit dem Schwerte anwenden dürfen? Und wenn einmal die Schranken durchbrochen werden, wenn die Philisterei und der Indifferentis- mus einmal überritten wird, wenn der Tatendrang sich Luft macht — seht ihr dort jenseits des Rheines den Turm von Wesel? 35 Die Zitadelle jener Stadt, die eine Burg der deutschen Freiheit ge¬ nannt wird, sie ist ein Grab der deutschen Jugend geworden, und sie muß der Wiege des größten deutschen Jünglings grade gegen¬ über liegen! Wer hat dort gesessen? Studenten, welche nicht um¬ sonst wollten fechten gelernt haben, vulgo Duellanten und Dema- 40 gogen. Jetzt, nach der Amnestie Friedrich Wilhelms IV., darf man es sagen, daß diese Amnestie ein Akt nicht nur der Gnade, sondern auch der Gerechtigkeit war. Alle Prämissen und namentlich die Notwendigkeit zugegeben, daß der Staat gegen diese Verbindungen einschreiten mußte; so werden doch alle, die das Wohl des Staates 45
Siegfrieds Heimat 95 nicht im blinden Gehorsam, in der strikten Subordination sehen, darin mit mir übereinstimmen, daß durch die Behandlung der Beteiligten eine Restitution derselben in Ehren und Würden be¬ dingt war. Die demagogischen Verbindungen unter der Restau- ô ration und nach den Julitagen waren eben so erklärlich, wie sie jetzt unmöglich sind. Wer hatte denn damals jede freie Regung unterdrückt, wer hatte das Pochen des jugendlichen Herzens unter „provisorische“ Kuratel gestellt? Und wie sind jene Unglück¬ lichen behandelt worden? Kann man es leugnen, daß dieser 10 Rechtsfall grade dazu gemacht ist, um alle Nachteile und Fehler der schriftlichen und geheimen Rechtspflege ins hellste Licht zu stellen, um den Widerspruch zu beweisen, daß besoldete Staats- diener anstatt unabhängiger Geschwornen über Anklagen auf Vergehen gegen den Staat zu richten haben; kann man es leugnen, 15 daß die ganze Verurteilung in Bausch und Bogen, „im Rummel“, wie die Kaufleute sagen, geschehen ist? Doch ich will hinuntergehen an den Rhein und lauschen, was die abendrotumstrahlten Wellen der Muttererde Siegfrieds erzählen von seinem Grabe zu Worms und vom versenkten Horte. Vielleicht 2o daß eine gütige Fee Morgana mir das Schloß Siegfrieds neu er¬ stehen läßt oder mir vorspiegelt, was seinen Söhnen im neunzehn¬ ten Jahrhundert für Heldentaten vorbehalten sind.
Ernst Moritz Arndt Von F. Oswald** [TfD Jan. 1841. Nr. 2, p. 5-7; Nr. 3, p. 11-12; Nr. 4, p. 13-15; Nr. 5, p. 18-20] Wie der treue Eckart der Sage steht der alte Arndt am Rhein 5 und warnt die deutsche Jugend, die nun schon manches Jahr hin¬ überschaut nach dem französischen Venusberge und den ver¬ führerischen, glühenden Mädchen, den Ideen, die von seiner Zinne winken. Aber die wilden Jünglinge achten des alten Recken nicht und stürmen hinüber — und nicht alle bleiben entnervt liegen wie 10 der neue Tannhäuser Heine. Das ist Arndts Stellung zur deutschen Jugend von heute. So hoch ihn allç schätzen, so genügt ihnen sein Ideal des deutschen Lebens nicht; sie wollen freieres Walten, vollere, strotzende Lebenskraft, glühendes, stürmisches Pulsieren in den welthisto- 15 rischen Adem, die Deutschlands Herzblut leiten. Und darum die Sympathie für Frankreich, aber freilich nicht jene Sympathie der Unterwerfung, von der die Franzosen fabeln, sondern jene höhere und freiere, deren Natur von Börne im Franzosenfresser der deutschtümlichen Einseitigkeit gegenüber so schön entwickelt ist. 20 Arndt hat es gefühlt, daß die Gegenwart ihm entfremdet ist, daß sie nicht ihn um seines Gedankens, sondern seinen Gedanken um seiner starken, männlichen Persönlichkeit willen achtet. Und darum mußte es ihm, dem von Talent und Gesinnung, wie von der Zeit¬ entwickelung einer Reihe von Jahren getragenen Manne zur Pflicht 25 werden, seinem Volke ein Denkmal seines Bildungsganges, seiner Denkart und seiner Zeit zu hinterlassen, wie er in seinen viel¬ besprochenen „Erinnerungen aus dem äußern Leben“ getan hat. Vorläufig von der Tendenz abstrahiert, ist das Amdtsche Buch auch ästhetisch allerdings eine der interessantesten Erscheinungen. 30 Diese gedrungene, markige Sprache ist in unserer Literatur lange nicht gehört worden und verdiente auf manchen von der jungen Generation einen dauernden Eindruck zu machen. Lieber straff als schlaff! Es gibt ja Autoren, die das Wesen des modernen Stils darin sehen, daß jede hervortretende Muskel, jede angespannte 35 Sehne der Rede hübsch mit weichem Fleisch umhüllt wird, selbst auf die Gefahr hin, weibisch zu erscheinen. Nein, da ist mir doch der männliche Knochenbau des Amdtschen Stils lieber, als die schwammige Manier gewisser „moderner“ Stilisten! Um so mehr, *) Eine vielbesprochene Erscheinung, beurteilt vom Standpunkte des Telegraphen. Die Red.
Emst Moritz Arndt 97 als Arndt die Absonderlichkeiten seiner Genossen von 1813 mög¬ lichst vermieden hat und sich nur im absoluten Gebrauche des Su¬ perlativs (wie in den südromanischen Sprachen) dem Affektierten nähert. Eine so horrende Sprachmengerei, wie sie jetzt wieder in 5 Aufnahme gekommen ist, darf man bei Arndt auch nicht suchen; er zeigt im Gegenteil, wie wenig fremde Zweige wir auf unseren Sprachstamm zu pfropfen brauchen, ohne in Not zu kommen. Wahrhaftig, unser Gedankenwagen fährt auf den meisten Wegen besser mit deutschen als mit französischen oder griechischen io Rossen, und mit dem Gespötte über die Extreme der puristischen Richtung ist es nicht abgetan. Treten wir dem Buche näher. Das mit echt dichterischer Hand entworfene Idyll des Jugendlebens nimmt den größten Teil des Buches ein. Der mag Gott immer danken, der seine ersten Jahre so 15 verlebt hat wie Arndt! Nicht im Staube einer großen Stadt, wo die Freuden des Einzelnen von den Interessen des Ganzen erdrückt werden, nicht in Kleinkinderbewahranstalten und philantropi- schen Gefängnissen, wo die sprossende Kraft verdumpft, nein, unter freiem Himmel in Feld und Wald bildete die Natur den 2o stählernen Mann, den das verweichlichte Geschlecht wie einen Nordlandsrecken anstaunt. Die große plastische Kraft, mit der Arndt diesen Abschnitt seines Lebens schildert, drängt einem fast die Ansicht auf, als seien alle idyllischen Dichtungen über¬ flüssig, so lange unsere Autoren noch solche Idyllen erleben 25 wie Arndt. Am befremdlichsten wird unserem Jahrhundert jene Selbsterziehung des Jünglings Arndt erscheinen, die germanische Keuschheit mit spartanischer Strenge vereinigt. Diese Strenge aber, wo sie so naiv, so frei von Jahnscher Renommisterei ihr hoc tibi proderit olim für sich hinsummt, kann unserer ofenhockemden so Jugend nicht genug empfohlen werden. Eine Jugend, die das kalte Wasser scheut wie ein toller Hund, die bei dem geringsten Frost drei-, vierfache Kleidung anlegt, die sich eine Ehre daraus macht, wegen Körperschwäche vom Militärdienste freizukommen, ist wahrlich eine schöne Stütze des Vaterlandes! Von der Keuschheit 35 vollends zu reden, gilt sie für ein Verbrechen in einer Zeit, wo man gewohnt ist, in jeder Stadt zuerst nach dem „Tor, wo die letzten Häuser stehen“ sich zu erkundigen. Ich bin wahrlich kein abstrak¬ ter Moralist, alles asketische Unwesen ist mir verhaßt, ich werde nie mit der gefallenen Liebe rechten; aber es schmerzt mich, daß 40 der sittliche Ernst zu verschwinden droht und die Sinnlichkeit sich selbst als das Höchste zu setzen sucht. Die praktische Emanzipation des Fleisches wird immer neben einem Arndt erröten müssen. Mit dem Jahre 1800 tritt Arndt in den ihm zugeteilten Beruf. Napoleons Heere überschwemmen Europa, und mit der Macht des 45 Franzosenkaisers wächst Arndts Haß gegen ihn; der Greifswalder Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 7
98 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph Professor protestiert im Namen Deutschlands gegen die Unter¬ drückung und muß fliehen. Endlich erhebt sich die deutsche Na¬ tion und Arndt kehrt zurück. Dieser Teil des Buchs wäre ausführ¬ licher zu wünschen; vor der Nationalbewaffnung und ihren Taten tritt Arndt bescheiden zurück. Statt uns erraten zu lassen, daß er 5 nicht untätig war, hätte er uns seinen Anteil an der Zeitentwickelung ausführlicher darstellen, hätte er die Geschichte jener Tage vom subjektiven Standpunkte aus erzählen sollen. Die späteren Schick¬ sale werden noch weit kürzer behandelt. Bemerkenswert ist hier einerseits die immer bestimmtere Hinneigung zur Orthodoxie im io Religiösen, andererseits die mysteriöse, fast untertänige und die Rute küssende Art, mit der Arndt von seiner Suspension spricht. Wen aber dies befremdete, der wird durch die jüngst in öffent¬ lichen! Blättern erlassenen Erklärungen Arndts, in denen er seine Restitution als einen Akt der Gerechtigkeit, nicht als ein is Gnadengeschenk ansieht, sich überzeugt haben, daß er noch seine alte Festigkeit und Entschiedenheit besitzt. Eine besondere Wichtigkeit aber erhält das Amdtsche Buch durch die gleichzeitige Herausgabe einer Masse von Denkwürdig¬ keiten über den Befreiungskrieg. So wird uns die ruhmvolle Zeit, 20 wo die deutsche Nation seit Jahrhunderten wieder zum ersten Male sich erhebt und auswärtiger Unterdrückung in ihrer ganzen Kraft und Größe sich gegenüberstellte, auf lebendige Weise wieder nahe gebracht. Und wir Deutschen können uns nicht genug an jene Kämpfe erinnern, damit wir unser schläfriges Volksbewußtsein 25 wach erhalten; freilich nicht in dem Sinne einer Partei, die nun alles getan zu haben glaubt und auf den Lorbeern von 1813 ruhend, sich im Spiegel der Geschichte selbstgefällig beschaut, sondern eher im entgegengesetzten. Denn nicht die Abschüttelung der Fremdherrschaft, deren emporgeschrobene, allein auf den 30 Atlasschultem Napoleons ruhende Unnatur über kurz oder lang von selbst zusammenkrachen mußte, nicht die errungene „Frei¬ heit“ war das größte Resultat des Kampfes, sondern dies lag in der Tat selbst und in einem von den wenigsten Zeitgenossen klar empfundenen Momente derselben. Daß wir uns über den Verlust 35 der nationalen Heiligtümer besannen, daß wir uns bewaffneten, ohne die allergnädigste Erlaubnis der Fürsten abzuwarten, ja die Machthaber zwangen, an unsere Spitze zu tretenkurz, daß wir einen Augenblick als Quelle der Staatsmacht, als souveränes Volk auftraten, das war der höchste Gewinn jener Jahre, und 40 darum mußten nach dem Kriege die Männer, die dies am klarsten gefühlt, am entschiedensten danach gehandelt hatten, den Regie¬ rungen gefährlich erscheinen. — Aber wie bald schlummerte die bewegende Kraft wieder ein! Der Fluch der Zersplitterung ab- *) Vergl. über diesen Punkt Karl Bade: „Napoleon im Jahre 1813.“ Altona 1840
Ernst Moritz Arndt 99 sorbierte den dem Ganzen so nötigen Schwung für die Teile, zer¬ spaltete das allgemeine Deutsche in eine Menge provinzieller Interessen und machte es unmöglich^, für Deutschland eine Grund¬ lage des Staatslebens zu gewinnen, wie sie Spanien sich in der Ver- 5 fassung von 1812 geschaffen hat. Im Gegenteil, der sanfte Früh¬ lingsregen von allgemeinen Versprechungen, der uns aus „höheren Regionen“ überraschte, war schon zuviel für unsere von der Unter¬ drückung niedergebeugten Herzen und wir Narren bedachten nicht, daß es Versprechungen gibt, deren Bruch vom Standpunkte der io Nation aus niemals, von dem der Persönlichkeit aus aber sehr leicht zu entschuldigen sein soll. (?) Dann kamen die Kongresse und gaben den Deutschen Zeit, ihren Freiheitsrausch auszuschlafen und sich, erwachend, in dem alten Verhältnis von Allerhöchst und Alleruntertänigst wiederzufinden. Wem die alte Strebenslust noch 15 nicht vergangen war, wer sich noch nicht entwöhnen konnte, auf die Nation zu wirken, den jagten alle Gewalten der Zeit in die Sack¬ gasse der Deutschtümelei. Nur wenige ausgezeichnete Geister schlugen sich durch das Labyrinth und fanden den Pfad, der zur wahren Freiheit führt. 2o Die Deutschtümler wollten die Tatsachen des Befreiungskrieges ergänzen und das materiell unabhängig gewordene Deutschland auch von der geistigen Hegemonie des Fremden befreien. Aber eben darum war sie Negation, und das Positive, mit dem sie sich brüstete, lag in einer Unklarheit begraben, aus der es nie ganz er- 25 stand; was davon ans Tageslicht der Vernunft kam, war meist widersinnig genug. Ihre ganze Weltanschauung war philosophisch bodenlos, weil nach ihr die ganze Welt um der Deutschen willen geschaffen war und die Deutschen selbst die höchste Entwickelungs¬ stufe längst gehabt hatten. Die Deutschtümelei war Negation, Ab- 30 straktion im Hegelschen Sinne. Sie bildete abstrakte Deutsche durch Abstreifung alles dessen, was nicht auf vierundsechzig Ahnen rein deutsch und aus volkstümlicher Wurzel entsprossen war. Selbst ihr scheinbar Positives war negativ, denn die Hin¬ führung Deutschlands zu ihren Idealen konnte nur durch Negation 35 eines Jahrtausends und seiner Entwickelung geschehen, und so wollte sie die Nation ins deutsche Mittelalter oder gar in die Rein¬ heit des Urdeutschtums aus dem Teutoburger Walde zurück¬ drängen. Das Extrem dieser Richtung bildete Jahn. Diese Ein¬ seitigkeit machte denn die Deutschen zum auserwählten Volk Israel 4o und mißkannte alle die zahllosen weltgeschichtlichen Keime, die außerdeutschem Boden entsproßt waren. Namentlich gegen die Franzosen, deren Invasion zurückgedrängt war, und deren Hege¬ monie in Äußerlichkeiten darin ihren Grund hat, daß sie die Form der europäischen Bildung, die Zivilisation, jedenfalls von 9 Im TfD möglich 7*
100 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph allen Völkern am leichtesten beherrschen, gegen die Franzosen wandte sich der bilderstürmende Grimm am meisten. Die großen, ewigen Resultate der Revolution wurden als „welscher Tand66 oder gar „welscher Lug und Trug66 verabscheut; an die Verwandtschaft dieser ungeheuren Volkstat mit der Volkserhebung von 1813 5 dachte niemand; was Napoleon gebracht hatte: Emanzipation der Israeliten, Geschwomengerichte, gesundes Privatrecht statt des Pandektenwesens, wurde allein um des Urhebers willen verdammt. Der Franzosenhaß wurde Pflicht; der Fluch der Undeutschheit fiel auf jede Anschauungsweise, die sich einen höheren Gesichtspunkt 10 zu erobern wußte. So war auch der Patriotismus wesentlich negativ und ließ das Vaterland ohne Unterstützung im Kampfe der Zeit, während er sich abmühte, für längst eingedeutschte Fremdwörter urdeutsche, schwülstige Ausdrücke zu erfinden. Wäre diese Rich¬ tung konkret deutsch gewesen, hätte sie den durch zweitausend-15 jährige Geschichte entwickelten Deutschen genommen, wie sie ihn fand, hätte sie das richtigste Moment unserer Bestimmung, die Zunge zu sein an der Wagschale der europäischen Geschichte, über die Entwickelung der Nachbarvölker zu wachen, hätte sie das nicht übersehen, sie würde alle ihre Fehler vermieden haben. — Es darf 20 auf der andern Seite aber auch nicht verschwiegen werden, daß die Deutschtümelei eine notwendige Bildungsstufe unseres Volks¬ geistes war und mit der ihr folgenden den Gegensatz bildete, auf dessen Schultern die moderne Weltanschauung steht. Dieser Gegensatz gegen die Deutschtümelei war der kosmopoli- 25 tische Liberalismus der süddeutschen Stände, der auf die Negation der Nationalunterschiede und die Bildung einer großen, freien, alliierten Menschheit hinarbeitete. Er entsprach dem religiösen Rationalismus, mit dem er aus der gleichen Quelle, der Philan¬ tropie des vorigen Jahrhunderts, geflossen war, während die 30 Deutschtümelei konsequent zur theologischen Orthodoxie hin¬ führte, wohin fast alle ihre Anhänger (Arndt, Steffens, Menzel) mit der Zeit gelangt sind. Die Einseitigkeiten der kosmopolitischen Freisinnigkeit sind von ihren Gegnern oft — freilich selbst von einseitigen Standpunkten — auf gedeckt worden, daß ich mich in 35 bezug auf diese Richtung kurz fassen kann. Die Julirevolution schien sie anfangs zu begünstigen, doch wurde dieses Ereignis von allen Parteien ausgebeutet. Die faktische Vernichtung der Deutsch¬ tümelei oder vielmehr ihrer Zeugungskraft, datiert von der Juli¬ revolution und war in ihr gegeben. Aber ebenso auch der Sturz des 40 Weltbürgertums; denn die übergreifende Bedeutung der großen Woche war eben die Restitution der französischen Nationalität in ihrer Stellung als Großmacht, wodurch denn die andern Nationali¬ täten gezwungen waren, sich gleichfalls in sich selbst fester zu¬ sammen zu ziehen.
Ernst Moritz Arndt 101 Schon vor dieser jüngsten Welterschütterung arbeiteten zwei Männer im Stillen an der Entwickelung des deutschen Geistes, welche vorzugsweise die moderne genannt wird, zwei Männer, die sich im Leben selbst beinahe ignoriert und deren gegenseitige Er- 5 gänzung erst nach ihrem Tode erkannt werden sollte, Börne und Hegel. Börne ist oft und mit dem größten Unrecht zum Kosmo¬ politen gestempelt worden, aber er war deutscher als seine Feinde. Die Hallischen Jahrbücher knüpften neulich eine Besprechung der „politischen Praxis“ an Herm v. Florencourt; aber dieser ist 10 wahrlich nicht ihr Vertreter. Er steht auf dem Punkte, wo sich die Extreme der Deutschtümelei und des Kosmopolitismus be¬ rühren, wie dies in der Burschenschaft geschah, und ist von den späteren Fortbildungen des Nationalgeistes nur oberflächlich be¬ rührt worden. Der Mann der politischen Praxis ist Börne, und daß 15 er diesen Beruf vollkommen ausfüllte, das ist seine historische Stellung. Er riß der Deutschtümelei ihren prahlerischen Flitter¬ staat vom Leibe und deckte unbarmherzig auch die Scham des Kosmopolitismus auf, der nur kraftlose frommere Wünsche hatte. Er trat an die Deutschen mit den Worten des Cid: Lengua sin 2o manos, cuemo osas fablar? Die Herrlichkeit der Tat ist von keinem so geschildert wie von Börne. Alles ist Leben, alles Kraft an ihm. Nur von seinen Schriften kann man sagen, daß sie Taten für die Freiheit sind. Man komme mir hier nicht mit „Verstandes¬ bestimmungen“, mit „endlichen Kategorien“! Die Art, wie Börne 25 die Stellung der europäischen Nationalitäten und ihre Bestimmung auffaßte, ist nicht spekulativ. Aber das Verhältnis Deutschlands und Frankreichs hat Börne zuerst in seiner Wahrheit entwickelt, und damit der Idee einen größeren Dienst getan als die Hegelianer, die während dessen Hegels Enzyklopädie auswendig lernten und so damit dem Jahrhundert genug getan zu haben glaubten. Eben jene Darstellung beweist auch, wie hoch Börne über der Fläche des Kosmopolitismus steht. Die verstandesmäßige Einseitigkeit war Bömen so notwendig, wie Hegeln der übergroße Schematismus; aber statt dies zu begreifen, kommen wir nicht über die derben 35 und oft schiefen Axiome der Pariser Briefe hinaus. Neben Börne und ihm gegenüber stellte Hegel, der Mann des Gedankens, sein bereits fertiges System vor die Nation hin. Die Autorität gab sich nicht die Mühe, sich durch die abstrusen Formen des Systems und den ehernen Stil Hegels durchzuarbeiten; wie 4o konnte sie auch wissen, daß diese Philosophie sich aus dem ruhigen Hafen der Theorie auf das stürmische Meer der Begebenheiten wagen werde, daß sie das Schwert schon zücke, um geradezu auf die Praxis des Bestehenden loszuziehen? War ja doch Hegel selbst ein so solider, orthodoxer Mann, dessen Polemik gerade gegen die 45 von der Staatsmacht abgelehnten Richtungen, gegen den Rationa¬
102 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph lismus und den kosmopolitischen Liberalismus ging! Aber die Herren, die am Ruder saßen, sahen nicht ein, daß diese Richtungen nur bekämpft wurden, um der höheren Platz zu machen, daß die neue Lehre erst in der Anerkennung der Nation wurzeln müsse, ehe sie ihre lebendigen Konsequenzen frei entfalten können. Wenn 5 Börne Hegeln angriff, so hatte er von seinem Standpunkte aus voll¬ kommen recht, aber wenn die Autorität Hegeln protegierte, wenn sie seine Lehre fast zur preußischen Staatsphilosophie erhob, gab sie sich eine Blöße, die sie jetzt augenscheinlich bereut. Oder sollte Altenstein, der freilich noch aus einer liberaleren Zeitherstammend, io einen höheren Standpunkt behauptete, hier so sehr freie Hand ge¬ habt haben, daß alles auf seine Rechnung kam? Dem sei, wie ihm wolle, als nach Hegels Tode seine Doktrin von dem frischen Hauche des Lebens angeweht wurde, entkeimten der „preußischen Staatsphilosophie“ Schößlinge, von denen keine Partei sich hatte is träumen lassen. Strauß auf theologischem, Gans und Ruge auf politischem Felde werden epochemachend bleiben. Erst jetzt zer¬ teilen sich die matten Nebelflecke der Spekulation in die leuchten¬ den Ideensteme, die der Bewegung des Jahrhunderts vorleuchten sol¬ len. Man mag der ästhetischen Kritik Ruges immerhin vorwerfen, 20 daß sie nüchtern und im Schematismus der Doktrin befangen ist; es bleibt sein Verdienst, die politische Seite des Hegelschen Systems in ihrer Übereinstimmung mit dem Zeitgeiste dargestellt und in die Achtung der Nation restituiert zu haben. Gans hatte dies nur indirekt getan, indem er die Geschichtsphilosophie bis auf die 25 Gegenwart fortführte; Ruge hat die Freisinnigkeit des Hegelianis¬ mus offen ausgesprochen, Köppen hat sich ihm zur Seite gestellt; beide haben keine Feindschaft gescheut, haben ihren Weg verfolgt, selbst auf die Gefahr einer Spaltung der Schule hin, und darum alle Ehre ihrem Mute! Die begeisterte, unerschütterliche Zuver- 30 sicht auf die Idee, wie sie dem Neu-Hegelianismus eigen, ist die einzige Burg, wohin sich die Freigesinnten sicher zurückziehen können, wenn die von Oben unterstützte Reaktion ihnen einen augenblicklichen Vorteil abgewinnt. Das sind die jüngsten Entwicklungsmomente des deutschen poli- 35 tischen Geistes und die Aufgabe unsrer Zeit ist es, die Durch¬ dringung Hegels und Börnes zu vollenden. Im Jung-Hegelianismus ist schon ein gutes Stück Börne, und manchen Artikel der Halli- schen Jahrbücher würde Börne wenig Anstand nehmen, zu unter¬ schreiben. Aber teils ist die Vereinigung des Gedankens mit derTat 40 noch nicht bewußt genug, teils ist sie noch nicht in die Nation ge¬ drungen. Noch immer wird von mancher Seite her Börne als der strikte Gegensatz Hegels angesehen, aber ebensowenig wie Hegels praktische Bedeutung für die Gegenwart (nicht seine philosophi-
Ernst Moritz Arndt 103 sehe für die Ewigkeit) nach der reinen Theorie seines Systems beur¬ teilt werden darf, ebensowenig paßt auf Börne ein flaches Abspre¬ chen über seine nie geleugneten Einseitigkeiten und Extravaganzen. Ich glaube hiermit die Stellung der Deutschtümelei zur Gegen- 5 wart hinreichend bezeichnet zu haben, um zu einer detaillierteren Besprechung ihrer einzelnen Seiten, wie sie Arndt in seinem Buche auseinander gelegt, übergehen zu können. Die weite Kluft, die Amdten von der jetzigen Generation trennt, spricht sich am klarsten darin aus, daß ihm gerade dasjenige im Staatsleben gleichgültig 10 ist, wofür wir Blut und Leben lassen. Arndt erklärt sich für einen entschiedenen Monarchisten; gut. Ob aber konstitutionell oder ab¬ solutistisch, darauf kommt er gar nicht zu sprechen. Der Differenz¬ punkt ist hier: Arndt und seine ganze Genossenschaft setzt das Wohl des Staats darin, daß Fürst und Volk mit aufrichtiger Liebe io einander zugetan sind und sich im Streben nach dem allgemeinen Wohl entgegen kommen. Für uns dagegen steht es fest, daß das Ver¬ hältnis zwischen Regierenden und Regierten erst rechtlich ge¬ ordnet sein muß, ehe es gemütlich werden und bleiben kann. Erst Recht, dann Billigkeit! Welcher Fürst wäre so schlecht, daß er 20 nicht sein Volk liebte und — ich spreche hier von Deutschland — von seinem Volke nicht schon darum geliebt würde, weil er sein Fürst ist? Welcher Fürst aber darf sich rühmen, seit 1815 sein Volk wesentlich weitergebracht zu haben? Ist es nicht alles unser eignes Werk, was wir besitzen, ist es nicht unser trotz Kontrolle 25 und Aufsicht? Es läßt sich schön reden von der Liebe des Fürsten und des Volkes, und seit der große Dichter von „Heil Dir im Siegerkranz“ sang: „Liebe des freien Mann’s sichert die steilen Höh’n, wo Fürsten steh’n“, seitdem ist unendlicher Unsinn darüber geschwatzt worden. Man könnte die uns jetzt von einer Seite her so drohende Regierungsart eine zeitgemäße Reaktion nennen. Patri- monialgerichte zur Bildung eines hohen Adels, Zünfte zur Wieder¬ erweckung eines „ehrsamen“ Bürgerstandes, Begünstigung aller sogenannten historischen Keime, welche eigentlich alte abgehauene Strünke sind. — Aber nicht nur in bezug auf diesen Punkt hat sich 35 die Deutschtümelei von der entschiedenen Reaktion um die Frei¬ heit ihres Gedankens prellen lassen, auch ihre Verfassungsideen sind Einflüsterungen der Herren vom Berliner politischen Wochen¬ blatt. Es tat einem wehe, zu sehen, wie selbst der gediegene, ruhige Arndt sich von der sophistischen Goldflitter: „organischer Staat“ 40 hat blenden lassen. Die Phrasen von historischer Entwickelung, Benutzung der gegebenen Momente, Organismus und so weiter müssen ihrer Zeit einen Zauber gehabt haben, von dem wir uns keine Vorstellung machen können, weil wir einsehen, daß es meist schöne Worte sind, die es mit ihrer eignen Bedeutung nicht emst- 45 lieh meinen. Man gehe geradezu auf die Gespenster los! Was ver¬
104 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph steht ihr unter einem organischen Staat? Einen solchen, dessen Institutionen sich mit und aus der Nation im Laufe der Jahr¬ hunderte entwickelt haben, nicht aber aus der Theorie heraus kon¬ struiert sind. Sehr schön; nun kommt die Anwendung auf Deutsch¬ land! Dieser Organismus soll darin bestehen, daß die Staats- s genossen sich in Adel, Bürger und Bauern scheiden, benebst allem, was daran hängt. Das soll alles in dem Wort Organismus in nuce verborgen liegen. Ist das nicht eine elende, eine schmähliche So¬ phisterei? Selbstentwickelung der Nation, sieht das nicht gerade aus wie Freiheit? Ihr greift zu mit beiden Händen und erhascht — den ganzen Druck des Mittelalters und des ancien régime. Zum Glück kommt diese Taschenspielerei nicht auf Arndts Rechnung. Nicht die Anhänger der Ständeteilung, wir, ihre Gegner, wir wollen organisches Staatsleben. Es handelt sich vorläufig gar nicht um die „Konstruktion aus der Theorie46 ; aber es handelt sich um das, wo-15 mit man uns blenden will, um die Selbstentwickelung der Nation. Wir allein meinen es ernstlich und aufrichtig mit ihr; aber jene Herren wissen nicht, daß aller Organismus unorganisch wird, so¬ bald er stirbt; sie setzen die toten Kadaver der Vergangenheit mit ihren galvanischen Drähten in Bewegung und wollen uns auf- 20 binden, das sei kein Mechanismus, sondern Leben. Sie wollen die Selbstentwickelung der Nation fördern und schmieden ihr den Klotz des Absolutismus ans Bein, damit sie rascher vorankommt. Sie wollen nicht wissen, daß das, was sie Theorie, Ideologie oder Gott weiß wie nennen, längst in Blut und Saft des Volks über- 25 gegangen und zum Teil schon ins Leben getreten ist; daß damit nicht wir, sondern s i e im Utopien der Theorie herumirren. Denn das, was vor einem halben Jahrhundert allerdings noch Theorie war, hat sich seit der Revolution als selbständiges Moment im Staatsorganismus ausgebildet. Und, was die Hauptsache ist, steht 30 die Entwickelung der Menschheit nicht über der der Nation? Und die Ständewirtschaft? Die Scheidewand zwischen Bürgern und Bauern ist gar nicht da, es ist selbst der historischen Schule kein Emst damit; diese Scheidewand wird nur pro forma hin¬ gestellt, um uns die Absonderung des Adels plausibler zu machen. 35 Um den Adel dreht sich alles, mit dem Adel fällt das Ständewesen. Mit dem Stande des Adels aber sieht es noch schlimmer aus, als mit seinem Bestände. Ein erblicher, ein Majoratsstand ist denn doch wohl nach modernen Begriffen das Allerunsinnigste. Im Mittelalter freilich! Da waren ja auch in den Reichsstädten (wie 40 in Bremen z. B. noch) die Zünfte und ihre Privilegien erblich, da gab es reines Bäckerblut und Zinngießerblut. Freilich, was ist der Adelsstolz gegen das Bewußtsein: Meine Ahnen waren Bierbrauer bis ins zwanzigste Glied! Ein Schlächter- oder nach bremischem poetischerem Namen Knochenhauerblut haben wir noch im Adel, 45
Ernst Moritz Arndt 105 dessen von Herm Fouqué festgesetzter kriegerischer Beruf ja ein fortwährendes Schlachten und Knochenhauen ist. Es ist eine lächer¬ liche Arroganz des Adels, sich für einen Stand zu halten, da nach den Gesetzen aller Staaten ihm gar kein Beruf, weder der kriege- 5 rische noch der des großen Grundbesitzes ausschließlich zu¬ kommt. Jeder Schrift über den Adel könnte der Vers des Trouba¬ dours Wilhelm von Poitiers als Motto vorstehen: „dies Lied soll um ein Nichts sich dreh’n.“ Und weil der Adel seine innere Nich¬ tigkeit empfindet, kann kein Adliger den Schmerz darüber ver- 10 bergen, von dem sehr geistreichen Baron von Sternberg an bis zu dem sehr geistlosen C. L. F. W. G. von Alvensleben. Jene Toleranz, die dem Adel das Vergnügen lassen will, sich für etwas Apartes zu halten, falls er nur sonst keine Privilegien in Anspruch nimmt, ist sehr schlecht angebracht. Denn so lange der Adel noch etwas 15 Apartes vorstellt, so lange will und muß er Vorrechte haben. Wir bleiben bei unserer Forderung: Keine Stände, wohl aber eine große, einige, gleichberechtigte Nation von Staatsbürgern! — Eine andere Forderung Arndts für seinen Staat sind die Ma¬ jorate, überhaupt eine den Grundbesitz auf fixe Verhältnisse fest- 20 stellende Agrargesetzgebung. Auch dieser Punkt verdient, abge¬ sehen von seiner allgemeinen Wichtigkeit, schon darum Beachtung, weil die erwähnte zeitgemäße Reaktion auch in dieser Hinsicht die Dinge wieder auf den Fuß vor 1789 zu setzen droht. Sind doch neuerdings viele geadelt worden unter der Bedingung, ein den 25 Wohlstand der Familie garantierendes Majorat zu stiften! — Arndt ist entschieden gegen die unbeschränkte Freiheit und Teil¬ barkeit des Grundbesitzes ; er sieht als ihre unvermeidliche Folge eine Teilung des Landes in Parzellen, von denen keine ihren Mann ernähren kann. Aber er sieht nicht, daß gerade die volle Frei- 30 gebung des Grundeigentums die Mittel besitzt, alles das im ganzen und großen wieder auszugleichen, was sie im einzelnen allerdings hier und da aus dem Gleise bringen mag. Während die verwickelte Gesetzgebung der meisten deutschen Staaten und die eben so ver¬ wickelten Vorschläge Arndts Inkonvenienzen in den Agrarverhält- 35 nissen nie unmöglich machen, sondern höchstens erschweren, hemmen sie zugleich bei dem Eintritt von Mißverhältnissen die freiwillige Rückkehr zur gehörigen Ordnung, machen ein außer¬ gewöhnliches Eingreifen des Staats notwendig und hemmen den Fortschritt dieser Gesetzgebung durch hundert kleinliche, aber nie mzu umgehende Privatrücksichten. Dagegen kann die Freiheit des Grundes kein Extrem, weder die Ausbildung des großen Land¬ besitzes zur Aristokratie noch die Zersplitterung der Äcker in all¬ zukleine, nutzlos werdende Stückchen aufkommen lassen. Neigt sich die eine Wagschale zu tief, so konzentriert sich der Inhalt 45 der andern alsbald zur Ausgleichung. Und fliegt der Grundbesitz
106 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph auch aus einer Hand in die andere — ich will lieber das wogende Weltmeer mit seiner großartigen Freiheit als den engen Landsee mit seiner ruhigen Fläche, deren Miniaturwellen alle drei Schritte von einer Landzunge, von einer Baumwurzel, von einem Steine gebrochen werden. Nicht nur, daß die Erlaubnis der Majorats- 5 Stiftung eine Einwilligung des Staats in die Bildung einer Aristo¬ kratie ist, nein, diese Fesselung des Grundbesitzes arbeitet, wie alle unveräußerliche Erblichkeit, geradezu auf eine Revolution hin. Wenn der beste Teil des Landes an einzelne Familien geschmiedet und den übrigen Staatsbürgern unzugänglich gemacht wird, ist 10 das nicht eine direkte Herausforderung des Volkes? Beruht nicht die Majoratsbefugnis auf einer Ansicht vom Eigentum, die unserer Erkenntnis längst nicht mehr entspricht? Als ob eine Generation das Recht hätte, über das Eigentum aller künftigen Geschlechter, welches sie augenblicklich genießt und verwaltet, unbeschränkt zu 15 verfügen, als ob die Freiheit des Eigentums nicht zerstört würde durch ein Schalten mit demselben, welches alle Nachkommen die¬ ser Freiheit beraubt! Als ob eine solche Fesselung des Menschen an die Scholle wirklich ewigen Bestand haben könnte! Die Auf¬ merksamkeit übrigens, die Arndt dem Grundeigentum widmet, ist 20 eine wohlverdiente und die Wichtigkeit des Gegenstandes wäre einer ausführlichen Besprechung von der Höhe der Zeit wohl wert. Die bisherigen Theorien leiden alle an der Erbkrankheit der deut¬ schen Gelehrten, die ihre Selbständigkeit darein setzen, jeder ein apartes System für sich zu haben. 25 Verdienten die retrograden Seiten der Deutschtümelei schon eine genauere Prüfung, teils um des verehrten Mannes willen, der sie als seine Überzeugung verficht, teils um der Begünstigung willen, welche sie neuerdings in Preußen erfahren haben, so muß eine andere Richtung derselben darum um so entschiedener zu- 30 rückgewiesen werden, weil sie augenblicklich unter uns wieder überhand zu nehmen droht — der Franzosenhaß. Ich will mit Arndt und den übrigen Männern von 1813 nicht rechten, aber das servile Gewäsch, das die Gesinnungslosigkeit jetzt in allen Zeitungen gegen die Franzosen verführt, ist mir durch und durch zuwider. 35 Es gehört ein hoher Grad von Untertänigkeit dazu, um durch den Julitraktat überzeugt zu werden, daß die orientalische Frage eine Lebensfrage Deutschlands ist und Mehemed Ali unser Volkstum gefährdet. Von diesem Standpunkte aus hat denn Frankreich frei¬ lich durch die Unterstützung des Ägypters dasselbe Verbrechen 40 an der deutschen Nationalität begangen, dessen es sich im Anfänge dieses Jahrhunderts schuldig machte. Es ist traurig, daß man nun schon seit einem halben Jahre kein Zeitungsblatt mehr in die Hand nehmen kann, ohne der franzosenfressenden Wut zu begegnen, die
Emst Moritz Arndt 107 neu erwacht ist. Und wozu? Um den Russen Gebietszuwachs und den Engländern Handelsmacht genug zu geben, daß sie uns Deutsche ganz einklemmen und zerdrücken können! Das stabile Prinzip Englands und das System Rußlands, das sind die Erb- 5 feinde des europäischen Fortschritts, nicht aber Frankreich und seine Bewegung. Aber weil zwei deutsche Fürsten dem Traktat bei¬ zutreten für gut fanden, ist die Sache plötzlich eine deutsche, Frankreich der alte gottlose, „welsche“ Erbfeind, und die ganz natürlichen Rüstungen des allerdings beleidigten Frankreichs sind 10 ein Frevel an der deutschen Nation. Das alberne Geschrei einiger französischer Journalisten nach der Rheingrenze wird weitläuf- tiger Erwiderungen wert gehalten, die leider von den Franzosen gar nicht gelesen werden, und Beckers Lied: „Sie sollen ihn nicht haben“ wird par force zum Volkslied gemacht. Ich gönne Beckern h den Erfolg seines Liedes, ich will den poetischen Inhalt desselben gar nicht untersuchen, ich freue mich sogar, vom linken Rheinufer so deutsche Gesinnung zu vernehmen, aber ich finde es mit den in diesen Blättern bereits darüber erschienenen Artikeln, die mir eben zu Gesichte kommen, lächerlich, daß man das bescheidene Gedicht 20 zur Nationalhymne erheben will. „Sie sollen ihn nicht haben!“ Also wieder negativ? Könnt ihr mit einem negierenden Volks¬ liede zufrieden sein? Kann deutsches Volkstum nur in der Pole¬ mik gegen das Ausland eine Stütze finden? Der Text der Mar¬ seillaise ist trotz aller Begeisterung nicht viel wert, aber wieviel 25 edler ist hier das Übergreifen über die Nationalität hinaus zur Menschheit. Und — nachdem Burgund und Lothringen uns ent¬ rissen, nachdem wir Flandern französisch, Holland und Belgien unabhängig werden ließen, nachdem Frankreich mit dem Elsaß schon bis an den Rhein vorgedrungen und nur ein verhältnismäßig 30 kleiner Teil der ehemals deutschen linken Rheinseite noch unser ist, jetzt schämen wir uns nicht, groß zu tun und zu schreien: das letzte Stück sollt ihr wenigstens nicht haben. 0 über die Deutschen! Und wenn die Franzosen den Rhein hätten, so würden wir doch mit dem lächerlichsten Stolze rufen: Sie sollen sie nicht haben, die 35 freie deutsche Weser und so fort bis zur Elbe und Oder, bis Deutschland zwischen Franzosen und Russen geteilt wäre, und uns nur zu singen bliebe: Sie sollen ihn nicht haben, den freien Strom der deutschen Theorie, so lang er ruhig wallend ins Meer der Unendlichkeit fließt, so lange noch ein unpraktischer Gedanken- *o fisch auf seinem Grund die Flosse hebt! Statt daß wir Buße tun sollten im Sack und in der Asche für die Sünden, durch die wir alle jene schönen Länder verloren haben, für die Uneinigkeit und den Verrat an der Idee, für den Provinzial-Patriotismus, der vom Ganzen um des lokalen Vorteils willen abfällt, und für die natio- 45 nale Bewußtlosigkeit. Allerdings ist es eine fixe Idee bei den Fran¬
108 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph zosen, daß der Rhein ihr Eigentum sei, aber die einzige des deut¬ schen Volkes würdige Antwort auf diese anmaßende Forderung ist das Amdtsche: „Heraus mit dem Elsaß und Lothringen!“ Denn ich bin — vielleicht im Gegensatz zu vielen, deren Stand¬ punkt ich sonst teile, allerdings der Ansicht, daß die Wieder- 5 eroberung der deutschsprechenden linken Rheinseite eine natio¬ nale Ehrensache, die Germanisierung des abtrünnig gewordenen Hollands und Belgiens eine politische Notwendigkeit für uns ist. Sollen wir in jenen Ländern die deutsche Nationalität vollends unterdrücken lassen, während im Osten sich das Slawentum immer 10 mächtiger erhebt? Sollen wir die Freundschaft Frankreichs mit der Deutschheit unserer schönsten Provinzen erkaufen; sollen wir einen kaum hundertjährigen Besitz, der sich nicht einmal das Er¬ oberte assimilieren konnte; sollen wir die Verträge von 1815 für ein Urteil des Weltgeistes in letzter Instanz halten? 15 Aber auf der andern Seite sind wir der Elsasser nicht wert, so lange wir ihnen das nicht geben können, was sie jetzt besitzen, ein freies, öffentliches Leben in einem großen Staate. Es kommt ohne Zweifel noch einmal zum Kampfe zwischen uns und Frank¬ reich, und da wird sich’s zeigen, wer des linken Rheinufers würdig 20 ist. Bis dahin können wir die Frage ruhig der Entwickelung unserer Volkstümlichkeit und des Weltgeistes anheimstellen, bis dahin wollen wir auf ein klares, gegenseitiges Verständnis der euro¬ päischen Nationen hinarbeiten und nach der innem Einheit stre¬ ben, die unser erstes Bedürfnis und die Basis unserer zukünftigen 25 Freiheit ist. So lange die Zersplitterung unseres Vaterlandes be¬ steht, so lange sind wir politisch Null, so lange sind öffentliches Leben, ausgebildeter Konstitutionalismus, Preßfreiheit und was wir noch mehr verlangen, alles fromme Wünsche, deren Ausfüh¬ rung immer halb bleiben wird; darnach also strebt und nicht nach 30 Exstirpation der Franzosen! Aber dennoch hat die deutschtümliche Negation ihre Aufgabe noch immer nicht ganz vollbracht: es ist noch genug über die Alpen, den Rhein und die Weichsel heimzuschicken. Den Russen wollen wir die Pentarchie lassen; den Italienern ihren Papismus 35 und was daran klebt, ihren Bellini, Donizetti und selbst Rossini, wenn sie mit diesem großtun wollen gegen Mozart und Beethoven; den Franzosen ihre arroganten Urteile über uns, ihre Vaudevilles und Opern, ihren Scribe und Adam. Wir wollen heimjagen, woher sie gekommen sind alle die verrückten ausländischen Gebräuche 40 und Moden, alle die überflüssigen Fremdwörter; wir wollen auf¬ hören, die Narren der Fremden zu sein und zusammenhalten zu einem einigen, unteilbaren, starken — und so Gott will, freien deutschen Volk. p n
Der Kaiserzug 5 10 15 20 25 30 [TfD Febr. 1841. Nr. 23, p. 92] Paris ist leer, in dunkeln Riesenwogen Wälzt sich das Volk hinaus zum Strand der Seine; Die Sonne Frankreichs glänzt, doch florumzogen, Und in das stolze Lächeln fließt die Träne. Das heit’re Volk, es sieht so ernst und stille, Nicht denkt es mehr an neue Lorbeerreiser; Dort naht, umgriint von ew’gen Lorbeers Fülle, Europas Geißel, Frankreichs Gott, der Kaiser! Geführet und gefolgt von Veteranen, Ergrauten Schlachtentrümmern, zieht die Leiche Im Donner der Kanonen und von Fahnen Umrauschet gen Paris. Die üpp’ge, reiche, Gedankenvolle Stadt wirft sich zu Füßen Noch einmal ihrem Abgott andachttrunken; Und müßte sie es schmerzlicher noch büßen, Wie einst — es gilt! es zuckt der Rachefunken. Musik des Todes und Musik der Kriege Erbraust und stürmt, die stillsten Herzen schlagen; So zog er ein im Glanze seiner Siege Von Austerlitz und in Marengos Tagen. Und bleich und stumm und stolz und groß, wie immer, Wenn durch des Volkes Strudel er geritten, So zieht, verklärt, wie nie, von Ruhmesschimmer Die Kaiserleiche in des Volkes Mitten. Wo ist die Garde? und wo ist Dombrowski, Der unbesiegte General der Slaven? Murat, der Reiterfürst, und Poniatowski? Und wo ist Ney, der Bravste aller Braven? Gelichtet ist die hohe Heldenwaldung, Die Garde fiel in Waterloos Gewittern; Die Letzten schreiten dort in ernster Haltung, Nur Montholon seufzt hinter Eisengittern.
110 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph Dem Sarge folgt des Reiches Kraft und Blüte, Das alte und das junge Frankreich einet Sich hier, und selbst der Republik Elite Weint an der Stätte, wo ganz Frankreich weinet. Und wer sind Jene, mit der Stirn der Siege, 5 Und doch des Schmerzes Beute unverhohlen, Gramvoller als ihr Flor, sind ihre Züge, Doch stolz ihr Gang — o still, es sind die Polen. Den Kaiser grüßen Bogen, Säulen, Steine, Denkmäler, ew’ge Bilder, und metall’ne 10 Gedanken, kühn und schroff geformt wie seine, Sie feiern seine Hoheit, die zerfall’ne. Zerfallen ist sein Haus, tot seine Krone; Das Weltenreich, das er gesehn im Traume, Es ist dahin. Wie Alexander ohne 15 Nachkommen schläft er unterm Lorbeerbäume. Der Kaiser ruht, verstummt ist das Tedeum; Die frommen Säulen, feierlich umschattet. Die ganze Kirche ist Sein Mausoleum! Ein toter Gott liegt einsam hier bestattet. 20 Friedrich 0.
Immermanns Memorabilien Erster Band. Hamburg, Hoffmann und Campe. 1840 [TfD April 1841. Nr. 53, p. 210-211; Nr. 54, p. 213-215; Nr. 55, p. 219] Die Nachricht vom Tode Immermanns war ein harter Schlag 5 für uns Rheinländer, nicht allein wegen der poetischen, sondern auch wegen der persönlichen Bedeutung dieses Mannes, obwohl die letztere noch mehr als die erstere erst recht sich zu entwickeln begann. Er stand in einem eigenen Verhältnisse zu den jüngem literarischen Kräften, die neuerdings am Rheine und in West- io falen erstanden sind; denn in literarischer Hinsicht gehören West¬ falen und der Niederrhein zusammen, so scharf sie in politischer sich bisher geschieden haben; wie denn auch das „Rheinische Jahr¬ buch“ für Autoren beider Provinzen einen gemeinsamen Mittel¬ punkt abgibt. Je mehr der Rhein bisher sich der Literatur fern ge- 15 halten hatte, desto mehr suchten jetzt rheinische Poeten sich als Vertreter ihrer Heimat hinzustellen und wirkten so zwar nicht nach einem Plane, aber doch auf ein Ziel hin. Ein solches Streben bleibt selten ohne das Zentrum einer starken Persönlichkeit, der sich die Jüngem unterordnen, ohne ihrer Selbständigkeit etwas zu 20 vergeben, und dieses Zentrum schien für die rheinischen Dichter Immermann werden zu wollen. Er war, trotz mancher Vorurteile gegen die Rheinländer, doch allmählich unter ihnen naturalisiert, er hatte seine Versöhnung mit der literarischen Gegenwart, der die Jüngern alle angehörten, offen vollzogen, ein neuer, frischerer 25 Geist war über ihn gekommen und seine Produktionen fanden immer mehr Anerkennung. So wurde auch der Kreis junger Dich¬ ter, die sich um ihn zusammenfanden und aus der Nachbarschaft zu ihm herüberkamen, immer größer; wie oft klappte z. B. nicht Freiligrath, als er in Barmen noch Fakturen schrieb und Conti 3o Correnti rechnete, Memorial und Hauptbuch zu, um einen oder ein paar Tage in Immermanns und der Düsseldorfer Maler Gesell¬ schaft zuzubringen! So kam es, daß Immermann in den Träumen von einer rheinisch-westfälischen Dichterschule, die hier und da auftauchten, einen wichtigen Platz einnahm; er war, ehe Freilig- 35 raths Ruhm reifte, der vermittelnde Übergang von der provin¬ ziellen zur gemeinsam deutschen Literatur. Wer ein Auge hat für solche Beziehungen und Verknüpfungen, dem ist dies Verhältnis längst kein Geheimnis mehr gewesen; vor einem Jahre deutete
112 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph unter andern Reinhold Köstlin in der Europa darauf hin, wie Immermann der Stellung entgegenreife, die Goethe in seinen spä¬ tem Jahren einnahm. Der Tod hat alle diese Zukunftsträume und Hoffnungen zerrissen. Wenige Wochen nach dem Tode Immermanns erschienen seine 5 „Memorabilien66. War er, im kräftigsten Mannesalter, schon reif genug, um seine eigenen Denkwürdigkeiten zu schreiben? Sein Schicksal bejaht, sein Buch verneint es. Aber wir haben auch die Memorabilien nicht als den Abschluß eines Greises, der seine Laufbahn dadurch für geschlossen erklärt, mit dem Leben anzu- io sehen; Immermann rechnete vielmehr nur mit einer frühem, mit der exklusiv romantischen Periode seiner Tätigkeit ab, und so waltet freilich ein anderer Geist über diesem Buche als über den Werken jener Periode. Dazu waren die hier geschilderten Ereig¬ nisse durch den mächtigen Umschwung des letzten Dezenniums so 15 fern gerückt, daß sie sogar ihm, ihrem Zeitgenossen, als historisch abgetan erschienen. Und dennoch glaub’ ich behaupten zu dürfen, daß Immermann nach zehn Jahren die Gegenwart und ihre Stel¬ lung zu der Angel seines Werks, dem Befreiungskriege, höher, freier gefaßt hätte. Vorläufig gilt es jedoch, die Memorabilien so 20 zu betrachten, wie sie einmal sind. Hatte der frühere Romantiker in den Epigonen schon den hohem Standpunkt Goethescher Plastik und Ruhe angestrebt, ruhte der Münchhausen bereits ganz auf der Basis moderner Dichtungs¬ weise, so zeigt sein nachgelassenes Werk noch klarer, wie sehr Im- 25 mermann die neuesten literarischen Entwickelungen zu würdigen wußte. Der Stil und mit ihm die Form der Anschauung sind ganz modern; nur der durchdachtere Gehalt, die strengere Gliederung, die scharf geprägte Charaktereigentümlichkeit und die, wenn auch ziemlich verschleierte, antimodeme Gesinnung des Verfassers 30 scheiden dieses Buch aus der Masse von Schilderungen, Charak¬ teren, Denkwürdigkeiten, Besprechungen, Situationen, Zuständen usw., von denen heuer unsere nach gesunder poetischer Lebensluft schmachtende Literatur eingedunstet wird. Dabei hat Immermann Takt genug, um selten Gegenstände vor das Forum der Reflexion 35 zu bringen, die ein anderes Tribunal ansprechen dürfen als das des baren Verstandes. Der vorliegende erste Band findet seinen Stoff in „der Jugend vor fünfundzwanzig Jahren66 und den sie beherrschenden Ein¬ flüssen. Ein „Avisbrief66 leitet ihn ein, in dem der Charakter des 40 Ganzen aufs treueste dargelegt ist. Auf der einen Seite moderner Stil, moderne Schlagwörter, ja moderne Prinzipien, auf der andern Eigentümlichkeiten des Autors, deren Bedeutung für einen wei¬ tem Kreis längst abgestorben ist. Immermann schreibt für mo¬ derne Deutsche, wie er mit ziemlich dürren Worten sagt, für solche, 45
Immermanns Memorabilien 113 die den Extremen des Deutschtums und des Kosmopolitismus gleich fern stehen; die Nation faßt er ganz modern auf und stellt Prämissen hin, die konsequent auf Selbstherrschaft als Bestim¬ mung des Volks führen würden; er spricht sich entschieden gegen 5 den „Mangel an Selbstvertrauen, die Wut zu dienen und sich weg¬ zuwerfen66 aus, an der die Deutschen kranken. Und doch steht daneben eine Vorliebe für das Preußentum, die Immermann nur auf sehr schwache Gründe stützen kann, eine so frostige, gleich¬ gültige Erwähnung der konstitutionellen Bestrebungen in Deutsch- 10 land, die nur zu deutlich zeigt, daß Immermann die Einheit des modernen geistigen Lebens noch keineswegs erfaßt hatte. Man sieht es deutlich, wie ihm der Begriff des Modernen gar nicht zu¬ sagen will, weil er sich gegen manche Faktoren desselben sträubt, und wie er diesen Begriff doch wieder nicht von der Hand weisen 15 kann. Mit „Knabenerinnerungen66 beginnt das eigentliche Mémoire. Immermann hält sein Versprechen, nur die Momente zu erzählen, wo „die Geschichte ihren Durchzug durch ihn gehalten66. Mit dem Bewußtsein des Knaben wachsen die Weltbegebenheiten, steigert 20 sich der kolossale Bau, von dessen Sturz er Zeuge sein sollte; an¬ fangs in der Feme tosend, brechen die Wogen der Geschichte in der Schlacht bei Jena den Damm Norddeutschlands, strömen über das selbstzufriedene Preußen hin, das „Après moi le déluge66 des großen Königs nun auch speziell für seinen Staat bewahrheitend, 25 und überfluten gleich zuerst Immermanns Vaterstadt, Magdeburg. Dieser Teil ist der beste des Buches; Immermann ist stärker in der Erzählung als in der Reflexion, und es ist ihm vortrefflich gelungen, die Spiegelung der Weltbegebenheiten in der einzelnen Brust aufzu¬ fassen. Dazu ist grade hier der Punkt, von dem an er sich dem Fort- 3o schritte, freilich nur vorläufig, unumwunden anschließt. Ihm ist, wie allen Freiwilligen von 1813, das Preußen vor 1806 das ancien régime dieses Staates, aber auch, was jetzt weniger zugegeben wird, Preußen nach 1806 das durch und durch wiedergebome, die neue Ordnung der Dinge. Mit der Wiedergeburt Preußens ist es aber 35 eine eigne Sache. Die erste Wiedergeburt durch den großen Friedrich ist bei Gelegenheit des vorig jährigen Jubiläums so ge¬ priesen worden, daß man nicht begreift, wie ein zwanzigjähriges Interregnum schon wieder eine zweite nötig machen konnte. Und dann will man behaupten, daß trotz der zweimaligen Feuertaufe 40 der alte Adam neuerdings wieder starke Lebenszeichen von sich gegeben habe. In dem vorliegenden Abschnitte verschont uns Immermann jedoch mit Anpreisungen des Status quo, und so wird sich erst im Verlaufe dieser Zeilen näher herausstellen, wo Immer¬ manns Weg sich von dem der Neuzeit trennt. 45 „Die Jugend wird, bis sie in das öffentliche Leben eintritt, er- Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 8
114 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph zogen durch die Familie, durch die Lehre, durch die Literatur. Als viertes Erziehungsmittel trat für die Generation, welche wir be¬ trachten, noch der Despotismus hinzu. Die Familie hegt und pflegt sie, die Lehre isoliert sie, die Literatur führt sie wieder ins Weite; uns gab der Despotismus die Anfänge des Charakters.66 Nach * diesem Schema ist der reflektive Teil des Buches eingerichtet und man wird ihm schwerlich seinen Beifall versagen können, da es den großen Vorteil hat, den Entwicklungsgang des Bewußtseins in der Zeitfolge seiner Stufen aufzufassen. — Der Abschnitt über die Familie ist ganz ausgezeichnet, so lange er bei der alten Familie stehen bleibt, und es ist nur zu bedauern, daß Immermann sich nicht mehr bemüht hat, Licht- und Schattenpartieen zu einem Gan¬ zen zu verbinden. Die Bemerkungen, die er hier gibt, sind alle im höchsten Grade treffend. Dagegen zeigt seine Auffassung der neuern Familie wieder, daß er die alte Befangenheit und Ver- w Stimmung gegen die Erscheinungen des letzten Jahnzehnts noch immer nicht losgeworden war. Allerdings weicht das „altväterische Behagen66, die Zufriedenheit mit dem heimischen Herde immer mehr einer Mißstimmung, einem Ungenügen an den Genüssen des Familienlebens; aber dagegen verliert sich auch die Philisterei 20 der Hausväterlichkeit, der Glorienschein um die Schlafmütze immer mehr, und die Gründe der Mißstimmung, die Immermann fast alle ganz richtig und nur zu grell hervorhebt, sind eben Sym¬ ptome einer noch ringenden, nicht abgeschlossenen Epoche. Das Zeitalter vor der Fremdherrschaft war abgeschlossen und trug als 25 solches den Stempel der Ruhe — aber auch der Untätigkeit, und schleppte sich mit dem Keim des Verfalls. Unser Autor hätte ganz kurz sagen können: die neuere Familie kann sich darum einer gewissen Unbehaglichkeit nicht erwehren, weil neue Ansprüche an sie gemacht werden, die sie mit ihren eignen Rechten noch nicht 30 zu vereinigen weiß. Die Gesellschaft ist, wie Immermann zugibt, eine andere geworden, das öffentliche Leben ist als ganz neues Moment hinzugetreten, Literatur, Politik, Wissenschaft, alles das dringt jetzt tiefer in die Familie ein, und diese hat ihre Mühe, alle die fremden Gäste unterzubringen. Da liegt’s! Die Familie ist noch 30 zu sehr nach dem alten Stil, um sich mit den Eindringlingen recht zu verständigen und auf guten Fuß zu setzen, und hier gibt es aller¬ dings eine Regeneration der Familie; der leidige Prozeß muß nun einmal durchgemacht werden, und mir deucht, die alte Familie hätte ihn wohl nötig. Übrigens hat Immermann die moderne Fa- 40 milie grade in dem beweglichsten, modernen Einflüssen am meisten zugänglichen Teile Deutschlands, am Rhein, studiert, und hier ist denn das Mißbehagen eines Übergangsprozesses am deutlichsten zu Tage getreten. In den Provinzialstädten des innem Deutschlands lebt und webt die alte Familie noch fort unter dem Schatten des 45
Immermanns Memorabilien 115 alleinseligmachenden Schlafrocks, steht die Gesellschaft noch auf dem Fuße von Anno 1799, und wird öffentliches Leben, Literatur, Wissenschaft mit aller Ruhe und Bedächtigkeit abgefertigt, ohne daß sich jemand in seinem Schlendrian stören ließe. — Zum Belege 5 des über die alte Familie Beigebrachten gibt der Verfasser noch „pädagogische Anekdoten66 und schließt dann mit dem „Oheim66, einem Charakterbilde aus der alten Zeit, den erzählenden Teil des Buches ab. Die Erziehung, die der heranwachsenden Generation von der Familie wird, ist abgeschlossen; die Jugend wirft sich der io Lehre und Literatur in die Arme. Hier beginnen die weniger ge¬ lungenen Partieen des Buches. In betreff der Lehre wurde Immer¬ mann zu einer Zeit von ihr berührt, wo die Seele aller Wissenschaft, die Philosophie, und die Basis dessen, was der Jugend geboten wurde, die Kenntnis des Altertums, in einem windschnellen Um- 15 schwunge begriffen waren, und Immermann hatte nicht den Vor¬ teil, diesen Umschwung bis zu seinem Ziele lernend mitmachen zu können. Als es zum Abschluß kam, war er der Schule längst ent¬ wachsen. Auch sagt er vorläufig wenig mehr, als daß die Lehre jener Jahre eng gewesen sei, und holt die eingreifendsten Hebel 2o der Zeit in gesonderten Artikeln nach. Bei Gelegenheit Fichtes gibt er Philosophisches zum Besten, was unsern Herren vom Begriff seltsam genug vorkommen mag. Er läßt sich hier zu geistreichen Raisonnements über eine Sache verleiten, die zu durchschauen ein geistreiches und poetisches Auge nicht hinreicht. Wie werden un- 25 sere strikten Hegelianer schaudern, wenn sie lesen, wie hier die Geschichte der Philosophie auf drei Seiten dargestellt wird ! Und es muß zugestanden werden, daß nicht leicht dilettantischer über Philosophie gesprochen werden kann, als es hier geschieht. Gleich der erste Satz, daß die Philosophie immer zwischen zwei Punkten so oszilliere, entweder im Ding oder im Ich das Gewisse aufsuche, ist offenbar der Folge des Fichteschen Ich auf das Kantsche „Ding an sich66 zu Gefallen geschrieben worden und läßt sich zur Not auf Schelling, keinenfalls aber auf Hegel anwenden. — Sokrates wird die Inkarnation des Denkens genannt und ihm eben deshalb die 35 Fähigkeit, ein System zu haben, abgesprochen; in ihm sei die reine Doktrin mit einem unbefangenen Eingehen in die Empirie vereinigt gewesen, und weil dieser Bund über den Begriff hinausging, habe er nur als Persönlichkeit, nicht als Lehre sich manifestieren kön¬ nen. Sind das nicht Sätze, die ein unter Hegelschen Einflüssen io herangewachsenes Geschlecht in die größte Verwirrung bringen müssen? Hört da nicht alle Philosophie auf, wo die Übereinstim¬ mung des Denkens und der Empirie „über den Begriff hinaus¬ geht66? Welche Logik hält da stand, wo die Systemlosigkeit der „Inkarnation des Denkens66 als notwendiges Attribut beigelegt 45 wird? 8*
116 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph Doch warum Immermann auf ein Gebiet verfolgen, das er selbst nur durchfliegen wollte? Genug, eben so wenig er mit den Philo¬ sophemen früherer Jahrhunderte fertig werden kann, eben so wenig weiß er Fichtes Philosophie mit seiner Persönlichkeit zu einigen. Dagegen schildert er den Charakter Fichte, den Redner an die s deutsche Nation, und den Tumwüterich Jahn wieder ganz vor¬ trefflich. Diese Charakterbilder werfen mehr Licht auf die wir¬ kenden Kräfte und Ideen, in deren Bereich die damalige Jugend stand, als lange Auseinandersetzungen. Auch da, wo die Literatur das Thema bildet, lesen wir die Darlegung des Verhältnisses, in das io sich die „Jugend vor fünfundzwanzig Jahren66 zu den großen Dich¬ tem stellte, weit lieber, als die schwach begründete Beweisführung, daß die deutsche Literatur vor allen ihren Schwestern einen mo¬ dernen, nichtromantischen Ursprung hat. Es wird immer gezwun¬ gen erscheinen, wenn man Corneille aus romantisch-mittelalter- is licher Wurzel auf sprießen läßt und von Shakespeare mehr als den rohen Stoff, den er vorfand, dem Mittelalter zuweisen will. Spricht hier vielleicht das nicht ganz reine Gewissen des ehemaligen Ro¬ mantikers, das den Vorwurf eines fortwährenden Kryptoroman- tizismus zurückweisen will? w Auch der Abschnitt über den Despotismus, nämlich den Napo¬ leonischen, wird nicht gefallen. Die Heinesche Napoleonsanbetung ist dem Volksbewußtsein fremd, aber dennoch wird es niemandem zusagen, daß Immermann, der hier die Unparteilichkeit des Hi¬ storikers in Anspruch nimmt, als beleidigter Preuße spricht. Er 25 hat es wohl gefühlt, daß hier ein Hinausgehen über den national¬ deutschen und besonders den preußischen Standpunkt nötig sei; darum hält er sich im Stil möglichst vorsichtig, paßt die Gesinnung dem Modernen so nah wie möglich an und wagt sich nur an Kleinig¬ keiten und Nebensachen. Allmählich wird er aber kühner, gesteht, 30 daß es ihm nicht recht eingehen wolle, wie Napoleon zu den großen Männern gerechnet werde, stellt ein vollständiges System des Des¬ potismus auf und zeigt, daß Napoleon in diesem Handwerke ein ziemlicher Stümper und Böhnhase gewesen sei. Das ist aber nicht der rechte Weg, große Männer zu begreifen. 35 So stellt sich Immermann—abgesehen von einzelnen Gedanken, die seiner Überzeugung vorausgeeilt sind — allerdings in der Hauptsache dem modernen Bewußtsein fern. Aber dennoch läßt er sich nicht in eine jener Parteien einrangieren, in die man Deutschlands geistigen Status quo zu teilen pflegt. Die Richtung, 40 der er am nächsten zu stehen scheint, die Deutschtümelei, weist er ausdrücklich ab. Der bekannte Immermannsche Dualismus äußerte sich in der Gesinnung als Preußentum einerseits, als Romantik andererseits. Das erstere verlief sich aber allmählich, besonders für den Beamten, in die nüchternste, maschinenmäßigste Prosa, die 45
Immermanns Memorabilien 117 letztere in eine bodenlose Überschwenglichkeit. So lange Immer- mann auf diesem Punkte stehen blieb, konnte er sich keine rechte Anerkennung erringen und mußte mehr und mehr einsehen, daß diese Richtungen nicht nur polare Gegensätze waren, sondern auch 5 das Herz der Nation immer gleichgültiger ließen. Endlich wagte er einen poetischen Fortschritt und schrieb die Epigonen. Und kaum hatte das Werk den Laden des Verlegers verlassen, so gab es seinem Verfasser Gelegenheit, einzusehen, daß nur seine bisherige Richtung einer allgemeineren Anerkennung 10 seines Talentes von Seiten der Nation und der jüngern Literatur entgegen gestanden hatte. Die Epigonen wurden fast überall ge¬ würdigt und gaben Veranlassung zu Diatriben über den Charakter ihres Verfassers, wie sie Immermann bisher nicht gewohnt war. Die junge Literatur, wenn man anders diesen Namen für die Frag- 15 mente einer Sache noch brauchen darf, die niemals ein Ganzes war, diese erkannte zuerst die Bedeutung Immermanns und führte ihn erst recht bei der Nation ein. Er war durch die immer schärfer werdende Scheidung zwischen Preußentum und romantischer Poesie sowie durch die verhältnismäßig geringe Popularität, deren 2o seine Schriften genossen, innerlich verstimmt gewesen und hatte seinen Werken immer mehr den Stempel schroffer Isolierung un¬ willkürlich auf gedrückt. Jetzt, als er einen Schritt vorwärts getan hatte, kam mit der Anerkennung auch ein anderer, freierer, heite¬ rer Geist über ihn. Die alte jugendliche Begeisterung taute wieder 25 auf und nahm im Münchhausen einen Anlauf zur Versöhnung mit der praktisch-verständigen Seite des Charakters. Seine roman¬ tischen Sympathien, die ihm noch immer im Nacken saßen, be¬ schwichtigte er durch Ghismonda und Tristan; aber welch ein Un¬ terschied gegen frühere romantische Dichtungen, namentlich 30 welche Plastik gegen Merlin herrscht darin ! Überhaupt war die Romantik für Immermann nur Form; vor der Träumerei der romantischen Schule bewahrte ihn die Nüch¬ ternheit des Preußentums; aber diese war es denn auch, die ihn gegen die Zeitentwicklung einigermaßen verstockte. Man weiß, 35 daß Immermann in religiöser Hinsicht zwar sehr freisinnig, in politischer aber gar zu eifriger Anhänger der Regierung war. Durch seine Stellung zur jüngern Literatur wurde er allerdings den politischen Strebungen des Jahrhunderts näher gestellt und lernte sie von einer andern Seite kennen; wie indes die Memora- 40 bilien zeigen, saß das Preußentum noch gar fest in ihm. Dennoch finden sich grade in diesem Buche so manche Äußerungen, die mit der Grundansicht Immermanns so sehr kontrastieren und so sehr auf moderner Basis beruhen, daß ein bedeutender Einfluß der modernen Ideen auf ihn gar nicht zu verkennen ist. Die Memora- 45 bilien zeigen klar ein Bemühen ihres Verfassers, mit seiner Zeit
118 Bremen 1838—1841. Aus dem Telegraph gleichen Schritt zu halten, und wer weiß, ob der Strom der Ge¬ schichte nicht allmählich den konservativ-preußischen Damm un¬ terwühlt hätte, hinter dem Immermann sich verschanzt hielt. Und mm noch eine Bemerkung! Immermann sagt, der Charak¬ ter jener Epoche, die er in den Memorabilien schildert, sei vor- 5 zugsweise jugendlich gewesen; jugendliche Motive seien in Be¬ wegung gesetzt und Jugendstimmungen angeschlagen worden. Ist’s mit unserer Epoche nicht ebenso? Die alte Generation in der Lite¬ ratur ist ausgestorben, die Jugend hat sich des Worts bemächtigt. Von dem heranwachsenden Geschlecht hängt mehr als je unsere 10 Zukunft ab, denn dieses wird über Gegensätze zu entscheiden haben, die sich immer höher hinauf gipfeln. Die Alten klagen zwar entsetzlich über die Jugend, und es ist wahr, sie ist sehr unfolgsam; laßt sie aber nur ihre eignen Wege gehen, sie wird sich schon zu¬ rechtfinden, und die sich verirren, sind selbst schuld daran. Denn is wir haben einen Prüfstein für die Jugend an der neuen Philo¬ sophie; es gilt, sich durch sie hindurchzuarbeiten und doch die jugendliche Begeisterung nicht zu verlieren. Wer sich scheut vor dem dichten Walde, in dem der Palast der Idee steht, wer sich nicht durchhaut mit dem Schwerte und küssend die schlafende 20 Königstochter weckt, der ist ihrer und ihres Reiches nicht wert, der mag hingehen, Landpastor, Kaufmann, Assessor oder was er sonst will, werden, ein Weib nehmen, Kinder zeugen in aller Gott¬ seligkeit und Ehrbarkeit, aber das Jahrhundert erkennt ihn nicht als seinen Sohn an. Ihr braucht darum keine Althegelianer zu wer- 25 den, mit An und für sich, Totalität und Diesigkeit um euch zu werfen, aber ihr sollt die Arbeit des Gedankens nicht scheuen ; denn nur die Begeisterung ist echt, die wie der Adler die trüben Wolken der Spekulation, die dünne, verfeinerte Luft in den obem Re¬ gionen der Abstraktion nicht scheut, wenn es gilt, der Wahrheits- 30 sonne entgegenzufliegen. Und in diesem Sinne hat denn auch die Jugend von heute die Schule Hegels durchgemacht, und manches Samenkorn aus den dürren Fruchtkapseln des Systems ist herrlich auf gegangen in der jugendlichen Brust. Das aber gibt auch das größte Vertrauen auf die Gegenwart, daß ihr Schicksal nicht von 35 der tatscheuen Bedächtigkeit, der gewohnheitsmäßigen Philisterei des Alters, sondern von dem edlen, ungebändigten Feuer der Ju¬ gend abhängt. Darum laßt uns für die Freiheit kämpfen, so lange wir jung und voll glühender Kraft sind; wer weiß, ob wir’s noch können, wenn das Alter uns beschleicht! 40 Friedrich Oswald
Aus: MORGENBLATT FÜR GEBILDETE LESER Stuttgart 1840—1841
Die Artikel wurden in der Zeit vom 30. Juli 1840 bis zum 21. August 1841 im Morgenblatt für gebildete Leser veröffentlicht. Der Aufsatz „Eine Fahrt nach Bremerhafen“ wurde, wie aus dem Brief an die Schwester Marie vom 7.—9. Juli 1840 (p. 589 sqq.) ersichtlich, ein Jahr vor dem Erscheinen geschrieben.
Bremen Bremen, Juli Theater, Buchdruckerfest [Morgenblatt für gebildete Leser s 30. Juli 1840. Nr. 181, p. 724] Soviel ich weiß, hat kein namhaftes Journal einen stehenden Korrespondenten in Bremen, und man könnte aus diesem Con¬ sensus gentium leicht schließen, daß von hier aus nichts zu schrei¬ ben wäre, dem ist aber nicht so; haben wir doch ein Theater, bei 10 dem noch vor kurzem rasch nacheinander Agnese Schebest, Ca¬ roline Bauer, Tichatscheck und Mad. Schröder-Devrient gastier¬ ten, und dessen Repertoire es an Gediegenheit mit manchem an¬ dern und berühmteren aufnehmen könnte. Wurden doch bereits Gutzkows „Richard Savage66 und Blums „Schwärmerei nach der 15 Mode66 hier gegeben. Das erste dieser beiden Stücke ist nun schon zum Überfluß besprochen worden; ich halte dafür, daß eine jüngsthin in den Halleschen Jahrbüchern enthaltene Besprechung desselben nach Abzug der häufigen Animositäten sehr viel Wah¬ res enthält, und namentlich darin den Grundfehler trifft, daß das 2o Verhältnis zwischen Mutter und Kind, als ein unfreies, niemals die Basis eines Dramas abgeben kann. Gutzkow hat diesen Fehler vielleicht schon von vornherein eingesehen, aber er hatte Recht, wenn er sich dadurch von der Ausführung nicht abhalten ließ; denn wollte er sich mit einem einzigen Stücke die Bahn zum 25 Theater brechen, so mußte er dem eingerissenen Theaterschlen¬ drian einige Konzessionen machen, die er späterhin, wenn ihm sein Plan gelang, immerhin wieder zurücknehmen konnte. Er mußte seinem Stücke ein originelles Fundament geben, auch wenn dasselbe vor der poetischen Kritik nicht bestehen konnte, auch so wenn seine Szenen ins Melodramatische, Effektsuchende über¬ schlugen. Man mag Richard Savage tadeln, man mag ihn ver¬ werfen, aber man gebe auch zu, daß Gutzkow sein dramatisches Talent dadurch bewiesen hat. — Von Blums „Schwärmerei nach der Mode66 würde ich gar nicht sprechen, wenn dieses Stück nicht 35 in vielen Journalen als „zeitgemäß66 ausposaunt worden wäre. Es ist aber ganz und gar nichts Zeitgemäßes darin, weder in den Cha¬ rakteren, noch in der Handlung, noch im Dialog. Es ist wahr, Blum hat sich ein Verdienst dadurch erworben, daß er den Mut
122 Bremen 1838—1841 Aus dem Morgenblatt f. gebild. Leser hatte, den Pietismus auf die Bühne zu bringen ; aber auf so leichte Weise wird man mit diesem verrenkten Fuße des Christentums nicht fertig. Man höre doch endlich auf, hinter dem Pietismus Betrug, Habsucht oder raffinierte Sinnlichkeit zu suchen; von sol¬ chen Potenzierungen und Extremen, wie sie in Königsberg sich 5 zeigten, von solchen Mißbräuchen, wie sie Stephan aus Dresden sich erlaubte, wendet sich der eigentliche Pietismus entschieden ab. Als Stephan mit seiner unglücklichen Gesellschaft hier war, um sich nach New-Orleans einzuschiffen, und noch keiner den ge¬ ringsten moralischen Verdacht hatte, habe ich selbst gesehen, mit 10 welchem Mißtrauen die hiesigen Pietisten sich gegen ihn be¬ nahmen. Wer über diese Richtung schreiben will, der gehe einmal unter die „Quäker“, wie man sie hier nennt, und sehe, mit welcher Liebe sich diese Menschen entgegenkommen, wie rasch die Freund¬ schaft geschlossen ist zwischen zwei wildfremden Menschen, die 15 weiter nichts von einander wissen, als daß sie „gläubig“ sind, mit welcher Sicherheit, Konsequenz und Entschiedenheit sie ihren Weg gehen, mit welchem feinen psychologischen Takte sie alle ihre kleinen Fehler aufzufinden wissen, und ich bin überzeugt, er schreibt keine Schwärmerei nach der Mode mehr. Gegen die Vor- 20 würfe dieses Schauspiels hat der Pietismus ebenso sehr recht, wie er gegen den freien Gedanken unseres Jahrhunderts Unrecht hat. — Deshalb nahm der hiesige Pietismus auch nur insofern Notiz von dem Stücke, als er fragte, ob „lästerliche Reden“ darin vor¬ kämen. 25 Das Gutenbergsfest ist hier, in der ultima Thule der deutschen Kultur auch gefeiert worden, und zwar auf eine erfreulichere Weise, als in den beiden andern Hansestädten. Die Buchdrucker hatten schon seit mehreren Jahren sich wöchentlich etwas von ihrem Lohne zurückgelegt, um das Fest würdig zu begehen; schon 30 früh wurde ein Komitee gebildet, indessen fand die Durchfüh¬ rung auch hier von Staatswegen Schwierigkeiten. Kleine, meist an Persönlichkeiten geknüpfte Kabalen wurden gesponnen, wie es in solchen kleinen Staaten nicht anders möglich ist; eine Zeitlang hörte man gar nichts über die ganze Sache, und es hatte den An- 35 schein, als werde höchstens ein „Fest der Handwerker“ zutage ge¬ fördert werden. Erst am Vorabend wurde das Interesse allge¬ meiner, das Programm erschien, Professor Wilhelm Ernst Weber, bekannt durch seine vortrefflichen Übersetzungen alter Klassiker und seine Kommentare zu deutschen Dichtern, lenkte durch seine 40 in der Aula gehaltene Rede die Aufmerksamkeit auf das morgende Fest, und die Kaufherren waren unschlüssig, ob nicht morgen den Comptoirarbeitem ein halber Feiertag zu bewilligen sei. Der fest¬ liche Tag kam; alle Schiffe auf der Weser hatten ihre Flaggen auf¬ gesteckt, und am untern Ende der Stadt lagen zwei Schiffe, deren
Theater. Buchdruckerfest. Literatur 123 Maste an den Spitzen durch ein langes, mit unzähligen Flaggen besetztes Band zu einer ungeheuren Ehrenpforte verbunden waren. Auf einem dieser Schiffe lag auch die einzige disponible Kanone, die den ganzen Tag hindurch donnerte. Das Komitee begab sich 5 mit den sämtlichen Buchdruckern in feierlichem Zuge zur Kirche und von da zu dem neuerbauten Dampfschiffe „Gutenberg66, dem schönsten Steamer, der je auf der Weser gefahren, mit schnee¬ weißem, goldverziertem Rumpf. Für diese seine erste Fahrt war er festlich mit Kränzen und Flaggen verziert; der Zug ging an 10 Bord, fuhr unter Musik und Gesang die Weser hinauf und hielt an der Brücke, wo ein Choral gesungen und von einem Buch¬ drucker eine Rede gehalten wurde. Während die sämtlichen Teil¬ nehmer des Festes an Bord ein von dem Eigner des Schiffes, Herm Lange von Vegesack, veranstaltetes Frühstück einnahmen, fuhr der io „Gutenberg66 mit einer Schnelligkeit, die dem Erbauer Ehre machte, durch die Flaggenpforte nach Lankenau, einem Vergnü¬ gungsorte unterhalb der Stadt, während Tausende von der Brücke und dem Quai ihm ein Hurra nachriefen. Durch den feierlichen Zug und diese Weserfahrt erhielt die Feier erst den Charakter 20 eines Volksfestes, noch mehr aber durch die, anfangs beschränkte, später indes freigegebene Austeilung der Karten zu einem für diesen Abend in Beschlag genommenen und erleuchteten öffent¬ lichen Garten, wohin sich das Komitee nach eingenommenem Fest¬ mahl begab. Hier wurde das Fest bei Musik und Lichterglanz mit 25 Haut-Sautemes, St. Julien und Champagner beschlossen. Literatur [Morgenblatt für gebildete Leser 31. Juli 1840. Nr. 182, p. 728] Im übrigen ist das hiesige Leben ziemlich einförmig und klein- 3o städtisch; die haute volée, d.h. die Familien der Patrizier und Geldaristokraten, sind den Sommer über auf ihren Landgütern, die Damen der mittleren Stände können sich auch in der schönen Jahrszeit nicht von ihren Teekränzchen, wo Karten gespielt und die Zunge geübt wird, losreißen, und die Kaufleute besuchen Tag 35 für Tag das Museum, die Börsenhalle oder die Union, um über Kaffee und Tabakspreise, und den Stand der Unterhandlungen mit dem Zollverband zu sprechen; das Theater wird wenig be¬ sucht. — Eine Teilnahme an der fortlaufenden Literatur des Ge¬ samtvaterlandes findet hier nicht statt; man ist so ziemlich der 4o Ansicht, daß mit Goethe und Schiller die Schlußsteine in das Ge¬ wölbe der deutschen Literatur gelegt seien, und läßt allenfalls die Romantiker noch für später angebrachte Verzierungen gelten. Man
124 Bremen 1838—1841 Aus dem Morgenblatt f. gebild. Leser ist in einem Lesezirkel abonniert, teils der Mode halber, teils um bei einem Journal bequemer Sieste halten zu können; aber Inter¬ esse erregt nur der Skandal und alles, was etwa über Bremen in den Blättern gesagt wird. Bei vielen der Gebildeten mag diese Apathie freilich in dem Mangel an Muße begründet sein, denn be- 5 sonders der Kaufmann ist hier gezwungen, sein Geschäft stets im Kopfe zu behalten, und den etwaigen Rest der Zeit nimmt die Etikette unter der meist sehr zahlreichen Verwandtschaft, Besuche etc. in Anspruch. Dagegen existiert hier eine abgeschlossene Li¬ teratur, die sich teils in Broschüren, meist auf theologische Strei- w tigkeiten sich beziehend, teils in der Journalistik zur Genüge ausbreitet. Die „Bremer Zeitung66, ein mit Takt redigiertes, refe¬ rierendes Blatt, erfreute sich eines bedeutenden Rufes in weitem Umkreise, der indes seit den unfreiwilligen Verwickelungen in die politischen Verhältnisse des Nachbarstaates abgenommen hat. is Ihre westeuropäischen Artikel werden mit Geist geschrieben, wenn sie auch nicht entschieden freisinnig sind. Ein Beiblatt zu ihr, das „Bremische Conversationsblatt66, versuchte Bremen in der deut¬ schen Tagesliteratur zu vertreten, und brachte geistreiche Artikel von Professor Weber und Dr. Stahr in Oldenburg; die Ge- 20 dichte lieferte Nicolaus Delius, ein talentvoller junger Philo¬ loge, der sich auch als Dichter allmählich eine ehrenvolle Stel¬ lung erringen dürfte. Bedeutende auswärtige Mitarbeiter waren aber schwer zu erwerben, und so mußte das Blatt aus Mangel an Beiträgen eingehen. Eine andere Zeitschrift, der „Patriot66, dessen 25 Bestreben dahin ging, sich als würdigeres Organ für die Bespre¬ chung lokaler Interessen hinzustellen, und zugleich in ästhetischer Beziehung Gediegeneres zu leisten als die kleinen Lokalblätter, starb an der schwankenden Stellung zwischen einem Lokal- und belletristischen Blatte. Zäheren Lebens können sich die kleineren 30 Lokalblätter rühmen, die mit Skandal, Streitigkeiten zwischen Schauspielern, Stadtgeklatsch und dergleichen gefüttert werden. Das „Unterhaltungsblatt66 besonders ist durch seine zahlreichen Mitarbeiter (fast jeder Comptoirist kann sich rühmen, ein paar Zeilen fürs Unterhaltungsblatt geschrieben zu haben) zu einer 35 seltenen Allwissenheit gediehen. Wenn im Theater ein Nagel aus der Bank hervorsteht, wenn in der Union eine Broschüre nicht an- geschafft ist, wenn ein betrunkener Zigarrenmacher auf der Straße die Nacht verjubelt hat, wenn ein Rinnstein nicht gehörig gefegt ist — wer zuerst aufmerksam darauf wird, ist das Unter- 40 haltungsblatt. Wenn ein Offizier der Bürgerwehr kraft seines Amtes auf Fußwegen reiten zu dürfen geglaubt hat, so kann er gewiß sein, daß in der nächsten Nummer dieses Blattes die An¬ frage steht, ob Offiziere der Bürgerwehr auf Fußwegen reiten dür¬ fen. Man könnte dieses vortreffliche Blatt die Vorsehung von Bre- 45
Theater. Buchdruckerfest. Literatur 125 men nennen. Sein Hauptmitarbeiter aber ist Crischan Tripsteert, der pseudonyme Verfasser plattdeutscher Gedichte. Es wäre bes¬ ser für die plattdeutsche Sprache, daß sie nach Wienbargs Forde¬ rung abgeschafft würde, als daß sie sich von Crischan Tripsteert 5 zu seinen Gedichten muß mißbrauchen lassen. Die übrigen Lokal¬ blätter sind zu ordinär, um auch nur ihren Namen vor das größere Publikum zu bringen. Ganz abgeschlossen steht der „Bremer Kir¬ chenbote66 da, ein pietistisch-asketisches Blatt, von drei Predigern redigiert, wofür zuweilen Krummacher, der bekannte Parabel- 10 dichter, Beiträge liefert. Das Blatt eifert so sehr, daß die Zensur häufig einschreiten muß, was bei dem Anklang, den seine Tendenz höhern Orts findet, gewiß nur im Notfälle geschieht. Es polemi¬ siert fortwährend gegen Hegel, den „Vater des modernen Pan¬ theismus66, und „seinen Schüler, den eiskalten Strauß66, wie gegen 15 jeden Rationalisten, der sich zehn Meilen in der Runde blicken läßt. — Nächstens etwas über Bremerhafen und über die sozialen Zustände Bremens. F. 0.
Bei Immermanns Tod [Morgenblatt für gebildete Leser 10. Okt. 1840. Nr. 243, p. 969-970] Wir saßen in des Lagers schönstem Zelt, Zu span’schem Weine singend deutsche Lieder; 5 Schon sank die Nacht, und heller ward das Feld, Und unsre überwachten Augen müder; Da fiel der Morgensonne erster Schein In’s Zelt auf unsre leeren Xeresflaschen: Wir müssen früh zur Stelle wieder sein, 10 Wohlauf, besteigt die Rosse nun, die raschen! Wir jagten heim. Welch seliges Gefühl Nach der vertobten Nacht am frischen Morgen! Noch klingt Gesang im Ohr und Saitenspiel, Noch ferne sind des Tages Müh und Sorgen; 15 Das Dunkel schwand, das heil’ge Licht umschwebt So Fluß wie Baum und taugetränkte Fluren; Zum reinen Blau des Himmels fröhlich hebt Das Auge sich und folgt der Sonne Spuren. Wir sind daheim. Die Rosse liefen gut; 20 Ich steh’ an trüber Werkeltages Schwelle; Die Zeitung her, auf daß ich frischen Mut Mir trinke aus des Völkerlebens Quelle! — Was Russen, Briten, ew’ge Türkennot! Wo find’ ich, was in Deutschland ist geschehen? 20 Ha dort — ihr Augen, wacht ihr wirklich? tot? Mein Immermann, auch du willst von uns gehen? Du trotzig Herz, erfüllt von edlem Zorn, Mußt grade jetzt du gehn zum ew’gen Schweigen, Nun wir erkannt die Rose, trotz dem Dorn, 30 Und uns in Demut deinem Geiste neigen? Nun du, wie Schiller, kaum dein Volk mit Lust Gesehn an deinem Dichtermunde hangen, Und nun die Liebe deiner stolzen Brust Mit neuen Strahlen herrlich auf gegangen? 35
Bei Immermanns Tod 127 Stets warst du in der deutschen Dichtung Hain Ein Klausner, fern von der Genossen Toben Hast du in deiner Einsamkeit am Rhein Manch zart Gebilde deinem Volk gewoben. 5 Dich stört’ der Menschen Schwatzen nimmermehr In deines Gartens blumenreichem Hage; Von dir verklang bei ihnen bald die Mähr, Und lebend wardst du fast zu einer Sage. Denn jene Menge, die nicht fassen kann, 10 Was da vermag den Dichter zu erregen, Was kümmert sie der ernste, stumme Mann, Der fern bleibt ihren abgetretnen Wegen? Du aber, der du nun gestorben bist, Du wolltest einsam mit dir selber ringen, 15 In deiner eignen Brust den herben Zwist, Mit dem du aufgewachsen, zu bezwingen. So hast du sinnend denn die lange Nacht, Die unsre deutsche Dichtung hielt in Banden, Im Kampfe mit dir selber durchgewacht, 2o Bis sonnenhell der Morgen auf erstanden. Und als ob deinem moosbewachsnen Haus Des Juli wilde Donner nun verklangen, Da sandest du die Epigonen aus, Ein Grablied dem Geschlechte, das vergangen. 25 Du aber sahst das kommende Geschlecht, Dem in der Brust der Jugend Feuer lodert, Das dir mit lautem Ruf dein Dichterrecht Und deinen vollen Lorbeerkranz gefodert. Du sahst uns deinem Haus voll Ehrfurcht nahn, so Du sahst uns sitzen still zu deinen Füßen, Wie wir in dein begeistert Auge sahn, Und hörten deiner Dichtung rauschend Fließen. Und jetzt, nun du zum Volk zurückgeführt, Das dich vergaß, mit Jubelruf und Freuden, 35 Mit den verdienten Kränzen reich geziert, Mein Immermann, jetzt mußt du von uns scheiden? Fahr wohl! Gar wenig deinesgleichen nur Gehn dichtend unter uns auf deutscher Erden! Ich aber ging an’s Tagewerk und schwur, 40 So stark und fest und deutsch, wie du, zu werden. Friedrich Oswald
Bremen Bremen, September Rationalismus und Pietismus [Morgenblatt für gebildete Leser 17. Okt. 1840. Nr. 249, p. 996] 5 Endlich einmal wieder ein Stoff, der über das Geklatsch der Teegesellschaften hinausgeht, der das ganze Publikum unseres Freistaates aufregt, so daß jeder für oder gegen Partei nimmt, und der auch dem Ernsteren zu denken gibt. Das Gewitter am Himmel der Zeit hat auch in Bremen eingeschlagen, der Kampf um freiere 10 oder beschränktere Auffassung des Christentums hat auch hier, in der Hauptstadt des norddeutschen Buchstabenglaubens, sich entzündet, die Stimmen, die sich jüngst in Hamburg, Kassel und Magdeburg erhoben, haben in Bremen ein Echo gefunden. — Der Verlauf der Sadie ist kurz folgender: Pastor F. W. Krum-15 mâcher, der Papst der Wuppertaler Kalvinisten, der Sankt Michael der Prädestinationslehre, besuchte seine Eltern hier und predigte zweimal für seinen Vater in der St. Ansgariuskirche. Die erste Predigt behandelte sein Lieblingsschauspiel, das jüngste Ge¬ richt, die zweite eine anathematisierende Stelle des Galater- 20 briefes; beide waren mit der flammenden Beredsamkeit, mit der poetischen, wenn auch nicht immer gewählten Bilderpracht ge¬ schrieben, die man an diesem reichbegabten Kanzelredner kennt; beide aber, und namentlich die letzte, sprühen von Verfluchungen Andersdenkender, wie sie von einem so schroffen Mystiker nicht 25 anders erwartet werden können. Die Kanzel wurde der Präsiden¬ tenstuhl eines Inquisitionsgerichts, von dem der ewige Fluch auf alle theologischen Richtungen gewälzt wurde, die der Inquisitor kannte und nicht kannte; jeder, der den krassen Mystizismus nicht für das absolute Christentum hält, wurde dem Teufel übergeben. 30 Und dabei wußte sich Krummacher mit einer Sophistik, die selt¬ sam naiv herauskam, immer hinter den Apostel Paulus zurück¬ zuziehen. „Ich bin es ja nicht, der da flucht, nein! Kinder, be¬ sinnt euch doch, es ist ja der Apostel Paulus, der da verdammt!“ — Das Schlimmste bei der Sache war, daß der Apostel griechisch 35 schrieb, und die Gelehrten sich über die bestimmte Bedeutung einiger seiner Ausdrücke noch nicht haben verständigen können. Zu diesen dubiosen Wörtern gehört denn auch das an dieser Stelle
Rationalismus und Pietismus. Schiffahrtsprojekt. Theater. Manöver 129 gebrauchte Anathema, dem Krummacher hier ohne weiteres die schärfste Bedeutung, als einer Anwünschung der ewigen Ver¬ dammnis, beigelegt hatte. Pastor Paniel, der Hauptvertreter des Rationalismus auf jener Kanzel, hatte das Unglück, dieses Wort 5 in milderem Sinne zu fassen, und überhaupt ein Feind der Krum- macherschen Anschauungsweise zu sein; er hielt darum Kontro- verspredigten. Man mag über seine Gesinnungen denken, wie man will, so wird sich doch gegen sein Benehmen kein gegründeter Tadel beibringen lassen. Krummacher wird nicht leugnen können, 10 daß er bei der Abfassung seiner Predigten nicht nur an die ratio¬ nalistische Mehrzahl der Gemeine, sondern auch speziell an Pa¬ niel gedacht hat; er wird nicht leugnen können, daß es unrecht ist, als Gastprediger eine Gemeine gegen ihre angestellten Seel¬ sorger einnehmen zu wollen; er wird zugeben müssen, daß auf 15 einen groben Klotz ein grober Keil gehört. Was sollte hier alles Schelten auf Voltaire und Rousseau, vor denen sich in Bremen auch der ärgste Rationalist wie vor dem Teufel fürchtet, was alles Verfluchen der spekulativen Theologie, über die sein ganzes Auditorium mit zwei oder drei Ausnahmen ebensowenig urteils- 2o fähig war wie er, was sollte das anders, als die sehr bestimmte, ja persönliche Tendenz der Predigten bemänteln? — Panieis Kontroverspredigten wurden nun im Geiste des Paulusschen Ra¬ tionalismus gehalten, und leiden trotz ihrer belobten gründlichen Disponierung und ihres rhetorischen Pathos an allen Fehlern die- 25 ser Richtung. Da ist alles unbestimmt und phrasenhaft; der hie und da angebrachte poetische Schwung gleicht dem Arbeiten einer Spinnmaschine, die Behandlung desTextes einem homöopathischen Aufguß; Krummacher hat in drei Sätzen mehr Originalität, als sein Gegner in allen drei Predigten. — Eine Stunde von Bremen 3o lebt ein pietistischer Landpastor, der seinen Bauern so sehr über¬ legen ist, daß er angefangen hat, sich für einen großen Theologen und Sprachkundigen zu halten. Er gab gegen Paniel einen Trak¬ tat heraus, in dem er den ganzen Apparat eines philologischen Theologen aus dem vorigen Jahrhundert spielen ließ. In einer 35 anonymen Schrift wurde dem guten Landpfarrer sein wissen¬ schaftlicher Star auf sehr empfindliche Weise gestochen. Mit ebensoviel Geist als Gelehrsamkeit wies der Anonymus, in dem man einen, in meinem vorigen Bericht mehrfach erwähnten, ver¬ dienten Gelehrten unserer Stadt entdecken will, dem weisen „Got- 40 tes Wort vom Lande66 alle die Verkehrtheiten nach, die er sich mühsam aus längst antiquierten Handbüchern zusammengesucht hatte. Krummacher ließ eine „theologische Replik66 gegen Pa¬ nieis Kontroverspredigten ergehen, worin er seine ganze Persön¬ lichkeit unverhohlen angriff, und zwar auf eine Weise, die den 45 seinem Gegner gemachten Vorwurf des Schmähens paralysiert. Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 9
130 Bremen 1838—1841 Aus dem Morgenblatt f. gebild. Leser So geschickt diese Replik die schwachen Seiten des Rationalis¬ mus und namentlich des Gegners zu fassen weiß, so ungeschickt benimmt sich Krummacher bei dem versuchten Umsturz der Pa- nielschen Exegese. Das Tüchtigste, was vom pietistischen Stand¬ punkt aus in dieser Streitsache geschrieben wurde, war die Bro- <5 schüre des benachbarten Predigers Schlichthorst, worin auf ruhige, leidenschaftslose Weise der Rationalismus, und gerade der des Pastors Paniel, auf seine Basis, die Kantsche Philosophie zurückgeführt, und ihm die Frage gestellt wurde: warum seid ihr nicht so ehrlich, zu gestehen, daß nicht die Bibel der Grund eures io Glaubens ist, sondern die Exegese derselben im Sinne der Kant- schen Philosophie, wie sie Paulus aufbrachte? — Eine neue Schrift von Paniel wird dieser Tage die Presse verlassen. Wie diese auch ausfalle, er hat den alten Sauerteig aufgerüttelt, er hat die Bremer, die an alles glaubten, nur nicht an sich selbst, an ihre eigene Vernunft gewiesen, und der Pietismus, der es bisher für eine Schickung Gottes ansah, daß seine Gegner in so viele Parteien unter sich selbst zerfielen, spüre nun auch einmal, daß wir alle zusammenhalten, wo es den Kampf gegen die Finsternis gilt. Schiffahrtsprojekt. Theater. Manöver 20 [Morgenblatt für gebildete Leser 19. Okt. 1840. Nr. 250, p. 1000] Man geht hier jetzt mit einem Plane um, dessen Ausführung von den wichtigsten Folgen, und nicht allein für Bremen, sein würde. Ein hiesiger geachteter junger Kaufmann ist vor kurzem 25 von London zurückgekehrt, wo er sich über die Einrichtung des Dampfschiffes Archimedes, das bekanntlich auf eine neuerfun¬ dene Art, durch eine archimedische Schraube in Bewegung gesetzt wird, genau unterrichtet hat. Er machte die Probefahrt dieses Schiffes, das es an Schnelligkeit den auf die gewöhnliche Art ein- so gerichteten Dampfbooten bedeutend zuvortut, um ganz Gro߬ britannien und Irland mit, und geht jetzt damit um, die neue Er¬ findung bei einem projektierten Dampfschiffe anzuwenden, das eine rasche und beständige Kommunikation zwischen New-York und Bremen vermitteln soll. Das leere Schiff, das sogenannte 35 Casco, will unser erster Schiffsbaumeister für seine eigene Rech¬ nung bauen, wogegen die Kosten der Maschine etc. durch Aktien aufgebracht werden sollen. Die Wichtigkeit eines solchen Unter¬ nehmens fühlt jeder; obgleich einzelne unserer Segelschiffe in der unbegreiflich kurzen Zeit von 25 Tagen die Strecke von Balti- 40 more bis hieher machen, so hängt diese Schnelligkeit doch stets vom Winde ab, der eine solche Reise auch auf das Dreifache ver-
Rationalismus und Pietismus. Schiffahrtsprojekt. Theater. Manöver 131 längem kann, und ein Dampf boot, das für den Fall des günstigen Windes auch zum Segeln eingerichtet ist, würde ohne Zweifel von einem Hafen der vereinigten Staaten bis Bremen nur 11—18 Tage brauchen. Ist dann einmal der Anfang einer Dampfpaketfahrt 5 zwischen Deutschland und dem amerikanischen Kontinente ge¬ macht, so wird die neue Einrichtung ohne Zweifel bald ausgebil¬ det und von den größten Folgen für die Verbindung beider Länder werden. Die Zeit wird nicht lange mehr auf sich warten lassen, wo man aus jedem Teile Deutschlands in vierzehn Tagen New- io York erreichen, von dort aus in vierzehn Tagen die Sehenswürdig¬ keiten der vereinigten Staaten beschauen und in vierzehn Tagen wieder zu Hause sein kann. Ein paar Eisenbahnen, ein paar Dampfschiffe, und die Sache ist fertig; seit Kant die Kategorien Raum und Zeit von der Anschauung des denkenden Geistes abge- 15 löst hat, strebt die Menschheit mit Gewalt dahin, sich auch ma¬ teriell von diesen Beschränkungen zu emanzipieren. — Auf un¬ serm Theater herrschte kürzlich ein niegekanntes Leben. Unsere Bühne steht gewöhnlich ganz außer der Gesellschaft, die Abon¬ nenten bezahlen ihren Beitrag und gehen dann und wann hin, 20 wenn sie nichts besseres zu tun haben. Jetzt kam Seydelmann, und Schauspieler und Publikum gerieten in einen Eifer, dessen wir in Bremen nicht gewohnt sind. Mag noch soviel über den Verfall des rezitierenden Schauspiels durch die Übermacht der Oper ge¬ klagt werden, mögen selbst Schiller und Goethe leere Häuser fin- 25 den, während sich zu dem Gedudel eines Donizetti und Merca¬ dante alles drängt; solange das rezitierende Schauspiel in seinem tüchtigsten Vertreter noch einen solchen Triumph erringen kann, solange ist unsere Bühne von ihrer Erschlaffung noch heilbar. Wir sahen Seydelmann, außer in einigen Kotzebueschen und Raupach- 30 sehen Stücken, namentlich als Shylock, Mephistopheles und Phi¬ lipp (Don Carlos). Es hieße Wasser ins Meer tragen, wollte ich mich über seine bekannte Auffassung dieser Rollen des breitem auslassen. — Ein Miniaturbild des Lagers bei Heilbronn bieten uns die auf dem angrenzenden Teile des oldenburgischen Gebiets 35 eben ausgeführten Manövers der oldenburgisch-hanseatischen Bri¬ gade. Bei der fingierten Einnahme eines Fleckens sollen unsere Truppen sich so tapfer gehalten haben, daß das starke Geschütz¬ feuer sämtliche Fensterscheiben zersprengte. Die Bremer sind froh, daß sie wieder einen neuen Vergnügungsort haben, und 40 ziehen in Scharen hinaus, sich den Spaß anzusehen, während ihre Söhne und Brüder die Wachen beziehen, und bei Wein und Gesang dort die lustigsten Nächte ihres Lebens zubringen. F. 0. 9*
Der Ratsherr von Bremen Eine Volkssage. [Morgenblatt für gebildete Leser 23.-26. Dez. 1840. Nr. 306-309, p. 1221 sq., 1226 sq., 1230 sq., 1233 sq.] Es war im Sommer des Jahres 1749, als in der freien Reichs- 5 stadt Bremen in dem Hause des Ratsherrn Sebaldus Beerlein die Familie beisammensaß und sich auf gewohnte Weise die Abend¬ stunde von acht bis neun mit Gesprächen und einfachen kleinen Spielen der jüngeren Genossenschaft verkürzte. Die Familie be¬ fand sich in dem geräumigen Gemach, das nach der Sitte da- 10 maliger Zeit mit geschnitztem Holzwerk belegt und hier und da mit nicht wertlosen Ölgemälden, die der Vater des Herm Sebald auf seinen Reisen in Holland eingekauft, verziert war. Die alte Großmutter des Ratsherrn saß in einem Armstuhl von gepreßtem Leder, mit Goldblumen geziert, auf erhöhter Fensterstufe und 15 blickte, wie sie es gewohnt war, in das Abendrot hinein, wie es über die Dächer hereinschimmerte und die Spitzen der fernen Kirchen erhellte. Sie murmelte dabei für sich ein altes Kirchen¬ lied von Paul Gerhardt, das von der Ruhe der Frommen nach dem Tode handelt und diejenigen glücklich preist, die in der letzten 20 Erdennot gut bestanden und alles Weh der Zeitlichkeit nun weit hinter sich haben. Sie zählte achtzig Jahre, und somit hatte sie wohl Grund genug, ein solches Lied zu singen. Catharine Beer¬ lein, die Ratsherrin, eine geborene Ruhbergin, von dem reichs- stiftlichen Geschlechte derer von Ruhberg aus Hildesheim, eine 25 stattliche, noch junge Dame, saß nicht weit vom Fenster ab an einem kleinen Tischchen und spielte mit ihrem Vetter, dem Rats¬ kopisten Ruhberg, einem noch fast knabenhaften jungen Men¬ schen, eine Partie Landsknecht. Sie verwechselte im Dämmer¬ licht die Karten, der Jüngling benutzte dieses und betrog ab- 30 sichtlich seine Muhme, und diese verwies ihm seine losen Streiche mit lauten Scheltworten und lachendem Gezänk. Eine Gruppe Kinder saß in der Mitte der Stube beisammen, und die kleine Sigismunde, die älteste Tochter, ein Mädchen von zwölf Jahren, erzählte ihren Geschwistern mit leisen, heimlichen Tönen 35 ein langes Märchen, das mit lautloser Neugier angehört wurde. Theobald Ahlwert, ein alter treuer Diener des Hauses, stand an der Ofenecke und überrechnete still für sich die heutige Einnahme
Der Ratsherr von Bremen 133 eines kleinen Kramladens, den seine Frau hielt, und, wie er zu vermuten Ursache hatte, nicht zum besten hielt. So war jedes Mitglied der kleinen Familie auf seine Weise beschäftigt und kümmerte sich nicht um das Treiben des andern. 5 Herr Sebaldus Beerlein selbst saß auf dem Kanapee, und die eine Hand in die Westentasche gesteckt, auf die andere den Kopf gestützt, blickte er in die Dämmerung vor sich hin, freute sich der lachenden Stimme seiner Frau, der leise flüsternden Töne seines Kindes, und richtete von Zeit zu Zeit seinen Blick auf die 10 dunkle Gestalt der Großmutter, wie ihr zitterndes Haupt und ihre edlen, scharf geformt en Züge sich gegen den Abendhimmel ab¬ zeichneten. Solche Augenblicke haben für einen Familienvater großen Wert. Er überdenkt dann sein früheres Leben, er zählt die Schätze an Glück und Frieden, die ihm geworden, und für 15 die Zukunft macht er Pläne, alles, was er Liebes hat, zu erhalten, wo nicht noch zu vermehren. Die Glocke des nahen Turms schlug jetzt die neunte Stunde. Sowie die letzten Töne verhallt waren, stand der Ratsherr auf, nahm seinen Hut und Stock und schritt eilig zur Türe hinaus. 20 „Sebald!“ rief ihm die Frau nach, „gehst du ins Comptoir und willst du, daß man Licht hinunterbringe?“ Der Ratsherr ant¬ wortete nicht, man hörte ihn die Treppe hinabsteigen und bald darauf die schwere Haustür hinter ihm zufallen. — „Wo geht er hin?“ fragte die Großmutter. „Ich weiß es wahrhaftig nicht,“ ent- 25 gegnete die Tochter. „Er wollte den Abend mit uns zubringen. Es muß ihm plötzlich etwas eingefallen sein.“ Die Alte schüttelte das Haupt, erwiderte aber nichts. Es wurde Licht gebracht, die kleine Familie setzte sich am runden Tisch zusammen; Catharine stellte einen Teller mit Nüssen und Backwerk auf ; die Großmutter be- 30 kam ihr Näpfchen von bemaltem Steingut mit der Abendsuppe. Der Platz für den Hausherrn blieb leer, denn jedermann war der festen Überzeugung, daß er gleich wieder in die Stube treten werde; aber er kam nicht. Es schlug ein Viertel vom Turme, dann halb, dreiviertel und endlich zehn Uhr, und er war noch nicht da. 35 Theobald ward ausgesandt, bei dem Weinhändler gegenüber an¬ zufragen, ob vielleicht der Ratsherr in dessen Stube sich eingefun¬ den, und ob ein paar Freunde ihn dort aufgehalten. Theobald kam wieder und versicherte, der Weinhändler habe den Herrn nicht gesehen. Catharine scherzte nun über dieses eilige Hinweg- 4o gehen ihres Eheherrn, aber niemand wollte in diese Munterkeit einstimmen, besonders weil die alte Großmutter ein so ernsthaftes Gesicht machte. Sie hatte sich seit einigen Tagen unwohl gefühlt und sagte jetzt: „Es ist nicht recht, daß er so fortgeht; ich muß jeden Augenblick gewärtig sein, abgerufen zu werden, und leid 45 täte es mir, wenn ich ihn nicht mehr sehen sollte.“ Catharine
134 Bremen 1838—1841 Aus dem Morgenblatt f. gebild. Leser schalt wegen dieser Äußerung auf die Großmutter und verwies ihr solch böse Reden. Die Alte hielt ihr Abendgebet und ließ sich dann von Catharine in ihr Schlaf gemach führen. Die Kinder wur¬ den ebenfalls zu Bette gebracht, der junge Ruhberg empfahl sich, Catharine blieb in der Stube allein wach und setzte sich mit ihrer 5 Arbeit zum Licht, entschlossen, nicht früher zur Ruhe zu gehen, als bis ihr Mann zurückgekehrt. Es schlug elf, es schlug zwölf, und kein Schritt draußen ließ sich hören. Die Straßen waren stille und ausgestorben, in einer entfernten Gasse blies der Wächter, und aus dem verhängten Fen-10 ster einer Erkerstube klang der leise Gesang der Wächterinnen, die bei einer Leiche wachten. Der Nachthimmel war bedeckt und aus den spärlichen Wolkenrissen blickten Sterne, die Cathari- nens Auge zählen konnte. Sie stand am Fenster, und jeder an den nahen Häusern vorbeischleichende Schatten schien ihr der end-15 lieh zurückkehrende Sebald zu sein; aber er war es immer nicht. Wie sie wieder zum Tisch an die Arbeit zurückkehrte, fühlte sie eine Mattigkeit und Beängstigung. Sie bedachte jetzt ernstlich, daß es gar nicht in Sebalds Weise lag, so plötzlich, und ohne ein Wort zu sagen, fortzugehen und so lange wegzubleiben. Hatte er seinen 20 Entschluß geändert und mußte er den Abend noch einen Gang machen, so hätte er gewiß ein paar Worte seiner nicht weit von ihm sitzenden Frau zugeflüstert; nie ging er auch nur auf eine Stunde weg, ohne daß er Catharinen benachrichtigte und sie bat, das Abendbrot für ihn aufzuheben, und jetzt blieb er die ganze 25 Nacht fort. Sie überdachte sein Betragen den Tag vorher, und un¬ ruhig, wie sie war, glaubte sie sich zu erinnern, daß es nicht ganz so wie gewöhnlich gewesen, und dennoch konnte sie, bei noch schärferem Nachdenken, nichts Bestimmtes angeben. Jeder un¬ bedeutende Zwist wurde von der ängstlichen Frau erwogen; aber 30 dann sprach sie wieder zu sich selbst: „Welch ein Zwist müßte der gewesen sein, der einen Mann also von seinem Weibe triebe, und Sebald hatte es nicht in seiner Art, so ernstlich zu grollen/6 Auch seine Vermögensumstände bedachte Catharine; aber, so viel ihr bewußt, waren diese geordnet, und wären sie auch noch so zerrüt- # tet gewesen, der allgemein beliebte und verehrte Ratsherr hätte doch deshalb nicht in Nacht und Nebel zu verschwinden gebraucht; dafür hatte er Freunde und reiche, teilnehmende Verwandte. Über diesen Betrachtungen brach die Morgenstunde an und Catharine löschte ihre Lampe. So ermüdet sie war, kam doch kein Schlaf in ihre Augen. Nach und nach wurde das Haus lebendig, die Türen gingen und im Zimmer der alten Großmutter kündete der trockene Morgenhusten ihr Erwachen an. Die Kinder kamen und Catharine verschwieg ihnen und der Alten die Abwesenheit ihres Mannes. Aber wie lange konnte sie das? Geschäftsleute spra-u
Der Ratsherr von Bremen 135 chen vor, der Ratsdiener kam, Freunde fragten, endlich mußte sie gestehen, sie wisse nicht, wo ihr Mann sei. Man wartete einen Tag; dann ging das Gerücht in der Stadt umher, der Ratsherr Beer¬ lein sei spurlos verseh wunden. J etzt wollten einige amU f er desStroms 5 den Hut und den Stock des Mannes gefunden haben, andere spra¬ chen von einem, zur nächtlichen Stunde gehörten Schuß im nahen Walde, und die Leiche des Selbstmörders sollte von heimlich ge¬ dungenen Köhlern in der Stille des Morgens in die Stadt geführt worden sein. Noch wunderlichere Gerüchte erzählten, Herr Beer- 10 lein sei mit einer Eskorte über die Grenze geführt worden, um wegen plötzlich bekannt gewordener Verbrechen im Nachbarlande seine Strafe zu empfangen. Man kann sich denken, was Catha¬ rine und die Ihrigen bei diesen Reden litten. Immer noch glaubte die arme verlassene Frau, der Mann werde stündlich, täglich er- 15 scheinen, und immer ward sie getäuscht. Es verging ein Monat, es vergingen zwei, endlich ein Vierteljahr, und keine Spur von dem Ratsherrn Beerlein war zu sehen. Die Aufrufe in den Zei¬ tungen fruchteten nichts, ebensowenig die im Geheim unermüd¬ lich angestellten Nachforschungen. Der Mann war und blieb ver- 20 loren, wie unter die Erde gesunken. Niemand hatte ihn aus dem Tore wandeln sehen, niemand ihn auf der Straße bemerkt; so genau seine Kleidung, sein Gesicht, seine Figur beschrieben wurden, nirgends in den naheliegenden Orten war eine solche Ge¬ stalt gesehen worden. 25 Drei Jahre waren vergangen, niemand sprach mehr von dem verschollenen Ratsherrn, als eines Abends spät, es war wiederum im Hochsommer, ein Mann an die Türe des Beerleinschen Hauses klopfte und Einlaß begehrte. Er sah bleich und ermüdet aus. Man fragte ihn, was er wolle. Der Unbekannte war sichtlich bestürzt 3o über diese Frage. „Wer seid Ihr?“ fragte er dagegen den jungen Mann, der ihm die Türe geöffnet hatte. „Wie kommt Ihr in mein Haus?“ — „In Euer Haus?“ rief der Jüngling und maß den Fra¬ genden von Kopf bis zu Fuß. „Ich bin der Kommis der Weinhand¬ lung und dieses Haus gehört dem Herm Van Peters.“ — „Van 35 Peters!“ rief der Fremde. „Was fällt Euch ein, einfältiger Spa߬ vogel! Weiß ich denn nicht, wo die Weinhandlung und wo mein eigenes Haus ist?“ Mit diesen Worten drängte er ungestüm den jungen Burschen beiseite und stieg die wohlbekannte Treppe hin¬ auf. Er ging über den Gang; dieser war mit unbekannten Möbeln 40 und Gemälden versehen; er wollte die Stubentür öffnen, da schallte ihm lautes, schallendes Gelächter, Gläserklang und rauhe, strei¬ tende Stimmen entgegen. „Ist es möglich!“ rief er bei sich, „hat Catharine Gäste? und noch dazu so ungebührlich laute?“ Leise öffnete er die Tür und sah schaudernd eine Reihe trun- 45 kener Gesichter um einen Wirtstisch geschart. Im Zimmer sah es
136 Bremen 1838—1841 Aus dem Morgenblatt f. gebild. Leser wüste aus, und Tabaksqualm erfüllte den sonst so behaglichen, reinlichen, zierlich geputzten Raum. Das Täfelwerk war beschä¬ digt und hie und da von der Wand abgelöst, der Stuhl am Fenster, wo die Großmutter zu sitzen pflegte, war von einem dickbauchigen Schläfer eingenommen. Aber die Abendsonne schien wie damals 5 durch die Scheiben und ihr goldener Schein schnitt dem armen, wiedergekehrten Ratsherrn wie mit scharfen Schwertern ins Herz. Er stand auf der Schwelle seines lieben Zimmers, er suchte die teuem Gestalten, die er vor einer Stunde hier verlassen, und alles war schreckenvoll umgewandelt, wie in einem ängstlichen, wahn- io sinnigen Traum. Der Arme rieb sich die Stirne, er schloß die Augen, öffnete sie wieder und schwankte wie einer, den die Be¬ sinnung zu verlassen droht. Die Gäste wurden seiner ansichtig und spotteten des bleichen Mannes, der, in das Wirtshaus kom¬ mend, schon betrunken schien. Da schrie auf einmal des Wirts is laute Stimme dazwischen: „Herr Jesus, das ist ja der verschollene Ratsherr!“ Dieser Ausruf packte mit panischem Schrecken die Gäste, sie setzten schnell ihre Gläser hin und starrten zur Türe, wie auf ein Gespenst. Niemand erwiderte den Gruß des Mannes, der nun still 20 kam und sich auf die Ecke der Bank hinsetzte. Die andern rück¬ ten von ihm weg, der Wirt allein machte sich an ihn. „Herr Rats¬ herr,“ rief er, „wo seid Ihr gewesen? Man hat Euch drei Jahre vergeblich gesucht.“ — „Drei Jahre!“ wiederholte Beerlein und sah starr den Wirt an. — „Dieses Haus,“ fuhr jener fort, „ist nicht 25 mehr Euer; Eure Witwe, oder Eure Frau, wollt’ ich sagen — ver¬ gebt, ich spreche zu Euch, wie zu einem Toten — hat im zweiten Jahr, da Ihr nicht kamt, das Haus mir verkauft und wohnt jetzt in einem kleinen Städtchen in der Nachbarschaft.“ — „Meine Gro߬ mutter?“ fragte Herr Beerlein. — „Sie starb wenige Wochen nach 30 Eurem Verschwinden.“ — „Meine Kinder?“ — „Sind tot; eine Seuche, die im vorigen Jahre in unserer guten Stadt wütete, hat sie dahingerafft.“ Bei diesen Antworten sank des armen Ratsherrn Haupt immer tiefer, er gab keinen Laut des Schreckens oder des Schmerzes von 35 sich, aber sein ganzes Wesen drückte ein geheimnisvolles, unend¬ liches Leid aus. So ging er still aus der Stube, wie er gekommen war. Der Wirt folgte ihm, faßte ihn an der Treppe und fragte ihn laut und schneidend: „Wo seid Ihr gewesen, Nachbar?“ — „Fragt mich nicht,“ erwiderte der Arme; „Gott hat mich in ein wunder- 40 voll Gericht geführt. Ich fühle, daß ich sterben werde.“ — Mit diesen Worten fiel er in eine tiefe Ohnmacht. Man sorgte dafür, daß er zu seinem Weibe gebracht wurde, und man kann sich Catharinens Schrecken und Freude denken, als sie den Verlorenen so heimkehren sah. Sie empfing ihn in ihren Witwenkleidern, die 45
Der Ratsherr von Bremen 137 sie dann sogleich ablegte, um sie wenige Wochen darauf, diesmal mit vollem Rechte, wieder anzulegen. Denn Herr Sebaldus Beer¬ lein verschied, wie er es vorhergesagt hatte, eines sanften Todes. Vorher jedoch vertraute er seinem Seelsorger die seltsame Ge- 5 schichte seines Verschollenseins, und die Familie bewahrt noch diese Urkunde auf. Sie ist beglaubigt und unterschrieben von vie¬ len damals lebenden Zeugen, die den Ratsherrn hatten verschwin¬ den und wiederkommen sehen, und die Gerichte haben ihre Siegel darunter gesetzt. Der wesentliche Inhalt der Schrift ist folgender. 10 Am Sonntage Trinitatis des Jahrs 1749, so erzählt der Rats¬ herr in dem eben angeführten Bekenntnisse, abends zwischen acht und neun Uhr saß ich ruhig und in den freudigsten Gedanken über meine Familie, die sich um mich versammelt hatte, als ich deutlich ein Klopfen an der Türe hörte. Ich achtete dessen nicht, 15 und meinte, Ahlwert, mein Diener, der sich dicht an der Türe be¬ fand, werde schon öffnen, oder der Anklopfende werde, wenn man sein Zeichen nicht beachte, selbst hereintreten. Aber es ge¬ schah nicht; statt dessen klopfte es jetzt dreimal hintereinander sehr stark. Mich wunderte, daß niemand im Zimmer dies laute 2o Pochen zu hören schien; alle blieben ruhig an ihren Plätzen. Plötz¬ lich war es mir, als spräche zu mir eine Stimme: „Steh auf, nimm Hut und Stock und folge.“ Ich beschwichtigte diese seltsame innere Aufforderung und blieb sitzen, allein eine Beklemmung, eine Bangigkeit ergriff mich jetzt, wie in der schwersten Krank- 25 heit; es ward mit diesem peinlichen Gefühl so arg, daß ich nicht anders konnte, ich mußte Stock und Hut nehmen und zur Tür hin¬ ausgehen. Als ich im Gange stand, erblickte ich einen Mann neben mir, der mich mit festem Blick ansah, und wiederum tönten die Worte 3o in mein Ohr: „Komm, folge mir.“ Ich kannte den Mann nicht und wußte nicht, was er von mir wollte; ich fühlte aber, daß er von dem Augenblick, wo ich die Schwelle meines Zimmers über¬ schritten, Macht über mich hatte, und ich folgte. Wir stiegen die Hintertreppe hinab und gingen durch einen Gang am Nachbar- 35 hause, von dessen Dasein ich nie früher etwas gewußt habe. Es war ein gewölbter Gang, und so viel ich mich besinne, standen Tonnen und leere Warenbehälter an den dunkeln Wänden auf¬ gehäuft. Er wurde enger und enger, und zuletzt war ich genötigt, gebückt einherzuschreiten, meinem Führer nach, der immer ge- 40 rade vor mir herging. Wir gelangten an ein dunkles Gewässer, das ich für einen bedeckten Kanal hielt; das Wasser floß aber un¬ heimlich und finster; die zwei Bretter, die zur Brücke dienten, waren baufällig und schwankten stark, als ich darüber schritt; mein Führer jedoch ging leicht wie eine Feder und völlig geräusch- 45 los über diesen gefährlichen Steg.
138 Bremen 1838—1841 Aus dem Morgenblatt f. gebild. Leser Endlich kamen wir ins Freie und ich sah den gestirnten Him¬ mel über uns. Im Westen verglühte noch die Abendröte, und ich besinne mich, als ich umschaute, noch den Turm unserer Haupt¬ kirche deutlich gesehen zu haben ; alles andere war wie in einen Nebel gehüllt. Wir gelangten jetzt auf eine weite, unabsehbare « Fläche, die mir völlig unbekannt dünkte. Kein Baum, keine Hütte, selbst kein Weg war zu sehen. Die Erde war wie mit vertrock¬ netem oder versengtem Grase bedeckt, so als hätte vor langer Zeit eine gewaltige Feuersbrunst hier gewütet. Ich teilte diese Bemer¬ kung meinem Führer mit, indem ich ihn zugleich fragte, wo er io mich denn hinbringe. Ohne zu antworten, machte er eine stumme Bewegung, daß wir weiter schreiten sollten. Dies geschah auch; ohne ein Wort zu wechseln, gingen wir miteinander die Heide¬ fläche entlang. Die Abendröte verschwand gänzlich und ein Nebel verbreitete sich über den Sternenhimmel, so daß Erde und Hirn- 2« mel in denselben grauen, bleifarbenen Schimmer gehüllt waren. Ich kann nicht sagen, wie schauervoll und die Seele bedrückend diese Einsamkeit war. Wie labend wäre mir auch nur der kleinste Laut des Lebens gewesen! selbst unsere eigenen Schritte hörten wir nicht auf dem weichen Boden. Von Zeit zu Zeit wehte ein küh- 20 les Lüftchen über die Fläche, aber es erquickte mich nicht, denn es führte einen unleidlichen Moderduft mit sich. Wie wir ungefähr eine halbe Stunde gegangen sein mochten, erblickte ich ein Haus, das auf der Ebene ganz einsam stand und dessen Fenster hell erleuchtet waren. Es war in einem Stil auf- 25 geführt, wie man Paläste baut, Säulen trugen das Dach und kost¬ bare Wappenschilder, prächtige Treppen und schöne vergoldete Statuen zierten den Bau. Mein Gefährte winkte mir, hereinzutreten. Ich stellte ihm vor, daß ich das Haus und seinen Besitzer nicht kenne. „Du wirst ihn kennen lernen,“ entgegnete er; „nur hüte w dich, irgendeine Frage an ihn oder seine Umgebung über das, was deine Augen sehen werden, zu richten. Stumm, wie du kommst, geh wieder und zeichne in deinem Gedächtnis auf, was du siehst.“ Mit diesen Worten öffnete er die Türe eines großen, prächtigen Saals, und ich sah beim Glanze von tausend Kerzen eine geputzte 35 Gesellschaft an den Wänden sitzen, die ihre Blicke auf mich rich¬ tete. Es waren vornehme Herm und wunderschöne Frauen, aber ich kannte niemanden. Es waren Gesichter, die ich nie in meinem Leben gesehen. Mein Begleiter, der an der Tür in einer ehrerbie¬ tigen Stellung zurückblieb, winkte mir, mich der Gesellschaft zu 40 nähern. Ich tat es, obwohl scheu, und man erwiderte meinen Gruß mit einer abgemessenen, aber nicht unfreundlichen Verbeugung; denn jeder schien mit sich und seinem Nachbar beschäftigt, und niemand bekümmerte sich weiter um mich. Ich hatte Zeit zu beob¬ achten, und es fiel mir bald auf, daß alle diese schönen Damen an; 45
Der Ratsherr von Bremen 139 ihren wie Alabaster weißen Hälsen kleine rote Schnüre hatten; die Herm trugen über ihren Halsbinden gleichfalls dieses Zeichen. Als ich bemerkte, daß man mich frei herumgehen ließ, trat ich an einen Spieltisch am Fenster und sah den vier ernsthaften Herrn 5 zu, die sich hier vereinigt hatten. Sie sahen kalt und gleichgültig aus, es lag ihnen wie Schlaf auf den Augen; ihre Kleider waren auf das Prächtigste mit Gold gestickt und breite Ordensbänder lagen über der Brust. Auch sie hatten die kleinen roten Bändchen um den Hals, und noch mehr erschrak ich, als ich sah, daß die 10 Karten, mit denen sie spielten, mit Blutflecken beschmutzt waren. Schaudernd wendete ich mich ab und trat in ein Nebenzimmer. Es war noch kostbarer als der Saal dekoriert, mit roten Samttape¬ ten; auf einem Sofa schlummerte ein Mann, sein Haupt war tief auf die Brust gesenkt, und auch er hatte das rote Bändchen. Wie 15 ich auf den Boden blickte, sah ich mit Schrecken eine Blutspur, die ins nächste Zimmer leitete. Ich folgte ihr und sah einen zwei¬ ten Saal, in dem aber alles leer und ausgestorben war. Die Lich¬ ter brannten düster und eine Anzahl musikalischer Instrumente, die in einer Ecke aufgehäuft lagen, zeigten an, daß hier zum Tanz so auf gespielt worden war, oder werden sollte. Aber kein Musiker war zu sehen und die tiefste Stille herrschte. Die Hinterwand des Saals nahm eine Tür von ungeheurer Größe ein; sie war verschlos¬ sen und mit kostbaren vergoldeten Verzierungen umgeben. Die Blutspuren leiteten hierher; aber so vermessen ich war und so viel 25 Mühe ich mir gab, die Tür zu öffnen, das Schloß wankte und wich nicht. Ich fürchtete, durch das Geräusch, das ich verursachte, die Gesellschaft herbeizulocken, deshalb ließ ich von allen weitem Versuchen ab. Über der Tür war in großen schwarzen Ziffern 1789 angeschrieben. Diese Zahl hat sich mir tief eingeprägt, so 30 wie das verschlossene Gemach und die Blutspur, die sich darin verlor. Ich weiß, daß ich über diese Dinge nachdachte und in eine Art von Betäubung verfiel, so daß ich mich in einem Winkel des Saals auf einen Stuhl setzte. Wie lange ich gesessen haben mag, weiß 35 ich nicht; als ich aus meinen Grübeleien erwachte, hörte ich eine Uhr schlagen und zugleich ein lebhaftes Geräusch im Gesell¬ schaftssaale. Schnell erhob ich mich und eilte durch die Gemächer, um meinen Führer wieder aufzusuchen. Er stand noch da, um mich zu erwarten. Wir verließen sogleich den Saal und das Haus. *0 Ich wandelte wieder auf der einsamen Heide und mein Begleiter ging wieder stumm neben mir. So kamen wir vor die Stadt, wo er mit einer stummen Gebärde von mir Abschied nahm. Ich fühlte mich matt und wie im Sterben. Kaum hatte ich Kraft genug, die Stadt zu erreichen, wo ich mich freute, die wohlbekannten Straßen 45 wieder zu sehen. Als ich wieder Straßenlärm und menschliche
140 Bremen 1838—1841 Aus dem Morgenblatt f. gebild. Leser Stimmen hörte, war es mir, als würde mein Herz gesund. Das Bild der gespenstischen Versammlung mit ihren fürchterlichen Anzei¬ chen wich immer mehr aus meiner Seele, aber jene prophetische Zahl blieb mir beständig vor Augen und wird es auch bleiben, so lange ich atme; denn es ist nur zu gewiß, daß mich der Herr ein s wunderbar Gesicht hat schauen lassen. Diese Bekenntnisse erhielten ihre volle Würdigung, als vier¬ zig Jahre darauf die französische Revolution ausbrach. Es wurde in jenem Jahre ein Büchlein gedruckt, das den Titel führt: „Wun¬ dersame und wahre Historie von dem verschollenen Ratsherrn zu w Bremen, wie derselbige durch Gottes besondere Zulassung künf¬ tige Zeitläufte und ihre Werke vorausgesehen/6 — Dieses Büch¬ lein liegt der hier erzählten Sage zugrunde.
Bremen Bremen, Januar. Kirchlicher Streit. [Morgenblatt für gebildete Leser 5 15. Jan. 1841. Nr. 13, p. 51-52] Mit dem alten Jahre lassen sich die Akten unseres kirchlichen Streites so ziemlich schließen. Wenigstens haben die jetzt noch zu erwartenden Streitschriften nicht mehr auf die Teilnahme im Publikum zu rechnen, deren sich die frühem erfreuten; es wird io nicht mehr vorkommen, daß mehrere Auflagen in einer Woche vergriffen werden. Und auf einen solchen Anteil des Volks kommt es bei dergleichen Streitigkeiten doch hauptsächlich an; ein rein wissenschaftliches Interesse darf eine Frage nicht ansprechen, die nur auf dem Boden von wissenschaftlich längst abgefertigten 15 Richtungen Geltung hat. — Pastor Paniel rechtfertigte das ver¬ zögerte Erscheinen seiner Schrift gegen Krummachers „theolo¬ gische Replik66 durch den Umfang derselben. Mit zehn Bogen rückt er seinem Gegner zu Leibe. In der Vorrede erklärt er, auf etwaige fernere Angriffe durch eine Geschichte des Pietismus ant- 2o Worten und darin beweisen zu wollen, daß diese Richtung ihre Quelle im Heidentum habe. Das müßte freilich eine Quelle à la Arethusa sein, die lange unter der Erde fortgelaufen, ehe sie auf christlichem Boden zum Vorschein gekommen. Im übrigen übt er gegen seinen Angreifer das Recht der Retorsion, indem er ihm, ab- 25 gesehen von den Vorwürfen, die dem Pietismus gewöhnlich ge¬ macht werden, fast jedes feindselige Wort gewissenhaft zurück¬ gibt. Auf diese Weise reduziert sich der ganze Kampf am Ende auf eine Wortklauberei; halbwahre Behauptungen fliegen wie Spielbälle herüber und hinüber, und es käme in letzter Instanz 30 nur auf eine Begriffsbestimmung an, die denn doch wohl vor dem Streite hätte aufgestellt werden müssen. In diese Lage wird sich aber der Rationalismus der Orthodoxie gegenüber immer versetzt finden. Er hat dies seiner schwankenden Stellung zu danken, in der er bald als neue Entwicklung des christlichen Geistes, bald als 35 dessen ursprüngliche Form gelten will, und in beiden Fällen die biblischen Schlagwörter der Orthodoxie — nur mit veränderter Bedeutung — zu den seinigen macht. Er ist nicht ehrlich gegen sich selbst und gegen die Bibel; die Begriffe Offenbarung, Er¬
142 Bremen 1838—1841 Aus dem Morgenblatt f. gebild. Leser lösung, Inspiration haben in seinem Munde eine höchst un¬ bestimmte und schielende Fassung. — Die verstandesmäßige Trockenheit des Rationalismus hat in Paniel eine seltene Höhe er¬ reicht. Mit einer abschreckenden, mehr Wolf sehen als Kantischen Logik setzt er seinen höchsten Ruhm darein, alle Gliederungen 5 seines Werks recht grell hervorspringen zu lassen. Seine Ausfüh¬ rungen sind nicht das lebendige Fleisch, mit dem er das logische Gerippe umkleidet, sie sind in weichlicher Sentimentalität ge¬ tränkte Lappen, die er an den vorragenden Ecken des Kirchen¬ gerüstes zum Trocknen aufhängt. Dann jene wäßrigen Exkurse, 10 an denen man trotz der orthodoxesten Stichwörter den Rationa¬ listen überall erkennt, liebt Paniel ebenfalls sehr; nur weiß er sie nicht mit der Verstandesdürre zu verschmelzen, und sieht sich oft genötigt, den schönsten Phrasenstrom durch ein Erstens, Zwei¬ tens und Drittens zu unterbrechen. Es ist aber nichts widerwär-15 tiger, als diese ohnehin geschmacklose Weichlichkeit, wenn sie systematisch auftritt. Das Interessanteste des ganzen Buchs sind die Auszüge aus Krummacherschen Schriften, aus denen die krasse Denkart dieses Mannes in ihrer ganzen Schärfe hervorleuchtet. — Die Entschiedenheit, mit der der Rationalismus hier auftrat, ver- 2o anlaßte die Prediger der Gegenpartei zu einer Gesamterklärung, die in einer Broschüre niedergelegt und von zweiundzwanzig Pre¬ digern unterzeichnet wurde. Sie enthält die Grundsätze der Ortho¬ doxie in zusammenhängender Darstellung und mit halbversteckter Bezugnahme auf die Tatsachen des schwebenden Streites. Eine 25 beabsichtigte Erklärung der sieben rationalistischen Prediger unterblieb. Man würde indes sehr irren, wollte man nach dem Ver¬ hältnis der Predigerzahl auch das Verhältnis der Parteien im Publikum schätzen. [Morgenblatt für gebildete Leser 30 16. Jan. 1841. Nr. 14, p. 56] Die große Mehrzahl der pietistischen Prediger wird durch die Pfarrer des Gebietes gebildet, denen teils ein temporäres Über¬ wiegen ihrer Partei, teils ein gelinder Nepotismus ihre Stellen ver¬ schafft hat. Im Gegenteil halten im Publikum die Rationalisten 35 der Zahl nach den Pietisten wenigstens die Wage, und es fehlte ihnen nur ein energischer Vertreter, um ihnen das Bewußtsein ihrer Stellung zu geben. In dieser Hinsicht ist Paniel von un¬ berechenbarem Werte für seine Anhänger; er besitzt Mut, Ent¬ schiedenheit und in mancher Hinsicht auch Gelehrsamkeit genug, 4U und es fehlt ihm nur an rhetorischem und Schriftstellertalent, um Bedeutendes zu wirken. Seitdem sind mehrere, meist anonyme Schriftchen erschienen, die aber alle ohne Einfluß auf die Stim¬ mung des Publikums blieben; vor wenigen Tagen kam ein Bogen
Kirchlicher Streit. Verhältnis zur Literatur. Musik. Plattdeutsch 143 „Unpietistische Reime“ heraus, der seinem Verfasser indes keine besondere Ehre macht, und nur der Merkwürdigkeit wegen er¬ wähnt werden muß. Vom Hauptstimmführer der Bremischen Pie¬ tisten, dem talentvollen Prediger F. L. Mallet, ist eine Schrift in 5 Aussicht gestellt: „Dr. Paniel und die Bibel“; doch wird auch diese kaum auf Beachtung von Seiten der Gegenpartei rechnen dürfen, und so kann man den Kampf für beendigt annehmen, und die Tatsachen als abgeschlossen unter einem allgemeinen Gesichts¬ punkte zusammenfassen. — Man muß gestehen, daß der Pietis- 10 mus sich diesmal mit mehr Geschicklichkeit benommen hat als sein Gegner. Er hatte übrigens auch manches voraus gegen den Rationalismus, eine zweitausendjährige Autorität, und eine, wenn auch einseitige, wissenschaftliche Ausbildung durch die neuem orthodoxen und halborthodoxen Theologen, während der Rationa¬ le lismus in seiner schönsten Entwicklung zwischen zwei Feuer ge¬ nommen, von Tholuck und Hegel zugleich angegriffen wurde. Der Rationalismus ist nie klar gewesen über seine Stellung zur Bibel; die unglückliche Halbheit, die anfangs entschieden offenbarungs- gläubig erschien, aber bei weitern Konsequenzen die Göttlichkeit 2o der Bibel so restringierte, daß fast nichts davon übrig blieb, dieses Schwanken setzt den Rationalismus jedesmal in Nachteil, sobald es sich um biblische Begründung von Lehrsätzen handelt. Warum die Vernunft preisen, und doch keine Autonomie proklamieren? Denn wo von beiden Seiten die Bibel als gemeinsame Basis aner- 25 kannt wird, da hat der Pietismus immer Recht. Aber außerdem war auf Seiten des Pietismus diesmal auch das Talent. Ein Krum¬ macher wird im einzelnen manche Geschmacklosigkeit vorbrin¬ gen, nie aber sich ganze Seiten lang in so nichtssagenden Redens¬ arten umdrehen können, wie Paniel tut. Das Beste, was von ratio- 3o nalistischer Seite geschrieben wurde, waren „die Verfluchungen“, als deren Verfasser sich W. E. W e b e r bekannte. G. Schwab sagte einmal von Strauß, er zeichne sich vor dem großen Haufen der Gegner des Positiven durch einen empfänglichen Sinn für das Schöne in jeder Gestaltung aus. Durch dieselbe Bezeichnung 35- möchte ich Weber aus dem rationalistischen Vulgus hervorheben. Er hat durch eine seltene Kenntnis der griechischen und deutschen Klassiker seinen Horizont erweitert, und kann man auch seinen Behauptungen, namentlich den dogmatischen, nicht immer bei¬ stimmen, so muß die freie Gesinnung und die edle, kräftige Dik- 40 tion doch stets Anerkennung finden. Einer kürzlich erschienenen Gegenschrift gehen alle diese Eigenschaften ab. Eine eben hier ankommende Schrift: Paulus in Bremen, ist nicht ohne Witz ge¬ schrieben und enthält pikante Seitenhiebe auf politische und soziale Zustände Bremens, schließt aber ebensowenig etwas ab, 45 als die bereits erwähnten. — Für Bremen speziell war dieser Streit
144 Bremen 1838—1841 Aus dem Morgenblatt f. gebild. Leser von großer Bedeutung. Die Parteien standen sich gedankenlos gegenüber, ohne daß es weiter als zu kleinlichen Häkeleien kam. Der Pietismus ging seinen eigenen Zwecken nach, während der Rationalismus sich um ihn nicht kümmerte und eben deshalb manche schiefe Vorstellung von ihm hatte. Im Ministerium, das 5 heißt der gesetzlichen Versammlung aller reformierten und unier¬ ten Prediger der Stadt war bisher der Rationalismus nur durch zwei, und noch dazu sehr schüchterne Mitglieder vertreten; Paniel trat gleich nach seiner Ankunft entschiedener auf, und man hörte schon von Mißhelligkeiten im Ministerium. Jetzt, seitdem durch 10 Krummacher der Streit angefacht wurde, weiß jede Partei, woran sie ist. Der Pietismus wußte längst, daß sein Autoritätsprinzip mit der Basis des Rationalismus, der Vernunft, nicht in Überein¬ stimmung zu bringen war, und sah in dieser Richtung schon bei ihrem Emporkeimen mit Recht einen Abfall von dem altortho- is doxen Christentum. Jetzt hat auch der Rationalist eingesehen, daß seine Überzeugung nicht durch eine andere Exegese vom Pietis¬ mus getrennt ist, sondern in geradem Gegensätze zu ihm steht. Jetzt erst, nun die Parteien sich gegenseitig erkennen, kann die Vereinigung auf einem hohem Standpunkte geschehen, und im 20 Hinblick darauf die Zukunft ruhig abgewartet werden. Verhältnis zur Literatur. Musik [Morgenblatt für gebildete Leser 18. Jan. 1841. Nr. 15, p. 60] Es scheint, als sollten die Hansestädte jetzt mit Gewalt in den 25 Strom der Literatur gerissen werden. Seit Beurmanns „Skizzen“ häufen sich die Besprechungen über diesen allerdings interessan¬ ten Stoff. Beurmann selbst hat in „Deutschland und die Deut¬ schen“ den drei freien Seestädten bedeutenden Raum gewidmet. Der Freihafen brachte Soltwedels „Hanseatische Briefe“. Ham- 30 bürg steht schon seit längerer Zeit in mancher Beziehung zur deut¬ schen Literatur; Lübeck liegt etwas zu sehr abseiten und hat auch materiell seine Blütezeit längst hinter sich; doch will A. Soltwedel jetzt dort auch ein Journal begründen. Bremen sieht die Literatur mit argwöhnischen Blicken an, weil es kein ganz reines Gewissen 35 gegen sie hat, und gewöhnlich nicht aufs Sanfteste von ihr berührt wird. Und doch läßt sich nicht leugnen, daß Bremen durch seine Lage und seine politischen Verhältnisse zu einem Mittelpunkte für die Bildung des nordwestlichen Deutschlands mehr als jede andere Stadt sich eignet. Gelänge es nur, zwei oder drei tüchtige Literaten 40 hierher zu ziehen, so könnte hier ein Journal begründet werden, das den größten Einfluß auf die Kulturentwicklung Norddeutsch¬
Kirchlicher Streit. Verhältnis zur Literatur. Musik. Plattdeutsch 145 lands hätte. Die Buchhändler Bremens haben Unternehmungs¬ geist genug, und ich habe es von mehreren schon aussprechen hören, daß sie gern die nötigen Fonds hergeben und den wahr¬ scheinlichen Schaden der ersten Jahrgänge tragen wollten. 5 Die beste Seite Bremens ist die Musik. Es wird in wenig Städ¬ ten Deutschlands so viel und so gut musiziert wie hier. Eine ver¬ hältnismäßig sehr große Anzahl von Gesangvereinen hat sich ge¬ bildet, und die häufigen Konzerte sind immer stark besucht. Da¬ bei hat sich der musikalische Geschmack fast ganz rein erhalten ; 10 die deutschen Klassiker, Händel, Mozart, Beethoven, von den neuem Mendelssohn-Bartholdy und die besten Liederkomponi¬ sten behaupten entschieden das Übergewicht. Die neufranzösische und neuitalienische Schule haben fast nur unter den jungen Comp- toiristen ein Publikum. Es wäre nur zu wünschen, daß Sebastian 15 Bach, Gluck und Haydn weniger zurückgesetzt würden. Dabei werden neuere Erscheinungen keineswegs abgewiesen, im Gegen¬ teil möchten wenig Orte sein, wo die Produktionen junger deut¬ scher Komponisten so bereitwillig aufgeführt würden, wie hier. Auch fanden sich hier immer Namen, die in der musikalischen 20 Welt vorteilhaft bekannt sind. Der talentvolle Liederkomponist Stegmayer dirigierte mehrere Jahre das Orchester unsers Thea¬ ters; an seine Stelle ist Koßmaly getreten, der sich teils durch Kompositionen, teils durch Artikel, die er meistens in Schumanns „Neuer Zeitschrift für Musik“ abdrucken läßt, manche Freunde 25 verschafft haben wird. Riem, der die Singakademie und die mei¬ sten Konzerte dirigiert, ist ebenfalls ein anerkannter Komponist. Riem ist ein liebenswürdiger Greis mit jugendlicher, hinreißen¬ der Begeisterung im Herzen; niemand versteht wie er, Sänger und Instrumentalisten zu lebendigem Vortrag zu entflammen. 30 Plattdeutsch [Morgenblatt für gebildete Leser 19. Jan. 1841. Nr. 16, p. 63-64] Was dem Fremden hier zuerst auffällt, ist der Gebrauch der plattdeutschen Sprache, selbst in den angesehensten Familien. 35 Sowie der Bremer herzlich und vertraulich wird, spricht er platt¬ deutsch, ja er klebt so sehr an diesem Dialekt, daß er ihn über den Ozean trägt. Auf der Lonja von Havanna wird eben so viel Bremer Plattdeutsch gesprochen wie Spanisch. Ich kenne Leute, die in New-York und Vera-Cruz von den dort sehr zahlreichen Bre- 40 mern den Dialekt ihrer Vaterstadt vollkommen erlernt haben. Es sind aber auch noch nicht dreihundert Jahre, daß das Hoch¬ deutsche zur offiziellen Sprache erklärt wurde; die Grundgesetze Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 10
146 Bremen 1838—1841 Aus dem Morgenblatt f. gebild. Leser der Stadt, Tafel und neue Eintracht, sind in niederdeut¬ scher Sprache abgefaßt, und die ersten Laute, die der Säugling hier nachsprechen lernt, sind plattdeutsch. Selten beginnt ein Kind vor dem vierten oder fünften Jahre hochdeutsch zu sprechen. Die Bauern des Gebiets lernen es nie und zwingen dadurch die Ge- 5 richte sehr häufig, plattdeutsch zu verhandeln und hochdeutsch zu protokollieren. Übrigens wird das Niedersächsische hier noch immer ganz rein gesprochen, und hat sich ganz und gar von der Vermischung mit hochdeutschen Formen frei gehalten, welche den hessischen und rheinischen Dialekt entstellt. Der nordhannöver- io sehe Dialekt hat einzelne Archaismen vor dem Bremer voraus, leidet aber desto mehr an mannigfaltigen lokalen Färbungen; der westfälische hat sich in einer entsetzlichen Breite der Diphthonge verloren, während westlich von der Weser der Übergang ins Frie¬ sische beginnt. Man kann die Bremer Mundart getrost als die un- is vermischteste Fortentwickluhg der alten niedersächsischen Schrift¬ sprache ansehen; die Volkssprache hat sogar noch so viel Be¬ wußtsein, daß sie hochdeutsche Wörter nach den Lautgesetzen des Niedersächsischen fortwährend um wandelt und in sich auf nimmt, eine Fähigkeit, deren sich nur wenig niedersächsische Volksmund- 20 arten noch jetzt zu erfreuen haben. Die Sprache des Reineke Vos hat vor dem gegenwärtigen Dialekt fast nur vollere, jetzt kontra¬ hierte Formen voraus, während die Wortstämme, bis auf wenige Ausnahmen, noch immer ihr Leben behauptet haben. Die Sprach¬ forscher haben darum auch ganz recht getan, wenn sie das „Bre- 25 mische Wörterbuch“ in lexikalischer Hinsicht als Durchschnitts¬ summe der jetzigen niedersächsischen Volksidiome ansahen, und eine Grammatik des Bremischen Dialekts, mit Rücksichtnahme auf die Mundarten zwischen Weser und Elbe, würde eine sehr ver¬ dienstliche Arbeit sein. Mehrere hiesige Gelehrte haben Interesse 30 für das Plattdeutsche gezeigt, und es wäre sehr zu wünschen, daß einer von ihnen sich dieser Arbeit unterzöge.
Eine Fahrt nach Bremer hafen1) Bremen, Juli [1840] [Morgenblatt für gebildete Leser 17. Aug. 1841. Nr. 196, p. 1783-1784] 5 Um sechs Uhr morgens sollte der „Roland“ abfahren. Ich stand an den Räderkasten angelehnt und sah unter der Menschen¬ schar, die sich an Bord des Dampfschiffs drängte, nach Be¬ kannten umher. Denn heute war eine sonntägliche Lustfahrt nach Bremerhafen veranstaltet, und zwar zu herabgesetzten Preisen, 10 wobei denn jeder die Gelegenheit benutzte, der See ein wenig näher zu kommen und einige große Schiffe zu sehen. Es war mir merkwürdig, daß die Gewinnsucht, die sonst fortwährend auf eine Geldaristokratie hinarbeitet, hier auch einmal der Demokratie einige Konzessionen machte. Die Preisemiedrigung machte den 15 Unbemitteltem die Teilnahme möglich, und dazu war der Unter¬ schied zwischen erster und zweiter Kajüte aufgehoben, was in Bremen, wo die „höheren Stände“ nichts mehr scheuen, als ge¬ mischte Gesellschaft, sehr viel sagen will. So wurde denn das Dampfschiff auch sehr voll. Echte „Bremer Borger“, die in so ihrem Leben nicht aus dem Gebiet der freien Hansestadt heraus¬ gekommen waren und nun ihrer Familie den Hafen zeigen woll¬ ten, bildeten den Kem der Gesellschaft; Küper, Auswanderer, Handwerksgesellen waren ebenfalls in Masse da; hier und dort stand ein Mann der Börse, der, zur guten Gesellschaft gehörend, 25 sich von der Menge absonderte, und überall sah man die Bauern auf dem Schachbrett einer Handelsstadt, die immer vorgeschoben werden, die Comptoiristen, welche sich wieder in Kommis, erste Lehrlinge und Jüngste scheiden. Der Kommis dünkt sich schon eine wichtige Person ; er hat nur einen Schritt bis zur Selbständig- 30 keit; er ist das Faktotum seiner Firma, er kennt die Verhältnisse seines Hauses durch und durch, er ist mit dem Stande des Marktes vertraut und auf der Börse drängen sich die Makler um ihn. Der erste Lehrling hält sich nicht viel geringer; er steht zwar mit dem Prinzipal nicht auf demselben Fuße, wie der Kommis, doch weiß 35 er einen Makler und namentlich einen Küper oder Kahnschiffer schon ganz vortrefflich abzufertigen, und trägt in Abwesenheit des Prinzipals und Kommis das Bewußtsein zur Schau, daß er jetzt die Firma vertritt und der Kredit eines ganzen Hauses von seinem O So nach der damaligen Schreibweise 10*
148 Bremen 1838—1841 Aus dem Morgenblatt f. gebild. Leser Benehmen abhängt. Der Jüngste dagegen ist ein unglückliches Geschöpf ; er vertritt das Handlungshaus höchstens gegen den Ar¬ beiter, der die Güter verpackt, oder den Briefträger, in dessen Rayon das Comptoir liegt. Er muß nicht nur sämtliche Hand¬ lungsbriefe und Wechsel kopieren, Rechnungen austragen und 5 bezahlen, sondern überhaupt völlig den Laufburschen machen, die Briefe zur Post bringen, Pakete schnüren, Kisten zeichnen und die Briefe von der Post holen. Man kann jeden Mittag das Post¬ lokal gedrängt voll von diesen „Jüngsten66 sehen, welche die Ham¬ burger Post abwarten. Und was das schlimmste ist, jedes Ver- io sehen, das auf dem Comptoir vorfällt, muß sich der Jüngste ge¬ duldig zuschieben lassen; denn es gehört mit zu seinem Beruf, der Sündenbock eines ganzen Comptoirs zu sein. Diese drei Klassen sondern sich auch in Gesellschaft streng voneinander: die Jüng¬ sten, deren Kinderschuhe meist noch nicht ganz vertreten sind, x gefallen sich in lautem Lachen und viel Lärmen um nichts; die ersten Lehrlinge sprechen eifrig über den jüngsten großen Ein¬ kauf, den ein Zuckerhändler gemacht hat, und jeder hat seine Vermutungen darüber; die Kommis lächeln über Witze, die nicht ans Tageslicht kommen, und wissen bezeichnende Dinge von den 20 anwesenden Damen zu sagen. [Morgenblatt für gebildete Leser 18. Aug. 1841. Nr. 197, p. 788] Das Dampfschiff fuhr ab. Obwohl die Bremer ein solches Schauspiel alle Tage sehen können, so mußte die bremische Neu- m gier sich dennoch in einer Ungeheuern Menschenmasse betätigen, die von jedem Ufervorsprung unserer Abfahrt zusah. — Das Wetter war eben nicht günstig; es war zwar derselbe alte, eherne Himmel, von dem Homer erzählt, aber die uns zugewandte Seite, welche die ewigen Götter nicht alle Tage putzen lassen, war mit so bedeutendem Rost überlaufen. Mehr als einmal löschte ein Regen¬ tropfen zischend meine Zigarre aus. Die Dandys, welche ihre Makintoshröcke bisher über dem Arm trugen, sahen sich ver¬ anlaßt, sie anzuziehen, und die Damen spannten die Regenschirme auf. — Die Ausfahrt aus Bremen ist, von der Weser gesehen, sehr 35 hübsch: links die Neustadt mit ihrem langen, baumbepflanzten „Deich“, rechts die Anlagen des Walls, die sich hier bis an die Weser erstrecken und von einer kolossalen Windmühle gekrönt werden. Dann aber kommt die bremische Wüste, rechts und links Weidengebüsch, sumpfige Wiesen, Kartoffelpflanzungen und eine 40 Masse Braunkohlfelder. Braunkohl ist das Lieblingsgericht der Bremer. Auf dem Räderkasten stand, trotz des starken Regens und des scharfen Windes, ein langer Assekuranzmaklergehülfe und unter¬ hielt sich in plattdeutscher Sprache mit dem Kapitän, der ruhig ^5
Eine Fahrt nach Bremerhafen 149 seinen Kaffee trank. Dann eilte er wieder hinunter zu einer Ge¬ sellschaft von Kaufleuten zweiten Ranges, um ihnen Bericht über die wichtigen Äußerungen des Kapitäns abzustatten. Die Kommis und ersten Lehrlinge rissen sich fast um diese angesehene Per- 5 sönlichkeit, aber er kehrte sich nicht an sie, denn heute sprach er nur mit etablierten Häusern. Jetzt stürmte er eilig vom Räder¬ kasten herunter und brachte die Nachricht: „in einer Viertelstunde sind wir in Vegesack.66 „Vegesack!66 wiederholten erfreut alle Zu¬ hörer; denn Vegesack ist die Oase der bremischen Wüste, in 10 Vegesack gibt’s Berge von sechzig Fuß Höhe, und der Bremer spricht wohl von der „Vegesacker Schweiz66. Vegesack liegt nun auch ganz hübsch, oder wie man hier sagt, „niedlich66, oder „süß66, wobei man denn an die letzte, mit Vorteil verkaufte Partie gelben Havannazucker denkt. Der Flecken selbst bietet der Weser eine 15 anmutige Front dar; ehe man hinkommt, sieht man eine Menge Schiffsrümpfe in der Weser liegen, teils ausgediente, teils hier neugebaute. Die Lesum fließt hier in die Weser und bildet mit ihren Hügeln ebenfalls ganz „niedliche66 Ufer, die sogar roman¬ tisch sein sollen, wie mich der Schulmeister von Grohn, einem 2o Dorfe bei Vegesack, auf Ehre versicherte. Gleich hinter Vegesack versucht das Sandmeer wirklich, bedeutende Wellen zu schlagen, und senkt sich ziemlich steil in die Weser hinein. Hier liegen die Villen der Bremer Aristokraten, deren Anlagen das Weserufer eine kleine Strecke hin wirklich sehr verschönern. Dann freilich 25 kommt wieder die alte Langeweile. — Ich ging unter das Verdeck und fand in einem kleinen Nebenzimmer der Kajüte eine Schar „erster Lehrlinge66, welche alle Segel aufspannte, um drei hübsche Schneiderstöchter gebührend zu unterhalten; vor der Türe drängte sich eine Schar „Jüngster66, die dem Geschwätz der ersten Lehr- 30 linge gespannt zuhörten ; hinter ihnen stand der garde d’honneur der Damen, ein alter Hausfreund, den das Unwesen zu einem ärgerlichen Brummen veranlaßte. Mich langweilte das Gespräch, und so ging ich wieder hinauf und stellte mich auf den Räder¬ kasten. Nichts ist schöner, als so über einer Menge Menschen zu 35 stehen, dem Gedränge zuzuschauen und das Gewirr von Worten zu hören, das ohne Zusammenhang von unten herauf schallt. Man fühlt den frischen Hauch des Windes frischer dort oben, und der Regen, den man freilich auch frischer zu genießen hat, ist wenig¬ stens besser, als die Tropfen, die einem ein Philister mit seinem 40 Schirme in die Kravatte gießt. [Morgenblatt für gebildete Leser 19. Aug. 1841. Nr. 198, p. 791-792] Endlich, nach verschiedenen uninteressanten hannöverschen und oldenburgischen Dörfern, wieder eine erfreuliche Abwechse-
150 Bremen 1838—1841 Aus dem Morgenblatt f. gebild. Leser hing, der Freihafen Bracke, dessen Häuser und Bäume einen effektvollen Hintergrund zu den auf der Weser liegenden Schiffen bilden. Bis hieher kommen schon größere Seeschiffe, und von hier abwärts hat die Weser, wenn nicht durch Inseln zerrissen, schon eine ansehnliche Breite. — Nach kurzem Aufenthalt fuhr 5 das Dampfschiff weiter, und in anderthalb Stunden waren wir nach beinahe sechsstündiger Fahrt am Ziele. Als das Fort von Bremer¬ hafen vor uns auf tauchte, zitierte ein Buchhändler von meiner Bekanntschaft Schiller, der Assekuranzmakler zitierte die Ship¬ ping and Mercantile Gazette, ein Kaufmann zitierte die letzte Nummer der Einfuhrliste. Mit einem prächtigen Bogen fuhr das Dampfboot in die Geest, einen kleinen Fluß, der sich bei Bremer¬ hafen in die Weser ergießt. Aber die Passagiere drängten sich, trotz der Ermahnungen des Kapitäns, nach dem Vorderteil des Schiffs, die Ebbe hatte den niedrigsten Stand erreicht, und mit is einem Ruck war Roland, der Repräsentant der bremischen Unab¬ hängigkeit, auf den Sand geraten. Die Passagiere zerstreuten sich, die Maschine arbeitete rückwärts und Roland kam glücklich von der Sandbank. Bremerhafen ist ein junger Ort. 1827 kaufte Bremen von Han- 20 nover einen kleinen Strich Landes, und ließ den Hafen mit unge¬ heuren Kosten dort erbauen. Allmählich zog eine ganze bremische Kolonie hinüber, und noch immer nimmt der Ort an Bevölkerung zu. Darum ist hier alles bremisch, von der Bauart der Häuser bis zu der plattdeutschen Sprache der Einwohner, und der Bremer 25 vom alten Schlage, der sich vielleicht über die außerordentliche Steuer geärgert hat, mit deren Ertrag das Stückchen Land gekauft wurde, kann doch jetzt seine Freude nicht verhehlen, wenn er sieht, wie hier alles so schön, so zweckmäßig, so bremisch ist. — Von der Anfahrt der Dampfschiffe aus hat man gleich den besten 30 Überblick über das Ganze. Ein schöner, breiter Quai, in dessen Mitte das kolossale Hafenhaus in mißlungenem antiken Stil her¬ vorragt; der Hafen in seiner ganzen Länge, mit allen seinen Schif¬ fen; links und jenseits desselben das von hannöverschen Soldaten besetzte kleine Fort, dessen Backsteinmauem nur zu deutlich 35 zeigen, daß es bloß pro forma dasteht. Es ist darum auch ganz konsequent, daß man niemand ins Innere des Forts läßt, eine Erlaubnis, die bei jeder preußischen Festung leicht zu erlangen ist. — Wir gingen im Regen den Quai entlang. Hier und da bot eine Seitenstraße einen Blick in das Innere des Orts; alles recht- 40 winklig, die Straßen schnurgerade, die Häuser häufig noch im Bau begriffen. Diese moderne Anlage des Orts sticht allein gegen Bremen ab. Die Straßen waren bei dem schlechten Wetter und dem noch nicht beendigten Gottesdienst so still, wie in Bremen.
Eine Fahrt nach Bremerhafen 151 [Morgenblatt für gebildete Leser 20. Aug. 1841. Nr. 199, p. 796] Ich ging auf eine große Fregatte, deren Verdeck voll Aus¬ wanderer stand, die dem Aufwinden der „Jolle“ zusahen. Jolle 5 heißt hier jeder Nachen, der einen Kiel hat und sich dadurch zum Dienst auf der See eignet. Die Leute waren noch fröhlich; sie hatten noch nicht die letzten Schollen des heimischen Bodens betreten. Aber ich habe gesehen, wie nahe es ihnen geht, wenn sie wirklich die deutsche Erde für immer verlassen, wenn das Schiff, io mit allen Passagieren an Bord, langsam aus dem Hafen auf die Rhede legt und von da in die offene See hineinsegelt. Es sind fast lauter treue, deutsche Gesichter, ohne Falsch, mit kräftigen Ar¬ men, und man braucht nur einen Augenblick unter ihnen zu ver¬ weilen, nur die Herzlichkeit zu sehen, mit der sie sich begegnen, 15 um zu erkennen, daß es wahrlich nicht die Schlechtesten sind, die ihr Vaterland verlassen, um sich im Lande der Dollars und der Urwälder anzusiedeln. Der Spruch: Bleibe im Lande und nähre dich redlich, scheint wie für die Deutschen gemacht, und doch ist es nicht so; wer sich redlich nähren will, geht, wenigstens 20 sehr häufig, nach Amerika. Und es ist bei weitem nicht immer Nahrungslosigkeit, geschweige denn Habsucht, was diese Leute in die Feme treibt; es ist die schwankende Stellung des deutschen Bauern zwischen Leibeigenschaft und Unabhängigkeit, es ist die Erbuntertänigkeit und das Schalten und Walten der Patrimonial- 25 gerichte, was dem Landmann sein Essen versäuert und den Schlaf unruhig macht, bis er sich entschließt, sein Vaterland zu ver¬ lassen. — Es waren Sachsen, die mit diesem Schiffe hinüber¬ gingen. Wir stiegen die Treppe hinab, um das Innere des Schiffes zu betrachten. Die Kajüte war außerordentlich elegant und kom- 3o fortabel eingerichtet; ein kleines, viereckiges Zimmer, alles elegant, wie in einem Salon der Aristokratie, Mahagoni mit Gold verziert. Vor der Kajüte waren in kleinen niedlichen Zimmerchen die Schlaf Stätten der Passagiere; daneben schlug aus einer offenen Tür der Schinkenduft der Speisekammer uns entgegen. Wir muß- 35 ten wieder auf Verdeck, um eine andere Treppe hinab ins Zwi¬ schendeck zu gelangen. „Da unten aber ist’s fürchterlich,“ zitier¬ ten alle meine Begleiter, als wir wieder hinauf stiegen. Da unten lag die Canaille, die nicht Geld genug hat, um neunzig Taler an eine Überfahrt in der Kajüte zu wenden, das Volk, vor dem man 4o den Hut nicht zieht, dessen Sitten man hier als gemein, dort als ungebildet bezeichnet, die Plebs, die nichts hat, die aber das Beste ist, was ein König in seinem Reiche haben kann, und die namentlich in Amerika das deutsche Prinzip allein aufrecht hält. Die Deutschen in den Städten sind es, die den Amerikanern ihre 45 jämmerliche Verachtung gegen unsere Nationalität beigebracht
152 Bremen 1838—1841 Aus dem Morgenblatt f. gebild. Leser haben. Der deutsche Kaufmann macht sich eine Ehre daraus, seine Deutschheit wegzuwerfen und ein kompletter Yankeeaffe zu werden. Dieses Zwittergeschöpf ist glücklich, wenn man ihm den Deutschen nicht mehr anmerkt, spricht englisch auch mit seinen Landsleuten, und wenn er wieder nach Deutschland kommt, <5 spielt er erst recht den Yankee. Man hört oft in den Straßen Bre¬ mens englisch sprechen, aber man würde sich sehr irren, wenn man jeden, der englisch spricht, für einen Briten oder Yankee halten wollte; wenn diese nach Deutschland kommen, so sprechen sie immer deutsch, um unsere schwere Sprache zu lernen; jene io Leute sind immer in Amerika gewesene Deutsche. Der deutsche Bauer allein ist es, vielleicht noch der Handwerker in den See¬ städten, der mit eiserner Festigkeit an seiner volksmäßigen Sitte und Sprache klebt, der, durch die Urwälder, die Alleghany- gebirge und die großen Ströme von den Yankees geschieden, mit- h ten in den Vereinigten Staaten ein neues, freies Deutschland erbaut; in Kentucky, Ohio und im Westen von Pensylvania sind nur die Städte englisch, während auf dem Lande alles deutsch spricht. Und der Deutsche hat in seinem neuen Vaterlande neue Tugenden gelernt, ohne die alten zu verlieren. Der deutsche Korporations- 20 geist hat sich hier zu einem ausgebildeten Geiste der politischen, freien Genossenschaft entwickelt, er drängt die Regierung tag¬ täglich um Einführung der deutschen Sprache als Gerichtssprache in den deutschen Counties, er schafft eine deutsche Zeitung nach der andern, die alle einem besonnenen, ruhigen Streben nach Ent- 25 wicklung der vorliegenden Freiheitselemente huldigen, und was das beste Zeichen seiner Macht ist, er hat die durch alle Staaten verbreitete Partei der „Native Americans“ hervorgerufen, welche die Einwanderung hindern und dem Eingewanderten die Erlan¬ gung des Bürgerrechts erschweren wollen. 30 „Dort unten aber ist’s fürchterlich.“ Um das ganze Zwischen¬ deck läuft eine Reihe Betten herum, mehrere nebeneinander und je zwei übereinander. Eine drückende Luft herrscht hier, wo Männer, Weiber und Kinder wie die Pflastersteine auf der Straße aneinander gepackt liegen, Kranke neben Gesunden, alles zu- 35 sammen. Man stolpert jeden Augenblick über einen Haufen Klei¬ der, Geräte u. dgl.; hier schreien kleine Kinder, dort hebt sich ein Kopf aus einem Bette. Es ist ein trauriger Anblick; und wie mag es erst sein, wenn ein anhaltender Sturm alles übereinander wirft und die Wellen übers Verdeck jagt, so daß die Luke, die allein 40 noch frische Luft hereinläßt, nicht geöffnet werden kann! Und auf den bremischen Schiffen ist alles noch am menschlichsten ein¬ gerichtet. Wie es den meisten ergeht, die über Havre gehen, ist bekannt. Wir besuchten nach diesem noch ein anderes, amerika¬ nisches Schiff ; es wurde gerade gekocht, und als eine deutsche 45
Eine Fahrt nach Bremerhafen 153 Frau, die dabeistand, die schlechten Speisen und die noch schlech¬ tere Zubereitung sah, sagte sie unter bittem Tränen: wenn sie das gewußt hätte, wäre sie lieber zu Hause geblieben. [Morgenblatt für gebildete Leser 5 21. Aug. 1841. Nr. 200, p. 800] Wir gingen in den Gasthof zurück. Die Primadonna unseres Theaters saß mit ihrem Gemahl, dem ultimo uomo desselben, und mehreren andern Schauspielern in einem Winkel; die übrige Ge¬ sellschaft war sehr unbedeutend, und so griff ich nach einigen 10 Drucksachen, die auf dem Tische lagen, und von denen ein Jahres¬ bericht über den bremischen Handel das Interessanteste war. Ich ergriff ihn und las folgende Stellen: „Kaffee im Sommer und Herbst gefragt, bis gegen den Winter flauere Zustände auf¬ kamen. Zucker genoß fortwährender Abnahme, jedoch kam die 15 eigentliche Idee dafür erst mit den größern Zufuhren.“ Was soll ein armer Literat dazu sagen, wenn er sieht, wie die Aus¬ drucksweise nicht nur der modernen Belletristik, sondern auch der Philosophie den Stil der Mäkler durchdringt! Zustände und Ideen in einem Handelsbericht — wer hätte das erwartet! Ich schlug um no und fand die Bezeichnung: „Superfein mittel gut ordinär reeller Domingo-Kaffee.“ Ich fragte den anwesenden Kommis eines der ersten Bremer Rheder, was diese superfeine Bezeichnung sagen wolle. Er antwortete: „Sehen Sie diese Probe an, die ich eben von einer für uns angekommenen Ladung gezogen habe; darauf 25 wird jene Benennung ungefähr passen.“ Da fand ich denn, daß superfein mittel gut ordinär reeller Domingo-Kaffee ein Kaffee von der Insel Hayti ist, von blaßgraugrüner Farbe, und wovon das Pfund aus fünfzehn Lot guten, zehn Lot schwarzen Bohnen und sieben Lot Staub, Steinchen und anderem Unrat besteht. Ich 30 ließ mich so noch in mehrere Mysterien des Hermes einweihen, und vertrieb mir damit die Zeit bis gegen Mittag, wo wir ein sehr mittelmäßiges Mahl einnahmen, und durch die Glocke dann wie¬ der aufs Dampfboot gerufen wurden. Der Regen ließ endlich nach, und kaum hatte das Schiff aus der Geest „gelegt“, so brachen 35 die Wolken auseinander und die Sonnenstrahlen fielen licht und wärmend auf unsere noch immer feuchten Kleider. Zu allge¬ meiner Verwunderung aber fuhr das Schiff nicht stromaufwärts, sondern die Rhede hinab, wo ein stolzer Dreimaster eben geankert hatte. Wir waren kaum in die Mitte der Strömung gekommen, als 40 die Wellen größer wurden und das Schiff merklich zu schwanken anfing. Wer, der jemals auf der See war, fühlt sein Herz nicht höher schlagen, wenn er dieses Zeichen von der Nähe des Meeres spürt! Man glaubt einen Augenblick, es gehe wieder hinaus in die freie rauschende See, zu dem tiefklaren Grün der Wogen,
154 Bremen 1838—1841 Aus dem Morgenblatt f. gebild. Leser mitten hinein in das wunderbare Licht, das Sonne, Himmelblau und Meer vereint erzeugen; man beginnt unwillkürlich wieder, die Bewegung des Schiffs balancierend mitzumachen. Die Damen waren indes anderer Meinung, sahen sich erschrocken an und wurden bleich, während das Dampfboot „in a gallant style“, wie * die Engländer sagen, einen Halbkreis um das neu angekommene Schiff beschrieb und den Kapitän desselben aufnahm. Der Asse- kuranzmäklergehülfe erklärte eben einigen Herm, die sich ver¬ gebens am Bug nach dem Namen des Schiffs umgesehen hatten, daß dieses laut seiner Flaggennummer die Maria, Kapitän Ruyter, und laut der Lloydsliste unter dem und dem Tage von Trinidad de Cuba gesegelt sei, als der Kapitän die Treppe des Dampfboots heraufstieg. Unser Assekuranzmäkler ging ihm entgegen, schüt¬ telte ihm mit Protektormiene die Hand und erkundigte sich nach seiner Überfahrt, nach der Ladung, und verführte überhaupt is einen langen plattdeutschen Diskurs mit ihm, während ich den Schmeicheleien zuhörte, die der Buchhändler an die halb naiven, halb koketten Schneiderstöchter verschwendete. Die Sonne ging in voller Glorie unter. Eine glühende Kugel hing sie in einem Netze von Wolkenstreifen, dessen Fäden schon 20 zu brennen schienen, so daß man jeden Augenblick hätte erwarten sollen: jetzt, jetzt hat sie das Netz durchgebrannt und fällt zischend in den Strom! Aber ruhig sank sie hinter eine Baumgruppe, die Mosis feurigem Dornbüsche glich. Wahrlich, hier wie dort spricht Gott mit lauter Stimme! Doch das heisere Gekrächz eines 25 Bremer Oppositionsmannes bemühte sich, ihn zu überschreien; der kluge Mann plagte sich, seinem Nachbar zu beweisen, wie es weit klüger gewesen wäre, statt den Bremerhafen zu bauen, das Fahrwasser der Weser auch für größere Schiffe auszutiefen. Lei¬ der geht hier die Opposition nur zu oft mehr aus einem Neide 30 gegen die Macht der Patrizier hervor, als aus dem Bewußtsein, daß die Aristokratie dem vernünftigen Staate widerstrebe; und dabei ist sie so beschränkt, daß ebenso schwer mit ihr über die bremischen Angelegenheiten zu sprechen ist, wie mit den strengen Anhängern des Senats. — Beide Parteien überzeugen einen im- 35 mer mehr, daß so kleine Staaten, wie Bremen, sich überlebt haben, und selbst in einem mächtigen Staatenverbande ein nach außen hin gedrücktes und nach innen phlegmatisch-alterschwaches Leben führen müssen. — Jetzt waren wir dicht an Bremen. Der lange Ansgariuskirchturm, an den sich unsere „kirchlichen Wirren“ 40 knüpften, stieg aus Moor und Heide auf, und bald waren wir an den hohen Warenlagern, welche die rechte Weserseite einfassen.
Berlin 1841—1842
Aus: ATHENÄUM Zeitschrift für das gebildete Deutschland Berlin 1841
Erschienen in: Athenäum. Zeitschrift für das gebildete Deutsch¬ land. Redigiert von D. Karl Riedel. Erster Jahrgang. Berlin 1841. Nr. 48 vom 4. Dezember 1841, p. 751—756 und Nr. 49 vom 11. Dezember 1841, p. 767-769.
Lombardische Streifzüge Von Friedrich Oswald L Über die Alpen ! 5 Gottlob, daß wir Basel im Rücken haben! Solch eine trockene Stadt, voll Bratenröcke und Dreimaster, Philister und Patrizier und Methodisten, in der nichts frisch und kräftig ist als die Bäume um den ziegelroten Dom und die Farben an Holbeins Passion, die hier auf der Bibliothek unter andern Gemälden zu sehen ist; solch ein 10 Nest mit allen Häßlichkeiten des Mittelalters ohne die Schönheiten desselben kann ein jugendliches Gemüt, dessen Phantasie mit den Schweizeralpen und Italien vollauf zu tun hat, nicht ansprechen. Ist der Übergang aus Deutschland in die Schweiz, aus dem milden, rebenumrankten badischen Markgraftum nach Basel vielleicht nur 15 darum so entmutigend, damit der Eindruck der Alpen später desto tiefer sein möge? Auch die Gegend, die wir eben durchfahren, ist nicht die schönste. Rechts die letzten Vorsprünge des Jura, zwar grün und frisch, aber ohne Charakter, links der schmale Rhein, der auch vor Basel ein Grauen zu haben scheint, so langsam 20 schleicht er zu Tal, und jenseits des Rheins noch ein Stückchen Deutschland. Allmählich entfernen wir uns vom grünen Strome, die Straße geht bergan, und der äußerste Grat des Jura, der sich zwischen Aar und Rhein vorschiebt, wird erstiegen. Da ändert sich die Szenerie mit einem Male. Vor uns liegt ein sonniges, heitres 25 Tal, nein, drei, vier Täler, Aar, Reuß, Limmat, auf weite Strecken sichtbar, winden sich durch die Hügel und strömen zusammen, Dörfer und Städtchen umlagern ihre Ufer und in der Feme erhebt sich hinter den vorderen Hügelreihen eine Bergkette hinter der an¬ dern wie die Bänke eines riesigen Amphitheaters; durch die Nebel, 30 die um die fernsten Zacken schweben, blitzt hier und da der Schnee, und über die Menge der Spitzen ragt der Pilatus empor, als säße er zu Gericht wie vor Zeiten der judäische Landpfleger, der ihm den Namen gab, — das sind die Alpen! Rasch gehts bergab, und jetzt erst, mit der Nähe der Alpen, 35 merkt man, daß man in der Schweiz ist. Schweizertracht und Schweizerbauart stellen sich ein mit der Schweizematur. Die Sprache klingt schöner, geistiger als der Baseler Dialekt, dem die Behäbigkeit des patrizischen Städterlebens eine materielle, schwer¬ fällige Breite verliehen hat, die Physiognomien werden freier,
160 Berlin 1841—1842 Aus dem Athenäum offener, lebendiger, der Dreimaster weicht dem runden Hut, die langen, nachschleppenden Rockschöße der kurzen Sammetjacke. — Das Städtchen Brugg liegt bald hinter uns, und die Straße ver¬ folgend, kreuzen wir die raschen, grünen Flüsse; eine Menge rei¬ zender, schnell wechselnder Prospekte mit den Augen überfliegend, 5 verlassen wir Aar und Reuß mit der Habsburg, deren Trümmer von einem waldigen Gipfel herabschauen, und treten in das Lim- mattal ein, um es bis Zürich zu verfolgen. In Zürich hatte ich einen Tag zu bleiben, und auf dem Wege nach dem gelobten Lande der deutschen Jugend ist ein Tag schon 10 ein bedeutender Aufenthalt. Was hatte ich von Zürich zu erwarten? sollte die Zögerung sich belohnen? Ich gestehe, seit der September¬ geschichte, seit dem Siege der Pfäflikoner Zionswächter konnte ich mir Zürich nie anders als ein zweites Basel vorstellen und dachte mit Grauen an den schon verloren gegebenen Tag; an den See is dachte ich in meiner Unschuld gar nicht mehr, um so weniger als die Regenschauer, die nach langem Sonnenschein mich endlich zwischen Basel und Zürich ereilt hatten, mir einen nassen Tag ver¬ sprachen. Als ich aber beim Erwachen einen blauen Morgenhimmel über den sonnigen Bergen sah, sprang ich rasch auf und eilte 20 hinaus. Aufs Geratewohl losschlendemd, kam ich an eine Art Terrasse, die mit Gartenanlagen umgeben und auf der Spitze mit alten Bäumen besetzt war. Eine beschriebne Holztafel belehrte mich, daß die Anlage öffentlich sei, und so stieg ich frisch hinauf. Da sah ich denn den See vor mir liegen, blitzend im Morgenschein, 25 vom Frühnebel dampfend, eingeschlossen von dichtbewaldeten Bergen, und war im ersten Augenblick selbst noch befangen in einem gewissen naiven Erstaunen über das Dasein einer so über¬ raschend schönen Gegend. Ein freundlicher Züricher, den ich an¬ redete, sagte mir, dort oben auf dem Ütliberg sei eine so schöne 30 Aussicht, daß die Züricher ihren Berg den kleinen Rigi genannt hätten, und nicht ganz mit Unrecht. Ich sah mir die Kuppe einmal darauf an, sie war die höchste der Albiskette, die sich an der süd¬ westlichen Seite des Sees hinzieht, und überhaupt höher als die übrigen sichtbaren Berge. Ich ließ mir den Weg angeben und zog 35 ohne viel Umstände hinan. Nach einem anderthalbstündigen Marsche war ich oben. Da lag hier der See in seiner ganzen Länge mit allem seinem bunten Farbenspiel von Grün und Blau, mit der Stadt und den unzähligen Häusern seiner hügeligen Ufer vor mir, dort an der andern Seite des Albis, ein Tal voll grüner Matten, in 40 das sich von den Bergen die hellen Eichen- und die dunklen Tan¬ nenwälder hinabzogen, ein grünes Meer mit Hügelwellen, in denen die Häuser wie Schiffe lagen, und gen Süden am Horizonte die blitzende Kette der Gletscher von der Jungfrau bis zum Septimer und Julier hin; und oben vom blauen Himmel goß die Maisonne 45
Lombardische Streifzüge 161 die Glorie ihrer Strahlen über die sonntäglich geschmückte Welt aus, daß See und Feld und Berg in die Wette funkelten und der Herrlichkeit kein Ende war. Müde vom Schauen trat ich in das bretteme Haus, das auf dem 5 Gipfel steht und forderte einen Trunk. Ich erhielt ihn und zugleich das Fremdenbuch. Man weiß, was in dergleichen Büchern zu fin¬ den ist; jeder Philister hält sie für Verewigungsanstalten, darin er seinen obskuren Namen und einen seiner höchst trivialen Gedanken der Nachwelt überliefern kann, und je beschränkter einer ist, mit 10 desto längeren Randglossen begleitet er seinen Namen. Kaufleute wollen beweisen, daß neben Kaffee, Tran oder Baumwolle auch die schöne Natur, die das alles und sogar das Gold erzeugt hat, noch ein Plätzchen in ihrem Herzen besitzt; Frauenzimmer lassen ihr übersprudelndes Gefühl, Studenten ihre Heiterkeit und Spott- 15 sucht darin aus, und weise Schulmeister geben der Natur ein schwülstiges Maturitätszeugnis. „Herrlicher Ütli, gefährlicher Nebenbuhler des Rigi!“ begann ein Doktor der unfreien Künste seine ciceronianische Apostrophe. Ich schlug verdrießlich um und ließ alle die Deutschen, Franzosen und Engländer ungelesen. 2o Da fand ich ein Sonett von Petrarca in italienischer Sprache, das deutsch etwa so lautet: *) Ich schwang mich auf im Geist zur Wohnung deren, Die stets ich such’ und finde nicht hienieden; Die Blicke sanft, die einst so streng mich mieden, 25 So stand sie in des Himmels dritten Sphären. Die Hand mir fassend, sprach sie leise: Deine Zähren Versiegen hier, wo nie wir sind geschieden; Ich bin’s, die lange Dir geraubt den Frieden, Um hieher, vor der Zeit, dann heimzukehren. 30 O daß ein Menschensinn mein Glück verstände ! Dich nur erwart’ ich, und den Dir so lieben, Den Leib, den ich dort unten ließ schon lange. — Ach, warum schwieg sie, ließ mir los die Hände? Denn wenig fehlte bei dem süßen Klange, 35 Daß ich nicht gleich im Himmel dort geblieben. Der es eingezeichnet hatte, hieß Joachim Triboni aus Genua und war durch diese Einzeichnung sogleich mein Freund geworden. Denn je hohler und unsinniger die übrigen Glossen waren, desto schärfer hob sich dies Sonett aus ihrem Hintergründe hervor, desto io mehr ergriff es mich. Wer da, wo die Natur all’ ihre Pracht ent¬ faltet, wo die in ihr schlummernde Idee wenn nicht zu erwachen, doch einen goldnen Traum zu träumen scheint, wer da nichts zu fühlen, nichts zu sagen hat als: Wie schön bist du, Natur, der hat *) Sonetti di Petrarca, in morte, 261 Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 11
162 Berlin 1841—1842 Aus dem Athenäum nicht das Recht, sich über die gewöhnliche, flache, unklare Masse erhaben zu dünken. Dem tieferen Gemüte dagegen tauchen dann die individuellen Schmerzen und Leiden empor, aber nur um in der Herrlichkeit der Natur aufzugehen und in milde Versöhnung sich aufzulösen. Und schöner als in jenem Sonett konnte diese <5 Versöhnung kaum ausgesprochen werden. Aber noch ein andrer Umstand war es, der mich mit jenem Genueser befreundete. So hatte doch vor mir schon einer seinen Liebeskummer auf diese Höhe getragen ; so stand ich nicht allein da mit einem Herzen, das vor einem Monat noch unendlich selig und nun zerrissen und öde 10 war. Und welcher Schmerz hat mehr Recht, sich der schönen Natur gegenüber auszusprechen, als das edelste, das höchste aller per¬ sönlichen Leiden, das Leid der Liebe? Noch einmal übersah ich mir die grünen Täler und stieg dann den Berg hinab, um die Stadt näher in Augenschein zu nehmen. Sie 15 liegt amphitheatralisch um den engen Ausfluß des Sees und ge¬ währt auch von diesem aus mit den sie umgebenden Dörfern und Landhäusern einen reizenden Anblick. Auch die Straßen zeichnen sich durch hübsche, neue Gebäude vorteilhaft aus. Daß dieser Stand der Dinge indes noch nicht lange existiere, belehrte mich die 20 abendliche Unterhaltung mit einem alten Reisenden, der sich nicht genug verwundern konnte, wie sehr sich das alte Zürich seit sechs Jahren verschönert habe, und wie glänzend die vorige Regierung die äußere Würde der Republik in Beziehung auf öffentliche Ge¬ bäude hergestellt habe. Heutzutage, wo eine gewisse Partei nicht 25 Kot genug auf den Leichnam dieser Regierung werfen kann, ver¬ dient es wohl erwähnt zu werden, daß diese bei Lebzeiten nicht nur den bis jetzt einzig dastehenden Mut hatte, einen Strauß zu be¬ rufen, sondern auch anderen Regierungspflichten ehrenvoll nach¬ gekommen ist. 30 Am andern Morgen ging’s fort nach Süden. Zuerst führte die Straße an der ganzen Länge des Sees vorbei bis Rapperschwyl und Schmärikon, ein herrlicher Weg durch Gärten, Landhäuser und malerisch gruppierte, rebenumschlungne Dörfer; jenseits des Sees der lange, dunkelgrüne Albisrücken mit seinen üppigen Vorhügeln, 35 und gen Süden, wo die Berge sich von einander tun, die blendenden Zinken der Glarner Alpen. Mitten im See taucht ein Eiland auf — Ufnau, das Grab Ulrichs von Hutten. So kämpfen für die freie Idee, und so ausruhen, von Streit und Mühen — wem das be- schieden wäre! umrauscht von den grünen Wellen des Sees, die wie 40 fernes Waffengetöse und Schlachtgeschrei an das Grab des Helden schlagen, bewacht von den eisgepanzerten, ewig jugendlichen Riesen, den Alpen! Und dann ein Georg Herwegh, der als Ver¬ treter der deutschen Jugend zu diesem Grabe wallfahrtet und seine Lieder, den schönsten Ausdruck der Gesinnung, die die junge 45
Lombardische Streifzüge 163 Generation begeistert, darauf niederlegt — das wiegt Statuen und Denkmäler auf. In Uznach, wohin der Weg sich wandte, nachdem er den See verlassen hatte, war Kirmes, und die Imperiale des Postwagens, die 5 ich bisher allein eingenommen hatte, füllte sich mit Kirmesgästen, die allmählich alle die Folgen der verschwärmten Nacht empfan¬ den und einschlummemd mich meinen Betrachtungen überließen. Ein wunderschönes Tal nahm uns jetzt auf; sanftgeschwungne Hügel, bekleidet mit grünen Matten und gekrönt mit Wäldern, 10 umgaben uns; zum ersten Male sah ich hier in der Nähe das eigen¬ tümlich schattierte Grün der Schweizer Wälder, die aus Laub- und Nadelholz gemischt sind, und kann den tiefen Eindruck nicht be¬ schreiben, den es auf mich machte. Die Mischung, die helle wie dunkle Schattierungen gleich stark hervorhebt, verleiht auch ein- 15 förmigen Gegenden einen hohen Reiz, und war gerade hier auch die Gruppierung von Berg und Tal nicht originell, so überraschte es doch, ein Gebiet zu finden, wo fast alle Schönheit im Kolorit lag; dieses aber war auch dafür desto schöner. Erhabenheit und Strenge in der Natur lag noch genug vor mir bis zur Höhe des 2o Alpenrückens; aber diese Milde und Anmut fand ich erst auf der italienischen Seite wieder. Bald indes war ich wieder am Fuße größerer Berge, deren Spitzen, obwohl unter der Schneelinie, doch noch jetzt, im Mai, weiß waren. Durch bald enge, bald weitere Täler ging es den 25 Kanal entlang, der den Züricher mit dem Wallenstädter See ver¬ bindet. Bald lag dieser vor mir. Hier ist schon ein ganz andrer Cha¬ rakter der Gegend als am Züricher See; fast unnahbar liegt das Bassin zwischen steilen Felsen, die sich unmittelbar aus dem Was¬ ser erheben und nur beim Aus- und Eingänge eine schmale Öffnung 3o lassen. Ein schlechtes Dampfboot nahm die Postreisenden auf, und bald verschwand Weesen, das Städtchen, wo wir eingestiegen waren, hinter den sich zusammenschiebenden Bergen. Alle Spuren menschlicher Tätigkeit waren hinter uns zurückgeblieben, einsam ruderte das Dampfboot hinein in die schöne Wildnis, immer tiefer 35 hinein in dies stille Reich der Natur; im hellen Sonnenscheine blitz¬ ten die grünen Wellenhäupter, die schneeigen Bergkuppen und die Wasserfälle, die hier und da von ihnen herabrauschten, zwischen dem weißgrauen Granit der Felsen lachte jezuweilen eine grüne Waldschlucht, ein Fleckchen Wiesengrund hervor, und der feine 4o Nebeldust, der aus dem See emporstieg, verschwamm in der Feme auf dem Gebirgshintergrunde zu weichen, violetten Schatten. Es war eine jener Gegenden, die den Menschengeist fast herausfordern zu jener Individualisierung des Naturgeistes, wie wir sie in der Volkssage finden, wo die zerklüfteten Felsen mit ihren Schnee- 45 krönen die Umrisse tief gefurchter und silberlockiger Greisen- n*
164 Berlin 1841—1842. Aus dem Athenäum antlitze gewinnen und aus den klaren Fluten das grünwallende Haar reizender Nixen emportaucht. Allmählich öffneten sich die drängenden Wände ein wenig und dichtbuschige Vorsprünge ragten in den See hinein, ein weißer Streif schimmerte durch den blauen Duft — es waren die Häuser von Wallenstädt, das am Ende des 5 Sees liegt; wir landeten und wallten lustig weiter nach Chur zu, während über unsern Häuptern die Felskette hing, deren höchste Spitzen die sieben Churfürsten genannt werden. Die gestrengen Herren saßen so feierlich da in ihren versteinerten Hermelin¬ mänteln, mit ihren von der Abendsonne vergoldeten Schneekronen, 10 als wären sie zu Frankfurt im Römer zur Kaiserwahl versammelt, ungestört von dem Rufen und Drängen des Volks zu ihren Füßen im ganzen heiligen römischen Reich, dessen Verfassung mit der Zeit eben so versteinert war wie hier seine sieben Repräsentanten. Solche Benennungen im Munde des Volks sind übrigens ein Be- 15 weis, wie durch und durch deutsch die Schweizer sind, so wenig sie selbst dies auch zugeben wollen. Ich komme vielleicht später einmal ausführlicher auf dies Thema zurück und verlasse es des¬ halb für jetzt. Immer tiefer ging’s jetzt in die Felsen hinein, immer seltner 20 wurden die Stellen, wo des Menschen Hand der rauhen Natur ein milderes Ansehn abgewonnen hat; wie ein Schwalbennest hing das Schloß Sargans an einer scheitelrechten Klippe, bis endlich bei Ragatz wenigstens die Bäume Erde genug auf dem Gestein fanden, um es mit dichter Waldung bekleiden zu können. Auch hier liegt 25 ein Schloß am Abhange, aber ein zerstörtes, wie denn überhaupt die Pässe von einem Flußtal zum andern mit solchen Spuren des Faustrechts ziemlich besetzt sind. Bei Ragatz tut sich das Tal weit auf, ehrfurchtsvoll treten die Berge zurück vor dem gewaltigen Genius des Stromjünglings, der sich kräftig Bahn brach durch die 30 granitnen Riesen am Gotthard und Splügen und jetzt seinem großen Geschick jugendstolz und mutig entgegenrauscht; es ist der Rhein, den wir jetzt wieder begrüßen. In einem breiten Bette rollt er feierlich über Kies und Sand dahin, aber man sieht es an dem weit verstreuten Gestein, wie wild er um sich schlägt, 35 wenn er einmal der weichlichen Bequemlichkeit genug hat und sich zerstörungsmutig aufrafft. Sein Tal bildet von hier aus die Straße, die nach Chur und von dort zum Splügenpasse hinaufführt. In Chur beginnt schon die Sprachmengerei, die den ganzen höchsten Rücken der Alpen beherrscht; Deutsch, Romanisch und 40 Italienisch im lombardischen Dialekt wurde auf dem Posthofe durcheinander geschrien. Über das Romanische, die Sprache der Graubündner Bergbewohner, ist von den Sprachgelehrten viel hin und her gesprochen worden, und dennoch schwebt darüber noch ein geheimnisvolles Dunkel. Einige haben es den romanischen Haupt- 45
Lombardische Streifzüge 165 sprachen in bezug auf Selbständigkeit koordinieren, andere haben wieder französische Elemente darin finden wollen, ohne zu be¬ denken, wie diese dorthin dringen sollten. Will man einmal dies Idiom einiger Aufmerksamkeit würdigen, so ist der Vergleich mit 5 den angrenzenden Dialekten doch wohl das, was am nächsten liegt. Dies hat man aber bisher unterlassen. Soviel ich von den der Sprache kundigen Leuten bei flüchtiger Durchreise herausbekom¬ men konnte, hat die Wortbildung des Idioms sehr nahe Verwandt¬ schaft mit dem des angrenzenden lombardischen Dialekts und nur 10 mundartliche Verschiedenheiten von demselben. Was man für fran¬ zösischen Einfluß gehalten hat, findet man südlich von den Alpen alles wieder. Den nächsten Morgen ging’s von Chur weiter rheinaufwärts, ein breites Tal entlang, von wilden Felsen umgeben. Nach einigen 15 Stunden tauchte aus dem feinen Morgennebel ein senkrechter Ab¬ hang, von Bergtrümmem gekrönt, heraus und legte sich der Straße quer in den Weg. Das Tal war dadurch vor uns wie zugemauert, und nur durch eine enge Schlucht konnten wir vorwärts dringen. Ein schmaler, weißer Turm ragte vor uns auf; er war der von 20 Tusis oder wie die Lombarden sagen, Tosana, d. h. Mädchenstadt. Wunderschön liegt es in einem engen Kessel, dessen Wände von scheitelrechten Felsen gebildet werden, deren unzugänglichster jene Trümmer, die der Burg Hohenrhätien, trägt. Es gibt keine größere Abgeschiedenheit, als wozu die Natur dieses Dorf ver- 25 urteilt hat, und doch sind die Menschen auch hier stärker gewesen als die Natur, sie haben, wie ihr zum Trotz, die Heerstraße mitten durch Tusis gelegt und führen täglich Engländer, Kaufleute, Touristen hier vorüber. — Hinter Tusis begann denn auch die Steigerung des Alpengürtels, den wir bis Abend überklimmen soll- 3o ten. Ich ließ den Wagen im Stich und ging, gestärkt durch einen Schoppen Veltliner, der hier am besten zu haben ist, der Straße nach. Solch eine Straße gibt es auf der Welt nicht wieder. In über¬ hängende Felsen gehauen, windet sie sich durch die Schluchten, die der Rhein sich gebrochen hat, empor. Senkrecht umstarren die 35 riesigen Granitwände den Pfad, den an manchen Stellen der Straße selbst die Mittagssonne nicht erreicht, und tief unten durch zer¬ klüftetes Gestein tobt und donnert der wilde Bergstrom, Fichten entwurzelnd, Felsblöcke wälzend, wie ein wütiger Titan, dem ein Gott zwei Berge auf die Brust geschleudert hat. Hieher scheinen 4o sich die letzten, trotzigen Berge, die sich der allbezwingenden Herr¬ schaft der Menschen nicht beugen wollten, geflüchtet und zu ihrer Freiheit Wahrung in Reih’ und Glied gestellt zu haben; schreckend und starr schaun sie den Wandrer an, und man meint ihre Stimme zu hören: Komm her, Mensch, wenn du es wagst, erklimm unsre 45 Häupter und säe dein Korn in die Furchen unsrer Stirnen; aber
166 Berlin 1841—1842. Aus dem Athenäum droben wird dich das Gefühl deiner Kleinheit schwindelnd er¬ fassen, der Boden weicht unter dir und zerschellend stürzest du von Zacke zu Zacke! Baue deine Straßen nur zwischen uns durch; all¬ jährlich kommt unser Bundsgenosse, der Rhein, zomgeschwollen herab und reißt dein Werk über den Haufen! 5 Diese Opposition der Naturmacht gegen den Menschengeist ist nirgend so kolossal, man möchte fast sagen, so selbstbewußt wie hier. Das einsam Schauerliche des Weges und die Gefahr, die einst mit diesem Alpenübergange verknüpft war, haben ihm auch den Namen Via mala verschafft. Jetzt freilich ist das anders. Der Geist 10 hat auch hier die Natur überwunden, und wie ein fesselnd Band zieht sich von Fels zu Fels, die sichre, bequeme und fast unzerstör¬ bare Straße, die zu jeder Jahreszeit gangbar bleibt. Und doch über¬ schleicht einen beim Anblick der dräuenden Felsen ein schauerlich ängstlich Gefühl; sie scheinen über Rache zu brüten und über 15 Befreiung. Allmählich aber erweitert sich die Schlucht, die brausenden Katarakte werden seltner, das Bette des Rheins, der sich oft durch Engpässe drängen mußte, die nur nach Zollen zu messen waren, wird breiter, die steilen Wände werden schräger und treten mehr 20 zurück, ein grünes Tal tut sich auf, und in der Mitte dieser ersten Terrasse des Splügen liegt Andeer, ein Örtchen, das den Grau¬ bündnern und Veltlinern als Badeort bekannt ist. Die Vegetation wird hier schon bedeutend kärglicher, was um so mehr ins Auge fällt, als von Tusis bis hieher Laub und Gras nicht zu sehen war, 25 sondern bloß Tannen an den steilen Klippen sich anklammem konnten. Und doch tat es dem Auge so wohl, nach all den düstem, graubraunen Granitwänden wieder einmal ein grünes Wiesental, eine buschige Halde zu sehen. Gleich hinter Andeer ging’s einen jähen Abhang hinauf, an dem sich die Straße unter tausend Win- 30 düngen emporschlängelte. Ich überließ diese dem Wagen und klomm über Felsgeröll, durch Busch und engverschlungne Ranken empor, bis wo die Straße sich der andern Seite des Berges zu¬ wendete. Da lag das grüne Tal tief unter mir, durchwunden vom Rhein, dessen Donner schon wieder zu mir herüberscholl. Noch 35 einen grüßenden Blick hinunter und dann vorwärts. Die Straße führte mich in einen Kessel zwischen himmelhohen, schrägen Fel¬ sen, wieder in die verlassenste Einsamkeit von der Welt. Ich lehnte mich an die Mauerbrüstung und sah hinab in den Rhein, der unter dunkellaubigen Bäumen ein Bassin bildete. Die stille, grüne Fläche, 40 über die sich die Zweige bogen und überall heimliche, versteckte Winkelchen umlaubten, die bemoosten Felswände, die hie und dort einfallenden Sonnenstrahlen, alles das hatte etwas eigentüm¬ lich Zauberisches. Das Murmeln des beruhigten Flusses klang fast verständlich wie das Geplauder jener schönen Schwanenjung- 45
Lombardische Streifzöge 167 frauen, die von Fern über die Berge fliegen und an einsamer, heim¬ licher Stelle die Schwanenhaut abstreifen, um unter den grünen Zweigen in der schneekalten Welle zu baden. Dazwischen scholl der Donner der Katarakte wie die zürnende Stimme des Fluß- 5 geistes, der sie wegen ihrer Unvorsichtigkeit auszankt, denn sie wissen ja, daß sie dem folgen müssen, der ihnen die Schwanenhaut raubt, und dort hinten kommt schon ein ganzer Postwagen voll Mädchenbeäugler, und überhaupt paßt es sich nicht für Frauen¬ zimmer, und wenn sie auch romantische Schwanenjungfrauen sind, 10 an offner Heerstraße zu baden. Aber die schönen Nixen lachen den ängstlichen Alten aus, denn sie wissen ja, daß niemand sie sieht als der, dem das träumende Leben der Natur erschlossen ist, und daß der ihnen nichts tut. Immer kühler ward’s zwischen den Bergen; nach einigem Stei- 15 gen fand ich gegen Mittag den ersten Schnee, und plötzlich wehte mir, dem vom raschen Steigen und Laufen in glühender Sonne Erhitzten, eine merklich kalte Luft entgegen. Es war die Tempera¬ tur der zweiten Terrasse dieses Passes, auf der das Dorf Splügen liegt, der letzte Ort, wo deutsch gesprochen wird, zwischen hohen 20 Bergen, aus deren grünen Wänden die dunkelbraunen Sennhütten hervorragen. In einem schon ganz italienisch eingerichteten Hause, das bis in die obem Stockwerke nur steinerne Fußböden und dicke, steinerne Mauern hatte, wurde zu Mittag gegessen und dann die Reise eine fast senkrechte Felswand hinauf fortgesetzt. In einer 25 Waldschlucht, zwischen den letzten Bäumen, die ich diesseits der Alpen sah, lag eine Lawine, ein breiter Schneestrom, der sich von den steilem Gipfelwänden herabgewälzt hatte. Nicht lange dauerte es, so begannen die öden Schluchten, in denen die Bergströme unter einer festen, gewölbten Schneedecke donnern, und die nack- 30 ten Felsen kaum hier und da von Moos überkleidet sind. Immer höher, immer ausgebreiteter lagerte der Schnee. Ganz oben war für die Straße ein Weg ausgeschnitten, zu dessen beiden Seiten der Schnee in dreifacher, ja vierfacher Manneshöhe lag. Ich hieb mit den Fersen Stufen in die Schneewand und klomm hinan. Da lag 35 ein weites, schneeweißes Tal vor mir, aus dessen Mitte ein graues Dach emporragte — die österreichische Douane, das erste Gebäude auf der italienischen Alpenseite. Die Untersuchung unsrer Effekten an diesem Hause, bei der ich jedoch meinen Varinas den Augen der Grenzwächter glücklich entzog, gab mir Muße, mich etwas umzu- io sehen. Von allen Seiten kahle, graue Felslagen, deren Gipfel mit Schnee bedeckt waren, ein Tal, in dem vor lauter Schnee kein Halm zu sehen war, geschweige ein Strauch oder gar ein Baum — kurz eine furchtbare, verlaßne Wüste, über der italische und deutsche Windeshauche sich kreuzen und stets graue Wolken zusammen 45 jagen — eine Einöde, gräßlicher als die Sahara, und prosaischer
168 Berlin 1841—1842. Aus dem Athenäum als die Lüneburger Heide, ein Gebiet, wo es jahraus jahrein neun Monate schneit und drei Monate regnet — das war das erste, was ich von Italien zu sehen bekam. Aber nun ging’s rasch bergab, der Schnee verschwand, und wo kaum gestern die weiße Winterdecke geschmolzen war, sproßten schon heute die gelben und blauen 5 Krokus auf, das Gras begann wieder grün zu werden, die Büsche kamen wieder, dann dieBäume, zwischen denen die weißen Wasser¬ fälle hinabbrausten, und tief unten in einem Tale voll violetter Schatten floß der schäumende Liro, dessen schneeiger Glanz aus den dunklen Kastanienalleen hell emporleuchtete, wärmer und 10 wärmer ward die Luft, obwohl die Sonne schon hinter den Bergen versank, und in Campo Dolcino befanden wir uns, wenn nicht schon im echten Italien, doch unter echten Italienern. Haufenweise versammelten sich die Bewohner des Dörfchens um unsern Wagen und schwatzten in ihrem schnarrenden, nasalen Lombardisch über is Pferde, Gefähr und Reisende; alles echtwelsche Gesichter voll kräftigen Ausdrucks und hervorgehoben von dichtem, schwarzem Haar und Bart. Und rasch ging’s weiter, den Liro hinab, zwischen Wiesen und Wäldern, durch unzählige, ungeheure Granitblöcke, die wer weiß zu welcher Zeit von den Alpengipfeln hinabgeschleu- 20 dert wurden, und die sich auf dem hellgrünen Wiesengrunde mit ihren scharfen, schwarzen Zacken und Kanten eigentümlich genug ausnehmen. Eine Reihe wunderschöner an die Felsen gelehnter Dörfermit ihren schlanken, schneeweißen Kirchtürmen, namentlich S. Maria di Galivaggio, gehen unsren Blicken vorüber; endlich 25 tut sich das Tal auf, und in einem Winkel erhebt sich der Turm von Chiavenna oder nach deutschem Ausdruck Kläwen, einer der Hauptstädte des Veltlins. Chiavenna ist schon eine ganz italienische Stadt mit hohen Häusern und engen Straßen, auf denen man über¬ all die lombardischen Leidenschaftsausbrüche: fiocul d’ona pu- 30 tana, porco della Madonna, usw. hört. Während ein italienisches Abendbrot und Veltliner Wein uns hier in Anspruch nahmen, sank die Sonne hinter die rhätischen Alpen; ein östreichischer Wagen mit einem italienischen Kondottiere und einem eskortierenden Ka¬ rabinier nahm uns auf und fort ging’s dem Comer See zu. Voll 35 und klar stand der Mond am dunkelblauen Himmel, an dem hier und da ein Stern zu glänzen anfing, hochauf flammte die Abend¬ röte, die Spitzen der Berge vergoldend; eine herrliche Südnacht stieg empor. So fuhr ich hin durch die grünen Rebengelände, die ihre Ranken über Lauben und in die Kronen der Maulbeerbäume 40 schlangen, der warme Hauch Italiens schwoll mir mild und immer milder entgegen, der Zauber einer nie gekannten, langgeträumten Natur ergriff mich mit süßem Schauer, und im Geiste anschauend die Herrlichkeiten, die mein Auge sehen sollte, schlummerte ich beseligt ein. 45
PHILOSOPHISCHE PAMPHLETE 1841—1842
Schelling über Hegel 173—180 Geschrieben in der zweiten Novemberhälfte 1841 Erschienen Mitte Dezember 1841 Schelling und die Offenbarung 181—227 Geschrieben um die Jahreswende 1841/42 Erschienen im März 1842 Schelling, der Philosoph in Christo . . . 229—249 Geschrieben Anfang 1842 Erschienen Anfang Mai 1842 Der Triumph des Glaubens 252—281 Geschrieben Juni/Juli 1842 Erschienen Dezember 1842 Wir haben die drei Schriften gegen Schelling unter dem gemeinsamen Titel „Anti-Schelling“ zusammengefaßt. „Schelling über Hegel“ er¬ schien im Telegraph für Deutschland, die beiden andern Arbeiten wurden, ebenso wie der „Triumph des Glaubens“, als selbstän¬ dige Broschüren publiziert.
