Author: Schührer A-K.  

Tags: psychologie   soziologie  

ISBN: 2569-958X

Year: 2015

Text
                    Edition Centaurus –
Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis

Anne-Katrin Schührer

Migration und
Engagement
Zwischen Anerkennung,
Lebensbewältigung und sozialer
Inklusion


Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis Reihe herausgegeben von Jürgen Burmeister, Heidenheim, Deutschland Süleyman Gögercin, Villingen-Schwenningen, Deutschland Rene Gründer, Heidenheim, Deutschland Klaus Grunwald, Stuttgart, Deutschland Ute Koch, Stuttgart, Deutschland Karin E. Sauer, Villingen-Schwenningen, Deutschland
Soziale Arbeit als wissenschaftliche Disziplin hat die Aufgabe, für vielfältige Fragen und Gegenstandsbereiche aus Disziplin, Profession und Praxis jeweils spezifische theoriegestützte Angebote zu machen und die je nach Feld, Fragestellung, Bezugswissenschaften usw. verschiedenen wissenschaftlichen Diskurse weiter zu entwickeln. Die vorliegende Schriftenreihe „Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis“ ist dieser Aufgabe verpflichtet. Sie entsteht vor dem Hintergrund eigener Lehr- und Praxiserfahrungen der Herausgeberinnen und Herausgeber insbesondere an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und verfolgt das Ziel, Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit mit unterschiedlichen Beiträgen zu befruchten. Die Herausgeberinnen und Herausgeber, Dezember 2015 Prof. Dr. Jürgen Burmeister, Heidenheim; Prof. Dr. Süleyman Gögercin, Villingen-Schwenningen; Prof. Dr. René Gründer, Heidenheim; Prof. Dr. Klaus Grunwald, Stuttgart; Prof. Dr. Ute Koch, Stuttgart und Prof. Dr. Karin E. Sauer, Villingen-Schwenningen Die Reihe ist zuvor unter dem Titel „Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis“ im Centaurus Verlag erschienen. Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/15319
Anne-Katrin Schührer Migration und Engagement Zwischen Anerkennung, Lebensbewältigung und sozialer Inklusion Mit einem Vorwort der Reihenherausgeber und -herausgeberinnen Prof. Dr. Jürgen Burmeister, Prof. Dr. Süleyman Gögercin, Prof. Dr. René Gründer, Prof. Dr. Klaus Grunwald, Prof. Dr. Ute Koch und Prof. Dr. Karin E. Sauer und einem Vorwort von Prof. Dr. Stefan Immerfall
Anne-Katrin Schührer Fakultät Sozialwesen Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heidenheim an der Brenz, Deutschland Zugl. Diss. Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd 2018 ISSN 2569-958X ISSN 2569-9601 (electronic) Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis ISBN 978-3-658-25096-6 (eBook) ISBN 978-3-658-25095-9 https://doi.org/10.1007/978-3-658-25096-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort der Herausgeberinnen und Herausgeber der Schriftenreihe In der Schriftenreihe „Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis“ werden Monographien und Sammelbände veröffentlicht, die im Kontext der Weiterentwicklung von Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit stehen. Dabei soll durch die Auswahl der Fragestellungen, Themenfelder und Autorinnen und Autoren der Fachbereiche Sozialwesen der Dualen Hochschule Baden-Württemberg als Ort von Forschung und Theoriebildung sichtbar(er) gemacht werden. Die Soziale Arbeit als wissenschaftliche Disziplin ist heute durch vielfältige wissenschaftliche Diskurse gekennzeichnet, die in ihren Forschungsanstrengungen teils stärker theoretisch, teils stärker empirisch ausgerichtet sein können oder auch beide Perspektiven auf spezifische Weise miteinander verbinden. Soziale Arbeit als Disziplin differenziert sich dabei hinsichtlich ihrer Arbeitsfelder, methodischen Zugänge, bezugswissenschaftlichen Kontexte usw. ständig weiter aus. Soziale Arbeit als Profession bezeichnet eine besondere Form eines Berufs. Sie verfolgt insbesondere seit Ende der 60er Jahre das Ziel einer nachhaltigen Professionalisierung und ist durch die damit verbundenen Diskussionen über Berufsbilder, Kompetenzen und gesellschaftlichen Status von Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagogen gekennzeichnet. Damit in Verbindung stehen Anstrengungen, die Ausbildung der Fachkräfte wissenschaftlich zu fundieren (vgl. Dewe/Otto 2015: 1233). Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit sind aufeinander bezogen und stehen in Wechselwirkung zueinander, auch wenn sie durch unterschiedliche Logiken geprägt sind. Pointiert gesagt: Die Profession benötigt einen Wissenschaftsbezug, um fundiert, kritisch und reflektiert agieren zu können, die Disziplin braucht einen Praxisbezug, will sie sich nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft an Prägekraft für die Praxis verlieren. Die Profession ‚Soziale Arbeit’ ist jedoch nicht gleich zu setzen mit der Praxis der Sozialen Arbeit, sondern steht zwischen der wissenschaftlichen Disziplin, die „wissenschaftliches Erklärungswissen“ liefert (Kriterium: „Wahrheit“) und der Praxis, die „praktisches Entscheidungswissen“ bereitstellt (Kriterium „Angemessenheit“) (Dewe/Otto 2005: 1966). Die Profession bedient sich sowohl des „wissenschaftlichen Erklärungswissens“ als auch des „praktischen Entscheidungswissens“ und verbindet die beiden Kriterien „Wahrheit“ und „Angemessenheit“ miteinander (ebd.). Ihr geht es – im Sinne eines permanenten Lernprozesses – darum, mit wissenschaftlichem Wissen fachliche Entscheidungen sorgfältiger und stichhaltiger begründen zu können und gleichzeitig auf der Basis von praktischem
VI Vorwort der Herausgeberinnen und Herausgeber der Schriftenreihe Können die eigene Handlungskompetenz weiter zu verbessern. Die Erklärung oder Deutung von Situationen und Strukturen sowie die Bereitstellung einer Maßnahme oder eines Angebotes sind aus dieser Sicht aufeinander bezogen. Sie ergänzen und befruchten sich im besten Fall gegenseitig (vgl. ebd.). Soziale Arbeit als wissenschaftliche Disziplin – und damit auch diese Schriftenreihe – hat insofern die Aufgabe, für vielfältige Fragen und Gegenstandsbereiche aus Disziplin, Profession und Praxis jeweils spezifische theoriegestützte Angebote zu machen und die je nach Feld, Fragestellung, Bezugswissenschaften usw. verschiedenen wissenschaftlichen Diskurse weiter zu entwickeln. Die Disziplin Soziale Arbeit stellt theoretische Rahmungen und Bezugspunkte zur Verfügung, an denen sich die Profession teils orientieren, teils reiben kann und die Herausforderungen für professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit darstellen können. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die Disziplin einerseits offen und sensibel ist für Themen- und Fragestellungen von Profession und Praxis Sozialer Arbeit und andererseits sich von diesen immer wieder selbst ‚verunsichern‘ bzw. in Frage stellen lässt. Die vorliegende Schriftenreihe „Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis“ ist dieser Aufgabe verpflichtet. Sie entsteht vor dem Hintergrund eigener Lehr- und Praxiserfahrungen der Herausgeber und Herausgeberinnen insbesondere an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und verfolgt das Ziel, Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit mit unterschiedlichen Beiträgen zu befruchten. Die Herausgeberinnen und Herausgeber, Februar 2016 Prof. Dr. Jürgen Burmeister, Heidenheim; Prof. Dr. Süleyman Gögercin, VillingenSchwenningen; Prof. Dr. René Gründer, Heidenheim; Prof. Dr. Klaus Grunwald, Stuttgart; Prof. Dr. Ute Koch, Stuttgart und Prof. Dr. Karin E. Sauer, VillingenSchwenningen Literatur Dewe, B./Otto, H.-U. (2005): Wissenschaftstheorie, in: Otto, H.-U./Thiersch, H. (Hrsg.): Handbuch Sozialarbeit/Sozialpädagogik, 3. Aufl., München: 1966–1979. Dewe, B./Otto, H.-U. (2015): Profession, in: Otto, H.-U./Thiersch, H. (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit, 5., erw. Aufl., München: 1233–1244.
Vorwort Aus vielen Gründen ist das Interesse an Ehrenamt, freiwilligem Engagement und Bürgerarbeit hoch. Quantitativ wissen wir eine Menge über freiwilliges und ehrenamtliches soziales Handeln in Deutschland, nicht zuletzt durch die regelmäßigen Freiwilligensurveys. Weniger gut ist der Wissensstand hinsichtlich der Motive, die bürgerschaftliches Handeln im Einzelnen bestimmen und der Gelegenheiten, die es begünstigen. Das gilt ganz besonders für eine Gruppe, die auch ansonsten als „schwer erreichbar“ oder „still“ gilt: Frauen mit Migrationshintergrund oder Zuwanderungsgeschichte, namentlich diejenigen mit niedrigem sozioökonomischen Status. Die Untersuchung Schührers liefert nun zu dieser Population wichtige Befunde. Rekrutierungsort für die Interviews waren Mütter- und Familienzentren. Das sind offene, selbstorganisierte Treffpunkte innerhalb eines Stadtviertels oder einer Kommune, Orte der Begegnung, des Erfahrungsaustausches und der Unterstützung für Mütter, Väter und ihre Kinder. Mehr als 400 gibt es davon in Deutschland. Aufgrund der Niedrigschwelligkeit erreichen sie Familien aus unterschiedlichen sozialen und kulturellen Lebensräumen. Das macht sich die Untersuchung Schührers zunutze. In sorgfältig geführten, 28 narrativ-leitfadengestützten Interviews wird nicht nur die Vielfalt migrantischer Lebenslagen und Lebensstile deutlich. Es zeigt sich auch, dass der Zugang zum Engagement entlang höchst unterschiedlicher Motivbündel erfolgt. Wenngleich repräsentative Aussagen weder angestrebt noch möglich sind, gelingt es der Untersuchung überzeugend, den Dualismus zwischen altruistischen und ichbezogenen Motiven zu überwinden. Wir erhalten einen mikrosoziologisch genauen Einblick in unterschiedliche Wege in das bürgerschaftliche Engagement eines, in sich wiederum äußert vielfältigen und in anderen Untersuchung zum bürgerschaftlichen Engagement oft zu kurz kommenden Personenkreises. Neuland betritt die Arbeit im Bereich migrationsspezifischer Motive und des (nichtlinearen) Zusammenhangs von Herkunftskultur und Engagement. Hier waren wir bislang überwiegend auf Vermutungen angewiesen, während die Arbeit zumindest für die untersuchte Zielgruppe darlegen konnte, wann und in welchem – zumeist geringen – Umfang letztere Motive eine Rolle spielen. Auch steht das bürgerschaftliche Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund in einem aufnahmelandbezogenen („deutschen“) Verein nicht zwingend in einem Zusammenhang mit dem Wunsch nach Inklusion. Die zentralen Differenzlinien zwischen den verschiedenen Engagementgruppen verlaufen vielmehr bezüglich ihrer beruflichen Partizipationsmöglichkeiten in der Aufnahmegesellschaft. Deutlich stärker
VIII Vorwort als bisher sollte daher in der Engagementforschung der Zusammenhang zwischen Beteiligungsprozessen und beruflichen Partizipationschancen gesehen werden. Aus den Befunden lassen sich eine Reihe wichtiger Fingerzeige zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements ableiten. Je nach Engagementtypus gibt es unterschiedliche Handlungsempfehlungen und Unterstützungsbedarfe. Die Arbeit leistet daher nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Engagementforschung, sondern ist gewinnbringend auch für Organisationen und Vereine hinsichtlich der Förderung von Partizipation zu lesen. Stefan Immerfall Schwäbisch Gmünd, 30. September 2018
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis.................................................................................... XIII Abbildungsverzeichnis ......................................................................................XV Tabellenverzeichnis ........................................................................................ XVII 1 Einleitung..................................................................................................... 1 1.1 Problemstellung .................................................................................... 1 1.2 Forschen im Kontext von Migration ..................................................... 2 1.3 Ziel der Studie und erhoffter Erkenntnisgewinn ................................... 7 1.4 Zum Aufbau der Arbeit ......................................................................... 8 2 Bürgerschaftliches Engagement .............................................................. 11 2.1 Definitionen ........................................................................................ 11 2.2 Traditionslinien des bürgerschaftlichen Engagements ........................ 15 2.3 Strukturwandel des bürgerschaftlichen Engagements ......................... 18 2.4 Bürgerschaftliches Engagement und Gesellschaft .............................. 20 2.4.1 Soziales Kapital bei Pierre Bourdieu ........................................ 22 2.4.2 Soziales Kapital bei Robert Putnam.......................................... 24 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland ............................... 27 3.1 Engagementforschung: Stand der Forschung ...................................... 31 3.1.1 Die Freiwilligensurveys 1999, 2004, 2009 und 2014 ............... 32 3.1.2 Sonderauswertung des Freiwilligensurveys 2009 für Baden-Württemberg.................................................................. 50 3.2 Migrationsforschung: Stand der Forschung ........................................ 51 3.2.1 Studie des Zentrums für Türkeistudien ..................................... 51 3.2.2 Die Sinus-Studie „Lebenswelten und Milieus“......................... 55 3.2.3 Zuwanderer in Deutschland 2009 ............................................. 61 3.2.4 Forschungsprojekt AMIQUS 2009–2012 ................................. 63 3.2.5 Die Studie „Integration gelungen?“ .......................................... 63 3.2.6 Die Studie „DIVERSE-Project“................................................ 65 3.3 Soziale Ungleichheitsforschung: Stand der Forschung ....................... 66 3.3.1 Die These der „Effektivitätsfalle“ ............................................. 67 3.3.2 Die „Entbehrlichen“ der Bürgergesellschaft und Viertelgestalter .......................................................................... 68 3.3.3 Engagement sozial benachteiligter Menschen .......................... 70
X Inhaltsverzeichnis 3.3.4 Armut und Engagement ............................................................ 71 3.3.5 Sozial benachteiligte Jugendliche im Jugendverband ............... 71 3.4 Forschung in der Schnittmenge von Migration und Engagement ....... 72 3.4.1 Die Studie INVOLVE ............................................................... 72 3.4.2 Die Studie „Lernorte und Wege zur sozialen Integration“........ 73 3.4.3 „Vergleichende Fallstudien“ ..................................................... 74 3.4.4 Studie Wohlfahrts- und Migrantenorganisationen .................... 76 3.4.5 Studie Frauen mit Migrationshintergrund ................................. 77 3.5 Zusammenfassung der Studien ........................................................... 77 3.6 Forschungslücken ............................................................................... 79 4 Zentrale theoretische Bezüge ................................................................... 81 4.1 „Kampf um Anerkennung“ nach Axel Honneth ................................. 83 4.1.1 Darstellung der Theorie ............................................................ 83 4.1.2 Grenzen der Theorie für die Studie ........................................... 89 4.2 Das Konzept der „Lebensbewältigung“ nach Lothar Böhnisch .......... 90 4.2.1 Darstellung der Theorie ............................................................ 91 4.2.2 Grenzen der Theorie für die Studie ........................................... 96 4.3 Inklusion in die Aufnahmegesellschaft – das Konzept der „Sozialintegration“ nach Hartmut Esser ............................................. 99 4.3.1 Darstellung der Theorie .......................................................... 104 4.3.2 Grenzen der Theorie für die Studie ......................................... 105 4.4 Fazit oder der Versuch einer Verknüpfung von Anerkennung, Lebensbewältigung und Inklusion ............................ 106 5 Empirische Untersuchung ...................................................................... 111 5.1 Das Forschungsprojekt und theoretische Erwartungen ..................... 111 5.2 Der Untersuchungsort Mütter- und Familienzentren in Deutschland ...................................................................................... 115 5.2.1 Die Mütterbewegung .............................................................. 115 5.2.2 Die Mütterzentrumsbewegung ................................................ 116 5.2.3 Mütterzentren .......................................................................... 118 5.2.4 Mütterzentren und Forschung ................................................. 120 5.3 Das Forschungsdesign ...................................................................... 121 5.3.1 Entwicklung und Vorteile des Untersuchungsdesigns ............ 121 5.3.2 Grenzen des Untersuchungsdesigns ........................................ 125 5.4 Die Datenerhebung ........................................................................... 125 5.4.1 Feldzugang .............................................................................. 125 5.4.2 Der Interviewleitfaden ............................................................ 127 5.4.3 Die Durchführung der Interviews ........................................... 130