ANTI-SCHELLING
Schelling über Hegel Von Friedrich Oswald [TfD Dez. 1841. Nr. 207, p. 825-827; Nr. 208, p. 830-832] 5 Wenn ihr jetzt hier in Berlin irgendeinen Menschen, der auch nur eine Ahnung von der Macht des Geistes über die Welt hat, nach dem Kampfplatze fraget, auf dem um die Herrschaft über die öffentliche Meinung Deutschlands in Politik und Religion, also über Deutschland selbst, gestritten wird, so wird er euch antworten, io dieser Kampfplatz sei in der Universität, und zwar das Auditorium Nr. 6, wo Schelling seine Vorlesungen über Philosophie der Offen¬ barung hält. Denn für den Augenblick sind alle einzelnen Gegen¬ sätze, die der Hegelschen Philosophie jene Herrschaft streitig machen, gegen die eine Opposition Schellings verdunkelt, ver- 15 wischt und zurückgetreten; alle die Angreifer, die außerhalb der Philosophie stehen, Stahl, Hengstenberg, Neander, machen einem Streiter Platz, von dem man sich versieht, daß er den Unbesiegten auf seinem eignen Gebiet bekämpfen wird. Und der Kampf ist wirklich eigentümlich genug. Zwei alte Jugendfreunde, Stuben- 2o genossen im Tübinger Stift, treten sich nach vierzig Jahren als Geg¬ ner wieder unter die Augen; der eine tot seit zehn Jahren, aber lebendiger als je in seinen Schülern; der andere seit drei De¬ zennien, wie jene sagen, geistig tot, nun urplötzlich des Lebens volle Kraft und Geltung für sich ansprechend. Wer „unparteiisch66 25 genug ist, sich beiden gleich fremd zu wissen, d. h. kein Hegelianer zu sein — denn zu Schelling kann nach den paar Worten, die er gesagt hat, sich bis jetzt wohl niemand bekennen — wer also diesen vielberühmten Vorzug der „Unparteilichkeit66 hat, der wird in der Todeserklärung Hegels, die durch Schellings Auftreten in Berlin 30 ausgesprochen ist, die Rache der Götter sehen für die Todeserklä¬ rung Schellings, die Hegel seinerzeit verkündete. Ein bedeutendes, bunt gemischtes Auditorium hat sich eingefun¬ den, um dieses Kampfes Zeuge zu sein. An der Spitze die Notabili- täten der Universität, die Koryphäen der Wissenschaft, Männer, 35 deren jeder eine eigentümliche Richtung hervorgerufen hat, ihnen sind die nächsten Plätze um das Katheder überlassen, und hinter ihnen, durcheinander gewürfelt, wie der Zufall sie zusammen¬ führte, Repräsentanten aller Lebensstellungen, Nationen und Glau¬ bensbekenntnisse. Mitten zwischen der übermütigen Jugend sitzt
174 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete hier und da ein graubärtiger Stabsoffizier, und neben ihm wohl gar ganz ungeniert ein Freiwilliger, der in anderer Gesellschaft sich vor Devotion gegen den hohen Vorgesetzten nicht zu lassen wüßte. Alte Doktoren und Geistliche, deren Matrikel bald ihr Jubiläum feiern kann, fühlen den langvergessenen Burschen wieder im 5 Kopfe spuken und gehen ins Kolleg, Judentum und Islam wollen sehen, was es für eine Bewandtnis mit der christlichen Offenbarung hat; man hört deutsch, französisch, englisch, ungarisch, polnisch, russisch, neugriechisch und türkisch durcheinander sprechen — da ertönt das Zeichen zum Schweigen und Schelling besteigt das 10 Katheder. Ein Mann von mittlerer Statur, mit weißem Haar und hell¬ blauem, heitern Auge, dessen Ausdruck eher ins Muntere als ins Imponierende spielt, und vereint mit einigem Embonpoint, mehr auf den gemütlichen Hausvater als auf den genialen Denker 15 schließen läßt, ein hartes, aber kräftiges Organ, schwäbisch-bayri¬ scher Dialekt mit beständigem „eppes“ für etwas, das ist Schel¬ lings äußere Erscheinung. Ich übergehe den Inhalt seiner ersten Vorlesungen, um sogleich zu seinen Äußerungen über Hegel zu kommen, und behalte mir nur20 vor, zur Erläuterung derselben das Nötige nachzuschicken. Ich gebe sie wieder, wie ich sie in der Vorlesung selbst nachgeschrieben habe. „Die Identitätsphilosophie, wie ich sie auf stellte, war nur eine Seite der ganzen Philosophie, nämlich die negative. Dieses Nega- 25 tive mußte entweder durch die Darstellung des Positiven befriedigt werden, oder, den positiven Gehalt der früheren Philosophieen ver¬ schlingend, sich selbst als das Positive setzen und sich so zur abso¬ luten Philosophie aufwerfen. Auch über dem Geschick des Men¬ schen schwebt eine Vernunft, die ihn in der Einseitigkeit verharren 30 läßt, bis er alle Möglichkeiten derselben erschöpft hat. So war es Hegel, der die negative Philosophie als die absolute auf stellte. — Ich nenne Herm Hegels Namen zum ersten Male. So wie ich mich über Kant und Fichte frei ausgesprochen habe, die meine Lehrer gewesen sind, so werde ich es auch über Hegel tun, obgleich mir 35 dies eben keine Freude macht. Aber um der Offenheit willen, die ich Ihnen, meine Herren, versprochen habe, will ich es tun. Es soll nicht scheinen, als hätte ich irgend etwas zu scheuen, als gäbe es Punkte, worüber ich mich nicht frei aussprechen dürfte. Ich ge¬ denke der Zeit, wo Hegel mein Zuhörer, mein Lebensgenoß war, 40 und ich muß sagen, daß, während die Identitätsphilosophie allge¬ mein seicht und flach auf gefaßt wurde, er es war, der ihren Grund¬ gedanken in die spätere Zeit hinübergerettet und bis zuletzt fort¬ während anerkannt hat, wie mir dies vor allem seine Vorlesungen
Schelling über Hegel 175 über die Geschichte der Philosophie bezeugten. Er, der den großen Stoff schon bewältigt vorfand, hielt sich hauptsächlich an die Me¬ thode, während wir andern vorzugsweise das Materielle behaupte¬ ten. Ich selbst, dem die gewonnenen negativen Resultate nicht ge- 5 nügten, hätte gern jeden befriedigenden Abschluß, auch von frem¬ der Hand, entgegengenommen.“ „Übrigens handelt es sich hier darum, ob Hegels Stelle in der Geschichte der Philosophie, die Stelle, die ihm unter den großen Denkern anzuweisen ist, eben diese ist, daß er die Identitätsphilo- 10 sophie zur absoluten, zur letzten zu erheben versuchte, was freilich nur mit bedeutenden Veränderungen geschehen konnte; und dies gedenke ich aus seinen eignen, aller Welt offenstehenden Schriften zu beweisen. Wollte man sagen, daß darin eben der Tadel für Hegel liege, so antworte ich, daß Hegel getan hat, was ihm zu- 75 nächst lag. Die Identitätsphilosophie mußte mit sich selber ringen, über sich selbst hinausgehen, so lange jene Wissenschaft des Posi¬ tiven, die sich auch über die Existenz erstreckt, noch nicht da war. Darum mußte Hegel in jenem Bestreben die Identitätsphilosophie über ihre Schranke, die Potenz des Seins, das reine Seinkönnen, 20 hinausführen und die Existenz ihr unterwürfig machen.“ — „,Hegel, der sich mit Schelling zur Anerkennung des Abso¬ luten erhob, wich von diesem ab, indem er dasselbe nicht in der in¬ tellektuellen Anschauung vorausgesetzt, sondern auf wissenschaft¬ lichem Wege gefunden wissen wollte/ Diese Worte bilden den 25 Text, über den ich jetzt zu Ihnen reden werde. — In obiger Stelle liegt die Meinung zugrunde, die Identitätsphilosophie habe das Ab¬ solute nicht bloß der Sache, sondern auch der Existenz nach zum Resultate; da nun der Ausgangspunkt der Identitätsphilosophie die Indifferenz von Subjekt und Objekt ist, so wird auch deren Existenz, 30 als durch die intellektuelle Anschauung erwiesen, angenommen. Auf diese Weise nimmt Hegel ganz arglos an, ich habe die Existenz, das Sein jener Indifferenz durch die intellektuelle Anschauung beweisen wollen, und tadelt mich wegen des mangel¬ haften Beweises. Daß ich dies nicht wollte, zeigt die von mir so 35 häufig ausgesprochene Verwahrung, die Identitätsphilosophie sei kein System der Existenz, und was die intellektuelle Anschauung betrifft, so kommt diese Bestimmung in derjenigen Darstellung der Identitätsphilosophie, die ich einzig und allein für die wissen¬ schaftliche aus früherer Zeit anerkenne, gar nicht vor. Diese Dar- 40 Stellung befindet sich da, wo sie kein Mensch sucht, nämlich in der Zeitschrift für spekulative Physik, zweiten Bandes zweites Heft. Sonst wohl kommt sie allerdings vor, und ist ein Erbstück der Fichteschen Verlassenschaft. Fichte, mit dem ich nicht geradezu brechen wollte, gelangte durch sie zu seinem unmittelbaren Ge- 45 wissen, dem Ich; ich knüpfte daran an, um auf diesem Wege zur
176 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Indifferenz zu gelangen. Indem nun das Ich in der intellektuellen Anschauung nicht mehr subjektiv betrachtet wird, tritt es in die Sphäre des Gedankens und ist so nicht mehr unmittelbar gewiß existierend. Sonach würde die intellektuelle Anschauung selbst nicht einmal die Existenz des Ich beweisen; und wenn Fichte sie 5 zu diesem Zwecke braucht, so kann ich mich doch nicht auf sie be¬ rufen, um die Existenz des Absoluten daraus zu demonstrieren. So konnte mich Hegel nicht wegen der Mangelhaftigkeit eines Be¬ weises tadeln, den ich nie führen wollte, sondern nur deswegen, daß ich nicht ausdrücklich genug sagte, daß es mir überhaupt um 10 die Existenz nicht zu tun sei. Denn wenn Hegel den Beweis des Seins der unendlichen Potenz verlangt, so geht er über die Ver¬ nunft hinaus; sollte die unendliche Potenz sein, so wäre die Philo¬ sophie nicht frei vom Sein; und hier ist denn die Frage aufzu¬ stellen, ob das Prius der Existenz zu denken ist? Hegel negiert es, 15 denn er fängt seine Logik mit dem Sein an und geht sogleich auf ein Existentialsystem los. Wir aber bejahen es, indem wir mit der reinen Potenz des Seins als nur im Denken existierend beginnen. Hegel, der so viel von der Immanenz spricht, ist doch nur immanent in dem dem Denken nicht Immanenten, denn das Sein ist dies 20 Nichtimmanente. Sich ins reine Denken zurückziehen, heißt insbe¬ sondere sich von allem Sein außer dem Gedanken zurückziehen. Die Behauptung Hegels, die Existenz des Absoluten sei in der Logik bewiesen, hat dann noch den Nachteil, daß man auf diese Weise das Unendliche zweimal hat, am Ende der Logik und dann 25 noch einmal am Ende des ganzen Prozesses. Überhaupt sieht man nicht ein, warum die Logik bei der Enzyklopädie vorausgeschickt wird, anstatt daß sie den ganzen Zyklus belebend durchdringt/6 Soweit Schelling. Ich habe zum großen Teil und soviel es mir möglich war, seine eignen Worte angeführt und kann dreist be- 30 haupten, daß er die Unterschreibung dieser Auszüge nicht weigern dürfte. Zur Ergänzung füge ich aus den vorhergehenden Vorlesun¬ gen bei, daß er die Dinge nach zwei Seiten betrachtet, das quid von dem quod, das Wesen und den Begriff von der Existenz trennt; ersteres der reinen Vernunftwissenschaft oder negativen Philo- 35 sophie, letzteres einer neuzugründenden Wissenschaft mit empiri¬ schen Elementen, der positiven Philosophie, zuweist. Von der letz¬ teren verlautete bis jetzt noch nichts, die erstere trat vor vierzig Jahren in mangelhafter, von Schelling selbst preisgegebener Fas¬ sung auf und wird von ihm jetzt in ihrem wahren, adäquaten Aus- 40 druck entwickelt. Ihre Basis ist die Vernunft, die reine Potenz des Erkennens, welche die reine Potenz des Seins, das unendliche Sein- können zu ihrem unmittelbaren Inhalt hat. Das notwendige Dritte hierzu ist nun die Potenz über das Sein, die sich nicht mehr ent¬ äußern könnende, und diese ist das Absolute, der Geist, das, was 45
Schelling über Hegel 177 von der Notwendigkeit des Überganges in das Sein freigesprochen ist und in ewiger Freiheit gegen das Sein verharrt. Auch die „or- phische“ Einheit jener Potenzen kann das Absolute genannt wer¬ den, als das, außer dem nichts ist. Treten die Potenzen in Gegensatz $ zu einander, so ist diese ihre Ausschließlichkeit die Endlichkeit. Diese wenigen Sätze genügen, denk’ ich, zum Verständnis des Vorhergehenden und als Grundzüge des Neuschellingianismus, so¬ weit diese hier und bis jetzt gegeben werden können. Es bleibt mir nun noch übrig, die von Schelling wohl absichtlich verschwiegenen 10 Konsequenzen hieraus zu ziehen und für den großen Toten in die Schranken zu treten. Wenn man das Schellingsche Todesurteil des Hegelschen Systems seiner Kurialsprache entkleidet, so kommt folgendes her¬ aus: Hegel hat eigentlich gar kein eignes System gehabt, sondern 15 vom Abfall meiner Gedanken kümmerlich sein Leben gefristet; während ich mit der partie brillante, der positiven Philosophie, mich beschäftigte, schwelgte er in der partie honteuse, der nega¬ tiven, und übernahm, da ich keine Zeit hierzu hatte, ihre Vervoll¬ ständigung und Ausarbeitung, unendlich beglückt dadurch, daß to ich ihm dies noch anvertraute. Wollt Ihr ihn deshalb tadeln? „Er tat, was ihm zunächst lag.46 Er hat dennoch „eine Stelle unter den großen Denkern66, denn „er war der einzige, der den Grundgedan¬ ken der Identitätsphilosophie anerkannte, während alle andern sie flach und seicht auf faßten66. Aber dennoch sah es schlimm mit ihm 25 aus, denn er wollte die halbe Philosophie zur ganzen machen. — Man erzählt ein bekanntes Wort, angeblich aus Hegels Munde, das aber nach obigen Äußerungen unzweifelhaft von Schelling her¬ rührt: „Nur einer meiner Schüler verstand mich, und auch dieser verstand mich leider falsch.66 — so Aber im Ernste, dürfen solche Schmähungen auf den Grabstein Hegels geschrieben werden, ohne daß wir, die wir ihm mehr ver¬ danken, als er Schelling schuldig war, zur Ehre desi Toten eine Herausforderung wagen, und sei der Gegner noch so furchtbar? Und Schmähungen sind dies doch, da mag Schelling sagen, was er 35 will, da mag die Form scheinbar noch so wissenschaftlich sein. 0, ich könnte den Herrn von Schelling und jeden Beliebigen, wenn es verlangt würde, „auf rein wissenschaftliche Weise66 so grund¬ schlecht darstellen, daß er die Vorzüge der „wissenschaftlichen Methode66 gewiß einsehen würde; aber was sollte mir das? Es wäre 40 ohnehin frivol, wollte ich, der Jüngling, einen Greis meistem, und vollends Schelling, der, mag er noch so entschieden von der Frei¬ heit abgefallen sein, immer der Entdecker des Absoluten bleibt und, sobald er als Hegels Vorgänger auf tritt, nur mit der tiefsten Ehrfurcht von uns allen genannt wird. Aber Schelling, der Nach- 45 folger Hegels, hat nur auf einige Pietät Anspruch und wird von Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 12
178 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete mir am allerwenigsten Ruhe und Kälte verlangen ; denn ich bin für einen Toten eingetreten, und dem Kämpfenden steht etwas Leiden¬ schaft doch wohl an, wer mit kaltem Blut seine Klinge zieht, hat selten viel Begeisterung für die Sache, die er verficht. Ich muß sagen, daß das hiesige Auftreten Schellings und « namentlich diese Invektiven gegen Hegel wenig Zweifel mehr an dem übrig lassen, was man bisher nicht glauben wollte, nämlich daß das in der Vorrede zu Riedels bekannter jüngster Broschüre gezeichnete Porträt ähnlich sei. Wenn diese Art, die ganze Ent¬ wickelung der Philosophie in diesem Jahrhundert, Hegel, Gans, 10 Feuerbach, Strauß, Ruge und die Deutschen Jahrbücher zuerst von sich abhängig zu machen und sie dann nicht nur zu negieren, nein, sie mit einer Floskel, die nur ihn besser ins Licht stellen soll, als einen Luxus, den der Geist mit sich selber treibt, ein Kuriosum von Mißverständnis, eine Gallerie von unnützen Verirrungen dar- zustellen — wenn das nicht alles übertrifft, was in jener Broschüre Schelling vorgeworfen wird, so hab’ ich keine Ahnung von dem, was im gegenseitigen Verkehr Sitte ist. Freilich mochte es für Schelling schwer sein, einen Mittelweg zu finden, der weder ihn noch Hegeln kompromittierte, und der Egoismus wäre verzeihlich, 20 der ihn, um sich zu halten, zur Aufopferung des Freundes ver¬ anlaßte. Aber es ist doch etwas zu stark, wenn Schelling dem Jahr¬ hundert zumutet, vierzig Jahre voll Mühen und Arbeit, vierzig Jahre des Denkens, des Auf opferns der liebsten Interessen und der heiligsten Überlieferungen als vergeudete Zeit, verfehlte Richtung 25 zurückzunehmen, bloß damit e r nicht diese vierzig Jahre zu lange gelebt habe; es klingt wie mehr als Ironie, wenn er Hegeln eben dadurch eine Stelle unter den großen Denkern anweist, daß er ihn aus ihrer Zahl der Sache nach ausstreicht, ihn wie sein Geschöpf, seinen Diener behandelt; und endlich erscheint es doch einiger- so maßen wie Gedankengeiz, wie kleinlicher — wie nennt man doch die bekannte blaßgelbe Leidenschaft? — wenn Schelling alles und jedes, was er bei Hegel anerkennt, als sein Eigentum, ja als Fleisch von seinem Fleisch, reklamiert. Es wäre doch sonderbar, wenn die alte Schellingsche Wahrheit nur in der schlechten Hegelschen Form 35 sich hätte halten können, und dann fiele der Vorwurf des dunkeln Ausdrucks, den Schelling seinem Angegriffenen vorgestern machte, doch notwendig auf ihn selbst zurück, was er freilich nach allge¬ meinem Urteil schon jetzt tut, trotz der versprochenen Deutlichkeit. Wer sich in solchen Perioden ergeht, wie Schelling es fortwährend 40 tut, wer Ausdrücke wie Quidditativ und Quodditativ, orphische Einheit usw. gebraucht und selbst mit diesen noch so wenig aus¬ kommt, daß lateinische und griechische Sätze und Wörter jeden Augenblick aushelfen müssen, der begibt sich denn doch wohl des Rechtes, über Hegels Stil zu schelten. 4s
Schelling über Hegel 179 Am meisten zu bedauern ist übrigens Schelling wegen des un¬ glücklichen Mißverständnisses in Beziehung auf die Existenz. Der gute, naive Hegel mit seinem Glauben an die Existenz philosophi¬ scher Resultate, an die Berechtigung der Vernunft, in die Existenz 5 zu treten, das Sein zu beherrschen! Aber merkwürdig wäre es doch, wenn er, der Schelling denn doch gehörig studiert und lange per¬ sönlichen Umgang mit ihm gepflogen hatte, wenn alle andern, die die Identitätsphilosophie zu durchdringen suchten, gar nichts ge¬ merkt hätten von dem Hauptspaß, nämlich, daß das all nur Flausen 10 sind, die nur in Schellings Kopf existierten und gar keine An¬ sprüche darauf machten, auf die Außenwelt einigen Einfluß zu haben. Irgendwo müßte das doch wohl geschrieben stehen, und einer hätt’ es doch gewiß gefunden. Aber man kommt wirklich in Versuchung, daran zu zweifeln, ob dies von vom herein Schellings U Ansichten gewesen, oder ob es spätere Zutat sei. Und die neue Fassung der Identitätsphilosophie? Kant befreite das vernünftige Denken von Raum und Zeit, Schelling nimmt uns noch die Existenz. Was bleibt uns dann noch? Es ist hier nicht der Ort, gegen ihn zu beweisen, daß die Existenz allerdings in den Ge- 2o danken fällt, dasi Sein dem Geiste immanent ist und der Grundsatz aller modernen Philosophie, das cogito ergo sum, nicht so im Sturm umgerannt werden kann; aber man wird mir die Fragen erlauben, ob eine Potenz, die selbst kein Sein hat, ein Sein erzeugen kann, ob eine Potenz, die sich nicht mehr entäußern kann, noch 25 Potenz ist, und ob die Trichotomie der Potenzen der aus Hegels Enzyklopädie sich entwickelnden Dreieinigkeit von Idee, Natur und Geist nicht auf eine merkwürdige Weise entspricht? Und was wird sich aus dem allen für die Philosophie der Offen¬ barung ergeben? Sie fällt natürlich in die positive Philosophie, in so die empirische Seite. Schelling wird sich nicht anders helfen können, als durch die Annahme des Faktums einer Offenbarung, das er vielleicht auf irgendeine Weise, nur nicht vernünftig, denn dazu hat er sich ja die Türe versperrt, begründet. Hegel hat es sich doch ein klein wenig saurer gemacht — oder sollte Schelling 35 andere Auskunftsmittel in der Tasche haben? So läßt sich denn diese Philosophie ganz richtig die empirische nennen, ihre Theo¬ logie die positive und ihre Jurisprudenz wird wohl die historische sein. Das wäre freilich einer Niederlage nicht unähnlich, denn das kannten wir alles schon, ehe Schelling nach Berlin kam. 40 Unsere Sache wird es sein, seinen Gedankengang zu ver¬ folgen und des großen Meisters Grab vor Beschimpfung zu schützen. Wir scheuen den Kampf nicht. Uns konnte nichts Wün¬ schenswerteres geschehen, als für eine Zeitlang ecclesia pressa zu sein. Da scheiden sich die Gemüter. Was echt ist, bleibt im Feuer 45 bewährt, was unecht ist, vermissen wir gern in unseren Reihen. Die 12*
180 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Gegner müssen uns zugestehen, daß niemals die Jugend so zahl¬ reich zu unsern Fahnen strömte, niemals der Gedanke, der uns be¬ herrscht, sich so reich entfaltete, Mut, Gesinnung, Talent so sehr auf unserer Seite war als jetzt. So wollen wir denn getrost auf- stehen gegen den neuen Feind; am Ende findet sich doch einer 5 unter uns, der es bewährt, daß das Schwert der Begeisterung ebenso gut ist wie das Schwert des Genies. Schelling aber mag sehen, ob er eine Schule zusammen¬ bekommt. Viele schließen sich jetzt bloß deshalb an ihn an, weil sie, wie er, gegen Hegel sind, und jeden, der ihn angreift, und io wär’ es Leo oder Schubarth, mit Dank annehmen. Für diese ist aber Schelling, denk’ ich, viel zu gut. Ob er außerdem Anhänger bekommt, wird sich zeigen. Ich glaub’ es noch nicht, obgleich einige seiner Zuhörer Fortschritte machen und es schon bis zur Indifferenz gebracht haben. u
Tafel III ® dieHing unb bie Offenbarung« Kritik bed neueßen JReafti onô»erfu$ê gegen bie freie Ißbtfoftybie« e i p 3 i a. Stöbert Sinket. 1842. Titelseite der Broschüre ..Schelling und die Offenbarung“
Schelling und die Offenbarung Kritik des neuesten Reaktionsversuchs gegen die freie Philo¬ sophie. — Leipzig, Robert Binder. 1842. [8°. 55 Seiten] Seit einem Jahrzehend hing an den Bergen Süddeutschlands 5 eine Gewitterwolke, die sich immer dräuender und finstrer für die norddeutsche Philosophie zusammenzog. Schelling trat in Mün¬ chen wieder auf; man vernahm, daß sein neues System sich dem Abschluß nähere und dem Übergewicht der Hegelschen Schule sich entgegenstellen werde. Er selbst sprach sich entschieden io gegen diese Richtung aus, und den übrigen Gegnern derselben blieb immer noch der Rückhalt, wenn alle Gründe der siegenden Gewalt jener Lehre weichen mußten, auf Schelling als den Mann hinzuweisen, der sie in letzter Instanz vertilgen werde. Erwünscht mußte es daher den Jüngem Hegels sein, als vor 15 einem halben Jahre Schelling nach Berlin kam und sein nunmehr fertiges System dem öffentlichen Urteile preiszugeben versprach. So durfte man hoffen, das lästige, leere Gerede von ihm, dem großen Unbekannten, endlich nicht mehr hören zu müssen, und einmal zu sehen, was denn daran sei. Ohnehin war bei dem 20 kampflustigen Sinn, der die Hegelsche Schule immer auszeich¬ nete, bei dem Selbstvertrauen, das sie besaß, die Gelegenheit ihr nur willkommen, sich mit einem berühmten Gegner messen zu können; längst war Schelling ja von Gans, Michelet und dem Athenäum, seine jüngeren Schüler von den Deutschen Jahrbüchern 25 herausgefordert. So zog denn die Gewitterwolke herauf und entlud sich in Donner und Blitz, die von Schellings Katheder aus ganz Berlin aufzuregen begannen. Jetzt ist der Donner verhallt, der Blitz leuchtet nicht mehr; hat er sein Ziel getroffen, schlägt das Gerüste 30 des Hegelschen Systems, dieser stolze Palast des Gedankens, in Flammen auf, eilen die Hegelianer zu retten, was noch zu retten ist? Bis jetzt hat das noch niemand gesehen. Und doch hatte man von Schelling alles erwartet. Lagen nicht die „Positiven“ auf den Knien und ächzten über die große Dürre 35 im Lande des Herrn und flehten die Regenwolke heran, die am fernen Horizont hing? War es nicht gerade wie damals in Israel, wo Elias beschworen wurde, die weiland Baalspfaffen zu ver¬ treiben? Und als er nun kam, der große Teufelsbanner, wie ver¬
182 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete stummte da auf ein Mal all die laute, schamlose Denunziation, all das wüste Toben und Schreien, damit nur ja kein Wort verloren gehe von der neuen Offenbarung! Wie zogen sich die tapfern Helden von der Evangelischen und Allgemeinen Berliner Kirchen¬ zeitung, vom Literarischen Anzeiger, von der Fichteschen Zeit- s schrift bescheiden zurück, um dem Sankt Georg Platz zu machen, der den greulichen Lindwurm der Hegelei, dessen Odem Flammen der Gottlosigkeit und Rauch der Verfinsterung war, erlegen sollte! War nicht eine Stille im Lande, als sollte der heilige Geist her¬ nieder fahren, als wollte Gott selbst aus den Wolken reden? 10 Und als der philosophische Messias nun seinen hölzernen, sehr schlecht gepolsterten Thron im Auditorium maximum bestieg, als er Taten des Glaubens und Wunder der Offenbarung versprach, welch jubelnder Zuruf scholl ihm aus dem Heerlager der Posi¬ tiven entgegen! Wie waren alle Zungen voll von Ihm, auf den die w „Christlichen“ ihre Hoffnung gesetzt hatten! Hieß es nicht, der kühne Recke werde allein, wie Roland, auf feindliches Gebiet gehen, im Herzen des feindlichen Landes seine Fahne aufpflanzen, die innerste Burg der Verruchtheit, die nie bewältigte Feste der Idee in die Luft sprengen, daß die Feinde ohne Basis, ohne Zen- 20 trum, in ihrem eignen Lande keinen Rat, keine sichere Stätte mehr finden könnten? Proklamierte man nicht schon den bis zu Ostern 1842 erwarteten Sturz des Hegelianismus, den Tod aller Atheisten und Unchristen? Alles ist anders gekommen. Die Hegelsche Philosophie lebt 25 nach wie vor auf dem Katheder, in der Literatur, in der Jugend; sie weiß, daß alle bis jetzt gegen sie geführten Streiche ihr nichts anhaben konnten und geht ruhig ihren eignen innem Entwick¬ lungsgang fort. Ihr Einfluß auf die Nation ist, wie schon die ver¬ mehrte Wut und Tätigkeit der Gegner beweist, in raschem Steigen, 30 und Schelling hat fast alle seine Zuhörer unbefriedigt gelassen. Das sind Tatsachen, gegen die etwas Stichhaltiges einzuwenden selbst den wenigen Anhängern der neuschellingschen Weisheit un¬ möglich sein wird. Als man merkte, daß die in bezug auf Schel¬ ling gefaßten Vorurteile sich nur zu sehr bestätigten, war man an- 35 fangs etwas verlegen, wie man die Pietät gegen den Altmeister der Wissenschaft mit jener offenen, entschiedenen Zurückweisung seiner Ansprüche, die man Hegeln schuldig war, vereinigen sollte. Er tat uns indes bald den Gefallen, uns aus diesem Dilemma zu befreien, indem er sich über Hegel in einer Weise aussprach, die 40 uns von jeder Rücksicht gegen den angeblichen Nachfolger und Überwinder desselben entband. Darum wird man auch mir es nicht verübeln können, wenn ich ein demokratisches Prinzip in meiner Beurteilung befolge und ohne Ansehen der Person rein auf die Sache und ihre Geschichte mich beschränke. 45
Schelling und die Offenbarung 183 Als Hegel im Jahre 1831 sterbend seinen Jüngern das Ver¬ mächtnis seines Systems hinterließ, war ihre Zahl noch verhältnis¬ mäßig gering. Das System war nur in jener zwar strengen und starren, aber auch gediegenen Form vorhanden, die seitdem soviel 5 getadelt worden ist, die aber nichts andres als eine Notwendigkeit war. Hegel selbst hatte, im stolzen Vertrauen auf die Kraft der Idee, wenig zur Popularisierung seiner Lehre getan. Die Schriften, die er veröffentlicht hatte, waren alle in einem streng-wissenschaft¬ lichen, ja fast dornigen Stile geschrieben und konnten, wie die io Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, wo seine Schüler in der¬ selben Weise schrieben, nur auf ein geringes, noch dazu prä¬ okkupiertes Publikum von Gelehrten rechnen. Die Sprache durfte sich der im Kampf mit dem Gedanken erworbenen Narben nicht schämen; es kam fürs erste darauf an, alles Vorstellungsmäßige, 15 Phantastische, Gefühlige entschieden abzuweisen und den reinen Gedanken in seiner Selbstschöpfung zu erfassen. War diese sichere Operationbasis erst gewonnen, so konnte man einer späteren Reak¬ tion der ausgeschlossenen Elemente ruhig entgegen sehen und selbst in das unphilosophische Bewußtsein herabsteigen, da der 2o Rücken gedeckt blieb. Die Wirkung der Hegelschen Vorlesungen blieb immer auf einen kleinen Kreis beschränkt, und so bedeutend sie da auch gewesen ist, so konnte sie doch erst in späteren Jahren Früchte tragen. Als aber Hegel gestorben war, begann seine Philosophie erst 25 recht zu leben. Die Herausgabe seiner sämtlichen Werke, beson¬ ders der Vorlesungen, machte eine unermeßliche Wirkung. Neue Pforten taten sich auf zu dem verborgenen, wundervollen Schatze, der im verschwiegnen Bergesschoße lag, und dessen Herrlichkeit nur für wenige bisher geschimmert hatte. Klein war die Zahl derer 30 gewesen, die den Mut hatten, auf eigne Faust sich in das Labyrinth der Zugänge zu wagen; jetzt war eine gerade, bequeme Bahn da, auf der das märchenhafte Kleinod erreicht werden konnte. Zu¬ gleich nahm die Lehre im Munde der Schüler Hegels eine mensch¬ lichere, anschaulichere Gestalt an, die Opposition von Seiten der 35 Philosophie selbst wurde immer schwächer und bedeutungsloser, und allmählich hörte man nur noch den theologischen und juristi¬ schen Schlendrian sich über die Impertinenz beklagen, mit der ein Unberufener sich in seine Fachgelehrsamkeit eindränge. Die Jugend bemächtigte sich des dargebotenen Neuen um so begieriger, 4o als inzwischen in der Schule selbst ein Fortschritt eingetreten war, der zu den bedeutungsvollsten, auf die Lebensfragen der Wissen¬ schaft wie der Praxis sich beziehenden Diskussionen antrieb. Die Schranken, in die Hegel selbst den gewaltigen, jugendlich aufbrausenden Konsequenzenstrom seiner Lehre eindämmte, waren 45 teils von seiner Zeit, teils von seiner Persönlichkeit bedingt. Das
184 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete System war in seinen Grundzügen vor 1810 fertig, die Welt¬ anschauung Hegels mit 1820 abgeschlossen. Seine politische An¬ sicht, seine im Hinblick auf England entwickelte Staatslehre tragen unverkennbar das Gepräge der Restaurationszeit, wie ihm denn auch die Julirevolution in ihrer welthistorischen Notwendigkeit 5 nicht klar wurde. So fiel er selbst seinem eignen Ausspruch anheim, daß jede Philosophie nur der Gedankeninhalt ihrer Zeit ist. Andrerseits wurden zwar seine persönlichen Meinungen durch das System geläutert, aber nicht ohne auf die Konsequenzen desselben zu influieren. So wäre die Religions- und Rechtsphilosophie unbe- ie dingt ganz anders ausgefallen, wenn er mehr von den positiven Elementen, die nach der Bildung seiner Zeit in ihm lagen, ab¬ strahiert und dafür aus dem reinen Gedanken entwickelt hätte. Hierauf lassen sich alle Inkonsequenzen, alle Widersprüche in Hegel reduzieren. Alles, was in der Religionsphilosophie zu ortho-15 dox, im Staatsrecht zu pseudohistorisch erscheint, ist unter diesen Gesichtspunkt zu fassen. Die Prinzipien sind immer unabhängig und freisinnig, die Folgerungen — das leugnet kein Mensch — hier und da verhalten, ja illiberal. Hier trat mm ein Teil seiner Schüler auf, hielt sich an die Prinzipien und verwarf die Kon- 20 Sequenzen, wenn sie sich nicht rechtfertigen konnten. Die linke Seite bildete sich, Ruge schuf ihr in den Hallischen Jahrbüchern ein Organ, und über Nacht war der Abfall von der Herrschaft des Positiven erklärt. Aber noch wagte man nicht, alle Konsequenzen offen auszusprechen. Man glaubte, selbst nach Strauß noch inner- 25 halb des Christentums zu stehen, ja man pochte, den Juden gegen¬ über, auf die Christlichkeit; man war sich über Fragen wie die von der Persönlichkeit Gottes und der individuellen Unsterblichkeit selbst noch nicht klar genug, um ein rückhaltloses Urteil fällen zu können; ja man war im Zweifel, wenn man die unausbleiblichen 30 Konsequenzen herannahen sah, ob die neue Lehre nicht esoteri¬ sches Eigentum der Schule und für die Nation ein Geheimnis bleiben müsse. Da trat Leo mit den Hegelingen auf und erwies seinen Gegnern dadurch den größesten Dienst; wie denn über¬ haupt alles, was auf den Untergang dieser Richtung berechnet war, 35 zu ihrem Vorteil ausschlug und ihr aufs deutlichste bewies, daß sie mit dem Weltgeiste Hand in Hand geht. Leo hat den Hegelingen Klarheit über sich selbst verschafft, hat in ihnen den stolzen Mut wieder erweckt, der die Wahrheit bis in ihre äußersten Folge¬ rungen begleitet und sie offen und verständlich ausspricht, mag & daraus kommen, was da wolle. Es ist ergötzlich, jetzt die damals gegen Leo erschienenen Verteidigungen zu lesen, wie die armen Hegelinge zappeln und sich gegen Leos Schlüsse verwahren und verklausulieren. Jetzt fällt es keinem von ihnen ein, die Anklage¬ punkte Leos abzuleugnen; so hoch ist ihre Frechheit seit drei Jahren 45
Schelling und die Offenbarung 185 gestiegen. Feuerbachs Wesen des Christentums, Strauß’ Dogmatik und die Deutschen Jahrbücher zeigen die Früchte, die Leos Denun¬ ziation getragen hat; ja die „Posaune66 weist die Konsequenzen, auf die es ankommt, schon bei Hegel nach. Dies Buch ist schon 5 darum für die Stellung Hegels so wichtig, weil es zeigt, wie oft in Hegel der unabhängige, kühne Denker über den tausend Einflüssen unterworfenen Professor gesiegt hat. Es ist eine Ehrenrettung der Persönlichkeit des Mannes, dem man zumutete, nicht nur da, wo er genial war, über seine Zeit hinauszugehen, sondern auch da, wo 10 er es nicht war. Hier ist der Beweis, daß er auch dies getan hat. So hat es denn die „hegelingische Rotte66 kein Hehl mehr, daß sie das Christentum nicht mehr als ihre Schranke ansehen kann und will. Alle Grundprinzipien des Christentums, ja sogar dessen, was man bisher überhaupt Religion nannte, sind gefallen vor der 15 unerbittlichen Kritik der Vernunft; die absolute Idee macht An¬ spruch darauf, die Gründerin einer neuen Ära zu sein. Die große Umwälzung, von der die französischen Philosophen des vorigen Jahrhunderts nur die Vorläufer waren, hat ihre Vollendung im Reiche des Gedankens, ihre Selbstschöpfung vollbracht. Die Philo- 2o sophie des Protestantismus, von Descartes an, ist geschlossen ; eine neue Zeit ist angebrochen, und es ist die heiligste Pflicht aller, die der Selbstentwicklung des Geistes gefolgt sind, das ungeheure Re¬ sultat ins Bewußtsein der Nation überzuführen und zum Lebens¬ prinzip Deutschlands zu erheben. 25 Während dieser innem Entwicklung der Hegelschen Philo¬ sophie blieb ihre äußere Stellung auch nicht unverändert. Der Mi¬ nister Altenstein, durch dessen Vermittlung der neuen Lehre eine Wiege in Preußen bereitet war, starb; mit den folgenden Verände¬ rungen hörte nicht nur alle Begünstigung jener Lehre auf, sondern so man bestrebte sich auch, sie allmählich vom Staate auszuschließen. Es war dies die Folge der sowohl auf Seite des Staats als der Philo¬ sophie stärker hervorgehobenen Prinzipien; wie diese sich nicht scheute, das Notwendige auszusprechen, so war es auch ganz natür¬ lich, daß jener seine Konsequenzen bestimmter geltend machte. 35 Preußen ist ein christlich-monarchischer Staat, und seine welt¬ historische Stellung gibt ihm ein Recht auf Anerkennung seiner Prinzipien als faktisch gültiger. Man mag sie teilen oder nicht, genug, sie sind da, und Preußen ist stark genug, sie nötigenfalls vertreten zu können. Zudem hat die Hegelsche Philosophie keine 40 Ursache, sich darüber zu beklagen. Ihre frühere Stellung warf einen falschen Schein auf sie und zog ihr scheinbar eine Menge Anhänger zu, auf die in Zeiten des Kampfes nicht zu rechnen war. Ihre falschen Freunde, die Egoisten, die Oberflächlichen, die Halben, die Unfreien, sind jetzt glücklich zurückgetreten, und sie 45 weiß jetzt, woran sie ist und auf wen sie zählen kann. Zudem kann
186 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete es ihr nur lieb sein, wenn die Gegensätze sich scharf hervorheben, da ihr endlicher Sieg doch gewiß ist. So war es denn ganz natür¬ lich, daß als Gegengewicht der bisher vorherrschenden Tendenzen Männer von der entgegengesetzten Richtung berufen wurden; der Kampf gegen jene wurde wieder angefacht, und als die historisch- s positive Fraktion wieder einigen Mut bekommen hatte, wurde Schelling nach Berlin berufen, um dem Streite den Ausschlag zu geben und die Hegelsche Lehre auf ihrem eignen philosophischen Gebiet zu ächten. Sein Auftreten in Berlin mußte allgemein Spannung erregen. 10 Er hatte in der Geschichte der neueren Philosophie eine so be¬ deutende Rolle gespielt; trotz aller von ihm herrührenden An¬ regungen hatte er indes nie ein fertiges System gegeben und seinen Abschluß mit der Wissenschaft immer noch hinausgeschoben, bis er jetzt endlich diese große Abrechnung über seine ganze Lebens- tätigkeit zu geben versprach. Er übernahm es auch wirklich, die Versöhnung von Glauben und Wissen, von Philosophie und Offen¬ barung zustande zu bringen und was er weiter in seiner ersten Vor¬ lesung aussprach. Ein andres, wichtiges Moment, das erhöhtes In¬ teresse für ihn einflößte, war seine Stellung zu dem, den er zu 20 besiegen gekommen war. Freunde und Stubengenossen schon auf der Universität, lebten beide Männer nachher in Jena so vertraut zusammen, daß es bis auf den heutigen Tag unentschieden bleiben muß, welchen Einfluß sie aufeinander hatten. Nur dies ist gewiß, daß Hegel es war, der es Schelling zum Bewußtsein brachte, wie 25 weit er bereits, ohne es zu wissen, über Fichte hinausgegangen war*). Nach ihrer Trennung indes begannen ihre bisher parallel laufenden Entwicklungsbahnen bald aus einander zu gehen. Hegel, dessen tiefinnerliche, ruhelose Dialektik erst jetzt sich recht zu ent¬ falten anfing, nachdem Schellings Einfluß zurückgetreten war, tat 30 1806 in der Phänomenologie des Geistes einen Riesenschritt über den naturphilosophischen Standpunkt hinaus und erklärte seine Unabhängigkeit von diesem; Schelling verzweifelte immer mehr daran, auf dem bisherigen Wege zu den erstrebten großen Resul¬ taten zu gelangen, und versuchte bereits zu jener Zeit, sich des Ab- 35 soluten auf unmittelbare Weise, durch die erfahrungsmäßige Vor¬ aussetzung einer höheren Offenbarung zu bemächtigen. Während Hegels gedankenschaffende Kraft immer energischer, lebendiger, tätiger sich zeigte, versank Schelling, wie schon eine solche An- *) Wenn Schelling wirklich die „Geradsinnigkeit und Offenheit“, mit der er sich brüstet, besitzt, wenn er seine Behauptungen über Hegel wirklich aufrichtig meint und Grund dazu hat, so beweise er das durch die Herausgabe seines Briefwechsels mit Hegel, den er besitzen soll, wie es heißt, oder dessen Veröffentlichung doch nur von ihm abhängt. Aber da liegt der wunde Fleck. Verlangt er also Glauben an seine Wahrhaftigkeit, so rücke er heraus mit diesem Beweise, der alle deshalb erhobenen Streitigkeiten lösen würde.
Schelling und die Offenbarung 187 nähme beweist, in eine träge Ermattung, die sich auch in seiner bald einschlummemden literarischen Tätigkeit äußerte. Er mag jetzt immerhin selbstzufrieden von seiner langen, verschwiegnen philosophischen Arbeit, von den geheimen Schätzen seines Pultes, 5 von seinem dreißigjährigen Krieg mit dem Gedanken sprechen, es glaubt ihm das kein Mensch. Wer alle Anstrengung seines Geistes auf einen Punkt verwendet, wer die Jugendkraft noch in Anspruch nimmt, die einen Fichte überwand, der ein Heros der Wissen¬ schaft, ein Genie ersten Ranges sein will — und nur ein solches 10 würde Hegeln stürzen können, das muß jeder zugeben — der sollte dreißig Jahre und mehr gebrauchen, um einige unbedeutende Re¬ sultate zutage zu fördern? Hätte Schelling es sich nicht so bequem mit dem Philosophieren gemacht, würden da nicht alle Stufen seines Gedankenganges der Welt in einzelnen Schriften vorliegen? 15 Ohnehin hat er von jeher in dieser Beziehung wenig Selbstbeherr¬ schung gezeigt und alles Neue, das er fand, gleich ohne viel Kritik in die Welt geschickt. Fühlte er sich noch immer als König der Wissenschaft, wie konnte er ohne die Anerkennung seines Volkes leben, wie konnte ihm die armselige Existenz eines abgesetzten so Fürsten, eines Karl X., wie konnte ihm der längst verschlissene und verbleichte Purpur der Identitätsphilosophie genügen? Mußte er nicht alles daran wagen, sich in seine verlornen Rechte zu resti¬ tuieren, den Thron, den ein „später Gekommener“ ihm geraubt, wieder zu erobern? Statt dessen ließ er die Bahn des reinen Ge- 25 dankens liegen, vergrub sich in mythologische und theosophische Phantastereien und hielt, wie es scheinen muß, sein System zur Verfügung des Königs von Preußen, denn auf dessen Ruf war das nie Vollendete sogleich fertig. So kam er denn her, mit der Ver¬ söhnung von Glauben und Wissen im Koffer, machte von sich reden 3o und stieg endlich aufs Katheder. Und was war das Neue, das er brachte, das Unerhörte, womit er Wunder wirken wollte? Die Philosophie der Offenbarung, die er „seit 1831 ganz in derselben Weise“ in München vorgetragen hatte, und die Philosophie der Mythologie, die „aus noch früherer Zeit her sich datiert.“ Ganz 35 alte Sachen, die seit zehn Jahren in München fruchtlos verkündigt waren, die nur einen Ringseis, einen Stahl zu kapern imstande waren. Das also nennt Schelling sein „System“! Da liegen die welt¬ erlösenden Kräfte, die Bannsprüche für die Gottlosigkeit, in dem Samen, der in München nicht aufkeimen wollte! Warum hat denn 40 Schelling diese seit zehn Jahren fertigen Vorlesungen nicht drucken lassen? Bei all dem Selbstvertrauen und der Zuversicht des Er¬ folges muß doch noch etwas dahinterstecken, muß irgend ein ge¬ heimer Zweifel ihn doch von diesem Schritte abhalten. Indem er vor das Berliner Publikum trat, stellte er sich aller- 45 dings der Öffentlichkeit etwas näher als bisher in München. Was
188 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete dort leicht esoterische Geheimlehre bleiben konnte, weil kein Mensch sich darum kümmerte, muß hier ohne Gnade ans Tages¬ licht. Keiner wird in den Himmel eingelassen, ehe er durch das Fegefeuer der Kritik gegangen ist. Was hier in der Universität heute Auffallendes gesagt wird, steht morgen in allen deutschen $ Zeitungen. So mußten Schelling alle Gründe, die ihn vom Druck seiner Vorlesungen abhielten, auch von der Übersiedelung nach Berlin zurückhalten. Ja noch mehr, denn das gedruckte Wort läßt kein Mißverständnis zu, während das einmal flüchtig gesprochene, eilig nachgeschriebene und vielleicht nur halb gehörte allerdings 10 falschen Auffassungen ausgesetzt sein muß. Aber freilich war nun kein andrer Rat; er mußte nach Berlin, oder er erkannte durch die Tat seine Unfähigkeit an, den Hegelianismus zu besiegen. Auch zum Druck war es nun zu spät, denn er mußte etwas Neues, Ungedruck¬ tes nach Berlin bringen, und daß er nicht noch andere Dinge „im is Pulte“ hat, zeigt sein Auftreten hier. So trat er denn zuversichtlich und gleich von vom herein seinen Zuhörern das Ungeheuerste versprechend, aufs Katheder und be¬ gann vor fast vierhundert Menschen aus allen Ständen und Natio¬ nen seine Vorträge. Aus ihnen werde ich nun, meine eignen mit an- 20 dern möglichst treuen Heften verglichenen Notizen zugrunde legend, das mitteilen, was zur Rechtfertigung meines Urteils nötig ist. Alle Philosophie hat es sich bisher zur Aufgabe gestellt, die Welt als vernünftig zu begreifen. Was vernünftig ist, das ist nun freilich auch notwendig, was notwendig ist, muß wirklich sein oder 25 doch werden. Dies ist die Brücke zu den großen praktischen Resul¬ taten der neueren Philosophie. Wenn nun Schelling diese Resultate nicht anerkennt, so war es konsequent, die Vernünftigkeit der Welt auch zu leugnen. Dies geradezu auszusprechen, hat er indes nicht gewagt, sondern es vorgezogen, die Vernünftigkeit der Philo- 30 Sophie zu leugnen. So zieht er sich denn zwischen Vernunft und Unvernunft auf einem möglichst krummen Wege durch, nennt das Vernünftige a priori begreiflich, das Unvernünftige a posteriori begreiflich und weist das erste der „reinen Vemunftwissenschaft oder negativen Philosophie“, das zweite der neu zu begründenden 96 „positiven Philosophie“ zu. Hier ist die erste, große Kluft zwischen Schelling und allen andern Philosophen; hier der erste Versuch, Autoritätsglauben, Gefühlsmystik, gnostische Phantasterei in die freie Wissenschaft des Denkens hineinzuschmuggeln. Die Einheit der Philosophie, die & Ganzheit aller Weltanschauung wird zum unbefriedigendsten Dualismus zerrissen, der Widerspruch, der die welthistorische Be¬ deutung des Christentums ausmacht, zum Prinzip auch der Philo¬ sophie erhoben. Gleich von vorn herein also müssen wir gegen diese Spaltung protestieren. Wie nichtig sie außerdem ist, wird 45
Schelling und die Offenbarung 189 sich zeigen, wenn wir den Gedankengang verfolgen, mit dem Schelling seine Unfähigkeit, das Universum als Vernünftiges und Ganzes zu begreifen, zu rechtfertigen sucht. Er geht von dem scho¬ lastischen Satze aus, daß an den Dingen das quid und das quod, 5 das Was und das D a ß zu unterscheiden sei. Was die Dinge seien, lehre die Vernunft, daß sie seien, beweise die Erfahrung. Wolle man diese Unterscheidung durch die Behauptung der Iden¬ tität von Denken und Sein aufheben, so sei das ein Mißbrauch dieses Satzes. Das Resultat des logischen Denkprozesses sei nur 10 der Gedanke der Welt, nicht die reale Welt. Die Vernunft sei schlechthin impotent, die Existenz von irgend etwas zu beweisen, und habe in dieser Beziehung das Zeugnis der Erfahrung für ge¬ nügend anzunehmen. Nun habe sich die Philosophie aber auch mit Dingen beschäftigt, die über alle Erfahrung hinausgingen, z. B. io mit Gott; es frage sich also, ob die Vernunft für die Existenz der¬ selben Beweise zu liefern imstande sei. Um diese Frage beantwor¬ ten zu können, läßt sich Schelling auf eine lange Diskussion ein, die hier ganz überflüssig ist, da obige Prämissen keine Antwort zulassen als ein entschiedenes Nein. Dies ist denn auch das Re- 20 sultat der Schellingschen Erörterung. So folgt denn hieraus nach Schelling notwendig, daß die Vernunft im reinen Denken sich nicht mit den wirklich existierenden Dingen, sondern mit den Dingen als möglichen zu beschäftigen habe, mit ihrem Wesen, nicht mit ihrem Sein; so daß wohl Gottes Wesen, aber nicht seine Existenz 26 ihr Gegenstand sei. Für den wirklichen Gott müsse also eine andre als die rein vernünftige Sphäre gesucht werden, es müssen Dinge die Voraussetzung der Existenz erhalten, die sich erst später, a posteriori, als möglich oder vernünftig und als in ihren Folgen erfahrungsmäßig, d.h. wirklich zu erweisen haben. so Hier ist der Gegensatz gegen Hegel bereits in seiner ganzen Schärfe ausgesprochen. Hegel, in jenem naiven Glauben an die Idee, über den Schelling so erhaben ist, behauptet, was vernünftig sei, das sei auch wirklich ; Schelling sagt aber, was vernünftig ist, das ist möglich, und stellt sich dadurch sicher, denn dieser Satz 35 ist bei der bekannten Weitschichtigkeit der Möglichkeit unumstö߬ lich. Zugleich aber beweist er schon hierdurch, wie sich später zeigen wird, seine Unklarheit in Beziehung auf alle reinlogischen Kategorien. Ich könnte zwar gleich jetzt die Lücke in der obigen Schlachtordnung von Schlüssen aufzeigen, durch die der böse 40 Feind der Abhängigkeit sich in die Reihe der freien Gedanken stahl, aber ich will es auf spätere Gelegenheit versparen,um mich nicht zu wiederholen, und sogleich zum Inhalt der reinen Ver¬ nunftwissenschaft übergehen, wie ihn Schelling zum großen Er¬ götzen aller Hegelianer seinen Zuhörern vorkonstruiert hat. Er ist 45 folgender:
190 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Die Vernunft ist die unendliche Potenz des Erkennens. Potenz ist dasselbe wie Vermögen (Kants Erkennungsvermögen). Sie scheint als solche ohne allen Inhalt, doch hat sie allerdings einen solchen, und zwar ohne Zutun, ohne Aktus von ihrer Seite, denn sonst hörte sie ja auf Potenz zu sein, da Potenz und Aktus sich 5 gegenüber stehen. Dieser, notwendigerweise also unmittelbare, an¬ geborene Inhalt wird, da allem Erkennen ein Sein entspricht, nur die unendliche Potenz des Seins, entsprechend der unendlichen Potenz des Erkennens, sein können. Diese Potenz des Seins, dies unendliche Seinkönnen ist die Substanz, aus der wir unsre Be-19 griffe abzuleiten haben. Die Beschäftigung mit ihr ist das reine, sich selbst immanente Denken. Dieses reine Seinkönnen ist nun nicht bloß eine Bereitschaft, zu existieren, sondern der Begriff des Seins selbst, das seiner Natur nach ewig in den Begriff Über¬ gehende, oder im Begriff, ins Sein überzugehen, Seiende, das vom 15 Sein nicht Abzuhaltende und darum vom Denken ins Sein Über¬ gehende. Dies ist die bewegliche Natur des Denkens, wonach es nicht beim bloßen Denken stehen bleiben kann, sondern ewig ins Sein übergehen muß. Doch ist dies kein Übergang ins reale Sein, sondern bloß ein logischer. So erscheint anstatt der reinen Potenz 20 ein logisch Seiendes. Indem nun aber die unendliche Potenz als das Prius dessen sich verhält, was im Denken selbst durch Über¬ gehen ins Sein entsteht, und der unendlichen Potenz nur alles wirk¬ liche Sein entspricht, so besitzt die Vernunft die Potenz, als ihr mit ihr verwachsener Inhalt, eine apriorische Stellung gegen das 25 Sein anzunehmen und so, ohne die Erfahrung zu Hülfe zu nehmen, zum Inhalt alles wirklichen Seins zu gelangen. Was in der Wirk¬ lichkeit vorkommt, hat sie als logisch notwendige Möglichkeit er¬ kannt. Sie weiß nicht, ob die Welt existiert, sie weiß bloß, daß, wenn sie existiert, sie so und so beschaffen sein muß. 30 Daß die Vernunft Potenz ist, nötigt uns also, den Inhalt der¬ selben auch für potenziell zu erklären. Gott also kann nicht un¬ mittelbarer Inhalt der Vernunft sein, denn er ist etwas Wirkliches, nichts bloß Potenzielles, Mögliches. In der Potenz des Seins ent¬ decken wir nun zuerst die Möglichkeit, ins Sein überzugehen. Dies 35 Sein nimmt ihr die Herrschaft über sich selbst. Vorher war sie des Seins mächtig, sie konnte übergehen und auch nicht; jetzt ist sie dem Sein verfallen, in seiner Gewalt. Dies ist entgeistetes Sein, be¬ griffloses, denn Geist ist Macht über das Sein. In der Natur ist dies begrifflose Sein nicht mehr anzutreffen, es ist schon alles von der <0 Form in Beschlag genommen, aber es ist leicht zu sehen, daß diesem ein blindes, schrankenloses Sein vorausging, als Materie zugrunde liegt. Nun aber ist die Potenz dies Freie, Unendliche, das ins Sein übergehen kann und auch nicht; so daß sich zwei kontra¬ diktorische Gegensätze, Sein und Nichtsein, in ihr nicht aus-
Schelling und die Offenbarung 191 schließen. Dies Auch-nicht-übergehen-Können ist, so lange das erste in der Potenz bleibt, diesem gleich. Erst wenn das unmittelbar Seinkönnende wirklich übergeht, wird das Andre von ihm ausge¬ schlossen. Die Indifferenz Beider in der Potenz hört auf, denn jetzt b setzt die erste Möglichkeit die zweite außer sich. Dieser zweiten wird das Können erst gegeben durch die Ausschließung der ersten. Wie in der unendlichen Potenz das Übergehen-Können und das Nichtübergehen-Können sich nicht ausschließen, so schließen sie auch das zwischen Sein und Nichtsein Freischwebende nicht aus. 10 So haben wir drei Potenzen. In der ersten ein unmittelbares Ver¬ hältnis zum Sein, in der zweiten ein mittelbares, erst durch die Ausschließung von der ersten sein Könnendes. So haben wir also 1) das zum Sein sich Neigende, 2) das zum Nichtsein sich Nei¬ gende, 3) das zwischen Sein und Nichtsein Freischwebende. Vor U dem Übergange ist das dritte von der unmittelbaren Potenz nicht unterschieden und wird so erst dann ein Sein werden, wenn es von den ersten beiden ausgeschlossen ist, es kann erst zustande kommen, wenn die beiden ersten ins Sein übergegangen sind. Hiermit sind alle Möglichkeiten geschlossen, und der innere Organismus der so Vernunft ist in dieser Totalität der Potenzen erschöpft. Die erste Möglichkeit ist nur die, vor welcher nur die unendliche Potenz selbst sein kann. Es gibt etwas, das, wenn es den Ort der Möglich¬ keit verlassen hat, nur Eines ist, aber bis es sich hierzu entschieden hat, ist es instar omnium, das zunächst Bevorstehende, auch das 26 Widerstehende, das dem Andern, ihm zu folgen Bestimmten, Widerstand leistet. Indem es aus seiner Stelle weicht, überträgt es seine Macht einem Andern, dieses zur Potenz erhebend. Diesem Andern, zur Potenz Erhobenen, wird es sich selbst als relativNicht- seiendes unterordnen. Zuerst tritt hervor das im transitiven Sinne so Seinkönnende, das daher auch das Zufälligste, Unbegründetste ist, das seinen Grund nur im Folgenden, nicht im Vorhergehenden, finden kann. Indem es sich diesem Folgenden unterordnet, gegen es ein relativ Nichtseiendes wird, wird es hierdurch selbst erst be¬ gründet, wird erst etwas, da es allein nur das Verlorene wäre. Dies 35 Erste ist die prima materia alles Seins, selbst zum bestimmten Sein gelangend, indem es ein Höheres über sich setzt. Das zweite Sein¬ könnende wird erst durch die obige Ausschließung des ersten aus seiner Gelassenheit gesetzt und in seine Potenz erhoben ; das an sich noch nicht Seinkönnende wird jetzt Seinkönnendes durch die Ne- rfögation. Aus seinem ursprünglichen Nicht-unmittelbar-seinkönnen ist es gesetzt als das gelassene ruhige Wollen, und wird so not¬ wendig dahin wirken, dasjenige, wodurch es negiert wurde, selbst zu negieren und sich in sein gelassenes Sein zurückzuführen. Dies kann nur dadurch geschehen, daß das Erste aus seiner absoluten 45 Entäußerung in sein Seinkönnen zurückgebracht wird. So erhalten
192 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete wir ein höheres Seinkönnen, ein in sein Können zurückgebrachtes Sein, das als ein Höheres ein seiner selbst mächtiges Sein ist. Da nach dem unmittelbaren Seinkönnen die unendliche Potenz nicht erschöpft ist, so muß das zweite, was in ihr liegt, das unmittelbar nur-nicht-sein-Können sein. Aber das unmittelbar Seinkönnende ist 5 schon über das Können heraus; daher muß die zweite Potenz das unmittelbar Nicht-Nicht-seinkönnen sein, das ganz reine Sein, denn nur das Seiende ist nicht das Seinkönnende. Das reine Sein kann allerdings, mag es auch noch so widersprechend scheinen, Potenz sein, denn es ist nicht das wirkliche Sein, es ist nicht, wie 10 dieses, a potentia ad actum übergegangen, sondern actus purus. Unmittelbare Potenz ist es freilich nicht, aber daraus folgt nicht, daß es überhaupt nicht Potenz sein könne. Es muß negiert werden, damit es verwirklicht werde; so ist es nicht überall und durchaus Potenz, kann aber durch Nega-15 tion Potenz werden. So lange das unmittelbar Seinkönnende bloß Potenz blieb, war es selbst im reinen Sein; sowie es sich über die Potenz erhebt, verdrängt es das reine Sein aus seinem Sein, um selbst Sein zu werden. Das Reinseiende als actus purus negiert, wird so Potenz. So hat es keine Freiheit des Willens, sondern es 20 muß wirken, seine Negation wieder zu negieren. Auf diese Weise könnte es allerdings ab actu ad potentiam übergehen und so außer sich verwirklicht werden. Das Erste, das schrankenlose Sein, war das Nichtgewollte, die Hyle, mit der der Demiurg zu ringen hat. Es ist gesetzt, um sogleich durch die zweite Potenz verneint zu wer- 25 den. An die Stelle des schrankenlosen Seins muß ein gefaßtes treten, es muß stufenweise ins Seinkönnen zurückgeführt werden und ist dann ein sich besitzendes und auf der höchsten Stufe selbst¬ bewußtes Können. So liegt also zwischen der ersten und zweiten Möglichkeit eine Menge abgeleiteter Möglichkeiten und Mittel- 30 potenzen. Diese sind schon die konkrete Welt. Ist nun die außer sich gesetzte Potenz ins Können ganz zurückgebracht, zur sich be¬ sitzenden Potenz, so wird auch die zweite vom Schauplatz abtreten, weil sie nur da ist, um die erste zu negieren, und in dem Negations¬ akt der ersten sich selbst als Potenz auf löst. Je mehr sie das Ent- 35 gegenstehende überwindet, vernichtet sie sich selbst. Hier kann nun nicht stehen geblieben werden. Soll im Sein das Vollendete sein, so muß an die Stelle des durch die zweite Potenz ganz überwundenen Seins ein drittes gesetzt werden, dem die zweite Potenz ihre Macht ganz überträgt. Dies kann weder reines 40 Seinkönnen noch reines Seinsein, sondern nur das, was im Sein Seinkönnen und im Seinkönnen Sein ist, der Widerspruch von Po¬ tenz und Sein als Identität gesetzt, das zwischen beiden frei Schwe¬ bende, der Geist, eine unerschöpfliche Quelle von Sein, die ganz frei ist und nicht aufhört, im Sein Potenz zu bleiben. Diese 45
Schelling und die Offenbarung 193 kann nicht unmittelbar wirken, sondern nur durch die zweite ver¬ wirklicht werden. Da nun das Zweite das Vermittelnde zwischen dem Ersten und Dritten ist, so ist das Dritte gesetzt durch das vom Zweiten überwundene Erste. Dies Dritte, im Sein unbesiegt Ge- 5 bliebene, ist als Geist gesetzt das Seinkönnende und Vollendende, so daß mit seinem Eintritte in das Sein das vollendete Sein da ist. In dem sich selbst besitzenden Können, im Geist, ist der Schluß der Natur. Dieses Letzte kann nun auch einer neuen, mit Bewußtsein bewirkten Bewegung sich hingeben, und so über der Natur eine 10 neue, intellektuelle Welt sich bilden. Auch diese Möglichkeit muß von der Wissenschaft erschöpft werden, die damit Natur- und Geistesphilosophie wird. Durch diesen Prozeß ist alles dem Denken nicht Immanente, ins Sein Übergegangene ausgeschieden, und es bleibt die Potenz, die 15 nicht mehr ins Sein überzugehen braucht, die das Sein nicht mehr außer sich hat, deren Seinkönnen ihr Sein ist; das Wesen, das dem Sein nicht mehr unterworfen ist, sondern sein Sein in seiner Wahr¬ heit ist, das sogenannte höchste Wesen. So ist das höchste Gesetz des Denkens erfüllt, Potenz und Aktus sind in Einem Wesen zu- 20 sammen, das Denken ist nun bei sich selber und somit freies Denken, nicht mehr einer unaufhaltsamen, notwendigen Be¬ wegung unterworfen. Hier ist das am Anfang Gewollte erreicht; der sich selbst besitzende Begriff (denn Begriff und Potenz sind identisch), der, weil er der einzige seiner Art ist, einen besondem 25 Namen hat, und weil er das von Anfang Gewollte ist, Idee heißt. Denn wer im Denken nicht aufs Resultat sehen will, wessen Philo¬ sophie sich ihres Zweckes nicht bewußt ist, der gleicht jenem Maler, der drauf los malte, mochte herauskom¬ men, was da wollte. so So weit hat uns Schelling den Inhalt seiner negativen Philo¬ sophie mitgeteilt, und diese Umrisse reichen vollkommen hin, um den phantastischen, unlogischen Charakter seiner Denkweise zu er¬ kennen. Er ist nicht mehr fähig, sich im reinen Denken auch nur eine kurze Zeit zu bewegen; jeden Augenblick laufen ihm die 35 märchenhaftesten, bizarrsten Phantome über den Weg, daß die Rosse seines Gedankenwagens scheu sich bäumen, und er selbst sein Ziel liegen läßt, um jenen Nebelgestalten nachzujagen. Daß die drei Potenzen, wenn man sie auf ihren nackten Gedankengehalt reduziert, nichts andres sind als die drei Momente des Hegelschen 40 Entwicklungsganges durch die Negation, nur auseinandergezerrt, in ihrer Trennung fixiert und von der „ihres Zweckes bewußten Philosophie66 diesem Zwecke gemäß zugerichtet, sieht man auf den ersten Blick. Es ist ein trauriges Schauspiel, wie Schelling den Gedanken aus seinem erhabenen, reinen Äther in das Gebiet der in sinnlichen Vorstellung herabreißt, ihm die echte Goldkrone vom Marx-Engels-Gesamtausgabe. I. Abt.« Bd. 2. 13
194 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Haupte schlägt und ihn zum Spott der Straßenjungen mit einer goldpapiemen Krone, von dem Nebel und Dunst der ungewohnten, romantischen Atmosphäre berauscht, umhertaumeln läßt. Diese so¬ genannten Potenzen sind gar keine Gedanken mehr, es sind nebu¬ löse, phantastische Gestalten, an denen die Umrisse der drei gött- 5 liehen Hypostasen bereits deutlich durch den Wolkenschleier schimmern, der sie geheimnisvoll umhüllt. Ja, sie haben bereits ein gewisses Selbstbewußtsein, die eine „neigt sich“ zum Sein, die andere zum Nichtsein, die dritte „schwebt frei“ zwischen beiden. Sie „geben einander Raum“, sie haben verschiedene „Stellen“, sie 10 „verdrängen“ einander, sie „widerstehen“, sie bekämpfen ein¬ ander, sie „suchen sich zu negieren“, sie „wirken“ und „streben“ usw. Diese seltsame Versinnlichung des Gedankens ist wieder aus einem Mißverständnisse der Hegelschen Logik entstanden. Jene ge¬ waltige Dialektik, jene innere, treibende Kraft, die die einzelnen 15 Gedankenbestimmungen, als wäre sie das böse Gewissen ihrer Un¬ vollkommenheit und Einseitigkeit, zu immer neuer Entwicklung und Wiedergeburt forttreibt, bis sie endlich als absolute Idee in unvergänglicher, fleckenloser Herrlichkeit zum letzten Male aus dem Grab der Negation erstehen, hat Schelling nicht anders fassen 20 können, denn als Selbstbewußtsein der einzelnen Kategorien, wäh¬ rend sie doch das Selbstbewußtsein des Allgemeinen, des Denkens, der Idee ist. Er will die Sprache des Pathos zur absolut wissen¬ schaftlichen erheben, ohne vorher uns den reinen Gedanken in der ihm allein passenden Sprache gezeigt zu haben. Auf der andern 25 Seite ist er ebenso wenig fähig, den Gedanken des Seins in seiner vollständigen Abstraktion zu erfassen, wie er schon dadurch zeigt, daß er die Bestimmungen Sein und Seiendes fortwährend als gleichbedeutend gebraucht. Das Sein ist ihm nur als Materie, als Hyle, als wüstes Chaos denkbar. Dazu haben wir jetzt schon 30 mehrere solche Materien, ein „schrankenloses Sein“, ein „gefaßtes Sein“, ein „reines Sein“, ein „logisches Sein“, ein „wirkliches Sein“, ein „gelassenes Sein“, und wir werden später noch ein „un¬ vordenkliches Sein“ und ein „konträres Sein“ hinzubekommen. Es ist spaßhaft anzusehen, wie diese verschiedenen Sein zusammen- 35 stoßen und einander verdrängen, wie die Potenz nur die Wahl hat, sich in diese wüste Masse zu verlieren oder ein leeres Phantom zu bleiben. Man sage mir nicht, das liege bloß an der bildlichen Ausdrucksweise; im Gegenteil ist dieses gnostisch-orientalische Traumdenken, das jede Gedankenbestimmung entweder als Person- 40 lichkeit oder Materie erfaßt, die Grundlage des ganzen Prozesses. Man nehme die Anschauungsweise weg, und alles fällt zusammen. Schon die Grundkategorien, Potenz und Aktus, rühren aus einer verworrenen Zeit her, und Hegel hatte ganz recht, wenn er diese unklaren Bestimmungen aus der Logik herauswarf. Schelling voll- 45
Schelling und die Offenbarung 195 ends macht die Konfusion noch größer und gebraucht diesen Gegensatz abwechselnd, wie es ihm beliebt, für folgende Hegelsche Bestimmungen: Ansichsein und Fürsichsein, Idealität und Realität, Kraft und Aeußerung, Möglichkeit und Wirklichkeit, und bei alle- 3 dem ist die Potenz noch ein apartes, sinnlich-übersinnliches Wesen. Die hauptsächliche Bedeutung, die ihr Schelling beilegt, ist indes die der Möglichkeit, und so haben wir hier eine auf Möglichkeit begründete Philosophie. In dieser Beziehung nennt Schelling seine Vemunftwissenschaft mit Recht die „Nichtsausschließende64, denn iu tnöglich ist am Ende alles. Es kommt aber darauf an, daß der Gedanke sich bewähre durch seine innere Kraft, sich zu verwirk¬ lichen. Die Deutschen werden für eine Philosophie danken, die sie auf einem holprigen Wege durch die unendlich langweilige Sahara der Möglichkeit schleppt, ohne ihnen etwas Reelles zu essen und U zu trinken zu geben, und ohne sie zu einem andern Ziel zu führen als dahin, wo nach ihrer Aussage die Welt für die Vernunft mit Brettern zugenagelt ist. Doch geben wir uns die Mühe, den Weg durch das Nichts nach¬ zugehen. Schelling sagt: Das Wesen ist für den Begriff, das Sein 2o für das Erkennen. Vernunft ist unendliche Potenz des Erkennens, ihr Inhalt unendliche Potenz des Seins, wie oben ausgeführt. Jetzt aber fängt er mit einem Male an, die unendliche Potenz des Seins mit der Potenz des Erkennens wirklich zu erkennen. Kann er das? Nein, Erkennen ist Aktus, dem Aktus entspricht Aktus, „dem Er- 25 kennen entspricht ein Sein66, also dem obigen, aktuellen Erkennen das aktuelle, wirkliche Sein. So würde die Vernunft also doch wider Willen das wirkliche Sein erkennen müssen, und trotz aller Mühe, die hohe See der Möglichkeit zu halten, wären wir gleich an den verhaßten Strand der Wirklichkeit geschleudert. Aber, wendet man ein, die Potenz des Seins wird ja erst nach ihrem Übergange, der freilich ein logischer ist, erkannt. Schelling selbst sagt ja, daß logisches Sein und Potenz des Seins, Begriff und Potenz identisch ist. Wenn also die Potenz des Erkennens wirklich zum Aktus übergeht, so darf die Potenz des Seins sich nicht mit 3Ä einem vorgespiegelten Scheinübergange begnügen. Geht die Potenz des Seins nicht wirklich über, so bleibt die Potenz, kann von der Vernunft nicht erkannt werden, ist also nicht der „notwendige In¬ halt der Vernunft66, sondern gerade das absolut Unvernünftige. Oder will Schelling die Tätigkeit, die die Vernunft ihrem In- 4o halte zuwendet, nicht Erkennen, sondern etwa Begreifen nennen? Dann müßte die Vernunft die unendliche Potenz des Begreifens sein, da sie in ihrer eigenen Wissenschaft gar nicht zum Erkennen käme. Auf der einen Seite schließt Schelling die Existenz von der Ver- 45 nunft aus, auf der andern Seite gibt er sie ihr mit dem Erkennen 13*
196 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete wieder. Erkennen ist ihm Einheit von Begriff und Existenz, von Logik und Empirie. Also Widersprüche, wohin wir uns wenden. Wie geht das zu? Ist die Vernunft denn die unendliche Potenz des Erkennens? Ist das Auge die Potenz des Sehens? Das Auge, selbst das ge- 5 schlossene, sieht immerfort, es sieht, wenn es sogar nichts zu sehen glaubt, immer noch die Finsternis. Nur das kranke Auge, das heil- bar-blinde, ist Potenz des Sehens, ohne Aktus zu sein, nur die un¬ entwickelte oder momentan verworrene Vernunft ist die bloße Potenz des Erkennens. Aber es scheint doch so plausibel, die 10 Vernunft als Potenz zu fassen? Sie ist es auch, und nicht bloß Möglichkeit, sondern absolute Kraft, Notwendigkeit des Er¬ kennens. Diese aber muß sich äußern, muß erkennen. Die Tren¬ nung von Potenz und Aktus, von Kraft und Äußerung, gehört nur der Endlichkeit an, im Unendlichen ist die Potenz selbst ihr Aktus, 15 die Kraft ihre eigene Äußerung. Denn das Unendliche duldet keinen Widerspruch in sich. Ist nun die Vernunft unendliche Po¬ tenz, so ist sie dieser Unendlichkeit halber auch unendlicher Aktus. Sonst wäre die Potenz selbst endlich gefaßt. Das liegt auch schon im unbefangenen Bewußtsein. Vernunft, die in der Potenz des Er- 20 kennens stehen bleibt, heißt man Unvernunft. Nur die Vernunft gilt für Vernunft, die wirklich sich durch Erkennen bewährt, das Auge nur für ein rechtes Auge, das auch sieht. Hier zeigt sich also gleich der Gegensatz von Potenz und Aktus als ein lösbarer, nichtiger in letzter Instanz, und diese Lösung ist ein Triumph der Hegelschen 25 Dialektik über die Beschränktheit Schellings, die über diesen Gegensatz nicht hinauskann; denn selbst da, wo in der Idee Potenz und Aktus zusammenfallen sollen, wird dies bloß be¬ hauptet, das Überfließen beider Bestimmungen in einander aber nicht gezeigt. 30 Sagt aber Schelling: Die Vernunft ist Begreifen, und da Be¬ griff Potenz ist, Potenz des Erkennens, die erst dann wirkliches Erkennen wird,wenn sie etwasReelles zu erkennen findet;dagegen in der reinen Vemunftwissenschaft, wo sie sich mit der Potenz des Seins beschäftigt, bleibt sie innerhalb der Potenz des Erkennens 35 stehen und begreift bloß — so wird doch kein Mensch, auch abge¬ sehen von der obigen Erörterung über Potenz und Aktus — leugnen, daß es der Zweck der Potenz des Erkennens ist, wirklich zum Erkennen überzugehen, und sie ein Nichts ist, so lange sie dies nicht tut. So zeigt sich, daß der Inhalt der reinen Vemunftwissen- 40 schäft ein hohler, leerer, unnützer ist, und die Vernunft, wenn sie ihren Zweck erfüllt und wirklich erkennt, Unvernunft wird. Wenn Schelling das zugibt, daß das Wesen der Vernunft die Unvernunft sei, so habe ich freilich nichts mehr zu sagen. So hat sich Schelling gleich von vorn herein mit seinen Poten- 45
Schelling und die Offenbarung 197 zen, Übergängen und Entsprechenden so festgefahren, daß aus der Verwirrung von logischem und realem Sein, die er sich vom Halse halten will, nur durch Anerkennung eines andern Ge¬ dankenweges, als seines eignen, herauszukommen ist. Doch gehen 5 wir weiter. Auf diese Weise soll nun die Vernunft den Inhalt alles wirk¬ lichen Seins erfassen und eine apriorische Stellung dagegen ein¬ nehmen ; sie soll nicht beweisen können, daß Etwas existiere, son¬ dern wenn Etwas existiere, es so und so beschaffen sein müsse, im 10 Gegensatz zur Hegelschen Behauptung, daß mit dem Gedanken auch die reale Existenz gegeben sei. Diese Sätze sind wieder durch¬ aus verworren. Es ist weder Hegel noch sonst jemand eingefallen, die Existenz irgend eines Dinges ohne empirische Prämissen be¬ weisen zu wollen; er beweist bloß die Notwendigkeit des Existie- 15 renden. Schelling faßt die Vernunft hier eben so abstrakt, wie früher Potenz und Aktus, und wird dadurch in die Konsequenz gejagt, ihr eine vorweltliche, von aller andern Existenz getrennte Existenz anzuweisen. Die Konsequenz der neueren Philosophie, die Schelling in seiner früheren Philosophie wenigstens in den Prä- 20 missen hatte, und die erst Feuerbach in ihrer ganzen Schärfe zum Bewußtsein gebracht hat, ist, daß die Vernunft schlechterdings nur als Geist, und dieser nur in und mit der Natur existieren könne, nicht aber etwa abgesondert von ihr, Gott weiß wo, ein apartes Leben führt. Dies gibt auch Schelling zu, wenn er als Ziel der in- 25 dividuellen Unsterblichkeit nicht die Befreiung des Geistes von der Natur, sondern erst das rechte Gleichgewicht beider hinstellt; wenn er ferner von Christus sagt, er sei nicht in das All zer¬ flogen, sondern als Mensch zur Rechten Gottes erhoben. (Also müßten die übrigen beiden göttlichen Persönlichkeiten doch wohl so im All zerflogen sein? ) Existiert nun aber die Vernunft, so ist ihre eigene Existenz der Beweis für die Existenz der Natur. So ist die Notwendigkeit da, daß die Potenz des Seins sogleich in den Aktus des Seins übergehen muß. Oder um an einen ganz alltäglichen, auch ohne Feuerbach und Hegel verständlichen Satz anzuknüpfen: 35 So lange man von aller Existenz abstrahiert, kann überhaupt nicht die Rede von ihr sein. Knüpft man aber an etwas Existierendes an, so kann man von diesem aus allerdings zu andern Dingen fort¬ schreiten, die, wenn alle Schlußfolgerungen richtig waren, eben¬ falls existieren müssen. Ist die Existenz der Prämissen zugegeben, 40 so ist die Existenz der Folgerung selbstverstanden. Nun ist die Basis aller Philosophie die Existenz der Vernunft; diese Existenz ist durch ihre Tätigkeit bewiesen (cogito ergo sum) ; geht man also von ihr als existierend aus, so folgt die Existenz aller ihrer Kon¬ sequenzen von selbst. Daß die Existenz der Vernunft eine Voraus- 45 Setzung sei, hat noch kein Philosoph geleugnet; will Schelling in¬
198 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete des diese Voraussetzung nicht anerkennen, so bleibe er aus der Philosophie ganz heraus. So konnte Hegel allerdings die Existenz der Natur beweisen, d. h. ihre notwendige Konsequenz aus dem Da¬ sein der Vernunft. Schelling aber, der in eine abstrakte und nich¬ tige Immanenz des Denkens hinein will, vergißt, daß allen seinen 5 Operationen die Existenz der Vernunft von selbst zugrunde liegt, und stellt die lächerliche Forderung, daß die wirkliche Vernunft unwirkliche, bloß logische Resultate haben, ein wirklicher Apfel¬ baum nur logische, potentielle Äpfel hervorbringen soll. Einen solchen Apfelbaum pflegt man unfruchtbar zu nennen; Schelling 10 würde sagen: Die unendliche Potenz eines Apfelbaums. Wenn Hegels Kategorien also nicht nur die Vorbilder, nach denen die Dinge dieser Welt, sondern auch die zeugenden Kräfte, durch die sie geschaffen worden sind, genannt werden, so heißt dies nichts andres, als daß sie den Gedankeninhalt der Welt und 15 ihre notwendige Folge aus dem Dasein der Vernunft aussprechen. Schelling dagegen hält wirklich die Vernunft für etwas, das auch außerhalb des Weltorganismus existieren könne und stellt damit das wahre Reich derselben in die hohle, leere Abstraktion, in den „Aeon vor Erschaffung der Welt64, der aber glücklicherweise nie 20 dagewesen ist, und in dem die Vernunft sich noch weit weniger herumgetrieben oder gar selig gefühlt hat. Es zeigt sich aber hier, wie die Extreme sich berühren ; Schelling kann den konkreten Ge¬ danken nicht fassen und treibt ihn in die schwindelndste Ab¬ straktion hinauf, die ihm sogleich wieder als sinnliches Bild er- 25 scheint, so daß gerade dies Durcheinander von Abstraktion und Vorstellung das Charakteristische der Schellingschen scholastisch¬ mystischen Denkweise ist. Hierfür haben wir wieder neue Beweise, wenn wir uns zur In¬ haltsentwicklung der „negativen Philosophie66 wenden. Die Potenz 30 des Seins dient zur Basis. Die Karikierung der Hegelschen Dialek¬ tik tritt aufs deutlichste hervor. Die Potenz kann übergehen, kann dies aber auch unterlassen, wie es ihr gefällt. So scheiden sich aus der neutralen Potenz in der Retorte der Vernunft die beiden che¬ mischen Bestandteile: Sein und Nichtsein. Wäre es überhaupt mög- 35 lieh, die Potenzenwirtschaft auf die gesunde Vernunft zurückzufüh¬ ren, so wäre hier der Ort, wo sich ein dialektisches Moment zeigt und Schelling zu ahnen scheint, daß das Wesen der Potenz die Not¬ wendigkeit des Übergangs, und die Potenz aus dem Aktus der Wirklichkeit erst abstrahiert sei. Aber nein, er verfängt sich immer 40 tiefer in die einseitige Abstraktion. Er läßt die Potenz zur Probe einmal übergehen und findet den großen Gedanken, daß nach die¬ sem Übergange sie die Chance verscherzt hat, auch nicht über¬ zugehen. Zugleich entdeckt er in der Potenz ein Drittes, die Mög¬ lichkeit, keins von beiden zu tun und zwischen beiden frei zu 45
Schelling und die Offenbarung 199 schweben. Diese drei Möglichkeiten oder Potenzen sollen allen ver¬ nünftigen Inhalt, alles mögliche Sein in sich schließen. Die Möglichkeit, sein zu können, wird wirkliches Sein. Dadurch wird die zweite Möglichkeit, auch nicht sein zu können, negiert. 5 Wird diese sich wiederherzustellen suchen? Wie kann sie das, denn es ist nicht bloß eine Negation im Hegelschen Sinne, der sie unterliegt, sie ist total vernichtet, auf ein Gamichts reduziert, ein so radikales Nichtsein, wie es nur in einer Philosophie der Mög¬ lichkeit vorkommen kann. Woher soll diese ekrasierte, verschlun- 10 gene, auf gefressene Möglichkeit noch Kraft haben, sich zu resti¬ tuieren? Denn nicht bloß die zweite Möglichkeit, sondern sogar die Urpotenz, das Subjekt, dessen bloßes Prädikat jene zweite Mög¬ lichkeit ist, wird negiert, und da müßte nicht diese, sondern jene, die Urpotenz sich zu restituieren suchen. Das aber kann ihre Ab- 15 sicht gar nicht sein — um in Schellings Beschauungsweise zu bleiben — denn das mußte sie vorherwissen, daß sie, Aktus wer¬ dend, sich selbst als Potenz negieren werde. Eine solche Wieder¬ herstellung kann überhaupt nur stattfinden, wo Personen, nicht Kategorien, sich negieren. Nur ein grenzenloses Mißverständnis, 2o nur eine ungeheure Verballhornisierungswut konnte das Prinzip der Hegelschen Dialektik, das hier offenbar zugrunde liegt, auf eine so gedankenlose Weise entstellen. Wie undialektisch der ganze Prozeß ist, zeigt sich auch so: Wenn die beiden Seiten in der Po¬ tenz gleiche Kraft haben, so entscheidet sie sich doch wohl, ohne 25 Anstoß von außen, gar nicht zum Übergange und bleibt. Dann freilich fände der ganze Prozeß nicht statt, und Schelling wüßte keinen Rat, woher er die Prototypen der Welt, des Geistes und der christlichen Dreieinigkeit holen sollte. So sieht man die Notwendig¬ keit des Ganzen nicht ein, es bleibt dunkel, weshalb die Potenz 30 ihren schönen potentiellen Frieden fahren läßt, sich dem Sein unterwirft usw., und der ganze Prozeß ruht von vom herein auf einer Willkürlichkeit. Wenn das im „notwendigen“ Denken ge¬ schieht, was wird im „freien“ erst kommen! Das ist’s aber, dieser Übergang muß willkürlich bleiben, denn sonst erkennte Schelling 35 ja die Notwendigkeit der Welt an, und diese paßt nicht in seinen Positivismus. Hier liegt aber wieder ein Beweis dafür, daß Potenz nur Potenz als Aktus, dagegen ohne Aktus ein hohles, leeres Un¬ ding ist, mit dem sich Schelling selbst nicht zufrieden geben kann. Denn an der leeren Potenz hat er keinen Inhalt; dieser tritt erst 40 ein, wenn sie Aktus wird, und so muß er die Unwahrheit des Gegen¬ satzes von Potenz und Aktus wider Willen anerkennen. Kommen wir noch einmal auf die zweite Potenz zurück, aus der Schelling das wunderbarste Wesen macht. Wir haben oben gesehen, wie sie negiert, auf Nichts reduziert wurde. Jetzt sagt Schelling 45 weiter: Da die erste das Seinkönnende ist, so ist sie sein Gegenteil,
200 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Alles, nur nicht das Seinkönnende, also das ganz reine Seiende, actus purus! Dieser muß nun aber auch schon in der Urpotenz ge¬ legen haben, aber wie kommt er hinein? Wie wird jenes, „dem Sein abgewandte, zum Nichtsein sich neigende“ usw. auf einmal das ganz reine Sein, wie unterscheidet sich das „reine Sein“ vom & „schrankenlosen Sein“, warum gibt es für das Nichtseinkönnende keine andre Möglichkeit, als das Seiende zu sein? Darauf erhalten wir keine Antwort. Statt dessen wird uns versichert, daß diese zweite Potenz die erste, schrankenlos gewordene, ins Können zurückführt, sich dadurch restituiert und zugleich — vernichtet. 10 Das begreife einer! Ferner ist dieser Reduktionsprozeß in seinen Stufen fixiert in den Stufen der Natur. Daß dabei die Natur heraus¬ kommen soll, sieht keiner ein. Weshalb ist denn z. B. das schran¬ kenlose Sein die Hyle? Weil Schelling von vorn herein an diese Hyle gedacht, auf sie losgearbeitet hat, sonst könnte dieses Sein is auch alles andre zum sinnlichen oder geistigen Inhalt haben. Daß die Naturstufen als Potenzen zu fassen sind, ist auch nicht einzu¬ sehen. Auf diese Weise müßte das Toteste, Anorganische das am meisten Seiende, das Organische das mehr Seinkönnende sein; man kann dies aber nur als mystisches Bild ansehen, in dem aller 20 Gedankeninhalt untergegangen ist. Statt nun die dritte Potenz, den Geist — denn auf diesen sieht man Schelling schon wieder von weitem losarbeiten — als die höchste quantitative Stufe der durch die zweite überwundenen ersten, worin zugleich eine qualitative Änderung vorgeht, zu be- 25 greifen, weiß Schelling wieder nicht Rat, woher er sie holen soll. „Die Wissenschaft sieht sich nach einem Dritten um.“ „Hier kann nun nicht stehen geblieben werden.“ „Es muß an die Stelle des durch die zweite Potenz überwundenen Seins ein Drittes gesetzt werden.“ Das sind die Zauberfloskeln, mit denen er den Geiste beschwört. Wie dieser durch generatio primitiva hereingekommene Geist beschaffen sei, wird uns nun gelehrt. Denken wir an die Natur, so ist es allerdings einleuchtend, daß nach den gegebenen Prämissen der Geist als das sich selbst besitzende Seinkönnen (nicht bloßes Können) zu fassen sei, was freilich schon schlimm 35 genug ist; abstrahieren wir aber von dieser erst zukünftigen und vielleicht gar nicht einmal kommenden Natur, bleiben wir bei den reinen Potenzen, so ist nicht mit aller Mühe einzusehen, daß die durch die zweite ins Seinkönnen zurückgebrachte erste etwas andres sein könne, als die Urpotenz. Schelling hat bei Hegel wohl 40 die Tiefe der durch die Negation und den Gegensatz hindurch¬ gegangenen Vermittlung geahnt, aber nachmachen kann er’s nicht. Bei ihm sind zwei einander gleichgültige Dinge, von denen eins das andere verdrängt, worauf das zweite seinen Platz wiedererobert und das erste auf seinen ursprünglichen Ort zurücktreibt. Daß da- 45
Schelling und die Offenbarung 201 bei etwas andres herauskommen soll als der anfängliche Zustand, ist unmöglich. Zudem, wenn das erste stark genug ist, das zweite zu verdrängen, woher kommt dem zweiten auf einmal die Kraft, nach einer verunglückten Defensive die Offensive zu ergreifen und das 5 erste zu verjagen? Von der unglücklichen Definition des Geistes will ich gar nicht sprechen ; sie widerlegt sich selbst und den ganzen Prozeß, dessen Resultat sie ist. So hätten wir uns denn glücklich durch diesen sogenannten Ent¬ wicklungsprozeß durchgearbeitet und könnten gleich zu andern 10 Dingen übergehen, wenn uns nicht Schelling, nachdem der Geist dasLetzte war, der alles beschloß, eine andre, intellektuelle Welt in Aussicht stellte, als deren Schlußstein er uns die Idee nennt. Wie Schelling nun nach der konkreten Natur und dem lebendigen Geiste noch die abstrakte Idee (in dieser Stellung kann sie aller- dings nur abstrakt sein) herausbekommen kann, ist allerdings un¬ begreiflich, und Schelling hätte dies rechtfertigen müssen, da er die Stellung der Hegelschen Idee gegen diese doch verwirft. Er kommt aber hierzu durch die Sucht, das Absolute platterdings am Ende der Philosophie haben zu wollen, und dadurch, daß er nicht 20 begriff, wie Hegel dies auch wirklich geleistet hat. Das Absolute aber ist der sich selbst wissende Geist — und das wird auch wohl Schellings Idee sein; dieser aber soll nach Schelling am Ende der negativen Philosophie Postulat sein. Da ist aber wieder ein Wider¬ spruch. Die Geschichte kann nicht in sie hineinfallen, da sie mit 25 der Wirklichkeit nichts zu schaffen hat; auf der andern Seite ist sie Geistesphilosophie, und deren Krone ist doch die Philosophie der Weltgeschichte; auch soll die negative Wissenschaft „jene letzte Möglichkeit eines mit Bewußtsein vorgehenden Prozesses (der doch nur die Geschichte sein kann) erschöpfen“. Wie sieht so es nun damit aus? Soviel ist gewiß, daß, wenn Schelling eine Geschichtsphilosophie hätte, der sich wissende Geist ihm nicht als Postulat, sondern als Resultat erscheinen würde. Der sich wis¬ sende Geist ist aber noch lange nicht der Begriff des persönlichen Gottes, wie Schelling das von der Idee behauptet. 35 Nachdem Schelling dies absolviert hatte, behauptete er, diese eben dargestellte Wissenschaft in ihrem Zusammenhänge zu geben, sei sein Bemühen vor vierzig Jahren gewesen. Die Identitätsphilo¬ sophie habe nur diese negative Philosophie sein wollen. Ihre lang¬ same, allmähliche Erhebung über Fichte sei wenigstens teilweise 40 absichtlich gewesen; „er habe alle schroffen Übergänge vermeiden, die Stetigkeit der philosophischen Entwicklung beibehalten wollen und sich sogar mit der Hoffnung geschmeichelt, vielleicht später einmal Fichte selbst auf seine Seite zu ziehen“. Man müßte die obige Aussage Hegels und die geringe Selbstkenntnis Schellings 45 nicht kennen. Das Subjekt, das in der Identitätsphilosophie allen
202 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete positiven Inhalt in sich aufnahm, wird jetzt für die Potenz erklärt. Schon in ihr sollen die Stufen der Natur gegen die jedesmal höheren relativ Seiende, die höheren selbst Seinkönnende und gegen ihre höheren wieder relativ Seiende sein, so daß, was dort Subjekt und Objekt, hier Seinkönnendes und Seiendes heißt, bis 5 zuletzt das nicht mehr relativ Seiende, das absolut „Überseiende“, die Identität, nicht mehr die bloße Indifferenz von Denken und Sein, von Potenz und Aktus, Subjekt und Objekt herauskommt. Alles in ihr sei aber „in Voraussetzung der reinen Vemunftwissen- schaft“ gesagt worden, und der schlimmste Mißverstand sei der 10 gewesen, daß man das Ganze für einen nicht bloß logischen, son¬ dern auch wirklichen Hergang genommen habe, daß man meinte, sie schlösse von einem an sich wahren Prinzip auf die Wahrheit alles Folgenden. Erst an ihrem Ziel bleibe das sich nicht mehr ent¬ äußern Könnende, das Sein in seinem vollen Glanze stehen und 15 sehe Natur und Geist als seinen Thron unter sich, auf den es erhöht worden; jedoch sei dies bei aller Erhabenheit ein bloßes Gedanken¬ gebilde und nur durch völlige Umkehr in einen wirklichen Her¬ gang zu verwandeln. Wir wollen es einstweilen dahin gestellt sein lassen, ob diese 20 Darstellung der Identitätsphilosophie nicht den jetzigen Ansichten Schellings akkommodiert ist, ob er vor vierzig Jahren ebenso wenig auf die Realität seiner Gedanken gab als jetzt, und ob es nicht besser gewesen wäre, statt vornehmen Schweigens den „größten Mißverstand“ mit zwei Worten, wie es leicht geschehen konnte, zu 25 beseitigen; wir wollen gleich zur Beurteilung des Mannes über¬ gehen, der Schellingen „aus seinem Ort verdrängte“, ohne daß dieser bisher „das ihn Negierende wieder negieren konnte“. Hegel, sagt Schelling, hat, während fast alle die Identitäts¬ philosophie falsch und flach auffaßten, ihren Grundgedanken ge- 30 rettet und bis zuletzt anerkannt, worüber seine Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie Zeugnis geben. Hegel fehlte darin, daß er die Identitätsphilosophie für die absolute Philosophie hielt und nicht anerkannte, daß es Dinge gibt, die über sie hinaus gehen. Ihre Grenze war das Seinkönnen; er ging darüber hinaus und zog 35 das Sein in ihren Bereich. Daß er sie zu einem Existentialsystem machen wollte, war sein Grundfehler. Er glaubte, die Identitäts¬ philosophie habe das Absolute nicht bloß der Sache, sondern auch der Existenz nach zum Gegenstand gehabt. Indem er die Existenz hineinzieht, fällt er aus der Entwicklung der reinen Vernunft 40 heraus. So ist es konsequent, wenn er seine Wissenschaft mit dem reinen Sein beginnt und damit das Prius der Existenz leugnet. Da¬ durch kam es, daß er nur immanent war im Nichtimmanenten, denn das Sein ist das im Denken Nichtimmanente. Darauf nun be¬ hauptet er, in der Logik das Absolute bewiesen zu haben. So hätte 45
Schelling und die Offenbarung 203 er denn das Absolute zweimal, am Ende der Logik, wo es genau so bestimmt ist wie am Ende der Identitätsphilosophie, und am Ende des ganzen Prozesses. Hier zeigt sich also, daß die Logik nicht als erster Teil der Entwicklung vorausgeschickt werden soll, 5 sondern eben den ganzen Prozeß zu durchdringen hat. Bei Hegel bestimmt sich die Logik als subjektive Wissenschaft, worin das Denken in und mit sich allein ist, vor und außer aller Wirklichkeit. Und doch soll es die wirkliche, reale Idee zu seinem End¬ punkt haben. Während die Identitätsphilosophie mit ihrem ersten 10 Schritt in der Natur ist, wirft Hegel die Natur aus der Logik heraus und erklärt sie dadurch für unlogisch. Die abstrakten Begriffe der Hegelschen Logik gehören eben nicht an den Anfang der Philo¬ sophie, sie können erst dann eintreten, wenn das Bewußtsein die ganze Natur in sich aufgenommen hat, denn sie sind erst die Ab- straktionen aus der Natur. So kann bei Hegel von objektiver Logik nicht die Rede sein, denn da, wo die Natur, das Objekt anfängt, hört gerade die Logik auf. So ist in der Logik die Idee im Werden, aber nur im Gedanken des Philosophen, ihr objektives Leben fängt erst da an, wo sie zum Bewußtsein gekommen ist. Sie ist aber als wirklich existierende schon am Ende der Logik — also kann mit ihr nun doch nicht weiter fortgefahren werden. Denn die Idee, als absolutes Subjekt-Objekt, als ideal-real, ist in sich vollendet und keines Fortschritts mehr fähig; wie kann sie also ins Andre, in die Natur, noch übergehen. Hier zeigt es sich schon, daß in der reinen ** Vemunftwissenschaft von einer wirklich existierenden Natur nicht die Rede sein kann. Was die wirkliche Existenz betrifft, muß eben der positiven Philosophie vorbehalten bleiben. Das Verkehrte dieser Darstellung beruht hauptsächlich auf dem naiven Glauben, daß Hegel nicht über den Schellingschen Stand- 30 punkt hinausgekommen sei und diesen noch dazu mißverstanden habe. Daß Schelling bei aller Mühe nicht aus der Existenz heraus¬ kommen kann, haben wir gesehen, und es bedürfte also eigentlich keiner Rechtfertigung, daß Hegel diesen Anspruch der abstrakten Idealität nicht machte. Könnte Schelling auch in der reinen Potenz 35 verharren, so müßte ihm seine eigene Existenz beweisen, daß die Potenz übergegangen ist, also alle Konsequenzen des bloß logischen Seins jetzt in das reale fallen und das „Absolute66 somit existiert. Was will er nun weiter mit der positiven Philosophie? Folgt aus der logischen Welt das logische Absolute, so folgt doch aus der 40 existierenden Welt das existierende Absolute. Daß Schelling sich hierbei aber nicht begnügen kann, sondern nun noch eine positive Glaubensphilosophie annimmt, zeigt, wie sehr die empirische, außerweltliche Existenz des Absoluten allerVemunft widerspricht, und wie sehr Schelling selbst dies empfindet. Weil nun Schelling 45 die Hegelsche Idee, die unendlich hoch über dem Absoluten der
204 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Identitätsphilosophie steht, weil sie das ist, was jenes zu sein nur behauptet, auf seinen niedrigen Standpunkt herabziehen will, kann er das Verhältnis der Idee zu Natur und Geist nicht fassen. Schel¬ ling stellt sich wieder die Idee als extramundanes Wesen, als per¬ sönlichen Gott vor, was Hegel gar nicht eingefallen ist. Die Realität a der Idee ist bei Hegel nichts anderes als — Natur und Geist. Darum hat Hegel das Absolute auch nicht zweimal. Am Ende der Logik ist die Idee als ideal-real, aber eben darum ist sie ja sogleich Natur. Ist sie bloß als Idee ausgesprochen, so ist sie nur ideal, nur logisch existierend. Das ideal-reale, in sich vollendete Absolute 10 ist eben nur die Einheit von Natur und Geist in der Idee. Schelling aber faßt das Absolute immer noch als absolutes Subjekt, denn, ob es vom Inhalt der Objektivität erfüllt ist, bleibt es doch noch Subjekt, ohne Objekt zu werden, d. h. ihm ist das Absolute nur in der Vorstellung des persönlichen Gottes real. Er lasse diesen doch is aus dem Spiel und halte sich an die reine Gedankenbestimmung, in der es sich nicht um Persönlichkeit handelt. So ist das Absolute nicht real außer Natur und Geist. Wäre es das, so wären diese beiden ja überflüssig. Handelte es sich also in der Logik um die idealen Bestimmungen der Idee als realer in Natur und Geist, so 20 handelt es sich nun um diese Realität selbst, um den Nachweis dieser Bestimmungen in der Existenz, welcher die letzte Probe und zugleich die höchste Stufe der Philosophie ist. So ist aus der Logik allerdings ein Fortschritt nicht nur möglich, sondern notwendig, und eben dieser Fortschritt kehrt im selbstbewußten, unendlichen 25 Geist zur Idee zurück. So zeigt sich die Nichtigkeit der Schelling¬ schen Behauptungen : Hegel erkläre die Natur für unlogisch (wo¬ für übrigens Schelling einmal die ganze Welt erklärt), seine Logik, die notwendige, selbsttätige Entwicklung des Gedankens, sei „sub¬ jektive Wissenschaft, und die objektive Logik könne gar nicht statt- 30 finden, da dies die Naturphilosophie sei und diese aus der Logik geworfen66. Als ob die Objektivität der Wissenschaft darin be¬ stände, daß sie ein äußerliches Objekt als solches betrachtet! Nennt Schelling die Logik subjektiv, so ist kein Grund vorhanden, die Naturphilosophie auch für subjektiv zu erklären, denn dasselbe 35 Subjekt, das hier denkt, denkt auch da, und auf den betrachteten Inhalt kommt es ja nicht an. Hegels objektive Logik aber entwickelt nicht, sie läßt die Gedanken sich selbst entwickeln, und das denkende Subjekt ist als bloßer Zuschauer rein zufällig. Hierauf knüpft Schelling, zur Geistesphilosophie übergehend, 40 an die Äußerungen an, in denen die Philosophie Hegels mit seinen persönlichen Neigungen und Vorurteilen im Kampfe liegt. Die religionsphilosophische Seite des Hegelschen Systems gibt ihm An¬ laß, Widersprüche zwischen Prämissen und Folgerung aufzuzeigen, die längst von der junghegelschen Schule aufgedeckt und an- 45
Schelling und die Offenbarung 205 erkannt worden sind. So sagt er ganz richtig: So will diese Philo¬ sophie christlich sein, wozu sie doch nichts zwingt; bliebe sie auf dem ersten Stand der Vemunftwissenschaft stehen, so hätte sie ihre Wahrheit in sich selbst. — Er schließt seine Bemerkungen dann 5 mit der Anerkennung des Hegelschen Ausspruchs, daß die letzten Formen der Erringung des Absoluten Kunst, Religion und Philo¬ sophie seien. Nur müsse, und dies gilt ihm für den dialektischen Punkt dieses Ausspruchs, da Kunst und Religion über die reine Vemunftwissenschaft hinausgingen, diese Philosophie dies auch 10 tun und eine zweite, eine von der bisherigen verschiedene sein. Aber wo sagt denn Hegel dies? Am Ende der Phänomenologie, wo er die ganze Logik als zweite Philosophie vor sich hat. Die Phäno¬ menologie war aber — hier tritt gerade das Gegenteil der Schel- lingschen Auffassung hervor — nicht reine Vemunftwissenschaft, 15 sondern grade erst der Weg zu ihr, die Erhebung des Empirischen, des sinnlichen Bewußtseins auf den Standpunkt der reinen Ver¬ nunftwissenschaf t. Nicht das logische, sondern das phänomenolo¬ gische Bewußtsein findet diese drei als letzte „Möglichkeiten, sich der Existenz des absolut Überseienden zu versichern66, vor sich. 20 Das logische, freie Bewußtsein sieht ganz andre Dinge, um die wir uns vorläufig indes noch nicht zu bekümmern haben, es h a t das Absolute schon in sich. So wäre der schwere Schritt getan, der Abfall von der reinen Vernunft offen ausgesprochen. Schelling ist seit den Scholastikern 25 der erste, der diesen Schritt wagt; denn Jacobi und seinesgleichen zählen nicht, weil sie nur einzelne Seiten ihrer Zeit, nie ihre Ganz¬ heit vertraten. Zum ersten Male seit fünfhundert Jahren tritt ein Heros der Wissenschaft auf und erklärt diese für die Magd des Glaubens. Er hat es getan — die Folgen fallen auf ihn. Uns 30 kann es nur freuen, daß der Mann, der ein Träger seiner Zeit war wie keiner, in dem sein Jahrhundert zum Selbstbewußtsein kam, daß dieser Mann auch von Schelling für die höchste Blüte der Ver¬ nunftwissenschaft erklärt wird. Wer an die Allmacht der Vernunft glaubt, nehme sich dies Zeugnis eines Feindes zu Herzen. 35 Schelling schildert die positive Philosophie folgendermaßen: Sie ist von der negativen ganz unabhängig und kann nicht mit dem Ende dieser als einem Existierenden anfangen, sondern muß die Existenz erst selbst erweisen. Das Ende der negativen ist in der positiven nicht Prinzip, sondern Aufgabe; der Anfang der posi- 40 tiven ist durch sich selber absolut. Die Einheit beider ist nie vor¬ handen gewesen und war weder durch Unterdrückung einer, noch durch Vermischung beider zu erlangen. Es läßt sich nachweisen, daß beide von jeher im Widerstreite mit einander waren. (Hier folgt der Versuch eines solchen Nachweises von Sokrates bis zu 45 Kant, in welchem Empirismus und Apriorismus wieder scharf ge¬
206 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete trennt seien. Wir müssen diesen übergehen, da er ganz ohne alle Resultate bleibt.) Nun ist die positive Philosophie aber nicht reiner Empirismus, am wenigsten aber solcher, der sich auf innere, mystisch-theosophische Erfahrung basiert, sondern sie hat ihr Prin¬ zip in dem, was weder im bloßen Denken ist, noch in der Erfah- 5 rung vorkommt, also im absolut Transzendenten, was über alle Er¬ fahrung und alles Denken hinausgeht und beiden zuvorkommt. Da¬ her muß der Anfang nicht relatives Prius sein wie im reinen Den¬ ken, wo die Potenz den Übergang vor sich hat, sondern absolutes Prius, so daß nicht vom Begriff zum Sein, sondern vom Sein zum 10 Begriffe fortgeschritten wird. Dieser Übergang ist nicht notwendig wie der erste, sondern Folge einer freien, das Sein überwindenden Tat, die a posteriori durch die Empirie erwiesen wird. Denn wenn es der negativen Philosophie, die auf logischer Konsequenz beruht, gleichgültig sein kann, ob es eine Welt gibt, und ob diese mit ihrer 15 Konstruktion übereinstimmt, so schreitet die positive durch freies Denken fort und muß so ihre Bestätigung in der Erfahrung haben, mit der sie gleichen Schritt zu halten hat. Ist die negative Philo¬ sophie reiner Apriorismus, so ist die positive apriorischer Empiris¬ mus. Weil in ihr ein freies, d. h. wollendes Denken vorausgesetzt 20 wird, so sind ihre Beweise auch nur für die Wollenden und „Klugen“; man muß sie nicht nur verstehen, sondern ihre Kraft auch fühlen wollen. Befindet sich unter den Erfahnmgsgegen- ständen etwa auch die Offenbarung, so gehört sie dieser ebenso zu wie der Natur und Menschheit, und hat daher für diese keine 25 andere Autorität wie für alles übrige; wie z. B. für die Astronomie die Planetenbewegungen allerdings Autoritäten sind, mit denen die Berechnungen übereinzustimmen haben. Sagt man, die Philosophie wäre ohne die vorhergegangene Offenbarung nicht zu diesem Re¬ sultate gekommen, so hat dies allerdings in etwas seine Richtig- 30 keit, aber jetzt kann die Philosophie es auch allein; wie es Leute gibt, die kleine Fixsterne, nachdem sie sie einmal durch das Teleskop erkannt haben, nachher auch mit bloßen Augen entdecken können und somit nicht mehr vom Teleskop abhängig sind. Die Philosophie muß das Christentum, das ebenso gut Realität ist wie 35 Natur und Geist, in sich aufnehmen, aber nicht allein eine Offen¬ barung, sondern die innere Notwendigkeit der bloß logischen Phi¬ losophie zwingt diese, über sich selbst hinauszugehen. Die negative bringt alles zur bloßen Erkennbarkeit und gibt es dann an die andern Wissenschaften ab, nur das Eine Letzte kann sie nicht dahin 40 bringen, und doch ist dies das am meisten Erkennenswerte; dies also muß sie in einer neuen Philosophie wieder aufnehmen, die die Aufgabe hat, eben diesLetzte als Existierendes zu erweisen. So wird die negative erst Philosophie in Beziehung auf die positive. Wäre die negative allein, so hätte sie kein reales Resultat, und die Ver- 45
Schelling und die Offenbarung 207 nunft wäre nichtig, in der positiven triumphiert sie; in ihr wird die in der negativen gebeugte Vernunft wieder aufgerichtet. Ich brauche zur Erläuterung dieser Schellingschen Sätze wohl nichts zu sagen, sie erklären sich von selbst. Aber vergleichen wir 5 sie mit den Versprechungen, die Schelling am Anfänge gab, welch’ ein Abstand zeigt sich da! Die Philosophie sollte revolutioniert werden, eine Lehre sollte sich entwickeln, die der Negation der letzten Jahre ein Ende machen werde, die Versöhnung von Glauben und Wissen war im Anzuge, und was kommt endlich heraus? Eine 10 Lehre, die weder in sich selbst, noch in etwas Anderem, Erwiesenem, ihren Grund hat. Hier stützt sie sich auf ein von aller logischen Notwendigkeit befreites, d. h. willkürliches, nichtiges Denken, und dort auf das, dessen Realität eben in Frage gestellt, dessen Behaup¬ tungen eben bestritten werden, auf die Offenbarung. Eine naive 15 Forderung, daß man, um sich vom Zweifel zu kurieren, eben den Zweifel wegwerfen soll! „Ja, wenn ihr nicht glaubt, so kann euch nicht geholfen werden!66 Was wollte denn Schelling hier in Berlin? Er hätte statt seines positiven Schatzes eine Widerlegung von Strauß’ „Leben Jesu66, von Feuerbachs „Wesen des Christentums66 2o usw. mitbringen sollen, da hätte er noch Geschäfte machen können; aber so bleiben die Hegelianer lieber in der bekannten „Sackgasse66 stecken, als daß sie sich ihm „auf Gnade und Ungnade über¬ geben66 ; und die positiven Theologen werden auch lieber wie bis¬ her aus der Offenbarung heraus als in sie hinein arbeiten. Hierzu 25 paßt denn auch das seit Neujahr täglich wiederholte Geständnis, er wolle keinen Beweis des Christentums, auch keine spekulative Dogmatik, sondern nur einen Beitrag zur Erklärung des Christen¬ tums geben. Mit der Notwendigkeit der negativen Philosophie, über sich selbst hinauszugehen, ist es auch nicht weit her, wie wir so gesehen haben. Führt die Voraussetzung des Übergangs a potentia ad actum notwendig auf den nur von dieser Voraussetzung ab¬ hängigen logischen Gott, so führt der durch die Erfahrung be¬ wiesene wirkliche Übergang auch auf den wirklichen Gott, und die positive Wissenschaft ist überflüssig. 35 Den Übergang zur positiven Philosophie nimmt Schelling vom ontologischen Beweise für das Dasein Gottes. Gott kann nicht zu¬ fällig existieren, also „wenn er existiert66, existiert er not¬ wendig. Dieser Zwischensatz in die Lücke des Schlusses ist ganz richtig. So kann Gott nur das an und vor sich selbst (nicht für 4o sich; — Schelling ist so erbost auf Hegel, daß er selbst seine Aus¬ drücke als sprachwidrig tadeln und verbessern zu müssen glaubt) Seiende sein, d. h. er existiert vor sich selbst, vor seiner Gottheit. So ist er das geradezu vor allem Denken Blindseiende. Da es nun aber zweifelhaft ist, ob er existiert, so müssen wir vom Blind- 45 seienden ausgehen und sehen, ob wir vielleicht von da zum Be¬
208 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete griffe Gottes gelangen können. Wenn also in der negativen Philo¬ sophie das allem Sein zuvorkommende Denken, so ist in der posi¬ tiven das allem Denken zuvorkommende Sein Prinzip. Dieses blinde Sein ist das notwendige Sein; Gott ist aber nicht dies, son¬ dern das notwendig „Notwendigseiende66; das notwendige Sein ist 5 allein das Seinkönnen des höchsten Wesens. Dies Blindseiende ist nun das, was keiner Begründung bedarf, weil es allem Denken zuvorkommt. So fängt die positive Philosophie mit dem ganz Be¬ grifflosen an, um es a posteriori, als Gott, begreiflich und zum immanenten Inhalt der Vernunft zu machen. Diese ist hier erst 10 frei und dem notwendigen Denken entkommen. Dieses „Blindseiende66 ist die Hyle, die ewige Materie früherer Philosophie. Daß diese sich zu Gott entwickelt, ist wenigstens neu. Bisher war sie immer das Gott entgegengesetzte, dualistische Prin¬ zip. Doch sehen wir weiter den Inhalt der positiven Philosophie an. 15 Dieses Blindseiende, das auch das „unvordenkliche Sein66 ge¬ nannt werden kann, ist purus actus der Existenz und die Identität von Wesen und Sein (was von Gott als Aseität ausgesagt wird). Dies aber scheint nicht als Basis eines Prozesses dienen zu können, da ihm alle bewegende Kraft fehlt, und diese nur in der Potenz 20 liegt. Aber warum sollte dem actus purus die Möglichkeit abge¬ schnitten sein, hintennach auch Potenz werden zu können ; die Kon¬ sequenz, daß das Seinseiende nicht auch post actum das Sein- könnende sei, ist nicht da. Dem unvordenklichen Sein kann sich — dem steht nichts entgegen — nach der Hand die Möglichkeit 25 darstellen, ein zweites Sein aus sich hervorgehen zu lassen. Hier¬ durch wird das blinde Sein Potenz, denn es bekommt etwas, das es wollen kann und wird so Herr seines eigenen blinden Seins. Ent¬ läßt es dies zweite Sein, so ist das erste blinde Sein nur potentia actus purus, und somit sich selbst besitzendes Sein (doch ist dies 30 alles erst Hypothese, die sich durch den Erfolg zu beweisen hat), es wird durch Unterscheidung von jenem erst seiner selbst bewußt als des seiner Natur nach notwendigen; das blinde Sein erscheint als zufällig, weil nicht vorhergesehen, und hat sich so durch Über¬ windung seines Gegenteils als notwendig zu erweisen. Dies ist der 35 letzte Grund des ihm entgegentretenden Seins und somit der letzte Grund der Welt. Das Gesetz, daß alles klar werde und nichts ver¬ borgen bleibe, ist das höchste Gesetz alles Seins, zwar kein Gesetz, das über Gott steht, sondern ein solches, daä ihn erst in Freiheit setzt, also schon selbst ein göttliches. Dieses große Weltgesetz, diese 40 Weltdialektik will eben nicht, daß etwas Unentschiedenes sei. Nur sie kann die großen Rätsel lösen. Ja, Gott ist so gerecht, daß er jenes entgegengesetzte Prinzip anerkennt bis zum Ende, und bis aller Widerspruch erschöpft ist. Alles unfreiwillige, unvordenk¬ liche Sein ist unfrei ; der wahre Gott ist der lebendige, der etwas 45
Schelling und die Offenbarung 209 anderes als das Unvordenkliche werden kann. Sonst ist entweder mit Spinoza anzunehmen, daß alles aus der göttlichen Natur not¬ wendig, ohne sein Zutun, emaniere (schlechter Pantheismus), oder daß der Begriff der Schöpfung ein für die Vernunft unfaßbarer 0 sei (schaler Theismus, der den Pantheismus nicht überwinden kann). So wird das unvordenkliche Sein Potenz des entgegen¬ gesetzten, und da ihm die Px>tentialität etwas Unleidliches ist, so wird es notwendig wirken wollen, sich in den actus purus wieder¬ herzustellen. So muß das zweite Sein vom ersten wieder negiert 10 und in die Potenz zurückgeführt werden. So wird es nicht nur Herr der ersten Potenz, sondern auch der zweiten, sein Unvordenk¬ liches in ein Seiendes zu verwandeln und dadurch von sich weg¬ zubringen und so seine ganze Existenz aufzugeben. In dieser liegt auch sein bisher vom Sein verhülltes Wesen; das reine Sein, das 15 durch den Widerstand eine Potenz in sich bekommen hat, ist nun selbständig als Wesen. So ist dem Herm der ersten Möglichkeit auch die gegeben, sich als sich selbst zu zeigen, als vom not¬ wendigen Sein frei, als Geist sich zu setzen; denn Geist ist, was frei ist, zu wirken und nicht zu wirken, was im Sein seiner mächtig 2o ist und auch seiend bleibt, wenn es sich nicht äußert. Dies ist aber nicht das unmittelbar Seinkönnende, noch auch das Sein- müssende, sondern das Seinkönnend-Seinmüssende. Diese drei Momente erscheinen dem unvordenklichen Sein als eigentlich Seinsollende, so daß außer diesen drei Momenten 25 es nichts andres gibt und alles Zukünftige ausgeschlossen ist. Der Gedankengang in der positiven Philosophie ist, wie wir sehen, sehr „frei66. Schelling hat es hier kein Hehl, daß er bloße Hypothesen macht, die sich erst durch den Erfolg, d. h. durch Übereinstimmung mit der Offenbarung, als richtig zu erweisen so haben. Eine Folge dieses freien, wollenden Denkens ist, daß er das „unvordenkliche Sein66 gerade so sich benehmen läßt, als wäre es bereits das, was erst daraus entwickelt werden soll, nämlich Gott. Das unvordenkliche Sein kann ja noch gar nicht sehen, wollen, ent¬ lassen, zurückführen. Es ist nichts als eine kahle Abstraktion von 35 der Materie, die gerade von allem Persönlichen, Selbstbewußten am weitesten entfernt ist. Es ist durch keine Entwicklung möglich, in diese starre Kategorie Selbstbewußtsein zu bringen, es sei denn, daß sie als Materie gefaßt werde und durch die Natur zum Geist sich entwickle, wie das „schrankenlose Sein66 in der negativen, das 40 von diesem nur durch die nichtige Bestimmung der Unvordenklich- keit unterschieden ist. Diese Unvordenklichkeit kann nur zum Ma¬ terialismus und höchstens zum Pantheismus führen, aber nie zum Monotheismus. Das Wort Cuviers bewährt sich auch hier: „Schel¬ ling setzt Metaphern an die Stelle der Beweisgründe und verändert, 45 statt Begriffe zu entwickeln, Bilder und Allegorien nach Bedürf- Marx-Engels-Cesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 14
210 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete nis“. Zudem sind Entwicklungen, in denen jeder Fortschritt durch: es ist kein Grund vorhanden, daß dies nicht geschehe, die logische Konsequenz fehlt, warum dies nicht möglich sein sollte, usw., zu¬ rückgewiesen wird, wenigstens bis jetzt in der Philosophie nicht da¬ gewesen. Auf diese Weise läßt sich auch die chinesische und ota- 5 heitische Religion aus dem „unvordenklichen Sein66 entwickeln, und auch sie bewährt sich dadurch, daß sie ein Faktum ist, so gut wie das Christentum. Was aber das neuentdeckte Weltgesetz, daß alles klar werde, betrifft, so läßt sich nicht leugnen, daß hier wenigstens sehr wenig klar wird und sehr viel verborgen bleibt. 10 Man sieht hier nur die Klarheit des Gedankens in den finstern Ab¬ grund der Phantasterei versinken. Soll jenes Gesetz aber heißen, daß alles wegen seiner Existenz sich vor der Vernunft zu recht¬ fertigen habe, so ist dies wieder einer der Grundgedanken Hegels und noch dazu von Schelling selbst nicht angewandt. Den Schluß 15 der obigen Darlegung mit seinem Können, Müssen, Sollen dahin zu bringen, daß alles klar werde, wird man wohl noch eine Zeit- lang vergeblich sich bemühen. In welchem Verhältnis, fragt sich vor allem, stehen diese drei positiven Potenzen zu den drei nega¬ tiven? Es wird nur das klar, daß sie jedenfalls zwar sein sollende, 20 aber nicht seinkönnend-seinmüssende Möglichkeiten sind. Dieser „eingreifendsten66 Dialektik, behauptet Schelling, sei es allein möglich, von dem actu Notwendigexistierenden des Spinoza zum natura sua Notwendigseienden zu gelangen. Denn nur dies habe er wollen können, da er nicht die Existenz des Göttlichen, 23 sondern nur die Gottheit des Existierenden beweisen wolle (gerade dasselbe tut die junghegelsche Philosophie auch), nämlich die Gottheit des actu ewig, von selbst Seienden. Wer aber beweist uns denn, daß etwas von Ewigkeit existiert? Das actu von selbst Seiende kann nur auf die Ewigkeit der Materie führen, sobald man 30 logisch schließt. Unlogische Schlüsse gelten aber nicht, ob die Offenbarung auch dazu Ja sagt. „Wollte man einer schwachen Dialektik zufolge sagen: Gott nimmt die Potenz des entgegengesetz¬ ten Seins nur an, um die blinde Affirmation seiner Existenz in eine durch Negation vermittelte zu verwandeln, so fragt sich, warum 35 er dies tut? Nicht seiner selbst willen, denn er kennt seine Macht, nur für andre kann er das von ihm verschiedene Sein zum Gegen¬ stand des Wollens machen. In diesem Von-sich-wegsein liegt erst Gottes Wesen, seine Seligkeit, alle seine Gedanken sind nur außer ihm, in der Schöpfung. So ist es freilich ein Prozeß der Suspension 40 und Wiederherstellung, aber dazwischen liegt die ganze Welt.66 Wie lächerlich macht sich hier der Hochmut, mit dem die kari¬ kierte, eingreifendste Dialektik auf ihr „schwaches66 Urbild herab¬ sieht! Sie hat dies nicht einmal soweit verstanden, daß sie es richtig darstellen kann. Selbst Hegel denkt nach Schelling in dieser vor- 45
Schelling und die Offenbarung 211 stellungsmäßigen Weise; Schelling läßt ihn etwa so deduzieren: Hier ist Gott. Dieser schafft die Welt. Sie negiert ihn. Weshalb, weil sie böse ist? Gott bewahre, bloß weil sie da ist. Sie nimmt allen Raum für sich, und Gott, der nicht weiß, wohin, sieht sich 0 genötigt sie wieder zu negieren. Da müßte er sie freilich vernichten. Die Tiefe aber, nach der die Negation notwendig aus dem erst Ansichseienden hervorgeht, als Entfaltung des innersten Wesens, als die Erweckerin des Bewußtseins, bis sie in ihrer höchsten Tätig¬ keit sich aus sich selbst wieder negieren muß und das Entwickelte, 10 Beisichbleibende, Freie als Produkt hervorgehen läßt, von der kann Schelling keine Ahnung haben, denn sein Gott ist frei, d. h. willkürlich handelnd. Gott oder das unvordenkliche Sein hat nun die Welt oder das konträre Sein gesetzt. Diese besteht eben nur im göttlichen Willen 15 und hängt von ihm ab. Sie behufs seiner Wiederherstellung mit einem Schlage zu vernichten, läßt seine Gerechtigkeit nicht zu, denn das Konträre hat nun gewissermaßen ein Recht, einen von Gott unabhängigen Willen. Darum wird es allmählich und nach einem die Stufen des Ganges bestimmenden Prinzip durch die 2o beiden letzten Potenzen zurückgeführt. War also die erste Potenz die veranlassende Ursache der ganzen Bewegung und des konträren Seins, so war die zweite die ex actu gesetzte, die sich in der Über¬ windung der ersten verwirklichende, die, auf das konträre Sein wirkend, dies der dritten Potenz unterwarf, sodaß das konträre 25 Sein als konkretes Ding zwischen die drei Potenzen trat. Diese er¬ weisen sich nun als: causa materialis, ex qua, causa efficiens, per quam, causa finalis, in quam (secundum quam) omnia filmt. Ist nun das unvordenkliche Sein Bedingung der Gottheit, so ist mit der Schöpfung Gott als solcher da, als Herr des Seins, in dessen so Macht es steht, jene Möglichkeiten als wirklich zu setzen oder nicht. Er bleibt außerhalb des ganzen Prozesses und geht über jene Trias der Ursachen als causa causarum hinaus. Um nun die Welt nicht als Emanation seines Wesens erscheinen zu lassen, stand es bei Gott, alle möglichen Stellungen der Potenzen gegen einander 35 zu versuchen, d.h. die zukünftige Welt wie in einem Ge¬ sicht an sich vorüber gehen zu lassen. Denn die bloße Allmacht und Allwissenheit vermittelt dies nicht allein, sondern dieWerke sind als Visionen des Schöpfers vorhanden. Daher wurde jene Urpotenz, die erste Veranlassung des konträren Seins, immer 40 besonders verherrlicht; sie ist die indische Maja (mit dem deut¬ schen „Macht66, Potenz, verwandt), die die Netze des bloß Er¬ scheinenden ausspannt, um den Schöpfer zur wirklichen Schöpfung zu bewegen, sowie die Fortuna primigenia zu Präneste. Ich setze kein Wort hinzu, um den mystischen Schmetterlings- 45 staub dieser Vision nicht zu verwischen. 14*
212 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Daß Gott nun wirklich schafft, läßt sich a priori nicht beweisen, es erklärt sich aus dem einzigen, bei Gott zulässigen Bedürfnis, er¬ kannt zu sein, das grade den edelsten Naturen am meisten eigen ist. Der Gott der Schöpfung ist nicht der schlechthin Einfache, sondern der in einer Mehrheit Einfache, und da diese Mehrheit 5 (jene Potenzen) eine in sich geschlossene ist, so ist der Schöpfer der A11 - E i n e, und dies ist Monotheismus. Weil er allem zuvor¬ kommt, so kann er nicht seinesgleichen haben, denn das potenzlose Sein kann überhaupt nicht ( ! ). Gott, von dem bloß nebenbei gesagt wird, er sei der Einzige, ist nur der Gott der Theisten; der 10 Monotheismus erfordert die Einzigkeit, ohne die Gott nicht Gott ist, während der Theismus bei der unendlichen Substanz stehen bleibt. Der Fortschritt von hier aus zu dem, der im Verhältnis zu den Dingen als Gott ist, ist der Pantheismus; in ihm sind die Dinge Bestimmungen Gottes. Erst der Monotheismus enthält Gott als is wirklichen Gott, als lebendigen, wo die Einheit der Substanz in der Potenz verschwunden ist, und eine übersubstantielle Einheit an ihre Stelle trat, sodaß Gott der unüberwindliche Eine gegen Drei ist. Obgleich mehrere, sind doch nicht mehrere Götter, sondern nur Ein Gott, nicht in der Gottheit mehrere. So sind Mono- 20 theismus und Pantheismus Fortschritte gegen den Theismus, der der letzte Ausdruck des Absoluten in der negativen Philosophie ist. Im Monotheismus ist der Übergang zum Christentum, denn die Alleinheit hat ihren bestimmten Ausdruck in der Dreieinigkeit. Man bemühe sich, diese Dreieinigkeit zu begreifen, wie man 25 will, es bleiben immer Drei gegen Einen, Einer gegen Drei. Ist Gott die Einheit von Dreien, so kann er dies nur als ein Vierter sein, oder es bleiben drei Götter. Ist bloß die Gottheit ihre Einheit, so ist ebensogut die Menschheit die Einheit aller Menschen, und man hat, wie Einen Gott, auch nur Einen Menschen. Die Vielen lassen 30 sich aber ebensowenig wie die Drei wegbringen, und es kommt nimmermehr aus drei Personen Eine heraus. Der alte Widerspruch der Dreieinigkeit liegt ganz offen da, und man erstaunt über die Kühnheit Schellings, zu behaupten, er sei gelöst. Daß die Dreiheit erst der wahre Ausdruck der Einheit sei, ist wieder aus Hegel ent- 33 nommen, aber wie gewöhnlich zur baren Inhaltslosigkeit verflacht. Bei Hegel bleibt die Dreiheit eine Stufenfolge von Entwicklungs¬ momenten des Gottes, wenn man einen solchen einmal bei ihm statuieren will. Hier aber sollen die drei Momente als Persön¬ lichkeiten neben einander stehen, und es ist originellerweise 40 behauptet, die wahre Persönlichkeit einer Person sei, daß sie drei Personen sei. Bis jetzt haben wir indes erst die Eine Person, den Vater. Denn wenn ein zuvor Seiendes ein zu ihm Gehöriges vor sich wegbringt, sodaß dies sich notwendig selbst verwirklicht, so heißt das mit 43
Schelling und die Offenbarung 213 Recht Zeugen. Ist nun in diesem Verwirklichungsprozeß das kon¬ träre Sein (B) wirklich überwunden, so ist auch die zweite Potenz Herr desselben wie die erste, und so die Gottheit des Sohnes gleich der des Vaters. So auch die dritte Potenz, die als das vom Sein 5 freie Wesen erst nach Besiegung des B wieder ins Sein kommen kann; dann aber mit jenen gleiche Herrlichkeit und Persönlichkeit hat und als Geist erscheint. So sind am Ende drei Persönlichkeiten, aber nicht drei Götter, weil das Sein Eines, also auch die Herrlich¬ keit darüber nur Eine ist (als ob die beiden spartanischen Könige, 10 weil ihre Herrschaft Eine war, je nur Ein König gewesen seien!). In den Potenzen, während sie in Spannung sind, sehen wir bloß die natürliche Seite des Prozesses („Spannung“ scheint der Prozeß der negativen Philosophie zu sein) als die Entstehung der Welt; mit den Personen eröffnet sich erst die Welt des Göttlichen, 15 und die göttliche Bedeutung jenes Prozesses, daß das Sein, ur¬ sprünglich als Möglichkeit beim Vater, dem Sohne gegeben und von diesem dem Vater als Überwundenes zurückgegeben wird. Außer dem Sohne ist es auch dem Geiste gegeben von Vater und Sohn, und er hat nur das beiden gemeinschaftliche Sein. Durch 2o die ganze Natur geht die Spannung der Potenzen, und jedes Ding hat ein gewisses Verhältnis derselben. Jedes Entstehende ist ein Viertes zwischen den Potenzen, der Mensch aber, in dem sich die Spannung völlig löst, hat schon ein Verhältnis zu den Persön¬ lichkeiten als solchen, denn in ihm drückt sich jener letzte 25 Moment der Verwirklichung aus, in dem die Potenzen zu wirk¬ lichen Persönlichkeiten werden. Dieser Prozeß ist also für die Dinge Schöpfungs-, für die Persönlichkeiten theogonischer Prozeß. So hat uns denn Schelling den persönlichen nicht nur, sondern auch den dreieinigen Gott, Vater, Sohn und Geist, welcher letztere so freilich nur mit Mühe untergebracht wurde, sodann die willkürlich geschaffene, von Willkür abhängige, also hohle und nichtige Welt aus dem Abgrunde des unvordenklichen Seins ans Tageslicht ge¬ zaubert und hat so die Basis des Christentums. Die Inkonsequenzen, Willkürlichkeiten, kecken Behauptungen, Lücken, Sprünge, Sup- 35 Positionen, Verwirrungen, die sich Schelling hier zuschulden kom¬ men läßt, einzeln aufzuzeigen, kann meine Absicht nicht sein ; war es schon im notwendigen Denken so arg damit, so durfte man im freien auf eine noch größere Verwirrung von Scholastik und Mystik — das ist das Wesen des Neuschellingianismus — rechnen. 40 Weder kann der Leser solche übermenschliche Geduld von mir, noch ich von ihm solches Interesse an der Sache verlangen. Zu¬ dem, was auf der Hand liegt, braucht nicht erst auf gedeckt zu werden. Nur im allgemeinen den Gedankengang zu verfolgen, nur aufzuweisen, wie zwischen Hegel und Schelling gerade das Umge- 45 kehrte von dem stattfindet, was Schelling behauptet, ist mein
214 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Zweck. Jetzt, auf christlichem Boden, können wir die Tatsachen noch mehr sprechen lassen. Zunächst erklärt Schelling seine Un¬ fähigkeit, die Welt zu begreifen, in so fern, als er das Böse nicht begreifen kann. Der Mensch habe in Gott bleiben können und auch nicht, daß er es nicht getan habe, sei freier Wille von seiner Seite 5 gewesen. Er habe sich dadurch an Gottes Statt gesetzt und da, wo alles geordnet schien, alles nochmals aufs Spiel gesetzt. Die Welt sei, von Gott getrennt, der Äußerlichkeit preisgegeben worden, das Moment habe seine Stellung als solches verloren. Der Vater sei „gleichsam“ aus seiner Stelle verdrängt (später wird das Gleich- io sam ausgelassen). Noch immer sei aber die christliche Dreieinigkeit nicht da, der eigne, vom Vater unabhängige Wille des Sohns noch nicht ausge¬ sprochen. Jetzt aber tritt am Ende der Schöpfung etwas Neues ein, das im Menschen sich selbst besitzende B. In seiner Wahl liegt es, k mit Gott eins zu sein oder nicht. Er will nicht und drängt da¬ durch die höhere Potenz in die Potentialität zurück, die nun erst, durch den Willen des Menschen vom Vater getrennt, ebensosehr des Menschen Sohn wie Gottes Sohn ist (dies die Bedeutung des neutestamentlichen Ausdrucks) und ein göttlich-außergött- 20 liches Sein hat. Jetzt kann sie dem Sein in die Außergöttlichkeit folgen und es zu Gott zurückführen. Der Vater ist der Welt nun abgewandt und wirkt in ihr nicht mehr mit seinem Willen, sondern mit seinem Unwillen (dies die wahre Bedeutung des Zornes Gottes). So hat der Vater auch nicht die böse Welt vernichtet, son- 25 dem im Hinblick auf den Sohn erhalten, wie geschrieben steht. In ihm, d. h. im Hinblick auf ihn, sind alle Dinge gemacht. So haben wir hier zwei Zeiten, den Aeon des Vaters, wo das Sein (die Welt) noch als Potenz im Vater lag und der Sohn noch nicht selbständig war, und den Aeon des Sohns, die Zeit der Welt, deren Geschichte 30 die des Sohns ist. Diese Zeit hat wieder zwei Abschnitte; im ersten ist der Mensch ganz in der Gewalt des konträren Seins, des B, der kosmischen Potenzen. Hier ist der Sohn im Stande der Negation, des tiefsten Leidens, der Passivität, vom Sein (d. h. von der Welt) vorerst ausgeschlossen, unfrei, außer dem menschlichen Bewußt- 35 sein. Zur Eroberung des Seins kann sie nur auf natürliche Weise wirken. Dies ist die Zeit des alten Bundes, wo der Sohn nicht seinem Willen, sondern seiner Natur nach die Herrschaft des Seins anstrebt. Diese Bedeutung jener Zeit fehlte bisher in der Wissen¬ schaft, dies hatte noch niemand. Es ist aufs bestimmteste im Alten Testamente angedeutet, namentlich im 53. Kapitel des Jesaias, wo von einem gegenwärtigen Leiden des Messias die Rede ist. Erst mit der Erstarkung der zweiten Potenz, mit der errungenen Herrschaft über das Sein beginnt die zweite Zeit, wo sie frei und mit Willen handelt. Dies ist die Zeit ihres Erscheinens in Christo, 45
Schelling und die Offenbarung 215 die der Offenbarung. Dies ist der Schlüssel des Christentums, mit diesem Ariadnefaden ist es möglich, „sich durch das Labyrinth meiner Gedankenwege zu finden“. — Durch die Empörung des Menschen werden die durch Überwindung des B in der Schöpfung 5 entstandenen Persönlichkeiten wieder zu bloßen Möglichkeiten, in die Potentialität zurückgedrängt und vom Bewußtsein ausgeschlos¬ sen, außergöttlich gesetzt. Hier ist nun die Ursache eines neuen Prozesses, der im Bewußtsein des Menschen vor sich geht, und von dem die Gottheit ausgeschlossen ist, denn in ihrer Spannung sind 10 die Potenzen außergöttlich. Dieser Prozeß der Unterwerfung des Bewußtseins unter die Herrschaft der Potenzen ist im Heidentum als mythologische Entwicklung vor sich gegangen. Die tiefere ge¬ schichtliche Voraussetzung der Offenbarung ist die Mythologie. Wir haben nun in der Philosophie der Mythologie die einzelnen in Potenzen im mythologischen Bewußtsein nachzuweisen, und das Bewußtsein darüber in den griechischen Mysterien. Es fragt sich, ob der hier von Schelling behauptete Einfluß des Menschen auf die Selbstentwicklung Gottes — denn nur so kann dies genannt werden — christlich ist? Der christliche Gott aber ist 2o ein von Ewigkeit fertiger, dessen Ruhe selbst durch das temporäre Erdenleben des Sohns keine Veränderung erleidet. Überhaupt endigt die Schöpfung nach Schelling auf eine schmähliche Weise. Das Kartenhaus der „Mittelpotenzen, der relativ Seienden und Seinkönnenden“, ist kaum auf gebaut, die drei Potenzen stehen auf 25 dem Punkte, Persönlichkeiten zu werden — da macht der dumme Mensch einen leichtsinnigen Streich, und die ganze künstliche Ar¬ chitektonik stürzt über einander, und die Potenzen bleiben Potenzen wie bisher. Es ist gerade wie in dem Märchen, wo ein Schatz, von hellglänzenden Geistergestalten umgeben, aus der Tiefe beschworen 3o wird ; schon am Rande des Abgrundes schwebt das Ersehnte empor — da wird ein unbesonnenes Wort gesprochen, die Gestalten zer¬ rinnen, der Schatz sinkt hinab und für immer schließt ihn die Tiefe ein. Der Schellingsche Gott hätte seine Sache auch etwas klüger machen können, da hätte er sich viele Mühe und uns die Philo- 35 Sophie der Offenbarung erspart. Die Blüte der Schellingschen Mystik entwickelt sich aber hier in dem Leidenszustande des Sohns. Dieses dunkle, geheimnisvolle Verhältnis göttlicher Außergöttlich¬ keit, bewußter Bewußtlosigkeit, tätiger Untätigkeit, willenlosen Willens, diese Überstürzung sich drängender Widersprüche ist für 4o Schelling allerdings eine unschätzbare Fundgrube von Konsequen¬ zen, denn daraus läßt sich alles ableiten. Noch unklarer ist das Verhältnis dieser Potenz zum Bewußtsein des Menschen. Hier wir¬ ken alle Potenzen als kosmische, natürliche, aber wie? Was sind kosmische Potenzen? Kein einziger Schüler Schellings, er selbst 45 nicht, kann hierauf eine vernünftige Antwort geben. Es ist dies
216 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete eben wieder eine der verworrenen, mystischen Denkbestimmungen, zu denen er seine Zuflucht nehmen muß, um selbst „mit freiem, wollendem Denken“ zur Offenbarung zu gelangen. „Die mythologi¬ schen Vorstellungen lassen sich nicht anders erklären, denn als notwendiges Erzeugnis des in die Gewalt der kosmischen Potenzen 5 geratenen Bewußtseins.“ Die kosmischen Potenzen sind aber die in ihrer Spannung befindlichen göttlichen Potenzen, das Göttliche als Nichtgöttliches. Hierdurch soll denn auch der Bezug der Mytho¬ logie auf die Natur erklärt, hierdurch vollkommen neue Tatsachen und eine Ausfüllung des vorgeschichtlichen Zeitraums der Mensch- 10 heit, nämlich durch die „ungeheuren Erregungen des Gemüts bei Erzeugung der Göttervorstellungen“, gewonnen sein. Wir können uns die Darstellung der „Philosophie der Mytho¬ logie“ ersparen, da sie nicht unmittelbar in die Philosophie der Offenbarung gehört, und außerdem Schelling im nächsten Semester 15 sie ausführlicher vortragen wird. Dieser Teil der Vorlesungen war übrigens bei weitem der beste und enthält manches, das, wenn es von der mystischen, entstellenden Anschauungsweise befreit wird, auch der nicht verwerfen dürfte, der diese Phasen des Bewußtseins vom freien, reinmenschlichen Standpunkte betrachtet. Es fragt 20 sich nur, inwiefern eben dies Schellings Eigentum ist, und ob es überhaupt nicht von Stuhr herrührt. Das Verkehrte der Schelling- schen Darstellung liegt hauptsächlich darin, daß er den mytho¬ logischen Prozeß nicht als freie Selbstentwicklung des Bewußt¬ seins innerhalb der weltgeschichtlichen Notwendigkeit faßt, son- 25 dem immer übermenschliche Prinzipien und Kräfte wirken läßt, und zwar auf die verworrenste Weise, so daß diese Potenzen zu¬ gleich die „Substanz des Bewußtseins“ und doch wieder etwas mehr sind. Zu solchen Mitteln muß man sich freilich entschließen, wenn einmal absolut übermenschliche Einflüsse statuiert werden. 30 So gebe ich Schelling seine Hauptresultate der Mythologie in Be¬ ziehung aufs Christentum gern zu, nur in andrer Weise, indem ich beide Erscheinungen nicht als dem Bewußtsein von außen her bei¬ gebracht, übernatürlich, sondern als innerste Produkte des Be¬ wußtseins, als rein menschlich und natürlich fasse. 35 Wir kommen also jetzt endlich bei der durch die Mythologie vorbereiteten Offenbarung an. Diese ist das ganze Christentum. Darum hat die Philosophie derselben sich nicht um Dogmatik usw. zu bekümmern; sie will selbst keine Lehre auf stellen, sondern nur das historische Faktum des Christentums erklären. Wir werden in- 40 des sehen, wie allmählich die ganze Dogmatik herauskommt. Wir werden sehen, wie Schelling „das Christentum nur als Tatsache, wie das Heidentum auch“, betrachtet. Die Tatsachen des Heiden¬ tums nahm er nicht, wie sie sich gaben, als wahr, z. B. Dionysos nicht als wirklichen Gott; die des Christentums dagegen sind ihm 45
Schelling und die Offenbarung 217 absolut, wenn Christus sich für den Messias erklärt, wenn Paulus dies oder jenes behauptet, so glaubt ihm Schelling unbedingt. Die mythologischen Tatsachen erklärte Schelling, wenigstens auf seine Weise, die des Christentums behauptet er. Und bei alledem 5 schmeichelt er sich, „die Liebe der Jugend durch seine Geradheit und Offenheit erworben zu haben, und nicht nur die Liebe, sondern auch die Begeisterung“. Um nun die Offenbarung zu erklären, knüpft er an die Stelle Pauli im Philipperbriefe, Kap. 2, 6—8 an, die ich hier aus- io schreibe. „Christus, ob er wohl in göttlicher Gestalt war ( èv poQ(pfi &eov), hielt er es nicht für einen Raub (d^ay^a), Gott gleich sein, sondern äußerte (ènlvtoae) sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein andrer Mensch, an Geberden wie ein Mensch erfunden; er erniedrigte sich selbst und ward ge- is horsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“ Ohne mich in die weitläuftigen exegetischen Untersuchungen ein¬ zulassen, mit denen Schelling seine philosophische Erklärung be¬ gleitete, will ich hier bloß die von Paulus erzählte Tatsache in Schellingscher Weise erzählen. Christus war in seinem Leidens- 2o zustande allmählich Herr des Bewußtseins geworden durch den mythologischen Prozeß. Unabhängig vom Vater, besaß er eine eigne Welt und konnte mit ihr schalten wie er wollte. Er war der Gott der Welt, aber nicht der absolute Gott. Er konnte in diesem außergöttlich-göttlichen Zustande beharren. Dies nennt Paulus: in 26 göttlicher Gestalt, èv ^ogfprj ÿeov, sein. Aber er wollte dies nicht. Er wurde Mensch, entäußerte sich dieser seiner Herrlichkeit, um sie dem Vater zu übergeben und so die Welt mit Gott zu vereinigen. Hätte er dies nicht getan, so war für die Welt keine Möglichkeit mehr da, mit Gott sich zu vereinigen. Dies ist die wahre Bedeutung so des Gehorsams Christi. In diesem Sinne ist auch die Versuchungs¬ geschichte zu erklären. Der Widersacher, das blinde kosmische Prinzip, ist so weit gebracht, daß er Christo sein Reich anbietet, wenn er ihn anbeten, d. h. selbst kosmische Potenz, èv poQtpfi êeov, bleiben wolle. Christus aber schlägt diese Möglichkeit aus und 36 unterwirft sein Sein dem Vater, indem er es zum kreatürlichen macht und Mensch wird. „Gott behüte mich, daß ich philosophische Lehren als christlich deduziere, von denen das Christentum nichts weiß“, schloß Schel¬ ling diese Deduktion. Über die Christlichkeit dieser Lehren zu io streiten wäre Luxus, denn wäre diese auch erwiesen, so wäre ja damit für Schelling noch nichts gewonnen. Meiner Ansicht nach widerstreiten sie aber der ganzen Grundanschauungsweise des Christentums. Es ist keine Kunst, aus einzelnen Bibelstellen das Abnormste zu beweisen, aber darauf kann es ja gar nicht an- 45 kommen. Das Christentum ist bald zweitausend Jahre alt und hat
218 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Zeit genug gehabt, zu sich selbst zu kommen. Der Inhalt desselben ist in der Kirche ausgesprochen, und es ist unmöglich, daß außer diesem noch verborgener positiver Gehalt von Bedeutung darin stecke, oder gar erst jetzt der wahre Sinn verstanden wäre. Ohne¬ hin käme dieser jetzt zu spät. Doch abgesehen davon, liegt auch noch 5 Erbauliches genug in der obigen Erklärung. War es eine freie Tat von Christus, daß er sich dem Vater unterwarf? Unmöglich, es war Naturnotwendigkeit. Die Möglichkeit des Bösen ist in Christo doch nicht füglich zu statuieren, ohne seine Gottheit zu vernichten. Wer Böses tun kann, kann nie Gott werden. Wie kann man über- haupt Gott werden? Aber mm den Fall gesetzt, daß Christus die Welt für sich behalten hätte? Einen so widersinnigen, komi¬ schen Zustand kann man sich gar nicht vorstellen als den, der da herausgekommen wäre. Hier Christus mit seiner schönen Welt herr¬ lich und in Freuden lebend, die Blüte des Hellenismus im Himmel 15 und auf Erden, und dort einsam und kinderlos der alte Gott, der über den mißlungenen Streich gegen die Welt sich grämt. Das ist der Hauptfehler des Schellingschen Gottes, daß er mehr Glück als Verstand hat. Es ist noch alles gut gegangen, aber es hätte auch ganz anders ausfallen können. Überhaupt ist die Schellingsche 20 Gotteslehre durch und durch anthropopathisch. Hätte der Teufel das Reich der Welt Christo angeboten, ehe er Mensch wurde, so hatte er wenigstens Aussicht, ihn zu gewinnen, und wer weiß, was geschehen wäre ; als aber Christus Mensch geworden war, hatte er dadurch seine Unterwerfung unter Gott bereits angetreten, und alle 23 Hoffnung für den armen Teufel war vorbei. Außerdem — hatte Christus nicht bereits im mythologischen Prozesse sich die Herr¬ schaft der Welt errungen, was konnte ihm der Teufel also noch bieten? Hiermit ist die Hauptsache von dem gegeben, was Schelling zur m Erklärung des Christentums gesagt hat. Das übrige sind teils Belegstellen und ihre Exegese, teils Ausführungen in das Detail der Konsequenzen. Von diesen will ich die wichtigeren mitteilen. Nach der früher angeführten Lehre von der Sukzession der Po¬ tenzen in der Herrschaft über die Welt ist es erklärlich, wie jedes- & mal die herrschende Potenz Verkündigerin der folgenden ist. So prophezeit im Alten Testament der Vater den Sohn, im Neuen der Sohn den Geist. In den prophetischen Büchern kehrt sich dies um, und die dritte Potenz weissagt von der zweiten. Hier zeigt sich mm ein Fortrücken der Potenzen mit der Zeit, namentlich an dem & „Malach Jehova“, dem „Engel des Herm“, der zwar nicht die zweite Person unmittelbar, aber doch die zweite Potenz, die Ur¬ sache des Erscheinens der zweiten Potenz im B, ist. Er ist in ver¬ schiedenen Zeiten ein verschiedener, so daß an der Art seiner Er¬ scheinung das Alter der einzelnen Bücher zu erkennen ist, und so
Schelling und die Offenbarung 219 aus diesem Fortrücken der Potenzen „erstaunenswerte66 Resultate zu erreichen sind, die alles übertreffen, was die Kritik bisher getan. Diese Bestimmung ist „der Schlüssel des Alten Testaments, aus dem die Realität der alttestamentlichen Vorstellungen in ihrer rela- 5 tiven Wahrheit zu erweisen ist66. Das Alte Testament hat seinen Grund und seine Voraussetzung mit dem Heidentum gemein. Daher das Heidnische so mancher mo¬ saischen Gebräuche. So ist die Beschneidung offenbar nur die mil¬ dere Form für die Entmannung, die im ältesten Heidentume eine 10 so große Rolle spielt und die Besiegung des ältesten Gottes, des Uranos, durch die folgende Stufe mimisch-symbolisch darstellt. So die Speiseverbote, die Einrichtung der Stiftshütte, die an ägyp¬ tische Heiligtümer erinnert wie die Bundeslade an die heilige Kiste der Phönizier und Ägypter. 15 Die Erscheinung Christi selbst ist nun keine zufällige, sondern eine vorherbestimmte. Das Römertum war die Auflösung der My¬ thologie, indem es, selbst kein neues Moment darbietend, alle reli¬ giösen Vorstellungen der Welt, bis zu den ältesten orientalischen Religionen hinauf, in sich auf nahm und dadurch zu erkennen gab, 20 daß es zur Hervorbringung eines Neuen unfähig sei. Zugleich ent¬ stand aus der Leerheit dieser ausgelebten Formen das Gefühl, daß etwas Neues kommen müsse. Die Welt war still und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Aus diesem äußerlichen römischen Weltreich, aus dieser Vernichtung der Nationalitäten ging das 25 innere Gottesreich hervor. Als so die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn. Christus, der nootpr} ^sov^ des außergöttlichen Seins als Gött¬ lichen sich entäußernd, wurde Mensch, seine in ihm fortdauernde Göttlichkeit so aufs hellste und glänzendste betätigend. Das Arm- w werden Christi um unsertwillen gilt nicht von der Entäußerung seiner Gottheit, nicht von dem non-usus derselben, sondern von der Ablegung der p,oQ(pri &sov^ der göttlichen Gestalt. Das göttliche Wesen bleibt in ihm. Nur er konnte vermitteln, da er aus Gott und im menschlichen Bewußtsein war. In seiner Wirkung im Heiden- 35 tum und Judentum war das die Menschheit hemmende und sie wo¬ möglich aufhebende Prinzip nicht auf gehoben; nur die Symptome, nicht der Grund der Krankheit wurde durch die wiederkehrenden Opfer beseitigt. Der Unwille des Vaters konnte nur auf gehoben werden durch einen andern Willen, der stärker war als er, als der 4o Tod, als jeder andre Wille. Keine physische, nur moralische Über¬ windung dieses Willens war statthaft, und zwar durch die größte freiwillige Unterwerfung des Vermittlers anstatt des Menschen. Die größte freiwillige Unterwerfung des Menschen war nie ganz freiwillig, dagegen die des Mittlers frei, ohne seinen Willen und 45 seine Schuld frei gegen Gott. Daher der Prozeß durchs Heidentum,
220 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete damit der Vermittler als Vertreter des Bewußtseins auftreten konnte. Der Entschluß hierzu war das größte Wunder göttlicher Gesinnung. Die physische Seite der Menschwerdung kann freilich nicht bis ins kleinste klar gemacht werden. Die materielle Möglichkeit hierzu 5 hat er in sich. Materiell sein heißt, einer höhern Potenz zum Stoff dienen, ihr unterwürfig sein. Indem sich Christus so Gott unter¬ wirft, wird er materiell gegen ihn. Aber nur kreaturisiert hat er das Recht, außer Gott zu sein. So muß er Mensch werden. Was im Anfang bei Gott war, was in göttlicher Gestalt das Bewußtsein im 10 Heidentume beherrschte, wird in Bethlehem als Mensch vom Weibe geboren. Die Versöhnung war nur immer subjektiv ge¬ wesen, daher genügten auch schon subjektive Fakta. Hier aber galt es, den Unwillen des Vaters zu besiegen, und dies konnte nur ein objektives Faktum, die Menschwerdung. 15 Bei dieser tritt nun die dritte Potenz als vermittelnde Persön¬ lichkeit ein. Christus ist aus, d.h. in Kraft des heiligen Geistes empfangen, ist aber nicht sein Sohn. Die demiurgische Funktion geht in die drittePotenz über; ihre ersteÄußerung ist der materielle Mensch Jesus. Die zweite Potenz ist der Stoff, die dritte die Bild- 20 nerin desselben. Der vorliegende Vorgang ist außerordentlich, materiell unbegreiflich, aber einer höhern Auffassung wohl ver¬ ständlich. Den Stoff der Menschwerdung nahm Christus von sich selbst. Diese erste Bildung, deren Beschaffenheit uns hier nicht weiter angeht, wurde in den organischen Prozeß der Mutter auf- 25 genommen. Mehr zu fragen, wäre mehr als Mikrologie. Wenn Gott irgendwo mit seinem Willen wirkt, so ist das ein Wunder. In der Natur ist alles willenlos. So auch Christus. Die demiurgische Funktion hat er natura sua, ohne seinen Willen, also kann er sie als Mensch nicht ablegen ; sie wird hier zum Leiter 30 seines Willens. Daß der Sohn mit seinem Willen in der Natur ist, hängt vom Willen des Vaters ab, und so tut der Sohn die Wunder aus Kraft des Vaters. Wer nach diesen Vorträgen das Neue Testa¬ ment liest, wird manches darin finden, was er bisher nicht darin sah. 35 Der Tod Christi war schon vor der Menschwerdung beschlossen, von Christo und vom Vater gebilligt. Er war also nicht zufällig, sondern ein Opfer, das die göttliche Gesinnung heischte. Es kam darauf an, dem bösen Prinzip alle Macht zu nehmen, es in seiner Potenz zu überwinden. Dies konnte nur die vermittelnde Potenz, 40 aber nicht, indem sie jenem als bloß natürliche sich entgegenstellte. Da Gott die Überwindung jenes Prinzips indes selbst wollte, so mußte sich die zweite Potenz diesem unterwerfen. Denn in Gottes Augen ist die zweite Potenz als natürliche nicht mehr wert als das Gott Negierende, wenn sie auch durch eigene Schuld nicht natürlich 45
Schelling und die Offenbarung 221 wurde, sondern durch Schuld des Menschen. Dieser letztere Um¬ stand gibt ihr auch ein gewisses Recht, so außer Gott zu sein. Gott ist so gerecht, daß er das entgegengesetzte Prinzip nicht einseitig aufhebt, ja er ist so menschlich, daß er dies im Grunde bloß Zu- 5 fällige, das ihm die Möglichkeit gab, als Gott zu sein, mehr liebt als das notwendige Moment, die Potenz aus sich selbst. Er ist so gut der Gott des konträren Prinzips wie der der zweiten Potenz. Dies ist seine Natur, die sogar über seinem Willen ist. Diese Allein¬ heit aller Prinzipien ist seine göttliche Majestät, und diese erlaubt 10 nicht, daß jenes Prinzip einseitig gebrochen werde. Soll es auf¬ gehoben werden, so ist es an der zweiten Potenz, diesem voran¬ zugehen und sich in ihrem außergöttlichen Sein Gott gänzlich zu unterwerfen. Hier konnte die Menschwerdung noch nicht genügen. Christus war gleich nach dem Falle dem Menschen in die Gott- io entfremdung gefolgt und stellte sich zwischen die Welt und Gott. Auf die Seite des konträren Prinzips tretend, stellte er sich dem Vater gegenüber, trat mit ihm in Spannung, machte sich zum Mit¬ schuldigen jenes Seins und mußte als der Unschuldig-Schuldige, der sich für das gottentfremdete Sein Verbürgende, die Strafe er- 20 leiden. Diese seine Gleichstellung mit dem Konträren büßte er mit den auf sich genommenen Sünden der Welt im Tode. Dies ist der Grund seines Todes. Freilich sterben die anderen Menschen auch, aber er ist eines ganz andern Todes gestorben als sie. Dieser Tod ist ein Wunder, das wir zu glauben gar nicht wagen würden, wenn es 20 nicht so gewiß wäre. Bei seinem Tode war die ganze Menschheit in ihren Repräsentanten gegenwärtig; Juden und Heiden wohnten ihm bei. Das Prinzip der Heiden mußte den Tod der Heiden ster¬ ben, den Kreuzestod; in diesem ist übrigens nichts Besondres zu suchen. Die Ausspannung am Kreuz war die Lösung der 30 langen Spannung, in der sich Christus im Heidentum befunden hatte, wie geschrieben steht, er sei durch den Tod aus dem Gericht und der Angst (d. h. der Spannung) genommen worden. Dies ist das große Geheimnis, das auch heute noch den Juden (den Mora¬ listen) ein Ärgernis und den Heiden (den bloß Rationalen) eine 35 Torheit ist. Die Auferstehung Christi ist von je als eine Garantie der persön¬ lichen Unsterblichkeit betrachtet worden. Über diese Lehre ist, ab¬ gesehen von der Auferstehung Christi, folgendes zu bemerken. In diesem Leben herrscht die Natur über den Geist, und es setzt hier- 40 mit ein Zweites voraus, indem dies durch die Herrschaft des Geistes über die Natur kompensiert wird, und ein Drittes, Letztes, worin beide Momente sich ausgleichen und in Harmonie stehen. Die Phi¬ losophie hatte bisher kein beruhigendes Ziel für die Unsterblich¬ keit, hier im Christentum ist es gegeben. Die Auferstehung Christi selbst ist der Beweis für die Unwider¬
222 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete ruflichkeit seiner Menschwerdung. In ihr wird das menschliche Sein von Gott wieder angenommen. Nicht die einzelne Tat des Menschen war Gott mißfällig, sondern der ganze Zustand, in dem er sich befand, so also auch der Einzelne, noch ehe er gesündigt. Daher konnte kein menschlicher Wille, keine Tat wirklich gut sein, 5 ehe der Vater versöhnt war. Durch Christi Auferstehung ist dieser Zustand von Gott anerkannt, ist der Welt die Freudigkeit wieder gegeben. So wurde die Rechtfertigung erst durch die Auferstehung vollendet, indem Christus nicht in das All zerflogen ist, sondern als Mensch zur Rechten Gottes sitzt. Die Auferstehung ist 10 ein Blitz der innem Geschichte in die äußere. Wer sie wegnimmt, hat bloß die Äußerlichkeit ohne göttlichen Inhalt, ohne jenes Transzendente, das die Geschichte erst zur Geschichte macht, hat eine bloße Gedächtnissache und steht da wie der große Haufe zu den Tagesbegebenheiten, deren innere Triebräder ihm unbekannt 15 sind. Außerdem kommt er noch in die Hölle, d. h. „der Moment des Sterbens dehnt sich ihm zur Ewigkeit aus“. Zuletzt kommt der heilige Geist und beschließt alles. Er kann nur erst ausgegossen werden, nachdem der Vater vollkommen ver¬ söhnt ist, und sein Kommen ist das Zeichen, daß dies geschehen ist. 20 Hier schob Schelling sein Urteil über die neueste Kritik seit Strauß ein. Sie hätte ihm nie eine Art von Polemik ablocken können, das er dadurch beweise, daß er diese Vorlesungen seit 1831 immer in derselben Weise, ohne Zusätze, gehalten habe. Die Philosophie der Mythologie datierte er noch weiter zurück. Dann 25 sprach er von dem „gemeinen, eminent philisterhaften Verstände“ dieser Leute, von ihrer „schülerhaften Behandlung unfertiger Sätze“, von der „Impotenz ihrer Philosophie“ usw. Gegen den Pietismus und das rein subjektive Christentum habe er dagegen nichts zu sagen, nur sei dies nicht das Einzige und Höchste. 30 Soll ich auch noch die Satanologie exzerpieren? Der Teufel ist nicht persönlich und nicht unpersönlich, er ist eine Potenz; die bösen Engel sind Potenzen, aber solche, die nicht sein sollen, indes durch den Fall des Menschen gesetzt sind; die guten Engel sind auch Potenzen, aber solche, die sein sollen und durch den Fall des 35 Menschen nicht sind. Das ist vorläufig genug. Die Kirche und ihre Geschichte entwickelt sich aus den drei Aposteln Petrus, Jakobus (nebst dessen Nachfolger Paulus) und Johannes. Neander ist derselben Ansicht. Die katholische Kirche ist die des Petrus, die konservative, jüdisch-formelle, die protestan- 40 tische die des Paulus, die dritte, noch zu erwartende und wohl durch Schelling vorbereitete ist die des Johannes, der die Einfalt des Petrus und die dialektische Schärfe des Paulus in sich ver¬ einigt. Petrus vertritt den Vater, Paulus den Sohn, Johannes den
Schelling und die Offenbarung 223 Geist. „Die der Herr liebt, denen gibt er das Geschäft des Voll¬ endens. Hätte ich eine Kirche zu bauen, ich würde sie dem heiligen Johannes bauen. Einst aber wird allen drei Aposteln eine gemein¬ same Kirche gebaut werden, und diese wird das wahre christliche 5 Pantheon sein.“ Dies ist der Hauptinhalt der Schellingschen Vorlesungen, so weit er aus der Vergleichung dreier Hefte zu erkennen war. Ich bin mir bewußt, mit der größten Lauterkeit und Aufrichtigkeit zu Werke gegangen zu sein. Da haben wir ja die ganze Dogmatik, die Drei- 10 einigkeit, die Schöpfung aus Nichts, den Sündenfall, die Erbsünde und Impotenz zum Guten, die Versöhnung durch den Tod Christi, die Auferstehung, die Ausgießung des Geistes, Gemeinschaft der Heiligen, Auferstehung von den Toten und ein ewiges Leben. Schelling hebt so selbst die Trennung von Faktum und Dogma, die 15 er statuierte, wieder auf. Betrachten wir die Sache aber genauer, ist dann dies Christentum noch das alte? Wer ohne Vorurteil daran geht, wird sagen müssen: Ja und Nein. Die Unvereinbarkeit von Philosophie und Christentum ist so weit gekommen, daß selbst Schelling in einen noch schlimmem Widerspruch gerät als Hegel. 2o Dieser hatte doch eine Philosophie, wenn auch ein nur scheinbares Christentum dabei herauskam; was Schelling gibt, ist aber weder Christentum noch Philosophie, und darin, daß er es für beides ausgibt, besteht die „Geradsinnigkeit und Offenheit“, besteht das Verdienst, „denen, die Brot von ihm forderten, wirkliches Brot ge- 25 geben zu haben, nicht aber einen Stein, dabei sagend, das sei Bro t“. Daß Schelling sich selbst gar nicht kennt, bewies die Rede, der diese Worte entnommen sind, wiederum. Auf wie schwachen Füßen das heutige Christentum steht, kommt einem bei einer solchen Doktrin wieder einmal recht zum Bewußtsein. so Wenn wir das Ganze derselben noch einmal überschauen, ge¬ winnen wir außer den bereits angeführten noch folgende Resultate zur Bestimmung der neuschellingschen Denkweise. Die Verwirrung der Freiheit und Willkür steht in der schönsten Blüte. Gott ist immer als menschlich-willkürlich handelnd gefaßt. Dies ist aller¬ es dings notwendig, so lange Gott als Einzelner gefaßt wird, nur phi¬ losophisch ist es nicht. Die Freiheit nur ist die wahre, die die Not¬ wendigkeit in sich enthält, ja, die nur dieWahrheit, die Vernünftig¬ keit der Notwendigkeit ist. Darum kann Hegels Gott nun und nimmermehr eine einzelne Person sein, weil alles Willkürliche aus io ihm entfernt ist. Darum muß Schelling das „freie“ Denken an¬ wenden, wenn er von Gott spricht, denn das notwendige Denken der logischen Konsequenz schließt alle göttliche Person aus. Die Hegelsche Dialektik, diese gewaltige, nie ruhende Triebkraft des Gedankens, ist nichts anderes als das Bewußtsein der Menschheit 45 im reinen Denken, das Bewußtsein des Allgemeinen, das Gottes¬
224 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Bewußtsein Hegels. Wo, wie bei Hegel, sich alles von selbst macht, ist eine göttliche Persönlichkeit überflüssig. Ferner zeigt sich jetzt noch ein neuer Widerspruch in der Spal¬ tung der Philosophie. Ist die negative Philosophie ohne allen Bezug auf die Existenz, so ist „die Konsequenz nicht da“, weshalb sie 5 nicht auch Dinge enthalten sollte, die in der wirklichen Welt nicht Vorkommen. Schelling gibt dies zu, wenn er von ihr sagt, sie küm¬ mere sich nicht um die Welt, und wenn diese mit ihren Konstruk¬ tionen übereinstimme, so sei dies zufällig. Auf diese Weise ist die negative Philosophie aber eine ganz leere, hohle, die sich in der 10 willkürlichsten Möglichkeit herumtreibt und der Phantasie ihre Tore angelweit öffnet. Auf der andern Seite aber, wenn sie nur das enthält, was in der Natur und dem Geiste wirklich ist, so schließt sie die Realität ja ein und die positive ist überflüssig. Dies zeigt sich auch von der andern Seite. Natur und Geist sind bei Schelling 15 das einzige Vernünftige. Gott ist nicht vernünftig. So zeigt sich auch hier, daß das Unendliche nur dann vernünftigerweise real existieren kann, wenn es als Endlichkeit, als Natur und Geist er¬ scheint, und eine jenseitige extramundane Existenz des Unend¬ lichen ins Reich der Abstraktionen zu verweisen ist. Jene aparte 20 positive Philosophie hängt, wie wir gesehen haben, allein vom Glauben ab und existiert nur für den Glauben. Gibt nun ein Jude oder Muhamedaner die Prämissen Schellings in der negativen Wis¬ senschaft zu, so wird er sich notwendig auch eine jüdische oder muhamedanische positive Philosophie bilden. Ja schon für den Katholizismus, für die anglikanische Kirche wird sie verschieden sein. Alle sind gleich berechtigt, denn „um das Dogma handelt es sich nicht, sondern um das Faktum“. Und mit dem beliebten „freien“ Denken läßt sich alles als absolut konstruieren. Nament¬ lich im Muhamedanismus sind die Fakta weit besser konstruiert als 30 im Christentum. So wären wir denn mit Schellings Philosophie zu Ende und können nur bedauern, daß ein Mann wie er so in die Schlingen des Glaubens und der Unfreiheit gefallen ist. Als er noch jung war, da war er ein andrer. Da rangen sich aus seinem gärenden Haupte 35 leuchtende Pallasgestalten empor, deren manche auch noch bei späteren Kämpfen vorauseilte; da segelte er frei und kühn ins offene Meer des Gedankens hinaus, um die Atlantis, das Absolute zu entdecken, deren Abbild in träumerisch-schimmemder Fata Morgana er so oft aus fernem Meeresrande sich heben sah; da 40 brach alles Feuer der Jugend in Flammen der Begeisterung aus ihm, ein gottestrunkener Prophet, weissagte er von einer neuen Zeit; hingerissen von dem Geiste, der über ihn kam, kannte er die Bedeutung seiner Worte oft selber nicht. Er riß die Türflügel des Philosophierens weit auf, daß der frische Hauch der Natur durch 43
Schelling und die Offenbarung 225 die Räume des abstrakten Gedankens wehte, daß der warme Früh¬ lingsstrahl auf den Samen der Kategorien fiel und alle schlum¬ mernden Kräfte erweckte. Aber das Feuer brannte zusammen, der Mut entschwand, der gärende Most, noch eh’ er klarer Wein ge- 5 worden war, ging in sauren Essig über. Das kecke, fröhlich die Wellen durchtanzende Schiff kehrte um und fuhr in den seichten Hafen des Glaubens ein, fuhr den Kiel so fest in den Sand, daß er noch jetzt darin steckt. Da liegt es jetzt, und keiner erkennt in dem alten, hinfälligen Wrack das alte Schiff wieder, das mit vollen 10 Segeln und wehenden Flaggen hinausfuhr. Die Segel sind längst vermodert, die Masten zerknickt, durch die klaffenden Planken strömen die Wellen hinein, und täglich spült die Flut neuen Sand um den Kiel. Wenden wir uns ab von diesem Raub der Zeit. Es gibt schönere io Dinge, die wir betrachten können. Man wird uns dies Wrack nicht zeigen wollen und sagen, das sei allein ein seehaltend Schiff, wäh¬ rend in einem andern Hafen eine ganze Flotte stolzer Fregatten liegt, bereit ins hohe Meer zu stechen. Unser Heil, unsere Zukunft liegt anderswo. Hegel ist der Mann, der eine neue Ära des Bewußt- 2o seins erschloß, indem er die alte vollendete. Es ist eigentümlich, daß dieser gerade jetzt von zwei Seiten angefeindet wird, Von seinem Vorgänger Schelling und seinem jüngsten Nachfolger Feuerbach. Wenn dieser letztere Hegeln vorwirft, er stecke noch tief im Alten, so sollte er bedenken, daß das Bewußtsein über das Alte 25 gerade schon das Neue ist, daß ein Altes eben dadurch der Ge¬ schichte anheimfällt, daß es vollkommen zum Bewußtsein gebracht wird. So ist Hegel allerdings das Neue als Altes, das Alte als Neues. Und so ist Feuerbachs Kritik des Christentums eine not¬ wendige Ergänzung zu der durch Hegel begründeten spekulativen 30 Religionslehre. Diese hat in Strauß ihren Gipfel erreicht, das Dogma löst sich durch seine eigne Geschichte objektiv in den philosophischen Gedanken auf. Zu gleicher Zeit reduziert Feuer¬ bach die religiösen Bestimmungen auf subjektive menschliche Verhältnisse und hebt dadurch die Resultate Strauß’ nicht etwa 35 auf, sondern macht erst recht die Probe darauf ; wie denn auch beide zu demselben Resultate kommen, daß das Geheimnis der Theologie die Anthropologie sei. Ein neuer Morgen ist angebrochen, ein weltgeschichtlicher Morgen, wie jener, da aus der Dämmerung des Orients das lichte, 40 freie hellenische Bewußtsein sich losrang. Die Sonne ist empor¬ gestiegen, der von allen Bergesgipfeln Opferfeuer entgegenlachten, deren Kunft von allen Warten heller Hörnerklang verkündete, auf deren Licht die bange Menschheit harrte. Von langem Schlummer sind wir erwacht, der Alp, der auf unserer Brust lag, ist entflohen, 45 wir reiben uns die Augen und sehen erstaunt um uns. Alles hat Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 15
226 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete sich verändert. Die Welt, die uns so fremd war, die Natur, deren verborgene Mächte uns wie Gespenster schreckten, wie verwandt, wie heimisch sind sie uns nun! Die Welt, die uns als ein Gefängnis erschien, zeigt sich nun in ihrer wahren Gestalt, als ein herrlicher Königspalast, darin wir alle aus- und eingehen, Arme und Reiche, 5 Hohe und Niedere. Die Natur schließt sich auf vor uns und ruft uns zu: Fliehet doch nicht vor mir, ich bin ja nicht verworfen, nicht abgefallen von der Wahrheit, kommt und sehet, es ist euer innerstes, eigenstes Wesen, das auch mir Lebensfülle und Jugend¬ schönheit gibt! Der Himmel ist zur Erde hernieder gekommen, 10 seine Schätze liegen verstreut wie die Steine am Wege, wer nach ihnen verlangt, braucht sie nur aufzuheben. Alle Zerrissenheit, alle Angst, alle Spaltung ist verschwunden. Die Welt ist wieder ein Ganzes, selbständig und frei; sie hat die Tore ihres dumpfen Klosters gesprengt, das Bußhemd abgeworfen und den freien, reinen Äther zur Wohnung erwählt. Sie braucht sich nicht mehr zu rechtfertigen vor dem Unverstand, der sie nicht erfassen konnte; ihre Pracht und Herrlichkeit, ihre Fülle, ihre Kraft, ihr Leben ist ihre Rechtfertigung. Wohl hatte Einer recht, als er vor achtzehn¬ hundert Jahren ahnte, daß die Welt, der Kosmos, ihn dereinst ver- 20 drängen werde, und seinen Jüngern gebot, der Welt abzusagen. Und das liebste Kind der Natur, der Mensch, als freier Mann nach den langen Kämpfen des Jünglingsalters, nach der langen Entfremdung zur Mutter zurückkehrend, sie schirmend gegen alle Phantome der im Kampfe erschlagenen Feinde, hat auch die 25 Trennung von sich selber, die Spaltung in der eignen Brust über¬ wunden. Nach undenklich langem Ringen und Streben ist der lichte Tag des Selbstbewußtseins über ihm auf gegangen. Frei und stark, auf sich vertrauend und stolz, steht er da, denn er hat den Kampf der Kämpfe gekämpft, er hat sich selbst überwunden und 30 die Krone der Freiheit sich aufs Haupt gedrückt. Es ist ihm alles offenbar geworden, und nichts war stark genug, sich gegen ihn zu verschließen. Jetzt erst geht ihm das wahre Leben auf. Wohin er früher in dunkler Ahnung strebte, das erreicht er jetzt mit vollem, freiem Willen. Was außer ihm, in nebelnder Feme zu liegen 35 schien, findet er in sich als sein eigen Fleisch und Blut. Er achtet es nicht, daß er es teuer erkauft, mit seinem besten Herzblut er¬ kauft hat, denn die Krone war des Blutes wert; die lange Zeit des Werbens ist ihm nicht verloren, denn die hohe, herrliche Braut, die er in die Kammer führt, ist ihm dadurch nur desto teurer ge- & worden; das Kleinod, das Heiligtum, das er gefunden hat nach langem Suchen, war manchen Irrweg wert. Und diese Krone, diese Braut, dies Heiligtum ist das Selbstbewußtsein der Menschheit, der neue Gral, um dessen Thron sich die Völker jauchzend versammeln, und der alle, die sich ihm hingeben, zu /s
Schelling und die Offenbarung 227 Königen macht, daß alle Herrlichkeit und Macht, alles Reich und Gewalt, alle Schönheit und Fülle dieser Welt zu ihren Füßen liegen und zu ihrer Verherrlichung sich opfern muß. Das ist unser Beruf, daß wir dieses Grals Tempeleisen werden, für ihn das Schwert um 5 die Lenden gürten und unser Leben fröhlich einsetzen in den letz¬ ten, heiligen Krieg, dem das tausendjährige Reich der Freiheit folgen wird. Und das ist die Macht der Idee, daß jeder, der sie er¬ kannt hat, nicht aufhören kann von ihrer Herrlichkeit zu reden und ihre Allgewalt zu verkündigen, daß er heiter und guten Muts 10 alles andre wegwirft, wenn sie es heischt, daß er Leib und Leben, Gut und Blut opfert, wenn nur sie, nur sie durchgesetzt wird. Wer sie einmal geschaut hat, wem sie einmal im stillen nächtlichen Kämmerlein in all ihrem Glanze erschienen ist, der kann nicht von ihr lassen, der muß ihr folgen, wohin sie ihn führt, und wär’ es in in den Tod. Denn er weiß von ihrer Kraft, daß sie stärker ist als alles im Himmel und auf Erden, daß sie sich durchschlägt gegen alle Feinde, die sich ihr entgegen setzen. Und dieser Glaube an die All¬ macht der Idee, an den Sieg der ewigen Wahrheit, diese feste Zu¬ versicht, daß sie nimmermehr wanken und weichen kann und wenn 2o die ganze Welt sich gegen sie empörte, das ist die wahre Religion eines jeden echten Philosophen, das ist die Basis der wahren posi¬ tiven Philosophie, der Philosophie der Weltgeschichte. Diese ist die höchste Offenbarung, die des Menschen an den Menschen, in der alle Negation der Kritik positiv ist. Dieses Drängen und Stürmen 25 der Völker und Heroen, über dem die Idee in ewigem Frieden schwebt und endlich herniedersteigt mitten in das Getreibe und seine innerste, lebendigste, selbstbewußte Seele wird, das ist die Quelle alles Heils und aller Erlösung; das ist das Reich, in dem jeder von uns an seinem Ort zu wirken und zu handeln hat. Die so Idee, das Selbstbewußtsein der Menschheit ist jener wunderbare Phönix, der aus dem Kostbarsten, was es auf der Welt gibt, sich den Scheiterhaufen baut und verjüngt aus den Flammen, die eine alte Zeit vernichten, emporsteigt. So laßt uns denn unser Teuerstes und Liebstes, alles was uns 35 heilig und groß war, ehe wir frei wurden, diesem Phönix auf den Scheiterhaufen tragen! Laßt uns keine Liebe, keinen Gewinn, keinen Reichtum für zu hoch halten, als daß wir ihn nicht der Idee freudig opfern sollten — sie wird es uns alles vergelten tausend¬ fach ! Laßt uns kämpfen und bluten, dem Feinde unverzagt ins grim- 40 mige Augen schauen und ausharren bis ans Ende! Seht ihr unsre Fahnen wehen von den Bergesgipfeln herab? Seht ihr die Schwerter unsrer Genossen blinken, die Helmbüsche flattern? Sie kommen, sie kommen, aus allen Tälern, von allen Höhen strömen sie uns zu, mit Gesang und Hömerschall; der Tag der großen Entscheidung, 45 der Völkerschlacht, naht heran, und der Sieg muß unser sein! 15*
Tafel IV Reiling, »et in ©brifto, ober bk bet SSeltoeföbeft jur ©ottHtuei^beif. Jur gläubige griffen benen bet ©»racbgebraüdj unbekannt ift. SBetlis, 1M8. SB et la g »»n & G^ffen^arbt. Uinschlagsrite der Broschüre „Schelling, der Philosoph in Christo“
Schelling, der Philosoph in Christo, oder die Verklärung der Weltweisheit zur Gottesweisheit Für gläubige Christen, denen der philosophische Sprachgebrauch 5 unbekannt ist. — Berlin, 1842. Verlag von A. Eyssenhardt. [Kl. 8°. 43 Seiten] „Also auch wird Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen.“ (Luk. 15. 7.) Dieses Wort des Herm mag einem wohl io einfallen, wenn man von Schelling reden will; denn an ihm sind Wunder der göttlichen Gnade sichtbarlich geschehen, auf daß der Name des Herrn erhöhet werde. Denn er hat sich seiner erbarmt, wie er einst über Paulum sich erbarmte; welcher auch, ehe er bekehret war, hinging und zerstörete die Gemeinen, und schnaubte io mit Drohen und Morden wider die Jünger des Herm. Da er aber gen Damaskus fuhr, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht, und er fiel auf sein Angesicht; der Herr aber redete zu ihm und zog ihn zu sich, also daß er gläubig ward zu derselbigen Stunde, ließ sich taufen und predigte den Namen des Herrn allen Völkern, und 2o ward ein auserwähltes Rüstzeug vor dem Herrn. So auch hat die Gnade des Heilandes über Schelling ihre Hand gehalten, und als die Zeit gekommen war, ging ihm ein großes Licht auf. Denn wer hätte es jemals nach menschlicher Einsicht vorhersagen kön¬ nen, daß der Mann, der um den Anfang des Jahrhunderts mit 25 seinem damaligen Freunde, dem berüchtigten Hegel, den Grund zu jener schnöden Weltweisheit legte, die jetzt nicht mehr im Fin¬ stern schleicht, sondern deren Pfeile am Mittag verderben — daß dieser Mann dermaleinst noch sein Kreuz auf sich nehmen und Christo nachfolgen werde? Aber so ist es gekommen. Der die w Herzen der Menschen lenkt wie Wasserbäche, hatte auch ihn nach seiner Gnade auserwählet und harrete nur der rechten Stunde, urti ihn zu sich zu ziehen. Und jetzt hat er es getan, hat ihn erleuchtet und zu einem seiner Streiter gegen den Unglauben und die Gott¬ losigkeit gemacht. Es ist kein Zweifel mehr; er selbst ruft es vom 35 Katheder herab den Gläubigen zu: Kommet und sehet, und preiset die Gnade, die der Herr an mir getan hat! Ja, der Hüter in Israel schläft noch schlummert nicht, der alte Gott lebt noch, allen Spöt¬ tern zum Trotz, und tut noch Zeichen und Wunder, für alle die da
230 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete sehen wollen. Sie machen ein Getöse, die Gottlosen, und sprechen in ihrem Herzen, es ist kein Gott, aber der im Himmel wohnet, lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer. Er hat über sie trium¬ phiert, so lange die Welt steht, und wird über sie triumphieren in alle Ewigkeit. Er hat mit starkem Arm sein Regiment gehalten 5 und aller Orten sich Werkzeuge erweckt zur Verherrlichung seines Namens. Und jetzt wieder hat er glänzend triumphiert über die Philosophen, die ihm allezeit ein Greuel waren, indem er den besten und tüchtigsten, den eigentlichen Stifter ihrer Lehre, aus ihrer Mitte herausgehoben und zu seinem Knecht gemacht hat. 10 Denn daß Schelling früher selbst recht jämmerlich tief in diesem sogenannten Pantheismus, in dieser Vergötterung der Welt und seiner selbst, drin gesteckt hat, das ist aus seinen frühem Büchern sonnenklar. Er sah nur noch nicht recht alles in seinem Zusammen¬ hänge und wußte nicht recht, wohin dieser Weg führen werde. 15 Möge er es dem Herrn danken, daß Er ihn von diesem Wege ge¬ nommen hat und auf den schmalen Weg geführt, der zum Himmel geht, und dadurch an ihm seine Macht auf hellste bewiesen, allen Feinden des Glaubens gegenüber. Jetzt können sie nicht mehr sagen: Wo ist Euer Gott? Was tut er? Wo treibt er sich herum? 20 Warum tut er keine Wunder mehr? Hier ist er ja, in ihre eigne Schar fährt sein Arm hernieder wie der Blitz und macht Feuer aus Wasser, Weiß aus Schwarz, Gerechte aus Ungerechten. Wer kann hier noch leugnen, daß das Gottes Finger ist? Aber das ist nicht alles. Der Herr hat uns durch Schellings 25 Berufung noch einen zweiten Triumph über die Gottlosen und Lästerer bereitet. Er hat gerade Schelling auserkoren, weil dieser, mit der Weisheit dieser Welt vertraut, am besten geeignet war, die stolzen hochmütigen Philosophen zu widerlegen, und hat diesen dadurch in seiner unermeßlichen Gnade und Liebe einen Weg 30 eröffnet, wieder zu ihm zu kommen. Kann man mehr von ihm ver¬ langen? Denen, die ihm fluchen, die gegen sein Dasein wüten, die seine tollsten, rasendsten, verstocktesten Feinde sind, denen bietet er, statt sie von der Erde zu vertilgen und in den tiefsten Schlund der Hölle zu stürzen, denen bietet er immer aufs neue die rettende 35 Hand, um sie aus dem Abgrund des Verderbens, in dem sie liegen, herauf zu ziehen an das Licht; ja die Gnade des Herrn ist so weit die Himmel reichen von Auf gang zum Niedergang, und seine Barmherzigkeit will kein Ende nehmen. Wer könnte einer solchen Langmut und Liebe widerstehen? Aber ihre Herzen sind so ver- 40 stockt und in Sünden verhärtet, daß sie auch jetzt noch die Hand zurückstoßen, die sie retten will; so verblendet sind sie von den Lüsten dieser Welt und dem eignen Hochmutsteufel. Sie graben sich löchrige Brunnen und verschmähen den Quell des Lebens, der im Blute Christi fließt. Sie verstopfen ihre Ohren gegen das 45
Schelling, der Philosoph in Christo 231 Heil, das von Oben kommt, sie haben Lust an dem, was dem Herrn übel gefällt. Ihr Wesen haben sie kein Hehl und rühmen ihre Sünde, wie die zu Sodom, und verbergen sie nicht. Wehe ihrer Seele, denn damit bringen sie sich selbst in alles Unglück. (Jes. 5 3,9.) Aber dennoch hat der Herr nicht abgelassen, sie zu sich ein¬ zuladen, auf daß sie keine Entschuldigung haben. Er hat ihnen durch Schelling gezeigt, wie schwach und nichtig die menschliche Vernunft ist. Wenn sie sich jetzt nicht bekehren, so ist es allein ihre Schuld, und sie können nicht sagen, daß sie das Evangelium io nicht gekannt haben. Weil nun aber der Herr so Großes getan hat, und der ganzen Christenheit ein so trostreiches Zeichen gegeben hat, daß er ihr nahe ist und sie nicht verlassen will in der Not und den Kämpfen dieser Welt, so muß es jedem Gläubigen am Herzen liegen, diese 15 frohe Botschaft seinen Mitchristen zu verkündigen. Und weil nun Schelling sein Bekenntnis von Christo hier in Gestalt von Vor¬ lesungen abgelegt hat, so ist dies einesteils nur wenigen bekannt geworden, andernteils aber auch in einer so schwierigen philoso¬ phischen Kunstsprache abgefaßt, daß es nur denen, die sich mit 20 der Weltweisheit längere Zeit beschäftigt haben, verständlich ist; drittenteils ist aber auch vieles für die Philosophen und anderes für die Gläubigen berechnet, so daß der einfältige Christ Mühe haben würde, sich hier durchzufinden. Deshalb hat der Verfasser dieser Zeilen es für nicht ganz überflüssig gehalten, allen denen, 25 so nicht Zeit noch Lust haben, sich in das unfruchtbare Studium der Weltweisheit einzulassen, dennoch aber wohl Lust hätten zu wissen, was denn eigentlich an dem berühmten Schelling sei, dieses mit kurzen, einfältigen Worten und um im Weinberge des Herrn nicht müßig zu stehn, darzulegen. Der Herr möge seinen Segen so dazu geben, daß es gedeihe zu Nutz und Frommen seines Reiches. Es muß aber vorher noch bemerkt werden, daß Schelling, bei allen seinen Verdiensten um das wahre Christentum, dennoch seine alte, verkehrte Weisheit nicht ganz los werden kann. Es sind noch mancherlei Ansichten, die glauben machen, er könne den Hoch- 35 mut der eignen Vernunft dennoch nicht so ganz unterdrücken, und als scheue er sich noch etwas vor der Welt, seine gänzliche Um¬ kehr mit aller Freudigkeit und Dank gegen Christum zu bekennen. Wir wollen ihm das nicht zu hoch anrechnen; wer die Gnade bei ihm so herrlich zum Durchbruch brachte, der wird auch diese 40 Flecken von ihm abwaschen; wer das Werk begann, wird es auch vollführen. Der mutige Streiter für die Wahrheit aber, von dem wir sprechen, möge dieses Pfahls im Fleisch gedenken, wenn der Hochmutsteufel über ihn kommt und ihn versuchet. Er möge allen Stolz auf seine ehemalige Philosophie, die doch nur gottlose Kin- 45 der geboren hat, von sich tun und nur stolz sein auf den, der ihn
232 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete aus freier, unermeßlicher Gnade aus diesem Verderben ge¬ rettethat. Das erste, was Schelling hier auf dem Katheder tat, war, daß er geradezu und mit offner Stirne gegen die Philosophie losging und ihren Boden, die Vernunft, unter den Füßen wegzog. Mit den 5 schlagendsten, aus ihren eignen Rüstkammern genommenen Grün¬ den bewies er ihnen, daß die natürliche Vernunft nicht fähig sei, auch nur das Dasein eines Grashalms zu beweisen; daß sie mit allen ihren Demonstrationen, Gründen und Schlüssen keinen Hund vom Ofen lockt und gar nicht zum Göttlichen hinauf kann, weil 10 sie in ihrer Plumpheit immer auf dem Erdboden liegen bleibt. Das haben wir nun zwar längst gewußt, aber so schön und deutlich war es den verstockten Philosophen noch nicht gesagt worden. Dies hat er in einem ganzen langen System der sogenannten nega¬ tiven Philosophie getan, worin er ihnen sonnenklar vor die Augen i* führt, daß ihre Vernunft nur Mögliches erkennen kann, aber nichts Wirkliches, am allerwenigsten Gott und die Geheimnisse des Christentums. Diese Mühe, die er sich mit einem so unfrucht¬ baren Gegenstände, mit den Luftgebilden der Weltweisheit gegeben hat, ist um des Reiches Gottes willen sehr dankenswert. Denn 20 so lange diese Philosophen noch auf ihre Vernunft pochen konnten, war mit ihnen nichts anzufangen. Jetzt aber, da sie auch von ihrem Standpunkte aus überführt worden sind, daß ihre Vernunft ganz und gar untauglich zur Erkenntnis des Wahren ist und nur leere, hohle Hirngespinste zutage fördert, die gar nicht das 25 Recht haben zu existieren, so gehört schon ein verstocktes und in Sünden grau gewordenes Haupt dazu, um in der heid¬ nischen Lehre zu verharren, und es ist wohl möglich, daß unter dem Beistände der göttlichen Gnade sich einer oder der andre von seinem bösen Wandel bekehre. Es ist sehr richtig und muß immer wiederholt werden, daß die verfinsterte Vernunft des Menschen ganz und gar untüchtig ist und des Ruhmes mangelt, den sie vor Gott haben sollte, denn das ist das Hauptbollwerk der Ungläubigen, daß ihre Vernunft ihnen andre Dinge sagt als das Wort Gottes. Es ist aber ein Frevel gegen den Allerhöchsten, ihn, den Feind aller 35 Sünde, mit der durch die Sünde befleckten und verblendeten Ver¬ nunft erkennen zu wollen, ja, diese allen Lüsten dieser Welt, allen Versuchungen des Satans hingegebene Vernunft über Gott selbst zu setzen, und das tun die Weltweisen doch, indem sie Gottes Wort mit dieser ihrer verworfenen Vernunft kritisieren, was ihnen nicht & gefällt herauswerfen, ja nicht allein die Heiligkeit der Bibel, son¬ dern das Dasein Gottes selbst mit frevierischen Händen antasten und leugnen, um sich selbst an seiner Statt zum Gott zu machen. Das sind die natürlichen Folgen davon, daß die Vernunft, wie wei¬ land jene Metze in den Bluttagen der französischen Revolution,
Schelling, der Philosoph in Christo 233 auf den Thron Gottes erhoben wird und sich unterfängt, die Ma߬ regeln des allmächtigen Herm der Welt zu kritisieren. Hier ist es, wo geheilt werden muß, nicht an der Oberfläche, sondern an der Wurzel des Übels. Flickt man auch einen neuen Lappen auf 5 ein altes Kleid? Wie stimmt Christus mit Belial? Es ist nicht möglich, es ist eine Lästerung, wenn man den Erlösungstod des Herm, die Auferstehung und Himmelfahrt mit der natürlichen Vernunft begreifen will. Darum gehe man mit Schelling kräf¬ tig zu Werke und werfe die Vernunft aus dem Christentum hinaus 10 ins Heidentum, denn dahin gehört sie, da kann sie sich gegen Gott auflehnen und die Welt mit ihren Lüsten und Begierden, der wir abgesagt haben, für göttlich halten, alle Sünden und Laster, Greuel der Völlerei und Unzucht als Tugenden und Gottesdienst beschönigen, und den Selbstmord eines Cato, die Unkeuschheit 15 einer Lais und Aspasia, den Verwandtenmord eines Brutus, den Stoizismus und die Christenverfolgungswut eines Marcus Aurelius als Muster der Menschheit aufstellen. Dann steht sie dem Christen¬ tum doch offen entgegen und jeder weiß, woran er mit ihr ist. Aber es ist eine Hauptlist des Widersachers gewesen, sie ins 2o Christentum hineinzuschmuggeln, wo sie dann saubre Hurkinder herausgeboren hat, als da sind : Pelagianismus, Sozinianismus, Ra¬ tionalismus und spekulative Theologie. Gott aber, was töricht ist vor der Welt, das hat er erwählet, auf daß er die Weisen zu Schanden mache (1. Kor. 1, 27); darum vernimmt der natür- 25 liehe Mensch nichts vom Geiste Gottes, es ist ihm eine Torheit und muß geistlich gerichtet sein (1. Kor. 2, 14). So ist es ein wahrhaft christliches Bestreben, wenn Schelling in der reinen Vemunftwissenschaft, welche eben die negative Philo¬ sophie ist, die Vernunft, statt ihr irgend eine Überhebung zu ge- 30 statten, recht tief erniedrigt und demütigt, daß sie zur Erkenntnis ihrer Schwäche und Sündlichkeit komme und sich bußfertig der Gnade zuwende, denn nur diese kann sie heiligen, erleuchten und wiedergebären, daß sie tüchtig werde zur Erkenntnis Gottes. Die Vernunft zu kreuzigen, ist schwerer und deshalb mehr, denn das 35 Fleisch zu kreuzigen. Dieses liegt doch unter dem Gewissen, wel¬ ches auch schon den Heiden zur Zähmung ihrer Lüste und zum innem Richter über ihre Sünden gegeben ist; die Vernunft aber stellt sich über dasselbe und verträgt sich sogar ganz gut mit ihm, und es ist nur dem Christen gegeben, sie unter das sanfte Joch des <o Glaubens zu beugen. Das aber fordert die Schrift von uns, und da gelten keine Einwendungen oder Ausflüchte: entweder gib deine Vernunft unter den Glauben gefangen, oder geh hinüber zur Lin¬ ken zu den Böcken (nennen sich doch die ärgsten jener Selbst- vergötterer wie zum Spott: die linke Seite), da bist Du an 45 Deiner Stelle!
234 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Hierdurch hat sich Schelling nun den Boden frei gemacht. All die Überbleibsel des Heidentums, die in unsrer Zeit wieder hervorgeholt werden und für neue Wahrheit gelten sollen, alle die verzerrten Ausgeburten der unkeuschen, lüsternen Vernunft sind beseitigt, und seine Zuhörer sind jetzt fähig, die Milch des Evan- 5 geliums in sich aufzunehmen. Das ist der rechte Weg. Die Heiden waren bei ihren weltlichen Wollüsten und Begierden zu fassen; aber unsre Philosophen stellen sich wenigstens heutzutage noch so, als wollten sie die christliche Moral noch anerkennen. Darum, wenn die Apostel bei den Heiden ein bußfertiges, reuiges, zer-10 schlagenes und zerknirschtes Herz forderten, so muß von den hoch¬ mütigen Weltweisen dieser Zeit eine bußfertige, demütige, zer¬ schlagene Vernunft gefordert werden, ehe sie fähig sind, die Gnade des Evangeliums zu genießen. So konnte Schelling denn auch erst jetzt seinen ehemaligen Genossen in der Gottlosigkeit, den ver-15 rufenen Hegel, recht beurteilen. Denn dieser Hegel hatte einen solchen Hochmut in der Vernunft, daß er sie geradezu für Gott erklärte, als er sah, daß er mit ihr zu einem andern wahren, über dem Menschen stehenden Gott nicht kommen konnte. Darum er¬ klärte Schelling denn auch offen, er wolle mit diesem Men- 20 sehen und seiner Lehre nichts mehr zu schaffen haben und küm¬ merte sich weiter auch nicht um ihn. Nachdem nun die Vernunft sich gedemütigt hat und den Wil¬ len zeigt, das Heil anzunehmen, kann sie nun wieder erhöhet und vom Geist der Wahrheit erleuchtet werden. Dies geschieht in der 25 positiven Philosophie, wo sie durch freies, d. h. erleuchtetes Den¬ ken mit Hülfe der göttlichen Offenbarung zu den Gnadengaben des Christentums zugelassen wird. Jetzt, nun ihr das Verständnis der höheren Welt aufgeschlossen ist, sieht sie auf einmal den ganzen wunderbaren Zusammenhang in der Geschichte des Reiches Gottes 30 ein, und was ihr früher unbegreiflich war, ist jetzt klar und be¬ greiflich, als wenn es gar nicht anders sein könnte. Denn die Augen, die der Herr erleuchtet, sind erst wahre Augen und sehend ; wo aber die Finsternis herrscht, und die Lüste und Begierden dieser Welt ihr Wesen treiben, da kann keiner etwas sehen. Diese 35 Gnadenwirkung spricht Schelling darin aus, daß er sagt, diese Philosophie sei nur für die Wollenden und Klugen und finde ihre Bewährung in der Offenbarung. Wer also an diese nicht glaubt, für den ist auch die Philosophie nicht. Mit andern Worten, diese Sache ist eigentlich keine rechte Philosophie, sondern dieser Name 40 ist nur um der Weltweisen willen gewählt, wie geschrieben steht: Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben (Matth. 10,16) ; im übrigen aber ist es ein rechtes und wirkliches Christentum, wie sich uns bald zeigen wird. Schelling hat die gute alte Zeit wieder heraufgeführt, wo die Vernunft sich unter 45
Schelling, der Philosoph in Christo 235 den Glauben gefangen gibt und die Weltweisheit, indem sie sich als Magd der Theologie, der Gottesweisheit unterwirft, zur Gottes¬ weisheit verklärt wird. Denn wer sich selbst erhöhet, der wird er¬ niedriget, und wer sich selbst erniedriget, der wird erhöhet (Matth. 6 23, 12). Auf diesem Wege des erleuchteten Denkens kommt der teure Mann, von dem wir reden, denn auch sogleich zur wahren Grund¬ lehre alles Christentums, nämlich der Dreieinigkeit Gottes. Es kann dem gottesfürchtigen Leser nicht zugemutet werden, diesen io Weg mitzumachen, denn er weiß und glaubet ja, daß dieser Weg nur zur Wahrheit führen kann; es ist dies nur für die Ungläubigen gesagt worden, um ihnen zu zeigen, wie sie zur Wahrheit kommen können und wie sehr ihre Vernunft gereinigt und geheiligt werden muß, um die Erlösung in Christo Jesu erkennen und fassen zu 15 können. Darum wollen wir diese Dinge, die für die Erkenntnis des Heils bei den Gläubigen doch keinen Wert haben, übergehen. Schelling beschreibt nun nach der Schrift, wie Gott die Welt aus Nichts geschaffen und der Mensch, vom Satan in Gestalt der Schlange verführt, seinen ersten Wandel verloren habe und dem 2o Fürsten der Finsternis verfallen sei. Dadurch habe er die ganze Welt von Gott losgerissen und in die Gewalt des Satans gebracht. Alle Kräfte, die früher durch die göttliche Einheit zusammen¬ gehalten waren, seien jetzt auseinander gefallen und in wilde Feindschaft geraten, so daß der Satan recht mit Lust in der Welt 25 hausen könne. Man muß sich nur durch die philosophische Aus¬ drucksweise unserer Gottesgelehrten nicht verblenden lassen. Die Weltweisen in unsrer gottlosen Zeit verstehen die einfache, von Gott selbst eingegebene Sprache der heiligen Schrift nicht mehr; es muß ihnen auf ihre Weise beigebracht werden, bis sie wieder 30 reif werden zum Verständnis der Bibel, wie geschrieben stehet: Ich preise dich, Vater und Herr Himmels und der Erde, daß du es den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Un¬ mündigen offenbaret (Matth. 11, 25). Darum sagt Schelling für die Engel, die ihr Fürstentum nicht behalten haben, sondern 35 verließen ihre Behausung (Judä 6), für den Teufel und seine gottlosen Scharen: kosmische Potenzen, was soviel heißt wie Für¬ sten dieser Welt. Jetzt natürlich kann Gott an der Welt keinen Ge¬ fallen mehr haben. Er stößt sie nach seiner Gerechtigkeit von sich, und wo er in ihr wirkt, tut er es in seinem Zorn und ohne 40 seinen vollen freien Willen. Aber der ewige Erbarmer kann nicht von ihr lassen; das Wort, durch welches alle Dinge gemacht sind und ohne dasselbige ist nichts gemacht, das gemacht ist (Joh. 1,3), der eingeborne Sohn Gottes bleibt mit seiner unermeßlichen Liebe und Gnade bei der armen, verstoßenen Welt. Sein Leidensstand 45 beginnt mit dem Sündenfall und nicht erst mit seiner Mensch¬
236 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete werdung unter Herodes, denn mit dem Sündenfall ist er ganz aus der Menschheit verdrängt, in der er mehr noch als der Vater lebte. Ja, indem er sich zwischen den zürnenden Gott und die gefallene Welt, die jener vernichten wollte, hinstellte, auf ihre Seite trat, trennte er sich vom Vater und war so gewissermaßen mitschuldig 5 und konnte auf die göttliche Herrlichkeit keinen Anspruch machen, so lange der Vater nicht versöhnt war. Dies große Werk der Ver¬ söhnung, den Kampf mit dem Fürsten dieser Welt, begann er nun in dieser nicht göttlichen und nicht menschlichen Gestalt, in dieser Trennung vom Vater, die sein Leiden und seinen Schmerz aus- 10 macht. Daß diese Deutung in der heiligen Schrift begründet ist, zeigt das 53. Kapitel des Propheten Jesaias aufs deutlichste, wo von einem gegenwärtigen, nicht zukünftigen Leiden die Rede ist. Dieser große Streit beginnt nun im Judentum und im Heidentum. Wie der Herr sich das Judentum unterwirft, zeigt die Geschichte 15 des Volkes Israel im Alten Testament, und die herrlichen Füh¬ rungen, durch die der Herr sein Volk geleitet hat, sind den Christen wohlbekannt. Aber im Heidentum? War nicht gerade der Teufel der Gott der Heiden? Wir wollen versuchen, dies so klar wie mög¬ lich zu beantworten, ohne von den Aussprüchen der heiligen 20 Schrift abzuweichen. Es hat wohl jeder bereits gehört, daß auch unter den Heiden, in den sibyllinischen Büchern und sonst wo Weissagungen auf Christum waren. Hier zeigt sich also schon, daß sie nicht ganz so gottverlassen waren, als man gewöhnlich meint, denn diese Weis- 25 sagungen sind göttlichen Ursprungs. Nun aber ist es damit nicht getan. Warum sollte der Herr in seiner Barmherzigkeit sie so ganz in der Irre gehen und in die Krallen des Teufels fallen lassen? Läßt er doch regnen über Gute und Böse und die Sonne scheinen über Gerechte und Ungerechte! Ja, wenn die Heiden so ganz ohne Gottes Schutz und Leitung in der Gewalt des bösen Feindes ge¬ wesen wären, würden ihre Sünden da nicht größer und unerhörter sein, als sie wirklich waren? Würden dann nicht alle die schänd¬ lichen Wollüste und unnatürlichen Begierden, die fleischlichen und andern Sünden, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, Schalks- 35 auge, Unkeuschheit nicht so laut gen Himmel geschrieen haben, daß Gott sie hätte ohne*Zaudern vertilgen müssen? Ja, würden sie sich nicht selbst einander erschlagen und auf gefressen haben? Hier¬ aus folgt schon, daß Gott sich auch der Heiden erbarmt und ihnen einiges Licht von Oben gegeben haben muß ; und dies besteht darin, daß sie allmählich und ohne daß sie es merkten, durch alle Stufen des Götzendienstes zur Anbetung des wahren Christus geführt wurden, ohne aber daß sie wußten, ihr Gott und der der Christen sei derselbe, und der im Heidentum verborgen gewesen, sei nun im Christentum offenbaret worden. Diejenigen nun, welche dies «
Schelling, der Philosoph in Christo 237 nicht erkannten, als ihnen das Evangelium gepredigt war, beteten nun nicht mehr den verborgenen Christus an, weil sie den geoffen¬ barten verfolgten, sondern ihr Gott war nun der Feind Christi, der Teufel. Das ist ein großes Verdienst von Schelling, daß er der 5 erste ist, der sich daran gibt, die Führungen Gottes unter den Hei¬ den aufzusuchen und so der Liebe Christi zu den sündigen Men¬ schen ein neues Lob bereitet. Nachdem nun die Juden mit Bewußtsein und die Heiden ohne es zu wissen und in falscher Gestalt zur Erkenntnis des wahren 10 Gottes gebracht, als die stolzen Paläste des Griechentums zerfallen waren und die eiserne Hand des römischen Kaisers auf der ganzen Welt lag, da war die Zeit erfüllet, und Gott sandte seinen Sohn, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Dies geschah folgendermaßen. Indem 10 Christus sich das Heidentum unterworfen hatte, war er der Gott desselben, aber nicht der wahre Gott, das konnte er ohne den Vater nicht sein. So hatte er dem Teufel die Welt abgerungen und konnte mit ihr machen was er wollte; er konnte sie für sich be¬ halten und ihre Herrschaft in dieser göttlichen Gestalt 2o allein führen; aber er tat dies aus freiem Gehorsam nicht, sondern übergab sie seinem Vater, indem er die göttliche Gestalt ablegte und Mensch wurde. Welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er es nicht für einen Raub, Gott gleich sein; sondern äußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, und ward gleich wie ein 26 anderer Mensch und an Gebärden wie ein Mensch erfunden. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz (Phil. 2, 6—8). Es sind noch eine Menge Stellen in der heiligen Schrift, die diese Auslegung für die rich¬ tige erklären und beweisen; auch kann man nach dieser Weise to alles ganz einfältiglich und wörtlich nehmen, ohne viel Ausflüchte und Gelehrsamkeit nötig zu haben. Das ist eben das Große an dem Gehorsam Christi, daß der Hei¬ land die ganze Welt für sich besitzen und sich vom Vater lossagen konnte, und daß er dies nicht wollte, sondern seinem Vater die 36 dem Teufel abgestrittene Welt zu Füßen legte und den Tod erlitt zur Versöhnung für viele. Hier sehen wir auch, was die Versuchungsgeschichte Christi be¬ deutet. Hätte es nicht in Jesu freier Wahl gestanden, sich dem Vater zu unterwerfen oder nicht, so hätte der Teufel ihn gar nicht 40 versuchen können, denn er mußte ja wissen, daß es doch vergeb¬ lich sein werde. Also ist die obige Auslegung Schellings ge¬ wiß richtig. Daß also Christus wahrer Gott sei, haben wir gehört und jetzt geht unser Gewährsmann zur zweiten Natur desselben, der mensch- 45 liehen, über. Auch er ist des festen Glaubens, daß Christus wahr¬
238 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete lieh und wahrhaftiger Mensch gewesen ist und nicht, wie viele Ketzer meinen, bloß eine Erscheinung oder der Geist Gottes, der sich auf einen bereits existierenden Menschen herabgelassen habe. Indem Christus die Welt gegen Gott vertrat, sich für sie ver¬ bürgte, trat er außer Gott heraus und ihm gegenüber. So lange also * die Welt nicht wieder mit Gott versöhnt war, war Christus nicht Gott, sondern in einem Mittelzustande, der durch die Besiegung des Heidentums zur göttlichen Gestalt wurde, aber selbst der wahre göttliche Zustand nicht war. Um in diesen sich wieder zu versetzen, mußte Christus seinem Vater die Welt übergeben, die er dem Teufel abgerungen hatte, mußte die göttliche Gestalt ablegen und sich selbst demütig dem Vater unterwerfen, um die Strafe für die Missetat der Welt auf sich zu nehmen. Diese Demut zeigte er, in¬ dem er Mensch wurde, vom Weibe geboren, und gehorsam war bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Alle Reinigung und Opfer hatten Gott nicht versöhnen können und waren bloß die Vorspiele des einen großen Opfers gewesen, in welchem nicht nur das Böse vertilgt, sondern auch der Zorn Gottes versöhnt wurde. Dieser konnte nur durch die größte, freiwilligste, demütigste Unterwer¬ fung versöhnt werden, und das konnte nur der Sohn, nicht aber 20 der Mensch, den die Furcht und Qual des Gewissens, der dräuende Zorn Gottes zur Unterwerfung zwang. Jetzt konnte Christus auch die Menschen vor Gott vertreten, da er durch die Anbetung, die sie ihm ohne es zu wissen, zollten, ihr Herr, ihr Verteidiger geworden war. Um nun wirklich an des Menschen Statt die diesem zukom- 25 mende Strafe zu tragen, ward er Mensch; der Entschluß zur Menschwerdung ist ein Wunder der göttlichen Gesinnung. So wurde, der im Anfänge bei Gott, ja Gott selbst, und nach dem Sündenfall in der „göttlichen Gestalt66 war, jetzt in Bethlehem als Mensch geboren, und zwar aus dem heiligen Geist von der Maria, 20 ohne Zutun einiges Mannes. Wer hätte das zu hoffen gewagt, daß im Jahr 1842 ein Philo¬ soph, ja der Stifter der neuen Lästerschule, so erfreulich umkeh¬ ren werde und sich so freudig zu den Hauptlehren des Christen¬ tums bekennen? Das, woran der Zweifel sich immer zuerst machte, 35 was die Halbchristen von jeher verstoßen haben, und das dennoch der Eckstein des christlichen Glaubens ist, die Geburt Christi aus der Maria ohne Zutun des Mannes, daß Schelling auch dies als seine Überzeugung ausgesprochen hat, ist eines der erfreu¬ lichsten Zeichen der Zeit, und der hochbegnadigte Mann, der den Mut dazu hatte, hat Anspruch auf den Dank eines jeden Gläubigen. Wer erkennt aber nicht hier die Hand des Herrn in dieser wunder¬ baren, herrlichen Fügung? Wer sieht nicht, daß er hier seiner Kirche ein Zeichen gibt, daß Er sie nicht verlassen hat und ihrer bei Tag und Nacht gedenkt? «
Schelling, der Philosoph in Christo 239 Über den Tod des Herrn spricht sich Schelling auf eine eben so wahrhaft christliche und erbauliche Weise aus. Er sei von Anbeginn der Welt im Rate der Wächter beschlossen gewesen und ein Opfer, das die göttliche Gesinnung geheischt habe. Gott sei auch gegen den Satan gerecht und habe ihm so sehr sein Recht angedeihen lassen, daß er seinen eigenen Sohn in den Tod dahin¬ gegeben, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben, damit der Teufel nur ja nicht den mindesten Grund habe zu sagen, er sei durch die größere Macht 10 Gottes auf ungerechte Weise gestürzt worden. Es ist die Majestät und Herrlichkeit des Herrn selbst, die auch den leisesten Schein eines solchen Fleckens nicht duldet. Darum mußte Christus Mensch werden und die Missetat der gottverlassenen Menschheit auf sich nehmen und am Kreuze den Tod leiden, auf daß durch Jä Eines Tod viele lebendig würden. Darum mußte der Herr in seiner Gnade und Barmherzigkeit sich dahin geben für uns, sich für die Sünder beim Vater verbürgen und unsere Schuld bezahlen, daß wir wieder Zutritt haben zum Thron der Gnade. Und zwar sind die anderen Menschen auch dem Tode samt und sonders verfallen, 20 aber Keiner ist so gestorben wie der Herr, hat einen solchen Er¬ lösungstod erlitten wie Jesus Christus. Und so ist auch diese Krone des Glaubens, die Reinigung von den Sünden im Blute Christi, wieder einmal wunderbarlich aus den Krallen des alten Drachen, welcher jetzt in Gestalt der Weltweisheit und des leidigen Zeit- 25 geistes umgeht, gerettet worden, und aufs Neue hat der Herr die köstliche Verheißung bewährt, daß die Pforten der Hölle seine Kirche nicht überwältigen sollen. Weiter sagt Schelling von Christo sehr schön: Dieser Tod ist ein so großes Wunder, daß wir gar nicht wagen würden, es zu glauben, wenn wir es nicht so ge- 30 wiß wüßten. Bei seinem Tode war die ganze Menschheit vertreten; Juden und Heiden waren gegenwärtig, und sie waren die beiden Seiten des ganzen Menschengeschlechts. Das Prinzip der Heiden, wie Christus es durch seinen Kampf mit dem Satan im Heidentum geworden war, mußte den Tod der Heiden, den Kreuzestod, ster- 35 ben. Die Ausspannung am Kreuze ist nur die Lösung der langen Spannung, in der er sich unter den Heiden befunden hatte, d. h. die außergöttliche Stellung des Herm löste sich auf, und er wurde durch den Tod wieder Eines mit Gott, wie geschrieben steht: Er ist aus der Angst und dem Gericht genommen, wer will seines Lebens 40 Länge ausreden? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weg¬ gerissen, da er um die Missetat meines Volkes geplaget war (Jes. 53, 8.). Von der Auferstehung des Herm sagt aber Schelling, sie sei der Beweis, daß Christus seine Menschheit nicht zum Schein 45 angenommen habe, sondern ernstlich und für immer Mensch ge¬
240 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete worden sei, und daß Gott die menschliche Gestalt und das mensch¬ liche Wesen wieder zu Gnaden angenommen habe, und zwar nicht allein die Menschheit in Christo, sondern überhaupt alle Mensch¬ heit, deren Vertreter Christus nur gewesen. Denn nicht die ein¬ zelne Sünde sei Gott so mißfällig, daß er die Menschheit darum 5 habe verlassen müssen, sondern das Schlimmste sei der ganze, sündige, dem Bösen verkaufte Zustand des ganzen Menschenge¬ schlechts, und daher hat Gott sein Mißfallen am Menschen, schon ehe er gesündigt, so daß es vor Gott schon gleichsam eine Sünde war, ein Mensch zu sein. Daher konnte kein guter, Gott wohlge- 10 fälliger Wille, daher keine einzige gute, vor Gott gerechte Tat auf der Welt sich finden, ehe Christus gestorben war, und daher kön¬ nen auch jetzt nur die Gläubigen gute Werke tun und guten Willen haben. Durch die Auferstehung des Herm aber ist der mensch¬ liche Zustand wieder vor Gott gerechtfertigt und von Gott als ent-15 sündigter anerkannt, und so ist die Rechtfertigung durch die Auf¬ erstehung erst vollendet. So ist Christus nun gen Himmel auf ge¬ hoben worden, und sitzet zur Rechten Gottes des Vaters, als wahrer Mensch und wahrer Gott, die Menschheit vor dem Vater vertretend. Die Auferstehung ist uns ferner ein Beweis für die Unsterb- 20 lichkeit unserer eigenen Seele und die Auferstehung des Fleisches. Auch dies erkennt Schelling an und setzt hinzu, daß, wenn in diesem Leben das Fleisch über den Geist herrsche, ein zweites folgen müsse, wo der Geist das Fleisch überwältigt habe, und zu¬ letzt eine Ausgleichung beider Seiten notwendig sei. Dies stimmt 25 ganz mit der Lehre der Schrift, denn der letzte Zustand nach der Auferstehung und dem jüngsten Gericht, nach der Verklärung des Leibes, ist nichts anderes, als das, was Schelling das Gleich¬ gewicht zwischen Seele und Leib nennt. Für den Zustand der Un¬ bußfertigen und Verdammten, die in Unglauben, Herzenshärtig- 30 keit und Sünden dahin gefahren sind, spricht Schelling auch eine Vermutung aus. Er hält den zweiten, ewigen Tod für ein ewiges Sterben, ohne je zum wirklichen Tode kommen zu können. Darüber zu grübeln, möchte wöhl unterlassen und es dem Herm anheimgestellt werden können, wie er seine Verächter und Lästerer 35 züchtigen und peinigen will. Endlich aber legt der teure Schelling folgendes köstliche Zeugnis von der Auferstehung unseres Herm und Heilandes Jesu Christi ab: Diese Auferstehung ist ein Blitz der innem Geschichte in die äußere. Wer solche Tatsachen wegnimmt, dem bleibt die 40 Geschichte des Reiches Gottes nur eine Reihe von äußerlichen, zu¬ fälligen Begebenheiten ohne allen göttlichen Inhalt, ohne das Transzendente (was über die Vernunft geht), welches erst eigent¬ liche Geschichte ist. Ohne sie ist die Geschichte nur eine äußerliche Gedächtnissache, nie eine wahre, ganze Kenntnis der Begeben- 45
Schelling, der Philosoph in Christo 241 heiten. — Das ist ein schönes und christliches Wort, dagegen die Redereien der Weltweisen von Gott in der Geschichte und Ent¬ wickelung des Gattungsbewußtseins eitel Unflat und Lästerung sind. Denn wenn diese hochmütigen Jugendverführer ihren Gott 5 in der Geschichte aller menschlichen Sünden und Verbrechen ha¬ ben, wo bleibt der Gott außerhalb dieser Sünden. Diese Spötter wollen nicht einsehen, daß die ganze Weltgeschichte ein Vorüber¬ drängen von allerlei Ungerechtigkeit, Bosheit, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, Lästerung, Frevel, Zorn und Wut und Trunken- 10 heit ist, die unfehlbar sich selbst in die Hölle stürzen würden und die ganze Welt mit, wenn man nicht überall Gottes rettende Hand sähe, die dem Übel wehrt und steuert; und diese schändliche Lasterbühne ist ihr Himmel, ihre ganze Unsterblichkeit, das haben sie selbst offen gesagt. Aber das sind die säubern Folgen davon, 15 daß man alle göttlichen Wirkungen aus der Geschichte heraus¬ wirft. Gott rächt sich dadurch an ihnen, daß er ihnen sein wahres Wesen verschließt und sie sich einen Gott machen läßt, der noch weniger als ein tauber Götze von Holz und Stroh, der ein vages Luftgebilde, ein sogenannter Weltgeist und Geist der Geschichte 20 ist. Was bei einer solchen Betrachtung der Geschichte, deren Hauptanstifter der bei allen guten Christen übel berufene Hegel ist, herauskommt, haben wir gesehen; halten wir also das Bild der Geschichte dagegen, welches ein Mann Gottes, wie Schel¬ ling, entwirft. 25 Unter den Zwölfen, sagt Schelling, welche den Herm im¬ mer umgaben und von ihm zu Aposteln bestellt wurden, waren es vornehmlich drei, die er bei jeder Gelegenheit vor den andern be¬ gnadigte, Petrus, Jakobus und Johannes. In diesen Dreien sind die Vorbilder der ganzen christlichen Kirche gegeben, wenn wir für so den frühe für den Namen Christi getöteten Jakobus den ungefähr zu derselben Zeit bekehrten Paulus als Nachfolger annehmen. Petrus, Paulus und Johannes sind die Herrscher über drei ver¬ schiedene Zeiträume der christlichen Kirche, wie im Alten Testa¬ ment Moses, Elias und Johannes der Täufer die drei Vertreter 35 dreier Zeiträume waren. Moses war der Gesetzgeber, durch wel¬ chen der Herr den Grund legte; Elias der feurige Geist, der das träge, abgefallene Volk wieder zum Leben und zur Tätigkeit brachte, Johannes der Täufer der Vollender, der das Alte Testa¬ ment ins Neue hinüberführt. So auch war für die neutestamentliche 4o Kirche Petrus der Moses, der Grundleger, durch welchen das jü¬ dische Wesen der damaligen Zeit in der christlichen Kirche ver¬ treten wurde; Paulus der treibende, feurige Elias, der die Gläu¬ bigen nicht lau werden und einschlummern ließ und das Wesen des Heidentums, Bildung, Gelehrsamkeit und Weltweisheit — so- 45 fern sie sich unter den Glauben gefangen gab — vertrat; Johannes Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 16
242 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete aber wird wiederum der Vollender, der auf die Zukunft Hin¬ weisende, sein, denn die der Herr liebt, denen gibt er das Geschäft des Vollendens. So schrieb denn auch Johannes, schon zu seinen Lebzeiten auf die Zukunft hinweisend, die Offenbarung. Die Kirche des Apostels Petrus ist nun die katholische, deren zeremo- s nieller Gottesdienst, so wie ihre Lehre von den guten Werken dem jüdischen Gesetze entspricht; und es läßt sich nicht leugnen, daß das Wort des Herrn: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen, auf die von ihm gestiftete Kirche geht. Wie er den 10 Herrn dreimal verleugnete, so läßt sich auch nachweisen, daß die römische Kirche den Herm dreimal verleugnet hat. Zuerst, als sie selbst nach der weltlichen Herrschaft strebte, sodann, als sie der weltlichen Gewalt zu ihren Zwecken sich zu bedienen wußte, und endlich, als sie der weltlichen Gewalt sich als Mittel zu ihren 15 Zwecken hergab. Die zweite Kirche des Apostels Paulus nun ist die protestantische, in welcher die Gelehrsamkeit und alle gott¬ selige Weisheit, also das Wesen der aus dem Heidentum herüber¬ gekommenen Christen vorherrschend ist, und in welcher, statt des Feststehenden, Bleibenden der katholischen Kirche, nun das Trei- 20 bende, Parteien machende Leben der in viele Sekten zerfallenden evangelischen Kirche eintritt. Wer weiß, ob das Dichten und Trachten dieser heidnischen Christen dem Reiche Gottes nicht am Ende förderlicher ist als das der jüdischen Christen! Aber keine dieser beiden Parteien ist die wahre, letzte Kirche 25 des Herm, sondern dies wird erst die sein, die von Petri Grund durch Paulum zu Johannes durchdringt und so die letzten Zeiten vorbereitet. Diese letzte Kirche ist die Kirche der Liebe, wie Jo¬ hannes der Bote der Liebe war, die Vollendung der Kirche, zu deren Zeiten der auf das Ende geweissagte große Abfall sein wird, so und sodann das jüngste Gericht. Es sind allen Aposteln viele Kir¬ chen gebaut worden, aber verhältnismäßig sehr wenige dem heili¬ gen Johannes. Hätte ich eine Kirche zu bauen, so würde ich sie ihm widmen; einst aber wird eine Kirche gebauet werden allen drei Aposteln, und diese wird die letzte, das wahre christliche ss Pantheon sein. Dies sind die Worte, mit denen der erste wahrhaft christliche Philosoph seine Vorlesungen beschloß, und so wären wir ihm bis zum Ende gefolgt. Der Verfasser dieser Zeilen glaubt hinlänglich gezeigt zu haben, welch ein auserwähltes Rüstzeug der Herr seiner 40 Kirche in diesem werten Manne erwecket hat. Das ist der Mann, welcher die Heiden der jetzigen Welt vertreiben wird, die da ihr Wesen treiben unter vielfältiger Gestalt, als Weltleute, als junges Deutschland, als Philosophen und wie sie sich sonst nennen mögen. Wahrlich, wenn man in den Saal kam, in welchem Schelling 4&
Schelling, der Philosoph in Christo 243 seine Vorlesungen hielt, und hörte diese Leute über den Auser¬ wählten unter den Weltweisen spötteln und witzeln, so mußte man des Apostels Pauli gedenken, als er zu Athen predigte. Es ist ge¬ radeso, als wiederholte sich die Geschichte, wie sie Apostelge- 5 schichte 17, 16ff. erzählet ist, wo die Worte also lauten: „Da aber Paulus zu Athen ihrer wartete, ergrimmete sein Geist in ihm, da er sah die Stadt so gar abgöttisch. Und er redete zwar zu den Juden und Gottesfürchtigen in der Schule, auch auf dem Markt alle Tage zu denen, so sich herzufanden. Etliche aber der io Epikurer und Stoiker Philosophen zankten mit ihm. Und etliche sprachen: Was will dieser Lotterbube sagen? Etliche aber: Es siebet, als wollte er neue Götter verkündigen. Das machte, er hatte das Evangelium von Jesu und von der Auferstehung ihnen ver¬ kündiget.“ 15 Wohl mochte auch Schelling hier zu Berlin ergrimmen, da er sähe die Stadt so gar abgöttisch. Denn wo wird mehr Abgötterei getrieben mit irdischen Dingen, mit dem Mammon und der Ehre dieser Welt, mit dem eignen lieben Ich, und der wahre Gott mehr beiseite gesetzt als gerade hier? Wo ist das Weltleben mit seiner so Üppigkeit, seinem Luxus und seiner hohlen eitlen Pracht, mit sei¬ nen glänzenden Lastern und übertünchten Sünden auf eine höhere Stufe gediehen als gerade hier? Haben Eure Gelehrten, Eure seichten und unchristlichen Schriftsteller Euch nicht schmeicheln wollen, wenn sie Eure Stadt so häufig mit Athen verglichen? 0, 25 welche bittere Wahrheit haben sie Euch gesagt! Ja wohl Athen voll heidnischer, stolzer Bildung und Zivilisation, die Euch eben die Augen verblendet gegen die einfache Wahrheit des Evangeliums, Athen voll Glanz und Schein und irdischer Herrlichkeit, voll Wohllebens und bequemen Schlendrians, der sich dehnt und gähnt 30 auf weichen Lotterbettlein, und dem das Wort vom Kreuz viel zu langweilig und die Buße viel zu anstrengend ist, Athen voll üppi¬ gen wilden Rausches und Sinnentaumels, in dem die laute Stimme des Gewissens überschrieen und übertäubt, die innere Unruhe und Pein mit glänzender Hülle bedeckt wird! Ja wohl, Athen voll hoch- 35 mütiger Weltweisen, die sich um Sein und Nichts und andre schale Dinge den Kopf zerbrechen und mit Gott und Welt längst fertig sind, die aber das Wort von der Demütigung und Armut im Geiste als eine Torheit und eine Kuriosität aus vergangenen Zeiten ver¬ lachen ; Athen voll gründlicher Gelehrter, die alle Arten Infusions- 40 tierchen und alle Kapitel des römischen Rechts auswendig wissen und darüber das ewige Heil, welches ist der Seelen Seligkeit, ver¬ gessen! Da mag auch wohl ein Schelling ergrimmet sein, wie einst Paulus, als er in eine solche Stadt trat. Und als er herkam, da sprachen die Weltweisen, wie vorzeiten die weiland Epikurer 45 und Stoiker zu Athen: Was will dieser Lotterbube sagen? Sie 16*
244 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete sprachen schon schlecht von ihm, ehe er seinen Mund aufgetan hatte, sie schmähten ihn, ehe er noch ihre Stadt betreten hatte. Doch sehen wir, wie die heilige Schrift uns weiter berichtet: „Sie nahmen ihn aber und fiihreten ihn auf den Richtplatz und spra¬ chen: Können wir auch erfahren, was das für eine neue Lehre sei, 5 die Du lehrest? Denn Du bringest etwas Neues vor unsre Ohren; so wollten wir gerne hören, was das sei? Die Athener aber Alle, auch die Ausländer und Gäste, waren gerichtet auf nichts Anderes, denn etwas Neues zu sagen und zu hören.“ Nun, sind das nicht die Berliner, wie sie leiben und leben? Sind 10 nicht auch sie nur gerichtet darauf, etwas Neues zu hören und zu sehen? Da gehet einmal hin in Eure Kaffeehäuser und Kondito¬ reien und sehet, wie die neuen Athener hinter den Zeitungen her¬ laufen, während die Bibel zu Hause bestaubt daliegt, und kein Mensch schlägt sie auf ; hört, wenn sie zusammen kommen, ob ihr 15 Gruß anders ist, als: Was gibt’s Neues? Nichts Neues? Immer etwas Neues, immer etwas noch nicht Dagewesenes, sonst lang¬ weilen sie sich zu Tode, mit all ihrer Bildung, ihrer Pracht und ihren Genüssen. Wer gilt ihnen für liebenswürdig, interessant und beachtenswert? Der am erleuchtetsten ist vom heiligen Geist? 20 Nein, der, der immer die meisten Neuigkeiten zu erzählen weiß. Was kümmert sie am meisten? Ob sich ein Sünder bekehrt hat, worüber sich doch die Engel Gottes freuen? Nein, was über Nacht für Skandalgeschichten vorgefallen sind, was in der Leipziger Allgemeinen Zeitung aus Berlin berichtet ist! Vor allen ist das 25 Otterngezücht der Politiker und Kannegießer aber das schlimmste und am meisten auf Neuigkeiten versessene. Diese Heuchler mischen sich aufs vorlauteste in die Regierung, statt dem Könige zu lassen, was des Königs ist, und kümmern sich um ihrer unsterb¬ lichen Seelen Heil keinen Augenblick; den Splitter im Auge der 30 Regierung wollen sie ausziehen, und den Balken in ihrem eignen glaubenslosen, für Christi Liebe blinden Auge wollen sie nicht bemerken. Diese sind ganz besonders wie weiland die Athener, die sich auch den ganzen Tag auf dem Markte umhertrieben und Neuigkeiten auf spürten und die alte Wahrheit dagegen unange- 35 rührt im Schranke liegen haben. Was wollten sie von Schelling anders, als etwas Neues hören, und wie rümpften sie ihre Nasen, als er ihnen nur das alte Evangelium brachte! Wie wenige waren ihrer, die nicht stets nach neuen Dingen trachteten, sondern von Schelling nur die alte Wahrheit, das Wort von der Erlösung 40 durch Christum Jesum, verlangten! — Und so ist es mit der ganzen Geschichte, wie dort bei Paulus, so hier bei Schelling. Sie hörten seine Predigt mit kritischen Gesichtern an, lächelten hier und da vornehm, schüttelten den Kopf, sahen sich selbst vielsagend und dann Schelling mit- 45
Schelling, der Philosoph in Christo 245 leidig an, und da sie höreten die Auferstehung von den Toten, da hatten sie es ihren Spott (Apostelgeschichte 17, 32). Nur wenige hingen ihm an. Denn wie in Athen ist es noch heute: die Aufer¬ stehung von den Toten ist ihr Hauptärgernis. Die meisten sind 5 ehrlich genug, von gar keiner Unsterblichkeit etwas wissen zu wollen; die Minderzahl gibt eine sehr ungewisse, schwankende, neblige Unsterblichkeit der Seele zu, aber den Leib läßt sie auf ewig vermodern, und sie sind Alle darin gleich, daß sie die wirk¬ liche, entschiedene und unverhohlene Auferstehung des Fleisches io verspotten und für ein Ding der Unmöglichkeit halten, als wenn nicht geschrieben stände: Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Es bleibt uns aber noch eine andre Bemerkung übrig, wenn wir auf die dem gläubigen Leser dargelegte Geschichte der Kirche Christi, wie sie vorbildlich in den drei Aposteln Petrus, Paulus 15 und Johannes uns vorgestellt ist, zurückkommen. Es folgt daraus, daß es höchst unrecht und sündlich gegen die Anordnung Gottes selbst ist, wenn wir, wie so manche noch heutzutage tun, die katho¬ lische Kirche gegen die unsrige verachten und herabsetzen wollten. Denn sie ist eben so gut wie die protestantische im göttlichen Rat- 20 Schluß vorherbestimmt, und wir können gar manches von ihr ler¬ nen. Die katholische Kirche hat noch die alte apostolische Kirchen¬ zucht, welche bei uns ganz verloren gegangen ist. Wir wissen aus der Schrift, daß die Apostel und die Gemeinden Ungläubige, Irr¬ lehrer und Sünder, die der Gemeinde zum Ärgernis waren, aus- 25 stießen aus der Gemeinschaft des heiligen Geistes. Spricht nicht Paulus 1. Kor. 5, 3—5: Ich zwar, als der ich mit dem Leibe nicht da bin, doch mit dem Geist gegenwärtig, habe schon als gegen¬ wärtig beschlossen über den, der solches also getan hat: In dem Namen unsres Herrn Jesu Christi, in Eurer Versammlung mit 3o meinem Geist, und mit der Kraft unsres Herrn Jesu Christi: Ihn zu übergeben dem Satan zum Verderben des Fleisches, auf daß der Geist selig werde am Tage unsres Herrn Jesu. Hat nicht Chri¬ stus gesagt zu Petro: Und ich will Dir des Himmelreichs Schlüssel geben. Alles, was Du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und Alles, was Du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein (Matth. 16, 19). Sprach er nicht nach der Auferstehung zu allen Jüngern: Welchem Ihr die Sünden erlasset, dem sind sie erlassen, welchem Ihr sie behaltet, dem sind sie be¬ halten? (Ev. Joh. 20, 23.) Solche Stellen der heiligen Schrift 40 gehen auf eine kräftige Kirchenzucht, wie sie in der apostolischen Kirche blühte und bei den Katholiken noch besteht, und wenn die apostolische Kirche unser Vorbild und die heilige Schrift unsre Richtschnur ist, so müssen auch wir jene alte Einrichtung wieder in Geltung zu bringen trachten, und bei der Wut, mit welcher der 46 böse Feind heutzutage die Kirche des Herm verfolgt und angreift,
246 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete mögen wir wohl uns vorsehen, nicht nur innerlich mit Glauben und Hoffnung, sondern auch äußerlich durch Befestigung der Ge¬ meinschaft im Geist und Ausstoßung der falschen Propheten ge¬ rüstet zu sein. Der Wolf darf nicht unter die Herde kommen, ohne wieder herausgetrieben zu werden. Auch ist ferner die Ehelosigkeit 5 der katholischen Priester nicht ganz zu verwerfen. Es steht ge¬ schrieben Matth. 19, 10—12: Da sprachen die Jünger zu ihm: Stehet die Sache eines Mannes mit seinem Weibe also, so ist es nicht gut, ehelich werden. Er sprach aber zu ihnen: Das Wort fasset nicht Jedermann, sondern denen es gegeben ist. Denn es sind w etliche verschnitten, die sind aus Mutterleibe also geboren; und sind etliche verschnitten, die von Menschen verschnitten sind, und sind etliche verschnitten, die sich selbst verschnitten haben um des Himmelreichs willen. Wer es fassen mag, der fasse es. Sodann handelt 1. Kor. 7 von Anfang bis zu Ende von den Vorzügen des 15 ehelosen Standes gegen den Ehestand, und ich will daraus nur einige Stellen anführen: V. 1. 2. Es ist dem Menschen gut, daß er kein Weib berühre, aber um der Hurerei willen habe ein jeg¬ licher sein eigen Weib und eine jegliche habe ihren eigenen Mann. V. 8. Ich sage zwar den Ledigen und Witwen: Es ist ihnen gut, 20 wenn sie auch bleiben wie ich. V. 27. Bist du aber los vom Weibe, so suche kein Weib. V. 32. 33. Wer ledig ist, der sorget was dem Herm angehöret, wie er dem Herm gefalle; wer aber freiet der sorget was der Welt angehöret, wie er dem Weibe gefalle. V. 38 ff. Endlich, welcher verheiratet der tut wohl, welcher aber nicht ver- 2i heiratet, der tut besser. Ein Weib ist gebunden an das Gesetz, so lange ihr Mann lebet; so aber ihr Mann entschläft, ist sie frei sich zu verheiraten, welchem sie will; allein, daß es in dem Herrn ge¬ schehe. Seliger ist sie aber, wo sie also bleibet, nach meiner Mei¬ nung. Ich halte aber, ich habe auch den Geist Gottes. — Diese 30 Aussprüche sind doch klar genug, und es ist schwer zu begreifen, wie bei solchen Vorschriften der ehelose Stand unter den Prote¬ stanten so sehr in Verruf kommen konnte. So sehen wir also, daß die katholische Kirche in manchen Stücken der heiligen Schrift näher steht als wir, und wir keine Ursache haben sie zu verachten.35 Im Gegenteil stehen unsre Brüder in der katholischen Kirche, so sie gläubig und gottesfürchtig sind, uns näher als die abgefallenen und unchristlichen Protestanten, und es ist an der Zeit, daß wir die Johanneskirche vorzubereiten anfangen, indem wir uns mit den Katholiken vereinigen gegen die gemeinsamen Feinde, welche 40 das ganze Christentum bedrohen. Es ist nicht mehr Zeit, sich über die Unterschiede der einzelnen Bekenntnisse zu streiten, wir müs¬ sen das dem Herm überlassen, nachdem wir Menschen es in drei¬ hundert Jahren nicht haben ins klare bringen können, wir müssen wachen und beten und gerüstet sein alle Zeit, umgürtet die Lenden 45
Schelling, der Philosoph in Christo 247 mit Wahrheit, und angezogen den Krebs der Gerechtigkeit, und an Beinen gestiefelt, als fertig zu treiben das Evangelium des Frie¬ dens; vor allen Dingen aber müssen wir ergreifen den Schild des Glaubens, mit welchem wir auslöschen können alle feurigen Pfeile 5 des Bösewichts, und nehmen den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes (Epheser 6, 14—17). Denn die Zeit ist schlimm, und der Feind gehet um wie ein brül¬ lender Löwe und suchet, welchen er verschlinge (1. Petri 5, 8). Und wenn der Verfasser seine demütige Meinung äußern darf, wo io so manche gottselige und erleuchtete Männer reden könnten, so ist er der Ansicht, daß die Kirche Johannis und mit ihr die letzten Tage vor der Tür sind. Wer hat den Ereignissen der letzten Jahre im Hinblick auf den Herm zugesehen, ohne zu merken, daß große Dinge im Anzuge sind, und die Hand des Herm in den Begeben- 15 heiten der Könige und Länder waltet! Seit der greulichen franzö¬ sischen Revolution ist ein ganz neuer, teuflischer Geist in einen großen Teil der Menschheit gefahren, und die Gottlosigkeit erhebt ihr freches Haupt so unverschämt und hoffärtig, daß man denken muß, es gingen jetzt die Weissagungen der Schrift in Erfüllung. 20 Wir wollen aber einmal sehen, was die Schrift über die Gottlosig¬ keit der letzten Zeiten sagt. Der Herr Jesus sagt Matth. 24, 11— 13: Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und wer¬ den Viele verführen, und dieweil die Ungerechtigkeit wird über¬ hand nehmen, wird die Liebe in Vielen erkalten. Wer aber beharret 25 bis an das Ende, der wird selig. Und es wird geprediget werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt, zu einem Zeugnis über alle Völker und dann wird das Ende kommen. Und V. 21: Es werden falsche Christi und falsche Propheten auf stehen, und große Zeichen und Wunder tun, daß verführet würden in den Irr- 3o tum, wo es möglich wäre, auch die Auserwählten. Und Paulus sagt, 2. Thess. 2, 3ff.: Es wird geoffenbaret werden der Mensch der Sünde, und das Kind des Verderbens, der da ist ein Wider¬ wärtiger und sich überhebt über Alles, das Gott oder Gottesdienst heißt; nach der Wirkung des Satans, mit al- 3s lerlei lügenhaftigen Kräften und Zeichen und Wundem, und mit allerlei Verführung zur Ungerechtigkeit unter denen, die verloren werden, dafür, daß sie die Liebe zur Wahrheit nicht haben ange¬ nommen, daß sie selig würden. Darum wird ihnen Gott kräftige Irrtümer senden, daß sie glauben der i# Lüge; auf daß gerichtet werden Alle, die der Wahrheit nicht glauben sondern haben Lust an der Ungerechtigkeit. Und 1. Tim. 3, 1 : Der Geist aber sagt deutlich, daß in den letzten Zeiten wer¬ den Etliche vom Glauben abtreten und anhangen den verführe¬ rischen Geistern und Lehren der Teufel. 45 Ist das nicht, als sähen der Herr und Paulus unsere Zeit vor
248 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Augen wie sie leibt und lebt? Der allgemeine Abfall vom Reiche Gottes wird immer größer, die Gottlosigkeit und Lästerung wird täglich frecher, wie Petrus sagt, 2. Petri 3, 3: Und wisset, daß in den letzten Tagen kommen werden Spötter, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln. Alle Feinde Gottes tun sich jetzt zusammen und 5 fallen die Gläubigen mit allen möglichen Waffen an; die Gleich¬ gültigen, welche der Lust dieser Welt fröhnen und denen das Wort vom Kreuz zu langweilig war, vereinigen sich jetzt, vom Gewissen gestachelt, mit den atheistischen Weltweisen und wollen durch deren Lehre den Wurm im Innern einschläfern; diese auf der an- io dern Seite leugnen mit offner Stirn alles, was nicht mit Augen zu sehen ist, Gott und alles Leben nach dem Tode, und da versteht es sich von selbst, daß ihnen diese Welt das Höchste ist, diese Welt mit ihren fleischlichen Genüssen, mit Fressen, Saufen und Huren. Das sind die schlimmsten Heiden, die sich selbst verhärtet und 15 halsstarrig gemacht haben gegen das Evangelium, und von denen der Herr sagt, daß es dem Lande der Sodomer und Gomorrer er¬ träglicher gehen werde am jüngsten Gericht, denn ihnen. Es ist nicht mehr eine Gleichgültigkeit und Kälte gegen den Herrn, nein, es ist offene, erklärte Feindschaft, und anstatt aller Sekten und 20 Parteien haben wir jetzt nur zwei: Christen und Antichristen. Wer aber Augen hat zu sehen, der sehe und verblende sie nicht; denn es ist jetzt nicht Zeit zu schlummern und Ausflüchte zu machen; wo die Zeichen der Zeit so klar sprechen, da gilt es acht auf sie zu haben und zu forschen in den Worten der Weissagung, die uns 25 nicht umsonst gegeben ist. Wir sehen die falschen Propheten mit¬ ten unter uns, und ist ihnen gegeben ein Mund zu reden große Dinge und Lästerung, und sie tun ihren Mund auf gegen Gott zur Lästerung, zu lästern seinen Namen und seine Hütte und die im Himmel wohnen. Und ist ihnen gegeben zu streiten mit den Heili- 30 gen und (so will es fast scheinen) sie zu überwinden. Off. Joh. 13, 5—7. Alle Scham und Scheu und Ehrfurcht ist aus ihnen ver¬ schwunden, und die scheußlichen Spöttereien eines Voltaire sind ein Kinderspiel gegen den gräßlichen Ernst und die überlegte Lästerung dieser Verführer. Sie ziehen umher in Deutschland und 35 wollen sich überall einschleichen, sie predigen ihre satanischen Lehren auf den Märkten und tragen das Panier des Teufels von einer Stadt zur andern, die arme Jugend hinter sich herlockend, um sie in den tiefsten Schlund der Hölle und des Todes zu stürzen. Die Versuchung hat auf eine unerhörte Weise überhand genom- 40 men, und daß der Herr sie so zuläßt, kann nicht ohne besondere Absicht sein. Soll es denn auch von uns heißen: Ihr Heuchler, des Himmels Gestalt könnt Ihr beurteilen, könnt Ihr denn nicht auch die Zeichen dieser Zeit beurteilen? Matth. 16, 3. Nein, wir müs¬ sen unsere Augen auftun und um uns schauen; die Zeit ist wichtig, 45
Schelling, der Philosoph in Christo 249 und es gilt zu wachen und zu beten, auf daß wir nicht in Anfech¬ tung fallen, und der Herr, welcher kommen wird, wie ein Dieb in der Nacht, uns nicht schlafend finde. Es werden große Trübsal und Anfechtung über uns kommen, aber der Herr wird uns nicht ver- 5 lassen, denn er hat gesagt: Offenb. Joh. 3, 5: Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buche des Lebens, und will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und seinen Engeln. Und V. 11: Siehe, ich komme bald. Halte was du hast, auf daß Nie- io mand deine Krone nehme! Amen.
DER TRIUMPH DES GLAUBENS
Tafel V îsie fred) bebräute, febod) rounberbar befreite 'Bibel, über. $er Xriump^ be$ ©laubenö. J $0$ (ft; Sd)recfti^ez jebodj wahrhafte unb erflecflidje Historia Don Dein toeilanb Sicentiaten Jruuo Jauer; rote felbiger oont teufet Verführer, Dom reinen ©tauben abgefalten, fcberteufeL geworben unt entließ fräftiglid) entfe^et Lft Cbnftlidjed ^elïienjrtid)t m vier ©efangen. Heumünfter bei ^Bürid) Xrucftö unt oerlegtö Job Jr. 1842. Umschlagseitc der Broschüre „Der Triumph des Glaubens“"
Die frech bedräute, jedoch wunderbar befreite Bibel. Oder: Der Triumph des Glaubens Das ist: Schreckliche, jedoch wahrhafte und erkleckliche Historia von dem weiland Licentiaten Bruno Bauer; wie selbiger vom s Teufel verführet, vom reinen Glauben abgefallen, Oberteufel ge¬ worden und endlich kräftiglich entsetzet ist. Christliches Helden¬ gedicht in vier Gesängen. — Neumünster bei Zürich. Truckts und verlegts Joh. Fr. Hess. Ao. 1842. [Kl. 8°. 47 Seiten] Erster Gesang io Des Glaubens Gloria recht herrlich zu besingen, Entfalt’, o Seele mein, demütiglich die Schwingen, Des Glaubens hohen Sieg — doch nein! ist eigne Kraft Nicht gleich dem schwachen Rohr? Ein andrer gibt den Saft; Ein anderer verleiht so Wollen wie Vermögen: i* Ihr Gläub’gen, fleht herab auf mich der Gnade Segen! Ja, hebe dein Gebrüll, du Leu am Saalestrand, Und falte, Hengstenberg, die sieggewohnte Hand! Du mit der Leier groß, und groß auf dem Katheder, 0 Sack, von deiner Kraft ergieß in meine Feder; 20 Krummacher, Gottesmann, des wahren Glaubens Hort, 0 lehre mich, gleich dir, verkündigen das Wort! Und du, mein holder Knapp! Ich trag’, o fromme Seele, Die Fackel deines Lieds kühn in die Lästerhöhle! Und du, der dem Geschlecht der Spötter, kühn und frei, 25 Das Kreuz entgegenhielt, o Klopstock, steh’ mir bei! Was wär’ ich ohne dich, Theologus Johannes! Wenn du mir treulich hilfst, ich unternehm’s und kann es. Vertilgen helfet mir, David und Hesekiel, Den Greul der Lästerung mit Stumpf und auch mit Stiel ! 3o Auf, scharet euch um mich, des Glaubens starke Säulen, Beschützt mich gegen Spott und frecher Läst’rer Heulen; Hebt eure Hände fromm zum Thron der Gnaden auf, Daß ich zum Preis des Herrn vollende meinen Lauf! — Was störet auf einmal der Sel’gen Hosianna? 35 Warum versieget denn des Engelliedes Manna? Weh, ist des Teufels List zum Himmel eingekehrt
254. Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Und hat sein Pestgestank die Freud’ in Leid verkehrt? Wo Jubel nur und Preis und Loblied soll erklingen, Was soll das Jammern dort, das Klageliedersingen? Wer ist es, der da klagt? Wer schreit in Himmelshöh’n? Der Frommen Seelen sind’s, sie haben das Gestöhn: 4 „0 Herr, erhöre Herr, Herr höre unser Schreien! Wie lange duldest du die Plage deiner Treuen? Wie lange wartest du, und hast noch nicht gerächt, 0 Herr, der Gläub’gen Blut am frevelnden Geschlecht? Ach soll der Weltlust Trotz, der frechen Läst’rer Prahlen 10 Im Glanz der Herrlichkeit stets auf der Erden strahlen? Soll jeder Philosoph stets sagen: Ich bin Ich? Soll der Freigeister Schar stets frecher lästern dich? Ach, immer lauter schallt des Übermutes Höhnen, 0 laß des Weltgerichts Posaune bald ertönen!“ is Besänft’gend spricht der Herr: „Noch ist nicht voll das Maß, Nicht arg genug der Stank, der ausgeht von dem Aas; Und meine Streiter auch muß ich zum Mut erziehen, Daß nicht im letzten Kampf sie vor dem Satan fliehen. Dort unten in Berlin sind, die mich suchen, viel’, 20 Doch viele fesselt noch des stolzen Denkens Pfühl; Nicht glauben wollen sie, sie wollen mich begreifen, Mich fesseln wollen sie mit des Gedankens Reifen. Seht BrunoBauer dort: er glaubt, doch er denkt nach, Wohl willig ist sein Fleisch, doch ach, der Geist ist schwach. 24 Nun, wartet kurze Zeit; bald weichen diese Schlacken, Dann wird nicht Satan mehr ihn bei dem Denken packen. Er, der so treu mich sucht, er findet mich zuletzt, Fromm wirft er von sich ab, was Eitles ihn ergötzt. Des Denkens Narretei, die seinen Sinn zersplittert, 3» Erkennet er als Wind — und seine Seel’ erzittert. Ja, die Philosophie, sie wird ihm noch ein Spott, Die Gnade bricht hindurch, er glaubet: Gott ist Gott.“ Und über dieses Wort ward Seligkeit dort oben, Zum Preis des starken Herm ein Loblied ward erhoben : 34 „Wohl würdig bist du, Herr, zu nehmen Ehr’ und Preis Und Kraft, geschaffen ist durch dich der Welten Kreis; Bald kommen wird dein Zorn, die Bösen zu vernichten, Die Knechte zu erhöh’n, die deinen Dienst verrichten.“ Und weiter sprach der Herr: „Ja, jener ist der Mann, 44 Der in dem letzten Kampf die Gläub’gen führen kann. Wenn auf die sünd’ge Welt dann meines Zornes Schalen Herniederstürzen, sich die Meere blutig malen, Und wenn des Abgrunds Born sich finster tuet auf, Wenn der Heuschreckenschwarm erscheint in hellem Hauf, 44
Der Triumph des Glaubens 255 Wenn Feuerhagel dann zur Erde niederprasselt, Der Boden rings erbebt, der Fels zusammenrasselt, Schwingt Bruno Bauer hoch die Fahne meiner Schar, Nicht wankend in dem Kampf für Thron und für Altar/6 5 Und über dieses Wort ward Seligkeit dort oben, Zum Preis des starken Herrn ein Loblied ward erhoben: „Halleluja! Und der Rauch gehet auf ewiglich.“ Und sieh! Als noch das Lied ertönte durch die Himmel, Da kam der Teufel an mit Stank und mit Getümmel. 10 In seinen Augen glomm der Hölle schwarze Wut, Die Zunge lechzte nach der Gotteskinder Blut. So trat er frevelnd hin zum Stuhl des Allerhöchsten, Zu jenen Engeln, die dem Throne stehn am nächsten, Und schrie wie Donnergraus: „Wie lange zauderst du, 16 Und hältst in meinem Haus mich auf in feiger Ruh’? Du hast wohl Furcht, daß ich am jüngsten Tage, Wo um die Krone dieser Welt Wir kämpfen, daß ich da dein Heer von Engeln schlage, Erstürme mir dein Himmelszelt? 20 Und hast du Mut, wohlan, den Kampf beschleunige, Laß die Posaunen blasen, Daß ich mein wildes Heer alsbald vereinige, Ich brenne schon vor Lust, zu stürzen auf das deinige, Durch deine Sphären hinzurasen!“ 2o Der Herr: „Geduld, Geduld, die Zeit ist nicht mehr fern, Wo du erkennen sollst, daß ich der Herr der Herm! Sieh’ auf die Erd’ herab, ob du sie merkst, die Zeichen, Darob die Menschen all’ erzittern und erbleichen? Sieh’ Krieg und Pest und Brand und Revolution, so Sieh’ das Gesetz verhöhnt, geschmäht Religion, Die Gottesläst’rer blühn, verlästert sind die Frommen, Und warte nur, es wird noch zehnmal besser kommen! Jetzt hab’ ich auserwählt mir einen treuen Knecht, Der predige das Reich dem gottlosen Geschlecht; 36 Sie werden ihn verschmähn, sie werden seiner lachen, Das will ich just, so kann ich bald ein Ende machen. Noch ist das Maß nicht voll, doch lange währt es nicht, Wenn ferner sie verschmähn, wie jetzt, das Gnadenlicht.“ Der Teufel: „Und wer ist ersehn zu diesen Taten?“ 40 Der Herr: „Der Bauer ist’s.“ — „Meinst du den Lizentiaten?“ „Denselben.“ „Nun, der dient dir auf besond’re Weise. Nicht Beten und Gesang ist seines Herzens Speise. 46 Nein, sieh’, von dir verlangt er deine schönsten Sterne,
256 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Und dann begreift er sie — das ist so seine Lust. Und aller Dogmata spekulativste Kerne Befried’gen nicht die tiefbewegte Brust.“ Der Herr: „Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient, So werd’ ich ihn gewiß bald in die Klarheit führen. s Und wenn er jetzt auch noch zu denken sich erkühnt, Verlaß dich d’rauf, bald soll er die Vernunft verlieren.“ Der Teufel: „Nun, was gilt’s, den will ich dir verführen? Er soll, ein Edelstein, bald meine Krone zieren. Ihm steckt bei alledem der Hegel noch im Kopf, io Da fass’ ich ihn, gib acht, da fass’ ich ihn beim Schopf.“ Der Herr: „Wohlan, er sei dir blindlings überlassen! Zieh’ diesen Gläubigen von seinem Heiland ab, Und führ’ ihn, kannst du ihn mit deinem Trug erfassen, Auf deinem Höllenweg hohnlachend mit hinab, is Und steh’ beschämt, wenn du zuletzt gestehen mußt, Ein Gläubiger, selbst im spekulativen Drange, Ist sich des schmalen Wegs im Herzen stets bewußt.“ Da schrie der Teufel froh: „Wohlan, mir ist nicht bange, Gib acht, den Bauer hast du nicht mehr allzulange!“ 20 Und mit des Sturmes Kraft fuhr er alsbald hinaus, Erfüllend noch mit Qualm des Himmels strahlend Haus. Indes der Teufel dort mit Gott dem Herrn verkehret, Hat der Verdammten Schar sich in der Höll’ empöret. Es tost der wilde Schwarm im Aufruhr fürchterlich, 25 Laut rufend mit Gebrüll: Wo bist du, Teufel sprich? An ihrer Spitze schwingt zwei Feuerbränder Hegel Und Voltaire hinterdrein mit feurigrotem Flegel, Danton erhebt die Stimm’, es brüllet Edelmann, Es ruft Napoleon: „Auf, Höllenbrut, voran!“ 30 So rasen durch die Glut des Abgrunds finst’re Geister, So schnauben sie voll Wut und rufen nach dem Meister. Da von des Himmels Höh’n stürzt eilends Er herab In seine Feuerseen und in sein Flammengrab. „Was ist, so ruft er laut, was wollt ihr, schnöde Rotten, 35 Wollt ihr des Teufels Zorn, des Teufels Macht verspotten? Ist euch nicht heiß genug der Höllen Flammenglut, Und tränk’ ich euch nicht satt in der Gerechten Blut?“ „Nein, nein, schreit Voltaire, nein, du tatenloser Teufel, Hab’ ich darum gepflanzt, geheget stets den Zweifel, 40 Daß überall nun durch spekulative Nacht Das Wort Philosophie wird in Verruf gebracht, Daß mich Franzosen selbst, den Pfaffen glaubend, hassen — Und das, du Teufel, das kannst du geschehen lassen?“ „Weshalb, spricht Danton, hab’ ich denn guillotiniert, 45
Der Triumph des Glaubens 257 Weshalb, statt Gottesdienst, Vemunftdienst eingeführt, Wenn wieder Unsinn herrscht, aristokrat’sche Laffen Ins Reich sich teilen mit den hirnverbrannten Pfaffen?“ Und Hegel, dem bisher der Grimm den Mund verschloß, Urplötzlich fand das Wort, und hob sich riesengroß: „Mein ganzes Leben weiht’ ich der Wissenschaft, Den Atheismus lehrt’ ich mit ganzer Kraft, Das Selbstbewußtsein hob zum Throne ich, Gott zu bewältigen, glaubte schon ich. 10 Doch mich gebraucht nur törichter Mißverstand, Und feige Geister haben mich umgewandt, Den Unsinn aufzukonstruieren, Knechteten schnöde das Spekulieren. Und jetzt da endlich kühn sich erhob der Mann, 15 Der Strauß, der halb schon mich zu verstehn begann, Als kaum nach Zürich er berufen, Wies man ihn ab an der Aula Stufen. 0 Schmach, vom ganzen Kreise der Welt verbannt Ist schon das Werkzeug, welches ich klug erfand, Die Freiheitskämpferin, die kühne, Wehe, verbannt ist die Guillotine! Auf, sag’, o Teufel, hab’ ich umsonst gelebt? Hab’ ich vergebens philosophiert, gestrebt? Wird bald der Mann, der rechte, kommen, 25 Welcher es köpft, das Geschlecht der Frommen?“ — Das hört der Teufel an mit hämisch-zartem Grinsen: „Still, still, du treu’ster Knecht, und laß das eitle Plinsen. Wie? Kennt ihr mich nicht mehr, den Teufel? Hört mich an: Gefunden ist schon längst, gefunden ist der Mann!“ 30 „Wer ist’s? Laß uns so lang nicht stehen auf der Lauer!“ So rufen all’. Und er: „Er heißet — Bruno Bauer!“ Es lacht die schnöde Schar. Sie wenden das Gesicht, Und Hegel, zomentflammt, der wilde Hegel spricht: [Wichte, 35 „Willst du spotten noch und höhnen, du verfluchtester der Kann der Bauer denn uns helfen, der Vernunft nur macht [zu nichte, Der die Wissenschaft nur führet auf des Glaubens Hochge- [richte?“ 40 „0 Hegel, bist du blind,“ sprach d’rauf der Höllenfürste, „Glaubst du, daß Bauer nur nach Glaubensäpfeln dürste? Sein Durst ist viel zu groß, die machen ihn nicht satt, Wer so gewaltig kämpft, der wird so leicht nicht matt. Hüllt er sich jetzt noch in des Glaubens Bettlermantel, 45 Er wirft ihn ab: gib Acht, ich schließ’ mit ihm den Handel.“ Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 17
258 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete „Ich beuge mich vor dir/6 sprach Hegel wieder froh, Und d’rauf die ganze Schar erhob ein wild’ Hailoh. Mit Jubel führte sie den Herrscher an die Schwelle, Und dieser, siegbewußt, entschwebete der Hölle. — In frommer Leute Haus, in düsterem Gemach, 5 Von Büchern rings umstellt, denkt Bruno Bauer nach, Vor sich den Pentateuch, und hinter sich den Teufel, Bannt ihn der Glaube vorn und hinten rupft der Zweifel: „Schrieb Moses dieses Buch, ist echt es oder nicht? 0 daß Philosophie so selten deutlich spricht! 10 Da hab’ ich nun, weh mir, Phänomenologie, Ästhetik, Logik und Metaphysik Und leider auch Theologie Durchaus studiert, nicht ohne Glück! Heiße Doktor und Lizentiat, 15 Lese Collegia früh und spat, Ich habe den Glauben spekulativ Versöhnt mit dem absoluten Begriff, Mir ist nichts dunkel, da ist kein Geheimnis, Das ich nicht ergründet hätt’ ohne Säumnis, 20 Ich habe begriffen die Dogmen alle Von Schöpfung, Erlösung und Sündenfalle, Der Jungfrau wunderbare Empfängnis Hab’ ich begriffen sonder Bängnis, Den ganzen Kram — und mit all’ dem Zeugs 25 Läßt sich nicht beweisen die Echtheit des Pentateuchs. Wer hilft in dieser Not, wer deutet, was mich quälet? Wer reicht des Wissens Brot, ergänzet, was mir fehlet? — Dort dies geheimnisvolle Buch, Von des Philippus eigner Hand, 30 Ist mir es nicht Geleit genug Durch dieser Zweifel labyrinth’sches Land? Ich schlag’ es auf. Schon wird der Sinn mir hell, Entgegenrauscht mir ein Kategorienquell. Sieh’, wie sie auf- und niedersteigen 35 Und sich die goldnen Eimer reichen! Ha, welch’ eine Höhe! Vermittelt schon sehe Ich Glauben und Wissen In heiligen Küssen! 40 Tief unter mir die Mächte der Natur! Welch’ Schauspiel, aber ach! ein Schauspiel nur! Denn wird der Schleier mir gehoben, Der um den Ursprung ist des Pentateuchs gewoben? Philippe erscheine !“ 45
Der Triumph des Glaubens 259 Ein Schatten, dreigekrönt, tritt aus gespaltner Wand, Und warnend hob er hoch empor die dürre Hand : „0 Bauer,Bauer, falle nicht vom Pfad hinab, Der dir in Hegels Logik vorgezeichnet ist! 5 Und wo in absoluter Klarheit der Begriff Erstrahlt, da laß vorstellungsmäßig Denken nicht Dem Geiste trotzen, welcher da die Freiheit ist.“ — „Doch ist dies Buch denn echt, wie lösest du die Frage? 0 weiche mir nicht aus, o sprich, antworte, sage!“ io „Du gleichst dem Geist, den du begreifst; nicht mir!“ „Nicht dir? Verschwinde nicht, o laß dich halten, Freund!“ Er ruft’s, springt auf, und sieh’, da steht vor ihm der Feind. „Haha haha haha haha haha haha ! Da steht der Theolog, da stehet er nun da! 15 Du bist doch sonst so klug, und hast noch nicht gesehn, Daß man dich immer läßt ringsum im Kreise gehn?“ In wirrem Schrecken greift jetzt Bruno nach der Bibel. „Pah,“ lacht der Teufel auf, „was soll die alte Fibel? Pah, über solches Zeug sind wir schon längst hinaus, 2o Und dich, ich glaub’ es nicht, dich letzet solch’ ein Schmaus? Wie? Glaubst du, wenn du hier in dumpfen Mauern steckest, Wenn du aus krankem Hirn Kategorien heckest, Wenn du das Wasser und das Feuer mischen willst, Mit ekelem Gebräu den Geist, den durst’gen, stillst, 25 Den Geist, der frei sich sehnt, die Fesseln zu zersprengen, Die ihn in schalen Dunst, in dumpfen Kerker zwängen, — Dann glaubst dein Sehnen du gestillt mit solcher Qual? Hat Hegel dich gelehrt, zusammen Berg und Tal Zu bringen, Schwarz mit Weiß, und Feuersglut und Wasser? so An Hegel denke jetzt, den kühnen Gotteshasser, Der ohne Grübeln warf das Faktum über Bord, Vor der Vernunft verwarf der Überliefrung Wort!“ „Was du, o Teufel, sagst, schön klingt es, eine Quelle Des reinsten Himmelslichts, so scheint der Qualm der Hölle; 35 Doch mich verführst du nicht; die Spekulation, Sie hat, o Teufel, längst auch dich begriffen schon. Glaubst du, wo meinem Geist sich auf tut jedes Wesen, Du seist allein verschont von dem Begriff gewesen? Ich weiß, mit schönem Schein, mit gleissnerischem Wort 40 Betörst du uns zuerst, und reißest uns dann fort, Versprichst uns freien Geist für unsre schönen Fakta, Und führst uns dann ins Reich einseitiger Abstrakta. Zu dem Extreme führt dein freier Geist mich hin, Da ich nichts andres weiß und denk’, als daß ich bin. 45 Nicht jene kalte Höh’ kann mich, o Freund, betören, 17*
260 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Wo, was der Geist begreift, er einzig will zerstören. Ein beutegier’ger Schlund, ein Moloch ist dein Geist, Der seine Zähne stets dem Positiven weis’t. Du siehst, ich kenne dich, ich kenne deine Fahrten, Und was du mir gesagt, sind lauter Redensarten. 5 Schau hier den Pentateuch; faß’ ich ihn positiv, Hab’ ich mit ihm zugleich des Judentums Begriff.“ Der Böse grinst und höhnt: „Ha ist es nicht zum Lachen? Was alt und rostig ist, das willst du glänzend machen? Wo man in Läusen nur des Herren Finger sieht,*) 10 Und wo des Hauses Bau den Herm im Himmel müht,**) Wo Gottes Rufen man in allem will verspüren, In Maß, Gewicht und Pfand,***) da willst du spekulieren? Da mattest du dich ab, freudlos und ohne Ruh? Versuch’s, wer stärker ist, der Glauben oder du! n Hinauf! wo sich der Geist in seiner Herrschaft fühlet, Wo nicht er, gleich dem Wurm, in altem Moder wühlet; Dort thront er siegbewußt; vor seinem höchsten Recht Beugt sich der Glaube tief, des Vorurteiles Knecht!“ „0 Teufel, was ich sonst in unbewachten Stunden 20 Zu denken kaum gewagt, du sprichst es ungebunden. Ach! daß es mich ergreift, mich fesselt mit Gewalt, Daß quälend jetzt der Ruf in meinem Innern schallt: „Du hast umsonst gelebt!“ „Nur keine Zeit verloren, 25 Du brauchst zu wollen nur, und du bist neugeboren!“ „Doch was beginn’ ich nun?“ „Wie, glaubst du, daß du hier, Im gläubigen Berlin, in diesem Sandrevier, Zu jener Höhe kannst, zu jenem Frohsinn dringen, 30 Dem Glauben frank und frei ein Pereat zu bringen? Ich führe dich nach Bonn zum stolzen grünen Rhein, Da wasche dich vom Schlamm des Aberglaubens rein, Da führ’ in Heiterkeit ein neues, schönes Leben Im frischen Bunde mit dem treuen Saft der Reben; 35 Wo alles Atmen Sieg, wo frisch die Brust sich hebt, Und wo der Freiheit Glut in allen Adern bebt!“ — „Wohlan, ich folge dir!“ — „Und wo in voller Klarheit Aus stolzem Geisterkampf ersteht die reine Wahrheit; 40 Hoch auf den Trümmern dort von kühn zerstörten Schranken Bau’ siegreich den Altar der freiesten Gedanken!“ *) 2. Mose 8,19. •♦) 5. Mose 22,8. ♦♦♦) 5. Mose 25.
Der Triumph des Glaubens 261 Zweiter Gesang O weh dir, Bonn, weh dir, frommste der Fakultäten, Tu’ Buß’ in Asch’ und Sack, laß nimmer ab vom Beten! Auf dem Katheder, wo nur Fromme sich gesetzt, 5 Lehrt durch des Teufels List der tolle Bauer jetzt. Da steht er, schäumt vor Wut, ein Teufelchen im Nacken, Ihn lehrend, wie er soll die Theologen packen. Da heult er auf voll Grimm, ein wasserscheuer Hund, Und also spricht der Feind durch Bauers Lästermund: 10 „0 laßt euch nimmer durch der Theologen Tücken, Durch ihre Gleissnerei und Hinterlist berücken! 0 seht, wie sie den Sinn von jedem Wort verdrehn, Wie sie auf bösem Pfad, im Dunkeln schleichend gehn; 0 seht die schmutz’ge Angst dieser Buchstabenknechte, ^5 Seht, wie sie selber stets sich schlagen im Gefechte! Gesalbte Quälerei und Jesuitenlug, Sophistik all’ ihr Tun und gleißend frommer Trug! Dem Dorfschulmeister gleich, dem aus der Schul’ entlaufen Die Kinder, draußen sich nach Lust und Kräften raufen, 20 Wie der mit seinem Stock jagt wütend hinterdrein, Und jene vor ihm fliehn mit Lärmen, Spott und Schrein — So auch der Theolog. Stets kommt er in die Brüche, Gerät er zwischen des Grundtextes Widersprüche. Seht, wie er zirkelt, dreht, drückt, dehnt, preßt, quetscht und mißt, 25 Was eben er gesagt, im Augenblick vergißt, Seht, wie er kocht und braut in seiner dunst’gen Küche, Bis endlich mit Geschrei entfliehn die Widersprüche! Wie jagt er ihnen nach! Wie schreit er hinterdrein: Wollt ihr wohl wieder her? Wollt ihr wohl artig sein! 30 Wie schwingt er zornentbrannt des Glaubens heil’gen Bakel, Wie haut er mitten in den gottlosen Spektakel! Wie er sie fängt und in den Hexenkessel drückt, Bis vor dem argen Qualm die Armen sind erstickt! So sind sie all’, so sind auch die Evangelisten, 35 So werden stets sie sein, so lang es gibt noch Christen! Wie ein Evangelist den andern mißversteht, Wie er sich windet, quält, den Sinn noch mehr verdreht, Wie in des Widerspruchs unrettbarer Verwirrung Er sich nicht helfen kann, und stets vermehrt die Irrung, 40 Wie er des andern Schrift zerstört, zerreißt, zerfetzt, Und alle dem die Kron’ Johannes aufgesetzt; 0 seht —“ Da hielten sich die Gläubigen nicht länger: „Hinaus das Lästermaul, hinaus, am Galgen häng er! Hinaus mit ihm, dafür ist nicht der Lehrstuhl da,
262 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Hinaus mit ihm, hinaus, hinaus, Halleluja!“ Doch andre schrie’n: „Hurra, hoch lebe Bruno Bauer, Der freien Wissenschaft, des freien Denkens Mauer! „Schweigt, fromme Heuchler, schweigt, sonst zeige Keilerei Ob wirklich euer Gott ein starker Helfer sei!“ 5 „Hinaus den Lügner!“ schallt es von der rechten Seite, „Hinaus die Gläubigen!“ schreit links die Frevlermeute. „Schweigt, Atheisten, still“ — „Ihr frommen Schafe schweigt, Eh’ euch der Böcke Schar die harten Hörner zeigt!“ „H i e r C h r i s t u s !“ — „B a u e r h i e r !“ — 10 Und mit gewalt’gem Rasseln Hört man der Stöcke Wucht alsbald hemiederprasseln. Die wilde Schlacht entbrennt, es hallt das Kampfgeschrei. Man wirft die Pulte um, schlägt jede Bank entzwei ; Aus Pulten bauen auf, zum Schutze vor den Christen, 15 Sich eine feste Burg die frechen Atheisten. Als Bomben werfen sie, in dichter Schar vereint, Die Dintenstecher all’, die Bibeln auf den Feind. Vergebens stürmen an auf diese Burg die Frommen, Der dritte Anlauf selbst hat sie nicht eingenommen. 20 Schon blutet manches Haupt, und mancher Fromme sank, Durch Atheistenhand getroffen, auf die Bank; Da wirft der Frevler Hand die Mauer selbst zur Erde, Daß rein des Kampfes Feld endlich gefeget werde. Sie stürzen schnaubend auf die Gottesstreiter los, 25 Die Frommen fliehn erschreckt vor diesem wilden Troß; Das Feld ist rein. — Es wogt die Flucht im Korridore, Doch endlich steht die Schar der Frommen vor dem Tore. Zur Hilfe schickt der Herr Pedelle jetzt herbei, Es kommt der Rektor an, Senat und Klerisei. Erst schlichten wollen sie, des Kampfes Ursach wissen; Doch sind sie in den Strom alsbald hineingerissen. Von neuem fürchterlich erbraus’t die wilde Schlacht; Wie manch’ hohweises Haupt wird windelweich gemacht! 35 Wie mancher krumme Rücken wird hier gerad geschlagen! Wie senkt sich manche Nase, die sonst so hoch getragen! Die Luft verdunkelt sich vom ausgeklopften Staub, Perücken fliegen rings, dem frechen Wind zum Raub, Die Philosophen auch, die Herren Positiven, 40 Hei wie sie vor dem Stoß der Atheisten liefen! Wie greifst du, kleiner Sohn des großen Fichte, aus! Zu mager bist du doch zum Atheistenschmaus! Wie wird Herm Brandis, seht, trotz seinem schnellen Jagen, Aus seinem Rocke der Systemstaub ausgeschlagen! 45
Der Triumph des Glaubens 263 Was hilft es ihnen, daß sie H e g e 1 widerlegt, Wenn Hegels wilde Brut so wütend auf sie schlägt? Denn immer toller drängt der Atheisten Rotte, Vor ihren Stöcken wird das Gottvertraun zum Spotte. 5 Doch nein, sein Auge wacht; denn in der höchsten Not, Die seine Gläubigen mit ärgstem Schimpf bedroht, Da sendet er, den Sieg der Bösen zu vereiteln, Den stets getreuen Sack mit glattgekämmten Scheiteln. So eben kommt er her vom Weinberge des Herrn: io Am Kirchenhimmel glänzt sein graues Aug’ ein Stern. Es ist die Nase sein des Glaubens starke Säule, Es triefet stets sein Mund von Gottes Wort und Heile. Ihn trägt die Eselsmaid, gar wunderbar beschweift; Ihn kümmert nimmer, daß sein Fuß am Boden schleift. 15 Er hat mit Gottes Kraft den Bibeltext erfunden Und ihn der Eselsmaid dicht an den Schwanz gebunden. Gesenkten Hauptes sitzt er auf der Eselin, Unmerkbar führt der Geist das Tier zum Kampfplatz hin. Als er das Tosen hört, der Frechen Jubilieren, 2o Will er sein frommes Tier auf andre Wege führen. Doch, die so folgsam sonst, die treue Eselsmaid, Sieh’, wie sie bäumt und stockt und springt und setzt und scheut. „Was hast du, Tierchen, denn? Was kommt dir in die Quere? Gehorche meinem Zaum, sei folgsam doch und höre!“ 25 Doch sie gehorchet nicht und klemmt ihn an die Wand; Da faßt zum erstenmal ergrimmt den Stock die Hand. Er schlägt und schlägt und schlägt, er schlägt und schlägt sie Doch nimmer weicht das Tier, er fällt zur Erde nieder. [wieder, Da öffnete der Herr der Eselin den Mund, so Und seine Absicht tat sie dem Erstaunten kund: „Was schlägst du? sieh’ den Geist, der mir den Weg versperret, Der an dem Zaume mich zu jenem Kampfplatz zerret! Wo ist dein alter Mut? Auf, stürz’ in jenen Streit, Wo Atheistenwut der Gläub’gen Heer bedräut! 35 Tu’ auf dein Ohr, o Sack, und hör’ die sel’ge Kunde, Die Gott dir offenbart aus deines Viehes Munde: Sack hießest du bisher, und Beutel heiß hinfort, So send’ ich, Beutel, dich, den Streit zu schlichten dort.“ Gen Himmel schauend, sprach der fromme Bruder Beutel: 40 „0 Herr, wie ist vor dir des Menschen Wissen eitel! Die Tiere wählest du zu deinem Sprachrohr aus ; Gehorsam deinem Ruf, stürz’ ich in Kampfesgraus.“ Er sprach’s und schnellgewandt eilt er zum Ort der Schrecken, Den Matte, Blutende, Ohnmächtige bedecken. 45 Mit lautem Rufe sprengt der Kühne zwischen sie
264 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Und singt den Friedenspsalm nach Himmelsmelodie. Vor seinem Anblick stehn die Kämpfenden betroffen, Doch BruderBeutel steht, und sieht den Himmel offen. „Wie,66 ruft er, „an dem Ort, wo sonst nur Lobgesang Und Glaubenswort ertönt, herrscht Haß, Neid, Mord, Sturm, 5 Ihr wollet, wo ich seh’ den Himmel sich zerteilen, [Drang? Im Angesicht des Herm die Rücken euch zerkeilen?66 Der Frommen Herde lauscht, zieht schüchtern sich zurück, Der Atheisten Schar lacht drein mit frechem Blick. Und BruderBeutel sprach : „Hier unten Mord, Getümmel, 10 Doch oben ew’ge Ruh’ und Seligkeit im Himmel. Ich seh’ die Cherubim um des Allmächt’gen Thron. Ich seh’ das Gotteslamm, den eingebomen Sohn. Ich seh’ die Herrlichkeit des Herren niederscheinen, Ich seh’ die Engelein zum Loblied sich vereinen. 15 Ich seh’ — o Seligkeit! das Lamm tut auf den Mund, Und tut den Willen sein mir, seinem Knechte, kund: „ „Auf den ich sonst gehofft, Bruno, den Theologen, Um den hat uns der Feind durch seine List betrogen. Er, welcher betend sonst in seiner Klause saß, 20 Gibt jetzt mein heilig Wort den Gottlosen zum Fraß. Ein wütend Mordgeschlecht hetzt er auf meine Frommen. Sein Wille soll geschehn, der Fluch soll auf ihn kommen! So sei denn du erwählt; zieh’ hin durch Berg und Tal, Und sammle du zum Kampf die Gläubigen zumal! 25 Laß dich dein frommes Tier durch alle Lande tragen, Und predige das Wort vom Kreuze sonder Zagen! So zieh’ den Hamisch an, den Hamisch deines Herm, Denn sieh’ des Kampfes Tag, der Tag ist nicht mehr fern. Umgürte mit dem Gurt der Wahrheit deine Lenden, 30 Der Krebs der Rechtlichkeit soll dir Bewährung spenden. Gestiefelt beide Bein’, marschfertig, zieh’ hinaus, Lösch’ auf des Glaubens Schild die Höllenpfeile aus. Setz’ auf den Helm des Heils, ihn trifft kein Schlag des Spottes, Vor allem schwinge kühn das Schwert des Wortes Gottes!66 66 36 Ja, Herr, ich folge dir, es zieht hinaus dein Knecht, Zu predigen das Wort dem sündigen Geschlecht!66 Zur Kirche war indes gewallt der Frommen Haufen, Doch jene gingen hin, wie immer, um zu saufen. Der BruderBeutel läßt sein Tier nun fürbaß gehn, 40 Und singt: „Ehre sei Gott, dem Herm in Himmelshöhn, Den Menschen auf der Erd’ ein süßes Wohlgefallen!66 Und weithin höret man das fromme Liedlein schallen. So zieht er selig fort und überläßt dem Tier, Wohin es ihn des Wegs in Gottes Namen führ’. 45
Der Triumph des Glaubens 265 Indessen sitzen drei in Leipzig still zusammen, Drei Männer, längst schon reif für Satans Höllenflammen. Der wilde Ruge ist’s, der dort am Tische sitzt, Das sorgenschwere Haupt auf breite Fäuste stützt. 5 Ein Recke wohlbeleibt, friedfertig anzuschauen, Doch sind wie Schwerter scharf die kampfgewohnten Klauen. Behaglich glaubst du ihn, dem Bierphilister gleich, Doch trägt er in der Brust ein ganzes Höllenreich. 0 Ruge, lache nur, bald kommet das Gerichte, io Da wird auch dir man ziehn die Maske vom Gesichte! Der andre, welcher schaut ins Glas mit schnödem Trutz Und Höllengreuel sinnt, das ist der grimme P r u t z. Kein menschliches Gefühl drang je in seinen Busen, Sein Denken und sein Tun, sein Fühlen sind Medusen. a Den Unbefangnen sä’t sein gleißend glatter Reim Ins unschuldvolle Herz des Atheismus Keim. O P r u t z, o lache nur, bald kommet das Gerichte, Da wird auch dir man ziehn die Maske vom Gesichte! Der Dritte endlich dort, der sich den Schnurrbart streicht, 2o Der Blücher-Wigand ist’s, an Kniffen unerreicht, Der Gotteslästrer nie ermüdender Verleger Und durch sein Kapital der ganzen Rotte Träger. Ha! lache, Wigand, nur, mit deinem Bart von Blücher, Bald kommet das Gericht, du bist dem Teufel sicher! 25 Sie sitzen um den Tisch und sehn sich grollend an, Und Wigand spricht: „Hab’ ich darum mein Geld vertan, Und mußt’ ich darum bloß bis jetzt soviel bezahlen, Daß man verbietet nun die Hallischen Annalen?“ „0 welche schlechte Zeit,66 spricht ArnoldRuge wild, 30 „Mit Mühe nur mein Blatt des Zensors Blutdurst stillt; Zwei Drittel Manuskript, die muß er mind’stens haben, Und dennoch wollen sie mein armes Blatt begraben!66 Und Prutz : „0 wehe mir, seit einem halben Jahr Ließ mir der Zensor durch auch nicht ein einzig Haar! 35 Aushungern will man mich! Wird’s besser nicht, ihr Brüder, So dicht’ ich, wie zuvor, beim Teufel! Liebeslieder.66 „Was soll man anders tun?66 spricht Ruge wild danach, „Ich bin beschränkt schon auf den Musenalmanach. Zum Teufel Hegelei! Den Busen mir zu schwellen, 40 Zieht süße Lieder ein, langweilige Novellen!66 „Und ich,66 fährt Wigand fort, „ich kriege M ü g g e n ’ran, Nehm’ seinen neuesten vierbändigen Roman. Komm’ an mein Herz, o komm’, sanftmüt’ge Belletristik, Dich streicht der Zensor nicht, wie Hegelsche Sophistik. 45 Für deutsche Dichter jetzt breit’ ich den Fittich aus,
266 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Kommt, Minnesänger, kommt, Bierfiedler, in mein Haus! Gebt Brüder mir die Hand, wir ändern unsre Führung, Wir werden jetzt loyal, es lebe die Regierung!66 Da tritt der Teufel ein: „Ihr jämmerlicher Schund!66 Fährt er die Freien an mit flammensprühndem Mund; 5 „Ist das der Heldenmut, das euer kühnes Wagen, Vor eines Zensors Spruch, vor dem Verbot zu zagen? 0 schämen muß ich mich, daß ich auf euch vertraut, Den Esel nicht erkannt in seiner Löwenhaut! Ha, wartet! Kann ich euch erst in der Hölle packen, io Wie will ich da mit Lust euch peinigen und placken! Nein! das, du feiger Troß, das wäre mir zu klein: Zum Himmel jag’ ich euch, zu Gott dem Herrn hinein!66 „So sei vernünftig doch!66 sagt Wigand ihm dagegen, „Was fangen wir denn an? Führ’ uns auf bessern Wegen!66 15 „Ihr seid wie Ochsen dumm, der Teufel zornig spricht, Ihr sehet ja den Wald vor lauter Bäumen nicht! Bindet den Hallischen Annalen man die Hände, So nennt ihr Deutsche sie, und alles ist zu Ende. Und mir nur überlaßt die Sorge der Zensur, 20 Das findet alles sich, es gilt Courage nur! Wer mit dem Teufel steht auf Du und Du im Bunde, Der darf nicht feig entfliehn vor jedem Lumpenhunde! Jetzt also fasset Mut! Ich muß noch weiter heut’, Ihr wütet vor wie nach für die Gottlosigkeit!66 25 Er sprach es und verschwand. Da, wider alles Hoffen, Tritt Bruder Beutel ein, und sieht den Himmel offen. Ihn trägt die Eselin, die Gottes Sprachrohr ward, Sie wird ihn tragen auch bei seiner Himmelfahrt. Zum Himmel schaut er auf mit gottverzückten Blicken, 30 Und spricht: „0 Lästerschar, ich kenne deine Tücken! So spricht der Herr dein Gott: Ihr seid des Teufels Brut, Ihr dürstet immerdar nach der Gerechten Blut; Noch einmal will ich euch durch meinen Knecht berufen, Daß ihr euch demütigt vor meines Thrones Stufen. 35 Tut Buße, spricht der Herr! und kriecht vor mir in Staub, Eh’ ihr hinfallt zuletzt dem Höllenfeu’r ein Raub. So spricht der Herr dein Gott: Wollt ihr euch nicht bekehren, So will ich euch im Bauch das Eingeweid zerstören ; Zur süßen Speise geb’ ich dieses Schandgeschlecht, 40 Euch meinem Hengstenberg und Beuteln, meinem Knecht; Es sei der Frommen Leib euch ein lebendig Grab! So spricht der Herr dein Gott!66 — Und damit zog er ab.
Der Triumph des Glaubens 267 Dritter Gesang Was seh’ ich! Wüst ein Heer, das ganz von Lästrung funkelt, Ob sich bei seiner Schau die Sonne nicht verdunkelt? Wer sind sie? Wie mit Hast sie kommen Mann für Mann! 5 Von Süden, Norden, Ost und Westen ziehn sie an. Germaniens Auswurf ist’s; sie kommen, zu beraten Und zu berauschen sich in neuen Freveltaten. Schon fühlten sie die Hand des Herren über sich, Schon maßen sie den Sturz, in den sie fürchterlich 10 Des Satans Kralle riß — schon wollten sie verzagen, Den Atheismus schon zu allen Teufeln jagen — Da scholl des Arnolds Ruf, er fordert alle Frei’n Nach Bockenheim zusamt zu höllischem Verein: „Auf, auf, ihr Freien all’! Was sitzt ihr an den Kunkeln, Wenn die Romantiker die Welt ringsum verdunkeln? Wenn die Reaktion sich reget, wenn verschmitzt Der Wissenschaft schon halb sie in dem Nacken sitzt? Der B a u e r ist bedroht; an wütige Zensoren Geht, was ihr denkt und schreibt, zum größten Teil verloren ; 2o Drum, Freie allesamt, horcht meinem Manifest, Vorausgesetzt daß es der Zensor drucken läßt: Es ist jetzt hohe Zeit, daß wir als Diplomaten Die heil’ge Allianz ernst im Kongreß beraten. Seht ihr, wie sie sich müht, die hohe Polizei, 25 Zu tilgen überall das kleine Wörtchen frei ? Wie der Gendarmerie das Gotteslamm sich eint, Und gleichfalls nur zum Vieh herabzuwürd’gen meint? Wohlauf, ihr Freien, denn zum schönen Bockenheim, Dort pflanzen wir vereint der neuen Taten Keim!66 30 Kaum war das Manifest in alle Welt ergangen, Welch’ fürchterlicher Drang, welch’ freventlich Verlangen Erstand in frecher Brust, nach Bockenheim zu ziehn; Die Frechsten sendete vor allen doch Berlin. Schamlos ziehn sie daher, voran der breite Arnold, 35 Ihm nach in wilder Jagd ein wüster Zug von Narr’n tollt; Weit übertraf er noch den Jakobinerklub, Der hinter Arnold tost, der Atheistentrupp. Siehst du den Köppen dort mit dem bebrillten Haupte, Den gänzlich guten Mann — wenn’s Ruge nur erlaubte. 40 Doch Arnolds blinde Wut hat ganz ihn angesteckt: An seine Seite hat den Degen er gesteckt, Ein langes, rost’ges Ding, gleich einem Teufelsschwanze, Umwedelt’s wunderbar die Waden ihm im Tanze. Ihn zieren Epauletts, ein Rohr trägt seine Hand,
268 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Er braucht’s, den Wissensdrang der Jugend zornentbrannt Herauszupauken. — Seht, ihm folgt der freie Maien — Europa kennet ihn — er ist’s, an dem sich freuen Der Bösen Böseste; gebomer Atheist, Der schon seit Mutterleib täglich im Voltaire liest, 6 So hold, so zart, so klein — o arger Teufel Maien! Wer sind die Rangen, die an deiner Seite schreien? Weh’, deine Neffen sind’s! Auch sie verführest du? Gleich mit Familie fährst du dem Teufel zu? Doch der am weitsten links mit langen Beinen toset, io Ist 0 s w a 1 d, grau berockt und pfefferfarb behoset, Auch innen pfefferhaft, Oswald der Montagnard, Der wurzelhafteste mit Haut und auch mit Haar. Er spielt ein Instrument: das ist die Guillotine, Auf ihr begleitet er stets eine Kavatine; w Stets tönt das Höllenlied, laut brüllt er den Refrain: Formez vos bataillons! aux armes, citoyens! Wer raset neben ihm, bemuskelt wie ein Brauer? Das ist der Blutdurst selbst, es ist der EdgarBauer. Sein braunes Antlitz ist von Bartgesproß umwallt, 20 An Jahren ist er jung, an Listen ist er alt. Von außen blaubefrackt, von innen schwarz und zottig, Von außen Modemann, von innen sansculottig. 0 seht das Wunder, seht, sein Schatten selber trampst, Sein arger Schatten, den er R a d g e zubenambst. 25 Seht S t i r n e r, seht ihn, den bedächt’gen Schrankenhasser, Für jetzt noch trinkt er Bier, bald trinkt er Blut wie Wasser. So wie die andern schrein ihr wild: à bas les rois! Ergänzet S t i r ner gleich: à bas aussi les lois! Es trippelt hinterher, die grünen Zähne weisend, 30 Mit ungekämmtem Haupt und vor der Zeit ergreisend, Ein seifenscheuer und blutscheuer Patriot, Von innen schmeidig-zart, von außen Sansculot. Arnold der Wilde vom, der Atheisten-Czare, Er schwingt an seinem Stock diverse Exemplare 35 Der Baltischen Annalen ; ihm folget ungezählt Der Schwarm, den Satan sich zum Fraß hat auserwählt. Kaum sind zur Stelle sie, da tost heran der Bauer, Gehüllt in Qualm und Dampf und Höllenregenschauer. Er rast im grünen Rock, ein schmaler Bösewicht, 40 Den Höllensohn verrät das lauernde Gesicht. Er schwingt die Fahne hoch, daß rings die Funken flogen Von seiner Schmachkritik der Bibel einen Bogen. Wer jaget hinterdrein mit wildem Ungestüm? Ein schwarzer Kerl aus T r i e r, ein markhaft Ungetüm. 43
Der Triumph des Glaubens 269 Er gèhet, hüpfet nicht, er springet auf den Hacken Und raset voller Wut, und gleich, als wollt’ er packen Das weite Himmelszelt, und zu der Erde ziehn, Streckt er die Arme sein weit in die Lüfte hin. 5 Geballt die böse Faust, so tobt er sonder Rasten, Als wenn ihn bei dem Schopf zehntausend Teufel faßten. Patriziermäß’gen Gangs ein Jüngling folgt aus Köln, Zum Himmelreich zu arg, zu fein dem Schlund der Höll’n. Aristokrate halb, und halb ein Sansculote, 10 Ein feiner reicher Herr mit faltigem Jabote; Doch seine Seele zählt der argen Falten mehr, In seiner Tasche sitzt ein ganzes Teufelsheer Mit goldigem Gesicht. Und Rtg, der schnöde, Er baumelt hinterher, mit seiner Faust nicht blöde. 15 Aus seinem Munde steigt ein ewig gleicher Rauch, Ein Höllentabaksqualm — das ist sein schnöder Brauch. Wenn in dem Munde hängt die ellenlange Pfeife, Er nimmt sie nur heraus, zu keifen sein Gekeife. Doch wer von Süden dort kommt mutterseelallein, 20 Verschmähend jeden Trost, er selber ein Verein, Er selbst ein ganzes Heer von frechen Atheisten, Er selbst ein ganzer Schatz von argen Teufelslisten, Er selbst ein ganzer Strom von Lästerung und Schmach, Es ist, hilf Sankt Johann! — der grause Feuerbach. 25 Er rast und springet nicht, er schwebet in den Lüften, Ein grauses Meteor, umwallt von Höllendüften. In seiner einen Hand den blinkenden Pokal, Und in der anderen des Brotes labend Mahl, Sitzt bis zum Nabel er in einem Muschelbecken, 30 Den neuen Gottesdienst der Frechen zu entdecken. Das Fressen, Saufen und das Baden, sagt er frei, Daß dies die Wahrheit nur der Sakramente sei. Ein Hoch empfänget ihn, ein Brüllen, Jubilieren; Man muß ihn auch sogleich in eine Kneipe führen. 35 Ein Durcheinanderschrein, ein Toben fängt hier an, Daß keiner in dem Saus zu Worte kommen kann. Sie sitzen nimmer still, sie schwirren, drängen, schieben, Vom bösen Geiste stets im Kreis herumgetrieben. Es läßt sie nimmer ruhn des Stillstands toller Haß, 40 Zur Ordnung schreiet man umsonst ohn’ Unterlaß. Da faßte wilder Grimm den gänzlich guten Köppen, Den ordnungsfrohen Mann: „Bin ich in wilden Steppen? Ihr roher Hordenschwarm, vergeßt ihr immerdar, Was von der Reis’ hieher der erste Anlaß war? 45 0 Arnold, treuer Hort, heb’ an das Disputieren,
270 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete 0 sage, willst du uns zu gutem Ausweg führen?66 Oswald und Edgar schrein in brüllendem Verein: „Hört, hört! Genug, genug das ordnungslose Schrein!66 Still ward es alsobald, und Arnold, der indessen Ganz in Harmlosigkeit drei Beefsteaks auf gegessen, 5 Den letzten Bissen noch würgt’ er in seinen Schlund, Da öffnet’ er alsbald zum Reden seinen Mund : „Ha, welch’ treffliche Schau rings im Verein! Freie zum Kampf [bereit Und zu gehn in den Tod, immer am Platz, wenn’s die Idee 10 [gebeut. Seht, die Reaktion hält uns am Schopf, wie mit dem Stock sie [dräut; Doch sie bändigt uns nicht, wenn ihr, oh Freund’, einig und [tapfer seid.66 15 Nicht länger lassen ihn Oswald und Edgar reden, Sie springen auf den Tisch und brüllen laut die Beeden: „Der Worte haben wir genug von dir, Ruge, Gehört; wir wollen heut’ mit Kraft und Mark: Taten!66 Ein wildes Bravo schallt, ein Echo, schlechtberaten, 20 Es brüllte stets und stets: „Ha, Taten, Taten, Taten!66 Und spöttisch lächelnd rief der Arnold nun darein: „Unsere Taten sind nur Worte bis jetzt und noch lange, Hinter die Abstraktion stellt sich die Praxis von selbst.66 Indessen hatten schon die beiden wilden Schreier 25 Gehoben auf den Stuhl in ihrem Tatenfeuer Den tollen Bruno; seht, es reiht sich eine Schar Um sie, man hebt ihn hoch, da schwebt er gleich dem Aar. Seht, wie die wilde Brunst in seinen Augen funkelt, Wie Zornesfaltenwurf die ganze Stirn verdunkelt. 30 Hört, wie es brüllend rast. — Doch gegenüber, weh! Das schwarze Ungetüm erklettert R t g. Hört, wie er brüllt und tost ! Hört wie sie beide brüllen : „Wie lange willst du uns den Durst mit Worten stillen?66 Bauer : „Siehst du, Verblendeter, 35 Siehst du die Frommen, Ha, wie sie kommen!66 Ungetüm: „Ihr frommes Heer Wächst mehr und mehr.66 Bauer: „Beutel zieht um, Verwirrt das Publikum.66 Ungetüm : „Gott Vater soll schon längst daran denken, Der Erd’ einen neuen Messias zu schenken.66 Bauer: „Nicht Ein Lamm macht uns jetzt Beschwerde, Uns dränget von Lämmern ’ne ganze Herde.66 &
Der Triumph des Glaubens 271 Ungetüm: „Der heil’ge Geist In tausend Gestalten auf Erden reist.“ Beide: „Uns plaget nicht bloß die Dreieinigkeit, Auch der Polizei und des Glaubens Zweieinigkeit.“ 5 Ungetüm: „Wenn sie nicht feiern, Wollen wir leiern?“ Bauer: „Sie nehmen die Waffen, Wir sollen nun gaffen?“ Schon rief man hier und dort: „Wir sind zum Kampf bereit!“ 10 Durch Feuerbach entbrennt jedoch ein neuer Streit. Er schrie: „Was sollen wir so lange denn beraten, Wenn jemand Taten will, so tu’ er selber Taten! Sein eigner Helfer steht für sich der freie Mann, Und was er immer tut, hab’ er allein getan!“ 15 Seht, Köppen stehet auf, es leuchtet seine Brille, Vor seinem Jovishaupt sind rings die Freien stille: „Was hast, oFeuerbach,du gegen den Verein? Es wird der Unordnung gewehrt durch ihn allein; Des Fortschritts Strom wird dann in Ruhe sich ergießen, 2o Und, was das Beste ist, kein Tröpfchen Blut wird fließen!“ Edgar und Oswald schrein: „Verfluchter Girondist, Kraftloser Schwärmer, geh’, du bist kein Atheist!“ Doch S t i r n e r würdevoll: „Wer bindet ihm den Willen? Wer will hier ein Gesetz auf drängen uns durch Brüllen? 25 Den Willen bindet ihr, ihr wagt’s und nennt euch frei, Wie seid ihr eingelebt noch in die Sklaverei! Weg Satzung, weg Gesetz!“ — Schon war durch diese Irrung Der höllische Kongreß in völliger Verwirrung, Da teilet sich das Dach, und Blücher-Wigand schießt 30 Hemieder in den Saal auf eignem Flieggeriist; Er ritt, o Teufelsspuk! hoch auf papiernem Drachen. „Was“, ruft energisch er, „wollt ihr für Streiche machen? Hier seht mich fahren Auf Exemplaren 35 Der Deutschen Jahrbücher, Die ich mir geklebt, Die ich mir gewebt, Ich, euer Blücher! Wenn sie mich durch die Lüfte tragen, io Wollt ihr verzagen? Wehe, wehe! Frankfurts Nähe, Gibt sie gutes Beispiel nicht? Dort ist Einigkeit und Stille, 45 Und der Allerhöchsten Wille
272 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Ist den Hohen und den Höchsten, Ist den Kleinen und den Kleinsten Leitstern, Überzeugung, Licht! Wehte — wehe! — Frankfurts Nähe 5 Euch herüber schlechten Wind? Kann der Freie nicht bestehen, Wo des Bundes Winde wehen? Nun, so folget mir geschwind! Nach Leipzig laßt uns ziehn, dort hab’ ich aufgetürmt 10 Die schönsten Batterien, die nie ein Frommer stürmt. Das Haus, in dem ich sonst mit Hegelei gehandelt, In eine feste Burg ist es jetzt umgewandelt. ImGutenberge dann, in Leipzig sammelt euch, Das Zentrum des Verlags sei Zentrum auch vom Reich.66 15 „Ja, auf nach Leipzig hin!66 so schallt’s von allen Seiten, „Dort sei der Mittelpunkt für das vereinte Streiten.66 Und alle brechen auf, und Wigand schwebt voran, Und nur der Feuerbach zieht einsam seine Bahn. Doch fort von dieser Schau, mir winken Friedentale, 20 Mir winkt die Stadt des Herrn, winkt Halle an der Saale. 0 sel’ge Stadt, getreu bestehst du vor dem Herm! Des Teufels List zum Trotz strahlt heller stets dein Stern, Dir tut die Jauche nichts, die Ruge ausgeeitert, All’ seine Pläne sind an deiner Treu’ gescheitert! 25 Drum zog er wütend ab, und kehret nicht zurück ; 0 danke, Stadt, dem Herm für solchen Sieg und Glück! Und sieh’, die Gläubigen, die Auserwählten alle Versammeln sich zu Lob und Preis mit süßem Schalle. 0 sieh’, welch’ feine Schar! sieh’ jenen Schuster vom, 30 Sein hektisch dürrer Leib ist ihm der Andacht Sporn. Sieh’ dort den Schenkwirt an des Mäßigkeitsvereines, Er schenkt euch aus fürs Geld Trinkwasser, klares, reines. Der Friede Gottes hellt sein Vollmondsangesicht — 0 sehet, was vermag ein fester Glaube nicht! 35 Seht jenes Mütterchen, die Sünde beugt sie nieder, Doch Seligkeit durchstrahlt die abgestorbnen Glieder. Sie singt ein geistlich Lied mit lieblichem Gekreisch, Und kreuzigt Tag und Nacht ihr ausgedörrtes Fleisch. Und seht, o sehet hier des Saalenstrandes Leuen, 40 An dessen Glaubenskraft sich Gottes Engel freuen. Im Glauben griff er an der Hegelinge Schar, Im Glauben schützte er den Thron und den Altar, Im Glauben hat er die gottlose Weltgeschichte Verbessert, umgewandt, verklärt im Himmelslichte. 45
Der Triumph des Glaubens 273 0, komm’, du treue Schar, geh’ in das Kämmerlein Und singe deinem Gott ein Loblied zart und fein! 0 hört, wie liebelich das Liedelein erschallet, Gleich Opferrauch empor zum Thron der Gnaden wallet: 5 „0 Herr, wir sind vor dir ein Aas, Ein Pestgestank, ein Rabenfraß, Im Schinderloch der Sünden! Wir sind von Mutterleib grundschlecht, Zertritt uns, so geschieht uns recht io Für unsre argen Sünden! Wenn auch, dennoch hast du gnädig Uns entledigt Von dem Krebs, der uns beschädigt. Du läßt uns in den Himmel ein 15 Zu deinen lieben Engelein Und wäschest uns vom Schlamme. Du hast den Bösen weggejagt, Der uns stets Unruh’ hat gebracht, Friß ihn, und ihn verdamme! 2o Glühend, sprühend in der Hölle Schlimmster Stelle Laß ihn braten Für die schnöden Sündentaten!66 Der Schuster stellet sich, o sieh’, auf einen Stuhl, 25 Und predigt schrecklich laut vom Höllenschwefelpfuhl : „Seht ihr den grausen Schlund, der qualmend sich ergießet, Der Schwefel, Pech und Feu’r auf alle Lande gießet! Seht, wie er kocht und braut und lauter Teufel speit, Zu fressen, zu verzehr’n die ganze Christenheit! io Seht, wie er weithin streut der Hölle schwarzen Samen! Groß ist der Herr, dein Gott, die Welt geht unter. Amen.66 „Ja wahrlich, also ist’s,66 so ruft der Leu begeistert, „Die Teufel ziehen nackt, selbst nicht die Scham verkleistert. Die große Hure kommt vom schnöden Babylon, 35 Die Göttin der Vernunft, die Revolution! Bauer ist Robespierre, und Danton lebt in Ruge, Marat ist Feuerbach,o daß ihn Gott verfluche! Drum nehmet, Gläubige, der Zeiten wohl in Acht! Es kommt der Tag des Herrn, o betet, betet, wacht!66 io Er sprach’s, und siehe da — und alle stehn betroffen Tritt BruderBeutel ein und sieht den Himmel offen. Ihn trägt die Eselin, die Gottes Sprachrohr ward, Sie wird ihn tragen auch bei seiner Himmelfahrt. Zum Himmel schaut er auf mit Gottvertraun und Stärke 45 Und spricht: „0 fromme Schar, ich kenne deine Werke. Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 18
274 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete So spricht der Herr, dein Gott: Gehorchet meinem Knecht, Den ich erwählt, mein Heer zu führen ins Gefecht. Gehorchet ihm, gehorcht, gehorchet Bruder Beuteln, Er wird des Teufels List und Trug und Macht vereiteln. So spricht der Herr; und ich fiel demutsvoll aufs Knie, 5 Und sprach: Du rufst, o Herr, ich folge dir und zieh'. So zog ich mutig aus, das Wort des Herm zu kündigen, Das angenehme Jahr des Herm der Welt, der sündigen. Und in die Schlösser ging ich, in die reichen, hin Zu vornehmem Geschlecht, zu Fürst und Königin. 10 Doch dies Geschlecht, das stets nach ird’schen Gütern trachtet, Nach eitler Ehre geizt, hat mich geschmäht, verachtet. Sie saßen um den Tisch in wilder Völlerei, Genossen Augenlust und Fleischeslust dabei. Da ging ich fort, den Staub von meinen Füßen schüttelnd, 15 Doch zu mir sprach der Herr, mich nachts vom Schlafe rüttelnd: „„Gehn nicht zum Himmelreich die Reichen ein so schwer, Als ein Kamel du machst gehn durch eine Nadelöhr? Wie steht geschrieben? Geh’ hinaus auf die Landstraßen, Die Armen führe her, die Blinden von den Gassen, 20 Die Krüppel, Lahmen laß herein zum Abendmahl, Die an den Zäunen stehn, ruf’ an mit lautem Schall. Da sind die wahren Leut’, das ist der Kem des Heeres, So geh’ und sammle sie, wirb Knechte und vermehr’ es!“ “ So sprach der Herr, und ich, ich komme alsogleich, 25 Gehorsam seinem Wort, ihr Gläubigen, zu euch. Gehorcht dem Ruf des Herm, bald wird der Morgen tagen, Wo mit dem Teufel wird die große Schlacht geschlagen. Die Freien scharen sich, gen Leipzig zieht ihr Heer, Und Blücher-Wigands Haus ist ihnen feste Wehr. 30 Dort hinter Ballen stehn und Büchern sie verschanzet, Dort wird der Kampfestanz, der heil’ge Tanz getanzet. Hier gilt Beständigkeit und starker Mut im Sturm, Daß wir einnehmen bald der argen Frevler Turm. So schart euch, Brüder, denn, seid stark in Lieb’ und Hoffen, 33 Am Glauben haltet fest! Ich seh’ den Himmel offen. Der Glauben ist das A und auch das Omega, Im Glauben bist du groß, Halle, Halleluja! Im Glauben hat die Maid den Gottessohn empfangen, Im Glauben spie der Fisch den Jonas aus, den bangen. & Im Glauben tat der Herr das Evangelium kund, Im Glauben sprach zu mir der Herr durch Eselsmund. Im Glauben sah das Licht der Blinde wider Hoffen, Im Glauben blick’ ich auf und seh’ den Himmel offen. Im Glauben ruf’ ich laut: credo ut intelligam, 45
Der Triumph des Glaubens 275 Im Glauben halt’ ich fest am rauhen Kreuzesstamm. Im Glauben ist mein Tim, im Glauben ist mein Hoffen, Im Glauben blick’ ich auf und seh’ den Himmel offen: Und zu mir spricht der Herr: „Laß meinen Knecht, den Leu’n, 5 Non der Hallenser Schar den kühnen Hauptmann sein. Durchziehe Land und Stadt, geh’ ein in alle Burgen Und wirb Soldaten an und Kompaniechirurgen. Und ruhe nimmer aus, bei Tage wie bei Nacht, Daß bald der Frommen Heer zusammen sei gebracht. 10 So spricht der Herr, dein Gott, so sei’s mein Hort und Hoffen! Lebt wohl, ihr Brüder lieb, ich seh’ den Himmel offen!“ — Vierter Gesang Was seh’ ich ! Sankt Johann, erleuchte meine Blicke, Daß deiner Dichterei Gewalt mich schier verzücke; x Der mit geweihtem Aug’ den Engel Michael Im Drachenkampfe schaut’, o läutre meine Seel’! Was seh’ ich! Ha, er naht, er naht, der Tag des Richtens, Der Tag der letzten Schlacht, der Tag naht des Vernichtens! Was seh’ ich! Ein Gewölk, das rings des Himmels Kreis ^o Umzog, es steigt herauf, erst sacht’, erst schmeichelnd-leis’; Doch plötzlich, wie der Leu, voll Gier nach seiner Beute, Rast es gewaltig an. Die ganze Höllenmeute Zischt durch der Wolken Dunst; mit feuerglüh’ndem Schwanz Zerpeitschen sie die Luft; in wildem Hexentanz s* Drehn sie sich ruhelos, in rasend gier’gem Brüllen Versuchen sie die Wut, die sie durchkocht, zu stillen. Was seh’ ich! Schandgeschlecht, sind dein des Himmels Höh’n, Und darfst du ungestraft auf Gottes Pfaden gehn? In eurer Hand der Blitz, in eurer Macht der Donner? 30 Doch, ich versteh’, es führt voll Wildheit euch der Bonner! Doch sieh’, die Gnad’ des Herm ist ewig wachsam da, Und alles endiget mit einem Gloria. Da kommen sie heran, die wutentbrannten Freien, Bald, bald wird ihren Stolz der Herr mit Macht zerstreuen. 33 Da brausen sie heran, und Wigand schwebt vorauf, Die andern hinterdrein mit Brüllen und Geschnauf. Nach Leipzig führt er sie; zu einem Platz der Waffen Hat er den „G u t e n b e r g“ in Eile umgeschaffen. Von Ballen aufgetürmt, prangt manche Bastion, 40 Wallgang und Graben ist des Sturms gewärtig schon. Von Bauers Schriften sind getürmt vier Raveline, Wohl mit Geschütz versehn, zu decken die Courtine. 18*
276 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Von Köppens „Fried er ich“ liegt dort manch Exemplar, Manch Blatt Annalen auch von längstvergangnem Jahr. Posaune, Feuerbach, geschnürt in schwere Ballen, Ziehn sich in langen Reihn, die Festung zu umwallen. Als span’scher Reiter liegt dort Ruges „Novellist“, 5 Zum Schweißabtrocknen der „verhallertePietist“. Zum Rückzug bleibt das Haus, dies kleine Stückchen Hölle, Das jetzt verwandelt in die stärkste Zitadelle. Die Fenster sind verbaut, die Tür barrikadiert, Und die Munition hart unters Dach geführt, 10 Daß, kommt der Frommen Schar, die Schanzen einzureißen, Die Frei’n von oben her ihnen den Kopf zerschmeißen. Sie ziehen mit Gebrüll und wildem Jubel ein, Und auf die Bastions verteilen sich die Frei’n. Von Halle rückten an die frommen Gottesstreiter, 15 Zum Stürmen trugen sie des Jakob Himmelsleiter. Die Feuersäule wogt als Fahne stolz voran, Die Büsche brannten hell auf ihrer nächt’gen Bahn. 0, wär’ ich stark genug, der Frommen Zug zu malen Und ihn mit heil’gem Glanz gar köstlich zu umstrahlen! 20 Die erste Reihe führt der grimmig stolze Leu; Er schreitet kühn daher und schwinget sonder Scheu’ Fünf Bände Weltgeschicht’ in seinen frommen Fäusten; Sonst ist er waffenlos; der Glaube muß ihm leisten, Was aller Übermut und Selbstvertrau’n nicht kann. 25 Die zweite Reihe führt ein wahrer Gottesmann, Die Frommen nennen ihn Herr Juliusvan der Sünden; Ihr könnt am lieben Mann nicht Eine Waffe finden; Er schlägt die Freien bloß durch seine Gegenwart, Drum hatten sich um ihn die Gläubigsten geschart, 30 Und ihre Waffe war das Beten nur und Singen, Denn wenn von weitem nur des Himmelssanges Klingen Die Freien angehört, sie laufen meilenweit. — Bonn sendet Kämpen auch, viel tapfre, zu dem Streit, Sie führet Bruder Nichts; und andre ziehn von Schwaben, 35 Der „Christenbote“ schwebt als Fahne hoch erhaben. Die Bremer führt zum Kampf der tapfre Mallet hin, Es führet Hengstenberg die Frommen von Berlin. Auch ihr, die ihr den Strauß von Zürich fortgejaget, Es führet euch zum Kampf der Hirzel unverzaget, 40 Der Pfaff von Pfäffikon. Auch Basler ziehn heran. Du kommst vom Wuppertal, Krummacher, Gottesmann. Die Scharen sammeln sich auf Leipzigs weiten Plätzen; Da höret man von fern zu lieblichem Ergötzen, Erbaulichen Gesang, der zu dem Herzen dringt; 45
Ruge bei den Berliner „Freien“. Karikatur von Engels Tafel VI
Der Triumph des Glaubens 277 Und alle fragen sich: Wer ist es, der da singt? Sieh’, auf der Eselin — und alle stehn betroffen — Naht Bruder Beutel sich und sieht den Himmel offen. Sein Sang ertönt: „Hie Schwert des Herm und Gideon, Auf, Brüder, sehet dort des Teufels Schanzen schon! Wie fürchterlich sich auch der Höllen Pforten türmen, Hinauf in Gottvertraun! Der Glaube wird sie stürmen!66 Und sieh’, die Eselin sprengt auf die Schanzen ein, Die Schar der Gläubigen eilt singend hinterdrein. 10 0 welch’ ein wilder Sturm! Verzagt, ihr Lästermäuler, Und heult zum Teufel nun, ihr gottvergess’nen Heuler! Sieh’, Bruder Beutel fliegt hinan den stolzen Wall; Es führet Hengstenberg zum Kampf der Gläub’gen Schwall. Doch drinnen ordnet an den Widerstand der Teufel, Gibt guten Rat zur Schlacht und scheuchet feige Zweifel. Seht, Blücher-Wigand steht hoch auf dem Ravelin, Von Maien unterstützt, seht, wie sie Feuer sprühn; Seht Stirner, wie er wirft mit ganzen Bücherballen, Daß scharenweis betäubt die Frommen niederfallen; 20 Seht Arnold auf dem Wall, wie er gewaltig ficht, Wie er den Gläub’gen wirft Jahrbücher ins Gesicht; Seht, wie in erster Reih’, hoch auf der Büchermauer, Wild die Posaune schwingt der tolle Bruno Bauer; Seht, wie aus sichrem Ort, wo ihn kein Wurf bedroht, 25 Broschüren rücklings wirft ins Feld der Patriot; Wie Köppen wütend ficht mit seinem Krötenspieße, Und dennoch menschlich sorgt, daß er kein Blut vergieße ; Wie streitet Edgar wild mit Brauerskraft und Mut, Wie färbt der Pfefferrock Oswalds sich rot von Blut! 3o 0 seht die Kölner Schar! Im Kampf ist ausgegangen Die Pfeife Rtg’s, doch das macht ihm kein Bangen, Er faßt sie umgekehrt am langen, schwanken Schlauch, Und schwenkt den Wassersack den Frommen um den Bauch. Der Jüngling schleudert grimm Goldteufel rings hernieder, 35 Es rast das Ungetüm und reckt zum Kampf die Glieder. Doch immer mut’ger vor das fromme Häuflein dringt Und immer herrlicher das Halleluja klingt. Seht, wie den Wigand faßt auf seinem Bücherberg Am langen blonden Bart der fromme Hengstenberg; 40 Seht, wie er wütend hat den Bart ihm ausgerissen, Und in den grausen Kot Wigand herabgeschmissen; Seht, Arnold ist bedrängt und Edgar hart bedroht, Ins Haus flieht Köppen schon, mit ihm der Patriot. Halb eingerissen ist die stolze Büchermauer, 45 Doch immer wütend kämpft allein der tolle Bauer.
278 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete Auf BruderBeuteln fliegt von seiner Hand herab Ein ganzer Ballen jetzt und wird des Frommen Grab. Es wankt von seinem Schlag Herr Julius van der Sünden. Da trotzet HallesLeu den wilden Höllenschlünden. Ein Simson, reißt er ein den stolzen Festungswall, * Er stürzt, und Bauer, seht, auch Bauer kommt zu Fall! Da liegt er, eingepreßt von seinen eignen Ballen, — Ha, wie die Gläub’gen ihn lobsingend überfallen! Seht, Bruder Beutel rafft sich von der Erd’ empor Und fasset siegesfroh des tollen Bauer Ohr, m Und spricht: „0 Gläubige, der Herr erfüllt mein Hoffen, Der Herr ist unser Hort, ich seh’ den Himmel offen! Zum Kampfe, fort zum Kampf! 0 laßt den Bauer mir; Derweil ihr jene schlagt, bewach’ ich diesen hier.“ Sie binden Bauer rasch und stürzen singend weiter, 25 Und setzen an das Haus zum Sturm die Jakobsleiter. Es wankt der Gutenberg, es kracht die Türe schon, Schon geht den Freien aus oben die Munition, Schon ringt der Patriot verzweiflungsvoll die Hände, Schon ist durch einen Wurf gelähmet Arnolds Lende, 20 Schon blutet Maien stark aus Nasenloch und Mund, Da eilt der Teufel fort voll Angst zum Höllenschlund. Mit grausigem Geheul flieht er in seine Tiefen, Hei, wie die Bösen da in Angst zusammenliefen! Sie fragen, lästern, dröhn, und er in grimmem Zagen: 23 „0 Schmach, die Freien sind vom frommen Heer geschlagen! Nichts half mein Spott und Hohn, nichts half mein Pestgestank; Weh’, sie besiegten mich mit himmlischem Gesang! W i g a n d ist ohne Bart, gefangen ist der Bauer, Genommen ist mit Sturm der Bücherballen Mauer!“ 30 Hei, wie von Angstgebrüll der Höllen Tiefe dröhnt! Hei, wie vor grausem Schmerz der wilde Hegel stöhnt! Doch hat sich kaum erholt der Schwarm vom ersten Schrecken, Erheben Schimpf und Drohn die tollen Höllenrecken; In Aufruhr tosen sie. „Du willst ein Teufel sein, 35 Und läßt uns das geschehn?“ schreit Hegel wild darein. „Wo war dein Schwefeldampf, wo war dein Brand und Feuer? Vor einem Amen fliehst du, feiges Ungeheuer? Wir sehen, ach, zu spät! vor Alter bist du schwach, Nur Kindern läufst du noch und alten Vetteln nach. 49 Auf! rasches Handeln hilft, nicht weichliches Geplärre. Hier, Danton! Voltaire, auf! Und du, Robespierre! Nur ihr könnt helfen hier, die ihr gewallt auf Erden; Zum Himmel mit dem Teufel! Wir müssen Teufel werden! Stets kraftlos ist und bleibt das mythische Geschmeiß, 45
Der Triumph des Glaubens 279 Selbst tausendjähr’ger Brand macht nicht die Feigen heiß. Auf, Bruder Marat! Wir, die Menschen einst gewesen, Wir müssen einen Mann zum Führer auserlesen. Der Teufel ist und bleibt nur mythische Person, 5 Und er ist unser Feind, wie jeder Himmelssohn. Hinauf, hinauf zum Sieg!“ — Hei, wie in tollem Rasen Sie aus der Hölle fliehn, die blutgewohnten Äsen! An ihrer Spitze schwingt zwei Feuerbränder Hegel, Und Voltaire hinter ihm mit feurigrotem Flegel, w Danton erhebt die Stimm’, es brüllet Edelmann, Es ruft Napoleon: „Auf, Höllenbrut, voran!“ Marat, in jeder Hand zwei borst’ge Höllenkinder, Schon lechzet er nach Blut, der wüste Menschenschinder. Robespierre saust, von Grimme zuckt sein Mund — 15 Weh’! diese wilde Schar speit aus der Höllenschlund. Wo BruderBeutel hält, der Bauern fromm behütet, Da ist die wilde Jagd gradhin zuerst gewütet. Der Beutel steht erschreckt, es weint die Eselsmaid: „Ach, Herr, jetzt ist es aus, es kommt nun unsre Zeit.“ 20 Mar a t wirft sein Geschoß, und Beutel wird getroffen, Zur Erde sinkt er hin, und sieht den Himmel offen. Und Hegel hat umarmt den tollen Bauer schon: „Ja, du hast mich gefaßt, du bist mein lieber Sohn!“ Die Bande löst er ihm, die Bösen jubilieren: 25 „Hoch Bauer, unser Held! Er soll zum Kampf uns führen! Der Teufel ist entsetzt, wir brauchen einen Mann.“ So stürmen mit Geschrei sie auf die Frommen an. Es wendet sich das Blatt, die Frommen fliehn betroffen; Doch BruderBeutel sieht, wie stets, den Himmel offen. so Es trägt die Eselin zum Himmel ihn hinan — 0 welch’ ein Wunder, seht, hat Gott der Herr getan! Zum Himmel fahren seht, o seht Elias-Beuteln! Der Gotteslästrer Plan, seht herrlich ihn vereiteln. Und hinter ihm mit Glanz der Frommen Heeresschar, 35 Sie fliehen mit Gesang zum Himmel auf fürwahr. Doch weh’! die Höllenbrut, sie fähret hinterdrein: Es stürmen wütend nach mit Siegesruf die Frei’n. Dem Schrecken sind, der Furcht die Frommen mm zur Beute, Und ihnen mit Gebrüll stürzt nach die Höllenmeute. — 4o Den Teufel unterdes hat die Rebellion, Mit der die Trefflichsten aus seinem Haus geflohn, Auf lange stumm gemacht, und mit ihm staunt die Hölle ; Sie stehen regungslos und stieren nach der Schwelle, Aus welcher Hegel und die ganze Schar gesaust; 45 Bis endlich Ihm der Zorn aus schaum’gem Munde braust:
280 Berlin 1841—1842. Philosophische Pamphlete „Daran erkenn’ ich euch, ich Dummer bin verraten, Die Tat ist teuflischer, als meine faden Taten. Zu frei sind diese Frei’n, erst hab’ ich sie verführt, Nun haben sie von mir sich schnöd’ emanzipiert. Mit diesem Menschenpack ist gar nichts anzufangen, 5 Nach frechster Freiheit steht ihr freventlich Verlangen: Erkennen diese Frei’n kein Heiliges mehr an, Am Ende ist es dann auch noch um mich getan. Ich kämpfe wider mich, indem ich Gott bestreite, Als mythische Person schiebt man mich auch beiseite. jo Hinauf! wir suchen Gott in seinem Himmelsglanz Und schließen treuvereint hochheil’ge Allianz.“ So stürzt er wild hinauf, er wirft sich Gott zu Füßen, Und spricht: „0 laß mich nicht, was ich gefrevelt, büßen! Vereint kämpf’ ich mit dir.“ Und Gott, der güt’ge, sprach: 15 „Einstweilen sehen wir dir deine Sünden nach ; Geh’, wasch in Lästrerblut dir ab die argen Sünden, Und kommst du dann zurück, wird sich das andre finden.“ Voll Freude stürmt er fort; er findet grimme Schlacht. Ob Beistand auch der Schar der Frommen ward gebracht — 20 Ach dennoch muß — o Schmach! — der Glauben unterliegen, Es eilt die Frevlerbrut zu immer neuen Siegen. Von Stern zu Sterne fort springt Bauer, wutentbrannt, Und die Posaune schwingt als Keule seine Hand. Entgegen ziehen ihm die vier Evangelisten, 25 Jedoch sie schrecken nicht den frechen Atheisten; Ob auch des Lukas Ochs die Hörner grimmig streckt, Des Markus Löwe brüllt — er bleibet unerschreckt; Er scheucht die Heil’gen all’. — Wie wild der Hegel dränget, Der Engel Flügelein mit seinem Brand versenget; 20 Wie mit dem Flegel hoch der schnöde Voltaire dräut; Wie Ruge wutentbrannt die Kirchenväter bläut; Seht Bauer einen Stern in seinem Laufe packen Und, ach! ihn schleudern auf die fliehnden frommen Nacken; Seht, wie der Teufel sinkt von der Posaune Schlag, 35 Und vor ihr M i c h a e 1 selbst nicht bestehen mag; Seht, wie den Syrius der wilde Hegel fasset, Und Hengstenbergen wirft, daß er alsbald erblasset ; Seht, wie der Englein Schar versengt die Flügelein, Durchzappelt das Gewölk mit angsterfülltem Schrein! 40 Das Lämmlein hält das Kreuz dem Ungetüm entgegen, Der aber ballt die Faust und droht mit grimmen Schlägen. Die Magd Maria selbst verläßt das Heiligtum Und spornt die Engel an zu Kampfesmut und Ruhm. „Auf, gegen Bauer, auf! auf, gegen den Titanen! 43
Der Triumph des Glaubens 281 Begreifen wollt’ er mich, das müßt, das müßt ihr ahnen.66 Doch, wie sie fleht und ruft, wie sie auch lieblich blickt, Der Freien Scharen sind stets weiter vorgerückt. 0 seht, schon nahen sie dem Heiligtum des Herren, 5 Schon kann die Gottesschar nicht mehr den Weg versperren; Schon stößt an einen Stern die fromme Eselin, Und fällt auf ihrer Flucht mit BruderBeuteln hin ; Schon nahet Bauer ihm mit fürchterlichem Rasen, Sein Lebenslicht mit der Posaune auszublasen; io Schon fasset Ruge wild des Saalestrandes Leu ’ n, Und preßt in seinen Mund ein Blatt Annalen ein Da sieh’! was schwebt heran, von Himmelsglanz umgeben, Was läßt den B a u e r so gewaltiglich erbeben? Es ist, ihr glaubt es kaum, ein einfach Pergamen: 15 Was mag mit Himmelslicht darauf verzeichnet stehn? Es schwebt gelind herab, es schwebt vor Bauer nieder, Und Bruno hebt es auf ; es zittern seine Glieder Was ist es, was die Stirn mit kaltem Schweiß benetzt? Was murmelt er so dumpf? Er murmelt: — „Abgesetzt!66 so Kaum ist dies Himmelswort dem Höllenmund entfahren, Da brüllen: „Abgesetzt!66 ringsum der Freien Scharen. Sie stehen starr und stumm, es jauchzt der Engel Heer, Die Freien fliehn voll Graus, die Engel hinterher. Sie treiben in Triumph die Freien bis zur Erde, 25 Daß jeder Böse doch also bestrafet werde!
PUBLIZISTISCHES
Aus: RHEINISCHE ZEITUNG für Politik, Handel und Gewerbe Köln 1842
Die Artikel erschienen in der Zeit vom 12. April 1842 bis zum 29.August 1842 in der Rheinischen Zeitung. Von dem Artikel „Zur Kritik der Preußischen Preßgesetze“ ist das Manuskript erhalten. Wir haben alle Abweichungen vom Manuskript in Fußnoten vermerkt.
Nord- und süddeutscher Liberalismus [RhZ 12. April 1842. Nr. 102] *x* Berlin, im März. Es ist noch nicht lange her, da galt der Süden unseres Vaterlandes für den einzigen Teil desselben, der 5 einer entschiedenen politischen Gesinnung fähig sei; Baden, Württemberg und Rheinbayern schienen die drei einzigen Altäre zu sein, auf denen das Feuer des allein würdigen, unabhängigen Patriotismus entflammen könnte. Der Norden schien in eine träge Gleichgültigkeit, in eine, wenn nicht servile, doch schlaffe und 10 zähe Ermattung zurückgesunken, in der er sich von der freilich großartigen und ungewohnten Anstrengung der Befreiungskriege, an denen der Süden keinen Teil genommen, erholen wollte. Er schien mit jener Tat genug und nun den Anspruch auf einige Ruhe zu haben, so daß der Süden bereits auf ihn herabzusehen, seine 15 Interesselosigkeit zu schelten, seine Geduld zu verspotten begann. Die Ereignisse in Hannover wurden vom Süden ebenfalls zu einer Rechtfertigung seiner Überhebung gegen den Norden reichlich ausgebeutet. Während dieser sich anscheinend stiller, tatenloser verhielt, triumphierte jener, pochte auf sein sich entwickelndes so parlamentarisches Leben, auf seine Reden in den Kammern, auf seine Opposition, die den Norden unterstützen müsse, während er seine Existenz auch ohne diesen gesichert wisse. — Das ist alles anders geworden. Die Bewegung des Südens ist eingeschlummert, die Zähne der Räder, die sich früher so scharf 26 erfaßten und im Umschwung erhielten, sind allmählich abge¬ schlissen und wollen nicht mehr recht in einander greifen, ein Mund verstummt nach dem andern und die jüngere Generation hat nicht Lust, auf dem Pfade ihrer Vorgänger zu gehen. Dagegen hat der Norden, obwohl die äußern Umstände ihm lange nicht so 30 günstig sind wie dem Süden, obwohl die Tribüne, wo sie nicht ganz mangelt, sich nie zur Bedeutung der süddeutschen erheben konnte, dennoch seit mehreren Jahren einen Fonds von gediegener, politischer Gesinnung, von charakterfester, lebendiger Energie, von Talent und publizistischer Tätigkeit aufzuweisen, wie ihn der 36 Süden in seiner schönsten Blütezeit nicht zusammenbrachte. Dazu kommt, daß der norddeutsche Liberalismus unbestreitbar einen höheren Grad von Durchbildung und Allseitigkeit, eine festere historische wie nationale Basis besitzt, als der Freisinn des Südens jemals sich erringen konnte. Der Standpunkt des ersteren ist weit
288 Berlin 1841—1842. Aus der Rheinischen Zeitung über den des letzteren hinaus. Woher kommt das? Die Geschichte beider Erscheinungen löst diese Frage aufs klarste. Als mit dem Jahre 1830 der politische Sinn in ganz Europa zu erwachen, das Staatsinteresse in den Vordergrund zu treten be¬ gann, entwickelte sich aus den Tatsachen und Anregungen dieses 5 Jahres in ihrem Zusammenstoß mit den wiedererwachenden Träumen der Deutschtümelei das neue Produkt des süddeutschen Liberalismus. Aus der unmittelbaren Praxis geboren, blieb er dieser getreu und schloß sich ihr in seiner Theorie an. Die Praxis aber, aus der er sich die Theorie konstruierte, war bekanntlich eine io sehr weitschichtige, französische, deutsche, englische, spanische usw. Daher kam es, daß auch die Theorie, der eigentliche Inhalt dieser Richtung sehr ins Allgemeine, Vage, Blaue hinauslief, daß sie weder deutsch, noch französisch, weder national, noch ent¬ schieden kosmopolitisch, sondern eben eine Abstraktion und Halb- u heit war. Man hatte einen allgemeinen Zweck, die gesetzliche Frei¬ heit, aber gewöhnlich zwei gerade entgegengesetzte Mittel dafür; so wollte man konstitutionelle Garantieen für Deutschland und schlug heute, um dies zu erreichen, größere Unabhängigkeit der Fürsten vom Bundestage, morgen größere Abhängigkeit, aber eine 20 Volkskammer zur Seite der Bundesversammlung vor: zwei Mittel, von denen eins unter den obwaltenden Umständen so unpraktisch war wie das andere. Man wollte heute zur Erreichung des großen Zweckes größerer Einheit Deutschlands und morgen größere Un¬ abhängigkeit der kleinen Fürsten gegen Preußen und Österreich. 25 So, über den Zweck immer, über die Mittel nie einig, wurde die bei weitem mächtigere Partei bald von der Regierung überholt und sah ihre Unklugheit zu spät ein. Sodann war ihre Kraft an eine momentane Aufregung, an die Rückwirkung eines bloß äußer¬ lichen Ereignisses, der Julirevolution geknüpft, und als diese 30 nachließ, mußte auch sie entschlummern. Während dieser Zeit war in Norddeutschland alles weit ruhiger und dem Anscheine nach untätiger. Nur ein Mann strömte damals alle Glut seiner Lebenskraft in lebendigen Flammen aus, und der galt mehr, als alle Süddeutschen zusammen, ich meine Börne. 35 In ihm, der über die Halbheit jener mit aller Energie seines Cha¬ rakters hinausging, kämpfte sich diese Einseitigkeit ganz und gar durch und überwand so sich selbst. In ihm rang sich aus der Praxis die Theorie heraus und zeigte sich als die schönste Blüte jener. So trat er entschieden auf den Standpunkt des norddeut- 49 sehen Liberalismus und ward sein Vorläufer und Prophet. Diese Richtung, der jetzt die Herrschaft über Deutschland nicht mehr abzustreiten ist, gewann durch ihre Basis schon einen volleren Gehalt, eine dauerhaftere Existenz. Sie knüpfte von vorn herein ihr Dasein nicht an ein einzelnes Faktum, sondern an die ganze is
Nord- und süddeutscher Liberalismus 289 Weltgeschichte und namentlich an die deutsche; die Quelle, aus der sie floß, war nicht in Paris, sie war im Herzen Deutschlands ent¬ sprungen; es war die neuere deutsche Philosophie. Daher kommt es, daß der norddeutsche Liberale eine entschiedene Konsequenz, 5 eine Bestimmtheit in seinen Forderungen, ein festes Verhältnis von Mittel und Zweck hat, das der Süddeutsche bisher immer vergebens anstrebte. Daher kommt es, daß seine Gesinnung als ein notwendiges Produkt der nationalen Bestrebungen, und darum selbst als national erscheint, daß sie Deutschland nach innen und 10 außen gleich würdig gestellt sehen will und nicht in das kosmische Dilemma kommen kann, ob man erst liberal und dann deutsch, oder erst deutsch und dann liberal sein solle. Daher weiß sie sich gleich sicher vor den Einseitigkeiten dieser wie jener Partei und ist die Spitzfindigkeiten und Sophistereien los, in die diese durch 15 ihre eigenen innem Widersprüche getrieben wurden. Darum kann sie einen so entschiedenen, so lebendigen, so erfolgreichen Kampf gegen alle und jede Reaktion eröffnen, wie der süddeutsche Libe¬ ralismus nie, und darum ist ihr der Sieg am Ende gewiß. Indes ist der Süddeutsche nicht als ein verlorener Vorposten, 20 nicht als ein mißlungenes Experiment zu fassen; wir haben durch ihn Resultate errungen, die wahrlich nicht zu verachten sind. Vor allem war er es, der eine deutsche Opposition begründete und so eine politische Gesinnung in Deutschland möglich machte und das parlamentarische Leben erweckte; der das Samenkorn, das in den 25 deutschen Verfassungen lag, nicht einschlummem und verfaulen ließ und den Gewinn aus der Julirevolution zog, der für Deutsch¬ land daraus zu erzielen war. Er ging von der Praxis zur Theorie und kam damit nicht durch; so wollen wir es umgekehrt anfangen und von der Theorie in die Praxis zu dringen suchen — ich wette, 30 was ihr wollt, wir kommen so am Ende weiter.
Tagebuch eines Hospitanten I [Marheineke] [RhZ 10. Mai 1842. Nr. 130] In einer Stadt wie Berlin würde der Fremde ein wahres Ver- 5 brechen gegen sich selbst und den guten Geschmack begehen, wenn er nicht alle Merkwürdigkeiten in Augenschein nehmen würde. Und doch geschieht es nur zu häufig, daß das allerbedeutendste in Berlin, das, wodurch die preußische Hauptstadt sich so sehr vor allen andern auszeichnet, von Fremden unbeachtet bleibt; ich 10 meine die Universität. Nicht die imposante Fassade am Opern¬ platz, nicht das anatomische und mineralogische Museum mein’ ich, sondern die so und sovielen Hörsäle mit geistreichen und pedantischen Professoren, mit jungen und alten, lustigen und ernsthaften Studenten, mit Füchsen und bemoosten Häuptern, 15 Hörsäle, in denen Worte gesprochen sind und noch täglich gespro¬ chen werden, denen mit der Grenze Preußens, ja des deutschen Sprachgebietes kein Ziel der Verbreitung gesetzt ist. Es ist der Ruhm der Berliner Universität, daß keine so sehr wie sie in der Gedankenbewegung der Zeit steht und sich so zur Arena der 20 geistigen Kämpfe gemacht hat. Wie viele andere Universitäten, Bonn, Jena, Gießen, Greifswald, ja selbst Leipzig, Breslau und Heidelberg, haben sich diesen Kämpfen entzogen und sind in jene gelehrte Apathie versunken, die von jeher das Unglück der deut¬ schen Wissenschaft war! Berlin dagegen zählt Vertreter aller Rich- 25 tungen unter seinen akademischen Lehrern und macht dadurch eine lebendige Polemik möglich, die dem Studierenden eine leichte, klare Übersicht über die Tendenzen der Gegenwart ver¬ schafft. Unter solchen Umständen trieb es mich, von dem jetzt all¬ gemein gewordenen Rechte des Hospitierens Gebrauch zu machen, 30 und so ging ich eines Morgens, als gerade das Sommersemester begann, hinein. Mehre hatten schon angefangen zu lesen, die mei¬ sten begannen gerade heute. Das Interessanteste, das sich mir dar¬ bot, war die Eröffnung der Vorlesungen von Marheineke über die Einführung der Hegelschen Philosophie in die Theologie. 35 Überhaupt hatten die ersten Vorlesungen der hiesigen Hegelianer in diesem Semester ein ganz besonderes Interesse, weil manche schon im Voraus auf direkte Polemik gegen die Schellingsche Offenbarungsphilosophie rechnen ließen, von den andern aber er¬ wartet wurde, daß sie mit einer Ehrenrettung der gekränkten 40
Tagebuch eines Hospitanten I 291 Manen Hegels nicht zurückhalten würden. Marheinekes Kolleg war zu augenscheinlich gegen Schelling gerichtet, um nicht eine besondere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das Auditorium war schon lange vor seiner Ankunft gefüllt, junge und alte Män- 5 ner, Studenten, Offiziere und wer weiß was sonst noch, saßen und standen dicht aneinander gedrängt. Endlich tritt er ein; das Sprechen und Summen verstummt auf der Stelle, die Hüte fliegen wie auf Kommando ab. Eine feste, kräftige Gestalt, ein ernstes, entschiedenes Denkerantlitz, die hohe Stirn umkränzt von Haaren, 10 die in der sauren Arbeit der Gedanken ergraut sind; beim Vor¬ trage selbst ein nobler Anstand, nichts von dem Gelehrten, der seine Nase in dem Heft vergräbt, aus dem er liest, nichts von theatralisch-gekünstelter Gestikulation; jugendlich aufrechte Hal¬ tung, das Auge fest auf der Hörermenge ruhend; der Vortrag 15 selbst ruhig, würdig, langsam aber stets fließend, schmucklos aber unerschöpflich an schlagenden Gedanken, von denen einer den andern drängt und immer noch schärfer trifft als der vorher¬ gehende. Marheineke imponiert auf dem Katheder durch die Sicherheit, die unerschütterliche Festigkeit und Würde, zugleich 20 aber durch den freien Sinn, der aus seinem ganzen Wesen hervor¬ leuchtet. Heute aber trat er in einer ganz eigenen Stimmung aufs Katheder, imponierte seinen Zuhörern auf eine noch weit mäch¬ tigere Weise als sonst. Hatte er ein ganzes Semester lang die un¬ würdigen Äußerungen Schellings über den toten Hegel und seine 25 Philosophie geduldig ertragen, hatte er die Vorträge Schellings bis zu Ende ruhig angehört — und das ist für einen Mann wie Marheineke wahrlich keine Kleinigkeit — so war nun der Moment gekommen, wo er den Angriff erwidern, wo er gegen stolze Worte stolze Gedanken ins Feld führen konnte. Er begann mit allge- 30 meinen Bemerkungen, in denen er die heutige Stellung der Philo¬ sophie zur Theologie in meisterhaften Zügen schilderte, erwähnte Schleiermachers anerkennend, von dessen Schülern er sagte, sie seien durch sein zum Denken anregendes Denken zur Philosophie geführt worden, und diejenigen, die einen andern Weg einge- 35 schlagen, hätten es selbst zu büßen. Allmählich ging er zur Hegel¬ schen Philosophie über und trat bald in eine leicht bemerkbare Beziehung zu Schelling. „Hegel“, sagte er, „wollte vor allem, daß man sich in der Philosophie über seine eigene Eitelkeit er¬ hebe und sich nicht etwa vorstelle, als habe man etwas Besonderes 40 gedacht, bei dem es nun sein Bewenden haben könne; und nament¬ lich war er der Mann nicht, dermitgroßenVersprechun- gen und blendenden Worten auftrat, sondern er über¬ ließ es ruhig der philosophischen Tat, für ihn zu sprechen. Er ist nie der miles gloriosus in der Philosophie gewesen, der von 45 sich selbst viel Rühmens machte. Jetzt freilich hält sich 19*
292 Berlin 1841—1842. Aus der Rheinischen Zeitung keiner für zu unwissend und zu beschränkt, um über ihn und seine Philosophie absprechen zu können, und wer eine gründliche Wi¬ derlegung derselben in der Tasche hätte, würde unfehlbar sein Glück machen; denn wie sehr man sich mit einer solchen insinu¬ ieren würde, sieht man an denen, welche nur versprechen, sie zu 5 widerlegen, und es hintennach nicht halten.66 Bei diesen letzten Worten brach der Beifall des Auditoriums, der sich bisher schon in einzelnen Zeichen kund getan, in eine stürmische Akklamation aus, die, in einer theologischen Vor¬ lesung neu, den Dozenten sehr frappierte und in ihrer frischen 10 Ursprünglichkeit merkwürdige Vergleiche zuließ mit dem durch Subskription mühsam aufgebrachten, dürren Vivat am Schlüsse der von Marheineke bekämpften Vorlesungen. Er beschwichtigte den Zuruf durch Handbewegung und fuhr fort: „Diese erwünschte Widerlegung ist indes noch nicht da und wird auch nicht kommen, 15 so lange noch Gereiztheit, Verstimmung, Neid, über¬ haupt Leidenschaft an der Stelle der ruhigen, wissenschaftlichen Prüfung gegen sie auf gewandt werden; so lange man Gnostik und Phantastik für hinreichend hält, um den philosophischen Gedanken vom Throne zu stürzen. Die erste Bedingung dieser 20 Widerlegung ist freilich die, den Gegner richtig zu verstehen, und da gleichen freilich manche der Feinde Hegels dem Zwerge, der gegen den Riesen kämpfte, und dem noch bekannteren Ritter, der sich mit Windmühlen herumschlug.66 Dies ist der Hauptinhalt der ersten Marheinekeschen Vor- 25 lesung, so weit er das größere Publikum interessieren dürfte. Mar¬ heineke hat wiederum gezeigt, wie mutig und unverdrossen er immer auf dem Kampf platze ist, wenn es gilt, die Freiheit der Wissenschaft zu verteidigen. Er steht vermöge seines Charakters und Scharfsinns weit mehr als Nachfolger Hegels da als Gabler, 30 dem man gewöhnlich diesen Titel gibt. Der große, freie Blick, mit dem Hegel das ganze Gebiet des Denkens überschaute und die Er¬ scheinungen des Lebens auffaßte, ist auch Marheinekes Erbteil. Wer will ihn verdammen, daß er seine langjährige Überzeugung, seine mühsame Errungenschaft nicht einem Fortschritte opfern 35 will, der erst seit fünf Jahren ins Leben getreten ist? Marheineke ist lange genug mit der Zeit fortgeschritten, um zu einem wissen¬ schaftlichen Abschluß berechtigt zu sein. Es ist eine große Eigen¬ schaft an ihm, daß er sich selbst mit den äußersten Extremen der Philosophie auf gleichem Boden weiß und ihre Sache zur seinigen 40 macht, wie er dies alle Tage seit Leos Hegelingen bis zu Bruno Bauers Entsetzung getan hat. Marheineke wird übrigens diese Vorlesungen nach dem Schlüsse derselben drucken lassen. F. 0. 45
Rheinische Feste [RhZ 14. Mai 1842. Nr. 134] *x* Berlin, den 6. Mai. Es gibt gewisse Zeiten im Jahre, wo den Rheinländer, der sich in der Fremde herumtreibt, eine ganz 5 besondere Sehnsucht nach seiner schönen Heimat ergreift. Diese Sehnsucht stellt sich namentlich im Frühling, um die Pfingstzeit, die Zeit des rheinischen Musikfestes ein und ist ein ganz fatales Gefühl. Jetzt, das weiß man leider nur zu genau, jetzt wird es grün am Rhein; die durchsichtigen Wellen des Stromes kräuseln 10 sich im Lenzhauch, die Natur zieht ihr Sonntagskleid an, und jetzt rüsten sie sich zu Hause zur Sängerfahrt, morgen ziehen sie aus, und du bist nicht dabei! 0, es ist ein schönes Fest, das rheinische Musikfest! Auf voll¬ gedrängten, laubgeschmückten Dampfschiffen mit wehenden 15 Flaggen, mit Hömerschall und Gesang, auf langen Eisenbahn¬ zügen und Postwagenreihen mit geschwungenen Hüten und wehen¬ den Tüchern kommen die Gäste von allen Seiten herbeigeströmt, heitere Männer jung und alt, schöne Frauen mit noch schöneren Stimmen, lauter Sonntagsmenschen mit lachenden Sonntags- 20 gesichtem. Das ist eine Lust! Alle Sorgen, alle Geschäfte sind vergessen; da ist auch kein einzig ernsthaftes Gesicht zu erblicken in dem dichten Gedränge der Ankommenden. Alte Bekanntschaf¬ ten werden erneuert, neue geschlossen, das junge Volk lacht und schäkert und schwatzt in einem fort, und selbst die Alten, die 25 von ihren lieben Töchtern gewaltsam überredet wurden, trotz Gicht, Podagra, Erkältung und Hypochondrie das Fest mitzu¬ machen, werden von der allgemeinen Lust angesteckt und müssen lustig sein, da sie nun doch einmal mitgegangen sind. Alles be¬ reitet sich zur Pfingstfeier vor, und würdiger kann ein Fest, das 30 von allgemeiner Ausgießung des heiligen Geistes sich herleitet, nicht gefeiert werden, als durch Hingabe an den göttlichen Geist der Freude und des Lebensgenusses, dessen innersten Kem eben der Kunstgenuß bildet. Und von allen Künsten eignet sich keine so sehr dazu, den Mittelpunkt eines solchen geselligen Provinzial- 35 landtages zu bilden, wo alle Gebildeten der Umgegend zu gegen¬ seitiger Auffrischung des Lebensmutes und der jugendlichen Fröhlichkeit sich zusammenfinden, als gerade die Musik. War es bei den Alten die komische Darstellung, der Wetteifer tragischer
294 Berlin 1841—1842. Aus der Rheinischen Zeitung Dichter, was bei dem Panathenäen und Bakchosfesten das Volk anzog, so kann dem bei unseren klimatischen und sozialen Ver¬ hältnissen nur die Musik entsprechen. Denn, wie uns die bloß ge¬ druckte, nicht zum Gehör sprechende Musik keinen Genuß ge¬ währen kann, so blieb den Alten die Tragödie tot und fremd, so 5 lange sie nicht von der Thymele und Orchestra durch den leben¬ digen Mund der Schauspieler redete. Jetzt hat jede Stadt ihr Theater, wo allabendlich gespielt wird, während für den Hellenen nur an großen Festen die Bühne sich belebte; jetzt verbreitet der Druck jedes neue Drama über ganz Deutschland, während bei den 10 Alten nur wenige das geschriebene Trauerspiel zu lesen bekamen. Darum kann das Drama keinen Mittelpunkt großer Versamm¬ lungen mehr abgeben, eine andere Kunst muß aushelfen, und das kann nur die Musik; denn sie allein läßt die Mitwirkung einer großen Menge zu und gewinnt sogar dadurch an Kraft des Aus- 25 drucks bedeutend; sie ist die einzige, bei der der Genuß mit der lebendigen Ausführung zusammenfällt, und deren Wirkungskreis an Umfang dem des antiken Dramas entspricht. Und wohl mag der Deutsche die Musik, in der er König ist vor allen Völkern, feiern und pflegen, denn wie es nur ihm gelungen ist, das Höchste 20 und Heiligste, das innerste Geheimnis des menschlichen Gemüts aus seiner verborgenen Tiefe ans Licht zu bringen und in Tönen auszusprechen, so ist es auch nur ihm gegeben, die Gewalt der Musik ganz zu empfinden, die Sprache der Instrumente und des Gesanges durch und durch zu verstehen. 25 Aber die Musik ist dabei nicht die Hauptsache. Was denn? Nun, das Musikfest. So wenig das Zentrum einen Kreis bildet ohne Peripherie, so wenig ist die Musik dabei irgend etwas, ohne das fröhliche gesellige Leben, das die Peripherie zu diesem musi¬ kalischen Zentrum bildet. Der Rheinländer ist durch und durch 30 sanguinischer Natur; sein Blut rollt so leicht durch seine Adern wie frischgegorener Rheinwein, und seine Augen sehen immer munter und wohlgemut in die Welt hinaus. Er ist das Sonntags¬ kind unter den Deutschen, dem die Welt immer schöner und das Leben immer heiterer erscheint als den übrigen ; er sitzt lachend 35 und schwatzend in der Rebenlaube und hat beim Becher alle seine Sorgen längst vergessen, wenn die andern erst stundenlang be¬ raten, ob sie hingehen und desgleichen tun sollen und darüber die beste Zeit verstreichen lassen. Das ist gewiß, kein Rheinländer hat sich jemals eine Gelegenheit zum Lebensgenüsse vorübergehen 40 lassen, oder er ist für den größten Narren gehalten worden. Dieses leichte Blut erhält den Rheinländer auch noch eine lange Zeit jung, wo der eigentliche Norddeutsche schon seit Jahren ins Phi- listerium der Gesetztheit und Prosa übergegangen ist. Der Rhein¬ länder hat all sein Leben lang Spaß an lustigen, übermütigen 45
Rheinische Feste 295 Streichen, jugendlichen Schwänken oder, wie die weisen, gesetzten Leute sagen, an tollen Narreteien und Verrücktheiten; die lustig¬ sten und flottesten Universitäten sind von jeher Bonn und Heidel¬ berg gewesen. Und selbst der alte Philister, der in Müh und Arbeit, 5 in der Dürre der Alltäglichkeit versauert ist, mag er auch früh¬ morgens seine Jungen für ihre mutwilligen Späße abprügeln, so erzählt er ihnen doch abends beim Schöppchen behaglich die alten Schnurren, die er selbst in seiner Jugend verübt hat. Bei diesem ewig heitern Charakter der Rheinländer, bei einer 10 so offenen, unbefangenen Sorglosigkeit ist es gar nicht zu ver¬ wundern, daß auf dem Musikfeste fast alle mehr wollen als hören und sich hören lassen. Das ist eine Fröhlichkeit, ein bewegtes, zwangloses Leben, eine Frische des Genusses, wie man sie anders¬ wo lange suchen mag. Lauter heitere, wohlwollende Gesichter, 15 Freundschaft und Herzlichkeit für alle, die an der allgemeinen Lust teilnehmen; wie Stunden verfliegen die drei Festtage unter Trinken, Singen und Scherzen. Und am Morgen des vierten Tages, wenn die ganze Freude genossen ist und geschieden werden muß, freut man sich schon wieder in der Hoffnung auf das nächste Jahr, 2o verabredet sich darauf und jeder geht, noch immer heiter und neu belebt, seines Wegs und an sein alltäglich Werk.
Tagebuch eines Hospitanten II [von Henning] [RhZ 24. Mai 1842. Nr. 134] In einem geräumigen Hörsaal saßen ein paar Studenten zer- 5 streut und erwarteten den Dozenten. Der Anschlag an der Türe zeigte an, daß Professor von Henning um diese Stunde einen öffentlichen Vortrag über preußische Finanzverfas¬ sung beginnen werde. Der durch Bülow-Cummerow an die Tages¬ ordnung gebrachte Gegenstand sowie der Name des Dozenten, 10 eines der älteren Schüler Hegels, zog mich an und es wunderte mich, daß sich nicht mehr Teilnahme zu finden schien. Henning trat ein, ein schlanker Mann in seinen „besten Jahren“, mit dün¬ nem blondem Haar, und begann in rasch fließender, vielleicht etwas zu ausführlicher Rede seinen Gegenstand darzustellen. 15 „Preußen“, sagte er, „zeichne sich vor allen Staaten dadurch aus, daß seine Finanzverfassung durchaus auf dem Grunde der neueren nationalökonomischen Wissenschaft erbaut sei, daß es den bis jetzt einzigen Mut gehabt habe, die theoretischen Resultate eines Adam Smith und seiner Nachfolger praktisch durchzufüh- 20 ren. England z. B., von dem doch die neueren Theorien ausge¬ gangen, stecke noch bis über die Ohren im alten Monopol- und Prohibitivsystem, Frankreich fast noch mehr, und weder Hus¬ kisson in jenem noch Duchätel in diesem Lande habe mit seinen vernünftigeren Ansichten die Privatinteressen überwinden können 25 — von Österreich und Rußland gar nicht zu reden, während Preu¬ ßen das Prinzip des freien Handels und der Gewerbefreiheit ent¬ schieden anerkannt und alle Monopole und Prohibitivzölle abge¬ schafft habe. So stelle uns diese Seite unserer Verfassung hoch über Staaten, die in anderer Beziehung, in Entwickelung der poli- 30 tischen Freiheit uns weit vorausgeeilt seien. Wenn nun unsere Regierung in finanzieller Hinsicht so Außerordentliches geleistet habe, so sei auf der andern Seite auch anzuerkennen, daß sie ganz besonders günstige Verhältnisse zu einer solchen Reform vorge¬ funden. Der Schlag von 1806 habe reines Feld geschaffen, worauf 35 das neue Gebäude aufgeführt werden konnte; eine Repräsentativ- Verfassung, in der sich die besondem Interessen hätten geltend gemacht, habe ihr die Hände nicht gebunden. Leider aber fänden
Tagebuch eines Hospitanten II 297 sich immer noch alte Herren, die in ihrer Beschränktheit und Grämlichkeit das Neue bekrittelten und ihm den Vorwurf mach¬ ten, daß es unhistorisch, aus der abstrakten Theorie heraus, un¬ praktisch, gewaltsam konstruiert sei; als ob seit 1806 die Ge- 5 schichte aufgehört habe und es ein Vorwurf für die Praxis sei, mit der Theorie, der Wissenschaft übereinzustimmen; als ob das Wesen der Geschichte der Stillstand, das Drehen im Kreise, nicht aber der Fortschritt sei, als ob es überhaupt eine von aller Theorie bare Praxis gebe!“ io Es wird mir erlaubt sein, diese letzten Punkte, mit denen die öffentliche Meinung in Deutschland und namentlich in Preußen sich gewiß einverstanden erklären wird, näher zu betrachten; es ist sehr an der Zeit, dem ewigen Gerede einer gewissen Partei von „historischer, organischer, naturgemäßer Entwickelung“ vom 15 „naturwüchsigen Staat“ usw. entschieden entgegen zu treten und vor dem Volke jene glänzenden Gestalten zu entlarven. Wenn es Staaten gibt, die allerdings Rücksichten auf die Vergangenheit zu nehmen haben und zu einem langsameren Fortschritt genötigt sind, so findet dies auf Preußen keine Anwendung. Preußen 2o kann nicht schnell genug fortschreiten, sich nicht rasch genug entwickeln. Unsere Vergangenheit liegt begraben unter den Trümmern des vorjenaischen Preußens, ist fortge¬ schwemmt von der Flut der napoleonischen Invasion. Was fesselt uns? Wir haben nicht jene mittelalterlichen Klötze mehr an den 26 Füßen nachzuschleppen, die so manchen Staat am Gehen hindern; der Schmutz vergangener Jahrhunderte klebt nicht mehr an unse¬ ren Sohlen. Wie kann man also hier von historischer Entwickelung reden, ohne eine Zurückführung ins ancien régime im Sinne zu haben? Einen Rückzug, der der schmählichste sein würde, der so jemals dagewesen ist, der die glorreichsten Jahre aus der preußi¬ schen Geschichte aufs feigste verleugnen würde, der — bewußt oder unbewußt — Verrat am Vaterlände wäre, indem er wieder eine neue Katastrophe wie die von 1806 nötig machte. Nein, es ist sonnenklar, daß Preußens Heil allein in der Theo- 35 rie, der Wissenschaft, der Entwickelung aus dem Geiste liegt. Oder, um es von einer andern Seite zu fassen, Preußen ist kein „naturwüchsiger“, sondern ein durch Politik, durch Zwecktätigkeit, durch den Geist entstandener Staat. Man hat dies neuerdings von französischer Seite her als die größte 4o Schwäche unseres Staats darstellen wollen ; im Gegenteil ist dieser Umstand, wenn er nur recht benutzt wird, unsere Hauptstärke. So hoch der selbstbewußte Geist über der bewußtlosen Natur steht, so hoch kann Preußen, wenn es will, sich über die „naturwüchsi¬ gen“ Staaten stellen. Weil die provinzielle Verschiedenheit in 45 Preußen so groß ist, so muß, um keinem Unrecht zu tun, die Ver¬
298 Berlin 1841—1842. Aus der Rheinischen Zeitung fassung rein aus dem Gedanken erwachsen; ein allmäh¬ liches Verschmelzen der verschiedenen Provinzen macht sich dann von selbst, indem die besondern Eigentümlichkeiten sich alle in die höhere Einheit des freien Staatsbewußtseins auflösen, während sonst ein paar Jahrhunderte nicht hinreichen würden, um die 5 innere legislative und nationale Einheit von Preußen hervorzu¬ bringen, und der erste erschütternde Stoß für den innem Zusam¬ menhalt unseres Staats Folgen haben müßte, für die kein Mensch einstehen kann. Den andern Staaten ist durch einen bestimmten Nationalcharakter der Weg vorgezeichnet, den sie zu nehmen 10 haben; wir sind frei von diesem Zwange; wir können aus uns machen, was wir wollen; Preußen kann mit Hintansetzung aller Rücksichten rein den Eingebungen der Vernunft folgen, kann wie kein anderer Staat, von den Erfahrungen seiner Nachbarn lernen, kann, und das tut ihm keiner nach, als Muster&aat für 15 Europa dastehen, auf der Höhe seiner Zeit, das vollständige Staatsbewußtsein seines Jahrhunderts in seinen Institutionen dar¬ stellen. Das ist unser Beruf, dazu ist Preußen geschaffen. Sollen wir diese Zukunft um ein paar hohle Phrasen einer verlebten Richtung ver- 20 schachern? Sollen wir der Geschichte selbst nicht hören, die uns den Beruf anweist, die Blüte aller Theorie ins Leben hinüberzu¬ führen? Preußens Basis, ich sage es noch einmal, sind nicht die Trümmer vergangener Jahrhunderte, sondern der ewig junge Geist, der in der Wissenschaft zum Bewußtsein kommt und im 25 Staat seine Freiheit sich selber schafft. Und wenn wir vom Geist und von seiner Freiheit ließen, so verleugneten wir uns selbst, so verrieten wir unser heiligstes Gut, so mordeten wir unsere eigene Lebenskraft und wären nicht wert, länger in der Reihe der euro¬ päischen Staaten zu stehen. Dann würde die Geschichte mit dem 30 furchbaren Todesurteil über uns kommen: „Du bist gewogen und zu leicht gefunden!66 F. 0.
Glossen und Randzeichnungen zu Texten aus unserer Zeit Vier öffentliche Vorlesungen, gehalten zu Königsberg von Ludwig Walesrode. Königsberg, H. L. Voigt, 1842. 5 [RhZ 25. Mai 1842. Nr. 145] Königsberg in Preußen hat sich seit mehreren Jahren zu einer Bedeutsamkeit erhoben, die für ganz Deutschland erfreulich sein muß. Durch die Bundesakte formell von Deutschland ausgeschlos¬ sen, hat sich das deutsche Element dort zusammengerafft und io macht Anspruch darauf, als deutsch anerkannt, als Vertreter Deutschlands gegen die Barbarei des slawischen Ostens geachtet zu werden. Und wahrlich, die Ostpreußen konnten Deutschlands Bildung und Nationalität dem Slawentum gegenüber nicht besser vertreten, als sie es getan haben. Das geistige Leben, der politische 15 Sinn haben sich dort zu einer Regsamkeit des Treibens, zu einer Höhe und Freiheit des Standpunktes auf geschwungen wie in keiner andern Stadt. Rosenkranz vertritt mit der Vielseitigkeit und Beweglichkeit seines Geistes die deutsche Philosophie dort auf eine erfreuliche Weise, und wenn er auch nicht den Mut der 20 rücksichtslosen Folgerung hat, so stellt ihn außer seinen Kennt¬ nissen und seinem Talent auch noch sein feiner Takt und seine un¬ befangene Auffassung sehr hoch. Jachmann und andere bespre¬ chen auf freisinnige Weise die Fragen des Tages, und jetzt eben liegt uns in dem obigen Heft ein neuer Beweis vor, welch einen 25 hohen Bildungsgrad das dortige Publikum besitzt. Es sind vier, vor einem großen Auditorium gehaltene humo¬ ristische Vorlesungen über aus der unmittelbaren, lebendigen Gegenwart gegriffene Stoffe, die der talentvolle Verfasser hier vereinigt hat. In der Tat zeigt sich hier eine solche Anlage zum 30 Genremalen, eine solche Leichtigkeit, Eleganz und Schärfe der Darstellung, ein solch sprühender Witz, daß dem Verfasser eine bedeutende Anlage zum Humoristen nicht abgesprochen werden kann. Er hat den richtigen Blick, der den Zeitereignissen gleich die günstige, traktable Seite abgewinnt, und weiß seine zahllosen 35 Beziehungen und Anspielungen auf eine so feine Art anzubringen, daß der Getroffene selbst wird lächeln müssen; dazu drängt eine die andere, und zuletzt kann keiner auf den Spötter eigentlich böse sein, weil alle etwas mitbekommen haben. Die erste Vorlesung: Die Masken des Lebens, führt uns München, Berlin, den deutschen
300 Berlin 1841—1842. Aus der Rheinischen Zeitung Michel, die Hohlheit der Adelsaristokratie, die Zerrissenheit und eine Gesellschaft deutscher Zelebritäten vor, aus der ich folgende Stellen aushebe: „Nicht weit von uns sitzt ein junger Mann am Tisch, der seinen Wein aus einem schweren silbernen Pokale trinkt. Er hat einmal mit einem einzigen Liede zwanzig 5 französische Batterien demontiert, welche gegen die freien Najaden des grünen, freien Rheins gerichtet waren, und mit seinen vierfüßigen Jamben mehrere Kavallerie¬ regimenter der französischen Avantgarde, die schon bis Andernach gekommen waren, in unaufhaltsamer Flucht bis nach Thionville zurückgeschlagen. Für diese kühne Tat wurde er mit einem silbernen Pokale und einer Partizipialkonstruktion belohnt, die 10 noch kühner war als sein Lied, so wunderbar gigantisch, daß alle Gymnasiallehrer Deutschlands erbleichten und die Tertianer von den Schulbänken sprangen und jauchzend riefen: Nun haben wir Hundstagsferien!“ Bald darauf heißt es: „Da tritt uns eine Zensormaske entgegen. Wenn sie einen unzensierten Tintenfleck 10 an unsern Fingern entdecken sollte, wär’s um uns geschehen. Ein Zensor sieht aus wie ein anderer Mensch, aber sein Amt ist mehr als menschlich. Er richtet den Geist und die Gedanken und hält die Wage in Händen, welche die ewige Gerechtigkeit allein führen sollte. In der Literatur ist er angestellt, um das pharaonische Gesetz zu exeku¬ tieren, daß alle männlich geborenen literarischen Kindlein getötet, wenigstens 20 abälardisiert werden. Die Zensur des alten Roms bestand in einem strengen Sitten¬ gericht über die Bürger der Republik; sie hörte auf, als sie, wie Cicero sagt, nichts weiter vermochte, als einen Mann zum Erröten zu bringen. Unsere Zensur kann erst dann aufhören, wenn die ganze Nation wie ein Mann über sie zu erröten vermag!“ Die zweite Vorlesung, „Unser goldnes Zeitalter,“ verbreitet 25 sich in derselben leichten Weise über die Geldaristokratie; die dritte, „Literarisches Don-Quixote-Tournier,“ geht mit eingelegter Lanze auf allerlei Verkehrtheiten der Zeit los, zuerst auf den deut¬ schen politischen Stil. „Die deutsche Sprache,“ heißt es in dieser Vorlesung, „ist frei und republikanisch 30 geboren; sie erklimmt die höchsten Alphörner und Gletscher der Dichtkunst und des Gedankens, um mit dem Adler sich zur Sonne zu schwingen. Aber sie gibt sich auch, wie die Schweizer, zur Leibgarde des Despotismus her. Was der König von Hannover seinem Volk im schlechtesten Deutsch gesagt hat, das hätte er im besten Englisch nicht ausdrücken können. Kurz, unsere Sprache ist, wie die Morrisonschen Pillen, zu 35 allem gut und brauchbar; nur etwas fehlt ihr, was ihr sehr not tut — der politische Stil! Freilich, in Zeiten der höchsten Gefahr, wenn sich der Kölner Dom im Rheine spiegelt, was er nur unter sehr bedenklichen Umständen zu tun pflegt, dann nimmt sie, mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung, eine Art politischen Schwung an; dann wird jedes Kartoffelfeld ein „Gau“ genannt und ehrliche Kleinstädter werden zu 40 „Mannen“ promoviert und jede Nätherin verwandelt sich plötzlich über Nacht in eine deutsche „Maid“. Aber das ist nur der politische Defensivstil, der gewöhnlich zugleich mit dem Landsturm aufgeboten wird; zur Offensive hat’s unsere Sprache noch nicht gebracht. Wenn der Deutsche sich sein einfachstes politisches Recht, das ihm auf Stempelbogen so gesetzlich verbrieft ist wie seine Frau durch den Heiratskontrakt, 45 in Anspruch nehmen will, dann verklausuliert er seine Forderung mit so vielen Kurialschnörkeln, Hochachtungsepisoden, Respektstrichen und so vielen Versiche¬ rungen nicht zu ersterbender Liebe und Treue, daß man das Ganze eher für den zeremoniösen Liebesbrief eines Schneidergesellen als für eine gerechte Forderung halten dürfte. Denn der Deutsche hat nicht Courage genug — Recht zu haben, und 50 darum bittet er tausendmal um Verzeihung, wenn er’s gewagt haben sollte zu glauben, zu meinen, zu vermuten oder auch nur zu ahnen, daß er bei einem hohen Kunden noch eine politische Forderung ausstehen hätte. Erinnern z. B. nicht die meisten Bitt¬ schriften um Preßfreiheit ganz und gar an den vollständig in der Theatergarderobe kostümierten Marquis Posa, der sich dem König Philipp zu Füßen wirft mit den 55
Glossen und Randzeichnungen zu Texten aus unserer Zeit 301 Worten: „Sire! geben Sie Gedankenfreiheit!“ Kann man sich denn noch wundern, wenn solche Suppliken ebenfalls mit König Philipps Worten: „Sonderbarer Schwär¬ mer!“ abgetan und ad acta gelegt werden? Die wenigen Deutschen, die den Mut hatten, als die Advokaten ihres Vaterlandes dessen politische Rechte in klarer und 6 bündiger Sprache, wie es Männern geziemt, darzulegen, haben es lediglich dieser Feigheit unseres politischen Stils zu danken, daß sie der Staatsinquisition als Opfer in die Hände gefallen sind. Denn, wo die Feigheit Norm ist, da ist der Mut Ver¬ brechen! Ein politischer Schriftsteller unserer Zeit konnte sehr leicht wegen bloßer Stilsünden, dafür, daß er seine Worte und Gedanken in nackter Wahrheit, nicht mit 10 dem vom Zeremonienmeister vorgeschriebenen Kostüme bekleidet erscheinen läßt, etwas gelinde von unten nach oben gerädert werden, und das von Rechts wegen. So eunuchenhaft feige der deutsche Stil indes ist, wenn er politische Rechte geltend zu machen hat, so plump schlägt er auch wieder den großmächtigsten Gewalten das Weihrauchfaß um die Ohren. Wenn irgendwo ein Fürst sagt: „Ich will Recht und 15 Gerechtigkeit üben!“ gleich stürzen ganze Schwärme von Zeitungsphrasen wie wilde Bienen über die Fleckchen Honig her und summen vor Wonne über den köstlichen Fund auf der öden politischen Heide. Gibt’s aber wohl etwas Beleidigenderes für einen Fürsten, als wenn der bloß ausgesprochene Wille zur Ausübung der ersten Regentenpflicht, ohne welche man seinen Namen zu einem Nero und Busiris werfen 20 müßte, als eine außerordentliche, unerhörte Fürstentugend durch alle Zeitungen aus¬ posaunt wird? Und das geschieht in Staatszeitungen, unter den Augen der Zensoren, unter den Auspizien des Bundestages! Müßte nicht auf einen solchen ungeschickten Lobredner der § 92 des Kriminalrechts in seiner ganzen Strenge angewendet werden?“ Die vierte gibt „Variationen über beliebte Zeit- und National¬ es melodien“, worunter sich „ein Ordenskapitel“ befindet, welches folgendermaßen anhebt: „Die Fürsten sind die Hirten der Völker, wie schon Homer sagt, und daher die Völker natürlich die Schafe der Fürsten. Und die Hirten lieben ihre Schafe sehr und führen sie an einem bunten seidenen Leitseile, damit sie ihnen nicht abhanden kom- 30 men, und die Schafe haben wiederum ihre Freude an dem artigen, in allen Regen¬ bogenfarben schillernden Bande und merken es nicht, daß diese Zierde zugleich ihre Fessel ist, weil es eben Schafe sind“ usw. Walesrode hat durch diese vier Vorträge seine Befähigung zum Humoristen dargetan. Aber damit ist es nicht genug. Solche 35 Sachen haben einmal das Recht, locker, zersplittert, einheitslos sein zu können, wenn sie nur ihren Zweck als Vorlesungen erfül¬ len; der echte Humorist indes würde noch mehr, als Walesrode es getan hat, den Hintergrund einer positiven, großen Weltanschau¬ ung hervorgehoben haben, in der sich zuletzt aller Spott und alle 40 Negation zur vollsten Befriedigung auflöst. In dieser Beziehung hat Walesrode durch die Herausgabe des obigen Werkchens eine Pflicht auf sich genommen; er muß die Erwartungen, die er hier rege gemacht hat, so bald wie möglich rechtfertigen, und beweisen, daß er ebenso sich konzentrieren, seine Anschauungen zu einem 45 Ganzen verarbeiten kann, wie er sie hier hat auseinandergehen lassen. Und das ist um so nötiger, als er eine große Verwandtschaft mit den Autoren des weiland jungen Deutschlands durch sein Hervorgehen aus Börne, durch seine Auffassungsweise und seinen Stil bekundet; fast alle jener Kategorie angehörigen Autoren ha- w ben indes die erregten Erwartungen nicht gerechtfertigt und sind in eine Erschlaffung versunken, wie sie ein fruchtloses Streben
302 Berlin 1841—1842. Aus der Rheinischen Zeitung nach innerer Einheit zur Folge haben mußte. Die Unfähigkeit, etwas Ganzes zu liefern, war die Klippe, an der sie scheiterten, weil sie selbst keine ganzen Leute waren. Walesrode läßt indes hier und da einen höheren, vollendeteren Standpunkt durch¬ blicken und berechtigt so zur Anforderung, seine einzelnen Ur- 5 teile untereinander und mit der philosophischen Höhe der Zeit ins Gleichgewicht zu bringen. Übrigens wünschen wir ihm Glück zu dem Publikum, das solche Vorlesungen zu würdigen verstand, und zu dem Zensor, der sie der Öffentlichkeit nicht vorenthielt. Wir sind der Hoffnung, daß 10 eine solche Handhabung der Zensur, wie dies Buch sie beweist, alle andern, schwankenden Prinzipien in derselben, für Preußen wenigstens, überwinden und sich allgemeine Geltung verschaffen werde; daß die Zensur überall von solchen Männern ausgeübt werde, wie es in Königsberg geschieht, wo, wie unser Verfasser is sagt, die Zensoren Männer sind, „die das gehässigste aller Ämter mit schmerzlicher Aufopferung übernommen haben, um es nicht in die Hände solcher übergehen zu lassen, die es mit Freuden über¬ nehmen möchten“. F. 0. 20
[Polemik gegen Leo] [RhZ 10. Juni 1842. Nr. 161] *x*Von der Hasenheide, im Mai. Was, dem erleuch¬ teten Urteil der „Literarischen Zeitung“ zufolge, die Hegelsche 5 Philosophie nicht vermochte, nämlich ein auf ihren Prinzipien be¬ ruhendes System der Naturwissenschaften aufzubauen, das über¬ nimmt jetzt von ihrem Standpunkte aus und mit großartigem Er¬ folge die Evangelische Kirchenzeitung. Ein mitH.L. (Leo) unterzeichneter Aufsatz in ihren neuesten Nummern ent- io wickelt, bei Gelegenheit einer Schrift des Prof. Leupoldt in Er¬ langen, das Programm einer totalen Revolution in der Medizin, deren Folgen bis jetzt unabsehbar sind. Wie immer, beginnt Leo auch hier, obwohl ohne sie zu nennen, mit den Hegelingen, spricht von der pantheistischen, heidnischen Rich- 15 tung, die sich der neueren Naturforschung bemächtigt habe, von der „philosophischen Naturbetasteiei und subtilen Systemströste- lung“, züchtigt die anatomistische Ansicht, welche den einzelnen Kranken kuriere, nicht gleich ganze Generationen und Völker, und kommt endlich zu dem Resultat: „daß die Krankheit der 20 Sünde Lohn sei, daß nach der physischen Seite zusammengehörige Generationen solidarisch für ihre Sünde haften, selbst nach der geistigen Seite, wenn nicht der durch Gottes Gnade geschenkte Glaube die Strafenkette entzwei bricht. So gut wie der Einzelne nach der physischen Seite durch seine Bekehrung nicht von der 25 Strafe der stattgehabten Sünde frei wird, z. B. wenn er in Folge sündlicher Ausschweifungen seine Nase eingebüßt hat, sie durch die Bekehrung nicht wieder erhält, so gut werden nach der reinen Naturseite auch heute noch den Enkeln die Zähne stumpf von den Härlingen, welche die Großväter gegessen haben, und wo 30 nicht ein fester Glaube ins Mittel tritt, hört nicht einmal die geistige Strafenreihe auf. Wie oft mag schon ein Mann, der in Üppigkeit und Sünden gelebt und dabei scheinbar glücklich ge¬ endet hat, dem Sohn, dem Enkel den Keim nervenzerrüttendster Krankhaftigkeit hinterlassen haben, der in diesen fortgewütet hat, 35 bis in deprimiertestem Zustande der Unterleibsleiden der Urenkel, bei dem noch kein Wort der Gnade ein fruchtbares Erdreich ge¬ funden, in der Verzweiflung zum Rasiermesser griff und an der eigenen Kehle die Strafe vollzog, die der Urheber seiner Leiden, sein Urgroßvater, verdient hätte.“ Ohne diese Ansichten erschiene
304 Berlin 1841—1842. Aus der Rheinischen Zeitung die Weltgeschichte als schreiendste Ungerechtigkeit. — Sodann äußert Leo weiter: „Der gläubig gewordene, nasenlose Sünder kann in seiner Verstümmelung nur ein Denkmal der göttlichen Gerechtigkeit sehen, und was dem Ungläubigen eine Strafe war, wird dem Gläubigen ein neues Fundament seines Glaubens.“ Mit 5 Völkern verhält es sich ebenso. „Geistige wie leibliche Zeitkrank¬ heiten und Verstimmungen sind von einem gewissen Standpunkte aus noch heute so gut wie in den Tagen des Propheten göttliche Strafgerichte.“ Dies sind die philosophischen ich wollte sagen religiösen 10 Prinzipien, auf denen Leo, der mit einem Ringseis zu fraterni¬ sieren würdig wäre, seine neue medizinische Praxis gründet. Was hilft all das kleinliche Herumkurieren am einzelnen Menschen, ja, am einzelnsten Gliede? Gleich familienweise, volksweise muß kuriert werden! Leidet der Großvater am Fieber, so muß die ganze is Familie, Söhne, Töchter, Enkel mit Weib und Kind China schlucken! Hat der König die Lungenentzündung, so schicke jede Provinz einige Deputierte, denen zur Ader gelassen wird, wenn man nicht lieber gleich sämtlichen, so und so viel Millionen vor¬ sichtshalber pro Kopf eine Unze Blut lassen will! Und welche Re- 20 sultate für die Sanitätspolizei lassen sich hieraus entwickeln! Keiner darf zur Heirat zugelassen werden, der nicht ein Attest vom Arzte bringt, daß sowohl er selbst gesund sei, wie auch seine Vorfahren bis zum Urgroßvater von guter Konstitution gewesen seien, und ein Attest vom Pfarrer, daß er wie seine Vorfahren 25 bis zum Urgroßvater sich eines christlichen, gottseligen und tugendhaften Wandels stets befleißigt haben, auf daß nicht, wie Leo sagt, „die Sünden der Väter heimgesucht werden an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied!“ Daher hat auch der Arzt „eine Stellung furchtbarster Verantwortlichkeit und grauenerregendster 30 Bezüglichkeit, denn er kann eben sowohl ein Bote Gottes an den Einzelnen sein, der ihn bis auf einen möglichen Grad eximiert von der Mitleidenschaft für die Sünde, als ein Knecht des Teufels, der mit seiner Kraft der Strafe Gottes entgegenzu¬ treten und sie unwirksam zu machen sucht“. Wieder Resultate 35 für den Staat! Der vorgeschriebene philosophische Kursus der Mediziner muß abgeschafft und dafür ein theologischer einge¬ führt werden; der medizinische Examinand muß ein Zeugnis über seinen Glauben beibringen und die Praxis der jüdischen Mediziner, wenn man sie nicht etwa ganz abschaffen will, wenig- *o stens auf ihre Glaubensgenossen beschränkt werden. Leo fährt fort: „Der Kranke, wie der Verbrecher, ist sacer, die heilige Hand Gottes liegt auf ihm — wer heilen kann, der heile! Aber er scheue nicht den glühenden Stahl und das schneidende Eisen und den grimmigen Hunger, wo sie allein helfen können. 45
Polemik gegen Leo 305 Schwächliche Hülfe schadet in der Medizin, wie im bürgerlichen Gemeinwesen.“ Nur frisch drauf los geschnitten und gebrannt! Wo bisher die jämmerliche Trepanation angewandt wurde, helfen wir nun durch einfaches Abhacken des Kopfes; wo ein Fehler 5 am Herzen sich zeigt — der gewöhnlich die Strafe für Liebes¬ sünden, die die Mutter des Kranken beging, zu sein pflegt — und das Blut sich zu sehr zum Herzen drängt, schaffen wir ihm einen Ausweg durch einen Messerstich ins Herz; wer am Magenkrebs leidet, dem schneiden wir den ganzen Magen aus — der alte 10 Doktor Eisenbart, von dem das Volk singt, war wahrlich so übel nicht, seine Zeit hat ihn nur nicht verstanden. Ebenso, folgert Leo, sei es mit den Verbrechern, sie seien nicht allein strafbar, sondern das Volk hafte mit, und die Strafen seien nicht stark genug, die unsere schlappe Zeit anwende; es müsse mehr ge- 15 köpft und gemartert werden, sonst bekomme man mehr Ver¬ brecher, als Raum in den Arbeitshäusern sei. Ganz recht! Wo Einer mordet, da muß seine ganze Familie ausgerottet werden, und jeder Einwohner seiner Vaterstadt wenigstens fünfundzwan¬ zig Stockhiebe für seine Mitschuld an diesem Morde bekommen; 20 wo Ein Bruder der illegitimen Liebe pflegt, müssen alle seine Brüder mit k— werden. Und die Strafenverschärfung kann auch nur nützen. Seitdem das Kopf abhacken, wie wir oben gesehen haben, keine Strafe mehr, sondern nur eine medizinische Ampu¬ tation ist, um den Körper zu retten, muß diese Todesart aus den 25 Kriminalgesetzbüchem gestrichen werden, und an ihre Stelle Rädern, Vierteilen, Spießen, Verbrennen, mit glühenden Zangen Zwicken usw. treten. Auf diese Weise hat Leo der heidnisch gewordenen Medizin und Jurisprudenz eine christliche entgegengesetzt, die ohne Zwei- 30 fei bald allgemein durchdringen wird. Wie er das Christentum in die Geschichte nach denselben Grundsätzen eingeführt und so z. B. die Hegelinge, die er für die Kinder der französischen Re¬ volutionsmänner hält, für das zu Paris, Lyon und Nantes ver¬ gossene Blut, für die Taten Napoleons selbst verantwortlich 35 macht, ist bekannt, und ich erwähne es hier nur, um die erfreu¬ liche Allseitigkeit des rastlosen Mannes zu zeigen. Wie verlautet, haben wir nächstens eine deutsche Grammatik nach christlichen Prinzipien von ihm zu erwarten.
Die Freisinnigkeit der Spenerschen Zeitung [RhZ 26. Juni 1842. Nr. 171] *x* Berlin, 22. Juni. Die „Spenersche Zeitung“ brachte neulich, da bis jetzt Niemand Anders dies Geschäft übernommen hat, sich selbst das Lob, was sie ihrer Meinung nach verdient. Ein 5 „Rückblick“, den sie auf ihre Tätigkeit im verflossenen Halbjahr tut, ist hinreichend für sie zu der wichtigen Entdeckung, daß sie es ist, welche der freieren Preßbewegung Bahn gebrochen hat. Es ist ergötzlich anzusehen, wie sie, mit der Feiertagsmiene erhöhten Selbstbewußtseins, in sonntäglich gebürstetem Bratenrock vor ihr 10 Publikum, vor die auswärtigen Zeitungen hintritt, und die Bürger¬ krone der Freisinnigkeit sich aufs Haupt setzt. Die Spenersche Zeitung behauptet, wenn sie oder vielmehr das *, welches den fraglichen Artikel vertritt, also wenn dies * nicht gewesen wäre, so würde bis auf den heutigen Tag keine preußische Zeitung den h gegenwärtigen Standpunkt der Freisinnigkeit erreicht haben. Das * nämlich versuchte, als das Zensurzirkular erschien, alsbald, wie weit man gehen dürfe in der Oppositionsmacherei, es pochte leise an, und siehe! ihm ward auf getan. Natürlich, denn jene leisen, gebückten, wohlmeinenden, demütigen, zahmen Artikel 20 wären am Ende auch schon früher passiert. Das * sollte seinem Zensor doch soviel wohl zutrauen, daß er ein Haustier von einem reißenden unterscheiden kann. Aber Gott behüte! Diese Isoliert¬ heit der Philisterei ist so beschränkt, daß sie den trivialsten Ein¬ fall, der ihr durch den Kopf fährt, für originell, genial, einzig in 25 seiner Art hält. Das Zensurzirkular erscheint; nun muß doch jeder Schriftsteller augenblicklich seine Schreibart ändern, freier reden lassen. Unser Stemmann aber hält sich für den einzigen Men¬ schen in der Welt, dessen Verstand dieser Kombination fähig ist, und will die übrigen Journalisten mit der Nase darauf stoßen, daß 30 sie jetzt freier schreiben dürfen. Damit nicht genug. Er hält sich für freisinnig. Er hat einen gewissen Sinn für Öffentlichkeit. Viel¬ leicht, im allergeheimsten, verschlossensten Winkelchen seines Herzens schlummert ein leiser Gedanke von Ausbildung der stän¬ dischen Verhältnisse. Was wird er also tun? Er schreibt eine 35 Reihe Artikel, die eine komplette Skala der Freisinnigkeit bilden; heute wird der zahmste, morgen der % Gran weniger zahme hinge¬ schickt usw. Bei der Stufe bleibt er indes stehen, wo die Zahmheit und die sogenannte Freisinnigkeit sich die Wage halten. Das nennt
Die Freisinnigkeit der Spenersehen Zeitung 307 unser Stermnann „Bahn brechen“!? Die übrigen preußischen Re¬ daktionen werden sich auch noch die Mühe machen, die Spenersche Zeitung zu lesen, um aus ihr zu lernen, was Freisinn ist! Dabei ist es komisch, wie unser Politikus nicht begreifen kann, weshalb 6 er mit seinen Artikeln nicht eben so große Sensation macht, wie gewisse Zeitungen mit den ihrigen; weshalb er, der Fahnenträger des preußischen Freisinns, der große Bahnbrecher, dennoch sich in allen auswärtigen Blättern verhöhnt sieht, und sich damit trösten muß, daß man ihn verkennt.
Das Aufhören der „Kriminalistischen Zeitung“ [RhZ 30. Juni 1842. Nr. 181] *x* Berlin, 25. Jimi. Die hiesige „Kriminalistische Zei¬ tung“ hört am 1. Juli „vorläufig auf, zu erscheinen“. Also haben ihre Tiraden gegen die Geschwomengerichte doch nicht die er- 5 wünschte Beistimmung des Publikums gefunden. Sie war ein juste- milieu-Blatt im juristischen Gebiete. Sie wollte Öffentlichkeit und Mündlichkeit, aber um Gottes willen keine Geschwomen. Die Halbheit einer solchen Tendenz wird aber glücklicherweise immer mehr und mehr anerkannt, und die Verteidiger des Schwurgerichts 10 mehren sich täglich. Die Kriminalistische Zeitung stellte das Prin¬ zip auf: kein Zweig der exekutiven Gewalt dürfe dem Volke un¬ mittelbar in die Hände gegeben werden, also auch nicht das Richteramt. Das wäre allerdings ganz schön, wenn die richterliche Gewalt nicht etwas ganz verschiednes wäre, als die exekutive. In 15 allen Staaten, wo die Trennung der Gewalten wirklich durchgesetzt worden ist, stehen richterliche und exekutive Gewalt ganz außer allem Zusammenhänge. So in Frankreich, England und Amerika; die Vermischung beider Gewalten führt zur heillosesten Ver¬ wirrung, und die äußerste Konsequenz davon würde sein, den Po- 20 lizeidirektor, Inquirenten und Richter in eine Person zu ver¬ einigen. Daß aber die richterliche Gewalt ein unmittelbares Eigentum der Nation ist, das sie durch ihre Geschwomen ausüben läßt, das ist nicht nur aus dem Prinzip, sondern auch aus der Ge¬ schichte längst erwiesen. Von den Vorteilen und Garantien, die 25 das Geschwomengericht bietet, schweige ich ganz, es wäre Über¬ fluß, hier noch ein Wort zu verlieren. Aber da sind die einge¬ fleischten Juristen, die Buchstabenklauber, deren Wahlspruch ist: fiat justitia, pereat mundus! Denen ist natürlich das freie Ge¬ schwomengericht nicht recht. Denn nicht nur würden sie dadurch 30 aus der richterlichen Stellung verdrängt, sondern der heilige Buchstabe des Gesetzes würde in Gefahr geraten, das tote, ab¬ strakte Recht. Das aber darf nicht verloren gehen, das ist ihr Palladium, und daher schreien die Herren Mord und Brand, wenn einmal die Geschwomen in Frankreich oder England einen armen 35
Das Aufhören der „Kriminalistischen Zeitung“ 309 Proletarier frei sprechen, der in der Verzweiflung des Hungers für einen Heller Brot gestohlen hat, trotz dem, daß die Sache durch Zeugen und Geständnis konstatiert ist — da rufen sie triumphierend: Seht, das kommt von den Geschwornengerichten, 5 die Sicherheit des Eigentums, des Lebens selbst wird untergraben, das Unrecht wird sanktioniert, Verbrechen und Revolution offen proklamiert! — Wir hoffen, daß die „Kriminalistische Zeitung66 vorläufig nicht wieder anfangen wird, „vorläufig66 zu erscheinen.
Zur Kritik der Preußischen Preßgesetze1) [RhZ 14. Juli 1842. Nr. 195, Beiblatt] *X* Berlin,imjuni.2) Dem Preußen stehen zwei Wege zur Veröffentlichung seiner Gedanken offen. Entweder kann er sie im Inlande drucken lassen, wo er sich dann der heimischen Zensur 5 zu unterwerfen hat; oder er kann, wenn er hier Beanstandung finden sollte, immer noch außerhalb der Grenzen seines Staats, entweder unter die Zensur eines anderen Bundesstaats sich stellen, oder die Preßfreiheit auswärtiger Länder benutzen. In allen Fällen bleibt dem Staate das Recht, gegen etwaige Ungesetzlich-10 keiten Repressivmaßregeln zu ergreifen. Im ersten Falle werden, der Natur der Sache nach, derartige Maßregeln nur höchst selten anwendbar sein, da in der Regel die Zensur eher zu viel als zu wenig streicht und am allerwenigsten strafbare Dinge pas¬ sieren läßt. Bei Publikationen jedoch, welche unter auswärtiger is Preßgesetzgebung bewerkstelligt worden sind, werden Konfis¬ kationen des Werkes und gerichtliche Verfolgung des Autors weit eher und häufiger eintreten können. Um nun ein Urteil über die Gesamtverhältnisse der preußischen Preßgesetzgebung fassen zu können, ist es von großer Wichtigkeit, auch die gesetzlichen Re- 20 pressivmaßregeln nicht außer acht zu lassen. Die darauf bezüglichen Gesetze finden sich mm, da eine beson¬ dere Repressiv-Preßgesetzgebung uns bis jetzt noch fehlt, im Land¬ recht unter verschiedenen Titeln zerstreut. Von den Strafgesetzen gegen Injurie, Unsittlichkeit usw. können wir einstweilen absehen, 25 da es sich doch in der Hauptsache nur um politische Vergehen handelt, und hier finden wir die betreffenden Data in den Rubri¬ ken: Hochverrat, frecher, unehrerbietiger Tadel oder Verspottung der Landesgesetze und Majestätsbeleidigung. Wie sich bald er¬ geben wird, sind diese Gesetze indes so unbestimmt gehalten und 30 namentlich in Beziehung auf die Presse einer so weiten und un¬ leugbar willkürlichen Deutung unterworfen, daß das Urteil über sie8) durch die Praxis der Gerichtshöfe wesentlich bestimmt wer¬ den muß. Denn, wenn die Voraussetzung richtig ist, daß der Geist unserer4) Gesetzgebung in unsern5) Gerichtsbeamten lebendig ge- 35 worden ist, so muß die bei ihnen gebräuchliche Auslegung der ein¬ zelnen Bestimmungen ein wesentliches Ergänzungsmoment der¬ x) Von diesem Artikel ist das Engelssche Manuskript erhalten (Historisches Archiv, Köln); es trägt in der oberen rechten Ecke die Aufschrift von Dagobert Oppenheim: Engels, Abgedruckt. 2) im Juni von Oppenheim gesperrt. ’) Nach sie von Oppenheim gestrichen nur 4) Von Oppenheim korr. aus jeder 5) Von Oppenheim korr. aus den
Zur Kritik der Preußischen Preßgesetze 311 selben bilden, wie denn auch in zweifelhaften Fällen die bisherige Praxis einen bedeutenden Einfluß auf die Entscheidung ausübt. Schreiber dieses ist nun in dem Falle, sein Urteil über die preu¬ ßischen Preßgesetze durch eine ihm vorliegende, ausführlich mo- « tivierte Entscheidung eines preußischen Gerichtshofes supplieren zu können. Der Verfasser^ einer außerhalb Preußen gedruckten Schrift über inländische Angelegenheiten wurde wegen sämt¬ licher oben angeführten Vergehen zur Untersuchung gezogen und von der Anklage des Hochverrats zwar unbedingt frei- 10 gesprochen, des frechen und unehrerbietigen Tadels und der Ver¬ spottung der Landesgesetze indes, sowie der Majestätsbeleidigung für schuldig erklärt. Das preußische Strafrecht bestimmt das Verbrechen des Hoch¬ verrats § 92 also: ein Unternehmen, welches auf eine gewaltsame 15 Umwälzung der Verfassung des Staats oder gegen das Leben oder die Freiheit seines Oberhauptes abzielt, ist Hochverrat. Es kann vorausgesetzt werden, daß für die jetzigen Verhältnisse diese ge¬ setzliche Definition als genügend allgemein anerkannt werden wird. Da nun auch nicht zu erwarten steht, daß dergleichen Unter- 20 nehmungen durch die Presse und von solchen Leuten, die unserer Justiz erreichbar sind, begonnen werden, so ist dieser Punkt für die Presse ziemlich unwichtig. Das klare Wort: „gewaltsam“ schützt vor richterlicher Willkür oder Unfreiheit hinreichend. Da¬ gegen ist ein anderer Punkt für die Presse von der höchsten Be- 25 deutung, nämlich derjenige, welcher von der unerlaubten Be¬ sprechung der Landesgesetze handelt. Die gesetzlichen Bestim¬ mungen in dieser Beziehung sind folgende: Allg. L. R. T. II. S. 202) § 151: „Wer durch frechen, unehrerbietigen Tadel oder Verspottung der Landesgesetze und Anordnungen im Staate Miß- 30 vergnügen veranlaßt, der hat Gefängnis- oder Festungsstrafe auf 6 Monate bis 2 Jahre verwirkt.“ Hierzu gehört das Zensur-Edikt3) vom 18. Oktober 1819, worin sub. XVI. Nr. 2 bestimmt wird: „daß bei frechem, unehrerbietigem Tadel und Verspottung der Landes¬ gesetze und Anordnungen im Staate es nicht bloß darauf an- 35 kommen soll, ob Mißvergnügen und Unzufriedenheit veranlaßt worden sind, sondern die obige Strafe wegen solcher strafbaren Äußerungen selbst verwirkt ist.“ Es fällt aber beim ersten Blick auf, wie unbestimmt und unge¬ nügend diese gesetzlichen Verordnungen sind. Was heißt frech 4o und unehrerbietig? Augenscheinlich ist in dem Para¬ graphen des Straf rechtes entweder der erste oder der zweite Teil überflüssig. Frecher Tadel oder Verspottung der Landesgesetze wird mit Aufreizung zum Mißvergnügen so gut wie synonym er- 1) Joh. Jacoby 2) Allg. L. R. T. II S. 20 von Oppenheim korr. aus Straf recht 8) Zensur von Oppenheim eingefügt
312 Berlin 1841—1842. Aus der Rheinischen Zeitung klärt und das Edikt vom 18. Oktober 1819 spricht die Koinzidenz dieser Begriffe geradezu aus. Die gesetzliche Bestimmung wäre also so zu fassen: Wer frechen, unehrerbietigen Tadel oder Ver¬ spottung der Landesgesetze und Anordnungen im Staate sich zu¬ schulden kommen läßt, der sucht zu Mißvergnügen und zur Un- 5 Zufriedenheit mit denselben aufzureizen und hat deshalb die frag¬ liche Strafe verwirkt. Jetzt erst läßt sich das Gesetz klar ins Auge fassen. Die Be¬ stimmungen: Frech und unehrerbietig neben einander zu stellen, war ein Mißgriff des Gesetzgebers, der die größte Ver- io wirrung herbeiführen kann. Man kann unehrerbietig sein, ohne frech zu werden. Unehrerbietigkeit ist ein Mangel, eine Nach¬ lässigkeit, ein übereiltes Versehen, das dem Besten passieren kann; Frechheit setzt den animus injuriandi, die böse Absicht vor¬ aus. Und nun vollends Verspottung! Welcher Abstand von „Un- is ehrerbietigkeit“ bis zur „Verspottung“! Und doch für beide eine Strafe. Diese beiden Begriffe sind nicht etwa bloß quantitativ unterschieden, nicht etwa nur verschiedene Grade einer und der¬ selben Sache, sondern sie sind qualitativ, wesentlich verschieden, sie sind geradezu inkommensurabel.1) Und diese verschiedenen 20 Dinge sollen in einem Gesetz unter einen Hut gebracht werden? Jedenfalls ist das „unehrerbietig“ hier zu streichen und, wenn es nicht lieber ganz ausfallen soll, in einen besonderen Paragraphen zu bringen. Denn durch unehrerbietigen Tadel kann doch nimmer¬ mehr Unzufriedenheit und Mißvergnügen bezweckt2) werden, da 25 die Unehrerbietigkeit in jedem Falle absichtslos, unwill¬ kürlich, oder doch immer ohne böse Absicht begangen wird. Bleibt also das Wort: unehrerbietig hier stehen, so ist damit ausge¬ sprochen, daß aller und jeder Tadel der Staatsverhältnisse auf die Erregung von Unzufriedenheit ausgeht und deshalb zu bestrafen 30 ist. Dies würde aber mit unseren jetzigen Zensurverhältnissen durchaus im Widerspruch stehen. Kurz, die ganze Verwirrung rührt daher, daß das Wort: unehrerbietig aus den Zensurinstruk¬ tionen, wohin es gehört,3) ins Gesetz herübergenommen4) ist. Bei Zensurfällen mag es der Einsicht des Zensors als Polizeibeamten, 35 und solange die Zensur Polizeimaßregel ist, überlassen bleiben, ob O Nach inkommensurabel von Oppenheim durchstrichen Begegnet mir jemand, dem ich etwas verdanke, ich bemerke ihn und gehe ihm aus dem Wege, um nicht zu grüßen, so ist das unehrerbietig; sehe ich ihm dreist ins Gesicht, drücke den Hut in die Stirn und renne ihm im Vorbeigehen den Ellbogen in die Seite, so ist das frech; drehe ich ihm aber vor seinen Augen eine Nase und schneide ihm Fratzen, so ist das Verspottung. Gewisse Leute wollen es sogar schon für un¬ ehrerbietig halten, wenn man sie nicht bemerkt. 2) Bei Engels unterstrichen 8) Von Oppenheim korr. aus daß aus den Zensurinstruktionen, wohin das Wort unehrerbietig gehört 4) Von Oppenheim korr. aus hinübergenommen
Zur Kritik der Preußischen Preßgesetze 313 er etwas für „unehrerbietig“ oder für „wohlmeinend“ hält; die Zensur ist eine Ausnahme, und hier werden genauere Bestim¬ mungen stets unmöglich bleiben. Aber im Kriminalkodex darf ein so vager Begriff, ein solcher Spielraum für das subjektive Be- 5 lieben nicht vorkommen, am allerwenigsten da, wo die Differenz politischer Ansichten sich ins Spiel mischen muß, und die Richter keine Geschwome, sondern Staatsdiener sind. Daß diese Kritik des Gesetzes richtig, der Vorwurf der Begriffs¬ vermischung gegründet ist, wird sich am besten aus der Praxis der 10 Gerichtshöfe nachweisen lassen. Ich zitiere das oben erwähnte und bereits publizierte Erkenntnis. Der Verfasser der fraglichen Druckschrift entwirft darin eine Schilderung der — wohlbemerkt, gegen Ende 1840 in Preußen gehandhabten Zensur, aus welcher folgende Stellen inkriminiert 15 werden: „Bekanntlich darf bei uns weder der kleinste Zeitungs¬ artikel, noch Schriften über 20 Bogen ohne Zensurprüfung er¬ scheinen ; ist der Gegenstand ein politischer, so fällt meistens die Prüfung einem Polizeiagenten anheim, der bei den vagen Be¬ stimmungen des Zensurreglements (vom 18. Oktober 1819) sich 2o allein nach den besondem Instruktionen des Ministers zu richten hat. Vom Minister vollkommen abhängig und nur dem Minister verantwortlich, ist dieser Zensor alles zu streichen gezwungen, was den individuellen Ansichten und Absichten seiner Oberen nicht genehm ist. Führt der Verfasser gegen ihn Klage, so wird er in 25 der Regel abschläglich beschieden oder erhält sein Recht erst nach so langer Zeit, daß er keinen Gebrauch mehr davon machen kann. Wie wäre es sonst auch möglich, daß seit jenem im Jahre 1804 ausgesprochenen Lobe anständiger Publizität man in keiner preu¬ ßischen Zeitung, in keinem hier gedruckten Buche auch nur den 3o leisesten Tadel über das Verfahren des untergeordnetsten Beamten findet, daß jede, das öffentliche Interesse nur entfernt berührende Andeutung (die Rubrik: Inland der Staatszeitung wird wohl nie¬ mand hierher rechnen), um veröffentlicht zu werden, sich erst außerhalb der preußischen Grenzen flüchten muß.“ 35 „Und auch hier ist sie nicht sicher vor jener bedenklichen Beamten-Eigenmacht, welche mit Recht Friedrich Wilhelm III. als die notwendige Folge unterdrückter Publizität bezeichnet; damit auch durch ausländische Zeitungen kein ungünstiges Urteil über Beamtenhandlungen, keine irgend freimütige Beleuchtung unserer 40 Zustände nach Preußen gelange, werden dergleichen Blätter ent¬ weder verboten, oder deren Redaktionen durch wohlbekannte Mittel fügsam gemacht. Wir übertreiben, leider! nicht. Die fran¬ zösischen Zeitungen sind freilich erlaubt, die meisten aber dürfen nicht unter Kreuzband nach Preußen kommen, so daß e i n solches x) Nach erwähnte von Oppenheim gestrichen , vom 5. April d. J. unterzeichnete
314 Berlin 1841—1842. Aus der Rheinischen Zeitung Blatt jährlich mehr als 400 Taler an Postporto kosten würde; nur der Schein ist gewährt, der Sache nach aber eine solche Erlaubnis und ein Verbot eins und dasselbe. Anders verfährt man mit den deutschen Zeitungen. Sind deren Redakteure nicht schon in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse auf ihrer Hut, neh- 5 men sie über Preußen oder preußische Beamte einen in Berlin mißliebigen Artikel auf, so werden an sie von Seiten des preu¬ ßischen Ministeriums (dem Zweifler sind wir dies durch Akten¬ stücke darzutun bereit) Vorwürfe und Reklamationen gerichtet, Angabe ihrer Korrespondenten drohend verlangt und nur unter 10 demütigenden Bedingungen der einträgliche preußische Markt ihnen ferner offen gelassen/6 Nach dieser Schilderung bemerkt der Angeklagte, eine so ge¬ handhabte Zensur werde zu einer anmaßenden Bevormundung, zu einer wahrhaften Unterdrückung der öffentlichen Meinung und 15 führe endlich zu einer höchst bedenklichen, dem Volke wie dem Könige gleich gefährlichen Eigenmacht der Beamten. Nun, wie erscheint diese Stelle? Würde eine Schrift, in diesem Tone geschrieben, nicht heutzutage das preußische Imprimatur bekommen? Wird nicht in allen preußischen Zeitungen genau das- 20 selbe Urteil über die damaligen Zensurzustände gefällt? Sind nicht schon weit stärkere Sachen über noch bestehende Ein¬ richtungen gesagt worden? Und was sagt unser Urteil? „In solcher Weise darf ein Untertan sich über Gesetze und An¬ ordnungen im Staate nicht auslassen, die Behauptung, daß jede 25 das öffentliche Interesse nur entfernt berührende Andeutung, um veröffentlicht zu werden, sich außerhalb der preußischen Grenzen flüchten müsse, daß die Zensur, wie sie in Preußen gehandhabt werde, eine anmaßende Bevormundung, eine wahrhafte Unter¬ drückung der öffentlichen Meinung involviere, enthalten der Sache 30 und dem Worte nach frechen Tadel und verletzen die dem Staate schuldige Ehrerbietung. Die Aufstellung aber, daß dadurch eine höchst bedenkliche, dem Volke wie dem Könige gleich gefähr¬ liche Eigenmacht der Beamten gefördert werde, beweiset deutlich die Tendenz, Mißvergnügen und Unzufriedenheit mit den also ge- 35 schilderten Institutionen zu veranlassen. Inkulpat hat in der vor¬ liegenden Untersuchung zu erweisen gesucht, daß sein Urteil über die Zensurverwaltung in der Wirklichkeit begründet sei, und es sind von ihm in dieser Hinsicht mehrere spezielle Fälle angeführt, in welchen Artikeln publizistischen Inhalts das Imprimatur ver- 10 weigert worden ist/6 x) Von Oppenheim durchstrichen ; auch hat er eine zwischen dem Geheimen Oberregierungsrat Seyffert und dem Redakteur der Leipziger Allgemeinen Zeitung stattgefundene Korrespondenz allegiert zum Beweise, daß jene Zeitung wirklich unter dem Einflüsse der preußischen Regierung stehe.