Inhaltsverzeichnis XI 5.4.4 Stichprobe ............................................................................... 132 5.5 Datenauswertung............................................................................... 143 5.5.1 Transkription........................................................................... 143 5.5.2 Kodierung ............................................................................... 145 5.5.3 Typisierende Abstraktion ........................................................ 146 5.6 Zur Besonderheit der Interviewführung mit Migrant_innen ............. 149 6 Ergebnisse ................................................................................................ 153 6.1 Engagementmotive ........................................................................... 153 6.1.1 Hedonistische/gesellige und auf das eigene Wohlbefinden bezogene Motive ............................................. 160 6.1.2 Anerkennung........................................................................... 169 6.1.3 Kompensatorische Motive ...................................................... 186 6.1.4 Kompetenzentwicklung .......................................................... 203 6.1.5 Migrationsspezifische Motive ................................................. 216 6.1.6 Altruistische Motive ............................................................... 241 6.2 Engagementtypen .............................................................................. 255 6.2.1 Engagementtyp I – die Solidarisch-Prekären ......................... 258 6.2.2 Engagementtyp II– die Aufstiegsorientiert-Prekären ............. 262 6.2.3 Engagementtyp III – Die Unfreiwillig-Freiwilligen .............. 264 6.2.4 Engagementtyp IV – Die postintegrierte Mitte ....................... 268 6.2.5 Engagementtyp V – Die Idealistisch-Kosmopoliten ............... 271 6.2.6 Zwischenergebnis Engagementtypen ...................................... 275 6.3 Veränderung durch freiwilliges Engagement .................................... 288 6.3.1 Zufriedenheit........................................................................... 289 6.3.2 Selbstbewusstsein ................................................................... 289 6.3.3 Toleranz .................................................................................. 290 6.3.4 Entwicklung von politischem und gesellschaftlichem Interesse .................................................................................. 292 6.3.5 Zwischenergebnis Veränderung durch Engagement ............... 293 6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements ................ 295 6.4.1 Barrieren aufgrund persönlicher Merkmale ............................ 298 6.4.2 Institutionelle Barrieren .......................................................... 311 6.4.3 Gesamtgesellschaftliche Barrieren .......................................... 316 6.4.4 Zwischenfazit Barrieren .......................................................... 318 6.5 Türöffner zum freiwilligen Engagement ........................................... 319 6.5.1 Willkommenskultur ................................................................ 320 6.5.2 Zugangsmöglichkeiten durch direkte Ansprache, Mittler_innen und Vorbilder .................................................. 321 6.5.3 Wertschätzung von Kompetenzen .......................................... 324
XII Inhaltsverzeichnis 6.5.4 Geschützter Raum ................................................................... 325 6.5.5 Kultur der Solidarität und Unterstützung ................................ 326 6.5.6 Demokratische Vereinskultur ................................................. 326 6.5.7 Zwischenfazit Türöffner ......................................................... 327 6.6 Zwischenfazit Empirie ...................................................................... 328 6.6.1 Zur Beantwortung der Forschungsfragen................................ 328 6.6.2 Grenzen der empirischen Forschung....................................... 334 7 Verknüpfung von Empirie und Theorie ............................................... 337 7.1 Empirie und Anerkennung ................................................................ 337 7.2 Empirie und Lebensbewältigung....................................................... 349 7.3 Empirie und Inklusion....................................................................... 358 8 Fazit und Handlungsempfehlungen ...................................................... 369 8.1 Kurzzusammenfassung ..................................................................... 369 8.1.1 Kurzzusammenfassung der empirischen Ergebnisse .............. 369 8.1.2 Kurzzusammenfassung der empirischen Ergebnisse im theoretischen Kontext ............................................................ 372 8.2 Handlungsempfehlungen .................................................................. 377 8.2.1 Handlungsempfehlungen für die Makroebene ........................ 378 8.2.2 Handlungsempfehlungen für die Mesoebene .......................... 387 8.2.3 Handlungsempfehlungen für die Mikroebene ......................... 394 8.3 Fazit ................................................................................................ 399 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 403 Anhang............................................................................................................. 427 I Universität Konstanz, Ergänzung zur Studie „Integration gelungen?“ ........................................................................................ 427 II Expertinneninterviews – Leitfaden ................................................... 429 III Fragebogen zur Erhebung der soziodemografischen Daten .............. 430
Abkürzungsverzeichnis AufenthG BAMF BaWü BIBB BMFSFJ BQFG BzG BW DQR FF FWS HwO IKG Int IQ JArbEhrStärkG BW KiTaG M(S)O MüZe N/ n NDO SGB TCN ZfTI Aufenthaltsgesetz Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Baden-Württemberg Bundesinstitut für Berufsbildung Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Gesetz über die Feststellung der Gleichwertigkeit von Berufsqualifikationen Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg Deutscher Qualifikationsrahmen Forschungsfrage Freiwilligensurvey Gesetz zur Ordnung des Handwerks Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung Interview/ Interviewpartnerin Programm „Integration durch Qualifizierung“ Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes in der Jugendarbeit Baden-Württemberg Kindertagesbetreuungsgesetz Migrant_innen(selbst)organisation Mütterzentrum Anzahl Neue Deutsche Organisationen Sozialgesetzbuch Third Country Nationals (Drittstaatsangehörige) Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Relevante Forschungsfelder ................................................. 30 Freiwillige/ehrenamtliche Übernahme von Aufgaben und Arbeiten ................................................................................ 34 Freiwilliges Engagement und Bereitschaft zum Engagement .......................................................................... 36 Gründe für die Beendigung des freiwilligen Engagements .. 38 Erwartungen an die freiwillige Tätigkeit.............................. 39 Anteil Engagierter und Anteile Aktiver nach Art des Migrationshintergrundes 2014 ...................................... 44 Engagementbereitschaft nach Art des Migrationshintergrundes 2014 in Prozent ............................ 46 Anteile Engagierter mit Leitungs- oder Vorstandsfunktion nach Art des Migrationshintergrundes 2014 ........................ 47 Motive des Engagements nach Migrationshintergrund ........ 49 Migrantenmilieus in Deutschland 2016 ............................... 56 Veränderungen der Milieus im Vergleich zu 2008 .............. 57 Status quo bei der lokalen Beteiligung von Migrant_innen . 59 Migrant_innenmilieus und lokales Engagement nach Ethnie ........................................................................... 60 Aktive Vereinspartizipation, Angaben in Prozent ................ 64 Erwartungen an die Tätigkeit: Mittelwerte von 1 „unwichtig" bis 5 „außerordentlich wichtig"..................... 75 Das Zwei-Kreise-Modell der biografischen Lebensbewältigung .............................................................. 93 Bewältigungslage ................................................................. 95 Anerkennung, Lebensbewältigung und soziale Inklusion .. 108 Verbreitung von Mütterzentren in Deutschland ................. 118 Stufenmodell empirisch begründeter Typenbildung .......... 147 Überblicksmodell zu Determinanten und Verlauf motivierten Handelns ......................................................... 153 Engagementmotive Überblick ............................................ 159 Hedonistische/gesellige und auf das eigene Wohlbefinden bezogene Engagementmotive ..................... 160 Angaben der freiwillig Engagierten zu den Motiven für ihr Engagement 2014 .................................................... 161 Anerkennung als Engagementmotiv .................................. 170
XVI Abbildung 26: Abbildung 27: Abbildung 28: Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31: Abbildung 32: Abbildung 33: Abbildung 34: Abbildung 35: Abildungsverzeichnis Kompensatorische Motive bürgerschaftlichen Engagements ...................................................................... 190 Kompetenzentwicklung als Motiv bürgerschaftlichen Engagements ....................................... 206 Kulturelle Identitäten in der Milieulandschaft ................... 225 Migrationsspezifische Motive bürgerschaftlichen Engagements ...................................................................... 226 Altruistische Motive bürgerschaftlichen Engaments .......... 243 Clusterdarstellung der Engagementtypen in Bezug auf Gemeinwohlorientierung und berufliche Teilhabechancen ................................................................. 258 Veränderung durch Engagement ........................................ 288 Barrieren und Hindernisse bei der Aufnahme eines freiwilligen Engagements ................................................... 298 Institutionelle Gunstfaktoren .............................................. 319 Ablauf der Integrationsdimensionen als Prozess ................ 365
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Überblick zum Stand der Forschung ......................................... 31 Freiwilliges Engagement 2004 nach soziodemografischen Merkmalen ............................................ 36 Modell zur Vorhersage öffentlicher Beteiligung bzw. freiwilligen Engagements ......................................................... 42 Engagementquoten der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund .............................................................. 78 Struktur sozialer Anerkennungsverhältnisse ............................. 88 Schematische Darstellung der Datenerhebung........................ 126 Interviewleitfaden ................................................................... 128 Tabellarische Übersicht zum Interviewsample (n=28) ........... 135 Einflussfaktoren zur Aufnahme eines Engagements ............... 318 Individuelle Gunst- und Hemmfaktoren bürgerschaftlichen Engagements ........................................................................... 319 Barrieren und institutionelle Gunstfaktoren ............................ 327 Ablauf der Integrationsdimensionen nach Engagementtyp..... 364 Bewältigungsform nach Interviewsample ............................... 375 Angestrebte Integrationsdimensionen nach Interviewsample . 376
1 Einleitung 1 Einleitung 1.1 Problemstellung 1.1 Problemstellung Was motiviert Frauen mit Zuwanderungsgeschichte bzw. Migrationshintergrund, sich in einem aufnahmelandbezogenen1 Verein freiwillig zu engagieren? Gibt es Motive, die sich speziell auf die Migrationserfahrung zurückführen lassen oder auf die Zuschreibung des Merkmals als „Menschen mit Migrationshintergrund2“? Und wie sehr prägt die soziale Lage die Partizipation am bürgerschaftlichen Engagement3? Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit der Motivation bürgerschaftlichen Engagements im Kontext von Migration und sozialer Ungleichheit. Empirische Grundlage sind 28 Interviews mit Frauen mit Zuwanderungsgeschichte, die sich in Mütter- und Familienzentren und Mehrgenerationenhäusern in BadenWürttemberg engagieren. Dabei soll insbesondere thematisiert werden, inwiefern bürgerschaftliches Engagement als Suche nach Anerkennung, Lebensbewältigung und sozialer Inklusion verstanden werden kann und welchen Beitrag Einrichtungen und Vereine leisten können, um zu anerkennungssensiblen Orten zu werden. Freiwillig Engagierte sind „multimotiviert“ (Moschner 2002: 8). Die eine Handlungslogik oder die eine Motivation gibt es in der Regel nicht. Individuen werden oftmals von einer Vielzahl von Beweggründen geleitet. Auch wenn die Motivation zwischenzeitlich einen großen Raum4 in der Engagementforschung einnimmt, bleiben die speziellen Motive von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte weitgehend unberücksichtigt. Mit wenigen Ausnahmen (beispielsweise Huth 2013) wird meist nur auf Fragen der Freiwilligensurveys Bezug genommen und somit lediglich auf Fragen, die Migrationsverhältnisse nicht genauer in den 1 2 3 4 Die Bezeichnung „aufnahmelandbezogener Verein“ wird anstelle des Begriffs „deutscher Verein“ verwendet. Die meisten Migrant_innenorganisationen bzw. eigenethnischen Vereine sind nach deutschem Vereinsrecht eingetragene Vereine, also in diesem Sinne auch „deutsche Vereine“. Zur Unterscheidung werden im Folgenden die Begriffe Migrant_innenorganisation und aufnahmelandbezogener Verein verwendet. Die hier verwendete Definition „Menschen mit Migrationshintergrund“ orientiert sich an der Definition des Statistischen Bundesamtes. In der vorliegenden Studie werden die Begriffe „Menschen mit Migrationshintergrund“, „Menschen mit Zuwanderungsgeschichte“ und „Migrant_in“ synonym verwendet. Zur Definition vgl. Kapitel 1.2. Die Enquête-Kommission definierte 2002 (ebd.: 86) folgende Eigenschaften des Bürgerschaftlichen Engagements: freiwillig, nicht auf materiellen Gewinn gerichtet, gemeinwohlorientiert, öffentlich bzw. findet im öffentlichen Raum statt und wird in der Regel gemeinschaftlich/kooperativ ausgeübt. Vgl. auch Kapitel 2.1 Einen guten Überblick über die Motivationsforschung bietet Klöckner (2016). © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A.-K. Schührer, Migration und Engagement, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25096-6_1
2 1 Einleitung Blick nehmen. Deshalb wurden in der hier vorliegenden Studie folgende Forschungsfragen5 gestellt:    Existieren Motive, die sich insbesondere auf die Migrationserfahrung der Frauen zurückführen lassen und die bislang in den Befragungen der Gesamtbevölkerung nicht erfasst werden? Wenn ja, welche lassen sich konkret feststellen? Sind Motive vorhanden, die aus der Verschränkung von Migration und sozialer Ungleichheit resultieren? Welche Motive nennen die Frauen auf die Frage hin, warum sie sich in einem aufnahmelandbezogenen und nicht in einem eigenethnischen Verein engagieren? Darüber hinaus wurden Fragen zu den Hemm- und Gunstfaktoren bei der Aufnahme eines freiwilligen Engagements gestellt sowie zur persönlichen Veränderung durch das Engagement. In einem weiteren Schritt wurde mithilfe der Typenbildung nach Kelle und Kluge (2010) untersucht, ob sich die einzelnen Interviews in Engagementtypen zusammenfassen lassen. 1.2 Forschen im Kontext von Migration 1.2 Forschen im Kontext von Migration Wissenschaftliche Untersuchungen, die sich mit Fragen der Migrationsforschung befassen, müssen sich dreier potenzieller „Fallstricke“ bewusst sein: der Problematiken Zugehörigkeit/Nichtzugehörigkeit, Migrationszuschreibungen und Integrationskonzepte. (1) Forschen im Kontext von Migration birgt die Gefahr der unbeabsichtigten Differenzbildung im Rahmen von Ethnisierungsprozessen („Doing Ethnicity“) und infolgedessen eine Zementierung von Nicht-Zugehörigkeit. Die Folgen der Grenzziehung zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gilt es immer zu berücksichtigen und kritisch zu reflektieren sowie Stigmatisierungen zu vermeiden. Eine Differenzierung zwischen „Wir“ und „Nicht-Wir“ oder zwischen „Wir“ und dem „natio-ethno-kulturell Anderen“ (Mecheril 2010a: 4) kann sich ungewollt verfestigen. Dieses Risiko kann vermutlich nicht ganz ausgeräumt werden, denn es ist Teil moderner, pluraler Gesellschaften, in denen 5 Alle Forschungsfragen werden ausführlich in Kapitel 5.1 vorgestellt und in Kapitel 6.6.1 beantwortet.