Zur Kritik der Preußischen Preßgesetze 315 „Diese Anführungen sind indessen offenbar unerheblich; denn abgesehen davon, daß einzelne Beispiele für den Wert oder Un¬ wert einer Staatseinrichtung überhaupt nichts beweisen, so würde, auch selbst die Richtigkeit des von dem Inkulpaten gefällten Ur- 5 teils vorausgesetzt, die Form, in welcher dasselbe ausgesprochen ist, den Vorwurf der Frechheit und Unehrerbietigkeit fortbestehen lassen. Er urteilt nicht in ruhig erörternder Weise, sondern tadelt in solchen Ausdrücken, welche, wenn sie gegen Personen gerichtet wären, unzweifelhaft als Injurien anzusehen sein würden.“ 10 Ferner heißt es: „Inkulpat bemerkt über die Kommunalver¬ fassung: ,vor allem müsse die Städteordnung vom Jahre 1808 von der revidierten des Jahres 1831 wohl unterschieden werden. Erstere trüge den liberalen Charakter der damaligen Zeit und achte der Bürger Selbständigkeit; die zweite werde überall von der Jetzt- 15 Regierung begünstigt und den Städten dringend anempfohlen/ Der in diesen Worten enthaltene Gegensatz zwischen den Worten: liberaler Charakter der damaligen Zeit und Jetzt-Regierung, ent¬ hält die frech tadelnde Behauptung, daß die jetzige Regierung nicht allein illiberal sei, sondern auch, daß sie überhaupt die 2o Selbständigkeit der Bürger nicht achte ( ? ? ). Die unlautere Gesin¬ nung und die verwerfliche Tendenz seiner Schrift gibt sich aber ganz besonders kund aus den Beispielen, welche Inkulpat zum Be¬ weise jener von ihm aufgestellten Parallele folgen läßt, indem er hierbei die von ihm allegierten Bestimmungen der beiden Städte- 25 Ordnungen teils unrichtig, teils unvollständig und entstellt wieder¬ gibt.“ Ich kann mich der zu weit führenden Auszüge, die jetzt folgen, um so eher entschlagen, als, selbst die Unrichtigkeit und Unvoll¬ ständigkeit der angeklagten Darstellung zugegeben, daraus doch 30 noch lange nicht unlautere Gesinnung und verwerfliche Tendenz folgen würde. Nur den Schluß will ich noch anführen: ,Erwägt man die den ständischen Verhandlungen vollkommen entzogene Öffentlichkeit, die daher rührende, bei Wahlen wie überall sich offenbarende Gleichgültigkeit der gebildeten Klassen, endlich die 35 zweimal, im Jahre 1826 und 1833, von den liberalen rheinpreußi¬ schen Ständen erfolgte Ablehnung einer derartigen Gemeindever¬ fassung, so wird man wohl schwerlich geneigt sein, die v i e 1 g e - rühmte preußische Städteordnung als Gegengewicht des selb¬ ständigen Volksbewußtseins gegen Ministerwillkür, geschweige als 40 ein Surrogat konstitutioneller Vertretung gelten zu lassen/ Über diese Worte bemerkt das Erkenntnis: „Auch diese Stelle enthält offenbar spöttischen Tadel und verrät gleichfalls die Tendenz, Un¬ zufriedenheit und Mißvergnügen zu erregen. Wem es nur darum zu tun ist, dem Vaterlande zu nützen, der wird nicht nachzuweisen 45 bemüht sein, daß früher eine dem Volke ersprießlichere Richtung
316 Berlin 1841—1842. Aus der Rheinischen Zeitung verfolgt sei, welche man jetzt immer mehr und mehr verlasse und mit einer dem Gemeinwohl schädlichen Tendenz vertausche. Eine solche Vergleichung des frühem vorgeblich bessern Zustandes mit dem gegenwärtigen ist durchaus unnötig, um die vermeintlichen Mängel der bestehenden Verfassung aufzudecken; sie kann daher * keinen andern Zweck haben, als die Ansicht hervorzurufen, daß es jetzt nicht mehr so gut um das Wohl der Nation stehe wie früher, um solchergestalt Mißvergnügen und Unzufriedenheit zu erregen.“ Was vom Gesetz oben ausgesagt wurde, das bestätigt die Praxis nur zu sehr. Die Bestimmung der Unehrerbietigkeit, die ins Ressort der Polizei, der Zensur gehört, äußert hier ihre nachteiligen Wirkungen. Durch die Verpflanzung dieses Begriffs auf den Boden des Gesetzes wird dies von der jedesmaligen schwerem oder leich¬ tem Zensur abhängig gemacht. Ist die Zensur gerade drückend wie 1840, so ist der leiseste Tadel unehrerbietig. Ist sie human u wie jetzt, so ist, was damals für frech galt, heute kaum unehrer- bietig.2) Die Zensur muß ihrer Natur nach schwankend sein; das Gesetz aber muß fest stehen, bis es auf gehoben wird; es muß unabhängig sein von dem Auf und Ab der polizeilichen Praxis. 20 Und nun vollends die „Erregung zum Mißvergnügen und zur Unzufriedenheit“! Das ist freilich zum Teils) Zweck aller Oppo¬ sition. Wenn ich eine4) gesetzliche Bestimmung tadle, so habe ich allerdings die Absicht, Unzufriedenheit damit zu erregen, und zwarö) nicht im Volke, sondern sogar0) bei der Regierung. Wie 25 kann man anders etwas tadeln als in der Absicht, andere von der — gelinde gesagt — Unvollkommenheit des Getadelten zu über¬ zeugen, also bei ihm Unzufriedenheit damit zu erwecken? Wie kann ich hier tadeln und dort loben, wie kann ich etwas zu gleicher Zeit für schlecht und für gut halten? Es ist rein unmöglich. Ich 30 bin auch ehrlich genug, gleich gradeaus zu sagen, daß ich die Absicht hege, durch diesen Artikel Unzufriedenheit und Mi߬ vergnügen gegen den § 151 des preußischen Straf rechts zu erregen, und hege dennoch die Überzeugung, daß ich denselben nicht „frech und unehrerbietig“, wie dieser Paragraph sagt, sondern „anständig 35 und wohlmeinend“, wie das Zensurzirkular sagt, tadele. Das Zen¬ surzirkular hat aber dieses Recht, Unzufriedenheit zu erregen, sanktioniert, und zum Ruhm der preußischen Nation ist seitdem *) Von Oppenheim durchstrichen Genug der Auszüge, die ich übrigens verzehn¬ fachen könnte! 2) Nach unehrerbietig von Oppenheim durchstrichen Daher der Widerspruch, daß in der Rheinischen und Königsberger Zeitung Dinge das preußische Imprimatur erhalten, die 1840 nicht nur unerlaubt, sondern sogar strafbar waren. 3) freilich zum Teil von Oppenheim korr. aus vollends *) Von Oppenheim korr. aus diese 5) zwar von Oppenheim eingefügt •) Nach sogar von Oppenheim gestrichen womöglich
Zur Kritik der Preußischen Preßgesetze 317 bereits viel^ geschehen, nm Unzufriedenheit und Mißvergnügen zu erwecken. Dieser Teil des Paragraphen ist dadurch faktisch aufgehoben, und die Strafbarkeit des „unehrerbietigen Tadels“ bedeutend beschränkt. Beweis genug, daß der Paragraph eine Ver- 5 mischung und Zusammenwürfelung heterogener, legislatorischer und preßpolizeilicher Bestimmungen enthält. Dies erklärt sich auch ganz einfach aus der Zeit, in welcher das Landrecht gesammelt wurde, aus dem Konflikt der freisinnigen Aufklärung jener Epoche mit dem preußischen ancien régime von 10 damals. Mißvergnügen mit der Regierung, mit Staatseinrich¬ tungen zu hegen, war damals nicht viel besser als Hochverrat und wenigstens schon ein Verbrechen, worauf sich eine recht hübsche Untersuchung und Verurteilung basieren ließ. Die Majestätsbeleidigung interessiert uns wenig. Die preu- 15 ßischen Publizisten haben bis jetzt den richtigen Takt befolgt, die Person des Königs aus dem Spiele zu lassen. Es ist das die Anti¬ zipation des konstitutionellen Prinzips von der Unverletzlichkeit der königlichen Person und kann nur gebilligt werden. Der obigeParagraph sei hiermit der Gesetzrevisionskommission 20 bestens empfohlen; wir wollen indes fortfahren, in der angedeute¬ ten guten, wohlmeinenden und anständigen Weise recht viel Mi߬ vergnügen und Unzufriedenheit mit allen überlebten und illi¬ beralen Resten in unsern Staatseinrichtungen zu erwecken. M viel von Oppenheim korr. aus das Möglichste
[Allerlei aus Berlin] [RhZ 29. Aug. 1842. Nr. 241, p. 2] *x* Berlin, 19. August. Ich schreibe heute an Sie, um Ihnen zu melden, daß es von hier aus eigentlich Nichts zu melden gibt. Das weiß der Himmel, es ist jetzt, wie man hier sagt, die 5 Sauregurkenzeit für Korrespondenten. Es passiert auch Nichts, gar Nichts! Der Verein des historischen Christus läßt eben so wenig etwas von sich hören wie der Verein der Freien; trotzdem daß er offiziell existiert, weiß eigentlich doch kein Student, wo er existiert und wer dazu gehört. Es muß wohl sein wie vor einem 10 halben Jahr mit dem berühmten Fackelzug für den Philosophen in der Leipziger Straße, woran nachher auch kein Student wollte Teil genommen haben, und wovon es schon den Tag vorher hieß, es seien leider meistens „Philister“. Auch die ständischen Aus¬ schüsse können noch immer nicht zu Stande kommen, trotz der 16 Leipziger Zeitung, die bei ihrer Vorliebe für preußische ungelegte Eier kreuz und quer debattiert über das, was den Ausschüssen vorgelegt werden wird. Wir aber trösten uns der Weisheit unseres Königs und lassen die ungelegten Eier in Ruhe. Derselbe soll einen Handelsvertrag und eine neue Kartellkonvention mitge- 20 bracht haben, und das werden wohl keine ungelegten Eier sein! Wir aber kümmern uns auch darum nicht, ich meine wir Berliner, sondern beneiden die Rheinländer um den Hochgenuß, der ihnen in wenigen Wochen werden wird, wo nicht nur unser König, son¬ dern unter vielen andern hohen Personen auch der würdige König 25 Ludwig von Bayern, der Dichter auf dem Throne und Verfasser der Walhallagenossen, Gründer Walhallas, zur Grundsteinlegung des zu einer Zierde des deutschen Volkes vollendet werden sollenden Kölner Doms erscheinen wird. Die Walhallagenossen haben in den hiesigen gebildeten Kreisen lebhafte Sensation erregt, und das 30 allgemeine, kompetente Urteil spricht sich unbedingt dahin aus, daß König Ludwig ein neues Lorbeerreis um seine Krone gefloch¬ ten habe. Der taciteisch-gedrungene, urkräftig-gewaltsame Stil des Königs wird unbedenklich auf Nachahmung rechnen können und doch wohl selten erreicht werden. — 35
[F. W. Andreä und der „Hohe Adel Teutschlands“] [RhZ 29. Aug. 1842. Nr. 241, p. 2] *x* Ich will nicht verfehlen, die Herren katholischen ritter- bürtigen Ritterschaftsmitglieder auf ein Gedicht aufmerksam zu 5 machen, welches zwar von einem Bürgerlichen verfaßt, aber eben deshalb um so mehr wert ist, als eine kostbare Perle, als ein schuldiger Tribut der bürgerlichen Demut aufgehoben zu werden. Es ist in Erfurt bei F. W. Otto im Jahre der Gnade achtzehn¬ hundertzweiundvierzig ein Büchlein erschienen: Das Wissens- 10 würdigste der Heraldik oder Wappenkunde, von F. W. Andreä, dessen Widmung also lautet: „Dem gesammten Hohen Adel Teutschlands ehrerbietig gewidmet von dem Herausgeber.“ „Dem Adelstand gebührt der erste Rang im Staate, Der Ahnen Großverdienst hat ihn so hoch gestellt. iß Und fortgeerbt, vermehrt hat sich der Ahnen Tugend, Die Gegenwart steht der Vergangenheit nicht nach. Es krönt darum Verehrung ihn auf allen Wegen, Denn jedem Staate spendet er den reichsten Segen. „Und in den Wappen liegt der tiefe Sinn verborgen, 20 Was in der Vorzeit Großes einst geschah. Wie Fürsten das Verdienst des Adels ehrten, Im Krieg sowohl, wie in des Friedens Ruh. Die Wappen sind des Adels hochverdiente Kronen, Geweiht, nur edle Taten zu belohnen! — 25 «Mit Schüchternheit und tief ergriffen von dem Ruhme, Der hehren Glanzes durch Aeonen strahlt, Wag’ ich den Hohen Tugend-Erben jener Helden Ein Denkmal der Verehrung hier zu weihn. 0 nehmet gnädig an das schwache Werk für starken Willen, 3o Es gibt Euch Kunde doch, was ich gefühlt im Stillen!“ Nicht wahr, der Mann verdient geadelt zu werden?
Aus: DEUTSCHE JAHRBÜCHER für Wissenschaft und Kunst Leipzig 1842
Erschienen in:DeutscheJahrbücherfürWissenschaft und Kunst. Herausgegeben unter Verantwortlichkeit der Verlags¬ handlung. Leipzig, Verlag von Otto Wigand. Jahrgang 1. Nr. 160, 7. Juli 1842, p. 640; Nr. 161, 8. Juli 1842, p. 641-644; Nr. 162, 9. Juli 1842, p. 645-647. Geschrieben in der ersten Hälfte des Juni 1842.
Alexander Jung, Vorlesungen über die moderne Literatur der Deutschen. Danzig 1842. Gerhard. Je erfreulicher die gewaltige geistige Bewegung ist, mit welcher Königsberg sich in den Mittelpunkt der deutschen politischen Ent- 5 wicklung zu setzen sucht, je freier und ausgebildeter sich dort die öffentliche Meinung beweist, um so seltsamer erscheint es, daß an eben diesem Orte in philosophischer Beziehung ein gewisses Juste-Milieu sich geltend zu machen sucht, das mit der Majorität des dortigen Publikums offenbar in Widerspruch geraten muß. 10 Und wenn Rosenkranz immer noch manche respektable Seite hat, obwohl auch ihm der Mut der Konsequenz abgeht, so tritt die ganze Schlaffheit und Erbärmlichkeit des philosophischen Juste-Milieu in Herm Alexander Jung ans Tageslicht. Es gibt bei jeder Bewegung, bei jedem Ideenkampfe eine ge- 15 wisse Art verworrner Köpfe, die sich nur im Trüben ganz wohl befinden. So lange die Prinzipien mit sich selbst noch nicht im reinen sind, läßt man solche Subjekte mitlaufen; so lange jeder nach Klarheit ringt, ist es nicht leicht, ihre prädestinierte Unklar¬ heit zu erkennen. Wenn aber die Elemente sich scheiden, Prinzip 2o gegen Prinzip steht, dann ist es an der Zeit, jenen Unbrauchbaren den Abschied zu geben und sich definitiv mit ihnen ins reine zu setzen; denn dann zeigt sich ihre Hohlheit auf eine erschreckende Weise. Zu diesen Leuten gehört auch Herr Alexander Jung. Sein obiges 25 Buch bliebe am besten ignoriert; da er aber außerdem ein „Kö¬ nigsberger Litteraturblatt“ herausgibt und seinen langweiligen Positivismus auch hier allwöchentlich vors Publikum bringt, so mögen die Leser der Jahrbücher es mir verzeihen, wenn ich ihn einmal aufs Korn fasse und etwas ausführlicher charakterisiere. 30 Zur Zeit des weiland jungen Deutschlands trat er mit Briefen über die neueste Literatur auf. Er hatte sich der jüngem Richtung angeschlossen und geriet nun mit ihr in die Opposition, ohne daß er es wollte. Welche Stellung für unsren Vermittler! Herr Alexan¬ der Jung auf der äußersten Linken! Man kann sich die Unbehag- 35 lichkeit, in der er sich befand, den Schwall von Beschwichtigungen, von dem er sprudelte, leicht denken. Nun hatte er eine besondre Passion für Gutzkow, der damals für den Erzketzer galt. Er wollte seinem gepreßten Herzen Luft machen, aber er fürchtete sich, er wollte nicht anstoßen. Wie sollte er sich helfen? Er fand ein 40 Mitteichen, das ganz seiner würdig war. Er schrieb eine Apotheose Gutzkows und vermied es, seinen Namen darin zu nennen; dann 21*
324 Berlin 1841—1842. Aus den Deutschen Jahrbüchern setzte er darüber: „Fragmente über den Ungenannten“. Wenn Sie erlauben, Herr Alexander Jung, das war feig! Seitdem trat Jung wieder mit einem vermittelnden und ver¬ worrnen Buche auf : Königsberg in Preußen und die Extreme des dortigen Pietismus. Welch ein Titel schon! den Pietismus selbst .5 läßt er gelten, aber seine Extreme müssen bekämpft werden, ebensogut, wie jetzt im Königsberger Litteraturblatt die Extreme der junghegelschen Richtung bekämpft werden, wie alle Extreme überhaupt vom Übel sind und nur die liebe Vermittlung und Mä¬ ßigung etwas taugt. Als wenn nicht die Extreme die bloßen Konse- 10 quenzen wären! Übrigens ist das Buch seinerzeit in den Hallischen Jahrbüchern besprochen worden. Jetzt kommt er mit dem obigen Buch heran und gießt einen reichlichen Eimer voll vager, kritikloser Behauptungen, verworr¬ ner Urteile, hohler Phrasen und lächerlich beschränkter An- 15 schauungen vor uns aus. Es ist, als wenn er seit seinen „Briefen“ geschlafen hätte. Rien appris, rien oublié! Das junge Deutsch¬ land ist vorübergegangen, die junghegelsche Schule ist gekommen, Strauß, Feuerbach, Bauer, die Jahrbücher haben die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, der Kampf der Prinzipien ist 20 in der schönsten Blüte, es handelt sich um Leben oder Tod, das Christentum steht auf dem Spiele, die politische Bewegung er¬ füllt alles, und der gute Jung ist noch immer des naiven Glaubens, „die Nation“ habe nichts andres zu tun, als auf ein neues Stück von Gutzkow, einen versprochnen Roman von Mundt, eine zu er- 25 wartende Bizarrerie von Laube gespannt zu sein. Während ganz Deutschland widerhallt vom Kampfgeschrei, während die neuen Prinzipien zu seinen eignen Füßen debattiert werden, sitzt Herr Jung in seinem Kämmerlein, kaut an der Feder und grübelt nach über den Begriff des „Modernen“. Er hört nichts, er sieht nichts, 30 denn er steckt bis über die Ohren in Bücherballen, für deren In¬ halt sich jetzt kein Mensch mehr interessiert, und müht sich ab, die einzelnen Stücke recht ordentlich und nett unter Hegelsche Kategorien zu rangieren. Ans Tor seiner Vorlesungen stellt er als Wache den Popanz des 35 „Modernen“ auf. Was ist das „Moderne?“ Herr Jung sagt, als Ausgangspunkte dafür setze er Byron und George Sand voraus, die nächsten prinzipiellen Elemente der neuen Weltzeit seien für Deutschland: Hegel und die Schriftsteller der sogenannten jungen Literatur. — Was dem armen Hegel nicht alles zugeschoben wird! 40 Atheismus, Alleinherrschaft des Selbstbewußtseins, revolutionäre Staatslehre, und jetzt noch das junge Deutschland. Es ist aber geradezu lächerlich, Hegel mit dieser Koterie in Verbindung zu bringen. Weiß denn Herr Jung nicht, daß Gutzkow von jeher gegen die Hegelsche Philosophie polemisiert hat, daß Mundt und Kühne 45
Alexander Jung, Vorlesungen 325 so gut wie gar nichts von der Sache verstehen, daß namentlich Mundt in der Madonna und sonst das verrückteste Zeug, die grö߬ ten Mißverständnisse in bezug auf Hegel ausgesprochen hat und jetzt erklärter Gegner seiner Lehre ist? Weiß er nicht, daß Wien- 5 barg sich ebenfalls gegen Hegel aussprach und Laube in seiner Literaturgeschichte Hegelsche Kategorien fortwährend falsch ge¬ brauchte? Jetzt geht Herr Jung an den Begriff des „Modernen“ und quält sich auf sechs Seiten damit herum, ohne ihn zu bewältigen. Natür- 10 lieh! Als ob das „Moderne“ jemals „in den Begriff erhoben wer¬ den“ könne! Als ob eine so vage, gehaltlose, unbestimmte Phrase, die von oberflächlichen Köpfen in gewisser geheimnisvoller Weise überall vorgeschoben wurde, jemals eine philosophische Kategorie werden könne! Welcher Abstand von dem „Modernen“ Heinrich 15 Laubes, das nach aristokratischen Salons riecht und sich nur in Gestalt eines Dandy verkörpert, bis zu der „modernen Wissen¬ schaft“ auf dem Titel der Straußschen Glaubenslehre! Das hilft aber alles nicht, Herr A. Jung sieht diesen Titel als einen Beweis an, daß Strauß das Moderne, das speziell jungdeutsche Moderne 2o als eine Macht über sich anerkenne und bringt ihn flugs mit der jungen Literatur unter einen Hut. Endlich bestimmt er den Be¬ griff des Modernen als die Unabhängigkeit des Subjekts von jeder bloß äußerlichen Autorität. Daß das Streben danach ein Haupt¬ moment der Zeitbewegung sei, haben wir längst gewußt, und daß 25 die „Modernen“ damit Zusammenhängen, leugnet keiner; aber es zeigt sich hier recht glänzend die Verkehrtheit, mit der Herr Jung platterdings einen Teil zum Ganzen, eine überlebte Durch¬ gangsepoche zur Blütezeit erheben will. Das junge Deutschland soll nun einmal, es mag biegen oder brechen, zum Träger des 30 ganzen Zeitinhalts gemacht werden, und nebenbei soll Hegel auch noch sein Stückchen abbekommen. Man sieht, wie Herr Jung bis¬ her in zwei Teile geteilt war; in der einen Herzkammer trug er Hegel, in der andern das junge Deutschland. Jetzt, als er diese Vorlesungen schrieb, mußte er diese beiden notwendig in Zu- 35 sammenhang bringen. Welche Verlegenheit! Die linke Hand karessierte die Philosophie, die rechte die oberflächliche, schil¬ lernde Unphilosophie, und auf gut christlich wußte die rechte Hand nicht, was die linke tat. Wie sollte er sich helfen? Statt ehr¬ lich zu sein, und von den beiden unvereinbaren Liebhabereien die 40 eine fallen zu lassen, machte er eine kühne Wendung und leitete die Unphilosophie aus der Philosophie ab. Zu diesem Zwecke wird der arme Hegel auf dreißig Seiten be¬ leuchtet. Eine schwülstige, phrasenstrotzende Apotheose ergießt ihre trübe Flut auf das Grab des großen Mannes; sodann plagt 45 sich Herr Jung, zu beweisen, daß der Grundzug des Hegelschen
326 Berlin 1841—1842. Aus den Deutschen Jahrbüchern Systems die Behauptung des freien Subjekts gegen die Hetero- nomie der starren Objektivität sei. Man braucht aber nicht eben bewandert im Hegel zu sein, um zu wissen, daß er einen weit hohem Standpunkt in Anspruch nimmt, den der Versöhnung des Subjekts mit den objektiven Gewalten, daß er einen unge- 5 heuren Respekt vor der Objektivität hatte, die Wirklichkeit, das Bestehende weit höher stellte, als die subjektive Vernunft des Einzelnen, und gerade von diesem verlangte, die objektive Wirk¬ lichkeit als vernünftig anzuerkennen. Hegel ist nicht der Prophet der subjektiven Autonomie, wie Herr Jung meint und wie sie 10 als Willkür im jungen Deutschland zutage kommt, Hegels Prinzip ist auch Heteronomie, Unterwerfung des Subjekts unter die all¬ gemeine Vernunft. Zuweilen sogar, z. B. in der Religionsphilo¬ sophie, unter die allgemeine Unvernunft. Das, was Hegel am meisten verachtete, war der Verstand, und was ist dieser andres, als die in ihrer Subjektivität und Vereinzelung fixierte Vernunft? Nun wird mir aber Herr Jung antworten, so habe er das nicht ge¬ meint, er rede nur von bloß äußerlicher Autorität, er wolle in Hegel auch nichts andres sehen als die Vermittlung beider Seiten, und das „moderne46 Individuum wolle seiner Ansicht nach 20 weiter nichts, als eben sich bedingt sehen nur „durch eigne Ein¬ sicht in die Vernünftigkeit eines Objektiven66 — dann bitte ich mir aber auch aus, daß er mir Hegel nicht mit den Jungdeutschen zusammenbringt, deren Wesen eben die subjektive Willkür, die Marotte, das Kuriosum ist; dann ist „das moderne Individuum66 25 nur ein andrer Ausdruck für einen Hegelianer. Bei einer so gren¬ zenlosen Verwirrung muß Herr Jung denn auch das „Moderne66 innerhalb der Hegelschen Schule auf suchen, und richtig ist die linke Seite dazu vorzugsweise berufen, mit den Jungdeutschen zu fraternisieren. Endlich kommt er zur „modernen66 Literatur, und es geht jetzt eine allgemeine Anerkennung und Loberei los. Da ist keiner, der nicht irgend etwas Gutes getan hätte, keiner, der nicht etwas Bemerkenswertes repräsentierte, keiner, dem die Literatur nicht irgendeinen Fortschritt verdankte. Dieses ewige Bekompli- 35 montieren, dieses Vermittlungsstreben, diese Wut, den literarischen Kuppler und Unterhändler zu spielen, ist unerträglich. Was geht das die Literatur an, ob dieser oder jener ein bißchen Talent hat, hier und da eine Kleinigkeit leistet, wenn er sonst nichts taugt, wenn seine ganze Richtung, sein literarischer Charakter, seine w Leistungen im Großen nichts wert sind? In der Literatur gilt jeder nicht für sich, sondern nur in seiner Stellung zum Ganzen. Wenn ich mich zu einer solchen Art Kritik hergeben wollte, so müßte ich auch mit Herm Jung selbst glimpflicher verfahren, weil vielleicht fünf Seiten in diesem Buche nicht übel geschrieben sind und eini- 45
Alexander Jung, Vorlesungen 327 ges Talent verraten. — Eine Masse komischer Aussprüche fließen Herm Jung mit einer großen Leichtigkeit und einer gewissen Gran¬ dezza aus der Feder. So, von den scharfen Abfertigungen Pück- lers durch die Kritik sprechend, freut er sich, daß diese „ohne 5 Ansehen der Person und des Ranges ihr Urteil fälle. Es zeugt dieses in Wahrheit von einem hohen, in sich selbst unabhängigen Standpunkt deutscher Kritik“. Welch eine schlechte Meinung muß Herr Jung von der deutschen Nation haben, daß er ihr dergleichen so hoch anrechnet! Als ob Wunders welche Courage 10 dazu gehörte, die Werke eines Fürsten zu tadeln! Ich übergehe dies Geschwätz, das den Anspruch macht, Lite¬ raturgeschichte zu sein, und außer seiner innem Hohlheit und Zusammenhangslosigkeit auch noch grenzenlos lückenhaft ist; so fehlen die Lyriker Grün, Lenau, Freiligrath, Herwegh, so die io Dramatiker Mosen und Klein usw. Endlich kommt er dahin, worauf er von vom herein losgearbeitet hat, auf sein liebes junges Deutschland, das für ihn die Vollendung des „Modernen“ ist. Er beginnt mit Börne. In Wahrheit aber ist Börnes Einfluß auf das junge Deutschland so groß nicht, Mundt und Kühne erklärten ihn 20 für verrückt, Lauben war er zu demokratisch, zu entschieden, und nur bei Gutzkow und Wienbarg äußerten sich nachhaltigere Wir¬ kungen. Gutzkow namentlich verdankt Bömen sehr viel. Der größte Einfluß, den Börne gehabt hat, das ist jener stille auf die Nation, die seine Werke als ein Heiligtum bewahrt und sich daran 25 gestärkt und aufrecht erhalten hat in den trüben Zeiten von 1832—40, bis die wahren Söhne des Pariser Briefstellers in den neuen, philosophischen Liberalen erstanden. Ohne die direkte und indirekte Wirkung Börnes wäre es der aus Hegel hervorgehenden freien Richtung weit schwerer geworden, sich zu konstituieren. Es 30 kam jetzt aber bloß darauf an, die verschütteten Gedankenwege zwischen Hegel und Börne auszugraben, und das war so schwer nicht. Diese beiden Männer standen sich näher als es schien. Die Unmittelbarkeit, die gesunde Anschauung Börnes erwies sich als die praktische Seite dessen, was Hegel theoretisch wenigstens in 35 Aussicht stellte. Herr Jung sieht das natürlich wieder nicht ein. Börne ist ihm gewissermaßen allerdings ein respektabler Mann, der sogar Charakter hatte, was unter Umständen gewiß viel wert ist, er hat unleugbare Verdienste, wie etwa Vamhagen und Pück- ler auch, und hat namentlich gute Theaterkritiken geschrieben, *0 aber er war ein Fanatiker und Terrorist, und davor behüte uns der liebe Gott! Pfui über so eine schlaffe, mattherzige Auffassung eines Mannes, der allein durch seine Gesinnung ein Träger seiner Zeit wurde! Dieser Jung, der das junge Deutschland und sogar die Persönlichkeit Gutzkows aus dem absoluten Begriff konstruieren O In den „Deutschen Jahrbüchern“ irrtümlich Rosen
328 Berlin 1841—1842. Aus den Deutschen Jahrbüchern will, ist nicht einmal imstande, einen so einfachen Charakter wie Börne zu begreifen; er sieht nicht ein, wie notwendig, wie konse¬ quent auch die extremsten, radikalsten Aussprüche aus Börnes innerstem Wesen hervorgehen, daß Börne seiner Natur n a ch R epublikaner wa r, und für einen solchen die Pariser & Briefe wahrlich nicht zu stark geschrieben sind. Oder hat Herr Jung nie einen Schweizer oder Nordamerikaner über monarchische Staaten sprechen hören? Und wer will es Bömen zum Vorwurf machen, daß er „das Leben nur aus dem Gesichtspunkte der Po¬ litik betrachtete“? Tut nicht Hegel dasselbe? Ist nicht auch ihm 10 der Staat in seinem Übergange zur Weltgeschichte, also in den Verhältnissen der innem und äußern Politik, die konkrete Realität des absoluten Geistes? Und — es ist lächerlich — bei dieser un¬ mittelbaren, naiven Anschauung Börnes, die in der erweiterten Hegelschen ihre Ergänzung findet und oft aufs Überraschendste 15 zu ihr stimmt, meint Herr Jung dennoch, Börne habe sich „ein System der Politik und des Völkerglücks entworfen“, so ein ab¬ straktes Wolkengebilde, aus dem man sich seine Einseitigkeiten und Verhärtungen erklären müsse! Herr Jung hat keine Ahnung von der Bedeutung Börnes, von seinem eisernen, geschloßnen 20 Charakter, von seiner imponierenden Willensfähigkeit; eben weil er selbst so ein gar kleines, weichherziges, unselbständiges Aller¬ weltsmännchen ist. Er weiß nicht, daß Börne einzig dasteht als Persönlichkeit in der deutschen Geschichte, er weiß nicht, daß Börne der Bannerträger deutscher Freiheit war, der einzige 25 Mann in Deutschland zu seiner Zeit; er ahnt nicht, was es heißt, gegen vierzig Millionen Deutsche auf stehen und das Reich der Idee proklamieren; er kann es nicht begreifen, daß Börne der Johannes Baptista der neuen Zeit ist, der den selbstzufriednen Deutschen von der Buße predigt und ihnen zuruft, daß die Axt 30 schon an der Wurzel des Baumes liege und der Stärkere kommen wird, der mit Feuer tauft und die Spreu unbarmherzig von der Tenne fegt. Zu dieser Spreu darf sich auch Herr A. Jung rechnen. Endlich kommt Herr Jung zu seinem lieben jungen Deutschland und beginnt mit einer erträglichen, aber viel zu ausführlichen 35 Kritik Heines. Die übrigen werden sodann nach der Reihe durch¬ genommen, zuerst Laube, Mundt, Kühne, sodann Wienbarg, dem verdientermaßen gehuldigt wird, und endlich auf fast fünf¬ zig Seiten Gutzkow. Die ersten drei verfallen der gewöhnlichen Juste-Milieu-Huldigung, viel Anerkennung und sehr bescheidner 40 Tadel; Wienbarg wird entschieden hervorgehoben, aber kaum auf vier Seiten, und Gutzkow endlich mit einer unverschämten Unter¬ würfigkeit zum Träger des „Modernen“ gemacht, nach dem Hegel¬ schen Begriffsschema konstruiert und als Persönlichkeit ersten Ranges behandelt. 40
Alexander Jung, Vorlesungen 329 Wäre es ein junger, sich erst entwickelnder Autor, der mit solchen Urteilen aufträte, man ließe sich das gefallen; es gibt manchen, der eine zeitlang Hoffnungen auf die junge Literatur gesetzt und im Hinblick auf eine erwartete Zukunft ihre Werke 5 nachsichtiger betrachtet hat, als er es sonst vor sich selbst ver¬ antworten konnte. Namentlich wer die jüngsten Entwicklungs¬ stufen des deutschen Geistes in seinem eignen Bewußtsein repro¬ duziert hat, wird irgend einmal mit Vorliebe auf die Produktionen Mundts, Laubes oder Gutzkows geblickt haben. Aber der Fort- 10 schritt über diese Richtung hinaus hat sich seitdem viel zu ener¬ gisch geltend gemacht, und die Gehaltlosigkeit der meisten Jung¬ deutschen ist auf eine erschreckende Weise offenbar geworden. Das junge Deutschland rang sich aus der Unklarheit einer be¬ wegten Zeit empor und blieb selbst noch mit dieser Unklarheit 15 behaftet. Gedanken, die damals noch formlos und unentwickelt in den Köpfen goren, die später erst durch Vermittlung der Philosophie zum Bewußtsein kamen, wurden vom jungen Deutsch¬ land zum Spiel der Phantasie benutzt. Daher die Unbestimmtheit, die Verwirrung der Begriffe, die unter den Jungdeutschen selbst 2o herrschte. Gutzkow und Wienbarg wußten noch am meisten, was sie wollten, Laube am wenigsten. Mundt lief sozialen Marotten nach, Kühne, in dem etwas Hegel spukte, schematisierte und klassi¬ fizierte. Aber bei der allgemeinen Unklarheit konnte nichts Rechtes zutage kommen. Der Gedanke von der Berechtigung der Sinn- 25 lichkeit wurde nach Heines Vorgang roh und flach gefaßt, die politisch-liberalen Prinzipien waren nach den Persönlichkeiten verschieden, und die Stellung desWeibes gab zu den fruchtlosesten und konfusesten Diskussionen Anlaß. Keiner wußte, woran er mit dem andern war. Auf die allgemeine Verwirrung der Zeit müssen 3o auch die Maßregeln der verschiedenen Regierungen gegen diese Leute geschoben werden. Die phantastische Form, in der jene Vorstellungen propagiert wurden, konnte nur dazu beitragen, jenen wirren Zustand zu vermehren. Durch das glänzende Ex¬ terieur der jungdeutschen Schriften, die geistreiche, pikante, le- 35 bendige Schreibart derselben, die geheimnisvolle Mystik, mit wel¬ cher die Hauptschlagwörter umgeben waren, sowie durch die Regeneration der Kritik und die Belebung der belletristischen Zeitschriften, die von ihnen ausging, zogen sie bald jüngere Schrift¬ steller in Masse an sich, und es dauerte nicht lange, so hatte jeder 4o von ihnen, mit Ausnahme Wienbargs, seinen Hof. Die alte schlaffe Belletristik mußte dem jungen Andrange weichen, und die „junge Literatur“ nahm das eroberte Feld in Besitz, teilte sich darein und — zerfiel in sich selbst über der Teilung. Hier kam die Unzuläng¬ lichkeit des Prinzips zum Vorschein. Jeder hatte sich im andern 45 getäuscht. Die Prinzipien verschwanden, es handelte sich nur noch
330 Berlin 1841—1842. Aus den Deutschen Jahrbüchern um Persönlichkeiten. Gutzkow oder Mundt, das war die Frage. Cliquenwesen, Häkeleien, Streitigkeiten um nichts und wieder nichts begannen die Journale zu füllen. Der leichte Sieg hatte die jungen Herren übermütig und eitel gemacht. Sie hielten sich für welthistorische Charaktere. Wo ein 5 junger Schriftsteller auftrat, gleich wurde ihm die Pistole auf die Brust gesetzt und unbedingte Unterwerfung gefordert. Jeder machte den Anspruch, exklusiver Literaturgott zu sein. Du sollst keine andern Götter haben neben mir! Der geringste Tadel erregte tödliche Feindschaften. Auf diese Weise verlor die Richtung allen 10 geistigen Inhalt, den sie noch etwa gehabt hatte, und sank in den reinen Skandal herab, der in Heines Buch über Börne kulminierte und in infame Gemeinheit überging. Von den einzelnen Persön¬ lichkeiten ist Wienbarg unbedingt die nobelste; ein ganzer, kräftiger Mann, eine Statue von hellglänzendem Erz aus w einem Gusse, daran kein Rostfleck ist. Gutzkow ist der Klarste, Verständigste; er hat am meisten produziert und neben Wienbarg auch die entschiedensten Zeugnisse seiner Gesinnung gegeben. Will er auf dem dramatischen Gebiet bleiben, so sorge er indes für beßre, ideenvollre Stoffe, als er sie bisher gewählt 20 hat, und schreibe statt aus dem „modernen64 aus dem wirklichen Geist der Gegenwart heraus. Wir verlangen mehr Gedankengehalt als die liberalen Phrasen des Patkul oder die weiche Empfindsam¬ keit des Werner. Wozu Gutzkow viel Talent hat, ist die Publi¬ zistik; er ist ein gebomer Journalist, aber er kann sich nur durch 25 e i n Mittel halten: wenn er sich die neuesten religions- und staats¬ philosophischen Entwicklungen aneignet und seinen Telegraphen, den er, wie es heißt, wieder auferstehen lassen will, der großen Zeitbewegung unbedingt widmet. Läßt er aber die entartete Belle- tristerei seiner Herr werden, so wird er nicht besser werden als 30 die übrigen schönwissenschaftlichen Journale, die nicht Fisch und nichtFleisch sind, von langweiligen Novellen strotzen,kaum durch¬ blättert werden und überhaupt an Gehalt und in der Achtung des Publikums mehr als je gesunken sind. Ihre Zeit ist vorbei, sie lösen sich allmählich in die politischen Zeitungen auf, die das 35 bißchen Literatur noch ganz gut mit abfertigen können. Laube ist bei all seinen schlechten Eigenschaften doch noch gewissermaßen liebenswürdig; aber seine unordentliche, prin¬ ziplose Schreiberei, heut Romane, morgen Literaturgeschichte, übermorgen Kritiken, Dramen usw., seine Eitelkeit und Flachheit 40 läßt ihn nicht aufkommen. Den Mut der Freiheit hat er eben so wenig als Kühne. Die „Tendenzen66 der weiland „jungen Lite¬ ratur66 sind längst vergessen, das leere, abstrakte Literaturinteresse hat beide ganz in Anspruch genommen. Dagegen ist die Indiffe¬ renz bei Heine und Mundt zur offnen Apostasie geworden. 45
Alexander Jung, Vorlesungen 331 Heines Buch über Börne ist das Nichtswürdigste, was jemals in deutscher Sprache geschrieben wurde; Mundts neueste Tätig¬ keit im Piloten nimmt dem Verfasser der „Madonna46 die letzte Spur von Achtung in den Augen der Nation. Man weiß hier in 5 Berlin nur zu gut, was Herr Mundt mit einer solchen Selbstentwür¬ digung bezweckt, nämlich eine Professur; um so ekelerregender ist diese plötzlich in Herrn Mundt gefahme Untertänigkeit. Herr Mundt und sein Waffenträger F. Radewell mögen nur fortfahren, die neuere Philosophie zu verdächtigen, den Notanker der Schel- 10 lingschen Offenbarung zu ergreifen und sich durch ihre unsinnigen Versuche, selbst zu philosophieren, vor der Nation lächerlich zu machen. Die freie Philosophie kann ihre philosophischen Schüler¬ arbeiten ruhig und unwiderlegt in die Welt gehen lassen; sie zer¬ fallen in sich selbst. Was den Namen des Herrn Mundt an der Stirn 15 trägt, ist, wie die Werke Leos, mit dem Malzeichen der Apostasie gebrandmarkt. Vielleicht bekommt er an Herm Jung bald einen neuen Hintersassen; er läßt sich bereits gut an, wie wir gesehen haben und noch weiter sehen werden. — Nachdem Herr Jung nun den eigentlichen Zweck seiner Vor- 2o lesungen hinter sich hat, drängt es ihn gewaltig, sich zum Schluß noch einmal recht dem Gelächter der Nation preiszugeben. Er geht von Gutzkow auf David Strauß über, schreibt ihm das emi¬ nente Verdienst zu, „die Resultate von Hegel und Schleiermacher und des modernen Stils66 ( ist d a s etwa moderner Stil?) in sich 25 zusammengezogen zu haben, klagt dabei aber entsetzlich über die greuliche, ewige Negation. Ja, die Negation, die Negation! Die armen Positivisten und Juste-Milieu-Leute sehen die negative Flut immer höher und höher schwellen, klammem sich fest anein¬ ander und schreien nach etwas Positivem. Da jammert nun so ein so Alexander Jung über die ewige Bewegung der Weltgeschichte, nennt den Fortschritt Negation und spreizt sich zuletzt zum fal¬ schen Propheten auf, der „eine große positive Geburt66 weissagt; die er mit den verschrobensten Phrasen im voraus beschreibt, und die Strauß, Feuerbach und was damit zusammenhängt, mit dem 35 Schwerte des Herm besiegen werde. Auch in seinem Litteraturblatt predigt er das Wort vom neuen „positiven66 Messias. Kann es etwas Unphilosophischeres geben als ein so unverhohlnes Mißver¬ gnügen, eine so offne Unbefriedigung in der Gegenwart? Kann man sich weibischer und kraftloser betragen, als es Herr A. Jung 40 tut? Kann man sich eine ärgre Phantasterei denken — die neu- schellingsche Scholastik ausgenommen — als diesen frommen Glauben an den „positiven Messias66? Wann gab es eine größre — und leider auch verbreitetre Verwirrung als diejenige, welche jetzt in Beziehung auf die Begriffe „positiv und negativ66 herrscht? 45 Man gebe sich nur einmal die Mühe, die verschriene Negation
332 Berlin 1841—1842. Aus den Deutschen Jahrbüchern näher anzusehen, und man wird finden, daß sie durch und durch selbst Position ist. Für diejenigen freilich, die das Vernünftige, den Gedanken, weil er nicht still steht, sondern sich bewegt, für nicht positiv erklären, und deren kraftloses Efeugemüt einer alten Mauerruine, eines Faktums bedarf, um sich an ihm zu hal- 5 ten, für die ist freilich aller Fortschritt Negation. In Wahrheit aber ist der Gedanke in seiner Entwicklung das allein Ewige und Positive, während die Faktizität, die Äußerlichkeit des Geschehens eben das Negative, Verschwindende und der Kritik Anheim¬ fallende ist. 10 „Wer aber wird der Heber0 dieses unendlichen, in unsrer Nähe weilenden Schatzes sein?46 fährt Herr Jung mit gesteigertem Pathos fort. Ja, wer wird der Messias sein, der die schwachen, zagenden Seelen aus dem Exil der Negation, aus der finstern Nacht der Verzweiflung zurückführen wird in das Land, da Milch und m Honig fließt? „Ob Schelling? Große, heilige Hoffnungen setzen wir auf Schelling; eben weil Er so lange der Einsamkeit vertraut, eben weil er jenen Ruhesitz am Urquelle des Denkens und Schaffens entdeckt hat, jenen Herrschersitz, wel¬ cher die Zeit aufhören macht, Zeit zu sein!66 usw. Ja, so spricht ein 20 Hegelianer, und weiter (Königsberger Litteratur-Blatt Nr. 4) : „Wir versprechen uns von Schelling außerordentlich viel. Schelling wird, hoffen wir, mit derselben Leuchte eines nie- gesehenen, neuen Lichtes durch die Geschichte schreiten, wie er einst durch die Natur geschritten ist66 usw. Sodann Nr. 7 eine 25 Huldigung für den unbekannten Gott Schellings. Die Philosophie der Mythologie und der Offenbarung wird als notwendig konstru¬ iert, und Herr Jung ist selig in dem Bewußtsein, Schellings, des großen Schelling Gedankenbahnen auch schon von ferne mit seinem begeisterten Auge nachahnen zu können. Solch ein mark- 30 loser, sehnsüchtiger Geist ist dieser Jung, daß er nur in der Hin¬ gebung an einen andern, in der Unterwerfung unter fremde Auto¬ rität sich befriedigt findet. Keine Ahnung von Selbständigkeit ist bei ihm zu finden; so wie ihm der Halt genommen wird, den er umfaßt, knickt er in sich selbst zusammen und weint helle 35 Tränen der Sehnsucht. Sogar an etwas, was er noch nicht kennt, wirft er sich weg, und trotz der ziemlich genauen Nachrichten, die man schon vor Schellings Auftreten in Berlin über seine Phi¬ losophie und den speziellen Inhalt seiner Vorlesungen hatte, kennt Herr Jung keine größere Seligkeit, als zu Schellings Füßen 40 im Staube zu sitzen. Er weiß nicht, wie Schelling sich in der Vorrede zu dem Cousinschen Werk über Hegel ausgesprochen hat, oder vielmehr er weiß es wohl, und dennoch wagt er, ein Hegelianer, sich an Schelling wegzuschenken, wagt es, nach In den deutschen Jahrbüchern“ Geber
Alexander Jung, Vorlesungen 333 solchen Antezedentien den Namen Hegels noch in den Mund zu nehmen, auf ihn gegen die neuesten Entwicklungen zu provo¬ zieren! Und um seiner Selbstentwürdigung die Krone aufzu¬ setzen, fällt er in Nr. 13 nochmals anbetend vor Schelling nieder, 5 der ersten Vorlesung desselben den Weihrauch seiner ganzen Bewundrung und Proskynese zollend. Ja er findet es hier alles bestätigt, was er von Schelling „nicht bloß voraussetzte, sondern wußte, jene wunderbar frische, jene auch der Form nach voll¬ endete Durchdringung aller wissenschaf dichen, künsderischen io und sittlichen Elemente, welche in solcher Vereinigung antiker und christlicher Welt den so Verherrlichten zu einem ganz andern Priester des Höchsten und seiner Offenbarung weihen mag, als es Priestern niedern Grades und Laien auch nur einfallen kann“. Freilich werden einige so verworfen sein, 15 „daß sie aus Neid sogar die Größe wegleugnen, welche sich hier rein und klar wie das Licht der Sonne, jedem offenbart“. „Die ganze Größe Schellings, die Überlegenheit über alles Ausgezeich¬ nete bloß einseitiger Richtungen strahlt uns aus seiner ersten Vor¬ lesung herrlich entgegen.“ „Wer so anfangen kann, der muß 20 gewaltig fortfahren, muß als Sieger enden, und wenn sie alle ermüden, weil sie alle, solchen Fluges ungewohnt, sinken, und keiner mehr zu folgen, zu verstehen vermag, was Du von Ur an Begeisterter sprichst; so lauschen Dir sicher die Manen des mit Dir Ebenbürtigen, des treuesten, des herrlichsten 25 Deiner Freunde, es lauschen Dir die Manen des alten Hegel!—“ Was mag Herr Jung dabei sich vorgestellt haben, als er diesen Enthusiasmus ins Blaue, diese romantische Schwebelei zu Papier brachte! Was wenigstens hier in Berlin jeder im voraus wußte 30 oder mit Sicherheit schließen konnte, davon ahnt unser frommer „Priester“ nichts. Was aber jener „Priester des Höchsten“ uns für „Offenbarungen“ gepredigt, worin die „Größe“, der „Beruf, der Menschheit das Höchste zu enthüllen“, der „gewaltige Flug“ be¬ standen, wie Schelling „als Sieger geendigt“ hat, das weiß jetzt 35 alle Welt; in dem Schriftchen: „Schelling und die Offenbarung“, als dessen Verfasser ich mich hiemit bekenne, habe ich den Inhalt der neuen Offenbarung in durchaus objektiver Weise dargelegt. Herr Jung möge die Erfüllung seiner Hoffnungen daran nach¬ weisen oder wenigstens die Aufrichtigkeit und den — Mut haben, 40 seinen glänzenden Irrtum einzugestehen. Ohne mich auf die Kritik Sealsfields, mit der Herr Jung sein Buch schließt, weiter einzulassen, da ich vom belletristischen Felde doch schon weit gnug entfernt bin, will ich zum Schlüsse noch auf einige Stellen des „Königsberger Litteraturblatts“ ein- 45 gehen, um auch hier die Mattherzigkeit und marklose Aufgedun¬
334 Berlin 1841—1842. Aus den Deutschen Jahrbüchern senheit Herm Jungs nachzuweisen. Gleich in Nr. 1 wird, jedoch sehr zurückhaltend, auf Feuerbachs Wesen des Christentums hin¬ gewiesen, in Nr. 2 die Negationstheorie der Jahrbücher ange¬ griffen, jedoch noch mit Respekt, in Nr.3 wird Herbarten ge¬ huldigt, wie vorhin Schellingen, in Nr. 4 allen beiden und zu- * gleich noch eine Verwahrung gegen den Radikalismus ausge¬ sprochen, in Nr. 8 beginnt eine ausführliche Kritik des Feuer- bachschen Buchs, in der die Halbheit des Juste-Milieu ihre Über¬ legenheit über den entschiednen Radikalismus geltend machen will. Und was sind die schlagenden Argumente, die hier aufge- io wandt werden? Feuerbach, sagt Herr Jung, hätte ganz recht, wenn die Erde das ganze Universum wäre; vom irdischen Standpunkte aus ist sein ganzes Werk schön, schlagend, vortrefflich, unwider¬ leglich; aber vom universalen, vom Weltgesichtspunkt aus ist es nichtig. Schöne Theorie! Als ob auf dem Monde zwei mal zwei # fünf wäre, als ob auf der Venus die Steine lebendig herumliefen und auf der Sonne die Pflanzen sprechen könnten! Als ob jenseits der Erdatmosphäre eine aparte, neue Vernunft anfinge, und der Geist nach der Entfernung von der Sonne gemessen würde! Als ob das Selbstbewußtsein, zu dem die Erde in der Menschheit kommt, 20 nicht in demselben Augenblick Weltbewußtsein würde, in wel¬ chem es seine Stellung als Moment desselben erkennt! Als ob ein solcher Einwand nicht nur ein Vorwand wäre, um die fatale Ant¬ wort auf die alte Frage hinauszuschieben in die schlechte End¬ losigkeit des Raumes! Klingt es nicht seltsam naiv, wenn Herrn 25 Jung mitten in die Hauptreihe seiner Argumente sich der Satz eingeschmuggelt hat: „die Vernunft, welche über jede bloß sphä¬ rische Bestimmtheit hinausgeht?“ Wie kann er dann, bei zu- gestandner Konsequenz und Vernünftigkeit des Bestrittnen vom irdischen Gesichtspunkt aus, diesen vom „universalen“ unter- so scheiden? Es ist aber eines Phantasten, eines Gefühlsschwärmers, wie Herr Jung einer ist, vollkommen würdig, sich in die schlechte Unendlichkeit des Sternenhimmels zu verlieren und über den¬ kende, liebende, phantasierende Wesen auf den andern Welt- körpem sich allerhand kuriose Hypothesen und wundersame Träu- ss mereien auszuklauben. Dabei ist es lächerlich, wie er vor der Seichtigkeit warnt, Feuerbach und Strauß nun ohne weitres des Atheismus und der unbedingten Leugnung der Unsterblichkeit zu beschuldigen. Herr Jung sieht nicht, daß diese Leute gar keinen andern Standpunkt in Anspruch nehmen. Weiter. In Nr. 12 droht *° uns Herr Jung bereits mit seinem Zorn; in Nr. 26 wird Leo kon¬ struiert und über das unleugbare Talent des Mannes seine Ge¬ sinnung ganz und gar vergessen und beschönigt; ja Rügen wird ebenso sehr unrecht gegeben wie Leon. Nr. 29 erkennt Hinrichs’ nichtssagende Kritik der Posaune in den Berliner Jahrbüchern an
Alexander Jung, Vorlesungen 335 und erklärt sich noch entschiedner gegen die Linke; Nr.35 vollends liefert einen langen, grauenvollen Artikel über F. Baader, dessen somnambüle Mystik und Unphilosophie ihm noch dazu als Ver¬ dienst angerechnet wird; endlich Nr. 36 klagt über „unselige Po- Hemik“, mit andern Worten offenbar über einen Artikel von E. Meyen1) in der Rheinischen Zeitung, worin Herm Jung einmal die Wahrheit gesagt wird — es ist sonderbar! In einem solchen Dusel und Traumleben ergeht sich Herr Jung, daß er glaubte, er sei unser „Kampfgenosse44, er „verteidige dieselben Ideen44, daß io er glaubt, es „walteten zwar Differenzen44 zwischen ihm und uns ob, „doch stehe die Identität der Prinzipien und Zwecke fest44. Hoffentlich wird er jetzt gesehen haben, daß wir mit ihm fraterni¬ sieren weder wollen noch können. Solche unglückliche Amphibien und Achselträger sind nicht brauchbar für den Kampf, den nun io einmal entschiedne Leute entzündet, und nur Charaktere hindurch¬ führen können. Im Verfolge obiger Zeilen tut er sich noch den Tort an, daß er in die trivialste Redeweise von literarischer Despo¬ tie der Liberalen verfällt und sich seine Freiheit wahrt. Die soll ihm bleiben; es wird ihn jeder ruhig fortfaseln lassen bis in alle 2o Ewigkeit. Aber er wird uns erlauben, für seine Unterstützung zu danken und ihm ehrlich und offen zu sagen, wofür man ihn hält. Sonst wäre er ja der literarische Despot, und dazu ist er doch etwas zu weichherzig. Dieselbe Nummer wird in würdiger Weise beschlossen von einem Hilferuf gegen „das selbstsüchtige, 25 hohle Geschrei, welches in rasender Weise das Selbstbewußt¬ sein zum Gott erhebt44, — nun wagt das Königsberger Litteratur- Blatt es, diese schaudervollen Ausrufungen nachzusprechen: „Nie¬ der mit dem Christentum, nieder mit der Unsterblichkeit, nieder mit Gott! !“ Doch es tröstet sich damit, daß „die Träger bereits im so Vorhause stehen, um diejenigen, welche noch bei so guter Stimme sind, als lautlose Leichen herauszutragen44. Also wieder die Kraft¬ losigkeit einer Appellation an die Zukunft! Eine weitre Nummer des Jungschen Blattes ist mir noch nicht zu Gesicht gekommen. Ich denke, die gegebnen Beweise werden 35 genügen, die Zurückweisung des Herm Jung aus der Gemeinschaft der Entschiednen und „Freien44 zu begründen; er selbst ist jetzt in den Stand gesetzt, zu sehen, was man an ihm auszusetzen hat. Noch eine Bemerkung sei mir gestattet. Herr Jung ist unzweifelhaft der charakterschwachste, kraftloseste, unklarste Schriftsteller Deutsch- 4o lands. Woher kommt das alles, woher die erbauliche Form, die er überall zur Schau trägt? Sollte es damit Zusammenhängen, daß Herr Jung, wie es heißt, früher ex efficio erbaulich sein mußte? Friedrich Oswald i) In den „Deutschen Jahrbüchern“ Mayen
Aus: EINUNDZWANZIG BOGEN AUS DER SCHWEIZ Zürich und Winterthur 1843
Erschienen in: Einundzwanzig Bogen aus der S ch weiz, herausgegeben von Georg Herwegh. Erster Teil. Zürich und Winterthur, Verlag des Literarischen Comptoirs, 1843. p. 189—196. Geschrieben zwischen Mitte September und Mitte November 1842.
Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen Unter den europäischen Fürsten, deren Persönlichkeit auch außer ihrem Lande Aufmerksamkeit erregt, sind besonders vier interessant: Nikolaus von Rußland, durch die Geradheit und 5 unverhohlene Offenheit, mit der er zum Despotismus hinstrebt, Louis Philippe, der den Macchiaveil unserer Zeit anpaßt, Viktoria von England, das vollendete Muster einer konstitutio¬ nellen Königin, und Friedrich Wilhelm IV., dessen Gesin¬ nung, wie sie sich in den beiden Jahren seiner Regierung unver- 10 kennbar und deutlich dargelegt hat, hier einer genauem Betrach¬ tung unterworfen werden soll. Es ist nicht der Haß und die Rachlust einer von ihm zurück¬ gesetzten und perhorreszierten, von seinen Beamten unterdrückten und gemißhandelten Partei, die hier sprechen sollen, nicht der 15 bittere Groll, den die Zensur genährt hat, und der die Preßfreiheit benutzt, um Skandalgeschichten und Berliner Stadtgeklatsch an den Mann zu bringen. Der deutsche Bote beschäftigt sich mit an¬ dern Dingen. Aber bei der ehrlosen, niederträchtigen Schmeichelei, mit der die deutschen Fürsten und Völker täglich in den Zeitungen 2o regaliert werden, ist es durchaus nötig, daß die Herrschaften ein¬ mal von einem andern Gesichtspunkt angesehen, ihre Handlungen und Gesinnungen, rücksichtslos wie die jedes andern, beurteilt werden. Die Reaktion im Staate begann in den letzten Jahren des 25 vorigen Königs, sich mit der kirchlichen Reaktion zu vereinigen. Durch die Entwickelung des Gegensatzes zur absoluten Freiheit sah sich der orthodoxe Staat wie die orthodoxe Kirche genötigt, auf ihre Voraussetzungen zurückzugehen und das christliche Prinzip mit allen seinen Konsequenzen geltend zu machen. So ging die so protestantische Rechtgläubigkeit auf den Katholizismus zurück, eine Phase, die in L e o und Krummacher ihre konsequentesten und würdigsten Vertreter findet, der protestantische Staat auf die konsequente christlich-feudalistische Monarchie, wie sie Fr ied- richWilhelm IV. ins Leben zu rufen trachtet. 35 FriedrichWilhelm IV. ist durchaus ein Produkt seiner Zeit, eine Gestalt, die ganz aus der Entwickelung des freien Geistes und seinem Kampfe gegen das Christentum, und nur hieraus zu erklären ist. Er ist die äußerste Konsequenz des preußischen Prin¬ zips, das in ihm in seiner letzten Aufraffung, aber zugleich in 22*
340 Berlin 1841—1842. Aus den 21 Bogen aus der Schweiz seiner vollkommenen Kraftlosigkeit gegenüber dem freien Selbst¬ bewußtsein zur Erscheinung kommt. Mit ihm ist die gedanken¬ mäßige Entwickelung des bisherigen Preußens abgeschlossen; eine neue Gestaltung desselben ist nicht möglich, und wenn es Friedrich Wilhelm gelingt, sein System praktisch durchzusetzen, so muß 5 Preußen entweder ein ganz neues Prinzip ergreifen — und dies kann nur das des freien Geistes sein — oder in sich selbst Zu¬ sammenstürzen, wenn es zu jenem Fortschritt nicht die Kraft haben sollte. Der Staat, auf den Friedrich Wilhelm IV. hinarbeitet, ist seinem 10 eigenen Ausspruche gemäß der christliche. Die Form, in der das Christentum auftritt, sobald es sich wissenschaftlich zergliedern will, ist die Theologie. Das Wesen der Theologie, namentlich in unserer Zeit, ist die Vermittlung und Vertuschung absoluter Gegen¬ sätze. Selbst der konsequenteste Christ kann sich nicht von den 15 Voraussetzungen unserer Zeit ganz emanzipieren; die Zeit nötigt ihn zu Modifikationen des Christentums; er trägt Prämissen in sich, deren Entwickelung zum Atheismus führen könnte. Daher kommt denn jene Gestalt der Theologie, die an B. Bauer ihren Zergliederer gefunden hat, und die mit ihrer innem Unwahrheit und Heuchelei 20 unser ganzes Leben durchdringt. Dieser Theologie entspricht auf dem Gebiete des Staates das jetzige Regierungssystem in Preußen. Ein System hat Friedrich Wilhelm IV., das ist unleugbar, ein voll¬ kommen ausgebildetes System der Romantik, wie dies auch eine notwendige Folge seines Standpunktes ist; denn wer von diesem 25 aus einen Staat organisieren will, muß mehr wie ein paar abge¬ rissene, zusammenhangslose Ansichten zu seiner Verfügung haben. Das theologische Wesen dieses Systems wäre also vorläufig zu ent¬ wickeln. Indem der König von Preußen es unternimmt, das Prinzip der 30 Legitimität in seinen Konsequenzen durchzusetzen, schließt er sich nicht nur der historischen Rechtsschule an, sondern führt sie sogar weiter fort, und kommt fast bei der Hallerschen Restauration an. Zuerst, um den christlichen Staat zu verwirklichen, muß er den fast heidnisch gewordenen rationalistischen Beamtenstaat mit 35 christlichen Ideen durchdringen, den Kultus heben, die Teilnahme an demselben zu fördern suchen. Dies hat er denn auch nicht unter¬ lassen. Die Maßregeln zur Förderung des Kirchenbesuchs im all¬ gemeinen und namentlich bei den Beamten, die strengere Aufrecht¬ haltung der Sonntagsfeier überhaupt, die beabsichtigte Verschär- 40 fung der Ehescheidungsgesetze, die teilweise schon begonnene Epurierung der theologischen Fakultäten, das Gewicht, welches ein starker Glaube gegen schwache Kenntnisse bei den theologischen Prüfungen in die Wagschale legt, die Besetzung vieler Beamten¬ stellen mit vorzugsweise gläubigen Männern — und viele andere 45
Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 341 weltkundige Tatsachen gehören hieher. Sie können als Belege dienen, wie sehr Friedrich Wilhelm IV. dahin strebt, das Christen¬ tum unmittelbar in den Staat wieder einzuführen, die Gesetze des Staates nach den Geboten der biblischen Moral einzurichten. Das 5 ist aber nur das Erste, Unmittelbarste. Das System des christlichen Staates kann hierbei nicht stehen bleiben. Der weitere Schritt ist nun die Trennung der Kirche vom Staate, ein Schritt, der über den protestantischen Staat hinausgeht. In diesem ist der König summus episcopus und vereinigt in sich die höchste kirchliche und staat- 10 liehe Macht; die Verschmelzung von Staat und Kirche, wie sie bei Hegel ausgesprochen ist, ist das letzte Ziel dieser Staatsform. Wie aber der ganze Protestantismus eine Konzession an die Weltlich¬ keit ist, so auch das Episkopat des Fürsten. Es ist eine Bestätigung und Rechtfertigung des päpstlichen Primats, indem es die Not- 15 wendigkeit eines sichtbaren Oberhaupts der Kirche anerkennt; auf der andern Seite aber erklärt es die irdische, weltliche Gewalt, die Staatsgewalt, für das absolut Höchste und ordnet ihm die kirch¬ liche Gewalt unter. Es ist nicht etwa eine Gleichstellung des Welt¬ lichen und Geistlichen, sondern eine Unterordnung des Geistlichen so unter das Weltliche. Denn der Fürst war eher Fürst, als er summus episcopus wurde, und bleibt auch nachher vorzugsweise Fürst, ohne je einen geistlichen Charakter zu tragen. Die andere Seite der Sache ist freilich die, daß der Fürst jetzt alle Gewalt, irdische wie himmlische, in sich vereinigt, und, als irdischer Gott, die Vollen- 25 düng des religiösen Staates darstellt. — Wie jene Unterordnung aber dem christlichen Geiste widerspricht, so ist es durchaus nötig, daß der Staat, der den Anspruch der Christlichkeit macht, der Kirche ihre Selbständigkeit ihm gegenüber wieder einräume. Diese Rückkehr zum Katholizismus ist nun einmal unmöglich; die ab- 30 soluté Emanzipation der Kirche ist ebenfalls unausführbar, ohne die Grundsäulen des Staates zu untergraben ; es muß also hier ein Vermittlungssystem durchgeführt werden. Dies hat Friedrich Wil¬ helm IV. denn auch in Beziehung auf die katholische Kirche bereits in Ausführung gebracht, und was die protestantische Kirche be- 35 trifft, so beweisen auch hier sonnenklare Tatsachen, wie er in die¬ sem Punkte denkt; besonders ist die Aufhebung des Unionszwanges und die Befreiung der Altlutheraner von dem Drucke, den sie er¬ dulden mußten, zu erwähnen. Bei der protestantischen Konfession tritt nun ein ganz eignes Verhältnis ein. Sie hat kein sichtbares 4o Oberhaupt, überhaupt keine Einheit, sie zerfällt in viele Sekten, und so kann der protestantische Staat sie nicht anders frei lassen, als indem er die verschiedenen Sekten als Korporationen faßt und ihnen so für ihre inneren Angelegenheiten absolute Freiheit läßt. Dennoch aber läßt der Fürst sein Episkopat nicht fallen, sondern 45 behält sich das Bestätigungsrecht, überhaupt die Souveränität vor,
342 Berlin 1841—1842. Aus den 21 Bogen aus der Schweiz während er auf der andern Seite das Christentum als Macht über sich anerkennt und konsequent also auch vor der Kirche sich beugen muß. So bleiben nicht nur die Widersprüche, in denen der protestantische Staat sich bewegt, trotz aller scheinbaren Auf¬ lösung bestehen, sondern es tritt noch eine Vermischung mit den 5 Prinzipien des katholischen Staats ein, die eine wunderliche Ver¬ wirrung und Prinziplosigkeit herbeiführen muß. Das ist nicht theologisch. — Der protestantische Staat hat durch Altenstein und Friedrich Wilhelm III., durch das Verfahren gegen den Erzbischof von Köln io den Satz ausgesprochen, daß der konsequente Katholik unmöglich ein brauchbarer Staatsbürger sein könne. Dieser Satz, dessen Be¬ währung die ganze Geschichte des Mittelalters ist, gilt nicht nur für den protestantischen, sondern überhaupt für jeden Staat. Wer sein ganzes Sein und Leben zu einer Vorschule des Himmels macht, 15 kann am Irdischen nicht das Interesse haben, das der Staat von seinen Bürgern fordert. Der Staat macht den Anspruch, seinen Bürgern alles zu sein ; er erkennt keine Macht über sich und stellt sich überhaupt als absolute Gewalt hin. Der Katholik erkennt aber Gott und seine Einrichtung, die Kirche, als das Absolute an, und 20 kann sich also nie ohne inneren Vorbehalt auf den Boden des Staats stellen. Dieser Widerspruch ist unlösbar. Selbst der katho¬ lische Staat muß sich für den Katholiken der Kirche unterordnen, oder der Katholik zerfällt mit ihm; wie viel mehr also wird er mit dem nichtkatholischen Staat zerfallen sein? In dieser Hinsicht war 25 das Verfahren der vorigen Regierung vollkommen konsequent und wohlbegründet; der Staat kann nur so lange die Freiheit der katho¬ lischen Konfession ungeschmälert lassen, als sie sich den bestehen¬ den Gesetzen unterwirft. — Dieser Zustand der Dinge konnte dem christlichen Könige nicht genügen. Aber was war zu machen? Der 30 protestantische Staat konnte nicht hinter den katholischen Hohen¬ staufen Zurückbleiben, und bei der Höhe des Bewußtseins, zu wel¬ cher Staat und Kirche sich auf geschwungen hatten, war eine defi¬ nitive Lösung nur durch eine Unterwerfung des einen oder des andern möglich — eine Unterwerfung, die für den sich beugenden 35 Teil einer Selbstvernichtung gleichgekommen wäre. Die Frage war prinzipiell geworden, und vor den Prinzipien hatte der ein¬ zelne Fall als solcher zurücktreten müssen. Was tat nun Friedrich Wilhelm IV.? Echt theologisch drängte er die vorlauten, unbe¬ quemen Prinzipien zurück, hielt sich rein an den vorliegenden 40 Fall, der nun ohne die Prinzipen vollends verwickelt wurde, und suchte diesen durch Vermittlung aus dem Wege zu schaffen. Die Kurie gab nichts nach — wer also das blaue Auge davontrug, war der Staat. Das ist die berühmte glorreiche Lösung der Kölner Wirren, auf ihren wahren Gehalt reduziert. 45
Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 343 Dieselben nur oberflächlich verdeckten Widersprüche, die Fried¬ rich Wilhelm IV. in der Stellung des Staats zur Kirche hervorrief, suchte er auch in den innem Verhältnissen des Staats zu erwecken. Er konnte sich hier an die bereits bestehenden Theorien der histo- .5 rischen Rechtsschule anlehnen und hatte so ein ziemlich leichtes Spiel. Der Verlauf der Geschichte hatte in Deutschland das Prinzip der absoluten Monarchie zum herrschenden gemacht, die Rechte der alten Feudalstände vernichtet, den König zum Gott im Staate erhoben. Dazu waren in der Zeit von 1807—12 die Reste des io Mittelalters mit Entschiedenheit angegriffen und zum großen Teil weggeräumt worden. Wieviel auch seitdem redressiert sein mochte, die Gesetzgebung jener Zeit und das unter dem Einflüsse der Auf¬ klärung abgefaßte Landrecht blieben die Grundlagen der preußi¬ schen Gesetzgebung. Ein solcher Zustand mußte unerträglich sein. Daher knüpfte Friedrich Wilhelm IV. überall an, wo er noch etwas Mittelalterliches vorfand. Der Majoratsadel wurde begünstigt und durch neue Adelsverleihungen, die unter Bedingung der Majorats¬ stiftung erteilt wurden, verstärkt; der Bürgerstand als solcher, ge¬ trennt vom Adel und den Bauern, als aparter, Handel und Industrie 20 repräsentierender Stand angesehen und behandelt; die Sonderung der Korporationen, die Abschließung einzelner Handwerke und ihre Annäherung an das Zunftwesen begünstigt etc. Überhaupt zeigten alle Reden und Handlungen des Königs von vorn herein, daß er eine besondere Vorliebe für das Korporationswesen hat, 25 und gerade dies bezeichnet seinen mittelalterlichen Standpunkt am besten. Dies Nebeneinanderbestehen privilegierter Verbindun¬ gen, die in ihren innem Angelegenheiten mit einer gewissen Frei¬ heit und Selbständigkeit verfahren können, deren jede durch gleiche Interessen in sich verbunden ist, die sich aber auch gegen- 30 seitig bekämpfen und Übervorteilen — diese Zersplitterung der Staatskräfte bis zur völligen Auflösung des Staats, wie sie das deutsche Reich darstellt, macht eines der wesentlichsten Momente des Mittelalters aus. Es versteht sich aber von selbst, daß Friedrich Wilhelm IV. nicht gesonnen ist, den christlichen Staat bis zu 35 dieser Konsequenz durchzuführen. Er glaubt zwar, zur Herstellung des wahrhaft christlichen Staats berufen zu sein, in Wahrheit aber will er nur den theologischen Schein desselben, den Glanz und Schimmer, nicht aber die Not, den Druck, die Unordnung und Selbstvernichtung des christlichen Staats, kurz ein Juste-milieu- 30 Mittelalter; gerade wie etwa Leo auch nur den glänzenden Kultus, die Kirchenzucht usw. vom Katholizismus will, nicht aber den ganzen Katholizismus mit Haut und Haar. Darum ist Friedrich Wilhelm auch nicht absolut illiberal und gewaltsam in seinen Be¬ strebungen, Gott bewahre, er will seinen Preußen alle möglichen 45 Freiheiten lassen, aber eben nur in der Gestalt der Unfreiheit, des
344 Berlin 1841—1842. Aus den 21 Bogen aus der Schweiz Monopols und Privilegiums. Er ist kein entschiedener Feind der freien Presse, er wird sie geben, aber auch als Monopol des vor¬ zugsweise wissenschaftlichen Standes. Er will die Repräsentation nicht aufheben oder verweigern, er will nur nicht, daß der Staats¬ bürger, als solcher, vertreten sei; er arbeitet auf eine Repräsenta- 5 tion der Stände hin, wie sie in den preußischen Provinzial¬ ständen schon teilweise ausgeführt ist. Kurz, er kennt keine all¬ gemeinen, keine staatsbürgerlichen, keine Menschenrechte, er kennt nur Korporationsrechte, Monopole, Privilegien. Deren wird er eine Masse geben, so viel, wie er kann, ohne seine absolute Gewalt io durch positiv-gesetzliche Bestimmungen zu beschränken. Vielleicht auch mehr. Vielleicht hat er schon jetzt, trotz der Königsberger und Breslauer Bescheide, im geheimen die Absicht, wenn er seine theologische Politik weit genug durchgeführt hat, das Werk durch Erteilung einer reichsständisch-mittelalterlichen Verfassung zu is krönen und seinen möglicherweise andersgesinnten Nachfolgern die Hände dadurch zu binden. Konsequent wäre es — ob aber seine Theologie das zuläßt, steht dahin. Wie schwankend und haltlos, wie inkonsequent dies System schon in sich selbst ist, haben wir gesehen; die Einführung des- 20 selben in die Praxis muß notwendigerweise neue Schwankungen und Inkonsequenzen herbeiführen. Der kalte preußische Beamten¬ staat, das Kontrollewesen, die schnarrende Staatsmaschine will von der schönen, glänzenden, vertrauensvollen Romantik nichts wissen. Das Volk steht im Durchschnitt auf einer noch zu niedrigen 25 Stufe der politischen Bildung, um das System des christlichen Königs durchschauen zu können. Der Haß gegen die Privilegien des Adels, gegen die Anmaßungen der Geistlichkeit jeder Kon¬ fession ist indes zu tief eingewurzelt, als daß Friedrich Wilhelm bei ganz offenem Verfahren hieran nicht scheitern müßte. Daher 30 das bisher befolgte ängstliche Sondierungssystem, mit welchem er zuerst die öffentliche Meinung ausforschte, und dann immer noch Zeit genug behielt, eine zu anstößige Maßregel zurückzuziehen. Daher die Methode, seine Minister vorzuschieben und bei zu ge¬ waltsamen Handlungen derselben sie zu desavouieren, wobei nur 35 das merkwürdig ist, daß ein preußischer Minister sich das gefallen läßt, ohne seine Entlassung einzureichen. Namentlich mit Rochow geschah dies früher, und binnen kurzem wird Herr Eichhorn an die Reihe kommen, obwohl ihn der König noch jüngst für einen Ehrenmann erklärt und seinen Handlungen Beifall gezollt hat. 40 Ohne solche theologische Mittel würde Friedrich Wilhelm IV. längst die Liebe des Volks verscherzt haben, die er sich bis jetzt nur noch durch seinen offenen, jovialen Charakter, durch mög¬ lichst große Liebenswürdigkeit und Leutseligkeit und durch seinen rücksichtslosen Witz, der selbst gekrönte Häupter nicht verschonen *5
Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 345 soll, erhalten hat. Auch hütet er sich wohl, die zu anstößigen oder gar die unvermeidlichen schlimmen Seiten seines Systems heraus¬ zukehren; er spricht im Gegenteil davon, als wenn es lauter Pracht und Herrlichkeit und Freiheit wäre und läßt sich nur da ganz 5 gehen, wo sein System anscheinend liberaler ist als die bestehende preußische Bevormundung; wo er aber illiberal erscheinen würde, hält er sich klugerweise zurück. Zudem, während er den gewöhn¬ lichen Konstitutionalismus stets mit den Ehrennamen: oberfläch¬ lich und ordinär belegt, hat er sich dessen Terminologie dennoch 10 angeeignet und gebraucht sie in seinen Reden — soll man sagen als Ausdruck oder als Verdeckung seiner Ideen? — mit vielem Geschick. Genau so machen es die modernen Vermittlungs¬ theologen, die sich ebenfalls politischer Redeweisen mit Vorliebe bedienen und sich so den Forderungen der Zeit zu akkomodieren 15 wähnen. Bruno Bauer nennt das kurzweg Heuchelei. Was die Finanzverwaltung unter Friedrich Wilhelm IV. be¬ trifft, so hat er sich nicht an die Art von Zivilliste halten können, die sein Vater für sich festsetzte, indem er dieser gesetzlich bestimmte, daß vom Ertrage der Domänen jährlich 2^2 Million 20 Taler für den König und sein Haus bestimmt, das übrige aber, gleich allen andern Einkünften, zu Staatszwecken verwendet wer¬ den sollte. Man kann dem Könige nachrechnen, selbst wenn man seine Privateinkünfte hinzuzählt, daß er mehr verbraucht als 2^2 Millionen — und doch sollte von diesen noch die Apanage der 25 andern Prinzen bestritten werden. Bülow-Cummerow hat zudem erwiesen, daß die sogenannte Rechnungsablage des preußischen Staats rein illusorisch ist. Es ist also durchaus Geheimnis, wie die Staatseinkünfte verwaltet werden. Der vielbesprochene Steuer¬ erlaß ist kaum der Rede wert und hätte schon unter dem vorigen 30 Könige längst eintreten können, wenn dieser es nicht gescheut hätte, je in die Notwendigkeit einer Steuererhöhung zu kommen. Ich glaube hiermit über Friedrich Wilhelm IV. genug gesagt zu haben. Es versteht sich bei seinem unbezweifelt gutmütigen Cha¬ rakter von selbst, daß er in Dingen, die mit seiner Theorie nicht in 35 Berührung stehen, aufrichtig das tut, was die öffentliche Stimme von ihm fordert und was wirklich gut ist. Es bleibt nur noch die Frage, ob er jemals sein System durchsetzen werde? Darauf läßt sich glücklicherweise nur mit Nein antworten. Das preußische Volk hat seit einem Jahre, seit der angeblich freieren Bewegung 40 der Presse, die im Augenblick wieder die unfreiste geworden ist, einen Aufschwung genommen, der mit der Geringfügigkeit jener Maßregel fast in gar keinem Verhältnis steht. Der Druck der Zensur hält in Preußen eine so ungemeine Masse von Kräften ge¬ fesselt, daß die geringste Erleichterung eine unverhältnismäßig 40 starke Reaktion derselben hervorruft. Die öffentliche Meinung in
346 Berlin 1841—1842. Aus den 21 Bogen aus der Schweiz Preußen konzentriert sich immer mehr auf zwei Dinge: Repräsen- tatiwerfassung und besonders Preßfreiheit; der König mag sich stellen wie er will, man wird ihm vorläufig die letztere abnötigen, und besitzt man diese, so muß die Verfassung in einem Jahre nachfolgen. Ist aber eine Repräsentation erst da, so läßt sich gar 5 nicht absehen, welchen Gang Preußen dann nehmen wird. Eine der ersten Folgen wird die Zerstörung der russischen Allianz sein, wenn der König nicht schon früher genötigt sein sollte, diese Folge seines Prinzips fahren zu lassen. Dann aber kann noch manches folgen, und Preußens jetzige Lage hat viel Ähnlichkeit mit der io Frankreichs vor — doch ich enthalte mich aller voreiligen Schlüsse. F. 0.
London und Manchester 1842—1844
BRIEFE AUS ENGLAND 1842—1843
Die Artikel erschienen in der Zeit vom 9. Dezember 1842 bis zum 27. Juni 1843 in der Rheinischen Zeitung und im Schwei¬ zerischen Republikaner*
Die innern Krisen [RhZ 9. Dez. 1842. Nr. 343] *x* London, den 30. November. Ist in England eine Revo¬ lution möglich oder gar wahrscheinlich? Das ist die Frage, von 5 der die Zukunft Englands abhängt. Legt sie dem Engländer vor, und er wird euch mit tausend schönen Gründen beweisen, daß von einer Revolution gar die Rede nicht sein kann. Er wird euch sagen, daß England sich allerdings für den Augenblick in einer kritischen Lage befindet, daß es aber in seinem Reichtum, seiner Industrie 10 und seinen Institutionen die Mittel und Wege besitzt, sich ohne gewaltsame Erschütterungen herauszuarbeiten, daß seine Ver¬ fassung Elastizität genug hat, um die heftigsten Stöße der Prin¬ zipienkämpfe zu überdauern und allen von den Umständen auf- gedrungenen Veränderungen ohne Gefahr für ihre Grundlagen 15 sich unterwerfen zu können. Er wird euch sagen, daß selbst die unterste Volksklasse wohl weiß, daß sie bei einer Revolution nur zu verlieren hat, weil jede Störung der öffentlichen Ruhe nur eine Stockung des Geschäfts und damit eine allgemeine Arbeitslosigkeit und Hungersnot nach sich ziehen kann. Kurz, er wird euch soviel so klare und einleuchtende Dinge vorbringen, daß ihr am Ende meint, es stehe wirklich so schlimm nicht mit England und man mache sich auf dem Kontinent allerlei Phantasien über die Lage dieses Staates, die vor der handgreiflichen Wirklichkeit, vor der genauem Kenntnis der Sache wie Seifenblasen zerplatzen müßten. Und 25 diese Meinung ist auch die einzig mögliche, sobald man sich auf den national-englischen Standpunkt der unmittelbaren Praxis, der materiellen Interessen stellt, d. h. sobald man den beregenden Ge¬ danken außer Augen läßt, die Basis über der Oberfläche vergißt, den Wald vor Bäumen nicht sieht. Es ist eine Sache, die sich in so Deutschland von selbst versteht, die aber dem verstockten Briten nicht beizubringen ist, daß die sogenannten materiellen Interessen niemals in der Geschichte als selbständige, leitende Zwecke auf- treten können, sondern daß sie stets, unbewußt oder bewußt, einem Prinzip dienen, das die Fäden des historischen Fortschritts leitet. 35 Darum ist es ein Ding der Unmöglichkeit, daß ein Staat wie Eng¬ land, dessen politische Exklusivität und Selbstgenügsamkeit am Ende um einige Jahrhunderte gegen den Kontinent zurückgeblieben ist, ein Staat, der von der Freiheit nur die Willkür kennt, der bis
352 London und Manchester 1842—1844. Briefe aus England über die Ohren im Mittelalter steckt, daß ein solcher Staat nicht endlich mit der, indes fortgeschrittenen, geistigen Entwickelung in Konflikt kommen sollte. Oder ist das nicht das Bild der poli¬ tischen Lage Englands? Gibt es ein Land in der Welt, wo der Feu¬ dalismus in so ungebrochener Kraft besteht, und nicht nur faktisch, s sondern auch in der öffentlichen Meinung unangetastet bleibt? Be¬ steht die vielgerühmte englische Freiheit in etwas anderm als in der rein formellen Willkür, innerhalb der bestehenden gesetzlichen Schranken tun und lassen zu können, was man Lust hat? Und was für Gesetze sind das! Ein Wust von verworrenen, einander wider-10 sprechenden Bestimmungen, die die Jurisprudenz zur reinen So- phistik herabgewürdigt haben, die von der Justiz nie befolgt wer¬ den, weil sie auf unsere Zeit nicht passen, die es zulassen, wenn anders die öffentliche Meinung und ihr Rechtsgefühl es zuließen, daß der ehrliche Mann wegen der unschuldigsten Handlung zum is Verbrecher gestempelt wird. Ist das Unterhaus nicht eine rein durch Bestechung gewählte, dem Volke entfremdete Korporation? Tritt das Parlament nicht fortwährend den Willen des Volkes mit Füßen? Hat die öffentliche Meinung in allgemeinen Fragen den geringsten Einfluß auf die Regierung? Beschränkt sich ihre Macht 20 nicht bloß auf den einzelnen Fall, auf die Kontrolle der Justiz und Verwaltung? Das sind alles Dinge, die selbst der verstockteste Eng¬ länder nicht unbedingt leugnet, und ein solcher Zustand soll sich halten können? — Aber ich will das Feld der Prinzipienfragen verlassen. In Eng- 25 land, wenigstens unter den Parteien, die sich jetzt um die Herr¬ schaft streiten, unter Whigs und Tories, kennt man keine Prin¬ zipienkämpfe, man kennt nur Konflikte der materiellen Interessen. Es ist also billig, daß auch dieser Seite ihr Recht widerfahre. Eng¬ land ist von Natur ein armes Land, daß außer seiner geogra- 30 phischen Lage, seinen Eisenminen und Kohlengruben nur einige fette Weiden, sonst keine Fruchtbarkeit oder irgendeinen andern natürlichen Reichtum besitzt. Es ist also durchaus auf Handel, Schiffahrt und Industrie angewiesen und hat sich auch durch diese zu der Höhe aufzuschwingen gewußt, die es einnimmt. In der 35 Natur der Sache liegt aber, daß das Land, wenn es diesen Weg ein¬ geschlagen hat, sich nur durch fortwährende Steigerung der indu¬ striellen Produktion auf der einmal erreichten Höhe halten kann ; und Stillstand wäre auch hier ein Rückschritt. Es ist ferner eine natürliche Folge aus den Voraussetzungen des 40 Industriestaats, daß er, um die Quelle seines Reichtums zu schüt¬ zen, die industriellen Produkte anderer Länder mit Prohibitiv¬ zöllen von sich abhalten muß. Da aber die inländische Industrie die Preise ihrer Produkte mit den Zöllen auf auswärtige Produkte erhöht, so ist auch hierin die Notwendigkeit gegeben, die Zölle 45
Die innern Krisen 353 fortwährend zu erhöhen, damit die auswärtige Konkurrenz, dem angenommenen Prinzipe gemäß, ausgeschlossen bleibe. So würde sich also hier von zwei Seiten her ein Prozeß ins Endlose ergeben, und der Widerspruch, der in dem Begriffe des Industriestaates 5 liegt, zeigte sich schon hier. Aber wir brauchen hier diese philo¬ sophischen Kategorien nicht einmal, um die Widersprüche auf¬ zuzeigen, zwischen denen England eingekeilt liegt. Bei den zwei Steigerungen, der Produktion und der Zölle, die wir soeben be¬ trachteten, haben auch noch andere Leute als die englischen In- 10 dustriellen mitzusprechen. Zuerst das Ausland, das selbst Industrie besitzt und nicht nötig hat, sich zum Abzugsgraben für die eng¬ lischen Produkte herzugeben, und dann die englischen Konsu¬ menten, die sich eine solche Steigerung der Zölle ins Unendliche nicht gefallen lassen. Und gerade hier steht jetzt die Entwickelung 15 des Industriestaats in England. Das Ausland will die englischen Produkte nicht, weil es selbst seinen Bedarf erzeugt, und die eng¬ lischen Konsumenten verlangen einstimmig die Aufhebung der Prohibitivzölle. Schon aus der obigen Entwickelung ergibt sich, daß England hierdurch in ein doppeltes Dilemma gerät, zu dessen 2o Lösung der bloße Industriestaat nicht fähig ist; aber auch die un¬ mittelbare Anschauung der Verhältnisse bestätigt dies. Um zuerst von den Zöllen zu reden, so ist es selbst in England anerkannt, daß fast in allen Artikeln die niedrigem Qualitäten von den deutschen und französischen Fabriken besser und billiger ge- 25 liefert werden; ebenso eine Masse anderer Artikel, in deren Fa¬ brikation die Engländer gegen den Kontinent zurück sind. Mit diesen würde England schon bei Aufhebung des Prohibitivsystems sogleich überschwemmt werden, und die englische Industrie er¬ hielte dadurch den Todesstoß. Andererseits ist jetzt die Maschinen- 30 ausfuhr in England freigegeben, und da in der Maschinenfabri¬ kation England bis jetzt keine Konkurrenz hat, so wird der Kon¬ tinent durch englische Maschinen nun desto mehr in den Stand gesetzt, mit England zu konkurrieren. Das Prohibitivsystem hat ferner die Staatseinkünfte Englands ruiniert und muß schon des- 35 wegen abgeschafft werden — wo ist nun hier ein Ausweg für den Industriestaat? [Rh Z 10. Dez. 1842. Nr. 344] * x * London, 30. Nov. (Schluß des gestern abgebro¬ chenen Artikels.) In Beziehung auf den Markt für die englischen Produkte haben Deutschland und Frankreich deutlich genug er- 40 klärt, daß sie, um England gefällig zu sein, ihre Industrie nicht länger preisgeben wollen. Die deutsche Industrie namentlich hat ohnehin einen solchen Aufschwung genommen, daß sie die eng¬ lische nicht mehr zu fürchten hat. Der Kontinentalmarkt ist für Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 23
354 London und Manchester 1842—1844. Briefe aus England England verloren. Es bleiben ihm nur noch Amerika und seine eig¬ nen Kolonien, und nur in letzteren ist es durch seine Navigations¬ gesetze vor fremder Konkurrenz gesichert. Die Kolonien aber sind lange nicht groß genug, um alle Produkte der immensen englischen Industrie konsumieren zu können, und überall anderswo wird die 5 englische Industrie immer mehr durch die deutsche und franzö¬ sische verdrängt. Diese Verdrängung ist freilich nicht Schuld der englischen Industrie, sondern Schuld des Prohibitivsystems, das die Preise aller Lebensbedürfnisse und mit ihnen den Arbeitslohn auf eine unverhältnismäßige Höhe geschraubt hat. Dieser Arbeits- io lohn aber verteuert gerade die englischen Produkte so sehr gegen die Produkte der kontinentalen Industrie. So kann also England der Notwendigkeit nicht entgehen, seine Industrie zu beschränken. Das kann aber eben so wenig durchgeführt werden als der Übergang vom Prohibitivsystem zum freien Handel. Denn die Industrie be- 15 reichert zwar ein Land, aber sie schafft auch eine Klasse von Nicht¬ besitzenden, von absolut Armen, die von der Hand in den Mund lebt, die sich reißend vermehrt, eine Klasse, die nachher nicht wieder abzuschaffen ist, weil sie nie stabilen Besitz erwerben kann. Und der dritte Teil, fast die Hälfte aller Engländer, gehört dieser 20 Klasse an. Die geringste Stockung im Handel macht einen großen Teil dieser Klasse, eine große Handelskrisis macht die ganze Klasse brotlos. Was bleibt diesen Leuten anders übrig als zu revoltieren, wenn solche Umstände eintreten? Durch ihre Masse aber ist diese Klasse zur mächtigsten in England geworden, und wehe den eng- 25 lischen Reichen, wenn sie darüber zum Bewußtsein kommt. Bis jetzt ist sie es freilich noch nicht. Der englische Proletarier ahnt erst seine Macht, und die Frucht dieser Ahnung war der Auf¬ ruhr des vergangenen Sommers. Der Charakter dieses Aufruhrs ist auf dem Kontinente ganz verkannt worden. Man war wenigstens im 30 Zweifel, ob die Sache nicht ernstlich werden könnte. Aber davon war für den, der die Sache an Ort und Stelle mit ansah, gar keine Rede. Erstlich beruhte die ganze Sache auf einer Illusion; weil einige Fabrikbesitzer ihren Lohn herabsetzen wollten, glaubten die sämtlichen Arbeiter der Baumwollen-, Kohlen- und Eisendistrikte 35 ihre Stellung gefährdet, was gar nicht der Fall war. Sodann war die ganze Sache nicht vorbereitet, nicht organisiert, nicht geleitet. Die Tum-outs hatten keinen Zweck, und waren sich über die Art und Weise ihres Verfahrens noch weniger einig. Daher kam es, daß sie bei dem geringsten Widerstande von Seiten der Behörden to unschlüssig wurden und die Achtung vor dem Gesetz nicht über¬ winden konnten. Als die Chartisten sich der Zügel der Bewegung bemächtigten und vor den versammelten Volkshaufen die people’s charter proklamieren ließen, war es zu spät. Die einzige leitende Idee, die den Arbeitern, wie den Chartisten, denen sie eigentlich 45
Die innern Krisen 355 auch angehört, vorschwebte, war die einer Revolution auf gesetz¬ lichem Wege, — ein Widerspruch in sich selbst, eine praktische Unmöglichkeit, an deren Durchführung sie scheiterten. Gleich die erste, allen gemeinsame Maßregel, die Stillsetzung der Fabriken, 5 war gewaltsam und ungesetzlich. Bei dieser Haltlosigkeit der gan¬ zen Unternehmung würde sie gleich anfangs unterdrückt worden sein, wenn nicht die Verwaltung, der sie durchaus unerwartet kam, eben so unschlüssig und mittellos gewesen wäre. Und dennoch reichte die geringe militärische und polizeiliche Macht hin, das 10 Volk im Zaume zu halten. Man hat in Manchester gesehen, wie Tausende von Arbeitern auf den Squares durch vier oder fünf Dragoner, deren jeder einen Zugang besetzt hielt, eingeschlossen gehalten wurden. Die „gesetzliche Revolution“ hatte alles gelähmt. So verlief sich die ganze Sache; jeder Arbeiter fing wieder an zu is arbeiten, sobald seine Ersparnisse verbraucht waren, und er also nichts mehr zu essen hatte. Der Nutzen, der für die Besitzlosen daraus hervorgegangen ist, bleibt aber bestehen; es ist das Be¬ wußtsein, daß eine Revolution auf friedlichem Wege eine Un¬ möglichkeit ist, und daß nur eine gewaltsame Umwälzung der 2o bestehenden unnatürlichen Verhältnisse, ein radikaler Sturz der adligen und industriellen Aristokratie die materielle Lage der Proletarier verbessern kann. Von dieser gewaltsamen Revolution hält sie noch die dem Engländer eigentümliche Achtung vor dem Gesetz zurück; bei der oben dargelegten Lage Englands kann es 25 aber nicht fehlen, daß in kurzer Zeit eine allgemeine Brotlosigkeit der Proletarier eintritt, und die Scheu vor dem Hungertode wird dann stärker sein als die Scheu vor dem Gesetz. Diese Revolution ist eine unausbleibliche für England; aber wie in allem, was in England vorgeht, werden die Interessen, und nicht die Prinzipien, 30 diese Revolution beginnen und durchführen; erst aus den Inter¬ essen können sich die Prinzipien entwickeln, d. h. die Revolution wird keine politische, sondern ein soziale sein.
Englische Ansicht über die innern Krisen [RhZ 8. Dez. 1842. Nr. 342] *x* London, 3. Dez. Wenn man sich im stillen eine Zeitlang mit den englichen Zuständen beschäftigt, wenn man sich über die schwache Grundlage, auf der das ganze künstliche Ge- 5 bäude der sozialen und politischen Wohlfahrt Englands ruht, Klarheit verschafft hat, und nun auf einmal mitten in das englische Treiben hinein versetzt wird, so staunt man über die merkwürdige Ruhe und Zuversicht, womit hier jedermann der Zukunft entgegen¬ sieht. Die herrschenden Klassen, gleichviel ob Mittelstand oder 10 Aristokratie, Whigs oder Tories, haben nun schon so lange das Land regiert, daß das Aufkommen einer andern Partei ihnen eine Unmöglichkeit scheint. Man mag ihnen ihre Sünden, ihre Halt¬ losigkeit, ihre schwankende Politik, ihre Blindheit und Verstockt¬ heit, man mag ihnen den schwindelnden Zustand des Landes, der 15 eine Frucht ihrer Prinzipien ist, noch so sehr vorhalten, sie bleiben bei ihrer unerschütterlichen Sicherheit und trauen sich die Kraft zu, das Land einer bessern Lage zuzuführen. Und wenn eine Re¬ volution in England unmöglich ist, wie sie wenigstens behaupten, so haben sie allerdings für ihre Herrschaft wenig zu fürchten. 20 Wenn der Chartismus sich so lange geduldet, bis er die Majorität im Unterhause für sich gewonnen hat, kann er noch manches Jahr Meetings halten und die sechs Punkte der Volkscharte verlangen; die Mittelklasse wird sich nie durch Bewilligung des allgemeinen Stimmrechts von der Besetzung des Unterhauses ausschließen, da 25 sie, eine notwendige Konsequenz der Nachgiebigkeit in diesem Punkte, alsdann von der Unzahl der Nichtbesitzenden überstimmt werden dürfte. Daher hat der Chartismus unter den Gebildeten in England noch gar keine Wurzel schlagen können und wird es auch so bald noch nicht. Wenn man hier von Chartisten und Radikalen 30 spricht, so versteht man fast durchgängig die Hefe des Volkes, die Masse der Proletarier darunter; und es ist wahr, die wenigen gebil¬ deten Stimmführer der Partei verschwinden unter der Masse. — Auch abgesehen vom politischen Interesse, kann der Mittelstand nur Whig oder Tory, nie Chartist sein. Sein Prinzip ist die Auf- 35 rechthaltung des Bestehenden; der „gesetzliche Fortschritt“ und das allgemeine Stimmrecht würde bei der jetzigen Lage Englands eine Revolution unfehlbar nach sich ziehen. So ist es denn ganz
Englische Ansicht über die innern Krisen 357 natürlich, daß der praktische Engländer, dem die Politik ein Zah¬ lenverhältnis oder gar ein Handelsgeschäft ist, von der im stillen furchtbar anwachsenden Macht des Chartismus gar keine Notiz nimmt, weil sie sich nicht in Zahlen ausdrücken läßt oder doch 5 nur in solchen, die in Beziehung auf die Regierung und das Par¬ lament Nullen vor der Eins sind. Es gibt aber Dinge, die über das Zahlenverhältnis hinausgehen, und daran wird die Superklugheit des englischen Whiggismus und Toryismus schon scheitern, wenn ihre Zeit gekommen sein wird.
Stellung der politischen Partei [RhZ 24. Dez. 1842. Nr. 358] *t* Aus Lancashire, 19. Nov.^ So kompliziert die gegenwärtige Lage Englands erscheint, wenn man, wie der Eng¬ länder es tut, am Allernächsten, an der handgreiflichen Wirklich- 5 keit, an der äußerlichen Praxis klebt, so einfach ist sie, wenn man diese Äußerlichkeit auf ihren prinzipiellen Gehalt reduziert. Es gibt nur drei Parteien in England, die von Bedeutung sind, die Aristokratie des Grundbesitzes, die Aristokratie des Geldes und die radikale Demokratie. Die erstere, die der Tories, ist ihrer 10 Natur und geschichtlichen Entwicklung nach die rein mittelalter¬ liche, konsequente, reaktionäre Partei, der alte Adel, der mit der „historischen“ Rechtsschule in Deutschland fraternisiert und die Stütze des christlichen Staates bildet. Die zweite, die Whigpartei, hat ihren Kem in den Kaufleuten und Fabrikanten, deren Mehrzahl 15 den sogenannten Mittelstand bilden. Dieser Mittelstand, zu dem alles gehört, was gentleman ist, d. h. sein anständiges Auskommen hat, ohne übermäßig reich zu sein, ist aber nur Mittelstand im Ver¬ gleich mit den reichen Adeligen und Kapitalisten; seine Stellung gegen den Arbeiter aber ist aristokratisch und dies muß in einem 20 Lande wie England, das nur von der Industrie lebt, und also eine Masse Arbeiter besitzt, weit eher zum Bewußtsein kommen als z. B. in Deutschland, wo man die Handwerker und Bauern als Mittelstand begreift und jene ausgedehnte Klasse der Fabrik¬ arbeiter gar nicht kennt. Hierdurch wird die Whigpartei in die 25 zweideutige Stellung des juste-milieu hingedrängt, sobald die Klasse der Arbeiter anfängt zum Bewußtsein zu kommen. Und dies geschieht in diesem Augenblick. Die radikal-demokratischen Prinzipien des Chartismus durchdringen die arbeitende Klasse täg¬ lich mehr und werden von ihr immer mehr als der Ausdruck ihres 30 Gesamtbewußtseins erkannt. Jetzt indes ist diese Partei erst in der Bildung begriffen und kann deshalb noch nicht mit voller Energie auftreten. — Daß außer diesen drei Hauptparteien noch allerlei Über¬ gangsnuancen existieren, versteht sich von selbst, und von die- 35 sen sind augenblicklich zwei von Bedeutung, obwohl sie alles prinzipiellen Gehalts entbehren. Die erste ist die Mitte zwischen 1) Irrtümlich für Dezember
Stellung der politischen Partei 359 Whiggismus und Toryismus, wie sie durch Peel und Russell re¬ präsentiert wird, und der für die nächste Zukunft die Majorität im Unterhause, also das Ministerium sicher ist. Die andere ist die Mitte zwischen Whiggismus und Chartismus, die „radikale66 Nu- 5 ance, die durch ein halbes Dutzend Parlamentsmitglieder und einige Zeitschriften, namentlich den „Examiner66 vertreten ist, und deren Prinzipien, obwohl nicht ausgesprochen, der National Anti- Corn-Law-League zum Grunde liegen. Die erstere Fraktion muß durch die größere Entwicklung des Chartismus an Bedeutung ge- 10 winnen, weil sie ihm gegenüber die Einheit von Whig- und Tory- prinzipien darstellten, die er grade behauptet. Die andere muß dadurch ganz in ihr Nichts zurückfallen. Die Stellung dieser Par¬ teien gegeneinander zeigt sich am klarsten in ihrem Verhalten gegen die Komgesetze. Die Tories geben keinen Zoll breit nach. Der 15 Adel weiß, daß seine Macht, außer der konstitutionellen Sphäre des Oberhauses, hauptsächlich in seinem Reichtum liegt. Durch eine Freigebung der Komeinfuhr würde er genötigt sein, mit den Pächtern neue Kontrakte auf billigere Bedingungen abzuschließen. Sein ganzer Reichtum ist Grundbesitz; der Wert des Grundbesitzes 20 steht mit der Pacht in unabänderlichem Verhältnis und fällt mit ihr. Nun ist die Pacht augenblicklich so hoch, daß selbst bei dem jetzigen Zoll der Pächter ruiniert wird; eine Freigebung der Kom¬ einfuhr würde diese Pacht und mit ihr den Wert des Grundeigen¬ tums um den dritten Teil herabsetzen. Grund genug für die Aristo- 25 kratie, an ihrem wohlerworbenen Recht, das den Ackerbau ruiniert und die Armen des Landes aushungert, festzuhalten. Die Whigs, das allzeit fertige juste-milieu, haben einen festen Zoll von 8 Schil¬ ling per Quarter vorgeschlagen; dieser Zoll ist grade niedrig genug, um fremdes Korn hereinzulassen und dem Pächter den 30 Markt verderben zu können, und grade hoch genug, um dem Päch¬ ter allen Grund zur Forderung neuer Pachtbedingungen zu nehmen und für das Land einen durchschnittlich eben so hohen Brotpreis zu stellen, wie er jetzt existiert. Die Weisheit des juste-milieu ruiniert also das Land noch weit sicherer als die Verstocktheit der 35 konsequenten Reaktion. Die „Radikalen66 sind hier einmal wirk¬ lich radikal und fordern freie Komeinfuhr. Aber der „Examiner66 hat diesen Mut auch erst seit acht Tagen, und die Anti-Corn-Law- League war von vorn herein so sehr bloß gegen die bestehenden Komgesetze und die Sliding-Scale gerichtet, daß sie bis zuletzt 40 immerfort die Whigs unterstützte. Allmählich indes ist die abso¬ lute Freiheit der Komeinfuhr und überhaupt „freier Handel66 das Feldgeschrei der Radikalen geworden, und die Whigs schreien gutmütig mit nach „freiem Handel66, worunter sie juste-milieu- Zölle verstehen. Daß die Chartisten von Komzöllen nichts wissen 45 wollen, versteht sich von selbst. Was wird aber daraus werden?
360 London und Manchester 1842—1844. Briefe aus England Daß die Komeinfuhr frei werden muß, ist so gewiß, wie daß die Tories stürzen müssen, auf friedlichem oder gewaltsamem Wege. Nur über die Art dieser Veränderung kann man streiten. Wahr¬ scheinlich wird schon die nächste Parlamentssession den Abfall Peels von der Sliding-Scale und damit vom vollen Toryismus 5 bringen. Der Adel wird in allem nachgeben, was ihn nicht zwingt, seine Pachtsätze zu erniedrigen, weiter aber nichts. Die Koalition Peel-Russell, das parlamentarische Zentrum, hat jedenfalls die nächste Chance fürs Ministerium und wird die Entscheidung der Komfrage durch seine juste-milieu-Maßregeln so lange wie mög-10 lieh aufhalten. Wie lange aber, das hängt nicht von ihr ab, son¬ dern vom Volk.
Lage der arbeitenden Klasse in England [RhZ 25. Dez. 1842. Nr. 359] *f* Aus Lancashire, 20. Dez. Die Lage der arbeiten¬ den Klassen in England wird täglich prekärer. Für den Augen- 5 blick hat es freilich den Anschein, als wäre es so schlimm nicht; in den Baumwolldistrikten sind die meisten Leute beschäftigt, in Manchester kommt vielleicht auf zehn Arbeiter nur ein Unbeschäf¬ tigter, in Bolton und Birmingham mag das Verhältnis dasselbe sein, und wenn der englische Arbeiter beschäftigt ist, ist er auch 10 zufrieden. Und er kann es auch sein, wenigstens der Baumwollen¬ arbeiter; wenn er sein Los mit dem seiner Schicksalsgenossen in Deutschland und Frankreich vergleicht. Dort hat der Arbeiter knapp genug, um von Kartoffeln und Brot leben zu können ; glück¬ lich, wer einmal die Woche Fleisch bekommt. Hier ißt er täglich is seinRindfleisch und bekommt für sein Geld einen kräftigem Braten als der Reichste in Deutschland. Zweimal desTages hat erTee, und behält immer noch Geld genug übrig, um mittags ein Glas Porter und abends brandy and water trinken zu können. Das ist dieLebens- art der meisten Arbeiter in Manchester bei einer täglich zwölf- 20 stündigen Arbeit. Aber wie lange dauert das! Bei der geringsten Schwankung im Handel werden Tausende von Arbeitern brotlos; ihre geringen Ersparnisse sind bald verzehrt, und dann steht der Hungertod vor ihnen. Und eine solche Krisis muß in ein paar Jahren wieder eintreten. Dieselbe vermehrte Produktion, die jetzt 25 den „paupers“ Arbeit verschafft, und die auf den chinesischen Markt spekuliert, muß eine Unmasse Waren und eine Stockung des Absatzes hervorbringen, in deren Gefolge wieder eine allge¬ meine Brotlosigkeit der Arbeiter ist. Sodann ist die Lage der Baumwollenarbeiter die beste. In den Kohlenminen haben die Ar- 3o beiter die schwersten und ungesundesten Arbeiten für einen ge¬ ringen Lohn zu verrichten. Die Folge davon ist, daß diese Ar¬ beiterklasse einen weit größern Ingrimm gegen die Reichen hegt als die andern working men, und daher durch Raub, Mißhandlungen der Reicheren etc. sich besonders auszeichnet. So sind hier in 35 Manchester die „Bolton people“ ordentlich gefürchtet, wie sie sich denn auch bei den Sommerunruhen am entschlossensten gezeigt haben. In ähnlichem Rufe stehen die Eisenarbeiter, wie überhaupt alle, die schwere körperliche Arbeiten zu verrichten haben. Wenn
362 London und Manchester 1842—1844. Briefe aus England alle diese schon jetzt knapp leben können, was soll aus ihnen werden, wenn die geringste Stockung im Geschäft eintritt? Die Arbeiter haben zwar Kassen unter sich gebildet, deren Fonds durch wöchent¬ liche Beiträge vermehrt wird und die Unbeschäftigten unterstützen soll; aber auch diese reichen nur dann aus, wenn die Manufak- 5 turen gut gehen, denn selbst dann sind noch immer Brotlose genug da. Sowie die Arbeitslosigkeit allgemein wird, so hört auch diese Hülfsquelle auf. Schottland ist augenblicklich der Sündenbock, wo die Manufakturen stocken; denn bei der Ausdehnung der eng¬ lischen Industrie gibt es immer einen oder den andern Bezirk, der io leidet. In der ganzen Umgegend von Glasgow nimmt die Arbeits¬ losigkeit täglich zu. In Paisley, einer verhältnismäßig kleinen Stadt, waren vor vierzehn Tagen 7000 „unemployed“ ; jetzt sind ihrer schon 10 000. Die ohnehin schon geringen Zusendungen aus den Unterstützungskassen sind noch um die Hälfte vermindert is worden, weil die Fonds ausgehen; eine Meeting der Noblemen und Gentlemen der Grafschaft hat eine Subskription beschlossen, die 3000 Pfund einbringen soll; aber dies Mittel ist auch schon ab¬ genutzt, und die Herren selbst hoffen im stillen nur auf einen Er¬ trag von höchstens 400 Pfund. Es kommt zuletzt darauf alles hin- so aus, daß England sich mit seiner Industrie nicht nur eine große Klasse von Besitzlosen, sondern auch unter dieser eine immer nicht unbedeutende Klasse von Brotlosen auf den Hals geladen hat, die es nicht los werden kann. Diese Leute müssen sehen, wie sie sich durchschlagen; der Staat gibt sie auf, ja stößt sie von sich. Wer 25 kann es ihnen verübeln, wenn die Männer sich auf den Straßenraub oder Einbruch, die Weiber auf den Diebstahl und die Prostitution werfen? Aber der Staat kümmert sich nicht drum, ob der Hunger bitter oder süß ist, sondern sperrt sie in seine Gefängnisse oder deportiert sie in die Verbrecherkolonien, und wenn er sie freiläßt, 30 so hat er das zufriedenstellende Resultat, aus Brotlosen Sittenlose gemacht zu haben. Und der Humor von der ganzen Geschichte ist, daß der hochweise Whig und „Radikale“ fortwährend nicht be¬ greift, woher bei einer solchen Lage des Landes der Chartismus herkommt, und wie die Chartisten nur glauben mögen, daß sie auch 35 nur die geringste Chance in England haben.
Die Korngesetze [RhZ 27. Dez. 1842. Nr. 360/361] *t* Aus Lancashire, 22. Dez. Die bestehenden Kom¬ gesetze gehen ihrem Ende rasch entgegen. Das Volk hat eine wahre Wut auf die „Brottaxe“, und die Tories mögen machen, was sie wollen, sie können gegen den Andrang der erbitterten Masse nicht standhalten. Sir Robert Peel hat das Parlament bis zum zwei¬ ten Februar vertagt — sechs Wochen Zeit für die Opposition, jene Wut noch mehr zu schüren. Peel wird sich gleich von vornherein bei Eröffnung der neuen Session über die Sliding-Scale zu erklären haben; man glaubt allgemein, daß er in seiner Ansicht über sie wenigstens wankend geworden ist. Entschließt er sich, sie fallen zu lassen, so wird die strengere Torypartei das Ministerium ohne Zweifel verlassen und den gemäßigten Whigs Platz machen, so daß 15 schon dann die Koalition Peel-Russell zustande käme. In jedem Falle wird die Aristokratie sich hartnäckig verteidigen, und ich meinerseits glaube nicht, daß sie gutwillig zur Freigebung der Komeinfuhr zu bringen ist. Der englische Adel hat die Reformbill und die Emanzipation der Katholiken durchgehen lassen, aber die 20 Selbstüberwindung, die ihm dies gekostet hat, würde nichts sein gegen die, mit der er die Komgesetze abschaffte. Was ist die Schwächung des aristokratischen Einflusses auf die Wahl des Unterhauses gegen die Herabsetzung des Vermögens aller eng¬ lischen Adligen um 30 Prozent? Und wenn schon die beiden obigen 25 Bills solche Kämpfe gemacht haben, wenn die Reformbill nur mit Hülfe von Volksauf ständen, mit Steinwürfen in die Fenster der Aristokraten durchgesetzt wurde, dann sollte der Adel es bei dieser Frage nicht darauf ankommen lassen, ob das Volk mutig und stark genug ist, seinen Willen durchzuführen? Ohnehin haben die so Sommerunruhen dem Adel ja gezeigt, wie wenig das englische Volk taugt, wenn es revoltiert. Ich bin fest überzeugt, daß die Aristo¬ kratie diesmal standhalten wird, bis ihr das Messer an der Kehle sitzt. Daß das Volk aber nicht lange mehr von jedem Pfunde Brot, das es verzehrt, der Aristokratie einen Penny (10 Pfennige Preuß.) 35 bezahlen wird, ist gewiß. Dafür hat die Anti-Com-Law-League gesorgt. Ihre Tätigkeit ist ungeheuer gewesen, einen genauem Be¬ richt darüber behalte ich mir vor. Soviel für heute, daß eines der wichtigsten Resultate, das teils die Komgesetze, teils die League
364 London und Manchester 1842—1844. Briefe aus England hervorgebracht haben, die Befreiung der Pächter von dem mora¬ lischen Einfluß ihrer adligen Grundbesitzer ist. Bisher war nie¬ mand gegen politische Verhältnisse gleichgültiger gewesen als die englischen Pächter, d. h. der ganze ackerbauende Teil der Nation. Der Landlord (Gutsbesitzer) war, wie sich von selbst versteht, 5 Tory, und jagte jeden Pächter fort, der bei den Parlamentswahlen gegen die Tories stimmte. Daher kam es denn, daß die 252 Par¬ lamentsglieder, welche das platte Land im vereinigten König¬ reiche zu wählen hat, regelmäßig fast lauter Tories waren. Durch die Wirkungen der Komgesetze, sowie durch die Publikationen io der League, die in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet wurden, ist aber nun in dem Pächter der politische Sinn geweckt worden. Er hat eingesehen, daß sein Interesse nicht mit dem des Landlords identisch, sondern ihm gerade entgegengesetzt ist, und daß dieKomgesetze für niemand ungünstiger gewesen sind als für 15 ihn. Daher ist denn auch eine bedeutende Veränderung unter den Pächtern vorgegangen ; die Mehrzahl derselben ist jetzt Whig, und da es den Landlords schwer fallen dürfte, jetzt noch einen durch¬ greifenden Einfluß auf die Stimme der Pächter bei den Wahlen auszuüben, so werden die 252 Tories wohl bald in eben so viel 20 Whigs übergehen. Wenn dieser Übergang auch nur bei der Hälfte einträte, so würde dadurch schon die Gestalt des Unterhauses be¬ deutend verändert werden, indem hierdurch die Majorität des Unterhauses den Whigs für immer gesichert wäre. Und das muß geschehen. Vollends wenn die Komgesetze aufgehoben wären, 25 denn dann wäre der Pächter ganz unabhängig gegen den Landlord, weil von jener Aufhebung an die Pachtkontrakte unter ganz neuen Bedingungen geschlossen werden müssen. Die Aristokratie hat Wunders einen klugen Streich zu machen gemeint, als sie die Kom¬ gesetze gab; aber das Geld, was sie dadurch bekommen hat, wiegt 30 lange nicht den Nachteil auf, den ihr jene Gesetze gebracht haben. Und dieser Nachteil besteht eben darin, daß von nun an die Aristo¬ kratie nicht mehr als die Vertreterin des Ackerbaus, sondern ihrer eigenen selbstsüchtigen Interessen dasteht.
Briefe aus London I [Schweiz. Republ. 16. Mai 1843. Nr. 39, p. 173-174] Die demokratische Partei in England macht reißende Fort- 5 schritte. Während Whiggismus und Toryismus, Geldaristokratie und Adelsaristokratie in der „Nationalplauderstube66, wie der Tory Thomas Carlyle, oder in dem „Hause, das sich anmaßt, die Gemeinden von England vertreten zu wollen66, wie der Chartist Feargus O’Connor sagt, einen langweiligen Zungenstreit um des io Kaisers Bart führen, während die Staatskirche allen ihren Einfluß auf die bigotten Neigungen der Nation aufbietet, um ihr verrottetes Gebäude noch etwas aufrecht zu erhalten, während die Anti-Korn- gesetz-Ligue Hunderttausende wegwirft, in der wahnsinnigen Hoff¬ nung, dafür Millionen in die Taschen der baumwollspinnenden 2.5 Lords strömen zu sehen—während des schreitet der verachtete und verspottete Sozialismus ruhig und sicher voran und drängt sich allmählich der öffentlichen Meinung auf, während des hat sich in ein paar Jahren eine neue, unzählbare Partei unter der Fahne der Volkscharte gebildet und eine so energische Art der Agitation an- 2o genommen, daß O’Connell und die Ligue dagegen Stümper und Pfuscher sind. Es ist bekannt, daß in England die Parteien mit den sozialen Stufen und Klassen identisch sind; daß die Tories identisch mit dem Adel und der bigotten, streng orthodoxen Frak¬ tion der Hochkirche sind, daß die Whigs aus den Fabrikanten, 25 Kaufleuten und Dissenters, im ganzen aus der höhern Mittelklasse bestehen, daß die niedere Mittelklasse die sogenannten „Radi¬ kalen66 ausmacht, und endlich der Chartismus seine Stärke in den working men, den Proletariern, hat. Der Sozialismus bildet keine geschlossene politische Partei, rekrutiert sich aber im ganzen aus 30 der niedern Mittelklasse und den Proletariern. So zeigt England das merkwürdige Faktum, daß, je tiefer eine Klasse in der Gesell¬ schaft steht, je „ungebildeter66 sie im gewöhnlichen Sinne des Wortes ist, desto näher steht sie dem Fortschritt, desto mehr Zu¬ kunft hat sie. Im ganzen ist dies der Charakter jeder revolutionären 35 Epoche, wie dies namentlich bei der religiösen Revolution, deren Produkt das Christentum war, sich zeigte: „selig sind die Armen66, „die Weisheit dieser Welt ist zur Torheit geworden66 usw. Aber, so deutlich ausgeprägt, so scharf abgestuft, wie jetzt in England, erschien dies Vorzeichen einer großen Umwälzung wohl noch nie.
366 London und Manchester 1842—1844. Briefe aus England In Deutschland geht die Bewegung von der nicht nur gebildeten, sondern sogar gelehrten Klasse aus; in England sind die Gebil¬ deten und vollends die Gelehrten seit dreihundert Jahren taub und blind gegen die Zeichen der Zeit. Der elende Schlendrian der eng¬ lischen Universitäten, gegen den unsere deutschen Hochschulen 5 noch golden sind, ist weltbekannt; aber welcher Art die Werke der ersten englischen Theologen und selbst eines Teils der ersten eng¬ lischen Naturforscher sind, was für erbärmlich reaktionäre Schrif¬ ten die Masse der wöchentlichen „Liste neuer Bücher46 ausmachen, das läßt man sich auf dem Kontinent nicht träumen. England ist jo das Vaterland der Nationalökonomie; aber wie steht die Wissen¬ schaft unter den Professoren und praktischen Politikern? Die Handelsfreiheit Adam Smiths ist in die wahnsinnige Konsequenz der Malthusschen Bevölkerungstheorie hineingetrieben worden und hat nichts produziert als eine neue zivilisiertere Gestalt des is alten Monopolsystems, die in den heutigen Tories ihre Vertreter findet, und die den Malthusschen Unsinn mit Erfolg bekämpft hat — aber zuletzt doch wieder auf Malthussche Konsequenzen ge¬ trieben wird. Inkonsequenz und Heuchelei auf allen Seiten, wäh¬ rend die schlagenden ökonomischen Traktate der Sozialisten und 20 zum Teil auch der Chartisten mitVerachtung beiseite gelegt werden und nur unter den niedern Ständen Leser finden. Strauß’ „Leben Jesu66 wurde ins Englische übersetzt. Kein „respektabler66 Buch¬ händler wollte es drucken; endlich erschien es heftweise, 3 Pence das Heft, und zwar im Verlage eines ganz untergeordneten, aber 25 energischen Antiquars. So ging es mit Übersetzungen von Rousseau, Voltaire, Holbach usw. Byron und Shelley werden fast nur von den untern Ständen gelesen; des letztem Werk dürfte kein „respek¬ tabler66 Mann auf seinem Tische liegen haben, ohne in den schreck¬ lichsten Verruf zu kommen. Es bleibt dabei: selig sind die Armen, 30 denn ihrer ist das Himmelreich, und wie lange wird’s dauern — auch das Reich dieser Welt. Dem Parlament liegt jetzt Sir F. Grahams Bill über die Er¬ ziehung der in Fabriken arbeitenden Kinder vor, wonach die Ar¬ beitszeit derselben beschränkt, der Schulzwang eingeführt und 35 die Hochkirche mit der Aufsicht über die Schulen beschenkt wer¬ den soll. Diese Bill hat natürlich allgemeine Bewegung hervor¬ gerufen und den Parteien wieder Gelegenheit gegeben, ihre Stärke zu messen. Die Whigs wollen die Bill ganz verworfen haben, weil sie die Dissenters von der Jugenderziehung verdrängt und den Fabrikanten durch die Beschränkung der Arbeitszeit der Kinder Verlegenheiten bereitet. Unter den Chartisten und Sozialisten gibt sich dagegen eine bedeutende Zustimmung zu der allgemeinen humanen Tendenz der Bill, mit Ausnahme der auf die Hochkirche bezüglichen Klauseln, kund. Lancashire, der Hauptsitz der Fa- 43
Briefe aus London I 367 briken, ist natürlich auch der Hauptsitz der auf obige Bill bezüg¬ lichen Agitationen. Die Tories sind hier in den Städten durchaus machtlos; ihre desfallsigen Meetings waren auch nicht öffentlich. Die Dissenters versammelten sich erst in Korporationen, um gegen s die Bill zu petitionieren, und ließen dann im Verein mit den libe¬ ralen Fabrikanten Stadtmeetings berufen. Ein solches Stadt¬ meeting wird vom obersten städtischen Beamten berufen, ist ganz öffentlich und jeder Einwohner hat das Recht, zu sprechen. Hier also kann, wenn der Versammlungssaal groß genug ist, nur die 10 stärkste und energischste Partei siegen. Und in allen bis jetzt be¬ rufenen Stadtmeetings haben die Chartisten und Sozialisten ge¬ siegt. Das erste war in Stockport, wo die Resolutionen der Whigs nur eine Stimme, die der Chartisten das ganze Meeting für sich hatten, und so der whiggische Mayor von Stockport als Präsident 15 des Meetings genötigt war, eine chartistische Petition zu unter¬ schreiben und an ein chartistisches Parlamentsmitglied (Dun¬ combe) zur Überreichung einzusenden. Das zweite war in Salford, einer Art Vorstadt von Manchester mit etwa 100000 Einwohnern; ich war dort. Die Whigs hatten alle Vorkehrungen getroffen, um so sich den Sieg zu verschaffen; der Boroughreeve nahm den Präsi¬ dentenstuhl ein und sprach viel von Unparteilichkeit; als aber ein Chartist fragte, ob Diskussion erlaubt sei, erhielt er zur Antwort: ja, wenn das Meeting vorüber sei! Die erste Resolution sollte durchgeschmuggelt werden, aber die Chartisten waren auf ihrer 25 Hut und vereitelten es. Als ein Chartist die Plattform bestieg, kam ein dissentierender Geistlicher und wollte ihn herunterwerfen! Alles ging indes noch gut, bis zuletzt, als eine Petition im Sinne der Whigs vorgeschlagen wurde. Da trat ein Chartist auf und schlug ein Amendement vor; alsbald stand der Präsident und sein ganzer 30 Whigschweif auf und verließ den Saal. Das Meeting wurde nichts¬ destoweniger fortgesetzt und die chartistische Petition zur Ab¬ stimmung gebracht; aber gerade im rechten Augenblick machten die Polizeibeamten, die sich schon mehrere Male zugunsten der Whigs ins Mittel gelegt hatten, die Lichter aus und zwangen das 35 Meeting, sich zu trennen. Nichtsdestoweniger ließen die Whigs in der nächsten Lokalzeitung ihre sämtlichen Resolutionen als durch¬ gegangen einrücken und der Boroughreeve war ehrlos genug, seinen Namen „in Vertretung und auf Befehl des Meetings66 zu unter¬ zeichnen! Das ist Whigrechtlichkeit! Das dritte Meeting war zwei 40 Tage später in Manchester, und hier trugen die radikalen Parteien gleichfalls den glänzendsten Sieg davon. Obwohl die Stunde so ge¬ wählt war, daß die meisten Fabrikarbeiter nicht anwesend sein konnten, war doch eine bedeutende Majorität von Chartisten und Sozialisten im Saal. Die Whigs beschränkten sich rein auf die 45 Punkte, welche ihnen mit den Chartisten gemeinsam waren; ein
368 London und Manchester 1842—1844. Briefe aus England Sozialist und ein Chartist sprachen von der Plattform und gaben den Whigs das Zeugnis, daß sie sich heute als gute Chartisten auf¬ geführt hätten. Der Sozialist sagte ihnen geradezu, daß er her¬ gekommen sei, um Opposition zu machen, wenn er die geringste Gelegenheit finde, aber es sei alles nach seinen Wünschen ge- 5 gangen. So ist es also dahin gekommen, daß Lancashire, und namentlich Manchester, der Sitz des Whiggismus, der Zentralpunkt der Anti-Komgesetz-Ligue, eine glänzende Majorität zugunsten der radikalen Demokratie aufzuweisen hat, und die Macht der „Libe¬ ralen“ dadurch komplett im Schach gehalten wird. 10 II. [Schweiz. Republ. 23. Mai 1843. Nr. 41, p. 185] Die Augsburger Allgemeine Zeitung hat einen liberalen Korre¬ spondenten (*) in London, der den Whigumtrieben in entsetzlich langen und langweiligen Artikeln das Wort redet. „Die Anti- n Korngesetz-Ligue ist jetzt die Macht des Landes“, sagt dies Orakel und spricht damit die größte Lüge aus, die je von einem Partei¬ korrespondenten gesagt ist. Die Ligue die Macht des Landes! Wo steckt diese Macht? Im Ministerium? Da sitzen ja Peel und Graham und Gladstone, die ärgsten Feinde der Ligue. Im Parlament? Da 20 wird jeder ihrer Anträge mit einer Majorität verworfen, die ihres¬ gleichen in den englischen Parlamentsannalen selten hat. Wo steckt diese Macht? Im Publikum, in der Nation? Die Frage kann nur so ein gedankenloser, flatterhafter Korrespondent bejahen, dem Drury-Lane das Publikum und eine zusammengetrompetete Ver- 25 Sammlung die öffentliche Meinung ist. Wenn dieser weise Korre¬ spondent schon so blind ist, daß er am hellen Tage nicht sehen kann, wie dies das Erbteil der Whigs ist, so will ich ihm sagen, wie es mit der Macht der Ligue steht. Von den Tories ist sie aus dem Ministerium und aus dem Parlament, von den Chartisten aus der 30 öffentlichen Meinung gejagt worden. Feargus O’Connor hat sie in allen Städten Englands im Triumph vor sich hergetrieben, hat sie überall zu einer öffentlichen Diskussion auf gefordert, und die Ligue hat den Handschuh nie aufgenommen. Die Ligue kann kein einziges öffentliches Meeting berufen, ohne aufs schmählichste von 35 den Chartisten geschlagen zu werden. Oder weiß der Augsburger Korrespondent nicht, daß die pomphaften Meetings in Manchester im Januar und jetzt die Zusammenkünfte im Londoner Drury- Lane-Theater, wo sich die liberalen Gentlemen gegenseitig etwas vorlügen und sich über ihre innere Haltlosigkeit zu täuschen 40 suchen — daß das alles „übertünchte Gräber“ sind? Wer wird zu diesen Versammlungen zugelassen? Nur die Mitglieder der Ligue oder solche, denen die Ligue Billetts
Briefe aus London II 369 erteilt. Da kann also keine Gegenpartei die Chance einer er¬ folgreichen Opposition haben, und deshalb bewirbt sich auch keiner um Billetts; wenn auch noch so viel List angewandt würde, so könnte sie doch keine hundert ihrer Anhänger hineinschmuggeln. 5 Solche Meetings, die dann nachher „öffentliche66 genannt werden, hält die Ligue schon seit Jahren und gratuliert sich darin selbst über ihre „Fortschritte66. Es steht der Ligue dann auch sehr wohl an, in diesen „öffentlichen66 Billettversammlungen über das „Ge¬ spenst des Chartismus66 zu schimpfen, besonders da sie weiß, daß 10 O’Connor, Duncombe, Cooper usw. diese Angriffe in wirklich öffentlichen Meetings redlich erwidern. Die Chartisten haben bis jetzt noch jedes öffentliche Meeting der Ligue mit glänzender Ma¬ jorität gesprengt, aber die Ligue hat noch nie ein chartistisches Meeting beunruhigen können. Daher der Haß der Ligue gegen in die Chartisten, daher das Geschrei über „Störung66 eines Meetings durch Chartisten — d. h. Auflehnung der Majorität gegen die Mi¬ norität, die von der Plattform aus jene zu ihren Zwecken zu be¬ nutzen sucht. Wo ist denn die Macht der Ligue? — In ihrer Ein¬ bildung und — in ihrem Geldbeutel. Die Ligue ist reich, sie hofft 2o durch Abschaffung der Komgesetze eine gute Handelsperiode herbeizuzaubem, und wirft daher mit der Wurst nach dem Schin¬ ken. Ihre Subskriptionen tragen bedeutende Massen Geld ein, und damit werden alle die pomphaften Versammlungen und der übrige Schein und Flitterstaat aufgebracht. Aber hinter all dem gleißen- 25 den Exterieur steckt gar nichts Reelles. Die „National-Charter- Association66, die Verbindung der Chartisten, ist an Mitgliederzahl stärker, und es wird sich bald zeigen, daß sie auch mehr Geldmittel aufbringen kann, obwohl sie nur aus armen Arbeitern besteht, während die Ligue alle reichen Fabrikanten und Kaufleute in ihren 30 Reihen zählt. Und das aus dem Grunde, weil die chartistische Asso¬ ziation ihre Gelder zwar pfennigweise, aber von fast jedem ihrer Mitglieder erhält, während bei der Ligue zwar bedeutende Sum¬ men, aber nur von einzelnen beigetragen werden. Die Chartisten können mit Leichtigkeit jede Woche eine Million Pence 35 auf bringen — es fragt sich sehr, ob die Ligue das durchhalten könnte. Die Ligue hat eine Kontribution von 50 000 Pfund Sterling ausgeschrieben und etwa 70000 erhalten; Feargus O’Connor wird nächstens für ein Projekt 125000 Pfund Sterling und viel¬ leicht bald darauf wieder ebensoviel ausschreiben — er erhält sie, 4o das ist gewiß — und was will dann die Ligue mit ihren „großen Fonds66? Weshalb die Chartisten Opposition gegen die Ligue machen, darüber ein andermal. Jetzt nur noch die eine Bemerkung, daß *) Macht jährlich 1 787 500 fl. Rhein., was nach unsern festländischen Begriffen von armen Leuten kaum glaublich scheint. Die Red. Marx-Engels*Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 24
370 London und Manchester 1842—1844. Briefe aus England die Anstrengungen und Arbeiten der Ligue eine gute Seite haben. Dies ist die Bewegung, die durch die Antikomgesetz-Agitation in eine bisher total stabile Klasse der Gesellschaft gebracht wird — in die ackerbauende Bevölkerung. Bisher hatte diese gar kein öffentliches Interesse; abhängig vom Grundbesitzer, der den Pacht- s kontrakt jedes Jahr kündigen kann, phlegmatisch, unwissend, schickten die Farmers jahraus jahrein lauter Tories ins Parlament, 251 aus 658 Mitgliedern des Unterhauses — und dies war bisher die starke Basis der reaktionären Partei. Wenn ein einzelner Far¬ mer sich gegen diese erbliche Stimmgebung auf lehnen wollte, fand io er keine Unterstützung bei seinesgleichen und konnte vom Grund¬ besitzer mit Leichtigkeit abgedankt werden. Jetzt indes gibt sich eine ziemliche Regsamkeit unter dieser Klasse der Bevölkerung kund, es existieren schon liberale Farmers, und es gibt Leute unter ihnen, welche einsehen, daß das Interesse des Grundbesitzers und 15 das des Pächters in sehr vielen Fällen sich gerade entgegenstehen. Vor drei Jahren hätte namentlich im eigentlichen^ England kein Mensch einem Pächter das sagen dürfen, ohne entweder ausgelachi oder gar geprügelt zu werden. Unter dieser Klasse wird die Arbeit der Ligue Früchte tragen, aber ganz gewiß andere als sie erwartet; 20 denn wenn es wahrscheinlich ist, daß die Masse der Pächter den Whigs allmählich zugeht, so ist es noch viel wahrscheinlicher, daß die Masse der ackerbauenden Taglöhner auf die Seite der Char¬ tisten geworfen wird. Eins ohne das andere ist unmöglich, und so wird die Ligue auch hier nur einen schwachen Ersatz bekommen 25 für den entschiedenen und totalen Abfall der arbeitenden Klasse, den sie in den Städten und Fabrikbezirken seit fünf Jahren durch den Chartismus erlitten hat. Das Reich des Justemilieus ist vor¬ über, und „die Macht des Landes66 hat sich auf die Extreme ver¬ teilt. Ich aber frage nach diesen unleugbaren Tatsachen den Herm 30 Korrespondenten der Allgemeinen Zeitung von Augsburg, wo „die Macht der Ligue66 steckt? III [Schweiz. Republ. 9. Juni 1843. Nr. 46, p. 216-217] Die englischen Sozialisten sind weit grundsätzlicher und prak- 35 tischer als die französischen, was besonders davon herrührt, daß sie in offenem Kampfe mit den verschiedenen Kirchen sind und von der Religion nichts wissen wollen. In den größern Städten nämlich halten sie gewöhnlich eine Hall (Versammlungshaus), wo sie alle Sonntage Reden anhören, häufig sind dieselben pole- 40 misch gegen das Christentum und atheistisch, oft aber beschlagen sie auch eine, das Leben der Arbeiter berührende Seite; von ihren 1) Im „Schweizerischen Republikaner“ in eigentlich
Briefe aus London III 371 Lektiirers (Predigern) scheint mir Watts in Manchester jedenfalls ein bedeutender Mann zu sein, welcher mit vielem Talente einige Broschüren über die Existenz Gottes und über die National¬ ökonomie geschrieben hat. Die Lektürers haben eine sehr gute 5 Manier zu räsonnieren; alles geht von der Erfahrung und von be¬ weisbaren oder anschaulichen Tatsachen aus, dabei aber findet eine so grundsätzliche Durchführung statt, daß es schwer hält, auf ihrem gewählten Boden mit ihnen zu kämpfen. Will man aber ein anderes Terrain nehmen, so verlachen sie einen ins Gesicht; ich 10 sage z. B. : die Existenz Gottes ist nicht vom Beweise aus Tatsachen für den Menschen abhängig, da entgegnen sie: „Wie lächerlich ist Ihr Satz: wenn er nicht durch Tatsachen sich manifestiert, was wollen wir uns auch um ihn bekümmern: aus Ihrem Satze folgt gerade, daß die Existenz Gottes oder die Nichtexistenz den Men- 15 sehen gleichgültig sein kann. Da wir nun für so tausend andere Dinge zu sorgen haben, so lassen wir Ihnen den lieben Gott hinter den Wolken, wo er vielleicht existiert, vielleicht auch nicht. Was wir nicht durch Tatsachen wissen, das geht uns gar nichts an; wir halten uns auf dem Boden ,der schönen Fakten6, wo von solchen 2o Phantasiestücken wie Gott und Religiosa keine Rede sein kann.66 So stützen sie ihre übrigen kommunistischen Sätze auf den Beweis von Tatsachen, bei deren Annahme sie in der Tat vorsichtig sind. Die Hartnäckigkeit dieser Leute ist unbeschreiblich, und wie die Geistlichen sie herumkriegen wollen, weiß der liebe Himmel. In 25 Manchester z. B. zählt die Kommunisten-Gemeinde 8000 erklärte für die Hall eingeschriebene und an derselben bezahlende Mitglie¬ der, und es ist keine Übertreibung, wenn behauptet wird, die Hälfte der arbeitenden Klassen in Manchester teilen ihre Ansichten über das Eigentum; denn wenn der Watts von der Plattform (bei den so Kommunisten, was die Kanzel bei den Christen) sagt: heute geh’ ich an dies oder jenes Meeting, so kann man darauf rechnen, daß die Motion, welche der Lektürer bringt, die Mehrheit hat. Es gibt aber auch unter den Sozialisten Theoretiker, oder, wie die Kommunisten sie nennen, ganze Atheisten, während jene 35 die praktischen heißen; von diesen Theoretikern ist der be¬ rühmteste Charles Southwell in Bristol, der eine streitfertige Zeit¬ schrift: „Das Orakel derVemunft66 herausgab und dafür mit einem Jahr Gefängnis und einer Buße von etwa 100 Pfund gestraft wurde: natürlich ist dieselbe schnell durch Subskriptionen gedeckt io worden ; wie denn jeder Engländer seine Zeitung hält, seinen Führern die Buße tragen hilft, an seine Kapelle oder Hall zahlt, an seine Meeting geht. Charles Southwell aber sitzt schon wie¬ der; es mußte nämlich die Hall in Bristol verkauft werden, weil nicht so viele Sozialisten in Bristol und darunter wenig Reiche sind, 45 während dem eine solche Hall ein ziemlich kostspieliges Ding ist. 24*
372 London und Manchester 1842—1844. Briefe aus England Dieselbe wurde von einer christlichen Sekte gekauft und in eine Kapelle umgewandelt. Als die Hall zur Kapelle geweiht wurde, drangen die Sozialisten und Chartisten hinein, um die Sache mit anzusehen und zu hören. Als nun aber der Geistliche anfing Gott zu loben, daß all das ruchlose Zeug ein Ende genommen habe, daß 5 nun da, wo Gott sonst gelästert wurde, der Allmächtige nun ge¬ priesen werde, hielten sie es für einen Angriff, und da nach eng¬ lischen Begriffen jeder Angriff eine Abwehr heischt, schrien sie: Southwell, Southwell! Southwell soll dagegen Rede halten! South¬ well also macht sich auf und beginnt eine Rede: jetzt aber stellen io sich die Geistlichen der christlichen Sekte an die Spitze ihrer in Kolonnen gestellten Pfarrkinder und stürmen auf Southwell los, andere der Sekte holen Polizei, da der Southwell den christlichen Gottesdienst gestört habe: die Geistlichen packen ihn mit eigenen Fäusten, schlagen ihn (was in solchen Fällen häufig geschieht) is und übergeben ihn einem Polizeimann. Southwell selbst befahl seinen Anhängern, keinen leiblichen Widerstand zu machen: als er weggeführt wurde, folgten ihm bei 6000 Mann mit Hurrarufen und Lebehoch. Der Stifter der Sozialisten Owen schreibt in seinen vielen 20 Büchlein wie ein deutscher Philosoph, d. h. sehr schlecht, doch hat er zuweilen lichte Augenblicke, wo er seine dunkeln Sätze genie߬ bar macht: seine Ansichten sind übrigens umfassend. Nach Owen sind „Ehe, Religion und Eigentum die einzigen Ursachen alles Un¬ glücks, was seit Anfang der Welt existiert hat66 (!!), alle seine 25 Schriften wimmeln von Wutausbrüchen gegen die Theologen, die Juristen und Mediziner, welche er in einen Topf wirft. „Die Ge- schwornengerichte werden aus einer Klasse Leuten besetzt, welche noch ganz theologisch, also Partei ist; auch die Gesetze sind theologisch und müssen deswegen samt dem Jury abgeschafft 30 werden.“ Während die englische Hochkirche praßte, haben die Sozialisten für die Bildung der arbeitenden Klassen in England unglaublich viel getan; man kann sich anfänglich nicht genug wundem, wenn man die gemeinsten Arbeiter in der Hall of Science über den poli- 35 tischen, den religiösen und sozialen Zustand mit klarem Bewußt¬ sein sprechen hört; aber wenn man die merkwürdigen Volks¬ schriften auf spürt, wenn man die Lektürers der Sozialisten, z. B. den Watts in Manchester hört, so nimmt es einen nicht mehr wunder. Die Arbeiter besitzen gegenwärtig in sauberen wohlfeilen Aus- 40 gaben die Übersetzungen der französischen Philosophie des ver¬ flossenen Jahrhunderts, am meisten den Contrat social von Rous¬ seau, das Système de la Nature und verschiedene Werke von Vol¬ taire, außerdem in Pfennig- und Zweipfennigbroschüren und Jour¬ nalen die Auseinandersetzung der kommunistischen Grundsätze; 45
Briefe aus London III 373 ebenso sind die Ausgaben von Thomas Paine und Shelleys Schriften zu billigem Preise in den Händen der Arbeiter. Dazu kommen noch die sonntäglichen Vorlesungen, welche sehr fleißig besucht werden; so sah ich bei meiner Anwesenheit in Manchester 5 die Kommunisten-Hall, welche etwa 3000 Menschen faßt, jeden Sonntag gedrängt voll und hörte da Reden, welche unmittelbare Wirkung haben, in welchen dem Volke auf den Leib geredet wird, auch Witze gegen die Geistlichen vorkommen. Daß das Christen¬ tum geradezu angegriffen wird, daß die Christen als „unsere 10 Feinde“ bezeichnet werden, kommt oft vor. Die Formen dieser Zusammenkünfte gleichen zum Teil den kirchlichen; ein Sängerchor, von einem Orchester begleitet, singt auf der Galerie die sozialen Hymnen, es sind halb und ganz geist¬ liche Melodien mit kommunistischen Texten, wobei die Zuhörer 15 stehen. Dann tritt ein Vorleser auf die Plattform, auf welcher ein Pult und Stühle stehen, ganz ungeniert mit dem Hut auf dem Kopf, macht mit dem Hutlüften den Anwesenden seinen Gruß und zieht den Überrock aus; dann setzt er sich und hält seinen Vortrag, wo¬ bei gewöhnlich viel gelacht wird, da der englische Witz im sprudeln- 2o den Humor sich in diesen Reden Luft macht: in der einen Ecke der Hall ist ein Bücher- und Broschürenladen, in der andern eine Bude mit Orangen und andern Erfrischungen, wo jeder seine dahin ein¬ schlagenden Bedürfnisse befriedigen oder, wenn ihn die Rede lang¬ weilen sollte, sich ihr entziehen kann. Zuweilen werden Sonntag 25 abends da Teepartieen gegeben, wo alle Alter, Stände und Ge¬ schlechter unter einander sitzend das gewöhnliche Abendessen, Tee mit Butterbrot zu sich nehmen; an Werktagen werden oft Bälle und Konzerte in der Hall auf geführt, wo man sich recht lustig macht; ebenso ist noch ein Kaffee in der Halle. so Wie kommt es, daß man diesen ganzen Kram duldet? Aber ein¬ mal haben die Kommunisten sich unter dem Whigministerium eine Parlamentsakte verschafft und sich überhaupt damals so festge¬ setzt, daß man ihnen jetzt als Korporation nichts mehr tun kann. Zweitens würde man den hervorragenden Einzelnen sehr gerne zu 35 Leib gehen, aber man weiß, daß dies nur zum Vorteil der Sozia¬ listen ausschlüge, indem es die öffentliche Aufmerksamkeit auf sie lenkt, wonach sie streben. Gäbe es Märtyrer für ihre Sache (und wie viele wären alle Augenblicke dazu bereit), so entstände Agita¬ tion; Agitation aber ist das Mittel, ihre Sache noch mehr zu ver- 4o breiten, während jetzt ein großer Teil des Volkes sie übersieht, in¬ dem es sie für eine Sekte wie eine andere hält; Gegenmaßregeln, wußten die Whigs sehr wohl, wirken kräftiger für eine Sache als Selbstagitation, daher gaben sie ihnen Existenz und eine Form; jede Form aber ist bindend. Die Tories schlagen hingegen etwa los, 45 wenn die atheistischen Schriften zu arg ausfallen; aber jedesmal
374 London und Manchester 1842—1844. Briefe aus England zum Nutzen der Kommunisten; im Dezember 1840 wurden South¬ well und andere wegen Blasphemie gestraft; gleich erschienen drei neue Zeitschriften, eine „Der Atheist66, die andere „Der Atheist und der Republikaner66, die dritte, von dem Lektiirer Watts heraus¬ gegeben: „Der Gotteslästerer66. Einige Nummern des Gottes- 5 lästerers haben großes Aufsehen erregt, und man studierte um¬ sonst darauf, wie man diese Richtung unterdrücken könnte. Man ließ sie gehen, und siehe da, alle drei Blätter gingen wieder ein! Drittens retten sich die Sozialisten wie alle die andern Parteien durch Gesetzumgehen und Wortklauben, was hier an der Tages- io Ordnung ist. So ist hier alles Leben und Zusammenhang, fester Boden und Tat, so nimmt hier alles äußere Gestalt an: während wir glauben etwas zu wissen, wenn wir die matte Elendigkeit des Steinschen Buches verschlucken, oder etwas zu sein, wenn wir da oder dort is eine Meinung mit Rosenöl verduftet aussprechen. In den Sozialisten sieht man recht deutlich die englische Energie; was mich aber mehr in Erstaunen setzte, war das gutmütige Wesen dieser, fast hätte ich gesagt Kerls, das aber so weit von Schwäche entfernt ist, daß sie über die bloßen Republikaner lachen, da die 20 Republik ebenso heuchlerisch, ebenso theologisch, ebenso gesetz¬ lich ungerecht sein würde, als die Monarchie; für die soziale Reform aber wollen sie, samt Weib und Kindern, Gut und Blut einsetzen. IV [Schweiz. Republ. 27. Juni 1843. Nr. 51, p. 217] Man hört jetzt von nichts als von O’Connell und der irischen Repeal (Aufhebung der Verbindung Irlands mit England). O’Connell, der alte schlaue Advokat, der während der Whigregie¬ rung ruhig im Unterhause saß und „liberale66 Maßregeln durch- so bringen half, damit sie im Oberhause durchfielen, O’Connell hat sich auf einmal aus London und der parlamentarischen Debatte fortgemacht und bringt seine alte Repealfrage wieder auf. Kein Mensch dachte noch daran ; da steigt Old Dan in Dublin ans Land und rührt den alten verjährten Plunder wieder auf. Kein Wunder, ss daß das alte gärende Zeug nun merkwürdige Luftblasen ent¬ wickelt. Da zieht der alte Schlaukopf von Stadt zu Stadt und jedesmal von einer Leibgarde begleitet, wie kein König sie aufzu¬ weisen hat, zweimalhunderttausend Mann immer um sich! Was könnte damit alles getan werden, wenn ein vernünftiger Mensch 40 die Popularität O’Connells, oder O’Connell ein wenig mehr Ein¬ sicht und etwas weniger Egoismus und Eitelkeit besäße! Zweimal¬ hunderttausend Mann; und was für Leute! — Leute, die keinen
Briefe aus London IV 375 Pfennig zu verlieren, die zu zwei Dritteln keinen ganzen Rock am Leibe haben, echte Proletarier und Sansculotten, und dazu Ir¬ länder, wilde, unbändige, fanatische Gälen. Wer die Irländer nicht gesehen hat, der kennt sie nicht. Gebt mir zweimalhunderttausend 5 Irländer und ich werfe die ganze britische Monarchie über den Haufen. Der Irländer ist ein sorgloses, heiteres, kartoffelessendes Naturkind. Von der Heide, auf der er unter einem schlechten Dach, bei dünnem Tee und schmaler Kost herangewachsen ist, wird er in unsere Zivilisation hineingerissen. Der Hunger treibt ihn nach 10 England. In dem mechanischen, egoistischen, eisig-kalten Getriebe der englischen Fabrikstädte erwachen seine Leidenschaften. Was weiß der rohe Junge, dessen Jugend auf der Heide spielend und auf der Landstraße bettelnd verbracht wurde, von Sparsamkeit? Was er verdient, wird verjubelt; dann hungert er bis zum nächsten is Zahltag oder bis er wieder Arbeit findet. Das Hungern ist er so ge¬ wöhnt. So kehrt er zurück, sucht sich seine Familie von der Land¬ straße zusammen, wo sie sich zum Betteln zerstreute und zuweilen wieder um denTeekessel sammelte, den die Mutter mit sich führte. Aber er hat in England viel gesehen, öffentliche Meetings und Ar- 2o beitervereine besucht, er weiß, was Repeal ist und was es mit Sir Robert Peel auf sich hat, er hat sich mit der Polizei ganz gewiß sehr oft herumgeschlagen und weiß von der Hartherzigkeit und Schänd¬ lichkeit der „Peelers“ (Polizeidiener) viel zu erzählen. Auch von Daniel O’Connell hat er viel gehört. Jetzt sucht er sich sein altes 25 Haus mit einem Stück Kartoffelland wieder auf. Die Kartoffeln sind reif geworden, er macht sie aus und hat nun für den Winter zu leben. Da kommt der Oberpächter und fragt nach der Pacht. Ja du lieber Gott, wo ist Geld? Der Oberpächter ist dem Grund¬ herrn für die Pacht verantwortlich, er läßt also pfänden. Der Ir- 30 länder widersetzt sich und wird eingesteckt. Man läßt ihn am Ende wieder laufen, und bald darauf findet man den Oberpächter oder sonst jemand, der sich bei der Pfändung beteiligte, im Graben erschlagen. Das ist eine Geschichte aus dem Leben der irischen Proletarier, 35 wie sie alle Tage passiert. Die halbwilde Erziehung und die später ganz zivilisierte Umgebung bringen den Irländer in einen Wider¬ spruch mit sich selbst, in eine stete Gereiztheit, in eine stets in¬ wendig fortglimmende Wut, die ihn zu allem fähig machen. Dazu liegt die Last einer fünfhundertjährigen Unterdrückung mit allen 4o ihren Folgen auf ihm. Was Wunder, daß er da, wie jeder Halb¬ wilde, bei jeder Gelegenheit blind und wütend dreinschlägt, daß ein ewiger Rachedrang, eine Wut des Zerstörens, in seinen Augen brennt, der es ganz gleichgültig ist, wogegen sie sich äußert, wenn sie nur dreinschlagen, nur zerstören kann? Das aber ist noch nicht 45 alles. Wütender Nationalhaß desGälen gegen den Sachsen, altkatho-
376 London und Manchester 1842—1844. Briefe aus England lischer,von den Priestern genährter Fanatismus gegen den protestan¬ tisch-episkopalen Hochmut—mit solchen Elementen läßt sich alles durchsetzen. Und alle diese Elemente sind in O’Connells Hand. Und über welche Massen hat er zu verfügen! Vorgestern in Cork — 150 000 Mann; gestern in Nenaph — 200000 Mann; heute in s Kilkenny — 400 000 Mann, so geht das durch. Ein Triumphzug von vierzehn Tagen, ein Triumphzug, wie kein römischer Impera¬ tor ihn hielt. Und wollte O’Connell wirklich das Beste des Volks, wäre es ihm um die Wegschaffung des Elends wirklich zu tun — wären es nicht seine elenden kleinlichen Justemilieuzwecke, die io hinter all dem Lärmen, der Agitation der Repeal stecken, wahrlich ich möchte wissen, was ihm Sir Robert Peel verweigern dürfte, wenn er es an der Spitze einer solchen Macht forderte, wie er sie jetzt hat. Aber was richtet er aus mit all seiner Macht und seinen Millionen waffenfähiger, verzweifelter Irländer? Nicht einmal die h elende Repeal der Union kann er durchsetzen; natürlich, bloß weil es ihm kein Emst damit ist, weil er das ausgesogene, zerdrückte irische Volk dazu mißbraucht, den Toryministem Verlegenheit zu bereiten und seine Justemilieufreunde wieder ins Amt zu bringen. Das weiß auch Sir Robert Peel gut genug, und darum reichen 20 25 000 Mann Soldaten hin, ganz Irland im Zaum zu halten. Wenn O’Connell wirklich der Mann des Volks wäre, wenn er Mut genug besäße, und sich nicht selbst vor dem Volke fürchtete, d. h. wenn er kein doppelzüngiger Whig, sondern ein gerader kon¬ sequenter Demokrat wäre, so wäre längst kein englischer Soldat 25 mehr in Irland, kein protestantischer faulenzender Pfaff in rein ka¬ tholischen Bezirken, kein altnormännischer Baron in seinem Schloß. Aber da liegt der Haken. Wenn das Volk für einen Augenblick losgelassen wäre, so würden Daniel O’Connell und seine Geld¬ aristokraten bald ebenso aufs Trockene gesetzt werden, wie er die 30 Tories aufs Trockene setzen will. Darum schließt sich Daniel so eng an die katholische Geistlichkeit, darum warnt er seine Irländer vor dem gefährlichen Sozialismus, darum weist er die angebotene Unterstützung der Chartisten zurück, obwohl er zum Schein hie und da von Demokratie spricht, wie Louis Philipp einst von den 35 republikanischen Institutionen, und darum wird er es nie zu etwas bringen, als zu einer politischen Heranbildung des irischen Volks, die am Ende für niemanden gefährlicher ist als für ihn selbst.
Aus: DEUTSCH-FRANZÖSISCHE JAHRBÜCHER Paris 1844
Umrisse zu einer Kritik der National¬ ökonomie 379—404 Geschrieben gegen Ende 1843 DieLageEnglands 405—431 Geschrieben im Januar 1844 Erschienen in: Deutsch-Französische Jahrbücher, herausgegeben von Arnold Ruge und Karl Marx. Iste und 2te Lieferung. Paris. Im Bureau der Jahrbücher. Au Bureau des Annales. Rue Van¬ neau, 22. 1844. p. 86-114 und 152-181.
UMRISSE ZU EINER KRITIK DER NATIONALOEKONOMIE von 5 Friedrich Engels in Manchester Die Nationalökonomie entstand als eine natürliche Folge der Ausdehnung des Handels, und mit ihr trat an die Stelle des ein¬ fachen, unwissenschaftlichen Schachers ein ausgebildetes System des erlaubten Betrugs, eine komplette Bereicherungswirtschaft. 10 Diese aus dem gegenseitigen Neid und der Habgier der Kauf¬ leute entstandene Nationalökonomie oder Bereicherungswissen¬ schaft trägt das Gepräge der ekelhaftesten Selbstsucht auf der Stirne. Man lebte noch in der naiven Anschauung, daß Gold und Silber der Reichtum sei, und hatte also nichts Eiligeres zu tun, is als überall die Ausfuhr der „edlen66 Metalle zu verbieten. Die Nationen standen sich gegenüber wie Geizhälse, deren jeder seinen teuren Geldsack mit beiden Armen umschließt und mit Neid und Argwohn auf seine Nachbarn blickt. Alle Mittel wurden aufge¬ boten, um den Völkern, mit denen man im Handelsverkehr stand, 20 so viel bares Geld wie möglich abzulocken und das glücklich Her¬ eingebrachte hübsch innerhalb der Mautlinie zu behalten. Die konsequenteste Durchführung dieses Prinzips hätte den Handel getötet. Man fing also an, diese erste Stufe zu über¬ schreiten; man sah ein, daß das Kapital im Kasten tot da liegt, 25 während es in der Zirkulation sich stets vermehrt. Man wurde also menschenfreundlicher, man schickte seine Dukaten als Lockvögel aus, damit sie andere mit sich zurückbringen sollten, und erkannte, daß es nichts schadet, wenn man dem A zuviel für seine Ware be¬ zahlt, so lange man sie noch bei B für einen hohem Preis los 30 werden kann. Auf dieser Basis erbaute sich das Merkantilsystem. Der hab¬ gierige Charakter des Handels wurde schon etwas versteckt; die Nationen rückten sich etwas näher, sie schlossen Handels- und Freundschaftstraktate, sie machten gegenseitig Geschäfte und taten 35 einander, um des größern Gewinns willen, alles mögliche Liebe und Gute an. Aber im Grunde war es doch die alte Geldgier und Selbstsucht, und diese brach von Zeit zu Zeit in den Kriegen aus, die in jener Periode alle auf Handelseifersucht beruhten. In diesen
380 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern Kriegen zeigte es sich auch, daß der Handel, wie der Raub, auf dem Faustrecht beruhe; man machte sich gar kein Gewissen daraus, durch List oder Gewalt solche Traktate zu erpressen, wie man sie für die günstigsten hielt. Der Hauptpunkt im ganzen Merkantilsystem ist die Theorie von * der Handelsbilanz. Da man nämlich noch immer an dem Satz fest¬ hielt, daß Gold und Silber der Reichtum sei, so hielt man nur die Geschäfte für vorteilbringend, die am Ende bares Geld ins Land brächten. Um dies ausfindig zu machen, verglich man die Aus¬ fuhr und Einfuhr. Hatte man mehr aus- als eingeführt, so glaubte 10 man, daß die Differenz in barem Gelde ins Land gekommen sei, und hielt sich um diese Differenz reicher. Die Kunst der Ökonomen bestand also darin, dafür zu sorgen, daß am Ende jedes Jahres die Ausfuhr eine günstige Bilanz gegen die Einfuhr gebe; und um dieser lächerlichen Illusion willen sind Tausende von Menschen is geschlachtet worden! Der Handel hat auch seine Kreuzzüge und seine Inquisition aufzuweisen. Das achtzehnte Jahrhundert, das Jahrhundert der Revolution, revolutionierte auch die Ökonomie; aber wie alle Revolutionen dieses Jahrhunderts einseitig waren und im Gegensatz stecken 20 blieben, wie dem abstrakten Spiritualismus der abstrakte Mate¬ rialismus, der Monarchie die Republik, dem göttlichen Recht der soziale Kontrakt entgegengesetzt wurde, so kam auch die ökono¬ mische Revolution nicht über den Gegensatz hinaus. Die Voraus¬ setzungen blieben überall bestehen; der Materialismus griff die 25 christliche Verachtung und Erniedrigung des Menschen nicht an und stellte nur statt des christlichen Gottes die Natur dem Menschen als Absolutes gegenüber; die Politik dachte nicht daran; die Vor¬ aussetzungen des Staates an und für sich zu prüfen; die Ökonomie ließ sich nicht einfallen, nach der Berechtigung des Privateigen- 30 tums zu fragen. Darum war die neue Ökonomie nur ein halber Fort¬ schritt; sie war genötigt, ihre eigenen Voraussetzungen zu verraten und zu verleugnen, Sophistik und Heuchelei zu Hülfe zu nehmen, um die Widersprüche, in die sie sich verwickelte, zu verdecken, um zu den Schlüssen zu kommen, zu denen sie nicht durch ihre Vor- 35 aussetzungen, sondern durch den humanen Geist des Jahrhunderts getrieben wurde. So nahm die Ökonomie einen menschenfreund¬ lichen Charakter an; sie entzog ihre Gunst den Produzenten und wandte sie den Konsumenten zu; sie affektierte einen heiligen Ab¬ scheu gegen die blutigen Schrecken des Merkantilsystems und er- 40 klärte den Handel für ein Band der Freundschaft und Einigung zwischen Nationen wie zwischen Individuen. Es war alles lauter Pracht und Herrlichkeit — aber die Voraussetzungen machten sich bald genug wieder geltend und erzeugten im Gegensatz zu dieser gleißenden Philanthropie die Malthussche Bevölkerungstheorie, 43
Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie 381 das rauhste barbarischste System, das je existierte, ein System der Verzweiflung, das alle jene schönen Redensarten von Menschen¬ liebe und Weltbürgertum zu Boden schlug; sie erzeugten und hoben das Fabriksystem und die moderne Sklaverei, die der alten nichts 5 nachgibt an Unmenschlichkeit und Grausamkeit. Die neue Öko¬ nomie, das auf Adam Smiths Wealth of Nations gegründete System der Handelsfreiheit, erweist sich als dieselbe Heuchelei, Inkon¬ sequenz und Unsittlichkeit, die jetzt auf allen Gebieten der freien Menschlichkeit gegenüber steht. 10 Aber war denn das Smithsche System kein Fortschritt? — Frei¬ lich war es das, und ein notwendiger Fortschritt dazu. Es war not¬ wendig, daß das Merkantilsystem mit seinen Monopolen und Ver¬ kehrshemmungen gestürzt wurde, damit die wahren Folgen des Privateigentums ans Licht treten konnten; es war notwendig, daß 15 alle diese kleinlichen Lokal- und Nationalrücksichten zurücktraten, damit der Kampf unserer Zeit ein allgemeiner, menschlicher wer¬ den konnte; es war notwendig, daß die Theorie des Privateigen¬ tums den rein empirischen, bloß objektiv untersuchenden Pfad ver¬ ließ und einen wissenschaftlicheren Charakter annahm, der sie so auch für die Konsequenzen verantwortlich machte und dadurch die Sache auf ein allgemein menschliches Gebiet herüberführte; daß die in der alten Ökonomie enthaltene Unsittlichkeit durch den Ver¬ such ihrer Wegleugnung und durch die hereingebrachte Heuchelei — eine notwendige Konsequenz dieses Versuches — auf den höch- 25 sten Gipfel gesteigert wurde. Alles dies lag in der Natur der Sache. Wir erkennen gern an, daß wir erst durch die Begründung und Ausführung der Handelsfreiheit in den Stand gesetzt sind, über die Ökonomie des Privateigentums hinauszugehen, aber wir müssen zu gleicher Zeit auch das Recht haben, diese Handelsfreiheit in ihrer so ganzen theoretischen und praktischen Nichtigkeit darzustellen. Unser Urteil wird um so härter werden müssen, je mehr die Ökonomen, die wir zu beurteilen haben, in unsere Zeit hinein¬ fallen. Denn während Smith und Malthus nur einzelne Bruchstücke fertig vorfanden, hatten die Neueren das ganze System vollendet 35 vor sich; die Konsequenzen waren alle gezogen, die Widersprüche traten deutlich genug ans Licht, und doch kamen sie nicht zu einer Prüfung der Prämissen, und doch nahmen sie noch immer die Ver¬ antwortlichkeit für das ganze System auf sich. Je näher die Öko¬ nomen der Gegenwart kommen, desto weiter entfernen sie sich von 40 der Ehrlichkeit. Mit jedem Fortschritt der Zeit steigert sich not¬ wendig die Sophisterei, um die Ökonomie auf der Höhe der Zeit zu erhalten. Darum ist z. B. Ricardo schuldiger als Adam Smith und Mac Cuiloch und Mill schuldiger als Ricardo.
382 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern Die neuere Ökonomie kann nicht einmal das Merkantilsystem richtig beurteilen, weil sie selbst einseitig und noch mit den Vor¬ aussetzungen desselben behaftet ist. Erst der Standpunkt, der sich über den Gegensatz der beiden Systeme erhebt, der die gemein¬ samen Voraussetzungen beider kritisiert und von einer rein mensch- 5 lischen, allgemeinen Basis ausgeht, wird beiden ihre richtige Stel¬ lung anweisen können. Es wird sich zeigen, daß die Verteidiger der Handelsfreiheit schlimmere Monopolisten sind als die alten Mer¬ kantilisten selbst. Es wird sich zeigen, daß hinter der gleißne- rischen Humanität der Neueren eine Barbarei steckt, von der die 10 Alten nichts wußten; daß die Begriffsverwirrung der Alten noch einfach und konsequent ist gegen die doppelzüngige Logik ihrer Angreifer, und daß keine der beiden Parteien der andern etwas vorwerfen könne, was nicht auf sie selbst zurückfällt. — Darum kann auch die neuere liberale Ökonomie die Restauration des is Merkantilsystems durch List nicht begreifen, während die Sache für uns ganz einfach ist. Die Inkonsequenz und Doppelseitigkeit der liberalen Ökonomie muß sich notwendig wieder in ihre Grund¬ bestandteile auf lösen. Wie die Theologie entweder zum blinden Glauben zurück-, oder zur freien Philosophie vorwärtsgehen muß, 20 so muß die Handelsfreiheit auf der einen Seite die Restauration der Monopole, auf der andern die Aufhebung des Privateigentums produzieren. Der einzig positive Fortschritt, den die liberale Ökonomie ge¬ macht hat, ist die Entwicklung der Gesetze des Privateigentums. 25 Diese sind allerdings in ihr enthalten, wenn auch noch nicht bis zur letzten Konsequenz entwickelt und klar ausgesprochen. Hieraus folgt, daß in allen Punkten, wo es auf die Entscheidung über die kürzeste Manier, reich zu werden, ankommt, also in allen strikt- ökonomischen Kontroversen, die Verteidiger der Handelsfreiheit 30 das Recht auf ihrer Seite haben. Wohlverstanden — in Kontro¬ versen mit den Monopolisten, nicht mit den Gegnern des Privat¬ eigentums, denn daß diese imstande sind, in ökonomischen Fragen auch ökonomisch richtiger zu entscheiden, haben die englischen Sozialisten längst praktisch und theoretisch bewiesen. 3s Wir werden also bei der Kritik der Nationalökonomie die Grundkategorien untersuchen, den durch das System der Handels¬ freiheit hineingebrachten Widerspruch enthüllen und die Konse¬ quenzen der beiden Seiten des Widerspruchs ziehen. Der Ausdruck Nationalreichtum ist erst durch Verallgemeine- w rungssucht der liberalen Ökonomen aufgekommen. So lange das Privateigentum besteht, hat dieser Ausdruck keinen Sinn. Der „Nationalreichtum“ der Engländer ist sehr groß, und doch sind sie das ärmste Volk unter der Sonne. Man lasse entweder den Aus-
Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie 383 druck ganz fallen oder man nehme Voraussetzungen an, die ihm einen Sinn geben. Ebenso die Ausdrücke Nationalökonomie, poli¬ tische, öffentliche Ökonomie. Die Wissenschaft sollte unter den jetzigen Verhältnisse Privatökonomie heißen, denn ihre öffent- 5 liehen Beziehungen sind nur um des Privateigentums willen da. Die nächste Folge des Privateigentums ist der Handel, der Aus¬ tausch der gegenseitigen Bedürfnisse, Kauf und Verkauf. Dieser Handel muß unter der Herrschaft des Privateigentums wie jede Tätigkeit eine unmittelbare Erwerbsquelle für den Handeltreiben- 10 den werden; d.h. jeder muß suchen, so teuer wie möglich zu ver¬ kaufen und so billig wie möglich zu kaufen. Bei jedem Kauf und Verkauf stehen sich also zwei Menschen mit absolut entgegen¬ gesetzten Interessen gegenüber; der Konflikt ist entschieden feind¬ selig, denn jeder kennt die Intentionen des andern, weiß, daß sie 15 den seinigen entgegengesetzt sind. Die erste Folge ist also auf der einen Seite gegenseitiges Mißtrauen, auf der andern die Recht¬ fertigung dieses Mißtrauens, die Anwendung unsittlicher Mittel zu Durchsetzung eines unsittlichen Zwecks. So ist z.B. der erste Grund¬ satz im Handel die Verschwiegenheit, Verheimlichung alles dessen, 20 was den Wert des fraglichen Artikels herabsetzen könnte. Die Kon¬ sequenz daraus: es ist im Handel erlaubt, von der Unkenntnis, von dem Vertrauen der Gegenpartei den möglichst großen Nutzen zu ziehen und ebenso, seiner Ware Eigenschaften anzurühmen, die sie nicht besitzt. Mit einem Worte, der Handel ist der legale Betrug. 25 Daß die Praxis mit dieser Theorie übereinstimmt, kann mir jeder Kaufmann, wenn er der Wahrheit die Ehre geben will, bezeugen. Das Merkantilsystem hatte noch eine gewisse unbefangene, ka¬ tholische Geradheit und verdeckte das unsittliche Wesen des Han¬ dels nicht im mindesten. Wir haben gesehen, wie es seine gemeine so Habsucht offen zur Schau trug. Die gegenseitig feindselige Stel¬ lung der Nationen im achtzehnten Jahrhundert, der ekelhafte Neid und die Handelseifersucht waren die konsequenten Folgen des Handels überhaupt. Die öffentliche Meinung war noch nicht huma¬ nisiert, was sollte man also Dinge verstecken, die aus dem un- 35 menschlichen feindseligen Wesen des Handels selbst folgten. Als aber der ökonomische Luther, Adam Smith, die bisherige Ökonomie kritisierte, hatten sich die Sachen sehr geändert. Das Jahrhundert war humanisiert, die Vernunft hatte sich geltend ge¬ macht, die Sittlichkeit fing an, ihr ewiges Recht in Anspruch zu 40 nehmen. Die erpreßten Handelstraktate, die kommerziellen Kriege, die schroffe Isolierung der Nationen stießen zu sehr gegen das fortgeschrittene Bewußtsein an. An die Stelle der katholischen Ge¬ radheit trat protestantische Gleißnerei. Smith bewies, daß auch die Humanität im Wesen des Handels begründet sei; daß der Han¬
384 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern del, anstatt „die fruchtbarste Quelle der Zwietracht und der Feind¬ seligkeit66 zu sein, ein „Band der Einigung und Freundschaft zwi¬ schen den Nationen, wie zwischen Individuen66 (vgl. Wealth of Nations B. 4, c. 3, § 2) werden müsse; es liege ja in der Natur der Sache, daß der Handel im ganzen und großen allen Beteiligten vor- 5 teilhaft sei. Smith hatte recht, wenn er den Handel als human pries. Es gibt nichts absolut Unsittliches in der Welt; auch der Handel hat eine Seite, wo er der Sittlichkeit und Menschlichkeit huldigt. Aber welch eine Huldigung! Das Faustrecht, der platte Straßenraub des Mittel- io alters wurde humanisiert, als er in den Handel, der Handel, als seine erste Stufe, welche sich durch das Verbot der Geldausfuhr charakterisiert, in das Merkantilsystem überging. Jetzt wurde dieses selbst humanisiert. Natürlich ist es im Interesse des Han¬ delnden, mit dem einen, von welchem er wohlfeil kauft, wie mit is dem andern, an welchen er teuer verkauft, sich in gutem Ver¬ nehmen zu halten. Es ist also sehr unklug von einer Nation ge¬ handelt, wenn sie bei ihren Versorgern und Kunden eine feind¬ selige Stimmung nährt. Je freundschaftlicher, desto vorteilhafter. Dies ist die Humanität des Handels, und diese gleißnerische Art, 20 die Sittlichkeit zu unsittlichen Zwecken zu mißbrauchen, ist der Stolz des Systems der Handelsfreiheit. Haben wir nicht die Bar¬ barei der Monopole gestürzt, rufen die Heuchler aus, haben wir nicht die Zivilisation in entfernte Weltteile getragen, haben wir nicht die Völker verbrüdert und die Kriege vermindert? — Ja, das 25 alles habt ihr getan, aber wie habt ihr es getan! Ihr habt die kleinen Monopole vernichtet, um das eine große Grundmonopol, das Eigentum, desto freier und schrankenloser wirken zu lassen; ihr habt die Enden der Erde zivilisiert, um neues Terrain für die Entfaltung eurer niedrigen Habsucht zu gewinnen; ihr habt die 30 Völker verbrüdert, aber zu einer Brüderschaft von Dieben, und die Kriege vermindert, um im Frieden desto mehr zu verdienen, um die Feindschaft der einzelnen, den ehrlosen Krieg der Konkur¬ renz, auf die höchste Spitze zu treiben! — Wo habt ihr etwas aus reiner Humanität, aus dem Bewußtsein der Nichtigkeit des Gegen- 35 satzes zwischen dem allgemeinen und inviduellen Interesse getan? Wo seid ihr sittlich gewesen, ohne interessiert zu sein, ohne unsitt¬ liche, egoistische Motive im Hintergründe zu hegen? Nachdem die liberale Ökonomie ihr Bestes getan hatte, um durch die Auflösung der Nationalitäten die Feindschaft zu verall- 40 gemeinem, die Menschheit in eine Horde reißender Tiere — und was sind Konkurrenten anders? — zu verwandeln, die einander eben deshalb auf fressen, weil jeder mit allen andern gleiches In¬ teresse hat, nach dieser Vorarbeit blieb ihr nur noch ein Schritt zum Ziele übrig, die Auflösung der Familie. Um diese durchzu- 45
Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie 385 setzen, kam ihr ihre eigene schöne Erfindung, das Fabriksystem, zu Hülfe. Die letzte Spur gemeinsamer Interessen, die Güter¬ gemeinschaft der Familie, ist durch das Fabriksystem untergraben und — wenigstens hier in England — bereits in der Auflösung be- 5 griffen. Es ist etwas ganz Alltägliches, daß Kinder, sobald sie arbeitsfähig, d. h. neun Jahre alt werden, ihren Lohn für sich ver¬ wenden, das elterliche Haus als ein bloßes Kosthaus ansehen und den Eltern ein Gewisses für Kost und Wohnung vergüten. Wie kann es anders sein? Was kann anders aus der Isolierung der In- 10 teressen, wie sie dem System der Handelsfreiheit zugrunde liegt, folgen? Ist ein Prinzip einmal in Bewegung gesetzt, so arbeitet es sich von selbst durch alle seine Konsequenzen durch, die Ökonomen mögen Gefallen daran haben oder nicht. Aber der Ökonom weiß selbst nicht, welcher Sache er dient. Er 15 weiß nicht, daß er mit all seinem egoistischen Räsonnement doch nur ein Glied in der Kette des allgemeinen Fortschrittes der Menschheit bildet. Er weiß nicht, daß er mit seiner Auflösung aller Sonderinteressen nur den Weg bahnt für den großen Um¬ schwung, dem das Jahrhundert entgegen geht, der Versöhnung der 2o Menschheit mit der Natur und mit sich selbst. Die nächste durch den Handel bedingte Kategorie ist der Wert. Über diese, sowie über alle andern Kategorien, existiert kein Streit zwischen den älteren und neueren Ökonomen, weil die Monopo¬ listen in ihrer unmittelbaren Wut der Bereicherung keine Zeit übrig 25 hatten, um sich mit Kategorien zu beschäftigen. Alle Streitfragen über derartige Punkte gingen von den Neueren aus. Der Ökonom, der von Gegensätzen lebt, hat natürlich auch einen doppelten Wert; den abstrakten oder realen Wert, und den Tausch¬ wert. Über das Wesen des Realwertes war ein langer Streit zwi- 3o sehen den Engländern, die die Produktionskosten als den Ausdruck des Realwertes bestimmten, und dem Franzosen Say, der diesen Wert nach der Brauchbarkeit einer Sache zu messen vorgab. Der Streit hat seit dem Anfänge dieses Jahrhunderts geschwebt und ist eingeschlafen, nicht entschieden. Die Ökonomen können nichts ent- 35 scheiden. Die Engländer, — Mac Culloch und Ricardo besonders — be¬ haupten also, der abstrakte Wert einer Sache werde durch die Pro¬ duktionskosten bestimmt. Wohlverstanden, der abstrakte Wert, nicht der Tauschwert, der exchangeable value, der Wert im Handel 40 — das sei etwas ganz andres. Weshalb sind die Produktionskosten das Maß des Wertes? Weil — hört, hört! — weil niemand eine Sache, unter gewöhnlichen Umständen und das Verhältnis der Konkurrenz aus dem Spiele gelassen, für weniger verkaufen würde Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 25
386 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern als ihm ihre Produktion kostet, — verkaufen würde? Was haben wir hier, wo es sich nicht um den Handelswert handelt, mit „Ver¬ kaufen“ zu tun? Da haben wir ja gleich wieder den Handel im Spiel, den wir ja gerade herauslassen sollen — und was für einen Handel! einen Handel, wobei die Hauptsache, das Konkurrenz- 5 Verhältnis, nicht in Anschlag kommen soll! Erst einen abstrakten Wert, jetzt auch einen abstrakten Handel, einen Handel ohne Kon¬ kurrenz, d. h. einen Menschen ohne Körper, einen Gedanken ohne Gehirn, um Gedanken zu produzieren. Und bedenkt der Öko¬ nom denn gar nicht, daß, sowie die Konkurrenz aus dem Spiele 10 gelassen wird, gar keine Garantie da ist, daß der Produzent seine Ware gerade zu den Produktionskosten verkauft? Welche Ver¬ wirrung! Weiter! Geben wir für einen Augenblick zu, daß dem allem so sei wie der Ökonom sagt. Angenommen, es machte jemand mit 15 ungeheurer Mühe und enormen Kosten etwas ganz Unnützes, etwas, wonach kein Mensch begehrt, ist das auch die Produktionskosten wert? Ganz und gar nicht, sagt der Ökonom, wer wird das kaufen wollen? Da haben wir also auf einmal nicht nur die verschrieene Saysche Brauchbarkeit, sondern — mit dem „Kaufen“ — das Kon- 20 kurrenzverhältnis daneben. Es ist nicht möglich, der Ökonom kann seine Abstraktion nicht einen Augenblick festhalten. Nicht nur das, was er mit Mühe entfernen will, die Konkurrenz, sondern auch das, was er angreift, die Brauchbarkeit, kommt ihm jeden Augenblick zwischen die Finger. Der abstrakte Wert und seine Bestimmung 25 durch die Produktionskosten sind eben nur Abstraktionen, Undinge. Aber geben wir noch einmal für einen Augenblick dem Öko¬ nomen recht — wie will er uns dann die Produktionskosten be¬ stimmen, ohne die Konkurrenz in Anschlag zu bringen? Wir wer¬ den bei der Untersuchung der Produktionskosten sehen, daß auch ao diese Kategorie auf die Konkurrenz basiert ist, und auch hier wieder zeigt es sich, wie wenig der Ökonom seine Behauptungen durchführen kann. Gehen wir zu Say über, so finden wir dieselbe Abstraktion. Die Brauchbarkeit einer Sache ist etwas rein Subjektives, gar nicht ab- 35 solut zu Entscheidendes — wenigstens so lange man sich noch in Gegensätzen herumtreibt, gewiß nicht zu entscheiden. Nach dieser Theorie müßten notwendige Bedürfnisse mehr Wert besitzen als Luxusartikel. Der einzig mögliche Weg, zu einer einigermaßen objektiven, scheinbar allgemeinen Entscheidung über die größere 40 oder geringere Brauchbarkeit einer Sache zu kommen, ist unter der Herrschaft des Privateigentums das Konkurrenzverhältnis, und das soll ja gerade beiseite gelassen werden. Ist aber das Kon¬ kurrenzverhältnis zugelassen, so kommen auch die Produktions¬ kosten herein ; denn niemand wird für weniger verkaufen, als er 45
Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie 387 selbst bei der Produktion angelegt hat. Auch hier also geht die eine Seite des Gegensatzes wider Willen in die andere über. Versuchen wir, Klarheit in diese Verwirrung zu bringen. Der Wert einer Sache schließt beide Faktoren ein, die von den strei- 5 tenden Parteien mit Gewalt, und wie wir gesehen haben, ohne Er¬ folg getrennt werden. Der Wert ist das Verhältnis der Produktions¬ kosten zur Brauchbarkeit. Die nächste Anwendung des Wertes ist die Entscheidung darüber, ob eine Sache überhaupt produziert wer¬ den soll, d.h. ob die Brauchbarkeit die Produktionskosten auf- 10 wiegt. Dann erst kann von der Anwendung des Wertes für den Tausch die Rede sein. Die Produktionskosten zweier Dinge gleich gesetzt, wird die Brauchbarkeit das entscheidende Moment sein, um ihren vergleichungsmäßigen Wert zu bestimmen. Diese Basis ist die einzig gerechte Basis des Tausches. Geht man 15 aber von derselben aus, wer soll über die Brauchbarkeit der Sache entscheiden? Die bloße Meinung der Beteiligten? So wird jeden¬ falls einer betrogen. Oder eine auf die inhärente Brauchbarkeit der Sache unabhängig von den beteiligten Parteien gegründete und ihnen nicht einleuchtende Bestimmung? So kann der Tausch 2o nur durch Zwang zustande kommen, und jeder hält sich für be¬ trogen. Man kann diesen Gegensatz zwischen der wirklichen in¬ härenten Brauchbarkeit der Sache und zwischen der Bestimmung dieser Brauchbarkeit, zwischen der Bestimmung der Brauchbar¬ keit und der Freiheit der Tauschenden nicht aufheben, ohne das 25 Privateigentum aufzuheben ; und sobald dies aufgehoben ist, kann von einem Tausch, wie er jetzt existiert, nicht mehr die Rede sein. Die praktische Anwendung des Wertbegriffs wird sich dann immer mehr auf die Entscheidung über die Produktion beschränken, und da ist seine eigentliche Sphäre. so Wie aber stehen die Sachen jetzt? Wir haben gesehen, wie der Wertbegriff gewaltsam zerrissen ist, und die einzelnen Seiten jede für das Ganze ausgeschrieen werden. Die Produktionskosten, durch die Konkurrenz von vorn herein verdreht, sollen für den Wert selbst gelten; ebenso die bloß subjektive Brauchbarkeit, — denn 35 eine andere kann es jetzt nicht geben. — Um diesen lahmen Defi¬ nitionen auf die Beine zu helfen, muß in beiden Fällen die Kon¬ kurrenz in Anspruch genommen werden ; und das beste ist, daß bei den Engländern die Konkurrenz, gegenüber den Produktions¬ kosten, die Brauchbarkeit vertritt, während sie umgekehrt bei Say, 40 der Brauchbarkeit gegenüber, die Produktionskosten hereinbringt. Aber was für eine Brauchbarkeit, was für Produktionskosten bringt sie herein! Ihre Brauchbarkeit hängt vom Zufall, von der Mode, von der Laune der Reichen ab, ihre Produktionskosten gehen auf und ab mit dem zufälligen Verhältnis von Nachfrage 45 und Zufuhr. — 25*
388 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern Dem Unterschiede zwischen Realwert und Tauschwert liegt eine Tatsache zum Grunde — nämlich daß der Wert einer Sache ver¬ schieden ist von dem im Handel für sie gegebenen sogenannten Äquivalent, d. h. daß dies Äquivalent kein Äquivalent ist. Dies so¬ genannte Äquivalent ist der Preis der Sache, und wäre der Ökonom 5 ehrlich, so würde er dies Wort für den „Handelswert66 gebrauchen. Aber er muß doch immer noch eine Spur von Schein behalten, daß der Preis mit dem Werte irgendwie Zusammenhänge, damit nicht die Unsittlichkeit des Handels zu klar ans Licht komme. Daß aber der Preis durch die Wechselwirkung der Produktionskosten und 10 der Konkurrenz bestimmt wird, das ist ganz richtig und ein Haupt¬ gesetz des Privateigentums. Dies war das erste, was der Ökonom fand, dies rein empirische Gesetz; und hiervon abstrahierte er dann seinen Realwert, d. h. den Preis zu der Zeit, wenn das Kon¬ kurrenzverhältnis sich balanciert, wenn Nachfrage und Zufuhr 15 sich decken — dann bleiben natürlich dieProduktionskosten übrig, und das nennt dann der Ökonom Realwert, während es nur eine Bestimmtheit des Preises ist. So steht aber alles in der Ökonomie auf dem Kopf; der Wert, der das Ursprüngliche, die Quelle des Preises ist, wird von diesem, seinem eigenen Produkt, abhängig ge- 20 macht. Bekanntlich ist diese Umkehrung das Wesen der Abstrak¬ tion, worüber Feuerbach zu vergleichen. — Nach dem Ökonomen bestehen die Produktionskosten einer Ware aus drei Elementen: dem Grundzins für das nötige Stück Land, um das rohe Material zu produzieren, dem Kapital mit dem 20 Gewinn darauf, und dem Lohn für die Arbeit, die zur Produktion und Verarbeitung erforderlich waren. Es zeigt sich aber sogleich, daß Kapital und Arbeit identisch sind, da die Ökonomen selbst ge¬ stehen, Kapital sei „aufgespeicherte Arbeit66. So bleiben uns also nur zwei Seiten übrig, die natürliche, objektive, der Boden, und 30 die menschliche, subjektive, die Arbeit, die das Kapital einschließt — und außer dem Kapital noch ein Drittes, woran der Ökonom nicht denkt, ich meine das geistige Element der Erfindung, des Ge¬ dankens, neben dem physischen der bloßen Arbeit. Was hat der Ökonom mit dem Erfindungsgeist zu schaffen? Sind ihm nicht alle 35 Erfindungen ohne sein Zutun zugeflogen gekommen? Hat ihrer eine ihm etwas gekostet? Was also hat er bei der Berechnung seiner Produktionskosten sich darum zu kümmern? Ihm sind Land, Kapital, Arbeit die Bedingungen des Reichtums, und weiter braucht er nichts. Die Wissenschaft geht ihn nichts an. Ob sie ihm durch 40 Berthollet, Davy, Liebig, Watt, Cartwright, usw. Geschenke gemacht hat, die ihn und seine Produktion unendlich gehoben haben — was liegt ihm daran? Dergleichen weiß er nicht zu berechnen; die Fortschritte der Wissenschaft gehen über seine Zahlen hinaus. Aber
Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie 389 für einen vernünftigen Zustand, der über die Teilung der Inter¬ essen, wie sie beim Ökonomen stattfindet, hinaus ist, gehört das geistige Element allerdings mit zu den Elementen der Produktion und wird auch in der Ökonomie seine Stelle unter den Produktions- 5 kosten finden. Und da ist es allerdings befriedigend, zu wissen, wie die Pflege der Wissenschaft sich auch materiell belohnt, zu wissen, daß eine einzige Frucht der Wissenschaft, wie James Watt’s Dampfmaschine, in den ersten fünfzig Jahren ihrer Existenz der Welt mehr eingetragen hat, als die Welt von Anfang an für die 10 Pflege der Wissenschaft ausgegeben. Wir haben also zwei Elemente der Produktion, die Natur und den Menschen, und den letzteren wieder physisch und geistig, in Tätigkeit, und können nun zum Ökonomen und seinen Produktions¬ kosten zurückkehren. 15 Alles, was nicht monopolisiert werden kann, hat keinen Wert, sagt der Ökonom — ein Satz, den wir später näher untersuchen werden. Wenn wir sagen, hat keinen Preis, so ist der Satz richtig für den auf dem Privateigentum beruhenden Zustand. Wäre der Boden so leicht zu haben wie die Luft, so würde kein Mensch Grundzins 20 bezahlen. Da dem nicht so ist, sondern die Ausdehnung des in einem speziellen Fall in Beschlag kommenden Bodens beschränkt ist, so bezahlt man Grundzins für den in Beschlag genommenen, das heißt monopolisierten Boden, oder erlegt einen Kaufpreis dafür. Es ist aber sehr befremdlich, nach dieser Auskunft über die Ent- 25 stehung des Grundwerts vom Ökonomen hören zu müssen, daß Grundzins der Unterschied zwischen dem Ertrage des Zins bezahlen¬ den und des schlechtesten, die Mühe der Bebauung lohnenden Grundstückes sei. Dies ist bekanntlich die von Ricardo zuerst voll¬ ständig entwickelte Definition des Grundzinses. Diese Definition 30 ist zwar praktisch richtig, wenn man voraussetzt, daß ein Fall der Nachfrage augenblicklich auf den Grundzins reagiert und sogleich eine entsprechende Quantität des schlechtesten bebauten Landes außer Bearbeitung setzte. Allein dies ist nicht der Fall, die Defini¬ tion ist darum unzureichend ; zudem schließt sie die Kausation des 35 Grundzinses nicht ein und muß schon deshalb fallen. Oberst T. P. Thompson, der Antikomgesetz-Leaguer, erneuerte im Gegen¬ satz zu dieser Definition die Adam Smithsche und begründete sie. Nach ihm ist der Grundzins das Verhältnis zwischen der Kon¬ kurrenz der sich um den Gebrauch des Bodens Bewerbenden und 40 der beschränkten Quantität des disponiblen Bodens. Hier ist wenig¬ stens eine Rückkehr zur Entstehung des Grundzinses; aber diese Erklärung schließt die verschiedene Fruchtbarkeit des Bodens aus, wie die obige die Konkurrenz ausläßt.
390 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern Wir haben also wieder zwei einseitige und deswegen halbe De¬ finitionen für einen Gegenstand. Wir werden, wie beim Wert¬ begriffe, wiederum diese beiden Bestimmungen zusammenzufassen haben, um die richtige, aus der Entwickelung der Sache folgende und darum alle Praxis umfassende Bestimmung zu finden. Der s Grundzins ist das Verhältnis zwischen der Ertragsfähigkeit des Bodens, der natürlichen Seite (die wiederum aus der natürlichen Anlage und der menschlichen Bebauung, der zur Verbesserung an¬ gewandten Arbeit besteht) — und der menschlichen Seite, der Kon¬ kurrenz. Die Ökonomen mögen über diese „Definition66 ihre Köpfe 10 schütteln ; sie werden zu ihrem Schrecken sehen, daß sie alles ein¬ schließt, was auf die Sache Bezug hat. Der Grundbesitzer hat dem Kaufmanne nichts vorzuwerfen. Er raubt, indem er den Boden monopolisiert. Er raubt, indem er die Steigerung der Bevölkerung, welche die Konkurrenz und 15 damit den Wert seines Grundstücks steigert, für sich ausbeutet, indem er zur Quelle seines persönlichen Vorteils macht, was nicht durch sein persönliches Tun zustande gekommen, was ihm rein zu¬ fällig ist. Er raubt, wenn er verpachtet, indem er die von seinem Pächter angelegten Verbesserungen zuletzt wieder an sich reißt. 20 Dies ist das Geheimnis des stets steigenden Reichtums der großen Grundbesitzer. Die Axiome, welche die Erwerbsart des Grundbesitzers als Raub qualifizieren, nämlich, daß jeder ein Recht auf das Produkt seiner Arbeit hat, oder daß keiner ernten soll, wo er nicht gesät hat, sind 25 nicht unsre Behauptung. Der erste schließt die Pflicht der Er¬ nährung der Kinder, der zweite schließt jede Generation vom Recht der Existenz aus, indem jede Generation den Nachlaß der voran¬ gehenden Generation antritt. Diese Axiome sind vielmehr Kon¬ sequenzen des Privateigentums. Entweder führe man seine Kon 30 Sequenzen aus oder man gebe es als Prämisse auf- Ja die ursprüngliche Appropriation selbst wird durch die Be¬ hauptung des noch frühem gemeinsamen Besitzrechtes gerecht¬ fertigt. Wohin wir uns also wenden, das Privateigentum führt uns auf Widersprüche. 35 Es war der letzte Schritt zur Selbstverschacherung, die Erde zu verschachern, die unser Eins und Alles, die erste Bedingung unsrer Existenz ist; es war und ist bis auf den heutigen Tag eine Unsittlichkeit, die nur von der Unsittlichkeit der Selbstveräuße¬ rung übertroffen wird. Und die ursprüngliche Appropriation, die 40 Monopolisierung der Erde durch eine kleine Anzahl, die Aus¬ schließung der übrigen von der Bedingung ihres Lebens, gibt der spätem Verschacherung des Bodens an Unsittlichkeit nichts nach. Lassen wir hier wieder das Privateigentum fallen, so reduziert sich der Grundzins auf seine Wahrheit, auf die vernünftige An- 45
Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie 391 schauung, die ihm wesentlich zugrunde liegt. Der als Grundzins vom Boden getrennte Wert desselben fällt alsdann in den Boden selbst zurück. Dieser Wert, der zu messen ist durch die Produk¬ tionsfähigkeit gleicher Flächen bei gleicher darauf verwendeter 5 Arbeit, kömmt allerdings als Teil der Produktionskosten bei der Wertbestimmung der Produkte in Anschlag und ist wie der Grundzins das Verhältnis der Produktionsfähigkeit zur Kon¬ kurrenz, aber zur wahren Konkurrenz, wie sie ihrer Zeit entwickelt werden wird. w Wir haben gesehen, wie Kapital und Arbeit ursprünglich iden¬ tisch sind; wir sehen ferner aus den Entwicklungen des Ökonomen selbst, wie das Kapital, das Resultat der Arbeit, im Prozesse der Produktion sogleich wieder zum Substrat, zum Material der Arbeit gemacht, wie also die für einen Augenblick gesetzte Trennung des is Kapitals von der Arbeit sogleich wieder in die Einheit beider auf- gehoben wird; und doch trennt der Ökonom das Kapital von der Arbeit, doch hält er die Entzweiung fest, ohne die Einheit daneben anders als durch die Definition des Kapitals: „aufgespeicherte Ar¬ beit“ anzuerkennen. Die aus dem Privateigentum folgende Spal- tung zwischen Kapital und Arbeit ist nichts als die diesem ent¬ zweiten Zustande entsprechende und aus ihm hervorgehende Ent¬ zweiung der Arbeit in sich selbst. Und nachdem diese Trennung bewerkstelligt, teilt sich das Kapital nochmals in das ursprüng¬ liche Kapital und in den Gewinn, den Zuwachs des Kapitals, den 26 es im Prozesse der Produktion empfängt, obwohl die Praxis selbst diesen Gewinn sogleich wieder zum Kapital schlägt und mit diesem in Fluß setzt. Ja selbst der Gewinn wird wieder in Zinsen und eigentlichen Gewinn gespalten. In den Zinsen ist die Unvernünftig¬ keit dieser Spaltungen auf die Spitze getrieben. Die Unsittlichkeit 30 des Zinsenverleihens, des Empfangens ohne Arbeit, für das bloße Borgen, ist, obwohl schon im Privateigentum liegend, doch zu augenscheinlich und vom unbefangenen Volksbewußtsein, das in diesen Dingen meistens recht hat, längst erkannt. Alle diese feinen Spaltungen und Divisionen entstehen aus der ursprünglichen 33 Trennung des Kapitals von der Arbeit und der Vollendung dieser Trennung in der Spaltung der Menschheit in Kapitalisten und Ar¬ beiter, einer Spaltung, die alle Tage schärfer und schärfer ausge¬ bildet wird, und die sich, wie wir sehen werden, immer steigern muß. Diese Trennung, wie die schon betrachtete Trennung des io Bodens von Kapital und Arbeit, ist aber in letzter Instanz eine un¬ mögliche. Es ist durchaus nicht zu bestimmen, wie viel der Anteil des Bodens, des Kapitals und der Arbeit an einem bestimmten Er¬ zeugnisse betrage. Die drei Größen sind inkommensurabel. Der Boden schafft das rohe Material, aber nicht ohne Kapital und Ar¬
392 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern beit, das Kapital setzt Boden und Arbeit voraus, und die Arbeit setzt wenigstens den Boden, meistens auch Kapital voraus. Die Verrichtungen der drei sind ganz verschiedenartig und nicht in einem vierten gemeinsamen Maße zu messen. Wenn es also bei den jetzigen Verhältnissen zur Verteilung des Ertrags unter die drei 5 Elemente kommt, so gibt es kein ihnen inhärentes Maß, sondern ein ganz fremdes, ihnen zufälliges Maß entscheidet: die Konkur¬ renz oder das raffinierte Recht des Stärkeren. Der Grundzins im¬ pliziert die Konkurrenz, der Gewinn auf Kapital wird einzig durch die Konkurrenz bestimmt, und wie es mit dem Arbeitslohn aus-10 sieht, werden wir gleich sehen. Wenn wir das Privateigentum fallen lassen, so fallen alle diese unnatürlichen Spaltungen. Der Unterschied von Zinsen und Ge¬ winn fällt; Kapital ist nichts ohne Arbeit, ohne Bewegung. Der Gewinn reduziert seine Bedeutung auf das Gewicht, das bei der Be- Stimmung der Produktionskosten das Kapital in die Wage legt, und bleibt so dem Kapital inhärent, wie dies selbst in seine ur¬ sprüngliche Einheit mit der Arbeit zurückfällt. Die Arbeit, die Hauptsache bei der Produktion, die „Quelle des Reichtums66, die freie menschliche Tätigkeit, kommt bei dem Öko- 20 nomen schlecht weg. Wie das Kapital schon von der Arbeit getrennt wurde, so wird jetzt wieder die Arbeit zum zweitenmal gespalten; das Produkt der Arbeit steht ihr als Lohn gegenüber, ist von ihr getrennt, und wird wieder, wie gewöhnlich, durch die Konkurrenz bestimmt, da es für den Anteil der Arbeit an der Produktion, wie 25 wir gesehen haben, kein festes Maß gibt. Heben wir das Priyat- eigentum auf, so fällt auch diese unnatürlicheTrennung, die Arbeit ist ihr eigner Lohn, und die wahre Bedeutung des früher veräußer¬ ten Arbeitslohnes kommt an den Tag: die Bedeutung der Arbeit für die Bestimmung der Produktionskosten einer Sache. — so Wir haben gesehen, daß am Ende alles auf die Konkurrenz hinausläuft, so lange das Privateigentum besteht. Sie ist die Haupt¬ kategorie des Ökonomen, seine liebste Tochter, die er in einem fort hätschelt und liebkost — und gebt acht, was für ein Medusen¬ gesicht da herauskommen wird. 35 Die nächste Folge des Privateigentums war die Spaltung der Produktion in zwei entgegengesetzte Seiten, die natürliche und die menschliche; den Boden, der ohne die Befruchtung des Menschen tot und steril ist, und die menschliche Tätigkeit, deren erste Be¬ dingung eben der Boden ist. Wir sahen ferner, wie sich die mensch- 40 liehe Tätigkeit wieder in die Arbeit und das Kapital auflöste, und wie diese Seiten sich wieder feindselig gegenüber traten. Wir hatten also schon den Kampf der drei Elemente gegeneinander, anstatt
Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie 393 der gegenseitigen Unterstützung der drei ; jetzt kommt noch dazu, daß das Privateigentum die Zersplitterung jedes dieser Elemente mit sich bringt. Ein Grundstück steht dem andern, ein Kapital dem andern, eine Arbeitskraft der andern gegenüber. Mit andern Wor- 5 ten: weil das Privateigentum jeden auf seine eigne rohe Einzelnheit isoliert, und weil jeder dennoch dasselbe Interesse hat wie sein Nachbar, so steht ein Grundbesitzer dem andern, ein Kapitalist dem andern, ein Arbeiter dem andern feindselig gegenüber. In dieser Verfeindung der gleichen Interessen eben um ihrer Gleich- 10 heit willen ist die Unsittlichkeit des bisherigen Zustandes der Menschheit vollendet; und diese Vollendung ist die Konkurrenz. Der Gegensatz der Konkurrenz ist das Monopol. Das Monopol war das Feldgeschrei der Merkantilisten, die Konkurrenz der Schlachtruf der liberalen Ökonomen. Es ist leicht einzusehen, daß 15 dieser Gegensatz wieder ein durchaus hohler ist. Jeder Konkurrie¬ rende muß wünschen, das Monopol zu haben, mag er Arbeiter, Kapitalist oder Grundbesitzer sein. Jede kleinere Gesamtheit von Konkurrenten muß wünschen, das Monopol für sich gegen alle andern zu haben. Die Konkurrenz beruht auf dem Interesse und 20 das Interesse erzeugt wieder das Monopol; kurz, die Konkurrenz geht in das Monopol über. Auf der andern Seite kann das Monopol den Strom der Konkurrenz nicht aufhalten, ja es erzeugt die Kon¬ kurrenz selbst, wie z. B. ein Einfuhrverbot oder hohe Zölle die Konkurrenz des Schmuggelns geradezu erzeugen. — Der Wider- 25 spruch der Konkurrenz ist ganz derselbe wie der des Privateigen¬ tums selbst. Es liegt im Interesse jedes einzelnen, alles zu besitzen, aber im Interesse der Gesamtheit, daß jeder gleichviel besitze. So ist also das allgemeine und individuelle Interesse diametral ent¬ gegengesetzt. Der Widerspruch der Konkurrenz ist: daß jeder sich 30 das Monopol wünschen muß, während die Gesamtheit als solche durch das Monopol verlieren und es also entfernen muß. Ja, die Konkurrenz setzt das Monopol schon voraus, nämlich das Monopol des Eigentums — und hier tritt wieder die Heuchelei der Liberalen an den Tag — und so lange das Monopol des Eigentums besteht, so 35 lange ist das Eigentum des Monopols gleich berechtigt; denn auch das einmal gegebene Monopol ist Eigentum. Welche jämmerliche Halbheit ist es also, die kleinen Monopole anzugreifen und das Grundmonopol bestehen zu lassen. Und wenn wir hierzu noch den früher erwähnten Satz des Ökonomen ziehen, daß nichts Wert hat, 40 was nicht monopolisiert werden kann, daß also nichts, was nicht diese Monopolisierung zuläßt, in diesen Kampf der Konkurrenz eintreten kann, so ist unsere Behauptung, daß die Konkurrenz das Monopol voraussetzt, vollkommen gerechtfertigt.