1.2 Forschen im Kontext von Migration 3 zwischen „zugehörig“ und „nicht zugehörig“ (vgl. Elias und Scotson 1993; Zick und Preuß 2016) unterschieden wird. Bewusste wie unbewusste Mechanismen dieser Grenzziehung sind im Bildungsbereich beispielsweise in Form institutioneller Diskriminierung insbesondere an Bildungsübergängen zu beobachten (vgl. Gomolla und Radtke 2009 oder Becker und Biedinger 2006). Aber auch im Bereich des freiwilligen Engagements findet eine Grenzziehung zwischen „zugehörig“ und „nicht zugehörig“ statt, die im Rahmen von Konzepten der interkulturellen Öffnung (Gaitanides 2011; Handschuk/ Schröer 2002; Schröer 2007) von Vereinen und Organisationen aufgehoben werden sollen. Durch Migrationsprozesse veränderte Zugehörigkeitsordnungen müssen demnach immer wieder in Frage gestellt werden und ihre Produktion und Reproduktion kritisch beäugt werden. Zur Reproduktion sozialer Ungleichheit im Kontext von freiwilligem Engagement ergänzend auch Munsch (2003b). Ein kritischer Umgang mit Differenz beinhaltet zum einen die einseitige Ausrichtung auf Migrant_innen zu vermeiden und stattdessen die Aufnahmegesellschaft ebenso im Prozess zu beteiligen, zum zweiten den ethnozentrischen Blickwinkel zu reflektieren und zum dritten die Reduktion auf Kultur zu vermeiden und stattdessen soziale Ungleichheit immer im Diskurs mitzudenken (vgl. Filsinger 2014: 181). Allerdings müssen trotz dieser Gefahr der Grenzziehungen und der Stereotypisierung bestehende Unterschiede sensibel zum Thema gemacht werden, um insbesondere auf Ausgrenzungen und fehlende Teilhabechancen hinzuweisen. Vergleiche ergänzend hierzu auch Kunz (2016: 256ff) zur symbolischen Ungleichheit als Verweigerung von Zugehörigkeit. (2) Forschen im Kontext von Migration heißt auch ein Nachdenken darüber, wie lange einer Person das Merkmal Migrationshintergrund zugeschrieben wird und wie „der Andere“ beschrieben werden soll. In den Statistiken (beispielsweise Mikrozensus, Schulstatistik, einfache Registerverfahren oder Kinderund Jugendhilfestatistik) wird der Migrationshintergrund unterschiedlich erhoben und weicht teilweise „erheblich“ (Schmitz-Veltin und Bulenda 2017: 58) voneinander ab. Die hier verwendete Definition „Menschen mit Migrationshintergrund“ orientiert sich am Statistischen Bundesamt6 (vgl. Statistisches Bundesamt 2014). Darunter sind zu verstehen: 6 Ergänzend hierzu Statistisches Bundesamt. URL: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/ Thematisch/Bevoelkerung/MigrationIntegration/Migrationshintergrund.html
4 1 Einleitung   7 Personen mit eigener Migrationserfahrung: Ausländer_innen oder Deutsche nach Einbürgerung bzw. (Spät)Aussiedler_innen7, die nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik zugewandert sind. Personen ohne eigene Migrationserfahrung: Ausländer_innen oder Deutsche nach Einbürgerung oder seit Geburt mit mindestens einem zugewanderten oder als Ausländer_in in Deutschland geborenen Elternteil. Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund wurde 2005 als sozialstatistisches Konzept eingeführt und hat die bis dato gültige Unterteilung in Deutsche und Ausländer abgelöst. Dies geschah wohl wissend, dass es sich um ein Artefakt handelt, das keine Aussagekraft über den Aufenthaltsstatus, den Migrationsgrund, die Aufenthaltsdauer, den Bildungsstand, die Einkommensverhältnisse, Teilhabechancen oder soziale Milieus hat. Sprich, die Heterogenität der Bevölkerung mit Migrationshintergrund wird durch dieses künstliche Konstrukt nicht abgebildet. Auch wird mit dieser statistischen Konstruktion nicht erfasst, ob eine eigene Migrationsgeschichte vorliegt oder nicht. So fallen beispielsweise Menschen mit eigener Zuwanderungsgeschichte aus dieser Statistik, weil sie als sogenannte Heimatvertriebene vor 1949 in das Gebiet der heutigen Bundesrepublik eingewandert sind und damit nicht als „Mensch mit Migrationshintergrund“ erfasst werden. Auf der anderen Seite werden aber Menschen statistisch erfasst, die in dritter Generation in Deutschland leben und selbst keine Migrationserfahrung gemacht haben. Streng genommen wäre hier eine Unterscheidung in Migrant_in (mit eigener Migrationserfahrung) und Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen aus Zuwanderungsfamilien sinnvoll. Da diese Unterscheidung weder vom Statistischen Bundesamt noch in den meisten sozialwissenschaftlichen Studien vorgenommen wird, soll in der hier vorliegenden Studie auf diese eigentlich sinnvolle Unterscheidung verzichtet werden und die Begriffe „Menschen mit Migrationshintergrund“, „Migrant_in“, „Menschen mit Zuwanderungsgeschichte“ sowie „Menschen aus einer Zuwanderungsfamilie“ synonym verwendet werden. Unberücksichtigt bleiben in dieser statistischen Konstruktion auch diskriminierende Zuschreibungspraxen in den Kategorien „zugehörig“ und „nicht zugehörig“. So wird beispielsweise ein Deutschghanaer in vierter Generation und mit deutschem Pass aufgrund seiner Hautfarbe als anders und nicht-zugehörig bezeichnet und erfährt möglicherweise Diskriminierungen, während gleichzeitig ein zugewanderter Niederländer als Im Folgenden werden Aussiedler_innen und Spätaussiedler_innen in dem Begriff (Spät-)Aussiedler_innen zusammengefasst.
1.2 Forschen im Kontext von Migration 5 zugehörig empfunden wird (vgl. Thurm 2016). Das heißt, anhand der Begrifflichkeit „Mensch mit Migrationshintergrund“ ergeben sich zwei grundlegende Problemlagen: Zum einen muss der Begriff unabhängig von Exklusion und Inklusion betrachtet werden. Nicht jede/r Bürger_in mit Migrationshintergrund ist automatisch von Exklusion betroffen, gleichwohl es Menschen gibt, die nicht in dieser Statistik erfasst werden und sehr wohl von Diskriminierung und Exklusion betroffen sind, wie das Beispiel des Deutschghanaers zeigen soll. Zum anderen besteht die Gefahr, dass die Konstruktion des Begriffes „das Bild einer homogenen Gruppe“ (Neue deutsche Medienmacher 2015: 6) erzeugt, eine vermeintlich homogene Gruppe, die oft unter einem defizitären Blickwinkel betrachtet wird, in dem es um Integrationsunwilligkeit, mangelnde Sprachkenntnisse, schulische Misserfolge bis hin zu Kriminalität und Parallelgesellschaften geht. Einen entscheidenden Beitrag zur Auflösung dieser vermeintlich homogenen Gruppe haben die Milieustudien (vgl. Sinus-Institut 2008; Sinus-Institut 2016) geleistet, die durch die Einbeziehung von sozialer Lage sowie Lebensstilen ein breitgefächertes Spektrum bestehend aus acht bzw. zehn Milieus8 aufzeigten. Entscheidendes Ergebnis der ersten Milieustudie ist, dass von der Herkunftskultur nicht auf das Milieu geschlossen werden kann und genauso wenig vom Milieu auf die Herkunftskultur. Ein weiteres Hauptergebnis ist, dass die Migrant_innenpopulation deutlich heterogener als die autochthone Gesellschaft ist und ein größeres Spektrum an Lebensentwürfen aufzeigt. Die Bandbreite reicht von religiös-verwurzelten Milieus bis hin zum multikulturellen Performermilieu. (3) Forschen im Kontext von Migration bedeutet zum dritten auch ein Nachdenken über soziale Inklusion und über verschiedene, sich teilweise widersprechende Integrationskonzepte. „Integration heißt nicht Verschwinden“ (Zitat Interview 14), so die Aussage einer Interviewpartnerin, die damit das Spannungsfeld von Inklusion und Assimilation (Esser 1980; Esser 2008) anspricht und die Fragestellung umreißt, inwieweit Integration durch Angleichung stattfindet, durch Konfliktaustragung oder auf der Basis „universalistischer Werte und Prinzipien“ (Hinrichs 2003: 18). 8 Die Sinus-Studie 2008 unterscheidet acht, die Sinus-Studie 2016 zehn verschiedene Milieus, vgl. Kapitel 3.2.2.
6 1 Einleitung Die Integration von Migrant_innen in die Gesellschaft bemisst sich daran, ob sie „in den zentralen gesellschaftlichen Bereichen die gleichen Teilhabechancen haben wie die Gesamtbevölkerung“ (Beauftragte 2012: 10). Als positive Entwicklung in der Integration wird die „Angleichung der Lebensverhältnisse der Menschen mit Migrationshintergrund an die der Gesamtbevölkerung“ (Beauftragte 2012:10; Beauftragte 2009: 20) gewertet, so der erste und zweite „Integrationsindikatorenbericht“ der Bundesregierung. Unstrittig sowohl in diesem Integrationsmonitoring als auch in anderen Studien sind die sogenannten „harten“ Indikatoren für Teilhabechancen wie Sprachkompetenzen in der deutschen Sprache, der rechtliche Status, Bildungsabschlüsse sowie der Zugang zum Arbeitsmarkt. Weniger eindeutig und meist als sogenannte „weiche“ Indikatoren bezeichnet, sind die wohnräumliche Segregation und, für diese Studie besonders von Belang, die Mitgliedschaft in eigenethnischen bzw. in interethnischen Vereinen. Im zweiten Integrationsindikatorenbericht werden von insgesamt 64 Indikatoren sechs dem Bereich „Gesellschaftliche Integration und Beteiligung“ zugeordnet. Neben dem Indikator zur politischen Partizipation „Mitgliedschaft in Parteien oder politischen Organisatoren“ (Indikator 7.1a), werden die anderen fünf Indikatoren der sozialen Partizipation zugeordnet: „Mitgliedschaft in Vereinen, Verbänden und sozialen Diensten“ (Indikator 7.1b), „Engagementquote“ (Indikator 7.2), „Leitungsfunktionen“ (Indikator 7.3), „Mitgliedschaft im Sport“ (Indikator 7.4a) und „Engagement im Bereich Sport“ (Indikator 7.4b) (vgl. Beauftragte 2012: 103ff). Der sozialen Partizipation wird in diesem Integrationsmonitoring demnach einen hohen Stellenwert eingeräumt. Inwieweit die aktive Beteiligung in einem Verein oder die Engagementquote ein Indikator für eine gelungene Inklusion ist, soll an späterer Stelle erörtert werden. Strittig ist auch, welchen Stellenwert die soziale Inklusion im Integrationsdiskurs einnimmt sowie an welcher Position im Integrationsprozess sie anzusiedeln ist9. Zu diskutieren wird hier auch die These sein, ob zivilgesellschaftliches Engagement vielleicht nicht immer ein Zeichen von gelungener Inklusion ist, sondern auch eine Kompensation aufgrund verwehrter Teilhabechancen in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen darstellen kann. Zugehörigkeit/Nichtzugehörigkeit, Zuschreibungsprozesse sowie unterschiedliche Integrationskonzepte werden für die Migrationsforschung und somit auch für diese Arbeit als zentrale „Stolperfallen“ gesehen und sollen im gesamten Forschungsprozess kritisch mitgedacht und beachtet werden. In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff der „sozialen Inklusion“ gegenüber 9 Vgl. hierzu Kapitel 7.3.
1.3 Ziel der Studie und erhoffter Erkenntnisgewinn 7 dem der Integration verwendet. Handelt es sich aber um feststehende Begriffe wie beispielweise „Integrationsindikatorenbericht“ wird selbstverständlich dieser Begriff verwendet. Dasselbe gilt auch für Hartmut Essers Konzept der „Sozialintegration“. Zu den inhaltlichen Unterschieden von Integrations- und Inklusionskonzepten siehe Kapitel 4.3. 1.3 Ziel der Studie und erhoffter Erkenntnisgewinn 1.3 Ziel der Studie und erhoffter Erkenntnisgewinn Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, zur bislang wenig beachteten Schnittmenge von freiwilligem Engagement und Migration beizutragen10 und die Forschungslücke (vgl. Kapitel 3.6) um ein kleines Stück zu schließen. Dabei war es ein wichtiges Anliegen, den Faktor Migration im Engagementverhalten stärker in das Blickfeld zu rücken und mögliche migrationsspezifische (sowie weitere, durch vorgegebene Antwortkataloge unbeachtete) Motive durch das induktive Vorgehen generieren zu können. Dazu sollte die Auswahl der Interviewpartnerinnen heterogen sein und eine große Varianz aufzeigen, um eine möglichst große Bandbreite an inhaltlich für bedeutsam erachteten Merkmalen abbilden zu können. Der erhoffte Erkenntnisgewinn bezieht sich dabei auf das Gewinnen „neuer“ Engagementmotive, die aus der Migration resultieren bzw. aus der Zuschreibung als „Mensch mit Migrationshintergrund“. Des Weiteren soll diese Arbeit Erkenntnisse dazu liefern, inwiefern Engagement zu einer persönlichen Veränderung beiträgt sowie, welche Gunst- und Hemmfaktoren es aus Sicht der engagierten Frauen mit Zuwanderungsgeschichte bei der Aufnahme und der Ausübung eines Engagements gibt. Mithilfe der subjektiven Perspektive der Frauen mit Migrationshintergrund (Mikroebene) soll diese Arbeit bestehende Publikationen sinnvoll ergänzen, in denen anhand von Expert_inneninterviews Organisationen miteinander verglichen werden (Mesoebene) (beispielsweise Ilgün-Birhimeoğlu 2017; Klöckner 2016) sowie die quantitativen und repräsentativen Studien der Freiwilligensurveys 1999, 2004, 2009, 2014 (Makroebene). Aus der Breite der Darstellung der Ergebnisse aus 28 Interviews einerseits, sowie durch die anschließende Reduktion auf fünf Engagementtypen andererseits, lassen sich konkrete Handlungsempfehlungen zur Förderung der jeweiligen Engagementtypen ableiten sowie Handlungsempfehlungen im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Engagementstrategie und hinsichtlich konkreter Ideen für anerkennungssensible Engagementorte. 10 Diese Arbeit wird demnach auch in der Migrationsforschung verortet und nicht in der Genderforschung, auch wenn in dieser Studie ausschließlich Frauen mit Migrationsgeschichte zu ihrem Engagement befragt wurden. Vergleiche ergänzend hierzu Kapitel 5.4.4.
8 1 Einleitung 1.4 Zum Aufbau der Arbeit 1.4 Zum Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: In Kapitel 2 werden zunächst die für diese Arbeit relevanten Begrifflichkeiten zum freiwilligen und bürgerschaftlichen Engagement definiert, bevor die Traditionslinien des „Ehrenamtes“ und der Strukturwandel hin zum bürgerschaftlichen Engagement vorgestellt werden. Welche gesellschaftliche Bedeutung dem Engagement zugeschrieben wird, soll abschließend kurz angerissen werden. Ein ausführliches drittes Kapitel widmet sich dem aktuellen Stand der Forschung. Nach wie vor ist der Forschungsstand unbefriedigend bezüglich der thematischen Verschränkung von Migration und Engagement. Zieht man die inzwischen umfangreiche Forschung zu Migrant_innenorganisationen ab und konzentriert sich auf aufnahmelandbezogenes Engagement, wird die Forschungslage noch dünner. Ein Blick über den migrationssoziologischen „Tellerrand“ bietet sich deshalb an. Aus diesem Grund widmet sich dieses Kapitel in drei Teilkapiteln den Themenfeldern Engagementforschung allgemein, Migration und soziale Ungleichheit mit ihren entsprechenden Studien. Während die Engagementforschung stark quantitativ ausgerichtet ist, trägt die soziale Ungleichheitsforschung mit qualitativen Studien zum Erkenntnisgewinn bei. Daraus ist ein inhaltlicher Bezug zu Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und prekären Lebenssituationen herzustellen. Forschung in der Schnittmenge von Engagement und Migration findet vergleichsweise wenig statt, hier trägt insbesondere Huth (2006a; 2006; 2007a; 2007b; 2012; 2013a; 2013b) erhellend bei. In jüngerer Zeit erfährt dieses Themengebiet eine größere Aufmerksamkeit, exemplarisch sind hier Klöckner (2016) sowie Ilgün-Birhimeoğlu (2017) zu nennen, wenngleich übergreifend die ungenügende Datenlage kritisiert wird. Im vierten Kapitel werden die theoretischen Bezüge dargestellt. Grundlage dieser Arbeit bilden drei Theorien. Als Basis dient die sozialphilosophische Anerkennungstheorie von Axel Honneth (2016 [1992]), ergänzt durch die von Lothar Böhnisch entwickelte Theorie der Lebensbewältigung (2016 [1985]). Als dritte theoretische Grundlage wurde Hartmut Essers Konzept der Sozialintegration herangezogen (2001a, 2001b). Alle drei Bezugskonzepte bieten wichtige Anknüpfungspunkte für das freiwillige Engagement von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, auch wenn diese Theorien jeweils nicht explizit für die Verschränkung der Themenfelder bürgerschaftliches Engagement und Migration entwickelt wurden. Das Konzept „Kampf um Anerkennung“ von Axel Honneth (Kapitel 4.1) gilt für diese Arbeit als „Grundlagentheorie“, da Anerkennung von universaler Bedeutung für alle Individuen ist. Zudem kann mithilfe dieses Konzeptes die Lebenssituation von Menschen analysiert werden, die von der Anerkennung durch „Liebe“,
1.4 Zum Aufbau der Arbeit 9 „Recht“ und „Solidarität“ ausgeschlossen sind. Das Konzept der „Lebensbewältigung“ von Lothar Böhnisch macht das Streben nach subjektiver Handlungsfähigkeit von Menschen in prekären Lebenssituationen theoretisch erklärbar (Kapitel 4.2). Das Konzept der „Sozialintegration“ von Hartmut Esser, das die Position des bürgerschaftlichen Engagements im Integrationsprozess verstehbar machen soll, nimmt Bezug auf die migrationsspezifischen Engagementmotive (Kapitel 4.3). In Kapitel 5 werden die methodischen Grundlagen der empirischen Erhebung vorgestellt, um die intersubjektive Nachvollziehbarkeit gewährleisten zu können. Die Erkenntnisse wurden induktiv gewonnen, das heißt es fand lediglich eine Vorstrukturierung hinsichtlich des Untersuchungsortes und der Stichprobe statt. Um die zentralen Forschungsfragen beantworten zu können, wurde auf die Methode der narrativ-leitfadengestützten Interviews zurückgegriffen, die zum einen die Beantwortung der Fragestellungen gewährleistet, zum anderen aber ausreichend Platz für neue, induktiv gewonnene Erkenntnisse bietet. Dazu wurde ein möglichst offen gehaltener Interviewleitfaden auf Basis von Helfferich (2009) entwickelt. Die 28 Interviews wurden mit f4 transkript transkribiert und mithilfe des Softwareprogramms MAXQDA ausgewertet. Die qualitative Inhaltsanalyse erfolgte auf theoretischer Grundlage von Kuckartz (2014), die Typenbildung auf Grundlage von Kelle und Kluge (2010). Kapitel 6 befasst sich mit der ausführlichen Ergebnisdarstellung. Dabei werden zunächst alle Engagementmotive vorgestellt. Diese wurden in sechs Motivbündel zusammengefasst, in hedonistische, ich-bezogene und auf das eigene Wohlbefinden bezogene Gründe (1), das Motiv der Anerkennung (2), Engagement zur Kompetenzentwicklung (3), Engagement als Kompensation (4), migrationsspezifische Gründe (5) sowie altruistische Motive (6). Dieses Teilkapitel weist damit auf die große Bandbreite möglicher Engagementmotive hin, erhebt dabei aber keinen Anspruch auf Repräsentativität. In einem zweiten Schritt wurden aus den 28 erhobenen Interviews fünf Engagementtypen (Kelle und Kluge 2010) generiert, bezogen auf ihre Engagementmotive in Kombination mit beruflichen Partizipationschancen. Weitere Unterkapitel beschäftigen sich mit dem Beitrag des Engagements für die persönliche Veränderung, mit Gunst- sowie Hemmfaktoren, die die Aufnahme eines Engagements beeinflussen. In Kapitel 7 werden der theoretische Bezugsrahmen (Kapitel 4) mit der Darstellung der empirischen Ergebnisse (Kapitel 6) miteinander verknüpft und ein Bezug zwischen Theorie und Empirie hergestellt. Im achten Kapitel werden abschließend die zentralen Ergebnisse zusammengefasst und im Hinblick auf mögliche Handlungsempfehlungen diskutiert.
2 Bürgerschaftliches Engagement 2 Bürgerschaftliches Engagement 2.1 Definitionen 2.1 Definitionen Definition der Enquête-Kommission Bürgerschaftliches Engagement wird definiert als „freiwilliges, gemeinwohlorientiertes und nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtetes“ Handeln (Enquête-Kommission 2002: 333). Dieser Definition der vom Bundestag eingesetzten EnquêteKommission ging eine längere, teils kontrovers geführte Diskussion voran. Mit dieser bewusst offen gehaltenen Begriffsbestimmung sollen verschiedene Formen des Engagements wie das klassische Ehrenamt, Engagement ohne Amt, langfristige wie auch kurzfristige Ausrichtungen in Projekten, traditionelle wie auch moderne Engagementformen in einem Sammelbegriff zusammengeführt werden. Die Enquête-Kommission definierte 2002 (ebd.: 86) folgende Eigenschaften des bürgerschaftlichen Engagements:      Freiwillig, Nicht auf materiellen Gewinn gerichtet, Gemeinwohlorientiert, Öffentlich bzw. findet im öffentlichen Raum statt, Wird in der Regel gemeinschaftlich/ kooperativ ausgeübt. Betrachtet man die Definition anhand der zentralen Adjektive etwas genauer, so stecken in jedem ihrer Teilbereiche gewisse „Tücken“. Bürgerschaftliches Engagement ist vom Grundsatz her freiwillig und beruht auf einer persönlichen Entscheidung. Wenn bei einem Teil der Engagierten (siehe in der hier vorliegenden Studie der Engagementtyp III, vgl. Kapitel 6.2.311) eine Vermischung aus freiwilligem Engagement und Erwerbsarbeit stattfindet und diese Engagierten auf die Einnahmequelle der sogenannten Übungsleiterpauschale angewiesen sind, diese sogar existenzsichernden Charakter hat, ist die Freiwilligkeit nur begrenzt vorhanden. Ein spontanes Aufhören oder die Flexibilität, mal mehr oder mal weniger Zeit in das Engagement zu investieren, ist in einem als Arbeitsverhältnis ausgelegten Engagement nicht möglich. Im Hinblick auf die Entlohnung lässt sich die Grenzziehung diskutieren: Was ist noch freiwilliges Engagement und was ist schon ein prekäres Arbeitsverhältnis? (vgl. auch die Diskussion zur Monetarisierung des Ehrenamts; ZZW 2009; Jakob 2013). Zwar wird vonseiten der Enquête-Kommission 11 Teilweise lässt sich ein Vorgriff auf die Engagementtypen nicht vermeiden. Die genaue Beschreibung erfolgt in Kapitel 6.2. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A.-K. Schührer, Migration und Engagement, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25096-6_2
12 2 Bürgerschaftliches Engagement anerkannt, dass Bürger_innen einen persönlichen Nutzen aus ihrer Tätigkeit ziehen, dieser hat nach diesem Verständnis aber eher den Charakter von Selbstverwirklichung und weniger von materieller Gewinnmaximierung (vgl. EnquêteKommission 2002: 87). Auch die Gemeinwohlorientierung ist ein Punkt, um den inhaltlich gerungen wurde. Ist eine Organisation, deren Ziel die Selbsthilfe ist, gemeinwohlorientiert? Ist eine Migrant_innenorganisation gemeinwohlorientiert oder trägt sie zur Bildung von Parallelgesellschaften bei? Die Enquête-Kommission betont die Verbindung von Gemeinwohl und Eigeninteresse und erkennt an, dass verantwortungsvolle Gemeinwohlorientierung auch Eigeninteresse einschließt und Gemeinwohlorientierung sowohl im direkten als auch im indirekten Sinne (z. B. als Beitrag zu einer demokratischen Gesellschaft) zu verstehen sei. So sind die Hospizarbeit oder die Aidshilfe gelungene Beispiele einer Kombination aus Selbstbezug und Gemeinwohlorientierung. In der Enquête-Kommission 2002 wird dies folgendermaßen gewürdigt: „Das Engagement wird dabei zu einem Ort, bei dem Selbstbezug und Gemeinwohlorientierung eine Verbindung eingehen, die sowohl für die individuelle Lebensführung und Sinnkonstruktion als auch für die gesellschaftliche Entwicklung und den Zusammenhalt von zentraler Bedeutung sind“ (ebd.: 112). Was genau Gemeinwohlorientierung ist, darüber muss im Gemeinwesen ständig neu verhandelt werden. Gruppierungen, die mit radikalen Vorstellungen der Bürgergesellschaft schaden oder einzelne Gruppierungen ausschließen, werden demnach nicht als gemeinwohlorientiert bezeichnet. Gleichwohl kann über bürgerschaftliches Engagement auf soziale und gesellschaftliche Missstände hingewiesen und auf eine Veränderung hingearbeitet werden. Bürgerschaftliches Engagement findet darüber hinaus nicht privat oder in der eigenen Familie statt, sondern findet im öffentlichen Raum statt und ist somit auch transparent und per se frei zugänglich für andere Akteure. Gemeinschaftlich ist sowohl die Ausrichtung als auch die Tätigkeit. Bürgerschaftliches Engagement ist keine Angelegenheit eines einzelnen Individuums, sondern eine „Tätigkeit mit anderen“ (Enquête-Kommission 2002: 88). „Dauerhafte Zusammenarbeit braucht einen Rahmen, eine Organisations- und Kooperationskultur, die für die Tätigkeiten der Einzelnen ‚institutionelle Passungen‘ ermöglichende Bedingungen bereitstellt“ (ebd.: 89). Trotz dieser „Tücken“ wurde die Definition bewusst weit gefasst und zwar mit der Intention, dass bürgerschaftliches Engagement als Sammelbegriff für verschiedene Begrifflichkeiten wie Ehrenamt, Freiwilligenarbeit oder freiwilliges Engagement fungiert. Die Enquête-Kommission (2002: 65f) subsumiert unter diesem Begriff folgende Formen bürgerschaftlichen Engagements:
2.1 Definitionen        13 Politisches Engagement (beispielsweise im Gemeinde- oder Stadtrat, in Parteien oder Gewerkschaften, in Bürgerinitiativen und Beiräten, in lokalen Agenda-Gruppen usw.) Soziales Engagement (beispielsweise in der Flüchtlingshilfe, in Hospizgruppen, in der Tafelbewegung usw.) Engagement in Vereinen, Verbänden und Kirchen (beispielsweise als Vorstand in einem Verein, als Übungsleiter_in in Sportvereinen, als Chorleiter_in, in der Freiwilligen Feuerwehr usw.) Engagement in öffentlichen Funktionen (beispielsweise im Schöffenamt oder im Elternbeirat usw.) Formen der Gegenseitigkeit (beispielsweise in der Nachbarschaftshilfe, in Tauschnetzen oder Genossenschaften usw.) Selbsthilfe (beispielsweise in der Leitung einer Selbsthilfegruppe im Bereich der Gesundheit oder Arbeitslosigkeit usw.) Bürgerschaftliches Engagement in und von Unternehmen – Stichwort „Corporate Citizenship“ (beispielsweise durch Personal- oder Sacheinsatz von Unternehmen in Einrichtungen usw.). Diese Aufzählung verdeutlicht Folgendes:    Bürgerschaftliches Engagement beinhaltet sowohl „alte“ als auch „neue“ Engagementformen. Bürgerschaftliches Engagement findet in beinahe allen gesellschaftlichen Bereichen statt. Der Formalisierungsgrad ist unterschiedlich ausgeprägt, je nachdem ob das Engagement in einer öffentlichen Funktion stattfindet oder eher informell organisiert ist. Die Enquête-Kommission 2002 (ebd.: 90) einigte sich auf folgende Definition12: „Bürgerschaftliches Engagement ist eine freiwillige, nicht auf das Erzielen eines persönlichen materiellen Gewinns gerichtete, auf das Gemeinwohl hin orientierte, kooperative Tätigkeit. Sie entfaltet sich in der Regel in Organisationen und Institutionen im öffentlichen Raum der Bürgergesellschaft. Selbstorganisation, Selbstermächtigung und Bürgerrechte sind die Fundamente einer Teilhabe und Mitgestaltung der Bürgerinnen und Bürger an Entscheidungsprozessen. Bürgerschaftliches Engagement schafft Sozialkapital, trägt damit zur Verbesserung der gesellschaftlichen Wohlfahrt bei und entwickelt sich, da es von Bürgerinnen und Bürgern ständig aus der Erfahrung 12 Kritisch hierzu Ross (2012: 48), der von einem „unscharfe[n] Ober- und Sammelbegriff für alle Formen des Ehrenamtes“ spricht.
14 2 Bürgerschaftliches Engagement ihres Lebensalltags gespeist wird, als offener gesellschaftlicher Lernprozess. In dieser Qualität liegt ein Eigensinn, der über den Beitrag zum Zusammenhalt von Gesellschaft und politischem Gemeinwesen hinausgeht“. Weitere Engagementbegriffe Der Begriff „bürgerschaftliches Engagement“, auf den sich die Enquête-Kommission 2002 geeignet hat, vereinigt verschiedene Begrifflichkeiten, die unterschiedlichen normativen Charakter haben sowie aus unterschiedlichen Entwicklungslinien herrühren. Die am häufigsten verwendeten Begriffe sind das Ehrenamt, das freiwillige Engagement sowie das Bürgerschaftliche Engagement. Hinzu kommen noch weitere Begriffe wie der angelsächsische Begriff des „Volunteers“, das (zivil-)gesellschaftliche Engagement, die Selbsthilfe (sofern diese auch auf das Gemeinwohl bezogen ist) sowie Bürger- und Freiwilligenarbeit. Im Folgenden werden die am häufigsten verwendeten Begriffe genauer definiert: Mit Ehrenamt werden stärker formalisierte Engagementfelder bezeichnet, wenngleich eine scharfe Trennung der Begrifflichkeiten nicht (mehr) stattfindet und der Begriff des Ehrenamts teilweise synonym mit anderen Engagementbegriffen verwendet wird. Der Begriff des Ehrenamts ist teilweise noch stark mit seiner historischen Entwicklung verknüpft, mit den Wortteilen „Amt“ und „Ehre“. Mittels Ehrenamt konnte sich das erstarkende und aufblühende (männliche) Bürgertum im 19. Jahrhundert an der lokalen Selbstverwaltung der Kommunen beteiligen, was durch die Preußischen bzw. Stein-Hardenbergschen Reformen ermöglicht wurde. Die Bürger erfuhren darüber nicht nur die Möglichkeit der Partizipation, sondern auch Anerkennung und „Ehre“. Der von vielen als überholt empfundene Begriff des Ehrenamtes wurde zwar zwischenzeitlich offiziell vom Begriff des bürgerschaftlichen Engagements abgelöst, wird aber nach wie vor in traditionellen Vereinen sowie als Bezeichnung für stärker formalisierte Engagementaufgaben oder Leitungspositionen verwendet. Beim Begriff des „freiwilligen Engagements“ wird die Freiwilligkeit der Bürger_innen betont, verbunden mit der Freiheit, sich für oder gegen ein Engagement entscheiden zu können und mit der freien Entscheidung, an wen oder was sich das Engagement richtet, in welchem Umfang es stattfindet und an welchen Orten. Selbst wenn durch soziale Konventionen und Normen ein gesellschaftlicher Druck auf das Individuum aufgebaut wird, können sich Bürger_innen (im Gegensatz zum verpflichtenden Charakter der „freiwilligen“ Tätigkeit in ehemaligen kommunistischen Staaten) dennoch diesem Zwang entziehen. Nur da, wo sich das Engagement mit als Bürger_innenpflicht vorgeschriebenen Tätigkeiten überlappt,
2.2 Traditionslinien des bürgerschaftlichen Engagements 15 wie z. B. bei der Bestellung ins Schöffenamt, kann nicht von einer Freiwilligkeit gesprochen werden, so die Enquête-Kommission (2002: 73)13. Weitgehend identisch mit dem Begriff des „freiwilligen Engagements“ ist der Begriff des „bürgerschaftlichen Engagements“, in dessen Kern der mit liberalen Grund- und Freiheitsrechten ausgestattete Bürger (in der weiteren historischen Entwicklung eine Ausweitung der ursprünglich männlichen Bürgerrechte auf Arbeiter, Frauen, Migrant_innen) steht. Die Zugehörigkeit zum politischen Gemeinwesen, aber auch das Eingebundensein in soziale und/oder religiöse und/oder ethnische Bezüge oder in die Nachbarschaft können zum bürgerschaftlichen Engagement motivieren. „Bürgerschaftliches Engagement im normativen Sinne bezeichnet darüber hinaus ein bewusstes Handeln aus der Identität als Bürgerin oder Bürger, als Mitglied des politischen Gemeinwesens- der jeweiligen Kommune und des jeweiligen Staates“ (Enquête-Kommission 2002: 75). Synonyme Begriffsverwendungen Im Folgenden werden die Begriffe Ehrenamt, freiwilliges Engagement, Freiwilligenarbeit, bürgerschaftliches Engagement etc. synonym verwendet. Damit wird auf das Selbstverständnis der Engagierten mit ihren unterschiedlichen Selbstbezeichnungen Bezug genommen. Während sich im sozialwissenschaftlichen Diskurs die Begrifflichkeit „bürgerschaftliches Engagement“ durchgesetzt hat, bezeichneten sich im Freiwilligensurvey 2009 nur 9 % als bürgerschaftlich Engagierte, dagegen bezeichnen 42 % ihr Tun als „Freiwilligenarbeit“ und 35 % als „Ehrenamt“. Im Zeitverlauf der Erhebungen der Freiwilligensurveys betrachtet, nimmt die Selbstbezeichnung „Ehrenamt“ sogar zu (vgl. Gensicke und Geiss 2010: 112). Diese Arbeit schließt sich der synonymen Verwendung der Engagementbegriffe bei Bettina Hollstein an, die konstatiert, dass „Engagementpolitik (…) zum Teil auch Begriffspolitik“ (Hollstein 2015: 20) ist und sie „der Unterscheidung zwischen ‚angestaubtem Ehrenamt‘ und ‚moderner Freiwilligenarbeit‘ vorerst nicht folgen“ (ebd.) will. 2.2 Traditionslinien des bürgerschaftlichen Engagements 2.2 Traditionslinien des bürgerschaftlichen Engagements Seit Ende der 1990er Jahre erfährt das Thema „bürgerschaftliches Engagement“ eine große Aufmerksamkeit und hat sich statt eines kurzfristigen Modethemas zu 13 Ergänzend hinzufügen möchte ich an dieser Stelle: Von freiwilligem Engagement kann auch dann nicht gesprochen werden, wenn die individuellen Rahmenbedingungen und Lebensverhältnisse so eingeschränkt sind, dass eine Beendigung der Tätigkeit nicht ohne weitere finanzielle Einschränkungen möglich ist (Vergleiche Engagementtyp III, Kapitel 6.2.3).