394 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern Das Gesetz der Konkurrenz ist, daß Nachfrage und Zufuhr sich stets und eben deshalb nie ergänzen. Die beiden Seiten sind wieder auseinander gerissen und in den schroffen Gegensatz verwandelt. Die Zufuhr ist immer gleich hinter der Nachfrage, aber kommt nie dazu, sie genau zu decken ; sie ist entweder zu groß oder zu klein, 5 nie der Nachfrage entsprechend, weil in diesem bewußtlosen Zu¬ stande der Menschheit kein Mensch weiß, wie groß diese oder jene ist. Ist die Nachfrage größer als die Zufuhr, so steigt der Preis und dadurch wird die Zufuhr gleichsam irritiert; sowie sie sich im Markte zeigt, fallen die Preise, und wenn sie größer wird als jene, 10 so wird der Fall der Preise so bedeutend, daß die Nachfrage da¬ durch wieder aufgereizt wird. So geht es in einem fort, nie ein ge¬ sunder Zustand, sondern eine stete Abwechslung von Irritation und Erschlaffung, die allen Fortschritt ausschließt, ein ewiges Schwan¬ ken, ohne je zum Ziel zu kommen. Dies Gesetz mit seiner steten is Ausgleichung, wo, was hier verloren, dort wieder gewonnen wird, findet der Ökonom wunderschön. Es ist sein Hauptruhm, er kann sich nicht satt daran sehen und betrachtet es unter allen möglichen und unmöglichen Verhältnissen. Und doch liegt auf der Hand, daß dies Gesetz ein reines Naturgesetz, kein Gesetz des Geistes ist. Ein 20 Gesetz, das die Revolution erzeugt. Der Ökonom kommt mit seiner schönen Theorie von Nachfrage und Zufuhr heran, beweist euch, daß „nie zu viel produziert werden kann64, und die Praxis antwortet mit den Handelskrisen, die so regelmäßig wiederkehren wie die Kometen, und deren wir jetzt durchschnittlich alle fünf bis sieben 25 Jahre eine haben. Diese Handelskrisen sind seit achtzig Jahren eben so regelmäßig gekommen wie früher die großen Seuchen — und haben mehr Elend, mehr Unsittlichkeit mit sich gebracht als diese (vergl. Wade, Hist, of the Middle and Working Classes, London 1835, p. 211). Natürlich bestätigen diese Handelsrevo- 30 lutionen das Gesetz, sie bestätigen es im vollsten Maße, aber in einer andern Weise, als der Ökonom uns glauben machen möchte. Was soll man von einem Gesetz denken, das sich nur durch perio¬ dische Revolutionen durchsetzen kann? Es ist eben ein Naturgesetz, das auf der Bewußtlosigkeit der Beteiligten beruht. Wüßten die 35 Produzenten als solche, wie viel die Konsumenten bedürften, or¬ ganisierten sie die Produktion, verteilten sie sie unter sich, so wäre die Schwankung der Konkurrenz und ihre Neigung zur Krisis unmöglich. Produziert mit Bewußtsein, als Menschen, nicht als zersplitterte Atome ohne Gattungsbewußtsein, und ihr seid über 40 alle diese künstlichen und unhaltbaren Gegensätze hinaus. So lange ihr aber fortfahrt, auf die jetzige unbewußte, gedankenlose, der Herrschaft des Zufalls überlassene Art zu produzieren, so lange bleiben die Handelskrisen; und jede folgende muß universeller, also schlimmer werden als die vorhergehende, muß eine größere 43
Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie 395 Menge kleiner Kapitalisten verarmen und die Anzahl der bloß von der Arbeit lebenden Klasse in steigendem Verhältnisse vermehren — also die Masse der zu beschäftigenden Arbeit, das Haupt¬ problem unserer Ökonomen, zusehends vergrößern und endlich 5 eine soziale Revolution herbeiführen, wie sie sich die Schulweisheit der Ökonomen nicht träumen läßt. Die ewige Schwankung der Preise, wie sie durch das Konkurrenz¬ verhältnis geschaffen wird, entzieht dem Handel vollends die letzte Spur von Sittlichkeit. Von Wert ist keine Rede mehr; dasselbe ic System, das auf den Wert soviel Gewicht zu legen scheint, das der Abstraktion des Wertes im Gelde die Ehre einer besondern Existenz gibt — dies selbe System zerstört durch die Konkurrenz allen in¬ härenten Wert und verändert das Wertverhältnis aller Dinge gegen einander täglich und stündlich. Wo bleibt in diesem Strudel die 15 Möglichkeit eines auf sittlicher Grundlage beruhenden Aus¬ tausches? In diesem fortwährenden Auf und Ab muß jeder suchen, den günstigsten Augenblick zum Kauf und Verkauf zu treffen, jeder muß Spekulant werden, d. h. ernten, wo er nicht gesäet hat, durch den Verlust anderer sich bereichern, auf das Unglück andrer kal- 20 kulieren oder den Zufall für sich gewinnen lassen. Der Spekulant rechnet immer auf Unglücksfälle, besonders auf Mißernten, er be¬ nutzt alles, wie z. B. seinerzeit den Brand von New-York, und der Kulminationspunkt der Unsittlichkeit ist die Börsenspekulation in Fonds, wodurch die Geschichte und in ihr die Menschheit zum 25 Mittel herabgesetzt wird, um die Habgier des kalkulierenden oder hazardierenden Spekulanten zu befriedigen. Und möge sich der ehrliche, „solide66 Kaufmann nicht pharisäisch über das Börsen¬ spiel erheben — ich danke dir Gott usw. Er ist so schlimm wie die Fondsspekulanten, er spekuliert ebenso sehr wie sie, er muß es, die 30 Konkurrenz zwingt ihn dazu, und sein Handel impliziert also die¬ selbe Unsittlichkeit wie der ihrige. Die Wahrheit des Konkurrenz¬ verhältnisses ist das Verhältnis der Konsumtionskraft zur Produk¬ tionskraft. In einem der Menschheit würdigen Zustande wird es keine andre Konkurrenz als diese geben. Die Gemeinde wird zu 35 berechnen haben, was sie mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln erzeugen kann, und nach dem Verhältnis dieser Produktionskraft zur Masse der Konsumenten bestimmen, in wie weit sie die Produk¬ tion zu steigern oder nachzulassen, in wie weit sie dem Luxus nachzugeben oder ihn zu beschränken hat. Um aber über dies Ver- 4c hältnis und die von einem vernünftigen Zustande der Gemeinde zu erwartende Steigerung der Produktionskraft richtig zu urteilen, mögen meine Leser die Schriften der englischen Sozialisten und zum Teil auch Fouriers vergleichen. Die subjektive Konkurrenz, der Wettstreit von Kapital gegen 46 Kapital, Arbeit gegen Arbeit usw., wird sich unter diesen Um¬
396 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern ständen auf den in der menschlichen Natur begründeten und bis jetzt nur von Fourier erträglich entwickelten Wetteifer reduzieren, der nach der Aufhebung der entgegengesetzten Interessen auf seine eigentümliche und vernünftige Sphäre beschränkt wird. — Der Kampf von Kapital gegen Kapital, Arbeit gegen Arbeit, 5 Boden gegen Boden treibt die Produktion in eine Fieberhitze hinein, in der sie alle natürlichen und vernünftigen Verhältnisse auf den Kopf stellt. Kein Kapital kann die Konkurrenz des andern aus¬ halten, wenn es nicht auf die höchste Stufe der Tätigkeit gebracht wird. Kein Grundstück kann mit Nutzen bebaut werden, wenn es 1() nicht seine Produktionskraft stets steigert. Kein Arbeiter kann sich gegen seine Konkurrenten halten, wenn er nicht seine ganzen Kräfte der Arbeit widmet. Überhaupt keiner, der sich in den Kampf der Konkurrenz einläßt, kann ihn ohne die höchste Anstrengung seiner Kräfte, ohne die Aufgebung aller wahrhaft menschlichen Zwecke 15 aushalten. Die Folge von dieser Überspannung auf der einen Seite ist notwendig Erschlaffung auf der andern. Wenn die Schwankung der Konkurrenz gering ist, wenn Nachfrage und Zufuhr, Konsum¬ tion und Produktion sich beinahe gleich sind, so muß in der Ent¬ wicklung der Produktion eine Stufe eintreten, in der so viel über- 20 zählige Produktionskraft vorhanden ist, daß die große Masse der Nation nichts zu leben hat; daß die Leute vor lauter Überfluß ver¬ hungern. In dieser wahnsinnigen Stellung, in dieser lebendigen Ab¬ surdität befindet sich England schon seit geraumer Zeit. Schwankt die Produktion stärker, wie sie es infolge eines solchen Zustandes 2s notwendig tut, so tritt die Abwechslung von Blüte und Krisis, Über¬ produktion und Stockung ein. Der Ökonom hat sich diese verrückte Stellung nie erklären können; um sie zu erklären, erfand er die Bevölkerungstheorie, die eben so unsinnig, ja noch unsinniger ist als dieser Widerspruch von Reichtum und Elend zu derselben Zeit. 30 Der Ökonom durfte die Wahrheit nicht sehen; er durfte nicht ein¬ sehen, daß dieserWiderspruch eine einfache Folge der Konkurrenz ist, weil sonst sein ganzes System über den Haufen gefallen wäre. Uns ist die Sache leicht zu erklären. Die der Menschheit zu Ge¬ bote stehende Produktionskraft ist unermeßlich. Die Ertragsfähig- 35 keit des Bodens ist durch die Anwendung von Kapital, Arbeit und Wissenschaft ins Unendliche zu steigern. Das „übervölkerte66 Gro߬ britannien kann nach der Berechnung der tüchtigsten Ökonomen und Statistiker (vgl. Alison9s Principle of population, Bd. 1, Cap. 1 et 2) in zehn Jahren dahin gebracht werden, daß es Korn genug 40 für das Sechsfache seiner jetzigen Bevölkerung produziert. Das Kapital steigert sich täglich; die Arbeitskraft wächst mit der Be¬ völkerung, und die Wissenschaft unterwirft den Menschen die Naturkraft täglich mehr und mehr. Diese unermeßliche Produk-
Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie 397 tionsfähigkeit, mit Bewußtsein und im Interesse aller gehandhabt, würde die der Menschheit zufallende Arbeit bald auf ein Minimum verringern; der Konkurrenz überlassen, tut sie dasselbe, aber innerhalb des Gegensatzes. Ein Teil des Landes wird aufs beste 5 kultiviert, während ein andrer — in Großbritannien und Irland 30 Millionen Acres gutes Land — wüst daliegt. Ein Teil des Ka¬ pitals zirkuliert mit ungeheurer Schnelligkeit, ein andrer liegt tot im Kasten. Ein Teil der Arbeiter arbeitet vierzehn, sechszehn Stunden des Tages, während ein anderer faul und untätig dasteht io und verhungert. Oder die Verteilung tritt aus dieser Gleichzeitigkeit heraus: heute geht der Handel gut, die Nachfrage ist sehr be¬ deutend, da arbeitet alles, das Kapital wird mit wunderbarer Schnelligkeit umgeschlagen, der Ackerbau blüht, die Arbeiter arbeiten sich krank — morgen tritt eine Stockung ein, der Acker- 15 bau lohnt nicht der Mühe, ganze Strecken Landes bleiben unbebaut, das Kapital erstarrt mitten im Flusse, die Arbeiter haben keine Be¬ schäftigung, und das ganze Land laboriert an überflüssigem Reich¬ tum und überflüssiger Bevölkerung. Diese Entwickelung der Sache darf der Ökonom nicht für die 20 richtige erkennen ; er müßte sonst, wie gesagt, sein ganzes Kon¬ kurrenzsystem auf geben; er müßte die Hohlheit seines Gegensatzes von Produktion und Konsumtion, von überflüssiger Bevölkerung und überflüssigem Reichtum einsehen. Um aber, da das Faktum einmal nicht zu leugnen war, dies Faktum mit der Theorie ins 25 Gleiche zu bringen, wurde die Bevölkerungstheorie erfunden. Malthus, der Urheber dieser Doktrin, behauptet, daß die Be¬ völkerung stets auf die Subsistenzmittel drückt, daß, sowie die Produktion gesteigert wird, die Bevölkerung sich in demselben Ver¬ hältnis vermehrt, und daß die der Bevölkerung inhärente Tendenz, 3o sich über die disponiblen Subsistenzmittel hinaus zu vermehren, die Ursache alles Elends, alles Lasters ist. Denn wenn zuviel Men¬ schen da sind, so müssen sie auf die eine oder die andre Weise aus dem Wege geschafft, entweder gewaltsam getötet werden oder verhungern. Wenn dies aber geschehen ist, so ist wieder eine 35 Lücke da, die sogleich wieder durch andre Vermehrer der Bevöl¬ kerung ausgefüllt wird, und so fängt das alte Elend wieder an. Ja, dies ist unter allen Verhältnissen so, nicht nur im zivilisierten, son¬ dern auch im Naturzustande; die Wilden Neuhollands, deren einer auf die Quadratmeile kommt, laborieren eben so sehr an 4o Übervölkerung wie England. Kurz, wenn wir konsequent sein wol¬ len, so müssen wir gestehen, daß die Erde schon übervölkert war, als nur ein Mensch existierte. Die Folgen dieser Entwicklung sind nun, daß, da die Armen gerade die Überzähligen sind, man nichts für sie tun soll, als ihnen das Verhungern so leicht als möglich zu is machen, sie zu überzeugen, daß es sich nicht ändern läßt und daß
398 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern für ihre ganze Klasse keine Rettung da ist als in einer möglichst geringen Fortpflanzung, oder wenn dies nicht geht, so ist es noch immer besser, daß eine Staatsanstalt zur schmerzlosen Tötung der Kinder der Annen, wie sie „Marcus“ vorgeschlagen hat, einge¬ richtet wird — wonach auf jede Arbeiterfamilie zweiundeinhalbes 5 Kind kommen dürfen, was aber mehr kommt, schmerzlos getötet wird. Almosengeben wäre ein Verbrechen, da es den Zuwuchs der überzähligen Bevölkerung unterstützt; aber sehr vorteilhaft wird es sein, wenn man die Armut zu einem Verbrechen und die Armen¬ häuser zu Strafanstalten macht, wie dies bereits in England durch 10 das „liberale“ neue Armengesetz geschehen ist. Es ist zwar wahr, diese Theorie stimmt sehr schlecht mit der Lehre der Bibel von der Vollkommenheit Gottes und seiner Schöpfung, aber „es ist eine schlechte Widerlegung, wenn man die Bibel gegen Tatsachen ins Feld führt“! Soll ich diese infame, niederträchtige Doktrin, diese scheu߬ liche Blasphemie gegen die Natur und Menschheit noch mehr aus¬ führen, noch weiter in ihre Konsequenzen verfolgen? Hier haben wir endlich die Unsittlichkeit des Ökonomen auf ihre höchste Spitze gebracht. Was sind alle Kriege und Schrecken des Monopol- 20 Systems gegen diese Theorie? Und gerade sie ist der Schlußstein des liberalen Systems der Handelsfreiheit, dessen Sturz den des ganzen Gebäudes nach sich zieht. Denn ist die Konkurrenz hier als die Ursache des Elends, der Armut, des Verbrechens nach¬ gewiesen, wer will ihr dann noch das Wort zu reden wagen? 25 Alison hat die Malthussche Theorie in seinem oben zitierten Werk erschüttert, indem er an die Produktionskraft der Erde ap¬ pellierte und dem Malthusschen Prinzip die Tatsache entgegen¬ setzte, daß jeder erwachsene Mensch mehr produzieren kann als er selbst gebraucht, eine Tatsache, ohne die die Menschheit sich nicht 30 vermehren, ja nicht einmal bestehen könnte; wovon sonst sollten die Heranwachsenden leben? Aber Alison geht nicht auf den Grund der Sache und kommt daher zuletzt wieder zu demselben Resultate wie Malthus. Er beweist zwar, daß Malthus’ Prinzip unrichtig ist, kann aber die Tatsachen nicht wegleugnen, die diesen 35 zu seinem Prinzip getrieben haben. Hätte Malthus die Sache nicht so einseitig betrachtet, so müßte er gesehen haben, daß die überzählige Bevölkerung oder Arbeits¬ kraft stets mit überzähligem Reichtum, überzähligem Kapital und überzähligem Grundbesitz verknüpft ist. Die Bevölkerung ist nur 40 da zu groß, wo die Produktionskraft überhaupt zu groß ist. Der Zustand jedes übervölkerten Landes, namentlich Englands, von der Zeit an, wo Malthus schrieb, zeigt dies aufs deutlichste. Dies waren die Tatsachen, die Malthus in ihrer Gesamtheit zu betrach¬ ten hatte, und deren Betrachtung zum richtigen Resultate führen 45
Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie 399 mußte; statt dessen griff er eine heraus, ließ die andern unberück¬ sichtigt und kam daher zu seinem wahnsinnigen Resultate. Der zweite Fehler, den er beging, war die Verwechslung von Sub¬ sistenzmitteln und Beschäftigung. Daß die Bevölkerung stets auf 5 die Mittel der Beschäftigung drückt, daß so viel Menschen be¬ schäftigt werden können, so viel auch erzeugt werden, kurz daß die Erzeugung der Arbeitskraft bisher durch das Gesetz der Konkur¬ renz reguliert worden und daher auch den periodischen Krisen und Schwankungen ausgesetzt gewesen ist, das ist eine Tatsache, 10 deren Feststellung Malthus’ Verdienst ist. Aber die Mittel der Be¬ schäftigung sind nicht die Mittel der Subsistenz. Die Mittel der Beschäftigung werden durch die Vermehrung der Maschinenkraft und des Kapitals nur in ihrem Endresultate vermehrt; die Mittel der Subsistenz vermehren sich, sobald die Produktionskraft über- 15 haupt um etwas vermehrt wird. Hier kommt ein neuer Wider¬ spruch der Ökonomie an den Tag. Die Nachfrage des Ökonomen ist nicht die wirkliche Nachfrage, seine Konsumtion ist eine künst¬ liche. Dem Ökonomen ist nur der ein wirklich Fragender, ein wirk¬ licher Konsument, der für das, was er empfängt, ein Äquivalent 2o zu bieten hat. Wenn es aber eine Tatsache ist, daß jeder Erwach¬ sene mehr produziert als er selbst verzehren kann, daß Kinder wie Bäume sind, die die auf sie verwandte Auslage überreichlich wie¬ der erstatten — und das sind doch wohl Tatsachen? — so sollte man meinen, jeder Arbeiter müßte weit mehr erzeugen können als 25 er braucht, und die Gemeinde müßte ihn daher gern mit allem ver¬ sorgen wollen, was er nötig hat, so sollte man meinen, eine große Familie müßte der Gemeinde ein sehr wünschenswertes Geschenk sein. Aber der Ökonome in der Roheit seiner Anschauung kennt kein andres Äquivalent, als das ihm in handgreiflichem barem 3o Gelde ausgezahlt wird. Er sitzt so fest in seinen Gegensätzen, daß die schlagendsten Tatsachen ihn eben so wenig kümmern wie die wissenschaftlichsten Prinzipien. Wir vernichten den Widerspruch einfach dadurch, daß wir ihn aufheben. Mit der Verschmelzung der jetzt entgegengesetzten In- 35 teressen verschwindet der Gegensatz zwischen Übervölkerung hier und Überreichtum dort, verschwindet das wunderbare Faktum, wunderbarer als alle Wunder aller Religionen zusammen, daß eine Nation vor eitel Reichtum und Überfluß verhungern muß; ver¬ schwindet die wahnsinnige Behauptung, daß die Erde nicht die 40 Kraft habe, die Menschen zu ernähren. Diese Behauptung ist die höchste Spitze der christlichen Ökonomie — und daß unsre Öko¬ nomie wesentlich christlich ist, hätte ich bei jedem Satz, bei jeder Kategorie beweisen können und werde es seinerzeit auch tun; die Malthussche Theorie ist nur der ökonomische Ausdruck für das 45 religiöse Dogma von dem Widerspruch des Geistes und der Natur
400 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern und der daraus folgenden Verdorbenheit beider. Diesen Wider¬ spruch, der für die Religion und mit ihr längst aufgelöst ist, hoffe ich auch auf dem ökonomischen Gebiet in seiner Nichtigkeit auf¬ gewiesen zu haben; ich werde übrigens keine Verteidigung der Malthusschen Theorie für kompetent annehmen, die mir nicht vor- 6 her aus ihrem eignen Prinzip heraus erklärt, wie ein Volk von lauter Überfluß verhungern kann, und dies mit der Vernunft und den Tatsachen in Einklang bringt. — Die Malthussche Theorie ist übrigens ein durchaus notwendiger Durchgangspunkt gewesen, der uns unendlich weiter gebracht hat. 10 Wir sind durch sie, wie überhaupt durch die Ökonomie, auf die Produktionskraft der Erde und der Menschheit aufmerksam ge¬ worden und nach der Überwindung dieser ökonomischen Ver¬ zweiflung vor der Furcht der Übervölkerung für immer gesichert. Wir ziehen aus ihr die stärksten ökonomischen Argumente für eine 15 soziale Umgestaltung; denn selbst wenn Malthus durchaus recht hätte, so müßte man diese Umgestaltung auf der Stelle vornehmen, weil nur sie, nur die durch sie zu gebende Bildung der Massen die¬ jenige moralische Beschränkung des Fortpflanzungstriebes möglich macht, die Malthus selbst als das wirksamste und leichteste Gegen- 20 mittel gegen Übervölkerung darstellt. Wir haben durch sie die tiefste Erniedrigung der Menschheit, ihre Abhängigkeit vom Kon¬ kurrenzverhältnisse kennen gelernt; sie hat uns gezeigt, wie in letzter Instanz das Privateigentum den Menschen zu einer Ware gemacht hat, deren Erzeugung und Vernichtung auch nur von der 2* Nachfrage abhängt; wie das System der Konkurrenz dadurch Mil¬ lionen von Menschen geschlachtet hat und täglich schlachtet; das alles haben wir gesehen und das alles treibt uns zur Aufhebung dieser Erniedrigung der Menschheit durch die Aufhebung des Privateigentums, der Konkurrenz und der entgegengesetzten In- 30 teressen. Kommen wir indes, um der allgemeinen Übervölkerungsfurcht alle Basis zu nehmen, noch einmal auf das Verhältnis der Produk¬ tionskraft zur Bevölkerung zurück. Malthus stellt eine Berechnung auf, worauf er sein ganzes System basiert. Die Bevölkerung ver- 35 mehre sich in geometrischer Progression —1+2+4+8+16+32 usw., dieProduktionskraft des Bodens in arithmetischer —1+2+3 +4+5+6- Die Differenz ist augenscheinlich, ist schreckenerre¬ gend; aber ist sie richtig? Wo steht erwiesen, daß die Ertrags¬ fähigkeit des Bodens sich in arithmetischer Progression vermehre? 40 Die Ausdehnung des Bodens ist beschränkt, gut. Die auf diese Fläche zu verwendende Arbeitskraft steigt mit der Bevölkerung; nehmen wir selbst an, daß die Vermehrung des Ertrags durch Ver¬ mehrung der Arbeit nicht immer im Verhältnis der Arbeit steigt; so bleibt noch ein drittes Element, das dem Ökonomen freilich nie 45
Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie 401 etwas gilt, die Wissenschaft, und deren Fortschritt ist so unendlich und wenigstens eben so rasch als der der Bevölkerung. Welchen Fortschritt verdankt die Agrikultur dieses Jahrhunderts allein der Chemie, ja allein zwei Männern—Sir Humphrey Davy und Justus 5 Liebig? Die Wissenschaft aber vermehrt sich mindestens wie die Bevölkerung; diese vermehrt sich im Verhältnis zur Anzahl der letzten Generation; die Wissenschaft schreitet fort im Verhältnis zu der Masse der Erkenntnis, die ihr von der vorhergehenden Ge¬ neration hinterlassen wurde, also unter den allergewöhnlichsten 10 Verhältnissen auch in geometrischer Progression — und was ist der Wissenschaft unmöglich? Es ist aber lächerlich, von Übervölke¬ rung zu reden, so lange „das Tal des Mississippi wüsten Boden genug besitzt, um die ganze Bevölkerung von Europa dorthin ver¬ pflanzen zu können66, so lange überhaupt erst ein Drittel der Erde 15 für bebaut angesehen werden und die Produktion dieses Drittels selbst durch die Anwendung jetzt schon bekannter Verbesserungen um das Sechsfache und mehr gesteigert werden kann. Die Konkurrenz setzt also Kapital gegen Kapital, Arbeit gegen Arbeit, Grundbesitz gegen Grundbesitz, und ebenso jedes dieser 20 Elemente gegen die beiden andern. Im Kampf siegt der Stärkere, und wir werden, um das Resultat dieses Kampfes vorauszusagen, die Stärke der Kämpfenden zu untersuchen haben. Zuerst sind Grundbesitz und Kapital jedes stärker als die Arbeit, denn der Ar¬ beiter muß arbeiten, um zu leben, während der Grundbesitzer von 25 seinen Renten und der Kapitalist von seinen Zinsen, im Notfälle von seinem Kapital oder dem kapitalisierten Grundbesitz leben kann. Die Folge davon ist, daß der Arbeit nur das Allemotdürf- tigste, die nackten Subsistenzmittel zufallen, während der größte Teil der Produkte sich zwischen dem Kapital und dem Grund- 30 besitz verteilt. Der stärkere Arbeiter treibt ferner den schwächeren, das größere Kapital das geringere, der größere Grundbesitz den kleinen aus dem Markt. Die Praxis bestätigt diesen Schluß. Die Vorteile, die der größere Fabrikant und Kaufmann über den klei¬ nen, der große Grundbesitzer über den Besitzer eines einzigen 35 Morgens hat, sind bekannt. Die Folge hiervon ist, daß schon unter gewöhnlichen Verhältnissen das große Kapital und der große Grundbesitz das kleine Kapital und den kleinen Grundbesitz nach dem Recht des Stärkeren verschlingen — die Zentralisation des Besitzes. In Handels- und Agrikulturkrisen geht diese Zentrali- 40 sation viel rascher vor sich. — Großer Besitz vermehrt sich über¬ haupt viel rascher als kleiner, weil von dem Ertrag ein viel ge¬ ringerer Teil als Ausgaben des Besitzes in Abzug kommt. Diese Zentralisation des Besitzes ist ein dem Privateigentum ebenso immanentes Gesetz wie alle andern; die Mittelklassen müssen Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 26
402 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern immer mehr verschwinden, bis die Welt in Millionäre und Paupers, in große Grundbesitzer und arme Taglöhner geteilt ist. Alle Ge¬ setze, alle Teilung des Grundbesitzes, alle etwaige Zersplitterung des Kapitals hilft nichts — dies Resultat muß kommen und wird kommen, wenn nicht eine totale Umgestaltung der sozialen Ver- « hältnisse, eine Verschmelzung der entgegengesetzten Interessen, eine Aufhebung des Privateigentums ihm zuvorkommt. Die freie Konkurrenz, das Hauptstichwort unserer Tagesöko¬ nomen, ist eine Unmöglichkeit. Das Monopol hatte wenigstens die Absicht, wenn es sie auch nicht durchführen konnte, den Kon- w sumenten vor Betrug zu schützen. Die Abschaffung des Monopols öffnet aber dem Betrüge Tor und Tür. Ihr sagt, die Konkurrenz hat in sich selbst das Gegenmittel gegen den Betrug, keiner wird schlechte Sachen kaufen — d. h. jeder muß für jeden Artikel ein Kenner sein, und dies ist unmöglich — daher die Notwendigkeit des Monopols, die sich auch in vielen Artikeln zeigt. Die Apo¬ theken usw. müssen ein Monopol haben. Und der wichtigste Ar¬ tikel, das Geld, hat gerade das Monopol am meisten nötig. Das zir¬ kulierende Medium hat jedesmal, sowie es aufhörte, Staatsmono¬ pol zu sein, eine Handelskrisis produziert, und die englischen 20 Ökonomen, unter andern Dr. Wade, geben die Notwendigkeit des Monopols hier auch zu. Aber das Monopol schützt auch nicht vor falschem Gelde. Man stelle sich auf welche Seite der Frage man wolle, die eine ist so schwierig wie die andere, das Monopol er¬ zeugt die freie Konkurrenz und diese wieder das Monopol; darum 26 müssen beide fallen, und diese Schwierigkeiten durch die Auf¬ hebung des sie erzeugenden Prinzips gehoben werden. Die Konkurrenz hat alle unsre Lebensverhältnisse durchdrun¬ gen und die gegenseitige Knechtschaft, in der die Menschen sich jetzt halten, vollendet. Die Konkurrenz ist die große Triebfeder, 30 die unsre alt und schlaff werdende soziale Ordnung, oder vielmehr Unordnung, immer wieder zur Tätigkeit auf stachelt, aber bei jeder neuen Anstrengung auch einen Teil der sinkenden Kräfte verzehrt. Die Konkurrenz beherrscht den numerischen Fortschritt der Mensch¬ heit, sie beherrscht auch ihren sittlichen. Wer mit der Statistik des 35 Verbrechens sich etwas bekannt gemacht hat, dem muß die eigen¬ tümliche Regelmäßigkeit aufgefallen sein, mit der das Verbrechen alljährlich fortschreitet, mit der gewisse Ursachen gewisse Verbre¬ chen erzeugen. Die Ausdehnung des Fabriksystems hat überall eine Vermehrung der Verbrechen zur Folge. Man kann die Anzahl der Verhaftungen, Kriminalfälle, ja die Anzahl der Morde, der Ein¬ brüche, der kleinen Diebstähle usw., für eine große Stadt oder einen Bezirk mit jedesmal zutreffender Genauigkeit alljährlich vorausbestimmen, wie dies in England oft genug geschehen ist.
Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie 403 Diese Regelmäßigkeit beweist, daß auch das Verbrechen von der Konkurrenz regiert wird, daß die Gesellschaft eine Nachfrage nach Verbrechen erzeugt, der durch eine angemessene Zufuhr ent¬ sprochen wird, daß die Lücke, die durch die Verhaftung, Trans- 5 portierung oder Hinrichtung einer Anzahl gemacht, sogleich durch andere wieder ausgefüllt wird, gerade wie jede Lücke in der Be¬ völkerung sogleich wieder durch neue Ankömmlinge ausgefüllt wird, mit andern Worten, daß das Verbrechen ebenso auf die Mittel der Bestrafung drückt, wie die Völker auf die Mittel der 10 Beschäftigung. Wie gerecht es unter diesen Umständen, abgesehen von allen andern, ist, Verbrecher zu bestrafen, überlasse ich dem Urteil meiner Leser. Mir kommt es hier bloß darauf an, die Aus¬ dehnung der Konkurrenz auch auf das moralische Gebiet nachzu¬ weisen und zu zeigen, zu welcher tiefen Degradation das Privat- 15 eigentum den Menschen gebracht hat. In dem Kampfe von Kapital und Boden gegen die Arbeit haben die beiden ersten Elemente noch einen besonderen Vorteil vor der Arbeit voraus — die Hülfe der Wissenschaft, denn auch diese ist unter den jetzigen Verhältnissen gegen die Arbeit gerichtet. Fast 20 alle mechanischen Erfindungen z. B. sind durch den Mangel an Arbeitskraft veranlaßt worden, so besonders Hargreaves’, Cromp¬ tons und Arkwrights Baumwollspinnmaschinen. Die Arbeit ist nie sehr gesucht gewesen, ohne daß daraus eine Erfindung hervor¬ ging, die die Arbeitskraft bedeutend vermehrte, also die Nach- 25 frage von der menschlichen Arbeit ablenkte. Die Geschichte Eng¬ lands von 1770 bis jetzt ist ein fortlaufender Beweis dafür. Die letzte große Erfindung in der Baumwollspinnerei, die Selfac- ting Mule, wurde ganz allein durch die Frage nach Arbeit und den steigenden Lohn veranlaßt, — sie verdoppelte die 3o Maschinenarbeit und beschränkte dadurch die Handarbeit auf die Hälfte, warf die Hälfte der Arbeiter außer Beschäftigung und drückte dadurch den Lohn der andern Hälfte herab ; sie vernichtete eine Verschwörung der Arbeiter gegen die Fabrikanten und zer¬ störte den letzten Rest von Kraft, mit dem die Arbeit noch den un- 35 gleichen Kampf gegen das Kapital ausgehalten hatte (Vgl. Dr. Ure, Philosoph^ of manufactures, Bd. 2). Der Ökonom sagt nun zwar, daß im Endresultate die Maschinerie günstig für die Arbeiter sei, indem sie die Produktion billiger mache und dadurch einen neuen größeren Markt für ihre Produkte schaffe, und so zuletzt die außer 4o Arbeit gesetzten Arbeiter doch wieder beschäftige. Ganz richtig; aber vergißt der Ökonom denn hier, daß die Erzeugung der Ar¬ beitskraft durch die Konkurrenz reguliert wird, daß die Arbeits¬ kraft stets auf die Mittel der Beschäftigung drückt, daß also, wenn diese Vorteile eintreten sollen, bereits wieder eine Überzahl von 26*
404 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern Konkurrenten für Arbeit darauf wartet und dadurch diesen Vor¬ teil illusorisch machen wird, während der Nachteil, die plötzliche Wegnahme der Subsistenzmittel für die eine und der Fall des Lohns für die andere Hälfte der Arbeiter nicht illusorisch ist? Vergißt der Ökonom, daß der Fortschritt der Erfindung nie stockt, 5 daß also dieser Nachteil sich verewigt? Vergißt er, daß bei der durch unsere Zivilisation so unendlich gesteigerten Teilung der Ar¬ beit ein Arbeiter nur dann leben kann, wenn er an dieser bestimmten Maschine für diese bestimmte kleinliche Arbeit verwendet werden kann? daß der Übergang von einer Beschäftigung zu einer andern, 10 neuem, für den erwachsenen Arbeiter fast immer eine entschiedene Unmöglichkeit ist? Indem ich dieWirkungen der Maschinerie ins Auge fasse,komme ich auf ein anderes, entfernteres Thema, das Fabriksystem, und dieses hier zu behandeln, habe ich weder Lust noch Zeit. Ich hoffe 15 übrigens bald eine Gelegenheit zu haben, die scheußliche Unsitt¬ lichkeit dieses Systems ausführlich zu entwickeln und die Heuche¬ lei des Ökonomen, die hier in ihrem vollen Glanze erscheint, scho¬ nungslos aufzudecken.
DIE LAGE ENGLANDS von Friedrich Engels in Manchester Post and Present by Thomas Carlyle. London 1843. 5 Unter all den dicken Büchern und dünnen Broschüren, die im vergangenen Jahre zur Belustigung oder Erbauung der „gebil¬ deten Welt66 in England erschienen sind, ist die obige Schrift die einzige, die des Lesens wert ist. Alle die bändereichen Romane mit ihren traurigen und lustigen Verwicklungen, alle die erbaulichen 10 und beschaulichen, gelehrten und ungelehrten Kommentare über die Bibel — und Romane und Erbauungsbücher sind die zwei Stapelartikel der englischen Literatur — alles das könnt ihr ruhig ungelesen lassen. Vielleicht findet ihr einige geologische oder ökonomische, historische oder mathematische Bücher, die ein is Körnchen Neues enthalten — aber das sind Sachen, die man stu¬ diert, aber nicht liest, das ist trockne Fachwissenschaft, dürre Herbarienwirtschaft, Pflanzen, deren Wurzeln aus dem allge¬ meinen menschlichen Boden, aus dem sie ihre Nahrung zogen, längst losgerissen sind. Ihr mögt suchen wie ihr wollt, Carlyles to Buch ist das einzige, das menschliche Saiten anschlägt, mensch¬ liche Verhältnisse darlegt und eine Spur von menschlicher An¬ schauungsweise entwickelt. Es ist merkwürdig, wie sehr die hohem Klassen der Gesell¬ schaft, so was der Engländer „respectable people“, „the better 25 sort of people“ etc. nennt, in England geistig gesunken und er¬ schlafft sind. Alle Energie, alle Tätigkeit, aller Inhalt sind dahin; der Landadel geht auf die Jagd, der Geldadel schreibt Haupt¬ bücher und, wenn es hoch kommt, treibt sich in einer ebenso leeren und schlaffen Literatur herum. Die politischen und reli- 30 giösen Vorurteile erben sich von Generation zu Generation fort; man bekommt jetzt alles leicht gemacht und braucht sich gar nicht um Prinzipien mehr zu plagen wie in früheren Zeiten; sie fliegen einem jetzt schon in der Wiege fix und fertig zu, man weiß nicht woher. Was braucht man weiter? Man hat eine gute Erziehung 35 genossen, d. h. man ist in der Schule mit den Römern und Grie¬ chen ohne Erfolg geplagt worden, im übrigen ist man „respek¬ tabel66, d. h. besitzt so und so viel Tausend Pfund und hat sich also
406 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern um weiter gar nichts zu bemühen als um eine Frau, wenn man noch keine hat. Und nun vollends der Popanz, den die Leute „Geist66 nennen! Wo soll in einem solchen Leben Geist herkommen, ja, wenn er käme, wo soll er ein Unterkommen finden bei ihnen? Da ist alles 5 chinesisch festgesetzt und abgezirkelt — wehe dem, der die engen Grenzen überschreitet, wehe, dreimal wehe dem, der gegen ein altehrwürdiges Vorurteil anstößt, neunmal wehe ihm, wenn dies Vorurteil ein religiöses ist. Da gibt es für alle Fragen nur zwei Antworten, eine Whigantwort und eine Toryantwort; und diese 10 Antworten sind von den weisen Oberzeremonienmeistem beider Parteien längst vorgeschrieben, ihr habt gar keine Überlegung und Weitläuftigkeiten nötig, es ist alles fix und fertig, Dicky Cob¬ den oder Lord John Russell hat das gesagt, und Bobby Peel oder der „Herzog66 par excellence, nämlich der von Wellington, hat so 15 gesagt, und dabei bleibts. Ihr guten Deutschen müßt euch alle Jahre von den liberalen Zeitungsschreibern und Volksvertretern vorsagen lassen, was die Engländer für wunderbare Leute und unabhängige Männer seien, und alles das durch ihre freien Institutionen, und das sieht sich 20 aus der Entfernung ganz gut an. Die Debatten der Parlaments¬ häuser, die freie Presse, die stürmischen Volksversammlungen, die Wahlen, die Juries verfehlen ihren Effekt auf Michels timides Gemüt nicht, und in seiner Verwunderung nimmt er all den schönen Schein für bare Münze. Aber am Ende ist doch der Stand- 25 punkt des liberalen Zeitungsschreibers und Volksvertreters noch lang nicht hoch genug, um einen umfassenden Überblick zu ge¬ währen, sei es über die Entwicklung der Menschheit oder auch nur die einer einzigen Nation. Die englische Verfassung ist ihrer Zeit ganz gut gewesen und hat manches Gute getan, ja seit 1828 hat 30 sie angefangen, an ihrer besten Tat, nämlich an ihrer eignen Zer¬ störung zu arbeiten — aber das, was ihr der Liberale zuschreibt, das hat sie nicht getan. Sie hat die Engländer nicht zu unabhän¬ gigen Männern gemacht. Die Engländer, d. h. die gebildeten Eng¬ länder, nach denen man auf dem Kontinent den Nationalcharakter 35 beurteilt, diese Engländer sind die verächtlichsten Sklaven unter der Sonne. Nur der auf dem Kontinent unbekannte Teil der eng¬ lischen Nation, nur die Arbeiter, die Parias Englands, die Armen sind wirklich respektabel, trotz all ihrer Roheit und all ihrer Demoralisation. Von ihnen geht die Rettung Englands aus, in 40 ihnen liegt noch bildsamer Stoff ; sie haben keine Bildung, aber auch keine Vorurteile, sie haben noch Kraft aufzuwenden für eine große nationale Tat — sie haben noch eine Zukunft. Die Aristo¬ kratie — und diese schließt heutzutage auch die Mittelklassen ein—hat sich erschöpft; was sie von Gedankengehalt aufzuwenden 45
Die Lage Englands. Carlyles Fast and Present 407 hatte, ist bis in die letzten Konsequenzen verarbeitet und praktisch gemacht, und ihr Reich geht mit großen Schritten seinem Ende entgegen. Die Konstitution ist ihr Werk, und die nächste Folge dieses Werks war, daß es seine Urheber mit einem Netze von Insti- ö tutionen umgarnte, in dem jede freie geistige Bewegung unmög¬ lich gemacht ist. Die Herrschaft des öffentlichen Vorurteils ist überall die erste Folge sogenannter freier politischer Institutionen, und diese Herrschaft ist in dem politisch freisten Lande Europas, in England, stärker als sonst irgendwo — Nordamerika ausge- 10 nommen, wo durch das Lynchgesetz das öffentliche Vorurteil als Macht im Staate gesetzlich anerkannt ist. Der Engländer kriecht vor dem öffentlichen Vorurteil, opfert sich ihm täglich auf — und je liberaler er ist, desto demütiger schmiegt er sich in den Staub vor diesem seinem Götzen. Das öffentliche Vorurteil in den „gebil- 15 deten Kreisen46 ist aber entweder torystisch oder whiggisch, höch¬ stens radikal — und das selbst riecht schon nicht mehr ganz fein. Geht einmal unter gebildete Engländer und sagt, ihr seid Char¬ tisten oder Demokraten — man wird an eurem gesunden Ver¬ stände zweifeln und eure Gesellschaft fliehen. Oder erklärt, ihr so glaubtet nicht an die Gottheit Christi, und ihr seid verraten und verkauft; gesteht vollends, das ihr Atheisten seid, und man tut am andern Tage, als kenne man euch nicht. Und der unabhängige Eng¬ länder, wenn er, was selten genug vorkommt, wirklich einmal zu denken anfängt und die Fesseln des mit der Muttermilch einge- 25 sognen Vorurteils abschüttelt, selbst dann hat er nicht den Mut, seine Überzeugung frei herauszusprechen, selbst dann heuchelt er sich für die Öffentlichkeit eine wenigstens tolerierte Meinung an und ist nur zufrieden, wenn er unter vier Augen zuweilen mit einem Gleichgesinnten gerade aus sprechen kann. w So sind die gebildeten Klassen in England allem Fortschritt verschlossen und werden nur durch den Andrang der arbeitenden Klasse noch etwas in Bewegung gehalten. Es ist nicht zu erwarten, daß das literarische tägliche Brot dieser altersschwachen Bildung anders beschaffen sei als sie selbst. Die ganze fashionable Lite¬ rs ratur dreht sich in einem ewigen Kreise und ist gerade so lang¬ weilig und unfruchtbar wie die blasierte und ausgesogene fashio¬ nable Gesellschaft. Als Strauß’ Leben Jesu und sein Renommee über den Kanal kam, da wagte es kein anständiger Mann, das Buch zu übersetzen, io kein angesehener Buchhändler, es zu drucken. Endlich übersetzte es ein sozialistischer Lecturer (für diesen agitatorischen Kunst¬ ausdruck gibt es kein deutsches Wort) — also ein Mann in einer der unfashionabelsten Lebensstellungen von der Welt — ein un¬ bedeutender sozialistischer Buchdrucker druckte es in Heften, 45 jedes zu einem Penny, und die Arbeiter von Manchester, Birming-
408 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern ham und London bildeten das einzige Publikum für Strauss in England. Wenn übrigens von den beiden Parteien, in die sich der gebil¬ dete Teil der Engländer spaltet, eine einen Vorzug verdient, so sind dies die Tories. Der Whig ist bei der sozialen Lage Englands 5 zu sehr selbst Partei, um ein Urteil haben zu können; die Industrie, dieses Zentrum der englischen Gesellschaft, ist in seinen Händen und bereichert ihn ; er findet sie tadellos und hält ihre Ausdehnung für den einzigen Zweck aller Gesetzgebung, denn sie hat ihm seinen Reichtum und seine Macht gegeben. Der Tory dagegen, dessen 10 Macht und Alleinherrschaft durch die Industrie gebrochen worden ist, dessen Prinzipien durch sie erschüttert worden sind, haßt sie und sieht in ihr höchstens ein notwendiges Übel. Daher bildete sich jene Sektion philanthropischer Tories, deren Hauptführer Lord Ashley, Ferrand, Walter, Gastier etc. sind, und die sich die is Vertretung der Fabrikarbeiter gegen die Fabrikanten zur Pflicht gemacht haben. Auch Thomas Carlyle ist ursprünglich ein Tory und steht dieser Partei noch immer näher als den Whigs. Soviel ist gewiß, ein Whig hätte nie ein Buch schreiben können, das halb so menschlich wäre wie „Post and Present66. 20 Thomas Carlyle ist in Deutschland durch seine Bemühungen, den Engländern die deutsche Literatur zugänglich zu machen, be¬ kannt geworden. Seit mehreren Jahren beschäftigt er sich haupt¬ sächlich mit der sozialen Lage Englands, — er der einzige der Ge¬ bildeten seines Landes, der das tut! — und schrieb schon 1838 25 ein kleineres Werk: Chartism. Damals waren die Whigs im Mini¬ sterium und proklamierten mit vielem Pomp, daß das gegen 1835 entstandene „Gespenst66 des Chartismus vernichtet sei. Der Char¬ tismus war die natürliche Fortsetzung des alten Radikalismus, der durch die Reformbill für einige Jahre beschwichtigt und seit ja 1835/36 mit neuer Kraft und in geschlossenem Massen als je vor¬ her wieder aufgetreten war. Diesen Chartismus glaubten die Whigs unterdrückt zu haben, und Thomas Carlyle nahm davon Veran¬ lassung, die wirklichen Ursachen des Chartismus, und die Un¬ möglichkeit ihn zu vertilgen, ehe diese Ursachen vertilgt seien, 35 zu entwickeln. Der Standpunkt dieses Buchs ist zwar im ganzen derselbe wie in Past and Present, aber mit etwas stärkerer tory- stischer Färbung, die indes vielleicht bloß in dem Umstand be¬ gründet ist, daß die Whigs als herrschende Partei der Kritik am nächsten lagen. Jedenfalls enthält „Past and Present66 alles, was 40 in dem kleineren Buche steht, klarer, entwickelter und mit aus¬ drücklicher Bezeichnung der Konsequenzen, und überhebt uns also der Kritik des Chartismus. „Past and Present66 ist eine Parallele zwischen dem England des zwölften und dem des neunzehnten Jahrhunderts und besteht 4$
Die Lage Englands. Carlyles Past and Present 409 aus vier Abteilungen, überschrieben: Proömium; der Mönch der Vorzeit; der Arbeiter der Neuzeit; Horoskop. — Gehen wir der Reihe nach durch diese Abteilungen; ich kann der Versuchung, die schönsten der oft wunderbar schönen Stellen des Buchs zu 5 übersetzen, nicht widerstehen. — Die Kritik wird schon für sich selbst sorgen. Das erste Kapitel des Proömiums heißt: „Midas.66 „Die Lage Englands gilt mit Recht für eine der drohend¬ sten und überhaupt fremdartigsten, die je in der Welt gesehen 10 wurden. England ist voller Reichtum aller Art, und doch stirbt England vor Hunger. Mit ewig gleicher Fülle grünt und blüht der Boden Englands, wogend mit goldenen Ernten, dicht besetzt mit Werkstätten, mit Handwerkszeug aller Art, mit fünfzehn Mil¬ lionen Arbeitern, die die stärksten, klügsten und willigsten sein 15 sollen, die unsere Erde je besaß; diese Männer sind hier; die Ar¬ beit, die sie getan, die Frucht, die sie geschaffen haben, ist hier im Überfluß, überall in üppigster Fülle — und siehe, welch un¬ selig Gebot, wie eines Zauberers, ist ausgegangen und sagt: Rührt es nicht an, ihr Arbeiter, ihr arbeitenden Herren, ihr müßigen 2o Herren; euer keiner soll es anrühren, euer keiner soll es ge¬ nießen — dies ist bezauberte Frucht!“ Auf die Arbeiter fällt dies Gebot zuerst. 1842 zählte England und Wales 1430 000 Paupers, von denen 222 000 in Arbeitshäu¬ sern — Armengesetz-Bastillen nennt sie das Volk — eingesperrt S5 sitzen. — Dank der Humanität der Whigs! — Schottland hat kein Armengesetz, aber Arme in Masse. — Irland, beiläufig, kann sich der ungeheuren Zahl von 2 300 000 Paupers rühmen. „Vor den Assisen zu Stockport (Cheshire) wurden eine Mutter und ein Vater angeklagt und schuldig befunden der Vergiftung so dreier ihrer Kinder, um dadurch einen Begräbnisklub um drei Pfund acht Schillinge, zahlbar beim Tode jedes Kindes, zu be¬ trügen, und die amtlichen Autoritäten, sagt man, deuten an, daß der Fall nicht der einzige ist, daß es vielleicht besser sei, dies nicht genauer zu untersuchen. Solche Beispiele sind gleich dem 3s höchsten Berggipfel, der am Horizont emportaucht — drunter liegt eine ganze Berggegend und noch nicht aufgetauchtes Land. — Eine menschliche Mutter, ein menschlicher Vater sagen unter¬ einander: Was sollen wir tun, um dem Hungertode zu entgehen? Wir sind tief gesunken, hier in unserm dunkeln Keller, und Hülfe so ist fern. — O, in Ugolinos Hungerturm geschehen ernste Dinge, der vielgeliebte kleine Gaddo1) ist tot hingefallen an des Vaters Knieen! — Die Stockporter Eltern denken und sagen: unser armer kleiner hungriger Tom, der den ganzen Tag nach Brot schreit, O In den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“ Godda
410 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern der nur Übles und nichts Gutes in dieser Welt sehen wird — wenn er mit einem Male aus der Not käme — und wir andern vielleicht erhalten würden? Es ist gedacht, gesagt, zuletzt getan. Und nun Tom tot ist und alles ausgegeben und verzehrt, kommt jetzt der arme kleine hungrige Jack an die Reihe, oder der arme kleine s hungrige Will? — 0 was für eine Überlegung der Wege und Mit¬ tel, das! — In belagerten Städten, in dem äußersten Ruin des unter dem Zorn Gottes gefallnen Jerusalems, war geweissagt worden: die Hände der elenden Weiber haben ihre eigenen Kinder sich zur Speise bereitet. Die düstre Phantasie des Hebräers konnte keinen 20 schwärzem Schlund des Elends sich vorstellen, das war das letzte des entwürdigten, gottverfluchten Menschen — und wir hier, im modernen England, in der Fülle des Reichtums — kommen wir dahin? Wie geht das zu? Woher kommt das, weshalb muß dem so sein?66 15 Dies geschah 1841. Ich mag hinzufügen, daß vor fünf Mona¬ ten in Liverpool Betty Eules aus Bolton gehangen wurde, die drei eigene und zwei Stiefkinder aus derselben Veranlassung ver¬ giftet hatte. Soviel für die Armen. Wie sieht’s mit den Reichen aus? 20 Diese erfolgreiche Industrie mit ihrem strotzenden Reichtum hat bis jetzt noch niemand reich gemacht, es ist behexter Reich¬ tum und gehört niemandem. Wir können Tausende ausgeben, wo wir sonst Hunderte anlegten — aber wir können nichts Brauch¬ bares dafür kaufen. — Mancher ißt feinere Leckereien, trinkt 25 teurere Weine, — aber was für ein größerer Segen ist da? Sind sie schöner, besser, stärker, braver? Sind sie nur, was sie ,glück¬ licher6 nennen?66 Der arbeitende Herr ist nicht glücklicher, der faulenzende Herr, d. h. der adlige Grundbesitzer, ist nicht glücklicher — „für 30 wen denn ist dieser Reichtum, Englands Reichtum? Wen segnet er, wen macht er glücklicher, schöner, weiser, besser? Bis jetzt nie¬ mand. Unsre erfolgreiche Industrie hat bis jetzt keinen Erfolg; in der Mitte üppiger Fülle verhungert das Volk; zwischen goldenen Mauern und vollen Scheunen fühlt sich keiner sicher und zu- 33 frieden. — Midas schmachtete nach Gold und beschimpfte den Olymp. Er bekam Gold, so daß alles, was er berührte, Gold wurde — und das half ihm mit seinen langen Ohren wenig. Midas hatte die himmlische Musik mißbeurteilt. Midas hatte Apollon und die Götter beschimpft, und die Götter bewilligten ihm seinen Wunsch 40 und ein Paar lange Ohren dazu, auch ein gutes Anhängsel, — welch eine Wahrheit in diesen alten Fabeln!66 „Wie wahr66, fährt er im zweiten Kapitel fort, „ist die andre alte Fabel von der Sphynx: Die Natur ist die Sphynx, eine Göttin, aber noch nicht ganz befreit, noch halb in der Tierheit, der Geist- 43
Die Lage Englands. Carlyles Past and Present 411 losigkeit steckend — Ordnung, Weisheit auf der einen Seite, aber auch Dunkelheit, Wildheit, Schicksalsnotwendigkeit.66 Die Sphynx- Natur — deutscher Mystizismus, sagen die Engländer, wenn sie dies Kapitel lesen — hat für jeden Menschen und jede Zeit eine 5 Frage — glücklich der, der sie richtig beantwortet; wer sie nicht oder falsch beantwortet, fällt dem tierisch-wilden Teil der Sphynx anheim, statt der schönen Braut findet er eine reißende Löwin. Und so ist es mit Nationen auch: könnt ihr das Rätsel des Schick¬ sals lösen? Und alle unglücklichen Völker, wie alle unglücklichen 10 Individuen haben die Frage falsch beantwortet, den Schein für die Wahrheit genommen, die ewigen inneren Tatsachen des Uni¬ versums für die äußerlichen vergänglichen Erscheinungsformen fahren lassen; und das hat England auch getan. England ist, wie er sich später ausdrückt, dem Atheismus anheimgefallen, und seine is jetzige Lage ist die notwendige Folge davon. Wir werden später davon zu sprechen haben, einstweilen ist bloß zu bemerken, daß Carlyle das Gleichnis der Sphynx, wenn es in dem obigen panthe- istisch-altschellingschen Sinn zugelassen werden soll, noch etwas weiter hätte ausführen können, — die Lösung des Rätsels ist heute, 20 wie in der Sage, der Mensch, und zwar die Lösung im allerweite¬ sten Sinne. Auch das wird seine Erledigung finden. Das nächste Kapitel gibt uns die folgende Schilderung der Manchester-Insurrektion vom August 1842 : „Eine Million hungriger Arbeiter standen auf, kamen alle 25 heraus auf die Straße und — standen da. Was sonst sollten sie tun? Ihre Unbilden und Klagen waren bitter, unerträglich, ihre Wut dagegen war gerecht; aber wer verursacht diese Klagen, wer will abhelfen? Unsre Feinde sind, wir wissen nicht wer oder was; unsre Freunde sind, wir wissen nicht, wo? Wie sollen wir jemand m angreifen, jemand erschießen oder uns von jemand erschießen lassen? 0, wenn dieser verfluchte Nachtalp, der unsichtbar unser und der Unsrigen Leben auspreßt, nur eine Gestalt annehmen, uns als syrkanischer Tiger, als Behemoth des Chaos, als der Erzfeind selbst entgegentreten wollte! in irgend einer Gestalt, die wir sehen, so an der wir ihn fassen könnten!66 Das war aber eben das Unglück der Arbeiter in der Sommer¬ insurrektion von 1842, daß sie nicht wußten, gegen wen sie kämp¬ fen sollten. Ihr Übel war ein soziales — und soziale Übel lassen sich nicht abschaffen, wie man das Königtum oder die Privilegien « abschafft. Soziale Übel lassen sich nicht durch Volkscharten ku¬ rieren, und das fühlte das Volk — sonst wäre die Volkscharte heute das Grundgesetz von England. Soziale Übel wollen studiert und erkannt sein, und das hat die Masse der Arbeiter bis jetzt noch nicht getan. Die große Frucht des Aufstandes war, daß die 45 Lebensfrage Englands, die Frage nach dem definitiven Los der
412 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern arbeitenden Klasse, wie Carlyle sagt, auf eine für jedes denkende Ohr in England hörbare Weise gestellt wurde. Die Frage kann jetzt nicht mehr umgangen werden, England muß sie beantworten oder untergehen. Übergehen wir die Schlußkapitel dieses Abschnitts, übergehen s wir einstweilen auch den ganzen folgenden, und nehmen wir gleich den dritten Abschnitt, der von dem „Arbeiter der Neuzeit“ handelt, um die Schilderung der Lage Englands, wie sie im Pro- ömium angefangen wurde, ganz beisammen zu haben. Wir haben, fährt Carlyle fort, die Religiosität des Mittelalters io weggeworfen und nichts dafür bekommen; wir haben „Gott ver¬ gessen, wir haben unsre Augen verschlossen für die ewige Wesen¬ heit der Dinge und sie nur offen gehalten für den betrügerischen Schein der Dinge; wir beruhigen uns dabei, daß dies Universum innerlich ein großes unbegreifliches Vielleicht ist, und äußerlich is augenscheinlich ein großer Viehstand und ein Arbeitshaus mit bedeutenden Küchengebäuden und Eßtischen, wo, wer weise ist, einen Platz findet; alle Wahrheit dieses Universums ist ungewiß, nur der Gewinn und Verlust, nur das Magenfutter und der Bei¬ fall sind und bleiben dem praktischen Menschen einleuchtend. 20 — Kein Gott existiert mehr für uns; Gottes Gesetze sind ein ,Prin¬ zip der größtmöglichen Glückseligkeit6, ein Parlamentskniff ge¬ worden; der Himmel ist eine astronomische Uhr, ein Jagdterrain für Herschelsche Teleskope geworden, wo man auf wissenschaft¬ liche Resultate und Sentimentalitäten jagt; in unsrer und des alten 25 Ben Jonsons Sprache: der Mensch hat seine Seele verloren und fängt jetzt an, ihren Mangel zu merken. Das ist in Wahrheit der wunde Fleck, das Zentrum des allgemeinen sozialen Krebsge¬ schwürs. — Es gibt keine Religion, es gibt keinen Gott, der Mensch hat seine Seele verloren und sucht umsonst nach einem Salz gegen 30 die Verfaulung. Umsonst in der Hinrichtung von Königen, in französischen Revolutionen, in Reformbills, in Manchester-Insur¬ rektionen, in alle dem ist kein Heilmittel. Der faule Aussatz, für eine Stunde erleichtert, kommt in der nächsten stärker und ver¬ zweifelter wieder.66 — 35 Da aber die Stelle der alten Religion nicht ganz unbesetzt blei¬ ben konnte, so haben wir ein neues Evangelium an ihrer Statt be¬ kommen, ein Evangelium, das der Hohlheit und Inhaltslosigkeit des Zeitalters entspricht — das Evangelium des Mammon. Der christliche Himmel und die christliche Hölle sind, jener als zwei- 40 felhaft, diese als unsinnig aufgegeben — und ihr habt eine neue Hölle bekommen; die Hölle des modernen Englands ist das Be¬ wußtsein, „nicht voranzukommen, kein Geld zu verdienen!66 — „Wahrlich, mit unserm Mammonsevangelium sind wir zu sonder¬ baren Folgerungen gekommen! Wir nennen es Gesellschaft, 45
Die Lage Englands. Carlyles Past and Present 413 und doch richten wir überall die totalste Trennung und Isolierung ein. Unser Leben ist nicht gegenseitige Unterstützung, sondern gegenseitige Feindseligkeit, unter gewissen Kriegsgesetzen „ver¬ nünftige Konkurrenz66 und so weiter. Wir haben durchaus ver- « gessen, daß bare Zahlung nicht das einzige Band zwischen Mensch und Mensch ist. „Meine hungernden Arbeiter?66 sagt der reiche Fa¬ brikant. „Hab ich sie nicht, wie recht und billig, im Markt gemietet? Hab ich ihnen nicht meine vertragsmäßige Schuldigkeit bei Heller und Pfennig bezahlt? Was hab ich sonst noch mit ihnen zu schaf- 10 fen? Wahrlich, Mammonskultus ist ein trauriger Glaube!66 — „Eine arme irische Witwe in Edinburgh bat um Hülfe einer wohltätigen Anstalt für sich und ihre drei Kinder. An allen An¬ stalten wurde sie abgewiesen; Kraft und Mut versagten ihr; sie sank nieder im Typhusfieber, starb und infizierte ihre ganze Gasse 15 mit der Krankheit, so daß siebenzehn andere infolgedessen starben. Der menschliche Arzt, der diese Geschichte erzählt — Dr. W. P. Alison — fragt dabei: würde es nicht ökonomischer gewesen sein, dieser Frau zu helfen? Sie bekam das Fieber und tötete eurer siebenzehn! — Sehr sonderbar. Die verlassene irische so Witwe wendet sich an ihre Mitgeschöpfe: seht, ich komme hülflos um, Ihr müßt mir helfen, ich bin Eure Schwester; Bein von Eurem Bein, Ein Gott schuf uns! Sie aber antworten: Nein, unmöglich; Du bist unsere Schwester nicht. Aber sie beweist ihre Schwester¬ schaft; ihr Fieber tötet sie; sie waren ihre Brüder, obwohl sie es 25 leugneten. Wann mußte man diesen Beweis noch niedriger suchen?66 Carlyle, beiläufig gesagt, ist hier im Irrtum, eben so wie Alison. Die Reichen haben kein Mitleiden, kein Interesse für den Tod der „Siebenzehn66. Ist es nicht ein öffentliches Glück, daß die „über- 3o zählige Bevölkerung66 um siebenzehn vermindert wird? Wenn es nur ein paar Millionen wären anstatt lumpiger „siebenzehn66, so wäre das um so viel besser. — Das ist das Raisonnement der eng¬ lischen reichen Malthusianer. Und dann das andre, noch schlimmere Evangelium des Dilet- 35 tantismus, das eine Regierung geschaffen hat, die nichts tut, das den Menschen allen Emst genommen hat und sie treibt, das scheinen zu wollen, was sie nicht sind — das Streben nach „Glück¬ seligkeit66, d. h. nach gutem Essen und Trinken, das die krasse Ma¬ terie auf den Thron erhoben und allen geistigen Inhalt zerstört 40 hat; was soll bei allem dem herauskommen? „Und was sollen wir sagen zu einer Regierung wie die unsrige, die ihren Arbeitern eine Anklage der Überproduktion6 entgegen¬ hält? Überproduktion, ist das nicht der Punkt? Ihr verschiedenen fabrizierenden Individuen, Ihr habt zu viel produziert! Unsere An¬ klage ist, daß Ihr mehr als zweihunderttausend Hemden für die
414 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern Blöße der Menschheit gemacht habt. Auch die Beinkleider, die Ihr verfertigtet von Baumwollensammet, Kasimir, schottisch Plaid, von Nanking und wollen Tuch, sind sie nicht mannigfaltig? Hüte und Schuhe, Stühle zum Sitzen und Löffel zum Essen — ja, und gol¬ dene Uhren produziert Ihr, Juwelensachen, silberne Gabeln, Kom- s moden, Chiffonnieren und gepolsterte Sofas — o Himmel, alle Commercial Bazars und Howel and James’s können Eure Produkte nicht bergen; Ihr habt produziert, produziert, produziert — wer Euch anklagen will, möge nur um sich sehen; Millionen Hemden und leere Beinkleider hangen da zum Zeugnis wider Euch. Wir 10 klagen Euch der Überproduktion an; Ihr seid schuldig des schwe¬ ren Verbrechens, Hemden, Hosen, Hüte und Schuhe und so weiter in schaudererregendem Überfluß produziert zu haben. Und jetzt ist eine Stockung infolgedessen, und Eure Arbeiter müssen ver¬ hungern.66 is „My Lords und Gentlemen, wes klagen Sie jene armen Arbeiter an? Sie, My Lords und Gentlemen, waren ernannt dafür zu sor¬ gen, daß keine Stockungen einträten; Sie hatten darauf zu sehen, daß die Verteilung des Lohns für die getane Arbeit ordentlich vor sich gehe, daß kein Arbeiter ohne seinen Lohn, sei es in Geld- 20 münzen, sei es in hänfnen Galgenstricken, bliebe; das war Ihr Amt von undenklicher Zeit her. Diese armen Spinner haben viel vergessen, was nach dem innem ungeschriebenen Gesetz ihrer Stellung sie hätten bedenken sollen — aber welch geschrieben Gesetz ihrer Stellung haben sie vergessen? Sie waren angestellt, 25 Hemden zu machen. Die Gemeinde befahl ihnen: macht Hemden — und hier sind die Hemden. Zu viel Hemden? Wahrlich, das ist neu, auf dieser verrückten Welt, mit ihren neunhundert Mil¬ lionen nackter Leiber! Aber, My Lords und Gentlemen, Ihnen be¬ fahl die Gemeinde: seht zu, daß diese Hemden wohl verteilt wer- 30 den — und wo ist die Verteilung? Zwei Millionen hemdloser oder schlechtbehemdeter Arbeiter sitzen in Armengesetz-Bastillen, fünf Millionen andere in Ugolinoschen Hungerkellem; und dem abzu¬ helfen, sagen Sie: steigert unsre Renten! Sie sagen triumphie¬ rend: Ihr wollt Anklagen zusammenflicken, Ihr wollt uns Über- 35 Produktion vorwerfen? Wir nehmen Himmel und Erde zu Zeu¬ gen, daß wir gar nichts produziert haben. In den weiten Reichen der Schöpfung ist kein Hemd, das wir gemacht hätten. Wir sind unschuldig an der Produktion; im Gegenteil, Ihr Undankbaren, was für Berge von Dingen haben wir nicht zu ,konsumieren6 ge- 40 habt! Sind diese Berge nicht verschwunden vor uns, als ob wir Straußenmägen hätten und eine Art göttlicher Fähigkeit des Ver¬ zehrens? Ihr Undankbaren; seid Ihr nicht gewachsen unter dem Schatten unsrer Flügel? Eure schmutzigen Fabriken, stehen sie nicht auf unserm Grund und Boden? Und wir sollen Euch unser is
Die Lage Englands. Carlyles Past and Present 415 Korn nicht zu dem Preise verkaufen können, der uns gefällt? Was, denkt Ihr, würde aus Euch werden, wenn wir, die Besitzer des Bodens von England, beschlössen, gar kein Korn mehr wachsen zu lassen?66 5 Diese Anschauungsweise der Aristokratie, diese barbarische Frage: was würde aus Euch werden, wenn wir nicht so gnädig wären, Korn wachsen zu lassen, hat die „wahnsinnigen und er¬ bärmlichen Korngesetze66 produziert; die Komgesetze, die so wahnsinnig sind, daß man gar keine Argumente gegen sie vor- 10 bringen kann als solche, „die einen Engel im Himmel und auch einen Esel auf Erden zum Weinen bringen müssen66. Die Kom¬ gesetze beweisen, daß die Aristokratie noch nicht gelernt hat, kein Unheil anzurichten, still zu sitzen, gar nichts zu tun, geschweige denn, etwas Gutes zu tim, und doch wäre dies nach Carlyle ihre io Pflicht; „sie ist durch ihre Stellung verpflichtet, England zu leiten und zu regieren, und jeder Arbeiter im Arbeitshause hat das Recht, sie vor allem andern zu fragen: „Warum bin ich hier? Seine Frage wird gehört im Himmel und wird sich auch hörbar machen auf Erden, wenn sie nicht beachtet wird. Seine Anklage ist gegen Sie, 2o My Lords und Gentlemen ; Sie stehen in der ersten Reihe der An¬ geklagten, Sie, kraft der Stellung, die Sie einnehmen, haben ihm zuerst zu antworten! — Das Schicksal der faulenzenden Aristo¬ kratie, wie ihr Horoskop in Komgesetzen usw. zu lesen ist, ist ein Abgrund, der einen mit Verzweiflung füllt! Ja meine rosigen 25 fuchsjagenden Brüder, durch Eure frischen, schmucken Gesichter, durch Eure Komgesetz-Majoritäten, sliding-scales, Schutzzölle, Bestechungswahlen und kentische Triumphfeuer entdeckt ein den¬ kendes Auge schauerliche Bilder des Sturzes, zu schauerlich für Worte, eine Mene Mene Handschrift — guter Gott, erklärte nicht 30 eine französische nichtstuende Aristokratie, kaum ein halb Jahr¬ hundert verfloß seitdem, ebenso: wir können nicht existieren, nicht fortfahren uns standesmäßig zu kleiden und zu paradieren; der Grundzins unserer Besitzungen reicht nicht aus, wir müssen mehr haben als das, wir müssen von Steuern eximiert sein und ein Kom- 35 gesetz haben, um unsern Grundzins zu steigern. Das war 1789, vier Jahre weiter — habt Ihr von der Gerberei zu Meudon gehört, wo die Nackten sich Hosen von Menschenhaut machten? Möge der barmherzige Himmel das Omen abwenden; mögen wir weiser sein, damit wir weniger elend werden!66 40 Und die arbeitende Aristokratie verfängt sich in den Vogel¬ netzen der faulenzenden Aristokratie und kommt mit ihrem „Mammonismus66 zuletzt auch in eine schlimme Lage; „die Leute auf dem Kontinent, scheint es, exportieren unsre Maschinerie, spinnen Baumwolle und fabrizieren für sich selbst, treiben uns 45 aus diesem Markt und dann aus dem. Traurige Nachrichten,
416 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern aber lange noch nicht die traurigsten. Das Traurigste ist, daß wir unsre nationale Existenz, wie ich habe sagen hören, abhängig sehen sollten von unsrer Fähigkeit, Baumwollenstoffe, einen Hel¬ ler die Elle wohlfeiler zu verkaufen als alle andere Völker. Ein sehr schmaler Stand für eine große Nation, das! Ein Stand, den wir, wie mir scheint, trotz aller möglichen KomgesetzabSchaffun¬ gen auf die Dauer nicht werden erhalten können. — Keine große Nation kann auf einer solchen Pyramidenspitze stehen, sich höher und höher schraubend, auf der großen Zehe balancierend. Kurz, dies Mammonsevangelium mit seiner Hölle des Nichtsverdienens, 10 Nachfrage und Zufuhr, Konkurrenz, Handelsfreiheit, laissez faire und der Teufel hol’ das Übrige, fängt allmählich an, das erbärm¬ lichste Evangelium zu werden, das je auf der Erde gepredigt wurde. — Ja, wenn die Korngesetze morgen auf gehoben wären, so ist damit noch nichts am Ende, es ist bloß Raum gemacht, um 15 Dinge aller Art anzufangen. Die Komgesetze fort, den Handel frei gemacht, so ist es gewiß, daß die jetzige Lähmung der Indu¬ strie verschwinden wird. Wir werden wieder eine Periode der Handelsunternehmungen, des Sieges und der Blüte haben, das würgende Band der Hungersnot um unsern Nacken wird loser 20 werden, wir werden Raum zum Atmen und Zeit zum Besinnen und Bereuen haben — eine dreimal kostbare Zeit, um, wie für unser Leben, für die Reform unsrer bösen Wege zu kämpfen, unser Volk zu erleichtern, zu unterrichten, zu regeln ; ihm etwas geistige Nah¬ rung, etwas wirkliche Leitung und Regierung zuzuwenden — es 25 wird eine unbezahlbare Zeit sein! Denn unsre neue Periode der Blüte wird und muß auf die alte Methode von „Konkurrenz und der Teufel hol’ das Übrige zuletzt sich doch wieder nur als ein Paroxysmus erweisen, und wahrscheinlich als unser letzter. Denn verdoppelt sich in zwanzig Jahren unsre Industrie, so ist auch 30 unsre Bevölkerung in zwanzig Jahren verdoppelt; wir werden so weit sein wie wir waren, nur unser doppelt so viele, und doppelt, ja zehnmal so unbändig. — Wehe, in was für Gegenden sind wir auf dieser unsrer Wanderung durch die Weite der Zeiten geraten, wo die Menschen umherwandeln wie galvanisierte Leichen, mit 35 gedankenlosen, stieren Augen, ohne Seele, nur mit einer fieber¬ mäßigen Industriefähigkeit und einem Magen zur Verdauung! Die abgemagerte Verzweiflung der Baumwollfabriken, Kohlen¬ bergwerke und Chandosschen Äckerbautaglöhner in diesen Tagen ist schmerzlich anzuschauen, aber lange nicht so schmerzlich dem 40 Denkenden als diese brutale gottvergessene Gewinn- und Verlust¬ philosophie und Lebensweisheit, die wir überall ausschreien hören in Senatssitzungen, Disputierklubs, leitenden Artikeln, von Kan¬ zeln und Rednerbühnen herab als das Ultimatevangelium und ehrliche Englisch des menschlichen Lebens!66 45
Die Lage Englands. Carlyles Past and Present 417 „Ich habe die Kühnheit, zu glauben, daß zu keiner Zeit, seit den Anfängen der Gesellschaft, das Los der stummen, abgearbeiteten Millionen so durchaus unerträglich gewesen ist wie jetzt. Nicht der Tod, oder selbst der Hungertod, macht den Menschen elend; « wir alle müssen sterben, unser aller letzter Ausgang ist in einem Feuerwagen des Schmerzes; aber elend zu sein und nicht zu wissen warum, sich siech zu arbeiten für nichts und wieder nichts, abgearbeiteten und müden Herzens, und doch isoliert, verwaist zu sein, eingegürtet von einem kalten, universellen Laissez-faire, 10 langsam zu sterben all unser Leben lang, eingemauert in eine taube, tote unendliche Ungerechtigkeit wie in den verfluchten Bauch eines Phalarisstiers — das ist und bleibt für ewig unerträg¬ lich für alle gottgeschaffenen Menschen. Und wir wundem uns über eine französische Revolution, eine ,große Woche4, einen is englischen Chartismus? Die Zeiten, wenn wir’s recht bedenken, sind wahrlich beispiellos.44 Wenn in solchen beispiellosen Zeiten die Aristokratie sich zur Lenkung des allgemeinen Wesens unfähig erweist, so ist es eine Notwendigkeit, sie auszustoßen. Daher die Demokratie. „Zu wel- 20 eher Ausdehnung die Demokratie jetzt schon gelangt ist, wie sie mit ominöser, stets wachsender Eile voran schreitet, kann jeder sehen, der seine Augen für irgend ein Gebiet der menschlichen Verhältnisse öffnen will. Von dem Donner napoleonischer Schlach¬ ten bis zum Geplärre um eine offene Gemeindeversammlung in 26 St. Mary Axe verkündigt alles Demokratie.44 Aber was ist Demo¬ kratie am Ende? „Nichts als der Mangel an Herren, die euch regie¬ ren könnten, und die Ergebung in diesen unvermeidlichen Mangel, der Versuch, ohne sie fertig zu werden. — Niemand unterdrückt dich, du freier und unabhängiger Wähler, aber unterdrückt dich so nicht dieser stupide Portertopf? Kein Adamssohn befiehlt dir zu kommen oder zu gehen — aber dieser absurde Topf, schweres Naß (Heavy-wet), der kann und tut es! Du bist der Leibeigne nicht Cerdiks1) des Sachsen, aber deiner eignen tierischen Lüste, und du sprichst von Freiheit? Du totaler Dummkopf! Die Vorstel- 36 lung, daß jemandes Freiheit darin besteht, seine Stimme bei der Wahl zu geben und zu sagen: siehe, ich auch habe jetzt mein Zwan¬ zigtausendstel eines Sprechers in unserer Nationalschwatzanstalt, werden mir nicht alle Götter günstig sein? — Diese Vorstellung ist eine der spaßhaftesten in der Welt. Vollends die Freiheit, die 30 dadurch erkauft wird, daß ihr euch gegenseitig isoliert, nichts mit¬ einander zu tun habt außer durch bar Geld und Hauptbücher, diese Freiheit wird zuletzt sich als die Freiheit des Verhungerns für die arbeitenden Millionen zeigen, als die Freiheit des Ver- O In den Deutsch-Französischen Jahrbüchern“ Cedriks Mar x-En geis-Gesamt aus gäbe, I. Abt., Bd. 2. 27
418 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern faulens für die faulen, nichtstuenden Tausende und Einheiten. Brüder, nach Jahrhunderten konstitutioneller Regierung wissen wir noch wenig, was Freiheit ist und was Sklaverei ist. Aber die Demo¬ kratie wird ihren freien Lauf haben, die arbeitenden Millionen, in ihrem Lebensbedürfnis, in ihrem instinktmäßigen leidenschaft- 5 liehen Verlangen nach Leitung, werden die falsche Leitung weg¬ werfen und für einen Augenblick hoffen, daß Nichtleitung ihnen genügen wird; aber nur für einen Augenblick. Die Unterdrückung durch eure falschen Oberen mögt ihr wegwerfen; ich tadle euch nicht, ich bedaure und ermahne euch bloß ; aber das getan und das 10 große Problem bleibt noch ungelöst; das Problem, Leitung durch eure wahren Oberen zu finden/6 „Die Leitung, wie sie jetzt besteht, ist freilich erbärmlich ge¬ nug.“ Bei dem neulichen Bestechungskomitee des Parlaments schien es die Meinung der gesundesten praktischen Köpfe zu sein, 13 daß Bestechung nicht zu vermeiden sei, und daß wir gut oder übel ohne reine Wahlen uns durchzuschlagen suchen müßten. Ein Parlament, das sich als gewählt und wählbar durch Be¬ stechung proklamiert, was für Gesetzgebung kann davon kommen! Bestechung bedeutet nicht nur Käuflichkeit, sondern Unehrlich- 20 keit, unverschämte Betrügerei; eherne Gefühllosigkeit gegen Lüge und Anstiftung von Lügen. Seid doch ehrlich, eröffnet im Dow¬ ning-Street ein Wahlbureau mit einem Städtetarif: so viel Bevöl¬ kerung bezahlt so viel Einkommensteuer, Wert der Häuser so viel, wählt zwei Abgeordnete, wählt einen Abgeordneten, zu haben für 25 so viel bar Geld: Ipswich so viel tausend Pfund, Nottingham so viel, — da habt ihrs doch hübsch ehrlich durch Kauf, ohne die Un¬ ehrlichkeit, ohne die Schamlosigkeit, ohne die Lüge! Unser Parlament erklärt sich für gewählt und wählbar durch Be¬ stechung. Was soll aus einem solchen Parlament werden? Wo 30 nicht Belial und Beelzebub dies Weltall regieren, so bereitet sich solch ein Parlament für neue Reformbills. Wir wollen lieber den Chartismus oder jedes andere System versuchen, als damit zu¬ frieden sein! Ein Parlament, das mit einer Lüge auf der Zunge beginnt, wird sich selbst auf die Seite schaffen müssen. Täglich 33 und stündlich rückt irgend ein Chartist, irgend ein bewaffneter Cromwell heran, um solch einem Parlament anzuzeigen: „Ihr seid kein Parlament. Im Namen des Allerhöchsten — packt Euch!“ Das ist die Lage Englands nach Carlyle. Eine faulenzende, grundbesitzende Aristokratie, die „noch nicht einmal gelernt hat, 40 still zu sitzen und wenigstens kein Unheil anzustiften“, eine arbei¬ tende Aristokratie, die im Mammonismus versunken ist, die, wo sie eine Versammlung von Leitern der Arbeit, von „Industriefeld¬ herren66 sein sollte, nur ein Haufe von industriellen Bucaniers und Piraten ist, ein durch Bestechung gewähltes Parlament, eine 43
Die Lage Englands. Carlyles Past and Present 419 Lebensphilosophie des bloßen Zusehens, des Nichtstuns, des Lais- sez-faire, eine ausgeschlissene bröcklige Religion, eine totale Auf¬ lösung aller allgemein menschlichen Interessen, eine universelle Verzweiflung an der Wahrheit und der Menschheit und infolge- 5 dessen eine universelle Isolierung der Menschen auf ihre „rohe Einzelnheit“, eine chaotische, wüste Verwirrung aller Lebensver¬ hältnisse, ein Krieg aller gegen alle, ein allgemeiner geistiger Tod, Mangel an „Seele66, d.h. an wahrhaft menschlichem Bewußtsein: eine unverhältnismäßig starke arbeitende Klasse, in unerträg- 10 lichem Druck und Elend, in wilder Unzufriedenheit und Rebellion gegen die alte soziale Ordnung, und daher eine drohende, unauf¬ haltsam voranrückende Demokratie — überall Chaos, Unordnung, Anarchie, Auflösung der alten Bande der Gesellschaft, überall geistige Leere, Gedankenlosigkeit und Erschlaffung.— Das ist die is Lage Englands. So weit werden wir, wenn wir einige Ausdrücke, die durch Carlyles partikularen Standpunkt hereingekommen sind, abrechnen — ihm vollkommen recht geben müssen. Er, der einzige der „respektabeln“ Klasse, hat seine Augen wenigstens für die Tatsachen offen gehalten, er hat wenigstens die unmittel- 20 bare Gegenwart richtig auf gefaßt, und das ist wahrlich für einen „gebildeten66 Engländer unendlich viel. Wie sieht es mit der Zukunft aus? So wie jetzt bleibt es nicht und kann es nicht bleiben. Wir haben gesehen, Carlyle hat, wie er selbst gesteht, keine „Morrisonspille66, kein Universalmittel für 25 die Heilung der sozialen Übel. Auch darin hat er recht. Alle So¬ zialphilosophie, so lange sie noch ein paar Sätze als ihr Endresul¬ tat auf stellt, so lange sie noch Morrisonspillen eingibt, ist noch sehr unvollkommen; es sind nicht die nackten Resultate, die wir so sehr bedürfen, als vielmehr das Studium; die Resultate sind 30 nichts ohne die Entwicklung, die zu ihnen geführt hat, das wissen wir schon seit Hegel, und die Resultate sind schlimmer als nutzlos, wenn sie für sich fixiert, wenn sie nicht wieder zu Prämissen für die fernere Entwicklung gemacht werden. Aber die Resultate müssen auch temporär eine bestimmte Form annehmen, müssen durch die 35 Entwicklung aus der vagen Unbestimmtheit zu klaren Gedanken sich gestalten und können dann allerdings bei einer so rein empi¬ rischen Nation, wie die Engländer sind, die „Morrisonspillen“- Form nicht vermeiden. Carlyle selbst, obwohl er viel Deutsches in sich aufgenommen hat und der krassen Empirie ziemlich fern 40 steht, würde wahrscheinlich einige Pillen bei der Hand haben, wenn er weniger unbestimmt und unklar über die Zukunft wäre. Einstweilen erklärt er, daß alles unnütz und fruchtlos sei, so lange die Menschheit im Atheismus beharre, so lange sie ihre „Seele66 sich noch nicht wieder verschafft habe. Nicht daß der alte 45 Katholizismus in seiner Energie und Lebenskraft wiederherzu- 27*
420 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern stellen oder nur die jetzige Religion aufrecht zu erhalten sei — er weiß sehr wohl, daß Rituale, Dogmen, Litaneien und Sinai¬ donner nicht helfen können, daß aller Sinaidonner die Wahrheit nicht wahrer und keinem vernünftigen Menschen bange macht, daß man über die Religion der Furcht längst hinaus ist, aber s die Religion selbst muß wiederhergestellt werden, wir sehen selbst, wohin uns „zwei Jahrhunderte atheistischer Regierung“ — seit der „gesegneten“ Restauration Karls II. — gebracht haben, und wir werden auch allmählich einsehen müssen, daß dieser Atheismus anfängt, ausgetragen und verschlissen zu wer-w den. Wir haben aber gesehen, was Carlyle Atheismus nennt, nicht sowohl den Unglauben an einen persönlichen Gott, sondern den Unglauben an die innere Wesenhaftigkeit, an die Unendlichkeit des Universums, den Unglauben an die Vernunft, die Verzweif¬ lung am Geist und an der Wahrheit; sein Kampf geht nicht gegen 15 den Unglauben an die Offenbarung der Bibel, sondern gegen den „schrecklichsten Unglauben, den Unglauben an die Bibel der Weltgeschichte“. Diese ist das ewige Gottesbuch, in dem jeder Mensch, so lange ihm Seele und Augenlicht nicht erloschen sind, Gottes Finger schreibend sehen kann. Diese zu verspotten ist ein 20 Unglaube, gleich keinem andern, ein Unglaube, den ihr bestrafen würdet, nicht mit Feuer und Scheiterhaufen, aber doch mit dem entschiedensten Befehl, zu schweigen, bis man etwas Besseres zu sagen habe. Weshalb sollte das glückliche Schweigen durch Getöse gebrochen werden, um nur solch Zeug auszuschreien? Wenn die 2s Vergangenheit keine göttliche Vernunft in sich hat, sondern bloß teuflische Unvernunft, so vergeht sie auf ewig, sprecht nicht mehr von ihr; uns, deren Väter alle gehangen wurden, ziemt es schlecht, von Stricken zu schwatzen! „An die Geschichte aber kann das moderne England nicht glauben.“ Das Auge sieht von allen Din- sq gen nur so viel, als es nach seiner ihm inhärenten Fähigkeit sehen kann. Ein gottloses Jahrhundert kann keine gotterfüllten Epochen begreifen. Es sieht in der Vergangenheit (dem Mittelalter) nur leere Zwietracht, die allgemeine Herrschaft der rohen Gewalt, es sieht nicht, daß am Ende Macht und Recht zusammenfallen, es ss sieht bloße Dummheit, wilde Unvernunft, eher für Bedlam als für eine menschliche Welt passend. Woraus denn natürlich folgt, daß dieselben Eigenschaften in unserer Zeit zu herrschen fort¬ fahren sollten. Millionen festgebannt in Bastillen; irische Witwen, die ihre Menschheit durch Typhusfieber beweisen ; es ist immer 40 so gewesen oder schlimmer; was verlangt ihr anders? Was an¬ ders ist die Geschichte gewesen als die Aussaugung verstockter Dummheit durch erfolgreiche Quacksalberei? Kein Gott war in der Vergangenheit, nichts als Mechanismus und chaotisch-bestia¬ lische Götzen; wie soll der arme „philosophische Geschichtsschrei- &
Die Lage Englands. Carlyles Past and Present 421 ber“, dem sein eigen Jahrhundert so ganz gottverlassen ist, „den Gott in der Vergangenheit sehen“? Aber so ganz verlassen ist unsre Zeit doch nicht. „Ja, in unsrem armen zersplitterten Europa selbst, haben sich nicht in diesen 5 neuesten Zeiten religiöse Stimmen erhoben, mit einer neuen, und zugleich der ältesten Religion, unbestreitbar den Herzen aller Menschen? Einige kenne ich, die sich nicht Propheten hießen oder glaubten, aber die in Wahrheit wieder einmal volltönende Stimmen waren aus dem ewigen Herzen der Natur, Seelen, ewig 10 ehrwürdig allen, die eine Seele haben. Eine französische Revolu¬ tion ist ein Phänomen; als Ergänzung und geistiger Exponent der¬ selben ist mir ein Dichter Goethe und eine deutsche Literatur auch ein Phänomen. Wenn die alte weltliche oder praktische Welt in Feuer auf gegangen ist, ist dann nicht hier die Weissagung und das iß Morgenrot einer neuen geistigen Welt, der Mutter von weit edle¬ ren, weiteren, neuen, praktischen Welten? Ein Leben antiker Hin¬ gebung, antiker Wahrheit und antiken Heldensinns ist wieder möglich geworden, ist hier wirklich sichtbar für den modernsten Menschen, ein Phänomen, in aller seiner Ruhe keinem andern zu 20 vergleichen! Da sind Anklänge einer neuen Sphärenmelodie, hör¬ bar aufs neue durch all den unendlichen Jargon und die Disso¬ nanzen des Dings, das man Literatur nennt.“ Goethe, der Prophet der „Religion der Zukunft“, und ihr Kul¬ tus — die Arbeit. „Denn es liegt ein ewiger Adel, ja eine Heilig- 25 keit in der Arbeit. Und wäre er noch so verfinstert, seines hohen Berufes vergessen, so ist doch immer noch Hoffnung da für einen Menschen, der wirklich und ernstlich arbeitet; in der Faulheit allein ist ewige Verzweiflung. Arbeit, noch so mammonisiert, noch so erniedrigt, bleibt doch eine Verbindung mit der Natur; der 3o treibende Wunsch, seine Arbeit getan zu bekommen, wird mehr und mehr der Wahrheit und den Bestimmungen und den Gesetzen der Natur zuführen. Eine unendliche Bedeutung liegt in der Arbeit; der Mensch vollendet sich durch sie. Faule Moräste wer¬ den weggeräumt; schöne Saatfelder erstehen an ihrer Stelle und 35 prächtige Städte, und vor allem zuerst hört der Mensch selbst auf, ein fauler Morast und eine seuchenschwangere Wüste zu sein. Be¬ denkt, wie selbst in den niedrigsten Arten der Arbeit die ganze Seele des Menschen in eine gewisse Harmonie versetzt wird, so wie er sich an die Arbeit gibt! Zweifel, Verlangen, Kummer, Unruhe, 40 Unwille, Verzweiflung selbst, alle diese, wie Höllenhunde be¬ lagern die Seele des armen Tagarbeiters wie jedes andern, aber er greift mit freiem Mut sein Tagwerk an, und sie alle weichen murrend zurück in ihre fernen Höhlen. Der Mensch ist mm Mensch; die heilige Glut der Arbeit in ihm ist wie ein reinigend 45 Feuer, worin alles Gift und selbst der verpestendste Qualm in einer
422 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern hellen heiligen Flamme verbrennt. Gesegnet ist, wer seine Arbeit gefunden hat; er verlange nach keinem anderen Segen. Er hat eine Arbeit, einen Lebenszweck; er hat ihn gefunden, er ver¬ folgt ihn, und nun fließt sein Leben dahin, ein freiströmender Kanal, gegraben durch den abgestandenen Notsumpf der Existenz, 5 ableitend das abgestandne Wasser von der entferntesten Binse, den verpestenden Sumpf in eine grüne fruchtbare Wiese verwan¬ delnd. Arbeit ist Leben; du hast im Grunde keine andere Kennt¬ nis, als die du dir durch Arbeit erworben hast, das Übrige ist all Hypothese, Stoff zum Schulgezänk in den Wolken, in endlosen 10 logischen Strudeln flutend, bis wir es versuchen und fixieren. Zwei¬ fel aller Art kann nur durch Tätigkeit gelöst werden. Wunder¬ schön war der Spruch der alten Mönche: Laborare, est orare, Ar¬ beit ist Kultus. Älter als alles gepredigte Evangelium, war dies ungepredigte, unausgesprochene, aber unauslöschliche, ewige 15 Evangelium; arbeite, und finde Befriedigung in der Arbeit. 0 Mensch, liegt nicht in deinem innersten Herzen ein Geist tätiger Anordnung, eine Kraft der Arbeit; brennend wie ein schmerzlich glimmend Feuer, das dir keine Ruhe läßt, bis du es entfaltest, bis du es in Tatsachen ringsumher niederschreibst? Alles Ungeord- 20 nete, Wüste sollst du geordnet, geregelt, ackerbar machen, dir ge¬ horsam und dir Frucht tragend. Wo du Unordnung findest, da ist dein ewiger Feind; greif ihn rasch an, unterjoche ihn; entreiß ihn der Herrschaft des Chaos, bring ihn unter deine, der Intelligenz und Göttlichkeit Herrschaft! Vor allem aber, wo du Unwissen- 25 heit, Dummheit, Vertierung findest, greif’ sie an, sag’ ich dir, schlage sie, weise, unermüdlich, ruhe nicht, so lange du lebst und sie lebt, schlage zu, schlage, im Namen Gottes; schlage! Du sollst wirken, so lange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wir¬ ken kann. — Alle wahre Arbeit ist heilig; Schweiß des Angesichts, 30 Schweiß des Gehirns und des Herzens, einschließend eines Kepler Berechnungen, eines Newton Meditationen; alle Wissenschaften, alle gesprochenen Heldenlieder, alles getane Heldentum, Mär¬ tyrertum, bis zu jenem ,Todeskampf des blutigen Schweißes6, den alle Menschen göttlich genannt haben. Wenn das nicht Kultus 35 ist, zum Teufel dann allen Kultus. Wer bist du, der über sein Le¬ ben saurer Arbeit klagt? Klage nicht, dir ist der Himmel streng, aber nicht unfreundlich, eine edle Mutter, wie jene spartanische Mutter, die ihrem Sohne den Schild gab: Mit ihm oder auf ihm! Klage nicht; auch die Spartaner klagten nicht. Ein Un- 40 geheuer ist in der Welt, — der Faulenzer. Was ist seine Religion, als daß die Natur ein Phantom, daß Gott eine Lüge ist und der Mensch und sein Leben eine Lüge.66 Aber auch die Arbeit ist in den wilden Strudel der Unordnung und des Chaos hineingerissen, das reinigende, aufklärende, ent- 45
Die Lage Englands. Carlyles Past and Present 423 wickelnde Prinzip ist der V e r Wickelung, Verwirrung und Finster¬ nis anheimgefallen. Dies führt auf die eigentliche Hauptfrage, auf die Zukunft der Arbeit. „Was für eine Arbeit wird es sein, was unsere Freunde auf dem Kontinent, schon ziemlich lange und etwas absurd danach umhertappend, ,Organisation der Arbeit6 nennen. Das muß aus den Händen absurder Windbeutel genommen und tüchtigen, wei¬ sen, arbeitsamen Männern übergeben werden; es sogleich zu be¬ ginnen, auszuführen und durchzuführen, wenn Europa — wenig- 10 stens wenn England noch lange bewohnbar bleiben soll. Wenn wir unsre hochedlen Komgesetz-Herzöge ansehen oder unsre geist¬ lichen Herzöge und Seelenhirten ,mit einem Minimum von vier¬ tausendfünfhundert Pfund jährlich6, so werden unsre Hoffnungen freilich etwas gedämpft. Aber Mut! Es gibt noch manchen braven u Mann in England. Du unbezähmbarer Fabriklord, ist nicht auch in dir noch einige Hoffnung? Du bist bis jetzt ein Bucanier ge¬ wesen; aber in dieser ernsten Braue, in diesem unbezähmbaren Herzen, das Baumwolle besiegen kann, liegen da nicht vielleicht noch andre, zehnmal edlere Siege?66 — „Seht um euch, eure 20 Weltenheere sind alle in Meuterei, Verwirrung, Verlassenheit; am Vorabend eines Untergangs in Flammen, am Vorabend des Wahn¬ sinns! Sie wollen nicht weiter marschieren nach dem Prinzip von sechs Pence täglich und Nachfrage und Zufuhr; sie wollen nicht und haben ein Recht dazu. Sie sind fast in den Rachen des Wahn- 25 sinnes gejagt; seid ihr vernünftiger. Diese Leute werden nicht länger als ein verworrener und verwirrender Pöbel marschieren, sondern als eine geschlossne geordnete Masse, mit wirklichen Füh¬ rern an ihrer Spitze. Alle menschlichen Interessen, alle gemein¬ schaftlichen Unternehmungen mußten auf einer gewissen Ent- 30 wicklungsstufe organisiert werden, und jetzt verlangt das größte aller menschlichen Interessen, die Arbeit, nach Organisation.66 Um diese Organisation durchzuführen, um wahre Lenkung und wahre Regierung an die Stelle falscher Lenkung zu setzen, ver¬ langt Carlyle nach einer „wahren Aristokratie66, nach einem 35 „Heroenkultus“, und stellt es als das zweite große Problem auf, die üqiçto^ die besten ausfindig zu machen, deren Leitung „die un¬ vermeidliche Demokratie mit der notwendigen Souveränität zu verbinden66. Aus diesen Auszügen geht der Standpunkt Carlyles ziemlich 40 klar hervor. Seine ganze Anschauungsweise ist wesentlich pan¬ theistisch und zwar deutsch-pantheistisch. Die Engländer haben keinen Pantheismus, sondern bloß Skeptizismus; das Resultat alles englischen Philosophierens ist die Verzweiflung an der Ver¬ nunft, die eingestandene Unfähigkeit, die Widersprüche, auf die 45 man in letzter Instanz geraten ist, zu lösen, und infolgedessen auf
424 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern der einen Seite ein Rückfall in den Glauben, auf der andern die Hingebung an die reine Praxis, ohne sich weiter um Metaphysik usw. zu bekümmern. Carlyle ist darum mit seinem aus der deut¬ schen Literatur stammenden Pantheismus auch ein „Phänomen“ in England, und ein für die praktischen und skeptischen Englän- 5 der ziemlich unbegreifliches Phänomen. Die Leute starren ihn an, sprechen von „deutschem Mystizismus“, von verrenktem Eng¬ lisch; andre behaupten, es sei doch am Ende was dahinter, sein Englisch sei zwar ungewöhnlich, aber doch schön, er sei ein Pro¬ phet usw. — aber keiner weiß recht, was er aus dem Ganzen 10 machen soll. Uns Deutschen, die wir die Voraussetzungen für Carlyles Standpunkt kennen, ist die Sache klar genug. Reste torystischer Romantik und menschliche Anschauungen aus Goethe auf der einen, das skeptisch-empirische England auf der andern Seite, 15 diese Faktoren reichen hin, um aus ihnen Carlyles ganze Weltan¬ sicht abzuleiten. Carlyle ist, wie alle Pantheisten, noch nicht über den Widerspruch hinausgekommen, und der Dualismus ist bei Carlyle um so schlimmer, da er zwar die deutsche Literatur, aber nicht ihre notwendige Ergänzung, die deutsche Philosophie kennt, 20 und alle seine Anschauungen daher auch unmittelbar, intuitiv, mehr schellingisch als hegelisch sind. Mit Schelling — d. h. dem alten, nicht dem Offenbarungs-Schelling, hat Carlyle wirklich eine Masse Berührungspunkte; mit Strauß, dessen Anschauungs¬ weise ebenfalls pantheistisch ist, trifft er im „Heroenkultus“ oder 2s „Kultus des Genius“ zusammen. Die Kritik des Pantheismus ist in der letzten Zeit in Deutsch¬ land so erschöpfend ausgeführt worden, daß wenig mehr zu sagen bleibt. Feuerbachs Thesen in den „Anekdotis“ und B. Bauers Schriften enthalten alles hierher Gehörige. Wir werden uns also so darauf beschränken können, einfach die Konsequenzen aus Car¬ lyles Standpunkt zu ziehen und zu zeigen, daß er im Grunde nur eine Vorstufe zum Standpunkte dieser Zeitschrift ist. Carlyle klagt über die Leerheit und Hohlheit des Zeitalters, über die innere Verfaulung aller sozialen Institutionen. Die Klage m ist gerecht; aber mit dem einfachen Klagen ist es nicht abgetan; um dem Übel abzuhelfen, muß die Ursache desselben aufgesucht werden; und hätte Carlyle dies getan, so würde er gefunden haben, daß diese Zerfahrenheit und Hohlheit, diese „Seelenlosigkeit“, diese Irreligion und dieser „Atheismus“ ihren Grund haben in 40 der Religion selbst. Die Religion ist ihrem Wesen nach die Ent¬ leerung des Menschen und der Natur von allem Gehalt, die Über¬ tragung dieses Gehalts an das Phantom eines jenseitigen Gottes, der dann wiederum den Menschen und der Natur in Gnaden etwas von seinem Überfluß zukommen läßt. So lange nun der Glaube an
Die Lage Englands. Carlyles Past and Present 425 dies jenseitige Phantom kräftig und lebendig ist, so lange kommt der Mensch auf diesem Umwege wenigstens zu etwas Gehalt. Der starke Glaube des Mittelalters verlieh auf diese Weise der ganzen Epoche allerdings eine bedeutende Energie, aber eine Energie, die 5 nicht von außen kam, sondern schon in der menschlichen Natur lag, wenn auch noch unbewußt, noch unentwickelt. Der Glaube wurde allmählich schwach, die Religion zerbröckelte vor der stei¬ genden Kultur, aber noch immer sah der Mensch nicht ein, daß er sein eignes Wesen als ein fremdes Wesen angebetet und ver- 10 göttert hatte. In diesem bewußtlosen und zugleich glaubenslosen Zustande kann der Mensch keinen Inhalt haben, m u ß er an der Wahrheit, an der Vernunft und Natur verzweifeln, und diese Hohlheit und Inhaltslosigkeit, die Verzweiflung an den ewigen Tatsachen des Universums wird so lange dauern, bis die Mensch- 15 heit einsieht, daß das Wesen, was sie als Gott verehrt hat, ihr eignes, ihr bisher unbekanntes Wesen war, bis — doch was soll ich Feuerbach abschreiben. Die Hohlheit ist längst da gewesen, denn die Religion ist der Akt der Selbstaushöhlung des Menschen; und ihr wundert euch, so daß sie jetzt, nachdem der Purpur, der sie verdeckte, verblichen, nachdem der Dunst, der sie einhüllte, gestorben ist, daß sie jetzt zu eurem Schrecken ans Tageslicht tritt? Carlyle klagt ferner — dies ist die nächste Folge aus dem Vor¬ hergehenden — das Zeitalter der Heuchelei und der Lüge an. Na- 25 türlich, die Hohlheit und Entnervung muß doch durch Staffage, ausgestopfte Gewänder und Fischbeinschienen anständig verhüllt und aufrecht gehalten werden! Auch wir greifen die Heuchelei des jetzigen christlichen Weltzustandes an; der Kampf gegen sie, unsere Befreiung von ihr und die Befreiung der Welt von ihr sind so am Ende unser einzig Tagewerk; aber weil wir durch die Ent¬ wickelung der Philosophie zur Erkenntnis dieser Heuchelei ge¬ kommen, und weil wir den Kampf wissenschaftlich führen, darum ist uns das Wesen dieser Heuchelei nicht mehr so fremd und un¬ verständlich, wie es für Carlyle allerdings noch ist. Diese Heuche- 35 lei führen wir auch auf die Religion zurück, deren erstes Wort eine Lüge ist — oder fängt die Religion nicht damit an, daß sie uns etwas Menschliches zeigt und behauptet, das sei etwas Über¬ menschliches, Göttliches? Weil wir aber wissen, daß alle diese Lüge und Unsittlichkeit aus der Religion folgt, daß die religiöse 40 Heuchelei, die Theologie der Urtypus aller andern Lügen und Heuchelei ist, so sind wir berechtigt, den Namen der Theologie auf die gesamte Unwahrheit und Heuchelei der Gegenwart auszudehnen, wie dies zuerst durch Feuerbach und B. Bauer geschehen ist. Car¬ lyle möge ihre Schriften lesen, wenn er zu wissen wünscht, woher 45 die Unsittlichkeit kommt, die alle unsre Verhältnisse verpestet.
426 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern Eine neue Religion, ein pantheistischer Heroenkultus, Kultus der Arbeit sei zu stiften oder müsse erwartet werden; unmöglich; alle Möglichkeiten der Religion sind erschöpft; nach dem Chri¬ stentum, nach der absoluten, d.h. abstrakten Religion, nach der „Religion als solcher“ kann keine andere Form der Religion mehr 5 aufkommen. Carlyle sieht selbst ein, daß das katholische, pro¬ testantische, oder jedes beliebige andere Christentum unaufhalt¬ sam dem Untergange entgegengeht; wenn er die Natur des Chri¬ stentums kennte, so würde er einsehen, daß nach ihm keine andre Religion mehr möglich ist. Auch der Pantheismus nicht! Der Pan-10 theismus ist selbst noch eine von seiner Prämisse nicht zu tren¬ nende Konsequenz des Christentums, wenigstens der moderne, spinozistische, schellingische, hegelische und auch der Carlyle- sche Pantheismus. Der Mühe, den Beweis hierfür zu liefern, über¬ hebt mich wiederum Feuerbach. 15 Wie gesagt, auch uns ist es darum zu tun, die Haltlosigkeit, die innere Leere, den geistigen Tod, die Unwahrhaftigkeit des Zeit¬ alters zu bekämpfen; mit allen diesen Dingen führen wir einen Krieg auf Leben und Tod, ebenso wie Carlyle, und haben weit mehr Wahrscheinlichkeit des Erfolgs für uns als er, weil wir wis- 20 sen, was wir wollen. Wir wollen den Atheismus, wie ihn Carlyle schildert, aufheben, indem wir dem Menschen den Gehalt wieder¬ geben, den er durch die Religion verloren hat; nicht als einen göttlichen, sondern als einen menschlichen Inhalt, und die ganze Wiedergabe beschränkt sich einfach auf die Erweckung des Selbst- 25 bewußtseins. Wir wollen alles, was sich als übernatürlich und übermenschlich ankündigt, aus dem Wege schaffen und dadurch die Unwahrhaftigkeit entfernen, denn die Prätension des Mensch¬ lichen und Natürlichen, übermenschlich, übernatürlich sein zu wollen, ist die Wurzel aller Unwahrheit und Lüge. Deswegen ha- 30 ben wir aber auch der Religion und den religiösen Vorstellungen ein für allemal den Krieg erklärt und kümmern uns wenig dar¬ um, ob man uns Atheisten oder sonst irgendwie nennt. Wenn indes Carlyles pantheistische Definition von Atheismus richtig wäre, so wären nicht wir, sondern unsere christlichen Gegner die wahren 35 Atheisten. Uns fällt es nicht ein, die „ewigen inneren Tatsachen des Universums“ anzugreifen; im Gegenteil, wir haben sie erst wahrhaft begründet, indem wir ihre Ewigkeit nachwiesen und sie vor der allmächtigen Willkür eines in sich selbst widersprechen¬ den Gottes sicher stellten. Uns fällt es nicht ein, „die Welt, den 40 Menschen und sein Leben, für eine Lüge“ zu erklären; im Gegen¬ teil, unsere christlichen Gegner begehen diese Unsittlichkeit, wenn sie die Welt und den Menschen von der Gnade eines Gottes ab¬ hängig machen, der in Wirklichkeit nur durch die Abspiegelung des Menschen in der wüsten Hyle seines eigenen unentwickelten 43
Die Lage Englands. Carlyles Past and Present 427 Bewußtseins erzeugt wurde. Uns fällt es nicht ein, die „Offen¬ barung der Geschichte66 zu bezweifeln oder zu verachten, die Ge¬ schichte ist unser Eins und Alles und wird von uns höher gehalten als von irgendeiner andern, früheren, philosophischen Richtung, 5 höher selbst als von Hegel, dem sie am Ende auch nur als Probe auf sein logisches Rechenexempel dienen sollte. Der Hohn gegen die Geschichte, die Nichtachtung der Entwicklung der Menschheit ist ganz auf der andern Seite ; es sind wiederum die Christen, die durch die Aufstellung einer aparten „Geschichte des Reiches 10 Gottes66 der wirklichen Geschichte alle innere Wesenhaftigkeit ab¬ sprechen und diese Wesenhaftigkeit allein für ihre jenseitige, ab¬ strakte und noch dazu erdichtete Geschichte in Anspruch nehmen, die durch die Vollendung der menschlichen Gattung in ihrem Christus die Geschichte ein imaginäres Ziel erreichen lassen, sie is mitten in ihrem Laufe unterbrechen und nun die folgenden acht¬ zehnhundert Jahre schon der Konsequenz halber für wüsten Un¬ sinn und bare Inhaltslosigkeit ausgeben müssen. Wir reklamieren den Inhalt der Geschichte ; aber wir sehen in der Geschichte nicht die Offenbarung „Gottes66, sondern des Menschen, und nur des 2o Menschen. Wir haben nicht nötig, um die Herrlichkeit des mensch¬ lichen Wesens zu sehen, um die Entwicklung der Gattung in der Geschichte, ihren unaufhaltsamen Fortschritt, ihren stets sicheren Sieg über die Unvernunft des einzelnen, ihre Überwindung alles scheinbaren Übermenschlichen, ihren harten, aber erfolgreichen 25 Kampf mit der Natur bis zur endlichen Erringung des freien, menschlichen Selbstbewußtseins, der Einsicht von der Einheit des Menschen mit der Natur, und der freien, selbsttätigen Schöpfung einer auf rein menschliche, sittliche Lebensverhältnisse begrün¬ deten neuen Welt — um alles das in seiner Größe zu erkennen, so haben wir nicht nötig, erst die Abstraktion eines „Gottes66 herbei¬ zurufen und ihr alles Schöne, Große, Erhabene und wahrhaft Menschliche zuzuschreiben; wir brauchen diesen Umweg nicht, wir brauchen dem wahrhaft Menschlichen nicht erst den Stempel des „Göttlichen66 aufzudrücken, um seiner Größe und Herrlich- jjkeit sicher zu sein. Im Gegenteil, je „göttlicher66, d. h. unmensch¬ licher etwas ist, desto weniger werden wir es bewundern können. Nur der menschliche Ürsprung des Inhalts aller Religionen rettet ihnen hier und da noch etwas Anspruch auf Respekt; nur das Bewußtsein, daß selbst der tollste Aberglaube doch im Grunde io die ewigen Bestimmungen des menschlichen Wesens enthalte, wenn auch in noch so verrenkter und verzerrter Form, nur dies Bewußtsein rettet die Geschichte der Religion und namentlich des Mittelalters vor der totalen Verwerfung und vor dem ewigen Vergessen, was sonst allerdings das Schicksal dieser „gottvollen66 45 Geschichten sein würde. Je „gottvoller66, desto unmenschlicher,
428 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern desto tierischer, und das „gottvolle66 Mittelalter produzierte aller¬ dings die Vollendung menschlicher Bestialität, Leibeigenschaft, jus primae noctis usw. Die Gott 1 o s i g k e i t unseres Zeitalters, worüber Carlyle so sehr klagt, ist eben seine Gotterfülltheit. Hieraus wird auch klar, weshalb ich oben den Menschen als die 5 Lösung des Sphynxrätsels angab. Die Frage ist bisher immer ge¬ wesen: Was ist Gott? und die deutsche Philosophie hat die Frage dahin gelöst: Gott ist der Mensch. Der Mensch hat sich nur selbst zu erkennen, alle Lebensverhältnisse an sich selbst zu messen, nach seinem Wesen zu beurteilen, die Welt nach den Forderungen sei- 10 ner Natur wahrhaft menschlich einzurichten, so hat er das Rätsel unserer Zeit gelöst. Nicht in jenseitigen, existenzlosen Regionen, nicht über Zeit und Raum hinaus, nicht bei einem der Welt in- wohnenden oder ihr entgegengesetzten „Gott66 ist die Wahrheit zu finden, sondern viel näher, in des Menschen eigener Brust. Des Menschen eigenes Wesen ist viel herrlicher und erhabener als das imaginäre Wesen aller möglichen „Götter66, die doch nur das mehr oder weniger unklare und verzerrte Abbild des Menschen selbst sind. Wenn also Carlyle nach Ben Jonson sagt, der Mensch habe seine Seele verloren und fange jetzt an, ihren Mangel zu merken, 20 so würde der richtige Ausdruck dafür sein: der Mensch hat in der Religion sein eigenes Wesen verloren, sich seiner Menschheit ent¬ äußert und merkt jetzt, nachdem die Religion durch den Fort¬ schritt der Geschichte wankend geworden ist, seine Leerheit und Haltlosigkeit. Es ist aber keine andre Rettung für ihn, er kann 25 seine Menschheit, sein Wesen nicht anders wieder erobern als durch eine gründliche Überwindung aller religiösen Vorstellun¬ gen und eine entschiedene, aufrichtige Rückkehr nicht zu „Gott66, sondern zu sich selbst. Alles das steht auch in Goethe, dem „Propheten66, und wer so offene Augen hat, der kann es herauslesen. Goethe hatte nicht gern mit „Gott66 zu tun; das Wort machte ihn unbehaglich, er fühlte sich nur im Menschlichen heimisch, und diese Menschlichkeit, diese Emanzipation der Kunst von den Fesseln der Religion macht eben Goethes Größe aus. Weder die Alten noch Shakespeare kön- 35 nen sich in dieser Beziehung mit ihm messen. Aber diese voll¬ endete Menschlichkeit, diese Überwindung des religiösen Dualis¬ mus kann nur von dem in ihrer ganzen historischen Bedeutung er¬ faßt werden, dem die andre Seite der deutschen Nationalentwick¬ lung, die Philosophie, nicht fremd ist. Was Goethe erst unmittel- so bar, also in gewissem Sinne allerdings „prophetisch66 aussprechen konnte, das ist in der neuesten deutschen Philosophie entwickelt und begründet. Auch Carlyle trägt Voraussetzungen in sich, die konsequenterweise zu dem oben entwickelten Standpunkt führen müssen. Der Pantheismus ist selbst nur die letzte Vorstufe zur ss
Die Lage Englands. Carlyles Past and Present 429 freien, menschlichen Anschauungsweise. Die Geschichte, die Car¬ lyle als die eigentliche „Offenbarung66 hinstellt, enthält eben nur Menschliches, und nur durch einen Gewaltstreich kann ihr Inhalt der Menschheit entzogen und auf Rechnung eines „Gottes66 ge- 5 bracht werden. Die Arbeit, die freie Tätigkeit, in der Carlyle eben¬ falls einen „Kultus66 sieht, ist wieder eine rein menschliche An¬ gelegenheit und kann auch nur auf gewaltsame Weise mit „Gott66 in Verbindung gebracht werden. Wozu fortwährend ein Wort in den Vordergrund drängen, das im besten Falle nur die Unend- 10 lichkeit der Unbestimmtheit ausdrückt und noch dazu den Schein des Dualismus aufrecht erhält? ein Wort, das in sich selbst die Nichtigkeitserklärung der Natur und Menschheit ist? So viel für die innerliche, religiöse Seite des Carlyleschen Standpunktes. Die Beurteilung der äußerlichen, politisch-sozialen io knüpft sich unmittelbar hieran; Carlyle hat noch Religion genug, nun in einem Zustande der Unfreiheit zu bleiben; der Pantheis¬ mus erkennt immer noch etwas Höheres an als den Menschen als solchen. Daher sein Verlangen nach einer „wahrhaften Aristo¬ kratie66, nach „Heroen66; als ob diese Heroen im besten Falle mehr so sein könnten als Menschen. Hätte er den Menschen als Men¬ schen in seiner ganzen Unendlichkeit begriffen, so würde er nicht auf die Gedanken gekommen sein, die Menschheit wieder in zwei Haufen Schafe und Böcke, Regierende und Regierte, Aristokraten und Canaille, Herren und Dummköpfe zu trennen, so würde er 85 die richtige soziale Stellung des Talents nicht im gewaltsamen Regieren, sondern im Anregen und Vorangehen gefunden haben. Das Talent hat die Masse von der Wahrheit seiner Ideen zu über¬ zeugen und wird sich dann nicht weiter um die ganz von selbst folgende Ausführung derselben zu plagen haben. Die Menschheit w macht den Durchgang durch die Demokratie wahrlich nicht des¬ halb, um zuletzt wieder da anzukommen, von wo sie ausging. — Was Carlyle übrigens von der Demokratie sagt, läßt wenig zu wünschen übrig, wenn wir das soeben Angedeutete, die Unklar¬ heit über das Ziel, den Zweck der modernen Demokratie, aus- 85 schließen. Die Demokratie ist allerdings nur Durchgangspunkt, aber nicht zu einer neuen, verbesserten Aristokratie, sondern zur wirklichen, menschlichen Freiheit; eben so wie die Irreligiosität des Zeitalters zuletzt zur vollkommenen Emanzipation von allem Religiösen, Übermenschlichen und Übernatürlichen, nicht aber zu 40 dessen Wiederherstellung leiten wird. Carlyle erkennt die Unzulänglichkeit von „Konkurrenz, Nach¬ frage66 und „Zufuhr, Mammonismus66 usw. an und ist weit ent¬ fernt, die absolute Berechtigung des Grundbesitzes zu behaupten. Warum nun nicht den einfachen Schluß aus allen diesen Voraus- 45 Setzungen gezogen und das Eigentum überhaupt verworfen? Wie
430 London und Manchester. Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern will er die „Konkurrenz66, „Nachfrage und Zufuhr66, Mammonis- mus usw. vernichten, so lange die Wurzel von alle dem, das Privat¬ eigentum, besteht? „Organisation der Arbeit66 kann dazu nichts tim, sie kann ohne eine gewisse Identität der Interessen gar nicht durchgeführt werden. Warum nun nicht konsequent durchge- 5 griffen, die Identität der Interessen, den einzig menschlichen Zu¬ stand proklamiert und dadurch allen Schwierigkeiten, aller Unbe¬ stimmtheit und Unklarheit ein Ende gemacht? Carlyle erwähnt in allen seinen Rhapsodien der englischen So¬ zialisten mit keiner Silbe. So lange er auf seinem jetzigen, gegen 10 die Masse der Gebildeten Englands allerdings unendlich weit vorausgeschrittenen, aber immer noch abstrakt-theoretischen Standpunkt stehen bleibt, wird er sich mit ihren Bestrebungen freilich nicht besonders befreunden können. Die englischen Sozia¬ listen sind rein praktisch und schlagen deshalb auch Maßregeln, 15 Kolonisation der Heimat usw. in etwas Morrisons-pillenmäßiger Form vor; ihre Philosophie ist echt englisch, skeptisch, d.h. sie verzweifeln an der Theorie und halten sich für die Praxis an den Materialismus, auf den ihr ganzes soziales System basiert ist; alles das wird Carlyle wenig zusagen, aber er ist eben so einseitig 20 wie sie. Beide haben den Widerspruch nur innerhalb des Widerspruchs überwunden; die Sozialisten innerhalb der Praxis, Carlyle innerhalb der Theorie, und auch da nur unmittelbar, wäh¬ rend die Sozialisten über den praktischen Widerspruch entschie¬ den und durch das Denken hinausgekommen sind. Die Sozialisten 25 sind eben noch Engländer, wo sie bloß Menschen sein sollten, sie kennen von der philosophischen Entwicklung des Kontinents nur den Materialismus, nicht auch die deutsche Philosophie, das ist all ihr Mangel, und sie arbeiten direkt auf die Auflösung dieser Lücke hin, indem sie auf die Aufhebung der Nationalunterschiede jo hinarbeiten. Wir brauchen gar so eilig nicht zu sein, ihnen die deutsche Philosophie aufzudrängen, zu der sie von selbst kommen werden, und die ihnen jetzt wenig nützen könnte. Jedenfalls sind sie aber die einzige Partei in England, die eine Zukunft hat, so schwach sie auch verhältnismäßig sein mögen. Die Demokratie, 35 der Chartismus muß sich bald durchsetzen, und dann hat die Masse der englischen Arbeiter nur die Wahl zwischen dem Hunger¬ tode und dem Sozialismus. Für Carlyle und seinen Standpunkt ist die Unkenntnis der deut¬ schen Philosophie nicht so gleichgültig. Er ist für sich deutscher /o Theoretiker und dabei doch durch seine Nationalität an die Empi¬ rie gewiesen; er steht in einem schreienden Widerspruch, der nur dadurch zu lösen ist, daß er den deutsch-theoretischen Standpunkt bis zu seiner letzten Konsequenz, bis zur totalen Versöhnung mit der Empirie fortentwickelt. Carlyle hat nur noch Einen, aber, wie 43
Die Lage Englands. Carlyles Past and Present 431 alle Erfahrung in Deutschland gezeigt hat, einen schweren Schritt zu tun, um über den Widerspruch, in dem er sich bewegt, heraus¬ zukommen. Es ist zu wünschen, daß er ihn tue, und obwohl er nicht mehr jung ist, wird er ihn doch wohl tun können, denn der 5 Fortschritt, den sein letztes Buch zeigt, beweist, daß er noch nicht aus der Entwicklung herausgetreten ist. Nach allem diesem ist Carlyles Buch einer deutschen Über¬ setzung zehntausendmal eher wert als alle die Legionen englischer Romane, die täglich und stündlich nach Deutschland importiert 10 werden, und ich kann zu einer solchen Übersetzung nur raten. Aber unsre Fabrikübersetzer mögen ihre Finger nur davon halten! Carlyle schreibt ein apartes Englisch, und ein Übersetzer, der nicht tüchtig Englisch und Anspielungen auf englische Verhält¬ nisse versteht, würde die lächerlichsten Schnitzer machen. — is Nach dieser, etwas allgemeinen Einleitung werde ich in den nächsten Heften dieser Zeitschrift genauer auf die Lage Englands und ihren Kem, die Lage der arbeitenden Klasse eingehen. Die Lage Englands ist von der unermeßlichsten Bedeutung für die Geschichte und für alle andern Länder; denn in sozialer Beziehung 2o ist England allerdings allen andern Ländern weit voraus. F. Engels
Aus: THE NEW MORAL WORLD 1843—1844
Die Artikel erschienen in der Zeit vom 4. November 1843 bis zum 3. Februar 1844 in The New Moral World.
Tafel VII NEW MORAL WORLD GAZETTE OE THE RATIONAL SOCIETY .1% > S TO AS * • OMMVUtY, < ükMAXU A\D t>V<a tut <M ruOFCR MMN« BATVKDAY. NOVRMBRH 4, ItHl •mim i ipx** of whieb «nccrHrd. n*«iorby of t! » II* tpriuthl «pirit af Hie Saw t Jhmnmn doctnnra und er rntionnl Lwnght out in dir French R voluduat aork.lhat uond. nrw exw s i»b>, ihe hum*n mind j, ha* die ,nt° actn’ly 1 ihàt it b inirtwlrd 10 br, an rid^ywM, kavtM 1 nf Ihr aniuwr r»en <»ne V> MUw h» own IndEwfcm I <an»o< diSfrrm., Tbr < mnrv, FixkIct dmm<ti (ha whnk of M« puUir mm lin«.** tt •» itMk pni<l<*i)t |y m-rul MÄnt uf ?ha Samt Ktmoomn doctnnra i,urhlik«lü»l of Üw (Inn. ( <>m«non SrwiaHet«, tb IngWi. m oc, ahiT , that a. thxaugK rrtuUlinn ■art vf Swurrrtand, »n<n« ^rt> Bak, Germany, «nd Oe« Hunpry 1 1 phikwvpliy, «fier a Ion/ *nd tro«.bt< wnx uAi-irnt i*!} W mcmkn dd* •ubieet, 4« k'n—I. .k tn Cxtka *a>»À .f ,1. ...» df4r«. tnu, ww« not un<>ceptMM*aUe t tlw »hure «4 nhontion of priante property. oh ot the nuiuhrM of (Wir eMnmuoilk« in the « «aMwkitirr rwtablkhn.mW ’ In di« amminf of woA hr hed A«nej and, tecGudî), tb »ommmiI ut talent b- 4»<A«yoL A German Re- « ** »Lia. aV _a K»tc their natural Roca 00 | 1 ment, an^ imcni%th«rc ar« rieh «rf paar. ■ und wvrhinf i»en Tb« propef^y Jf *11 ia plnrcd »nlo » joint •tork, the «ouUigh- na profit« of cn|üta\ TlbM. «ftrr all ihr tieKtiM I thçûrica of M* ■ *<l* •<• Ml lab' W «ftr? a go»! k{ra*t flF tniJl .«•••*»* 1 rft «Mir I «a rnA#L\ri *in<ut»ri(ire nad crc ntriciUc« ••(thcSaHst Skfinniana thror) of pr« and Î *Mnh dda td id eirßt ia eho" die Xnghdi S w alhu tUl 1 > k a «nUeet well r ortie of thdr attention cxnmrrtr, «grimhnral and ntauii- «alu CMii«Mt*tK Vith du lieu Û ling on dr pari vf th» SoctaE ot weh enuntry, Umari* th«m «f the othcr. Tha thiM nanted ü. tUl they ahould Am*« rarh cuhrr ) ih<u bring ubtuined. I ■« certain, Bwy all will harr Ihr beat «uhra Äieir ferrif« lirudw-r C(M«tnuni*ta. »Murtion ought (« bc taad»* fnun dir aharc nf the tulrnVd, in ocxlcr to fc«UDr e<p»lily- । ...v-.,.- — — - ...» —~~ , . . a««.* StinUStouMam, «her hartng exerted, Ukr • bnK.dcat of fndî;pv&i dnUumdon agninu cuinmarc^ hani mi-tcnr, the attenbon «f ihr dunking, diaai» , »clUhnr«. und wnpedtmn, »c bare in practka^uS prMrnl IYovi tim Social horunn. Nobody uo« thmA» oM compétitive ayatem upoa an Imprmrd oke. * of u. or aprak« of U । iu Uo»e m patu pnortaw bmtik 00 more liberal frinribleaT Gar- Nearly at the amne time widi Satnt Simon, another tainly, hr r wr canmx atup} and the r reneb, too, man ilirected the aetivily of hia nugbty iatdktf mj 1 harr not «topped Herr. tl*A ..f A ^ .—1 TK-. ..C CjS. . In — .... of gen 111% whirh vc And in Saint Simon\jm4 mm «J Hm diKipIr*! nlihoii^h Am «lyb 1» hard, and ahoi wird in tb« Frrwh lanriagr^ne.ertbekm, «e rend Ma nnrha with frratri plra<*urt । and find nmrr rwl «alu« U Iharn, ihan in lima« cd ihr perrcding achrud. rauUÜW the grral axhun of axial ptniovaihr ihal, rr«ry fodtridual Imrinv an iacUntâotïivn'T <* *Mnr paKiruUr Mmf 0/ w<«K thaTm nf all «heae IvrbaKtton« <4 all Mxlirtdaab am# ba, uf«m the whak, an Uenuaie power A.r pemidtng t>r Ihr vwt« of »EL From ihm prindplr, k Hfoa«, Ure a iwwrpMcr, b», the “ Fhala^c/ publiai.»! fermedy threv Uuica a weh, now dady.t «Ä ihm* JI n-iiiam •‘«M-thing iv t to the SaiiU-MimoniarMi, -aetmuAt re •een bmr Bahnif' CotnmtiMlMM r-±rj\r Eine Seite aus „The New Moral World mit Engels’ Aufsatz „Progress of Social Reform on the Continent
PROGRESS OF SOCIAL REFORM ON THE CONTINENT [NMW Vol. V. Third Séries. 4. Nov. 1843. Nr. 19, p. 145-146] It has always been in some degree surprising to me, ever since 5 I met with English Socialists, to find that most of them are very little acquainted with the social movement going on in different parts of the continent. And yet there are more than half a million of Communists in France, not taking into account the Fourierists, and other less radical Social reformers; there are Communist as- io sociations in every part of Switzerland, sending forth missionaries to Italy, Germany, and even Hungary; and German philosophy, after a long and troublesome circuit, has at last settled upon Com- munism. Thus, the three great and civilized countries of Europe—Eng- 15 land, France, and Germany, have all corne to the conclusion, that a thorough révolution of social arrangements, based on Community of property, has now become an urgent and unavoidable necessity. This resuit is the more striking, as it was arrived at by each of the above nations independently of the others; a fact, than which 2o there can be no stronger proof, that Communism is not the consé¬ quence of the particular position of the English, or any other nation, but that it is a necessary conclusion, which cannot be avoided to be drawn from the premises given in the general facts of modern civilization. 25 It must, therefore, appear désirable, that the three nations should understand each other, should know how far they agree, and how far they disagree; because there must be disagreement also, owing to the different origin of the doctrine of Community in each of the three countries. The English came to the conclusion so practically, by the rapid increase of misery, demoralization, and pauperism in their own country: the French poluically, by first asking for political liberty and equality; and, finding this insuffi- cient, joining social liberty, and social equality to their political claims: the Germans became Communists philosophically^ by 35 reasoning upon first principles. This being the origin of Socialism in the three countries, there must exist différences upon minor points; but I think I shall be able to show that these différences are very insignificant, and quite consistent with the best feeling on the part of the Social reformers of each country, towards those 28*
436 London und Manchester 1842—1844. Aus The New Moral World of the other. The thing wanted is, that they should know each other; this being obtained, I am certain, they all will have the best wishes for the success of their foreign brother Communists. NO. I — FRANCE France is, since the Revolution, the exclusively political country e of Europe. No improvement, no doctrine can obtain national im¬ portance in France, unless embodied in some political shape. It seems to be the part the French nation have to perform in the pre¬ sent stage of the history of mankind, to go through all the forms of political development, and to arrive, from a merely political be- io ginning, at the point where all nations, all different paths, must meet at Communism. The development of the public mind in France shows this clearly, and shows at the same time, what the future history of the English Chartists must be. The French Revolution was the rise of democracy in Europe. is Democracy is, as I take all forms of govemment to be, a contra¬ diction in itself, an untruth, nothing but hypocrisy (theology, as we Germans call it), at the bottom. Political liberty is sham- liberty, the worst possible slavery; the appearance of liberty, and therefore the reality of servitude. Political equality is the same; 20 therefore democracy, as well as every other form of govemment, must ultimately break to pièces: hypocrisy cannot subsist, the con¬ tradiction hidden in it must come out; we must have either a regulär slavery—that is, an undisguised despotism, or real liberty, and real equality—that is, Communism. Both these conséquences were 25 brought out in the French Revolution; Napoleon established the first, and Babeuf the second. I think I may be short upon the sub- ject of Babouvism, as the history of his conspiracy, by Buonarotti, has been translated into the English language. The Communist plot did not succeed, because the then Communism itself was of so a very rough and superficial kind; and because, on the other hand, the public mind was not yet far enough advanced. The next French Social reformer was Count de St. Simon. He succeeded in getting up a sect, and even some establishments; none of which succeeded. The general spirit of the Saint-Simonian doc- 35 trines is very much like that of the Ham-Common Socialists, in England; although, in the detail of the arrangements and ideas, there is a great différence. The singularities and eccentricities of the Saint-Simonians very soon became the victims of French wit and satire; and everything once made ridiculous is inevitably lost 40 in France. But, besides this, there were other causes for the failure of the Saint-Simonian establishments; all the doctrines of this
Progress of Social Reform I 437 party were enveloped in the clouds of an unintelligible mysticism, which, perhaps, in the beginning, attract the attention of the people; but, at last, must leave their expectations disappointed. Their eco- nomical principles, too, were not unexceptionable; the share of each of the members of their communities in the distribution of produce, was to be regulated, firstly, by the amount of work he had done; and, secondly, the amount of talent he displayed. A Ger¬ man Republican, Boeme, justly replied to this principle, that talent, instead of being rewarded, ought rather to be considered as 10 a natural preference; and, therefore, a déduction ought to be made from the share of the talented, in order to restore equality. Saint-Simonism, after having excited, like a brilliant meteor, the attention of the thinking, disappeared from the Social horizon. Nobody now thinks of it, or speaks of it; its time is past. u Nearly at the same time with Saint-Simon, another man directed the activity of his mighty intellect to the social state of mankind — Fourier. Although Fourier’s writings do not display those bright sparks of genius, which we find in Saint-Simon’s, and some of his disciples; although his style is hard, and shows, to a considérable 20 extent, the toil with which the author is always labouring to bring out his ideas, and to speak out things, for which no words are pro- vided in the French language—nevertheless, we read his works with greater pleasure; and find more real value in them, than in those of the preceeding school. There is mysticism, too, and as extrava- 25 gant as any, but this you may eut off and throw it aside, and there will remain something not to be found among the Saint-Simonians, —scientific research, cool, unbiassed, systematic thought; in short, social philosophy; whilst Saint-Simonism can only be called social poefry. It was Fourier, who, for the first time, established so the great axiom of social philosophy, that, every individual having an inclination or prédilection for some particular kind of work, the sum of all these inclinations of all individuals must be, upon the whole, an adéquate power for providing for the wants of all. From this principle, it follows, that if every individual is left to 35 his own inclination, to do and to leave what he pleases, the wants of all will be provided for,without the forcible means used by the pre¬ sent System of society. This assertion looks bold, and yet, afterFou¬ rier’s mode of establishing it, is quite unassailable, almost seif- evident—the egg of Columbus. Fourier proves, that every one is io bom with an inclination for some kind of work, that absolute idleness is nonsense, a thing which never existed, and cannot exist: that the essence of the human mind is to be active itself, and to bring the body into activity ; and that, therefore, there is no neces- sity for making the people active by force, as in the now existing 45 state of society, but only to give their natural activity the right
438 London und Manchester 1842—1844. Aus The New Moral World direction. He goes on proving the identity of labour and enjoy¬ ment, and shows the irrationality of the present social System, which separates them, making labour a toil, and placing enjoyment above the reach of the majority of the labourers; he shows further, how, under rational arrangements, labour may be made, what it 5 is intended to be, an enjoyment, leaving every one to follow his own inclinations. I cannot, of course, follow Fourier through the whole of his theory of free labour, and I think this will be sufficient to show the English Socialists that Fourierism is a subject well worthy of their attention 10 Another of the merits of Fourier is to have shown the advan- tages—nay, the necessity of association. It will be sufficient only to mention this subject, as I know the English to be fully aware of its importance. There is one inconsistency, however, in Fourierism, and a very 15 important one too, and that is, his nonabolition of private property. In his Phalanstères or associative establishments, there are rieh and poor, capitalists and working men. The property of all mem- bers is placed into a joint stock, the establishment carries on commerce, agricultural and manufacturing industry, and the 20 proceeds are divided among the members; one part as wages of labour, another as reward for skill and talent, and a third as profits of capital. Thus, after all the beautiful théories of asso¬ ciation and free labour; after a good deal of indignant décla¬ mation against commerce, selfishness, and compétition, we have in 25 practice, the old compétitive System upon an improved plan, a poor-law bastile on more liberal principles! Certainly, here we cannot stop; and the French, too, have not stopped here. The progress of Fourierism in France was slow, but regulär. There are not a great many Fourierists, but they count among their 30 numbers a considérable portion of the intellect now active in France. Victor Considérant is one of their cleverest writers. They have a newspaper, too, the „Phalange“, published formerly three times a week, now daily**\ As the Fourierists are now represented in England also by 35 Mr. Doherty, I think I may have said enough conceming them, and now pass to the most important and most radical party in France, the Communists. I said before, that everything claiming national importance, in France, must be of a political nature, or it will not succeed. 40 Saint-Simon and Fourier did not touch politics at all, and their schemes, therefore, became not the common property of the nation, *) A few years since we gave a complété exposition of the System in a sériés of articles in this Journal. — Ed. N. M. W. * * ) Now entitled the „Démocratie Pacifique“. — Ed. N. M. W.
Progress of Social Reform I 439 but only subjects of private discussion. We have seen how Babeuf’s Communism arose out of the democracy of the first révolution. The second révolution, of 1830, gave rise to another and more powerful Communism. The „great week“, of 1830, was accom- 5 plished by the union of the middle and working classes, the libérais and the republicans. After the work was done, the working classes were dismissed, and the fruits of the révolution were taken posses¬ sion of by the middle classes only. The working men got up several insurrections, for the abolition of political monopoly, and io the establishment of a republic, but were always defeated; the middle dass having, not only the army on their side, but forming themselves the national guard besides. During this time (1834 or 1835) a new doctrine sprang up among the republican working men. They saw, that even after having succeeded in their demo- 15 cratic plans, they would continue the dupes of their more gifted and better educated leaders, and that their social condition, the cause of their political discontent, would not be bettered by any political change whatsoever. They referred to the history of the great révolution, and eagerly seized upon Babeuf’s Communism. 2o This is all that can, with safety, be asserted conceming the origin of modern Communism in France; the subject was first discussed in the dark lanes and crowded alleys of the Parisian suburb, Saint- Antoine, and soon after in the secret assemblies of conspira tors. Those who know more about its origin, are very careful to keep 25 their knowledge to themselves, in order to avoid the „strong arm of the law“. However, Communism spread rapidly over Paris, Lyons, Toulouse, and the other large and manufacturing towns of the realm; various secret associations followed each other, among which the „Travailleurs Egalitaires66, or Equalitarian working 30 men, and the Humanitarians, were the most considérable. The Equalitarians were rather a „rough set66, like the Babouvists of the great révolution; they purposed making the world a working- man’s Community, putting down every refinement of civilization, science, the fine arts, etc., as useless, dangerous, and aristocratie 35 luxuries; a préjudice necessarily arising from their total ignorance of history and political economy. The Humanitarians were known particularly for their attacks on marriage, family, and other simi- lar institutions. Both these, as well as two or three other parties, were very short-lived, and the great bulk of the French working 40 classes adopted, very soon, the tenets propounded by M. Cabet, „Père Cabet66, (Father C.) as he is called, and which are known on the continent under the name of Icarian Communism. This sketch of the History of Communism in France shows, in some measure, what the différence of French and English Com- 45 munism must be. The origin of Social reform, in France, is a
440 London und Manchester 1842—1844. Aus The New Moral World political one; it is found, that democracy cannot give real equality, and therefore the Community scheme is called to its aid. The bulk of the French Communists are, therefore, republicans besides; they want a community state of society, under a republican form of govemment. Now, I do not think that the English Socialists s would have serious objections to this; because, though they are more favourable to an elective monarchy, I know them to be too enlightened to force their kind of govemment upon a people to- tally opposed to it. It is evident, that to try this would involve this people in far greater disorders and difficulties than would io arise from their own démocratie mode of govemment, even suppo- sing this to be bad. But there are other objections that could be made to the French Communists. They intend overthrowing the present govemment of their country by force, and have shown this by their continuai 15 policy of secret associations. This is true. Even the Icarians, though they déclaré in their publications, that they abhor physical révolutions and secret societies, even they are associated in this männer, and would gladly seize upon any opportunity to establish a republic by force This will be objected to, I dare say, and 20 rightly, because, at any rate, secret associations are always con- trary to common prudence, inasmuch as they make the parties liable to unnecessary legal persécutions. I am not inclined to defend such a line of policy, but it has to be explained, to be accounted for; and it is fully done so by the différence of the 25 French and English national character and govemment. The Eng¬ lish Constitution has now been, for about one hundred and fifty years, uninterruptedly, the law of the land; every change has been made by legal means, by constitutional forms; therefore the English must have a strong respect for their laws. But, in France, 30 duringthe last fifty years, one forced alteration followed the other; all constitutions, from radical democracy to open despotism, all kinds of laws were, after a short existence, thrown away and replaced by others; how can the people then respect their laws? And the result of all these convulsions, as now established in the 35 French constitution and laws, is the oppression of the poor by the rieh, an oppression kept up by force — how can it be expected that the oppressed should love their public institutions, that they should not resort to the old tricks of 1792? They know that, if they are anything, they are it by meeting force by force, and 40 having, at present, no other means, why should they hesitate a *) It is proper to reiterate that the Icarian Communists, in their organ, the Popu¬ laire, have, in the strongest männer, disowned all participation in secret societies, and affixed the names of their leaders to public documents, expositions of their principles and objecte. — Ed. N. M. JT.
Progress of Social Reform I 441 moment to apply this? It will be said further; why do not the French Communists establish communities, as the English have done? My reply is, because they dare not. If they did, the first experiment would be put down by soldiers. And if they were 5 suffered to do so, it would be of no use to them. I always un- derstood the Harmony Establishment to be only an experiment, to show the possibility of Mr. Owen’s plans, if put into practice, to force public opinion to a more favourable idea of the Socialist schemes for relieving public distress. Well, if that be the case, 10 such an experiment would be of no avail in France. Show the French, not that your plans are practical, because that would leave them cool and indifferent. Show them that your communities will not place mankind under an „iron-bound despotism,“ as Mr. Bairstow the Chartist said, in his late discussion with Mr. is Watts. Show them that real liberty and real equality will be only possible under Community arrangements, show them that justice demands such arrangements, and then you will have them all on your side. But to retum to the social doctrines of the Icarian Communists. 2o Their „holy book“ is the „Voyage en Icarie“, (Travels in Icaria) of Father Cabet, who, by-the-by, was formerly Attomey-General, and Member of the Chamber of Deputies. The general arrange¬ ments for their Communities are very little different to those of Mr. Owen. They have embodied in their plans everything rational 25 they found in Saint-Simon and Fourier; and, therefore, are very much superior to the old French Communists. As to marriage, they perfectly agree with the English. Everything possible is done to secure the liberty of the individual. Punishments are to be aboli- shed, and to be replaced by éducation of the young, and rational so mental treatment of the old. It is, however, curious, that whilst the English Socialists are generally opposed to Christianity, and have to suffer all the reli- gious préjudices of a really Christian people, the French Com¬ munists, being a part of a nation celebrated for its infidelity, are 35 themselves Christians. One of their favourite axioms is, that Christianity is Communism „le Christianisme c’est le Commu¬ nisme66. This they try to prove by the bible, the state of community in which the first Christians are said to have lived, etc. But ail this shows only, that these good people are not the best Christians, 4o although they style themselves so ; because if they were, they would know the bible better, and find that, if some few passages of the bible may be favourable to Communism, the general spirit of its doctrines is, nevertheless, totally opposed to it, as well as to every rational measure. 45 The rise of Communism has been hailed by most of the eminent
442 London und Manchester 1842—1844. Aus The New Moral World minds in France; Pierre Leroux, the metaphysician; George Sand, the courageous defender of the rights of her sex; Abbé de La¬ mennais, author of the „Words of a Believer“, and a great many others, are, more or less, inclined towards the Communist doctrines. The most important writer, however, in this line is Proudhon, a 5 young man, who published two or three years ago his work: What is Property? („Qu’est ce que la Propriété?64) where he gave the answer: „La propriété c’est le vol,44 Property is robbery. This is the most philosophical work, on the part of the Communists, in the French language; and, if I wish to see any French book translated 10 into the English language, it is this. The right of private property, the conséquences of this institution, compétition, immorality, misery, are here developed with a power of intellect, and real scientific research, which I never since found united in a single volume. Besides this, he gives very important remarks on govem-15 ment, and having proved, that every kind of govemment is alike objectionable, no matter whether it be democracy, aristocracy, or monarchy, that ail govem by force; and that, in the best of ail possible cases, the force of the majority oppresses the weakness of the minority, he cornes, at last, to the conclusion: „Nous voulons 20 l’anarchie!44 What we want is anarchy; the mie of nobody, the responsibility of every one to nobody but himself. Upon this subject I shall have to speak more, when I corne to the German Communists. I have now only to add, that the French Icarian Communists are estimated at about half a million in num- 25 ber, women and children not taken into account. A pretty respec¬ table phalanx, is n’t it? They have a monthly paper, the „Popu¬ laire“, edited by Father Cabet; and, besides this, P. Leroux pu- blishes a periodical, the „Independent Review“, in which the tenets of Communism are philosophically advocated. 30 F. Engels Manchester, Oct. 23,1843.
NO. II — GERMANY AND SWITZERLAND [NMW Vol. V. Third Séries. 18. Nov. 1843. Nr. 21, p. 161-162] Germany had her Social Reformers as early as the Reforma¬ tion. Soon after Luther had begun to proclaim church reform and 5 to agitate the people against spiritual authority, the peasantry of Southern and Middle Germany rose in a general insurrection against their temporal lords. Luther always stated his object to be, to return to original christianity in doctrine and practice; the peasantry took exactly the same standing, and demanded, there- 10 fore, not only the ecclesiastical, but also the social practice of primitive christianity. They conceived a state of villany and ser¬ vitude, such as they lived under, to be inconsistent with the doc¬ trines of the Bible; they were oppressed by a set of haughty barons and earls, robbed and treated like their cattle every day, they had is no law to protect them, and if they had, they found nobody to enforce it. Such a state contrasted very much with the communities of early Christians and the doctrines of Christ, as laid down in the Bible. Therefore they arose and began a war against their lords, which could only be a war of extermination. Thomas Münzer, a 2o preacher, whom they placed at their head, issued a proclamation, full, of course, of the religious and superstitious nonsense of the âge, but containing also among others, principles like these: That according to the Bible, no Christian is entitled to hold any property whatever exclusively for himself ; that Community of property is 25 the only proper state for a society of Christians; that it is not allowed to any good Christian, to have any authority or command over other Christians, nor to hold any office of govemment or here- ditary power, but on the contrary, that, as all men are equal before God, so they ought to be on earth also. These doctrines were nothing 3o but conclusions drawn from the Bible and from Luther’s own writ- ings; but the Reformer was not prepared to go as far as the people did ; notwithstanding the courage he displayed against the spiritual authorities, he had not freed himself from the political and social préjudices of his age ; he believed as firmly in the right divine of 35 princes and landlords, to trample upon the people, as he did in the Bible. Besides this, he wanted the protection of the aristocracy and the protestant princes, and thus he wrote a tract against the rioters, disclaiming not only every connection with them, but also exhorting the aristocracy to put them down with the utmost 4o severity, as rebels against the laws of God. „Kill them like dogs!“
444 London und Manchester 1842—1844. Aus The New Moral World he exclaimed. The whole tract is written with such an animosity, nay, fury and fanaticism against the people, that it will ever form a blot upon Luther’s character; it shows that, if he began his career as a man of the people, he was now entirely in the service of their oppressors. The insurrection, after a most bloody civil war, was 5 suppressed, and the peasants reduced to their former servitude. If we except some solitary instances, of which no notice was taken by the public, there has been no party of Social Reformers in Germany, since the peasants’ war, up to a very recent date. The public mind during the last fifty years was too much occupied with questions of either a merely political or merely metaphysical na¬ ture—questions, which had to be answered, before the social question could be discussed with the necessary calmness and knowledge. Men, who would have been decidedly opposed to a System of Community, if such had been proposed to them, were w nevertheless paving the way for its introduction. It was among the working class of Germany that Social Reform has been of late made again a topic of discussion. Germany having comparatively little manufacturing industry, the mass of the wor¬ king classes is made up by handicraftsmen, who previous to their 20 establishing themselves as little masters, travel for some years over Germany, Switzerland, and very often over France also. A great number of German workmen is thus continually going to and from Paris, and must of course there become acquainted with the political and social movements of the French working classes. One 25 of these men, William Weitling, a native of Magdeburg in Prussia, and a simple joumeyman-tailor, resolved to establish communities in his own country. This man, who is to be considered as the founder of German Communism, after a few years’ stay in Paris, went to Switzerland, 30 and, whilst he was working in some tailor’s shop in Geneva, prea- ched his new gospel to his fellow-workmen. He formed Commun¬ ist Associations in all the towns and cities on the Swiss side of the lake of Geneva, most of the Germans who worked there becoming favourable to his views. Having thus prepared a public mind, he 35 issued a periodical, the Young Generation, for a more extensive agitation of the country. This paper, although written for working men only, and by a working man, has from its beginning been superior to most of the French Communist publications, even to Father Cabet’s Populaire. It shows that its editor must have worked 40 very hard, to obtain that knowledge of history and politics, which a public writer cannot do without, and which a neglected éducation had left him deprived of. It shows, at the same time, that Weitling was always struggling to unité his various ideas and thoughts on society into a complété System of Communism. The Young Gene- 45
Progress of Social Reform II 445 ration was first published in 1841 ; in the following year, Weitling published a work: Guarantees of Harmony and Liberty, in which he gave a review of the old social System and the outlines of a new one. I shall, perhaps, some time give a few extracts from this book. s Having thus established the nucléus of a Communist party in Geneva and its neighbourliQod, he went to Zurich, where, as in other towns of Northern Switzerland, some of his friends had already commenced to opérate upon the minds of the working men. He now began to organise his party in these towns. Under the name io of Singing Clubs, associations were formed for the discussion of Social reorganization. At the same time Weitling advertised his in¬ tention to publish a book,—The Gospel of the Poor Sinners. But here the police interfered with his proceedings. In June last, Weitling was taken into custody, his papers and his io book were seized, before it left the press. The Executive of the Republic appointed a Committee to investigate the matter, and to report to the Grand Council, the représentatives of the people. This report has been printed a few months since. It appears from it, that a great many Communist associations existed in every part of so Switzerland, consisting mostly of German working men; that Weit¬ ling was considered as the leader of the party, and received from time to time reports of progress; that he was in correspondence with similar associations of Germans in Paris and London, and that all these societies, being composed of men who very often changed 25 their résidence, were so many seminaries of these „dangerous and Utopian doctrines,66 sending out their elder members to Germany, Hungaria, and Italy, and imbuing with their spirit every workman who came within their reach. The report was drawn up by Dr. Bluntschli, a man of aristocratie and fanatically Christian opinions, so and the whole of it therefore is written more like a party denun- ciation, than like a calm, official report. Communism is denounced as a doctrine dangerous in the extreme, subversive of all existing order, and destroying all the sacred bonds of society. The pious doctor, besides, is at a loss for words sufficiently strong to express 35 his feelings as to the frivolous blasphemy with which these infa- mous and ignorant people try to justify their wicked and revolutio- nary doctrines, by passages from the Holy Scriptures. Weitling and his party are, in this respect, just like the Icarians in France, and contend that Christianity is Communism. 4o The resuit of Weitling’s trial did very little to satisfy the anti¬ cipations of the Zurich govemment. Although Weitling and his friends were sometimes very incautious in their expressions, yet the charge of high treason and conspiracy against him could not be maintained; the criminal court sentenced him to six months’ im- 45 prisonment, and etemal banishment from Switzerland; the mem-
446 London und Manchester 1842—1844. Aus The New Moral World bers of the Zurich associations were expelled the Canton; the report was communicated to the govemments of the other Cantons and to the foreign embassies, but the Communists in other parts of Switzerland were very little interfered with. The prosecution came too late, and was too little assisted by the other Cantons; it did 5 nothing at all for the destrucion of Communism, and was even favourable to it, by the great interest it produced in all countries of the German tongue. Communism was almost unknown in Germany, but became by this an object of general attention. Besides this party there exists another in Germany, which advo- 10 cates Communism. The former, being thoroughly a populär party, will no doubt very soon unité all the working classes of Germany; that party which I now refer to is a philosophical one, unconnected in its origin with either French or English Communists, and arising from that philosophy which, since the last fifty years, Germany has 15 been so proud of. The political révolution of France was accompanied by a philo¬ sophical révolution in Germany. Kant began it by overthrowing the old System of Leibnitzian metaphysics, which at the end of last Century was introduced in all Universities of the Continent. Fichte 20 and Schelling commenced rebuilding, and Hegel completed the new System. There has never been, ever since man began to think, a System of philosophy as comprehensive as that of Hegel. Logic, metaphysics, natural philosophy, mental philosophy, the philo¬ sophy of law, of religion, of history, all are united in one System, 25 reduced to one fundamental principle. The System appeared quite unassailable from without, and so it was; it has been overthrown from within only, by those who were Hegelians themselves. I can- not, of course, give here a complété development either of the System or of its history, and therefore must restrain myself to the 30 following remarks. The progress of German philosophy from Kant to Hegel was so consistent, so logical, so necessary, if I may say so, that no other Systems besides those I have named could subsist. There are two or three of them, but they found no attention; they were so neglected, that nobody would even do them the honour to 35 overthrow them. Hegel, notwithstanding his enormous learning and his deep thought, was so much occupied with abstract questions, that he neglected to free himself from the préjudices of his age — an age of restoration for old Systems of govemment and religion. But his disciples had very different views on these subjects. Hegel 40 died in 1831, and as early as 1835 appeared Strauss9 Life of Jesus, the first work showing some progress beyond the limits of orthodox Hegelianism. Others followed; and in 1837 the Christians rose against what they called the New Hegelians, denouncing them as Atheists, and calling for the interférence of the state. The state, 45
Progress of Social Reform II 447 however, did not interfère, and the controversy went on. At that time, the New, or Young Hegelians, were so little conscious of the conséquences of their own reasoning, that they all denied the charge of Atheism, and called themselves Christians and Pro- 5 testants, although they denied the existence of a God, who was not man, and declared the history of the gospels to be a pure mytho- logy. It was not until last year, in a pamphlet, by the writer of these lines, that the charge of Atheism was allowed to be just. But the development went on. The Young Hegelians of 1842, were io declared Atheists and Republicans; the periodical of the party, the „German Annals66, was more radical and open than ever before; a political paper was established, and very soon the whole of the German liberal press was entirely in our hands. We had friends in almost every considérable town of Germany; we provided all is the liberal papers with the necessary matter, and by this means made them our organs; we inundated the country with pamphlets, and soon govemed public opinion upon every question. A tem- porary relaxation of the censorship of the press added a great deal to the energy of this movement, quite novel to a 2o considérable part of the German public. Papers, published under the authorization of a govemment censor, contained things which, even in France, would have been punished as high treason, and other things which could not have been pronounced in England, without a trial for blasphemy being the conséquence of it. The 25 movement was so sudden, so rapid, so energetically pursued, that the govemment as well as the public were dragged along with it for some time. But, this violent character of the agitation proved that it was not founded upon a Strong party among the public, and that its power was produced by the surprise and consternation only of 30 its opponents. The govemments, recovering their senses, put a stop to it by a most despotic oppression of the liberty of speech. Pam¬ phlets, newspapers, periodicals, scientific works were suppressed by dozens, and the agitated state of the country soon subsided. It is a matter of course that such a tyrannical interférence will not 35 check the progress of public opinion, nor quench the principles defended by the agitators; the entire persécution has been of no use whatever to the ruling powers; because, if they had not put down the movement, it would have been checked by the apathy of the public at large, a public as little prepared for radical changes 40 as that of every other country; and, if even this had not been the case, the republican agitation would have been abandoned by the agitators themselves, who now, by developing farther and farther the conséquences of their philosophy, became Communists. The princes and rulers of Germany, at the very moment when they 45 believed to have put down for ever, republicanism, saw the rise of
448 London und Manchester 1842—1844. Aus The New Moral World Communism from the ashes of political agitation; and this new doctrine appears to them even more dangerous and formidable than that in whose apparent destruction they rejoiced. As early as autumn, 1842, some of the party contended for the insufficiency of political change, and declared their opinion to be, 5 that a Social révolution based upon common property, was the only state of mankind agreeing with their abstract principles. But even the leaders of the party, such as Dr. Bruno Bauer, Dr. Feuerbach, and Dr. Ruge, were not then prepared for this decided Step. The political paper of the party, the Rhenish Gazette, published some w papers advocating Communism, but without the wished-for effect. Communism, however, was such a necessary conséquence of New Hegelian philosophy, that no opposition could keep it down, and, in the course of this present year, the originators of it had the satis¬ faction of seeing one republican after the other join their ranks. is Besides Dr. Hess, one of the editors of the now suppressed Rhenish Gazette, and who was, in fact, the first Communist of the party, there are now a great many others; as Dr. Ruge, editor of the German Armais, the scientific periodical of the Young Hegelians, which has been suppressed by resolution of the German Diet; 20 Dr. Marx, another of the editors of the Rhenish Gazette; George Herwegh, the poet whose letter to the King of Prussia was translated, last winter, by most of the English papers, and others: and we hope that the remainder of the republican party will, by- and-by, come over too. 25 Thus, philosophical Communism may be considered for ever established in Germany, notwithstanding the efforts of the govern- ments to keep it down. They have annihilated the press in their dominions, but to no effect; the progress parties profit by the free press of Switzerland and France, and their publications are as 30 extensively circulated in Germany, as if they were printed in that country itself. All persécutions and prohibitions have proved ineffectual, and will ever do so; the Germans are a philosophical nation, and will not, cannot abandon Communism, as soon as it is founded upon sound philosophical principles: chiefly if it is 35 derived as an unavoidable conclusion from their own philosophy. And this is the part we have to perform now. Our party has to prove that either all the philosophical efforts of the German nation, from Kant to Hegel, have been useless—worse than useless; or, that they must end in Communism; that the Germans must either 40 reject their great philosophers, whose names they hold up as the glory of their nation, or that they must adopt Communism. And this will be proved; this dilemma the Germans will be forced into, and there can scarcely be any doubt as to which side of the question the people will adopt. There is a greater chance in Germany for 45
Progress of Social Reform II 449 the establishment of a Communist party among the educated classes of society, than anywhere else.The Germans are a very disinterested nation; if in Germany principle cornes into collision with interest, principle will almost always silence the daims of interest. The 5 same love of abstract principle, the same disregard of reality and self-interest, which have brought the Germans to a state of political nonentity, these very same qualities guarantee the success of philo- sophical Communism in that country. It will appear very singulär to Englishmen, that a party which aims at the destruction of private 10 property, is chiefly made up by those who have property ; and yet this is the case in Germany. We can recruit our ranks from those classes only which have enjoyed a pretty good éducation; that is, from the universities and from the commercial dass; and in either we have not hitherto met with any considérable difficulty. is As to the particular doctrines of our party, we agréé much more with the English Socialists than with any other party. Their System, like ours, is founded upon philosophical principle; they struggle, as we do, against religious préjudices whilst the French reject philosophy and perpetuate religion by dragging it over with them- 2o selves into the projected new state of society. The French Com¬ munists could assist us in the first stages only of our development, and we soon found that we knew more than our teachers; but we shall have to leam a great deal yet from the English Socialists. Although our fundamental principles give us a broader base, 25 inasmuch as we received them from a System of philosophy embracing every part of human knowledge; yet in everything bearing upon practice, upon the facts of the present state of society, we find that the English Socialists are a long way before us, and have left very little to be done. I may say, besides, that I have met so with English Socialists with whom I agréé upon almost every question. I cannot now give an exposition of this Communist System without adding too much to the length of this paper; but I intend to do so some time soon, if the Editor of the New Moral World will 35 allow me the space for it. I therefore conclude by stating, that, notwithstanding the persécutions of the German govemments (I understand that, in Berlin, Mr. Edgar Bauer is prosecuted for a Communist publication; and in Stuttgart another gentleman has been committed for the novel crime of “Communist correspon- 4o dence“!) notwithstanding this, I say, every necessary step is taken to bring about a successful agitation for Social Reform, to establish a new periodical, and to secure the circulation of ail publications advocating Communism. F. Engels Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 29
THE „TIMES“ ON GERMAN COMMUNISM To the Editor of the New Moral World [NMW Vol. V. Third Séries. 20. Jan. 1844. Nr. 30, p. 235] Sir, — Seeing the paper from the Times on the Communists in Germany, republished in The New Moral World, I thought it 5 better not to let it pass without some commentatory remarks, which you perhaps will find worth inserting. The Times hitherto enjoyed on the continent the réputation of a well-informed newspaper, but a few more articles like that on German Communism must very soon destroy that opinion. Every 10 one who has the slightest knowledge of the social movements in France and Germany, must at once perceive that the author of the paper alluded to speaks of a subject of which he is thoroughly ignorant. He knows not even so much about it as would enable him to expose the weaker parts of the party he attacks. If he wanted to 15 decry Weitling, he could have found in his writings passages much more fitted for his purpose than those he translates. If he only would have given himself the trouble to read the report of the Zurich Committee, which he professes to have read, but evidently has not, he would have found plenty of matter for slander, lots of 20 garbled passages collected expressly for the purpose. It is very curious, after all, that the Communists themselves must fumish their opponents with arms for the combat; but, Standing upon the broad base of philosophical argument, they can afford to do so. The correspondent of the Times begins by describing the Com- 25 munist party as very weak in France, and doubts whether the in¬ surrection of 1839, in Paris, was got up by them, or, which he thinks very likely, by the „powerful“ republican party. My well informed informer of the English public, do you consider a party very weak which numbers about half a million of adult males? Do 30 you know that the „powerful“ republican party in France is, and has been these last nine years, in a state of utter dissolution and increasing decay? Do you know that the National newspaper, the organ of this „powerful“ party, has a more limited circulation than any other Paris paper? Must I, a foreigner, remind you of 35 the republican subscription for the Irish repeal fund, got up by the National last summer, and amounting to less than one hnndred pounds, although the republicans affected considérable sympathy
The „Times“ on German Communism 451 for the Irish repealers? Do you not know that the mass of the republican party, the working classes, have seceded from their richer partizans long since, and not joined, no, established the Communist party, long before Cabet commenced to advocate Com- 5 munism? Do you not know that all the „power“ of the French republicans consists in the reliance they have in the Communists, who wish to see a republic established before they begin putting Communism into practice? It seems you are ignorant of ail these things, and yet you ought to know them, in order to form a correct 10 opinion of continental Socialism. As to the insurrection of 1839, I do not consider such things creditable to any party; but I have il from parties actively engaged in this émeute, that it was plotted and executed by the Communists. The well-informed correspondent goes on to state that „Fou- 15 rier’s and Cabet’s doctrines seemed more to occupy the minds of some literary and scientific characters, than to gain general favoui with the people.66 Of Fourier this is true, as I had occasion to show in a former number of this paper; but Cabet! Cabet, the author of almost nothing but small pamphlets, — Cabet, who is always called 20 Father Cabet, a name not likely to be given by „literary and scien¬ tific characters66, — Cabet, whose greatest fault is superficiality and want of regard for the just daims of scientific researcb, — Cabet, the editor of a paper calculated for the information of those who are able to read only; — that this man’s doctrines should 25 occupy the mind of a prof essor of the Parisian university, like Michelet, or of Quinet, whose boast is a deepness deeper than mysticism? It is too ludicrous. The correspondent then speaks of the celebrated German noc- tumal meeting at Hambach and Steinholzli, and expresses his 30 opinion „that this bore rather a political than a social revolutionary character66.1 hardly know where to begin in exppsing the blunders of this sentence. Firstly, „noctumal meetings66 are quite unknown on the continent: we have no torch-light Chartists’ or nocturnal Rebeccaite assemblages. The Hambach meeting was held in open 35 day, under the eyes of the authorities. Secondly, Hambach is a place in Bavaria, and Steinholzli in Switzerland, some hundred miles from Hambach; yet our correspondent speaks of the „Ham¬ bach and Steinholzli meeting66. Thirdly, these two meetings were separated by a considérable extent, not only of space, but of time 40 also. The Steinholzli meeting took place several years after the other. Fourthly, these meetings not only seemed, but in reality did bear a merely political character; they were held before the Com¬ munists appeared in the field. The sources from which our correspondent got his invaluable 45 information, were „the report of the (Zurich) Commission, the 29*
452 London und Manchester 1842—1844. Aus The New Moral World published and unpublished Communist writings discovered at the arrest of the Weitling, and personal inquiry66. Now it is evident, from the ignorance of our correspondent, that he never read the report; it is evident that „published communistical writings46 could not be „discovered“ at the arrest of anybody, as the very fact of 5 their „publication66 destroys every possibility of a „discovery“. The attorney-general of Zurich certainly would not boast of the „discovery66 of books which every bookseller could have fumished him with! As to the „unpublished66 writings, for the suppression of which the prosecution was commenced, the Zurich Senators 10 would have been inconsistent indeed, had they, as our correspon¬ dent appears to believe, afterwards published them themselves! They did no such thing. In fact, in all the report of our correspon¬ dent, there is nothing produced, which he could have procured from this source and from that of personal inquiry, if it be not the 15 two novel facts, that the German Communists got their doctrine chiefly from Cabet and Fourier, whom they attack; as our cor¬ respondent could have read in the same book from which he so extensively quotes (Weitling’s Guarantees, p. 228) ; and that „they consider as their four evangelists, Cabet, Proudhon, Weitling, 20 and—and—Constant66! Benjamin Constant, the friend of Madame de Staël, died long ago, and never thought of anything connected with social reform. Evidently our correspondent means Consi¬ dérant, the Fourierist, editor of the Phalange, now the Démocratie Pacifique, who is not at all connected with the Communists. 25 „The Communist doctrine is at present more negative than posi¬ tive66 — and immediately after this assertion is given, our cor¬ respondent cuts its throat by laying down, in twelve paragraphs, an outline of Weitling’s proposed arrangements for a new social state, which arrangements are altogether positive, and do not even men- 30 tion the destruction of the present social System. These extracts, however, are given in a very confused männer, showing that our correspondent did in several cases fail to hit upon the vital point of the question, and gave in its stead some rather insignificant details. Thus he omits to state the chief point in which 35 Weitling is superior to Cabet, namely, the abolition of all govem¬ ment by force and by majority, and the establishment in its stead of a mere administration, organizing the different branches of labour, and distributing its produce; he omits the proposai to nominate all officers of this administration, and in every particular 40 Brauch, not by a majority of the Community at large, but by those only who have a knowledge of the particular kind of work the future officer has to perform; and, one of the most important features of the plan, that the nominators are to select the fittest per- son, by means of some kind of prize essays, without knowing the 45
The „Times“ on German Communism 453 author of any of these essays; the names to be sealed up, and that paper only to be opened, which contains the name of the successful competitor; obviating by this all personal motives which could bias the minds of the electors. 5 As to the remainder of the extracts from Weitling, I leave it to the readers of this periodical to judge, whether they contain such contemptible stuff as our correspondent thinks them to be; or whether they do not advocate in most, if not in ail cases, the same principles and proposais, for the propagation of which this paper 10 was established. At any rate, if the Times should wish to comment again on German Communism, it would do well to provide another correspondent. I am, Sir, yours truly, F. Engels
FRENCH COMMUNISM [NMW Vol. V. Third Séries. 3. Febr. 1844. Nr. 32, p. 256] To the Editor of the New Moral World Manchester, January 28, 1844. Dear Sir, — In my letter to you in the New Moral World of 5 the 13th instant I committed an error. I considered the correspon¬ dent of the Times wrong in naming a M. Constant as a Communist; but since I wrote, I have received some French Communist publi¬ cations, in which an Abbe Constant is named as a partizan of the Community System. At the same time, Mr. Goodwyn Barmby had 10 the kindness to give me some further information about the Abbé Constant, who, he says, has been imprisoned for his principles, and is the author of several Communist works. His creed is thus expressed in his own words: I am a Christian and I take christia¬ nity to be Community only. 15 Requesting you, therefore, to correct the above error in your next number, I am, dear Sir, yours respectfully, F. Engels
CONTINENTAL MOVEMENTS [NMW Vol. V. Third Sériés. 3. Febr. 1844. Nr. 32, p. 255] The well-known novel of Eugène Sue, the „Mysteries of Paris66, has made a deep impression upon the public mind, especially 5 in Germany; the forcible manner in which this book depicts the misery and demoralization, falling to the share of the „lower Orders66 in great cities, could not fail to direct public attention to the state of the poor in general. The Germans begin to discover. as the „Allgemeine Zeitung66, the Times of Germany, says, that 10 the style of novel writing has undergone a complété révolution during these last ten years; that instead of kings and princes, who formerly were the heroes of similar taies, it is now the poor, the despised dass, whose fates and fortunes, joys and sufferings, are made the topic of romance; they find out at 15 last, that this new dass of novel writers, such as G. Sand, E. Sue, and Boz, is indeed a sign of the times. The good Ger¬ mans always thought, that misery and destitution existed in Paris and Lyons, London and Manchester only, and that Germany was entirely free from such excrescences of over-civilization and 20 of excessive manufacturing industry. Now, however, they begin to see that they also may muster a considérable amount of social disease; theBerlin papers confess, that the „Voigtland”of that town is not inferior in this respect to St. Giles’ or any other abode of the parias of civilization ; they confess, that, although trades’ unions 25 and strikes have hitherto been unknown in Germany, yet help is much needed, in order to avoid the occurrence of similar things among their own countrymen. Dr. Mundt, a lecturer at the Berlin university, has commenced a course of public lectures on the dif¬ ferent Systems of Social Re-organization ; and although he is not so the man to form a correct and impartial judgment upon such things, yet these lectures must do a great deal of good. It may easily be conceived, how favourable this moment is for the commen¬ cement of a more extensive social agitation in Germany, and what will be the effect of a new periodical advocating a thorough social 35 reform. Such a periodical has been established in Paris under the title of „German and French Annals66; its editors, Dr. Ruge and Dr. Marx, as well as its other contributors, belong to the „leamed Communists66 of Germany, and are supported by the most distin- guished Socialist authors of France. The periodical, which is to be 40 published in monthly numbers, and to contain French as well as German articles, could not, indeed, commence at a more favourable moment, and its success may be considered as certain, even before the first number is issued. F. E.
ZWEITER TEIL: HANDSCHRIFTLICHES, BRIEFE, DOKUMENTE
DOKUMENTE UND JUGENDARBEITEN Barmen-Elberfeld 1820—1837
Übersicht über die Dokumente und Jugendarbeiten Geburtsurkunde 461 Tauf urkunde 461 Geburtstagsgedicht 462 Friedrich Engels sen. an seine Frau Elise 462—464 Gedicht aus dem Jahre 1836 464 Gedicht, wahrscheinlich von Anfang 1837 465 Eine Seeräubergeschichte 465—477 Denkspruch am Tage der Konfirmation 477 Griechisches Gedicht 478—479 Abgangszeugnis von der Prima 480—481 In den Dokumenten ist die Original orthographie beibehalten.
5 10 15 20 25 30 Geburtsurkunde von Friedrich Engels; Bar¬ men 1820 Dezember 5. Auszug aus dem Standes- register von Barmen Original: Archiv des Preußischen Landgerichts, Elberfeld No. 659. Geburt von Friedrich Engels, am 28. November 1820. Im Jahr eintausend achthundert zwanzig, am fünften December Nach¬ mittags um halb vier Uhr, erschien vor mir Peter Wichelhausen Beigeordneter der Sammtgemeinde Barmen der Kaufmann Herr Fried¬ rich Engels wohnhaft in Brücher Rotte, mit der Anzeige, daß am Dienstag den achtundzwanzigsten des Monats November des Abends um neun Uhr, ihm von seiner Ehegattin Elisabeth Francisca Mau¬ ri t z i a geborenen van Haar, ein Kind männlichen Geschlecht ge¬ boren sey, welchem er den Vornamen Friedrich beigelegt habe. Zeugen bei dieser Handlung waren : Herr Peter Gottfried Schmits sechsundzwanzig jährigen Alters, Secretär wohnhaft in Ge- marke, und Herr Johann Jacob Helmes zweiunddreißig Jahre alt, Secretär wohnhaft in Werther Rotte. Nach Vorlesung haben Comparenten unterschrieben: gez. Friedrich Engels Jac. Schmits J. Helmes Der Beigeordnete gez. Wichelhausen Taufurkunde von Friedrich Engels; Unter- Barmen 1821 Januar 18. Auszug aus dem Tauf¬ buche der Evangelisch-reformierten Gemeinde Elberfeld Original: Archiv des Gemeinde-Amtes, Elberfeld 1821 Januar. Getauft den 18. U[nter]-B [armen] No. 24. — [Geboren] den 28. November Abends 9 Uhr. Friedrich, ehel. Sohn des im Bruch wohnenden Kaufmanns, Herrn Friedrich Engels und der Frau Elisabeth Mauritia Francisca, geb. van Haar. Die Tauf-Zeugen Herr CasparEngels senior, und Frau F ran¬ ci s c a Christina van Haar, geb. Snethlage.
462 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld 1833 Dez. 20 Geburtstagsgedicht von Fr. Engels an sei¬ nen Großvater van Haar; Barmen 1833 Dezem¬ ber 20 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Barmen, den 20. Dezember 1833. AnmeinenGroßvater. 5 0 Du lieber Großvater, der immer uns gütig begegnet, Der Du noch immer uns halfst, wenn’s mit den Arbeiten gehapert! Der so schöne Geschichten mir, wenn Du hier warst, erzähltest, Vom Cercyon und Theseus, vom hundertäugigen Argus; Vom Minotaur, Ariadn’, von dem ertrunknen Aegeus; 10 Von dem goldenen Vließ, von den Argonauten und Jason, Von dem starken Herkul, von dem Danaus und Kadmos. Und ich weiß es nicht mehr, was Du noch sonst mir erzählet; Nun, so wünsche ich Dir, Großvater, ein glückliches Neujahr, Dir ein Leben noch lang, viel Freud und wenige Trübsal, 15 Alles Gute, was nur dem Menschen kann je widerfahren, Alles das wird Dir gewünscht von Deinem Dich liebenden Enkel Friedr. Engels. Friedrich Engels sen. an seine Frau Elise, geb. van Haar in Hamm; Barmen 1835 August 27 20 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Barmen, 27. August 1835. Donnerstag Abend. Liebe Elise! Soeben wird mir Dein Brief vom gestrigen Tage gebracht, woraus ich 25 sehe, daß der Zustand des guten Vaters noch immer derselbe ist, ja daß er sich sogar etwas zu bessern scheint. Wir wollen uns nicht über seinen Zu¬ stand täuschen, wenn die Natur sich auch wieder zu heben scheint, und die Kräfte zunehmen, so ist doch sehr selten an eine Genesung zu denken ; die Krankheit wird langwieriger, bis ein neuer Anfall erfolgt. Der gute Vater 30 ist in Gottes Hand; wohl ihm und uns, daß wir ihn so ruhig dem himm¬ lischen Vater über lassen können. Am Sonntag den 23. gab ich einen Brief für Dich auf die Post. Du hast ihn doch erhalten? Du erwähnst seiner nicht. Schon gestern wollte ich wieder an Dich schreiben, wurde aber verhindert. Uns geht es allen gottlob 35 wohl; die Kinder sind sämtlich gesund. Mit Emil habe ich meine gewohnte Last, der Junge ist etwas unbändig, will beständig auf die Straße und heute Abend war wieder die Klage, daß er aus dem Fenster gesprungen sei. Rudolph ist lieb und brav, sitzt mittags neben mir und ist ein herzensguter
1835 Aug. 27 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld 463 Junge. Die Hedwig ist klüger wie beide, ist wieder kerngesund und strickt an einem Paar Socken für mich, die ich ihr zum Zeitvertreib auf gegeben habe. Hermann ist ziemlich artig, ist abends mein einziger Tischgenosse, und glaubt diese Woche steif und fest wie gewöhnlich No.l zu bekommen. 5 Die kleine Elise ist womöglich noch kregel er wie früher, macht ihre Kunststückchen, hat ihren Vater sehr lieb, kurz ist ein sehr liebes kleines Kätzchen. Friedrich hat mittelmäßige Zeugnisse in voriger Woche gebracht. Im Äußern ist er, wie Du weißt, manierlicher geworden, aber trotz der io frühem strengen Züchtigungen scheint er selbst aus Furcht vor Strafe keinen unbedingten Gehorsam zu lernen. So hatte ich heute wieder den Kummer, ein schmieriges Buch aus einer Leihbibliothek, eine Ritter¬ geschichte aus dem dreizehnten Jahrhundert in seinem Sekretär zu finden. Merkwürdig ist seine Sorglosigkeit, mit welcher er solche Bücher in seinem 15 Schranke läßt. Gott wolle sein Gemüt bewahren, oft wird mir bange um den übrigens trefflichen Jungen. Gestern erhielt ich durch Friedrich einen Brief von Dr. Hantschke vom 22. August, den er wohlweislich so spät erst an die Mägde gab, daß er mir erst um halb neun Uhr abends zukam. Wahrscheinlich hat er ihn also 20 schon am Sonntage gehabt. Dr. Hantschke schreibt mir, daß ihm das An¬ erbieten gemacht werde, zwei Pensionäre ins Haus zu nehmen, daß er aber dieses ablehnen werde, falls wir vorzögen, Friedrich länger als Herbst bei ihm zu lassen; daß Friedrich fortwährend der Aufsicht bedürfe, daß der weite Weg seinen Studien hinderlich sei etc. Ich habe ihm gleich geant- 25 wortet, daß ich ihm sehr danke, daß er mir bei dem vorteilhaften An¬ erbieten dennoch die Wahl lasse, und ich ihn bäte, den Friedrich ferner bei sich zu behalten, daß er mich aber durch Mitteilung seiner desfallsigen Bedingungen verpflichten werde. Er hatte nämlich selbst darauf hinge¬ deutet, daß wir uns über die Bedingungen schon einigen würden. Du wirst 30 es so mit mir gewiß auch fürs Beste halten. Auf Geld dürfen wir bei dem Wohle des Kindes nicht sehen, und Friedrich ist so ein eigentümlicher be¬ weglicher Junge, daß eine abgeschlossene Lebensart, die ihn zu einiger Selbständigkeit führen muß, für ihn das Beste ist. Noch einmal, der liebe Gott wolle den Knaben in Seinen Schutz nehmen, damit sein Gemüt 35 nicht verderbt werde. Bis jetzt entwickelt er eine beunruhigende Gedanken- und Charakterlosigkeit, bei seinen übrigens erfreulichen Eigenschaften. Soweit über unsere hiesigen Kinder. Gerne hörte ich von Dir, daß es Anna und Marie wohlgeht, wann kommen diese wieder, und ist es be¬ stimmt, daß Ludwig sie zurückbringt? 40 Bei dem jetzigen Zustand des lieben Vaters kann ich wohl denken, daß es Dir und der guten Mutter lieb sein wird, noch einige Tage dort zu bleiben. Tue Du es auch in Gottes Namen. Ich dachte mir früher, Dich gegen Sonntag den 30. ds. abzuholen, aber nun will ich nähere Nachricht erwarten. Hier geht alles seinen gewöhnlichen Gang, Du kannst daher 45 deshalb ruhig sein. Caspar ist mit Julius nach Frankfurt verreist und wird am Dienstag zurückerwartet. Deine Anordnungen wegen Kleidung und Leinwand werden pünktlich besorgt werden, ich hätte nicht daran gedacht. Den Wein werde ich mit¬ bringen. —
464 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld 1835 Aug. 27 Grüße die liebe Mutter sowie den Vater in einem klaren Augenblicke herzlich von mir sowie Griesheims. Gott stehe Euch allen in diesen schweren Tagen bei. Dein Friedrich. 5 [Auf der Adreßseite] An Frau Elise Engels. Adr. Herm Rektor van Haar Wohlgeb. in Hamm. Franco. [Poststempel] Barmen 28. 8. Gedicht aus dem Jahre 1836 w Faksimile in: Die Internationale. Berlin. Jg. 2, Heft 26 vom 1. Dezember 1920 Mir dämmert in der Feme so manches holde Bild, Wie durch die Wolken Sterne leuchten zart und mild. 15 Sie nahn sich — ich erkenne schon ihre Gestalt, den Teil seh ich, den Schützen, Siegfried, den Drachen ungestalt, Mir nahet Faust der Trotzge, 20 Achilles tritt hervor, Bouillon der edle Degen mit seiner Ritter Chor, Es naht — lacht nicht, — Brüder, Don Quixote der Held, 25 Der auf dem edlen Rosse Durchzieht die weite Welt. So kommen sie und schwinden Wie sie vorüber ziehn; Kannst Du sie binden? 30 Hemmen ihr schnelles Fliehn? Oft mögen sie Dir erscheinen, Der holden Dichtung Gebild, Daß sie die Sorgen zerstreuen, Wie sie Dir nahn so mild! 35
Tafel VIII Gedicht und Zeichnung des jungen Friedrich Engels aus dem Jahre 1836 (S.464)
Anfang 1837 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld 465 Gedicht, wahrscheinlich von Anfang 1837 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen 1. Herr Jesu Christe, Gottes Sohn, 0 steig herab von Deinem Thron, 5 und rette meine Seele! 0 komm mit Deiner Seligkeit, Du Glanz der Vaterherrlichkeit, Gib, daß ich Dich nur wähle! Lieblich, Herrlich, Ohne Leide ist die Freude, wenn dort Oben, 10 wir Dich, unsern Heiland loben! 2. Gib, daß dereinst zu seiner Zeit, Wenn mich erfaßt des Todes Leid, Ich fest an Dir mich halte; Daß ich, wenn mir das Aug’ vergeht, is Des Herzens Pulsschlag stille steht, Ich froh in Dir erkalte! Fortan wird dann Dich dort oben Mein Geist loben, ohne Ende Denn er ist in Deinen Händen. 3. 0 wär sie da, die Zeit der Lust, 20 w ich an Deiner Liebesbrust vom Tode soll erwärmen! Dann seh’ ich, Gott, ich dank es Dir, die all’, die waren teuer mir, kann ewig sie umarmen! 25 Ewig, ewig, ewiglebend, vor Dir stehend, Dich zu sehen Wird mein Leben neu erblühen. Du kamst, die Menschheit zu erlösen, vom Tod sie zu befrein und Bösen, zu bringen ihr Dein Glück und Heil. 3o Kommst Du nun herab zur Erden, da wird durch Dich es anders werden, da teilst Du jedem zu sein Teil. Eine Seeräubergeschichte; Barmen 1837 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Es war an einem Wintermorgen des Jahres 1820, als auf der Insel Koluri, dem alten Salamis, dem Schauplatze athenischer 9 Korr, aus schönen Sommermorgen Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 30
466 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld. Anfang 1837 Tapferkeit, ein Schiff eben im Begriff war, abzusegeln. — Es war dies ein griechischer Kauffahrer, der, stark bemannt, Mastix, Gummi Arabicum, etc., vorzüglich aber Damaszenerklingen, Ze- demholz und feine asiatische Gewebe nach Athen gebracht hatte.— Am Ufer war alles in Bewegung. Unter den arbeitenden Ma- 5 trosen ging der Kapitän herum, alles ordnend. Da flüsterte ein Matrose einem andern auf Italienisch zu: „Philippo, siehst du dort jenen jungen Menschen stehen? Das ist der neue Passagier, den der Kapitän gestern abend engagiert hat; er will ihn unter uns auf nehmen, oder, wenn er nicht will, ihn 19 ins Meer versenken, denn nach Stambul, wohin er will, soll er nicht!“ „Aber,“ sagte Philippo „was ist das denn für ein Mensch?“ „Das weiß ich selbst nicht, der Kapitän wird’s aber wohl wissen.“ Da erscholl ein Schuß vom Schiffe, und alle gingen zu den Booten. 15 Der Kapitän ging in die Schaluppe und rief: „Junger Mensch — he, was träumt Ihr denn? —Kommt doch! Wir wollen abfahren!“ Der junge Mensch, an den diese Rede gerichtet war, und der bisher hatte schweigend an einer Säule gestanden, blickte auf : „Ach ja,“ rief er, „ich komme“, und schritt schnell auf das Boot zu. Er stieg 29 ein, und mit raschem Ruderschlag wurde das Fahrzeug vom Ufer abgetrieben. Bald ist das Schiff erreicht, und nach der Lösung einer Kanone sammeln sich die Bootsleute auf dem Schiff, und bald wurde der Anker emporgewunden, die Segel gespannt, und rasch, wie ein riesiger Schwan, flog die Brigg hinüber über die bläuliche 25 See. Der Kapitän aber, der bisher die Arbeiten der Leute geleitet hat, tritt nun heran zu dem blühenden Jüngling, der trauernd, wie immer vorher, an des Schiffes Galerie sich lehnte und düster dorthin schaute, wo die Bergspitzen des Hymettos immer mehr in der Feme verschwanden. „Junger Mensch“, redete er ihn an, „kommt doch einmal mit mir in die Kajüte, ich will Euch etwas sagen.“ „Gem“, antwortete jener und folgte dem voranschreitenden Manne. 35 Unten angekommen, ließ ihn der Hauptmann sich setzen, und, nachdem er aus einer Flasche Chiosweins ihm und sich einen Becher eingeschenkt hatte, sprach er: „Hört einmal, ich will Euch einen Vorschlag machen. Doch wie heißt Ihr? Und wo seid Ihr her?“ 40 „Leon Papon heiße ich und bin von Athinai. Und Ihr?“ „Capitanos Leonidas Spezziotis (von Spezzia). Doch hört! Ihr haltet uns wohl für ehrliche Kaufleute? Nein, das sind wir nicht! Sehet unser Geschütz, offen und verborgen, unsre Munition, unsre Waffenkammer an, und Ihr sehet leicht, daß wir solches Krämer- 45
Anfang 1837 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld 467 handwerk nur zum Scheine treiben. Ihr sollt aber sehen, daß wir andre, bessre Leute sind, nämlich echte Hellenen, Leute, die noch die Freiheit zu schätzen wissen, — kurz, Korsaren, wie uns die Ungläubigen, für die wir ein scharfes Schwert sind, zu titulieren 6 pflegen. Und nun wollte ich Euch, denn wahrlich Ihr gefallt mir und erinnert mich sehr an einen lieben Sohn, den mir die Un¬ gläubigen voriges Jahr vor meinen Augen erschossen haben, wollte ich Euch den Vorschlag machen, unter uns zu treten und mitzukämpfen für die Freiheit der Hellenen, und den Ungläu- io bigen zu schaden, auf die man wohl den homerischen Vers: "Ecoerai fj/iaQ, 5t’ äv not* ofabfy] vIXlo^ Iq^, Kal üqlafJLO^, xal Ado? èvimeAiai Ilocâ^oio *) anwenden könnte. Seid Ihr aber nicht gewillt, dies zu tun, so mag ich für die Folgen nicht stehen; denn mein Volk, wenn es erfährt, 15 was für Mitteilungen ich Euch gemacht habe, wird sicherlich Euren Tod fordern, und mein guter Wille wird unterdrückt werden.“ „Was sagt Ihr? Korsaren? Ich unter Euch treten? Auf der Stelle! Ich soll mich rächen können an des Vaters Mördern! 0, gerne, gerne will ich in Eure Reihen treten, will mit Wut die Mos- 20 lemim bekämpfen, will sie schlachten wie das Vieh!“ „Topp! Leon, so gefällst Du mir! Laß uns auch auf das neue Bündnis eine Flasche Chioswein trinken!“ Und frisch schenkte der alte Zecher ein und ermahnte seinen mäßigem Genossen oft durch ein lustiges: „So trink doch, Leon!“, bis die Flasche geleert war. 20 Jetzt ging er mit seinem neuen Genossen durch das Schiff und zeigte ihm den Vorrat. Erst gingen sie in die Rüstkammer. Da hingen prächtige Kleider von aller Art, die enge Matrosen jacke, der weite Kaftan, der hohe Hut, die kleine griechische Mütze, der breite Turban, die enge Frankenhose und die weiten Beinkleider 30 des Türken, die buntgestickte persische Weste, die ungrische Hu¬ sarenjacke, der russische Pelzrock, paradierten alle durcheinander in großen Schränken. Die Wände waren bedeckt von Waffen aller Völker, alle Schießgewehre vom kleinen Terzerol bis zur drei¬ läufigen schweren Muskete, allerlei Schwerter, die Damaszener- 35 klinge, der spanische Stoßdegen, das breite deutsche Schwert, der kurze italische Dolch, das krumme Handschar, hingen sorg¬ fältig sortiert an ihren Plätzen. In den Ecken standen Lanzen¬ behälter, so daß aller Raum im Zimmer benutzt war. Hierauf ging’s in die Pulverkammer. Acht große Fässer, jedes mit hundert 40 Pfund Pulver, und vier kleine zu 80 Pfund standen da; in drei Fässern lagen Bomben, in zwei größeren Granaten; die Schränke an den Seiten waren voll von Krügen und Töpfen, deren Inhalt •) Einst wird kommen der Tag, da die heilige Ilios hinsinkt, Priamos auch, und das Volk des lanzenschwingenden Königs. 30*
468 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld. Anfang 1837 Pulver mit Bleistücken, Steinen, Eisenstücken vermengt war. Nun gingen sie in den Raum, wo Leonidas ihm mehrere Säcke voll Ka¬ nonenkugeln zeigte. Wieder gingen sie hinauf zu den Kanonen. Da standen an jeder Seite zwölf Kanonen von schwerem Kaliber; auf der Schanze noch zwei Achtundvierzigpfünder. Überall dazwi- s sehen standen Drehbassen, im ganzen an dreißig Stück Geschütze. In der Kajüte, wohin sie zurückgingen, zeigte Leonidas dem Leon drei Kisten voll Flinten, Kugeln und zwei voll allerlei Schrot. „Ist unser Schiff nicht in gutem Zustande?“ redete er er ihn an. „Herrlich“, antwortete jener, „es könnte nicht besser sein. Doch 10 erlaubt, daß ich mich jetzt auf dem Deck etwas weiter umsehe!“ Er ging hinauf. Doch nicht lange, so fand er ihn wieder an der Galerie stehen. Eben waren sie am Vorgebirge Kolonai, dem alten Sunium, und düster sah wieder Leon nach den eben verschwinden¬ den Spitzen des Hymettos sich um, da redete ihn also Leonidas an: « „Nun, Bursch, warum so trübe, komm mit mir auf die Schanze und erzähle von Deinem früheren Leben!“ Und Leon ging mit und erzählte folgendes: II. Ich bin jetzt bald sechzehn Jahr alt. Mein Vater war der Kauf- 20 mann Gregorios Papon; meine Mutter hieß Diane. Ich heiße Leon, meine Zwillingsschwester heißt Zoe und mein jüngerer Bruder Alexis. Es sind nun etwa drei Monate, da sah der Pascha von Athi- nai eine junge Sklavin, die mein Vater mit uns erzogen hatte. Gleich verlangte er sie, und als mein Vater sie ihm weigerte, da 25 schwur er Rache und hat seinen Eid uns zum Verderben gehalten. Denn als wir einst abends ruhig zusammen saßen, und ich mit Se- lima, der Sklavin, Zoe und Alexis zur Kithara Lieder sangen, da kamen die Amauten des Pascha herein, rissen unsren lieben Vater und Selima aus unsrer Mitte und führten sie hinweg; uns aber jo stießen sie aus, und ließen uns, aller Hülfsmittel beraubt, liegen. Wir gingen fort und gelangten endlich an den Ort, vors Tor, wo die alte Makedonierfeste stand. Dort kehrten wir zu mitleidigen Bauern ein, die uns Brot und etwas Fleisch gaben. Von dort gingen wir auf den Peiraios zu. Aber ach! meiner Schwester Kräfte hielten 35 nicht mehr, und sie sank halbohnmächtig unter einem Olivenbaum nieder. Ich aber wollte in die Stadt zurückgehn und bei den Ver¬ wandten Hülfe suchen. Trotz der Mutter Bitten ging ich und fand, als ich an der Akropolis war und heransteigen wollte — stellt Euch meine Freude vor — meinen Vater. Wie froh ich ihm um den 40 Hals fiel, wie ich mir unser Glück und der Mutter Freude vor¬ stellte, das kann ich Euch nicht beschreiben. Ach! ich sollte nur zu bald enttäuscht werden! Denn kaum waren wir einige Schritte1) 0 Korr, aus Straßen entlang
Anfang 1837 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld 469 gegangen, als wir — den Anführer der Amautenschar des Pascha kommen sahen. Dieser erkannte ihn, zog seinen Säbel und stürzte auf ihn los. Mein Vater faßte seinen Knotenstock, den er gefunden hatte, in die Rechte und blieb stehen, der Türk hieb zu und hieb 5 den Stock entzwei; der Hieb fiel in des Vaters Schulter; nun jener hieb noch einmal und traf den wehrlosen Vater über den Kopf, daß er zu Boden sank. Ich ergriff den gefallenen Stock und warf ihn dem Türken durchs Gesicht; dieser wütend, hatte den Säbel fallen lassen, zog aber einen Hammer aus dem Gurt und schlug io ihn mir vor den Kopf, daß ich besinnungslos hinfiel. Als ich wieder zu mir kam, da lag mein Vater neben mir in den letzten Zügen. Er sagte: „Leon — mein Sohn — fliehe — fliehe von hier! Du bist nicht sicher! Ist die Mutter frei?66 Als ich’s be¬ jahte, sagte er: „0 geht nach Kuluri, und von dort nach Nauplia — is dort hab’ ich Freunde!66 Ich fragte: „Vater, wie heißt dein Mör¬ der?66 „Leon — er heißt — Mustapha — Bey — Gott sei — meiner armen — See—le gnäd—ig“, und mit diesen Worten verschied er. Ich umarmte die Leiche, rief, jammerte, schrie nach Hülfe — doch er blieb tot, und keiner kam zu Hülfe. Endlich erhob ich mich 20 weinend, band mir des lieben Vaters Gürtel um, steckte den Säbel des Mörders hinein, und schwur, weder den Gürtel noch den Säbel abzulegen — bis das Blut meines Vaters durch Türkenblut ge¬ waschen sei. Nun ging ich vor die Stadt — aber — o Jammer, die Lieben waren nicht mehr da! ein blutiger Dolch, der Mutter blut- 25 befleckter Schleier und Alexis’ Mütze, die da lagen, bezeugten, daß auch hier Gewalt gebraucht sei. Dies ist die Mütze, die ich jetzt trage; dies der Dolch (er zeigte auf einen schönen türkischen Dolch im Gürtel), und den Schleier trage ich seit der Zeit auf meiner Brust, unter dem Chiton so Jetzt dachte ich erst an meine Wunde. Sie fing an mich zu schmerzen; ich fühlte hin und schob die Mütze zurück — da floß das Blut mir aufs neue über das Gesicht. Ich legte mich unter den Baum und band ein Tuch um den Kopf. Ich schlief ein; und im Schlafe meinte ich den Vater zu sehen, 35 wie er mir entgegentrat, frisch und blühend, und die Mutter an seiner Seite, und Zoe und Alexis bei ihnen und hätten mich empor¬ gehoben, da wären die Türken gekommen, und des Vaters Mörder sei schreiend vor uns niedergestürzt — da erwachte ich, und lag auf einem Wagen — ein alter Mann stand vor mir und sagte, ich solle mich ruhig verhalten, und fuhr mich weg. Er brachte mich nach St. Nikolaus, wo er mich heilte. Ich blieb vier Wochen bei ihm, dann gab er mir Geld, fuhr mich auf seinem eignen Boote nach Koluri. Dort trennte ich mich von ihm, und zum *) Leibrock. Das Unterkleid der Griechen: xltwv oder Ki&œv.
470 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld. Anfang 1837 Andenken teilten wir einen Piaster. Hier blieb ich einige Tage, da keine Gelegenheit zur Abfahrt sich fand. Das Übrige wißt Ihr. IIL Dies war ungefähr die Erzählung des jungen Papon. Gleich nahm ihn Leonidas bei der Hand, ging mit ihm zur Rüstkammer s und ließ ihn sich seine Rüstung auswählen. Er nahm sich zur Kleidung eine leichte griechische Hose und einen kurzen blauen Rock. Zur Waffe nahm er eine kurze Doppelbüchse, zwei Paar Doppelterzerole und einen Hammer. Leonidas sagte: „Nun, so nimm Dir doch auch einen Säbel! Oder doch eine Scheide dazu.6610 „Nein,66 sagte er, „von diesem Säbel trenne ich mich nicht! Auch bleibt er bloß, bis ich mir die Scheide selbst erobert habe.66 — Mittlerweile fing es an zu dunkeln. Sie gelangten zur Insel Zea. Ohne zu landen, zogen sie doch alle Segel ein und ließen von der Spitze des Hauptmasts eine Rakete steigen. Sogleich 15 näherte sich ein Boot mit einem Kreuz auf der Spitze. In diesem saßen sechs bewaffnete Männer, die das Boot hinten anbanden und aufstiegen. Leonidas stellte ihnen den neuen Kameraden vor, den sie herzlich bewillkommneten. Darauf sagte Leonidas: „Nun, Stephano, was hast Du aufgespürt?66 20 Stephano: „Dort, am Hafen der Stadt liegt ein türkisches Kauf- farteischiff, ich bin dort gewesen, in einen Krämer verkleidet. Aber Leonidas, wen glaubst Du, daß ich gesehen habe? Denke Dir, hier unser alter Kumpan, der Dukas, war als Sklave dort. Ich habe ihn in einer Kiste befreit. Das Schiff hat nur drei Kanonen, doch ist 25 Mannschaft und Bewaffnung stark; es sind an dreißig Türken dar¬ auf. Jedoch habe ich zwei griechische Passagiere, die nach Athinai wollen, gewonnen. Sie wollen die Pulverkammer besetzen.66 Leonidas: „Ah, prächtig! Ihr bleibt hier, wartet ein wenig.66 Er eilte hinab in die Kajüte, kam wieder mit drei Flaschen Wein, und leerte sie mit Leon und den sechs neuen. Dabei sprach er: „Unser sind jetzt — halt — Ihr sechs, auf dem Schiff zwanzig Mann, Leonidas, ich, sind 28, zwei Türken als Passagiere nach Serpho, wovon einer ein Janitschar — Notos!46 35 Der Gerufene kam. „Nimm Pro tos und Taras mit in die Kajüte, entwaffne die Türken und bring sie herauf.66 Er ging. Leonidas rief wieder: „Mykalis!“ „Hier!66 rief der Herbeieilende. 40 „Ladet das Geschütz sofort, setzt die Drehbassen instand, ladet drei mit Schrot und Kugeln, die andern mit Blei, Glas, Steinen und Eisen! Bringt sechzig Granaten, zwei Bomben und eine Kiste
Anfang 1837 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld 471 Kugeln herauf! Laß sich alle bewaffnen!“ Sein Befehl wurde voll¬ zogen. „Und nun“, indem er sich an Leon wandte, „mein Sohn, jetzt bekommst Du Gelegenheit, Deinen ersten Kampf unter uns zu bestehen. Halte Dich wacker. Sobald das Schiff mit uns in Kampf 5 gerät, hältst Du Dich zu mir, tust das, was ich tue. Wage nur nicht eher hinüberzuspringen wie ich; es könnte Dir leicht das Leben kosten.“ „Ja“, sprach Stephanos, „das weiß ich. Denke dir, Leon, da sprang ich mit zwei jungen Leuten wie Du aufs feindliche Schiff; io die Feinde hieben den Haken ab, und da standen wir gefangen. Wir wehrten uns, allein nach dem Tode der beiden wurde ich durch die Menge fast erdrückt, erhielt einen scharfen Schlag auf den Kopf; die Narbe ist noch zu sehen, und wäre gewiß umgekommen, wenn unsre Leute nicht indes wieder geentert hätten.“ is Jetzt kam Notos mit den beiden Türken, von denen einer den Arm in der Binde trug. Notos sprach zu Leonidas: „Sieh, da habe ich sie. Sie haben sich verzweifelt gewehrt. Hier unser Janitschar hat dem armen Protos einen Schlag versetzt, daß er wohl schwerlich wird wieder aufkommen, dafür hat er aber 2o auch von mir den Arm zerschlagen, während Taras den andern um den Leib faßte und zu Boden warf.“ „Ja“, sprach der Janitschar, „das ist eine Kunst, uns, die wir friedlich in der Kajüte saßen, zu überwältigen! Jedoch haben sie’s schwer entgolten, das tröstet mich.“ 25 „0“, antwortete Leonidas, „an Eurer Tapferkeit habe ich nie gezweifelt. Doch sollt Ihr nicht ohne Lohn bleiben; wenn Ihr wollt, so setze ich Euch morgen früh auf Thermia aus; doch gebt Ihr mir jeder fünfzig Piaster Lösegeld.“ Sie waren es gerne zufrieden und ließen sich in die Kajüte, wo sie unter Notos Bewachung blieben, so zurückführen, während Leonidas zu Protos ging, der in einer Matte lag. Er untersuchte die Wunde und sah, daß es ein Hieb mit einem Handschar, grade über den Schädel, der an einer Stelle verletzt war, sei. Die Wunde war tödlich; doch war noch Hoffnung da. Er legte ein Pflaster auf und ging mit Leon zu Bette. Letzterem 35 wies er ein Lager neben sich an. Mitten in der Nacht wurden sie geweckt. Stephanos stand vor ihnen. „Geschwind steht auf, im Norden zeigt sich ein Segel. Man kann es an der Laterne erkennen“. Im Augenblick waren beide 40 gewaffnet. Leonidas öffnete einen Schrank und gab Leon einen Beutel mit Kugeln, einen mit Schrot, und ein großes schönes Pulverhorn. Er selbst versah sich auch mit Munition, und beide begaben sich aufs Deck. „Mykalis,“ sprach der Hauptmann, „wo sind die Kugeldreh- 45 bassen?“
472 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld Anfang 1837 Als sie gezeigt waren, stellte er sich an eine, an die andre Leon, und an die dritte Stephanon. Die Mannschaft sammelte sich auf dem Deck. Leonidas ließ sie sich sammeln und überzählte sie. Es waren ihrer, sich mit¬ gerechnet, sechsundwanzig. Er ließ Noton ablösen, dieser kam 5 und stellte sich an den einen Achtundvierzigpfünder, an den andern Mykalis. Die Drehbassen waren nahe dabei. Alle Augen waren nach der Laterne gerichtet. Man kam ihr näher. Jetzt verlosch sie, und man mußte in der Richtung fort- steuem, die man genommen hatte. Einige Male erschien sie zwar 10 wieder, doch zuletzt verlor man sie ganz. Es wurde Tag. Das Meer war mit Nebeln bedeckt. Nach und nach verloren sich diese. Da rief Stephanos, der auf dem Mast saß: „Ich sehe das Schiff! Es ist dasselbe, wo ich im Hafen zu Zea war.“ 15 Jetzt sah es auch Leonidas durchs Fernrohr. Stephano kam herab. Gleich wurden alle Segel beigesetzt, es zu erreichen, und bald war es allen sichtbar. Man zog die türkische Flagge auf und näherte sich ihm. Nach etwa drei Stunden war man ihm so nahe, daß nur noch wenig an der Schußweite fehlte. Da ließ Leonidas 20 die türkische Flagge abnehmen und die schwarz und rote mit dem weißen Kreuze aufziehen. Das türkische Schiff aber hatte sich früher schon nordwestlich gewendet und setzte nun alle Segel bei, um Makronisi zu erreichen. Doch bald war ihm Leonidas nahe, und gleich fuhr auf seinen Befehl eine Kugel durchs feindliche 25 Takelwerk. Die Türken antworteten sogleich, zogen sich aber zurück. Da rief Leonidas: „Her Mykalis mit Deinen fünfzehn, geh und rudre, was Du kannst! Wir müssen es haben! Notos! Du gehst ans Vorderteil und feuerst auf den Feind!, wenn wir auf halber Schußweite sind ! Taras mit seinen fünf bleibt hier.“ 30 Schneller flog das Schiff. Näher und näher kamen sie ihrer Beute. Leonidas unterdessen befahl: „Du, Taras, gehst, sobald Mykalis wiederkommt, an die rechte Seite zum Geschütz; Stephanos sorgt für das Geschütz am Hinter¬ teil; Leon bleibt bei mir!“ 35 Da feuerte Notos aus seinem Zwölfpfünder, da knallten noch fünf Geschütze — und ein Segel des Feindes stürzte mit des Mastes Spitze herab und hing an den Tauen! Ein Freudenausruf erfolgte auf der Stelle; das Geschütz feuerte noch einmal, und das Bug¬ spriet des Schiffes wurde zerschmettert. Die Türken konnten nicht 40 entfliehen. Das Schiff kam näher, und schnell brannte Leonidas und Leon seine Bassen los. Mehrere Leute fielen; jedoch hatten die Schüsse nur wenig genützt. Mykalis kam zurück; man kam den Türken ganz nah, rechts und links flogen Salven; die Türken feuer¬ ten aber auch tapfer; da gab Leonidas eine volle Salve und rückte 45
Anfang 1837 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld 473 dicht an den Feind. Die Drehbassen knallten; das Deck des Feindes wurde leerer, da enterte der Grieche. Mykalis und sein Trupp, Leonidas und Leon standen an den Haken; sie feuerten mit den Flinten unter den Feind, zogen den Haken an, und ein Augenblick 5 — da stand Mykalis und Leon bei dem Feinde. Leon zog ein Pistol und schoß den ersten nieder; sein Säbel blitzte hier — blitzte dort — und ein Türke stürzte über den andern. Da fällt Mykalis; doch Leonidas ist da, die Hellenen drängen vor; es entspinnt sich ein wütender Kampf, doch die Griechen, die noch auf ihrem Schiff 10 waren, feuern mutig darauf los, und nach kurzer Zeit strecken einige Türken die Waffen. Da stürzt ein riesiger Amaut aufs Deck, schwingt seinen Säbel und schreit: „Wie, Moslemim, Ihr wollt Euch von den Ungläubigen schlach¬ ten lassen? Ergreift Eure Säbel und haut die Hunde nieder!“ io Er springt vor und haut einen Hellenen nieder. „Wo ist der Anführer?“ ruft er. „Hier“, schreit Leonidas und dringt vor. Sie kämpfen. Leonidas hält sich kalt bei den schweren wütenden Hie¬ ben seines Feindes. Dieser, in blinder, toller Wut, rennt voran, schlägt zu und trifft auch seinen Gegner auf den linken Arm. Da faßt dieser sein breites Schwert mit Kraft und zerschlägt des Feindes Säbel, schlägt noch einmal, und das Blut dringt aus des Türken Brust. Doch ein andrer Türke rennt auf jenen ein und ver¬ setzt ihm einen Hieb quer übers Gesicht, daß er fällt. Leon sieht ihn fallen, schlägt den Mörder tot, hält den Feind zurück, und nun 25 streckt dieser die Waffen. Doch der verwundete Anführer landet eben auf seinem Boote mit zehn Mann auf Makronisi. IV. Jetzt übersieht er den Kampfplatz. Zwölf Türken lagen tot da. 30 Acht waren verwundet; zehn streckten die Waffen, und zehn waren entkommen. Doch auch vier Griechen lagen tot da; Mykalis lag im Sterben; Notos hatte einen Schuß im Schenkel ; der Hauptmann hatte den Hieb, und noch drei andre waren leicht verwundet. Auch Leon 35 hatte einen Streifschuß am Kopf und eine Schmarre am linken Arm. Stephano trat zu ihm. „Du hast Dich brav gehalten, Leon; doch sollst Du zu Leonidas kommen. Was, Du blutest ja?“ „Ach, es ist nichts, nur wenig. Daß der verwünschte Amaut uns 40 entkommen ist, das ärgert mich am meisten. Ich hätte ihn gerne vollends erschlagen.“ Er ging zu Leonidas. Dieser sagte: „Leon, ich übertrage Dir hiermit Notos Kommando bis zu seiner Genesung. Stephanos ist
474 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld. Anfang 1837 Oberbefehlshaber, bis ich mein Amt wieder antreten kann. Geh einmal zu Mykalis, wie’s ihm geht.“ Er gehorchte. „Er ist sehr schwach; er hat einen Schuß in die Brust und einen Bruch in den Schenkel. Doch hat Taras noch Hoffnung.“ 5 Stephano kam zurück. „Das Schiff hat Baumwolle für Athinai und Munition für Nauplia geladen. Auch Datteln, Kokosnüsse, Feigen und allerlei Vorräte in Überfluß, um sie gelegentlich zu verkaufen.“ „Bring alles herüber, was von Wert im Schiff ist, und laß 10 nach dem Hafen Raphti steuern,“ sprach Leonidas. „Leon, geh’ mit Stephano hinüber. Ihr fragt die Gefangenen aus; Du notierst alle ihre Aussagen.“ Er ging. Die Aussagen der Gefangenen waren etwa folgende: Das Schiff sei ein Kauffahrer und gehöre einem Kaufmann zu u Ismir*), Murad. Sein Bruder Ali habe das Schiff befehligt und sei eben der, den Leon verwundet hatte. Sie seien bis S. gefahren, wo sie die Nachricht erhalten hätten, es seien Korsaren in dieser Gegend. Deshalb hätten sie gestern abend noch zehn Mann nach Athinai genommen. Da hätten sie das Schiff gesehen und seien 20 überfallen worden. Auf die Frage, wo die griechischen Passagiere seien, sagten sie, einer sei in die See gestürzt, und den andern habe Ali erschlagen, als das Korsarenschiff erkannt worden sei. Nun wurde das Schiff durchsucht. Außer den schon ange¬ gebenen Vorräten fand man viele Waffen und Munition, auch Tuch 25 und Kleidungsstücke. Das beste aber waren drei Säcke mit Gold, in jedem 5000 Piaster. Diese wurden in die Kajüte des griechi¬ schen Schiffs gebracht. Zwischen Sunium und der argolischen Halbinsel liegt ein kleines Eiland **\ felsig und unbewohnt, dorthin fuhr Leonidas. 30 Man landete am folgenden Morgen. Da man aber vor Ali und den Türken, die gewiß den Pascha von Eyribos oder Athen dazu ver¬ mögen würden, ein Schiff gegen die Räuber zu senden, so setzte man hier die Türken aus, gab ihnen einigen Mundvorrat, zwei Säbel und eine Flinte mit Munition, damit sie sich durch Jagd 35 der Hasen und dgl., die viel auf solchen Inseln sind, ernähren könnten. Man wollte abfahren — da fehlte Leon. Er war auf die Jagd gegangen; man suchte — da hörte man einen Schuß, eilte in der Richtung und — Leon lag dort in seinem Blute, neben ihm ein 40 erschossener Türke, und ein andrer, mit dem blutigen Säbel Leons in der Hand, stand dabei. Stephano, der am ersten da war, sprang herzu und griff den Türken an. Nach kurzem Gefecht schlug er *) Smyrna **) San Giorgio di Asparra genannt
Anfang 1837 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld 475 dem Feinde den Säbel aus der Hand, riß ihn zu Boden und schlug ihm den Kopf ab. Nun kamen noch mehrere, Leon wurde auf eine Bahre von Zweigen gelegt und heimgetragen. Da fand denn Taras, der die 5 Wunde untersuchte, daß ihm der Türk einen Hieb über den Kopf, einen über den Schenkel und einen leichten Streifhieb über den Arm versetzt hatte. Endlich kam der Verwundete zu sich. „Wo ist mein Säbel?66 war seine erste Frage. Als man ihm ihn zeigte, sagte er: „Wo ist 10 der Türk, der mich schlug?66 „Ich habe ihn erschlagen,66 sagte Stephano. „Aber halte Dich ruhig, Du bist gefährlich verwundet!66 Die Wunde über den Kopf war gefährlich; der Transport auf dem Schiffe hätte nur schaden können, deshalb wurde beschlossen, io die Türken einzufangen und sie an der Küste von Morea aus¬ zusetzen; dagegen Leon, Mykalis, der auch noch gefährlich war, Notos und Leonidas hierzulassen und zu ihrer Pflege drei Leute. Nach einigen Wochen wollte Stephanos sie wieder einnehmen. Die Türken wurden wieder zusammengebracht, nur einer fehlte noch; 20 doch da sie in der Feme ein türkisches Schiff gewahrten, ging das Korsarenschiff mit Stephanos unter Segel. Doch blieben außer den Verwundeten und Taras mit seinen beiden Gehülfen noch fünf da, die das türkische Schiff nach Epina schaffen sollten und am fol¬ genden Tag abfuhren. 25 Leon besserte sich zusehends. Nach sechs Tagen konnte er schon vom Lager auf stehen und etwas herumgehen. Auch Mykalis trat in der folgenden Woche wieder vor die Türe der kleinen Hütte, die sie erbaut hatten. Leonidas und Notos waren schon fast wieder heil, und oft auf der Jagd gewesen. Einst kam Notos zurück und 30 sagte: „Ich habe einen Türken gesehen. Er lief aber schnell weg. Laßt uns uns nur hüten.66 Am folgenden Tage ging er wieder mit Leonidas auf die Jagd. Sie trafen eine wilde Ziege. Sie trennten sich. Notos strich durch 35 die Wälder — da fällt ein Schuß, Notos fällt, und der Türke, mit einer Pistole in der Linken und einem Dolch in der Rechten, stürzt hervor, bückt sich, schwingt den Dolch, da erhebt sich der Ver¬ wundete, zieht ein Pistol und schießt den Moslem nieder. Bald kamen alle Griechen zusammen. Der Türk war tot, sein Schuß 4o war Notos in die Brust gefahren, doch hatte der Griff seines Dolchs den Schuß matt gemacht und war nicht gefährlich. Notos wurde nach Hause getragen und litt noch eine Woche, ehe er wieder auf stehen konnte. Dann waren alle heil; aber der Mund vorrat war auf, und die Insel nährte durch Jagd nur schwach.