16 2 Bürgerschaftliches Engagement einem „stabilen Trend“ (Ross 2012: 23) entwickelt. Von Ende 1999 bis zum Frühjahr 2002 arbeitete die vom Bundestag eingesetzte Enquête-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ (Enquête-Kommission 2002) zum Thema und verankerte bürgerschaftliches Engagement in der politischen Landschaft u. a. mit einem dauerhaften Unterausschuss im Bundestag. Seitdem ist bürgerschaftliches Engagement sowohl auf Bundes-, als auch auf Länderebene sowie in den Kommunen verankert. Auf Länderebene werden Engagementstrategien verabschiedet (exemplarisch die Engagementstrategie Baden-Württemberg, siehe Ministerium für Soziales und Integration 2014), in den Kommunen arbeiten Ehrenamtskoordinator_innen, es gibt Freiwilligenagenturen oder Ehrenamtsbörsen. Der „internationale Tag des Ehrenamts“ am 5. Dezember sowie die jährliche „Aktionswoche bürgerschaftliches Engagement“ tragen zur medienwirksamen Verbreitung des Themas in der Öffentlichkeit bei. Weitere Beispiele ließen sich beliebig aufzählen. Dabei ist bürgerschaftliches Engagement kein neues Thema, sondern blickt auf eine lange Tradition zurück. In Deutschland prägen verschiedene Traditionslinien das Selbstverständnis des bürgerschaftlichen Engagements. Die älteste Prägung greift dabei auf das christliche Gebot der Nächstenliebe, „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, zurück. Auch wenn die kirchliche Bindung bis auf wenige Milieus stark zurückgegangen ist, ist dieser jahrhundertealte Bezug immer noch und insbesondere im sozialen Bereich spürbar. So wurde im Freiwilligensurvey 2014 erneut der Zusammenhang zwischen freiwilligem Engagement und Kirchenbindung nachgewiesen (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2014: 246). Zudem stieg das Engagement in Kirchen und kirchlichen Organisationen trotz sinkender Mitgliedszahlen an (ebd.: 113). Ideengeschichtlich prägend – und darauf verweist der Begriff „bürgerschaftlich“ –, war auch die „Polis“ des antiken Griechenlands mit dem von Aristoteles als „zoon physei politikon“ bezeichneten politischen Bürger, der in einem Gemeinwesen gleichermaßen herrscht und beherrscht wird (ausführlich hierzu Ross 2012: 107) sowie die Idee der demokratischen und selbstregierten „societas civilis“ des antiken Roms und die italienischen Stadtrepubliken in der Renaissance. Auch in Deutschland war bis ins 20. Jahrhundert die Stadt der alleinige Engagementort mit dem Stadtbürgertum (männlich und wohlhabend) als Träger des Engagements. Die Bereitschaft, private Mittel wie Zeit und Geld für das Gemeinwohl einzusetzen, geht mit dem Anspruch auf Partizipation und Mitbestimmung einher. Das bürgerschaftliche Engagement war damit verknüpft mit der Vorstellung eines demokratischen Gemeinwesens. Indem sich aktive Bürger in die Selbstverwaltung der Städte einbrachten, schränkten sie die Bevormundung durch den Staat ein. So konnten sich insbesondere in den freien Reichsstädten besonders rege Formen bürgerschaftlichen Engagements herausbilden (vgl. Enquête-Kommission
2.2 Traditionslinien des bürgerschaftlichen Engagements 17 2002: 91). Entscheidend für die kommunale Selbstverwaltung waren die SteinHardenbergschen Reformen in Preußen im 19. Jahrhundert. In der Städteordnung vom 19.11.1908 wurde die kommunale Selbstverwaltung verankert. Sachße bezeichnet diese Städteordnung als „die Geburtsstunde des bürgerlichen Ehrenamts“ (Sachße 2002: 3). Es wurde im Paragrafen 191 gesetzlich verfügt, dass Bürger verpflichtet sind, unentgeltlich öffentliche Stadtämter zu übernehmen. Die Selbstgestaltungsrechte gingen demnach in der Preußischen Städteordnung auch mit tiefgehenden Selbstgestaltungspflichten einher. Eine weitere Entwicklungslinie, die des sozialen Ehrenamts, geht auf das Elberfelder System von 1853 zurück, in welchem zunächst männliche Bürger, später auch Frauen, die Armenfürsorge durch Hausbesuche in der Kommune übernahmen. Am Quartiersprinzip der Elberfelder Armenfürsorge wird der Lokalbezug des Ehrenamts besonders deutlich. In beiden Traditionslinien, der Preußischen Städteordnung sowie im Elberfelder System, findet Ehrenamt von oben verordnet statt. Es ist demnach in dieser Tradition stehend eine öffentliche „Ehre“, das übertragende „Amt“ auszuüben. Ebenfalls im 19. Jahrhundert begann der Aufschwung des Vereinswesens. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts war der Verein die typische Organisationsform und löste damit nach und nach das Stiftungswesen in seiner Bedeutung ab. Eine Vielfalt an unterschiedlichen Wohltätigkeitsvereinen entstand, die sich in Zielgruppen, Konfessionen oder politischer Ausrichtung unterschieden, alle aber lokal tätig waren. Zentrales Merkmal der bürgerlichen Vereine war die „Homogenität ihres sozialen Trägers: des wohlhabenden, vor allem gebildeten Bürgertums der deutschen Städte“ (Sachße 2002: 4). Die Vereine entwickelten sich ab den 1890er Jahren zunehmend zu einer sozialen Bewegung mit beachtlicher „Durchschlagkraft“ (ebd.) im Hinblick auf soziale Reformen, die Sozialpolitik sowie das Entstehen bzw. Aufblühen von Wohlfahrtsverbänden. Das Erstarken der Wohlfahrtsverbände in der Weimarer Republik wird „ambivalent“ (ebd.: 5) gewertet: Zum einen verbreitert sich der Organisationsrahmen für das freiwillige Sozialengagement positiv, zum anderen wird der traditionell private Wohltätigkeitsverein von neuen professionellen Spitzenverbänden zurückgedrängt. Damit, so Sachße, höhlen die „professionell-bürokratischen Strukturen von Organisation und Arbeit aber (…) langfristig die sozio-kulturellen Milieus aus, denen die Motivation zu traditionellem verbandlichen Sozialengagement entspringt“ (ebd.: 5). Eine Folge davon sei, dass das herkömmliche, institutionelle Sozialengagement, das „Ehrenamt“ zurückgeht, während neue Formen, die unter dem Begriff des „bürgerschaftlichen Engagements“ gefasst werden, zunehmen. Anstelle verbandlicher Vorgaben, treten demnach stärker biografische und selbstbezogene Motive bürgerschaftlichen Engagements in den Vordergrund (vgl. Sachße 2002: 5).
18 2 Bürgerschaftliches Engagement 2.3 Strukturwandel des bürgerschaftlichen Engagements 2.3 Strukturwandel des bürgerschaftlichen Engagements Der Strukturwandel und die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft zeigen sich auch in den Veränderungen im bürgerschaftlichen Engagement. Das heißt, wenn der Strukturwandel14 des bürgerschaftlichen Engagements betrachtet wird, muss immer auch der Strukturwandel der Gesellschaft als Ganzes betrachtet werden. Individualisierung, Pluralisierung und Entgrenzung sind die drei Schlagworte, die seit der Nachkriegszeit zur Modernisierung des Engagements beitrugen. Pluralisierung: Neben der Tätigkeit in Vereinen engagieren sich Menschen zunehmend in anderen Zusammenschlüssen. Zwar ist der Verein nach wie vor die wichtigste Organisationsform mit aktuell rund 600 000 zivilgesellschaftlichen Einrichtungen (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2014: 235), die in den Vereinsregistern der Amtsgerichte eingetragen sind, dennoch ist eine Zunahme in anderen Zusammenschlüssen zu beobachten. Insbesondere in den Bereichen Gesundheit und sexuelle Orientierung, Umweltschutz, Soziales und Nachbarschaftshilfe schaffen Menschen neue Engagementformen mit Strukturen, die nicht nach der Rechtsform des Vereins nach §§ 21-79 BGB geregelt sind. Damit hat sowohl die Anzahl der Vereine im Zeitverlauf zugenommen als auch neuere Formen der Zusammenschlüsse. Traditionelle Vereine haben sich teilweise neueren Engagementfeldern geöffnet, neue Strukturen etabliert oder aber sind in ihrer traditionellen Form verhaftet geblieben (ergänzend hierzu Zimmer (2011) zur Geschichte der Vereine). Zusammen mit den traditionell gebliebenen oder veränderten „alten Ehrenämtern“ sowie neueren Zusammenschlüssen ergibt sich damit ein weites Spektrum an Engagementfeldern und Inhalten sowie einer Zunahme an verschiedenen Rechts- und Organisationsformen. Individualisierung: Nicht nur in weniger formalen Zusammenschlüssen wird der Wunsch nach kurzfristigem und projektbezogenem Engagement deutlich. Auch klassische Vereine reagieren mit neuen Angeboten auf den Strukturwandel. So ist in vielen Vereinen zunehmend eine Mitarbeit ohne Mitgliedschaft und ohne langjährige Bindung möglich. Damit reagieren Vereine und neuere Formen der Zusammenschlüsse auf das Bedürfnis des modernen, aus traditionellen Bindungen freigesetzten (Beck 1986: 206) Menschen, sich zwar nach der sogenannten Phase 14 Kritisch setzt sich Hollstein (2015: 15ff) mit dem Strukturwandel im Bürgerschaftlichen Engagement auseinander und bemängelt die Reduktion, mit der dieses Phänomen beschrieben wird: „Die altruistischen, normen- bzw. wertorientierten Ehrenamtlichen werden zu eigennutzorientierten aktiv Engagierten“ (Hollstein 2015: 16; Hervorhebung im Original). Anhand zweier Fallbeispiele (Hollstein 2015: 16 ff) verdeutlicht sie die Kombination aus altruistischen und eigennützigen Motiven, die sowohl bei Vertreter_innen des klassischen Ehrenamts als auch bei aktiv Engagierten zu finden sind. Eine Beobachtung, die auch in der hier vorgelegten Arbeit empirisch untermauert werden kann.
2.3 Strukturwandel des bürgerschaftlichen Engagements 19 der „Entzauberung“ wieder in einen Verbund zu „reintegrieren“, dies aber möglichst ohne Zwänge, Hierarchien und starren Regelungen. Gefordert ist ein „aktives Handlungsmodell des Alltags“ (Beck 1986: 217); der moderne Mensch will Gestaltender seines Lebens bleiben und auch im bürgerschaftlichen Engagement flexibel und mit individuellem Spielraum ausgestattet sein. Die Enquête-Kommission analysiert Pluralismus und Individualismus dabei als zwei Seiten einer Medaille: „Weil sich das Leben der Menschen individualisiert hat, haben sich neue, insbesondere informelle Organisationsformen mit ausgeprägter Flexibilität und großen individuellen Handlungsspielräumen entwickelt und weil sich das Engagement pluralisiert hat, finden Frauen und Männer vielfältige Tätigkeiten, die der jeweils eigenen Lebenssituation, der sozialen Lage oder der biografischen Situation und nicht zuletzt den eigenen Bedürfnissen entsprechen“ (Enquête-Kommission 2002: 111). Wenn der Mensch „Gestaltender seines Lebens“ ist, heißt dies aber auch, dass jeder und jede vor der Herausforderung steht, das eigene Leben gelingend zu prägen. Für das bürgerschaftliche Engagement heißt dies, dass das „Hineinwachsen“ in einen bestimmten Verein oder in ein bestimmtes Amt nicht mehr die typische Engagementbiografie darstellt. Engagement wird nicht zwangsläufig in der Familie oder im Milieu gelernt, sondern braucht außerfamiliäre Lernorte. Vielmehr muss der Zugang zum Engagement selbst gefunden werden, die Vielzahl an Engagementmöglichkeiten wird dabei je nach individueller Ausstattung als Bereicherung oder als Überforderung gewertet. Die Ansprüche an die individuelle, biografische und institutionelle Passung des Engagements steigt und damit auch die Vielzahl an Motivlagen, ein Engagement aufzunehmen oder nicht. Entgrenzung: Eine kritisch zu betrachtende Entgrenzung findet im bürgerschaftlichen Engagement derzeit hauptsächlich zwischen freiwilligem Engagement und Erwerbsarbeit statt. Zwar reichen die Fragen dazu, welche Tätigkeiten unentgeltlich und welche bezahlt sowie professionell durchgeführt werden sollten bis in die Anfänge der Ehrenämter (vgl. Elberfelder System 1853 und Weiterentwicklung zum Straßburger System 1905; in: Müller 2013: 20f) zurück. Dabei wurden mit der zunehmenden Professionalisierung verschiedener Arbeitsfelder ehrenamtliche durch hauptamtliche Tätigkeiten verdrängt. Dies hatte in verschiedenen Bereichen eine Marginalisierung von ehrenamtlichen Tätigkeiten zur Folge, verbunden mit einem nach wie vor ungelösten Spannungsverhältnis zwischen Hauptund Nebenamt sowie dem Gefühl vieler Engagierter, als Lückenbüßer zu fungieren. Aktuell ist trotz zunehmender Professionalisierung auch eine gegenläufige Tendenz zu beobachten: Mit den Grenzen staatlichen Handelns, den Grenzen des Wohlstands und den Grenzen des Sozialstaates entstand eine Entgrenzung zwischen Haupt- und Nebenamt. Auf der Suche nach kostensenkenden und gleichzeitig nicht leistungskürzenden Maßnahmen, kommt alten und neuen Formen des Engagements eine tragende Rolle zu. Gerade in der Sozialwirtschaft haben hier
20 2 Bürgerschaftliches Engagement Engagierte nicht nur ergänzende oder flankierende Funktionen, sondern teilweise ersetzende. Neu ist dabei ein zunehmendes Verwischen von Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und Engagement. Wo Menschen ihr Engagement zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts nutzen, ist diese Grenze überschritten und es kann nicht mehr der besondere „Eigensinn“ (Enquête-Kommission 2002: 87) des Engagements bewahrt werden. Diese drei zentralen Veränderungen Individualisierung, Pluralisierung und Entgrenzung wirken sich nach Ross (2012: 34f) in der Praxis in folgenden Punkten auf das bürgerschaftliche Engagement aus:       Die Wahl des Engagements verschiebt sich von einer Orientierung an Organisationen hin zu einem Interesse an den Inhalten bzw. der biografischen Passung. Die Sinnhaftigkeit ergibt sich demnach nicht mehr aus der Organisation, sondern aus dem Inhalt bzw. der Zielgruppe des Engagements. Altruistische Motive und Motive der Pflichterfüllung stehen weniger im Vordergrund, vielmehr geht es (auch) um Selbstverwirklichung und um die Kombination aus Eigennutz und Gemeinwohl. Die Einbindung in hierarchische Strukturen verliert an Bedeutung zugunsten des Wunsches nach Partizipation und Mitsprache. Das langfristige Engagement verschiebt sich hin zu zeitlich begrenztem und/oder projektbezogenem Engagement. Die Organisationsformen des Engagements verändern sich von Verbänden hin zu Initiativen und Aktionsgemeinschaften. 2.4 Bürgerschaftliches Engagement und Gesellschaft 2.4 Bürgerschaftliches Engagement und Gesellschaft Was hält Gesellschaften zusammen? Ende des 19. Jahrhunderts beschäftigen sich Sozialwissenschaftler angesichts tiefgreifender sozialer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umbrüche verstärkt mit dieser Frage. Als einer der ersten hat sich Émile Durkheim 1893 mit Loyalität und Solidarität bei zunehmender Individualisierung und Autonomie auseinandergesetzt (Koller 2017: 117ff; König 1997: 80ff); ebenfalls als einer der ersten beleuchtete Ferdinand Tönnies (2012) im Jahr 1887 das Verhältnis von Gesellschaft und Gemeinschaft. Tönnies behandelt in seinem soziologischen Standardwerk dabei die beiden Gruppierungen, die durch gegenseitige „Bejahung“ zustande kommen (ebd.: 221) – entweder durch „Wesenswille“ bei der Gemeinschaft (Verwandtschaft, Nachbarschaft, Freundschaft) oder durch „Kürwille“ bei der Gesellschaft (z. B. moder-
2.4 Bürgerschaftliches Engagement und Gesellschaft 21 ner Staat). Diese Bejahung ist nach Tönnies entscheidend. So kann sich das Individuum als Teil des Ganzen betrachten und die Gemeinschaft bejahen, wie es im „Wesenswillen“ zum Ausdruck kommt, oder aber das Individuum handelt zweckrational aufgrund erwarteter Vorteile, was Tönnies als „Kürwille“ bezeichnet und kennzeichnend für die Gesellschaft an sich sei. Alexis de Tocqueville hat die Bedeutung der Bürgergesellschaft für das soziale Kapital bereits vor 150 Jahren erkannt und die Vereine und Verbände als Herzstück der (amerikanischen) Demokratie bezeichnet, in denen „Bürgertugenden“ eingeübt werden (Schössler 2014). Die Partizipation und das Engagement sei nach Tocqueville „an antidote to escalating individualisation and destructive materialism“ (Immerfall u. a. 2010: 9). Grundsätzlich wird der Zusammenhalt einer Gesellschaft als etwas Positives gewertet, als Ordnung stiftend in einer als brüchig empfundenen Gesellschaft mit pluralen Lebensentwürfen, globalen und digitalen Herausforderungen hinsichtlich der Arbeitswelt, mit Migrationsbewegungen und wachsender sozialer Ungleichheit. Schiefer und van der Noll (In: Koch und Boehnke 2016: 11f) finden in ihrer Metastudie übereinstimmend folgende sechs Bereiche, die Gesellschaften zusammenhalten: „soziale Beziehungen, die Verbundenheit mit der Gemeinschaft, die Orientierung am Gemeinwohl, geteilte Werte, die (objektive und subjektive) Lebensqualität und Gleichheit“ (Koch und Boehnke 2016: 11). Insbesondere die drei erstgenannten Bereiche werden gesellschaftlich und politisch als zentral angesehen und demnach „besonders häufig zur Konzeptualisierung von Zusammenhalt verwendet“ (ebd.). Während es bei sozialen Beziehungen um die Verbindungen der Individuen einer Gesellschaft untereinander geht, ist mit Verbundenheit die emotionale Verbindung zwischen Individuum und dem Gemeinwesen gemeint, also dem Aspekt, der bei Esser (1980) als Identifikation15 bezeichnet wird. Die Orientierung am Gemeinwohl verstärkt diese emotionale Verbundenheit um handlungsorientierte Aspekte, in denen aktiv Verantwortung übernommen wird. Dabei kommt dem veränderten Verhältnis zwischen Bürger_innen und Staat eine tragende Rolle zu. Während in Deutschland sich in der Historie weitgehend unpolitische Bürger_innen und ein paternalistischer Staat gegenüberstanden, dominieren im aktuellen Diskurs die Vorstellungen einer aktiven Bürgergesellschaft und eines aktivierenden, ermöglichenden Staates (Enquête-Kommission 2002: 100). Konzepte einer Politik „von oben“ werden abgelöst durch Konzepte einer „Governance“ (ebd.). Die Unterstützung und Förderung bürgerschaftlichen Engagements ist dabei staatliche Aufgabe. Dieses Konzept der Zivil- oder Bürgerge- 15 Vergleiche Kapitel 4.3.