476 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld. Anfang 1837 V. Vier Wochen waren sie nun auf der Insel, da kam Stephano und holte sie ab. Er hatte das türkische Schiff an einen englischen Kaufmann zu Thessalonich für 10000 Piaster verkauft; ebenso einem andern die Baumwolle für 4000 Piaster. Das Korsaren- 5 schiff war neu ausgerüstet, drei Kanonen neu, die Munition drei¬ fach, Flinten und andre Waffe in Überfluß da. Auch waren die gut belohnten Räuber in besserem Zustande. Jetzt fuhr das Schiff nach Candia zu. Als mm Milo ihnen im Gesichte lag, zeigte sich ein, nach seiner Bauart, türkisches Schiff. Gleich fällt Leonidas hinter- w her und verfolgt es bis in den Busen von Milo. Dort liegen mehrere kleine Inseln, die den Busen schließen. Hier flieht das Schiff unter die Kanonen des Docks vom Hafen. Nun zeigt sich, daß es eine ägyptische Galeere ist. Es entspinnt sich ein wütender Kampf. Die Griechen feuern tapfer; aber da fährt ein türkisches Schiff in den Busen und greift — ein kleines Kriegsschiff — die Hellenen im Rücken an. Da entert Leonidas die Türken — schickt Stephanon herüber, und nach kurzem Kampfe ist das Schiff er¬ obert. Unterdessen aber fuhr eine Salve des Forts in das griechische Schiff und es sinkt. Da wird es eilend an das Ufer auf eine Sandbank gelenkt, wo es auch strandet. Aber die Leute steigen aufs türkische eroberte Schiff, drängen die Galeere heftig, entern sie. Leon springt hinüber, ihm folgen andre; Stephanos sogleich auch, und er greift an. Leon immer voraus, badet sein Schwert im Blute 25 der Moslemim; rasend schlägt er zu, Stephanos folgt ihm, und sie dringen weit vor. Da bekommt Leon den feindlichen Anführer, einen riesigen Egyptier, vor sich. Er ficht mit ihm, keiner kann den andern überwinden; endlich versetzt Leon seinem Gegner hurtig einen Hieb über den linken Arm; da zieht dieser ein Pistol, schießt, 30 trifft aber statt Leons einen andern Hellenen, und fällt um unter den Hieben seines tapfem Gegners. Mit seinem Fall ist das Schiff erobert. Die wenigen Türken strecken die Waffen und werden ans Land gesetzt, wo Taras als Unterhändler in türkischer Kleidung aufs Fort geht, um über die Wiederherstellung des Schiffs zu 35 unterhandeln. Der habsüchtige Pascha wird gegen ein Geschenk von dreihundert Piastern gewonnen, schickt aber heimlich ein Boot nach Siphanto hin, wo sich einige Schiffe der türkischen Flotte be¬ fanden. Es fand sie, und sogleich segelten alle drei hinzu. Notos und Taras waren auf ihrem Boote vor den Busen hinausgefahren, 40 da erblickten sie die Schiffe und brachten Leonidas die Nachricht. Dieser ließ schnell seine Leute zum Teil auf die türkischen Schiffe, wohin er Munition für Kleingewehr und einige Kanonen bringen ließ ; die meisten aber ließ er auf sein Schiff gehen, wohin auch etwa dreißig neuangeworbene Burschen von Milo gingen. Leon, der die 45
Anfang 1837 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld 477 kleine Kriegsbrigg befehligte, legte sich an den Eingang des Hafens. Nun kommen die Türken. Ein Schiff segelt zuerst hinein. Da gibt Leon diesem eine volle Salve in den Bug, dreht das Schiff, entert und kommt mit der ganzen Mannschaft herüber. Aber von der 5 andern Seite legt das folgende Schiff an, sendet seine Mannschaft, und es entsteht ein wütender Kampf. Leon kämpft tapfer. Mancher Türke fällt unter seinen Streichen, aber auch mancher tapfre Hel¬ lene mußte unter den Schwertern der Türken sein Leben aushauchen, und das Glück neigt sich auf die Seite der Barbaren, die aber auch io in dreifacher Zahl da waren. Da sieht Leonden Mörder seines Vaters. Wut erfaßt ihn, als er den großen Amauten sieht, der eben einen alten Hellenen niederschlägt. „Hunkiar!“ (Mörder) ruft er, „wende Dich gegen Jünglinge!“ Gleich auch wendet er sich und kämpft, an Kraft dem Hellenen doppelt überlegen, aber zuriick- 15 stehend gegen dessen Wut. Sie kämpfen wütend. Schlag fällt auf Schlag. — Da entfällt dem Türken der Säbel, als Leon ihm einen Hieb über die Hand gibt. Doch er reißt den wohlbekannten Ham¬ mer aus dem Gurt und schlägt rasend vor Wut und Schmerz auf Leon zu, und bald sitzt des Hammers breite Fläche auf Leons hoher 20 Stirne zum zweiten Male, und Leon fällt unter beständigen schwe¬ ren Streichen des Türken. „Der ist zur Hölle!“ ruft er. Nun an die andern; doch diese sind fast alle schon tot, und nur wenige sind, der Waffen beraubt, gefangen. 25 Unterdessen aber waren die beiden andern Schiffe in den Hafen gefahren und verfolgten Leonidas, der sich mit seiner ganzen Mannschaft und dem Gelde auf die Galeere warf und, den Ver¬ folgungen der Feinde entgehend, glücklich aus dem Hafen ins hohe Meer kam und nach Belo Paulo segelte, wo er sich Nachricht so von Leon und den übrigen verschaffen wollte. Denkspruch für Friedrich Engels am Tage der Konfirmation; Unterbarmen 1837 März 12 Original: Archiv der Familie Engels, Engelskirchen DENKSPRUCH 35 für Friedrich Engels. Phil. 3,13,14. Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, das da vorne ist; und jage nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu. 40 Am Confirmation-Tage: Von deinen Lehrern und den 12-ten März 1837. Seelsorgern : W. Leipoldt. Snethlage. Im Orig, irrtümlich Leonidas
478 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld 1837 Sept. 15 Griechisches Gedicht, von Fr. Engels im epischen Versmaß bearbeitet und vorgetragen bei den öffentlichen Schulfeierlichkeiten des Elberfelder Gymnasiums am 15. September 1837 Original: Archiv der Familie Engels, Engelskirchen 5 9 EteokXovq xal noXvvetnovç povopaxia* — Time pèv &arv xdra xqaTEqcov péya Kaôpeubvwv 'EMrjvcov %wQovai Àd%oi xai œxéEç Innoi; Tims ôè navraxo^sv nsôiov XEvndaTUÔEç âvÔQsç Tslxsa paxqà néqi ÇsaToïç xivvvrac èv StiXoiç; 10 Elac xarà mdUoQ ßqiaqov pèv 9Ayrjvoqiöao âvôqcov 9Aqysicov arqaTià nqaTEqoïç èn àéiïÂobQ, ëqxovrai Aavacov, ndkspov 0T$7]ai (péqovrsç ^yepdvEç, Tvdevç, KaTtavs^Q xal Ilaq&EvoTtaïoç, 9Ap<ptdqaoç &va£, Isqèv pévoç 'Innopéôovroç, u 91 Aôqaaroç ßaaiXsÜQ xal âva^ àvôqâjv IloXvvsiwp;, ndvrsç öpov ßalvovai adv Innocç nal adv 6xea(PLV* — 9 AaTqâmovaw èvl màlcp Myx^ re atôrjqai xal aine9 dpcpakdevr9 yôè Çi(pe9 âqyvqdrjfaz. ô9 6t9 sxiàva nsql nqoßdToio KvMvderai afyvrjç 20 Hat qa mQmXénsTai, péXea ôé te ndvra nmsiqysv, — âç ô9 avicoç Aavaol Ortfrjç ëôoç fj^v&ov àpcpi. Airaq ènsl nâaal t’ ëotav crùv èyx^^ Td^eiç, èn Ttdkeœç âvôqeç, HSHoqv&pévoi aliïom xa^KV ijXv&ov, èv ô9 avToïç 9ETeonÂrjç, Olômdôao 25 vloç uèv KQaTeQoç nal ûaqaaXéoç noAepurrfa. 01 ô9 ôte ôt} q èç x&Q0V $va ^vlôvzsq Ihuvto Boicdtcùv nqôpaxoi te nal 9Aqyeicov arqaztcüTai adv q SßaXov qlvovç, adv ô9 ëyxea nul pdvE9 àvôq&v Xafaeo&WQipaüv' ôelvôq t’ âq èncoqTo nvdoiuoç. 30 alpazdevr9 ë^qet nÀELTfjç Alquris te qéE&qa, alparÔEiç t9 9IapTjvdç, àvfjq ô9 àvôq9 èôvondXii^. Avxàq èvl nqopdxoïaiv èpaivero ndqz9 9ET£OHkfjç ëyX^ xa^%VQsr noM.ol ô9 âqa oi no^EpcaTal èç yaïav nlmov ÔEÔpripévüi ô^éï ôovqL 35 fpcoi 9AyrivoqlÔT}ç, natiôùv xqatsqàv rioXvvsi%Yiv 9AqyE(otaiv èvl arsixovr è^Xlaar9 9A^vi]v* IldMaç, alytox™0 Téxoç, 9ATqvrcbv^ hXv&l psv! EÏnoré toi naTà niova pr}qi ëxrja Tavqœv ^ô9 aly&v, tôôe poi Hq^vov èéXôœq, 40 ôôq pot èvl aTéqvotai ßakeiv do^xoaxiov ëyxoç tovô9 àvôqdç, h^itov yévoç Olôtndôao âvamoç, ôç pèv àÔE^oç èpol néXsTai) ^vç TloXwElHriQ,
1837 Sept. 15 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld. 479 5 10 15 20 25 30 35 40 45 TjXv&E ô’è£ 9'Agyov noXvôiyilov, fjv ts natg&av yrjv EKnog^riacov adv t’ 9Agys(a)v ßaai^Evaiv. — rH, Kal àÔEfapov ënEit9 ënea ntsgoEvta ngoarjvöa' vloç Olôindôao, ßofy> aya^oç noXvvEiKrjç, aol fjLaxéaaa&ai èvl ar^&Eaat pis ^v/zoç àvwyEi* ôevq9 ï&i èx ndvtoov ngdp,oç àvti&éto 9EteokXeï/ *Qq Efpat9* avtàg àÔEfapoç èklaasto ndtviav kXv&i fiEv, u Hgri, Ztjvoç âÔ£X<p^ Kal nagaKOitiç, aoç yàg èyù vvv Etpl, ydfioiQ tsvÇaç 9Agys(av ûvyatég9 9Aôgaatov, ôç èv 9Agys(oiaiv àvdaasi — ôdç pot, vvv Ktavésiv ëy%si ßgiagdv 9Et£OK2.fj, ôç yàg Sgxta niai:9 èv OrtfaiQ ovk ètéXsaasv. *Qç ëyat • avtàg ënsita äva£ àvôgâjv 9Et£0Kkrjç èç péaaov nagicbv, àvôgcov àvElgye (paXayyaç èv nEÔlar toïa ôè pst9 àpupotégocaiv ësmsv* KéKÀvté [iev, Aavaol Kal èvKv^piÔEç 9A%aiot, S(pQ9 Einœ, ta ps ûvp.oç èvl atri^Eaac keXeveC 9Agy£ioi (pûlvovai èvl KgatEg^ da^lvp Boubtwv ô9 ë&vTj. EQyov ôé toi ov tEtéXsatai. avtàq è^9 àÔEk(p(b paxéaaa&ai ûv^oq àvœysi, &ôe ôè jtv&éo/MU) ZEi)Q ô9 â/z/j,9 ènt/uiQtvQoç ëatco. si p.èv KEv èpè keïvoç èXp tavariKEÏ Kaôp,sta>v ßaaiksi)Q pèv avaaostco éoô9 èvl kâq>. si dé k èyài tov ëXœ, ô&fl ôé poi ëy^oç 9A&yivti, ëatai èpov to yéçaç to natç&ov xal ßaaiXsla9 v^eïq ô9 9AqyEïol h ènavé'kboit9 aitiç èç olnov. — ^Qq ëq>a&9• ol ô9 è%âQr/aav 9A%aiol Boicotol ts, xal q9 InnovQ pèv ëQvÇav ènl atfyaç, èK ô9 ëßav avto^ tsv%£a d9è^£Ôvovto, tà fièv Katâ&svt9 ènl yaly nXrjalov àXX^Xœv, dMyr) ô9 fjv a^iç agovga. ^Ey^oç äga ngotsi ôoXi%oaKiov vvv 9Et£0KÀfjç Kal to pèv âvta lôcbv ^Xsvato Kvjga fiéXaivav ôioç 9Ayr]vog(Ô7]ç. to ô9 inégntato ^dbcEov ëy%oç. Avtàg oy9 ègvaad/iEvoç ÇlrpoQ àgyvgôritov al^ y9 rjX&s ägdpa) ènl tdvôs taô9, àvtlÛEOQ üo^wslKriQ — aôv ô9ën£aov Xéovaiv èotKotsç dj^ofpdyoïaiv aïpatoç èl; evoq ovts Kaalyvrjtoi Kal onatgoi, ijtot ô’ è^Epaâjta Katà Çœvrjv %gvasrqv vil” ènl ô9 avtàç ëgstas, ßagsly %sigl ni&^aaç, avtlKa ô9 ëggssv alpa KsXalvs(p£ç èÇ âtEikrjç. avtàg ôpov Çl(poQ xatà atrjûoç 9Et£OKtovç &d)gipcoç ôi èXijkat9 âvaKt9 àvôgcov IIoXvveIkei. — Kal g9 ënsaov ngàç yfjv, äfitpoj, aKÔtoç Sacs KdAvipev. Ksïtai dösfapoQ döshpov êkàrv tava^Kä %aAxcö. àndXcûXs yévoç toi àpivpiovoç Olôindôao. 40 45 50 55 60 65 70 75 80
480 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld 1837 Sept. 25 Abgangszeugnis für den Primaner Fried- rich Engels; Elberfeld 1837 September 25. Auszug aus dem Zeugnisbuch Original: Archiv des Elberfelder Gymnasiums Abgangs-Zeugniss für den Primaner Friedrich Engels (No. 713), ge- $ boren den 28. November 1820 zu Unter-Barmen, evangelischer Confession, seit Herbst (den 20. October) 1834 Schüler des Gymnasiums zu Elberfeld, und zwar seit Herbst (17. October) 1836 Mitglied der Prima desselben, hat sich vorzugsweise während seines Aufenthaltes in Prima eines recht guten Betragens befleißigt, namentlich durch Be- # scheidenheit, Offenheit und Gemüthlichkeit2) seinen Lehrern sich emp¬ fohlen, ingleichen von guten Anlagen unterstützt ein rühmliches Stre¬ ben, sich eine möglichst umfassende wissenschaftliche Bildung anzu¬ eignen, an den Tag gelegt, weshalb denn auch die Fortschritte auf erfreuliche Weise hervortraten, wie Solches die nachfolgende besondere 15 Zusammenstellung der einzelnen Lehrfächer bestimmter ausweist I. Sprachen. 1. Lateinisch. Das Verständnis® der betreffenden Schriftsteller, prosaischer wie poetischer Diction, namentlich des Livius und Cicero, des Virgilius und Horatius, wird ihm nicht schwer, so daß er mit Leichtigkeit 20 in den Zusammenhang größerer Ganze einzugehen, den Gedankengang mit Klarheit aufzufassen und mit Gewandtheit das Vorliegende in die Mutter¬ sprache überzutragen versteht. Weniger ist es ihm gelungen, des gramma¬ tischen Theiles sich mit durchgreifender Sicherheit zu bemächtigen, sodaß die schriftlichen Arbeiten, obwohl nicht ohne sichtbares Fortschreiten zum 25 Besseren, doch in grammatisch-stylistischer Beziehung noch Manches zu wünschen übrig ließen. 2. Griechisch. Er hat sich eine genügende Kenntniss der Formen¬ lehre und der syntaktischen Regeln, insbesondere aber eine gute Fertigkeit und Gewandtheit im Übersetzen der leichteren griechischen Prosaiker, wie so des Homer und Euripides erworben, und wußte den Gedankengang in einem platonischen Dialoge mit Geschick aufzufassen und wieder¬ zugeben. 3. Deutsch. Die schriftlichen Aufsätze zeigten besonders in dem letzten Jahre ein erfreuliches Fortschreiten der allgemeinen Entwicklung; 35 sie enthielten gute, selbstständige Gedanken und waren meist richtig dispo- nirt; die Ausführung hatte die gehörige Fülle und der Ausdruck näherte sich sichtbar der Correktheit. Für die Geschichte der deutschen Nationalliteratur und die Lectüre der deutschen Classiker legte E. ein rühmliches Interesse an den Tag. 40 4. Französisch. Die französischen Classiker übersetzt er mit Ge¬ wandtheit. In der Grammatik besitzt er gute Kenntnisse. II. Wissenschaften. 1. Religion. Die Grundlehren der evangelischen Kirche, des¬ gleichen die Hauptmomente der christlichen Kirchengeschichte sind ihm 45 *) Korr, aus Offenheit des Gemüthes
1837 Sept. 25 Dokumente und Jugendarbeiten Barmen-Elberfeld. 481 wohlbekannt. Auch ist er in der Lectüre des N[euen] T[estaments] (im Originale) nicht unerfahren. 2. In der Geschichte und Geographie besitzt derselbe eine genügende übersichtliche Kenntniss. 5 3. In der Mathematik hat E. im Ganzen erfreuliche Kenntnisse erlangt; er zeigte überhaupt eine gute Auffassungsgabe und wußte sich mit Klarheit und Bestimmtheit mitzutheilen. Dasselbe gilt 4. von seinen Kenntnissen in der Physik. 5. Philosophische Propädeutik. An den Vorträgen über io empirische Psychologie nahm E. mit Interesse und Erfolg Theil. Der Unterzeichnete entläßt den lieben Schüler, der ihm in Folge häus¬ licher Beziehungen insbesondere nahegestellt und in dieser Stellung durch religiösen Sinn, durch Reinheit des Gemüthes, gefällige Sitte und andere ansprechende Eigenschaften sich zu empfehlen bemüht war, bey seinem am 15 Schlüsse des Schuljahres (den 15. September d. J.) erfolgten Übergange in das1) Geschäftsleben, das er statt des früher beabsichtigten Studiums als seinen äußeren Lebensberuf zu wählen sich veranlaßt sah, mit seinen besten Segenswünschen. Der Herr segne und geleite ihn ! Elberfeld, den 25. September 1837. 20 Dr. J. C. L. Hantschke O Vor Geschäftsleben gestrichen praktische
BRIEFE AN DIE BRÜDER GRAEBER Herbst 1838—Frühjahr 1841
Engels an Friedrich und Wilhelm Graeber in Elberfeld; [Bremen 1838] September 1 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Den 1. September. Herren Gebrüder Graeber aus Barmen, der- 5 zeit in Elberfeld. Indem ich mich zum Empfange des geehrten Schreibens Ihres Herrn F. Graeber bekenne, erlaube ich mir, ein paar Zeilen an Sie zu richten. Hol mich der Donner, das macht sich. Nun wollen wir gleich mit der bildenden Kunst anfangen. Nämlich mein Hausgenosse, namens George (engl. ausgesprochen) io Görrissen, der erste Hamburger Geck, der je existiert hat; nehmt das Mittel von den beiden Bildern, die da U stehen, setzt es auf einen schmalen Rumpf und lange ÿ Beine, gebt den Augen einen recht geflappten Blick, eine Sprache, präzise wie Kirchner spricht, nur Ham- , _. burger Dialekt, und Ihr habt das kompletste Bild von diesem Flegel, das es gibt. Ich wollte, ich könnte ihn / nur so Sut treffen gestern Abend, wo ich ihn auf / Wn eine Tafel malte, und so präzise, daß ihn alle, sogar T die Mägde, erkannten. Sogar ein Maler, der hier im 2o ’ Hause wohnt und es sah, der sonst nichts gut findet, fand es sehr gut. — Es ist dieser G. Görrissen der ge- flappteste Kerl, den die Erde trägt; alle Tage hat er neuen Unsinn vor, er ist unerschöpflich in abgeschmackten und langweiligen Ideen. Der Kerl hat wenigstens schon zwanzig Stunden ~ 25 auf seinem Gewissen, die er mich gelangweilt hat. — / I Ich habe neulich Jacob Grimms Verteidigungsschrift mir gekauft, sie ist ausgezeichnet schön, und eine Kraft darin, wie man sie selten findet. An einem Buchladen habe ich neulich nicht weniger als sieben Broschüren über die Kölner 3o Geschichte gelesen. — NB. hier habe ich schon Redensarten und Sachen gelesen, besonders in der Literatur bin ich in Übung, die man bei uns nie drucken dürfte, ganz liberale Ideen etc., Rai¬ sonnements über den alten Hannoverschen Lause-Bock, ganz herrlich. — 53 Hier sind sehr schöne satirische Bilderbogen. — Einen sah ich schlecht gemalt, aber sehr bezeichnende Gesichter. Ein Schneider auf einem Bock wird von dem Meister auf gehalten, und die Schu¬ ster sehen zu. Was noch mehr darauf passiert, ist in der Unter¬ schrift ausgedrückt:
486 Briefe an die Brüder Graeber 1838 Sept. 17—18 Altmeister, halten Sie mein Roß nicht auf! Doch das nächstens, denn nun kann ich diese [?]1) nicht krie¬ gen, weil der Prinzipal da sitzt. Der ist sonst ein sch [reck] lieh guter Kerl, o so gut, Du kannst Dir gar nicht denken. Entschuldige, daß ich so schlecht schreibe, ich habe drei Fla- $ sehen Bier im Leib, hurrah, viel kann ich auch nicht mehr schreiben, denn gleich muß der Brief auf die Post. Es schlägt schon -1/24, und um 4 Uhr müssen die Briefe da sein. Potz Donnerwetter, merkst Du, daß ich Bier im Leibe habe. —2) Ihr werdet die Güte haben, mir gleich wieder was zu schmieren, io meine Adresse weiß der Wurm, dem könnt Ihr’s auch geben. Oh je, was soll ich schreiben? oh je, oh je, oh je, Jammer und Elend! Der Alte, d. h. der Prinzipal, geht eben heraus, und ich bin ganz konfuse, ich weiß nicht was ich schreibe, mir dröhnen allerlei Töne ins Ohr. Grüßt den P. Jonghaus und den F. Plümacher, sie sollen w mir schreiben, und nächstens werde ich sie auch mit Signaturen langweilen. Könnt Ihr’s lesen, was ich dahin saue? Was gibst Du mir für das Pfund Konfusion? ich hab grade eine Masse vorrätig. 0 Je. Dein ergebener 20 Euer hochwohlgeboren ergebener F. Engels. Engels an Friedrich und Wilhelm Graeber in Barmen; [Bremen 1838] September 17—18 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen 26 . . . den 17. Sept. Die schwarze Tinte zuerst, dann fängt die rote wieder von vomen an. — Carrissimi! In vostras epistolas haec vobis sit respondentia. Ego enim quum longiter latine non scripsi, vobis paucum scribero, sed in germanico-italianico-latino. Quae quum ita sint, so sollt Ihr 30 auch kein Wort Latein mehr kriegen, sondern pures, lauteres, reines, volkommenes Deutsch. Um nun gleich von einer bedeutend wichtigen Sache zu reden, will ich Euch erzählen, daß meine spa¬ nische Romanze durchgefallen ist; der Kerl scheint ein Antiroman¬ tiker zu sein, so sieht er auch aus ; aber ein Gedicht von mir selb- 36 sten, die Beduinen, welches in Abschrift beifolgt, wurde einge¬ rückt in ein andres Blatt; nur veränderte mir der Kerl die letzte Strophe und richtete dadurch eine heillose Konfusion ein. Näm¬ lich er scheint das: „Zu unsrem Frack, pariser Schnitt, Paßt nicht der Wüste schlichtes Hemd, Noch in die Lit’ratur Eu’r Lied“, weil 40 es barock erscheint, nicht verstanden zu haben. Der Hauptgedanke 1) Zwei Worte unleserlich 2) Ein Satz unleserlich
1838 Sept. 17—18 Briefe an die Brüder Graeber 487 ist die Entgegenstellung der Beduinen, selbst in ihrem jetzigen Zustande, und des Publikums, welches diesen Leuten ganz fremd ist. Deshalb darf dieser Gegensatz nicht bloß durch die nackte Be¬ schreibung, die in den beiden scharf geschiedenen Teilen gegeben s ist, ausgedrückt werden, sondern er erhält am Schluß erst rechtes Leben durch die Entgegenstellung und die Schlußfolgerung in der letzten Strophe. Nebenbei sind noch Einzelheiten darin aus¬ gedrückt: 1. leise Ironie über den Kotzebue und seine Anhänger, mit Entgegenstellung Schillers, als des guten Prinzips für unser io Theater; 2. Schmerz über den jetzigen Zustand der Beduinen, mit Entgegenstellung ihres früheren Zustandes; diese beiden Nebensachen laufen parallel in den beiden Hauptgegensätzen. Nun nimm die letzte Strophe weg, und alles fällt auseinander; wenn aber der Redakteur den Schluß weniger auffallend machen is will und schließt: „Jetzt springen sie für Geld herum — nicht der Natur urkräft’ger Drang, das Aug’ erloschen, alle stumm, nur einer singt ’nen Klaggesang66, so ist der Schluß erstens matt, weil er aus früher schon gebrauchten Floskeln besteht, und zweitens vernichtet er mir den Hauptgedanken, indem er den Nebengedan- 20 ken: Klage um den Zustand der Beduinen und Gegensatz des früheren Zustands, an dessen Stelle setzt. Also hat er folgendes Unheil gestiftet: 1. den Hauptgedanken, 2. den Zusammenhang des Gedichts ganz und gar vernichtet. Übrigens kostet das dem Kerl wieder einen Groten (= % Sgr.), denn er wird Antwort von 25 mir erhalten in einer Predigt. Ich wollte übrigens, ich hätte das Gedicht nicht gemacht, das Ausdrücken des Gedankens in klarer, anmutiger Form ist mir ganz mißlungen; die Floskeln von Str. — sind eben nur Floskeln, Dattelland und Bileduldscherid sind ein und dasselbe, also ein Gedanke zweimal mit denselben Worten, 50 und welcher Mißklang: „schallend Lachen zollt66 und „Mund ge¬ wandt66! Es ist ein eigentümliches Gefühl; wenn man seine Verse so gedruckt sieht, sie sind einem fremd geworden, und man sieht sie mit viel schärferen Augen an, als wenn sie geschrieben sind. Ich mußte tüchtig lachen, als ich mich so aufs Öffentliche trans- 55 feriert sah, aber bald verging mir das Lachen; als ich das Ver¬ ändern merkte, bekam ich die Wut und tobte barbarisch — Satis autem de hac re locuti sumus! Ein ganz eigentümliches Buch fand ich heute morgen bei einem Antiquar, einen Auszug der acta Sanctorum, leider nur für die *o erste Hälfte des Jahrs, mit Porträts, Lebensbeschreibungen der Heiligen und Gebeten; aber alles sehr kurz. Es kostete mich 12 Grote, 6 Sgr., und dasselbe gab ich für Wielands Diogenes von Sinope, oder Sœnqàxriç paivopevoQ. — An meiner Poesie und deren Produktionskraft verzweifle ich 45 alle Tage mehr, seitdem ich in Goethe die beiden Aufsätze „Für
488 Briefe an die Brüder Graeber 1838 Sept. 17—18 junge Dichter66 gelesen habe, in denen ich mich so trefflich be¬ zeichnet finde, wie es nur möglich ist, und aus denen es mir klar geworden, daß durch meine Reimereien nichts für die Kunst getan ist; ich werde aber nichtsdestoweniger fortreimen, weil dies eine „angenehme Zugabe66, wie Goethe sagt, ist, auch wohl ein Gedicht 5 in ein Journal einrücken lassen, weil andre Kerls, die ebensolche, auch wohl noch größere Esel sind, als ich bin, es auch tun, und weil ich dadurch die deutsche Literatur weder heben noch senken werde; aber wenn ich ein tüchtiges Gedicht lese, dann fährt mir allemal ein Grimm durch die Seele: daß du das nicht hast machen io können! Satis autem de hac re locuti sumus! Meine cari amici, man vermißt Euch doch sehr! wenn ich dran denke, wie ich oft in Eure Kammer trat, und da saß der Fritz so behaglich hinterm Ofen, mit seiner kurzen Pfeife im Munde, und der Wilm in seinem langen Schläfer rauschte durch die Kam- 15 mer und konnte nichts rauchen als 4-Pfennigs-Zigarren, und riß Witze, daß das Zimmer bebte, und dann rührte sich der gewaltige Feldmann, gleich dem Çav&oç MeveXâoç, und trat herein, und dann kam der Wurm im langen Rock, mit dem Stock in der Hand, und es wurde gezecht, dann ist der Teufel los, und jetzt muß man sich 20 mit Briefen abfinden — es ist infam. Daß Ihr mir aber auch von Berlin aus tüchtig schreibt, ist constat und naturaliter; die Korre¬ spondenz dahin bleibt auch nur einen Tag länger unterwegs als nach Barmen. Meine Adresse wißt Ihr; sonst ist es auch einerlei, denn ich habe mit unserm Briefträger schon so genaue Bekannt- 25 schäft gemacht, daß er mir die Briefe immer aufs Kontor bringt. Honoris causa könnt Ihr aber doch allenfalls drauf schreiben: St. Martini Kirchhof No. 2. Diese Freundschaft mit dem Brief¬ träger rührt daher, daß unsre Namen ähnlich sind, er heißt Engelke. — Das Brief schreiben wird mir heute etwas schwer; ich 30 habe vorgestern einen Brief an Wurm nach Bilk und heute einen an den Strücker expediert, den ersten von acht, den zweiten von sieben Seiten, und jetzt wollt Ihr auch Eure Ration haben. — Wenn Ihr diesen Brief bekommt, ehe Ihr nach Köln geht, so befolgt folgenden Auftrag: kommt Ihr hin, so sucht die Streitzeug- 35 gasse, geht in die Everaertsche Buchdruckerei, Numero 51 und kauft da für mich Volksbücher; Siegfried, Eulenspiegel, Helena habe ich; am wichtigsten sind mir Octavian, die Schildbürger (un¬ komplett in der Leipziger Ausgabe), Haimonskinder, Dr. Faust, und was von den übrigen mit Holzschnitten versehen; sind mysti- 40 sehe da, so kaufe sie auch, besonders die Sibyllenweissagungen. Bis zwei, drei Thaler mögt Ihr immerhin gehen. Dann schickt sie mir per Schnellpost, gebt mir den Betrag an, so will ich Euch einen Wechsel auf meinen Alten schicken, der es gerne bezahlen wird. Oder noch mehr, Ihr könnt die Bücher meinem Alten schicken, 45
1838 Sept. 17—18 Briefe an die Brüder Graeber 489 dem ich die ganze Geschichte auseinandersetzen werde, und der mag sie mir zu Weihnachten schenken, oder wie er will. — Ein neues Studium für mich ist Jacob Böhme; es ist eine dunkle, aber eine tiefe Seele. Das meiste aber muß entsetzlich studiert werden, 5 wenn man etwas davon kapieren will; er ist reich an poetischen Ge¬ danken und ein ganz allegorischer Mensch; seine Sprache ist ganz eigentümlich, alle Wörter haben eine andre Bedeutung als ge¬ wöhnlich; statt Wesen, Wesenheit sagt er Qual; Gott nennt er einen Ungrund und Grund, da er keinen Grund noch Anfang seiner Exi- io stenz hat, sondern selbst der Grund seines und alles andern Lebens ist. Bis jetzt habe ich erst drei Schriften von ihm auftreiben kön¬ nen, fürs erste freilich genug. — Doch hier will ich mein Gedicht von den Beduinen hinsetzen. Die Glocke tönet, und empor 15 Der seidne Vorhang rauscht alsbald; Aufmerksam lauschet jedes Ohr Jedwedem Wort, das dort erschallt. Doch heut’ ist’s nicht der Kotzebue, Dem sonst Ihr schallend Lachen zollt, 20 Auch tritt nicht Schiller ernst hervor, Ausgießend seiner Worte Gold. Der Wüste Söhne, stolz und frei, Sie treten still zu Euch heran ; Der edle Stolz — er ist vorbei, 25 Die Freiheit — sie ist abgetan. Da springen sie für Geld herum — Der Knab’ so in der Wüste sprang, In Jugendlust — doch alle stumm, Nur einer singt ’nen Klaggesang. so Man wundert sich ob ihrer Kraft; Ja, wie man sonst dem Kotzebue Geklatscht, wenn er sein Krämchen schafft, Also klatscht ihnen jetzt man zu. Ihr Wüstensöhne, flink und stark! 35 Ihr zogt wohl sonst im Mittagsstrahl Hin durch Marokkos sand’ge Mark Und durch das milde Datteltal! Ihr streiftet durch die Gärten hin Des Landes Bileduldscherid, 40 Zum Raube stand der mut’ge Sinn, Zum Kampfe ging der Rosse Schritt! Ihr saßt wohl sonst im Mondenglanz Am Palmenquell im dürren Land, Und holder Märchen bunten Kranz
490 Briefe an die Brüder Graeber 1838 Sept. 17—18 Flocht Euch ein schöner Mund gewandt. Ihr schlummertet im engen Zelt Im Arm der Liebe, träumevoll Bis Morgenlicht den Himmel hellt’ Und der Kamele Brüllen scholl! s Zieht wieder heim, Ihr Gäste fremd, Zu unserm Frack, pariser Schnitt, Paßt nicht der Wüste schlichtes Hemd, Noch in die Lit’ratur Eu’r Lied ! den IBten.^ io Cur me poematibus exanimas tuis, werdet Ihr ausrufen! Aber ich quäle Euch jetzt noch viel mehr damit oder vielmehr darum. Der Guilelmus hat noch ein Heft Verse von mir, wie ich sie hin¬ schrieb. Dieses Heft bitte ich mir aus und zwar so: Ihr könnt alles unbeschriebene Papier davon schneiden und mir sodann bei jedem is Eurer Briefe ein Quartblatt beilegen, das erhöht das Porto nicht. Zur Not auch noch sonst einen Fetzen, wenn Ihr es pfiffig verpackt und den Brief vor der Absendung gut preßt, etwa eine Nacht zwischen ein paar Lexika legt, so merken die Kerls nichts. — Das inliegende Blatt für Blank besorgt Ihr wohl. Ich kriege eine furcht- 20 bar ausgedehnte Korrespondenz, mit Euch nach Berlin, mit Wurm nach Bonn, nach Barmen und Elberfeld desgleichen, aber wenn ich das nicht hätte, wie sollte ich die unendliche Zeit totschlagen, die ich auf dem Comptoir, ohne doch lesen zu dürfen, zubringen muß? — Vorgestern war ich bei meinem Alten, id est principalis, 25 seine Frau wird genannt die Altsche (italienisch alce, das Elen¬ tier geradeso ausgesprochen), auf dem Lande, wo seine Familie wohnt, und viel Pläsir gehabt habe. Der Alte ist ein köstlicher Kerl, er schimpft seine Jungens immer polnisch aus. Ihr Ledschia- ken, Ihr Kaschuben! Auf dem Rückwege habe ich mich bemüht, 30 einem Philister, der mit da war, einen Begriff von der Schönheit der plattdeutschen Sprache zu geben, habe aber gesehen, daß dies unmöglich ist. Solch ein Philister ist doch eine unglückliche Seele, aber dabei doch überglücklich in seiner Dummheit, die er für die größte Weisheit hält. Neulich abend war ich im Theater, sie gaben 35 den Hamlet, aber ganz schauderhaft. Doch darum will ich lieber ganz davon schweigen. — Daß Ihr nach Berlin geht, ist ganz gut, an Kunst wird Euch da wohl so viel geboten, wie sonst auf keiner Universität, ausgenommen München; dagegen die Poesie der Natur, die fehlt: Sand, Sand, Sand! Hier ist es weit besser; 45 die Straßen außer der Stadt sind meistens sehr interessant und 1) Von hier an ist der Brief mit einer roten, heute sehr verblichenen Tinte quer durch den vorhergehenden Text geschrieben.
1838 Sept. 17—18 Briefe an die Brüder Graeber 491 durch die mannigfaltigen Baumgruppen sehr anmutig; aber die Berge, ja die Berge, das ist der Donnerwetter. Ferner fehlt in Ber¬ lin die Poesie des Studentenlebens, die in Bonn am größten ist, wozu dann das Herumschweifen in der poetischen Umgegend nicht 5 am wenigsten beiträgt. Nun, Ihr kommt ja auch noch nach Bonn. Mein lieber Wilhelm, ich würde Dir rasend gern auf Deinen witzi¬ gen Brief ebenso witzig antworten, wenn mir nicht überhaupt aller Witz, und im besonderen jetzt gerade die Lust fehlt, die man sich nicht geben kann, und ohne die alles erzwungen ist. Aber ich io fühle, es geht mit mir zu Ende, es ist mir, als ob mir verschwände jeder Gedanke aus meinem Haupt, als wenn mir das Leben würde geraubt. Der Stamm meines Geistes ganz entlaubt, denn alle meine Witze sind geschraubt, und der Kem aus der Schale herausge¬ klaubt. Und meine Makamen, die verdienen kaum den Namen, 15 während die Deinen Rückert den Ruhm nahmen, diese hier, die ich schreibe, die haben die Gicht im Leibe, sie hinken, sie wanken, sie sinken, ja sie schon sanken in den Abgrund der Vergessenheit, nicht stiegen in die Höhe der Gelesenheit. Oh Jammer, da sitz’ ich in der Kammer, und pochte ich an mein Haupt mit einem Hammer, 20 es flösse doch nur Wasser heraus, mit großem Gebraus. Doch das hilft nicht einer Laus, der Geist ist drum doch nicht drin zu Haus. Gestern abend, als ich zu Bette ging, stieß ich an meinen Kopf, und es läutete, wie wenn man an ein Gefäß mit Wasser stößt, und das Wasser an der andern Seite ans Gefäß klatscht. Ich mußte lachen, 25 als mir die Wahrheit so derb unter die Nase gerieben wurde. Ja Wasser, Wasser! In meiner Stube spukt’s überhaupt; gestern abend hörte ich eine Totenuhr in der Wand klopfen, in der Gasse neben mir rumoren Enten, Katzen, Hunde, Dirnen und Menschen. Übrigens verlange ich von Euch einen ebenso langen, wenn nicht 3o noch längeren Brief, et id post notas und das nach Noten. Das ausgezeichnetste Kirchengesangbuch, das es gibt, ist un¬ streitig das hiesige; es enthält alle berühmten Namen deutscher Poesie: Goethe (das Lied: der Du von dem Himmel bist), Schiller (drei Worte des Glaubens), Kotzebue und viele andre. Auch Kuh- 35 pockenlieder, und was des Unsinns mehr ist. Es ist eine Barbarei ohne gleichen; wer’s nicht sieht, glaubt’s nicht; dabei ein schauder¬ haftes Verderben aller unsrer schönen Lieder, ein Verbrechen, was sich auch Knapp im Liederschatz hat zu Schulden kommen lassen. — Bei Gelegenheit, daß wir eine Expedition Schinken *o nach Westindien machen, fällt mir folgende höchst interessante Geschichte ein: Es schickte einmal einer Schinken nach Havanna; der Brief mit der Berechnung kommt erst später an, und der Emp¬ fänger, der schon gemerkt hat, daß zwölf Stück fehlten, sieht nun in der Rechnung aufgeführt: Rattenfraß 12 Stück. Diese 45 Ratten aber waren die jungen Leute auf dem Comptoir, die sich diese
492 Briefe an die Brüder Graeber 1838 Sept. 17—18 Schinken zu Gemüte geführt hatten; jetzt ist die Geschichte aus. — Indem ich mir erlaube, den noch übrigen Raum mit Aufgrei- fung und malerischer Darstellung von Äußerlichkeiten (Dr. He) auszufüllen, bekenne ich Euch, daß ich von meiner Reise Euch schwerlich werde viel können zugehen lassen, weil ich’s dem 5 Strücker und dem Wurm zu allererst versprochen; ich fürchte schon, daß ich’s denen werde zweimal schreiben müssen, und drei¬ mal die ganze Salbaderei, mit vielem Unsinn vermischt, das wäre doch etwas zu viel. Will Euch aber der Wurm das Heft, das er freilich schwerlich vor Ende dieses Jahres bekommen wird, io schicken, so ist mir’s recht, sonst kann ich Euch nicht helfen, bis Ihr selbst nach Bonn geht. — Dero ergebenster Diener Friedrich Engels. Grüßt den P. Jonghaus, er kann Euch einen Brief beilegen, ich 15 hätte ihm auch geschrieben, aber der Kerl ist gewiß verrissen. Baldige Antwort. Eure Berliner Adresse !!!!!!! [Auf der Adreßseite] Herm Friedrich Graeber, Adr. Herm Pastor Graeber Barmen. Franco. 20
1839 Jan. 20 Briefe an die Brüder Graeber 493 Engels an Friedrich Graeber; [Bremen 1839 Januar 20] Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen 6 An Fritz Graeber. Florida. I. Der Geist der Erde spricht: Dreihundert Jahre sind’s, da kam gefahren Das trotz’ge weiße Volk von jener Seite 10 Des Ozeans, da ihre Städte waren. Die Inseln wurden bald der Starken Beute, Da hob die Faust ich aus dem Meer empor, Ob diese auch ihr kecker Fuß beschreite. Mit Wald war sie bedeckt und Blumenflor, is Und durch die tiefen Tälerfurchen streifte Mein treu Geschlecht, der braunen Männer Chor. Der ew’ge Vater mild hernieder träufte Des Segens Fülle — da die Weißen kamen, Es naht’ ihr Schiff, das irr im Meere schweifte. 20 Und ihrem Sinn gefiel das Land, sie nahmen Es weg, wie sie die Inseln sich geeignet, Für mein Volk brachten sie der Knechtschaft Samen. Der Furchen Grenze haben sie verleugnet, Sie maßen mit Quadranten meine Hand, 25 Sie haben fremde Linien drein gezeichnet. Bald überschwemmten sie das ganze Land, Ein Finger ist’s, den sie noch nicht bedeckt, Wer dahin kommt, ist in den Tod gerannt. Auf diesen Finger hab ich mir gesteckt 30 Jetzt einen Ring, den meine Braunen bilden ; Sie haben ihre Speere vorgestreckt, Und schützen sie mich nicht mit ihren Schilden, Zerfeilt den Ring der Weißen Übermut, Dann zieh ich samt den Weißen und den Wilden 35 Die Hand herab in die empörte Flut. II. Der Seminole spricht: Nicht Frieden will ich meinen Brüdern künden, Krieg sei mein erstes Wort, mein letztes Schlacht, 40 Und wenn sich Eure Blicke dann entzünden,
494 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Jan. 20 Wie Waldbrand, vom Orkane angefacht, Dann sag ich, daß ihr einst mit Recht mich nanntet Des Wortes Sonne, der entweicht die Nacht! Wie Ihr in wilder Jagdlust sonst entbranntet, Unschuld’ge Tiere, die Euch flohn zu jagen, 5 Wie Ihr verfolgend Pfeil auf Pfeil entsandtet, So meint das Volk der Weißen Euch zu jagen — Daß sie das Wild, daß Ihr die Jäger seid, Das lasset ihnen Eure Pfeile sagen. Auf uns, die Roten, schauen sie mit Neid, 10 Und daß sich ihr verhaßtes Weiß nicht zeige, Verhüllen sie sich ganz mit buntem Kleid. Sie nannten unser Land das blumenreiche, Weil mannigfache Blumen hier erblühen, Die sollen alle, blaue, gelbe, bleiche, 15 Ein rotes Kleid sich alle überziehen, Besprenget von der Weißen rotem Blut, Und der Flamingo soll nicht röter glühen. Zu ihren Sklaven waren wir nicht gut, Drum brachten sie die feigen Schwarzen her, 20 Sie sollen kennen unsre Kraft und Mut! Kommt nur, Ihr Weißen, lüstet’s Euch so sehr, Ihr mögt die Huldigung Euch selber holen, Aus jedem Schilf, von jedem Baume her Erwartet Euch der Pfeil des Seminolen ! 25 III. Der Weiße spricht: Wohlan! so will ich denn zum letzten Male Dem rauhen Schicksal kühn die Stirne bieten, Will frei entgegenschaun dem Mörderstahle! 30 Du bist mir wohl bekannt, Du Schicksalswüten! Du hast mir stets des Lebens Lust verbittert — Meint Ihr, daß mir der Liebe Freuden blühten? Die hat durch Spott mein armes Herz zersplittert, Die ich geliebt; ich suchte Trost im Streben 35 Nach Freiheit, und vor unserm Bund gezittert Hat mancher König, Fürsten sahn mit Beben, Wie deutsche Jünglinge zusammen standen — Drauf hab ich sieben Jahr von meinem Leben Gebüßet für die Schuld in ehmen Banden. 40 Da brachte man mich hin zum schnellen Schiffe, Frei sollt’ ich werden, doch in fernen Landen. —
1839 Jan. 20 Briefe an die Brüder Graeber 405 Die Küste winkt! Da auf dem Felsenriffe Zerbirst das Schiff, und in die wilde Brandung Stürzt alles Volk; daß ich allein ergriffe Ein Brett, das sich mir bot, zur schweren Landung, 5 Das war das erste Glück, das mir geschehen, Die andern ruhen in der Flut Versandung. Doch kann ich je dem Unheil wohl entgehen? Die Wilden stürzen auf mich los, und binden Mich, den zum Tod, der Rache sie ersehen. io Die Freiheit dacht’ ich wieder hier zu finden, Und Freiheitskämpfer grüßen mich mit Mord, So muß ich büßen meiner Brüder Sünden! Doch sieh, was schwimmt heran zum Ufer dort? Ein Kruzifix! Wie schaun so mild die Züge is Mich an des Heilands! Ach, mir fehlt sein Wort, Wenn sterbend ich auf heißem Sande liege, Da kommt er selbst zu mir, der Gnadenreiche! Ich murre hier, und für mich wird im Kriege Mit Höllenwut Gott selber eine Leiche! 2o Da hast Du meinen Beitrag fürs nächste Kränzchen, ich habe gesehen, daß es wieder bei uns gewesen ist, und es tat mir sehr leid, daß ich nichts dazu eingeschickt hatte. Jetzt zur Beantwor¬ tung Deines Briefes. — Aha! Warum liest Du die Zeitung nicht! Da hättest Du bald gesehen, was von der Geschichte in der Zeitung 25 stand und was nicht. Das ist meine Schuld nicht, wenn Du Dich blamierst. In der Zeitung haben bloß offizielle Berichte des Senats gestanden, die freilich auch danach gewesen sind. Die Komödie von Plümacher muß sehr schön sein, ich habe zweimal darum ge¬ schrieben, und er hat kein Wort davon verlauten lassen. Was den 3o Jonghaus und seine Liebe anbetrifft, so habe ich mit dem noch ein besonderes Kapitel drüber abzumachen. Ihr Menschen laßt Euch immer durch „Dieses und Jenes“ vom Schreiben abhalten, sage einmal, kannst Du mir nicht alle Tage, von dem an, daß Du meinen Brief bekommst, eine halbe Stunde schreiben?, so bist Du 35 in drei Tagen fertig. Ich muß alle diese Briefe schreiben, fünf Stück, schreibe viel enger als Ihr, und bin doch in 4 à 5 Tagen fertig. Ja es ist schrecklich. Acht Tage sollt Ihr Zeit haben, aber am neunten Tag nach Empfang meines Briefes müßt Ihr den Euri¬ gen auf die Post geben, das geht nicht anders; sollte ich bei Wurm io andre Bestimmungen gemacht haben, so ändre ich sie hiermit um, 8 Tage Zeit habt Ihr, sonst treten die bei Wurm angedrohten Strafen ein; keine Verse und ebenso langes Wartenlassen. Hier hast Du einen Holzschnitt à la Volksbücher, der Dir klar darstellt, wie ich auf Euch passe, d. h. auf Eure Briefe. Ich dachte,
496 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Jan. 20 Briefträger: Herr Konsul, ein Brief! Konsul Leupold: Aha! Gut. Engels: Nichts für mich? Briefträger: Nein. ich hätte heute die Briefe noch weggekriegt (Sonntag, den 20. Ja- 5 nuar), aber es schlägt halb fünf, und heute geht die Post schon um fünf. Wieder ein Strich durch die Rechnung. Nun das Gute hat’s doch, daß ich jetzt mit Ruhe scheißen und dann Euch mit Ruhe schreiben kann. Für Peter J [onghaus] habe ich noch keinen Brief anfangen können. Verdammt, da sitzt einer auf dem Abtritt, und io es drängt mich von oben bis unten, mich zu ergießen. Es ist merkwürdig, daß, wenn wir unsre größten Dichter zu¬ sammennehmen, immer zwei und zwei sich ergänzen, so Klopstock und Lessing, so Goethe und Schiller, so Tieck und Uhland. Jetzt aber steht Rückert ganz allein da, soll mich einmal verlangen, ob is der noch einen bekommt, oder ob er so abstirbt; es hat fast den Anschein. Als Liebesdichter könnte man ihn mit Heine zusammen¬ stellen, aber leider Gottes sind die zwei sonst so heterogen, daß man sie gar nicht vereinen kann. Klopstock und Wieland sind doch noch Gegensätze, aber Rückert und Heine haben nicht die min- 20 deste andre Ähnlichkeit, und stehen beide absolut da. Die Ber¬ liner Partei des jungen Deutschlands ist doch eine saubre Kom¬ pagnie! Da wollen sie unsre Zeit umstempeln zu einer Zeit der „Zustände und feinen Bezüge66, welches so viel bedeutet als: wir schreiben was in die Welt hinaus, und um die Seiten voll zu krie- 25 gen, schildern wir Dinge, die nicht da sind, und das nennen wir Zustände, oder wir bringen das Hundertste mit dem Tausendsten zusammen und das geht unter dem Namen der „feinen Bezüge66. Dieser Theodor Mundt sudelt da was in die Welt hinein von der Demoiselle Taglioni, die „Goethe tanzt66, schmückt sich mit Flos- 30 kein aus Goethe, Heine, der Rahel und der Stieglitz, sagt den köst-
1839 Jan. 20 Briefe an die Brüder Graeber 497 liebsten Unsinn über Bettina, aber alles so modern, so modern, daß es eine Lust sein muß für einen Schnipulanten, oder für eine junge, eitle, lüsterne Dame, dergleichen zu lesen. Dieser Kühne, Mundts Agent in Leipzig, redigiert die Zeitung für die elegante s Welt, und die sieht jetzt aus wie eine Dame, deren Körperbau für einen Reifrock eingerichtet, und die jetzt in ein modernes Kleid gesteckt wird, daß bei jedem Schritt die holdselige Krümmung der Beine durch das schmiegsame Kleid sichtbar wird. Es ist köstlich! Und dieser Heinrich Laube! Der Kerl schmiert in Einem fort io Charaktere, die nicht existieren, Reisenovellen, die keine sind, Unsinn über Unsinn, es ist schrecklich. Wie es mit der deutschen Literatur werden soll, weiß ich nicht. Drei Talente haben wir, Karl Beck, Ferdinand Freiligrath und Julius Mosen; der dritte ist wohl ein Jude und läßt in seinem Ahasver den ewigen Juden an allen is Enden dem Christentum trotzen; Gutzkow, der noch mit der Ver¬ nünftigste ist, tadelt ihn deshalb, weil Ahasveros eine gemeine Natur sei, ein wahrer Schacherjude ; Theodor Creizenach, eben¬ falls ein juif, packt nun in der Zeitung für die elegante Welt den Gutzkow auf eine wütende Weise an, aber Gutzkow steht ihm zu so hoch. Dieser Creizenach, ein gewöhnlicher Tagesschreiber, erhebt Ahasver in alle Himmel, als einen getretenen Wurm, und schimpft auf Christus, als einen eigenmächtigen, stolzen Herrgott; meint auch, freilich sei im Volksbuch Ahasver eben nur ein gemeiner Kerl, aber im Löschpapier der Jahrmarktsbuden sei Faust auch 25 nicht viel mehr als ein gemeiner Hexenmeister, während doch Goethe „die Psychologie mehrerer Jahrhunderte66 in ihn gelegt habe. Letzteres ist klar, Unsinn zu sein (wenn ich nicht irre, ist das eine ganz lateinische Konstruktion), aber mich rührt nur das wegen der Volksbücher. Freilich, wenn Theodor Creizenach darauf so schimpft, so müssen sie wohl sehr, sehr schlecht sein, indessen wage ich zu bemerken, daß im Volksahasver mehr Tiefe und Poesie ist als in dem ganzen Th. Crteizenach] benebst seinen löb¬ lichen Konsorten. Ich habe jetzt einige Xenien in Arbeit, von denen ich Dir, so viel davon fertig, hersetze. 36 Diejournale. 1. Telegraph. Nennst Du Dich selbst Schnellschreiber, wer wird dann Zweifel noch hegen, Schnellgeschriebenes sei, was Dir die Blätter erfüllt? 40 2. Morgenblatt. Liest Du am Morgen mich durch, so hast Du vergessen am Abend, Ob Du auf leeres Papier oder bedrucktes gesehn. Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 32
498 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Jan. 20 3. Abendzeitung. Fehlt Dir am Abend der Schlaf, so nimm dies Blatt in die Hände, Lieblicher Schlummer erfüllt sicherlich Dich alsobald. 4. Literaturblatt. Dies ist das krittlichste Blatt in dem ganzen Literaturwald, 5 Aber wie ist es so dürr! weht es der Wind doch herab! Andre fallen mir grade nicht ein, ich muß also wohl aufhören. Ich muß mich, wie ich eben vermerke, noch bedeutend eilen, wenn ich Schächer noch morgen die Briefe wegbekommen soll; gleich haben wir Gesellschaft, dann morgen große Rennerei und Kopie- io rerei, so daß es nicht unzweckmäßig sein wird, sehr schnell zu schreiben. Von Duller lese ich jetzt Kaiser und Papst, einen vierbändigen Roman. Duller hat einen übermäßigen Ruf; seine Wittelsbacher — Romanzen, von denen viele in Hülstett stehen, — sind ent- is setzlich schlecht; er wollte Volkston nachahmen und wurde fami¬ liär; sein Loyola ist ein scheußliches Konfusorium aller guten und schlechten Elemente eines historischen Romans, mit einer schlechten Stilsauce auf gewärmt; sein Leben Grabbes ist entsetz¬ lich entstellt und einseitig; der vorliegende Roman ist schon 20 besser, einzelne Charaktere sind gut, andre wenigstens nicht schlecht gezeichnet, einzelne Situationen sind ziemlich gut auf¬ gefaßt, und die erfundenen Personen sind interessant. Aber das Maß der Breite und des Hervortretens der Nebenpersonen, neue, kühne Ansichten der Geschichte fehlen ihm, nach dem ersten 25 Bande zu urteilen, gänzlich. Es ist ihm nichts, den am besten ge¬ zeichneten Charakter am Ende des ersten Bandes zu töten; auch hat er eine große Vorliebe für absonderliche Todesarten; so stirbt einer vor Wut, als er eben seinem Feinde den Dolch in die Brust stoßen will, und dieser Feind steht am Krater des Ätna, wo er 30 sich eben vergiften will, als eine Spalte des Berges ihn im Lava¬ strome begräbt. Dann schließt der Band, nachdem diese Szene geschildert: Die Wogen des Ozeans schlagen über dem Scheitel des Sonnenhauptes zusammen. Ein sehr pikanter, im Grunde aber abgedroschener und alberner Schluß. Der soll auch meinen Brief 35 schließen. Addio, adieu, a dios, a deos, Dein Friedrich Engels.
1839 Febr. 19 Briefe an die Brüder Graeber 499 Engels an Friedrich Graeber; [Bremen 1839 Februar 19] Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Et Tu, Brute? Friderice Graeber, hoc est res quam nunquam 5 de te crediderim! Tu jocas ad cartas? passionaliter? 0 Tempores o moria! Res dignissima memoria! Unde est tua gloria? Wo ist Dein Ruhm, und Dein Christentum? Est itum ad Diabolum! Quis est, qui te seduxit? Nonne verbum meum fruxit (hat gefruchtet) ? 0 fili mi, verte, sonst schlag ich Dich mit Rute und Gerte, cartas 10 abandona, fac multa bona, et vitam agas integram, partem recu- perabis optimam! Vides amorem meum, ut spiritum faulenzen- deum egi ad linguam latinam et die obstupatus: quinam fecit Angelum ita tollum, nonsensitatis vollum, plénum et, plus ancora viel: hoc fecit enorme Kartenspiel! Geh in Dich, Verbrecher, is bedenke, was der Zweck Deines Daseins ist! Räuber, bedenke, wie Du Dich an allem versündigst, was heilig und unheilig ist! Karten! Die sind aus des Teufels Haut geschnitten! 0 Ihr Schreck¬ lichen! ich gedenke Eurer nur noch in Tränen oder Zähneknir¬ schen! Ha, mich faßt die Begeisterung! Am neunzehnten Tage 2o des zweiten Monats 1839, am Tage, da Mittag um 12 Uhr ist, faßte mich der Sturm und trug mich in die Ferne und da sah ich, wie sie Karten spielteln], und da war es Zeit zu essen. Fortsetzung folgt. Und siehe, es erhob sich von Morgen ein greuliches Donner¬ wetter, also, daß die Fenster klirrten, und die Schloßen hernieder- 25 schmetterten, sie aber spielten weiter. Darob erhob sich ein Streit und der König von Morgen zog wider den Fürsten aus Abend, und die Mitternacht hallte wieder vom Geschrei der Streiter. Und der Fürst des Meeres machte sich auf wider die Lande im Morgen, und ein Schlagen geschah vor seiner Stadt, desgleichen die 30 Menschheit nicht gesehen. Sie aber spielten weiter. Und vom Him¬ mel herab stiegen sieben Geister. Der erste trug einen langen Rock, und sein Bart reichte ihm auf die Brust. Den nannten sie Faust. Und der zweite Geist hatte greises Haar um das kahle Haupt, und er rief: Wehe, wehe, wehe! Den nannten sie Lear. 35 Und der dritte Geist war hohen Leibes und gewaltig anzuschauen, des Name war Wallenstein. Und der vierte Geist war wie die Kin¬ der Enaks, und trug eine Keule, gleichwie die Zedern auf Liba¬ non. Den nannten sie Herakles. Und der fünfte Geist war von Eisen über und über, und sein Name stand geschrieben auf seiner 40 Stirn: Siegfried, und an seiner Hand ging ein gewaltiger Streiter, des Schwert leuchtete wie der Blitz, das war der sechste und hieß Roland. Und der siebente Geist trug einen Turban auf der Spitze seines Schwertes und schwang eine Fahne ob seinem Haupte, dar¬ auf stand geschrieben: Mio Cid. Und die sieben Geister pochten 32*
500 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Febr. 19 an der Türe der Spieler, aber sie hörten nicht darauf. Und siehe, da kam von Mitternacht eine große Helle, die flog dahin über das Erdreich, wie ein Adler, und da sie vorbei war, sähe ich die Spie¬ ler nicht mehr. Aber mit schwarzen Zeichen stand geschrieben auf der Türe: Und ich verstummte. 5 Wenn mein Brief an Wilhelm noch nicht Beweis genug für meine Unsinnigkeit ist, so fällt es jetzt hoffentlich keinem von Euch mehr ein, daran zu zweifeln. Wo nicht, so will ich Euch noch triftiger davon überzeugen. Eben sehe ich im Telegraphen eine Rezension der Gedichte des 10 Missionars Winkler in Barmen. Sie werden furchtbar herunter¬ gemacht; es gibt eine Masse Proben, die eben einen Missionars¬ geschmack verraten. Kommt das Blatt nach Barmen, so ist es um Gutzkows Reputation daselbst, die schon sehr gering ist, getan. Diese Proben sind schauderhaft, ganz unendlich ekelhafte Bilder is — Pol ist ein Engel dagegen. Herr Jesu, heile du den Blutfluß meiner Sünden (Anspielung auf die bekannte Geschichte im Evangelium) und dergl. mehr. Ich verzweifle immer mehr an Barmen, es ist alles aus in literarischer Beziehung. Was da ge¬ druckt wird, ist, mit Ausnahme der Predigten, zum wenigsten 20 dummes Zeug; religiöse Sachen sind gewöhnlich Unsinn. Barmen und Elberfeld sind wahrhaftig nicht mit Unrecht als obskur und mystisch verschrieen; Bremen steht in demselben Ruf und hat viel Ähnlichkeit damit; die Philisterei verbunden mit religiöser Ze¬ lotenwirtschaft, wozu in Bremen noch eine niederträchtige Ver- 25 fassung kommt, verhindern jeden Aufschwung des Geistes, und eines der vorzüglichsten Hindernisse ist F. W. Krummacher. — Blank klagt so entsetzlich über die Elberfelder Prediger, beson¬ ders Kohl und Hermann, ich möchte wissen, ob er recht hat; vor allem wirft er ihnen Dürre vor, nur Krum [mâcher] sei eine Aus- so nähme. — Höchst komisch ist, was der Missionar über die Liebe sagt. Paß mal auf, ich will ein derartiges Ding machen.
1839 Febr. 19 Briefe an die Brüder Graeber 501 Liebeserklärung eines Pietisten. Ehrbare Jungfrau! Ich, nach viel und schwerem Ringen, Gegen die Lust der Welt, die gegen mich tat dringen, Komm ich mit dem Gesuch, ob sie mich wollte nicht e Nehmen zu ihrem Mann, in Ehrbarkeit und Pflicht. Zwar liebe ich Sie nicht, das wär’ zu viel verlanget, Ich lieb in ihr den Herm, der — nein, es geht nicht, man kann so was nicht satirisieren, ohne das Heiligste mit in diesen Kreis zu ziehen, wohinter sich dieses Volk io versteckt. Ich möchte einmal eine solche Ehe sehen, wo der Mann nicht seine Frau, sondern Christum in seiner Frau liebt, und liegt da dieFrage nicht auf der Hand, ob er auch Christum in seinerFrau beschläft? Wo steht denn was in der Bibel von dieser unsinnigen Wirtschaft? Im Hohen Liede steht: wie süß bist du, Liebe in Wol- 15 lüsten; aber freilich schimpft man jetzt auf alles Verteidigen der Sinnlichkeit trotz David und Salomo und Gott weiß wem. Uber so was kann ich mich entsetzlich ärgern. Diese Kerls rühmen sich noch obendrein, die wahre Lehre zu haben, und verdammen jeden, der nicht etwa an der Bibel zweifelt, sondern der sie anders aus- 20 legt wie sie. Es ist eine saubre Wirtschaft. Komme einmal einem damit, der oder der Vers sei untergeschoben, die werden Dich schon fuchsen. Gustav Schwab ist der bravste Kerl von der Welt, sogar orthodox, aber die Mystiker halten nichts auf ihn, weil er ihnen nicht immer geistliche Lieder in der Weise: Du sagst, ich 25 bin ein Christ, vorleiert, und in einem Gedicht auf mögl [ichste] Ausgleichung zwischen Rationalisten und Mystikern hindeutet. Mit der religiösen Poesie ist es fürs Erste am Ende, bis einer kommt, der ihr neuen Schwung gibt. Bei Katholiken wie Prote¬ stanten geht alles im alten Schlendrian, die Katholiken machen so Marienlieder, die Protestanten singen die alte Leier in den pro¬ saischsten Ausdrücken von der Welt. Diese gräßlichen Abstrakta: Heiligung, Bekehrung, Rechtfertigung, und weiß Gott was für loci communes und breitgetretene Floskeln mehr sind. Man sollte aus Ärger über die jetzige religiöse Poesie, also aus Frömmigkeit, 33 des Teufels werden. Ist denn unsre Zeit so schofel, daß nicht ein¬ mal einer neue Wege für religiöse Poesie bahnen kann? Übrigens halte ich dafür, daß die Zeitgemäßeste Art die ist, die ich in Sturm und Florida, über welches ich mir ausführlichere Rezension er¬ bitte, bei Strafe des Nichtmehrgedichtehabensollens, angewandt 4o habe. Daß der Wurm die Briefe zurückbehalten, ist nicht ver¬ zeihlich. Dein Friedrich Engels.
502 Briefe an die Brüder Graeber 1839 April 8—9 Engels an Friedrich Graeber; [Bremen] 1839 April 8—9 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen den 8. (nisi erro) April 1839. Teuerster Fritz! 5 Dieser Brief — ja Du denkst wohl, Du würdest Dich bedeu¬ tend daran amüsieren, nein, dieses weniger. Du, der Du mich nicht nur durch langes Wartenlassen, sondern auch durch die Ent¬ weihung der heiligsten Geheimnisse, die je dem menschlichen Genius verborgen blieben, die Visionen, betrübt, geärgert, erzürnt 10 hast, Du mußt eine absonderliche Strafe haben, Du sollst gelang¬ weilt werden, und womit? mit einem Aufsatz, und worüber? über den vielbesagten Hammel: Literatur der Gegenwart. Was hatten wir vor 1830? Theodor Hell und Konsorten, Willi¬ bald Alexis, einen alten Goethe und einen alten Tieck, c’est tout, is Da tritt die Julirevolution, seit dem Befreiungskriege die schönste Äußerung des Volkswillens, wie ein Donnerschlag herein. Goethe stirbt, Tieck verkommt immer mehr, Hell schläft ein, Wolfgang Menzel fährt fort, Schusterkritiken zu schreiben, aber ein neuer Geist steht auf in der Literatur; als Dichter vor allen Grün und 20 Lenau; Rückert bekommt einen neuen Schwung, Immermann be¬ kommt Bedeutung, Platen desgleichen, aber das ist nicht genug: Heine und Börne waren schon vor der Julirevolution abgeschlos¬ sene Charaktere, aber jetzt erst bekommen sie Bedeutung, und auf ihnen fußt ein neues Geschlecht, das die Literaturen und das 25 Leben aller Völker sich zunutze macht, voran Gutzkow. Gutzkow war 1830 noch Student, arbeitete zuerst für Menzel am Literatur¬ blatt, aber nicht lange; ihre Ansichten stimmten nicht, Menzel wurde flegelhaft, Gutzkow schrieb die berüchtigte Wally (Zweif¬ lerin) und Menzel verschrie das Buch mit gräßlichem Spektakel, 30 indem er dem Gutzkow die von der Wally ausgesprochenen An¬ sichten als seine eignen vorwarf, und bewirkte wahrhaftig, daß das unschuldige Buch verboten wurde. An Gutzkow schloß sich der freilich unbedeutende Mundt an, der Geldverdienens halber allerlei Unternehmungen anfing, worin er cum suibus noch Auf- 35 sätze von andern gab. Beurmann kam bald hinzu, ein scharf¬ sinniger Kerl und feiner Beobachter, ferner Ludolf Wienbarg, F. Gustav Kühne, und Wienbarg erfand für fünf dieser Schrift¬ steller (nisi erro, anno 1835) den Namen: junges Deutschland. Gegenüber stand der Menzel, der besser zu Hause geblieben wäre, 40 sintemal ihn Gutzkow ebendeswegen zu Tode geschlagen hat, dann die Evangelische Kirchenzeitung, die in jeder Allegorie eine Ab¬ götterei und in jeder Äußerung der Sinnlichkeit eine der Erb¬ sünde findet, (heißt der Hengstenberg vielleicht so lucus a non lucendo, d.h. ist er ein Wallach, Kastrat, Eunuch?). Diese Edlen 45
1839 April 8—9 Briefe an die Brüder Graeber 503 klagten das junge Deutschland an, sie wollten die Emanzipation der Frauen und die Restauration des Fleisches, nebenbei wollten sie ein paar Königreiche stürzen und Papst und Kaiser in einer Person werden. Von allen diesen Angriffen war bloß der von 5 Emanzipation der Frauen (im Goetheschen Sinne) gegründet, und ließ sich auch nur auf Gutzkow anwenden, der ihn später desavou¬ iert (als übermütige Jugendübereilung) hat. Durch das Zusam¬ menhalten bildeten sich ihre Zwecke schärfer aus; es waren die „Ideen der Zeit“, die in ihnen zum Bewußtsein kamen. Diese io Ideen des Jahrhunderts (so sprachen Kühne und Mundt) sind nicht etwa demagogischer oder antichristlicher Art, wie sie ver¬ schrien werden, sondern sie basieren auf dem Naturrechte eines jeden Menschen und erstrecken sich auf alles, was in den jetzigen Verhältnissen diesem widerspricht. So gehört zu diesen Ideen: 15 vor allem die Teilnahme des Volks an der Staatsverwaltung, also das Konstitutionelle, ferner die Judenemanzipation, Abschaffung alles Religionszwanges, aller Adelsaristokratie usw. Wer kann was dagegen haben? Die Evangelische Kirchenzeitung und Men¬ zel haben es auf dem Gewissen, daß sie die Ehre des jungen 2o Deutschlands so verschrien haben. Schon 1836, 37 war unter die¬ sen, durch Einheit der Absicht, nicht aber durch besondre Asso¬ ziation verbundenen Schriftstellern, die Idee klar und bestimmt; durch ihre tüchtigen Schriften verschafften sie sich Anerkennung bei den andren meist jämmerlichen Literaten und zogen alle jun- 25 gen Talente an sich. Ihre Dichter sind Anast[asius] Grün und Karl Beck ; ihre Kritiker vor allen Gutzkow, Kühne, Laube, und unter den jüngeren Ludwig Wihl, Levin Schücking etc. ; dazu versuchen sie sich im Roman, Drama etc. In der neuesten Zeit ist zwar Streit ausgebrochen zwischen Gutzkow und Mundt nebst Kühne und 30 Laube; sie haben beide Anhänger, Gutzkow die jüngeren, Wihl, Schücking etc., Mundt von den jüngeren nur ein paar; Beurmann hält sich ziemlich neutral, so der junge, sehr talentvolle Dingel¬ stedt, neigen aber sehr zu Gutzkow hin. Mundt hat durch den Streit allen seinen Kredit verloren; der des Kühne ist bedeutend gesun- 35 ken, weil er so gemein ist, alles, was Gutzkow schreibt, herunter¬ zumachen ; Gutzkow dagegen nimmt sich sehr nobel und hält sich meist nur über die große Liebe zwischen Mundt und Kühne, die sich gegenseitig loben, auf. Daß Gtutzkow] ein ganz ausgezeichnet ehrenwerter Kerl ist, beweist sein letzter Aufsatz im Jahrbuch der 40 Literatur. — Außer dem jungen Deutschland haben wir nur wenig Aktives. Die schwäbische Schule war schon seit 1820 nur passiv; die Östreicher — Zedlitz und Grillparzer interessieren wenig, weil sie so fremdartig dichten (Z[edlitz] spanisch, Gr[illparzer] antik), 45 unter den Lyrikern ist Lenau schon hinneigend zum jungen
504 Briefe an die Brüder Graeber 1839 April 8—9 Deutschland] trotz seiner kirchlichen Stoffe, Frankl ein gemüt¬ licher Uhland en miniature, K. E. Ebert ist ganz verböhmt; die Sachsen — Hell, Heller, Herloßsohn, Morvell, Wachsmann, Tromlitz — ach du mein Gott, da fehlt der Witz; die Marteauer und Berliner (wozu Du nicht gehörst) sind niederträchtig, die 5 Rheinländer — Lewald ist bei weitem der beste der Unterhal¬ tungsschriftsteller; seine Europa läßt sich lesen, aber die Rezen¬ sionen drin sind gräßlich — Hub, Schnetzler und Konsorten nicht viel wert, Freiligrath wendet sich noch einmal dem jungen Deutschland zu, das sollst Du sehen, Duller auch, wenn er nicht io vorher schon verkommt, und Rückert, der steht wie der alte Vater da und breitet seine Hände segnend über alle. Den 9. April. Das ist dieser rührende Aufsatz. Was soll ich armer Teufel nun anfangen? Für meinen eignen Kopf fortochsen? Hab keine Lust. Loyal werden? Pfui Teufel! Mich an die säch- is sische Mittelmäßigkeit halten — ugittugitt (o Gott o Gott, hiesiger Ausruf des Ekels). Also ich muß ein junger Deutscher werden, oder vielmehr ich bin es schon mit Leib und Seele. Ich kann des Nachts nicht schlafen vor lauter Ideen des Jahrhunderts; wenn ich an der Post stehe und auf das preußische Wappen blicke, packt 20 mich der Geist der Freiheit; jedesmal wenn ich in ein Journal sehe, spüre ich nach Fortschreiten der Freiheit; in meine Poemata schleichen sie sich und verspotten die Obskuranten in Mönchs- kapuze und im Hermelin. Aber von ihren Floskeln: Weltschmerz, welthistorisch, Schmerz des Judentums etc. halte ich mich fern, 25 denn die sind jetzt schon veraltet. Und das sage ich Dir, Fritz, so Du einmal Pastor wirst, Du magst so orthodox werden, wie Du willst, aber wirst Du mir ein Pietist, der aufs junge Deutschland schimpft, die Evangelische Kirchenzeitung zum Orakel nimmt, wahrlich, ich sage Dir, Du hast’s mit mir zu tun. Du mußt Pastor 30 werden zu Gemarke und den verdammten, schwindsüchtigen, ofenhöckerigen Pietismus wegjagen, den der Krummacher zur Blüte gebracht hat. Da werden sie Dich freilich einen Ketzer schel¬ ten, aber laß mal einen kommen und Dir aus Bibel oder Vernunft beweisen, daß Du Unrecht hast. Der Blank ist indessen ein ver- 35 ruchter Rationalist, schmeißt das ganze Christentum über den Haufen, was soll daraus werden? Na, ein Pietist bin ich nie ge¬ wesen, ein Mystiker eine Zeitlang, aber das sind tempi passati; jetzt bin ich ein ehrlicher, gegen andre sehr liberaler Supematura- list. Wie lange ich das bleibe, weiß ich nicht, doch hoffe ich es zu 40 bleiben, wenn auch bald mehr, bald weniger zum Rationalismus hinneigend. Das muß sich alles entscheiden. Adios, Friderice, schreib rascher und viel. Do hêst de mî dubbelt. Tuus Friedrich Engels. Friedrich Engels. 45
1839 April ca. 23—Mai 1 Briefe an die Brüder Graeber 505 Engels an Friedrich Graeber; [Bremen 1839 April ca. 23]—Mai 1 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Fritz Graeber. Ich beschäftige mich jetzt sehr mit Philo- 5 sophie und kritischer Theologie. Wenn man 18 Jahr alt wird, Strauß, die Rationalisten und die Kirchenzeitung kennen lernt, so muß man entweder alles ohne Gedanken lesen oder anfangen, an seinem Wuppertaler Glauben zu zweifeln. Ich begreife nicht, wie die orthodoxen Prediger so orthodox sein können, da sich doch 10 offenbare Widersprüche in der Bibel finden. Wie kann man die beiden Genealogien Josephs, des Mannes der Maria, die verschie¬ denen Angaben bei der Einsetzung des Abendmahls (dies ist mein Blut, dies ist das neue Testament in meinem Blut), bei den Be¬ sessenen (der erste erzählt, der Dämon fuhr bloß aus, der zweite, is er fuhr in die Säue), die Angabe, Jesu Mutter sei ausgezogen, ihren Sohn zu suchen, den sie für wahnsinnig hielt, obwohl sie ihn wunderbar empfangen etc., mit der Treue, der wörtlichen Treue der Evangelisten reimen? Und nun die Abweichung beim Unser Vater, in der Reihenfolge der Wunder, die eigentümlich tiefe Auf- 20 fassung des Johannes, wodurch aber die Form der Erzählung offenbar getrübt wird, wie da? Christi ipsissima verba, worauf die Orthodoxen pochen, lauten in jedem Evangelium anders. Vom alten Testament gar nicht zu reden. Aber in dem lieben Barmen wird einem das nicht gesagt, da wird man nach ganz andern Grund- 25 sätzen unterrichtet. Und worauf gründet sich die alte Orthodoxie? Auf nichts, als auf — den Schlendrian. Wo fordert die Bibel wört¬ lichen Glauben an ihre Lehre, an ihre Berichte? Wo sagt ein Apostel, daß alles was er erzählt, unmittelbare Inspiration ist? Das ist kein Gefangennehmen der Vernunft unter den Gehorsam so Christi, was die Orthodoxen sagen, nein, das ist ein Töten des Göttlichen im Menschen, um es durch den toten Buchstaben zu er¬ setzen. Darum bin ich noch ein ebenso guter Supranaturalist wie vorher, aber das Orthodoxe habe ich abgelegt. So kann ich nun und nimmer glauben, daß ein Rationalist, der von ganzem Herzen 35 das Gute so viel wie möglich zu tim sucht, ewig verdammt werden soll. Das widerspricht auch der Bibel selbst. Denn es steht ge¬ schrieben, daß um der Erbsünde willen keiner verdammt ist, son¬ dern um seiner eignen Sünde willen; wenn nun einer der Erbsünde aus aller Kraft widersteht und tut, was er kann, so sind doch seine io wirklichen Sünden nur notwendige Folge der Erbsünde, also kön¬ nen ihn die nicht verdammen. — Den 24. April. Ha, ha, ha! Weißt Du, wer den Aufsatz im Tele¬ graphen gemacht hat? Schreiber dieses ist der Verfasser, aber ich rate Dir, nichts davon zu sagen, ich käme in höllische Schwuli¬
506 Briefe an die Brüder Graeber 1839 April ca. 23—Mai 1 täten. Kohl, Ball und Hermann kenne ich fast nur aus Rezensionen W. Blanks und Strückers, die ich fast wörtlich abgeschrieben habe; daß Kohl aber kohlt und Hermann ein schwachmatischer Pietist ist, weiß ich aus eigner Anhörung. Der D. ist der Kontor- jüngling D ü r h o 11 bei Wittensteins in Unterbarmen. Übrigens tu 5 ich mir was drauf zu gut, daß ich darin nichts gesagt habe, was ich nicht beweisen kann. Eins nur ärgert mich : daß ich den Stier nicht bedeutend genug dargestellt, er ist als Theologe nicht zu ver¬ achten. Bewunderst Du aber nicht meine Kenntnis der Charaktere, besonders Krummachers, Dörings (was über dessen Predigt ge- 10 sagt, hat mir P. Jonghaus erzählt), und der Literatur? Die Be¬ merkungen über Freiligrath müssen wohl gut sein, sonst hätte sie Gutzkow gestrichen. Der Stil ist übrigens hundeschlecht. — Der Aufsatz scheint übrigens Sensation gemacht zu haben — ich ver¬ pflichte Euch fünf auf Euer Ehrenwort, niemanden zu sagen, daß 15 ich der Verfasser bin. Kapiert? Was das Schimpfen betrifft, so habe ich das meistens auf Dich und Wilhelm gehäuft, weil ich die Briefe an Euch grade vor mir liegen hatte, als mich die Lust zu schimpfen überkam. Besonders soll F. Plümacher nicht erfah¬ ren, daß ich den Aufsatz gemacht habe. Was der Ball übrigens 20 für ein Kerl ist! Karfreitag soll er predigen, hat keine Lust zu studieren und lernt deshalb eine Predigt auswendig, die er im Menschenfreund findet, und hält sie. Krummacher ist in der Kirche, ihm kommt die Predigt bekannt vor, und endlich fällt ihm ein, daß er selbst die Predigt Karfreitag 1832 gehalten hat. Andre 25 Leute, die die Predigt gelesen haben, erkennen sie auch, Ball wird zur Rede gestellt und muß bekennen. Signum est, Ballum non tantum abhorrere a Kr[ummachero], ut Tu quidem dixisti. Für die ausführliche Rezension des Faust bin ich Dir sehr verbunden. Die Bearbeitung des Stücks ist wohl die elende Raupachsche, dieser 30 Hundsfott mischt sich in alles und verdirbt nicht nur den Schiller, indem er dessen Bilder und Gedanken in seinen Tragödien ab¬ drischt, sondern auch den Goethe dadurch, daß er ihn malträtiert. Daß meine Poemata einen reißenden Abgang haben werden, ist zu bezweifeln, aber daß sie einen scheißenden Abgang haben wer- 35 den, ist eher möglich, denn sie gehen in Makulatur und Arsch¬ wische über. Dein Rotgeschriebenes konnte ich nicht lesen, werde also weder 5 Sgr. noch Zigarren schicken. Du wirst dieses Mal ent¬ weder die Canzone oder ein Stück der begonnenen, aber unvoll¬ endeten Komödie bekommen. Jetzt muß ich gleich in die Sing- 40 stunde gehen, adieu. Den 27. April.
1839 April ca. 23—Mai 1 Briefe an die Brüder Graeber 507 Fragmente einer Tragikomödie: Der gehörnte Siegfried. I. Palast des Königs Sieghard. ô Ratsversammlung. Sieghard: So seid ihr Treuen versammelt wieder, Als Unsres Reiches starke Glieder Um Unsern hohen Königsthron. 10 Ihr alle — doch es fehlt Unser Sohn! Der streift wohl wieder fern im Wald, Wird nie verständig, ist schon so alt, Statt hier in Unsrem Rat zu sitzen, Wo Wir vom Morgen zum Abend schwitzen, is Statt hier der Greise Wort zu hören, Soll ihn der Vögel Geschrei belehren; Statt hier der Weisheit nachzujagen, Will er sich mit den Bären schlagen; Und spricht er mit Unsrer Majestät, 20 Verlangt er Krieg nur früh und spät. Wir hätten ihm längst schon nachgegeben, Härt’ Uns Gott in seiner Weisheit eben Nicht solche Erkenntnis zugeteilt, Daß Unser Verstand sich nicht übereilt. 25 Wie sollte ganz verderben das Land, Hätte seinen Willen solch ein Fant! Ein Rat: Eure Majestät spricht, wie immerdar, Gar weise und trifft die Sach’ aufs Haar. 30 Jedennoch, mit meines Königs Urlaub, Sag ich, was ich in meiner Einfalt glaub. Des Menschen Weis’ ist mannigfalt. Der Knab’ ist achtzehn Jahr erst alt, Ihm steht der Sinn nach Jagd und Streit, 35 Die Weisheit kommt auch mit der Zeit. Denn Jugendmut rennt frei hinaus, Die Weisheit bleibet still zu Haus; Der Jugendmut wird endlich zahm, Und seine stolze Kraft wird lahm, 40 Dann kehrt zur Weisheit er zurück, Und find’t daheim bei ihr sein Glück.
508 Briefe an die Brüder Graeber 1839 April ca. 23—Mai 1 Drum laßt den Jungen bald ausreiten, Mit Drachen und mit Riesen streiten; Gar rasch ereilt ihn das Alter doch, Das und das Leben, diese lehren Ihm beide wohl die Weisheit noch, 6 Dann wird er gern ihren Worten hören. Siegfried (tritt ein): 0 Wald, muß ich dich lassen Mit deinen Bäumen frisch? In dir ist besser prassen, ja Als an des Königs Tisch; Wo wohnt das Wild mit Freuden, Als in dem Waldestal? Das grüne Laubdach neiden Die goldnen Hall’n zumal. 15 Ich seh’s, Herr Vater, Ihr wollt schelten, Daß ich so lang umhergeschweift; Muß ich es immer denn entgelten, Wenn mir zu schnell der Eber läuft? Nicht jagen soll ich, auch nicht streiten, 20 So gebt ein Roß mir und ein Schwert; Dann mag ich in die Fremde reiten, Wie ich’s so oft von Euch begehrt! Sieghard: Steht dir der Sinn noch stets danach? 25 Wann willst du endlich weise werden? So lang dein Übermut so jach, Wirst du dich nimmer klug gebärden. Und weil es doch das beste Mittel, Den Willen dir zu geben frei, 30 So geh, ein derber Riesenknittel Weckt dich schon aus der Träumerei. Nimm Schwert und Roß dir, zieh hinaus, Kehr bald und klüger in Unser Haus. Siegfried: 35 Habt ihr’s gehört? Ein Schwert, ein Roß! Was frag’ ich da nach Helm und Brünne? Was frag’ ich nach der Knappen Troß? Allein mit meinem kühnen Sinne! Der wilde Bergstrom gießt sich brausend 40 Allein durch Waldesschlucht voran, Die Fichten stürzen vor ihm sausend,
1839 April ca. 23—Mai 1 Briefe an die Brüder Graeber 509 So wühlt er selbst sich eine Bahn, Und wie der Bergstrom will ich sein, Die Bahn mir brechend ganz allein. Rat: 5 Nicht gräm’ sich drob Eu’r Majestät, Wenn der junge Held von hinnen geht; Der Bergstrom auch kommt einst zu Tal, Dann kracht nicht mehr der Bäume Fall, Dann fließt er durch die Eb’ne still, 10 Macht fruchtbar rings die Lande, Der Wellen Wüten wird ein Spiel, Endlich verrinnend im Sande. Siegf r ied: Was soll ich länger weilen is Hier in dem alten Schloß? Da hängt ein Schwert am Pfeiler, Und draußen wiehert ein Roß ; Komm her von deiner Säule, Du altes, blankes Schwert, 2o Daß ich von hinnen eile — Leb wohl, mein Vater wert! (Ab.) II. Schmiede im Wald. Siegfried tritt ein. 25 Der Meister tritt ein. Meister: Ihr seid hier in der großen Schmiede, Wo man die schönen Novellen macht, Die in Almanachen, samt manchem Liede 3o Entfalten ihre hehre Pracht. Journale werden hier gehämmert, Kritik und Poesie vereinend, Vom Morgen, bis der Abend dämmert, Seht Ihr die Glut der Esse scheinend. 3s Doch geht — genießt erst Speis und Wein — Lehrbursch, führ den Herm da hinein. (Siegfried mit dem Lehrburschen ab.)
510 Briefe an die Brüder Graeber 1839 April ca. 23—Mai 1 Meister: Wohlan zur Arbeit, ihr Gesellen, Ich steh’ euch wirkend stets zur Seite; Schlagt auf dem Amboß die Novellen, Daß sie recht gehen in die Breite! 5 Durchglüht die Lieder in der Essen, Daß sie das Feu’r recht in sich fressen; Werft alles dann auf einen Kloß, Des Publikums Magen ist gar groß. Und habt ihr nicht des Eisens genug, 10 Dafür weiß Rat der Meister klug; Drei Helden von Scott, drei Frau’n von Goethen, Ein Ritter von Fouqué, grimm und stählern, Mehr sind wahrhaftig nicht von Nöten Zu den Novellen von zwölf Erzählern! 15 Für Lieder sind Uhlands Poesien Ein ganzes Floskelmagazin. Drum schwingt den Hammer mit aller Kraft, Der beste ist, wer das meiste schafft! Siegfried (kommt wieder): 20 Dank Meister, für den guten Wein, Ich trank zwölf Maß davon hinein. Meister: (Verfluchter Kerl!) Mich freut es sehr, Daß Euch mein Rheinwein hat gefallen; 25 Beliebt’s Euch nun, so tretet her, Ich mach’ Euch bekannt mit den Arbeitern allen. Hier dieser ist der allerbeste, Macht liederliche und ehrenfeste Erzählungen, wie ich’s verlange, 30 Läßt sich loben vom großen Wolfgange Menzel, der in Stuttgart sitzt, Sein Name ist: Herr von Tromlitz. Der andre hier ist fast so gut, Ist auch von adeligem Blut, 35 Das ist von Wachsmann das große C, Einen beßren ich hier nirgends seh; Kein Almanach kann existieren, In dem man ihn nicht tut verspüren, Der wirft Novellen zu Dutzenden 40 Ins Angesicht dem Publikum dem stutzenden, Arbeitet im Schweiß seines Angesichts, Und was am meisten sagen will,
1839 April ca. 23—Mai 1 Briefe an die Brüder Graeber 511 Für Poesie tat er noch nichts. Für Geschmacksentnervung unendlich viel. Denn Geschmack, vor dem bin ich sehr bang, Nur der bringt uns den Untergang. 5 Da ist ein dritter, Robert Heller, Sein Stil ist poliert, wie ein zinnerner Teller, Für Silber hält’s das Publikum, Wir lassen es gerne also dumm. Zwar macht er nicht so viel wie die beiden 10 Und hascht auch wohl nach Charakteristik, Doch hat er jetzt — er kann sie nicht leiden, Aufs Maul gegeben eins der Mystik. Ihr wißt, die vier Evangelisten Waren nur dumme Pietisten, 15 Die hat er ein wenig vorgenommen, Sie entkleidet des Ehrwürd’gen und Frommen, Präpariert zum Teetischgenuß — Lest seine Schwestern des Lazarus. Auch weiß er gar anmutig zu kosen, 20 Mehr findet Ihr in seinen Klatschrosen. Hier ist die unterhaltende Gelehrsamkeit: der haarspaltende Friedrich Nork, der größte Poet, Der je gelebt, seit die Welt steht. 25 Der dichtet und lügt die schönsten Sachen, Beweist Euch aus des Orients Sprachen, Daß Ihr ein Esel, Elias die Sonne, Denn der Orient ist aller Sprachen Bronne. Doch Verstand — den findet bei ihm Ihr nie, 30 Noch tüchtiges Wissen und Etymologie. Hier ist der wackre Herloßsohn, Der wohl verdiente einen Thron, Ein Novellist und Lyriker, Des Unsinns Panegyriker, 35 Besonders seinen Kometenstem Lesen die Dummen gar zu gern. Jetzt kommen, unter Winklers Leitung, Die Herren von der Abendzeitung; Thuringus, Faber, von Großcreutz, 40 Schon in den Namen welch ein Reiz! Doch was soll ich sie alle loben? Das Publikum, welches etwas verschroben, Hat sie schon längst in den Himmel geschoben, Bis zu den Sternen sie erhoben.
512 Briefe an die Brüder Graeber 1839 April ca. 23—Mai 1 Noch einige sind grade abwesend, Im Walde dürres Brennholz lesend; Vom Lehrlingsschwarm gar nichts zu sagen, Die noch zu schwach auf den Amboß schlagen, Doch, hoff’ ich, werden alle gut, * Haben sie nur einen Tropfen Novellistenblut. Siegf ried: Doch sagt mir, Meister, wie Ihr nur heißt? Meister: Ich fühl den sächsischen Literaturgeist io Verkörpert in meiner Wenigkeit. Doch wollt Ihr sehn, was ich vermag, Seht meiner Arme Sehnigkeit, Und meinen kräftigen Hammerschlag. Ich glaub’, Ihr hämmert auch nicht schlecht; 15 Wollt Ihr beitreten meinen Gesellen? Siegfried: Topp, Meister, ’s wär mir eben recht, Dien Euch wie ein andrer Schmiedeknecht. Meister: 20 Ich geb Euch zur Lehr bei Theodor Hellen. Hämmer zur Probe die zwei Novellen. Siegfried: Ha, wenn mit meinen Fäusten Die Eichen ich zerbrach, 25 Und wenn vor meinem dreisten Angriff der Bär erlag, Könnt ich zur Erde ringen Den Stier in seiner Brunst, Wie sollt’ ich den Hammer nicht schwingen 30 Zur edlen Schmiedekunst? Lehrlingswerk will ich treiben Nicht einen Augenblick; Gesell will ich nicht bleiben, Hier ist mein Meisterstück! 35 Gebt mir die Eisenstangen, Ein Hieb — sie sind entzwei! Zu Staub sie all’ zersprangen, Das Schmieden ist vorbei!
1839 April ca. 23—Mai 1 Briefe an die Brüder Graeber 513 5 10 15 20 25 30 Theodor Hell: Gemach! gemach, was soll das heißen? Gleich schlag ich Euch, wie Ihr das Eisen! Siegfried: Was hast du noch zu schwatzen? Was tust du so entrüstet? Da liegst du schon am Boden, Steh auf, wenn’s dich gelüstet! Theodor Hell: Ach Hülfe, Hülfe! Meister: Junger Gesell, Was schlagt Ihr mir die andern Knechte? Marsch, schert Euch flugs mir von der Stell’, Sonst zieh ich Euch über die Ohren das Fell! Siegfried: Du wärst mir dazu wahrlich der Rechte! (Wirft ihn nieder.) Meister: 0 weh, o weh! etc. Siegfried wird in den Wald geschickt, erschlägt den Drachen und, zurückgekehrt, den Meister, jagt die Gesellen auseinander und geht weg. — III. Im Walde. Siegfried: Jetzt hör ich wieder, wie in den Hagen Zwei Männer auf einander schlagen. Da kommen sie her — ’s ist wahrlich zum Lachen, Da wird keiner den andern verstummen machen! Dachte, es kämen zwei Riesen mit Kraft, Die stärksten Fichten ihr Lanzenschaft, Da kommen zwei dürre Professoren, Werfen sich Bücher an die Ohren. 36 (Leo und Michelet kommen.) Marx-Engels-Gesamtausgabc, I. Abt., Bd. 2. 33
514 Briefe an die Brüder Graeber 1839 April ca. 23—Mai 1 Leo: Komm an, du Hund von Hegeling! Michelet: Pietist, bist mir wahrlich zu gering! Leo: 6 Da hast du die Bibel an den Kopf! Michelet: Und du den Hegel, verhallerter Tropf! Leo: Ich werf dir den Hegel, du Läst’rer, zurück! 10 Michelet: Und ich dir die Bibel ins Genick! Leo: Was willst du noch? Du bist ja längst tot? Michelet: 15 Das bist du, burschikoser Zelot! Siegfried: Was ist von eurem Streit der Grund? Leo: Der Hegeling, der lästerliche Mund, 20 Will die Bibel in Verachtung bringen, Da muß man wohl auf ihn eindringen! Michelet: Das lügt der ungehobelte Flegel, Er will nicht respektieren den Hegel! 20 Siegfried: Aber ihr warft euch ja gegenseitig Mit den Büchern, um die ihr streitig? Leo: ’S ist einerlei, er ist kein Christ. 30 Michelet: So gut und besser, wie du einer bist. Er schwatzt von Dingen, die er nicht versteht.
1839 April ca. 23—Mai 1 Briefe an die Brüder Graeber 515 6 10 15 20 25 30 35 Siegfried: Was wollt ihr denn? Eurer Wege geht! Wer hat den Streit denn angefangen? Leo: Das tat ich, ich rühm es ohne Bangen. Ich habe für Gott und mit Gott gestritten. Siegfried: Da hast du auf lahmem Pferde geritten. Der wird das Christentum nicht töten, Du wirst es nicht retten aus den Nöten, Laß ihn doch auf seine Art gewähren, Steht es dir doch frei, was andres zu lehren! Und laß nicht unsern Herrgott entgelten Dein blindes Toben, dein tolles Schelten! Nun geh du hierhin, du dahin, Und schlagt euch das Streiten aus dem Sinn! (Leo und Mtichelet] zu verschiedenen Seiten ab.) Siegfried: Solche Wut hab’ ich nie gesehn, Und sind doch friedliche, gelehrte Männer, Wie sie so toll aufeinander gehn, Der edlen Wissenschaften Kenner! — Jetzt aber plagt mich der Hunger wieder, Ich will drum gehn ins Tal hernieder, Ob ich wohl find’ ein Haus oder Schloß, Wo ich labe meine Glieder, Sonst schafft mir Beute wohl mein Geschoß. — So weit. Die Stücke der Handlung habe ich ausgelassen, bloß die Einleitung und die Satirika abgeschrieben. Dies ist das letzte, jetzt sollte der König von Bayern hergenommen werden, aber da stockt’s. Die Abrundung und Verwicklung fehlt dem Ding. — Bitte Wurm, die Gedichte an den Musenalmanach zu besorgen, ich muß jetzt schließen, die Post geht ab. Dein den 1. Mai 39. Friedr. Engels.
516 Briefe an die Brüder Graeber 1839 April 27—30 Engels an Wilhelm Graeber; [Bremen 1839 April 27—30] Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Guglielmo carissimo! aov &uaTÖÄT]v evQrjxa èv roïç rœv ézéQcov, nal yôv pÀv è/iol tô avrov Qfj/aa. To ôè ôiHaazTjQiov twv névxE 5 axovôtœaœv, nal aix&v hqIolv ov Ôvva/biat yivœaHEtv % av&EvxtHTjv ?J Ho/anExévxrjv. — ’Eoxlv yàq %aQtç vn èpov, eI ôcôoj^l notruiaxa èv xaiç eIç v^àç èmaxofauç. Daß Du St. Hanor, Florida und Sturm nicht kritisieren willst, verdient wieder keinen Vers; die Behauptung debilitatis ingenii 10 abhorret ab usata tua veriloquentia. Meam quidem mentem ad juvenilem germaniam se inclinare, haud nocebit libertati; haec enim classis scriptorum non est, ut schola romantica, demagogia, et cett, societas clausa, sed ideas saeculi nostri, emancipationem judaeorum servorumque, constitutionalismum generalem aliasque is bonas ideas in succum et sanguinem populi Teutonici intrare vo- lunt tentantque. Quae quum ideae haud procul sint a directione animi mei, cur me separare? Non enim est, quod tu dicis: sich einer Richtung übergeben, sed: sich anschließen; sequitur a con¬ tinuation in my room, and, in writing a polyglottic letter, I will 20 take now the English language, ma no, il mio bello Italiano, dolce e soave, corne il zefiro, con parole, somiglianti alle flori del più bel giardino, y el Espanol, lingua como elviento en los ârboles, e o Portuguez, como as olas da mar em riba de flores e prados, et le Français, comme le murmure vite d’un font, très amusant, en de 25 hollandsche taal, gelijk den damp uijt eener pijp Tobak, zeer ge- moedlijk: aber unser liebes Deutsch — das ist alles zusammen:^ Gleich den Wogen, den langen, des Meers, ist die Zunge Homeros, Äschylos schleudert ins Tal ein Felsstück rasch nach dem andern, Romas Sprache — so spricht zu dem Heer der gewaltige Cäsar, 30 Greift in die Fülle der Worte — sie liegen, wie rohes Gesteine, Scharf und kantig — daraus ersteht cyklopisches Bauwerk, Aber die jüngere Zunge der Italer, lieblich und milde, Stellet den Dichter inmitten des holdesten Gartens der Erde, Draus ein Füllhorn pflückte Petrark, Ariost sich den Kranz wand, 35 Doch Hispaniens Sprache — o horch, wie im laubigen Wipfel Herrscht der gewaltige Hauch, und gewalt’ge, erhabene Lieder Alter Zeit draus rauschen hervor, und die Trauben des Weinstocks, Der am Stamme hinauf sich wand, sich schaukeln im Laube! Portugals Zunge — das Rauschen des Meers am Blumengestade, 40 Wo in dem Schilf auf seufzt Syrinx beim Hauche des Zephyrs; 1) Alle Eigentümlichkeiten im vorhergehenden nach dem Original
1839 April 27—30 Briefe an die Brüder Graeber 517 Und die Zunge der Franken, sie gleitet, ein üppiges Bächlein, Munter dahin, und rundet der Sandstein, der eigensinn’ge, Bald sich im plätschernden Flusse der nimmer beruhigten Wellen. Englands Sprache, ein längst verwittertes, rasenbehangnes * Denkmal riesiger Hünen, doch wuchs das Gestrüppe darüber, Sausend und heulend umweht es der Sturm, und möchte es fällen. Aber die Sprache Germaniens — sie tönt, wie die donnernde Brandung An den gezackten Korallen — die tragen ein liebliches Eiland, w Dorthin schallet das Rauschen der langen Wellen Homeros, Dort erdonnem die riesigen Blöcke aus Äschylos Händen, Dort auch siehst du der Feldhermhand cyklopisches Bauwerk, Und den duftenden Garten der schönsten und edelsten Blumen, Mächtiges Rauschen erschallt dort laut aus waldigem Wipfel, is Syrinx tönet im Schilf, und die Bächlein runden den Sandstein, Dort auch steht manch’ Hünengebäu, umsaust von den Winden, Das ist Germaniens Zunge, die ewige, wunderumrankte. Diese Hexameter habe ich extempore hin [ge] schrieben, sie mögen Dir den Unsinn auf der vorigen Seite, aus dem sie hervor- 20 gegangen, etwas erträglich machen. Rezensiere sie aber als Ex¬ temporale. Den 29. April. Kontinuierlich Deinen Brief auf kon¬ sequente Weise fortsetzend, ist heute wunderschönes Wetter, so daß Ihr, posito caso aequalitatis temporalis, heute wahrscheinlich und von rechtswegen alle Kollegia schwänzt. Ich wollt’, ich wär 25 bei Euch. — Ich hab Euch wohl schon geschrieben, daß ich unter dem Namen Theodor Hildebrand am Bremer Stadtboten meinen Witz ausließ, nun habe ich ihm mit folgendem Briefe abgesagt: Stadtbote, hör’s, doch ärgre nicht Dich drüber, Wie ich zum Besten lange Dich gehabt; 30 Denn merke Dir’s, man spottet des, mein Lieber, Der immer sich erzeigt als übergeschnappt. Dein blauer Freudenhimmel wird stets trüber, Nun Du ein Vierteljahr herumgetrabt, Was Du zu sagen, Edler, Dich beflissen, 35 Das hast Du alles wiederkäuen müssen. Ich nahm stets aus Dir selber meine Themata, Du hast sie alle selbst mir präparieret, Aus Deinen Reden machte ich Poemata, Darin ich Dich, allein Dich persiflieret. <o Nimm Ihnen nur des Reims, der Metrik Schemata, So wird Dein Ebenbild Dir vorgeführet, Nun fluch, beliebt es Dir, vom Zorne wild entbrannt, Auf Deinen ganz ergebnen Theodor Hildebrand.
518 Briefe an die Brüder Graeber 1839 April 27—30 Du solltest auch anfangen, ein wenig zu schriftstellern, in Ver¬ sen oder Prosen, und alsdann an das Berliner Conversationsblatt, wenn es noch existiert, oder den Gesellschafter schicken. Später treibst Du’s stärker, machst Novellen, die Du erst in Journalen, dann allein drucken läßt, bekommst Ruf, wirst als geistreicher, 5 witziger Erzähler genannt. Ich sehe Euch noch einmal — der Heu¬ ser großer Komponist, Wurm schreibt tiefsinnige Untersuchungen über Goethe und die Zeitentwicklung, Fritz wird ein berühmter Prediger, Jonghaus macht religiöse Poemata, Du schreibst geist¬ volle Novellen und kritische Aufsätze, und ich — werde Stadtpoet io von Barmen, Leutnant Simons malträtierten (in Cleve) Anden¬ kens zu ersetzen. — Als fernere Poesie für Dich ist auch noch das Lied da auf dem Blatt für den Musenalmanach, welches ich keine Lust habe, noch einmal abzuschreiben. Vielleicht schreibe ich noch eins dazu. Heute (30. April) habe ich bei dem kostbaren Wetter k> von 7 bis halb 9 im Garten gesessen, geraucht und Lusiade gelesen, bis ich aufs Kontor mußte. Es liest sich nirgends so gut, als im Garten an einem klaren Frühlingsmorgen, die Pfeife im Munde, die Sonnenstrahlen auf dem Rücken. Heut mittag werde ich diese Bestrebungen mit dem altdeutschen Tristan und seiner süßen Re- 20 flexion über die Liebe fortsetzen, heut abend geh ich in den Rats¬ keller, wo unser Herr Pastor seinen von dem neuen Bürgermeister pflichtschuldigst erhaltenen Rheinwein zum besten gibt. Bei sol¬ chem ungeheuren Wetter habe ich immer eine unendliche Sehn¬ sucht nach dem Rhein und seinen Weinbergen; aber was ist da zu 25 machen? höchstens ein paar Verse. Ich wollte wohl wetten, daß der W. Blank Euch geschrieben hat, daß [ich] die Aufsätze im Telegraphen gemacht hätte, und Ihr darum so drauf geschimpft habt. Die Szene ist in Barmen, was es ist, kannst Du Dir denken. —
1839 Mai 24 — Juni 15 Briefe an die Brüder Graeber 519 Eben kriege ich einen W. Blanksbrief, worin er mir schreibt, daß der Aufsatz rasenden Rumor in Elberfeld mache; Dr. Runkel schimpft in der Elberfelder Zeitung darüber und wirft mir Un¬ wahrheiten vor; ich will ihm eine Andeutung zugehen lasssen, daß 5 er mir doch eine Unwahrheit nachweisen soll, was er nicht kann, da alles erwiesene Data sind, die ich von Augen- und Ohrenzeugen habe. Bitank] schickte mir das Blatt zu, das ich gleich mit der Bitte, meinen Namen ferner geheim zu halten, an Gutzkow spe¬ dierte. Krummacher hat neulich in seiner Predigt dargetan, daß 10 die Erde still steht und die Sonne sich um sie dreht, und das wagt der Kerl am 21. April 1839 in die Welt zu posaunen, und sagt doch, der Pietismus führe die Welt nicht zum Mittelalter zurück! Es ist schändlich! man sollte den Kerl chassieren, oder er wird noch einmal Papst werden, eh’ Du Dich versiehst, wo ihn aber das 15 saffrangelbe Donnerwetter zermalmen soll. Dios lo sabe, Gott weiß, was noch aus dem Wuppertale wird. Adios. Dein baldige Briefe erwartender oder wieder keine Poemata sendender Friedrich Engels. Engels an Wilhelm Graeber in Berlin; [Bre- men 1839] Mai 24— Juni 15 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen My dear William! Heute — der 24. Mai, und noch keine Zeile von Euch! Ihr qua¬ lifiziert Euch wieder zum Nicht-Gedichte-Empfangen. Ich be- 25 greife Euch nicht. Indes sollst Du Beiträge zur Literatur der Gegenwart haben. Gesammelte Werke von Ludwig Börne. 1. und 2. Band. Dramaturgische Blätter. — Börne, der riesige Kämpfer für Freiheit und Recht, zeigt sich hier auf ästhetischem Gebiete. so Und auch hier ist er zu Hause; was er sagt, ist so bestimmt und klar, so aus richtigem Gefühl für das Schöne hervorgegangen, und so einleuchtend bewiesen, daß von Widerspruch gar nicht die Rede sein kann. Darüber ist ein Meer des üppigsten Witzes ausge¬ gossen, und wie Felsen tauchen hier und da die festen, scharfen 35 Freiheitsgedanken auf. Die meisten dieser Kritiken (denn aus diesen besteht das Buch) sind gleichzeitig mit dem Erscheinen der Stücke geschrieben worden, also zu einer Zeit, wo das Urteil der Kritik darüber noch blind und schwankend umhertappte; Börne aber sah und durchdrang alles bis auf die innersten Fäden der 4o Handlung. Am ausgezeichnetsten sind die Kritiken über Schillers Teil — ein Aufsatz, der seit mehr denn zwanzig Jahren der ge-
520 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Mai 24 — Juni 15 wohnlichen Ansicht unwiderlegt entgegensteht, eben, weil er un¬ widerleglich ist. — Immermanns Cardenio und Hofer, Raupachs Isidor und Olga, Claurens Wollmarkt — woran sich andre Inter¬ essen knüpfen — Houwalds Leuchtturm und Bild, die er so ver¬ nichtet, daß nichts, gar nichts bleibt, und Shakespeares Hamlet. 5 Überall ist es der große Mann, der einen Streit von noch unabseh¬ baren Folgen hervorrief, und schon diese beiden Bände würden Börne einen Platz neben Lessing sichern ; aber er ward ein Lessing auf andrem Gebiete, möge ihm in Karl Beck der Goethe folgen! Nächte. Gepanzerte Lieder von Karl Beck. io „Ein Sultan bin ich, wild und sturmbewegt, „Mein Heer — des Lieds gepanzerte Gestalten; „Um meine Stirne hat der Gram gelegt „Den Turban in geheimnisreichen Falten.“ Wenn solche Bilder schon in der zweiten Strophe eines Prologs 15 vorkommen, wie wird dann erst das Buch selbst sein? Wenn ein Jüngling von zwanzig Jahren solche Gedanken hegt, wie wird erst der reife Mann singen? — Karl Beck ist ein Dichtertalent, wie seit Schiller keines aufgestanden ist. Ich finde eine auffallende Ver¬ wandtschaft zwischen Schillers Räubern und Becks Nächten, der- 20 selbe freiheitglühende Geist, dieselbe ungebändigte Phantasie, derselbe jugendliche Übermut, dieselben Fehler. Schiller strebte nach Freiheit in den Räubern, sie waren eine ernste Mahnung an seine servile Zeit; aber damals konnte sich solch ein Streben noch nicht bestimmt gestalten; jetzt haben wir im jungen Deutschland 25 eine bestimmte, systematische Richtung — Karl Beck tritt auf und ruft seiner Zeit laut zu, diese Richtung zu erkennen und sich ihr anzuschließen. Benedictus, qui venit in nomine Domini! Der fahrende Poet. Dichtungen von Karl Beck. Der junge Dichter legt, kaum nach dem ersten, schon ein zweites 30 Werk vor, das dem ersten an Kraft, Fülle der Gedanken, lyrischem Schwung und Tiefe nicht im mindesten nachsteht, an gediegener Form und Klassizität aber unendlich weit darüber hinausreicht. Welch ein Fortschritt, von der „Schöpfung“ in den Nächten zu den1) Sonetten über Schiller und Goethe im fahrenden Poeten! 35 Gutzkow meint, die Sonettform sei dem Effekt des Ganzen schäd¬ lich, ich aber möchte behaupten, daß dieses Shakespearesche So¬ nett grade die für dies eigentümliche Gedicht passende Mitte zwi¬ schen der epischen Strophe und dem einzelnen Gedicht hält. Es ist ja kein episches Gedicht, es ist rein lyrisch, an losem epischen Im Orig, irrtümlich dem
1839 Mai 24—Juni 15 Briefe an die Brüder Graeber 521 Faden gereiht, noch loser als Byrons Childe Harold. Aber wohl uns Deutschen, daß Karl Beck geboren wurde. Blasedow und seine Söhne. Komischer Roman von Karl Gutzkow. 1. Band. Diesem dreibändigen Roman 5 liegt die Idee eines modernen Don Quichotte zugrunde, eine zwar schon mehrfach benutzte, doch meist schlecht bearbeitete, ge¬ schweige erschöpfte Idee. Der Charakter dieses modernen Don Quichotte (Blasedows, eines Landpfarrers), wie er Gutzkow an¬ fänglich vorschwebte, war vortrefflich, in der Ausführung da- gegen ist wohl einzelnes verfehlt. Wenigstens hinter Cervantes’ Darstellung, die freilich auch das Werk eines reifen Mannes ist, bleibt dieser Roman des kaum dreißigjährigen Gutzkow (der ohnedies schon seit drei Jahren vollendet sein soll) sehr zurück. Dagegen sind die Nebencharaktere — Tobianus scheint Sancho ™ Pansa zu entsprechen —, die Situationen und die Sprache ausge¬ zeichnet. — So weit mit meinen Rezensionen, jetzt werde ich fortfahren, wenn Du geschrieben hast. — Weißt Du, wann Eure Briefe ange¬ kommen sind? Den — fünfzehnten Juni! Und die letzten kamen 2o am fünfzehnten April an! Also grade zwei Monate! Ist das recht? Ich dekretiere hierdurch, daß bei Strafe des Nie-wieder-Gedichte- Erhaltens dem Wurm aller Einfluß auf die Absendung der Briefe entzogen werden soll. Und wenn in gehöriger Zeit Wurm seinen Brief noch nicht fertig hat, so laßt sie ohne seinen abgehen! Sind 25 14 Tage nicht genug, um zwei Quartseiten an mich zu schreiben? Es ist schändlich. Du schreibst auch wieder kein Datum dabei, das ist mir auch nicht recht. — Der Aufsatz im Tel[egraph] ist mein unbestreitbares Eigentum und hat W. Blank über die Maßen gefallen; in Barmen hat er auch bedeutenden Beifall erhalten und so ist außerdem im Nürnberger Athenäum rühmlichst zitiert worden. Einzelne Übertreibungen mögen drin sein, das Ganze aber gibt ein richtiges Bild von vernünftigem Standpunkt aus gesehen. Wenn man es freilich mit dem Vorurteil, es sei ein konfuses Machwerk, liest, muß es wohl so erscheinen. — Was Du von der Komödie 35 sagst, ist justum. Justus judex ultionis, Donum fac remissionis! Die Canzone ist von Euch nicht im mindesten berührt worden. Ist nachzuholen.
522 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Mai 24 — Juni 15 Was Leo und Michelet betrifft, so kenne ich die Sache frei¬ lich nur aus Leos Hegelingen und mehreren Gegenschrif¬ ten, ich habe daraus gelernt: 1. daß Leo, der nach seinen eignen Worten seit elf Jahren aller Philosophie entsagt und deshalb kein Urteil darüber hat, 2. daß er den Beruf dazu nur in seinem eignen überschwänglichen und renommistischen Hirn gefunden hat; 3. daß er Schlüsse, die durch die eigentümliche Hege Ische Dia¬ lektik notwendig aus allgemein angenommenen Prämissen hervor¬ gingen, angegriffen hat, statt die Dialektik anzugreifen, ohne wel¬ ches er diese Folgerungen stehen lassen mußte; 4. daß er die io Gegenschriften nur mit rohen Exklamationen, ja mit Schimpf¬ reden widerlegt hat; 5. daß er sich für weit über seine Gegner er¬ haben ansieht, groß tut und auf der nächsten Seite wieder mit der grenzenlosesten Demut kokettiert; 6.1} daß er nur vier angreift, während er dadurch die ganze Schule angriff, die sich von diesen^ nicht trennen läßt; denn mag Gans etc. auch im einzelnen sich von diesen geschieden haben, sie gehörten doch so innig zusammen, daß Leo am wenigsten kapabel war, die Differenzpunkte als wichtig zu beweisen. 7.^ ist es der Geist der Evangelischen] K[irchen]-Z[eitung], die Leo voranging, der in Leos ganzem 20 Libell herrscht; Schluß: Leo hätte besser das Maul gehalten. Was sind das für „bitterste Erfahrungen“ gewesen, die Leo zum Losbrechen zwangen? Hat er nicht schon in seiner Broschüre über G ö r r e s sie angefallen, und noch heftiger als in den Hege¬ lingen? Zu einem wissenschaftlichen Streit ist jeder berufen, 25 der die Kenntnisse dazu hat (ob Leo sie hatte?), aber wer ver¬ dammen will, der nehme sich in acht; und hat Leo das getan? Verdammt er mit Michelet nicht auch Marheineke, dem die Ev[an- gelische] K[irchen]-Z[eitung] wie einem, der unter ihre Polizei¬ aufsicht gestellt, auf jedem Schritt nachspürt, ob’s auch orthodox 30 ist? Bei konsequentem Schließen hätte Leo unendlich viele ver- Im Orig, irrtümlich 5 und 6
1839 Juni 15 Briefe an die Brüder Graeber 523 dämmen müssen, dazu hatte er aber keine Courage. Wer die Hegelsche Schule angreifen will, muß selbst ein Hegel sein, der an ihrerStelle eine neuePhilosophie schafft. UndLeo zumTrotz dehnt sie sich von Tage zu Tage mehr aus. Und der Angriff vom Hirsch- s berger Schubarth auf die politische Seite der Hegelschen, kommt er nicht wie ein Amen des Küsters zu dem pfaffenmäßigen Credo des Halleschen Löwen, welcher freilich das Katzengeschlecht nicht verleugnet? A propos, Leo ist der einzige akademische Lehrer in Deutschland, der die Adelsaristokratie eifrig verteidigt! Leo nennt n auch W. Menzel seinen Freund! ! ! Dein treuer Freund Friedrich Engels, junger Deutscher. Seid Ihr nicht mit Gans’ Leiche gewesen? Warum schreibt Ihr nichts von dem? Engels an Friedrich Graeber in Berlin; [Bremen 1839] Juni 15 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Den 15. Juni. Heute kommen Eure Briefe an. Ich dekretiere, daß Wurm nie mehr die Briefe wegschicken soll. Zur Hauptsache. 20 Was Du mir über Josephs Stammbäume sagst, so habe ich dies der Hauptsache nach schon gewußt und dagegen einzuwenden: 1. Wo ist in der Bibel in einem Geschlechtsregister der Schwiegersohn auch unter ähnlichen Umständen Sohn genannt worden? Ohne solch ein Beispiel kann ich dies nur als eine ge- 25 zwungene, unnatürliche Erklärung ansehen. 2. Warum sagt Lukas, der für Griechen griechisch schrieb, für Griechen, die diese jüdische Sitte nicht kennen konnten, nicht aus¬ drücklich, daß dem so sei, wie Du sagst? 3. Was soll überhaupt ein Geschlechtsregister Josephs, das 30 ganz überflüssig ist, da alle drei synoptischen Evangelien aus¬ drücklich sagen, Joseph sei nicht Jesu Vater? — 4. Warum nimmt ein Mann wie Lavater nicht seine Zuflucht zu dieser Erklärung und läßt lieber den Widerspruch stehen? End¬ lich, warum sagt selbst Neander, der doch gelehrter ist, sogar als 35 Strauß, daß das ein unlösbarer Widerspruch sei, der dem griechi¬ schen Bearbeiter des hebräischen Matthäus zur Last zu legen sei? Ferner lasse ich mich mit meinen übrigen Sachen, die Du „elende Wortklaubereien“ nennst, nicht so leicht abweisen. Die wörtliche Inspiration wird von den Wuppertalern in dem Grade io gelehrt, daß Gott sogar in jedes Wort einen besonders tiefen Sinn
524 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Juni 15 Fritz Graeber. Meine Herren, hier sehen Sie moderne Charak¬ tere und Zustände. gelegt haben soll, was ich oft genug von der Kanzel gehört habe. Daß Hengstenberg diese Ansicht nicht hat, glaube ich wohl, 5 denn aus der K[irchen]-Z Leitung] geht her¬ vor, daß er gar keine klaren Ansichten hat, sondern bald hier etwas einem Orthodoxen zugibt, was er bald darauf einem Rationa¬ listen wieder als Verbrechen vorhält. Aber 10 wie weit geht denn die Inspiration der Bi¬ bel? Doch wahrlich nicht so weit, daß der eine Christum sagen läßt: das ist mein Blut, und der andre: das ist das n[eue] T testa¬ ment] in meinem Blut? Denn warum ist 15 dann Gott, der den Streit zwischen Luth [e- rischen] und Ref [ormierten] doch vorhersah, diesem unseligen Streit nicht durch eine so unendlich geringfügige Einwirkung zuvorgekommen? Ist einmal Inspiration da, so gelten hier nur zwei Fälle: entweder Gott hat es absichtlich getan, um den 20 Streit hervorzurufen, was ich Gott nicht auf bürden mag, oder Gott hat es übersehen, was dito unstatthaft ist. Daß dieser Streit etwas Gutes hervorgerufen habe, läßt sich auch nicht behaupten, und daß er, nachdem er 300 Jahre die christliche Kirche zerrissen, in Zukunft noch Gutes wirken solle, wäre eine Annahme, die ohne 25 allen Grund und aller Wahrscheinlichkeit zuwider ist. Grade diese
1839 Juni 15 Briefe an die Brüder Graeber 525 Stelle beim Abendmahl ist wichtig. Und ist ein Widerspruch da, so ist der ganze Bibelglaube zerstört. Ich will Dir nur grade heraussagen, daß ich jetzt dahin ge¬ kommen bin, nur die Lehre für göttlich zu halten, die vor der Ver- 5 nunft bestehen kann. Wer gibt uns das Recht, der Bibel blindlings zu glauben? Nur die Autorität derer, die es vor uns getan haben. Ja, der Koran ist ein organischeres Produkt als die Bibel, denn er fordert Glauben an seinen ganzen, fortlaufenden Inhalt. Die Bibel aber besteht aus vielen Sttücken] vieler Verfasser, von 10 denen viele nicht einmal selbst Ansprüche auf Göttlichkeit machen. Und wir sollen sie, unsrer Vernunft zuwider, glauben, bloß weil unsre Eltern es uns sagen? Die Bibel lehrt ewige Verdamm¬ nis des Rationalisten. Kannst Du Dir denken, daß ein Mann, der sein Leben lang (Börne, Spinoza,Kant) nach der Vereinigung mit is Gott strebte, ja, daß einer wie Gutzkow, dessen höchstes Lebens¬ ziel ist, den Punkt aufzufinden, wo sich das positive Christentum und die Bildung unsrer Zeit verschwistert darstellen, daß der nach seinem Tode ewig, ewig von Gott entfernt sein sollte, und körper¬ lich und geistig den Zorn Gottes ohne Ende in den grausamsten 20 Qualen tragen? Wir sollen keine Fliege peinigen, die uns Zucker stiehlt, und Gott sollte einen solchen Mann, dessen Irrtümer ebenso unbewußt sind, zehntausendmal so grausam und in alle Ewigkeit peinigen? Ferner, ein Rationalist, der aufrichtig ist, sündigt der durch sein Zweifeln? Nimmermehr. Er müßte ja sein Lebenlang 25 die schrecklichsten Gewissensbisse haben ; das Christentum müßte, wenn er nach Wahrheit strebt, sich ihm mit unüberwindlicher Wahrheit aufdrängen. Geschieht das? Ferner, in welcher zwei¬ deutigen Position steht die Orthodoxie zur modernen Bildung? Man beruft sich drauf, daß das Christentum die Bildung überall 30 hin mitgebracht habe; jetzt plötzlich gebietet die Orthodoxie, die Bildung solle mitten in ihrem Fortschritt stehen bleiben. Was soll z. B. alle Philosophie, wenn wir der Bibel glauben, die die Un¬ erkennbarkeit Gottes durch die Vernunft lehrt? Und doch findet die Orthodoxie ein wenig, nur ja nicht zu viel, Philosophie ganz 35 zweckmäßig. Wenn die Geologie andre Resultate bringt als die mosaische Urgeschichte lehrt, wird sie verschrieen (siehe den elenden Aufsatz der Evangtelischen] K[irchen]-Z[eitung] : Die Grenzen der Naturbetrachtung), bringt sie scheinbar dieselben wie die Bibel, so beruft man sich darauf. Zum Beispiel sagt ein Geolog, 40 die Erde, die versteinerten Knochen bewiesen eine große Flut, so beruft man sich darauf ; entdeckt aber ein andrer Spuren eines ver¬ schiedenen Alters dieser Dinge und beweist, es habe diese Flut verschiedene Zeiten an verschiedenen Orten gehabt, so wird die Geologie verdammt. Ist das aufrichtig? Ferner: da ist Strauß’ 45 Leben Jesu, ein unwiderlegliches Werk, warum schreibt man nicht
526 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Juli 12—27 eine schlagende Widerlegung? warum verschreit man den wahr¬ haftig achtbaren Mann? Wie viele sind christlich, wie Neander, gegen ihn aufgetreten, und der — ist kein Orthodoxer. Ja, es gibt wahrhaftig Zweifel, schwere Zweifel, die ich nicht widerlegen kann. Ferner die Erlösungslehre: warum zieht man sich nicht die 5 Moral draus, wenn sich einer freiwillig für den andern stellt, den zu strafen? Ihr würdet es alle für Unrecht halten; was aber vor Menschen Unrecht ist, das soll vor Gott die höchste Gerechtigkeit sein? Ferner: Das Christentum sagt: Ich mache euch frei von der Sünde. Nun strebt dahin auch die übrige, rationalistische Welt; io da tritt das Christentum dazwischen und verbietet ihnen, fortzu¬ streben, weil der Weg der Rationalisten noch weiter vom Ziel ab¬ führe. Wenn das Christentum uns einen zeigte, den es in diesem Leben so frei gemacht hat, daß er nicht mehr sündigte, dann möchte es einiges Recht haben, so zu sprechen, aber eher wahrlich is nicht. Ferner: Paulus spricht von vernünftiger, lauterer Milch des Evangeliums. Ich begreife es nicht. Man sagt mir: Das ist die er¬ leuchtete Vernunft. Nun zeige man mir eine erleuchtete Vernunft, der das einleuchtet. Bisher ist mir noch keine vorgekommen, sogar den Engeln ist’s „ein hohes Geheimnis46. — Ich hoffe, Du denkst 20 zu gut von mir, dergleichen einer frevlerischen Zweifelsucht und Renommisterei zuzuschreiben; ich weiß, ich komme in die größten Unannehmlichkeiten dadurch, aber was sich mir überzeugend auf¬ dringt, kann ich, so gern ich’s möchte, nicht zurückdrängen. Habe ich durch meineheftigeSprachevielleichtDeinerÜberzeugungwehe 25 getan, so bitte ich Dich von Herzen um Verzeihung; ich sprach nur, wie ich denke, und wie es sich mir auf drängt. Es geht mir wie Gutzkow; wo sich einer hochmütig über das positive Christen¬ tum hinwegsetzt, da verteidige ich diese Lehre, die ja vom tiefsten Bedürfnis der menschlichen Natur, dem Sehnen nach Erlösung 30 von der Sünde durch die Gnade Gottes, ausgeht; wo es aber drauf ankommt, die Freiheit der Vernunft zu verteidigen, da protestiere ich gegen allen Zwang. — Ich hoffe, eine radikale Veränderung im religiösen Bewußtsein der Welt zu erleben; — wäre ich nur erst selbst im Klaren ! Doch das soll schon kommen, wenn ich nur Zeit 35 habe, mich ruhig und ungestört zu entwickeln. Der Mensch ist frei geboren, ist frei! Dein treuer Freund Friedrich Engels. Engels an Friedrich Graeber in Berlin; [Bremen 1839] Juli 12—27 40 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Fritzo Graebero den 12. Juli. Ihr könntet Euch wohl einmal herablassen, mir zu schreiben. Es werden bald fünf Wochen, daß
1839 Juli 12—27 Briefe an die Brüder Graeber 527 ich Euren letzten Brief bekam. — In meinem vorigen Briefe warf ich Dir eine Masse skeptischer Klötze hin, ich würde das Ding an¬ ders angefaßt haben, wenn ich damals schon die Schleiermacher- sche Lehre gekannt hätte. Das ist denn doch noch ein vernünftiges 5 Christentum; das leuchtet doch jedem ein, auch ohne daß man es grade annimmt, und man kann den Wert anerkennen, ohne sich an die Sache anschließen zu müssen. Was ich von philosophischen Prinzipien in der Lehre fand, habe ich schon angenommen; über seine Erlösungstheorie bin ich noch nicht im Reinen und werde io mich hüten, sie gleich als Überzeugung anzunehmen, um nicht bald wieder umsatteln zu müssen. Aber studieren werd’ ich’s, so¬ bald ich Zeit und Gelegenheit habe. Hätte ich die Lehre früher ge¬ kannt, ich wäre nie Rationalist geworden, aber wo hört man so was in unserm Muckertale? Ich habe eine rasende Wut auf diese Wirt¬ es schäft, ich will mit dem Pietismus und dem Buchstabenglauben kämpfen, solang ich kann. Was soll das Zeug? Was die Wissen¬ schaft, in deren Entwicklung jetzt die ganze Kirchengeschichte liegt, verwirft, das soll auch im Leben nicht mehr existieren. Mag der Pietismus früher ein historisch berechtigtes Element in der 2o Entwicklung der Theologie gewesen sein; er hat sein Recht be¬ kommen, er hat gelebt und soll sich nun auch nicht weigern, der spekulativen Theologie zu weichen. Nur aus dieser läßt sich jetzt etwas Sicheres entwickeln. Ich begreife nicht, wie man noch ver¬ suchen kann, den wörtlichen Glauben an die Bibel zu halten oder 25 die unmittelbare Einwirkung Gottes zu verteidigen, da sie sich doch nirgends beweisen läßt. Den 26. Juli. Da seid Ihr ja. Zur Sache. In Deinem Briefe ist es ganz merkwürdig, wie Du an der Orthodoxie hältst und doch dabei einer rationalisierenden Richtung einzelnes zugibst, wo- 3o durch Du mir Waffen in die Hand gibst. Josephs Stammbaum. Auf meinen ersten Gegengrund antwortest Du mir: Wer weiß, ob wir nicht oft genug in den biblischen Geschlechtsregistem Sohn statt Schwiegersohn und Neffe lasen. Zerstörst Du nicht dadurch die ganze Glaubwürdigkeit der biblischen Geschlechtsregister? Wie 35 das Gesetz hier etwas beweisen soll, begreife ich gar nicht. — Auf meinen zweiten Gegengrund sagst Du: Lukas habe für Theophilus geschrieben. Lieber Fritz, was ist das für eine Inspiration, wo eine solche Rücksicht auf die Kenntnisse dessen stattfindet, an den das Buch zufällig zuerst geht? Wenn da nicht auch auf alle zu- *o künftigen Leser Rücksicht genommen wird, so kann ich keine In¬ spiration anerkennen, überhaupt scheinst Du Dir über den Begriff der Inspiration noch nicht klar zu sein. Drittens daß ein Ge¬ schlechtsregister des Joseph die Erfüllung der Weissagung dar¬ lege, bin ich nicht kapabel zu kapieren; im Gegenteil mußte den *5 Evangelisten alles daran gelegen sein, Jesum nicht als Josephs
528 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Juli 12—27 Sohn darzustellen, diese Ansicht zu zerstören, und Joseph gar nicht so mit Darstellung seines Geschlechtsregisters zu beehren. — „Zu sagen, Jesus war ein Sohn Marias, Maria eine Tochter Eli, wäre ganz gegen die Sitte gewesen/6 Lieber Fritz, kann hier die Sitte auch nur den geringsten Einfluß haben? Sieh genau zu, ob Du da- 5 durch nicht wieder Deinem Begriffe von Inspiration zu nahe trittst. Ich kann Deine Erklärung wahrlich nicht anders, als so unendlich gezwungen ansehen, daß ich an Deiner Stelle mich lieber ent¬ schlösse, Eines für unecht zu halten. — „Dem Christentum müs¬ sen sich unauflösliche Zweifel entgegenstellen, und doch kann io man zur Gewißheit kommen durch Gottes Gnade.66 Diesen Einfluß der göttlichen Gnade auf den einzelnen bezweifle ich in der Ge¬ stalt, wie Du ihn hast. Wohl kenne ich das selige Gefühl, das jeder hat, der sich in innige, herzliche Beziehung zu Gott setzt, Rationa¬ list wie Mystiker; aber werde Dir darüber klar, denke, ohne Dich j5 an biblische Redensarten zu knüpfen, darüber nach, so findest Du, es ist das Bewußtsein, daß die Menschheit göttlichen Ursprungs ist, daß Du alsTeil dieser Menschheit nicht verloren gehen kannst, und nach allen unzähligen Kämpfen, in dieser, wie in jener Welt, vom Sterblichen und Sündlichen entkleidet, in den Schoß der Gottheit 20 zurückkehren mußt; das ist meine Überzeugung, und ich bin ruhig dabei; insofern kann ich Dir auch sagen, daß mir Gottes Geist Zeugnis gibt, daß ich ein Kind Gottes bin ; und wie gesagt, ich kann nicht glauben, daß Du es in andrer Art sagen könntest. Freilich, Du bist viel ruhiger dabei, während ich mich noch mit allerlei 25 Meinungen herumschlagen und meine Überzeugung nicht so unaus¬ gebildet stehen lassen kann ; aber darum kann ich den Unterschied wohl quantitativ, nicht aber qualitativ anerkennen. — Daß ich ein Sünder bin, daß ich einen tiefliegenden Hang zur Sünde habe, erkenne ich wohl an und halte mich durchaus von aller Werkge- rechtigkeit fern. Aber, daß diese Sündlichkeit im Willen des Menschen liege, erkenne ich nicht an. Wohl gebe ich zu, daß in der Idee der Menschheit die Möglichkeit zur Sünde zwar nicht liege, aber in ihrer Realisierung notwendigliegenmüsse; ich bin somit gewiß so bußfertig, wie es nur jemand verlangen 35 kann; aber, lieber Fritz, daß durch die Verdienste eines Dritten meine Sünden sollen gehoben werden1}, das kann kein denken¬ der Mensch glauben. Denke ich unabhängig von aller Autorität darüber nach, so finde ich mit der neueren Theologie, daß die Sündlichkeit des Menschen in der notwendig unvollkommenen 40 Realisation der Idee liege; daß darum das Streben eines jeden sein müsse, die Idee der Menschheit in sich zu realisieren, d. h. sich Gott gleich zu machen an geistiger Vollendung. Das ist etwas 0 Im Orig, irrtümlich wären
1839 Juli 12—27 Briefe an die Brüder Graeber 529 ganz Subjektives — wie soll die orthodoxe Erlösungstheorie, die ein Drittes setzt, etwas Objektives, dieses Subjektive vollbringen? Strafwürdig erkenne ich mich, und wenn Gott mich strafen will, so mag er’s tun, aber eine ewige Entfernung auch nur des gering- 5 sten Teils von Geist von Gott — das ist mir ganz unmöglich zu denken und zu glauben. Daß es Gnade von Gott ist, daß er uns annimmt, das ist freilich wahr, es ist ja alles Gnade, was Gott tut, es ist aber zugleich auch Notwendigkeit, alles was er tut. Die Eini¬ gung dieser Widersprüche macht ja einen bedeutenden Teil des io Wesens Gottes aus. Was Du da weiter sagst, Gott könne sich nicht verleugnen etc., kommt mir vor, als wolltest Du meine Frage um¬ gehen. Kannst Du glauben, daß ein Mensch, der nach Vereinigung mit Gott strebt, auf ewig von Gott verstoßen sein soll? Kannst Du das? Das kannst Du nicht, darum gehst Du um den heißen Brei. is Ist das nicht eine sehr niedrige Ansicht, daß Gott für vergangenes Böse noch eine Strafe — außer der, die in der bösen Tat selbst liegt — geben soll? Du mußt mit ewiger Strafe auch ewige Sünde setzen; mit ewiger Sünde ewige Möglichkeit zu glauben, also er¬ löst zu werden. Die Lehre von der ewigen Verdammnis ist schreck- 20 lieh inkonsequent. Ferner: Das historische Glauben ist Dir doch eine große Hauptsache vom Glauben, und der Glaube ohne jenen nicht denkbar; nun wirst Du mir aber nicht leugnen, daß es Menschen gibt, denen es ganz unmöglich ist, diesen historischen Glau¬ ben zu haben. Und von denen sollte Gott verlangen, daß sie das 25 Unmögliche täten? Lieber Fritz, bedenke, daß das Unsinn wäre, und daß Gottes Vernunft wohl höher ist als unsre, aber doch nicht anders; denn dann wäre es keine Vernunft mehr. Die biblischen Dogmen sollen ja auch mit der Vernunft aufgefaßt werden. — Nicht zweifeln können, sagst Du, sei Geistesfreiheit? Die größte 3o Geistesknechtschaft ist es, frei ist nur der, der jeden Zweifel an seiner Überzeugung besiegt hat. Und daß D u mich schlagen sollst, verlange ich nicht einmal; ich fordre die ganze orthodoxe Theolo¬ gie auf, sie soll mich schlagen. Hat die ganze 1800 Jahre alte christliche Wissenschaft dem Rationalismus keine Gegengründe 35 entgegenstellen können und nur wenige seiner Angriffe repous- siert, ja, scheut sie den Kampf auf rein wissenschaftlichem Felde und zieht lieber die Persönlichkeit der Gegner in den Staub — was soll man dazu sagen? Ja, ist die orthodox-christliche Lehre einer rein wissenschaftlichen Behandlung fähig? Ich sage nein; 4o was kann mehr geschehen als ein bißchen Rangieren, Erklären und Disputieren? Ich rate Dir, einmal die „Darstellung und Kritik des modernen Pietismus von Dr. C. Märklin, Stuttgart 1839“ zu lesen; wennDu die widerlegst (d.h. nicht dasPositive, sondern das Negative darin), so sollst Du der erste Theologe der Welt sein. — 45 „Der einfache Christ kann hierbei auch ganz stehen bleiben, er Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 34
530 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Juli 12—27 weiß, daß er ein Kind Gottes ist, und es ist ihm nicht nötig, daß er auf alle scheinbaren Widersprüche Rede und Antwort stehen könne.“ Auf die „scheinbaren Widersprüche“ kann weder der ein¬ fache Christ noch Hengstenberg Rede und Antwort geben, denn es sind wirkliche Widersprüche; aber wahrlich, wer dabei stehen 5 bleibt und auf seinen Glauben pocht, der hat gar keinen Grund seines Glaubens. Wohl kann das Gefühl bestätigen, aber begrün¬ den doch wahrlich nicht, daß hieße ja, mit den Ohren riechen wollen. Was Hengstenberg mir so verhaßt macht, ist die wahrhaft schändliche Redaktion der Kirchenzeitung. Fast alle Mitarbeiter io sind anonym, und der Redakteur hat also für sie zu stehen, packt ihn aber einer darauf an, der darin beleidigt worden, so weiß Herr Hengstenberg von nichts, nennt den Verfasser nicht, will aber auch keine Rede stehen. So ist es schon manchem armen Teufel gegangen, der Gott weiß von welchem dunklen Lumen in der K[irchen]-Z[ei- u tung] angegriffen worden, und der von Hengstenberg, wenn er ihn drauf faßte, zur Antwort bekam, e r habe den Artikel nicht ge¬ schrieben. Die Kirchenzeitung hat dabei noch immer unter den pietistischen Predigern einen großen Ruf, weil die die Gegen¬ schrift nicht lesen, und so hält sie sich. Die letzten Nummern habe 20 ich nicht gelesen, sonst würde ich Dir Exempla anführen können. Als die Zürcher Geschichte mit Strauß losbrach, kannst Du Dir gar nicht denken, wie greulich die K[irchen]-Z[eitung] Strauß’ Cha¬ rakter verleumdet und verschrieen hat, während er sich doch — darin haben alle Nachrichten übereingestimmt, durchaus nobel 25 bei der ganzen Sache benommen hat. Woher kommt z. B. der große Eifer der K[irchen]-Z[eitung], Strauß mit dem jungen Deutsch¬ land unter eine Rubrik zu bringen? Und bei vielen gilt das junge Deutschland für rasend schlimm, leider Gottes. — Wegen der Poesie des Glaubens hast Du mich verkehrt verstanden. Ich habe 30 nicht um der Poesie willen geglaubt; ich habe geglaubt, weil ich einsah, so nicht mehr in den Tag hineinleben konnte, weil mich meine Sünden reuten, weil ich der Gemeinschaft mit Gott be¬ durfte. Ich habe mein Liebstes auf der Stelle gern weggegeben, ich habe meine größten Freuden, meinen liebsten Umgang für 35 nichts geachtet, ich habe mich vor der Welt blamiert an allen Ecken; ich habe ungeheure Freude darüber gehabt, daß ich an Plümacher einen fand, mit dem ich davon reden konnte, ich habe gern seinen Prädestinationsfanatismus ertragen; Du weißt selbst, daß es mir Ernst war, heiliger Emst. Da war ich glücklich, das 40 weiß ich, ich bin es jetzt ebenso sehr; da hatte ich Zuversicht, Freu¬ digkeit zum Beten; die hab’ ich jetzt auch, ich hab’ sie noch mehr, denn ich kämpfe und bedarf der Stärkung. Aber von jener eksta¬ tischen Seligkeit, von der ich auf unsern Kanzeln so oft hörte, habe ich nie was verspürt; meine Religion war und ist stiller, seliger 45
1839 Juli 12—27 Briefe an die Brüder Graeber 531 Friede, und wenn ich den nach meinem Tode auch habe, so bin ich zufrieden. Daß ihn Gott mir nehmen sollte, das habe ich keinen Grund zu glauben. Die religiöse Überzeugung ist Sache des Her¬ zens und hat nur insofern Bezug auf das Dogma, als diesem vom 5 Gefühl widersprochen wird oder nicht. So mag Dir der Geist Gottes durch Dein Gefühl Zeugnis geben, daß Du ein Kind Gottes bist, das ist sehr leicht möglich, aber daß Du es bist durch den Tod Christi — das doch gewiß nicht; sonst wäre das Gefühl fähig zu denken, Deine Ohren fähig zu sehen. — Ich bete täglich, ja fast io den ganzen Tag um Wahrheit, habe es getan, sobald ich anfing zu zweifeln, und komme doch nicht zu Eurem Glauben zurück; und doch steht geschrieben: bittet, so wird Euch gegeben. Ich forsche nach Wahrheit, wo ich nur Hoffnung habe, einen Schatten von ihr zu finden; und doch kann ich Eure Wahrheit nicht als die ewige io anerkennen. Und doch steht geschrieben: suchet, so werdet Ihr finden. Wer ist unter Euch, der seinem Kinde, das ihn um Brot bittet, einen Stein biete? Wieviel mehr Euer Vater im Himmel? Die Tränen kommen mir in die Augen, indem ich dies schreibe, ich bin durch und durch bewegt, aber ich fühle es, ich werde nicht 20 verloren gehen, ich werde zu Gott kommen, zu dem sich mein ganzes Herz sehnt. Und das ist auch ein Zeugnis des heiligen Gei¬ stes, darauf leb’ ich und sterb’ ich, ob auch zehntausendmal in der Bibel das Gegenteil steht. Und täusche Dich nicht, Fritz, ob Du so sicher tust, eh’ Du Dich versiehst, kommt auch so ein Zweifel, und 25 da hängt die Entscheidung Deines Herzens oft vom kleinsten Zu¬ fall ab. — Aber daß auf den inneren Frieden der dogmatische Glaube keinen Einfluß hat, weiß ich aus Erfahrung. — Den 27. Juli. Wenn Du tätest, was in der Bibel steht, so dürftest Du gar so nicht mit mir umgehen. Im zweiten Brief Johannes (wenn ich nicht irre) steht, man solle den Ungläubigen nicht grüßen, nicht einmal %aïQ£ zu ihm sagen. Dergleichen Stellen sind sehr häufig und haben mich immer geärgert. Ihr tut aber lange nicht alles, was in der Bibel steht. Übrigens, wenn das orthodoxe evangelische Chri- 35 stentum die Religion der Liebe genannt wird, so kommt mir das vor wie die ungeheuerste Ironie. Nach Eurem Christentum werden neun Zehntel der Menschen ewig unglücklich und ein Zehntel wird glücklich, Fritz, und das soll die unendliche Liebe Gottes sein? Bedenke, wie klein Gott erscheinen würde, wenn das seine Liebe 40 wäre. Das ist denn doch klar, daß, wenn es eine offenbarte Reli¬ gion gibt, der Gott derselben zwar größer, aber nicht anders sein darf als der, den die Vernunft zeigt. Sonst ist alle Philosophie nicht nur eitel, sondern sogar sündlich, ohne Philosophie gibt es keine Bildung, ohne Bildung keine Humanität, ohne Humanität 34*
532 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Juli 12—27 wiederum keine Religion. Aber die Philosophie so zu schmähen, wagt selbst der fanatische Leo nicht. Und das ist wieder so eine von den Inkonsequenzen der Orthodoxen. Mit Männern wie Schleiermacher und Neander will ich mich schon verständigen, denn sie sind konsequent und haben ein Herz ; beides suche ich in 5 der Evangelischen Kirchenzeitung und den übrigen Pietisten- blättem vergebens. Besonders vor Schleiermacher hab’ ich unge¬ heure Achtung. Bist Du konsequent, so mußt Du ihn freilich ver¬ dammen, denn er predigt nicht Christentum in Deinem Sinne, son¬ dern eher im Sinne des jungen Deutschlands, Theodor Mundts und io Karl Gutzkows. Aber er ist ein großer Mann gewesen, und ich kenne unter den jetzt lebenden nur einen, der gleichen Geist, gleiche Kraft und gleichen Mut hat, das ist David Friedrich Strauß. Ich habe mich gefreut, wie Du Dich so rüstig aufgemacht hast, mich zu widerlegen, aber Eins hat mich geärgert, ich will’s Dir nur is grad heraus sagen. Es ist die Verachtung, mit der Du von dem Streben zur Vereinigung mit Gott, von dem religiösen Leben der Rationalisten sprichst. Du liegst freilich behaglich in Deinem Glauben wie im warmen Bett und kennst den Kampf nicht, den wir durchzumachen haben, wenn wir Menschen es entscheiden 20 sollen, ob Gott Gott ist oder nicht; Du kennst den Druck solcher Last nicht, die man mit dem ersten Zweifel fühlt, der Last des alten Glaubens, wo man sich entscheiden soll, für oder wider, fort¬ tragen oder abschütteln; aber ich sage es Dir nochmals, Du bist vor dem Zweifel so sicher nicht, wie Du wähnst, und verblende 25 Dich nicht gegen die Zweifelnden, Du kannst einst selber zu ihnen gehören, und da wirst Du auch Billigkeit verlangen. Die Religion ist Sache des Herzens, und wer ein Herz hat, der kann fromm sein ; wessen Frömmigkeit aber im Verstände oder auch in der Vernunft Wurzel hat, der hat gar keine. Aus dem Herzen sprießt der Baum 30 der Religion und überschattet den ganzen Menschen und saugt seine Nahrung aus der Luft der Vernunft; seine Früchte aber, die das edelste Herzblut in sich tragen, das sind die Dogmen; was drüber ist, das ist vom Übel. Das ist Schleiermachers Lehre, und dabei bleibe ich. 35 Adieu, lieber Fritz, besinne Dich recht drüber, ob Du mich wirklich in die Hölle schicken willst, und schreib mir bald mein Urteil. Dein Friedrich Engels.
1839 Ende Juli Briefe an die Brüder Graeber 533 Engels an Friedrich Graeber; [Bremen 1839 Ende Juli] Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Lieber Fritz! 5 Recepi litteras tuas hodie, et jamque tibi responsurus sum. Viel schreiben kann ich Dir nicht — Du bist noch in meiner Schuld und ich erwarte einen langen Brief von Dir. Ist Dein Bruder Wtilhelm] auch frei? Studiert Wurm jetzt auch mit Euch in Bonn? Gott segne dem dicken Peter seine Studia militaria. Ein kleines io Poem, am 27. Juli gemacht, möge Dich üben im Liberalismus und im Lesen antiker Metra. Sonst ist nichts dran. Deutschejulitage. 1839. Wie die Wellen sich heben im rauschenden Strom, wie der Sturm is so gewaltig einhergeht! Mannshoch braust auf die geschlagene Flut, und es sinkt und es hebt sich der Nachen; Von dem Rhein her wehet der sausende Wind, der dieWolken ver¬ sammelt am Himmel, 2o Der die Eichen zerbricht und den Staub auf treibt, und die Wogen zerwühlt in der Tiefe. Und Eurer gedenk’ ich im schwankenden Boot, Ihr Fürsten und Könige Deutschlands, Aufs Haupt nahm einst das geduldige Volk den vergoldeten Thron, 25 da Ihr sitzet, Trug Euch im Triumph durchs heimische Land und verjagte den kühnen Erobrer. Da wurdet Ihr keck und des Übermuts voll, da habt Euer Wort Ihr gebrochen, so Nun wehet der Sturm aus Frankreich her, und es woget die Menge des Volkes, Und es schwanket der Thron wie das Boot in dem Sturm, und das Szepter erbebt in der Hand Euch. Vor allem zu Dir, Ernst August, wend ich den Blick mit zornigem 35 Mute, Du brachst, ein Despot, das Gesetz tollkühn, horch auf, wie die Stürme erbrausen! Wie das Volk aufschaut durchbohrenden Augs und das Schwert kaum ruht in der Scheide, 40 Sprich, ruhst Du so sicher auf goldenem Thron, wie ich in dem schwankenden Boote?
534 Briefe an die Brüder Graebe 1839 Juli 30 Das Faktum mit den hohen Wellen in der Weser ist wahr, auch daß ich am großen Tage der Julirevolution drauf fuhr. Grüß Wurm, er soll mir viel schreiben. Dein Friedrich Engels. Engels an Wilhelm Graeber; Bremen 1839 « Juli 30 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Br., 30. Juli 1839. Mein lieber Guglielmo! Was hast Du für korrupte Ansichten von mir? Weder vom 10 Spielmann noch vom treuen Eckart (oder wie Du schreibst Eck¬ hardt) kann hier die Rede sein, sondern bloß von Logik, Vernunft, Konsequenz, propositio major und minor etc. Ja, Du hast recht, mit Sanftmut ist hier nichts auszurichten, mit dem Schwert müssen diese Zwerge — Servilismus, Aristokratenwirtschaft, Zensur etc. is — weggejagt werden. Da sollte ich freilich recht poltern und toben, aber weil Du es bist, will ich sänftiglich mit Dir fahren, da¬ mit Du Dich nicht „bekreuzest“, wenn „die wilde Jagd“ meiner regellosen, poetischen Prosa an Dir vorbeijagt. Zuerst protestiere ich gegen Dein Ansinnen, ich gäbe dem Zeitgeist einen Tritt nach 20 dem andern auf den Codex, damit er besser vorankäme. Lieber Mensch, was denkst Du Dir für eine Fratze unter meiner armen, stumpfnasigen Gestalt! Nein, das laß ich fein bleiben, im Gegen¬ teil, wenn der Zeitgeist daherkommt, wie der Sturmwind, und den Train auf der Eisenbahn fortschleppt, so spring ich rasch in den 25 Wagen und laß mich ein wenig mitziehen. Ja, so ein Karl Beck — die tolle Idee, er habe sich ausgedichtet, ist gewiß von dem ver¬ kommenen Wichelhaus, über den der Wurm mich gehörig instru¬ ierthat. Dieser Gedanke, daß ein zweiundzwanzig jähriger Mensch, der solche rasende Gedichte gemacht hat, nun plötzlich aufhören 30 soll, — nein, solcher Nonsens ist mir noch nicht vorgekommen. Kannst Du Dir denken, daß Goethe nach dem Götz aufgehört habe, ein genialer Poet zu sein, oder Schiller nach den Räubern? Außer¬ dem soll sich die Geschichte am jungen Deutschland gerächt haben! Gott bewahre mich, freilich, wenn die Weltgeschichte dem 35 Bundestage als erbliches Lehn vom lieben Herrgott anvertraut ist, so hat sie sich an Gutzkow durch dreimonatliche Haft gerächt, wenn sie aber, wie wir nicht mehr zweifeln, in der öffentlichen Meinung (d. h. hier der literarischen) liegt, so hat sie sich inso¬ fern am jungen Deutschland gerächt, daß sie sich hat von ihm to mit der Feder in der Hand erkämpfen lassen und nun das junge Deutschland als Königin der deutschen modernen Literatur
1839 Juli 30 Briefe an die Brüder Graeber 535 thront. Was Börnes Schicksal gewesen? Er ist gefallen wie ein Held, 1837 im Februar, und hat noch in seinen letzten Tagen die Freude gehabt, zu sehen, wie seine Kinder, Gutzkow, Mundt, Wien¬ barg, Beurmann sich auf arbeiteten gleich dem Donnerwetter — 5 freilich lagen die schwarzen Wolken des Unheils noch über ihren Häuptern, und eine lange, lange Kette war um Deutschland ge¬ zogen, die der Bundestag flickte, wo sie zu reißen drohte, aber er lacht jetzt auch der Fürsten und weiß vielleicht die Stunde, da ihnen die gestohlne Krone vom Kopf fällt. Für Heines Glück will io ich Dir nicht einstehen, überhaupt ist der Kerl seit längerer Zeit ein Schweinigel, für Becks auch nicht, denn er ist verliebt und grämt sich über unser liebes Deutschland; an letzterem partizi¬ piere ich auch, habe mich sonst noch viel herumzuschlagen, doch hat der gute alte Herrgott mir einen vortrefflichen Humor ge- 15 schickt, der mich bedeutend tröstet. Männeken, bist Du denn glück¬ lich? — Deine Ansicht von Inspiration halt nur ja geheim, sonst wirst Du nie Prediger im Wuppertal. Wär’ ich nicht in den Extre¬ men der Orthodoxie und des Pietismus aufgewachsen, wäre mir nicht in der Kirche, der Kinderlehre und zu Haus immer der 2o direkteste, unbedingteste Glaube an die Bibel und an die Über¬ einstimmung der biblischen Lehre mit der Kirchenlehre, ja, mit der Speziallehre jedes Pfarrers vorgesprochen worden, so wäre ich vielleicht noch lange am etwas liberalen Supranaturalismus hängen geblieben. In der Lehre sind Widersprüche genug, so viel 25 als biblische Autoren sind, und der Wuppertaler Glaube hat somit ein Dutzend Individualitäten in sich aufgenommen. Von wegen dem Stammbaum Josephs schiebt Neander bekanntlich den des Matthäus dem griechischen Übersetzer des hebräischen Origi¬ nals zu ; wenn ich nicht irre, hat Weiße sich in seinem Leben so Jesu ähnlich wie Du gegen Lukas ausgesprochen. Die Erklärung des Fritz kommt zuletzt auf solche abnorme Möglichkeiten, daß sie für keine zu halten sein kann. bin ich freilich, doch nicht der rationalistischen, sondern der liberalen Partei. Die Gegensätze trennen sich, schroff stehn sich die Ansichten gegen- 35 über. Vier Liberale (zugleich Rationalisten), ein Aristokrat, der zu uns überging, aus Angst aber, gegen die in seiner Familie ein- geerblichten Grundsätze anzustoßen, gleich wieder zur Aristokra¬ tie lief, ein Aristokrat, der guter Hoffnung ist — wie wir hoffen, und diverse Schafsköpfe, das ist der Zirkus, in dem gestritten io wird. Ich promachiere als Kenner des Altertums, des Mittelalters und des modernen Lebens, als Grobian etc., doch ist dies Proma- chieren schon nicht mehr nötig, meine Untergebnen machen sich gut heraus; gestern hab’ ich ihnen die historische Notwendigkeit in der Geschichte von 1789 bis 1839 beigebracht und außerdem 15 zu meiner Verwunderung erfahren, daß ich den hiesigen Prima¬
536 Briefe an die Brüder Graebe 1839 Juli 30 nern allen um ein ziemliches im Disputieren überlegen sein soll. Sie haben sich, nachdem ich gleich zwei — vor langer Zeit schon — aus dem Felde geschlagen—entschlossen und verschworen, mir den Gescheitesten auf den Hals zu schicken, der sollte mich schla¬ gen, und war unglücklicherweise damals in den Horaz verliebt, 5 so daß ich ihn nach der Art kloppte. Da bekamen sie die greu¬ lichste Angst. Jener Ex-Horazomane steht jetzt sehr gut mit mir und erzählte es mir gestern abend. Von der Richtigkeit meiner Rezensionen würdest Du Dich auf der Stelle überzeugen, wenn Du die rezensierten Bücher läsest. K. Beck ist ein ungeheures Talent, io mehr als das, ein Genie. Bilder wie: „Man hört des Donners Stimme laut verkünden, Was ins Gewölk die Blitze hingeschrieben“ kommen in ungeheurer Masse vor. Höre, was er von seinem an¬ gebeteten Börne sagt. Er redet Schiller an: is Dein Posa war kein schaumgeborner Wahn; Ist Börne für die Menschheit nicht gefallen? Er klomm, ein Teil, der Menschheit Höh’n hinan, Und ließ der Freiheit Hüfthorn laut erschallen. Dort hat er ruhig seinen Pfeil gespitzt, 20 Er zielte, schoß, und tief im Apfel sitzt Der Freiheit Pfeil — tief in der runden Erde. Und wie er das Elend der Juden schildert, und das Studenten¬ leben, es ist kostbar; und nun gar der fahrende Poet! Mensch, habe doch Begriffe und lies ihn. Sieh einmal, wenn Du nur den 25 Aufsatz Börnes über Schillers Teil widerlegst, so sollst Du all das Honorar haben, was ich für meine Übersetzung des Shelley zu be¬ kommen hoffe. Daß Du mir meinen Wuppertaler Aufsatz so her¬ untergemacht hast, will ich Dir verzeihen, indem ich ihn neulich wieder las und über den Stil erstaunte. Ich habe seit der Zeit lange 30 nicht so gut wieder geschrieben. Leo und Michelet vergiß nächstes Mal nicht. Du bist sehr im Irrtum, wie gesagt, wenn Du meinst, wir jungen Deutschen wollten den Zeitgeist auf den Strumpf wehen; aber bedenke einmal, wenn dieses nvev^a weht und uns recht weht, wären wir nicht Esel, wenn wir die Segel nicht auf- 35 spannten? Daß Ihr mit Gans’ Leiche gegangen seid, soll Euch nicht vergessen werden. Ich werd’ es nächstens in die Elegante Zei¬ tung rücken lassen. Höchst komisch kommt es mir vor, daß Ihr alle hintennach so schön um Verzeihung bittet über Euer bißchen Poltern ; Ihr könnt noch gar nicht donnerwettem, und da kommen 40 sie alle an — der Fritz schickt mich in die Hölle, begleitet mich bis ans Tor und schiebt mich mit einem tiefen Kompliment hinein, um
1839 Juli 30 Briefe an die Brüder Graeber 537 selbst wieder in den Himmel fliegen zu können. Du kuckst alles doppelt durch Deine Spathbrille und siehst meine drei Genossen für Geister aus Frau Venus’ Berg an — Männeken, was schreist Du nach dem treuen Eckart? Sieh, da ist er ja schon, ein kleiner Kerl, 5 mit scharfem, jüdischem Profil, er heißt Börne, laß den nur drein¬ schlagen, der chassiert all das Volk der Frau Venus-Servilia. Dann empfiehlst Du Dich gleichfalls höchst demütig — sieh, Mr. Peter kommt auch, lacht mit dem halben Gesicht und knurrt mit dem halben Gesicht und hält mir erst die knurrende, dann die lachende io Seite hin. Im lieben Barmen fängt jetzt der literarische Sinn sich zu regen an. Freiligrath hat einen Verein zur Lektüre von Dramen gestiftet, in dem seit Freiligraths Weggange Strücker und Neuburg (Kom¬ mis beiLangewiesche)die^o/;a%otliberalerIdeen sind. Da hat denn is Herr Ewich die scharfsinnigen Entdeckungen gemacht: 1. daß das junge Deutschland in diesem Verein spuke, 2. daß dieser Verein in pleno die Briefe aus dem Wuppertale im Telegraphen abgefaßt habe. Auch hat er plötzlich eingesehen, daß Freiligraths Gedichte das fadeste Zeug von der Welt seien, Freiligrath tief unter de la 2o Motte Fouqué stehe und innerhalb drei Jahren vergessen sein werde. Gerade wie jene Behauptung von K. Beck. — Oh Schiller, Schiller, dem im Geistesschwunge Das größte Herz im wärmsten Busen schlug, Du, Du warst der Prophet, der ewig junge, 25 Der kühn voran der Freiheit Fahne trug! Als alle Welt sich aus dem Kampf gestohlen, Die kleinen Seelen sich dem Herrn empfohlen, Warst Du verschwenderisch mit Deinem Blut; Dein wärmstes Leben und Dein tiefstes Leben 30 Hast Du für eine Welt dahingegeben — Sie nahm das Opfer kalt und wohlgemut; Denn sie begriff nicht Deinen tiefen Gram, Sie hörte nur die Melodie der Sphären, Wenn an ihr Ohr die Liederwoge kam, 35 Die Du geschwellt mit blutigroten Zähren! Von wem ist das Ding? Es ist von Karl Beck, aus dem fahrenden Poeten, mit all seinen gewaltigen Versen und seiner Bilderpracht, aber auch mit seiner Unklarheit, mit seinen überschwänglichen Hyperbeln und Metaphern ; denn daß Schiller unser größter libe- 40 raler Poet ist, ist ausgemacht; er ahnte die neue Zeit, die nach der französischen Revolution anbrechen werde, und Goethe tat das nicht, selbst nicht nach der Julirevolution; und wenn es ihm zu nah kam, daß er doch fast glauben mußte, es käme was Neues, so zog
538 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Okt. 8 er sich in seine Kammer zurück und schloß die Tür zu, um behag¬ lich zu bleiben. Das schadet Goethe sehr; aber er war 40 Jahr alt, als die Revolution ausbrach, und ein gemachter Mann, deshalb kann man es ihm nicht vorwerfen. Ich will Dir zum Schluß noch was malen. 5 Engels an Wilhelm Graeber; [Bremen] 1839 io Oktober 8 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Den 8. Oktober 1839. 0 Wilhelm, Wilhelm, Wilhelm! Also endlich vernimmt man was von Dir? Nun, Männeken, nun sollst Du mal was hören: ich is bin jetzt begeisterter Straußianer. Kommt mir jetzt nur her, jetzt habe ich Waffen, Schild und Helm, jetzt bin ich sicher; kommt nur her, und ich will Euch kloppen trotz Eurer Theologia, daß Ihr nicht wissen sollt wohin flüchten. Ja, Guillermo, jacta est alea, ich bin Straußianer, ich, ein armseliger Poete, verkrieche mich unter 20 die Fittiche des genialen David Friedrich Strauß. Hör’ einmal, was das für ein Kerl ist! Da liegen die vier Evangelien, kraus und bunt wie das Chaos; die Mystik liegt davor und betet an — siehe, da tritt David Strauß ein, wie ein junger Gott, trägt das Chaos heraus ans Tageslicht und — Adios Glauben! es ist so löcherig 25 wie ein Schwamm. Hier und da sieht er zu viel Mythen, aber nur in Kleinigkeiten, und sonst ist er durchweg genial. Wenn Ihr den Strauß widerlegen könnt — eh bien, dann werd’ ich wieder Pietist. — Ferner würde ich aus Deinem Briefe lernen können, daß Mengs ein bedeutender Künstler war, wenn ich’s unglücklicherweise nicht 30
1839 Okt. 8 Briefe an die Brüder Graeber 539 längst gewußt hätte. „Die Zauberflöte (Musik von Mozart)“, das ist gradeso. Die Einrichtung mit dem Lesezimmer ist ja vortreff¬ lich, und ich mache Dich von neuesten literarischen Erscheinungen auf König Saul, Trauerspiel von Gutzkow; Skizzenbuch, von dem- s selben; Dichtungen von Th. Creizenach (einem Juden) ; Deutsch¬ land und die Deutschen, von Beurmann; die Dramatiker der Jetzt¬ zeit, 1. Heft, von L. Wienbarg etc. aufmerksam. Über den Saul bin ich sehr begierig, ein Urteil von Dir zu hören; in Deutschland und die Deutschen hat Beurmann meinen Aufsatz im Teltegraphen] io exzerpiert, wo er vom Wuppertale spricht. — Dagegen warne ich Dich vor der Geschichte des polnischen Aufstands (1830—31) von Smitt, Berlin 1839, welche ohne Zweifel auf direkte Order des Königs von Preußen geschrieben ist. Das Kapitel vom Beginn der Revolution hat ein Motto aus Thucydides etwa dieses Sinnes: Wir is aber, die wir uns nichts Böses versahen, wurden plötzlich ohne alle Ursache von ihnen mit Krieg überzogen! ! ! ! ! ! 0 Unsinn, Du bist groß ! Herrlich dagegen ist die Geschichte dieses glorreichen Auf¬ standes vom Grafen Soltyk, die deutsch Stuttgart 1834 herauskam — ja, bei Euch wird sie verboten sein, wie alles Gute. Eine andre 2o wichtige Neuigkeit ist, daß ich eine Novelle schreibe, welche Ja¬ nuar gedruckt wird, wohl zu merken, wenn sie die Zensur passiert, welches ein arges Dilemma ist. — Ob ich Euch Poeme schicken soll oder nicht, weiß ich gar nicht einmal, doch glaube ich, daß ich Euch den Odysseus Redivivus zu- letzt geschickt habe, und bitte mir Kritik aus über die letzte Sen¬ dung. Hier ist jetzt ein Kandidat von dort, Müller, der als Prediger mit einem Schiff in die Südsee gehen soll. Er wohnt bei uns im Hause und hat ungeheuer forcierte Ansichten vom Christentum, was Dir einleuchtend sein wird, wenn ich Dir sage, daß er seine 30 letzte Zeit unter G o ß n e r s Einfluß verlebte. Exaltiertere An¬ sichten von der Kraft des Gebets und der unmittelbaren göttlichen Einwirkung aufs Leben kann man nicht leicht haben. Statt zu sagen, man könne seine Sinne, Gehör, Gesicht, verschärfen, sagt er: wenn der Herr mir ein Amt gibt, so muß er mir auch Kraft da- 35 zu geben ; natürlich muß brünstiges Gebet und eignes Arbeiten danach dabei sein, sonst geht’s nicht, — und so beschränkt er diese allen Menschen gemeinsame, bekannte Tatsache auf die Gläubigen allein. Daß eine solche Weltansicht doch gar zu kindlich und kindisch ist, müßte mir selbst ein Krummacher zugeben. — 40 Daß Du bessere Ansichten von meinem telegraphischen Artikel hast, ist mir sehr lieb. Übrigens ist das Ding in der Hitze ge¬ schrieben, wodurch es zwar einen Stil erhalten hat, wie ich ihn mir für meine Novelle nur wünschen mag, aber auch an Einseitig¬ keiten und halben Wahrheiten leidet. Krummacher hat Gutzkow 45 — Du weißt’s wohl schon, in Frankfurt am Main kennen gelernt
540 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Okt. 8 und soll mirabilia darüber fabeln; — Beweis für die Richtigkeit der Strauß sehen Mythenansicht. Ich lege mich jetzt auf den mo¬ dernen Stil, der ohne Zweifel das Ideal aller Stilistik ist. Muster für ihn sind Heines Schriften, besonders aber Kühne und Gutzkow. Sein Meister aber ist Wienbarg. Von früheren Elementen haben 5 besonders günstig auf ihn eingewirkt: Lessing, Goethe, Jean Paul und vor allem Börne. 0 der Börne schreibt einen Stil, der über alles geht. „Menzel der Franzosenfresser“ ist stilistisch das erste Werk Deutschlands, und zugleich das erste, wo es darauf ankommt, einen Autor ganz und gar zu vernichten; ist wieder bei Euch ver- I0 boten, damit ja kein besserer Stil geschrieben werde, als auf den königlichen Bureaus geschieht. Der moderne Stil vereinigt alle Vorzüge des Stils in sich; gedrungene Kürze und Prägnanz, die mit einem Worte den Gegenstand trifft, abwechselnd mit der epi¬ schen, ruhigen Ausmalung; einfache Sprache, abwechselnd mit 15 schimmernden Bildern und glänzenden Witzfunken, ein jugendlich kräftiger Ganymed, Rosen ums Haupt gewunden und das Geschoß in der Hand, das den Python schlug. Dabei ist denn der Indivi¬ dualität des Autors der größte Spielraum gelassen, so daß trotz der Verwandtschaft keiner des andern Nachahmer ist. Heine 20 schreibt blendend, Wienbarg herzlich warm und strahlend, Gutz¬ kow haarscharf treffend, zuweilen von einem wohltuenden Sonnen¬ blick überflogen, Kühne schreibt gemütlich-ausmalend, mit etwas zu viel Licht und zu wenig Schatten, Laube ahmt Heine nach und jetzt auch Goethe, aber auf verkehrte Manier, indem er den 25 Goetheaner Vamhagen nachahmt, und Mundt ahmt gleichfalls Vamhagen nach. Marggraf schreibt noch etwas sehr allgemein und mit vollen Backen pustend, doch das wird sich legen, und Becks Prosa ist noch nicht über Studien hinaus. — Verbindet man Jean Pauls Schmuck mit Börnes Präzision, so sind die Grundzüge 30 des modernen Stils gegeben. Gutzkow hat auf eine glückliche Weise den brillanten, leichten aber trocknen Stil der Franzosen in sich aufzunehmen gewußt. Dieser französische Stil ist wie ein Sommer¬ faden, der deutsche moderne ist eine Seidenflocke. (Dies Bild ist leider verunglückt.) Daß ich aber über dem Neuen das Alte nicht 35 vergesse, zeigt mein Studium der gottvollen Goetheschen Lieder. Man muß sie aber musikalisch studieren, am besten in verschie¬ denen Kompositionen. Z. B. will ich Dir die Reichardtsche Kom¬ position des Bundeslieds hersetzen: Jin al - len gu - ten Stun-dcn, Er - höht von Lieb und Wein,l (Soll d>n - ses Lied ver - bun-den Von uns ge - sun - gen sein. /
1839 Okt. 20—21 Briefe an die Brüder Graeber 541 Uns hält der Gott zu - sam-men, der uns hie - her ge - bracht, Er - neu - ert eu - re Flam-men, er hat sie an - ge - facht. Die Taktstriche hab ich wieder vergessen, laß sie Dir vom Heuser machen. Die Melodie ist herrlich und durch die stets im Akkord sich haltende Einfachheit dem Liede so angemessen wie keine. Herrlich macht sich das Steigen V. 6 von e bis zur Septime d, und 5 das rasche Fallen V. 8 von h bis zur None a. Über das Miserere von Leonardo Leo werde ich dem Heuser schreiben. — Ich werde Euch dieser Tage einen guten Freund, der dort stu¬ dieren wird, Adolf Torstrick, herschicken, er ist fidel und liberal und versteht gut griechisch. Die andern Bremer, die dorthin kom- io men, sind nicht viel wert. Torstrick wird Briefe an Euch von mir bekommen. Nehmt ihn gut auf, ich will wünschen, daß er Euch ge¬ fallen möge. Fritz hat mir noch immer nicht geschrieben, der vermicul wollte von Elberfeld aus schreiben, ist aber unterblieben aus Faulheit, wofür Du ihn rüffeln willst. Sollte der Heuser an- io kommen, dem ich aus Furcht, ihn nicht mehr zu treffen, nicht nach Elberfeld schreiben kann, so mach ihm Hoffnung, bald was zu kriegen. Dein Friedrich Engels. Engels an Wilhelm Graeber in Berlin; 2o [Bremen 1839] Oktober 20—21 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen den 20. Oktober. Herm Wilhelm Graeber. Ich bin ganz senti¬ mental, es ist ein schwieriger Kasus. Ich bleibe hier, entblößt von aller Fidelität. Mit Adolf Torstrick, dem Überbringer dieses, geht 25 die letzte Fidelität weg. Wie ich den 18. Oktober gefeiert, ist in meiner letzten Heuserlichen Epistel zu lesen. Heute Bierzech, mor¬ gen Langweile, übermorgen geht der Torstrick weg, Donnerstag kommt der in vorerwähnter Epistel erwähnte Studio wieder, worauf zwei fidele Tage folgen, und dann — ein einsamer, greu- 30 licher Winter. Die ganze hiesige Welt ist nicht zum Zechen zu bringen, es sind alles Philister, ich sitze mit meinem Rest burschi¬ koser Lieder, mit meinem renommistischen studiosistischen An¬ hauch allein in der großen Wüste, ohne Zechgenossen, ohne Liebe, ohne Fidelität, einzig mit Tabak, Bier und zwei zechunfähigen Be¬
542 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Okt. 20—21 kannten. Sohn, da hast du meinen Spieß, kneip’ daraus mein Cerevis, So du kneipest comme il faut, wird dein alter Vater froh, möcht’ ich singen, aber wem soll ich meinen Spieß geben, und dann kann ich auch die Melodie nicht recht. Eine Hoffnung allein hab’ ich noch, Euch übers Jahr, wenn ich nach Hause geh, in Bar- 5 men zu treffen, und wenn in Dich und Jonghaus und Fritz der Pfaffe noch nicht zu sehr gefahren ist, mit Euch dort herumzukneipen. Den 21. — Heute einen furchtbar langweiligen Tag gehabt. Auf dem Comptoir halbtot geochst. Dann Singakademie gehabt, unge¬ heuren Genuß. Nun muß ich sehen, daß ichEuch noch was schreibe, io Verse mit nächster Gelegenheit, ich habe keine Zeit mehr, sie zu kopieren. Nicht einmal was Interessantes zu essen gehabt, alles langweilig. Dabei ist es so kalt, daß man es auf dem Comptoir nicht aushalten kann. Gottlob, morgen haben wir Hoffnung, geheizt zu bekommen. Von Deinem Bruder Hermann werde ich nächstens is wohl einen Brief bekommen, er will meiner Theologie auf den Zahn fühlen und meine Überzeugung massakrieren. Das kommt vom Skeptizismus, die tausend Haken, mit denen man am Alten hing, lassen los und haken sich wo anders ein, und dann gibt’s Disputationen. Den Wurm soll der Teufel holen, der Kerl läßt 20 nichts von sich hören, er encanaillisiert sich täglich mehr. Ich vermute, er kommt ans Branntweintrinken. Nun nehmt mir den Torstrick freundlich auf, laßt ihn Euch von mir erzählen, wenn Euch das interessiert, und setzt ihm gutes Cerevis vor. Fare well. Dein Friedrich Engels. 25 [Auf der Adreßseite] Herm Wilhelm Graeber, Berlin, Mittelstraße No. 52. 2 Trep¬ pen hoch. Engels an Friedrich Graeber; [Bremen 1839 Oktober 29] 30 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Mein lieber Fritz — ich bin nicht wie Pastor Stier gesinnt. — Den 29. Oktober, nach einer flott verlebten Messe und einer mit schwerer, furchtbarer Korrespondenz, die durch Gelegenheit nach Berlin ging, sowie nach einem Brief an W. Blank, der lange warten 35 mußte, bin ich endlich so weit, mich mit Dir in aller Freundschaft herumbalgen zu können. Deinen Exkurs über die Inspiration hast Du wohl ziemlich flüchtig hingeschrieben, indem es so wörtlich nicht zu nehmen ist, wenn Du schreibst: die Apostel predigten das Evangelium rein, und das hörte nach ihrem Tode auf. Da mußt 40 Du zu den Aposteln noch den Verfasser der Apostelgeschichte und
1839 Okt. 29 Briefe an die Brüder Graeber 543 des Ebräerbriefs rechnen und beweisen, daß die Evangelien wirklich von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes geschrieben sind, während doch von den drei ersten das Gegenteil feststeht. Ferner sagst Du: ich glaube nicht, daß wir in der Bibel eine andre 5 Inspiration finden dürfen, als wenn die Apostel und Propheten auf¬ traten und dem Volke predigten. Gut, aber gehört nicht wieder eine Inspiration zur richtigen Aufzeichnung dieser Predigten? Und gibst Du in diesem Satz mir zu, daß uninspirierte Stellen in der Bibel sind, wo willst Du da die Grenze ziehn? Nimm die Bibel io zur Hand und lies — Du wirst keine Zeile missen wollen, als da, wo wirkliche Widersprüche sind; aber diese Widersprüche ziehen eine Masse Konsequenzen nach sich ; z. B. der Widerspruch, daß der Aufenthalt der Kinder Israel in Ägypten nur vier Generationen gedauert habe, während Paulus im Galaterbrief (nisi erro) 15 430 Jahre angibt, was sogar mein, mich gern im Dunkeln halten wollender Pastor, als Widerspruch anerkennt. Du wirst mir nicht sagen, Paulus Worte gelten nicht für inspiriert, weil er die Sache gelegentlich erwähnt und keine Geschichte schreibt — was gilt mir eine Offenbarung, in der solch überflüssige und unnütze Dinge vor- 2o kommen. Ist aber der Widerspruch anerkannt, so können beide gleich Unrecht haben, und die alttestamentliche Geschichte tritt in ein zweideutiges Licht, wie denn überhaupt die biblische Chrono¬ logie — das erkennen alle, nur nicht Pastor Tiele zu Obemeuland bei Bremen, an — unrettbar verloren für die Inspiration ist. Das 25 stellt die Geschichte des alten Testaments noch mehr ins Mythen¬ hafte, und es wird nicht lange dauern, bis dies auch auf den Kan¬ zeln allgemein anerkannt ist. — Was den Josuaschen Sonnenstill¬ stand anbetrifft, so ist der schlagendste Grund, den Ihr gebrauchen könnt, daß Josua, als er dies sprach, noch nicht inspiriert gewesen so sei, und später, als er inspiriert das Buch geschrieben habe, habe er nur erzählt. Erlösungstheorie. — „Der Mensch ist so gefallen, daß er aus sich nichts Gutes zu tun vermag.“ Lieber Fritz, laß doch ab von diesem hyperorthodoxen und nicht einmal biblischen Un¬ sinn. Wenn Börne, der in Paris selbst knapp lebte, alles Honorar 35 für seine Schriften armen Deutschen gab, wofür er nicht einmal Dank empfing, so war das hoffentlich doch etwas Gutes? Und Börne war wahrlich kein „Wiedergebomer“. — Ihr habt diesen Satz gar nicht einmal nötig, wenn Ihr nur die Erbsünde habt. Christus kennt ihn auch nicht, so wie so vieles aus der Lehre der Apostel. 4o — Die Lehre von der Sünde habe ich noch am wenigsten über¬ dacht, das ist mir indes klar, daß die Sünde der Menschheit not¬ wendig ist. Die Orthodoxie sieht richtig einen Zusammenhang zwi¬ schen Sünde und irdischen Mängeln, Krankheit etc., sie irrt aber darin, daß sie die Sünde als Ursache dieser Mängel hinstellt, was 4* nur in einzelnen Fällen stattfindet. Diese beiden, Sünde und
544 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Okt. 29 Mängel, bedingen sich gegenseitig, das eine kann ohne das andre nicht bestehen. Und weil die Kräfte des Menschen nicht göttlich sind, so ist die Möglichkeit zur Sünde notwendig; daß sie wirklich eintreten mußte, war durch die rohe Stufe der ersten Menschen gegeben, und daß sie seitdem nicht aufhörte, ist wieder ganz 5 psychologisch. Sie kann auch gar nicht aufhören auf der Erde, weil sie durch alle irdischen Verhältnisse bedingt ist, und Gott sonst die Menschen anders hätte schaffen müssen. Da er sie aber einmal so geschaffen hat, so kann er gar keine absolute Sündlosig- keit von ihnen verlangen, sondern nur einen Kampf mit der Sünde; io daß dieser Kampf plötzlich mit dem Tode aufhören und ein dolce far niente eintreten werde, konnte nur die vernachlässigte Psycho¬ logie früherer Jahrhunderte schließen. Ja, diese Prämissen zu¬ gegeben, wird die moralische Vollkommenheit nur mit der Voll¬ kommenheit aller übrigen geistigen Kräfte, mit einem Auf gehen is in die Weltseele zu erringen sein, und da bin ich bei der Hegel- schen Lehre, die Leo so heftig angriff. Dieser letzte metaphysische Satz ist übrigens so ein Schluß, von dem ich selbst noch nicht weiß, was ich davon halten soll. — Ferner kann nach diesen Prämissen die Geschichte Adams nur Mythe sein, indem Adam entweder Gott 20 gleich sein mußte, wenn er so sündlos geschaffen war, oder sün¬ digen mußte, wenn er mit im übrigen menschlichen Kräften ge¬ schaffen war.—Das ist meine Theorie der Sünde, die indes noch an ungeheurer Roheit und Lückenhaftigkeit leidet; wobei habe ich hier noch einer Erlösung nötig? — „Wollte Gott einen Ausweg zwischen 25 strafender Gerechtigkeit und erlösender Liebe finden, so blieb die Stellvertretung als einziges Mittel über.“ Nun seht einmal, was für Menschen Ihr seid. Uns kommt Ihr damit, daß wir in die Tiefen der göttlichen Weisheit unser kritisches Senkblei herabließen, und hier setzt Ihr sogar der göttlichen Weisheit Schranken. Ein größeres 30 Dementi hätte sich Herr Professor Philippi nicht geben können. Und hört denn — gesetzt auch die Notwendigkeit dieses einzigen Mittels — die Stellvertretung auf, eine Ungerechtigkeit zu sein? Ist Gott wirklich so streng gegen die Menschen, so muß er hier auch streng sein und darf hier kein Auge zudrücken. Arbeite Dir 35 dieses System nur einmal recht scharf und bestimmt heraus, und die wunden Flecke werden Dir nicht entgehen. — Dann kommt ein ganz pompöser Widerspruch gegen die „Stellvertretung als ein¬ ziges Mittel“, indem Du sagst: „Ein Mensch kann nicht Mittler sein, selbst wenn er durch einen Akt der göttlichen^ Allmacht von aller Sünde befreit wäre.“ Also doch noch ein andrer Weg? Ja, wenn die Orthodoxie keine besseren Ver¬ treter in Berlin hat als Professor Philippi, so ist sie wahrhaftig schlimm dran. — Durch die ganze Deduktion zieht sich still¬ schweigend das Prinzip der Rechtmäßigkeit der Stellvertretung. 45
1839 Okt. 29 Briefe an die Brüder Graeber 545 Das ist ein Mörder, den Ihr für Eure Zwecke geworben habt, und der Euch hintennach selbst totsticht. Ihr wollt auch gar nicht recht dran, zu beweisen, daß dies Prinzip nicht mit der göttlichen Ge¬ rechtigkeit streite, und, bekennt es nur ehrlich, Ihr fühlt selbst, 5 daß Ihr diesen Beweis gegen Euer innerstes Gewissen führen müßtet; deswegen huscht Ihr weg über das Prinzip und nehmt die Tatsache, mit einigen schönen Worten von erbarmender Liebe etc. verbrämt, stillschweigend für rechtmäßig an. — „Die Dreieinig¬ keit ist Bedingung der Erlösung.“ Das ist wieder so eine halb- io richtige Konsequenz Eures Systems. Freilich, zwei Hypostasen müßte man schon annehmen, aber die dritte doch wohl nur, weil es so hergebracht ist. „Um aber zu leiden und zu sterben, mußte Gott Mensch werden, denn abgesehen von der metaphysischen Undenkbarkeit, in Gott is als solchen eine Leidensfähigkeit zu setzen, war ja auch die durch die Gerechtigkeit bedingte ethische Notwendigkeit vorhanden.“ — Aber, wenn Ihr die Undenkbarkeit zugebt, daß Gott leiden könne, so hat in Christus der Gott auch nicht gelitten, sondern nur der Mensch, und: „ein Mensch könnte nicht Mittler sein“. Du 20 bist doch noch so vernünftig, daß Du nicht, wie so viele, hier die äußerste Spitze der Konsequenz ergreifst: „also muß Gott gelitten haben“, und Dich daran festhältst. Und was es mit der „durch die Gerechtigkeit bedingten ethischen Notwendigkeit“ für eine Be¬ wandtnis hat, steht auch dahin. Wenn einmal das Prinzip der 25 Stellvertretung anerkannt werden soll, so ist es auch nicht nötig, daß der Leidende gerade ein Mensch sei; wenn er nur Gott ist. Gott kann aber nicht leiden, ergo — sind wir so weit als vorher. Das ist’s eben bei Eurer Deduktion, bei jedem Schritt weiter muß ich Euch neue Konzessionen machen. Nichts entwickelt sich voll 30 und ganz aus dem Vorhergehenden. So muß ich Dir hier wieder zugeben, daß der Mittler auch Mensch sein mußte, was noch gar nicht bewiesen ist; denn gäbe ich dies nicht zu, so wäre ich ja nicht imstande, mich auf das Folgende einzulassen. „Auf dem Weg der natürlichen Fortpflanzung konnte aber die Menschwerdung Gottes 35 nicht vor sich gehen, denn wenn sich auch Gott mit einer von einem Eltempaar erzeugten und durch seine Allmacht entsündigten Per¬ son verbunden hätte, so hätte er sich doch nur mit dieser Person und nicht mit der menschlichen Natur verbunden, und nahm im Leibe der Jungfrau M[aria] nur die menschliche Natur an, in 4o seiner Gottheit lag die personbildende Kraft.“ — Sieh einmal, das ist reine Sophisterei, und Euch durch die Angriffe auf die Not¬ wendigkeit der übernatürlichen Erzeugung abgenötigt. Um die Sache in ein anderes Licht zu stellen, schiebt Herr Professor ein drittes: die Persönlichkeit dazwischen. Das hat nichts damit zu tim. 45 Im Gegenteil, die Verbindung mit der menschlichen Natur ist um Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 35
546 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Okt. 29 so inniger, je mehr die Persönlichkeit menschlich ist und der sie belebende Geist göttlich. Ein zweites Mißverständnis liegt hierbei im Hintergründe versteckt, Ihr verwechselt den Leib und die Per¬ son; das geht noch klarer hervor aus den Worten: „auf der andern Seite konnte Gott sich nicht so ganz abrupt wie den ersten Adam 5 in die Menschheit hineinschaffen, dann hätte er in keiner Verbin¬ dung mit der Substanz unsrer gefallenen Natur gestanden.“ Also um die Substanz, um das Handgreifliche, Leibliche handelt es sich? Das Beste aber ist, daß die schönsten Gründe für die über¬ natürliche Erzeugung, das Dogma von der Unpersönlichkeit der w menschlichen Natur in Christo, nur eine gnostische Konsequenz der übernatürlichen Erzeugung ist. (Gnostisch natürlich nicht in Be¬ ziehung auf die Sekte, sondern die y vGkhq überhaupt. ) Wenn in Christus der Gott nicht leiden konnte, so konnte der personlose Mensch noch viel weniger leiden, und das kommt denn bei dem is Tiefsinn heraus. „So erscheint Christus ohne einzelne menschliche Markierung.“ Das ist eine Behauptung in den Tag hinein; die Evangelisten haben alle vier ein bestimmtes Charakterbild von Jesu, das in seinen meisten Zügen bei allen übereinstimmt. So dürfen wir behaupten, daß der Charakter des Apostels Johannes 2o dem Christi am nächsten gestanden habe; nun aber, wenn Christus keine menschliche Markierung hatte, ist darin eingeschlossen, daß Johannes der vorzüglichste gewesen sei; und das möchte bedenk¬ lich zu behaupten sein. So weit die Entgegnung Deiner Deduktion. Sie ist mir nicht 25 sehr gut gelungen, ich hatte keine Kollegienhefte, sondern nur Fakturabücher und Konti. Bitte deshalb hier und daige Unklarheit zu entschuldigen. — Dein Bruder hat sich noch nicht mit einem Briefe vernehmen lassen. — Du reste, wenn Ihr die Ehrlichkeit meines Zweifels anerkennt, wie wollt Ihr solch ein Phänomen er- 30 klären? Eure orthodoxe Psychologie muß mich notwendig unter die ärgsten Verstockten rangieren, besonders da ich jetzt ganz und gar verloren bin. Ich habe nämlich zu der Fahne des David Fried¬ rich Strauß geschworen und bin ein Mythiker erster Klasse; ich sage Dir, der Strauß ist ein herrlicher Kerl und ein Genie und 35 Scharfsinn hat er wie keiner. Der hat Euren Ansichten den Grund genommen, das historische Fundament ist unwiederbringlich ver¬ loren, und das dogmatische wird ihm nachsinken. Strauß ist gar nicht zu widerlegen, darum sind die Pietisten so wütend auf ihn; Hengstenberg plagt sich in der Kirchenzeitung ungeheuer ab, fal- 40 sehe Konsequenzen aus seinen Worten zu ziehen und hämische Ausfälle gegen seinen Charakter daran zu knüpfen. Das ist’s, was ich an Hengstenberg und Konsorten hasse. Was geht sie die Per¬ sönlichkeit Straußens an; aber da plagen sie sich, seinen Charakter herabzusetzen, damit man sich scheuen möge, sich ihm anzu- 45
1839 Okt. 29 Briefe an die Brüder Graeber 547 schließen. Der beste Beweis, daß sie ihn nicht widerlegen können. Doch jetzt hab’ ich genug theologisiert und will mal anders¬ wohin meinen Blick richten. Wie großartig die Entdeckungen sind, die der Deutsche Bund aus der Demagogie und sämtlichen so- 5 genannten Verschwörungen machte, geht daraus hervor, daß es auf 85 Seiten gedruckt werden kann. Ich habe das Buch noch nicht gesehn, doch las ich Auszüge in Zeitungen, die mir zeigen, wie kostbare Lügen unsre verfluchte Behörde dem deutschen Volke auf tischt. Mit der unverschämtesten Frechheit behauptet der Deut- io sehe Bund, die politischen Verbrecher seien von ihren „recht¬ mäßigen Richtern“ verurteilt worden, da doch jeder weiß, wie überall, besonders da wo öffentliche Gerichtsbarkeit existiert, Kommissionen angeordnet wurden — und was da geschehen, bei Nacht und Nebel, das weiß kein Mensch; denn die Angeklagten is mußten schwören, nichts über das Verhör auszusagen. Das ist das Recht, was in Deutschland existiert — und wir haben über nichts, gar nichts zu klagen! — Es erschien vor etwa sechs Wochen ein vortreffliches Buch: Preußen und Preußentum, von J. Venedey, Mannheim 1839, worin die preußische Gesetzgebung, die Staats- 20 Verwaltung, Steuerverteilung etc. einer strengen Prüfung unter¬ worfen werden, und die Resultate leuchten ein: Begünstigung der Geldaristokratie vor den Armen, Streben nach fortwährendem Absolutismus, und die Mittel dazu : Unterdrückung der politischen Intelligenz, Verdummung der Volksmehrzahl, Benutzung der Re- 25 ligion; glänzendes Außenwesen, Renommisterei ohne Grenzen, und der Schein, als begünstige man die Intelligenz. Der Deutsche Bund hat gleich Sorge getragen, das Buch zu verbieten und die vorrätigen Exemplare mit Beschlag zu belegen ; letzteres ist nur eine Schein¬ maßregel, da die Buchhändler höchstens gefragt werden, ob sie 3o Exemplare hätten, wo denn natürlich jeder rechtschaffne Kerl sagt: Nein. — Kannst Du das Buch Dir dort verschaffen, so lies es ja, denn es sind keine Rodomontaden, sondern Beweise, aus dem preuß ischen Landrechte geführt. — Am liebsten möchte ich, Du könntest Börnes: Menzel der Franzosenfresser bekommen. 35 Dieses Werk ist ohne Zweifel das beste, was wir in deutscher Prosa haben, sowohl was Stil als Kraft und Reichtum der Gedanken be¬ trifft; es ist herrlich ; wer es nicht kennt, der glaubt nicht, daß unsre Sprache solch eine Kraft besitze. — [Schluß fehlt]
548 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Nov. 13—20 Engels an Wilhelm Graeber in Berlin; Bre¬ men 1839 November 13—20 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Den 13. Novbr. 1839. Liebster Guilielme, 5 warum schreibst Du nicht? Ihr gehört sämtlich in die Kategorie der Faulenzer und Bärenhäuter. Aber ich bin ein andrer Kerl! Nicht nur, daß ich Euch mehr schreibe als Ihr verdient, daß ich mir eine ausnehmende Bekanntschaft mit allen Literaturen der Welt verschaffe; ich arbeite mir auch im Stillen in Novellen und 10 Gedichten ein Denkmal des Ruhmes aus, welches, wenn nämlich die Zensur den blitzenden Stahlschimmer nicht zu häßlichem Rost anhaucht, mit hellem Jugendglanz durch alle deutschen Lande, Ostreich ausgenommen, hinscheinen wird. Es gärt und kocht in meiner Brust, es glüht in meinem, bisweilen besoffenen Kopfe ganz 15 ausnehmend; ich sehne mich, einen großen Gedanken zu finden, der die Gärung aufklärt und die Glut zur lichten Flamme anhaucht. Ein großartiger Stoff, gegen den alle meine bisherigen nur Kinde¬ reien sind, ringt sich in meinem Geist empor. Ich will in einer „Märchen-Novelle66 oder einem derartigen Ding die modernen 20 Ahnungen, die sich im Mittelalter zeigten, zur Anschauung brin¬ gen, ich will die Geister auf decken, die unter der harten Erdrinde nach Erlösung pochten, vergraben unter den Fundamenten der Kirchen und Verließe. Ich will wenigstens einen Teil jener Auf¬ gabe Gutzkows zu lösen versuchen: der wahre zweite Teil des 25 Faust, Faust nicht mehr Egoist, sondern sich aufopfernd für die Menschheit, soll noch erst geschrieben werden. Da ist Faust, da ist der ewige Jude, da ist der wilde Jäger, drei Typen der geahnten Geistesfreiheit, die leicht in eine Verbindung und eine Beziehung zu Johann Huß zu setzen sind. Welch ein poetischer Hintergrund, 30 vor dem diese drei Dämonen schalten und walten, ist mir da ge¬ geben! Die früher metrisch angefangne Idee vom wilden Jäger ist darin aufgegangen. — Diese drei Typen (Menschen, warum schreibt Ihr nicht? d. 14. November) werde ich ganz eigentümlich behandeln; besonders verspreche ich mir Effekt von der Auf fas- 35 sung Ahasvers und des wilden Jägers. Leicht kann ich, um die Sache poetischer und Einzelheiten bedeutender zu machen, noch andre Dinge aus deutschen Sagen einflechten — doch das wird sich schon finden. Während die gegenwärtig von mir bearbeitete Novelle nur mehr Studie des Stils und der Charakterschilderung 40 ist, soll diese das Eigentliche werden, worauf ich Hoffnungen für meinen Namen begründe. Den 15. November. Auch heute kein Brief? Was mach’ ich? Was denk’ ich von Euch? Ihr seid mir unbegreiflich. Den
1839 Nov. 13—20 Briefe an die Brüder Graeber 549 20. November. Und wenn Ihr heute nicht schreibt, so kastrier’ ich Euch in Gedanken und lasse Euch warten, wie Ihr tut. Aug’ um Auge, Zahn um Zahn, Brief um Brief. Ihr Heuchler aber sagt: Nicht Aug’ um Auge, nicht Zahn um Zahn, nicht Brief um Brief, 5 und laßt mich bei Eurer verdammten christlichen Sophistik sitzen. Nein, lieber ein guter Heide als ein schlechter Christ. Weltschmerz-Poeten. Da ist ein junger Jude aufgestanden, Theodor Creizenach, wel¬ cher ganz vortreffliche Gedichte und noch bessere Verse macht. io Er hat eine Komödie gemacht, in der W. Menzel und Konsorten aufs kostbarste persiffliert werden. Es strömt jetzt alles der mo¬ dernen Schule zu und baut Häuser, Paläste oder Hüttlein auf dem Fundament der großen Ideen der Zeit. Alles andre kommt auf den Hund, die sentimentalen Liedlein verhallen ungehört und is das schmetternde Jagdhorn wartet eines Jägers, der es blase zur Tyrannenjagd; in den Wipfeln aber rauscht der Sturm von Gott, und die Jugend Deutschlands steht im Hain, die Schwerter zu¬ sammenschlagend und die vollen Becher schwingend; von den Bergen lohen die brennenden Schlösser, die Throne wanken, die 2o Altäre zittern, und ruft der Herr in Sturm und Ungewittern, voran, voran, wer will uns widerstehn? Wir Friedrich Engels oberster Poet im Bremer Ratskeller und privilegierter ZECHEK 25 Tun kund und zu wissen allen Vergangenen, Gegenwärtigen Abwesenden und Zukünftigen daß ihr sämtlich Esel seid, faule Kreaturen, die an dem Überdruß der eignen Existenz dahinsiechen, mir nicht- sdireibende Canaillen und so weiter so Gegeben auf unsrem Comptoirbock, zur Zeit da wir nicht den Katzenjammer hatten. Friedrich Engels.
550 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Nov. 13—20 In Berlin lebt ein junger Poet, Karl Grün, von dem ich dieser Tage ein Buch derWanderungen gelesen habe, welches sehr gut ist. Doch soll er schon 27 Jahre alt sein und dafür könnt’ er besser schreiben. Er hat zuweilen sehr treffende Gedanken, aber oft greu¬ liche Hegelsche Floskeln. Was heißt das z. B.: „Sophokles ist das 5 hochsittliche Griechenland, das seine titanischen Ausbrüche an der Mauer absoluter Notwendigkeit sich brechen ließ. In Shakespeare ist der Begriff des absoluten Charakters zur Erscheinung ge¬ kommen.“ Vorgestern Abend hatte ich große Knüllität im Weinkeller von io zwei Flaschen Bier und zweieinhalb Flaschen Rüdesheimer 1794er. Mein Herr Verleger in spe und diverse Philister waren mit. Probe einer Disputation mit einem dieser Philister über die Bremer Ver¬ fassung: Ich: In Bremen ist die Opposition gegen die Regierung nicht rechter Art, weil sie in der Geldaristokratie, den Älterleuten is besteht, die sich der Rangaristokratie, dem Senat, widersetzen. Er: Das können Sie doch so ganz eigentlich nicht behaupten. Ich: Wes¬ halb nicht? Er: Beweisen Sie Ihre Behauptung. Dergleichen soll hier für Disputation gelten! 0 Philister, geht hin, lernt griechisch und kommt wieder. Wer griechisch kann, der kann auch rite dispu- 20 tieren. Aber solche Kerle disputier’ ich sechs auf einmal tot, wenn ich auch halb knüll bin und sie nüchtern. Diese Menschen können keinen Gedanken drei Sekunden in seine notwendigen Konse¬ quenzen fortspinnen, sondern alles geht ruckweise; man braucht sie nur eine halbe Stunde sprechen zu lassen, ein paar scheinbar 25 unschuldige Fragen aufwerfen und sie widersprechen sich splendi- damente. Es sind gräßlich abgemeßne Menschen, diese Philister; ich fing an zu singen, da beschlossen sie einstimmig gegen mich, daß sie erst essen und dann singen wollten. Da fraßen sie Austern, ich aber rauchte ärgerlich drauflos, soff und brüllte, ohne mich 30 an sie zu stören, bis ich in einen seligen Schlummer geriet. Ich bin jetzt ein ungeheurer Spediteur von verbotnen Büchern ins Preu¬ ßische; der Franzosenfresser von Börne in vier Exemplaren, die Briefe aus Paris von demselben, 6 Bände, Venedey Preußen und Preußentum, das strengst verbotne, in fünf Exemplaren liegen zur 35 Versendung nach Barmen bereit. Die beiden letzten Bände der Briefe aus Paris hatte ich noch nicht gelesen, sie sind herrlich. König Otto von Griechenland wird fürchterlich durchgenommen ; so sagt er einmal: wenn ich der liebe Gott wäre, so würde ich einen kostbaren Spaß machen, ich ließe alle großen Griechen in einer 40 Nacht wieder aufstehen. Nun kommt eine sehr schöne Beschrei¬ bung, wie diese Hellenen in Athen umhergehen, Perikies, Aristo¬ teles etc. Da heißt es: König Otto ist angekommen. Alles macht sich auf, Diogenes putzt das Licht in seiner Laterne und alle eilen zum Piräus. König Otto ist ausgestiegen und hält folgende Rede: 45
1839 Nov. 13—20 Briefe an die Brüder Graeber 551 „Hellenen, schaut über Euch. Der Himmel hat die bayrische Na¬ tionalfarbe angenommen. (Diese Rede ist gar zu schön, ich muß sie ganz abschreiben.) Denn Griechenland gehörte in den ältesten Zeiten zu Bayern. Die Pelasger wohnten im Odenwalde und In- 5 achus war aus Landshut gebürtig. Ich bin gekommen, Euch glück¬ lich zu machen. Eure Demagogen, Unruhestifter und Zeitungs¬ schreiber haben Euer schönes Land ins Verderben gestürzt. Die heillose Preßfreiheit hat alles in Verwirrung gebracht. Seht nur, wie die Ölbäume aussehen. Ich wäre schon längst zu Euch herüber- 10 gekommen, ich konnte aber nicht viel eher, denn ich bin noch nichtlangeaufderWelt. Jetzt seid Ihr ein Glied des Deut¬ schen Bundes; meine Minister werden Euch die neuesten Bundes¬ beschlüsse mitteilen. Ich werde die Rechte meiner Krone zu wahren wissen und Euch nach und nach glücklich machen. Für meine Zivil- 15 liste (Gehalt des Königs im konstitutionellen Staat) gebt Ihr mir jährlich 6 Millionen Piaster, und ich erlaube Euch, meine Schulden zu bezahlen.“ Die Griechen werden konfus, Diogenes hält dem König seine Laterne ins Gesicht, Hippokrates aber ließ sechs Karren Nießwurz holen etc. etc. Diese ganze ironische Dichtung ist 20 ein Meisterstück der beißendsten Satire, und in einem Stil, der göttlich ist. Daß Dir Börne weniger gefällt, kommt daher, daß Du eins seiner schwächsten und frühesten Werke, die Schilderungen aus Paris, liest. Unendlich höher stehen die Dramaturgischen Blätter, die Kritiken, die Aphorismen, und vor allen die Briefe aus 25 Paris und der wundervolle Franzosenfresser. Die Beschreibung der Gemäldesammlung ist sehr langweilig, darin hast du recht. Aber die Grazie, die herkulische Kraft, die Gemütstiefe, der ver¬ nichtende Witz des Franzosenfressers sind unübertrefflich. Hoffent¬ lich sehen wir uns Ostern oder doch Herbst in Barmen, da sollst 30 Du andre Begriffe von diesem Börne bekommen. — Was Du über Torstricks Duellgeschichte schreibst, ist freilich differierend von seinen Nachrichten, doch ist er auf jeden Fall der, der am meisten Unannehmlichkeiten davon hatte. Der Kerl ist gut, lebt aber in Extremen: besoffen hier, etwas pedantisch dort. — 35 Fortsetzung. Wenn Du meinst, die deutsche Literatur sei all¬ mählich eingeschlafen, so bist Du bedeftend irrig. Denke nicht, weil Du wie Vogel Strauß Deinen Kopf vor ihr verbirgst und sie nicht siehst, hörte sie auf zu existieren. Au contraire entwickelt sie sich ansehnlich, was Dir einleuchten würde, wenn Du mehr acht 40 darauf gäbst und nicht in Preußen lebtest, wo die Werke von Gutz¬ kow etc. erst einer besondem und selten erteilten Erlaubnis be¬ dürfen. — Ebenso sehr irrst Du, wenn Du meinst, ich müßte zum Christentum zurückkehren. Pro primo ist mir ridikül, daß ich Dir nicht mehr für einen Christen gelte und pro secundo, daß Du 45 meinst, wer einmal um des Begriffs willen das Vorstellungsmäßige
552 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Nov. 13—20 der Orthodoxie abgestreift hat, könne sich wieder in diese Zwangs¬ jacke bequemen. Ein rechter Rationalist kann das wohl, indem er seine natürliche Wundererklärung und seine seichte Moralsucht für ungenügend erkennt, aber der Mythizismus und die Speku¬ lation kann nicht wieder von ihren morgenrotbestrahlten Firnen in 5 die nebligen Täler der Orthodoxie herabsteigen. — Ich bin näm¬ lich auf dem Punkte, ein Hegelianer zu werden. Ob ich’s werde, weiß ich freilich noch nicht, aber Strauß hat mir Lichter über Hegel angesteckt, die mir das Ding ganz plausibel darstellen. Seine (Hegels) Geschichtsphilosophie ist mir ohnehin wie aus io der Seele geschrieben. Sieh doch, daß du Strauß’ Charakteri¬ stiken und Kritiken bekommst, die Abhandlung über Schleier¬ macher und Daub ist wundervoll. So gründlich, klar und inter¬ essant schreibt außer Strfauß] kein Mensch. Übrigens infallibel ist er gar nicht; ja wenn sein ganzes Leben Jesu als ein Komplex is von lauter Sophismen sich herausstellte, denn das Erste, wodurch dieses Werk so wichtig ist, das ist die ihm zugrunde liegende Idee des Mythischen im Christentum; diese wäre auch durch jene Entdeckung nicht verletzt, denn sie kann immer wieder neu auf die biblische Geschichte angewandt werden. Aber die unleugbar 20 ausgezeichnete Durchführung zugleich mit der Idee gegeben zu haben, das erhöht Strauß’ Verdienst noch mehr. Ein guter Exeget mag ihm hier und da einen Schnitzer oder ein Verfallen ins Extrem nachweisen können, ebenso gut wie Luther im einzelnen angreifbar war; aber das schadet ja nichts. Wenn Tholuck was 25 Gutes über Strfauß] gesagt hat, so ist das reiner Zufall oder eine gut angewandte Reminiszenz; Tholucks Gelehrsamkeit geht zu sehr ins Breite, und dabei ist er nur rezeptiv, nicht einmal kri¬ tisch, geschweige produktiv. Die guten Gedanken, die Tholuck gehabt hat, werden sich leicht zählen lassen, und den Glauben an 30 die Wissenschaftlichkeit seiner Polemik hat er durch seinen Streit mit Wegscheider und Gesenius schon vor zehn Jahren selbst zer¬ stört. Tholucks wissenschaftliche Wirksamkeit ist in keiner Weise nachhaltig gewesen, und seine Zeit ist längst vorbei. Hengsten¬ berg hat doch wenigstens einmal einen originellen, wenn auch 35 absurden Gedanken gehabt: den von der prophetischen Perspek¬ tive. — Es ist mir unbegreiflich, daß Ihr Euch um alles nicht kümmert, was über Hengstenberg und Neander hinausgeht. Allen Respekt vor Neander, aber wissenschaftlich ist er nicht. Statt Verstand und Vernunft bei seinen Werken tüchtig arbeiten zu 40 lassen, auch wenn er einmal mit der Bibel in Opposition käme, läßt er da, wo er dergleichen fürchtet, die Wissenschaft Wissen¬ schaft sein und kommt mit der Empirie oder dem frommen Ge¬ fühl. Er ist gar zu fromm und gemütlich, um Straußen opponieren zu können. Gerade durch diese frommen Ergüsse, an denen sein 45
1839 Dez. 9—1840 Febr. 5 Briefe an die Brüder Graeber 553 Leben Jesu reich ist, stumpft er die Spitzen auch seiner wirklich wissenschaftlichen Argumente ab. A propos — vor ein paar Tagen las ich in der Zeitung, die He- gelsche Philosophie sei in Preußen verboten worden, ein berühm- 5 ter Hallischer Hegelianischer Dozent sei durch ein Ministeriai¬ reskript bewogen worden, seine Vorlesungen zu suspendieren und mehrere Hallische jüngere Dozenten derselben Farbe (wohl Ruge etc.) seien bedeutet worden, sie hätten keine Anstellung zu er¬ warten. Durch eben dieses Reskript sei das definitive Verbot der io Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik entschieden wor¬ den. Weiter habe ich noch nichts gehört. Ich kann an einen so unerhörten Gewaltstreich selbst der preußischen Regierung nicht glauben, obwohl Börne dies vor fünf Jahren schon prophezeite, und Hengstenberg Intimus des Kronprinzen, sowie Neander er- 15 klärter Feind der Hegelschen Schule sein soll. Wenn Ihr etwas über die Sache hört, so schreibt mir davon. Jetzt will ich Hegel studieren bei einem Glase Punsch. Adios. Dein baldiges Schrei¬ ben erwartender Friedrich Engels. Engels an Friedrich Graeber in Berlin; [Bre¬ hmen 1839] Dezember 9 — 1840 Februar 5 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Den 9. Dezbr. Liebster — soeben kommt Dein Brief an, es ist erstaunlich, wie lange man auf Euch Menschen warten muß. Von Berlin ver- 25 lautet seit Deinem und Heusers Brief von Elberfeld aus gar nichts. Man sollte des Teufels werden, sobald seine Existenz erwiesen wäre. Doch Du bist ja arriviert, und es ist gut so. Dir nachahmend, lasse ich die Theologie bis zuletzt, um die Pyramide meines Briefes würdig zu krönen. Ich beschäftige mich so sehr viel mit schriftstellerischen Arbeiten ; nachdem ich von Gutz¬ kow die Zusicherung erhalten, daß ihm meine Beiträge willkom¬ men sind, habe ich ihm einen Aufsatz über K. Beck eingeschickt, sodann mache ich viele Verse, die aber sehr der Politur bedürfen und schreibe diverse Prosastücke, um meinen Stil zu üben. „Eine 35 Bremer Liebesgeschichte66 schrieb ich vorgestern, „Die Juden in Bremen66 gestern; morgen denk’ ich „Die junge Literatur in Bre¬ men66, „Der Jüngste66 (nämlich Comptoirlehrling) oder ein an¬ dres derartiges Ding zu schreiben. In vierzehn Tagen kann man so bei guter Laune leicht fünf Bogen zusammenschmieren, dann 40 poliert man den Stil, setzt hier und da zur Abwechslung Verse dazwischen und gibt’s als: „Bremer Abende66 heraus. Mein Ver¬ leger in spe kam gestern zu mir, ich las ihm den „Odysseus Re- divivus66 vor, der ihn ausnehmend entzückte; er will den ersten Roman aus meiner Fabrik nehmen und wollte gestern mit aller
554 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Dez. 9—1840 Febr. 5 Gewalt ein Bändchen Gedichte haben. Aber leider sind nicht genug da und — die Zensur! Wer ließe den Odysseus durch? Übrigens lasse ich mich durch die Zensur nicht abhalten, frei zu schreiben; mag sie hintennach streichen, so viel sie will, ich begeh’ keinen Kindermord an meinen eignen Gedanken. Unangenehm sind soi- * ehe Zensurstriche immer, aber auch ehrenvoll; ein Autor, der dreißig Jahre alt wird oder drei Bücher schreibt ohne Zensur¬ striche, ist nichts wert, die narbigen Krieger sind die besten. Man muß es einem Buche ansehen, daß es aus einem Kampf mit dem Zensor kommt. Übrigens liberal ist die Hamburger Zensur; in meinem letzten telegraphischen Aufsatze über die deutschen Volks¬ bücher sind mehrere sehr bittre Sarkasmen für den Bundestag und die preußische Zensur, aber kein Buchstabe ist gestrichen worden. Den 11. Dezember. — 0 Fritz! So faul, wie ich diesen Augen¬ blick bin, bin ich seit Jahren nicht gewesen. Ha, mir geht ein w Licht auf: ich weiß, was mir fehlt — ich muß tertium locum be¬ suchen. Den 12. Dezember. Was doch die Bremer für Ochsen — ich wollt’ sagen gute Leute sind! Bei dem jetzigen Wetter sind alle Straßen entsetzlich glatt, und da haben sie vor dem Ratskeller 20 Sand gestreut, damit die Betrunkenen nicht fallen. Dieser nebenstehende Kerl leidet an Weltschmerz, er hat H. Heine in Paris be- suc^ *st von anSestec^t worden; sodann ging er zu Theodor Mundt und lernte 25 wjFw gewisse zum Weltschmerzieren unumgäng- lieh nötige Phrasen. Seit der Zeit ist er sicht- lieh maSerer geworden und wird ein Buch ( c 5z ' / schreiben, daß der Weltschmerz das einzige sichre Mittel gegen die Fettleibigkeit sei. — 30 Den 20. Januar. Ich wollte Dir nicht eher schreiben, als bis über mein Hierbleiben oder Weggehen bestimmt war. Jetzt end¬ lich kann ich Dir sagen, daß ich bis auf weiteres noch hier bleibe. Den 21. Ich gestehe Dir, keine große Lust zur Fortsetzung des theologischen Disputs zu haben. Man versteht sich gegenseitig 35 miß und hat bei der Beantwortung seine ipsissima verba, auf die es ankommt, längst vergessen, und kommt so zu keinem Ziele. Eine gründliche Erörterung der Dinge erforderte einen weit grö¬ ßeren Raum, und mir geht es oft so, daß ich Dinge, die ich in einem früheren Briefe sagte, im folgenden nicht mehr unter- 40 schreiben kann, weil sie zu sehr der Kategorie der Vorstellung an¬ gehörten, von der ich mich indes losgemacht habe. Ich bin jetzt durch Strauß auf den strikten Weg zum Hegeltum gekommen. So ein eingefleischter Hegelianer wie Hinrichs etc. werde ich frei¬ lich nicht werden, aber ich muß schon bedeutende Dinge aus ts
1839 Dez. 9—1840 Febr. 5 Briefe an die Brüder Graeber 555 diesem kolossalen Systeme in mich aufnehmen. Die Hegelsche Gottesidee ist schon die meinige geworden, und ich trete somit in die Reihen der „modernen Pantheisten“, wie Leo und Hengsten¬ berg sagen, wohl wissend, daß schon das Wort Pantheismus einen 5 so kolossalen Abscheu bei den nicht denkenden Pfarrern erregt. Da hab’ ich heut mittag mich köstlich ergötzt an einer langen Predigt der Evangelischen] K[irchen]-Z[eitung] gegen Märklins Pietismus. Die gute K[irchen]-Z[eitung] findet es nicht nur höchst sonderbar, daß sie zu den Pietisten gezählt wird, sondern sie findet io auch noch andre kuriose Dinge. Der moderne Pantheismus, d. h. Hegel, abgesehen davon, daß er schon bei den Chinesen und Parsen sich findet, ist vollkommen ausgeprägt in der von Calvin angegriffnen Sekte der Libertiner. Diese Entdeckung ist wirklich gar zu originell. Noch origineller ist aber die Durchführung. Es 15 hält schon sehr schwer, Hegel in dem wiederzuerkennen, was die K[irchen]-Z[eitung] für seine Ansicht ausgibt, und das hat nun wieder eine an den Haaren herbeigezogne Ähnlichkeit mit einem sehr unbestimmt ausgedrückten Satze Calvins über die Libertiner. Der Beweis war enorm ergötzlich. Der Bremer Kirchenbote weiß dies noch besser auszudrücken und sagt, Hegel leugne die Wahr¬ heit der Geschichte! Es ist enorm, was zuweilen für Unsinn her¬ auskommt, wenn man sich plagt, eine Philosophie, die einem im Wege liegt und die man nicht mehr umgehen kann, als unchristlich darzustellen. Leute, die Hegel nur dem Namen nach kennen und 25 von Leos Hegelingen nur die Anmerkungen gelesen haben, wollen ein System stürzen, das, aus e i ne m Gusse, keiner Klammem bedarf, um sich zu halten. — Über diesem Briefe schwebt ein eminenter Unstern. Gott weiß, wenn ich mich eben dransetze, so geht der Teufel los. Immer bekomme ich Comptoirarbeit. 30 Dieses sind zwei Marionetten, welche wider meinen Willen so steif sind. Sonst wären’s Menschen.