22 2 Bürgerschaftliches Engagement sellschaft versucht auf der Basis der Dreigliedrigkeit von Markt, Staat und Zivilgesellschaft den Weg in eine Gesellschaft aktiver Bürger_innen zu gehen, bei der die Bürger_innen nicht nur über formale politische Partizipation beteiligt sind, sondern auch aktiv das Gemeinwesen mitgestalten (Sachße 2002: 3). Die Bedeutung (und damit auch die sozialpolitische Unterstützung) bürgerschaftlichen Engagements hat mehrere Dimensionen (vgl. Ross 2012: 45):      eine persönliche, aufgrund der sinnstiftenden Tätigkeit, eine soziale, da bürgerschaftliches Engagement soziales Kapital schafft, eine politische, weil bürgerschaftliches Engagement einen Beitrag zu einer lebendigen Demokratie leistet, eine fachliche – angesichts von Anregungen, Veränderungen und Unterstützung in Bereichen, in denen sich der Staat nicht (mehr) engagiert und eine (meist nicht offiziell geäußert) fiskalische, indem durch ehrenamtliche Tätigkeiten Kosteneinsparungen vorgenommen werden können. Immerfall u. a. begründen die (Wieder-)Entdeckung des bürgerschaftlichen Engagements unter drei Gesichtspunkten: Zum einen werde bürgerschaftliches Engagement als Teil einer funktionierenden Demokratie wahrgenommen, zum zweiten spiele bürgerschaftliches Engagement eine entscheidende Rolle in der Schaffung und Verteilung kollektiver Güter und zum dritten trage das bürgerschaftliche Engagement zum sozialen Zusammenhalt in einer Gesellschaft bei (Immerfall u. a. 2010: 8). Zwei kapitaltheoretische Konzepte des bürgerschaftlichen Engagements sind im sozialwissenschaftlichen Diskurs zentral, um die Bedeutung des Engagements als Ressource für das Individuum (vgl. 2.4.1) und als Ressource für die Gesellschaft (vgl. 2.4.2) herauszustellen. Aus diesem Grund werden diese von Pierre Bourdieu und von Robert Putnam entwickelten Konzepte im Folgenden in Kürze dargestellt. 2.4.1 Soziales Kapital bei Pierre Bourdieu Für Bourdieu (1983) ist soziales Kapital in erster Linie eine Möglichkeit, die anderen Kapitalarten, ökonomisches und kulturelles Kapital zu vermehren. Bourdieu definiert soziales Kapital folgendermaßen: „Das Sozialkapital ist die Gesamtheit der aktuellen und potenziellen [sic!] Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind; oder,
2.4 Bürgerschaftliches Engagement und Gesellschaft 23 anders ausgedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen“ (Bourdieu 1983: 190f; Hervorhebungen im Original). Unter ökonomischem Kapital versteht Bourdieu den „traditionellen Begriff des Kapitals“ (Koller 2017: 141), das durch „akkumulierte Arbeit“ (ebd.) entsteht und „mehr oder weniger direkt in Geld konvertierbar“ (ebd.) ist. Auch bei der zweiten Kapitalart, dem kulturellen Kapital, handelt es sich um akkumulierte Arbeit im Sinne von Zeit und Geld, welches zur Erlangung bestimmter Fähigkeiten investiert wurde. Bourdieu unterscheidet dabei inkorporiertes kulturelles Kapital (Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die erlangt wurden), objektiviertes kulturelles Kapital (Bücher, Musikinstrumente, Kunstwerke) sowie institutionalisiertes kulturelles Kapital (Zeugnisse, Urkunden, Zertifikate). Allen drei kulturellen Kapitalarten gemeinsam ist, dass die ökonomische Verwertbarkeit abhängig ist vom jeweiligen „Wechselkurs“ (Koller 2017: 146), also konjunkturellen Schwankungen unterliegt. So ist ein bestimmter Bildungsabschluss zwar prinzipiell ökonomisch verwertbar, allerdings nur, wenn dieser nicht inflationär häufig in einer Gesellschaft vorhanden ist oder, wie am Beispiel ausländischer Bildungsabschlüsse, ein grundsätzliches Interesse an dieser Kompetenz besteht. Auch das soziale Kapital ist akkumulierte Arbeit und zwar in Form von „Beziehungsarbeit“ (Koller 2017: 147). Soziales Kapital als die „mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens und Anerkennens“ (Bourdieu 1983: 190f) trägt mit seinen sozialen Kontakten und Beziehungen zu einem höheren Einkommen bei, was den Zugang zu bestimmten Kreisen erleichtert, die wiederum Zugang zum gesellschaftspolitischen Diskurs haben und dadurch eigene Interessen befördern können. Das heißt, die Aneignung von sozialem Kapital kann wesentlich zum eigenen Fortkommen beitragen. Im Umkehrschluss trägt das Fehlen von sozialem Kapital aber auch massiv zur Verstärkung sozialer Ungleichheit bei. Entscheidend ist für Bourdieu das ungleiche Vorhandensein von Kapitalarten, das wiederum die gesellschaftliche Position im sozialen Raum16 bestimmt. Der Umfang des sozialen Kapitals ist abhängig von der Größe des sozialen Netzwerkes sowie der Gesamtheit des Kapitals, das die Individuen zusammen besitzen, mit denen eine Austauschbeziehung besteht. Für die Reproduktion des Sozialkapitals sind Austauschprozesse nötig, in denen die wechselseitige Anerkennung immer wieder aufs Neue bestätigt werden müssen (Bourdieu 1983). Zentraler Begriff in Bourdieus Konzept ist der „Habitus“, der zum „inkorporierten Kulturkapital“ (Hollstein 2015: 226) gehört und der durch den „Prozess der 16 Ergänzend Bourdieu (1987: 171ff) zum sozialen Raum.
24 2 Bürgerschaftliches Engagement Habitualisierung“ (Koller 2017: 140) bei der Sozialisation erlernt wurde. Der Begriff „Habitus“ ist für Bourdieu damit eine Art „Scharnier zwischen den objektiven gesellschaftlichen Bedingungen und dem subjektiven individuellen Handeln oder Verhalten“ (Koller 2017: 151). Der Habitus ist geprägt von der „Unbewusstheit, der Regelhaftigkeit sowie der Kollektivität“ (ebd.). Das heißt, der Habitus ist keine bewusste Strategie, sondern es handelt sich um im Körper eingeschriebene Regeln. Mithilfe des Habitus grenzen sich Milieus und Klassen voneinander ab („soziale Distinktion“): „Habitusformen sind deshalb klassen-, geschlechts-, generations- oder berufsspezifisch“ (Koller 2017: 153). Ergänzend zum Konzept des Habitus auch Lenger, Schneickert und Schumacher (2013) sowie Rehbein (2011). Was bedeutet dies nun in Bezug auf bürgerschaftliches Engagement? Bourdieu versteht das soziale Kapital als individuelle Ressource, die im bürgerschaftlichen Engagement erworben werden kann. So kann beispielsweise ein Geschäftsmann sein ökonomisches Kapital (bestehend aus Zeit oder finanziellen Auslagen für den Verein) in der Freiwilligenarbeit einbringen, über dieses Engagement neue Kontakte (soziales Kapital) knüpfen, die sich evtl. wieder in Geschäftsbeziehungen (ökonomisches Kapital) umwandeln lassen (Beispiel bei Hollstein 2015: 226). Diese Investitionen finden allerdings nicht geplant im Sinne eines Kosten-NutzenKalküls (Rational choice) statt. Nach Bourdieu können demnach nicht alle Kapitalarten auf das ökonomische Kapital reduziert werden; gleichzeitig bezweifelt Bourdieu aber auch die Existenz eines rein altruistischen Engagements. Im Engagement entstehe aber ein Habitus bzw. ein Distinktionsverhalten, das einen sozialen Aufstieg ermögliche. Allerdings erfolge die Erlangung dieses kulturellen Kapitals „in diffuser Weise“ (ebd.: 228) und sei „nicht planbar“ (ebd.). 2.4.2 Soziales Kapital bei Robert Putnam Auch die Enquête-Kommission operiert mit dem Begriff des „soziales Kapitals“ und sieht dieses als ein „öffentliches Gut“ (Enquête-Kommission 2002: 77), das in den „sozialen Netzwerken akkumuliert“ (ebd.) wird und zu weiteren Effekten wie allgemeines Vertrauen führt. Dieses „generalisierte Vertrauen“ wird auch von James Coleman und Robert Putnam als von zentraler Bedeutung für die Gesellschaft herausgearbeitet. Organisationen und Vereine der Zivilgesellschaft tragen dabei maßgeblich zur Bildung von Vertrauen bei. Seit den 1990er Jahre hat die Diskussion um den Zusammenhalt der Gesellschaft zugenommen. Dabei wird insbesondere das Bild des „Kitt der Gesellschaft“ beschworen, mit der gleichzeitigen Sorge einer auseinanderdriftenden oder gar auseinanderbrechenden Gesellschaft. Zu einem weiteren Aufschwung des Diskurses trug Robert Putnams „Bowling alone. The Collapse and Revival of American
2.4 Bürgerschaftliches Engagement und Gesellschaft 25 Community“ (2000) bei, der ebenfalls die Metapher des gesellschaftlichen Kitts verwendet. Er spricht vom „bonding social capital” (verbindendes soziales Kapital) als soziologischem Super-Klebstoff („sociological super-glue“) und vom „bridging social capital“ (Brücken schlagendes soziales Kapital) gar als Schmierstoff, das heißt als „sociological WD-40“ (Putnam 2000: 23). In „Bowling alone“ stellt Putnam fest, dass in den USA Menschen nach wie vor ihrem Freizeitvergnügen „Bowling“ nachgehen, dieses aber immer weniger in Vereinen stattfindet. Die Gründe hierfür seien ein Mangel an Zeit und Geld, die Verstädterung der Vororte sowie in besonderem Maße die Zunahme an elektronischen Unterhaltungsgütern, die zu einem privatisierten, nicht in Gemeinschaft stattfindenden Freizeitverhalten führen. Ohne soziales Kapital könne eine Gesellschaft aber ihre Ziele nicht erreichen, so Putnam. Die Folgen seien eine Zunahme an Kriminalität, Drogenabhängigkeiten, wirtschaftlichem Abstieg sowie Arbeitslosigkeit. Verbunden mit der eben genannten gesellschaftlichen Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements gilt „eine breite und möglichst über alle gesellschaftliche Schichten hinweg verteilte Unterstützung des Gemeinwesens […] als Qualitätsmerkmal einer Demokratie, eine lebendige Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess als Ausdruck ihrer anerkannten Legitimität“ (Böhnke 2010: 1). Durch das Engagement werde „soziale Integration und gesamtgesellschaftliche Stabilität“ (ebd.) gefördert sowie „demokratische Verhaltensweisen geübt und erlernt, Kooperation, Kompromissbereitschaft, gegenseitiges Vertrauen und Gemeinwohlorientierung quasi unbewusst verinnerlicht“ (ebd.). In „Making Democracy Work“ stützen Putnam u. a. ([1994] 2001) ihre Überlegungen bezüglich des Zusammenhangs von Demokratie und sozialem Kapital auf empirische Untersuchungen zur Wahlbeteiligung in Italien. Dabei fanden sie heraus, dass bei gleichen Rahmenbedingungen in Regionen mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten die Wahlbeteiligung höher ist als in Regionen, in denen es dieses Vereinsleben nicht gibt. Putnam u. a. erklären dieses unterschiedliche Verhalten mit dem Sozialkapital, das „aus den drei Komponenten Vereinigungen bzw. Netzwerke, gemeinschaftsbezogene Werte bzw. Normen sowie soziales Vertrauen besteht“ (Hollstein 2015: 234). Laut Putnam, Leonardi und Nanetti besteht somit ein Zusammenhang zwischen sozialem Kapital und Demokratisierungsgrad. Darüber hinaus können Gesellschaften mit einem hohen Grad an Engagement und damit sozialem Kapital besser auf Probleme reagieren und zur Vermehrung von ökonomischen Kapital beitragen, da „Koordinations-, Transaktions- und Kontrollkosten“ (Hollstein 2015: 234) gesenkt werden. Zentral für den
26 2 Bürgerschaftliches Engagement Erwerb von sozialem Kapital sind für Putnam u. a., und da schließen sie sich Alexis de Tocqueville an, das Eingebundensein in Vereine17. Allerdings ergeben sich Vereine und Netzwerke nicht von alleine. Es bedarf sozialpolitischer, engagement- und demokratiefördernder Rahmenbedingungen18. Grundsätzlich einig sind sich Bourdieu und Putnam darin, dass durch bürgerschaftliches Engagement Ressourcen gebildet werden. Während aber für Bourdieu das Erlangen von Sozialkapital für den individuellen Distinktionsgewinn zentral ist, erachtet Putnam den gesellschaftlichen Gewinn durch Sozialkapital als wesentlich. Auch die Mechanismen zur Bildung des Sozialkapitals unterscheiden sich: Bourdieu sieht den Habitus als Hauptmechanismus an, Putnam das Tätigsein in Netzwerken und Vereinen. 17 18 Kritisch zum Verhältnis von Zivilgesellschaft und sozialem Kapital siehe Klein u. a. (2004). Demnach gäbe es „keinen automatischen Zusammenhang zwischen dem Engagement in zivilgesellschaftlichen Netzwerken und Assoziationen auf der einen und sozialer wie politischer Integration auf der anderen Seite“ (Klein u. a. 2004: 13). Klein (2001: 387) weist darauf hin, dass der Appell an die Grundwerte und das Klagen über einen Werteverfall nicht zielführend ist. „Die Grundwerte der Demokratie sind Teil der politischen Kultur, über die der Staat nicht mehr verfügen kann, die er nicht reproduzieren kann, auf die er aber angewiesen ist, wenn die demokratische Bearbeitung von politischen Fragen gelingen soll. Die demokratische Ordnung ist also auf Bedingungen angewiesen, die sie nicht selbst erzeugen kann, für deren Reproduktion sie aber mehr oder weniger günstige Voraussetzungen schaffen kann“.
3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland Migrant_innenorganisationen19 standen bis Anfang des 21. Jahrhunderts im Mittelpunkt des Diskurses über bürgerschaftliches Engagement von Migrant_innen. Insbesondere wurde zum Teil leidenschaftlich bis erbittert diskutiert, inwieweit Migrant_innenorganisationen zur Inklusion in die Aufnahmegesellschaft beitragen oder eben genau diese verhindern. Die Entstehung oder Verfestigung von Parallelgesellschaften20 wurde befürchtet, insbesondere durch religiös geprägte Migrant_innenorganisationen. Zu einer gewissen Berühmtheit gelang die sogenannte Esser-Elwert-Debatte von Georg Elwert (1982) und Hartmut Esser (1986) (Diehl, Urbahn 1998: 52)21. Migrant_innenorganisationen wurden hauptsächlich unter 19 20 21 Migrant_innenorganisationen werden in der Literatur teilweise (noch) unter der Bezeichnung „Migrantenselbstorganisation“ beschrieben. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die Gründung dieser Organisationen von Migrant_innen erfolgte und auch diese als Zielgruppe adressierten. Klassische Migrant_innenorganisationen sind Kulturvereine der Migrant_innen aus den Gastarbeiter_innenanwerbeländern. Migrant_innenorganisationen zeichnen sich durch eine große Vielfalt an Zielen und Ausrichtungen aus. Da es keine allgemeingültige Definition gibt, liegt dieser Arbeit im Folgenden die Definition von Ludger Pries zugrunde: Migrant_innenorganisationen werden allgemein „als Verbände verstanden, (1) deren Ziele und Zwecke sich wesentlich aus der Situation und den Interessen von Menschen mit Migrationsgeschichte ergeben und (2) deren Mitglieder zu einem Großteil Personen mit Migrationshintergrund sind und (3) in deren internen Strukturen und Prozessen Personen mit Migrationshintergrund eine beachtliche Rolle spielen“ (Pries 2013: 1). Zahlreiche Initiativen wie z. B. die „Neuen Deutsche Organisationen“ grenzen sich zwischenzeitlich bewusst von diesen Begriffen ab um zu verdeutlichen, dass sie Teil der Gesellschaft sind (NDO 2016; Colinas 2017: 93ff). Ilgün-Birhimeoğlu verwendet den geschlechtsneutralen Begriff „Migrationsorganisation“ (ebd. 2017: 103). Ergänzend zum Begriff „Parallelgesellschaften“ vergleiche auch Schiffauer (2008). Elwert argumentierte in seinem Aufsatz, dass die Integration in die eigenethnische Gruppe, die er als „Binnenintegration“ bezeichnet, auch als „Integrationskatalysator“ fungieren könne. Drei Argumente führt er an, um diese These zu untermauern: „Erstens argumentiert er, daß [sic!] eine Voraussetzung für die Kontaktaufnahme mit der Aufnahmegesellschaft ein stabiler psychischer Zustand ist, der sich in einer ausgeglichenen Identität und einem stabilen Selbstbewußtsein [sic!] äußert, und daß [sic!] diese psychischen Voraussetzungen in der Wanderungssituation durch eine feste Integration in die eigenethnische Gruppe geschaffen werden können. Ein zweites Argument lautet, daß [sic!] innerhalb der ethnischen Kolonie erst das nötige Alltagswissen vermittelt wird, das zur erfolgreichen Interaktion mit der Aufnahmegesellschaft wichtig ist. Drittens wird darauf verwiesen, daß [sic!] ethnische Organisationen eine wichtige Funktion als Interessengruppen spielen und oft erst die politischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration der jeweiligen Zuwanderergruppe schaffen.“ (Diehl, Urbahn 1998: 52, Hervorhebung d. Verf.) Die Stärkung der Identität wird von Esser zwar als Argument für eine Binnenintegration bejaht, er sieht allerdings die Gefahr einer ethnischen Kolonienbildung, die dazu führe, diese Kolonie nicht mehr in Richtung Aufnahmegesellschaft zu verlassen. Dies sei hinsichtlich der strukturellen Integration (Bildung, Ausbildung und Beruf) besonders mit negativen Folgen verbunden. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A.-K. Schührer, Migration und Engagement, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25096-6_3
28 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland dem Blickwinkel betrachtet, inwieweit sie sich der Aufnahmegesellschaft anpassen können oder nicht, eine Einstellung, die von Wimmer und Glick Schiller als „methodological nationalism“ bezeichnet wurde (ebd. 2002). Ergänzend aus der US-amerikanischen Literatur auch Putnam (2000: 22), der sowohl inkludierende („bridging“)22, als auch exkludierende („bonding“)23 Formen sozialen Kapitals feststellte24. Zwischenzeitlich fand im wissenschaftlichen Diskurs eine Distanzierung von der Vorstellung der segregierenden Einflüsse von Migrant_innenorganisationen statt und ein differenzierterer Blickwinkel vonseiten der Sozialwissenschaften und Politik wurde eingenommen25. Vonseiten der Politik wurden die Potenziale und Ressourcen der Migrant_innenorganisationen erkannt26. Das Erlernen demokratischer Strukturen in Vereinen, das Inklusionspotenzial, das Erreichen von Zielgruppen, die von anderer Seite nicht erreicht werden, sind Argumente, die nun für die Migrant_innenorganisationen sprechen und dazu führten, dass deren Bedeutung erstmals öffentlich anerkannt und die Organisationen auch finanziell unterstützt wurden. Im Nationalen Integrationsplan werden explizit die Integrationsleistungen der Migrant_innenorganisationen betont: „Integration wird dann erfolgreich gelingen, wenn das freiwillige Engagement in klassischen Vereinen, Verbänden, Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie in Migrantenorganisationen gleichberechtigt und eigenverantwortlich bei der Gestaltung der Gesellschaft einbezogen wird“ (Bundesregierung 2007: 173). Weiter wird betont, dass dieses Engagement der Migrant_innen sowohl in Vereinen der Aufnahmegesellschaft als auch in Migrant_innenorganisationen „gewünscht und anerkannt“ (ebd.) wird. An Maßnahmen im Rahmen der Selbstverpflichtung wurde neben der eben genannten Anerkennung unter anderem vereinbart, Migrant_innenorganisationen in Integrationspläne von Kommunen und Länder einzubeziehen, Vertreter_innen 22 23 24 25 26 An konkreten Beispielen inkludierender Organisationen nennt Putnam „civil rights movements“, „youth service groups“ sowie „ecumenical religious organizations“ (Putnam 2000: 22). An konkreten Beispielen exkludierender Organisationen nennt Putnam „ethnic fraternal organizations“, „church-based women´s reading groups“ und „country clubs“ (Putnam 2000: 22). Putnam betont sowohl die Vorteile von „bonding social capital“ als auch von „bridging social capital“: „Bonding social capital is good for undergirding specific reciprocity and mobilizing solidarity. Dense networks in ethnic enclaves, for example, provide crucial social and psychological support for less fortunate members of the community, while furnishing start-up financing, markets, and reliable labor for local entrepreneurs. Bridging networks, by contrast, are better for linkage to external assets and for information diffusion” (Putnam 2000: 22). Eine kritischere Betrachtung segregierender Tendenzen ist in der Öffentlichkeit und der Politik seit dem 11.09.2001 verstärkt in Bezug auf religiös, insbesondere muslimisch ausgerichtete Migrant_innenorganisationen zu verzeichnen. Insbesondere im Bildungsbereich wurden die Erfolge, vor allem der spanischen, kroatischen und griechischen Elternvereine betont. Trotz ähnlicher Rahmenbedingungen erzielten die durch diese Elternvereine geförderten Kinder und Jugendliche deutlich höhere Bildungsabschlüsse als Kinder aus anderen Herkunftsländern. Aktuell ist die Gülen-Bewegung im Bereich der Bildung sehr aktiv.
3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland 29 von Migrant_innenorganisationen als Fachexpert_innen in Beratungsgremien zu beteiligen sowie Migrant_innenorganisationen finanziell zu fördern, beraten und weiterzubilden (vgl. Bundesregierung 2007: 173ff; Hirseland 2017: 53ff). Bezüglich der Wissenschaft stieg die Anzahl der Forschungen und Publikationen zu Migrant_innenorganisationen seit den 1990er Jahren beträchtlich. Einen Überblick über den Stand der Forschung bietet Pries (vgl. Pries 2010: 15ff). Hilfreich auch Huth (2007a) sowie über den weiten Weg von der Nichtbeachtung zur Anerkennung siehe Thränhardt (2013) sowie Hunger und Metzger (2017). Dennoch dauerte es, bis in der Forschung das Engagement von Migrant_innen in Nicht-Migrant_innenorganisationen in den Blick kam. Migrant_innen außerhalb von eigenethnischen Vereinen wurden bis dato als Zielgruppe oder Nutznießer_innen von „deutschen“ Vereinen und Organisationen betrachtet, weniger als gestaltende Akteure oder mündige Bürger_innen. Jahrzehntelang wurden Migrant_innen „mehr betreut als beteiligt“ (Thränhardt 2013: 5), das Verhältnis war entweder durch Nichtbeachtung oder durch Paternalismus geprägt27. Erst Anfang des 21. Jahrhunderts änderte sich dies; als eine der ersten forschte Susanne Huth zu diesem Thema. Seitdem nimmt die Forschung zu diesem Thema zu, wenngleich bislang sämtliche Wissenschaftler_innen die ungenügende Datenlage kritisieren und weiteren Forschungsbedarf anmelden (beispielsweise Bel Adasme 2016; Ilgün-Birhimeoğlu 2017; Schührer 2018a, Schührer 2018b). Vergleiche ergänzend auch BMFSFJ (2017: 236). Während es in einzelnen Feldern des bürgerschaftlichen Engagements wie beispielsweise dem der älteren Menschen eine zufriedenstellende Datenlage gibt, ist dies in Bezug auf das Engagement von Migrant_innen sehr begrenzt. So kritisiert Wilmes (2016) die ungenügende Datenlage dahingehend, dass freiwilligem Engagement eine sozialintegrative Funktion zugesprochen werde, so dass insbesondere erforscht werden müsse, „ob und wie Bürgerschaftliches Engagement das Miteinander in einer vielfältigen Gesellschaft fördert“ (ebd.: 11, Hervorhebung der Verfasserin). Erschwerend kommt hinzu, dass die Studien nur begrenzt vergleichbar sind. Dies liegt an regionalen Unterschieden (viele Studien beziehen sich auf eine bestimmte Region oder ein Bundesland), am erschwerten Zugang zur Zielgruppe (insbesondere was sprachliche Barrieren angeht) sowie an forschungsrelevanten Schwierigkeiten (insbesondere die oft nur in deutscher Sprache durchgeführten Telefoninterviews, 27 Mit Ausnahme von Gewerkschaften, in denen viele Migrant_innen nicht „nur“ Mitglied waren, sondern auch in führenden Positionen, als Betriebsräte und Funktionäre gestaltend tätig waren, was durch das 1972 vom Bundestag beschlossene Gesetz ermöglicht wurden, wonach ausländische Arbeitnehmer_innen das aktive und passive Wahlrecht erhielten. Ausländische Arbeitnehmer_innen stellten zum Teil eigene Listen auf, wurden aber auch in allgemeinen Listen eingebunden.
30 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland die tendenziell eher sprachkompetentere und höher gebildete Menschen erreichen). Im Folgenden soll ein Überblick über den Stand der Forschung in Deutschland gegeben werden. Da die Forschungslage bezüglich des Themenkomplexes bürgerschaftliches Engagement von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte nach wie vor unbefriedigend ist, werden relevante Studien aus der Engagementforschung, der Migrationsforschung sowie der sozialen Ungleichheitsforschung vorgestellt: Abbildung 1: Relevante Forschungsfelder Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Zimmermann 2015: 51.
3.1 Engagementforschung: Stand der Forschung Tabelle 1: 31 Überblick zum Stand der Forschung Quelle: Eigene Darstellung 3.1 Engagementforschung: Stand der Forschung 3.1 Engagementforschung: Stand der Forschung Die Engagementforschung ist in Deutschland ein noch junger Arbeitsbereich. Daher verwundert es nicht, wenn der Schwerpunkt bislang auf der Erfassung von Engagementformen lag. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend monierte noch 2009, dass „ein breites Spektrum der Engagementforschung, das von einer theoretisch orientierten Grundlagenforschung über eine anwendungsorientierte bis hin zur unmittelbaren praxisbezogenen Forschung reicht, (…) bislang kaum vorhanden (ist)“ (BMFSFJ 2009: 4). Zwischenzeitlich erfuhr dieser junge Forschungsbereich einen Aufschwung und zahlreiche Studien und Publikationen wurden veröffentlicht. Von großer Bedeutung für den Ausbau der Forschung war die vom deutschen Bundestag beschlossene wissenschaftliche Begleitung des „Berichts zur Lage und zu den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland“. Zudem wurde mit dem Freiwilligensurvey erstmals eine fundierte Datenbasis geschaffen. Allerdings wird allein bei der Frage
32 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland nach dem Anteil der Engagierten deutlich, wie wenig die einzelnen Studien miteinander vergleichbar sind. Die Engagementquote variiert stark je nach Konzept des bürgerschaftlichen Engagements, Unterschieden in den Stichproben, abweichenden Erhebungsmethoden und verschiedenen Fragestellungen. Die uneinheitliche Verwendung des Begriffs „bürgerschaftliches Engagement“ stellt dabei nur eine von zahlreichen Schwierigkeiten bei der Vergleichbarkeit der vorhandenen Studien dar. Hinzu kommen Forschungslücken unter anderem bei neueren und bei informellen, nicht-institutionellen Engagementformen sowie bei Migrant_innen, die sich in nicht-eigenethnischen Vereinigungen engagieren. Nichtsdestotrotz hat der Freiwilligensurvey entscheidend zum Erkenntnisgewinn beigetragen. 3.1.1 Die Freiwilligensurveys 1999, 2004, 2009 und 2014 Im Freiwilligensurvey 2004 wurden erstmals Menschen mit Migrationshintergrund stärker in den Blickwinkel genommen und nicht mehr nur als reine Adressat_innen bürgerschaftlichen Engagements, sondern als dessen Akteure betrachtet. Zwar wurden bereits im Freiwilligensurvey 1999 in Deutschland lebende Ausländer_innen statistisch erfasst, das Kriterium war allerdings die deutsche bzw. nichtdeutsche Staatsangehörigkeit. Die Aussagekraft ist dementsprechend begrenzt, da Deutsche mit Migrationshintergrund in der Studie von 1999 nicht statistisch erfasst wurden. 2004 wurden als Ergänzung zum Fragenkatalog nicht nur die Staatsangehörigkeit, sondern auch der Geburtsort und bei Geburt im Ausland, das Einreisejahr erfasst. Außerdem wurde erhoben, ob ein Elternteil oder beide Elternteile im Ausland geboren wurden. Der verbesserten Datenlage steht entgegen, dass die Umfrage in deutscher Sprache durchgeführt wurde, so dass insbesondere sprachkompetentere Interviewpartner_innen erreicht wurden. Dies und evtl. weitere Faktoren28 führten dazu, dass Migrant_innen in der Stichprobe des Freiwilligensurveys 2004 deutlich weniger repräsentiert sind, als dies der gesellschaftlichen Realität entspricht (vgl. Gensicke, Geiss und Picot 2006: 302f). Trotz diverser forschungsrelevanter Schwierigkeiten in Bezug auf die Migrant_innenstichprobe, gelang es den Autor_innen des Freiwilligensurveys 2004 erstmals, das bürgerschaftliche Engagement der in Deutschland lebenden Migrant_innen zu quantifizieren. Zur genauen Zusammensetzung bezüglich Ethnie, Alter, Haushaltsgröße, Bildungsstand, beruflicher Stellung und Siedlungsmilieu vgl. Gensicke, Geiss und Picot (2006: 308ff). 28 Kritisch zu betrachten ist das von den Autoren unterstellte „geringere Interesse an politisch-gesellschaftlichen Themen vonseiten der Migranten“ (Gensicke, Geiss, Picot 2006: 303).