556 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Dez. 9—1840 Febr. 5 Hast Du Strauß’ Charakteristiken und Kritiken gelesen? Sieh daß Du sie bekommst, die Aufsätze drin sind alle ausgezeichnet. Der über Schleiermacher und Daub ist ein Meisterstück. Aus den Aufsätzen über die Württemberger Besessenen ist ungeheuer viel Psychologie zu lernen. Ebenso interessant sind die übrigen theo¬ logischen und ästhetischen Aufsätze. — Außerdem studiere ich Hegels Geschichtsphilosophie, ein enormes Werk, ich lese jeden Abend pflichtschuldigst darin, die ungeheuren Gedanken packen mich auf eine furchtbare Weise. — Neulich warf Tholucks alte Tratsche, der Literarische Anzeiger, in ihrer Albernheit die Frage 10 auf: warum doch der „moderne Pantheismus66 keine lyrische Poesie habe, die doch der altpersische etc. habe? Der Literarische Anzeiger soll nur warten, bis ich und noch gewisse andre Leute diesen Pantheismus einmal durchdrungen haben, die lyrische Poesie soll schon kommen. Es ist übrigens sehr schön, daß der w Literarische Anzeiger Daub anerkennt und die spekulative Philosophie verdammt. Als wenn nicht auch Daub den Grundsatz Hegels gehabt hätte: daß Menschheit und Gottheit dem Wesen nach identisch seien. Das ist diese gräßliche Oberflächlichkeit; ob Strauß und Daub der Grundlage nach übereinstimmen, das & kümmert sie wenig, aber ob Strauß nicht an die Hochzeit zu Kana glaubt, Daub aber doch, danach wird der eine in den Himmel ver¬ setzt und der andre als Kandidat der Hölle bezeichnet. Oswald Marbach, der Volksbücherherausgeber, ist der konfuseste aller Menschen, besonders aber (cum — tum) der Hegelianer. Wie ein 25 Kind Hegels sagen kann: Der Himmel ist auch auf der Erden, Ich fühle klar den Gott in mir zum Menschen werden, das ist mir rein unbegreiflich, weil Hegel die Gesamtheit sehr scharf von dem unvollkommnen Einzelnen unterscheidet. — He- 30 geln hat niemand mehr geschadet als seine Schüler; nur wenige waren wie Gans, Rosenkranz, Ruge etc. seiner würdig. Aber ein Oswald Marbach ist denn doch das Non plus ultra aller Miß- verstehungsmenschen. So ein göttlicher Kerl! — Herr Pastor Mallet hat im Bremer Kirchenboten Hegels System für eine „lose 35 Rede“ erklärt. Das wäre schlimm, denn wenn die Blöcke ausein¬ anderfielen, diese Granitgedanken, so könnte ein einziges Frag¬ ment dieses zyklopischen Gebäudes nicht nur Herrn Pastor Mallet, sondern ganz Bremen totschlagen. Wenn zum Beispiel der Ge¬ danke, daß die Weltgeschichte die Entwicklung des Begriffs der 40 Freiheit ist, mit aller seiner Macht in den Nacken eines Bremi¬ schen Pfarrers fiele — wie sollt’ er seufzen! Den 1. Februar. Heute soll der Brief aber weg, das gehe, wie es gehe.
1839 Dez. 9—1840 Febr. 5 Briefe an die Brüder Graeber 557 Die Russen fangen an, naiv zu werden; sie behaupten, der Krieg gegen die Tscherkessen habe noch nicht so viel Menschen¬ leben gekostet wie eine der kleineren Napoleonischen Schlachten. Solche Naivetät hätte ich einem Barbaren wie Nicolas nicht zu- Laß Dir seine Lebensgeschichte 15 « getraut. Die Berliner, wie ich höre, sind furchtbar wütend auf mich. Ich habe Tholuck und Neander gegen sie ein wenig heruntergemacht und Ranke nicht unter die Superos ver¬ setzt, und das hat sie rasend gemacht. Dazu hab’ ich dem Heuser göttlich tolles Zeug über Beethoven geschrieben. — Ein sehr hübsches Lustspiel hab’ ich gelesen, Weh dem, der lügt! von Grillparzer in Wien, das bedeutend über den gegen¬ wärtigen Lustspielschlendrian weg ist. Hier und da blickt auch ein edler, freier Geist hindurch, dem die östreichische Zensur 20 eine unerträgliche Last ist. Man sieht ihm die Mühe an, die es ihn kostet, einen aristokratischen Adligen so zu zeichnen, daß der adlige Zensor keinen Anstand findet. 0 tempores, o moria, Donner und Doria, heute ist der fünfte Februar da, es ist schänd¬ lich, daß ich so faul bin, but I cannot help it; das weiß Gott, 25 ich tu jetzt nichts. Mehrere Aufsätze hab’ ich unter den Hän¬ den, aber sie rücken nicht vor, und wenn ich abends Verse machen will, so hab ich immer so viel gegessen, daß ich mich vor Schlaf nicht mehr halten kann. — Ich möchte diesen Sommer ungeheuer gern eine Reise machen, ins Dänische, Holstein, Jüt- 30 land, Seeland, Rügen. Ich muß mal sehen, daß mein Alter mir meinen Bruder herschickt, den schlepp ich dann mit. Ich hab’ ein ungeheures Verlangen nach dem Meere, und welch eine interessante Reisebeschreibung ließ sich davon machen; man könnte sie so¬ dann mit etlichen Gedichten herausgeben. Es ist jetzt so gött- 35 liches Wetter und ich kann nicht ausgehen, ich möcht’s ungeheuer gern, es ist Pech. — Dies ist ein dicker Zuckermakler, der eben aus dem Hause geht, und dessen stehende Redenart ist: „Nach meiner Mei- 40 nung nach“. Wenn er auf der Börse mit einem gesprochen hat und weggeht, so sagt er regelmäßig: „Sie leben wohl!“ Er heißt Joh. H. Bergmann. Es gibt rührendes Volk hier. So will ich Dir gleich ein andres 45 Lebensbild hinzeichnen:
558 Briefe an die Brüder Graeber 1839 Dez. 9—1840 Febr. 5 Dieser alte Kerl ist jeden Morgen besoffen und tritt dann vor seine Türe und schreit, seine Brust schlagend: „Ick bin Borger!66 d. h. Ich danke Dir Gott, daß ich nicht bin wie jene, Hannoveraner, Oldenburger oder gar Franzosen, sondern Bremer Borger tägen baren Bremer Kind! 5 Der Gesichtsausdruck der hiesigen alten Wei¬ ber aller Stände ist wahrhaft ekelhaft. Besonders die rechts mit der Stumpfnase ist echt Bremisch. Die Rede vom Bischof Eylert am Ordensfeste hat ein wesentliches Verdienst; jetzt weiß man, 10 was vom König zu halten ist, und sein Meineid ist offiziell. Derselbe König, der anno 1815, als er die Angst kriegte, seinen Untertanen in einer Kabi¬ nettsordre versprach, wenn sie ihn aus der Schwu¬ lität rissen, sollten sie eine Konstitution haben, w derselbe lumpige, hundsföttische, gottverfluchte König läßt jetzt durch Eylert verkündigen, daß niemand eine Konstitution von ihm be¬ kommen werde, denn „Alle 20 für Einen und Einer für Alle sei Preußens Regierungs¬ prinzip66, und „Niemand flicke einen alten Lappen auf ein neues Kleid66. Weißt Du, warum Rottecks vierter Band in Preußen verboten ist? Weil darin steht, 25 daß unsre majestätische Rotznase von Berlin 1814 die spa¬ nische Konstitution von 1812 anerkannt hat und doch 1823 die Franzosen nach Spanien geschickt hat, um diese Konstitution zu vernichten und den Spaniern die edle Gabe der Inquisition und Tortur wiederzubringen. 1826 ist zu Valencia Ripoll von In- 30 quisitions wegen verbrannt worden, und dessen Blut und das Blut von dreiundzwanzigtausend edlen Spaniern, die wegen liberaler und ketzerischer Ansichten im Gefängnis verschmach¬ tet sind, hat Friedrich] Wtilhelm] III. „„„der Gerechte66 66 66 von Preußen auf seinem Gewissen. Ich hasse ihn, und außer ihm 35 hasse ich vielleicht nur noch zwei oder drei, ich hasse ihn bis in den Tod; und müßte ich ihn nicht so sehr verachten, diesen Scheißkerl, so haßte ich ihn noch mehr. Napoleon war ein Engel gegen ihn, der König von Hannover ist ein Gott, wenn unser König ein Mensch ist. Es gibt keine Zeit, die reicher ist an 40 königlichen Verbrechen, als die von 1816 bis 1830; fast jeder Fürst, der damals regierte, hatte die Todesstrafe verdient. Der fromme Karl X., der tückische Ferdinand VII. von Spanien, Franz von Ostreich, diese Maschine, die zu nichts gut war, als Todes¬ urteile zu unterschreiben und von Carbonari zu träumen, Dom 45
1840 Nov. 20 Briefe an die Brüder Graeber 559 Miguel, der ein größeres Luder ist als sämtliche Helden der fran¬ zösischen Revolution zusammengenommen, und den doch Preu¬ ßen, Rußland und Ostreich mit Freuden anerkannten, als er im Blute der besten Portugiesen sich badete, und der Vatermörder 5 Alexander von Rußland, sowie sein würdiger Bruder Nikolaus, über deren scheußliche Taten noch ein Wort zu verlieren über¬ flüssig wäre — o, ich könnte Dir ergötzliche Geschichten erzählen, wie lieb die Fürsten ihre Untertanen haben — ich erwarte bloß von dem Fürsten etwas Gutes, dem die Ohrfeigen seines Volks um den io Kopf schwirren, und dessen Palastfenster von den Steinwürfen der Revolution zerschmettert werden. Leb wohl. Dein Friedrich Engels. Engels an Wilhelm Graeber; Bremen 1840 15 N o v e m be r 20 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Bremen, 20. November 1840. Mein lieber Wilhelm! Es ist nun schon wenigstens ein halbes Jahr vorbei, daß Du 2o mir nicht geschrieben hast. Was soll ich zu solchen Freunden sagen? Du schreibst nicht, Dein Bruder schreibt nicht, der Wurm schreibt nicht, Grel schreibt nicht, Heuser schreibt nicht, der W. Blank läßt keine Zeile erblicken, von Plümacher ist mir noch weniger etwas bewußt, sacré tonnerre, was soll ich dazu sagen? 25 Meine Rolle Kanaster war noch sieben Pfund schwer, als ich Dir zum letzten Male schrieb, jetzt ist kaum noch ein Kubikzoll davon übrig, und noch keine Antwort. Statt dessen jubiliert Ihr in Bar¬ men herum, — wartet Kerls, als ob ich nicht von jedem Glase Bier wüßte, das Ihr seitdem getrunken habt, ob Ihr’s in einem 30 oder mehreren Zügen getrunken habt. Namentlich Du solltest Dich schämen, über meine politischen Wahrheiten loszuziehen, Du politische Schlafmütze. Wenn man Dich auf Deiner Landpfarre, denn ein höheres Ziel wirst Du doch wohl nicht erwarten, ruhig sitzen und jeden Abend mit der Frau 35 Pfäffin und den etwaigen jungen Pfäfflein spazieren gehen läßt, ohne Dir eine Kanonenkugel vor die Nase zu schicken, bist Du seelenvergnügt und kümmerst Dich nicht um den frevelhaften F. Engels, der gegen das Bestehende räsonniert. O ihr Helden! Aber Ihr werdet dennoch in die Politik hereingerissen, der Strom io der Zeit überflutet Eure Idyllenwirtschaft, und dann steht Ihr da
560 Briefe an die Brüder Graeber 1840 Nov. 20 wie die Ochsen am Berge. Tätigkeit, Leben, Jugendmut, das ist der wahre Witz! Von dem großartigen Ulk, den unser gemeinschaftlicher Freund Krummacher hier angeregt hat, werdet Ihr nun wohl schon gehört haben. Jetzt ist es so ziemlich vorbei, aber es ist arg gewesen. Die 5 Panieliter haben sich bataillonsmäßig formiert, haben das Arsenal der Bürgerwehr gestürmt und sind mit einer großen dreifarbigen Fahne durch die Stadt gezogen. Sie sangen Ein freies Leben führen wir und Vivat Paniel, Paniel lebe, Paniel ist ein braver Mann. Die Krummacherianer scharten sich auf dem Domshof, besetzten io das Rathaus, wo gerade der Senat Sitzung hielt, und plünderten die Waffenkammer. Mit Hellebarden und Morgensternen bewaff¬ net, stellten sie sich auf dem Domshof in ein Karree, richteten die beiden Kanonen, die an der Hauptwache stehen (Pulver hatten sie aber nicht), gegen die Obemstraße, von wo die Panieliter 15 kamen, und erwarteten so den Feind. Dieser aber, als er vor den Kanonen angekommen war, kam1) von der andern Seite auf den Markt, und besetzte1) ihn. Die 600 Mann starke Reiterei ok¬ kupierte den Grasmarkt, gerade den Krummacherianern gegen¬ über, und war des Kommandos zum Einhauen gewärtig. Da trat 20 der Bürgermeister Smidt aus dem Rathause. Er ging zwischen die Parteien, stellte sich festen Fußes auf den Stein, auf dem die Gift¬ mischerin Gottfried hingerichtet wurde, und welcher gerade einen halben Zoll aus dem Pflaster hervorragt, und sprach, zu den Krummacherianern gewendet: „Ihr Männer von Israel!66 Dann 25 drehte er sich zu den Panielitem: 9Dann wandte er sich bald rechts bald links und hielt folgende Rede: Sintemal Krummacher ein Fremder ist, so ziemt es sich nicht, daß ein Streit, den er erregt hat, in unsrer guten Stadt ausge¬ fochten werde. Ich schlage also den geehrten Teilen vor, sich gütigst auf die Bürgerweide begeben zu wollen, welche für der¬ gleichen Szenen ein sehr passendes Terrain bietet. Dies wurde billig befunden, die Parteien zogen zu verschie¬ denen Toren hinaus, nachdem Paniel sich mit dem steinernen Schilde und Schwert Rolands bewaffnet hatte. Den Oberbefehl der Krummacherianer, welche 623972 Mann stark waren, über¬ nahm Pastor Mallet, der 1813 den Feldzug mitgemacht hat; er befahl, Pulver zu kaufen und ein paar kleine Pflastersteine mit¬ zunehmen, um sie in die Kanonen zu laden. Auf der Bürgerweide angekommen, ließ Mallet den Kirchhof besetzen, der daran stößt 40 und von einem breiten Graben umgeben ist. Er stieg auf das Mo¬ nument des Gottfried Menken und befahl die Kanonen auf dem Wall des Kirchhofs aufzufahren. Aber aus Mangel an Pferden waren die Kanonen nicht fortzuschaffen gewesen. Inzwischen war 9 /m Orig. Plural kamen, besetzten
1840 Nov. 20 Briefe an die Brüder Graeber 561 es neun Uhr abends und pechdunkel. Die Heere biwakierten, Paniel in Schwachhausen, einem Dorfe, Mallet in der Vorstadt. Das Hauptquartier war in der Reitbahn vor dem Herdentore, welche zwar schon von einer Kunstreiterbande okkupiert war, 5 aber als Pastor Kohlmann von Hom in der Bahn einen Abend¬ gottesdienst hielt, liefen die Reiter weg. Dies geschah am 17. Ok¬ tober. Am 18. morgens rückten die beiden Armeen aus. Paniel, der 42673/4 Mann zu Fuß und lößQVi Reuter hatte, griff an. Eine Infanteriekolonne, die Paniel selbst anführte, drang auf das erste io Treffen Mallets ein, welches aus seinen Katechisationsschülem und einigen zelotischen Frauen bestand. Nachdem drei alte Weiber gespießt und sechs Katechumenen erschossen waren, stob das Bataillon auseinander und wurde von Paniel in den Chaussee¬ graben geworfen. Auf dem rechten Flügel Panieis stand Pastor 15 Capelle, der mit drei Schwadronen Kavallerie, die aus den jungen Comptoiristen gebildet war, Mallet umging und ihm in den Rücken fiel; er besetzte die Vorstadt und nahm dem Mallet so seine Ope¬ rationsbasis. Panieis linker Flügel rückte unter Pastor Rothes Befehl auf die Homer Chaussee und drängte den Jünglingsverein, 2o der mit den Hellebarden nicht umzugehen wußte, auf das Gros von Mallets Armee zurück. Da hörten wir, unsrer sechse, in der Fechtstunde das Schießen, stürzten mit Fecht-Jacken, -Hand¬ schuhen, -Masken und -Hüten heraus; das Tor war geschlossen, ein Angriff auf die Wache verschaffte uns den Schlüssel, und so 25 kamen wir, das Rappier in der Hand, auf dem Kampfplatz an. Richard Roth von Barmen formierte den zersprengten Jünglings¬ verein aufs neue, während Höller von Solingen sich mit dem Rest der Katechumenen in ein Haus warf; ich und drei andre hieben ein paar Panieliter vom Pferde, stiegen auf, warfen, vom 30 Jünglingsverein unterstützt, die feindliche Kavallerie; Mallets Hauptarmee rückte vor, unsre Rappiere verbreiteten Quarten, Ter¬ zen, Schrecken und Tod, und in einer halben Stunde waren die Rationalisten zerstreut. Jetzt kam Mallet um zu danken, und als wir sahen, für wen wir gefochten hatten, sahen wir uns erstaunt an. 35 Se non è vero, è corne spero ben trovato. Schreibt nun aber bald ! Und animiere den Wurm, daß er mir schreibt ! Fr. Engels.
562 Briefe an die Brüder Graeber 1841 Febr. 22 Engels an Friedrich Graeber; Bremen 1841 Februar 22 Original im Besitze von Emil Engels, Engelskirchen Ew. Hochwohlehrwürden in spe haben die Gnade gehabt, habuerunt gratiam mir zu schreiben 5 mihi scribendi sc. literas. Multum gaudeo, tibi adjuvasse ad gratificationem triginta thalerorum, speroque, te ista gratificatione usum esse ad bibendum in sanitatem meam. mv Xql~ GTuzvcapov, péyaç äarQov rfjç ÔQ&oôo&aç, navaiQ tcov Avnrjç, ßaatXeÜQ rrjç ;!;! 10 r’jçn-nbti b’ççn-nç rna schwebte über F. Graeber, als er das Unmögliche tat und bewies, daß zweimal zwei fünf sind. Oh Du großer Strau- ßenjäger, ich beschwöre Dich im Namen der ganzen Orthodoxie, daß Du das ganze verruchte Straußennest zerstörst und all die 15 halbausgebrüteten Straußeneier mit Deinem Sankt Georgsspieß durchbohrest! Reite hinaus in die Wüste des Pantheismus, tapfrer Drachentöter, kämpfe mit dem Leo rugiens Ruge, welcher umher¬ geht und suchet, wen er verschlinge, vernichte die verdammte Straußenbrut und pflanze das Banner des Kreuzes auf dem Sinai 20 der spekulativen Theologie auf! Laß Dich erflehen; siehe, die Gläubigen warten schon seit fünf Jahren auf den, der der Strau- ßischen Schlange den Kopf zerteten soll, sie haben sich abge¬ plackt, mit Steinen und Kot, ja mit Mist nach ihr geworfen, aber immer höher schwillt ihr der giftstrotzende Kamm; da Dir das 25 Widerlegen so leicht wird, daß all die schönen Gebäude von selbst über den Haufen stürzen, so mache Dich auf und widerlege das Leben Jesu und den ersten Band der Dogmatik; denn die Ge¬ fahr wird immer dringender, das Leben Jesu hat bereits mehr Auflagen erlebt, als alle Schriften Hengstenbergs und Tholucks 30 zusammen, und es wird schon Comment, jeden, der kein Strau¬ ßianer ist, aus der Literatur herauszuschmeißen. Und die Halli- schen Jahrbücher sind das verbreitetste Journal Norddeutsch¬ lands, so verbreitet, daß seine preußische Majestät es nicht mehr verbieten kann, so gern er es möchte. Das Verbot der Hallischen 35 Jahrbücher, die ihm alle Tage die größten Grobheiten sagen, würde ihm auf der Stelle eine Million Preußen, die jetzt noch nicht wissen, was sie von ihm denken sollen, zu Feinden machen. Und es ist für Euch die höchste Zeit, sonst werdet Ihr von uns, trotz der frommen Gesinnungen des Königs von Preußen, zum & ewigen Stillschweigen verwiesen. Überhaupt solltet Ihr Euch ein wenig mehr Courage anschnallen, damit die Paukerei einmal
1841 Febr. 22 Briefe an die Brüder Graeber 563 recht losgeht. Aber da schreibt Ihr so ruhig und gelassen, als ob die orthodox-christlichen Aktien hundert Prozent Agio ständen, als ob der Strom der Philosophie ruhig und gelassen, wie zu Zeiten der Scholastiker, zwischen seinen kirchlichen Dämmen 5 flösse, als ob sich zwischen den Mond der Dogmatik und die Sonne der Wahrheit nicht die unverschämte Erde zu einer grausigen Mondfinsternis eingedrängt hätte. Merkt Ihr denn nicht, daß der Sturm durch die Wälder fährt und alle abgestorbnen Bäume um¬ schmeißt, daß statt des alten, ad acta gelegten Teufels der kritisch- 10 spekulative Teufel erstanden ist und einen enormen Anhang hat? Wir fordern Euch ja alle Tage heraus mit Übermut und Spott, laßt Euch doch auch einmal durch die dicke Haut — sie ist freilich 1800 Jahre alt und etwas lederhart geworden — stechen und be¬ steigt das Kampfroß. Aber alle Eure Neander, Tholuck, Nitzsch, is Bleek, Erdmann und wie sie heißen, das sind so weiche, gefühl¬ volle Kerls, denen der Degen so possierlich stehen würde, die sind alle so ruhig und bedächtig, so bange vor dem Skandal, daß gar nichts mit ihnen anzufangen ist. Der Hengstenberg und der Leo haben doch noch Courage, aber der Hengstenberg ist so oft aus 20 dem Sattel geworfen worden, daß er ganz lendenlahm ist, und der Leo hat sich bei der letzten Rauferei mit den Hegelingen den gan¬ zen Bart ausrupfen lassen, so daß er sich jetzt mit Anstand nicht mehr sehen lassen kann. Übrigens hat sich der Strauß gar nicht blamiert, denn wenn er vor ein paar Jahren noch glaubte, daß 25 durch sein Leben Jesu der Kirchenlehre kein Eintrag geschähe, so hätte er allerdings, ohne sich etwas zu vergeben, ein „System der orthodoxen Theologie“ lesen können, wie so mancher Orthodoxe ein „System der Hegelschen Philosophie“ liest, wenn er aber, wie das Leben Jesu zeigt, wirklich glaubte, daß der Dogmatik über- 3o haupt durch seine Ansichten kein Eintrag geschehe, so wußte jeder vorher, daß er bald von solchen Ideen zurückkommen würde, wenn er nur einmal die Dogmatik ernstlich vomähme. Er sagt’s ja auch grade heraus in der Dogmatik, was er von der Kirchenlehre hält. Es ist übrigens sehr gut, daß er sich in Berlin angesiedelt hat, da 36 ist er an seinem Platze und kann durch Wort und Schrift mehr wirken als in Stuttgart. Daß ich als Poet auf den Hund gekommen sein soll, wird von mehreren Seiten bestritten, und übrigens hat der Freiligrath meine Verse nicht aus poetischen, sondern aus Tendenz- und räumlichen 4o Gründen nicht drucken lassen. Erstens ist er nicht eben liberal, und zweitens sind sie zu spät gekommen; drittens war so wenig Raum da, daß von den für die letzten Bogen bestimmten Ge¬ dichten Bedeutendes gestrichen werden mußte. Das Rheinlied von N. Becker ist übrigens doch wahrhaftig ein ganz ordinäres 45 Ding und schon so auf den Hund gekommen, daß man es in 36*
564 Briefe an die Brüder Graeber 1841 Febr. 22 keinem Journal mehr loben darf. Da ist doch der Rhein von R. E. Prutz ein ganz andres Lied. Und andre Gedichte von Becker sind auch weit besser. Die Rede, die er bei dem Fackelzuge ge¬ halten hat, ist das Verworrenste, was mir je vorgekommen ist. Für die Ehrenbezeugungen von den Königen bedanke ich mich. 5 Was soll all das? Ein Orden, eine goldne Tabatière, ein Ehren¬ becher von einem Könige, das ist heutzutage eher eine Schande als eine Ehre. Wir bedanken uns alle für dergleichen und sind gott¬ lob sicher, denn seit ich meinen Artikel über E. M. Arndt im Tele- gr[aphen] drucken ließ, wird es selbst dem verrückten König von 10 Bayern nicht einfallen, mir eine solche Narrenschelle anzuheften oder den Stempel des Servilismus auf den Hintern zu drücken. Je schuftiger, je kriechender, je serviler einer heutzutage ist, desto mehr Orden kriegt er. Ich fechte jetzt wütend und werde Euch demnächst alle zu- 15 sammenhauen. Zwei Duelle hab’ ich hier in den letzten vier Wo¬ chen gehabt, der Erste hat revoziert, nämlich den dummen Jungen, den er mir, nachdem ich ihn geohrfeigt, auf brummte, und hat die Ohrfeige noch ungesühnt sitzen; mit dem Zweiten hab ich mich gestern geschlagen und ihm einen famosen Abschiß über die Stirn 20 beigebracht, so recht von oben herunter, eine ausgezeichnete Prime. Fare well, Dein F. Engels. Br. 22. 2. 41. 25
BRIEFE AN DIE SCHWESTER MARIE Sommer 1838—Sommer 1842
Engels an seine Schwester Marie in Bar¬ men; Bremen 1838 August 28—29 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Bremen, d. 28. Aug. 1838. 5 Liebe Marie! Als ich Deinen Brief nur eben zu sehen bekam, wußte ich gleich, daß er von Dir war, obwohl ich Deine Hand sonst nicht kenne. Denn der Brief sieht grade aus, wie Du; schrecklich schnell geschrieben, Alles in lieblicher Konfusion, Moralitäten, die aber io gar nicht ernst gemeint sind, Wie geht es Dir, Gesundheit, Emil- chen und Adelinchen, Unglücksfälle, Alles durcheinander. — Hier ist eben auch ein Unglücksfall passiert, ein Anstreicher — in 8 Tagen der zweite, ist vom Brett1) gefallen und gleich tot. Daß Emilchen und Adelinchen wegkommen, ist was ganz Er- 15 staunliches; wenigstens Treviranus waren ganz erstaunt darüber, sie meinten Alle, Carl erzöge sie. Den 29. August. Daß Ihr nach Xanten wollt, ist ganz gut, und Ihr sollt auch wohl dahinkommen, wenn es die Mutter der Tante und Groß- 2o mutter versprochen hat. Ihr müßt machen, daß Ihr in der Wein¬ traubenzeit hinkommt, dann könnt Ihr essen, was das Zeug hält. In unserm Garten hier sind auch Weintrauben, aber sie sind noch nicht reif, aber Äpfel haben wir, die reif sind, Paradiesäpfel, die sind viel leckerer als die auf Caspars Hof waren auf dem dicken 25 Baum, den sie umgehauen haben. — Denke Dich, Marie, wir haben Dich eine Klucke mit sieben Küken, die kaum 8 Tage alt sind, und wenn wir auf dem Kontor nichts zu tun haben, dann gehen wir auf den Hof und fangen Fliegen, Mücken und Spinnen, und dann kommt die Alte, und so nimmt es uns aus der Hand und gibt es ihnen. Aber da ist ein schwarzes Küken, das ist so groß wie ein Kanarienvogel, das frißt die Fliegen aus der Hand. Und alle diese kleinen Tierchen wer¬ den Kruphühner, und haben alle Federn an den Füßen. Ich wette, solch eine Klucke und Küken würden Dir große Freude machen. 35 Du bist ja selbst so ein Küken. Du mußt der Mutter sagen, sie sollte nächstes Jahr auch einem Huhn Eier unterlegen. Auch Tauben haben wir, sowohl bei Treviranus, als bei Leupolds, Kot¬ 1) Korr, aus Dache
568 Briefe an seine Schwester Marie 1838 Aug. 28—29 becke und Kröpper, die hier Krontauben (weil sie ein Pläschen vor der Brust haben, was sie hier Krone nennen) und Kropper heißen. Besonders die Kotbecke sind schön. Die füttern wir auch alle Tage, Eberlein und ich; sie fressen aber keine Wicken, die gibt es hier nicht, sondern Erbsen oder ganz kleine Buchnüsse, die 5 nicht größer werden als Erbsen. — Du solltest einmal sehen, wenn des Morgens der Markt voll ist, was für merkwürdige Trachten die Bäuerinnen haben. Besonders die Mützen und Strohhüte sehen merkwürdig aus. Wenn ich ein¬ mal eine Frau recht mit Ruhe ansehen kann, will ich nachher ver-10 suchen, es einmal abzuzeichnen, und will es Dir schicken. Die Mädchen tragen ein ganz kleines rotes Käppchen über das Nest, und alte Frauen haben große Flügelhauben, die ihnen flach an¬ liegen und bis ins Gesicht hängen, oder auch große Sammtkappen, die vorne mit schwarzen Spitzen kraus eingefaßt sind. Es sieht 15 ganz sonderbar aus. Mein Stubenfenster geht nach einer Gasse hinaus, und in der Gasse da spukt es. Wenn ich des Abends spät noch auf bin, so um elf Uhr, dann fängt es an in der Gasse zu lärmen, und die Katzen schreien, die Hunde bellen, die Gespenster lachen und 20 heulen, und sie schlagen an die Schlagfenster von dem andern Hause; das geht aber all ganz natürlich zu, denn in der Gasse wohnt der Laternenbesorger, und der läuft um elf Uhr noch heraus. Jetzt habe ich zwei Seiten vollgeschrieben; wenn ich es nun 25 machen wollte, wie Du, würde ich jetzt schreiben: „Nun wirst Du wohl zufrieden sein, da ich Dir so viel erzählt habe, nächstens will ich Dir wieder so viel erzählen.“ So machst Du es; Du schreibst mir zwei Seiten voll, und sehr weit von einander, und läßt mir die andern zwei Seiten leer; damit Du aber siehst, daß 30 ich es nicht mache, wie Du, und nicht gleiches mit gleichem ver¬ gelte, will ich mich plagen, daß ich Dir vier Seiten enggeschrieben zusammenstudiere. Heute Morgen kam ein Barbierer, und da wollte der Herr Pastor haben, ich sollte mich rasieren lassen, ich sähe ganz ab- 35 scheulich aus. Aber das tue ich nicht, der Vater hat gesagt, ich sollte meine Rasiermesser versiegelt liegen lassen, bis ich sie ge¬ brauchte, und der Vater ist heute vor 14 Tagen abgereist, und in der Zeit kann mir der Bart doch so nicht gewachsen sein. Nun rasiere ich mich auch nicht eher, als bis ich einen rabenschwarzen 40 Schnurrbart habe. Ja, weißt Du noch, daß die Mutter sagte, der Vater sollte mir ein Rasierzeug mitgeben, und der Vater ant¬ wortete, das hieße ja mich dazu verführen, und in Manchester kauft er mir selbst welche; ich gebrauche sie aber nicht, aus Grundsätzen. 45
1838 Aug. 28—29 Briefe an seine Schwester Marie 569 Eben komme ich von der Parade, die alle Tage auf dem Doms¬ hofe ist. Da exerziert denn die große hanseatische Armee, die aus ungefähr 40 Soldaten und 25 Musikanten, auch 6 bis 8 Offizieren besteht, und (wenn ich den Tambour Major ausnehme) alle zu- 5 sammen so viel Schnurrbart hat, als ein preußischer Husar. Die meisten haben gar keinen Bart, andre bloß eine Idee davon. Die Parade dauert ganze zwei Minuten, die Soldaten kommen hin, stellen sich auf, präsentieren’s Gewehr und gehen wieder weg. Aber die Musik ist gut (sehr gut, wunderschön, wundervoll sagen io die Bremer). Gestern ist solch ein Hanseate eingebracht, der desertiert war. Dieser Kerl war ein Jude, und ging bei Pastor Treviranus in Religionsunterricht und wollte getauft werden. Nun desertierte er, ging aber nicht aus der Stadt, sondern schrieb einen Brief an den Pastor Treviranus, er wäre in Brinkum und wäre 15 durch einen Verwandten beredet, dorthin zu kommen; er, der Pastor, möge bitten, daß die Strafe gemildert würde. Das wollte der Pastor auch tim, als auf einmal dieser Kerl gestern vor Bremen arretiert wurde, und es sich auswies, wo er war. Jetzt wird er wohl ein Stück oder 60 Hiebe kriegen — denn hier kriegen die Sol- 2o daten immer Hiebe. Es wohnen gar keine Juden in Bremen, bloß ein Paar Schutz¬ juden in der Vorstadt, aber in die Stadt darf keiner ziehen. — Es regnet heute wieder den ganzen Tag. Gestern vor 8 Tagen hat es einmal gar nicht geregnet, sonst alle Tage, wenn auch oft 25 nur ein wenig. Am Sonntag war es sehr heiß, und auch gestern war die Luft etwas schwül, obwohl der Himmel oft bewölkt war, aber heute, nein, heute ists nicht zum Aushalten. Klatschnaß wird man, so wie man vor die Türe tritt. Wie sieht’s bei Euch aus? Jetzt will ich an die Mutter schreiben. — Seid ihr Kamper- 3o manns wieder gut, alte Gänse? Adieu Marie, Dein Bruder Friedrich. Engels an seine Schwester Marie in Bar- 35 men; [Bremen 1838] September 11 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen D. 11. Septb. Liebe Marie, „In der Hoffnung, daß ich wieder einen Brief von 4 Seiten 40 von Dir bekommen werde, verbleibe ich etc.“ Ja, Du Gänschen, 4 Seiten sollst Du haben, aber sie sind auch danach, mit dem Maße, mit welchem Du mißt, soll Dir wieder gemessen werden,
570 Briefe an seine Schwester Marie 1838 Sept. 11 und doch ist das noch zu viel für Dich. Denn ich schreibe auf solch eine kleine Seite so viel wie Du auf eine große, und solch ein Papierverschänden möchte ich mir nächstens auch verbitten; wenn der Dicke so weit schreibt, so ist das was andres. Verstehn Sie mir, Mamsellchen? — Wenn Ihr dieses Jahr nicht nach Xanten s geht, so müßt Ihr sagen: tröste Dich mit Hiob Un schmear de Monk met Syrop. Ich kann’s nicht helfen, sagt man hier in Bremen. Ihr könnt Euch ja denken, Ihr wärt da gewesen, und weißt Du nicht mehr, wie es der Hermann machte, als er ein Glas Wein bekam? er trank io ganz langsam, damit er lange Freude davon habe. Also müßt Ihr auch sagen: Wenn wir jetzt in Xanten wären, so könnten wir uns nicht mehr drauf freuen, daß wir noch hingingen, aber nun haben wir noch ein ganzes hoffnungsvolles Jahr voraus, da können wir uns recht satt freuen. Sieh, das ist politisch, so würden Sokrates w und Eulenspiegel auch sagen. Merke Dir das für die Zukunft. Du siehst, ich kann Dir auch Ermahnungen geben eben so gut wie Du mir. Und wenn Du mir wieder schreibst, so fange mir nicht jeden Absatz an mit: „Denke Dir/6 Wie kommst Du an diese edle Ge¬ wohnheit? Wie kannst Du sagen „ich weiß nicht mehr, was ich 20 schreiben soll,66 wenn Du mir noch nicht gesagt hast, was für ein Hauptzeugnis Du und Anna hast, wer die Abhandlung vor Eurem Programm dies Jahr geschrieben hat; der Dicke wird auch wohl einen Witz gerissen haben in den 8 Wochen, die ich weg bin, konntest Du mir das nicht schreiben? Wie viel mag noch sonst25 passiert sein, wovon ich gar nichts wissen kann? Sag einmal, ist das eine Entschuldigung: ich weiß nicht, was ich schreiben soll? Ich weiß auch nicht, was ich schreiben soll, wenn ich eine Zeile anfange, weiß ich noch nicht, was ich in die folgende setzen soll, und es fließt mir doch immer zu, und ich hoffe auch daß es Dir 30 ersprießlich und von nicht geringem Nutzen sein wird, was ich Dir schreibe. Aber wenn Du zwei Seiten mit weit entfernten Zeilen besät hast, dann meinst Du gleich, Du hättest eine ungeheure Her¬ kulesarbeit verrichtet, aber was denkst Du von mir? Wenn ich diesen Brief an Dich fertig habe, muß ich noch drei andre schrei- 35 ben, und morgen oder übermorgen müssen sie doch auf die Post. Dabei habe ich nicht viel Zeit, denn heut Nachmittag wird das Schiff Panchita nach Havanna expediert, und da muß ich Briefe kopieren, statt selbst welche zu schreiben; heute mittag erwarte ich einen Brief von Strücker, und der wird dann auch Antwort 40 haben wollen; und ich darf doch auch nicht wieder dasselbe dem einen schreiben, was ich dem andern geschrieben habe; siehst Du nun, daß es recht wäre, Du schriebst mir sechs Seiten, und dürftest Dich nicht beklagen, wenn ich Dir nur ^6 Seite schriebe? Übrigens ist die Strafpredigt schon so lang wie Dein ganzer Brief, und da- 45
1838 Sept. 11 Briefe an seine Schwester Marie 571 mit Du siehst, daß ich auch was Andres schreiben kann, will ich jetzt so frei sein und Dir sagen, daß ich Dir, wenn ich Pinsel habe, ehe dieser Brief abgeht, einige Bremer Bauernmodebilder einschicken werde. — Aber jetzt hast Du recht, ich weiß nicht 5 mehr, was ich schreiben soll, aber ich will doch einmal sehen, ob ich nicht noch was zu tun kriege; die 4 Seiten sollen voll sein, und das redlich. Was sehr unangenehm ist, die Tore werden abends mit Dunkelwerden geschlossen und wer dann hinaus pder herein will, muß Sperre bezahlen; jetzt fängt es um sieben Uhr schon an, io dann muß man 2 Grote bezahlen, und es steigt mit der Zeit; nach 9 bezahlt man 3 gt., um 10 Uhr 6 gt., um 11 Uhr 12 gt. Zu Pferde muß man noch mehr bezahlen. Es ist mir auch schon ein paarmal passiert, daß ich Sperre bezahlen mußte. — Eben spricht der Konsul mit Herm Grave über die Briefe, die heut Nachmittag ge- 15 schrieben werden sollen; ich höre das an mit höchst gespannter Seele, wie ein Spitzbub, der die Geschwomen heraustreten sieht und nun: „Schuldig66 oder „Nicht schuldig66 erwartet. Denn wenn Grave einmal anfängt zu schreiben, dann habe ich, ehe ich mich versehe, sechs, sieben, acht oder mehr Briefe von 1, 2, auch 2o 3 Seiten da liegen. Ich habe in der Zeit, daß ich hier bin, schon 40 Seiten kopiert, 40 Seiten in solch einem riesenmäßigen Kopier¬ buch. Eben liegt schon wieder ein Brief nach Baltimore vor mir, und siehe da, die 4 Seiten sind voll, es ist %12 Uhr und ich werde nach der Post gehen, unter dem Vorwand, die Konsulsbriefe zu 25 holen, eigentlich aber zu sehen, ob ein Brief von Strücker da ist. Adieu, liebe Marie, ich hoffe auf 4 große Seiten, Dein Bruder Friedrich. Engels an seine Schwester Marie in Bar- so men; Bremen 1838 Oktober 9—10 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Bremen, 9. Okt. 1838. Liebe Marie Endlich vier Seiten voll! Nun, da will ich Dich auch loben, 35 daß Dir die Schwarte knackt, wie man zu sagen pflegt. Das Reiten ist jetzt leider vorbei, und darum bin ich Sonntags meistens zu Hause, wo ich aber auch viel Pläsir habe; entweder ich lasse mir was vorspielen und vorsingen, oder ich schreibe, und Abends wird denn allerlei tolles Zeug getrieben; vorgestern, wo bekannt- 40 lieh Sonntag war, machten wir einen Ring in eine Obertasse voll
572 Briefe an seine Schwester Marie 1838 Okt. 9—10 Mehl und spielten das bekannte Spiel, ihn mit dem Munde heraus¬ zuholen. Wir kamen alle dran, die Frau Pastorin, die Mädchen, der Maler und ich auch, während der Herr Pastor in der Ecke auf dem Sopha saß und beim Dampf einer Zigarre das Hokuspokus mit ansah. Die Frau Pastorin konnte dann das Lachen nicht lassen, 5 wenn sie ihn herauskriegen sollte, und machte sich über und über voll Mehl, und als der Maler dran kam, hustete er mit aller Ge¬ walt drin, daß das Mehl rechts und links herausschnob und sich wie ein Nebel auf seinen grün und roten Schlafrock niederließ. Nachher warfen wir uns einander das Mehl ins Gesicht, ich machte 10 mich mit einem Korkstopfer schwarz, da lachten sie alle, und wenn ich dann auch an zu lachen fange, dann müssen sie immer¬ fort immer toller, immer voller lachen, und da lachte ich so laut: Hä hä hä hä hä, da lachten die andern alle nach hi hi hi hi hi, ha ha ha ha ha, es war grade wie in dem Märchen, wo der Jude 15 im Dom tanzen muß, bis sie mich zuletzt baten, ich sollte um Gotteswillen aufhören. — Du bist doch noch immer eine rechte Gans, wenn die Jettchen Trost Dir Langeweile macht, warum läßt Du sie nicht laufen. Jetzt fängt die Gans an, mir die Leviten zu lesen; das ist 20 rührend. Sag einmal, Gans, kennst Du denn das Sprichwort nicht: Wie Du mir, so ich Dir? Weißt Du denn nicht, daß ich, wenn Du auch noch so klein schreibst, doch noch doppelt so klein schreibe wie Du? Aber wir wollen dem Ding ein Ende machen, schreibst Du mir vier Seiten, so sollst Du vier Seiten wiederhaben und da- 25 mit basta. Übrigens wenn Du wüßtest, wie viel Briefe ich diese Woche geschrieben habe und noch schreiben muß, Du würdest Barmherzigkeit mit mir haben, und mit zwei Seiten zufrieden sein. Frag einmal den Strücker, wie viel ich ihm geschrieben hätte, frag einmal den Wurm, doch der ist nicht da — nun ich will 30 Dir’s sagen, gewiß 12 solcher Seiten wie diese und dann noch mit roter Tinte ebensoviel dadurch geschrieben. Der schreibt mir aber ebenso viel wieder. Dann muß ich wieder an Mutter, Hermann, August, Rudolf schreiben, was soll das geben? Ich denke, da Du doch auch die andern Briefe lesen kannst, wirst Du nächstens 35 billig sein und nur halb so viel von mir verlangen, als Du mir schreibst. — Die Anna, meinst Du, erhöbe ich in den Himmel, nein, so god over nit, dat do ek nit, aber wenn sie mir vier Seiten schreibt und Du nur drei, dann ist sie doch besser als Du? Sonst will ich Dir gerne zugestehen, daß Du ein treuer Schluff bist und 40 mir am allerfleißigsten schreibst. Aber Du mußt Dich auch nicht unterfangen, mir solchen Skandal und Spektakel anzuzetteln und zu meinen, Du hättest groß Recht, wenn Du doch eigentlich auf den Knieen Abbitte tun solltest! — Du klagst über den Grade¬ halter — ei mein Gänschen, halte Dich selbst grade, dann wird 45
1838 Okt. 9—10 Briefe an seine Schwester Marie 573 man ihn Dir nicht umschnallen. — Was Du vom Wetter schreibst, war hier ebenso, jetzt aber ist das Wetter schaudervoll, es regnet und fisselt in Einem fort, zuweilen kommt ein Platzregen, dann alle 24 Stunden ein wenig Blaues am Himmel, und alle halbe 5 Jahr ein Sonnenstrahl. Nun soll ich Dir schreiben, was ich auf Weihnachten nötig habe? Ja, was ich habe, das brauchst Du mir nicht zu machen, was ich nicht habe, weißt Du, was soll ich Dir also schreiben? Sticke mir eine Zigarrendose, oder ich ich weiß nicht was, io Du kannst aber die Mutter von Zeit zu Zeit, etwa alle 2, 3 Tage etwas prickeln, daß sie mir zu Christtag den Goethe schickt; ich habe ihn wirklich sehr nötig, denn man kann Nichts lesen, oder die Leute berufen sich auf Goethe. Wer war das, Goethe? Herr Riepe: Kinder, das war —! is Deine Zeichnung vom Hühnerhof konnte ich mit aller Leich¬ tigkeit kopieren, und es ist ein sehr praktisches Ding, Katzen oder Iltisse können nicht herein, und die Tiere nicht heraus. Vorigen Freitag war ich im Theater, sie gaben das Nachtlager in Granada, eine Oper, die recht hübsch ist; heute Abend wird 20 die Zauberflöte gegeben, da muß ich hin; es soll mich einmal ver¬ langen, was das für ein Stück ist, ich hoffe, es wird recht schön sein. Den 10. Oktober. Im Theater bin ich gewesen, und die Zauber¬ flöte hat mir sehr gut gefallen; ich wollte, Du könntest auch ein- 25 mal mit mir dahingehn, ich wette, es gefiele Dir sehr gut. — Ja, Marie, was soll ich Dir nun schreiben? soll ich in Ermangelung eines Besseren ein wenig brummen? ich weiß gewiß Nichts bes¬ seres, und Du wirst ja auch zufrieden sein, wenn die 4 Seiten voll sind, einerlei, was drauf steht. In Bremen hier sind die Kauf- 30 mannshäuser alle ganz merkwürdig gebaut; sie stehen nicht an der Straße, so wie unser Haus, mit der langen, sondern mit der schmalen Seite, und die Dächer stehen so anein- ander und die Diele ist ganz groß und hoch, wie eine kleine Kirche, oben und unten grade über 35 einander sind Luken, die mit Falltüren verschlossen sind, und durch welche eine Winde auf und ab gehen kann ; denn oben auf dem Oller, da ist ein Warenlager, und durch die Luken werden mit der Winde Kaffee, Leinen, Zucker, Tran etc. her auf gewunden. So sind auf allen Dielen zwei Reihen Fenster über einander. — 40 Jetzt ist die Frau Konsulin wieder in die Stadt gezogen mit ihren 4 kleinen Kindern; die machen einen entsetzlichen Spektakel. Glücklicherweise gehen auch 2 von diesen, Elisabeth und Loin (soll Ludwig heißen) in die Schule, und so hat man nicht den ganzen Tag den Lärm zu hören, aber Loin und Siegfried, wenn 45 die zusammen sind, so lärmen sie, daß es nicht zum Aushalten
574 Briefe an seine Schwester Marie 1838 Okt. 9—10 ist; neulich tanzten sie auf den Leinenkisten herum, jeder mit seiner Flinte und seinem Säbel bewaffnet, und forderten sich zum Zweikampf heraus, und Loin blies dann auf seinem Muschelhom, daß einem die Ohren gellten. Ich habe es sehr pläsierlich, vor meinem Pult ist ein großes Fenster nach der Diele hin, und so s kann ich alles genau sehen, was da vorfällt. — Weil Du mir den Hühnerhof gezeichnet hast, so zeichne ich Dir die Kirche, wie man sie vom Kontor aus sieht. Farewell. Dein Bruder Friedrich. Engels an seine Schwester Marie in Bar¬ men; Bremen 1838 November 13 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Bremen, 13. Nov. 1838. Liebe Marie! 1S Deine beiden Briefe haben mich sehr gefreut, und ich will sehen, daß ich Dir noch ziemlich was erzählen kann, soviel Raum und Zeit es zulassen. Es ist nämlich schon 3 Uhr durch und um vier Uhr muß der Brief auf die Post. Ich weiß aber wirklich eigentlich gar Nichts zu erzählen, hier passiert Nichts ungewöhn- 20 liches, als daß die Bremer wieder ihre beiden großartigen Ka¬ nonen an der Hauptwache aufgestellt haben, daß man hier statt „Fußbank“ Fußtritt sagt, daß hier sehr viele Macintosches ge-
1838 Nov. 13 Briefe an seine Schwester Marie 575 tragen werden, daß es diese Nacht unendlich kalt war, und Blumen an die Fenster gefroren sind, daß jetzt die Sonne scheint und dergl. Noch eins fällt mir ein, was Du der Mutter sagen solltest, nämlich, ich schrieb Ende September an Gräbers, wenn 5 sie nach Köln gingen sollten sie mir Volksbücher schicken und sich das Geld von Vater geben lassen; nun haben sie, da sie selbst nicht hinkamen, an ihren Vetter geschrieben; sollte der also welche per mezzo durch Pastor Gräber schicken, so ist es gut, und der Vater tut mir wohl den Gefallen, die Sache für meine Rech- io nung abzumachen ; schickt er keine, so ist es auch gut, und ihr habt keine Plage davon. Ich würde eher davon geschrieben haben, bin aber erst heute von der gehörigen Prozedur in be¬ deutende Kenntnis gesetzt. Wilhelm Gräber schreibt mir auch — das ist recht was für Dich — daß man in Berlin keine eigent- 15 liehen Abtritte habe, sondern bloß Nachtstühle, und zwar müßten diese apart gemietet werden, welche monatlich 5 Silbergroschen kosten; sie, als Pastorensöhne, seien aber auch in dieser Hinsicht steuerfrei. Auch erzählen sie mir viel von ihrer Fußreise durch den Harz und auf den Blocksberg, und wie sie mit einem langen 2o Garde-Unteroffizier von Magdeburg nach Berlin gefahren sind. Wenn Du mich einmal besuchen willst, so will ich Dir die ganze Historie vorlesen; auch die Geschichte von der schönen Dorothee, die im Siebertal im Harz passiert ist, wo ein reicher, reicher Herr sich in ein kleines Mädchen von 7 Jahren verliebt hat, und ihrem 25 Vater einen Ring gegeben hat, daß er wiederkommen wollte und sie heiraten, wenn ihr der Ring paßte, und wie er nach zehn Jahren wiederkommt, da war das Mädchen seit einem Jahre tot, und da ist der Herr vor lieber langer Weile auch gestorben, wovon der Fritz Gräber ein rührendes Lied gemacht hat usw. Aber die Seite so ist gleich voll, ich will eben noch einen Brief kopieren, der noch mit soll, und dann nach der Post gehn. Schreibst Du wohl an Ida? Dem Herrn Holler hat die Julchen in Mannheim sehr gut gefallen, aber der Karl ist ganz bös gewesen, daß er sie so oft besucht hat, erzähl’s aber ja nicht weiter. Adieu, liebe Marie, Dein 35 Friedrich. — [Auf der Adreßseite] Frau Elise Engels Adr. Herren Friedr. Engels & Co. Barmen. 4o [Poststempel] Bremen, 13.11.
576 Briefe an seine Schwester Marie 1838 Weihnachten Engels an seine Schwester Marie in Bar¬ men; [Bremen, um Weihnachten 1838] Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Liebe Marie! Nun Du machst auch was rechts her mit Deinem Kranksein, 5 alle Augenblicke liegst Du Spinte im Bett, das mußt Du Dir abge¬ wöhnen. Daß Du mir nur ja wieder auf bist, wenn Du diesen Brief kriegst, hörst Du? Für die schöne Zigarrenbüchse danke ich Dir und kann Dir versichern, daß sie den komplettesten Beifall so¬ wohl in Wahl des Musters als auch in der Ausführung bei dem 10 strengsten aller Rezensenten, d. h. G. W. Feistkorn Maler gefun¬ den hat. Die Marie Tr[eviranus] hatte mir auch eine gestickt, sie hat sie aber wieder zurückgenommen, und die geht jetzt nach Mün¬ ster am Stein bei Kreuznach zum Herrn Pastor Hessel, dem Marie auch eine versprochen hatte. Sie macht mir ein Zigarrenkörbchen 15 dafür. Die Frau Pastorin hat mir einen Geldbeutel gehäkelt. Auch Leupolds Jungen haben eine Flinte für Zündhütchen bekommen, auch Säbel, und der Alte nennt sie nicht anders als: Du Kriegesknecht! Du Kaschube! Was das für ein Rätsel ist mit dem Teich, begreife ich nicht, aber ich will Dir eins aufgeben, 20 weißt Du, was ein Ledschiak ist? (Ich weiß es selbst nicht, es ist ein Schimpfwort, welches der Alte sehr oft gebraucht.1)—) Das ist die Auflösung, wenn Du es nicht raten kannst, so halt’ es gegen den Spiegel, da kannst Du es lesen. Eben höre ich, daß die Familie Leupold durch ein kleines Mädchen einen Zuwachs bekommen 25 hat. — Ich will Dir doch auch erzählen, daß ich jetzt am Komponieren bin, und zwar mache ich Choräle. Es ist aber entsetzlich schwer, der Takt und die Kreuzer und die Akkorde machen einem sehr viel zu schaffen. Bis jetzt habe ich es noch nicht weit gebracht, 30 aber ich will Dir doch eine Probe hersetzen. Es sind die beiden ersten Zeilen von: Ein’ feste Burg ist unser Gott. Weiter hab’ ich’s noch nicht bringen können als zweistimmig, vierstimmig ist noch zu schwer. Ich hoffe, ich werde keinen Schreibfehler gemacht haben, und so probier Du einmal, das Ding 35 zu spielen. Adieu, liebe Marie, Dein Bruder Friedrich. 1) Der eingeklammerte Satz im Orig, in Spiegelschrift
1839 Jan. 7 Briefe an seine Schwester Marie 577 Engels an seineSchwester Marie in Barmen; [Bremen] 1839 Januar 7 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Liebe Marie! D. 7. Jan. 39. 5 Hoffentlich hast Du den Zahn jetzt ausgezogen oder hast es gar nicht nötig. — Das Rätsel von dem Teich ist sehr schön, Du mußt es aber aus dem Kopfe lösen können. Hör einmal, das Kompo¬ nieren, das ist eine schwere Sache, da muß man auf so vielerlei 10 acht geben, auf Harmonie der Akkorde und richtige Fortschrei¬ tung, das macht viel Mühe, ich will aber mal sehen, ob ich Dir nächsten nicht wieder was schicke. Ich bin jetzt dran, einen andern Choral zu komponieren, da wechselt in der Singstimme Baß und Sopran ab. Paß mal auf. is Die Begleitung fehlt noch, wahrscheinlich werde ich auch noch Einzelnes verändern. Daß das Meiste, ausgenommen die 4.te Zeile, aus dem Gesangbuch gestohlen ist, ist klar. Der Text ist das bekannte lateinische Stabat mater dolorosa Juxta crucem lacry- mosa Dum pendebat filius. 2o Heute mittag hat der Herr Pastor ein Schwein geschlachtet, im Waschhaus, die Frau Pastorin wollte zuerst von dem Schnack nichts wissen, er aber sagte, er wollte es ihr schenken, und da mußte sie es wohl nehmen. Es hat auch gar nicht geschrieen. Als es tot war, kam die ganze weibliche Familie herein. Die alte Groß- 25 mama aber ließ sich das Blutrühren gar nicht nehmen, das sah ganz komisch aus; morgen werden die Würste gemacht, das ist auch recht ihr Leben. Marx-Engels-Gesamlausgabe, I. Abt., Bd. 2. 37
578 Briefe an seine Schwester Marie 1839 Jan. 7 Du sagst, Du hättest einen Affen gesehen, und das seist Du ge¬ wesen; weißt Du wohl, daß auf der Oblate, mit der Du Dein Brief¬ chen zugemacht hattest, stand : Je dis la vérité? Auch ein Spiegel ist drauf abgemalt. 5 Sage der Mutter, sie sollte nicht mehr schreiben: Treviranus, sie kann den Herm Pastor auch ganz von der Adresse lassen, der Briefträger weiß doch, wo ich wohne, da ich alle Tage die Briefe an der Post hole; auch kommt er sonst wohl in Versuchung, sie mir nicht ans Kontor zu bringen, sondern nach Trev[iranus], und da 10 bekomme ich sie erst ein paar Stunden später, wenn ich nach Hause gehe. Der Strücker hat mir geschrieben, der Hermann hätte den Sonntag vor Neujahr allerlei aufgeführt, einen Kellner etc., er soll mir doch was davon schreiben. — Der Str [ücker] lobte seine Gewandtheit dabei sehr, er hätte den Kellner so schön gemacht, w als wäre er 3 Jahre in einem Wirtshaus gewesen. Er ist wohl stark am Wachsen? Die Mutter soll das Komponierte dem Schornstein nicht zeigen, sonst sagt er wieder: Nu hört Allens uf. Ich erfahre doch Alles, was passiert; nächstens wenn ich wieder in Barmen bin, will ich 20 bremischer Konsul werden wie der Alte. A dios mi hermana Dein Friedrich. Die vielen Schreibfehler im Baß mußt Du entschuldigen; ich 25 bin es nicht gewohnt, Noten zu schreiben. Auf den Fall daß Du die vorletzte Zeile nicht lesen könntest schreibe ich sie Dir noch einmal hier. 49 c
1839 Febr. 11—12 Briefe an seine Schwester Marie 579 Engels an seinen Bruder Hermann in Bar¬ men; Bremen 1839 Februar 11—12 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Lieber Hermann, Br., 11. Febr. 1839. Ew. Wohlgeboren ersuche ich, mich künftig nicht mehr mit den Briefanfängen, so Sie vom Herrn Riepe gelernt haben, zu quälen, und erlaube mir nur, für jetzt zu bemerken, daß wir jeden Morgen Winter und jeden Mittag Sommer haben. Denn des Morgens haben 10 wir — 5 Grad, und Mittags + 10. Das Singen und Komponieren bleibt in steter Übung, hier hast Du von letzterem eine Probe. Du kannst den Blinden nach der Melodie singen, kannst es aber auch lassen. Den 12. Februar. Daß Du jetzt bald zu Deinem Hund kommen is wirst, freut mich sehr, was ist denn die Frau Mama für eine und wie sieht das Tier aus? Jetzt kommt seine Antiquität, Herr Leu¬ pold ins Kontor hinein, da werde ich in einen ernsthafteren Ton fallen müssen, wie der große Shakespeare sagt. Hier ist eine neue Zeitung aufgekommen, die heißt der Bremer Stadtbote, redigiert 2o von Albertus Meyer, welcher ein sehr großer Schafskopf ist. Er hielt früher Vorlesungen über Völkerglück, Kindererziehung und noch andere Themata, und als er sie drucken lassen wollte, hat das die liebe Obrigkeit nicht zugegeben, es wäre gar zu unsinnig. Er ist von Natur ein Porzellanhändler und liegt schon seit seiner 25 ersten Nummer mit dem Unterhaltungsblatt im Streit. Da kebbeln sie sich, daß es zum Kranklachen ist. Vorne vor dem Stadtboten geht ein Kerl, der sieht so aus. Fortsetzung bei Marie. Dein Dich liebender Bruder Friedrich Engels. 37*
580 Briefe an seine Schwester Marie 1839 Febr. 12 Engels an seine Schwester Marie in Bar¬ men; Bremen 1839 Februar 12 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen B., 12 Mz.1} 1839. Liebe Mariel 5 (Fortsetzung von H[ermanns] Brief). In diesem Stadtboten kommt lauter Unsinn, und nun mache ich auf dem Kontor Ge¬ dichte, die ihn zum Spott immer recht loben, lauter konfuses Zeug, und das schicke ich ihm hin unter dem Namen Th. Hildebrandt, und er druckt das dann ganz treuherzig ab. Jetzt hab ich eins im 10 Pult liegen, das soll er hinhaben, das heißt: Bücherweisheit. Der ist nicht weise, der aus allen Schriften Sich einen Schwall von Worten zugelegt, Der wird auch nie des Daseins Schleier lüften, 15 Ob er auch schwer an Wissenschaften trägt. Es wird das Gras der nimmer wachsen hören, Der die Botanik aus dem Grunde kennt, Und der wird keinem gut zu leben lehren, Der alle Sätze der Moral Euch nennt. 20 Nein! in des Menschen Busen liegt verborgen Der Keim, der ihm die Kunst zu leben zeigt, Ob er studiert vom Abend bis zum Morgen, Er lernt’s nicht, wie die Leidenschaft er beugt, Des Herzens Stimme, diese muß er hören, Und der geht unter, der sie hat verkannt, Von ihren Worten all, den inhaltschweren, Das inhaltschwerste heißt Menschenverstand.46 So geht es immer in einem fort, alles Spott. Gewöhnlich, wenn ich nicht recht weiß, was ich ihm schicken soll, nehme ich den 30 Boten in die Hand und stoppele da ein wenig draus zusammen. Neulich setzte ich Karl Leupold an meinen Pult und diktierte ihm einen groben Brief an den Boten, welchen er gekriegt und mit ungeheuer dummen Randglossen abgedruckt. Aber ich muß jetzt ausgehen, deshalb verharre ich 35 Dein Dich liebender Bruder Friedrich. 1) Wohl irrtümlich für Februar.
1839 April 10 Briefe an seine Schwester Marie 581 Engels an seine Schwester Marie in Bar¬ men; Bremen 1839 April 10 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Br., 10. April 1839. 5 Liebe Marie, Pardon, daß ich so lange nicht geschrieben, ich will Dir jetzt auch was Schönes erzählen. Am Karfreitag starb der hiesige Bür¬ germeister Dr. Gröning Magnifizenz, und heut vor acht Tagen war die Wahl eines neuen; Herr Senator Dr. J. D. Noltenius Hoch- 10 wohlgeboren erhielt die Stelle und wurden Freitag in einem langen Zuge aufgeführt. Vorangingen die acht Herrendiener, Leute, deren jeder Bürgermeister zwei zu seiner Bedienung hat, in weißen, por¬ zellanenen, kurzen Pistolen und schönen Strümpfen, und in einem Frack von blutrosenroter Farbe, einen Degen an der Seite, is und auf dem Kopf einen Bonapartehut; darauf folgten die Bürger¬ meister, vor allen Herr Dr. Smidt Magnifizenz, welcher der ge¬ scheiteste von allen und sogut wie König in Bremen ist; Herr Dr. Duntze, welcher bis an den Hals in den Pelz eingewickelt war und in die Senatsversammlung immer ein Thermometer mitbringt, 20 dann die Senatoren, Prediger und Bürger, über 6—800 Mann, die alle in ein Haus oder mehrere gingen, wo geïst (nicht Geist) wurde; d. h. sie bekamen alle zusammen Makronen, Zigarren und Wein, aßen und pfropften sich alle Taschen voll. Die Jungens standen vor der Türe und lärmten, und wenn Einer heraus kam, 25 riefen sie ihm nach: hêt îst, hêt îst! Das taten sie auch einmal dem Herm Ältermann Hase, da wandte sich dieser majestätisch um und sagte: Ich bin der Herr Ältermann Hase! Da schrieen sie: Ollermann Hase hêt îst, Ollermann Hase hêt îst! und Du kannst Dir denken, wie diese Stütze des bremischen Staats die Stützen 30 seines eignen Körpers in Bewegung setzte, um sich zu retten. Vorigen Samstag wurde ein neuer Senator gewählt an Dr. Nol¬ tenius’ Stelle, und Dr. Mohr erhielt die Ehre, dessen Iserei Mon¬ tag abgehalten wurde. Dabei ist Gebrauch, daß einer der Ver¬ wandten des neuen Senators das Schwein trinken muß, d. h. er 35 wird unter den Tisch getrunken, welche schwierige Aufgabe denn auch Herr H. A. Heineken, Makler, zur allgemeinen Zufrieden¬ heit löste. Denn — Des Lebens Überdruß mit Wehmut zu genießen Ist Tugend und Begriff, 40 sagt ein großer Dichter. — Marie: „Aber Friedrich, wie kannst Du mir nun wohl so dummes Zeug schreiben? Das paßt ja wie die Faust auf’s Auge!66 Fried¬ rich : I can’t help it, die Seite muß noch voll — aha da fällt mich
582 Briefe an seine Schwester Marie 1839 April 10 was ein. Vorigen Sonntag ritt ich mit Neviandt und Roth aus, da nimmt der Nleviandt] einen kleinen Engländer, so groß wie die Anna, mit; kaum sind wir vor der Stadt, da läßt sich der eine Reitpeitsche geben und haut auf’s Pferd, daß es vom und hinten ausschlägt. Er bleibt ruhig drauf sitzen, das Tier springt nach 5 allen Seiten, aber er fällt nicht herunter. Nun steigt er ab, um die Reitpeitsche, die er verloren, wiederzukriegen, und läßt, o gro߬ artige Dummheit, das Pferd ganz allein stehen, das sich auch wenig besinnt und gleich auskneift. Er dahinter, der Neviandt steigt ab und läuft ihm nach, kommt, aber unverrichteter Sache io zurück, John und das Roß sind weg. Wir reiten nach Hom, packen uns einen, und sind kaum auf dem Rückwege, als Mr. John plein carrière hoch -zu Roß ankommt. Es war unterwegs aufgehalten, er hatte es bestiegen, nach dem Stall geritten und sich eine neue Peitsche geholt. Nun reiten wir um; Nev[iandt] und ich hatten 15 ziemlich wilde Pferde, und wie wir anfangen, ein wenig zu traben, schießt Mr. John ganz rasend im Galopp an mir vorbei. Mein Roß kriegt die Nücke und kneift ganz pompös aus. Ich merkte den Braten, ließ es ruhig laufen und versuchte nur dann und wann, es zu halten; aber wenn ich’s eben aus dem rasenden Jagen aus- 20 halte, keilte John an mir vorbei, und es war ärger wie vorher. Da¬ zu schrie er immer, den Hut schwenkend: My horse runs better than y ours, hurrah! Endlich stutzte sein Pferd vor einer Karre und blieb stehen, und siehe da, auch meine Norma hielt ein. Wenn die dummen Pferde nur wüßten, daß der Reiter es beim Aus- 25 kneifen ganz pläsierlich hat, ich hatte wenigstens nicht die ge¬ ringste Angst und konnte ganz gut fertig werden. Adieu Dein Friedrich. Engels an seine Schwester Marie in Bar-^ men; [Bremen] 1839 April 28 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Den 28. April 39. Liebe Marie! Auch Du bekommst heute nur wenig, damit ich an die Komödie komme, die ich Euch schicken will. Daß die Herren 6 Maupen volle Makronen gegessen haben, ist doch wahr, Du magst es nun glauben oder nicht, es waren an die 600 Menschen. Daß Du das Nesselfieber bekommen hast, ist Dir recht, es juckt Dir so immer in den Fingern, daß Du dummes Zeug machen willst, «
1839 April 28 Briefe an seine Schwester Marie 583 jetzt hast Du was zu jucken. Du bist und bleibst eine alte Juck- maschine. Auch rate ich Dir, mir ja kein leeres Papier in Deinem Brief zu lassen, denn da male ich immer Karrikaturen hin, um nicht aus s der Übung zu kommen. Dies, meine liebe Marie, Dein Bruder Friedrich. Das nennt man Stenographie, das Gekritzelte. — Die Verkleidung. Komödie in 1 Akt, für Marie. io Erste Szene. (Die Wohnstube, an dem Tisch sitzt die Mutter, und hilft Emil und Hedwig. Die Marie sitzt am Ofen und liest; Rudolf läuft herum und vexiert sie alle.) Mutter: Marie, gib’s Lesen auf. Das ist kein Buch für Dich. Du liest so viel Zeug, das kann Dir gar nicht helfen. J5 Marie: 0 Mutter, die eine Geschichte noch, dann sollst Du das Buch wieder haben! Emil: Mutter, wat heißt dat Wort: kewatroze? Mutter: Og, das heißt quatorze, 14, das hast Du ja schon lange gelernt; Du mußt nicht alles wieder vergessen — Hedwig! 2o Läuft das Kind wahrhaftig nach der Marie hin und prügelt sich mit dem Rudolf. Hedwig! Willst Du wohl arbeiten? Ihr seit heute ja alle verkehrt! (Anna und Laura Kampermann treten ein.) Anna: So Mutter wir haben unsre Sachen gemacht, jetzt gehn wir 25 herauf und verkleiden uns, dat duhn wir. Mutter: Ja, macht aber nicht zu viel Lärmen. Hedwig: Mutter, ich kann dat Exempel nit herauskriegen! Mutter: Og, denk’ nach! Ich hab’s ja schon einmal mit Dir ge¬ rechnet. Sei nicht so zerstreut! 30 Hedwig (weint) : Ich kann et aber nit herauskriegen! Anna: Mutter, willst Du Dich auch verkleiden? Mutter: Was sagst Du? Geh, laß mich zufrieden. Immer Mutter, immer Mutter. Es ist nicht zum Aushalten. Anna: Sag Mutter, willst Du? 35 Mutter: Ja, ja! Macht, daß ihr fortkommt! (Anna und Laura jubelnd und schreiend ab.)
584 Briefe an seine Schwester Marie 1839 April 28 Marie: Da haste et Buch, Mutter! Ich hab die Geschichte aus, ich will mich auch verkleiden. Sagemal, wat soll ich anziehn? Mutter: Og! Eben sag ich zu der Anna, sie soll ruhig sein, und nu fängst Du an? Rudolf (fällt auf die Erde): 0 Mutter, Ooo Mutter (schreit). 5 Mutter: Was ist Dir? (geht zu ihm). Emil: Mutter, wie heißt der Satz. Hedwig: Mutter, da is eine Zahl, die is so kurios. Mutter: Wollt Ihr wohl stille sein? Alle durcheinander, ich kann’s nicht aushalten! 10 Emil: Mutter, willst Du mich nich helfen sag mir mal? 0 Mutter, Mutter, ich muß mal auf den Abc! Mutter: Dann geh! Marie: Is dat wahr, Mutter, willst Du Dich verkleiden? Mutter: Dummes Zeug! Tut’s Dir noch weh, Rudolf ? 15 Hedwig: Ja Mutter, he hat ene große Düll vor ein Kopf! Wie heißt die Zahl, Mutter? Marie: Ja, Du mußt Dich aber verkleiden. Anna (kommt herein): Mutter, die Laura is auf dem Abc und der Emil steht davor und brüllt in Eins fort, und schlägt an die 20 Tür. Mutter: Kommst Du auch noch? Ich hab jetzt keine Zeit. Luise (kommt) : Madam, der Wendel geht nach der Gemarke, haben Sie auch was? Mutter: Jawohl, ich muß mich erst besinnen. Seid einmal stille. 25 Rudolf, laß das Janken! Marie: Anna, hat die Mutter nicht gesagt, dat se sich mit ver¬ kleiden wollt? Anna: Ja, Mutter, dat hast Du gesagt. Mutter: Wollt Ihr wohl stille sein? Marsch, fort. 30 Emil (tritt weinend ein) : 0 Mutter, die Laura — wollt mich nich auf den Abtritt lassen, un da hab ich und hab wat — in de — Alle: d hat wat in de Boxe gemacht! Mutter: Das auch noch? Kann man keinen Augenblick Ruhe haben? Alle schreien sie durch einander. (Nimmt die Reitpeitsche.) 35 Da, Emil, eins, zwei, drei, Anna, Marie, heraus mit Euch. Der Wendel soll selbst herkommen! (Zwei Masken, ein Mann und eine Frau treten ein).
1839 April 28 Briefe an seine Schwester Marie 585 Mutter: Wer ist das? Das ist ja wieder was! (Der Mann springt auf die Mutter los und nimmt ihr die Reitpeitsche leise aus der Hand. Alle springen auf und jubeln durcheinander. Die Frau stellt sich neben Mutter und setzt ihr eine Knipbrill auf die Nase.) 5 Mutter: Dummes Zeug! Aber man muß doch drüber lachen. (Wendel tritt ein.) Wendel, hier den Brief auf die Post. Das nach Cleners. Das Geld nach dem Schneider Hühnerbein. Das ist alles. (Wendel ab.) (Die Mutter setzt sich mit der Brill hin.) Emil, Du gehst einmal fürs Erste Und läßt Dich waschen. (Die Masken packen ihn, der mit offnem 10 Munde dasteht, und jagen ihn mit Schreien und Prügeln zur Tür hinaus.) Hedwig: 0 Mutter, ich seh eben, dat ich schon zwei Exempels mehr gerechnet habe als nötig is. Juchhe! Marie: Hör einmal, Mutter, willst Du Dich denn nu auch ver¬ kleiden? is Mutter: Og dummes Zeug! Marie: Ja hör mal, Mutter, dann will ich Dir aber doch mal wat sagen. (Sie sagt ihr was ins Ohr.) Mutter: Nein, das geht nicht. Marie: Ja, das geht doch! Das sollst Du sehen ! (Alle ab.) 20 (Zwei Stunden später. Hedwig hat Rudolfs, Rudolf Hedwigs Zeug angezogen, beide eine Maske, die sie sich einer dem andern losbinden. Dann kommen nach und nach die andern hinein, alle ganz kurios verkleidet.) Hermann: 0 August, ich hab doch die längste Nas! Kik es, Jon, ek hew ok en Bat drop äs use Fritz mois het! 25 August: Aver ek hew so nette gröne Backen und sonen grisen Bat, un mine Nas es ok voll röader. Marie: Kik ens, Laura, ek sie doch gewest en netten Jongen! Du bös somen kotten, ongerhatten, ek sie voll gröter als Du bist. Und mein Ponnepatshut is auch größer! 30 (Die Mutter kommt, in einem alten Schlafrock, dem Vater seinen Pelzschlafrock drüber, eine spitze Nachtmütze über die Haube auf und die Kniepbrill auf der Nasen.) Alle schreien: 0 Mutter, Mutter! Hermann: August, dat es mine Moder nit! Mutter: Junge, willst Du wohl stille sein? Und setzt Euch alle um 3s den Tisch, bis er kommt. (Pause. Der Vater tritt ein, sieht sich erstaunt um, bis endlich alle die Masken ab¬ nehmen und unter Schreien und Lärmen und Jubeln durcheinander rennen; Finale: ein ungeheurer Schmaus.) —
586 Briefe an seine Schwester Marie 1839 April 28 Ich hätte das Ding noch weiter ausführen können, aber das wird wohl die Zeit nicht erlauben; in einer halben Stunde geht die Post, ich schließe also. Dein Bruder Friedrich. Engels an seine Schwester Marie in Bar- 5 men; Bremen 1839 Mai 23 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Br., 23. Mai 1839. Liebe Marie! Ich reite Dir jetzt alle Sonntage mit R. Roth in die weite Welt, io vorigen Montag waren wir in Vegesack und Blumenthal, und wie wir eben die berühmte Bremer Schweiz besehen wollten (das ist ein ganz kleiner Strich Land mit kleinen Sandhügeln), kam ein ganz ungeheurer Heerrauch wie eine Wolke heran, und in 5 Mi¬ nuten war es fast ganz dunkel, daß wir die sogenannte schöne 15 Aussicht gar nicht genießen konnten. — Aber am zweiten Pfing-
1839 Mai 23 Briefe an seine Schwester Marie 587 sten, dann ist hier ein Leben! All das Volk geht heraus, in Bremen ist es totenstill, aber vor den Toren, Zug an Zug, Wagen, Reiter und Fußgänger. Und ein Staub, das ist was Entsetzliches. Denn die Chausseen liegen alle voll Sand, wohl eine halbe Elle hoch, und 5 der geht natürlich all’ in die Höhe. Eben kommt ein Makler herein, der heißt Jan Krusbecker, den will ich Dir malen. Jan Krusbecker So sieht er präzis aus, hat Augen wie Raketen, ein immer ganz wehmütig-lächelndes Air. — Adieu. io Dein Bruder Friedrich.
588 Briefe an seine Schwester Marie 1839 Sept. 28 Engels an seine Schwester Marie in Bar¬ men; Bremen 1839 September 28 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Br., 28. Sept. 1839. Liebe Marie! 5 Es war hoch an der Zeit, daß Ew. Gnaden mir einmal schrieben, es hat lang genug gedauert, Mamsell! Doch ich will Dir Deine schweren Verbrechen vergeben und Dir was erzählen. Morgen wer¬ den es vierzehn Tage, da ritten wir nach Delmenhorst. Dieses ist ein oldenburgisches Landstädtchen mit einem Tiergarten, der so heißt, 10 weil die Bremer und Oldenburger immer hineingehen, und als wir dagewesen waren, ritten wir wieder um — und kamen nach Hause, denkst Du? Jawohl, aber nach manchen Abenteuern. Erst saß ich den halben Weg im Kabriolett, und als wir an die Stelle kamen, wo ich mein Pferd wiederhaben sollte, waren die Ritter noch nicht da, 15 und wir mußten einkehren, schlechtes Bier trinken und schlechte Zigarren rauchen. Endlich kamen die Ritter an, da war es acht Uhr und stockdunkel. Als ich mein Pferd gefunden hatte, ritten wir weiter, bezahlten Torsperre und ritten durch die Neustadt. Da kamen acht Trommelschläger, die den Zapfenstreich schlugen, um 20 die Ecke in einer Reihe grade auf uns los geschwenkt, und die Pferde sprangen kreuz und quer durcheinander, die Tambours schlugen immer stärker, die edelmütige Bremer Straßenjugend schrie, so daß wir bald voneinander kamen. R. Roth und ich fanden uns am ersten wieder zusammen und ritten fort, zum an- 25 dem Ende der Stadt heraus, wo wir wieder Sperre bezahlen mu߬ ten; denn der Pferdephilister wohnt vor dem Tor. Bei diesem trafen wir die Andern an, denen die Pferde durchgegangen waren; wir marschierten nun nach Hause und mußten zum drittenmal Torsperre bezahlen. Ist das nicht eine interessante Geschichte? Das 30 wirst Du nicht leugnen können, am wenigsten, wenn Du erfährst, daß ich darauf, nachdem es zum Zuhauseessen zu spät war, in die Union ging, Beefsteak mit Eiern aß und ein sehr unterhaltendes Gespräch anhörte, welches in meiner Nähe geführt wurde und von jungen Hunden und toten Katzen handelte. Indeed, very inter- 35 esting! very amusing! Ich bin jetzt nämlich in der Union, welche dasselbe ist, was in Barmen die Concordia oder Verbesserungs¬ anstalt bedeutet. Das Beste, was da ist, sind die vielen Zeitungen, holländische, englische, amerikanische, französische, deutsche, türkische und japanische. Bei der Gelegenheit hab’ ich Türkisch 40 und Japanisch gelernt und verstehe somit fünfundzwanzig Spra¬ chen. Dies ist wieder höchst interessant zu wissen für eine junge Dame, welche nach Mannheim in Pension will. Auch war der Jacob Schmitt hier, er wird nächste Woche wiederkommen und mit
1840 Juli 7/9 Briefe an seine Schwester Marie 589 mir in den Weinkeller gehen. Dieser ist unleugbar das beste In¬ stitut in Bremen. Auch haben wir wieder ein Theater, ich bin aber noch nicht dagewesen. Farewell, my dear, yours for ever Friedrich. Engels an seine Schwester Marie in Mann¬ heim; Bremen 1840 Juli 7—9 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Liebe Marie! io Es ist wirklich bald zu arg mit Dir; Du wolltest mir gleich nach Deiner Ankunft in Mtannheim] schreiben, und jetzt sitz ich schon drei Wochen wieder hier und noch kein Brief von Dir. Wenn das so fortgeht, so muß ich mich wohl entschließen, direkt an Fräulein Jung zu schreiben, damit Du einigermaßen angehalten wirst, mir is Deine schwesterliche Liebe zu beweisen. Ich will Dir besser Wetter wünschen, als wir jetzt haben, lauter Sturm und Regen, wie im September und November. Auf der See sinken die Schiffe, wie die Fliegen, die in ein Glas Wasser fallen, und das Dampfschiff, was nach Norderney fährt, hat kaum hin- 20 kommen können. Vorgestern war ich in Bremerhafen, und da regnete es auch den ganzen Morgen. Ich war auf den Schiffen, womit die Auswandrer nach Amerika gebracht werden; im Zwi¬ schendeck liegen sie alle zusammen, das ist ein großer Raum, so breit und lang wie das ganze Schiff, immer sechs Kojen (so heißen 25 die Bettstellen) neben einander, und darüber wieder sechs. Da liegen sie alle, Männer, Frauen und Kinder, und wie schauderhaft dieser dumpfe Raum ist, wo oft 200 Menschen liegen, besonders während der ersten, seekranken Tage, kannst Du Dir wohl denken. Es ist so schon eine Luft zum Ersticken darin. Die Kajütspassa- 3o giere haben es aber besser, sie haben mehr Raum und eine sehr elegant eingerichtete Kajüte. Wenn nun ein Sturm losplatzt, und die Wellen gehen über das Schiff, so haben sie’s aber schlimmer, denn über der Kajüte ist ein Glaskasten, wodurch das Licht fällt, und wenn der von einer Sturzwelle getroffen wird, so klingelt das 35 Glas mit der schönsten Manier in die Kajüte hinein und das Was¬ ser dahinter her. Gewöhnlich wird dann die ganze Kajüte voll Wasser, die Betten aber sind so hoch, daß sie trocken bleiben. Als wir mittags wieder wegfuhren, kam eben ein großes, dreimastiges Schiff auf die Rhede, welches, wie Du, Marie heißt und von der 40 Insel Kuba kam. Es konnte wegen der Ebbe nicht in den Hafen kommen und ankerte auf der Rhede. Wir fuhren mit dem Dampf¬ schiff heran und holten den Kapitän ab ; auf der Rhede aber fängt
590 Briefe an seine Schwester Marie 1840 Juli 7/9 das Wasser schon an Wellen zu werfen, und das Schiff schwankte ein wenig. Auf der Stelle wurden alle Damen blaß und machten Gesichter, als hätten sie ertrinken sollen; wir hatten ein paar hübsche Schneiderstöchter aufgetan, gegen die wir äußerst galant waren, und ich band den Gänsen auch mit dem ernsthaftesten Ge- 5 sicht von der Welt auf, das Schwanken dauerte fort bis Brake, wo¬ hin wir erst nach IV2 Stunden kamen. Leider hört es aber schon gleich hinter Bremerhafen wieder auf. Drei unreife Hüte flogen ins Wasser und sind wahrscheinlich nach Amerika geschwommen, ferner eine ganze Masse leere Wein- und Bierflaschen. Außerdem 10 hab’ ich nicht viel Merkwürdiges gesehn, als eine tote Katze in der Weser, die für ihren eignen Kopf eine Reise nach den Vereinigten Staaten machte. Ich redete sie an, sie war aber grob genug, mir nicht zu antworten. — Hier hast Du eine flüchtige Zeichnung von Bremerhafen. Links 15 das Fort, zum Schutz des Hafens, ein altes ziegelsteinemes Ding, das der Wind nächstens umwehen wird, daneben die Schleusen, durch die die Schiffe in den Hafen, der ein langer, schmaler Ka¬ nal, etwas breiter als die Wupper ist, eingelassen werden, dahinter die Stadt, weiter rechts die Geest, eine Art Fluß, darüber die 20 Kirchturmspitze in der Luft, das ist die Kirche, die erst gebaut werden soll. Rechts das in der Feme ist Geestendorf. Dieser Tage lernt’ ich einen kennen, dessen Vater ist ein in Amerika gebomer Franzose, dessen Mutter eine Deutsche, er selbst ist auf dem Meer geboren und spricht, da er in Mexiko 25 wohnt, von Natur spanisch. Was ist mm sein Vaterland? Auf unsrem Comptoir haben wir jetzt ein komplettes Bier¬ lager, unterm Tisch, hinterm Ofen, hinter dem Schrank, überall stehen Bierflaschen, und wenn der Alte Durst hat, so borgt er uns eine ab und läßt sie uns nachher wieder voll machen. Das wird 30 jetzt schon ganz öffentlich getrieben, die Gläser stehn den ganzen Tag auf dem Tisch und eine Flasche daneben. Rechts in der Ecke stehen die leeren, links die vollen Flaschen, daneben meine Zigar¬ ren. Es ist wirklich wahr, Marie, die Jugend wird immer schlech¬ ter, wie Dr. Hantschke sagt, wer hätte vor 20, 30 Jahren an solche 35 schreckliche Bosheit gedacht, Bier auf dem Comptoir zu trinken?
1840 Juli 7/9 Briefe an seine Schwester Marie 591 Wie ist es Dir am bequemsten, soll ich das Porto für unsre Kor¬ respondenz auslegen und meine Briefe frankieren, und auch die Deinigen, die Du dann unfrankiert schickst, bezahlen? Wenn Du schon geschrieben hast, ehe dieser Brief ankommt, so werd’ ich 5 Dir nicht eher wieder schreiben, als bis Du mir auf diesen Brief einen vernünftigen, langen Brief geschrieben hast. Adieu mit treuer Liebe Dein Bruder io B., 7. Juli 40. Friedrich. Der Brief ist glücklicher Weise wieder liegen geblieben und gibt mir so noch Gelegenheit, Deinen eben angestiegenen Brief zu beantworten. „Ich wollt’, ich könnt’ auch so gut spielen wie die! wenn ich mich recht fleißig übe, komm’ ich auch so weit.“ Du? is Eine Sonate von 20 Seiten spielen? Gans, die Du bist! Der Schorn¬ stein würde sich freilich freuen. Was ich für Wünsche auf Weih¬ nachten habe? Meine Zigarrentasche hab’ ich verloren, und wenn ich sie nicht bald wiederfinde, kannst Du mir eine neue machen? Der Ada laß ich für ihren Gruß danken und grüße sie herzlich 2o wieder; sag’ ihr, sie wäre die erste, die mich liebenswürdig nannte, und ein Cousin wäre ich ganz und gar nicht, sondern höchstens ihr ergebenster Vetter. Wenn Du wieder schreibst, so adressiere den Brief nicht an Treviranus, da krieg’ ich ihn später, sondern F. E., Bremen, Martini No. 11. Dann wird er mir ans Comptoir 25 gebracht. Farewell Dein Friedrich. B., 9. Juli 1840. 3q [Auf der Adreßseite] An Fräulein Marie Engels im großherzoglichen Institut, frei. Mannheim. 35 (.Poststempel] Bremen 10. Jul. Mannheim 13. Jul. Engels an seine Schwester Marie in Mann¬ heim; Bremen 1840 August 4 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Liebe Marie! Ich muß Dir nur gleich sagen, daß ich mir für die Zukunft alle guten Lehren aus Deiner Feder verbitte. Du mußt ja nicht glauben, mein teuerstes Gänschen, daß Du jetzt in der Pension
592 Briefe an seine Schwester Marie 1840 Ang. 4 schon einmal probieren könntest, weise zu sein, und außerdem kann ich, wenn ich Lust haben sollte, vom Pastor eine Unmasse Bücher voll guter Lehren kriegen. Das Bier auf unsrem Comptoir bleibt doch stehen, bis es ausgetrunken wird, und seit Du dagegen räsonnierst, hat sich unser Bierkommers nur noch 5 vervollkommnet, denn wir haben erstens Braunbier und zweitens Weißbier. Das kommt dabei heraus, wenn sich die naseweisen Pensionsfräulein in die Sachen ihrer Herren Brüder mischen. Ich werde also meine Briefe nicht frankieren. Die Adresse mache bloß : Herrn F. E. in Bremen, das ist genug. Den Pfaffen laß io mir aber von der Adresse weg. Neulich am 27. bis 30. Juli haben wir die Julirevolution gefeiert, die vor zehn Jahren in Paris los¬ ging; wir waren einen Abend im Ratskeller und die andern auf Richard Roth seiner Kneipe. Der Kerl ist noch immer nicht wie¬ der da. Da haben wir den schönsten Laubenheimer von der Welt is getrunken und Zigarren geraucht — wenn Du die gesehen hättest, hättest Du bloß um ihretwillen das Rauchen gelernt. Meine Zi¬ garrentasche ist noch immer nicht wieder da. Auch ist ein Be¬ kannter von mir wiedergekommen, der in Pinselfahnien und Kal- termoria gewesen ist und den Mister Sippi (soll heißen Pennsyl- 20 vanien, Baltimore und Mississippi) gesehen hat. Dieser Kerl ist ein Solinger, und die Solinger sind die unglücklichsten Menschen von der Welt, denn sie können ihr Solinger Deutsch nicht los¬ werden. Der Bengel sagt noch immer: im Sohmer is es sehr schön Wätter, und für Karoline sagt er fortwährend Kalinah. 25 Es ist betrübt, ich habe fast keinen Groten mehr in der Tasche und eine Masse Schulden, sowohl eigne als Zigarrengeschäfts¬ schulden. Da plagt mich der, von dem ich zuletzt Katharinen¬ pflaumen für Euch kaufte, die ich noch nicht bezahlt habe, da ist der Buchbinder noch nicht bezahlt, da sind die drei Monate, nach 30 denen ich die gekauften Zigarren bezahlen muß, längst verstri¬ chen und der Strücker schickt keine Wechsel, und der Pastor ist verreist und kann mir kein Geld geben. Morgen kommt er aber wieder und dann steck ich sechs Louisdor in den Geldbeutel, und wenn ich in einem Caféhaus für drei Grote ein Stück Kuchen 35 gegessen habe, so werf ich eine doppelte Pistole auf die Zahlbank: „Können Sie wechseln?“ Und dann heißt’s „leider Gottes nein“, dann such’ ich in allen Taschen die drei Grote zusammen und geh stolz auf meine doppelten Pistolen zur Türe hinaus. Wenn ich dann wieder auf dem Comptoir bin, schmeiß ich dem rotlockigen 40 Jüngsten eine Pistole aufs Pult: „Derkhiem, sehen Sie, ob Sie kein Kleingeld kriegen können“, und dann ist der Kerl äußerst glücklich, denn er hat dann Veranlassung, eine Stunde vom Comp¬ toir zu bleiben und herumzuschwänzen, welches unschuldige Ver¬ gnügen er sehr liebt. Denn das kleine Geld ist hier sehr rar, und
1840 Aug. 4 Briefe an seine Schwester Marie 593 wer fünf Taler Kleingeld in der Tasche hat, ist ungeheuer zu¬ frieden. — Neulich fiel hier ein kostbarer Witz vor. In der Zeitung wurde eine Köchin gesucht. So kommt ein robustes Mädel ins Verlags- 5 bureau und sagt: „Hört Se mol, do hebb’ ick in der Zeitung lesen, dat se ’ne Köksche sökt.“ — „Jawol“, sagt der Kommis; „wat mot de wol können?“ fragt die Dirne. „Jo, de mot Kloveer (Klavier) speelen un danzen un Französch, un singen, un neien un sticken — dat mot se all können“. „Donnerslag“, sagt die Dirne, „dat kann io eck nit“. Wie sie aber das ganze Comptoir lachen sieht, fragt sie: „Se wêt (wollen) mek wol tom Besten hebben? Donnerslag, ick lote mi nich mokeeren!“ Und damit springt sie auf den Kommis los und will ihn abprügeln; sie wurde natürlich gelinde vor die Türe gesetzt. Neulich hat der Alte einen Fuhrmann zur Türe is herausgeworfen. Der Kerl hatte preußisches Gold zu fordern und wollte die Louisdor zu 55/i2 Taler nicht annehmen. Da schalten wir uns mit ihm herum, als der Alte kam. „Was ist das hier für eine Wirtschaft, soll doch das Donnerwetter dreinschlagen,“ und packte den Kerl bei der Brust und warf ihn in die Gosse. Darauf kam 2o der Fuhrmann ruhig wieder und sagte: „So wer et nich meent (ge¬ meint), jetz will eck de Lujedor woll nehmen.“ Ich habe augenblicklich kein andres Kuvert zum Briefe als diese verschriebene Kaffeerechnung, die Dir als einer rechten Kaffeeschwester wohl willkommen sein wird. 25 Farewell und schreib bald Deinem Bruder Friedrich. B., 4. Aug. 1840. [Auf der Adreßseite] so Fräulein Marie Engels im großherzoglichen Institut zu Mann¬ heim. [Poststempel] Bremen 4. Aug. Engels an seine Schwester Marie in Mann¬ heim; Bremen 1840 August 20—25 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Meine sehr teure Soeur! Ich habe soeben Deinen Brief bekommen, und da ich eben Nichts zu tun habe, will ich Dir einige Zeilen sudeln. Unser Comptoir hat eine wesentliche Verbesserung erhalten. Es war näm- 4o lieh bisher immer sehr langweilig, nach dem Essen gleich ans Pult zu stürzen, wenn man noch so schauderhaft faul ist, und da haben Marx-Engels-Gesamtausgabc, I. Abt., Bd. 2. 38
594 Briefe an seine Schwester Marie 1840 Aug. 20—25 wir, um diesem Übelstande abzuhelfen, auf dem Packhaussoller zwei sehr schöne Hängematten errichtet, in welchen wir uns nach Tische, eine Zigarre rauchend, schaukeln und zuweilen auch einen kleinen Dusel halten. Ich bin überzeugt, Du wirst diese Einrich¬ tung sehr zweckmäßig finden. Vom Roth habe ich heut Morgen 5 auch einen Brief erhalten, er kommt nächsten Sonntag [nach] einer Abwesenheit von 4 Monaten wieder. Damit Du es weißt: 1700 Mark Banko sind zu 137 Prozent 776 Taler 24 Grote Louis¬ dor. Ich hab’ es eben doppelt gerechnet, es ist ganz richtig. — Hierbei ein Kupfer. Ein alter Weinkenner, der sauren Wein zu w trinken kriegt. Der daneben ist der Handlungsreisende, von dem er den sauren Wein gekauft hat. Auch will ich Dir hermalen, wie sich die jungen Herren hier frisieren. Die Kerls sehen aus wie die Kälber. Verdammt! Als ich dies geschrieben hatte, ging ich nach 15 Hause und aß, und als ich wiederkam, steckte ich mir eine Zi¬ garre an, um mich in die Hängematte zu legen. Sie brach aber gleich unter mir zusammen, und als ich ging, neue Nägel einzu¬ schlagen, rief mich der infame Derkhiem; und jetzt kann ich aus dem Comptoir nicht wieder loskommen. 20 Gottlob! Ich hab meine Mittagsruhe doch gehalten! Ich stahl
1840 Aug. 20—25 Briefe an seine Schwester Marie 595 5 10 15 20 30 35 40 45 mich aus dem Comptoir und nahm Zigarren und Streichhölzchen mit und bestellte Bier; dann schob ich auf den obersten Packhaus- soller und legte mich in die Hängematte und schaukelte mich äußerst sanft. Sodann ging ich auf den mittelsten Packhausboden und packte zwei Kisten Platillas ein, wobei ich eine Zigarre und eine Flasche Bier verzehrte und stark schwitzte. Denn es ist heute so warm, daß ich trotz eines kaum losgewordenen Schnupfens wieder in die Weser will. Neulich badete ich und ließ einen Kerl hinter mir herrrudern, da schwamm ich in einem Zuge viermal über die Weser, was mir so leicht keiner in Bremen nachtun wird. Verdammt! Aus zwei Gründen, erstens regnet’s, zweitens will mein liebenswürdiger junger Prinzipal das Comptoir gar nicht verlassen, und so muß ich meine Zigarre wieder ausgehen lassen. Aber ich will ihn schon wegjagen. Weißt Du, wie ich das mache? Ich geh in die Küche und rufe ganz laut: Kristine, en Proppen- trecker! Dann mach ich eine Flasche Bier auf und schenke mir ein Glas ein. Wenn er dann nur für einen halben Groten Ehre im Leibe hat, so muß er sich schieben, denn das heißt soviel als: Pack dich, Don Guillermo! Also Du sprichst jetzt so famos englisch? Na wart, wenn Du wieder nach Hause kommst, so lehre ich Dir Dänisch oder Spa¬ nisch, daß Du mit mir in einer Sprache sprechen kannst, die die andren nicht verstehen. Danske Sprag fagre Sprag, y el Espanol es Lengua muy hermosa. Oder willst Du lieber Portugiesisch? O portugues, he huma lingua muito graçosa, e os Portuguezes saö naçâo muito respeitavel. Da Du jetzt aber noch nicht so weit bist, will ichDich damitverschonen. Hier ist zu sehen meine Hängematte, enthaltend mich selbst, wie ich eine Zigarre rauche. Soeben höre ich, daß wie¬ der 500 Kisten Zucker, also 250 000 Pfund verkauft sind ; damit kann manche Tasse Kaffee süß gemacht werden! Wer weiß, ob Du nicht den Zucker in Deiner Tasse aus derselben Kiste kriegst, aus der ich habe Probe ziehen müssen! Aber Euer Zucker am Rhein kommt all von Holland, wo er aus Lumpen gemacht wird, keine Kattun- Lumpen, sondern Lumpenzucker. Nächstens ist in Falkenberg, 3 Stunden von hier, großes Manö¬ ver, wo die Bremer, Hamburger, Lübecker und Oldenburger Truppen, zusammen ein ganzes Regiment stark, ihre Kunststücke machen. Es sind rührende Trupfen, drei davon haben zusam¬ men nicht so viel Schnurrbart wie ich, wenn ich mich drei Tage 38*
596 Briefe an seine Schwester Marie 1840 Aug. 20—25 nicht hab scheren lassen, an ihren Röcken kann man jeden Faden zählen, und Säbel haben sie nicht, sondern Speckääle. Ein Speckaal ist nämlich ein geräucherter Aal, aber bei den Soldaten ist es die Lederscheide für das Bajonett, die sie statt des Säbels tragen. Diese Unglücklichen riskieren nämlich, einer dem Andern 5 beim Marschieren das Bajonett durch die Fratze zu jagen, wenn sie es an der Flinte haben, darum sind sie so vernünftig, es auf dem Rücken zu tragen. Es sind jammervolle Patrone, Kaschuben und Ledschaken. Mir ist, weiß Gott, der Stoff all’ auf gegangen, 10 Ich weiß nicht, was noch mehr zu schreiben wäre, Doch ich will diese Seite noch, auf Ehre, Vollschreiben, zog’ ich’s auch herbei mit Zangen. Und da man kann in Versen wenig sagen, Und wenig Stoff so recht ins Breite schlagen, 15 So schließ ich diesen Brief mit schlechten Reimen; Doch fürcht’ ich, daß sich Pegasus wird bäumen, Und mich gewaltsam werfen auf den Sand. Die Sonne sinkt, rings dunkel wird das Land, Und nur im Westen dringt durch Wolkenschleier 20 Des Abendrotes heiß entflammter Brand. Es ist ein ernst und ein geheiligt Feuer, Das auf dem Grabe eines Tages glüht, Der Manches uns gebracht, was lieb und teuer. Jetzt starb er hin, und ihren Mantel zieht 23 Die dunkle Nacht mit hellen Sternenblicken Leis über unser irdisches Gebiet. Und alles still; in ihre Nester drücken Die Vögel sich und ins Gebüsch die Tiere, Und ausgetanzt auch haben schon die Mücken. 30 Verschlossen ist des Lebens heitre Türe, Wie einst noch an dem dritten Schöpfungstage, Wo nur der Baum geschaffen, daß er ziere Die Erde, und noch nicht im grünen Hage Die Tiere weideten — so ist es wieder, 35 Nur in den Zweigen rauscht des Windes Sage; Das ist der Geist des Herm, gewalt’ge Lieder Braust er hernieder im gewalt’gen Schwünge, Und Wolken scheucht hinfort des Sturms Gefieder. Und ewig weht er so, der ewig junge, 4Ü Mir aber geht zum Reimen aus die Lunge.
1840 Aug. 20—25 Briefe an seine Schwester Marie 597 Punktum. Wenn Du’s verstehst, so bist Du gebildet und kannst ein Wort mitsprechen. Adios B., 20. Aug. 40. Dein Friedrich. Den 25. Aug. s Der Roth ist vorgestern wieder angestiegen. Engels an seine Schwester Marie in Mann¬ heim; [Bremen] 1840 September 18—19 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Den 18. Sept. 1840. 10 Meine Allerwerteste! Augenblicklich ist der Äquinoktialsturm los auf eine furcht¬ bare Weise; in unsrem Hause ist diese Nacht ein Fenster einge¬ weht worden, und die Bäume krachen ganz gotteserbärmlich. Mor¬ gen und übermorgen werden was Nachrichten von gescheiterten is Schiffen einlaufen! Der Alte steht am Fenster und macht ein kraus Gesicht, denn vorgestern ist ein Schiff in See gegangen, worin er für 3000 Taler Leinen hat, und die sind nicht versichert. Du schreibst ja Nichts über den Brief an Ida, den ich meinem vorigen Brief beilegte, oder sollte ich vergessen haben, ihn hinein- 20 zutun? — Ich bleibe jetzt wirklich bis Ostern hier, welches mir aus diversen Gründen äußerst gepfiffen ist. Also die Ida ist nun weg, das wird Dir sehr fatal sein. Wir haben hier auch ein tüchtiges Lager, das beinah 3000Mann stark ist. Oldenburger, Bremer, Lübecker und Hamburger Trup- 25 fen. Neulich war ich da, es war ein enormer Witz. Gleich vom im Zelt (da hat ein Kneipeninhaber ein großes Eßzelt gebaut) saß ein Franzose, der war ganz knüll und konnte nicht mehr auf den Beinen stehen. Die Kellner hingen ihm einen großen Kranz um und nun fing er an zu brüllen : Bekrenst mit Laup ten libehn vol- 3o lehn Beker. Nachher schleppten sie ihn auf die Totenkammer, d.h. den Heuboden, da blieb er liegen und schlief. Als er wieder nüchtern war, lieh er von einem Andern ein Pferd, setzte sich drauf und galoppierte in Einem fort am Lager auf und ab. Er war immer nah dran, aufs Angenehmste herunterzufallen. Wir haben 35 dort äußerst viel Jokus genossen und besonders schönen Wein. Vorigen Sonntag ritt ich nach Vegesack, bei welcher Tour ich das Vergnügen hatte, viermal durch naß geregnet zu werden, und ich hatte doch so viel innere Glut in mir, daß ich immer gleich wieder trocken wurde. Ich hatte aber auch ein abscheuliches Roß, das 40 furchtbar hart trabte, so daß das infame Schmeißen einem durch
598 Briefe an seine Schwester Marie 1840 Sept. 18—19 Mark und Bein ging. — Soeben werden wieder 6 Flaschen Bier für uns angeschleppt, welche sogleich in den Entzündungsprozeß — ich dachte an Zigarren — es muß heißen in den Ausleerungs¬ prozeß übergehen sollen. — Eine Flasche hab ich schon beinah verzehrt und einen Brand dabei verraucht, sogleich geht unser 5 Don Guillermo, der junge Prinzipal, nochmals weg und dann wird von Neuem angefangen. Den 19. Sept. 1840. Ihr habt doch ein langweiligeres Leben als wir. Gestern Nach¬ mittag waren keine Arbeiten mehr zu tun, und der Alte war weg, w und Wilhelm L[eupold] ließ sich auch selten sehen. So steckt’ ich mir eine Zigarre an, schrieb erst das Vorstehende an Dich, so¬ dann nahm ich Lenaus Faust aus dem Pulte und las darin. Nach¬ her trank ich noch eine Flasche Bier und ging um halb acht zum Roth; wir schoben in die Union, ich las Räumers Geschichte der u Hohenstaufen und aß dann ein Beefsteak und Gurkensalat. Um halb elf ging ich nach Hause, las Diez’ Grammatik der romani¬ schen Sprachen, bis ich schläfrig wurde. Dazu ist morgen wieder Sonntag und am Mittwoch Bremischer Buß- und Bettag, und so kramt man sich allmählich bis in den Winter hinein. DiesenWinter 20 werd’ ich mit Eberlein Tanzstunde nehmen, um meine steifen Beine an ein wenig Grazie zu gewöhnen. — Hier hast Du eine Szene von der Schlachte, d. h. der Straße, die an der einen Seite die Weser hat, und wo die Waren ausgeladen werden. Der Kerl mit der Peitsche ist der Fuhrmann, der die Kaffeesäcke, die da- 25 hinten liegen, eben wegfahren will ; der Kerl mit dem Sack rechts ist der Schlachtkaper, der sie auf ladet; neben ihm ein Küper, der eben eine Probe gezogen hat und noch in der Hand hält, und da-
1840 Sept. 18—19 Briefe an seine Schwester Marie 599 neben der Kahnschiffer, aus dessen Kahn die Säcke geladen wur¬ den. Du wirst nicht leugnen können, daß diese Gestalten sehr interessant sind. Wenn der Fuhrmann fährt, so setzt er sich ohne Sattel, Bügel und Sporen aufs Pferd und hackt ihm die Fersen 5 fortwährend in die Rippen, so: Jetzt regnet’s wieder ganz ungebührlich für einen Sonnabend Abend, es sollte eigentlich nur in der Woche regnen, aber von Sonnabend Mittag an schönes Wetter sein. Weißt Du, was super¬ fein mittelgut ordinärer Domingokaffee ist? Das ist wieder einer io von den tiefen Begriffen, die in der Philosophie des Kaufmanns¬ standes vorkommen, und die Eure Geisteskräfte nicht verstehen können. Superfein mittelgut ordinärer Domingokaffee ist Kaffee von der Insel Hayti, der einen leisen Anflug von grüner Farbe hat, im Übrigen grau ist, und wo man zu zehn guten Bohnen vier is schlechte Bohnen, sechs Steinchen und ein viertel Lot Dreck, Staub usw. in den Kauf bekommt. Jetzt hast Du’s wohl begriffen. Da¬ von kostet das Pfund jetzt 9% Groten, das sind 4 Silbergroschen 8123/i37 Pfennige. Solche Handelsgeheimnisse dürfte ich eigent¬ lich nicht verraten, da man nicht aus der Schule schwatzen soll; 2o aber weil Du es bist, so will ich eine Ausnahme machen. — Eben sagt unser Arbeitsmann; Herr Derkhiem, wann Se sek met de Jungens gemein mokt, so met Se sek en beten mehr en Respekt hohlen, sons krigt Se dat Volk ganz unner de Föte, Heinrich dat es en slimmen Jung, do hebb’ ick manch’ en Tuck med har’d, Se 25 met nich so veel dornet speelen, Se möt se gliks wat achter de Ohren geven, anners helpt nich, um wann Se no’n Ohlen geht, de dait de Jungens ok nix, de segt man blot: Laßt mir den Kerl vom Halse. Da kannst Du Dich ein wenig in unsrem Plattdeutsch üben. Im Übrigen bin ich Dein ganz ergebenster so Friedrich.
600 Briefe an seine Schwester Marie 1840 Okt. 29 Engels an seine Schwester Marie in Mann¬ heim; Bremen 1840 Oktober 29 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Liebe Marie! Schreib mir nächstens nicht wieder über Barmen, die Mutter 5 läßt die Briefe immer so lange liegen, bis sie selbst schreibt, und das dauert oft sehr lange. Aber was ich Dir schreiben wollte, Du darfst’s aber nicht nach Hause schreiben, denn ich will sie näch¬ stes Frühjahr damit überraschen, ich trage jetzt einen ungeheuren Schnurrbart und werde mir nächstens einen Henriquatre und 10 Ziegenbart zulegen. Die Mutter wird sich wundem, wenn auf ein¬ mal so ein langer schwarzbärtiger Kerl über die Bleiche kommt. Nächstes Jahr, wenn ich nach Italien gehe, muß ich doch auch wie ein Italiener aussehen. Dies hat die kleine Sophie Leupold ge- w Sophie Leupold schrieben, die mich eben auf dem Comptoir besuchte, während der Alte und Eberlein, der hier im Hause ißt, bei einem großen Mittagessen sind. Oh, ich könnte Dir inter¬ essante Dinge erzählen von diesem Mittag- 20 essen, von noch nicht öffentlichen Verlo¬ bungen und verstohlnen Küssen, aber das ist Nichts für ein Mädchen in Pension. Das erfährst Du noch früh genug, wenn wir wieder zu Hause sind. Dann setz ich mich in den Garten, 25 und Du bringst mir einen großen Krug Bier und Butter¬ brot mit Wurst heraus, und dann sag ich: Sieh, meine liebe Schwester, weil Du mir jetzt das Bier herausgebracht hast, und weil es so ein schöner Sommerabend ist, so will ich Dir auch erzählen von dem großen Mittagessen, was Anno 1840, am to 29. des Monats Oktober in Bremen, Martini Numero elf im König¬ lich sächsischen Konsulat gefeiert wurde. Jetzt aber kann ich Dir nur soviel sagen, daß an Madeira, Portwein, Pouillak, Haut Sau¬ ternes und Rheinwein heut mittag ganz ungeheure Quantitäten werden vertrunken werden. Denn obwohl nur fünf Herren da sind, 35 so trinken sie alle doch sehr gut, fast so gut wie ich. — Augen¬ blicklich haben wir Freimarkt, und wenn ich auch nicht die Ehre habe, Ihrer königlichen Hoheit einer Großherzogin und vielen allerdurchlauchtigsten Prinzessinnen vorgestellt zu werden, so haben wir doch auch Spaß. Ich bin glücklicherweise so kurzsich- 40 tig, daß ich gar nicht weiß, wie die paar hohen, höchsten und aller¬ höchsten Personen, die die Ehre gehabt haben, an mir vorbeizu- 1) Der Name in Kinderhandschrift
1840 Okt. 29 Briefe an seine Schwester Marie 601 fahren, aussehen. Wenn Dir nächstens wieder so eine Allergnä¬ digste vorgestellt wird, so schreib mir doch, ob sie hübsch ist, sonst interessieren mich solche Persönlichkeiten gar nicht. Unser edler Ratskeller ist jetzt so schön eingerichtet, wie er nur sein « kann, man sitzt so recht schön zwischen den Fässern. Vorigen Sonntag hatten wir einen Schnurrbartkommers drin. Ich habe näm¬ lich ein Zirkular ausgehen lassen an alle schnurrbartsfähigen jungen Leute, daß es endlich Zeit wäre, all die Philister zu per- horreszieren, und daß das nicht besser geschehen könnte, als daß io wir Schnurrbärte trügen. Wer also Courage genug hätte, der Phi¬ listerei zu trotzen und einen Schnurrbart zu tragen, der sollte sich unterschreiben. Gleich hatt’ ich ein Dutzend Schnurrbärte zusam¬ men, und nun wurde der 25. Oktober, als an welchem Tage unsre Schnurrbärte einen Monat alt wurden, zu einem gemeinschaft- k liehen Schnurrbartsjubiläum angesetzt. Ich dachte mir aber wohl, wie es kommen würde, kaufte ein wenig Schnurrbartwichse und nahm sie mit hin ; da fand sich denn, daß der Eine zwar einen sehr schönen, aber leider ganz weißen Bart hatte, der Andre aber von seinem Prinzipal die Weisung bekommen hatte, das verbreche- 20 rische Ding wegzuhacken. Genug, heut Abend mußten wir wenig¬ stens welche haben, und wer keinen hatte, mußte sich einen malen. Dann stand ich auf und brachte folgende Gesundheit aus: Einen Schnurrbart trugen jeder Zeit Alle tapfem Männer weit und breit, 2,i Und die fürs Vaterland schwangen das Schwert, Trugen Alle schwarz’ und braune Schnurrbärt’. Drum sollen in diesen kriegerischen Tagen Wir AIP einen stolzen Schnurrbart tragen. Die Philister freilich haben’s nicht gelitten so Und sich die Schnurrbärte weggeschnitten, Wir aber sind keine Philister nicht, Drum lassen wir wachsen den Schnurrbart dicht, Hoch lebe jeder gute Christ, Der mit einem Schnurrbart behaftet ist, 33 Und Alle Philister pereant, Die die Schnurrbärt’ haben verpönt und verbannt. Auf diese Knüttelverse wurde mit großem Enthusiasmus ange¬ stoßen, und dann trat ein Andrer auf. Diesem wollte sein Prin¬ zipal keinen Hausschlüssel geben, und so mußte er um zehn Uhr i0 zu Hause sein, sonst wurde das Haus zugeschlossen und sie ließen ihn nicht mehr ein. Es geht hier manchem armen Teufel so. Dieser sagte:
602 Briefe an seine Schwester Marie 1840 Okt. 29 Pereant Alle Prinzipale, Die nicht hergeben den Hausschlüssel! Haare und Fliegen mögen sie finden Beim Abendessen in der Schüssel, 5 Und sich schlaflos im Bette winden! Darauf wurde wieder angestoßen. So ging’s fort bis um zehn Uhr, da mußten die Hausschlüssellosen nach Haus, wir Glück¬ lichen aber, die wir Hausschlüssel haben, blieben sitzen und aßen Austern. Ich hab acht Stück gegessen, mehr aber könnt’ ich nicht, 10 ich kann bis jetzt das Zeug nicht goutieren. Da Du so gern Rechnungen hast und mich sogar dafür mit dem gelben Kuvertorden belohnen willst, so will ich die Gnade haben, Dich mit der Bemerkung zu regalieren, daß Kurant jetzt 106^2 °/o steht, während es vor einem Jahre 114 stand. Die Louis- dors fallen so, daß derjenige, der hier in Bremen eine Million Taler vor einem Jahre hatte, jetzt nur noch neunhunderttausend, also hunderttausend Taler weniger hat. Ist das nicht enorm? Du schreibst mir noch immer Nichts von dem Wisch für Ida, hast Du ihn gekriegt und abgegeben oder nicht? Es wäre mir 20 fatal, wenn ich ihn nicht abgeschickt hätte und er hier liegen ge¬ blieben und dem Alten in die Hände gekommen wäre. Schreib mir also und zwar den langen sechsseitigen Brief, den Du mir versprochen hast. Ich werde mich zu revanchieren wissen. Hier auf dem Kuvert wirst Du wieder mit einigen Rechnereien rega- 25 liert, die Du Dir zu Herzen nehmen kannst. Daß ich diesen Brief noch einmal abschreiben mußte, daran ist Herr Timoleon Miese¬ gans in Bremen Schuld, derselbe, den der Alte vor zwei Jahren einmal aus dem Hause geworfen hat. Mit Achtung und Ergeben¬ heit Friedrich. 30 Bremen, 29. Okt. 1840. [Auf der Adreßseite] Fräulein Marie Engels im großherzoglichen Institut zu M a n n - heim. [Poststempel] Bremen 30. Okt. Mannheim 2. Nov.
1840 Dez. 6—9 Briefe an seine Schwester Marie 603 Engels an seine Schwester Marie in Mann¬ heim; Bremen 1840 Dezember 6—9 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Alleruntertänigstes Danksagungsschreiben des mit dem gelben 5 Kuvertorden allergnädigst begnadigten F. Engels. Wohlgebornes! Hochzuverehrendes Fräulein! Der alleruntertänigst Unterzeichnete, den Ew. Wohlgeboren un- verdientest mit dem gelben Kuvertorden zu beleihen Allergnädigst geruheten, verfehlt nicht, Allergehorsamst seinen allerergeben- sten Dank zu Allerhöchst dero erhabnen Füßen niederzulegen. Alleruntertänigst derselbe hat auch nicht umhin können, die hohe Gnade zu bewundern, nach welcher Allerhöchstdieseiben das begleitende Handbillet Dero dienstwilligstem Knechte offen und aller Welt zugänglich zugehen ließen, so daß Jedermann sich 16 von der hohen Gnade überzeugen konnte, welche Dero erhabne Milde und umfassende Weisheit mir geruheten zu Teil werden zu lassen. Schließlich empfiehlt sich Dero gnädigstem Andenken Aller- höchstdero in tiefster Ehrfurcht ersterbende [r] alleruntertänigster 20 Fr. Engels. Bremen, 6. Dez. 1840. Ich habe Deinen Brief offen bekommen. Die elende Oblate war abgesprungen. Liebe Marie! 25 Um aus der Form zu fallen, die ich für die erste Seite dieses Briefes gewählt hatte, bin ich Dir gar nicht dankbar für die schlechten Oblaten, mit denen Du Deine Briefe versiegelst, und die halbwegs auf springen. Mit welchem Kuvertorden Du mich beglücken willst, ist mir einerlei, aber hau’ ein reelles Petschaft so drauf in des Kuckucks Namen, daß die Geschichten nicht schon in Mainz auseinanderfallen. Vorgestern war der Anna ihr Ge¬ burtstag oder gestern, das weiß ich nicht, ich hab ihn gestern ge¬ feiert in Schwachhausen mit einer Portion Kaffee, kost’ mich 6 Grote, ist das nicht brüderliche Liebe? Sonnabend vor acht 36 Tagen, als ich 20 Jahr wurde, feiert’ ich meinen Geburtstag mit Zahnschmerzen und einer dicken Backe, welches mir infame Pein machte. Auch wirst Du gehört haben, daß Napoleons Leiche in Frankreich angekommen ist, hei, das wird ein Skandal werden! Ich wollt’, ich wäre jetzt in Paris, das ist ein Witz! Liest Du auch io die Zeitung? Hast Du an Krieg geglaubt? Was denkst Du vom
604. Briefe an seine Schwester Marie 1840 Dez. 6—9 Ministerium Guizot und Soult? Singst Du auch das schlechte Lied: Sie sollen ihn nicht haben?, während Du, wenn Du weit gucken kannst, die französische Grenze jenseits des Rheins sehen kannst. Wir haben jetzt Fechtstunde, ich schlage alle Woche vier¬ mal, heut Mittag auch wieder. Auf der andern Seite kannst Du 5 mich beschauen, wie ich haue. Den 8. Dezember. Gestern hatt’ ich höllisch viel zu tun und heut morgen auch. Jetzt will ich diesen Brief an Dich schließen und dann werd’ ich wohl zum Kaffeetrinken kommen. Hörst Du, zu Weihnachten io machst Du mir eine neue Zigarrentasche, und zwar schwarz, rot und gold, das sind die einzigen Farben, die ich leiden mag. „Rot wie die Liebe sei der Brüder Zeichen, Rein wie das Gold der Sinn, der uns durchglüht, Und daß wir auch im Tode nimmer weichen, is Sei schwarz das Band, das unsre Brust umzieht.“ Aus einem verbotenen Studentenliede. Hier haben einige Schafsköpfe einen Verein gestiftet, wo sie Reden halten, und da soll ich einmal hospitieren und nolens volens eine Rede halten. 0 weh, das wird schönes Zeug werden. Übrigens kann ich sehr 20 gut predigen, auch ohne vorher drauf studiert zu haben, und wenn’s aufs Lügen ankommt, da bin ich gar nicht still zu kriegen, das geht in Einem fort. Wenn ich auf dem Landtag wäre, so ließ’
1840 Dez. 6—9 Briefe an seine Schwester Marie 605 ich keinen zu Worte kommen. — Ich habe mich jetzt in meinem Schnurrbart malen lassen und damit Du siehst, wie ich aussehe, 5 10 15 20 kopiere ich das Bild. Du siehst, daß ich gemalt bin, als ich wütend war. Die Zigarre wollte nämlich nicht ziehen. In diesem Augenblick er¬ schien ich so geistreich, daß der Maler mich beschwor, ich solle mich in dieser Situation malen lassen. Ich legte mir alle schlechten Zigarren zurück, und jedesmal, wenn ich wieder saß, rauchte ich ein solches gräßliches Ding. Das war mir die größte Pein. Freu Dich, daß Du nichts mit Musterkisten zu tun hast! Das ist ein Unsinn und eine Konfusion erster Klasse, da kann man den ganzen Tag auf dem Packhausboden am offnen Fenster stehn in dieser Kälte und Leinen packen, das ist das Fürchterlichste, und zuletzt kommt doch nur Unsinn dabei heraus. Meine teure Schwester, ich bin Dein ergebener [Auf der Adreßseite] Fräulein Marie Engels im großherzogl. Institut, Mannheim. [Poststempel] Bremen 9. Dez. Mannheim 11. Dez.
606 Briefe an seine Schwester Marie 1840 Dez. 21—28 Engels an seine Schwester Marie in Mann¬ heim; [Bremen] 1840 Dezember 21—28 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Den 21. Dez. 40. Liebe Marie! 5 Ich kann mich nicht enthalten, Dir meinen Dank für die schöne Zigarrentasche zu sagen, an der nichts fehlt, als daß sie nicht schwarz-rot-gold ist. Sie ist zufällig schon heute in meinen Besitz gekommen und gleich in Tätigkeit gesetzt worden. — Es ist hier ungeheuer kalt gewesen, den ganzen Dezember hat’s in Einem w fort gefroren und friert noch, die Weser ist zu bis Vegesack, 4 Stunden von hier, was äußerst merkwürdig aussieht. Dieser Tage waren ein paar Barmer hier, da haben wir ein famos fideles Leben geführt, alle Kneipen visitiert, stets das Glas gerührt und zuweilen einen kleinen Spitz verspürt. Inliegend findest du einen Mahn- 13 brief von meinem ehemaligen spanischen Lehrer, wenn Du ihn verstehst, so will ich Dir einen neuen Hut schenken. Vielleicht ist doch Jemand in Eurer Pension, der so viel Spanisch versteht, und mir liegt das Ding hier im Wege. — Übrigens weiß ich kaum, was ich Dir schreiben soll, eine Zuckerfabrik ist hier abgebrannt, und zu der Alte will nicht aus dem Comptoir gehen, obwohl ich wirklich schmachte nach einer Zigarre. — Den 23. Gestern Abend hatten wir Paukstunde, als die saubere Nach¬ richt kam, es sei schon wieder Feuer, und zwar in der Neustadt. -5 Aus Pflichtgefühl gingen wir hin, und als wir hinkamen, war es schon aus. Das hat man davon. Man soll immer hübsch zu Hause bleiben, bis es einem auf die Nase brennt. Die Mutter hat mir zu Weihnachten eine Anweisung auf Goethes sämtliche Werke ge¬ schickt, ich habe mir gestern gleich die zuerst erschienenen Bände 30 geholt und gestern Abend bis zwölf mit dem größten Genuß in den Wahlverwandtschaften gelesen. Das ist ein Kerl, der Goethe! Wenn Du noch so ein Deutsch schriebst wie der, so wollt’ ich Dir alle fremden Sprachen gern erlassen. Übrigens ist es sehr über¬ flüssig, daß Du einen Rand läßt, wenn Du an mich schreibst, die 35 Oktavseiten sind schmal genug, und von dieser bequemen Manier, viele Seiten voll zu schreiben, ohne viel zu schreiben, mag ich nichts hören. Wonach zu achten! sagt Professor Hantschke. — Den 24. Dez. Du wirst jetzt in einer ungeheuren Aufregung sein, das kann 40 ich mir denken, und großartige Hoffnungen. Ich bin begierig, was da herauskommen wird. Du wirst mich doch mit erster Post von
1840 Dez. 21—28 Briefe an seine Schwester Marie 607 diesem wichtigen Vorgänge in Kenntnis setzen? Ich werde dafür sorgen, daß es gleich hier in die Zeitung kommt. Hier nebenbei sind einige Züge, Schwänke und Unterschriften, wodurch ich meinem auf seine vierkantigen Züge stolzen Jüngsten s die Gewandtheit meiner Hand bewies. Den 28. Dez. Die Weser ist jetzt ganz zugefroren, so daß man mit Wagen darauf spazieren fährt. Ich glaube, daß man bis Vegesack, was auf der Weser 5 Stunden sind, Schlittschuh laufen könnte. Nach¬ mittags geht der ganze beau monde darauf spazieren, und io die Damen schlagen Bahn, um sich von den Herren absetzen zu lassen, was ihnen immer ein großes Pläsier macht. Die Bäume sehen aus, als wären sie von Schnee, so dicht sind sie mit einer weißen Kruste überzogen. — Die Pastorin hat mir zu Weihnachten einen schwarz rot goldnen Geldbeutel gestickt, und Marie eine is schwarz rot goldne Pfeifentrottel, die sich ganz ungeheuer macht. Heute ist es 9 Grad kalt, das ist ein Leben! Ich mag nichts lieber, als diese kalte wirkungslose Sonne, die über der winterharten Erde aufgeht. Keine Wolke am Himmel, kein Dreck auf der Erde, alles hart und fest wieStahl und Diamant. Die Luft istnicht so schlaff 20 und schwindsüchtig wie im Sommer, man fühlt sie jetzt doch,
608 Briefe an seine Schwester Marie 1840 Dez. 21—28 wenn man herausgeht. Die ganze Stadt ist voll Gletscher, die Leute gehen nicht mehr, sie fallen von einer Straße in die andre. Jetzt merkt man doch einmal wieder, daß es Winter ist. Ich hoffe, Ihr lernt in Mannheim, unter andern ersprießlichen Kunststücken auch das Schlittschuhlaufen, damit Du mir nicht als ein frostiges, s ofenhockerisches, nicht aus der Stube zu kriegendes Dämlein nach Hause kommst, was ich mir bestens verbeten haben will. Wo Du mir aber so frostscheu ankommst, so werde ich Dich auf einen Schlitten binden, den Pferden brennenden Schwamm ins Ohr legen und Dich so in die weite Welt jagen. Oder ich binde Dir io Schlittschuh unter und trage Dich mitten auf den Teich und laß Dich da allein krabbeln. Meine sehr liebe Schwester! Diesen Brief bekommst Du, wenn meine Berechnungen sich nicht schneiden, am Neujahrstage. Ich wünsche Dir zu diesem mir is und wohl auch Dir sehr erwünscht kommenden Festtage alles, was Du verlangst, da dieser Wunsch mich nichts kostet, und hoffe, daß Deine Wünsche für mich wenigstens ebenso christlich sein werden. Möge es Dir in dem neuen Jahre ebensogut in Mann¬ heim gefallen, wie es Dir im alten, Deinen Briefen nach, gefallen 20 hat. (Dies schreibe ich für den Fall, daß dieser Brief vorher eine Zensur zu bestehen hat, ehe er in Deine Hände kommt.) Dein Friedrich. B. 28. 12. 40. Engels an seine Schwester Marie in Mann- 25 heim; Bremen 1841 Februar 18 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Liebe Marie! Diesmal sollst Du einen recht schweren Brief bekommen. Ich wollte Dir erst sogar auf Pappdeckel schreiben, damit Du recht 30 viel Porto zu blechen hättest, konnte aber leider kein planiertes Stück bekommen und muß nun auf das schwerste Papier schrei¬ ben, das in unsrem Papiermagazin aufzufinden war. Wenn Du nicht weißt, was Paukstunde ist, so zeugt das, daß Du in der Kultur schmählich zurückgeblieben bist; daß Du es aber aus der bei- 35 gefügten Zeichnung nicht gesehen hast, zeugt auch von natürlicher Beschränktheit, und man sieht, daß nicht nur der Hopfen der Bil¬ dung, sondern auch das Malz des Mutterwitzes an Dir verloren ist. In Eurem schlechten Deutsch bedeutet Paukstunde so viel wie Fechtstunde. Ich habe mir jetzt auch ein paar Schläger und Hand- 40 schuhe angestiegen, die einzigen Handschuhe, die ich habe, denn mit Glacé etc. gebe ich mich nicht ab.
1841 Febr. 18 Briefe an seine Schwester Marie 609 Bei dem Stabat mater dolorosa etc. fällt mir ein, sieh doch einmal zu, ob dieses Ding von Pergolese komponiert ist. Ist es das, so schaffe mir womöglich eine Abschrift der Partitur, wenn Instru¬ mente dabei sind, die brauch ich nicht, bloß die Singstimmen. 5 Ist es aber von Palestrina oder von einem andren, so brauch ich’s nicht. Übermorgen führen wir den Paulus von Mendelssohn auf, das beste Oratorium, das seit Händels Tode geschrieben worden ist. Du wirst es kennen. Ins Theater geh ich sehr selten, da das hiesige schändlich schlecht ist, und nur, wenn ein neues Stück io oder eine gute Oper, die ich noch nicht kenne, gegeben wird, geh ich zuweilen hin. — Seit meinem letzten Briefe haben wir hier eine schöne Über¬ schwemmung gehabt. Das Wasser stand bei Treviranus zwölf bis vierzehn Zoll hoch in meiner Stube, und ich mußte zum Alten 15 flüchten, der mich mit gewohnter Güte beinahe vierzehn Tage be¬ herbergte. Da aber ging der Tanz erst recht los. Das Wasser stand anderthalb Fuß vor dem Hause, und damit es nicht in den Keller käme, der eine Luke hat, mauerten wir diese mit Kuhmist zu. Aber das maliziöse Wasser lief nun aus dem Keller des Nachbars in 2o unsren durch die Wand, und damit unsre schönen Rumfässer und Kartoffeln und vor allem der wohlassortierteWeinkeller des Alten nicht ersoff, mußten wir Tag und Nacht pumpen, vier Nächte hintereinander, die ich alle vier durchgepumpt habe. Wilhelm Leupold und ich blieben gewöhnlich zusammen auf, setzten uns 25 hinter den Tisch aufs Sofa, auf dem Tisch einige Flaschen Wein, Wurst und ein großes Stück vom edelsten Hamburger Rauch¬ fleisch. Dabei wurde geraucht, geschwatzt und alle halbe Stunden gepumpt. Es war sehr ergötzlich. Um fünf Uhr Morgens kam dann der Alte und löste einen von uns ab. Bei dieser Überschwemmung 30 sind rührende Dinge vorgefallen. In einem Hause vor der Stadt, das bis an die Fenster des untersten Stocks voll Wasser stand, sahen die Leute plötzlich eine ungeheure Masse Ratten an¬ schwimmen, die durch die Fenster hineinkamen und das ganze Haus besetzten. In diesem Hause waren außerdem lauter ratten- 35 scheue Frauenzimmer, gar kein Mann, so daß die zarten Damen sich trotz ihrer Angst entschließen mußten, mit Säbeln, Stöcken etc. auf die wilde Horde loszugehen. In einem Hause, das ganz an der Weser liegt, saßen eben die Comptoiristen beim Frühstück, als eine große Eisscholle herabgetrieben kam, die Wand durch- 40 stieß und den unbescheidenen Kopf ins Zimmer steckte, worauf denn gleich eine gute Portion Wasser nachfolgte. Jetzt will ich Dir auch eine Neuigkeit mitteilen. Du erinnerst Dich, daß ich Dir einmal sehr geheimnisvoll von einem großen Mittagessen schrieb, welches im Kgl. sächsischen Konsulat gegeben wurde und wo- 45 bei große Geheimnisse vorfielen. Jetzt kann ich Dir sagen, daß Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 39
610 Briefe an seine Schwester Marie 1841 Febr. 18 die Person, welcher dieses Mittagessen zu Ehren gegeben wurde, die dame souveraine des pensées, die donna amada mais que la vida von meinem zweiten Prinzipal, dem oben erwähnten Wilhelm Leupold war. Er hat mir während der Überschwemmung seine Ostern erfolgende öffentliche Verlobung offiziell angezeigt, und 5 ich will, im Glauben an Deine Verschwiegenheit, Dir dieses mit¬ teilen, schwatzen aber darfst Du noch nicht davon, denn es wird erst mit Ostern publik. Du siehst, wie sehr ich Dir vertraue, denn wenn Du davon sprichst, so könnte es in drei Tagen sich bis hie- her nach Bremen fortgepflanzt haben, da es überall schwatzhafte w F rauenzimmer gibt. Und dann käm’ ich in eine schöne Patsche. — Die Braut W. L[eupold]s heißt Therese Meyer, Tochter vom Stockmeyer in Hamburg. Stockmeyer heißt dieser aber, weil er eine Fabrik von Spazierstöcken hat, wodurch er sich schweres Geld erworben hat. Sie trägt, d.h. nicht die Fabrik, sondern^ Therese, einen blauen Spenzer und ein helles Kleid, ist siebzehn Jahre alt und so mager wie Du, wenn Du indessen in Mannheim nicht zugenommen hast. Sie ist noch nicht einmal konfirmiert, ist das nicht schrecklich? Heute hab ich mir meinen Schnurrbart wieder abgeschnitten 20 und die jugendliche Leiche unter schweren Klagen begraben. Ich sehe aus wie ein Weib, es ist schändlich; und wenn ich gewußt hätt, daß ich ohne Bart so schändlich ausseh, so hätt’ ich ihn gewiß nicht heruntergehauen. Als ich mit der Schere vor dem Spiegel stand und die rechte Seite fortgesäbelt hatte, kam der 25 Alte aufs Comptoir und mußte laut lachen, als er mich mit dem halben Schnurrbart sah. Jetzt lass ich ihn aber wieder wachsen, denn ich kann mich ja nirgends sehen lassen. In der Singakademie war ich der Einzige mit einem Schnurrbart und hab mich immer über die Philister amüsiert, die sich gar nicht genug wunderten, 30 daß ich die Frechheit haben konnte, so unrasiert in anständige Gesellschaft zu gehen. Den Damen hat’s übrigens doch sehr ge¬ fallen und meinem Alten auch. Gestern Abend noch im Konzert standen sechs jugendliche Stutzer um mich herum, alle im Frack mit Glacéhandschuhen, ich stellte mich zwischen sie im gewöhn- 35 liehen Rock, ohne Handschuh. Die Kerls haben den ganzen Abend über mich und meine borstige Oberlippe glossiert. Das Schönste ist, vor einem Vierteljahr kannte mich kein Mensch hier, und jetzt kennt mich alle Welt, bloß wegen dem Schnurrbart. 0 über die Philister! *o Br., 18. Februar 1841. Dein Friedrich. [Auf der Adreßseite] Fräulein Marie Engels im großherzoglichen Institut zu Mannheim. [Poststempel] Bremen 19. Febr. Mannheim 23. Febr. 45
1841 März 8—11 Briefe an seine Schwester Marie 611 Engels an seine Schwester Marie in Mann¬ heim; Bremen 1841 März 8—11 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Liebe Marie! Bremen, 8. März 1841. „So hochachtungsvoll wie ergebenst“, das waren die letzten Worte eines Geschäftsbriefes, mit dem ich meine heutige Comp¬ toirtätigkeit schloß, um — um — um — nun, wie drück ich mich am zierlichsten aus?1} Ach was, die Verse wollen nicht fließen, io man sagt’s am besten grad heraus, um an Dich zu schreiben. Da ich mich aber noch mit der Verdauung des Mittagessens beschäftigt bin, so hab ich keine Zeit, viel zu denken, sondern muß Dir schon schreiben, was mir eben durch den Kopf kommt. Mein erster Ge¬ danke aber ist eine Zigarre, welche sogleich entflammt werden io soll, da Seine Majestät sich wegbegeben hat. Seine Majestät ist nämlich der Alte, der diesen Titel bekommen hat, da wir ent¬ schlossen sind, uns im Hofstil zu üben. Denn es ist ja bestimmt und sicher, daß das ganze Leupoldsche Comptoir demnächst noch einmal Minister und geheime Kammerherrn wird. Du sollst Dich 20 wundern, wenn Du mich mit dem goldnen Schlüssel am schwarzen Frack siehst — ich werde dann natürlich ebenso steif sein wie ich bisher mein Lebenlang gewesen bin, und meinen Schnurrbart schneid ich keinem König zu Gefallen ab. Er ist jetzt wieder im besten Flor, am Wachsen, und wenn ich, wie ich nicht zweifle, im 25 Frühjahr das Vergnügen haben sollte, Dich in Mannheim zu be- 30 35 40 kneipen, so sollst Du Dich über seine Glorie wundern. Der Richard Roth ist heut vor acht Tagen hier weggegangen, um eine große Reise zu machen, nach Süddeutschland und der Schweiz. Ich danke Gott, daß ich nun auch dies langweilige Nest verlasse, wo man Nichts tun kann als fechten, essen, trinken, schlafen und ochsen, voilà tout. Ich weiß nicht, ob Du schon gehört hast, daß ich Ende April mit dem Vater wahrscheinlich nach Italien gehen werde, bei welcher Gelegen¬ heit ich Dir die Ehre meines Besuchs antun werde. Wenn Du Dich anständig machst, bring ich Dir vielleicht auch was mit, bist Du aber aufgeblasen und hast einen Schuß im Nacken, so bekommst Du schwere Risse. Auch wirst Du der gerechten Strafe nicht i) Danach gestrichen den Türken gleich 39*
612 Briefe an seine Schwester Marie 1841 März 8—11 entgehen, wenn Du wieder solchen nonsense schreibst wie in Deinem vorletzten Brief von der Paukstunde, womit Du mich hast foppen wollen. Daß das Stabat mater von Pergolese ist, hab ich mit Vergnügen erfahren; Du mußt mir jedenfalls eine Kopie des Klavierauszugs 5 mit allen Singstimmen schaffen und zwar so, daß das gleichzeitig gesungne und gespielte obeneinander steht wie in einem Opern¬ klavierauszuge. Tenor und Baß fällt mir eben ein, fehlt aber wohl bei dem Pfergo- io lese] sehen Stabat mater; dafür werden meh¬ rere Soprane und Alte dasein. Schadt nichts. Wenn ich wirklich dies Frühjahr nach Mailand komme, so treffe ich dort mit Roth und dem Elberfelder Wilhelm Blank zu¬ sammen und wir richten dort ein fideles Leben ein bei türkischem 15 Tabak und Lagrime di Cristo. Die Italiener sollen noch ein hal¬ bes Jahr nachher von den drei lustigen Deutschen schwatzen, so berühmt wollen wir uns machen. Deine Beschreibung Eures unschuldigen Karnevals hat mich sehr amüsiert. Ich hätt Dich sehen mögen. Hier ist nicht viel 20 Witz losgewesen außer ein paar ennuyanten Redouten, die ich nicht besucht habe. In Berlin ist der Karneval auch schmählich skandalös abgelaufen. Am Besten könnens doch immer noch die Kölner. — Eins hast Du doch weniger als ich, Du kannst heute Mitt- 25 woch den 10. März nicht Beethovens Cmoll Symphonie hören, und ich doch. Diese und die Sinfonia eroica sind meine Lieblings¬ stücke. Exerzier Dich nur ja recht ein, Beethovensche Sonaten und Symphonien zu spielen, damit Du mir nachher keine Schande machst. Ich höre sie aber nicht im Klavierauszug, sondern von 30 vollem Orchester. Den 11. März. Das ist gestern Abend eine Symphonie gewesen! So was hast Du in Deinem Leben noch nicht gehört, wenn Du die¬ ses Prachtstück noch nicht kennst. Diese verzweiflungsvolle Zer¬ rissenheit im ersten Satze, diese elegische Wehmut, diese weiche 35 Liebesklage im Adagio, und dieser gewaltige, jugendliche Posau¬ nenjubel der Freiheit im dritten und vierten Satze! Außerdem hat sich gestern noch ein jämmerlicher Franzose hören lassen, der sang ein Ding, das ging so:
1841 März 8—11 Briefe an seine Schwester Marie 613 und soweiter, keine Melodie und keine Harmonie, ein jämmer¬ licher französischer Text, und der ganze Witz war tituliert L’Exilé de France. Wenn alle aus Frankreich Verbannten ein solches Katzengewinsel erheben, so wird man sie nirgends haben wollen. 5 Auch sang dieser Flegel ein Lied: Le toréador, d. h. der Stierfech¬ ter, wobei alle fingerlang der Refrain vorkam: Ah que j’aime l’Espagne! Dieses war womöglich noch erbärmlicher und ging ebensobald mit Quintensprüngen, bald in chromatischen Gängen sich krümmend, als wenn’s Bauchweh bedeuten sollt. Wär nicht io zum Schluß die prachtvolle Symphonie gekommen, so wär ich weg¬ gelaufen und hätt’ den Raben krächzen lassen, denn er hatt’ einen erbärmlich dünnen Bariton. Im Übrigen schick mir nächstens besser gefaltete Briefe. Die Form ist sehr unpraktisch und geschmacklos, es muß is achten. Semper Tuus oder sein, wonach zu Friedrich. Engels an seine Schwester Marie in Mann¬ heim; Barmen 1841 April 5 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen 20 Warum hast Du mir nicht nach Bremen geschrieben? Über¬ haupt verdientest Du gar nicht, daß ich Dir jetzt noch schrieb, aber ich will einmal eine Ausnahme machen und Dich in Deiner Mannheimer Verlassenheit mit ein paar Zeilen erfreuen. Man hat mich hier auf der Stube neben meiner alten, jetzigen Musik- 25 stube, angesiedelt, wo ich mich jetzt unter lauter italienischen Büchern vergrabe und zuweilen aufstehe, um mit dem Hermann oder Adolf einen Gang auf Hieb und Stich zu machen. Ich habe eben mit August, Hermann und Bernhard gefochten und bin des¬ halb etwas zitterig in der Hand, daher ich auch heute eine sehr 30 schlechte und gelehrte Handschrift habe. Gestern als wir nach Vohwinkel waren, hab ich fast alle getroffen, mit denen ich frü¬ her auf dem Gymnasium war. — Es ist sehr schönes Wetter, und ich hab heut noch einen jäm¬ merlich langweiligen Besuch bei Wemhöners vor. Den Emil werd 35 ich von Dir grüßen. Luise Snethlage hat sich ja den Hermann Siebel zugelegt und scheint sich sehr wohl dabei zu befinden. Im Übrigen ist ganz Barmen auf dem alten Fuß geblieben, und ich habe Dir nur noch eine baldige Erfüllung Deiner Pflichten gegen mich ans Herz zu legen. 40 Der Deinige Friedrich. Barmen, 5. April 41.
614 Briefe an seine Schwester Marie 1841 Anfang Mai Engels an seine Schwester Marie in Mann¬ heim; [Barmen 1841 ca. Anfang Mai] Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Liebe Marie! Gestern Abend begann ich einen Brief an Dich, kam aber nicht 5 über die dritte Zeile hinaus, und das schnitt die Anna ab, um die¬ ses Papier noch zu benützen. Deine beiden Briefe hab ich bekom¬ men, auch den Bremer, der eine schöne Reise gemacht hat. Im Übrigen geht’s hier ziemlich trocken, wenn nicht etwa dann und wann ein Abendessen mit etwas Maitrank, ein Bierkommers, eine 10 Kneiperei oder Regenwetter in Bänken ist. Das Beste an der gan¬ zen Wirtschaft ist, daß ich den ganzen Tag rauche, was unbe¬ zweifelt ein hoher unbezahlbarer Genuß ist. Von Bremen hab ich mit meiner Kiste noch einige sehr hübsche Arbeiten bekommen, ein Zigarrenkörbchen, Aschenbecher, Pfeifentroddel etc. Der 15 Vater ist nach Engelskirchen, ich sitze in seinem Schläfer mit der langen Pfeife auf seinem Bock und dampfe ein Erkleckliches. In acht bis zehn Tagen werden wir wohl nach Mailand abreisen, wobei uns nur gutes Wetter zu wünschen ist. Heut regnet’s wieder toll drauf los. Ich bin begierig, wie Du Dich in Mannheim ent- 20 wickelt haben wirst, ob Du noch dasselbe magre, alberne Küken von ehemals bist oder Dir neue Tollheiten zugelegt hast. Die Anna hat auch zuweilen so einen tollen Strich und ergeht sich dann in Albernheiten, ihr drittes Wort ist: „Og, Drikes!“ Der Hermann entwickelt glänzende Anlage zum Hypochonder, kann oft tage- 25 lang mit dem gleichgültigsten Gesicht von der Welt dasitzen, das Maul hangen lassen und kein Wort sprechen. Kriegt er dann plötz¬ lich den Rappel, so weiß er sich vor Tollheit nicht zu lassen. Der Emil ist noch immer groß in Mißverständnissen. Hedwig ent¬ wickelt, etwas Eigensinn ausgenommen, sehr wenig Charakter. 30 Rudolf ist ein Kerl wie der Hermann war, er daselt den halben Tag in Träumen herum, und die übrige Zeit macht er dumme Streiche. Sein größtes Pläsier ist, wenn ich ihm ein Rappier gebe und es ihm aus der Faust schlage. Die kleine Elise wird sich be¬ deutend machen, jetzt aber ist sie noch unbedeutend. Sie zeigt 35 Keime von Liebenswürdigkeit und sticht Euch am Ende alle aus. Und Ich? ich würde vielleicht interessant aussehen, hätte ich statt meines jetzigen jungen Schnurrbarts noch meinen alten Bremer und meinen langen Haarwuchs. Jetzt hast Du für heut genug, ich schreib Dir von Mailand aus, 40 wenn wir dort Regenwetter haben sollten. Dein Friedrich.
1841 Sept. 9 Briefe an seine Schwester Marie 615 Engels an seine Schwester Marie in Mann¬ heim; [Barmen 1841 ca. Ende August] Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Liebe Marie! 5 Wenn ich Dir denn durchaus schreiben soll, so muß ich Dir vorher sagen, daß es nicht viel werden wird, denn hier fällt nichts vor. Hochzeiten, Visiten, ei nun, da geh ich hin, eß und trink, und hintennach einen langen Klatsch drüber halten, das ist doch unmöglich für mich. Dergleichen bist Du auch nicht von mir ge- io wohnt. Ich sitze jetzt fast den ganzen Tag oben auf meiner Stube, lese und rauche wie ein Dampfmaschinenschornstein, fechte, daß die Klingen bersten und amüsiere mich so gut wie möglich. Das schändlich schlechte Wetter bringt mich fast zum Verzweifeln, man kann nicht nach Elberfeld gehen ohne zu riskieren, dreimal is durch naß zu werden. Unglücklicher Weise gibt es zwischen hier und Elberfeld auch nur eine Station, wohin man sich retirieren kann, wenn’s zu arg wird, nämlich die Bierkirche. Und da kost’ das Glas Bier noch dazu 2 Silbergroschen. Im Übrigen geht nichts vor sich, sondern alles hinter sich. Von meiner Abreise nach Ber- 20 lin ist noch nicht die Rede, das hat Zeit, ich kümmere mich um Nix und laß die andern sorgen. Willst Du mehr Briefes haben, so meld Dich und schreib mir was Schönes. Dein Bruder Friedrich. 25 [Auf der Adreßseite] To Miss Mary Engels, Mannheim Engels an seine Schwester Marie in Mann¬ heim; Barmen 1841 September 9. Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen so Liebe Marie! Die Mutter behauptet, daß ich Dir zuletzt einen Wisch, der keiner Beantwortung wert sei, und keinen Brief geschrieben hätte, und da Du mir auf besagten Wisch nicht geantwortet hast, so muß ich zu meinem großen Leidwesen fast glauben, daß Du derselben 35 Meinung bist. Ich muß Dir übrigens sagen, daß ich durch diese Behandlungsweise sehr verletzt, wenn nicht beleidigt worden bin, und heut abend nur, weil ich guter Laune bin, und keine Zän¬ kereien mit Dir anfangen will, Dir einen Brief schreibe; denn ver¬
616 Briefe an seine Schwester Marie 1841 Sept. 9 dient hast Du ihn gewiß nicht. Außerdem tu ich der Mutter einen Gefallen damit, und jetzt weißt Du, wem Du diese Zeilen zu ver¬ danken hast. Ich bin nun zirka sechs Wochen hier und habe viel Tabak verraucht und gehörig studiert, obwohl man in den höheren Regionen behaupten will, ich hätte nichts getan. In 8—14 Tagen s werde ich indessen wohl nach Berlin abreisen, um dort meiner Pflicht als Staatsbürger zu genügen, d. h. mich wo möglich vom Militär frei zu machen, und dann nach Barmen zurückzukommen. Wie nun die Sache ablaufen wird, steht zu erwarten. Wir hatten für Samstag und Sonntag eine Tour nach Altenberg w vor, aus der Nichts werden wird, da Blank und Roth nicht können; ich muß nun einmal sehen, ob wir nichts Andres aufbringen kön¬ nen. Eben fällt mir ein, daß ich wohl einmal wieder nach der Beienburg gehen könnte, da ich doch lange nicht dort gewesen bin. Gestern ist die Mutter bei Augusts zum Kaffee gewesen und hat 15 dort die Bemerkung gemacht, daß Fräulein Julie Engels sehr still, Fräulein Mathilde Wemhöner aber sehr gesprächig gewesen ist. Etwaige Schlüsse daraus magst Du Dir selber ziehen. Im Übrigen habe ich gefunden, daß die Anna sehr lustig ist, der Emil im Witzereißen Fortschritte macht, die Hedwig sehr 20 frech wird, und der Rudolf auf die Wege gerät, die der Hermann als Bengel seines Alters einschlug, übrigens die Elise sich sehr ziert. Dein englischer Brief an den Vater, den ich heute las, war im Ganzen gut, nur mit einigen derben Fehlern, abgefaßt. 25 Du reste, Dein Bruder Friedrich. Barmen, 9. Sept. 41. Engels an seine Schwester Marie in Mann¬ heim; Berlin 1842 Januar 5—6 30 Original im Besitze der Familie Mittelstenschcid, Barmen Berlin, 5. Januar 1842. Meine liebe Marie! Mit der ungeheuersten Beschämung mußte ich mich durch Deinen Brief an die lang versäumte Pflicht, Dir zu schreiben, 35 mahnen lassen. Es ist wirklich schändlich von mir gewesen, und das Verbrechen ist gar nicht zu entschuldigen. Darum will ich mich nur gleich dransetzen und Dein vorgestern empfangenes liebes Schreiben beantworten. Gestern hab ich das Kanonenfieber be¬ kommen. Ich war nämlich den Morgen über sehr unwohl und 40
1842 Jan. 5—6 Briefe an seine Schwester Marie 617 schwachmatisch, wurde dann zum Exerzieren bestellt und wäre bei der Kanone beinah flau geworden, worauf ich mich entfernte und den Nachmittag über ein schändliches Fieber genoß; heut Morgen war mir besser zu Mut, aber das Exerzieren wollt’ noch nicht recht 5 gehen, doch bin ich jetzt so ziemlich wieder auf dem Schick und habe mir zwei Tage krank geben lassen, wegen katarrhalischen Kanonenfiebers, worauf ich wieder so weit zu sein hoffe, daß ich den Wischer gehörig in den Lauf bringen kann. Übrigens schreib mir davon nichts nach Haus, das kann zu Nichts dienen. Weißt Du, io was mir der Doktor fürs Kanonenfieber verordnet hat? Ein Glas Punsch vor Schlafengehen, ist das nicht gute Medizin? Daraus siehst Du, daß ein Kompagniechirurgus weit mehr wert ist, als z. B. ein Dr. Reinhold mit allen seinen Pflastern und spanischen Fliegen, Blutigeln etc., obwohl er lange nicht so viel zu wissen is braucht. Aber bei uns werden nur kräftige Mittel angewandt, lauter medizinisches schweres Geschütz, Bomben und Granaten und 24-Pfünder. Unsre Rezepte sind sehr einfach, und ich habe mich in Bremen fortwährend damit kuriert. Zuerst Bier, hilft das nicht, Punsch, hilft das auch nicht, ein Schluck Rum, das 20 muß helfen. Das ist Artilleriedoktorei. Ich glaube übrigens, Du lachtest Dich krank, wenn Du mich in der Jacke und den dicken langen Wischer in der Faust am Sechspfünder stehen sähst und um das Rad springen. Meine Uniform ist übrigens sehr schön, blau mit schwarzem Kragen, an dem zwei breite gelbe Streifen 25 sind, und mit schwarzen, gelbstreifigen Aufschlägen nebst rot ausgeschlagenen Schößen. Dazu die roten Achselklappen mit weißen Rändern, ich sage Dir, das macht einen pompösen Effekt, und ich könnte mich auf der Ausstellung sehen lassen. Neulich hab ich den Poet Rückert, der jetzt hier ist, schändlich dadurch 30 verbiestert gemacht. Ich setzte mich nämlich, als er Vorlesung hielt, dicht vor ihn, und nun sah der arme Kerl fortwährend auf meine blanken Knöpfe und kam ganz aus dem Konzept. Außerdem hab’ ich als Soldat den Vorzug, daß ich nirgends anzuklopfen brauche, wenn ich zu Jemand komme, auch nicht Guten Tag zu 35 sagen oder sonst Komplimente zu schneiden. Es kam einmal einer zum Kapitän und klopfte mit der Säbelscheide unwillkürlich an die Türe; dafür kam er acht Tage in Arrest, weil der Kapitän be¬ hauptete, er hätte angeklopft. Du siehst, was ich für ein Mords¬ kerl bin, außerdem werd’ ich jetzt bald Bombardier, das ist so 40 eine Art Unteroffizier und kriege goldne Tressen an die Auf¬ schläge; also hab nur gehörigen Respekt vor mir. Denn wenn ich Bombardier bin, so hab ich allen Gemeinen in der ganzen preu¬ ßischen Armee zu befehlen, und alle Gemeine müssen vor mir an die Mütze greifen. — 45 Was schwatzt Du mir in Deinem Brief so viel vom alten Fritz
618 Briefe an seine Schwester Marie 1842 Jan. 5—6 Wilm und vom jungen Fritzchen Wilmchen? Ihr Frauleut sollt Euch nicht in die Politik mischen, davon versteht Ihr Nichts. Da Du aber so gern von Deiner teuren Majestät etwas wissen willst, so will ich Dir erzählen, daß Allerhöchstdieselben am 16. dieses Monats nach London abreisen, um Seine königliche Hoheit, den 5 kleinen englischen Prinzen, über die Taufe zu halten, auf der Rückreise vielleicht nach Paris, gewiß aber nach Köln gehen wer¬ den, im Frühjahr die silberne Hochzeit Allerhöchst Ihres erhabe¬ nen Schwagers, des Kaisers von Rußland, in Petersburg feiern werden, sodann im Sommer sich in Potsdam amüsieren und den w Herbst am Rhein zubringen werden, um sich sodann den Winter in Charlottenburg zu amüsieren. Jetzt muß ich ins Kolleg. Den 6. Jan. 1842. Heut Morgen bin ich ausgezogen aus dem vorderen Zimmer in das hintere, weil das vordere an einen Landsmann von mir, 15 einen Juristen aus der Gegend von Köln vermietet ist und sich außerdem schlecht heizt. Das ist kurios; dies hintere Zimmer ist doch größer als das vordere und doch ist es immer von etwas Feuer warm, während das vordere eiskalt ist. Ich könnt’ es da vorn mit aller Mühe nicht dahin bringen, daß die Eisblumen von den 20 Fenstern schmolzen, aber hier hinten ist es ein Pläsier, anzusehen, wie das seit acht Tagen gefrorne, fingerdicke Eis wie im Früh¬ ling zerfließt und der klare blaue Himmel lustig hereinsieht, nach¬ dem ich ihn so lange aus der Stube nicht hatte sehen können. Auch die Kaserne vom zweiten Garderegiment Schwammklöpper (so 25 nennen wir die Infanteristen), der ganze Tierarzneischulenplatz und was dazu gehört, läßt sich wieder sehen. Wir haben hier eine rheinische Restauration, in der alle unsre heimischen Leibgerichte, die hier sonst kein Mensch kennt, ge¬ macht werden. Jeden Sonnabend Abend wird Reibkuchen gegessen 30 und ein Köpken Koffe dazu getrunken. Gestern hab’ ich Äpfel und Erdäpfel gegessen. Unsre alte Erpelssupp, die Du auch wohl noch kennst, spielt eine bedeutende Rolle. So noch eine Masse, was mir jetzt nur nicht einfällt. Heut Mittag gibt’s Sauerkraut und Schweinefleisch, worauf ich mich schon freue. Neulich wollt’ er 35 uns auch auf Pannhas traktieren, aber der geriet nicht, weil hier kein Buchweizenmehl zu haben ist, und also auch keine Puffers¬ kuchen gebacken werden können, wonach wir schon lange Zeit schmachten. Sehr schön ! Da fängt die Sonne recht herzlich an zu scheinen, 40 was mir sehr erbaulich vorkommt. Denn nun werd’ ich nach Tisch spazieren gehn, und da Schelling heut Abend nicht liest, den gan¬ zen Abend für mich haben, wo ich dann bedeutend und ungestört arbeiten kann.
1842 Jan. 5—6 Briefe an seine Schwester Marie 619 5 10 Das hiesige Theater ist sehr schön, ausgezeich¬ nete Dekorationen, vortreffliche Schauspieler, aber meist schlechte Sänger. Deswegen geh ich auch selten in die Oper. Morgen wird ein neues Stück gegeben, Columbus von Werder. Der Co¬ lumbus ist derselbe, der Amerika entdeckt hat, und der Werder ist Professor hier an der Univer¬ sität, derselbe, der die Tiefe der Negation ent¬ deckt hat. Wahrlich, wahrlich, ich sage Dir, das wird morgen voll im Theater werden und ich werde auch zu dieser Vollheit beitragen. Zwei Akte spielen auf der See, auf einem Schiffe, das soll sehr kurios zu sehen sein. Hier siehst Du mich in Uniform, wie ich meinen Mantel sehr roman¬ tisch und malerisch, aber ungeheuer vorschrifts¬ widrig umgehängt habe. Würde ich so über die Straße gehen, so wäre ich jeden Augenblick in Gefahr, in Arrest geschickt zu werden, was doch eben nicht an¬ genehm ist. Denn wenn ich schon auf der Straße nur Einen 2o Knopf an der Uniform oder eine Krempe am Kragen offen habe, so kann mich jeder Offizier oder Unteroffizier in Arrest schicken. Du siehst, es ist gefährlich, Soldat zu sein, auch im Frieden. Das Schönste ist, daß wir alle 4 Wochen in die Kirche müssen, ich hab mich aber immer dran vorbeigefudelt, nur einmal nicht; 25 denn da muß man eine Stunde vorher im schweren dekorierten Tschako mit Federbusch auf dem Hofe stehn und dann kommt man nachher recht durchgefroren in die eiskalte Kirche, wo man von der Predigt wieder Nichts zu hören bekommt, so schlecht klingt es. Ist das nicht schön? Schreib bald wieder Deinem so Bruder Friedrich. Die Oblate hält nicht zum Besten. Engels an seine Schwester Marie in Mann¬ heim; Berlin 1842 April 14—16 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen 35 Liebe Marie! Dieses zarte Blättchen1), welches ich, nachdem es ein halbes Jahr in meiner Mappe gelegen hat, herausziehe und Dir dediziere, wird Dich hoffentlich für die lange Zeit entschädigen, die ich, mit Reue bekenn’ ich es, Dich habe warten lassen. Der Herr Hösterey haben O Links oben auf dem Briefbogen eine Rose mit Knospen und Blättern
620 Briefe an seine Schwester Marie 1842 April 14—16 mir Dein Brieflein richtig überbracht, nachdem Hochdieseiben es vor den Augen der österreichischen Zöllner in der Hosentasche verborgen hatten, wofür Höchst-Sie mich um Verzeihung baten, und zwar in einem sehr schönen Deutsche. Ich kann es nun nicht vor meinem Gewissen rechtfertigen, Dich noch länger warten zu s lassen, und schreibe also. Was? Ja, das weiß ich noch nicht. Daß ich heut morgen von 8—V2I2 Parademarsch geübt habe? Daß ich dabei eine sehr bedeutende Nase vom Herm Oberstleutnant be¬ sehen habe? Daß wir am Sonntag Kirchen parade haben werden? Daß meine guten Zigarren auf sind und das Bier bei Wallmüller 10 seit einigen Tagen sehr schlecht ist? Daß ich jetzt ausgehen muß wegen ein paar Töpfe Ingwer, die ich für Snethlagens bestellt habe? Ja, das ist’s. Also bis morgen. Heute als Freitag, 15. April, fahre ich fort. Wir haben ein weit schöneres Wetter bekommen. Vor meinem Hause liegen eine 15 Menge Droschken und halten ihr Standquartier daselbst. Die Droschkiers sind gewöhnlich besoffen und amüsieren mich sehr. Wenn ich also einmal ausfahren sollte, so habe ich das sehr be¬ quem. Ich wohne überhaupt ganz angenehm, eine Treppe hoch, ein elegant möbliertes Zimmer, dessen vordere Wand aus drei 20 Fenstern besteht, zwischen denen nur schmale Pfeiler sind, so daß es sehr hell und freundlich ist. Gestern, als ich dies geschrieben hatte, wurde ich gestört. Heute kann ich Dir die erfreuliche Nachricht melden, daß wir morgen wohl keine Parade haben werden, weil Seine Majestät der König 25 Allerhöchstdieselben nach Potsdam und Brandenburg zu gehen geruht haben. Welches mir sehr angenehm ist, da ich doch keine Lust habe, mich morgen auf dem verfluchten Schloßplatz herum¬ zutreiben. Hoffentlich kommen wir auf diese Weise ganz an der Parade vorbei. Auch haben wir jetzt ein sehr anmutiges Exer- 30 zieren auf dem sogenannten Grützmacher, welcher ein sehr großer Platz ist, wo man bis über die Kniee in den Sand versinkt und wel¬ cher die schöne Eigenschaft hat, daß er elektrisch ist. Wenn nun die zwölfte Gardefußartillerie-Kompagnie, bei welcher ich stehe und welche auch elektrisch ist, aber negativ, dahin kommt, so 35 stoßen positive und negative Elektrizität zusammen, machen Skan¬ dal und Verwirrung in der Luft und ziehen die Wolken an. Anders weiß ich es mir wenigstens nicht zu erklären, daß es im¬ mer regnet oder schneit, wenn unsere Kompagnie auf den Grütz¬ macher geht. Übrigens bin ich seit vier Wochen Bombardier, wenn 40 Du dies noch nicht wissen solltest, trage die Tressen und Litzen und den blauen Kragen mit roter Paspelierung. Das verstehst Du nun zwar nicht, aber das ist auch nicht nötig, wenn Du nur weißt, daß ich Bombardier bin, so ist das genug. Daß der Herr Liszt hier gewesen ist und durch sein Klavier- 45
1842 April 14—16 Briefe an seine Schwester Marie 621 spielen alle Damen entzückt hat, wirst Du wohl noch nicht gehört haben. Die Berliner Damen sind aber so vernarrt gewesen, daß sie sich im Konzert um einen Handschuh von Liszt, den er hatte fallen lassen, komplett geprügelt haben, und zwei Schwestern, deren 5 eine ihn der andern abnahm, deshalb in ewige Feindschaft ge¬ rieten. Den Tee, den der große Liszt in einer Tasse stehen ließ, goß sich die Gräfin Schlippenbach in ihr Eau de Cologne-Flacon, nachdem sie die Eau de Cologne auf die Erde gegossen hatte; seit¬ dem hat sie dies Flacon versiegelt und auf ihrem Sekretär zum io ewigen Andenken hingestellt und entzückt sich jeden Morgen da¬ ran, wie auf einer deshalb erschienenen Karikatur zu sehen ist. Es ist ein Skandal gewesen wie noch nie. Die jungen Damen haben sich um ihn gerissen, und dabei hat er sie alle ganz entsetzlich links liegen gelassen und lieber mit ein paar Studenten Cham- 15 pagner getrunken. Aber in jedem Hause sind ein paar Bilder von dem großen, liebenswürdigen, himmlischen, genialen, göttlichen Liszt zu sehen. Ich will Dir doch auch ein Konterfei davon machen. Das ist der Mann mit der kamtschadalischen Fri- sur. Übrigens hat er hier gewiß 10000 Taler 20 /& uhBäMÄ verdient, und seine Rechnung im Wirtshause be- Zp jOHM trug 3000 Taler. Ungerechnet, was er sonst noch lJQHMBI verkneipt hat. Ja, ich sage Dir, das ist ein Mann. Der trinkt täglich zwanzig Tassen Kaffee, auf jede Tasse vier Lot, zehn Flaschen Champagner, wto- 25 F. Liszt raus mit ziemlicher Sicherheit geschlossen wer¬ den kann, daß er in einem fortwährenden ge¬ wissen Trane lebt, wie sich dies auch bestätigt. Jetzt ist er nach Rußland gegangen und es fragt sich, ob die Damen dort auch so verrückt werden können. so Übrigens muß ich jetzt ausgehen und schließe deshalb. Leb wohl und antworte bald Deinem Bruder Friedrich Berlin, 16. 4. 42. Dorotheenstraße 56. 35 [Auf der Adreßseite] Fräulein Marie Engels im großherzoglichen Institut Mannheim. Engels an seine Schwester Marie; [1842, Sommer], Fragment 40 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Eine schöne Erzählung, erzählt von dem Freund der Ida, dem Göttersohn Albert Molineus, in Gegenwart eines Franzosen: En-
622 Briefe an seine Schwester Marie 1842 Juli 2 fin, à la porte du ciel était Saint-Pétrus (statt Saint Pierre) et le peintre Köttgen d’Elberfeld était abordé par le musicien Wein- brenner: Eh bien, Köttgen, vous ne dites rien, racontez-nous donc quelque chose. Enfin, Köttgen dit: Enfin, j’ai eu cette nuit un fameux rêve. Enfin, dit Weinbrtenner] qu’est-ce qu’il y avait * donc? Enfin, dit Köttgen, je rêvais d’être à la porte du ciel. Alors il y avait tous les artistes célèbres, Meyerbeer, Horace Vernet etc. Enfin, Meyerbeer frappait à la porte; Pétrus dit: qui est là? „Meyerbeer66. Les artistes n’entrent pas ici, dit Pétrus. Enfin vint Horace Vernet. Qui est là, dit Pétrus. „Horace Vernet.66 Les io artistes n’entrent pas ici, dit Pétrus. Enfin, Weinbrtenner] arrivait. Qu’est-ce-qu’il y a là? dit Pétrus. Enfin, je suis Weinbrtenner]. Enfin, Pétrus dit: Entrez, s’il vous plaît. Der Hauptwitz: ainsi, Weinbrtenner] n’est pas d’artiste, den ließ der kluge junge Mann, der so gut französisch sprach, natiir- # lieh aus. Jetzt weißt Du auch, was für Volk sich um die Ehre reißt, künftig Dein Vetter zu werden. Friedrich. Engels an seine Schwester Marie in Bonn; Berlin 1842 J u 1 i 2 20 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen Liebe Marie! Ich gratuliere Dir zu Deiner Entlassung aus dem edeln Mann¬ heimer Institut und der Briefzensur von Fräulein Jung. Ich hab’s Dir nur nicht schreiben wollen, um Dich nicht noch unzufriedner 25 zu machen, aber jetzt kann ich Dir’s sagen, daß es mit all den Pen¬ sionen Unsinn ist, und daß die Mädchen darin, wenn sie nicht ein so glückliches Naturell haben wie Du, schändlich verzogen und eitle Blue-stockings und Koketten werden. Aber es ist einmal Mode in Barmen, und dagegen kann freilich niemand. Freu Dich, 30 daß Du aus dem Kloster heraus bist, und wieder am Fenster sitzen und über die Straße gehen darfst, und zuweilen verrücktes Zeug sprechen kannst, ohne daß sie Dir ein Verbrechen daraus machen. Soviel aber sag ich Dir, daß Du mir keine Dummheiten machst und auf die Barmer Sprünge gerätst, nämlich die Verlobungs- 35 Sprünge. Das edle junge Volk rennt wieder wie toll auf die Hoch¬ zeit los, und so blind sind sie, daß sie sich Einer den Andern um¬ rennen. Es ist gerade, als spielten sie Blindekuh, und wo sich zwei kriegen, da verloben sie sich und leben herrlich und in Freuden. Sieh einmal Deine beiden Cousinen an. Da ist die Luise Sneth- 40 läge, die hat einen Mann ergattert, der im Übrigen ganz gut ist, aber er hat graue Haare, und die schöne Ida hat auch einen auf-
1842 Aug. 2—8 Briefe an seine Schwester Marie 623 gegabelt, aber er ist mir auch danach. Nun, er ist zwar mein Vetter, und ich sollt’ ihn deshalb eigentlich nicht schlecht machen, aber ich ärger’ mich, daß sie mich nicht gefragt haben, ob ich diesen Saint-Petrus, diesen lion, diesen Dandy, diesen Albert 5 Mtolineus] zum Vetter haben wollte, und darum soll er herhalten. Ich sage Dir, wenn Du nach einem solchen Freier verlangst, der schaff’ ich Dir alle Tag ein Dutzend und jeden Tag ein neues Dutzend. Es ist Edelmut von mir, daß ich überhaupt die ganze Sache habe geschehen lassen. Ich hätte wenigstens protestieren io sollen. Auch sogar der Schornstein hat sich verlobt, es ist schrecklich! Und der Strücker will platterdings Ehemann werden, ist das nicht sonderbar? Ich fange an, an der Menschheit zu verzweifeln, ich werde Misanthrop, wenn Du, Marie, Du auch Doch nein, is Du wirst Deinem Bruder dieses Leid nicht antun. Es regnet wieder sehr langweilig. Ich bin nun diese Woche ge¬ wiß viermal im Dienst des Vaterlandes naß geworden, zweimal vom Regen und zweimal von Transpiration, um mich zart auszu¬ drücken. Jetzt will ich ins Lesekabinett gehen und Zeitungen lesen; 2o und da werd ich doch wohl nicht zum fünften Male naß werden? Adieu, Dein Bruder Berlin, 2. Juli 42. Friedrich. [Auf der Adreßseite] Fräulein Marie Engels aus dem großherzogl. Institut in Mannheim Bonn. Engels an seine Schwester Marie in Ost¬ ende; Berlin 1842 August 2—8 Original im Besitze der Familie Mittelstenscheid, Barmen so Berlin, 2. Aug. 1842. Liebe Marie! Über Deinen langen Brief habe ich mich sehr gefreut, und im Hinblick auf das kreuzweis beschriebne viele Papier die Straf¬ predigt sehr rasch überlesen, so daß ich nicht einmal mehr weiß, 35 was Du mir für Vorwürfe machst. Daß Frl. Jung ohne Zweifel ein sehr krauses Gesicht wird gemacht haben, als sie las, wie Her¬ mann das liebe Institut mit seinem wahren Namen: Kloster be¬ legte, kann ich mir schon denken, ebenso daß sie ihn einen leicht¬ sinnigen Menschen nannte. Glücklicher Weise denken aber nicht 4o alle Leute so schlimm vom Leichtsinn wie Deine ehemalige Sün¬ denregistervorreiterin. Und das ist gut. Was sollte sonst auch aus uns Beiden werden, nicht wahr? Ich laß mich auch von
624 Briefe an seine Schwester Marie 1842 Aug. 2—8 meinem Hauptmann angrunzen und rüffeln und denke: et soll wol egal sein, und dreh ihm eine Nase; und wenn er’s mir zu arg macht, wie vorigen Mittwoch, wo alle andern dispensiert waren und ich allein, bloß weil mein Bursche mich nicht abbestellt hatte, um 12 Uhr Mittags mit auf den Schießplatz wandern mußte, um 5 eine unausführbare Lumperei nicht ausführen zu sehen — in sol¬ chen Fällen meld ich mich krank, und zwar diesmal wegen Zahn¬ schmerzen, wodurch ich mir einen Nachtmarsch und ein zwei¬ stündiges Exerzieren erspart habe. Heute muß ich mich leider wohl wieder gesund melden. Dabei geh ich spazieren, wenn es io mir beliebt, Berlin ist groß, und bei unsrer Kompagnie nur drei Offiziere, die mich kennen, die begegnen mir also höchstwahr¬ scheinlich nicht und das Einzige wäre, wenn sie mir den Kom¬ pagnie-Chirurg zuschickten, das hat aber gute Wege und höch¬ stens, wenn er mich nicht zu Hause träfe, würd’ ich eine Nase be-u sehen. Et soll wol egal sein! Du scheinst ein enormes Talent zu haben, Bekanntschaften zu machen. Ist das Mädel vier Wochen in Bonn und kennt mir richtig schon die halbe Universität mit Namen und hat sich schon einen interessanten lahmen Studenten angeschafft, der ihr täglich sechs- 20 mal begegnet! Der interessante lahme Student mit der Brille und dem blonden Bart! Sie haben ihm gewiß die Beine im Duell ent¬ zweigeschossen! Warum hinkt er nur immer des Weges? Hinkt er interessant, oder gewöhnlich, wie andre Lahme? An welchem Fuß ist er lahm, am rechten oder an beiden? Trägt er nicht einen 25 Hut mit einer roten Hahnenfeder? Sollte er nicht der diable boi¬ teux sein? Ich möchte gerne Näheres von dem interessanten, lah¬ men, bärtigen, bebrillten, scharfkuckenden Studenten wissen. Hast Du dies Bekanntschaftenmachen in Ostende fortgesetzt? Ist da nicht auch so ein interessanter hinkender Fläminger, der Dir 30 täglich sechsmal am Strande begegnet? Gib mal Acht. Aus dem Kloster bin ich glücklich Fort und darf mich frei bewegen, Schwatzen, lachen darf ich wieder, Mich sogar ins Fenster legen! 35 Ach wie traurig, als im Kloster Von Duennen rings umlauert Ich bei steter Arbeit saß, Abgepfercht und eingemauert! Singend hört ich Heidelberger 40 Draußen oft vorübergehen, Und ich durfte nicht ans Fenster, Nicht die flotten Burschen sehen.
5 10 15 20 25 30 35 40 1842 Aug. 2—8 Briefe an seine Schwester Marie 625 Frei bin ich und will mich freuen Meiner kaum erworbnen Freiheit. Grünes, frisches Leben will ich Nach der grauen Einerleiheit! Auf! Die neuen Kleider will ich Unverzüglich mir anziehen Und mich übersiedeln nach der Flottsten der Akademieen. Poppelsdorf und Königswinter! Rolandseck und Drachenfels! Staunt ob meiner Augen Feuer, Staunt ob meiner Zähne Schmelz! Und ich wett’, soviel Ihr sein mögt F akultätskommilitonen, In acht Tagen höchstens wißt Ihr Allzusammen, wo wir wohnen. Gastwirt Stamm, und sag uns Dank, Daß bei Dir wir abgestiegen, Weil seitdem Studenten zahllos Zechend Dir im Garten liegen. Und nun vollends beim Spaziergang, Welche Massen mich umschwärmen, Wie sich die Professorstöchter Einsam, unbegleitet härmen ! Seht den Schweif von flotten Burschen Der mir hängt am kleinen Finger, Graf d’Alviella, von Szepanski, Lauter kühne Flaschenzwinger! Herr von Diest, der Vielverliebte, Tut mir treuen Dienst als Läufer, Singend amüsiert mich Bunsen, Tanz ich, ist Chapeau mir Pfeifer! Eins nur liegt mir in Gedanken: Wenn ich fern dem Schwarme gehe, Daß ich immer einen hübschen Hinkenden Studenten sehe. Alle andren sind beschäftigt Haben Dienst für mich getan, Doch was fang ich mit dem hübschen, Interessanten Lahmen an? * * * Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 40
626 Briefe an seine Schwester Marie 1842 Aug. 2—8 Mit der Nordsee flachen Strande Will ich nun mein Bonn vertauschen; Statt Studentenliedem hör ich Nun des Meeres Brandung rauschen. Unter Belgiern und Franzosen 5 Geh am Strande ich spazieren, Wie im Kloster, muß französisch Ich die Unterhaltung führen. Auch hat sich ein Schweif gefunden, Der mich auf der Promenade, io Der mich bis ins Meer verfolget, Wenn ich Morgens geh’ und bade. Sonst ist alles wie in Bonn, Und ich kann durchaus nicht klagen, Essen und Logis ist gut, 15 Auch der Wirt ist zu ertragen — Eins nur fehlt mir: Unter Allen, Die bisher zum Bade kamen, Find ich, weh mir Armen! auch nicht Einen intressanten Lahmen! 20 Nicht wahr, das ist Dir so recht aus der Seele geschrieben? Ich will’s Dir auch komponieren, damit Du es singen kannst. Die Komposition bekommst Du aber erst auf Deinen nächsten Brief zur Antwort, denn ich würde Dich durch eine so reichliche Be¬ schenkung ohne Zweifel verwöhnen. Ich hab aber andre Dinge zu 25 tun, als Dich fortwährend zu besingen, das kann nur als Beloh¬ nung für einen ausgezeichnet langen Brief verstattet werden. Du mußt einmal sehen, daß Du in Ostende die Vlaemsche oder Nederduitsche Taal lernst, das ist eine sehr klobige Sprache, welche aber ihre Vorzüge hat, und jedenfalls sehr komisch ist. 30 Wenn Du noch Plattdeutsch kennst, so muß Du das Flämische so ziemlich verstehen können. Ich hab auch jetzt einen Hund, den ich von August Bredt aus Barmen bekommen habe, als er hier fortging. Es ist ein hübscher, junger Wachtelhund, viel größer als der edle Mira und total ver- 35 rückt. Er zeichnet sich durch viel Talent zum Kneipen aus, des Abends, wenn ich in einer Restauration esse, sitzt er immer dabei und läßt sich sein Teil abtreten oder hospitiert bei allen, die da sind. Auch zeichnet er sich durch ein total unsichtbares Halsband aus. Schwimmen kann er ausgezeichnet, aber er ist zu wahnsinnig, 40 um Kunststücke zu lernen. Eins hab ich ihm beigebracht, wenn ich ihm sage: Namenloser (so heißt er), das ist ein Aristokrat, so
1842 Aug. 2—8 Briefe an seine Schwester Marie 627 wird er grenzenlos wütend gegen den, den ich ihm zeige und knurrt scheußlich. Während aller Aussicht nach das Jahr einen vortrefflichen Rheinwein bringen wird, ist der Grüneberger schändlich schlecht 5 geraten. Kennst Du den Grüneberger? Der Grüneberger ist ein Lausitzer Wein, er wächst nur im Sande und bringt nie gute Trau¬ ben, außer in einem ganz nassen Jahr; wenn die Beeren aus der Härte eines Steins in die des Holzes übergegangen sind, d. h. wenn man mit einem Messer hineinschneiden kann, so sind sie io reif. Sie werden mit einer Dampfmaschine gekeltert und man rechnet, daß zur Kelterung von 100 Beeren zirka zwölf Pferde Kraft in einer Stunde hinreichen. Der beste Grüneberger ist Anno 40 gewachsen. Er kann nicht in Fässern aufbewahrt werden, weil er das Holz entzwei frißt; wenn er gut ist, so muß man ein Dut- 15 zend Stecknadeln auf essen und dann ein Glas Grüneberger trin¬ ken, und wenn die Nadeln nicht binnen fünf Minuten aufgelöst und vertilgt sind, so taugt der Wein nichts. Es ist ein sehr nach¬ haltiger Wein, denn wenn man einen Schluck trinkt, so ist einem der Hals vier Wochen lang wund. Er hat ein sehr feines Bouquet, 2o sodaß nur Kenner den Geruch von dem des Essigs unterscheiden können. Scheidewasser und Weinessig durcheinander kommt im Geschmack diesem edlen Getränk am nächsten. Im Übrigen hast Du jetzt genug, ich muß noch an die Mutter schreiben. Adieu Dein Bruder Friedrich. 25 Berlin, 8. Aug. 42.
ZWEI BRIEFE AN RUGE Sommer 1842
Engels an Arnold Ruge, 15. Juni 1842 (S.631) Tafel IX
Engels (Oswald) an Arnold Ruge in Dres den ; Berlin 1842 J uni 15 Original: Preußische Staatsbibliothek, Berlin Geehrter Herr Doktor! 5 Inliegend einen Artikel für die Jahrbücher. Die Dante-Ge¬ schichte hab’ ich einstweilen beiseite gelegt. Ich würde bereits ihn geschickt haben, wenn ich einigermaßen Zeit gehabt hätte. Ihren Brief empfing ich, nachdem er viele Irrfahrten gemacht hatte. Warum ich „Schelling und die Offenbarung66 nicht für die io Jahrbücher einsandte? 1. weil ich auf ein Buch von 5—6 Bogen rechnete und erst im Laufe der Unterhandlungen mit dem Verleger auf den Raum von 31/» Bogen beschränkt wurde; 2. weil die Jahr¬ bücher bis dahin über Schelling noch immer etwas zurückgehalten hatten; 3. weil mir hier abgeraten wurde, Schelling fernerhin in is einem Journale anzugreifen, dagegen lieber gleich eine Broschüre gegen ihn loszulassen. „Schelling, der Philosoph in Christo66 rührt ebenfalls von mir her. Doktor bin ich übrigens nicht und kann es nie werden, ich bin nur Kaufmann und k. preuß. Artillerist; erlassen Sie mir also 20 gütigst jenen Titel. Ich denke mich recht bald wieder mit einigem Manuskript bei Ihnen einzustellen, einstweilen empfehle ich mich Ihnen Hochachtungsvoll Berlin, 15. Juni 42. 25 F. Engels (Oswald) Dorotheenstr. 56. Engels an Arnold Ruge in Dresden; Berlin 1842 Juli 26 Original: Preußische Staatsbibliothek, Berlin so Hochgeehrter Herr! Diesmal schreibe ich Ihnen, um Ihnen anzuzeigen, daß ich Ihnen nichts senden werde. Ich habe den Entschluß gefaßt, für einige Zeit aller litera¬ rischen Tätigkeit zu entsagen und dafür desto mehr zu studieren. as Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Ich bin jung und Auto-
632 Briefe an Ruge 1842 didakt in der Philosophie. Ich habe genug gelernt, um mir eine Überzeugung zu bilden und sie nötigenfalls zu vertreten. Aber nicht genug, um mit Erfolg und gehörig für sie wirken zu können. Man wird um so mehr Anforderungen an mich machen, als ich „philosophischer Musterreiter66 bin und mir nicht durch ein 5 Doktordiplom das Recht zu philosophieren erkauft habe. Ich denke, wenn ich wieder einmal, und dann unter eigenem Namen, etwas schreibe, diesen Anforderungen zu genügen. Und zudem darf ich meine Zeit jetzt nicht zu sehr zersplittern, da sie in kurzem wohl wieder durch kaufmännische Arbeiten mehr in Anspruch ge-10 nommen werden wird. Meine bisherige literarische Tätigkeit, sub¬ jektiv genommen, bestand aus lauter Versuchen, deren Erfolg mich lehren sollte, ob meine natürlichen Anlagen mir eine fruchtbare Wirksamkeit für den Fortschritt, eine lebendige Teilnahme an der Bewegung des Jahrhunderts gestatteten. Ich kann mit dem Erfolg 15 zufrieden sein und halte es nun für meine Pflicht, durch ein Stu¬ dium, das ich mit doppelter Lust fortsetze, mir auch das immer mehr anzueignen, was einem nicht angeboren wird. — Wenn ich im Oktober nach meiner rheinischen Heimat zurück¬ kehre, denk’ ich in Dresden Sie zu treffen und Ihnen mehr davon 20 zu erzählen. Einstweilen leben Sie wohl und gedenken Sie meiner dann und wann. Der Ihrige Berlin, 26. 7. 42. F. Engels. Haben Sie Jungs Erwiderung gelesen? Ich behaupte, sie ist das 26 Beste, was er bis jetzt geschrieben hat. Übrigens ist jetzt der andere Jung von der Rheinischen Zeitung aus Köln hier und wird Sie auf seiner Rückreise in einigen Wochen besuchen.
MILITÄRISCHES FÜHRUNGSATTEST Herbst 1842
Führungs-Attest für den einjährigen Frei¬ willigen Friedrich Engels; Berlin 1842 Okto¬ ber 8 Original: Archiv der Sozialdemokratischen Partei, Berlin Führungs-Attest. Vorzeiger Dieses, der einjährige Freiwillige Bombardier Friedrich Engels von der 12ten Fuß-Kompagnie der Garde Artillerie Brigade, aus Barmen, Kreis Elberfelde, Regierungs-Bezirk Düsseldorf gebürtig, 21 Jahr und 10 Monat alt, E i n Jahr gedient, hat sich während seiner 10 Dienstzeit sowohl in moralischer wie in dienstlicher Beziehung recht gut geführt, welches hiermit pflichtmäßig attestiert Berlin, den 8ten Oktober 1842. v. W e d e 11, Hauptmann und Kompagnie Chef.
Zeichnung des jungen Friedrich Engels aus dem Jahre 1834 (aus einem Schulheft über alte Geschichte) Tafel X
ZITATEN- UND TITELNACHWEISE TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN
Abkürzungen EvKZ = Evangelische Kirchenzeitung NMW = The New Moral World RhZ = Rheinische Zeitung TfD = Telegraph für Deutschland
Erster Teil: Die gedruckten Schriften 101 Der Bremer Stadtbote. Hg. v. Albertus Meyer. Erschien wöchentlich ab Januar 1839 111 Manuel José de Quintana, A la invencion de la imprenta. In Poesias. Madrid 1802; 2. Aufl. Madrid 1813; 3. Aufl. Burdeos 1825. 28 31—32 Friedrich Adolf Krummacher, Parabeln. Duisburg u. Essen 1805 3044—45 Ev. Joh. 14, 6 317—8 1. Ep. Pauli an die Korinther 1,18—21 u. 2,14 (nicht wörtlich) 11—121. Ep. Petri 2, 2 324—5 Rudolf Stier, Christliche Gedichte. Basel 1825 — Kurzer Grundriß einer biblischen Keryktik oder einer Anweisung, durch das Wort Gottes sich zur Predigtkunst zu bilden. Halle 1830 — Zwanzig biblische Predigten gehalten an verschiedenen Orten. Kempten 1832 — Neu geordnetes Lehrgebäude der hebräischen Sprache. 2 Teile. Leipzig 1833 — Darf Luthers deutsche Bibel unberichtigt bleiben? Halle 1836 — 70 ausgewählte Psalmen, nach Ordnung und Zusammenhang ausgelegt. 1. Hälfte. Halle 1834; 2. Hälfte. Halle 1836 — Epistelpredigten für das christliche Volk. Halle 1837 — Ein nöthiges Wort an meine bisherige Gemeinde wegen der ungewissen Zukunft. Predigt. Halle 1838 5—6 Id., Luthers Katechismus als Grundlage des Konfirmanden- Unterrichts im Zusammenhang erklärt. Berlin 1832. 4. Aufl. Berlin 1839 6—7 Id., Hilfsbüchlein des Lehrers zu meinem Katechismus für den Konfirman- den-Unterricht. Nebst Probe eines verbesserten lutherischen Katechismus. Berlin 1838 7--8 Id., Die Gesangsbuchnoth. Eine Kritik unserer moder¬ nen Gesangsbücher, mit besonderer Rücksicht auf die Preußische Provinz Sachsen. Leipzig 1838 9 EvKZ 22. IX.—6. X. 1838, Nr. 76—80, p. 601 sqq., 609 sqq., 617 sqq., 625 sqq., 633 sqq. 16—23 Rudolf Stier, Christliche Ge¬ dichte. Basel 1825. p. 190—191 17 Sünde trügerischem Band] bei Stier Täuschung kind’schem Gängelband 18 Lange Zeit manch Menschenalter] bei Stier Manch betrognes Menschenalter 43 TfD Dez. 1838, Nr. 208, p. 1657 sqq. : „Zeichen der Zeit“ von „10 ff.“ 832 Heinrich u. Wilhelm Richter, Erklärte Hausbibel oder allgemein verständ¬ liche Auslegung der ganzen heiligen Schrift alten und neuen Testaments, nach vielen englischen, deutschen u. a. Auslegern bearbeitet. 6 Bde., Barmen u. Schwelm 1834—1840 854—7 Johann Jakob Ewich, Human, der Lehrer einer Volksschule, sein Wesen und Wirken. 2 Bde. Wesel 1829 — Ueber die edelsten Freuden des Lehrer¬ berufes. Essen 1832 — Was tut unserm erziehenden Unterrichte Noth? Drei zusammenhängende Abhandlungen: Ueber die Bildung einer edlen Innen¬ welt in dem Schüler, das Ideal eines Lesebuches für Volksschulen und die Er¬ richtung zweckmäßiger Lehrerkonferenzen. Elberfeld 1834 16—17 Dr. Phi¬ lipp Schifflin, Anleitung zur Erlernung der französischen Sprache. 1. Kursus. 3. verb. Aufl. Elberfeld 1839; 2. u. 3. Kursus. Elberfeld 1833 20 H. Knebel, Französische (Schul-) Grammatik für Gymnasien und Progymnasien, nebst einem Uebungsbuche zum Uebersetzen aus dem Deutschen ins Französische von Er. Höchsten. Koblenz 1834. 2. verb. u. verm. Aufl. Koblenz 183 6 29 Hein¬ rich Köster, Kurze Darstellung der Dichtungsarten. In Neunter Bericht über die höhere Stadtschule in Barmen. Barmen 1837
640 Zitaten, und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 861—5 Karl Ad. F. W. Kruse, Grundregeln der englischen Aussprache, nach Walter’s System. Zum Memoriren u. Nachschlagen eingerichtet u. mit einigen Leseübungen versehen. Elberfeld 1837 31—32 J. G. Leberecht Hantschke, De authentia Cap. 21. Evangel. Joannis, e sola orationis indole judicanda. Leipzig 1818 — Solemnia natalitia Friderici Guilielmi III., Regis Boruss. Augustissimi ac Potentissimi, d. III. m. Aug. MDCCCXXX publ. pieque ce- lebrata Scholarum Elberfeldensium nomine atque auctoritate auspicatus est (Gedicht). Elberfeld 1831 —De vocalium graecarum pronuntiatione. Elberfeld 1827 — De vocalium graecarum pronuntiatione. Programma scholast. se- peratim editum. Pars I. Elberfeld 1827 32—33 Id., Gleichnisse und Deutung. Zwei Predigten. Elberfeld 1826 33 Id., Wesen und Zweck des Gymnasial¬ unterrichts. Elberfeld 1827 — Hermann Cruse als Schulmann u. Dichter. Ein pädagogisch-literarischer Versuch. Elberfeld 1832 — Martin Luther über Schulen. Ansichten, Wünsche u. Vorschläge. In zeitgemäßer Auswahl zur Beherzigung f. Eltern u. Schulfreunde aufs Neue ans Licht gestellt. Elberfeld 1830 33—34 Id., Hebräisches Uebungsbuch für Schulen. In 2 Abt. durchaus praktisch eingerichtet. Mit Vorrede von G. B. Winer. Leipzig 1823 3fr—37 K. Eichhoff u. Karl Chr. Beltz, Lateinische Schulgrammatik mit Rücksicht auf d. neuere Gestaltung der deutschen Sprachlehre. Elberfeld 183 7 38 All¬ gemeine Litteratur-Zeitung. Jena—Leipzig. August 1838, Nr. 65—70, Er¬ gänzungsblätter: F. Haase, Übersicht über 9 lateinische Grammatiken 874 Joh. Chr. Heinr. Clausen, Pindaros der Lyriker. Im Programm des Gymnasi¬ ums Elberfeld 1834 39 Heinrich Heine, Reisebilder. 1.—3. Teil. Hamburg 1826—30. 2. Aufl. 3 Teile u. Nachträge (od. 4. Teil). Hamburg 1830—31 40 Id., Über den Denunzianten. Eine Vorrede zum dritten Theile des Salons. Hamburg 1837 8811—12 Dr. F. Dingelstedt, Ferdinand Freiligrath. Ein Literaturbild. In Jahr¬ buch der Literatur. Hamburg 1839, 1. Jg. p. 219 sqq. 12—13 Moriz Car¬ rière, Rezension: Gedichte von Ferdinand Freiligrath. Stuttgart und Tübingen 1838. In Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. Berlin, Januar 1839. Nr. 8, p. 60 sqq. 10—17 Freiligrath, Gedichte. Stuttgart und Tübingen 1838. p. 54 sqq. Das Gedicht von der Unkenkönigin trägt die Überschrift „Schwalben- mährchen“ 17 Ib., p. 87 sqq. Das Gedicht von Snewittchen heißt „Meer¬ fahrt“ 17—18 Ib., p. 157 sqq.: „Im Walde“ 19 Ib., p. 82 sqq.: „Der Falk“ Ib., p. 85: „Die Schreinergesellen“ 19—20 Ib., p. 190 sqq.: „Zwei Feldherrngräber“ 21 Ib., p. 14 sqq.: „Die Auswanderer“ 22 Ib., p. 65 sqq.: „Prinz Eugen, der edle Ritter“ 24r—25 Rheinisches Odeon. Hg. v. I. Hub, F. Freiligrath u. A. Schnezler. 1. Jg. Goblenz 1836, p. 342 sqq. : Frei¬ ligrath, Der ausgewanderte Dichter. (Bruchstücke eines unvollendeten Cyklus.) Sechs Gedichte ohne besondere Überschriften Rheinisches Odeon. 2. Jg. Düsseldorf 1838, p. 373 sqq. : Freiligrath, Der ausgewanderte Dichter. Weitere Bruchstücke. Fünf Gedichte ohne einzelne Überschriften 25—26 Morgenblatt für gebildete Stände 10. IX. 1836, Nr. 218: „Der ausgewanderte Dichter“. (Bruchstücke eines unvollendeten Cyklus.) Aus dem von Hub und Schnezler angekündigten rheinischen Odeon. Sechs Gedichte ohne besondere Überschriften; ib. 3. II. 1838, Nr. 30: „Der ausgewanderte Dichter.“ Neue Bruchstücke. Drei Gedichte ohne einzelne Überschriften 30—31 Elberfelder Zeitung. Tageszeitung. Erschien seit 1. VII. 1834. Später mit der „Westdœutschen Zeitung“ vereinigt; erscheint noch jetzt als „Bergisch-Märkische Zeitung“ 36 Barmer Zeitung. Tageszeitung. Erschien seit 1834; 1839 mit der Bemerkung: Redigiert unter Ver¬ antwortlichkeit des Verlegers Friedr. Staats 41—42 Allgemeine Preußische Staatszeitung. Gegr. 1819 v. Hardenberg als erstes amtliches Publikationsorgan 891 H. Püttmann, Rezension über F. Freiligrath, Gedichte. In der Dresdener Abendzeitung 6. III. 1839, Nr. 19 6 Wuppertaler Leserkreis. Zweimal
Zitaten* und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 641 wöchentlich publizierte Beilage der Barmer Zeitung 7 Europa, Chronik der gebildeten Welt. Gegr. 1835 in Stuttgart v. Aug. Lewald. Erschien später in Karlsruhe und 1846—59, unter Redaktion von Gustav Kühne, in Leipzig 7—8 Täglicher Anzeiger, Elberfeld. Erschien seit 1826. 1839 verantw. Redakteur F. Weber. Später hieß er Täglicher Anzeiger für Berg und Mark 8 Dorf¬ zeitung. Gegr. 1818 in Hildburghausen v. Dr. Karl Ludw. Nonne. Populär-humo¬ ristische Zeitung io Barmer Wochenblatt. Erschien seit 1829 zweimal wöchent¬ lich 21 W. Jemand [Wilhelm Lange wiesche], Der ewige Jude. Didaktische Tragödie. Iserlohn 1831 21—22 Julius Mosen, Ahasver. Episches Gedicht. Dresden u. Leipzig 1838 27—28 Karl August Döring, Abschieds-Gast- und Antrittspredigt. Halle 1815 — Allerlei für allerlei Leser. 2 Teile. Elberfeld 1827 — Denkverse und Epigramme. 2. Aufl. Elberfeld u. Barmen 1830 — Episteln, Sermone und kleinere Lehrgedichte. Elberfeld u. Barmen 1830 — Neu¬ testamentarisches Gebetsbuch, nach der vom seligen Abt Steinmetz zum Druck beförderten biblischen Gebetsübung, mit kleinen Veränderungen und einigen Zusätzen neu herausgegeben. Elberfeld 1830 — Drei Gelegenheitspredigten. Halle 1815 — Christliche Gesänge nach kirchlichen Melodien. 1. Sammlung. Elberfeld 1814. 2. Ausg. 1817 — Christlicher Hausgarten. Elberfeld 1831 — Christliches Hausgesangsbuch. Elberfeld 1821. 2. Aufl. 1825. 2. Teil. Elber¬ feld 1830 — Lehren der Weisheit in poetischen und prosaischen Denksprüchen, als Begleiter auf Spaziergängen, auf Reisen durchs Leben. Elberfeld 1823 — Luthers Tod und Predigt auf Luthers Kanzel in Eisleben am 18. Febr. 1816. 2. Aufl. Barmen 1831 — Sammlung christlicher Predigten. Barmen 1832 — Die Augsburgische Confession. Barmen 1830 — Andenken an den heiligen Tag der Konfirmation. Feierlichst übergeben. 20. Aufl. Barmen 1839 — Taschen¬ buch für christliche Jünglinge. 3. Aufl. Barmen 1833 — Die Wahrhaftigkeit und Zuverlässigkeit Gottes in seinem Wort. Elberfeld 1833 — Kurzer In¬ begriff der christlichen Religion für Katechumenen und Konfirmanden. Barmen u. Schwelm 1833 29—30 Graf August v. Platen, Der romantische Oedipus. Lustspiel in 5 Akten. III. Akt, 4. Szene. Gesammelte Werke. In Einem Band. Stuttgart u. Tübingen 1839. p. 290 37—38 C. L. T. Lieth, Gedichte für das erste Jugend-Alter, zur Bildung des Herzens und Geistes. Aus Teutschlands besten Dichterwerken für Schule und Haus gesammelt. 2 Teile. Crefeld 1834—35 39 Fr. Rückert, Fünf Märlein zum Einschläfem für mein Schwesterlein. In Ge¬ sammelte Gedichte von Fr. Rückert. 6 Bde. Erlangen 1834—1838. Bd. I, p. 477 sqq. 40 Fr. Güll, Kinderheimat in Bildern und Liedern. Mit einem Vorwort von Gustav Schwab. Stuttgart 1837 W. Hey, Erzählungen aus dem Leben Jesu für die Jugend, dichterisch bearbeitet. (Zu Olivier’s Volks¬ bilderbibel.) Hamburg 1838 — Fünfzig Fabeln für Kinder, mit Bildern ge¬ zeichnet von Otto Speckter. Hamburg 1833 — Noch fünfzig Fabeln in Bildern. Hamburg 1837 4027—28 Friedrich Ludwig Wülfing, Jugendblüthen. Barmen 1830 — Leier und Schwerdt oder Bienen, mit und ohne Stachel. Als Manuscript für Gönner und Freunde. Barmen 1830 — Ein Heftchen wackerer Gesänge. 1832 30—31 Mon- tanus Eremita [Vincent von Zuccalmaglio], Die Vorzeit der Länder Cleve-Mark, Jülich-Berg und Westphalen. 1. Bd. (Heft 1—4) 2. Aufl. Solingen u. Gummers¬ bach 1837. 2. Bd. (Heft 5—8) ib. 1838—39 34 J. Pol, Gedichte. 1. Teil. Geistliche Gesänge und Lieder. 2. Teil. Vermischte Gedichte. Heedfeld 183 7 35—36 Ib. p. 177, Distichon Nr. 14: „Den Bewundernden“ 38 Ib. p. 112: „Dichter“ 38—39 Ib. p. 111: „Philosophen“ 4041—412 Ib. p. 143 : „Attila an der Mame“ 41 ungeheuer] bei Pol angeschwollen 413 In J. Pol, Gedichte. 1. Teil 13—14 Fr. W. Krug, Poetische Erstlinge und prosaische Reliquien. Bestehend aus mehreren eigenen religiösen u. Na¬ turgedichten nebst einigen interessanten u. erlaublichen, noch wenig bekannten Marx-Engels-Gesamtansgabe, I. Abt., Bd. 2. 41
642 Zitaten, und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen Mitteilungen v. H. Stilling u. G. Tersteegen. Einem resp. wohlwollenden Pub¬ likum freimütig dargeboten u. mitgeteilt Barmen 1831 14—15 Id., Das wahre Kreuz. Eine Schrift für alle Confessionen. Aus dem Französischen des Herrn Cäsar Malan, evangelischen Predigers in Genf. Uebers. v. F. W. Krug. Elber¬ feld 1832 15—16 Id., Kämpfe und Siege des jungen Wahlheim oder Lebens¬ bilder aus dem Reiche des Wahren, Guten und Schönen. 1. Bändchen. El¬ berfeld 1833 423—4 Elberfelder Zeitung, 12. IV. 1839, Nr. 101: „Elberfeld“ 11—12 Rhei¬ nisches Odeon. Hg. v. I. Hub, F. Freiligrath u. A. Schnezler. 2. Jg. Düssel¬ dorf 1838, p. 448: Martin Runkel, Zu Grabbes Bildniss 432—3 Cf. Anm. zu 423—4 4 Cf. Anm. zu 3216—23 17—18 Dante, La Divina Commedia. Inferno III, 2 18 nello] bei Dante nell’ 444 Josua Kap. 10, Vers 12 u. 13 458 Lieder eines heimgegangenen Freundes. Elberfeld 1839 [anonym] 4536—46 5 Ib. p. 18: „Der Pilger und das Schäflein“ 36 Arme] im Or. Armes 461 Gedrückt] im Or. Gebückt 5 ein Lämmlein] im Or. ein Schäflein 491 Von den deutschen Volksbüchern existierten zur Zeit der Abfassung des Engdschen Aufsatzes neben gewöhnlichen Volksausgaben bereits mehrere literarisch-kritische Sammlungen, deren Engels vier erwähnt: Volksbücher. Hg. v. G. O. Marbach. Leip¬ zig 1838—1845 — Deutsche Volksbücher nach den ächtesten Ausgaben herge¬ stellt v. Dr. Karl Simrock. Berlin 1839 — Deutsche Volksbücher, neu gereimt v. K. Simrock. Berlin 1839 — Buch der schönsten Geschichten und Sagen für Jung und Alt wiedererzählt v. Gustav Schwab. 2 Bde. Stuttgart 1836—1837. Damals waren in den vier Sammlungen bereits folgende von Engels erwähnte Volks¬ bücher erschienen: In der Marbachschen Sammlung: Nr. 1 Griseldis. 1838 — Nr. 3 Melusina. 1838 — Nr. 4 Die Schildbürger. 1838 — Nr. 5 Magelone. 1838 — Nr. 6 Kaiser Octavianus. 1838 — Nr. 7 Die sieben Schwaben. 1838 — Nr. 8 Genovefa. 1838 — Nr. 10 Die Heymonskinder. 1838 — Nr. 12 Eulenspiegel. 1839 — Nr. 13/14 Tristan und Isolde. 1839. In den beiden Simrockschen Samm¬ lungen: Salomon und Morolf. 1839. Bei Schwab: I. Bd. Nr. 1 Der gehörnte Sieg¬ fried — Nr. 2 Die schöne Magelone — Nr. 4 Hirlanda — Nr. 5 Genovefa — Nr. 7 Griseldis — Nr. 9 Die Schildbürger — II. Bd. Nr. 10 Kaiser Octavianus — Nr. 11 Die vier Heymonskinder — Nr. 12 Die schöne Melusina — Nr. 13 Herzog Emst — Nr. 14 Fortunat und seine Söhne. Über die älteren Ausgaben cf. P. Heitz u. Dr. F. Ritter, Versuch einer Zusammenstellung der deutschen Volks¬ bücher des 15. und 16. Jahrhunderts nebst deren spätem Ausgaben und Lite¬ ratur. Straßburg 1924 5011—12 Joseph Görres, Die teutschen Volksbücher. Nähere Würdigung der schönen Historien- Wetter- und Arzneybüchlein, welche teils innerer Wert, teils Zufall Jahrhunderte hindurch bis auf unsere Zeit erhalten hat. Heidelberg 1807 15—16 Intelligenzblatt zu den Hallischen Jahrbüchern. Leipzig 1838, Nr. 1, p. 3: „An das gesammte deutsche Volk“ 29—30 Schiller, Die Götter Griechenlands 39—44 Cf. Anm. zu 49 1 5116 Der hörnerne Siegfried. Eine wunderschöne Historie von dem gehörnten Siegfried. Was wunderliche Ebentheuer dieser theure Ritter ausgestanden, sehr denkwürdig und mit Lust zu lesen. Aus dem Französischen und Teutschen übersetzt und von neuem wieder aufgelegt. Köln [ohne Jahr] 27 Cf. Anm. zu 491 33 Leben und Thaten des großen Helden Heinrich des Löwen, Herzog zu Braunschweig. Einbeck [ohne Jahr] 5218 Cf. Anm. zu 491 27—28 Cf. Anm. zu 491 5314—15 Cf. Anm. zu 491 36 Cf. Anm. zu 491
Zitaten- und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 643 5413 u. 16 Cf. Anm. zu 491 21 Ludwig Tieck, Kaiser Octavianus. Ein Lustspiel in zwei Theilen. Schriften. 15 Bde. Berlin 1828/29. Bd. 1 30—31 Cf. Anm. zu 491 37—38 Gottfried von Straßburg, Tristan und Isolde. Höfisches Epos, um 1210 55e Cf. Anm. zu 491 17—18 Cf. Anm. zu 491 21 Cf. Anm. zu 5011—12 23—24 Ludwig Börne, Briefe aus Paris 1830—1831. Erster Teil, Zweiter Teil. Gesammelte Schriften Nr. 9. 10. Teil. Hamburg 1832 — Mitteilungen aus d. Gebiete der Länder- u. Völkerkunde. Erster Teil, Zweiter Teil. Gesammelte Schriften. 11.12. Teil. Offenbach 1833 — Briefe aus Paris 1832—1833. Fünfter Teil, Sechster Teil. Gesammelte Schriften. 13. 14. Teil. Paris 1834 24 Karl Gutzkow, Wally oder die Zweiflerin. Mannheim 1835 30 Cf. Anm. zu 491 567—8 Cf. Anm. zu 491 12 Cf. Anm. zu 5116 22—23 Cf. Anm. zu 491 576—8 Karl Beck, Nächte. Gepanzerte Lieder. Leipzig 1838. p. 2: „Der Sultan“ 15—16 Id., Nächte. Gepanzerte Lieder. Eingeteilt in: Erstes Märchen. Abenteuer eines Leipziger Studenten — Zweites Märchen. Die neue Bibel — Drittes Märchen. Der neuen Bibel zweiter Teil — Viertes Märchen. Das junge Palästina — Vermischte Märchen 37 Ludwigslied, Althochdeutsches Gedicht in frän¬ kischer Mundart um 882. Die Handschrift durch Hoffmann v. Fallersleben wieder aufgefunden und 1837 in den von ihm und Willems herausgegebenen „Monumenta Elnonensia“ wieder abgedruckt. 583 F. Freiligrath, Gedichte. Stuttgart u. Tübingen 1838 3 Cf. Anm. zu 5716—16 6—8 Zeitung für die elegante Welt 13. u. 15. XI. 1838, Nr. 223 u. 224, p. 889 sq. u. 893 sq. : „Deutsche Lyrik. Karl Beck, Ferdinand Freiligrath.“ Ohne An¬ gabe des Verfassers 9—io Ludolf Wienbarg, Die Dramatiker der Jetztzeit. 1. Heft. Altona 1839. p. 13 sqq. 18—io Karl Beck, Nächte. Gepanzerte Lieder, p. 77 : Zweiundzwanzigste Nacht 38 L. Börne, Menzel, der Franzosen¬ fresser. Paris 1837 595 Karl Beck, Der fahrende Poet. Dichtungen. Leipzig 1838. 4 Gesänge: Ungarn — Wien — Weimar — Die Wartburg 15 Id., Stille Lieder. 1. Bändchen. Leip¬ zig 1840. Wieder abgedruckt auch in „Gedichte“, 2. Aufl. Berlin 1845 21 Karl Beck, Novellistische Skizzen. In Zeitung für die elegante Welt 2. IX., 3. IX., 5.—7. IX. 1839, Nr. 171—175, p. 681 sqq., 686 sq., 689 sqq., 693 sqq., 697 sqq. 6014—15 Karl Beck, Nächte, p. 5: „Der Sultan“ 12 Id., Stille Lieder. In Gedichte. 2. Aufl. Berlin 1845, p. 198: „Eine Thräne“ 17—24 Cf. voran¬ gehende Anm. 20 Sperrung und ! von E. 21 Es schwimmen] bei Beck Es schwimmt 27—28 Zeitung für die elegante Welt 30. VI. 1838, Nr. 126, p. 501: „Stille Lieder von Karl Beck. 2. Schlaf wohl!“ 30—31 Beck, Stille Lieder, Leipzig 1840. p. 64: „Weltgeist“ 32 Beck, Gedichte. 2. Aufl. Berlin 1845, p. 245 sqq.: „Der Zigeunerkönig“ 37 Ib. p. 256 sq.: „Das Röslein“ 38 Ib. p. 258 sqq. : „Das Wachthaus“ 615 Karl Beck, Saul. Ein Trauerspiel in 5 Aufzügen. Leipzig 1841 0—7 Zei¬ tung für die elegante Welt 4.—8. XI. 1839, Nr. 216—219, p. 861 sqq., 865 sqq., 869 sqq., 873 sqq.: Saul. Trauerspiel in fünf Aufzügen von Karl Beck. Erster Aufzug 7 Allgemeine Theater-Chronik. Leipzig, 25. XI. 1839, Nr. 143, p. 570: Episoden. Carl Beck als Dramatiker. Von J. P. Leser 8 TfD No¬ vember 1839, Nr. 190, p. 1519 sq.: *—* Kleine Chronik: „Karl Beck. Saul. 1. Akt“ Mit Fußnote von K. G\utzkow'\ 6226—31 K. Gutzkow, Zur Philosophie der Geschichte. Hamburg 1836. p. 53 6512—13 F. Gustav Kühne, Eine Quarantaine im Irrenhause, aus den Papieren eines Mondscheinlers. Leipzig 1835 13—14 Id., Weibliche und männliche Charaktere. 2 Bde. Leipzig 1838 29 Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst. Hg. v. Arnold Ruge u Theodor Echtermeyer. Leipzig 4P
644 Zitaten, und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen Januar 1838 bis Juni 1841. Von der preußischen Regierung verboten, erschie¬ nen sie seit Juli 1841 bis zu ihrer endgültigen Unterdrückung im Januar 1843 unter dem Titel Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst 44 Edu¬ ard Duller, Kronen und Ketten. Frankfurt 1835 Id., Der Antichrist. Leipzig 1833 Id., Loyola. Leipzig 1836 Id., Kaiser und Papst. In vier Theilen. Leipzig 1838 661 Heinrich Anselm von Ziegler und Kliphausen, Asiatische Banise oder blutiges doch muthiges Pegu alles in Historischer mit dem Mantel einer annehmlichen Helden- und Liebesgeschichte bedeckten Wahrheit beruhende. Leipzig 1688 2—3 Daniel Casper von Lohenstein, Großmüthiger Feldherr Arminius oder Her¬ mann nebst seiner durchlauchtigsten Thusnelda. Leipzig 1689 12—14 F. Freiligrath, Das malerische und romantische Westphalen. Barmen—Leipzig. 1. Lieferung 1839. 2. Lieferung von Freiligrath u. Levin Schücking. Barmen— Leipzig 1840. Das Zitat aus dem einleitenden Gedicht: „Freistuhl zu Dort¬ mund“ 68o Graf August v. Platen, Gesammelte Werke. In Einem Band. Stuttgart u. Tübingen 1839 10 Ib. p. 115, Ode XXIX 10—14 Gedichte aus dem ungedruckten Nachlasse des Grafen August von Platen-Hallermünde. (Als Anhang zu den bei Cotta erschienenen Gedichten Platens.) Straßburg 1839 34 [Goldmann,] Die europäische Pentarchie. Leipzig 1839 697 Franz Karl Joel Jacoby, Kampf und Sieg (Vorläuferin der ausführlichen Bekehrungsgeschichte). Regensburg 1840 13 Berliner politisches Wochen¬ blatt. Hg. v. Carl Ernst Jarcke, seit 1832 v. F. W. Streit. Berlin 1831—1841. 16—17 Joel Jacoby, Kampf und Sieg. p. 57 33—34 Ib. p. 81 7030—31 Ib. p. 94 40 Ib. p. 104 7121—28 Zeitung für die Elegante Welt 8. II. 1838, Nr. 28, p. 109 : „Neue Gedichte von Anastasius Grün. 2. Apostasie.“ 23 je mich] in der Ztg. f. d. Eleg. Welt mich je 27 als Lebend’ger] in der Ztg. f. d. Eleg. Welt als lebend’ger Mann 721 Zeitung für den Deutschen Adel. Leipzig 1840—1844. Zweimal wöchentlich erscheinend. Hg. v. C. L. F. W. G. v. Alvensleben bis 1842. Verantwortlicher Redakteur 1840—1843 Fr. Baron de la Motte Fougue, nach dessen Tode, Jan. 1843, H. A. Freiherr v. Einsiedel. Vom 1. I. 1845 ab erschien die Zeitung unter dem Namen Panorama der Vergangenheit und Gegenwart. Fortsetzung der Zei¬ tung für den Deutschen Adel 3—4 Anfangsworte der Sequenz aus der Missa de Requie 10—14 Ankündigung und Einladung zur Subscription auf die mit dem 1. Januar 1840 erscheinende Zeitung für den deutschen Adel. Abgedruckt u. a. im Sprecher oder Rheinisch-Westphälischen Anzeiger 28. VIII. 1839, Nr. 69, p. 1103 sq. 10—11 der Öffentlichkeit angehört] in dem Prospektus der Öffent¬ lichkeit angehört, wie die gegenwärtige 21 K. E. Schubarth, Ueber die Un¬ vereinbarkeit der Hegel’schen Staatslehre mit dem obersten Lebens- und Ent¬ wicklungsprinzip des Preußischen Staats. Breslau 1839 36 A us dem Requiem 7838—39 Cf. Anm. zu 7210—14 39 nie ein Unrecht] in dem Prospektus nie zu einem Unrecht 7410 Cf. Anm. zu 6913 16 L. M. Fouqué, Vorwort an unsere Leser. Zeitung für den Deutschen Adel 1. I. 1840, Nr. 1, p. 1 sqq. 23—24 Ib. p. 2 38—39 Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Königsberg 1795 757 L. M. Fouqué, Vorwort an unsere Leser, p. 3. Cf. Anm. zu 7416 8—9 Ib. p. 3. Weiß Gold aus den an sich dunkelsten Erscheinungen zu ziehen] in der Adels-Zeitung Gold ziehend auch selbst aus den an sich dunkelsten Erscheinun¬ gen Sperrung von E. 10 Aus dem Requiem 25—27 Ib. 7638 Cf. Anm. zu 392^—36 39 Karl Gutzkow, Blasedow und seine Söhne. Komischer Roman. 3 Teile. Stuttgart 1838
Zitaten* und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 645 7721 Brüder Grimm, Kinder- und Hausmärchen. 1. Aufl. 2 Bde. Berlin 1812 —1814. 3. Aufl. Göttingen 1837 40—41 Joh. Bernhard Thiersch, Ich bin ein Preuße. In Lieder und Gedichte des Dr. Bernhard Thiersch, von seinen Freunden in und bei Halberstadt für sich herausgegeben. Halberstadt 1833 796—30 Der Verfasser dieses Gedichts konnte nicht ermittelt werden 818 Shakespeare, Ein Sommemachtstraum. Dramatische Werke. Uebers. v. A. W. Schlegel, ergänzt u. erläutert v. Ludwig Tieck. 9 Teile. Berlin 1825—1833. III, p. 197 sqq. 9—io Romeo und Julia. Ib., IX, p. 187 sqq. 11—12 Cf. Anm. zu 6612—14 834—5 Shelley, Queen Mab. III u. IV. The Poetical Works. Reprinted from the early éditions. London and New York, Frédéric Warne and Co. (Ohne Jahres¬ angabe) p. 14 u. 17 20 Pedro Calderon de la Barea, Las comedias, cotejadas con las mejores ediciones hasta ahora publicadas, corregidas y dadas à luz por Juan Jorge Keil. 3 vols. Leipzig 1820—1822; 4 vols. Leipzig 1829—30 8612 La puente de Mantible. Ib. T. I 15 El Médico de su honra Ib. T. II 16 El Principe constante. Ib. T. II 18 La hija del aire, parte primera y se- gonda. Ib. T. III 21 La Vida es sueno. Ib. T. I 25Mananas de Abril y Mayo. Ib. T. III 883 Friedr. Wilh. Krummacher, Das letzte Gericht. Gastpredigt gehalten am 12. Juli 1840 vor der St. Ansgarii-Gemeine zu Bremen. Auf Verlangen zum Besten der Sonntagsschule herausgegeben. Bremen 1840—Id., Paulus, kein Mann nach dem Sinne unsrer Zeit. Bremen 1840 32—34 Ib. p. 17 sq. Im Himmel ist ein Festtag, nicht wenn ein Dichter geboren wird, sondern ein Irrender ge¬ weckt wird] bei Krummacher Ihr kennt das Wort des Herm, Luc. 15, 7: „Ich sage euch, es wird Freude im Himmel seyn,“ ... wenn auf Erden was geschah? Ein Genie geboren ward? Ein großer Künstler auftrat? ... O nein, der Vor¬ gang, der auch den Himmel in freudige Bewegung setzt, ist ein andrer ... Seht, da liegt ein Mensch im Staube und schlägt an seine Brust ... Ja, über einen solchen Menschen ist Freude droben ... 8914—21 Id., Das letzte Gericht, p. 13 17 geht darüber] bei Krummacher gibt darüber 19 ruht] bei Krummacher ruhet 914—7 Der Nibelunge Not I, 20 23 Annolied, mittelhochdeutsches Gedicht, Ende des 11. oder Anfang des 12. Jahrhunderts, zur Verherrlichung des heil. Anno, Erzbischofs von Köln. Das Gedicht wurde zuerst von M. Opitz, Danzig 1639, herausgegeben. Gültige Ausgabe von Rödiger in den Monumenta Germaniae historica (Deutsche Chroniken. Bd.l. Hannover 1895) 35—36 Wilhelm Grimm, Die deutsche Heldensage. Göttingen 1829 9619 Cf. Anm. zu 5838 28 Ernst Moritz Arndt, Erinnerungen aus dem äußern Leben. Leipzig 1840 97 36—37 Goethe, Der Gott und die Bajadere 9845 Carl Bade, Napoleon im Jahre 1813, politisch-militärisch geschildert. 1. Teil: Der Krieg in Deutschland bis zum Waffenstillstände, 4. Juni. Altona 1839; 2. Teil : Der Krieg in Deutschland. Zeitraum vom 4. Juni bis zum 3. September. Altona 1840 ; 3. Teil : Der Krieg in Deutschland. Zeitraum vom 4. September bis zum 15. Oktober. Altona 1841; 4. Teil: Der Krieg in Deutschland. Zeit¬ raum vom 16. Oktober bis zum Ende des Jahres. Altona 1841 1018—9 Anonyme Rezension: Friedrich v. Florencourt, Politische, kirchliche und litterarische Zustände in Deutschland. Ein journalistischer Beitrag zu den Jahren 1838 und 1839. Leipzig 1840. In Hallische Jahrbücher 23. u. 24. XI. 1840, Nr. 281 u. 282, p. 2241 sqq., p. 2249 sqq. 19—20 Poema del Cid. Ediciön anodata por Ramon Menéndez Pidal. Madrid 1900, p. 101, Vers 3328
646 Zitaten- und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 29 G. W. F. Hegel, Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grund¬ risse. Teil 1. Hg. v. L. v. Henning. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten... 19 Bücher in 23 Bden. Berlin 1832—1845. Bd. VI. 1840 35 Cf. Anm. zu 552^24. 10238—39 Cf. Anm. zu 65 29 10828—28 Balthasar Gerhard Schumacher, Preußische Nationalhymne. 1793 um¬ gearbeitet nach dem „Lied für den preußischen Untertan“ von H. Harries. Zum ersten Mal abgedruckt in der SpenerschenZtg. 17. XII. 1793, als „Berliner Volksgesang“ 37—38 Cf. Anm. zu 6913 1057—8 Cf. A. Jeanroy, Poésies de Guillaume IX, Comte de Poitiers. Paris 1905, p. 28: Farai un vers de dreyt nien (Je ferai un vers sur le pur néant) 10713—14 Nikolaus Becker, Der deutsche Rhein. Zuerst erschienen in der Trierschen Zeitung 18. IX. 1840, Nr. 257, p. 1179 23—24 Marseillaise, gedichtet und kom¬ poniert von Claude-Joseph Rouget de Lisle 1792 Illi Karl Immermann, Memorabilien. 1. Teil. Hamburg 1840. Die Jugend vor fünfundzwanzig Jahren. Kapitel-Einteilung: Avisbrief—Knabenerinne¬ rungen — Die Familie — Pädagogische Anekdoten — Der Oheim — Lehre und Literatur — Fichte — Jahn — Der Despotismus — Die Jugend. 12—13 Rheinisches Jahrbuch für Kunst und Poesie. Hg. v. F. Freiligrath, C. Matzerath und K. Simrock. 1. u. 2. Jg. Köln 1840 u. 1841 1121 R. K[östlin], Die deutschen Dichter und ihr Publikum. In Europa, Chronik der gebildeten Welt. Stuttgart 1840. p. 39 sqq. Cf. Anm. zu 1111 22 Immer¬ mann, Die Epigonen. Familienmemoiren in 9 Büchern. Düsseldorf 1836 24 Id., Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken. Düsseldorf 1838—39 1185—6 Id., Memorabilien, p. 27 5 Mangel an Selbstvertrauen] bei Immermann Das allgemeine Selbstvertrauen fehlt aber 18 Ib. p. 30 sq. 23—24 Fré¬ déric le Grand, Oeuvres. Berlin 1847—1852. T. XXVI. In dem Briefe Fried¬ richs II. an den Prinzen Heinrich v. Preußen vom 18. X. 1782 als Sprichwort erwähnt. 11845—114 5 Immermann, Memorabilien, p. 95 45 eintritt] bei I. übertritt 1142—3 betrachten, noch der] bei I. betrachten, der 4 führt sie] bei I. wirft sie 11542—43 Ib. p. 286 44 Ib. p. 285 11725 Cf. Anm. zu 11224 28 Immermann, Ghismonda, oder die Opfer des Schweigens. Taschenbuch dramatischer Originalien. Hg. v. Franck. 3. Jg. Leipzig 1839 — Id., Tristan und Isolde. Ein Gedicht in Romanzen. Düssel¬ dorf 1841 30 Id., Merlin. Eine Mythe. Düsseldorf 1832 12114 K. Gutzkow, Richard Savage, oder der Sohn einer Mutter. Erste Auf¬ führung im Königl. Schauspielhause zu Berlin am 2. Mai 1840. Gedruckt in K. Gutzkow, Dramatische Werke. Bd. 1. Leipzig 1842 14—15 Karl Blum, Theater. 4 Bde. Berlin 1839—1844. „Schwärmerei nach der Mode. Er¬ ziehungsresultate.“ Bd. III. 1844 17 Hallische Jahrbücher 20. IV. 1840, Nr. 95, p. 756 sqq., 22—24. IV. 1840, Nr. 97—99, p. 774 sqq., 782 sqq., 788 sqq. : „Richard Savage in Leipzig. Correspondenz.“ 12412 Bremer Zeitung für Staats- Gelehrten- und Handelssachen. Hg. v. Verlags¬ buchhändler Johann Georg Heyse. 1813—1848 18 Bremisches Conversations- blatt. Red. v. Lud. Wilhelm Heyse. 3. V. 1838—30. VI. 1839 25 Der Patriot. Zeitschrift für Deutschland. Hg. v. Dr. F. L. Voget. Bremen. Juli— Dezember 183 8 33 Bremisches Unterhaltungsblatt. 1823—1857. 1838—1840 red. v. W. Fricke 1257—8 Bremer Kirchenbote. Eine Zeitschrift. Hg. v. G. G. Treviranus, Friedr. Mallet u. F. A. Toel. 1832—1847 13—17 Bremer Kirchenbote 12. u. 19. I. 1840, Nr. 1—2. Friedrich Mallet: „Vorwort“, p. 4
Zitaten- und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 647 12723 Cf, Anm. zu 11222 128i»—20 Cf. Anm. zu 883 33—34 Friedr. Wilh. Krummacher, Paulus, kein Mann nach dem Sinne unsrer Zeit. Bremen 1840. p. 12—13. Engels zitiert nur dem Sinne nach 12922 Karl Friedrich Wilh. Paniel, Drei Predigten, mit Bezug auf eine besondere Veranlassung, am 12., 19. u. 26. Juli 1840 gehalten. Bremen 1840 32—33 J. N. Tiele, Sendschreiben an Herm Dr. Paniel. Bremen 1840 37 [E. W. Weber,] Die Verfluchungen im Interesse denkender Christen von einem Ano¬ nymus. Bremen 1840 42 F. W. Krummacher, Theologische Replik an Herrn Dr. Paniel. Elberfeld 1840 1805—6 Nicht ermittelt 14116—17 Karl Friedr. Wilh. Paniel, Unverhohlene Beurteilung der von Herrn Pastor Dr. philos. Krummacher von Elberfeld zur Verteidigung seiner Bre¬ mischen Verfluchungssache herausgegebenen sogenannten „Theologischen Replik“. Bremen 1840 14221—23 Bekenntnis Bremischer Pastoren in Sachen der Wahrheit. Bremen 1840 1481 Unpietistische Reime, erbaulich und gut zu lesen für Jedermann. 1. Gabe- Bremen 1841 30—31 Cf. Anm. zu 12937 42 [Dr. E. Beurmann,] Paulus in Bremen. Von einem Candidaten der Theologie aus Stade. Hanau 1841 14426 Eduard Beurmann, Skizzen aus den Hanse-Städten. Hanau 1836] 28—29 Id., Deutschland und die Deutschen. 4 Bde. Altona 1838—40 30 Alexander Soltwedel [Friedrich Sass], Hanseatische Briefe. In Der Freihafen. Galerie von Unterhaltungsbildem aus den Kreisen der Literatur, Gesellschaft und Wissenschaft. 1839, Heft 3, p. 240sqq., Heft 4, p. 250sqq.; 1840, Heft 1, p. 255 sqq. 14523—24 Neue Zeitschrift für Musik 13.—27. XI. 1834, Bd. I, Nr. 65—69. Carl Kossmaly: „Aphorismen“ — Ib. 9. I. 1835, Bd. II, Nr. 3. Id.: „Kunststa¬ tionen“ — Ib. 27. III.—13. IV. 1838, Bd. VIII, Nr. 25—30. Id.: „Musika¬ lische Charakteristiken. I. Bellini“; 20, VIII. 1839, Bd. XI, Nr. 15: „II. Fer¬ dinand Ries“; 12. XI. 1839, Bd. XI, Nr. 39: „III. Ch. de Bériot und Pauline Garcia“; 19. II.—1. III. 1841, Bd, XIV, Nr. 15—18: „IV. Über das Lied im Allgemeinen — Das Volkslied — N. Beckers Gedicht — Über die Composi- tionen des Letzteren“ — Ib. 16. VII. 1839, Bd. XI, Nr. 5. Id.: „Vertraute Briefe aus Amsterdam“ — Ib. 11. IX.—21. IX. 1839, Bd. IX, Nr. 21—24. Id.: „Das Sängerfest in Frankfurt a. Main.“ Gez. C. K—y 1461 Die „Tafel“ wurde 1433, die „Neue Eintracht“ 1534 abgefaßt. „Neue Ein¬ tracht“ abgedruckt in: Johann Hermann Duntze, Geschichte der freien Stadt Bremen. 3. Bd. Bremen 1848. p. 146 sqq. 21 1498 erschien in Lübeck eine plattdeutsche illustrierte und satirisch bearbeitete Ausgabe dieser Dichtung: „Reynke de Vos“ 1509—10 The Shipping- and Mercantile Gazette. Erschien vom Januar 1836 in London 15136 Schiller, Der Taucher 16122—35 Petrarca, Collezione dei quattro primi poeti italiani. Paris 1838. In Morte di M. Laura. Sonetto XXXIV. Estasi felicissima 17419 Cf. Schelling’s Erste Vorlesung in Berlin. 15. November 1841. Stuttgart u. Tübingen 1841. Ferner Dr. H. E. G. Paulus, Die endlich offenbar gewordene positive Philosophie der Offenbarung oder Entstehungsgeschichte, wörtlicher Text, Beurtheilung und Berichtigung der v. Schellingsschen Entdeckungen über Philosophie überhaupt, Mythologie und Offenbarung des dogmatischen Christenthums im Berliner Wintercursus von 1841—42. Der allgemeinen Prüfung vorgelegt. Darmstadt 1843
648 Zitaten, und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 17444—1751 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. 3 Bde. Hg. v. K. L. Michelet. Hegels Werke. Bd. XIII—XV. Berlin 1833—1836 17541 Zeitschrift für spekulative Physik. Hg. v. Fr. v. Schelling. Jena u. Leipzig 1800—1801. Zweyten Bandes zweytes Heft 1788 [Carl Riedel,] v. Schellings religionsgeschichtliche Ansicht nach Briefen aus München. Mit einer vergleichenden Zugabe: Peter Feddersen Stuhr über Ur¬ geschichte und Mythologie und einem Vorberichte über v. Schellings jüngste literarische Fehden. Berlin 1841 n Cf. Anm. zu 652» 17925—26 Cf. Anm. zu 10122 18123—24 Athenäum für Wissenschaft, Kunst und Leben. Eine Monatsschrift für das gebildete Deutschland. Hg. v. Carl Riedel. Nürnberg 1838—39 24 Cf. Anm. zu 65 29 1824 Evangelische Kirchenzeitung. Gegr. v. E. W. Hengstenberg. Berlin 1827 —1924 4—5 Berliner Allgemeine Kirchenzeitung. Hg. v. Prof. Rheinwald. Berlin 1839—1853 5 Literarischer Anzeiger für christliche Theologie und Wissenschaft überhaupt. Hg. v. Prof. Dr. Tholuck. Halle 1830—1849 5—6 Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie. Hg. v. I. H. Fichte. Bonn 1837—1846 188 io Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. Hg. v. der Societät für wissenschaft¬ liche Kritik zu Berlin. Red. von Prof. v. Henning. Berlin 182 7—1847 25 Hegels Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Ver¬ ewigten ... 23 Bde. Berlin 1832—1845 18410 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Nebst einer Schrift über die Beweise vom Daseyn Gottes. 2 Bde. Hg. v. Philipp Marheineke. Hegels Werke. Bd. XI u. XII. Berlin 1832 Id., Grundlinien der Philo¬ sophie des Rechts, oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Hg. v. Ed. Gans. Hegels Werke. Bd. VIII. Berlin 1833 22 Cf. Anm. zu 6529 33 Heinrich Leo, Die Hegelingen. Actenstücke und Belege zu der s. g. Denunciation der ewigen Wahrheit. Halle 1838 1851 Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums. Leipzig 1841 David Friedrich Strauß, Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Ent¬ wicklung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft dargestellt. Bd. 1—2. Tübingen 1840—41 2 Cf. Anm. zu 65 29 3 [Bruno Bauer,] Die Posaune des Jüngsten Gerichts über Hegel den Atheisten und Antichristen. Ein Ulti¬ matum. Leipzig 1841 18631 Hegel, Phänomenologie des Geistes. Hg. v. J. Schulze. Hegels Werke. Bd. II. Berlin 1832 18732 Fr. W. J. v. Schelling, Philosophie der Offenbarung. Sämmtliche Werke. Hg. v. K. F. A. Schelling. I. Abt. 10 Bde. II. Abt. 4 Bde. Stuttgart u. Augsburg 1856—1861. II. Abt. Bd. III u. IV 33—34 Id., Philosophie der Mythologie. Ib. II. Abt. Bd. II 20231—32 Cf. Anm. zu 174^—1751 20511 Cf. Anm. zu 186 31 20719 David Friedrich Strauß, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Tübingen 1835—36 Cf. Anm. zu 1851 20943—2101 G. Cuvier, Discours sur les révolutions de la surface du globe. Paris 1840. p. 53: „... une philosophie, qui substitue des métaphores aux raisonne¬ ments ... “. Wahrscheinlich bezieht sich E. auf diese Stelle. 21441—42 Jesaias 53, 4—8 21613—15 Cf. Anm. zu 18 7 32, 33—34 21710—15 Ep. Pauli an die Philipper 2, 6—8
Zitaten- und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 649 2297—9 Lucas 15, 7 2812—4 Jesaias 3, 9 23822—24 1. Ep. Pauli an die Korinther 1, 27 24—26 Ib. 2,14 23442 Matthaeus 10,16 2353—4 Ib. 23,12 31—33 Ib. 11, 25 34—36 Ep. Judä 6 41—42 Ev. Joh. 1,3 23612—13 Jesaias 53, 4—8 28725—27 Ep. Pauli an die Philipper 2, 6—8 28938—41 Jesaias 53, 8 2428—10 Matthaeus 16,18 9 meine Kirche bauen] bei Matthaeus meine Gemeine bauen 2436—14 Apostelgeschichte 17,16—18 2443—9 Apostelgeschichte 17, 19—21 24—25 Leipziger Allgemeine Zeitung. Leipzig. 1837—März 1843 2451—2 Apostelgeschichte 17 , 32 26—32 1. Ep. Pauli an die Korinther 5, 3—5 33—36 Matthaeus 16,19 37—39 Ev. Joh. 20, 23 2467—14 Matthaeus 19,10—12 17—191. Ep. Pauli an die Korinther 7,1—2 20—21 Ib. 7, 8 21—22 Ib. 7, 27 22—24 Ib. 7, 32—33 25—30 Ib. 7, 38—40 24645—247 6 Ep. Pauli an die Epheser 6, 14—17 mit einigen Abweichungen bei E. 7—81. Ep. Petri 5, 8 22—27 Matthaeus 24,11—14 ; bei E. irrtümtichNers 11—13 2a—30 Ib. 24, 24 ; bei E. V. 21 31—412. Ep. Pauli an die Thessalonicher 2,3—4 42—44 1. Ep. Pauli an Timotheus 4,1; bei E. 3,1 2483—5 2. Ep. Petri 3, 3 27—31 Offenbarung Johannis 13, 5—7 etwas gekürzt 42-44 Matthaeus 16,3 2495—8 Offenbarung Johannis 3, 5 9—10 Ib. 3,11 25910 Goethe, Faust. Der Tragödie Erster Teil. Nacht 26528 Hallische Annalen = Hallische Jahrbücher, cf. Anm. zu 65 29 38 Deutscher Musenalmanach für 1840. Dasselbe für 1841. Hg. v. Th. Echtermeyer und A. Ruge. Berlin 1840, 1841 26618—19 cf. Anm. zu 65 29 2761 Carl Friedrich Köppen, Friedrich der Große und seine Widersacher. Eine Jubelschrift. Meinem Freunde Karl Heinrich Marx aus Trier gewidmet. Leipzig [Mitte April] 1840 3 Cf. Anm. zu 1853 und 1 5 Arnold Ruge, Der Novellist. Eine Geschichte in acht Dutzend Denkzetteln aus dem Taschen¬ buche des Helden. Leipzig 1839 6 Eduard Meyen, Heinrich Leo, der ver- hallerte Pietist. Ein Literaturbrief. Allen Schülern Hegels gewidmet. Leip¬ zig 1839 23 Heinrich Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, zum Gebrauche in höheren Unterrichtsanstalten. 6 Bde. Halle 1835—1844 36 Der Christen- Bote. Ein kirchlich-religiöses Sonntagsblatt. Erschien ab 1832 in Stuttgart unter der Redaktion von I. C. F. Burk. 29241 Cf. Anm. zu 18433 43—44 Dr. Philipp Marheineke, Einleitung in die öffentlichen Vorlesungen über die Bedeutung der Hegelschen Philosophie in der christlichen Theologie. Nebst einem Separatvotum über B. Bauers Kritik der evangelischen Geschichte. Berlin 1842 2969 v. Bülow-Cummerow, Preußen, seine Verfassung, seine Verwaltung, sein Ver¬ hältnis zu Deutschland. 1. Teil. Berlin 1842 2991—4 Ludwig Walesrode, Glossen und Randzeichnungen zu Texten aus unserer Zeit. Vier öffentliche Vorlesungen, gehalten zu Königsberg. Königsberg 1842. Bei H. L. Voigt. (XI u. 84 p.) Inhalt: I. Die Masken des Lebens. Eine Ascher¬ mittwochs-Phantasie II. Unser goldnes Zeitalter III. Literarisches Don- quixotes-Tumier IV. Variationen über beliebte Zeit- und Nationalmelodien
650 Zitaten, und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 8004—13 Ib. p. 15—16 io und einer] bei W. und mit einer 15—24 Ib. p. 16—17 15 entgegen] bei W. gerade in den Weg 16 Fingern] bei W, Schreib- fingem 20 Sperrung von E. 22 bei W. sie gesperrt 8O030—301 23 Ib. p. 48—50 30 Die deutsche Sprache] bei W. Sie 33—35 Was können bei W. gesperrt 36 politische bei W. gesperrt 42 Defensivstil bei W. gesperrt 43 Offensive bei W. gesperrt 44 Recht bei W. gesperrt 52—53 bei einem hohen .. .ausstehen hätte bei W. gesperrt eine politische] bei W. eine kleine politische Bei W. folgt dann Erhebt sich einmal Einer zum Enthusiasmus des Rechts, zum „Männerstolz vor Königsthronen“, wie unser Schiller sagt, dann tritt er wiederum mit so vielem theatralischen Pathos auf, daß er schon deshalb nicht zum Ziele gelangt 3017—8 wo die Feigheit . .. Verbrechen bei W. gesperrt 8 konnte] bei W. könnte n Rechts wegen bei W, gesperrt 20 außerordentliche, unerhörte bei W. gesperrt 23 angewendet] bei W. angewandt 27—32 Ib. p. 70 27 Hirten der Völker bei W. gesperrt sagt] bei IF. gesagt 27—28 daher die Völker] bei W. die Völker daher 28 Schafe der Fürsten bei W. ge¬ sperrt lieben ihre Schafe sehr] bei IF. lieben sehr ihre Schafe 30216—19 Ib., Vorwort für den edeln Unbekannten, der es lesen sollte, p. VIII 18 Freuden bei IF. gesperrt 3034—6 Literarische Zeitung. In Verbindung mit mehreren Gelehrten heraus¬ gegeben von Dr. Karl Heinrich Brandes. 9. Jg., 2. III. 1842, Nr. 9, p. 201 sqq. : „Naturphilosophie“ 8—10 EvKZ 4. V. 1842, Nr. 36, p. 281 sqq. u. 7. V. 1842, Nr. 37, p. 289 sqq. H. L[eo], Rezension: Geschichte der Gesundheit und der Krank¬ heiten von Dr. Joh. Mich. Leupoldt. Erlangen 1842 16—17 EvKZ 4. V. 1842, Nr. 36, p. 281 Systemströstelung] in der EvKZ Systemstrostelung 19—39 Ib. p. 284 19—20 daß ... Lohn sei in der EvKZ gesperrt, dann Auslassung einiger Zeilen bei E. 20 zusammengehörige] in der EvKZ zusammenge¬ hörende 22 Seite] in der EvKZ Seite tun sie es 23 Einzelne] in der EvKZ einzelne Mensch 25 der stattgehabten Sünde] in der EvKZ statt¬ gehabter Sünden z. B.] in der EvKZ und also z. B. 29—30 und wo nicht ein fester Glaube] in der EvKZ und wo ein fester Glaube mit seiner beruhigenden Macht und Stärkung 33 nervenzerrüttendster] in der EvKZ nervenzerrüttender 3042—5 Ib. p. 284 3—4 göttlichen Gerechtigkeit] in der EvKZ Gerechtigkeit Gottes 4 Ungläubigen] in der EvKZ ungläubigen Sünder 6—9 Ib. p. 285 28—29 In der EvKZ nur dem Sinne nach zitiert 29—35 Ib. p. 28 5 33—34 Sperrung von E. 34 Kraft der Strafe] in der EvKZ Kunst den Strafen 30442-305 2 EvKZ 7. V. 1842, Nr. 37, p. 299 8001 Berlinische Nachrichten von Staats- und Gelehrten-Sachen. Berlin 1734 —1874. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts allgemein „Spenersche Zeitung“ genannt. 6 Spenersche Zeitung 16. VI. 1842, Nr. 137, p. 3 u. 17. VI. 1842, Nr. 138, p. 2—3 : „♦♦Aufsätze über inländische Zustände. XVI. Ein Rückblick“ 17 Zensur- Verfügung vom 24. XII. 1841, veröffentlicht in der Allgemeinen Preußischen Staatszeitung 14.1.1842, Nr. 14 : „Berlin, 13. Jan.“ Cf. auch Bd. 1/1, p. 151 sqq. u. p. 179 sqq. 3081 Criminalistische Zeitung für die Preußischen Staaten. Hg. v. J. W. Bonseri u. J. D. H. Temme. Berlin 1841—1842 3116—7 [Dr. Johann Jacoby,] Vier Fragen beantwortet von einem Ostpreußen. Mannheim 1841 13—16 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. 2. Aufl. Berlin 1794. Teil II, Titel 20, § 92. p. 1187 27—31 Ib. Teil II, Titel 20, § 151. p. 1196. Bei E. etwas verkürzt 31—37 Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. Jg. 1819, Nr. 20, p. 224—232
Zitaten- und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 651 81315—31412 [Dr. Johann Jacoby,] Vier Fragen ... p. 8—10 16 20 Bogen] bei Jacoby 20 Druckbogen 32 seiner Oberen] bei J. seines Obern 25 ab- schläglich] bei J. abschlägig 35 hier ist sie] bei J, hier selbst ist sie 37 be¬ zeichnet] bei J. bezeichnete 8141 Blatt jährlich mehr] bei J. Blatt mehr an Postporto] bei J. an jährlichem Postporto 7 mißliebigen] bei J. mißfälligen 24—41 Die hier und auf der folgenden Seite zitierten Bruchstücke aus dem Urteil erster Instanz befinden sich zum größten Teil {mit geringen Abweichungen) in Dr. Jacoby, Meine weitere Vertheidigung wider die gegen mich erhobene Beschuldigung der Majestäts¬ beleidigung und des frechen unehrerbietigen Tadels der Landesgesetze. Zürich und Winterthur 1842, p. 13, 16 u. 20. Cf. auch Dr. Jacoby, Meine Recht¬ fertigung wider die gegen mich erhobene Anschuldigung des Hochverraths, der Majestätsbeleidigung und des frechen unehrerbietigen Tadels der Landes¬ gesetze. Zürich und Winterthur 1842. Cf. ferner Deutsch-Französische Jahr¬ bücher, Paris 1844, p. 41 sqq. : Urtheil des Ober-Appellations-Senats, in der wider den Dr. Johann Jacoby geführten Untersuchung wegen Hochverraths, Majestätsbeleidigung und frechen unehrerbietigen Tadels der Landesgesetze, mitgetheilt von Dr. Johann Jacoby. — Ein Urteil des Königsberger Kriminal- Senats. Beleuchtet von Dr. Johann Jacoby. Mannheim 1846. —Vier Fragen beantwortet von einem Ostpreußen. Nebst dem Erkenntniss des Ober-Appel- lations-Senats des Kammergerichts in der wider den Dr. Johann Jacoby ge¬ führten Untersuchung. Leipzig 1863 3151—9 Cf. Anm. zu 3142Ar-Ai 11—15 [Dr. Johann Jacoby,] Vier Fragen be¬ antwortet von einem Ostpreußen ... p. 11 16—26 Cf. Anm. zu 31424—41 31—40 [Dr. Johann Jacoby,] Vier Fragen beantwortet von einem Ostpreußen..., p. 14 32 ständischen] bei J. städtischen 37—38 Sperrung von E. 31541—3168 Cf. Anm. zu 31424—41 3168 um solchergestalt] bei J. und solchergestalt 32325—26 Königsberger Literaturblatt. Red. v. Alexander Jung. Erschien vom 6. Oktober 1841 bis Marz 1845 in Königsberg 28 Cf. Anm. zu 6529 30—31 Dr. Alexander Jung, Briefe über die neueste Literatur. Denkmale eines lite¬ rarischen Verkehrs. Hamburg 1837 3244—5 Id., Königsberg in Preußen und die Extreme des dortigen Pietismus. Braunschweig 1840 11—12 Arnold Ruge, Rezension über A. Jung, Königs¬ berg in Preußen und die Extreme des dortigen Pietismus. In Deutsche Jahr¬ bücher 27.—29. XII. 1841, Nr. 153—155, p. 609 sqq., 613 sqq., 617 sqq.: „Die Restauration des Christentums“ 3252 Theodor Mundt, Madonna. Unterhaltungen mit einer Heiligen. Leipzig 1835. 2. unveränd. Ausg. Leipzig 1840 5—6 Heinrich Laube, Geschichte der deutschen Literatur. 4 Bde. Stuttgart 1839—40 16—17 Cf. Anm. zu 1851 827 4—7 Dr. Alexander Jung, Vorlesungen über die moderne Literatur der Deut¬ schen. Danzig 1842. Verlag von Fr. Sam. Gerhard (IX u. 241 p.) p. 117 5 ihr Urteil] bei Jung das Urteil 8285—6 Cf. Anm. zu 5523—24 9—io A. Jung, Vorlesungen ... p. 133 das Leben aus] bei Jung das Leben nur 16—17 Ib. p. 132 ein System ... entworfen] bei J. dem Systeme der Politik und des Völkerglückes, welches er sich selbst entworfen hatte 83012 Heinrich Heine über Ludwig Börne. Hamburg 1840 23 Karl Gutzkow, Patkul. Ein politisches Trauerspiel in 5 Aufzügen. Dramatische Werke. 9 Bde. Leipzig 1842—1857. Bd. II 24 Id., Werner, oder Herz und Welt. Schau¬ spiel in 5 Aufzügen. Dramatische Werke. Bd I 27 Telegraph für Deutschland. Erschien 1837—1848 in Hamburg, zuerst unter Redaktion von Gutzkow, dann von Georg Schirges.
652 Zitaten, und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 8313 Der Pilot. Allgemeine Revue der einheimischen und ausländischen Literatur¬ und Völkerzustände. Hg. v. d. Redaktion des Freihafens unter Leitung von Th. Mundt. Erschien 1840—Juni 1843 in Altona. Red. 1842—43 von Friedrich Sass 23—2A A. Jung, Vorlesungen . . . p. 236 83215—20 Ib. p. 237 17 Hoffnungen bei J. gesperrt 18 vertraut] bei J. sich vertraut 19—20 Herrschersitz, Zeit . .. sein! bei J. gesperrt Der ganze Satz bei E. stark verkürzt 22—25 Königsberger Literatur-Blatt 27. X. 1841, Nr. 4, p. 31. Dritte Notiz im „Feuilleton“ 22 Sperrung von E. 24 Sperrung von E. 25—26 Ib., 17. XI. 1841, Nr. 7, p. 49sqq. Alexander Jung: „Zur Orientierung über Schelling“ 42 Victor Cousin über französische und deut¬ sche Philosophie. Aus dem Französischen v. Dr. Hubert Beckers. Nebst einer beurtheilenden Vorrede des Herm Geheimen Rats von Schelling. Stuttgart u. Tübingen 1834 3384—26 Königsberger Literatur-Blatt 29. XII. 1841, Nr. 13, p. 101 sq. Kleine Bücherschau. Alexander Jung, Rezension: Schelling’s Erste Vorlesung in Berlin. 15. November 1841. Stuttgart u. Tübingen. In der J. Cotta’schen Buch¬ handlung 1841 7 vorausgesetzte] bei J. vermuteten 8 wußte] bei J. wußten und Sperrung 12—14 Sperrung von E. 15 Neid bei J. gesperrt die bei J. gesperrt wegleugnen] bei J. weglügen 16 jedem] bei J. einem Jeden 17 Schellings bei J. gesperrt 18 einseitiger bei J. gesperrt 19 an¬ fangen bei J. gesperrt kann] bei J. konnte 21 weil sie alle] bei J. weil sie sinken] bei J. und wenn sie alle sinken. Alle weiteren Sperrungen von E. 35 Cf. in diesem Bande 181 sqq. 41 A. Jung, Vorlesungen ... p. 238 sqq. 3841—3 Königsberger Literatur-Blatt 6. X. 1841, Nr. 1, p. 3 sqq. Alexander Jung: „Stellung deutscher Journalistik“ 3—4 Ib. 13. X. 1841, Nr. 2, p. 9 sqq. Alexander Jung: „Stellung deutscher Journalistik. Schluß“ 4—5 Ib. 20. X. 1841, Nr. 3, p. 17 sqq. Alexander Jung: „Herbart“ 5 Ib. 27. X. 1841, Nr. 4, p. 25 sqq. Alexander Jung: „Herbart. Schluß“ 6—7 Ib. p. 29 u. 31 : Feuilleton. Erste und dritte Glosse. 7—8 Ib. 24. XL; 1., 8., 15., 22. XII. 1841, Nr. 8—12, p. 57 sqq., 65 sqq., 73 sqq., 81 sqq., 89 sqq. Alexander Jung, Rezension: „Das Wesen des Christentums von Ludwig Feuerbach. Otto Wigand, 1841“ 27-28 Ib. 1. XII. 1841, Nr. 9, p. 65 40-41 Ib. 22. XII. 1841, Nr. 12, p. 92 sqq. Kleine Bücherschau. Alexander Jung, Rezension über Die konservative Partei in Deutschland. Von V. A. H. Marburg, N. G. Eiwert’s Universitäts-Buchhandlung. 1841 und Die Posaune des jüngsten Gerichts über Hegel den Atheisten und Antichristen. Ein Ultimatum. Leipzig. Otto Wigand 1841 41—44 Ib. 30. III. 1842, Nr. 26, p. 201 sqq.: „Leo, Preußen und die Götheschen Wahlverwandtschaften“ 83444—835 1 Ib. 20. IV. 1842, Nr. 29, p. 228 sq.: *„Hinrichs und der Posaunist“ 45 Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. März 1842, Nr. 52—55, p. 409 sqq., 417 sqq., 425 sqq., 433 sqq. H. F. W> Hinrichs, Rezension: Die Posaune des jüngsten Gerichts über Hegel, den Atheisten und Antichristen. Ein Ultimatum. Leipzig 1841. Bei Otto Wigand. Vorwort und Text. 168 p. 8851—4 Königsberger Literatur-Blatt 1. VI. 1842, Nr. 35, p. 273 sqq. Alexander Jung: „Franz Ritter von Baader“ 4—7 Ib. 8. VI. 1842, Nr. 36, p. 287 sq. Feuilleton: „Unselige Polemik“. Gezeichnet C. 5—6 RhZ 29—31. V. 1842, Nr. 149—151, E. M[eyen], Rezension: Vorlesungen über die moderne Literatur der Deutschen von Dr. Alexander Jung. Danzig. Verlag von Fr. Sam. Ger¬ hard 1842 9—11 Königsberger Literatur-Blatt 8. VI. 1842, Nr. 36, p. 287 23—24 Ib. p. 288. C.: „Consequenzen der Hegelschen Philosophie“ 24—26 Ib. p. 288 25 welches] im Königsberger Literatur-Blatt selbstsüchtig, weil es Sperrung von E. 27—29 Ib. p. 288 28 Christentum] im Königsberger Lite¬ ratur-Blatt Christentum nieder mit der Religion
Zitaten- und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 653 859ö The Examiner. Gegründet u. hg. v. Leigh Hunt u. dessen Bruder. London 1808—1881 36536 Lucas 6, 20 sind die Armen] im Or. seid ihr Armen 37 1. Ep. Pauli an die Korinther 1, 20 die Weisheit dieser Welt] im Or. hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Torheit gemacht 86622 Die Übersetzung von D. F. Strauß’ Leben Jesu wurde 1842 von Hetherington in wöchentlichen Heftchen à 1 d veröffentlicht. Sie scheint nach der französischen Übersetzung LittrPs (1839) angefertigt worden zu sein. Eine zweite Übersetzung von George Eliot erschien 184 3 26—27 In den „Advertisements“ der New Moral World, Jg. 1840 finden sich in dem Sammelinserat der drei Buchhändler J. Hobson, Leeds, A. Heywood, Manchester, J. Cleave, London folgende Volksausgaben: An Inquiry into the Nature of the Social Contract, or Principles of Political Right, by Jean Jacques Rousseau; in 13Nos. at lx/2 deach, or complété in cloth. — Queen Mab by Percy Bysshe Shelley. — Holbachs Système de la Nature ou des lois du monde physique et du monde morale 1770 erschien in eng¬ lischer Übersetzung London 1795 ; eine weitere Ausgabe: System of Nature erschien London 1817, hg. v. Sherwood, Neely and Jones, Paternoster Row and all book- sellers 33 Bill for regulating the employment of children and young persons in factories, and for the better éducation of children in factory districts, 7. III. 1843. Cf. die Parlamentsrede von Sir James Graham in Hansard’s Parliamentary Debates: Third Sériés, Commencing with the Accession of William IV. Vol. LXVII Comprising the Period from the twenty-eighth Day of February, to the twenty-fourth Day of March 1843. Second Volume of the Session. London 1843. p. 422 sqq. 86815—16 [Augsburger] Allgemeine Zeitung 20. IV. 1843, Nr. 110, p. 875: London 13. April 87137 The Oracle of Reason. Bristol 1842/43. Gegründet von Ch. Southwell. Nach dessen Verhaftung hg. v. Jacob Holyoake, der, wie auch die späteren Herausgeber Thomas Paterson, George Adams u. William Chilton verhaftet wurde u. die Zeitschrift nach seiner Freilassung 1843 als „The Movement“ fortsetzte. W1%2Ar-2& Robert Owen, The Marriage System of the New Moral World; With a faint outline of the present Very Irrational System ; as developed in a course of ten lectures. Leeds 1838. p. 54: „I resume the subject of marriage because it is the source of more demoralization, crime and misery than any other single cause, with the exception of religion and private property; and these three together form the great trinity of causes of crime and immorality among mankind“ 27—31 Nicht ermittelt 87242—8783 Cf. Anm. zu 36626—27. In der NMW Jg.1840 ist inseriert: Thomas Paine, Theological Works; Id., Political Works 8743—6 Die genannten Zeitschriften konnten nicht ermittelt werden 14—15 Lorenz von Stein, Der Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreichs. Ein Beitrag zur Zeitgeschichte. Leipzig 1842 8816 Adam Smith, An enquiry into the nature and causes of the wealth of nations. London 1776 8841—3 Ib. Book IV, Chap. 3, Part 2 (in der Ausgabe Edinburgh 1834: p. 201) 89420—30 John Wade, History of the Middle and Working Classes. London 1835 8963^—40 Archibald Alison, Principles of population. 2 vols. London 1840 8984 Unter dem Pseudonym Marcus erschienen 3 Broschüren: On the Possibility of Limiting Populousness. By Marcus. Printed by John Hill, Black Horse Court, Fleet Street 1838, 46 p. — The Book of Murder! A Vade Mecum for the Commissioners and Guardians of the New Poor Law . . . Being an exact
654 Zitaten- und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen Reprint of the Infamous Essay on the Possibility of Limiting Populousness, by Marcus, one of the three . . . Now Reprinted for the Instruction of the Labourer, by William Dugdale, No. 37 Holywell Street, Strand. — The Theory of Painless Exstinction; by Marcus. Cf. N. M. W. : „Advertisements“ 29. VIII. 1840 — Eine anonyme Broschüre: An Essay on Populousness. Printed for private circulation ; printed for the author. 1838. 27 p. enthält die Grundgedanken der Marcus-Pamphlets. Cf. auch Thomas Carlyle, Chartism. London 1840. p. 110 sqq. 40738 Cf. Anm. zu 20719 40—44 Cf. Anm. zu 36622 40826 Thomas Carlyle, Chartism. London 1840 408 44—4092 Id., Past and Present. London 1843. Book I: Poem; Book II: The Ancient Monk; Book III: The Modem Worker; Book IV: Horoscope 4097 Ib. Chap. I: Midas, p. 1—8 8—21 Ib. p. 1 mit einigen Kürzungen von E. 40928—41016 Ib. p. 4—6 mit Kürzungen von E. 41030—42 Ib. p. 7—9 mit starken Kürzungen von E. 43 Ib. Chap. II : The Sphinx, p. 9—18 41043—4112 Ib. p. 9 von E. nur dem Sinne nach wiedergegeben 41122 Ib. Chap. III: Manchester Insurrection, p. 19—29 24—35 Ib. p. 20 mit einer geringen Kürzung von E. 4127 Ib. Book III: The Modem Worker, p. 185—318 11—36 Ib. p. 185—186 mit starken Kürzungen von E. 43 Ib. p. 197 41244—41810 Ib. p. 198 mit Kürzung von E. 41811—26 Ib. p. 201—202 mit Kürzungen von E. 41341—41416 Ib. p. 230 mit geringen Kürzungen von E. 41416—4154 Ib. p. 231—232 mit Kürzungen von E. 24 Sperrung von E. 45 Sperrung von E. 4157—8 Ib. p. 238 15—39 Ib. p. 238 u. p. 240—241 mit starken Kürzungen von E. 41542—41645 Ib. p. 246—252 mit starken Kürzungen von E. 4171—16 Ib. p. 282 nicht ganz wörtliche Ueberseizung 10—25 Ib. p. 289 mit ge¬ ringer Kürzung von E. 41726—41812 Ib. p. 289, 292, 293—295 mit starken Kürzungen von E. 41837—38 Ib. p. 340 40—41 Ib. p. 238 42017—18 Ib. p. 322 20—30 Ib. p. 321 von E. nur dem Sinne nach wiedergegeben 42045—4212 Ib. p. 322 4213—22 Ib. p. 316—317 42124—42243 Ib. p. 264—266 u. p. 270—273 mit starken Kürzungen von E. 4284—81 Ib. p. 262—263 u. p. 368 mit Kürzungen von E. 42429 Ludwig Feuerbach, Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie. In Anekdota zur neuesten deutschen Philosophie und Publicistik von Bruno Bauer, Ludwig Feuerbach, Friedrich Köppen, Karl Nauwerck, Arnold Ruge und einigen Ungenannten. Hg. v. Arnold Ruge. Bd. I—II. Zürich u. Winter¬ thur 1843. Bd. II, p. 62 sqq. 48628—29 Buonarroti’s History of Babeuf’s Conspiracy for Equality with the author’s reflections on the causes and character of the French Revolution, and his estimate of the leading men and events of that epoch. Also, his views of démocratie govemment, Community of property, and political and social equality. Translated from the French language, and illustrated by original notes, etc. By Bronterre, Editor of the Poor Man’s Guardian, Hetherington’s Twopenny Dispatch, etc. etc. London 1836
Zitaten- und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 655 48833 La Phalange, Revue de la science sociale. Ed. V. Considérant. Paris» Juillet 1836—Juillet 184 3 43—44 NMW 31. VIII. 1839, new séries, Nr. 45, p. 707 sq.; 7. IX. 1839, new séries, Nr. 46, p. 725 sq.; 21. IX. 1839, new séries, Nr. 48, p. 754 sq.; 28. IX. 1839, new séries, Nr. 49, p. 771 sqq. Amo: „Socialism in France. Charles Fourier“ — NMW 26. X. 1839, new séries, Nr. 53, p. 834 sq. ; 9. XI. 1839, new sériés, Nr. 55, p. 865 sq.; 23. XI. 1839, new séries, Nr. 57, p. 899 sq. ; 14. XII. 1839, new sériés, Nr. 60, p. 946 sq. ; 21. XII. 1839, new séries, Nr. 61, p. 963 sq.; 28. XII. 1839, new séries, Nr. 62, p. 979 sq.; 4. I. 1840, new séries, Nr. 63, p. 995 sq.; 29. II. 1840, new séries, Nr. 71, p. 1137 sq.; 14. III. 1840, new séries, Nr. 73, p. 1167 sqq.; 21. III. 1840, new séries, Nr. 74, p. 1181 sq.; 28. III. 1840, new séries, Nr. 75, p. 1194 sq. Amo: „Fourierism“ 45 La Démocratie Pacifique, Journal des intérêts des gouvernements et des peuples. Rédacteur en chef: V. Considérant. Paris Août 1843—Novembre 1851 44042—43 Le Populaire, Journal des intérêts politiques, matériels et moraux du Peuple. Par une société patriotique. Directeur: Etienne Cabet. Paris Septembre 1833—Octobre 1835 44120 [Cabet,] Voyage et aventures de Lord William Cavisdall en Icarie. Trad. de l’anglais de Francis Adams par Th. Dufruit. Paris 1840 4423 Félicité Robert de Lamennais, Paroles d’un croyant. Paris 1836—37 6—7 Pierre Joseph Proudhon, Qu’est-ce que la Propriété? Paris 1840 8 Ib. p. 2 20 E. bezieht sich wohl auf die Stellen p. 229: „Je suis anarchiste“, p. 238: „la liberté est anarchie“ etc. 21—2» Cf. Anm. zu 44042r-43 29 La Revue Indépendante. Publiée par Pierre Leroux, George Sand et Louis Viardot. Paris, Novembre 1841—Février 1848 44832—33 Martin Luther, Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern. 1525. Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Bd. 18, Weimar 1908. p. 344 sqq. 35 Ib. Bd. 18, p. 358 „Drumb soi hie zuschmeyssen, würgen und stechen heymlich oder öffentlich, wer da kan, und gedencken, das nicht gifftigers, schedlichers, teuffelischers seyn kan, denn eyn auffrurischer mensch, gleich als wenn man eynen tollen hund todschlahen mus, schlegstu nicht, so schlegt er dich und eyn gantz land mit dyr.“ 44436 Die junge Generation. Januar 1842—Mai 1843. Gedruckt zuerst in Bern, seit April 1842 in Vivis, 1843 in Langenthal 4452 Wilhelm Weitling, Garantien der Harmonie und Freiheit. Vevey [Dezember] 1842 12 Da« angezeigte Buch erschien erst später: W. Weitling, Das Evan¬ gelium eines armen Sünders. Bem 1845 28—31 [Joh. Casp. v. Bluntschli,] Die Kommunisten in der Schweiz nach den bei Weitling vorgefundenen Pa¬ pieren. Wörtlicher Abdruck des Kommissionalberich tes an die H. Regierung des Standes Zürich. Zürich 1843 44041 Cf. Anm. zu 20719 4477—8 Cf. in diesem Bande 181 sqq. 11 Cf. Anm. zu 6529 44810 Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe. Köln, 1. Januar 1842 —31. März 1843 21—23 Cf. RhZ 31. I. 1843, Nr. 31, Korr. London, 25. Jan. : Besprechung der Herwegh-Affäre durch „alle hiesigen Blätter“, spe¬ ziell durch die Times vom 16. Jan. und den Moming Herald vom 17. Jan. 44934 The New Moral World. Gegr. 1. Nov. 1834 v. R. Owen. Später red. von G. A. Fleming. Ser. 1: 1. nov. 1834—20. oct. 1838. Vol. 1—4. Nr. 1—208; Ser. 2: 27. oct. 1838—27. june 1840. Vol. 5—7. Nr. 1—88; Ser. 3: 4. july 1840—24. jan. 1846. Vol. 8—13 [1—6]. Die Zeitung erschien unter folgenden Titeln: 31. III. 1835—22. X. 1836: The New Moral World, or Millenium; 29. X. 1836—20. X. 1838: The New Moral World, and Manuel of Science; 27. X. 1838—6. VII. 1839: The New Moral World. New Sériés; 11. VII.
656 Zitaten- und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 1839—25. VI. 1842: The New Moral World, or: Gazette of the Universal Community Society or Rational Religionists ; 2. VII. 1842—23. IV. 1845: The New Moral World and Gazette of the Rational Society. Dann spaltete sich die Zeitung. Von James Hill erworben und in theistischem Sinne geleitet erschien sie vom 30. IV. 1845—24. I. 1846 als The New Moral World and Gazette for the Rational Society. Die Owenisten setzten die alte Richtung fort mit der Zeitung The Moral World, 30. IV. — 8. XI. 1845. Die NMW wurde an folgenden Orten herausgegeben: 1. XI. 1834—Anfang Juni 1837 in London; 10. VI. 1837—2. VI. 1838 in Manchester; 9. VI. 1839—6. VII. 1839 in Birmingham; 11. VII. 1839—25. VI. 1842 in Leeds; dann in London 37—38 Edgar Bauer, Der Streit der Kritik mit Kirche und Staat. Charlottenburg 1843 4504—5 NMW 6.1.1844, vol. V, 3 rd séries, Nr. 28, p. 217: „The Communists in Germany“. Abdruck aus den „Times” vom 29. XII. 1843 33 Le National. Fondé par MM. Thiers, Mignet et Carrel. Paris, Janvier 1830—Décembre 1851 45114—17 Cf. Anm. zu 4504—5 characters] inNMW characters — such as Che¬ valier, Guizot and Michelet 30—31 Ib. p. 217 45145—452 2 Ib. p. 217; genauer Wortlaut in NMW: „partly from the report of this Commission, partly from the published and unpublished Communistical writings which were thus discovered, and partly from personal inquiry, that the follow- ing account is collected.“ 45219—21 Ib. p. 217 evangelists, Cabet] in NMW evangelists, Constant, Cabet, Proudhon and Weitling 24—25 Cf. Anm. zu 43 8 33 u. 45 26—27 Cf. Anm. zu 4504—5 4545—6 Cf. in diesem Bande 450 sqq. 455s Eugène Sue, Les Mystères de Paris. Ile édition. 10 vol. Paris 1842—43. Zuerst erschienen im „Journal des Débats“ 1842—43 9 Allgemeine Zeitung. Gegr. 1798. Seit 1810 in Augsburg erscheinend. Seit 1837 redigiert v. Georg Kolb 36 Deutsch-Französische Jahrbücher. Hg. v. Arnold Ruge und Karl Marx. Lieferung 1—2. Paris. Im Bureau der Jahrbücher. Au Bureau des Annales. [Ende Februar] 1844 Zweiter Teil: Handschriftliches, Briefe, Dokumente 46711—12 Ilias IV, 164 sq. 47 7 37—39 Ep. Pauli an die Philipper 3, 13—14 48526 Jacob Grimm über seine Entlassung. Basel 1838 48633—34 Cf. in diesem Bande 11 sqq. 36 Cf. in diesem Bande 7 sq. 48715—17 Cf. in diesem Bande 716—19 39 Acta Sanctorum. Die in zahlreichen Ausgaben verbreitete Sammlung von Heiligen-Geschichten 42 Ghr. M. Wieland, Dialoge des Diogenes von Sinope. Leipzig 1770 48745—4881 Goethe, Sämmtliche Werke. 30 Bde. Stuttgart und Tübingen 1851. Bd. XXVI, p. 315—317 : Für junge Dichter. 1831 ; p. 317—318 : Noch ein Wort für junge Dichter 48837—40 Cf. Anm. zu 491 49131 Christliches Gesangbuch zur Beförderung öffentlicher und häuslicher An¬ dacht. l.Aufl. Bremen 1812. 2. Aufl. Bremen 1837 33 Goethe, Wanderers
Zitaten- und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 657 Nachtlied 34 Schiller, Die Worte des Glaubens 38 Albert Knapp, Evangelischer Liederschatz für Kirche und Haus. Eine Sammlung geistlicher Lieder aus allen christlichen Jahrhunderten, gesammelt und nach den Be¬ dürfnissen unsrer Zeit bearbeitet. 2 Bde. Stuttgart u. Tübingen 1837 49630 Theodor Mundt, Spaziergänge und Weltfahrten. 3 Bde. Altona 1838. Bd. I, p. 82 4974 Zeitung für die elegante Welt. Leipzig 1801—1859. Die letzten Jahrgänge Erfurt u. Berlin. 1833—34 hg. v. H. Laube; nach seiner Ausweisung u. Ver¬ haftung Mitte Juli 1834 von A. v. Binzer u. 1835 von G. Kühne; von 1843—46 wieder hg. v. Laube io Heinrich Laube, Reisnovellen. 1. Aufl. Leipzig 1833—34. 2. Aufl. Mannheim 1835 — Neue Reiseno veilen. 2 Bde. Mann¬ heim 1837 14 Cf. Anm. zu 3921—22 15—17 Gutzkow, Rezension: Julius Mosen, Ahasver. In TfD August 1838, Nr. 124, p. 985 sqq. 17—19 Theodor Creizenach, Gutzkow über Ahasver. In der Zeitung für die elegante Welt 27. IX. 1838, Nr. 189, p. 753 sqq. 26 Ib. p. 753 Psychologie mehrerer Jahr¬ hunderte] bei Creizenach Metaphysik mehrerer Jahrhunderte 29 Cf. Anm. zu 491 36 Cf. Anm. zu 33027 40 Morgenblatt für gebildete Stände. (spater Morgenblatt für gebildete Leser.) Hg. v. Weisser, Therese Huber, W. Hauff, Herm. Hauff. Stuttgart u. Tübingen 1807—1865 4981 Abendzeitung. Hg. v. Theodor Hell u. Friedrich Kind, seit 1843 v. Robert Schmieder. Dresden 1817—1848 4 Literaturblatt. Beilage des Morgenblattes für gebildete Stände. Hg. v. Wolfgang Menzel, Heinrich Voss, Ad. Müllner. 1820—1852 13 Cf. Anm. zu 65 44 14 Eduard Duller, Die Wittelsbacher. Balladenkranz. München 1831 15 G. Karl A. Hülstett, Sammlung aus¬ gewählter Stücke aus den Werken deutscher Prosaiker und Dichter, zum Erklären und Vortragen f. d. unteren u. mittleren Klassen v. Gymnasien. Düsseldorf 1830 19 Duller, Grabbes Leben. Einleitung zu Chr. D. Grabbe, Die Hermannsschlacht. Düsseldorf 1838 38 Duller, Kaiser und Papst. Leipzig 1838. p. 284 50010 TfD Dezember 1838, Nr. 208, p. 1657 sqq: „Zeichen der Zeit“ von „10 ff.“ 1G—17 TfD Dezember 1838, Nr. 208, p. 1658: „Kein Mittel ist ja sonst zu finden Wodurch der Blutfluß meiner Sünden Geheilet und gestillet wird.“ 17—18 Lucas 8, 43 50114—15 Das Hohe Lied 7,7: „Wie schön und lieblich bist Du, Du Liebe voller Wonne!“ 50227 Cf. Anm. zu 4981 29 Cf. Anm. zu 5521 30—33 W. Menzel, Rezension über Gutzkows Wally. In Literaturblatt. Beilage des Morgenblatts für gebildete Stände. 11. u. 14. IX. 1835, Nr. 93 u. 94 42 Cf. Anm. zu 1821 50839 K. Gutzkow, Vergangenheit und Gegenwart 1830—1838. Jahrbuch der Literatur. 1. Jg. Hamburg 1839. p. 1—110 5047 Cf. Anm. zu 397 5056 Cf. Anm. zu 1821 42—43 Cf. in diesem Bande 23 sqq. 50623 Der Menschenfreund, eine religiöse Zeitschrift. Berlin 1824—1847 51120 Rosen. Eine Zeitschrift für die gebildete Welt. Hg. v. Robert Heller, seit 1845 v. G. Hesekiel. Leipzig 1838—1844, Altenburg 1845—1848 35 Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt. Hg. v. G. Her¬ loßsohn. Erschien seit 1830 in Altenburg, später in Leipzig 38 Cf. Anm. zu 4981 51724 Cf. Anm. zu 101 5182 Berliner Conversations-Blatt für Poesie, Literatur und Kritik. Hg. v. Fr. Förster u. W. Häring. Berlin 1827—1829. Erschien seit 1830, vereinigt mit der 1803 von Kotzebue gegründeten Zeitschrift Der Freimüthige oder Berliner Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 42
658 Zitaten, und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen Zeitung für gebildete, unbefangene Leser, unter dem Titel: Der Freimüthige, oder Berliner Conversationsblatt. Hg. v. W. Häring. Berlin 1830—1835 3 Der Gesellschafter, oder Blätter für Geist und Herz. Hg. v. F. W. Gubitz. Berlin 1817—1847 16 Luis de Camöes, Os Lusiadas. Epos. 1572 20 Cf. Anm. zu 491 5192—4 Cf. Anm. zu 43 2—3 27 Ludwig Börne, Gesammelte Schriften. 4 Teile. Hamburg 1829—1840. T. I—II: Dramaturgische Blätter. 40-41 Ib., Ueber den Charakter des Wilhelm Teil in Schillers Drama. T. II, p. 54 sqq. 5202 Ib., Cardenio und Celinde, Trauerspiel in fünf Aufzügen von Carl Immer¬ mann. T. I, p. 135 sqq. Ib., Das Trauerspiel in Tyrol. Ein dramatisches Gedicht von Immermann. T. I, p. 179 sqq. 3 Ib., Die Leibeigenen, oder Isidor und Olga. Trauerspiel von Raupach. T. I, p. 1 sqq. Ib., Der Woll¬ markt, oder Das Hôtel de Wibourg. Lustspiel von Clauren. T. I, p. 166 sqq. 4 Ib., Der Leuchtturm. Drama von Ernst von Houwald. T. I, p. 68 sqq. Ib., Das Bild. Trauerspiel von Freiherrn v. Houwald. T. II, p. 132 sqq. 5 Ib., Hamlet, von Shakespeare. T. II, p. 172 sqq. io—14 Cf. Anm. zu 57 6—8 20 Schiller, Die Räuber. Frankfurt u. Leipzig 1781 28 Cf. Anm. zu 59 6 5211 Byron, Childe Harold’s Pilgrimage. London 1812—1818 3 Cf. Anm. zu 7639 27 Cf. in diesem Bande 23 sqq. 30 Athenäum für Wissenschaft, Kunst und Leben. Eine Monatsschrift für das gebildete Deutschland. Nürn¬ berg 1838—39. 2. Jg., 3. Heft, 1. III. 1839: „Notizen“ 5222 Cf. Anm. zu 18433 19—20 Cf. Anm. zu 1824 22 „bitterste Erfahrungen“ findet sich in Leos „Hegelingen“ nicht. Vielleicht bezieht sich E. auf die Stelle im Nachtrag der Leipziger Ausgabe von 1838, p. 48 : „.. . ich habe an der Leicht¬ fertigkeit, mit der man über mich geschrieben ... in jüngster Zeit Erfahrungen gemacht, die es mir als eine Lebenspflicht auflegen, den Krebs der Lüge ... bis auf die geringsten Wurzeln aufzuschneiden ...“ 23—24 Heinrich Leo, Sendschreiben an J. Görres. Halle 1838 5234 Cf. Anm. zu 7221 5248 Cf. Anm. zu 1824 52536—36 EvKZ 20., 23. u. 27. III. 1839, Nr. 23—25, p. 177 sqq., 185 sqq., 195sqq.: „Die Grenzen der Naturbetrachtung“ 42—43 Cf. Anm. zu 207 19 52614—15 1. Ep. Petri 2,2 52941—42 Dr. C. Märklin, Darstellung und Kritik des modernen Pietismus. Ein wissenschaftlicher Versuch. Stuttgart 1839 53010 Cf. Anm. zu 1824 53110—17 Matthaeus 7, 7—9 30—32 2. Ep. Joh. 10 5326 Cf. Anm. zu 1824 53432 Goethe, Götz von Berlichingen. 1773 53520—30 Christian Herm. Weisse, Die evangelische Geschichte, kritisch und philo¬ sophisch bearbeitet. 2 Bde. Leipzig 1838 53612—13 Karl Beck, Nächte. Gepanzerte Lieder. Leipzig 1838. p. 17: „Dritte Nacht. Gang um Leipzig“ 16—23 Ib. p. 27 : „Fünfte Nacht. Schillers Haus in Gohlis“ 18 Er klomm, ein Teil, der Menschheit Höh’n hinan] bei Beck Es klomm sein Geist, ein Teil, den Berg hinan 19 Hüfthorn laut] bei Beck Hüfthom weit 20 ruhig] bei Beck rüstig 53627 Cf. Anm. zu 51940—41 29 Cf. in diesem Bande 23 sqq. 38 Cf. Anm. zu 4974 53722—35 Karl Beck, Der fahrende Poet. Leipzig 1838. Dritter Gesang: Weimar. 52 24 Du, Du warst] bei Beck O, Du warst 29 Dein wärmstes Leben
Zitaten* und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 659 und Dein tiefstes Leben] bei Beck Dein tiefstes Lieben und Dein wärmstes Leben 5891 Die Zauberflöte. Oper in 2 Akten v. W. A. Mozart. Text v. E. Schika¬ neder. Wien 1791 4 K. Gutzkow, König Saul. Trauerspiel in 5 Auf¬ zügen. Hamburg 1839 Id., Skizzenbuch. Cassel 1839 5 Th. Creizenach, Dichtungen. Mannheim 1839 5—« Cf. Anm. zu 1442^—29 6—7 L. Wien¬ barg, Die Dramatiker der Jetztzeit. 1. Heft. Altona 1839 io Ed. Beur¬ mann, Deutschland und die Deutschen. Bd. III, p. 147 sq. n Friedrich v. Smitt, Geschichte des polnischen Aufstandes und Krieges in den Jahren 1830 u. 1831. 3 Teile. Berlin 1839 ia—16 Ib. Teil I, p. 137: „Fortgang des Auf¬ standes bis zur Bekanntmachung des Manifestes gegen Rußland.“ Griechisches Motto nebst folgender Übersetzung: „Übermütig geworden in Hinsicht der Zu¬ kunft und über ihr Vermögen hoffend, obgleich noch unter ihren Wünschen, haben sie Krieg erhoben und verlangt, Gewalt vor Recht zu setzen; denn da sie sich des Siegs gewiß hielten, haben sie uns unbeleidigt angegriffen. Thucy¬ dides III., c. 39“ 17—18 Graf Roman Soltyk, Polen, geographisch und historisch geschildert (Geschichte des polnischen Freiheitskampfes 1830 u. 1831). 2 Teile in einem Band. Hamburg 1834 5408 Cf. Anm. zu 58 38 39 Emst Moritz Arndt, Des Deutschen Vaterland. Musik v. Gustav Reichardt. Zuerst erschienen in Lieder für Deutsche. [Ohne Orts¬ angabe] 1813 5415—6 Leonardo Leo, Miserere. Achtstimmig im A-cappella-Stil. 1739 5421—2 Travestie des Liedes von Friedr. Leopold Graf zu Stolberg, Lied eines alten schwäbischen Ritters an seinen Sohn („Sohn, da hast Du meinen Speer . ..“). Der Wandsbecker Bothe, 14. V. 1774 54814—15 Ep. Pauli an die Galater 3,17 54641 Cf. Anm. zu 1824 5477 Darlegung der Hauptresultate aus den wegen der revolutionären Complotte der neueren Zeit in Deutschland geführten Untersuchungen. Auf den Zeit¬ abschnitt mit Ende Juli 1838. Frankfurt a. M. [1839] 19 J. Venedey, Preußen und Preußentum. Mannheim 183 9 35 Cf. Anm. zu 58$& 54910 Th. Creizenach, Dichtungen. Mannheim 1839. p. 85 sqq.: „Der schwäbische Apoll“ 5502 Emst von der Haide, Buch der Wanderungen, Ostsee und Rhein. Hg. v. Karl Grün. Cassel 1839 5—9 Ib. p. XXV 5 Sophokles ist das] bei Grün ist (selbst) das 6—7 seine titanischen Ausbrüche an der Mauer absoluter Notwendigkeit] bei Grün an derMauer absoluter Notwendigkeit seine titanischen Ausbrüche 33 Cf. Anm. zu 58 38 34 L. Börne, Gesammelte Schriften. Ham¬ burg 1835. 14 Bde. Bd. IX—XIV: Briefe aus Paris. Cf. auch Anm. zu 5523—24 34—35 Cf. Anm. zu 54719 37 Cf. Anm. zu 550 m. Zitate verglichen nach L. Börne, Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. v. Ludwig Geiger. 12 Bde. Bd. VI—VII: Briefe aus Paris. Berlin 1912—1913 55039—55117 Ib. Bd.VH, 39. Brief, p. 172 39 wenn ich der liebe Gott wäre . . . wieder aufstehen] bei Börne Ach ! wenn ich Gott wäre, welche Späße wollte ich mir machen mit Bavaria-Hellas! Ich ließ in einer Nacht alle die herrlichen Griechen aller Zeiten und aller Städte aus dem Grabe hervor¬ steigen 43—44 Alles macht sich auf] bei Börne alles gerät in Bewegung 44—45 alle eilen zum Piräus] bei Börne alle eilig zum pyräischen Tor hinaus 45 König Otto ist ausgestiegen] bei Börne König Otto tritt majestätisch hervor 5511—2 Der Himmel hat ... angenommen] bei Börne der Himmel trägt 8—9 Seht nur, wie die ölbäume] bei Börne Seht wie die ölbäume io nicht viel eher] bei Börne nicht viel früher 15 Das Eingeklammerte Zusatz von E. 42*
660 Zitaten, und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 2a—23 L. Börne, Gesammelte Schriften, Hamburg 1835. 14 Bde. Bd. V: Schil¬ derungen aus Paris 23 Ib. Bd. I—II: Dramaturgische Blätter. Cf. auch Anm. zu 519 21 24 Ib. Bd. VI: Fragmente und Aphorismen; Bd. VII: Kritiken 24—25 Ib. Bd. IX—XIV: Briefe aus Paris 25 Cf. Anm. zu 5833 55211—12 David Friedrich Strauß, Charakteristiken und Kritiken. Eine Sammlung zerstreuter Aufsätze aus den Gebieten der Theologie, Anthropologie und Aesthetik. Leipzig 1839, p. 2 sqq.: „Schleiermacher und Daub in ihrer Be¬ deutung für die Theologie unsrer Zeit“ 15 Cf. Anm. zu 20719 25—29 Fr. Aug. G. Tholuck, Die Glaubwürdigkeit der evangelischen Geschichte, zu¬ gleich eine Kritik des Lebens Jesu von Strauß, für theologische und nicht theologische Leser dargestellt. Hamburg 1838 5531 Joh. Aug. Wilh. Neander, Das Leben Jesu Christi, in seinem geschichtlichen Zusammenhänge und seiner geschichtlichen Entwicklung dargestellt. Hamburg 1837 10 Cf. Anm. zu 18310 32 Cf. in diesem Bande 57 sqq. 6557-8 EvKZ 1.1., 4. L, 8. L, 11. I., 15. I., 18. I., [22. I. u. 25. I.] 1840, Nr. 1—8, p. 1 sqq., 9 sqq., 17 sqq., 25 sqq., 33 sqq., 41 sqq., [49 sqq., 57 sqq.]: „Vorwort“ 10—13 Cf. ib. p. 35 sq. 19 Cf. Anm. zu 1251—8 25 Cf. Anm. zu 18433 5561—3 Cf. Anm. zu 55211—12 4 D. Fr. Strauß, Charakteristiken und Kritiken ... p. 301 sqq. : Geschichten Besessener neuerer Zeit 1 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Hg. v. E. Gans. Hegels Werke. Bd. IX. Berlin 1837 9—io Literarischer Anzeiger für christliche Theologie und Wissenschaft überhaupt. Hg. v. A. Tholuck. Jg. 1840, Nr. 1 u. 2, p. 1—11: „Vorwort des Herausgebers zum zehnten Jahrgange“ 35—36 Bremer Kirchen¬ bote 12. u. 19. I. 1840, Nr. 1—2. Friedrich Mallet: „Vorwort“, p. 14. Cf. auch Anm. zu 12513—11 55716—17 Grillparzer, Weh dem, der lügt. Lustspiel in 5 Aufzügen. Wien 1840 5580—24 Cf. Allgemeine Preußische Staats-Zeitung 20. I. 1840, Nr. 20, p. 79: Rede gesprochen im Ritter-Saale des Königlichen Schlosses bei der Feier des Krönungs- und Ordensfestes am 19. Januar 1840 von dem Ersten evangelischen Bischöfe, Kgl. Hofprediger und Domherrn Dr. Eylert 20—23 Alle für Einen und Einer für Alle sei Preußens Regierungsprinzip] bei Eylert ... das lebens¬ volle monarchische Prinzip, das in dem Ursatze sich ausspricht: „Einer für Alle und Alle für Einen“ 23—24 Niemand flicke einen alten Lappen auf ein neues Kleid] bei Eylert Niemand flickt ein altes Kleid mit einem neuen Lappen 25 Carl v. Rotteck, Allgemeine Weltgeschichte für alle Stände, von den frühesten Zeiten bis 1831, mit Zugrundelegung seines größeren Werkes. 4 Bde. Stutt¬ gart 1833—1839. Bd. IV, p. 337 56228 Cf. Anm. zu 20713 u. zu 1851 32—33 Cf. Anm. zu 6523 56843—44 Cf. Anm. zu 10713—14 5641—2 R. E. Prutz, Der Rhein. Gedicht. Leipzig 1840 9 Cf. in diesem Bande 96 sqq. 57818—19 Das Nachtlager von Granada. Romantische Oper in zwei Akten von Konradin Kreutzer, Text nach Fr. Kinds gleichnamigem Drama von Frhr. v. Braun. Wien 1834 28—24 Cf. Anm. zu 5391 57632 Kirchenlied von Martin Luther. Erstdruck 1529 57718 Jacopone da Todi, Stabat mater 57819 Cf. Anm. zu 101 25 Cf. Anm. zu 12433 58188—39 Von Adolf v. Thümmel. Lebens Überdruß] bei Thümmel Unverstand 69729—30 Matthias Claudius, Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen. 8 Teile. 1775—1812. T. III: Rheinweinlied („Bekränzt mit Laub den lieben vollen Becher ...“)
Zitaten- und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen 661 59813 Nikolaus Lenau, Faust. Ein Gedicht. Stuttgart u. Tübingen 1836 15—16 F. L. G. v. Raumer, Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit. 6 Bde. Leipzig 1823—1825. 2. verb. u. verm. Aufl. Leipzig 1840 17—18 Fr. Diez, Grammatik der romanischen Sprache. 2 Teile. Bonn 1836—1838 6042 Cf. Anm. zu 10713—14 13—16 Die zweite Strophe lautet „Schwarz die Vergangenheit, Rot und freudig die Gegenwart, Golden die Zukunft!“ 1848 wurde das Lied wieder gesungen und im Hagener Kreisblatt, März 1848 abgedruckt als Gedicht eines Unbekannten 60629 Goethe, Sämmtliche Werke. 40 Bde. Stuttgart 1840 32 Ib. Bd. XV: Die Wahlverwandtschaften 6091—2 Pergolese, Stabat mater. Beendigt 1736. Cf. auch Anm. zu 577 18 6 F. v. Mendelssohn-Bartholdy, Paulus. Oratorium. Erstaufführung in Düsseldorf 1836 61226 L. v. Beethoven, G-moll Symphonie. Geschrieben 1807. Erstaufführung 1808 27 Id., Es-dur Symphonie „Eroica“. Geschrieben 1804. Erstaufführung 1805 619ß Karl Werder, Christoph Columbus. Trauerspiel in 5 Akten. Erstaufführung am 7. I. 1842 im Kgl. Opernhause Berlin. Ouvertüre und Zwischenakts-Musik aus Beethovenschen Symphonien. Als Buch erschien das Stück umgearbeitet Berlin 1858 6815 Cf. in diesem Bande 323 sqq. 9 Cf. in diesem Bande 181 sqq. 16 Cf. in diesem Bande 229 sqq. 68225 Königsberger Literaturblatt 20. VII. 1842, Nr. 42, p. 329 sqq.: Alexander Jung, Ein Bonbon für den kleinen Oswald, meinen Gegner in den deutschen Jahrbüchern. Verzeichnis der ersten Wiederabdrucke Im folgenden vermerken wir die Publikationen t in denen einzelne Texte des zweiten Bandes noch vor unserer Gesamtausgabe zum ersten Male nach dem Erstabdruck oder aus dem Manuskript veröffentlicht worden sind: Briefe aus dem Wuppertal (p. 23—46) : Friedrich Engels, Schriften der Frühzeit. Ges. u. hg. v. Gustav Mayer. Berlin 1920, p. 20—39. Bei Gustav Mayer fehlt der Text auf p. 42—44 unserer Ausgabe. Die deutschen Volksbücher (p. 49—56): Ib. 98—105 Karl Beck (p. 57—61): Ib. 106—110 Retrograde Zeichen der Zeit (p. 62—66): Ib. 110—115 Platen (p. 67—68): Ib. 115—117 Joel Jacoby (p. 69—71): Neue Zeit, 1921. Bd. 39/1, p. 209—210 Requiem für die deutsche Adelszeitung (p. 72—75): Engels, Schriften der Frühzeit. p. 117—121 Landschaften (p. 76—82): Ib. 121—127 Ein Abend (p. 83—87): Ib. 127—131 Sanct Helena (p. 90): Ib. 131 Siegfrieds Heimat (p. 91—95): Ib. 134—139 Emst Moritz Arndt (p. 96—108): Ib. 139—152 Immermanns Memorabilien (p. 111—118): Ib. 155—163 Schelling über Hegel (p. 173—180): Ib. 167—174
662 Zitaten, und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen Schelling und die Offenbarung (p. 181—227): Documente des Socialismus. Hg. v. Ed. Bernstein. Bd. I. Berlin 1902. p. 555—558. „Aus der Schrift: Schelling und die Offenbarung“. Mitgeteilt v. Doubleyou [Dr. W. Pappenheim]. In den „Docu¬ menten“ nur der Schluß der Broschüre, in unserem Bande p. 224—227, abgedruckt. Der Triumph des Glaubens (p. 253—281): Engels, Schriften der Frühzeit, p. 210—239 Nord- und süddeutscher Liberalismus (p. 287—289): Ib. 174—177 Tagebuch eines Hospitanten I (p. 290—292): Ib. 179—182 Rheinische Feste (p. 293—295): Ib. 177—179 Tagebuch eines Hospitanten II (p. 296—298): Ib. 182—185 Glossen und Randzeichnungen zu Texten aus unserer Zeit (p. 299—302): Ib. 185—187. Bei Gustav Mayer fehlen, die Zitate aus Walesrode. Alexander Jung, Vorlesungen über die moderne Literatur der Deutschen (p. 323—335): Ib. 187—200 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen (p. 339—346): Ib. 200—207 Die innem Krisen (p. 351—355): Ib. 243—247 Englische Ansicht über die innem Krisen (p. 356—357): Ib. 247—248 Stellung der politischen Partei (p. 358—360): Ib. 249—251 Lage der arbeitenden Klasse in England (p. 361—362): Ib. 251—252 Die Komgesetze (p. 363—364): Ib. 253—254 Briefe aus London (p. 365—376): Ib. 254—266 Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie (p. 379—404): Neue Zeit, 1891. Bd. 9/1, p. 236—254.—Mehring, Nachlaßausgabe. Bd. I. Stuttgart 1902. p. 432—460 Die Lage Englands (p. 405—431) : Mehring, Nachlaßausgabe. Bd. I, p. 461—490 Progreß of Social Reform on the Continent (p. 435—442): The Social- Democrat. London. Vol. XIII. 1909. p. 517—522. Nicht vollständig abgedruckt, in unserem Bande p. 435—440. — Deutsche Ueberseizung in „Neue Zeit“, 1910, Bd. 28/1. p. 427—431. — Der letzte Abschnitt des Aufsatzes in deutscher Über¬ setzung mitgeleilt in N. Rjazanoff: „Friedrich Engels’ Jugendarbeiten“. Der Kampf. Wien 1914. p. 159—161. Germany and Switzerland (p. 443—449) : Der Kampf. Wien 1914. p.162—167. In deutscher Uebersetzung. Gedicht aus dem Jahre 1836 (p. 464): Die Internationale. Eine Zeitschrift für Praxis und Theorie des Marxismus. 1920. Jg. 2, Heft 26. Faksimile. Briefe an die Brüder Graeber (p. 485—564): Die Neue Rundschau. XXIV. Jahrgang der freien Bühne. Berlin, September u. Oktober 1913. Heft 9 u. 10, p. 1245—1257, p. 1396—1416: „Friedrich Engels, Jugendbriefe“. Mitgeteilt von Gustav Mayer. 15 Briefe nur in Bruchstücken. — Engels, Schriften der Frühzeit. p. 3—19, 39—98, 132—134, 152—155. Briefe an die Schwester Marie (p. 567—632) : Deutsche Revue. Eine Monats¬ schrift. Hg. v. Richard Fleischer. Stuttgart u. Leipzig 1920. 45. Jg., 4. Bd., p. 127—138, 218—228 : „Briefe von Friedrich Engels an Mutter und Geschwister“. Mitgeteilt von Gustav Mayer. Bei Gustav Mayer sind, von, den in unserer Ausgabe veröffentlichten 29 Briefen nur 13 abgedruckt. Brief von Engels (Oswald) an Arnold Ruge vom 15. Juni 1842 (p. 631) : Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung. Hg. v. Carl Grün¬ berg. 11. Jg. Leipzig 1925. p. 184—185: „Ein Brief von Friedrich Engels (Os¬ wald) an den Herausgeber der Deutschen Jahrbücher“. Mitgeteilt von N. (D.) Rjasanoff. Mit einer Vorbemerkung von Carl Grünberg. Brief von Engels an Arnold Ruge vom 26. Juli 1842 (p. 631—632): Die Inter¬ nationale. 1920. Jg. 2 Heft 26: Ein unbekannter Brief Friedrich Engels’. Mit¬ geteilt von E. Drahn. Faksimile.
NAMENREGISTER
Bei allgemein bekannten Namen geben wir nur Geburts- und Todesdatum, bei weniger bekannten außerdem ein kennzeichnendes Stichwort. Biographische Notizen fügen wir nur bei den Namen hinzu, die in den allgemein bekannten Nachschlage¬ werken nicht zu finden sind (Allgemeine Deutsche Biographie; Brockhaus’ und Meyers Konversationslexikon; Larousse, Grand Dictionnaire Universel; La Grande Encyclopédie; Encyclopaedia Britannica; Dictionary of National Biography; Paulys Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft; R. Eisler, Philosophen¬ lexikon; Herzog-Haucks Realenzyklopädie der protestantischen Theologie und Kirche; Goedeke, Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung) ; hierbei wird besonders die erste Hälfte der vierziger Jahre berücksichtigt. Literarische und mythologische Namen werden durch Kursivschrift bezeichnet. Den 2. Halbband des 1. Bandes unserer Gesamtausgabe zitieren wir ohne Titel und Abkürzung nur durch die Ziffern 1/2. Die in der Einleitung und im Zitaten- und Titelnachweis vorkommenden Namen werden im Register nicht berücksichtigt.
Abner (Figur aus K. Becks „Saul“) 61 Achaios 479 Achilleus 64 464 Adam 113 544 546 Adam, Charles Adolphe, französischer Komponist (1803—1856) 108 Adolf s. Adolf v. Griesheim Adrastos 478 479 Aegeus 462 Agenor 478 479 Ahasvérus 52 53 497 548 Aischylos (525—456 v. Chr.) 516 517 Alberich 91 Alexander der Große (356—323 v. Chr.) 110 Alexander L, Kaiser von Rußland (1777 —1825) 559 Alexis, Willibald [Georg Wilhelm Hä¬ ring] (1798—1871) 502 Alison, Sir Archibald, Historiker, Anti- Malthusianer (1792—1867) 396 398 Alison, William Pulteney, englischer Arzt (1790—1859) 413 Altenstein, Karl v. (1770—1840) 102 185 342 Alvensleben, Ludwig v., Novellist und Publizist (1800—1868 ) 73 105 d’Alviella, Louis Goblet, comte, aus Brüssel. Sohn des 1790 geb. belgi¬ schen Generals und Staatsmannes Al¬ bert-Joseph Goblet, comte d’Alviella. Studierte 1841/42 an der Bonner phi¬ losophischen Fakultät. 625 Amphiaraos 478 Andreä, Friedrich Wilhelm, Verfasser heraldischer Bücher 319 Andronicus, Livius (gest. ca. 220 v. Chr.) 51 Aphrodite 40 Apollon 410 Archimedes (ca. 287—212 v. Chr.) 130 Arethusa 141 Argeia 478 479 Argos 462 479 Ariadne 215 462 Ariosto, Ludovico (1474—1533) 516 Aristoteles (384—322 v. Chr.) 550 Arkwright, Sir Richard (1732—1792) 403 Arminius (Lohenstein, Großmüthiger Feldherr Arminius . . .) 66 Arndt, Ernst Moritz (1769—1860) 96—98 100 103—106 108 564 Arnim, Bettina v., geb. Brentano (1785— 1859) 63 497 Ashley, Lord s. Shaftesbury Aspasia (5. Jh. v. Chr.) 233 Athalie (Racine) 64 Athene 40 478 479 Atrytone s. Athene Attila (gest. 453) 40 41 (Godegisel) Baader, Franz Benedict v. (1765—1841) 335 Baal 181 Babeuf, Gracchus (1760—1797) 436 439 Bach, Johann Sebastian (1685—1750) 145 Bade, Karl, Militärschriftsteller, preußi¬ scher Artillerie-Offizier, Teilnehmer an der Schlacht von Leipzig. Lebte in den vierziger Jahren in Altona und Hamburg. 98 Bagel, Verlagsbuchhandlung in Wesel 35 Bairstow, Jonathan R. H., Chartist. Geb. um 1819. Begann politisch hervorzu¬ treten 1839. Mitglied der „Conven¬ tion“ vom 12. IV. 1842, London, welche die „National Petition“ aus¬ arbeitete. Einer der 57 Angeklagten in dem großen Prozeß gegen die Chartistenführer vor den Assisen zu Lancaster März 1843. Emigrierte später nach Amerika. 441 Bakchos 294 Ball, Hermann, Sohn des Lederhändlers Johannes Ball in Barmen. Reformier¬ ter Pfarrer erst in Wülfrath, dann in Elberfeld. Später Superintendent. Gest. 1860. 31 506 Barmby, Goodwyn, religiöser Sozialist (1820—1881) 454 Bauer, Bruno (1809—1882) 253—259 261 262 264 267 268 270 271 273 275 277—281 292 324 340 424 425 448 Bauer, Caroline, Schauspielerin (1807— 1877) 121 Bauer, Edgar (1820—1886) 268 (Radge), 270 271 277 449 Beck, Karl (1817—1879) 57—61 65 66 497 503 520 521 535—537 540 553 Becker, Nikolaus, Dichter des Rhein¬ liedes (1809—1845) 107 563 Beethoven, Ludwig van (1770—1827) 59 108 145 557 612
666 Namenregister Behemoth 411 Belial 233 418 Belle Isle, Mademoiselle de (Dumas) 64 Bellini, Giovanni (1801—1835) 59 108 Beltz, Karl Christian, geb. 5. IX. 1807 in Kirna a. d. Nahe. Besuchte das Gymnasium in Kreuznach, studierte in Heidelberg u. Bonn. 1833—54 Lehrer am Elberfelder Gymnasium. Engels’ Lehrer für Griechisch. Eine Zeitlang Redakteur des „Täglichen Anzeigers für Berg und Mark“ und Vorsitzender des „Constitutioneilen Vereins“ in Elberfeld. Gest. 2. XII. 1857. 36 Ben Jonson s. Jonson Bergmann, Joh. H., Zuckermakler in Bremen 557 Bernhard, ein Barmer Jugendbekannter oder Verwandter von Friedrich Engels, vielleicht Bruder von Engels’ Mutter (Bernhard van Haar) 613 Berthollet, Claude Louis, comte, franzö¬ sischer Chemiker (1748— 1822) 388 Bettine s. Bettina v. Arnim Beurmann, Eduard, geb. 14. IV. 1804 in Bremen. Studierte 1823—27 in Göt¬ tingen, wurde dann Advokat in Bre¬ men. Lebte von 1832 ab in Frank¬ furt, Kassel und zuletzt in Berlin, wo er am 16. II. 1883 starb. Er spielte politisch eine zweideutige Rolle. Einerseits unterhielt er Beziehungen zu radikal-demokratischen Kreisen, andrerseits war er jahrelang Konfi¬ dent der Metternich-Regierung. 144 502 503 535 539 „Beutel, Bruder“ s. C. H. Sack Binder, Robert, Verlag in Leipzig. Er¬ losch 1863. Publizierte hauptsächlich radikale Literatur. 181 Blank, Wilhelm, geb. April 1821 in Elberfeld als Sohn eines Kaufmanns. Bestand sein Abitur im August 1838 am dortigen Gymnasium. Später Hauptmann. Naher Jugendfreund von Friedrich Engels. Gest. 1892. 490 504 506 518 519 521 542 559 612 616 Blasedow (Gutzkow, Blasedow und seine Söhne) 76 521 Bleek, Friedrich, evangelischer Bibel¬ forscher (1793—1859) 563 Blücher, Gebhard Leberecht, Fürst von Wahlstatt (1742—1819) 265 271 274 277 Blum, Karl Ludwig, Komponist und Ver¬ fasser leichter Theaterstücke (1786— 1844) 121 Bluntschli, Johann Kaspar (1808—1881) 445 Böhme, Jakob (1575—1624) 489 Börne, Ludwig (1786—1837) 55 58 59 61 65 68 84 96 101—103 288 301 327 330 437 502 519 525 535—537 540 547 550 551 553 Borgia, Lucretia (Victor Hugo) 64 Boz s. Dickens Brandis, Christian August, Altphilologe und Philosoph (1790—1867) 262 Bredt, August, aus Barmen. Geb. 1817. 1848 Landtagskommissar, als solcher von Manteuffel als „böser 48er“ ver¬ schrien, weil er für die Steuerver¬ weigerung gestimmt habe. 1855—79 erst Bürgermeister, dann Oberbürger¬ meister von Barmen. Später Herren¬ hausmitglied. Gest, in Honnef a. Rh. 23. III. 1895. 626 Brutus, Marcus Junius (85—42 v. Chr.) 233 499 Bülow - Cummerow, Emst Gottfried Georg v., konservativer Publizist (1775—1851) 296 345 Buhl, Ludwig Heinrich Franz {Patriot), geb. 1814, Junghegelianer. S. Namen¬ register 1/2 268 277 278 Bunsen, Carl, Sohn des Diplomaten Chri¬ stian Carl Josias Bunsen. Geb. 9. XI. 1821. Studierte 1841/42 an der Bon¬ ner juristischen Fakultät, schlug dann die diplomatische Laufbahn ein. 625 Buonarroti, Filippo Michele (1761— 1837) 436 Busiris 301 Byron, George Noel Gordon, Lord (1788 —1824) 81 324 366 521 Cabet, Etiehne (1788—1856) 439 441 442 444 451 452 Caesar, C. Julius (100—44 v. Chr.) 516 Calcar, Jan van, holländischer Maler (ca. 1460—1519) 93 Calderon, Pedro, de la Barea (1600— 1681) 83 86 Calvin, Johannes (1509—1564) 45 78 555 Capelle, Emst Friedrich Conrad, geb. 27. II. 1790 in Hom (Lippe-Detmold). Studierte in Marburg Theologie. 1816—1847 Pastor an der Bremer Kirche Unserer lieben Frauen. An¬ hänger von Paniel. Gest. 27. V. 1847 in Bremen. 563 Cardenio (Immermann, Cardenio und Celinde) 520 Carlos, Don (Schiller) 131 Carlyle, Thomas (1795—1881) 365 405 408 411—413 415 418—420 423—426 428—431 Carrière (Carrière), Moriz, Junghege¬ lianer, Ästhetiker (1817—1895) 38 Cartwright, Edmund (1743—1823) 388 Cato, M. Porcius (239 od. 234—149 v. Chr.) 233
Namenregister 667 Cercyon 462 Cerdic, Häuptling der west-sächsischen Stämme, die im 5. und 6. Jh. Süd- Britannien eroberten. 417 Cervantes, Saavedra Miguel de (1547— 1616) 521 Chamisso, Adalbert v. (1781— 1838) 67 Chapeau, 1842 Student in Bonn 625 Childe Harold (Byron, Childe Harold’s Pilgrimage) 521 Cicero, M. Tullius (106—43 v. Chr.) 300 480 Cid Campeador (ca. 1050—1099) 64 101 499 Claudius (Deutsche Volksbücher) 54 Clauren, H. [Karl Gottlieb Samuel Heun], Novellist (1771—1854) 520 Clausen, Johann Christoph, geb. 15. XI. 1806 in Ratingen b. Düsseldorf. Stu¬ dierte in Göttingen u. Bonn, kam 1832 ans Elberfelder Gymnasium als Lehrer; später Oberlehrer und Pro¬ fessor. Engels’ Lehrer in Deutsch, Geschichte und Geographie. Er ver¬ öffentlichte auch einige literarische Arbeiten. Gest. 3. I. 1877. 36 Clemens (Deutsche Volksbücher) 54 Cleners, aus Barmen 585 Clio 40 Cobden, Richard (1804—1865) 406 Columbus, Christoph (1446—1504) 437 619 Considérant, Victor, Fourierist (1808— 1893) 438 452 Constant, Abbé Alphonse Louis (1816— 1875). Schrieb auch unter dem Pseu¬ donym Eliphas Lévy. Religiöser So¬ zialist. Autor zahlreicher Schriften. Verfaßte zusammen mit F. Lamennais „Le Deuil de la Pologne, protestation de la démocratie française et du so¬ cialisme universel“, Paris 1847. Wurde gegen Ende der fünfziger Jahre Okkultist. 454 Constant de Rebecque, Benjamin (1767 —1830) 452 Cooper, Thomas, Chartistenführer (1805 —1892) 369 Copernicus, Nicolaus (1473—1543) 13 Corneille, Pierre (1606—1684) 116 Cousin, Victor (1792—1867) 332 Creizenach, Theodor, Schriftsteller und Pädagoge (1818—1877) 58 497 539 549 Crompton, Samuel, englischer Erfinder (1753—1827) 403 Cromwell, Oliver (1599—1658) 418 Cuvier, Georges, Baron de (1769—1832) 209 D. s. Dürholt Damokles Yl Danaer 462 478 479 Dante Alighieri (1265—1321) 43 Danton, Georges Jacques (1759—1794) 256 273 278 279 Daub, Karl, protestantischer Theologe spekulativer Richtung (1765—1836) 552 556 David 41 61 69 253 501 Davy, Sir Humphrey, englischer Chemi¬ ker (1778—1829) 388 401 Delius, Nicolaus, Philologe, später als Shakespeareforscher bekannt (1813 —1888) 124 Derkhiem, Angestellter bei der Firma Leupold in Bremen 592 594 599 Descartes, René (1596—1650) 185 Diana 93 Dichter von „Heil Dir im Siegerkranz“ s. B. G. Schumacher Dickens, Charles (Boz) (1812—1870) 455 Diest, Otto Carl Erich Heinrich, aus Berlin. Studierte 1841/42 an der Bonner juristischen Fakultät. 625 Diesterweg, Friedrich Adolf, Lehrer und liberaler pädagogischer Schriftsteller (1790—1866) 36 Diez, Christian Friedrich, romanischer Philologe (1794—1876) 598 Dingelstedt, Franz v. (1814—1881) 38 58 503 Diogenes, der Kyniker (412—323 v. Chr.) 487 550 551 Dionysos 216 Dirke 478 Döring, Karl August, Pfarrer in Elber¬ feld, Pietist (1783—1844) 31 39 45 506 Doherty, Hugh, Fourierist; Herausgeber der Zeitung „The London Phalanx“, Mitarbeiter an Owens „The New Mo¬ ral World“ und Considérants „La Phalange“. 438 Dombrowski, Jan Henryk, polnischer Ge¬ neral (1755—1818) 109 Donizetti, Gaetano (1797—1848) 108 131 Don Quijote (Cervantes) 54 300 464 521 Dorothee, die schone (Gedicht von Fr. Graeber) 575 Droste-Hülshoff, Annette, Freiin v. (1797 —1848 ) 81 82 Droste-Vischering, Clemens August, Frei¬ herr v., Erzbischof von Köln (1773 —1845) 342 Duchätel, Charles Marie Tanneguy, comte, Minister im Kabinett Guizot (1803—1867) 296 Dürholt, Kontorist aus Unterbarmen (D.) 41 506 Duller, Eduard, Romanschriftsteller (1809 —1853) 41 65 498 504 Dumas, Alexandre (1802—1870) 64
668 Namenregister Duncombe, Thomas Slingsby, radikaler englischer Politiker (1796—1861) 367 369 Duntze, Dr., 1839 Bürgermeister von Bre¬ men 581 Eberlein, Angestellter der Firma Leu¬ pold, Bremen 568 598 600 Ebert, Karl Egon, deutsch-böhmischer Dichter (1801—1882) 504 Eckart 96 534 537 Edelmann, Johann Christian, Freidenker (1698—1767) 256 279 Egen, Peter Caspar Nicolaus, geb. 26. IV. 1793 in Breckerfeld b. Arnsberg. 1812—1822 Rektor in Halver, 1822 —1830 Lehrer am Gymnasium zu Soest. 1830—1848 Direktor am El¬ berfelder Gymnasium. Dann Regie¬ rungsrat im Handelsministerium und Direktor des kgl. Gewerbe-Instituts in Berlin, wo er am 24. VIII. 1849 starb. Während seiner Elberfelder Dienstzeit sehr tätig für die Entwick¬ lung der Eisen-, Stahl- und Baum¬ wollindustrie, des Eisenbahnwesens usw. im Wuppertal 35 43 Eichhoff, Karl Johann Ludwig, geb. 19. III. 1805 in Weilburg. Studierte Phi¬ lologie in Bonn und Berlin, wo er Hegel, Schleiermacher und Lach¬ mann hörte. Erst Lehrer in Kreuz¬ nach und Krefeld, dann, von 1832 ab, Oberlehrer am Elberfelder Gymna¬ sium. 1845 wurde er Direktor des Gymnasiums in Duisburg, wo er 1882 starb. Er war Engels’ Latein- und Griechisch-Lehrer. Veröffentlichte viele Schriften und Aufsätze. 36 Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich (1779—1856) 344 Eisenbart, Doktor 305 Eli 528 Elias, der Prophet 181 241 279 511 Enak 499 Engelke, Briefträger in Bremen 488 Engels, Adeline, geb. 16. II. 1827 in Barmen, gest. ebenda 14. VIII. 1901. Cousine von Friedrich Engels, Toch¬ ter von Caspar Engels jun. und sei¬ ner ersten Frau Julie, geb. Overbeck. Heiratete Friedrich Lorenz. 567 591 Engels, Anna, geb. 5. XII. 1825 in Bar¬ men, gest. 9. VH. 1853 in Engels¬ kirchen. Schwester von Friedrich Engels. Heiratete 1848 Adolf v. Griesheim. 463 570 572 583 584 603 614 616 Engels, August, senior, geb. 25. VI. 1797 in Barmen, gest. ebenda 26. IV. 1874. Bruder von Friedrich Engels’ Vater. Heiratete 1820 Luise Krebs. Kgl. preußischer Kommerzienrat, Fa¬ brikbesitzer, Teilhaber der Firma „Caspar Engels u. Söhne“ in Bar¬ men. Wiederholt Kirchmeister. Von 1860 ab Herrenhausmitglied. 616 Engels, August, junior, Sohn des vori¬ gen, Vetter von Friedrich Engels. Geb. 12. VII. 1824 in Barmen, gest. ebenda 12. VI. 1855. Fabrikbesitzer in Barmen. Verheiratet 1849—1852 mit Elisabeth Wichelhaus, dann mit Maria de Weerth. 572 585 613 Engels, Caspar, senior, Großvater von Friedrich Engels. Geb. 28. II. 1753 in Barmen, gest. ebenda 20. VII. 1821. Teilhaber des väterlichen Ge¬ schäfts „Caspar Engels u. Söhne“. Errichtete Arbeiterhäuser und eine Schule, Mitbegründer des „Armenver¬ eins“ (1807), Vorsteher des „Kom- vereins“ (zur Beschaffung billiger Le¬ bensmittel nach der Dürre von 1816). Begründer der selbständigen Unter¬ barmer unierten Gemeinde, Haupt¬ stifter der Unterbarmer Kirche. Mu¬ nizipalrat der Stadt Barmen. Ver¬ heiratet 1789—1790 mit Konstantie Korten, dann mit Louise Noot. 461 Engels, Caspar, junior, Sohn des vorigen, Bruder von Friedrich Engels’ Vater. Geb. 30. XII. 1792 in Barmen, gest. ebenda 25. XI. 1863. Trat 1812 in das väterliche Geschäft „Caspar Engels u. Söhne“ ein, seit 1849 allei¬ niger Inhaber des Hauses. Ver¬ heiratet in erster Ehe mit Julie Over¬ beck, in zweiter Ehe mit Alwine Platzhoff, verw. Kampermann. 463 567 Engels, Elisabeth Francisca Mauritzia, Mutter von Friedrich Engels. Geb. 22. IV. 1797 in Hamm i. W. als Toch¬ ter des Rektors van Haar. In ihrer Jugend war sie bei ihrem Onkel, dem Rektor Snethlage in Berlin, in Pen¬ sion. Lebte dann immer in Barmen. Sie stand ihren Kindern näher als der strenge und bigotte Vater. Gest. 29. X. 1873. 460—462 464 567—569 572 575 578 583—585 600 606 615 616 627 Engels, Elise, die jüngste Schwester von Friedrich Engels. Geb. 6. VIII. 1834 in Barmen, gest. 9. III. 1912 in Bonn. Am 3. X. 1854 verheiratete sie sich mit ihrem verwitweten Schwager Adolf v. Griesheim. 463 614 616 Engels, Emil, Bruder von Friedrich Engels. Geb. 9. III. 1828 in Barmen, gest. 30. XI. 1884 in Engelskirchen im Rheinland. Kommerzienrat, Teil¬ haber der Firma „Ermen u. Engels“ in Engelskirchen. In Gemeinde und
Namenregister 669 Stadtverwaltung sehr tätig. Heiratete am 10. V. 1853 Charlotte Bredt. 462 583—585 614 616 Engels, Emilie, Cousine von Friedrich Engels, Tochter von Caspar Engels junior. Geb. 27. X. 1825 in Barmen, gest. 8. I. 1906 in Bonn. Verheiratet mit Karl August Broicher, Regie¬ rungsrat in Köln. 567 Engels, Friedrich, senior, Vater von Friedrich Engels. Geb. 12. V. 1796 in Barmen, gest. ebenda 20. III. 1860. Er war bis 1837 im väterlichen Ge¬ schäft „Caspar Engels u. Söhne“ tätig, gründete dann mit Ermen in Manchester die Baumwollspinnerei „Ermen u. Engels“ und 1841 mit Ermens Bruder eine zweite in Engels¬ kirchen. Pietist; tätig für Kirche, Schulwesen und Stadtverwaltung. 460 —464 488 557 568 575 585 611 616 Engels, Hedwig, Schwester von Fried¬ rich Engels. Geb. 3. I. 1830 in Bar¬ men, gest. in Godesberg 10. IX. 1904. Heiratete 1850 Friedrich Boelling, Kaufmann aus Barmen. 463 583—585 614 616 Engels, Hermann, Bruder von Friedrich Engels. Geb. 29. X. 1822 in Barmen, gest. ebenda 18. HI. 1905. Fabrik¬ besitzer, Teilhaber der Firma „Er¬ men u. Engels“ in Engelskirchen. Wiederholt Scholarch, Kirchmeister, Stadtverordneter usw. Heiratete 1855 Emma Croon. 463 557 570 572 578— 580 585 613 614 616 Engels, Ida, Cousine von Friedrich Engels, Tochter von August Engels senior. Geb. 16. XI. 1822 in Bar¬ men, gest. ebenda 26. X. 1884. Hei¬ ratete 1842 Albert Molineus. 575 597 602 621 622 Engels, Julie, Cousine von Friedrich Engels, Tochter von Caspar Engels junior und dessen erster Frau Julie Overbeck. Geb. 19. V. 1821 in Bar¬ men, gest. 6. I. 1875 in Bonn. Heira¬ tete 1844 Karl Anton Josef Diehl, Weinhändler aus Mainz 575 616 Engels, Julius, Vetter von Friedrich Engels, Sohn von Caspar Engels ju¬ nior und dessen zweiter Frau Alwine Platzhoff, verw. Kampermann. Geb. 8. X. 1818 in Barmen, gest. 28. II. 1883 in Waltersdorf (Nieder-Lausitz). Rittergutsbesitzer. Heiratete 1846 Ottilie Kampermann, eine Halb¬ schwester seiner Schwägerin Luise Kampermann. 463 Engels, Karl, Vetter von Friedrich Engels, Sohn von Caspar Engels ju¬ nior. Geb. 12. IX. 1817 in Barmen, gest. ebenda 7. XII. 1840. 567 575 Engels, Marie, Schwester von Friedrich Engels. Geb. 13. VH. 1824 in Bar¬ men, gest. ebenda 5. IV. 1901. Sie heiratete am 3. VI. 1845 Karl Emil Blank, Fabrikant aus Barmen. Diese Schwester stand Engels am nächsten; auch mit ihrem Mann verbanden ihn politische und freundschaftliche Be¬ ziehungen. 463 565 567 569 571 574 —577 579—586 588—591 593 597 600 602 603 605 606 608 610 611 613—616 619 621—623 Engels, Rudolf, Bruder von Friedrich Engels. Geb. 8. III. 1831 in Barmen, gest. ebenda 15. II. 1903. Teilhaber der Firma „Ermen u. Engels“ in Engelskirchen. Heiratete 1856 Ma¬ thilde Remkes. 462 572 583—585 614 616 Erdmann, Johann Eduard, Hegelianer (1805—1892) 563 Ernst IL, Herzog von Schwaben (ca. 1007—1030) 52 Ernst August, König von Hannover (1771—1851) 300 485 533 558 Eteokles 478 479 Eugen, Prinz (Freiligrath) 38 Eulenspiegel, Till 50 53 488 570 Eules, Betty, aus Bolton; 1843 in Liver¬ pool als Kindesmörderin hingerichtet. 410 Euripides (480—406 v. Chr.) 480 Everaertsche Buchdruckerei, Köln 488 Ewich, Johann Jakob, geb. 23. VIII. 1788 in Wesel. Volksschullehrer in Haldern b. Rees, dann Lehrer in Bud¬ berg. 1823—54 Oberlehrer an der Barmer Stadtschule. Nach seiner Pensionierung lebte er in Burgbrohl b. Brohl, wo er am 15. V. 1863 starb. Vielseitiger pädagogischer Schrift¬ steller. 35 Eylert, Rulemann Friedrich, Bischof, Hof- und Garnisonprediger Friedrich Wilhelms III. (1770-1852) 558 Eyssenhardt, A., Verlag in Berlin; be¬ stand 1835—1863. 229 Faber, Pseudonym eines Mitarbeiters der „Abendzeitung“ in Dresden 511 Faust 52 53 464 488 497 499 506 538 598 Feistkorn, G. W., ein Maler aus Engels* Bekanntenkreis in Bremen. 485 572 576 605 Feldmann, Gustav, Jugendfreund von Friedrich Engels. Geb. Mai 1820 in Elberfeld. Engels’ Mitschüler im Elberfelder Gymnasium. Nach dem Abitur, August 1838, Student der
670 Namenregister Rechts- und Kameral Wissenschaften in Bonn. Später Kammerpräsident in Saarbrücken. 488 Ferdinand VII., König von Spanien (1784—1833) 558 Ferrand, William Busfield, geb. 1809. So¬ zialreformerischer Tory, der Gruppe des „Young England“ nahestehend. Mitglied des Unterhauses für Knares- bourough. Trat für die 10-Stunden- Bill ein und bekämpfte das Armen¬ gesetz (Poor Law). Freund Disraelis. 408 Feuerbach, Ludwig (1804—1872) 178 185 197 207 225 269 271—273 276 324 331 334 388 424 425 448 Fichte, Johann Gottlieb (1762—1814) 115 116 174—176 186 187 262 446 Fichte, Immanuel Hermann, Sohn des vorigen (1796—1879) 182 262 Fierabras (Deutsche Volksbücher) 55 Florencourt, Franz v. [François Chassot de], liberaler Schriftsteller, später katholisch konvertiert (1803—1886) 101 Florens (Deutsche Volksbücher) 54 Fortuna 55 211 Fortunat (Deutsche Volksbücher) 50 55 Fouqué, Friedrich de la Motte (1777— 1843) 74 105 510 537 Fourier, Charles (1772—1837) 395 437 438 441 451 452 Fourierists: 435 438 452 Fourierism: 438 Frankl, Ludwig August, Ritter von Hochwarth, österreichischer Schrift¬ steller (1810—1894) 504 Franz L, Kaiser von Österreich (1768— 1835) 558 Freiligrath, Ferdinand (1810—1876) 35 37—39 41 58 60 65 66 78 81 111 327 497 504 506 537 563 Friedrich IL, König von Preußen (1712 —1786) 113 276 Friedrich Wilhelm III., König von Preu¬ ßen (1770—1840) 37 313 339 342 345 539 558 618 Friedrich Wilhelm IV., König von Preu¬ ßen (1795—1861) 94 187 318 339— 346 448 553 562 618 620 Fry, Elisabeth, englische Quäkerin und Gefängnisreformerin (1780—1845) 92 Gabler, Georg Andreas, Philosoph, He¬ gelianer (1786—1853) 292 Gaddo, Ugolinos Sohn (gest. 1269) 409 Galilei, Galileo (1564—1642) 13 Gans, Eduard (1797—1839) 102 178 181 522 523 536 556 Ganymed 540 Genovefa (Deutsche Volksbücher) 50 53 54 Georg, Sankt 182 562 Gerasimo (Gerasimi), San, palästinensi¬ scher Abt, geb. in Licia (Kleinasien), gest. 475 in dem von ihm erbauten Kloster am Jordan. 51 Gerhard, Verlag, später Buchdruckerei und Buchhandlung in Leipzig 323 Gerhardt, Paulus (1607—1676) 132 Gesenius, Heinrich Friedrich Wilhelm, historisch-kritischer Bibelforscher und Orientalist (1786—1842) 552 Ghismonda (Immermann, Ghismonda, oder die Opfer des Schweigens) 117 Gideon 277 Giselher 73 Gladstone, William (1809—1898) 368 Gluck, Willibald, Ritter von (1714— 1787) 145 Godegisel s. Attila Görres, Joseph v. (1776—1848) 50 51 55 56 69 70 522 Goethe, Johann Wolfgang v. (1749—1832) 35 40 52 59 68 112 123 131 421 424 428 487 488 491 496 497 502 503 506 510 518 520 534 537 538 540 573 606 Götz von Berlichingen (Goethe) 534 Goldmann, Karl Eduard {Pentarchist), Verfasser der anonym erschienenen prorussischen Schrift „Die Europä¬ ische Pentarchie“, Leipzig 1839. Trat um 1823/24 vom Protestantismus zum Katholizismus über ; in Leipzig gab er eine katholische Zeitung und religiöse Propagandaschriften heraus. Dann, bis 1830, stand er in Wien im Dienste Metternichs. Wurde in der Folge Agent der russischen Regierung und lebte in Warschau. Später bot er noch einmal Metternich seine Dienste an, wurde aber von der russischen Regie¬ rung zurückgewonnen. Hielt sich in Warschau auf, kehrte schließlich im russischen Interesse nach Deutschland zurück, wo er u. a. im Rheinland, in Leipzig und Berlin lebte. Dort gest. um 1862/63. Seine letzte Schrift war „Europas Cabinette und Allianzen“, Leipzig 1862, über die Engels in sei¬ nem Briefe an Marx vom 1. VIII. 1862 und Bruno Bauer in seinem Buche „Zur Orientierung über die Bismarck’- scheÄra“, Chemnitz 1880, sprechen. 68 Gorissen, George, Engels’ Hausgenosse in Bremen. 485 Gössner, Johann, geb. 1773. In München katholischer Geistlicher, wo er 1811 eine Gruppe von Pietisten, der „Er¬ weckten“, organisierte. Plante inner¬ halb der katholischen Kirche Grün¬ dung einer Bruderschaft im Sinne der Herrnhuter. 1817, nach Wiederher¬ stellung der Rechte des Jesuiten¬ ordens in Bayern, wurde G. von sei¬
Namenregister 671 ner Kirchenbehörde suspendiert und ging nach Preußen. 1819 von der rus¬ sischen Bibelgesellschaft, deren Prä¬ sident Fürst Golizyn war, nach Pe¬ tersburg berufen. Seine mystischen Predigten hatten gewaltigen Zulauf. Wegen seines Buches „Geist des Le¬ bens und der Lehre Jesu“ wurde er 1824 aus Rußland ausgewiesen. Sein Protektor Golizyn verlor durch diese Angelegenheit seinen Ministerposten. Gössner lebte darauf in Leipzig, dann in Schlesien, wo er zum Protestantis¬ mus übertrat. Ab 1829 Prediger an der Bethlehemskirche in Berlin, wo er am 30. III. 1858 starb. 539 Gottfried von Bouillon, Herzog von Nie¬ derlothringen (gest. 1100 ) 51 464 Gottfried von Straßburg (1. Hälfte des 13. Jh.) 54 Gottfried, Gesima, geb. Timm, aus Bre¬ men. Giftmörderin; vergiftete 19 Per¬ sonen, darunter ihre Eltern und ihre Kinder. Emil Wilhelm Krummacher besuchte sie kurz vor ihrer Hinrich¬ tung im Jahre 1836. 560 Gottsched, Johann Christoph (1700— 1766) 66 Grabbe, Christian Dietrich (1801—1836) 498 Graeber, Franz Friedrich, Pastor, Vater der Brüder Graeber. S. Namen¬ register 1/2. 492 575 Graeber, Friedrich Christ. Ludwig, Sohn des vorigen. Geb. April 1818 in Baerl bei Ruhrort. Mitschüler von Friedrich Engels im Elberfelder Gymnasium ; einer seiner nächsten Jugendfreunde. Nach dem Abitur, August 1838, Student der Theologie in Bonn und Beidin. 1845—1885 Pfarrer in Issum, Kreis Geldern, wo er 1881 Superintendent wurde. 1885 trat er, fast völlig erblindet, in den Ruhestand. Gest. 1895 in Moers. 483 485 486 488 492 493 499 502 504 505 518 523 524 526—529 531—533 535 536 541—543 553 559 562 575 Graeber, Wilhelm, Bruder des vorigen. Geb. April 1820 in Baerl. Nach dem Abitur Student der Theologie in Bonn und Berlin. Später Pfarrer in Essen, wo er 1893 seine Abschieds¬ predigt hielt. Wie sein Bruder Fried¬ rich Klassenkollege und naher Jugendfreund von Engels. 483 485 486 488 490 491 500 506 516 519 533 534 538 541 542 548 559 575 Graeber, Hermann, Bruder der vorigen. Studierte Theologie ; 1836—1840 Hilfslehrer für Latein und Grie¬ chisch an der Barmer Stadtschule. Später Pfarrer in Duisburg-Meide- rich. 542 Graeber, Vetter der Brüder Graeber, lebte während deren Bonner Stu¬ dienzeit in Köln. 575 Graham, Sir James Robert Georges, eng¬ lischer Politiker und Staatsmann, Whig (1792—1861) 366 368 Grave, Bekannter von Engels in Bremen, Angestellter der Firma Leupold. 571 Gregor VIL, Papst (1025—1085) 28 Grel, Jugendfreund von Engels 559 Griesheims: Heinrich Wilhelm v. Gries¬ heim (1779—1859) war verheiratet mit Friederike van Haar, der Schwe¬ ster von Engels’ Mutter. Kgl. preußi¬ scher Hauptmann ; lebte in Hamm i. W. 464 Griesheim, Friderike v., geb. van Haar. Frau des vorigen, Tante von Engels. Geb. 10. I. 1789 in Hamm i. W., gest. 19. XI. 1880 in Bonn. 567 Griesheim, Adolf v., Sohn der vorigen. Geb. 21. XII. 1820 in Hamm i. W., gest. 16. X. 1894 in Bonn. Fabrik¬ besitzer und Teilhaber der Firma „Ermen u. Engels“ in Engelskirchen. Er war erst mit Friedrich Engels’ Schwester Anna, dann mit der jüng¬ sten Schwester Elise verheiratet. 613 Grillparzer, Franz v. (1791—1872) 503 557 Grimm, Jacob (1785—1863) 56 77 485 Grimm, Wilhelm (1786—1859) 56 77 91 Griseldis (Deutsche Volksbücher) 53—56 Groening, Heinrich, geb. 4. X. 1774 in Bremen. Im preußischen Justizdienst tätig. 1817 zum Bürgermeister von Bremen gewählt. Gest. 29. III. 1839. 581 Grosscreutz, v., Pseudonym eines Mit¬ arbeiters der „Abendzeitung“ in Dresden 511 Grün, Anastasius [Anton Alexander Graf von Auersperg] (1806—1876) 71 327 502 503 Grün, Karl, s. Ernst von der Haide Güll, Friedrich Wilhelm, Dichter von Kinderliedem (1812—1879) 39 Guizot, François Pierre Guillaume (1787 —1874) 604 Gutenberg, Johann [Gensfleisch] (ca. 1394—1468) 11 12 14 72 122 123 Gutzkow, Karl (1811—1878) 37 121 323 324 327—331 497 500 502 503 506 519 521 525 526 532 534 535 539 540 548 551 553 Haar, Bernhard van, Friedrich Engels’ Großvater mütterlicherseits. Geb. 6. IV. 1760 in Wesel. Kam 1781 als Lehramts-Kanditat an das Gymna-
672 Namenregister sium in Hamm i. W. Später Lehrer, Oberlehrer u. von 1829 ab Rektor. Pietist. Veröffentlichte unter dem Na¬ men seines Schwagers Bernhard Mo¬ ritz Snethlage eine Broschüre, in der er vorschlug, alle Maschinen zu zer¬ stören und nur als Museums-Modelle zu erhalten. Pensioniert 1833, gest. 20. II. 1837. 462—464 Haar, Francisca Christina van, Frau des vorigen, Großmutter von Fried¬ rich Engels. Tochter des Pfarrers Snethlage aus Tecklenburg, Schwe¬ ster von Carl Wilhelm Moritz Sneth¬ lage. 461 463 464 567 Haar, Ludwig van, Sohn der vorigen. 1812 Forstbeamter in Stromberg. Freiwilliger in den Befreiungskrie¬ gen. 463 Haase, Friedrich, Latinist und Gräcist, hegelisch beeinflußt (1808—1867) 36 Händel, Georg Friedrich (1685—1759) 145 609 Haide, Emst von der [Karl Grün] (1817 —1887) 58 550 Haimonskinder (Deutsche Volksbücher) 50 55 488 Haller, Karl Ludwig v. (1768—1854) 276 340 Hamlet (Shakespeare) 490 520 Hanno, der heilige, Erzbischof von Köln (gest. 1075) 91 Hantschke, Johann Carl Leberecht, geb. 6. VIII. 1796 in Zinnitz b. Luckau, Niederlausitz. Studierte in Leipzig und Halle. 1824—1831 Oberlehrer am Elberfelder Gymnasium, 1831—1842 provisorischer Direktor. Dann Direk¬ tor am Gymnasium in Wetzlar; 1854 pensioniert, gest. 9. VI. 1856. Er war Engels’ Direktor und Lehrer in Latein und Hebräisch. Verfasser vieler Schriften philologischen, pädagogi¬ schen und religiösen Inhalts. 36 463 481 590 606 Hargreaves, James, Erfinder (gest. 1778) 403 Hase, Senator in Bremen 581 Hassel, Verlag in Elberfeld. Ging 1874 an den Verlag Adolf Langewiesche, Godesberg, über. 39 Haydn, Joseph (1732—1809) 145 Dr. He [?] 492 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770 —1831) 57 62 65 69 70 72 74 88 99 101 102 115 118 125 143 173—187 189 194 196—199 201—205 207 210 212 213 223—225 229 234 256—259 263 265 278—280 290—292 296 324—329 331 333 427 446 448 522 523 550 552 553 555 556 563 Hegelianismus, He¬ gelianer, hegelisch: 101 102 115 173 182 188 290 326 332 424 426 446 552— 554 556 Alt-Hegelianer: 118 Jung- Hegelianismus, Jung-Hegelianer: 102 204 324 446 447 Heine, Heinrich (1797—1856) 37 57 58 60 63 72 96 116 328—331 496 502 535 540 554 Heineken, H. A., Makler in Bremen 581 Heinrich der Löwe (Deutsche Volks¬ bücher) 51 Heinrich IV., deutscher Kaiser (1050— 1106) 28 Helena (Deutsche Volksbücher) 54 488 Hell [Karl Gottlieb Theodor Winkler], Literat (1775—1856) 502 504 SU¬ SIS Heller, Wilhelm Robert, Schriftsteller und Journalist (1814—1871) 504 511 Helmes, Johann Jakob, aus Barmen, geb. 1788, Zeuge bei Ausstellung der Ge¬ burtsurkunde von Friedrich Engels. 461 Hengstenberg, Ernst Wilhelm, Hauptver¬ treter der kirchlichen Orthodoxie (1802—1868) 173 253 266 276 277 280 502 524 530 546 552 553 555 562 563 Henning, Leopold v., Althegelianer (1791 —1866) 296 Hera 479 Herakles (Herkules) 462 499 Herbart, Johann Friedrich (1776—1841) 334 Herloßsohn, Karl Georg Reginald [Her¬ loss], liberaler Publizist (1804— 1849) 504 511 Hermann, Reinhard, geb. 1806 in Duis¬ burg als Sohn des Pastors Hermann. Ursprünglich zum Kaufmann be¬ stimmt, entschloß er sich nach vier Jahren kaufmännischer Arbeit zum Theologiestudium, besonders unter dem Einfluß von Gottfried Daniel Krummacher. Kandidat in Mett¬ mann, 1833 Pfarrer in Orsoy, 1836 an der reformierten Kirche in Elber¬ feld. Gest. 1839. Sein jüngster Bru¬ der Eugen gab nach seinem frühen Tode seine Predigten in zwei Bän¬ den heraus. 31 500 506 Herodes Antipas (4 v.—37 n. Chr.) 236 Herschel, Sir William (1738—1822) 412 Herwegh, Georg (1817—1875) 162 327 448 Hesekiel 253 Heß, Johann Friedrich, Deckverlag un¬ ter dem Namen eines Setzers des Lite¬ rarischen Comptoirs, dessen Fröbel sich bei manchen zensurgefährdeten Neuerscheinungen bediente, in Neu¬ münster b. Zürich. 253 Heß, Moses (1812—1872) 448
Namenregister 673 Hessel, Pastor in Münster am Stein bei Kreuznach 576 Heuser, Gustav, aus Elberfeld. Jugend¬ freund von Friedrich Engels. 518 541 553 557 559 Hey, Wilhelm, Verfasser von Fabeln für Kinder (1879—1854) 39 Hildebrandt (Hildebrand), Theodor, Pseudonym von Friedrich Engels 10 517 580 Hinrichs, Hermann Friedrich Wilhelm, Althegelianer (1774—1861) 334 554 Hiob 570 Hippokrates von Kos (ca. 460—377 v. Chr.) 551 Hippomedontos 478 Hirlanda (Deutsche Volksbücher) 53 Hirzel, Bernhard, Pfarrer in Pfäffikon, reaktionärer Agitator (1807—1847) 276 Höller, aus Solingen. Bremer Bekannter von Friedrich Engels. 561 592 (ein Solinger) Hösterey, Bekannter der Familie Engels aus Barmen. Vielleicht identisch mit Gottfried Hösterey, der 1836 und 1840 Stadtrat in Barmen war. 619 Hofer, Andreas (Immermann, Das Trauer¬ spiel in Tyrol) 520 Hoffmann u. Campe, Verlag in Ham¬ burg; gegr. 1810. 111 Hofmannswaldau, Christian Hofmann v. (1617—1679) 66 Hohenstaufen 342 598 Holbach, Paul Heinrich Dietrich, Baron (1723—1789) 366 Holbein, Hans (1497 od. 1498—1543) 93 159 Holler, Bekannter der Familie Engels 575 Homeros 148 301 467 480 516 517 Horatius, Quintus Flaccus (65—8 v. Chr.) 40 480 536 Hotho, Heinrich Gustav, hegelianischer Ästhetiker (1802—1873) 65 Houben, Philipp, Notar aus Xanten. Be¬ gann 1819 in der Umgebung von Xanten mit Ausgrabungen, vereinigte die von ihm gefundenen Altertümer in einem Museum, das nach seinem Tode, ca. 1855, aufgelöst und verkauft wurde. Zusammen mit Franz Fiedler, Gymnasialprofessor in Wesel, ver¬ faßte er: „Denkmäler von Castra Vetera und Colonia Trajana in Ph. Houbens Antiquarium zu Xanten. Xanten 1839. 93 Houwald, Christoph Ernst, Freiherr v., Verfasser von Schicksalsdramen (1778 —1845) 520 Hub, Ignaz, rheinischer Publizist und Dichter (1810—1880) 504 Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. Hühnerbein, Friedrich W., Schneider aus Barmen. Nahm 1848 an der Re¬ volution teil. Wurde im April 1850 wegen „Hochverrats durch Teilnahme an der Elberfelder Revolution, Bar¬ rikadenkampf, bewaffnetem Wider¬ stand gegen die Staatsgewalt und Rebellion“ vor die Assisen zu Elber¬ feld gestellt, aber freigesprochen. Stand bis Ende der 70er Jahre in Verbindung mit Friedrich Engels. 585 Hülsmann, August, 1822—1846 Pfarrer der lutherischen Gemeinde in Elber¬ feld. Dann Konsistorial- und Schulrat in Düsseldorf. 31 Hülsmann, Eduard, Bruder des vorigen. Pfarrer in Dahl und seit 1836 an der lutherischen Gemeinde in Schwelm, Gegen seine 1835 erschie¬ nene „Predigerbibel“ erließ Sander, Vertreter des orthodoxen Stand¬ punkts, sein „Theologisches Gut¬ achten“ und 1836 die Schrift „Be¬ leuchtung“, in deren Schlußwort (2. Aufl.) er Hülsmann aufforderte, aus dem Amte auszuscheiden. Diese Polemik erregte im Wuppertale gro¬ ßes Aufsehen. 31 41 Hiilstett, G. Karl A., Oberlehrer in Düs¬ seldorf; schriftstellerisch tätig. Cf. Anm. z. p. 49815. 498 Hugo, Victor (1802—1885) 64 Human (J. J. Ewich, Human, der Leh¬ rer einer höheren Volksschule in seinem Wesen und Wirken) 35 Huskisson, William, freihändlerischer Tory (1770—1830) 296 Huß, Johann (ca. 1369—1415) 548 Hutten, Ulrich v. (1488—1523) 162 Immermann, Karl (1796—1840) 67 111—118 126 127 502 520 Inachos 551 Iphigenie (Racine) 64 Isidor (Raupach, Isidor und Olga) 520 Ismenos 478 Isolde (Deutsche Volksbücher) 54 Jachmann, Karl Reinhold, Sohn des Kö¬ nigsberger Pädagogen und Kant- Biographen Jachmann. Studierte Phi¬ losophie, Geschichte und Theologie an der Königsberger Universität, die er 1828 absolvierte. Dann ebenda Lizen¬ tiat der Theologie und Privatdozent. Später Redakteur des „Neuen Elbin- ger Anzeigers“. Gest, in Elbing um 1873. Stand dem Kreise Johann Ja¬ cobys und der Hartungschen Zeitung nahe. Veröffentlichte mehrere Schrif¬ ten: „Der Hirte des Hermas. Ein Bei¬ trag zur Patristika“, Königsberg 1835. 43
674 Namenregister „Commentar über die katholischen Briefe“, Leipzig 1838. „Zur Geschichte des Gustav-Adolf-Vereins“, Königs¬ berg 1844. 299 Jakob 276 278 Jacobi, Friedrich Heinrich, Philosoph (1743—1819) 205 Jakobus, der Apostel 222 241 Jacoby, Joel (1810—1863) 69—71 Jacoby, Johann (1805—1877) 311 313 Jahn, Friedrich Ludwig (1778—1852) 97 99 116 Janossyk, der Räuber (Figur aus Becks „Ungrischen Melodien“) 60 Jarcke, Karl Emst, romantisch-reaktio¬ närer Politiker und Publizist (1801— 1852) 69 Jason 462 Jemand, W. s. Wilhelm Langewiesche Jesaias 214 231 236 239 Jehova 218 Jesus Christus 30 31 45 89 93 197 207 214 217—222 229 230 231 233 235—241 244 245 247 262 318 366 407 427 446 465 495 497 500 501 505 523—525 527 528 543 545 546 552 553 562 563 Johannes, der Apostel 222 241 242 245 247 249 253 269 275 531 Johannes, der Evangelist 235 245 253 261 505 543 Johannes, der Täufer 241 328 Jonas 274 Jonghaus, Peter, geb. Nov. 1816 in Bar¬ men. Nach dem Abitur, August 1838, studierte er in Berlin Theologie. Spä¬ ter Pfarrer in Essen. Trat 1874 in den Ruhestand. Schulkamerad und Jugendfreund von Friedrich Engels. 486 492 496 506 518 533 537 541 Jonson, Benfjamin] (1573—1637) 412 428 Joseph 505 523 527 528 535 Josua 44 543 Juda 235 Judas Ischariot 53 „Jüngling aus Köln“ s. Georg Jung Jürgens, Wanderprediger und Abenteu¬ rer 27 Julia (Shakespeare, Romeo und Julia) 81 Jung, Alexander (1799—1884) 323—328 331—335 632 Jung, Georg Gottlob {Jüngling aus Köln) (1814—1886), einer der Begründer der Rheinischen Zeitung. S. Namen¬ register 1/2. 269 277 632 Jung-Stilling [Johann Heinrich Jung] (1740—1817) 41 Jung, Fräulein, Vorsteherin des Groß- herzogl. Instituts in Mannheim 589 622 623 Kadmeer 462 479 Kampermanns : Peter Kampermann (1784—1839), Seiden- und Tuch¬ fabrikant in Unterbarmen, war 1809 —1820 mit Wilhelmine Schuchard, 1824—1839 mit Alwine Platzhoff verheiratet, die nach seinem Tode die zweite Frau von Caspar Engels junior wurde. 569 Kampermann, Laura, Tochter von Peter K. aus zweiter Ehe. Geb. 15. II. 1827 ; heiratete 1847 August Caesar, Dr. jur. 583—585 Kant, Immanuel (1724—1804) 57 74 88 115 130 131 142 174 179 190 205 446 448 525 Kapaneus 478 Karl L, der Große, König der Franken und römischer Kaiser (742—814) 55 63 Karl II., König von Großbritannien und Irland (1630—1685 ) 420 Karl X., Philipp, Graf von Artois (1757 —1836) 68 187 558 Karl Theodor, Kurfürst von der Pfalz und von Bayern (1724—1799) 34 Kepler, Johannes (1571—1630) 422 Kerl — schwarzer Kerl aus Trier — s. Karl Marx Kirchner, Bekannter der Familie Engels. Vielleicht identisch mit Hermann Kirchner, der zusammen mit Fried¬ rich Engels von der Prima des Elber¬ felder Gymnasiums abging. 485 Klein, Julius Leopold, dramatischer Dich¬ ter (1810—1876) 327 Klopstock, Friedrich Gottlieb (1724— 1803) 253 496 Knapp, Albert, geistlicher Liederdichter (1798—1864) 82 253 491 Knebel, H., 1841—1845 Direktor des Gymnasiums in Duisburg. Er gab eine vielbenutzte französische Gram¬ matik heraus. 35 Kock, Paul de, französischer Roman¬ schriftsteller (1794—1871) 37 Köppen, Karl Friedrich (1808—1863), junghegelianischer Publizist. Wid¬ mete sein 1840 erschienenes Buch „Friedrich der Große und seine Widersacher“ Karl Marx. S. Namen¬ register 1/2. 102 267 269 271 276 277 Köster, Heinrich, geb. 11. III. 1807 in Wernigerode, Zögling des Halber- städter Seminars, dann Hauslehrer in Genthin. 1828—1837 Lehrer an der Barmer Stadtschule. Später Leh¬ rer an der Töchterschule in Düssel¬ dorf und Vorsteher einer privaten Lehranstalt. Gest. 17. IV. 1881. Er war mit Freiligrath befreundet, der ihn , den Pädagogen und Kinder¬ freund“ nannte. 35
Namenregister 675 Köstlin, Christian Reinhold, Jurist, He¬ gelianer (1813—1856) 112 Köttgen, Gustav Adolf, Maler, geb. 9. V. 1805 in Langenbeck bei Elberfeld. Schüler des Malers P. Cornelius, München. 1831—1844 lebte er in El¬ berfeld. Mitglied des Düsseldorfer Malervereins „Malkasten“. Veröffent¬ lichte 1843/44 Gedichte im „Sprecher oder Rheinisch-Westphälischen Anzei¬ ger“. Mitte der 40er Jahre in der kommunistischen Bewegung des Wup¬ pertals tätig. Verfasser des sog. „Zu¬ rufs der westphälischen Kommuni¬ sten“ vom 10. Juni 1846. 1847 über¬ siedelte er von Elberfeld nach Bre¬ men. Mitglied des Bremer Demokra¬ tischen Vereins. 1848/49 in der Bremer Arbeiterbewegung tätig. Gab seit dem 7. April 1849 ein Wochen¬ blatt „Vereinigung. Zeitung für sämt¬ liche Arbeiter“ heraus, von der 13 Nummern erschienen. Nach der Unterdrückung der Zeitung wurde Köttgen zu 8 Wochen Haft und zur Ausweisung aus Bremen verurteilt. 1850—1853 in Hamburg ansässig. Später lebte er in Düsseldorf. Ge¬ legentlicher Mitarbeiter des Schweit- zerschen „Social-Demokrat“. Gest. 10. XI. 1882 in Düsseldorf. 622 Kohl, Albert, geb. in Elberfeld 23. III. 1802. Pastor in Spellen, Gruiten und 1831—1862 an der reformierten Ge¬ meinde in Elberfeld. Freund Krum¬ machers. Gest. 23. V. 1882 in gei¬ stiger Umnachtung. 29 31 500 506 Kohlmann, Johann Melchior, geb. 21. I. 1795 in Bremen. 1829—1864 Pastor in Hom b. Bremen. Schrieb eine Reihe von Arbeiten über die Bremer Kirchengeschichte. Gest. 16. XH. 1864 in Hom. In dem Streite Krum- macher-Paniel war er ein Gegner Panieis. 561 Koßmaly, Carl, geb. 27. VH. 1812 in Breslau. Kapellmeister in Wiesba¬ den, Mainz, Amsterdam und ab 1841 in Bremen. Lebte später als Dirigent und Professor für Musik in Stettin, wo er am 1. XII. 1873 starb. Verfas¬ ser vieler Lieder- und Instrumental¬ kompositionen, ferner einer Anzahl musikwissenschaftlicher Artikel und selbständiger Schriften (Schlesisches Tonkünstlerlexikon, 1846/47; Mozarts Opern, 1848 u. a.) 145 Kotzebue, August Friedrich Ferdinand v. (1761—1819) 7 131 487 489 491 Kristine, Hausmädchen bei Konsul Leu¬ pold in Bremen 595 Krug, Friedrich Wilhelm, geb. 14. IX. 1799 in Elberfeld. Sollte ursprüng¬ lich Schneider werden, wie sein Va¬ ter, entschloß sich später zum Stu¬ dium. Ab 1832 studierte er in Bonn erst orientalische Wissenschaften, dann Theologie. Durch seine orienta¬ lischen Studien kam er zeitweise in nähere Beziehung zu Aug. Wilh. v. Schlegel. Veröffentlichte eine Reihe von Gedichten, von belletristischen und autobiographischen Schriften. 41 Krummacher, Friedrich Adolf, der Pa¬ rabeldichter (1767—1845) 28 125 128 Krummacher, Gottfried Daniel, Bruder des vorigen (1774—1837) 28 Krummacher, Friedrich Wilhelm, älte¬ ster Sohn von Friedrich Adolf Krum¬ macher, Führer des Wuppertaler Pie¬ tismus (1796—1868) 27—32 44 46 88 89 128—130 141—144 253 276 339 500 504 506 519 539 560 Krummacher, Emil, zweiter Sohn von Friedrich Adolf Krummacher. Geb. 7. V. 1798 in Moers. Pfarrer in Duis¬ burg. 1876 trat er in den Ruhestand und übersiedelte nach Bonn. Dort gest. 14. I. 1886. Die von ihm verfaßten „Lebenserinnerungen eines geist¬ lichen Veteranen“ wurden 1889 von seinem Sohne Hermann herausge¬ geben. 32 Krusbecker, Jan, Makler in Bremen 587 Kruse, Karl Adolf Bernhard, geb. 24. XII. 1807 in Rheydt a. Rh. Lehrer an der Elberfelder Realschule für Französisch, Geschichte und Geogra¬ phie. Gest. 16. IX. 1873 in Elber¬ feld. Veröffentlichte eine Anzahl philologischer Arbeiten. 36 Kühne, Gustav, Vertreter des „Jungen Deutschland“ (1806—1888) 58 65 324 327—330 497 502 503 540 Lais 233 Lamennais (La Mennais), Félicité Ro¬ bert de (1782—1854) 442 Lange, aus Vegesack bei Bremen, Schiff¬ fahrtsunternehmer 123 Langewiesche, Wilhelm, geb. 4. XII. 1807 in Möllerhotten b. Schwelm, er¬ lernte in Essen den Buchhandel, 1829/30 als Gehilfe in Berlin tätig, gründete 1830 in Iserlohn eine eigene Buchhandlung, die er 1837 nach Bar¬ men verlegte und bis 1872 leitete. Gest. 1872 in Godesberg. Unter den Pseudonymen W. Jemand, L. Wiese, Ernst Gotthelf, Wagner, Dr. Klein¬ paul schrieb er eine Anzahl poetischer und prosaischer Schriften. 39 Laube, Heinrich (1806—1864) 77 324 325 327—330 497 503 540 43*
676 Namenregister Lavater, Johann Kaspar (1741—1801) 523 Lazarus (Robert Heller, Die Schwestern des Lazarus) 511 Lear (Shakespeare) 499 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646—1716) 446 Leipoldt, Wilhelm, geb. 24. IX. 1794 in Elberfeld. Studierte in Marburg und Göttingen Theologie, wurde 1814 Hilfsprediger an der lutherischen Gemeinde Elberfeld; 1816—1822 Pfarrer an der unierten Gemeinde Unterbarmen. Gest. 5. II. 1842. Er konfirmierte Friedrich Engels. 477 Lenau, Nikolaus [Nikolaus Niembsch v. Strehlenau] (1802—1850) 57 60 327 502 598 Leo, Heinrich, orthodoxer Theologe (1799 —1878) 70 180 184 185 253 272 273 275 276 278 281 292 303—305 331 334 339 343 513—515 522 523 532 536 544 555 562 563 Leo, Leonardo, italienischer Komponist (1694—1744) 541 Leroux, Pierre (1797—1871) 442 Lessing, Gotthold Ephraim (1729—1781) 496 520 540 „Leu“ s. Heinrich Leo Leupold, Heinrich, geb. in Schlesien, sächsischer Konsul, Chef der Export¬ firma Leupold in Bremen. Friedrich Engels’ Prinzipal während seiner Bre¬ mer Lehrlingszeit. Gest. 1865. 486 490 496 567 571 576 578 579 590 593 597 598 600 602 606 609 610 611 Leupold, Frau des vorigen 490 573 Leupolds kleine Kinder: Während Engels’ Lehrzeit standen im Kindesalter: Eli¬ sabeth, Loin (Ludwig), Siegfried, Sophie. 490 573 574 576 600 Leupold, Karl, Sohn von Konsul Leu¬ pold, Junior-Chef der Firma 580 Leupold, Wilhelm, Bruder des vorigen, gleichfalls im Geschäft seines Vaters tätig. 595 598 609 610 Leupold, Sophie s. Leupolds Kinder Leupoldt, J. M., geb. 11. XI. 1794 in Weißenstadt. 1818 Privatdozent der Medizin in Erlangen, 1821 außer¬ ordentlicher Professor der Psychia¬ trie. Gest. 21. VIII. 1874. 303 Lewald, August, Schriftsteller, dem „Jun¬ gen Deutschland“ nahestehend (1792 —1871) 39 504 Liebig, Justus v. (1803—1873) 388 401 Lieth, K. Ludwig Theodor, Lehrer, Ver¬ fasser von Kindergedichten (1776— 1850) 39 Liszt, Franz v. (1811—1886) 620 621 Livius, Titus (59 v.—17. n. Chr.) 480 Lohenstein, Daniel Casper v. (1635— 1683) 66 Lot 78 Louis Philippe, König von Frankreich (1773—1850) 339 376 Loyola, Ignatius (1491— 1556) 70 498 Lucas 229 280 523 527 535 543 Ludwig s. Ludwig van Haar Ludwig XIV., König von Frankreich (1638—1715) 63 64 Ludwig I., König von Bayern (1786— 1868) 318 515 Luise, Hausmädchen bei Friedrich Engels’ Eltern 584 Luther, Martin (1483—1546) 72 383 443 444 552 MacCulloch, John Ramsay (1789—1864) 381 385 Machiavelli, Niccolö (1469—1527) 339 Märklin, Christian, protestantischer Theo¬ loge, Hegelianer (1807—1849) 529 555 Magelone (Deutsche Volksbücher) 54 Maien s. Eduard Meyen Maintenon, Françoise d’Aubigné, mar¬ quise de (1635—1719) 63 65 Maja 211 Mallet, Friedrich Ludwig, Hauptvertreter des Pietismus in Bremen (1792— 1865) 143 276 556 560 561 Malthus. Thomas Robert (1766—1834) 366 380 381 397—400 413 Manz, Verlag in Regensburg, gegr. 1830 von G. J. Manz. Später Mün¬ chen und Regensburg. 1839—1842 von der Zensur verboten. 69 Marat, Jean Paul (1744—1793 ) 69 273 279 Marbach, Oswald, Schriftsteller, Hege¬ lianer (1810—1890) 50 51 53 54 56 556 Marcus: unter diesem Namen erschienen um 1840 in England aufsehenerregen¬ de Pamphlete zur Frage der Armen¬ gesetzgebung und Bevölkerungspoli¬ tik. Cf. Anm. zu p. 398 4. 398 Marcus 280 543 Marcus Aurelius Antoninus (121—180) 233 Marggraf, Hermann, Schriftsteller und Literarhistoriker (1809—1864) 540 Marheineke, Philipp Konrad, hegeliani¬ scher Theologe (1780—1846) 290— 292 522 Maria 238 280 505 528 545 Marryat, Frederick, englischer Roman¬ schriftsteller (1792—1848) 37 Marteau: vermutlich gemeint Pierre Marteau (Peter Hammer, Pieter Ha¬ mer), fingierter Drucker- und Ver¬ legemame im 17.—19. Jh. Als Er¬
Namenregister 677 scheinungsort wurde Paris angegeben, in Wirklichkeit befand sich der Ver¬ lag in Köln. 504 Marx, Karl (1818—1883) 268 270 271 277 280 378 448 455 Matthaeus 234 235 245—248 523 535 543 Mehemed Ali, Statthalter von Ägypten (1769—1849) 106 Melusine (Deutsche Volksbücher) 50 54 Mendelssohn-Bartholdy, Felix (1809— 1847) 145 609 Menelaos 488 Mengs, Anton Raphael, Maler (1728— 1779) 538 Menken, Gottfried, Bremer Theologe (1768—1831) 560 Menzel, Wolfgang (1798—1873) 70 100 502 510 523 540 547 549 Mephistopheles (Goethe, Faust) 131 Mercadante, Saverio, italienischer Kom¬ ponist (1797—1870) 131 Merlin (Immermann) 117 Merob (Figur aus K. Becks „Saul“) 61 Meyen, Eduard (1812—1870), Junghege- lianer. S. Namenregister 1/2. 268 277 278 335 Meyer, Albertus, Redakteur des „Bremer Stadtboten“. In den vierziger Jahren Vorstandsmitglied des Bremer „Demo¬ kratischen Vereins“. 579 Meyer, Heinrich, Buchdrucker und Ver¬ leger in Braunschweig (1812—1863) 11 Meyer, Therese, Braut von Wilhelm Leupold 610 Meyer (Stockmeyer), Vater der vorigen 610 Meyerbeer, Giacomo [Jakob Liebmann Beer] (1791—1864) 622 Michael, der heilige 128 275 280 Michelet, Jules, der französische Ge¬ schichtsschreiber u. Philosoph (1798 —1874) 451 Michelet, Karl Ludwig, Hegelianer (1801 —1893) 181 513—515 522 536 Midas 409 410 Miesegans, Timoleon, aus Bremen 602 Miguel, Dom, von Portugal [Dom Maria Evaristo Miguel] (1802—1866) 559 Mill, John Stuart (1806—1873 ) 381 Minchen (aus Friedrich Ludwig Wül¬ fings „Jugendblüthen“) 40 Minotauros 462 Moab (Figur aus K. Becks „Saul“) 61 Mohr, Carl Friedrich Gottfried, geb. 9. IV. 1803 in Bremen. Seit 1825 Advokat. 1839 in den Bremer Senat gewählt. Einer der Schöpfer der Bremer Verfassung von 1854. 1857 | wurde ihm das periodische Bürger¬ meisteramt übertragen, das er mit l den gesetzmäßigen Pausen bis Ende 1873 bekleidete. Gest. 1888. 581 Molineus, Albert, geb. 27. III. 1814 in Barmen, Fabrikbesitzer, Inhaber des Hauses „Molineus u. Co.“ in Bar¬ men. 1842 heiratete er Friedrich Engels’ Cousine Ida. Gest. 13. II. 1889. 623 Moloch 61 260 Montanus Eremita [Vincenz Jacob v.Zuc- calmaglio], Dichter und Sagenfor¬ scher (1806—1876) 40 Montholon, Charles Tristan, comte de Lee, Adjutant Napoleons und Me¬ moirenschreiber (1783—1853) 109 Morolf (Deutsche Volksbücher) 50 53 Morison, Erfinder der „Morison’s Pilis“ („Morrisonpillen“), eines damals sehr bekannten Abführmittels. Gest. 1840. 300 419 430 Morveil, C., Pseudonym für C. F. Voll¬ mer. Verfasser zahlreicher Erzählun¬ gen und historischer Romane. Er schrieb auch unter dem Namen W. F. A. Zimmermann naturwissenschaft¬ liche Schriften. Gest. 1864 in Berlin. 504 Mosen, Julius (1803—1867) 39 327 497 Moses 73 241 258 260 Mozart, Wolfgang Amadeus (1756— 1791) 108 145 Mügge, Theodor, radikaler Schriftsteller (1806—1861) 265 Müller, Predigamts-Kandidat aus Ber¬ lin, aus dem Kreise des Pater Jo¬ hann Gössner. Wohnte 1839 im Hause von Pastor Treviranus in Bremen. 539 541 (Studio) Müller, Julius {von der Sünden), ortho¬ doxer Theologe (1801—1878 ) 276 278 Münchhausen (Immermann) 112 117 Münzer, Thomas (1488 od. 1489—1525) 443 Mundt, Theodor, Vertreter des ,Jungen Deutschland“ (1808—1861) 37 53 57 58 65 324 325 327—331 455 496 497 502 503 532 535 540 554 Murat, Joachim (1767—1815) 109 Napoleon Bonaparte (1769—1821) 37 64 72 97 98 100 109 HO 116 256 279 297 305 417 436 557 558 603 Neander, Johann August, orthodoxer Theologe (1789—1821) 173 222 523 526 532 535 552 553 557 563 Neige, Siegwarth von der 73 Neige, Theoderich von der 73 Nero (37—68 n. Chr.) 301 Nestroy, Johann Nepomuk (1801— 1862) 37 Neuburg, Angestellter der Verlagsbuch-
678 Namenregister Handlung W. Langewiesche, Bar¬ men 537 Neviandt, ein Bekannter von Friedrich Engels aus Bremen 582 Newton, Isaak (1642—1727) 13 78 422 Ney, Michel, Marschall (1769—1815) 109 Nikolaus L, Kaiser von Rußland (1796 -1855) 339 557 559 618 „Nichts, Bruder“ s. Karl Immanuel Nitzsch Nitzsch, Karl Immanuel, protestantischer Theologe (1787—1868) 276 563 Nösselt, Friedrich August, Verfasser historischer Unterrichtsbücher (1781 —1850) 35 Noltenius, J. Daniel, geb. 2. V. 1779. 1809 in den Bremer Rat, 1839 zum Bürgermeister gewählt. Schwager von Johann Smidt. Gest. 8. III. 1852. 581 Nork, Friedrich, Verfasser satirischer Schriften (1803—1850) 511 Oastler, Richard, englischer Sozialrefor¬ mer (1789—1861) 408 O’Connell, Daniel, Führer der irisch-ka¬ tholischen Unabhängigkeitsbewegung (1775—1847) 365 374—376 O’Connor, Feargus Edward, Führer der Chartistenbewegung (1794—1855) 365 368 369 Octavianus (Deutsche Volksbücher) 50 54 488 Odysseus (Friedrich Engels, Odysseus Redivivus) 539 553 Oedipus 76 478 479 Olga (Raupach, Isidor und Olga) 520 Oppenheim, Dagobert (1809—1899), mit Georg Jung verantwortlicher Gerant der Rheinischen Zeitung. S. Namen¬ register 1/2. 310—314 316 317 Oswald: S. Oswald, Friedrich Oswald (F. O.) — Pseudonym von Friedrich Engels 17 46 49 57 62 71 75 76 83 91 96 108 110 118 125 127 131 159 173 268 270 271 277 292 298 302 335 346 631 Otto I., König von Griechenland (1815 —1867) 550 551 Otto, F. W., Verlagsbuchhandlung in Erfurt 319 Owen, Robert (1771—1858) 372 441 Paine, Thomas, radikaler Publizist und Freidenker (1737—1809) 373 Palestrina, Giovanni Pierluigi da (ca. 1525—1594) 609 Paniel, Carl Friedrich Wilhelm, geb. 1803 in Mannheim. Seit 1839 Pastor an der St. Ansgarii-Kirche in Bre¬ men. Als am 12. Juli 1840 Fr. W. Krummacher in Bremen eine Gast¬ predigt hielt, in der er den Ratio¬ nalismus scharf angriff, begann Pa¬ niel, der den rationalistischen Stand¬ punkt vertrat, gegen ihn eine sich lange hinziehende Polemik. Gest. 1856 in Bremen. 129 130 141—144 560 561 Parthenopaios 478 Patkul (Gutzkow) 330 „Patriot“ s. L. H. F. Buhl Paul, Jean [Jean Paul Richter] (1763— 1825) 32 540 Paulus (Oratorium von Mendelssohn) 609 Paulus, der Apostel 128 130 143 217 222 229 241—243 245 247 526 543 Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob, Hauptvertreter des Rationalismus in der Theologie (1761—1851) 30 Peel, Sir Robert (1788—1850) 359 360 363 368 375 376 406 Pentarchist s. Goldmann Pergolese, Giovanni Battista (1710— 1736) 609 612 Perikies (499—429 v. Chr.) 550 Peter s. Peter Jonghaus Petrarca, Francesco (1304—1374) 40 161 516 Petrus, der Apostel 222 241 242 245 247 248 622 623 Pfizer, Gustav, Schriftsteller, zur „schwä¬ bischen Schule“ gehörend (1807— 1890) 58 Phaedra (Racine) 64 Philipp, König (Schiller, Don Carlos) 131 300 301 Philippi, Friedrich Adolf, orthodoxer Theologe (1809—1882) 544 545 Philippus 258 Pilatus, Pontius (Anfang des 1. Jh. n. Chr.) 159 Pindaros (522 od. 518—446 v. Chr.) 37 Platen: August, Graf v. Platen-Haller- münde (1796—1835) 39 67 68 76 502 Plato (427-347 v. Chr.) 480 Plümacher, Friedrich, geb. Juli 1819 in Elberfeld. Nach dem Abitur am El¬ berfelder Gymnasium, August 1839, studierte er Theologie in Berlin. Später Pfarrer in Neviges, Kr. Mett¬ mann. Trat 1874 in den Ruhestand. Jugendfreund von Friedrich Engels. 486 495 506 530 559 Pol, Jan, evangelischer Pastor in Heed¬ feld b. Iserlohn. Verfasser von Ge¬ dichten hauptsächlich religiösen In¬ halts. 40 45 500 Polyneikes 478 479 Poniatowski, Jozef, napoleonischer Mar¬ schall (1763—1813) 109 Pontus (Deutsche Volksbücher) 55
Namenregister 679 Posa, Marquis (Schiller, Don Carlos) 300 536 Priamos 467 Prometheus 90 Proudhon, Pierre Joseph (1809—1865) 442 452 Prutz, Robert Eduard, demokratischer Dichter und Literarhistoriker (1816— 1872) 265 564 Pückler-Muskau, Hermann Ludwig Heinrich, Fürst (1785—1871) 327 Püttmann, Hermann, einer der frucht¬ barsten sozialen Lyriker der vierziger Jahre. Er veröffentlichte 1841 die „Tscherkessenlieder“, 1844 die „Ditt- marschen Lieder“, 1845 „Soziale Ge¬ dichte“. Einer der Hauptvertreter des „wahren Sozialismus“ ; Heraus¬ geber der meisten Zeitschriften die¬ ser Richtung, z. B. der „Rheinischen Jahrbücher für gesellschaftliche Re¬ form“, des „Prometheus“, des „Deut¬ schen Bürgerbuchs“, des „Volks¬ manns“. Nach der Revolution von 1848, etwa 1850, wanderte er nach Australien aus und gründete in Mel¬ bourne eine deutsche Zeitung. Dort ist er verschollen. 39 Quinet, Edgar (1803—1875) 451 Quintana, Manuel José de, spanischer Dichter (1772—1857) 11 Rachel, Elise [genannt Félix], französi¬ sche Schauspielerin (1820—1858) 64 Racine, Jean de (1639—1699) 64 Radewell, Friedrich, Literat. Veröffent¬ lichte im „Jahrbuch der Literatur“ eine Satire „Die theologischen Wir¬ ren“ unter dem Pseudonym Fr. Kyau, ein Bruchstück aus der literarischen Komödie „Tyll Eulenspiegel“, Ham¬ burg 1840. 331 Radge s. Edgar Bauer Rahel s. Rahel Varnhagen von Ense Ranke, Leopold v. (1795—1886) 557 Raumer, Friedrich v. (1781—1873) 598 Raupach, Ernst (1784—1852) 66 131 506 520 Reichardt, Gustav, Komponist (1797— 1884) 540 Reinald (Deutsche Volksbücher) 54 Reinhold, Dr., Arzt in Barmen 617 Ricardo, David (1772—1823 ) 381 385 389 Richter, Heinrich, geb. 1800. Besuchte das Seminar in Wittenberg, war später Inspektor der rheinischen Missionsgesellschaft und des Mis¬ sionshauses in Barmen. Gab 1834— 1840 die „Erklärte Hausbibel“ her¬ aus. Gest. 1847. 32 Riedel, Carl (1804—1878), Junghege¬ lianer. S. Namenregister 1/2. 158 178 Riem, Friedrich Wilhelm, Musiker (1779 —1857) 145 Riepe, Rudolf, 1835—1858 Lehrer an der Barmer Stadtschule, dann an der höheren Töchterschule in Elberfeld. 573 579 Ringseis, Johann Nepomuk, Vertreter einer religiös-spekulativen Richtung in der Medizin (1785—1880) 187 304 Ripoll, Antonio, wurde wegen Ketzerei zum Tode verurteilt und am 31. Juli 1826 in Valencia auf dem Marktplatz verbrannt. Er war der letzte in Spa¬ nien als Häretiker Hingerichtete. 558 Robespierre, Maximilien (1758—1794) 273 278 279 Rochow, Gustav Adolf Rochus v., kon¬ servativer preußischer Staatsmann 1792—1847) 344 Rötscher, Heinrich Theodor, hegeliani¬ scher Ästhetiker (1803—1871) 65 Roland 182 499 560 Romeo (Shakespeare, Romeo und Julia) 81 Rosenkranz, Karl, Althegelianer (1805— 1879) 65 299 323 556 Rossini, Giocchino Antonio (1792— 1868) 108 Roth, Richard, geb. 19. I. 1821 in Bar¬ men. Jugendfreund von Friedrich Engels. Fabrikbesitzer, Teilhaber der Firma „Friedrich Bockmühl Söhne“ in Düsseldorf. Verheiratet mit Hulda Bockmühl. Gest. 1. VI. 1858 in Düsseldorf. 561 582 586 588 592 594 597 598 611 612 616 Rothe, Moritz, geb. 11. X. 1800 in Schneeberg. 1837—1875 Pastor an der St. Ansgarii-Kirche in Bremen. Gegner des Pietismus, nahm in der Polemik Krummacher—Paniel Stel¬ lung für Paniel. Gest. 31. I. 1888. 561 Rothschild, Herr von: Alle fünf Brüder Rothschild wurden 1815 in den österreichischen Adelsstand erhoben. 75 Rotteck, Karl Wenzeslaus Rodecker v. (1775—1840) 558 Rousseau, Jean Jacques (1712—1778) 129 366 372 Rtg. s. Rutenberg Rückert, Friedrich (1788—1866) 39 491 496 502 504 617 Ruge, Arnold (1802—1880) 102 178 184 265 267—270 272 273 276—278 280 281 334 378 448 455 553 556 562 629 631 Runkel, Martin, 1839—1844 Chefredak¬ teur der „Elberfelder Zeitung“. Er
680 Namenregister ordnete sich der pietistischen Rich¬ tung unter und beteiligte sich an dem Kampf gegen die Rheinische Zeitung. 38 42 519 RusseU, John, Lord (1792—1872) 359 360 363 406 Rutenberg, Adolf (1808—1869), Jung¬ hegelianer. S. Namenregister 1/2. 269 270 277 Ruy Blas (Victor Hugo) 64 Ruyter, Schiffskapitän 154 Sack, Carl Heinrich, orthodoxer Theo¬ loge (1879—1875) 263 264 266 270 273 274 277—279 281 Saint-Simon, Claude Henri, comte de (1760—1825 ) 436—438 441 Salomo 50 53 501 Sancho Pansa (Cervantes) 521 Sand, George [Aurore Dudevant, geb. Dupin] (1803—1876) 82 324 442 455 Sander, Immanuel Friedrich, Pastor in Elberfeld, Pietist (1797—1859) 31 32 41 Sass, Friedrich (schrieb auch unter dem Pseudonym Alexander Soltwedel ), geb. in Lübeck. Publizist Gab u.a. 1842/43 den „Pilot“ heraus. Im Mai 1843 aus Leipzig ausgewiesen, übersiedelte er nach Berlin. Zog 1848 nach Paris, von dort ebenfalls ausgewiesen. Lebte dann in London und Brüssel. Gest. 13. XI. 1851. Er verkehrte im Kreise der Freien, stand dem Junghegelianis¬ mus und dem „wahren Sozialismus“ nahe. Verfasser von: „Deutschlands Flotte“, Hamburg 1842. „Geschichte des Hamburger Brandes“, Leipzig 1842. „Lübeck, ich und die neuen Lü¬ becker Blätter“, Hamburg 1842. „Über das preußische Verfassungspatent vom 3. II. 1847“, Schkeuditz 1847. „Berlin in seiner neuesten Zeit und Entwick¬ lung“, Berlin 1847. 144. Satan 232 235 239 247 254 Saturnus 11 Saul 61 75 539 Savage, Richard (Gutzkow) 121 Say, Jean Baptiste (1767—1832) 386 387 Schadow, Friedrich Wilhelm, Maler, Sohn des Bildhauers (1789—1862) 93 Schebest, Agnese, Opernsängerin (1813 —1869) 121 Schelling, Friedrich Wilhelm v. (1775— 1854) 115 170 171 173—182 186—189 193—205 207 209—218 222—225 229—235 237—244 290 291 332—334 424 426 446 618 631 Schifflin, Philipp, erst Predigamts-Kan¬ didat, entschloß sich dann für den Lehrerberuf. 1823—1829 Lehrer an der höheren Stadtschule Krefeld, 1828—1848 erst Lehrer, dann Ober¬ lehrer für neue Sprachen an der Bar¬ mer Stadtschule. 1849 pensioniert. Herausgeber einer französischen Grammatik. 35 Schiller, Friedrich v. (1759—1805) 7 32 50 59 123 126 131 150 487 496 506 519 520 534 536 537 Schlegel, August Wilhelm v. (1767— 1845) 41 Schleiermacher, Friedrich Emst Daniel (1768—1834) 331 527 532 552 556 Schlichthorst, J. D., Pastor 130 Schlippenbach, Gräfin : Die Schlippen¬ bachs waren ein altes, ursprünglich clevisches Adelsgeschlecht der Graf¬ schaft Mark. 621 Schmits, Peter, Gottfried (Jakob), aus Barmen, geb. 1794, Zeuge bei Ausstel¬ lung der Geburtsurkunde von Fried¬ rich Engels. 461 Schmitt, Jakob, Bekannter der Familie Engels 588 Schnezler (Schnetzler), August, Lyriker, Schriftsteller (1809—1853 ) 504 Schornstein, Johannes, Musikdirektor in Elberfeld. Leitete 1824—1844 den Gesangsunterricht am dortigen Gym¬ nasium. 578 591 623 Schröder-Devrient, Wilhelmine, Schau¬ spielerin (1804—1860) 121 Schubarth, Karl Ernst, antihegeliani¬ scher Publizist (1796—1861) 72 180 523 Schücking, Levin (1814—1883) 81 503 Schumacher, Balthasar Gerhard, Dichter von „Heil Dir im Siegerkranz“ (1755 —1801) 103 Schwab, Gustav (1792—1850) 51 143 501 Scott, Sir Walter (1771—1832) 510 Scribe, Eugène (1791—1861) 108 Sealsfield, Charles [Karl Anton Postl], deutsch-amerikanischer Schriftsteller (1793—1864) 333 Seydelmann, Karl, Schauspieler (1793— 1843) 131 Seyffert, kgl. preußischer Oberregie¬ rungsrat 314 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, VH. Earl of, englischer Sozialpolitiker (1801—1885) 408 Shakespeare, William (1564—1616) 80 116 428 520 550 579 Shelley, Percy Bysshe (1792—1822) 76 81 366 373 Shelley, Mary, Frau des vorigen (1797— 1851) 82 Shylock (Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig) 131 Siebel, Hermann, geb. 21. IX. 1809 in Barmen, gest. ebenda 12. XII. 1879.
Namenregister 681 Kommerzienrat, Fabrikbesitzer. Ver¬ heiratet mit Luise Snethlage. 613 Siegfried 51 54 56 91 94 95 464 488 499 507—510 512—515 Sieghard 507 508 Siegmunt 91 Sieglint 91 Simons, Leutnant, Bekannter von Fried¬ rich Engels aus Barmen 518 Simrock, Karl Joseph (1802—1876) 50 53 56 Simson 278 Smidt, Johann, bremischer Staatsmann (1773—1857) 560 581 Smith, Adam (1723—1790 ) 296 366 381 383 384 389 Smitt, Friedrich v., geb. 21. I. 1787 in Narwa (Livland). Studierte in Kiel; dann Hauslehrer in Narwa und Stu¬ dent in Moskau. 1822—1831 Zei¬ tungs-Zensor beim Postamt in Wilna. 1831 nahm er am Sturm auf War¬ schau teil. Er lebte dann zu Studien¬ zwecken in Moskau und Petersburg. 1859 wurde er Historiograph des russischen Generalstabs. Gest, in Petersburg 1865. Verfasser von Me¬ moirenwerken und historischen Ar¬ beiten. 539 Snethlage, Carl Wilhelm Moritz, Ver¬ wandter der Familien Engels und van Haar; Pfarrer in Barmen, später Oberhofprediger in Berlin (1792— 1871) 477 620 Snethlage, Luise, Tochter des vorigen, Cousine von Friedrich Engels. Geb. 4. X. 1822. Heiratete 1841 Hermann Siebel. Gest. 30. X. 1878 in Barmen. 613 622 Snewittchen (Freiligrath) 38 Sokrates (469—399 v. Chr.) 115 205 487 570 Soltwedel, Alexander s. Friedrich Sass Soltyk, Roman, Graf, polnischer General (1791—1843) 539 Sophokles (497—406 v. Chr.) 550 Soult, Nicolas Jean de Dieu, Marschall (1769—1851) 604 Southwell, Charles, geb. London 1814. Owenistischer Sozialist und Atheist. Kämpfte mit der britischen Legion in Spanien. Gründete in Bristol die atheistische Zeitung „The Oracle of Reason“. 1842 wegen Gotteslästerung zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt. Kor¬ respondent der NMW und sozialisti¬ scher Prediger (lecturer). Verfasser verschiedener Pamphlete. 1856 emi¬ grierte er nach Neu-Seeland und starb in Auckland 7. VIII. 1860. 371 372 374 Spener, Johann Karl Philipp, Buchhänd¬ ler, Redakteur (1749—1827 ) 306 307 Sphinx 410 411 Spinoza, Benedictus (1632—1677) 209 210 426 525 Staël-Holstein, Anne Louise Germaine Necker, baronne de (1766—1817) 452 Stahl, Friedrich Julius (1802—1861) 173 187 Stahr, Adolf Wilhelm Theodor, Aristo- telesforscher, Literar- und Kunsthisto¬ riker (1805—1876) 124 Stamm, Gastwirt in Bonn 625 Steffens, Hendrik (1773—1845) 100 Stegmayer, Ferdinand, Komponist und Dirigent (1803—1863) 145 Stein, Lorenz v. (1815—1890) 374 Steinhaus, Johann Friedrich, Verlag, Buchhandlung und Buchdruckerei, Barmen, Wupperstr. 58. Ging später an die Firma Wiemann über. 39 Stephan, Martin, Pastor an der böhmi¬ schen Gemeinde in Dresden. Orga¬ nisator und Führer der lutherischen Séparations- und Auswanderungsbewe¬ gung in Sachsen. Wanderte 1838 nach New-Orleans aus. Dort verlor er wegen Korruptionsaffären seine Anhänger. 122 Stieglitz, Charlotte (1806—1834) 496 Stier, Ewald Rudolf, Pastor (1800—1862) 32 43 506 542 Sternberg s. Ungem-Stemberg Still in g s. Jung-Stilling Stirner, Max [Johann Kaspar Schmidt] (1806—1856) 268 271 277 Strauß, David Friedrich (1808—1874) 30 65 88 102 125 143 162 178 184 185 207 222 225 257 276 324 325 331 334 366 407 424 446 505 523 525 530 532 538 540 546 552 554 556 563 Strücker, Jugendfreund von Friedrich Engels 488 492 506 537 570—572 578 592 623 „Student, der lahme“ in Bonn 624—626 Stüve, Johann Karl Bertram, geb. in Os¬ nabrück, liberaler hannoverscher Staatsmann (1798—1872) 18 Stuhr, Peter Feddersen, Geschichts- und Religionsforscher (1787—1851) 216 Sue, Eugene (1804—1857) 455 „Sunden, Julius von der“ s. Julius Müller Syrinx 516 Szczepansky, Gustav L. Fr. H. W. v., aus Bonn, 1839—1842 Student an der philologischen Fakultät der Bonner Universität. Mitglied der Bonner „Pa- latia“; Verfasser von „Bonner Skizzen (1839—42)“, die in den „Akademi¬ schen Monatsheften“ München 1892— 1893 erschienen. 625
682 Namenregister Tacitus (ca. 55—120) 31 Taglioni, Maria (1804—1884) 496 Tannhäuser 96 Tante s. Friederike v. Griesheim Teil, Wilhelm (Schiller) 464 519 536 Theophilus (Lucas-Evangelium) 527 Theseus 462 Thiersch, Bernhard, Dichter des „Preu¬ ßenliedes“ (1793—1855) 77 Tholuck, Friedrich August, orthodoxer Theologe (1799—1877) 143 552 556 557 562 563 Thompson, Thomas Peronnet, radikaler Politiker, Mitglied der Anti-Corn- Law League (1783—1869) 389 Thukydides (460—400 v. Chr.) 539 Thuringus, Pseudonym eines Mitarbeiters der „Abendzeitung“ in Dresden 511 Thusnelda (Lohenstein, Großmüthiger Feldherr Arminius oder Hermann nebst seiner durchlauchtigsten Thus¬ nelda) 66 Tichatschek, Joseph Aloys, Opernsänger (1807—1886) 121 Tieck, Ludwig (1773—1853) 51 54 56 496 502 Tiele, Johann Nikolaus, geb. 27. IX. 1804 in Bremen. Schüler Menkens. Seit 1835 Pastor in Obemeuland b. Bremen. Stand auf dem kirchlich¬ orthodoxen Flügel und nahm in dem Kampfe Krummacher—Paniel für Krummacher Stellung. Gest. 10. VI. 1856 in Oberneuland. 129 (Land¬ pastor), 543. Tobianus (Gutzkow, Blasedow und seine Söhne) 521 Torstrick, Johann Adolf, geb. 22. I. 1821 in Bremen als Sohn des Orga¬ nisten der St. Martini-Kirche. Stu¬ dierte in Bonn, wo er dem Kreise Kin¬ kels nahestand. 1844—1850 als Haus¬ lehrer tätig, hauptsächlich in der Fa¬ milie des Fürsten Davidov in Peters¬ burg. Von 1858 bis zu seinem Tode Lehrer am Bremer Gymnasium. Jugendfreund von Friedrich Engels. Hegelianer. 1851 entdeckte er auf der Bibliothèque Nationale in Paris noch nicht veröffentlichte Fragmente des Aristotelischen Werkes „De Anima“. Später beauftragte ihn die kgl. preußische Akademie der Wis¬ senschaften mit der Durchsicht der in Betracht kommenden Manuskripte verschiedener Bibliotheken, um eine neue Ausgabe der aristotelischen Kommentatoren vorzubereiten. 1876 wurde er zum korrespondierenden Mitgliede der Akademie ernannt. Gest. 22. XI. 1877 in Bremen. 541 542 551 Treviranus, Georg Gottfried, geb. 12. I. 1788, studierte in Göttingen und Tü¬ bingen Theologie; 1814—1866 Pastor an der St. Martini-Kirche in Bremen. Orthodox, hauptsächlich als Organisa¬ tor kirchlicher Vereine hervortretend. Friedrich Engels wohnte während sei¬ ner Bremer Zeit bei ihm, Martinistr. 22. Gest. August 1868. 518 543 567—569 572 577 578 591 592 609 Treviranus, Mathilde, geb. Castendyk, Frau des vorigen 572 576 577 607 Treviranus, Marie, Tochter der vorigen 576 Treviranus, „Großmama“, Mutter von Pastor Treviranus 578 Triboni, Joachim, aus Genua 161 Tripsteert, Crischan, Pseudonym eines Mitarbeiters am „Bremer Unterhal¬ tungsblatt“ 125 Tristan 54 55 117 518 Tromlitz, A. v. [Karl August Freiherr von Witzleben], Schriftsteller (1773— 1839) 37 504 510 Troost, Henriette, geb. 7. X. 1826 in Bar¬ men, gest. ebenda 20. VI. 1853. Ju¬ gendbekannte von Marie Engels 572 Tydeus 478 Ugolino della Gherardesca, Graf von Donoratico (gest. 1288) 409 414 Uhland, Ludwig (1787—1862) 38 496 504 510 Ungem-Stemberg, Alexander Freiherr v., Romanschriftsteller (1806—1866) 63 64 105 Ungetüm — Ungetüm aus Trier — s. Karl Marx Uranos 219 Ure, Andrew, englischer Chemiker (1778 —1857) 403 Vamhagen von Ense, Karl August (1785 —1858 ) 327 540 Vamhagen von Ense, Rahel (1771— 1833) 496 Venedey, Jakob (1805—1871) 547 550 Venus 32 96 537 Vergilius, Publius Maro (70 v.—19 v. Chr.) 480 Vernet, Horace, französischer Maler (1789—1863) 622 Viktor L, der heilige (Papst von 189— 198) 91 Viktoria, Königin von Großbritannien und Irland (1819—1901) 339 Voigt, H. L., Verlag in Königsberg 299 Voltaire, François Marie (1694—1778) 35 129 256 278—280 366 372 Voss, Johann Heinrich (1751—1826) 41 Wachsmann, Karl Adolf v., Novellist (1787—1862) 504 510
Namenregister 683 Wade, John (1788-1875) 394 402 Walesrode, Ludwig Reinhold [Cohen], radikaler Journalist (1810—1889) 299 301 302 Wallenstein, Albrecht Wenzel, Herzog von Friedland (1583—1634) 499 Wallmüller, Lokal in Berlin 620 Wallraf, Ferdinand Franz, Kölner Kunst¬ sammler (1748—1824) 93 Wally (Gutzkow, Wally oder die Zweif¬ lerin) 55 502 Walter, John, Besitzer und Herausgeber der „Times“ (1776—1847) 408 Walther, Markgraf (Deutsche Volks¬ bücher) 53 Watt, James (1736-1819) 388 389 Watts, John, Owenist (1818—1887) 371 372 374 441 Weber, Wilhelm Ernst, geb. 14. X. 1790 in Weimar. Philologe. 1829 wurde er Di¬ rektor der Gelehrtenschule in Bremen. Vertreter des Liberalismus. Gest. 26. III. 1850. Verfasser philologischer, pädagogischer und ästhetischer Arbei¬ ten, Übersetzer antiker Autoren. 122 124 (Anonymus) 129 143 Wedell, v., Hauptmann und Kompagnie¬ chef der 12. Fuß-Kompagnie der Garde-Artillerie-Brigade in Berlin, in der Friedrich Engels diente. 624 635 Wegscheider, Julius August Ludwig, protestantischer Theologe (1771— 1849) 552 Weinbrenner, August, Musiklehrer aus Münster. Wurde 1828 als Organist der lutherischen Gemeinde in Elber¬ feld angestellt. War auch als Kompo¬ nist tätig. 622 Weiße, Christian Hermann (1801—1866) 535 Weitling, Wilhelm (1808—1871) 444 445 450 452 453 Wellington, Sir Arthur Wellesley, Her¬ zog von (1769—1852) 406 Wemhöners, aus Barmen. 1827 war ein Ludwig Wemhöner Kirchmeister in Unterbarmen. 613 Wemhöner, Emil, bestand Herbst 1839 sein Abitur an der Barmer Stadt¬ schule. Später Kaufmann. 613 Wemhöner, Mathilde, ein Mitglied der Barmer Familie Wemhöner 616 Wendel, Angestellter bei Friedrich Engels’ Eltern 584 585 Werder, Karl Friedrich, Berliner Uni¬ versitätsprofessor, Hegelianer ( 1806 —1893) 619 Werner (Gutzkow, Werner oder Herz und Welt) 330 Wetzel, Wilhelm, geb. 6. VI. 1801 in Berlin, wo er 1819—1822 Theologie, Philologie und Mathematik studierte. 1822—1824 Lehrer an der Kgl. Real¬ schule, 1824—1825 am Kölnischen Gymnasium in Berlin. 1825—1828 Rektor der lateinischen Schule in Landsberg a. d. Warthe, seit 1828 Direktor der Stadtschule Barmen, die 1846 zur Realschule erhoben wurde. 1856 pensioniert; gest. 1868 in Gütersloh. 34 Wichelhaus, ein Mitglied der Elberfel¬ der Familie Wichelhaus 534 Wichelhausen, Peter, geb. 13. X. 1764 in Barmen. Kommerzienrat, Rats¬ herr zu Barmen, seit 1816 Beigeord¬ neter der Gemeinde Barmen. Zeuge bei Ausstellung der Geburtsurkunde von Friedrich Engels. Zog 1824 nach Frankfurt a. M., dort gest. 1843. 461 Wieland, Christoph Martin (1733— 1813) 487 496 Wienbarg, Ludolf (1802—1872) 57 58 125 325 327—330 502 535 539 540 Wigand, Otto, Buchhändler und Verleger (1795—1870) 265 266 271 272 274 275 277 278 322 Wihl, Ludwig, Schriftsteller, Philologe (1807—1882) 503 Wilhelm von Poitiers, Troubadour (1087 —1127) 105 Winkler s. Hell Winkler, J. Ch. F., Missionar in Bar¬ men, vorher in Ostindien. Er ver¬ faßte eine Gedichtsammlung „Har¬ fenklänge“. 500 Wittelsbacher (Duller, Die Wittels¬ bacher) 498 Wittenstein, Firma in Unterbarmen 506 Wolff (Wolf), Christian (1679—1754) 142 Wülfing, Friedrich Ludwig, geb. 1807 in Barmen. Er veröffentlichte einige Ge¬ dichtbände. Cf. Anm. zu p. 40 27-28 39 40 Wülfing, Wilhelmine, geb. Kampmann, Frau des vorigen 40 Wurm, Gustav, geb. 15. VIII. 1819 in Barmen. Nach dem Abitur am El¬ berfelder Gymnasium, August 1838, studierte er in Berlin, Marburg und Bonn Philologie bis 1844. Später Rektor in Mettmann. Gest. 14. XI. 1888 in Barmen. Jugendfreund von Friedrich Engels. 486 488 490 492 495 501 515 518 521 523 533 534 541 543 (vermicul), 559 561 572 Zedlitz: Josef Christian Freiherr von Zed¬ litz-Nimmersatt, österreichischer Dich¬ ter und Diplomat (1790—1862) 503 Zeus 478 479 Ziegler: Heinrich Anshelm von Ziegler und Kliphausen (1663—1696) 66
INHALT
Inhalt Seite Einleitung zum zweiten Bande. Vom Herausgeber VII ERSTER TEIL: DIE GEDRUCKTEN SCHRIFTEN Bremen. 1838—1841 Zerstreute Gedichte aus den Jahren 1838—1840 Die Beduinen 7 An die Feinde 9 An den Stadtboten 10 Die Erfindung der Buchdruckerkunst (A la invenciôn de la imprenta) 11 Nachtfahrt 17 Aus: Telegraph für Deutschland. 1839—1841 Aus dem Wuppertal Briefe aus dem Wuppertal I 23 Briefe aus dem Wuppertal II 34 Offener Brief an Dr. Runkel 42 F. W. Krummachers Predigt über Josua 44 Aus Elberfeld 45 Verschiedenes Die deutschen Volksbücher 49 Karl Beck 57 Retrograde Zeichen der Zeit 62 Platen 67 Joel Jacoby 69 Über Anastasius Grün 71 Requiem für die deutsche Adelszeitung 72 Landschaften 76 Ein Abend 83 Zwei Predigten von F. W. Krummacher 88 Sanct Helena 90 Siegfrieds Heimat 91 Ernst Moritz Arndt 96 Der Kaiserzug 109 Immermanns Memorabilien 111
688 Inhalt Seite Aus: Morgenblatt für gebildete Leser. 1840—1841 Theater. Buchdruckerfest. Literatur 121 Bei Immermanns Tod 126 Rationalismus und Pietismus. Schiffahrtsprojekt. Theater. Manöver 128 Der Ratsherr von Bremen 132 Kirchlicher Streit. Verhältnis zur Literatur. Musik. Plattdeutsch 141 Eine Fahrt nach Bremerhafen 147 Berlin 1841 — 1842 Aus: Athenäum. Berlin 1841 Lombardische Streifzüge 159 Philosophische Pamphlete Anti-Schelling Schelling über Hegel 173 Schelling und die Offenbarung 181 Schelling, der Philosoph in Christo 229 Der Triumph des Glaubens Die frech bedräute, jedoch wunderbar befreite Bibel oder der Triumph des Glaubens 253 Publizistisches Aus: Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe. 1842 Nord- und süddeutscher Liberalismus 287 Tagebuch eines Hospitanten I 290 Rheinische Feste 293 Tagebuch eines Hospitanten II 296 Glossen und Randzeichnungen zu Texten aus unserer Zeit . . . 299 Polemik gegen Leo 303 Die Freisinnigkeit der Spenerschen Zeitung 306 Das Aufhören der Kriminalistischen Zeitung 308 Zur Kritik der Preußischen Preßgesetze 310 Allerlei aus Berlin 318 F. W. Andreä und der „Hohe Adel Teutschlands“ 319 Aus: Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst Alexander Jung, Vorlesungen über die moderne Literatur der Deutschen 323 Aus: Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz. Zürich und Winterthur 1843 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 339
Inhalt 689 Seite London und Manchester. 1842—1844 Briefe aus England für die Rheinische Zeitung und den Schweizerischen Republikaner. 1842—1843 Die innern Krisen 351 Englische Ansicht über die innern Krisen 356 Stellung der politischen Partei 359 Lage der arbeitenden Klasse in England 361 Die Korngesetze 363 Briefe aus London I 365 Briefe aus London II 368 Briefe aus London III 370 Briefe aus London IV 374 Aus: Deutsch-Französische Jahrbücher. Paris 1844 Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie 379 Die Lage Englands. Past and Present by Thomas Carlyle . . . 405 Aus: The New Moral World. 1843—1844 Progress of Social Reform on the Continent 435 I. France 436 II. Germany and Switzerland 443 The „Times“ on German Communism 450 French Communism 454 Continental Movements 455 ZWEITER TEIL: HANDSCHRIFTLICHES, BRIEFE, DOKUMENTE Dokumente und Jugendarbeiten. Barmen-Elberfeld 1820—1837 1. Geburtsurkunde von Friedrich Engels; Barmen 1820 Dezem¬ ber 5 461 2. Taufurkunde von Friedrich Engels; Unter-Barmen 1821 Ja¬ nuar 18 461 3. Geburtstagsgedicht von Engels an seinen Großvater van Haar; Barmen 1833 Dezember 20 462 4. Friedrich Engels sen. an seine Frau Elise, geb. van Haar in Hamm; Barmen 1835 August 27 462 5. Gedicht aus dem Jahre 1836 464 6. Gedicht wahrscheinlich von Anfang 1837 465 7. Eine Seeräubergeschichte 465 8. Denkspruch für Friedrich Engels am Tage der Konfirmation; Unterbarmen 1837 März 12 477 9. Griechisches Gedicht, von Fr. Engels im epischen Versmaß be¬ arbeitet und vorgetragen bei den öffentlichen Schulfeierlich¬ keiten des Elberfelder Gymnasiums am 15. September 1837 . 478 10. Abgangszeugnis für den Primaner Friedrich Engels; Elberfeld 1837 September 25 480 Marx-Engels-Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 2. 44
690 Inhalt Seite Briefe an die Brüder Graeber Engels an Friedrich und Wilhelm Graeber in Elberfeld; [Bremen 1838] September 1 485 Engels an Friedrich und Wilhelm Graeber in Barmen; [Bremen 1838] September 17—18 486 Engels an Friedrich Graeber; [Bremen 1839 Januar 20] . . . 493 Engels an Friedrich Graeber; [Bremen 1839 Februar 19] . . 499 Engels an Friedrich Graeber; [Bremen] 1839 April 8—9 . . 502 Engels an Friedrich Graeber; [Bremen 1839 April ca. 23]—Mai 1 505 Engels an Wilhelm Graeber; [Bremen 1839 April 27—30] . . 516 Engels an Wilhelm Graeber in Berlin; [Bremen 1839] Mai 24 -Juni 15 519 Engels an Friedrich Graeber in Berlin; [Bremen 1839] Juni 15 523 Engels an Friedrich Graeber in Berlin; [Bremen 1839] Juli 12—27 526 Engels an Friedrich Graeber; [Bremen 1839 Ende Juli] .... 533 Engels an Wilhelm Graeber; Bremen 1839 Juli 30 534 Engels an Wilhelm Graeber; [Bremen] 1839 Oktober 8 . . . 538 Engels an Wilhelm Graeber in Berlin; [Bremen 1839] Ok¬ tober 20-21 541 Engels an Friedrich Graeber; [Bremen 1839 Oktober 29] . . . 542 Engels an Wilhelm Graeber in Berlin; Bremen 1839 No¬ vember 13—20 548 Engels an Friedrich Graeber in Berlin; [Bremen 1839] Dezember 9 —1840 Februar 5 553 Engels an Wilhelm Graeber; Bremen 1840 November 20 . . . 559 Engels an Friedrich Graeber; Bremen 1841 Februar 22 . . . 562 Briefe an die Schwester Marie Engels an seine Schwester Marie in Barmen; Bremen 1838 August 28— 29 567 Engels an seine Schwester Marie in Barmen; [Bremen 1838] Sep¬ tember 11 569 Engels an seine Schwester Marie in Barmen; Bremen 1838 Ok¬ tober 9-10 571 Engels an seine Schwester Marie in Barmen; Bremen 1838 Novem¬ ber 13 574 Engels an seine Schwester Marie in Barmen; [Bremen, um Weih¬ nachten 1838] 576 Engels an seine Schwester Marie in Barmen; [Bremen] 1839 Ja¬ nuar 7 577 Engels an seinen Bruder Hermann in Barmen; Bremen 1839 Fe¬ bruar 11—12 579 Engels an seine Schwester Marie in Barmen; Bremen 1839 Fe¬ bruar 12 580 Engels an seine Schwester Marie in Barmen; Bremen 1839 April 10 581 Engels an seine Schwester Marie in Barmen ; [Bremen] 1839 April 28 582 Engels an seine Schwester Marie in Barmen; Bremen 1839 Mai 23 586
Inhalt 691 Seite Engels an seine Schwester Marie in Barmen; Bremen 1839 Sep¬ tember 28 588 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim; Bremen 1840 Juli 7—9 589 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim; Bremen 1840 August 4 591 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim; Bremen 1840 August 20—25 593 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim; [Bremen] 1840 September 18—19 597 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim; Bremen 1840 Oktober 29 600 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim; Bremen 1840 Dezember 6—9 603 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim; [Bremen] 1840 Dezember 21—28 606 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim; Bremen 1841 Februar 18 608 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim; Bremen 1841 März 8-11 611 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim; Barmen 1841 April 5 613 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim ; [Barmen 1841 ca. Anfang Mai] 614 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim; [Barmen 1841 ca. Ende August] 615 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim; Barmen 1841 September 9 615 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim; Berlin 1842 Januar 5—6 616 Engels an seine Schwester Marie in Mannheim; Berlin 1842 April 14-16 619 Engels an seine Schwester Marie [1842, Sommer] 621 Engels an seine Schwester Marie in Bonn; Berlin 1842 Juli 2 . . 622 Engels an seine Schwester Marie in Ostende; Berlin 1842 August 2-8 623 Zwei Briefe an Ruge Engels (Oswald) an Arnold Ruge in Dresden; Berlin 1842 Juni 15 631 Engels an Arnold Ruge in Dresden; Berlin 1842 Juli 26 ... . 631 Militärisches Führungsattest Führungs-Attest für den einjährigen Freiwilligen Friedrich Engels; Berlin 1842 Oktober 8 635 Zitaten- und Titelnachweise; textkritische Anmerkungen • • 639 Verzeichnis der ersten Wiederabdrucke 661 Namenregister 665 44*
Beilagen Tafel I. Friedrich Engels im Jahre 1839 vor S. I Tafel II. Eine Seite des „Telegraph für Deutschland“ mit Engels’ Aufsatz „Karl Beck“ vor S. 57 Tafel III. Titelseite der Broschüre „Schelling und die Of¬ fenbarung“ vor S. 181 Tafel IV. Umschlagseite der Broschüre „Schelling, der Phi¬ losoph in Christo“ vor S. 229 Tafel V. Umschlagseite der Broschüre „Der Triumph des Glaubens“ vor S. 253 Tafel VI. Ruge bei den Berliner „Freien“. Karikatur von Engels vor S. 277 Die Zeichnung stellt den Zusammenstoß der Freien mit Arnold Ruge dar, der um den 10. November 1842 in Beglei¬ tung des Verlegers Otto Wigand die Freien in Berlin be¬ suchte, — kurze Zeit vor dem Bruch der Freien mit der Rheinischen Zeitung. (Vgl. Marx an Ruge, 30. Novem¬ ber 1842, und Ruge an Marx, 4. Dezember 1842; 1/2, S. 287ff.) Ort der Handlung ist die Walburgsche Weinstube, Ver¬ sammlungsort der Freien. Die auf der Zeichnung in erregter Auseinandersetzung dargestellten Personen sind Ruge, Buhl, Nauwerck, Bruno Bauer, Wigand, Edgar Bauer, Stirner, Meyen, zwei Unbekannte und Köppen. Bruno Bauer tritt mit einem Fuß auf die Rheinische Zeitung, mit dem andern auf die — mit den Unterschriften von Flottwell und Dr. Jordan versehene — Subskriptionsliste für Johann Jacoby; daneben die Königs¬ berger Zeitung. — An der Wand eine Guillotine, links in der Ecke ein Eichhörnchen (Anspielung auf den Kultusminister Eichhorn). Das Original. 21 :24 cm groß, ist eine Federzeichnung von der Hand Friedrich Engels’, von dem auch die Unter¬ schriften stammen, und ist Mitte November 1842 in Barmen entstanden. Engels befand sich zur Zeit jenes Ereignisses nicht mehr in Berlin und wurde vermutlich durch briefliche Mit¬ teilungen zu der Karikatur angeregt. — Das Original befindet sich im Marx-Engels-Institut. Tafel VII. Eine Seite aus „The New Moral World“ mit Engels’ Aufsatz „Progress of Social Reform on the Con¬ tinent“ vor S. 435 Tafel VIII. Gedicht und Zeichnung des jungen Friedrich Engels aus dem Jahre 1836 vor S. 465 Tafel IX. Engels an Arnold Ruge, 15. Juni 1842 .... vor S. 631 Tafel X. Zeichnung des jungen Friedrich Engels aus dem Jahre 1834 (aus einem Schulheft über alte Geschichte) vor S. 637
D ruckf ehler 2624 statt ,,Schweigt lies Schweigt 469 Fußnote statt xizoiv oder Kl&wv lies %Itojv oder Man 5165 statt yôv lies ^öv 5167 statt aâQiç lies xdçiç 679 r. Sp.z.56 statt 1879—1875 lies 1789—1875
MARX ENGELS GESAMT AUSGABE ERSTE ABTEILUNG BAND 2