3.1 Engagementforschung: Stand der Forschung 33 Im Freiwilligensurvey wird zwischen „aktiver Beteiligung“ und „freiwillig engagiert“ unterschieden. Aktive Beteiligung bedeutet die Teilnahme an verschiedenen Tätigkeiten außerhalb von Familie und Beruf, beispielsweise an einem Gesprächskreis teilzunehmen oder in einem Sportverein Handball zu spielen. Das freiwillige Engagement geht über die bloße Teilnahme hinaus und meint die Übernahme von Aufgaben also beispielsweise die Leitung des Gesprächskreises oder die Organisation eines Freundschaftsspiels. Betrachtet man die Zahlen der aktiven Beteiligung, so fallen zunächst die geringen Unterschiede zwischen der Bevölkerung mit und ohne Zuwanderungsgeschichte auf. Sowohl bei Nicht-Migrant_innen als auch bei Migrant_innen ist die Mehrheit in diversen Gruppierungen, Vereinen oder Organisationen aktiv eingebunden. Bei Migrant_innen sind es 61 %, bei den Nicht-Migrant_innen liegt der Wert mit 71 % höher. Das heißt, 29 % aller NichtMigrant_innen ist außerhalb von Beruf und Familie nirgendwo eingebunden, bei den Migrant_innen sind es 39 %. Bezüglich des Aktivitätsbereiches spielt sowohl für Migrant_innen als auch für Nicht-Migrant_innen der Bereich Sport und Bewegung die größte Rolle, hier sind die meisten aktiv beteiligt, gefolgt vom Bereich „Freizeit und Geselligkeit“. Große Aktivitätsbereiche sind auch Schule und Kindergarten. Hier kehrt sich das Verhältnis des Eingebundenseins sogar um. In diesem Bereich ist die aktive Beteiligung der Migrant_innen höher als die der NichtMigrant_innen mit 14 % bzw. 12 %29. Liegen die Beteiligungsquoten der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund noch eng beisammen, so ändert sich das Verhältnis beim Betrachten der Übernahme von Aufgaben, beim freiwilligen Engagement. Dieses wird im Freiwilligensurvey folgendermaßen definiert: „Mitwirkung mindestens in einer Gruppe oder einer anderen Organisationsform bzw. in einer Einrichtung sowie längerfristige Durchführung bestimmter Aufgaben ohne Erwerbszweck bzw. nicht als reine Erholungs- und Unterhaltungsaktivität“ (Gensicke, Geiss und Picot 2006: 318, Hervorhebung d. Verf.). 29 Erklärt wird dieser Befund mit dem geringeren Altersdurchschnitt der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Zudem vermuten die Autor_innen, dass der Zugang zu Schule und Kindergarten niedrigschwelliger ist als zu manchen Vereinen (vgl. Gensicke, Geiss und Picot 2006: 317f).
34 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland Abbildung 2: Freiwillige/ehrenamtliche Übernahme von Aufgaben und Arbeiten Quelle: Gensicke, Picot und Geiss 2006: 318 Laut Freiwilligensurvey 2004 weisen Migrant_innen mit 23 % ein deutlich geringeres Engagement auf als Nicht-Migrant_innen mit 37 %. Im Freiwilligensurvey 1999, der nicht nach Migrationshintergrund, sondern nach Staatsangehörigkeit unterschied, betrug die Engagementquote der Ausländer_innen 20 %30. Trotz dieser signifikanter Unterschiede gehen die Autor_innen davon aus, dass die Engagementquote tatsächlich noch geringer ist31 und begründen dies damit, dass die Migrant_innenstichprobe im Freiwilligensurvey eher von „gut sozial eingebundene(n) und der deutschen Sprache gut mächtige(n)“ (Gensicke, Geiss, Picot 2006: 319) Teilnehmer_innen geprägt sei. Bezüglich des Engagements in verschiedenen Gruppen, stellen die Autor_innen folgende Ergebnisse fest:  In Deutschland geborene Migrant_innen sind eher engagiert (29 %) als solche, die selbst eingewandert sind (21 %). 30 Aufgrund der geringen Aussagekraft in Bezug auf Migrant_innen wird im Folgenden nicht ausführlich auf den ersten Freiwilligensurvey von 1999 eingegangen. Ausführlich siehe Von Rosenbladt (2001). Zum Vergleich: Die zweisprachige Befragung durch das Zentrum für Türkeistudien ergab, dass sich rund jeder zehnte Freiwillige engagiert, bei einer Beteiligungsquote von 64 %. Im Sozioökonomischen Panel sind Engagementquoten von 10 bis 12 % zu verzeichnen. Vgl. Kap. 3.2.1. 31
3.1 Engagementforschung: Stand der Forschung       35 Je länger die Migrant_innen in Deutschland leben, umso höher ist die Engagementquote. Vor 1970 eingewanderte Migrant_innen engagieren sich zu 30 %, zwischen 1971 und 1980 eingewanderte zu 24 %, zwischen 1981 und 1990 eingewanderte zu 23 % und zwischen 1991 und 2004 eingewanderte Migrant_innen zu 15 %. Damit ist diese Einflussgröße bedeutender als beispielsweise die Staatsangehörigkeit. Migranten (23 %) und Migrantinnen (24 %) sind ähnlich stark engagiert, bei den Nicht-Migrant_innen ist der geschlechtsspezifische Unterschied deutlicher ausgeprägt. 41 % der Nicht-Migranten und 34 % der Nicht-Migrantinnen engagieren sich freiwillig. Unterschiede gibt es auch bezüglich des Alters. So sind die 35- bis 65-Jährigen Migrant_innen (zwischen 24 und 31 %) deutlich stärker engagiert als die Unter-24-Jährigen (22 %). Am wenigsten engagiert ist die Bevölkerungsgruppe der Über-65-Jährigen (19 %) sowie der 25- bis 34-Jährigen (19 %). Bezüglich des Erwerbsstatus fällt auf, dass arbeitslose Nicht-Migrant_innen zu 30 % freiwillig engagiert sind; bei den arbeitlosen Migrant_innen hingegen fällt die Engagementquote mit 7 % besonders niedrig aus. Bei den Berufstätigen sind 42 % der Nicht-Migrant_innen engagiert, von den Migrant_innen sind es 24 %. Je höher die Schulbildung umso höher die Engagementquote. Dieser Zusammenhang ist bei Nicht-Migrant_innen aber noch stärker ausgeprägt als bei Migrant_innen. So ist eine Steigerung der Engagementquote bei Nicht-Migrant_innen in Bezug auf einen niedrigen Bildungsstatus (27 %), mittleren Bildungsstatus (37 %) und höheren Bildungsstatus (45 %) deutlicher zu erkennen als bei Migrant_innen – mit einer geringeren Zunahme von 19 % auf 23 % auf 26 %. Die Kopplung Bildung und Engagement ist auch hier deutlich zu sehen, es müssen aber noch weitere Faktoren eine Rolle spielen, weshalb sich 45 % der höhergebildeten Nicht-Migrant_innen engagieren im Vergleich zu 26 % der höhergebildeten Migrant_innen. Neben den oben genannten strukturellen Merkmalen beeinflussen weitere Faktoren die Bereitschaft zum freiwilligen Engagement. Dies ist in beiden Gruppierungen die Größe des Freundeskreises. Je größer dieser ist, umso eher ist auch die Bereitschaft vorhanden, sich freiwillig zu engagieren. Bedeutend sind auch die Zugehörigkeit zu einer Kirche oder Glaubensgemeinschaft sowie die Unterstützung von Personen außerhalb des Haushalts. Außerdem sind verschiedene Wertekonstellationen entscheidend dafür, ob sich Migrant_innen engagieren oder nicht. Engagementförderlich sind insbesondere eine „idealistische und normenkritische Werthaltung“ (Gensicke, Geiss und Picot 2006: 326). Engagementhemmend ist eine „hedonistisch-materielle Werthaltung sowie von Pflicht- und Ordnungswerten“ (ebd.) geprägte Haltungen.
36 Tabelle 2: 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland Freiwilliges Engagement 2004 nach soziodemografischen Merkmalen Alle Männer Frauen 14-24 Jahre 25-34 Jahre 35-44 Jahre 45-54 Jahre 55-64 Jahre Über 65 Jahre Erwerbstätig Arbeitslos Niedriger Bildungsstatus Mittlerer Bildungsstatus Höherer Bildungsstatus Migrant_innen 23 % 23 % 24 % 22 % 19 % 24 % 27 % 31 % 19 % 24 % 7% 19 % 23 % 26 % Nicht-Migrant_innen 37 % 41 % 34 % 38 % 36 % 44 % 42 % 40 % 27 % 42 % 30 % 27 % 37 % 45 % Quelle: Eigene Darstellung nach Gensicke, Picot und Geiss 2006: 323 Engagementpotenzial Abbildung 3: Freiwilliges Engagement und Bereitschaft zum Engagement Quelle: Gensicke, Picot und Geiss 2006: 330
3.1 Engagementforschung: Stand der Forschung 37 Von einem „unausgeschöpften Engagementmuster“ sprechen Gensicke, Geiss und Picot (2006) in Bezug auf Migrant_innen. Diese seien in großer Zahl bereit, sich „bestimmt“ zu engagieren oder dies „unter bestimmten Voraussetzungen“ zu tun. Es ist demnach ein großes Engagementpotenzial vorhanden. Auch wenn solche Aussagen mit Vorsicht zu genießen sind, bleibt dennoch eine positive Grundhaltung gegenüber freiwilligem Engagement. So sind zwei Drittel aller Migrant_innen entweder bereits engagiert oder haben daran ein Interesse. Betrachtet man die soziodemografischen Faktoren, fällt insbesondere auf, dass Menschen, die bereits in Vereinen und Organisationen aktiv tätig sind, ein deutlich höheres Interesse an der Übernahme einer Aufgabe haben als Menschen, die außerhalb von Beruf und Familie nirgends eingebunden sind. Dieser Faktor ist bedeutend, um mögliche Engagementhürden abzubauen. Der häufigste Weg zu einem freiwilligen Engagement führt über die Aktivität in einem Verein oder einer Organisation32. Zum zweiten fällt auf, dass der Faktor Bildung bei der Engagementbereitschaft der Migrant_innen deutlicher zum Tragen kommt als beim tatsächlichen Ausüben eines freiwilligen Engagements. 23 % der höher gebildeten Migrant_innen sind bereit sich zu engagieren, weitere 37 % können sich dies unter bestimmten Voraussetzungen vorstellen. Zum dritten fällt auf, dass von den im Ausland geborenen Migrant_innen 20 % in jedem Fall an einem Engagement bereit wären. Betrachtet man diese Zahlen, fällt auf, dass es sowohl bei den Nicht-Migrant_innen (hier insbesondere die Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen) ein nicht mobilisiertes Engagementpotenzial gibt, dies aber noch nicht ausgeschöpft wurde. Die möglichen Hintergründe und Hemmnisse, die das Engagement dieser Personengruppe erschweren, sollen in Kapitel 6.4 noch genauer beleuchtet werden. 32 „Ehrenamtsbörsen“, in denen gezielt bürgerschaftlich Engagierte und Interessierte für bestimmte Tätigkeiten gewonnen werden sollen, erreichen meist eine andere Zielgruppe. Besucher_innen einer Ehrenamtsbörse entscheiden sich aus bewussten Gründen („jemandem helfen wollen“) für eine freiwillige Tätigkeit; sie verfügen sowohl über zeitliche und finanzielle Ressourcen als auch über ausreichendes Wissen bezüglich Strukturen und Organisationen. Zahlenmäßig häufiger hingegen ist der Weg über die aktive Teilnahme und das „Hineinwachsen“ in Strukturen, oft verbunden mit der gezielten Ansprache eines bereits Engagierten.
38 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland Gründe für die Beendigung des Engagements Abbildung 4: Gründe für die Beendigung des freiwilligen Engagements Quelle: Gensicke, Picot und Geiss 2006: 334 Zwar an letzter Stelle genannt, doch mit einem auffallenden Unterschied zwischen Migrant_innen und Nicht-Migrant_innen versehen, sind die finanziellen Gründe, die vor allem für Migrant_innen zum Abbruch der Tätigkeit führten. So gaben 12 % der Migrant_innen an, dass ihnen die freiwillige Tätigkeit zu kostspielig wurde. Auch die zeitlichen Ressourcen wurden von den Migrant_innen deutlich häufiger genannt, ebenso wie das Gefühl der Überforderung.
3.1 Engagementforschung: Stand der Forschung 39 Erwartungen an das freiwillige Engagement Abbildung 5: Erwartungen an die freiwillige Tätigkeit Quelle: Gensicke, Picot und Geiss 2006: 340 Auf einer Skala von 0 (unwichtig) bis 5 (außerordentlich wichtig) wurde der Grad der Wichtigkeit der Erwartungen an die freiwillige Tätigkeit gemessen. Dabei konnten nur wenige Unterschiede in der Reihenfolge der wichtigsten Aspekte ausgemacht werden; auffallend ist dabei allerdings, dass der Grad der Wichtigkeit bei Migrant_innen stärker ausgeprägt ist als bei Nicht-Migrant_innen. Größere Abweichungen im Grad der Wichtigkeit finden sich insbesondere in den Erwartungen, „dass man die eigenen Kenntnisse und Erfahrungen erweitern kann“, „dass man eigene Verantwortung und Entscheidungsmöglichkeit hat“, „dass man damit eigene Probleme in die Hand nehmen und lösen kann“ und „dass die Tätigkeit auch für die beruflichen Möglichkeiten etwas nützt“. Vor allem in diesem letztgenannten Aspekt sind die Unterschiede zwischen Migrant_innen und Nicht-Migrant_innen besonders deutlich33. Der Hintergrund dürfte nach Gensicke, Geiss und Picot ein „größerer sozialer Problemdruck“ der Migrant_innen sein, der zu „gesteigerten Erwartungen an die freiwillige Tätigkeit“ (Gensicke, Geiss und Picot 2006: 341) führe. 33 Dieser Punkt wird im Übrigen auch von ostdeutschen Engagierten als wichtig eingestuft, während es bei westdeutschen Engagierten ohne Migrationshintergrund eine weniger wichtige Rolle einnimmt.
40 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland Größer sind die Erwartungen der Frauen verglichen mit Männern mit Migrationshintergrund. Migrantinnen finden die Aspekte, „dass man damit berechtigte eigene Interessen vertreten kann“ (3,1 bzw. 2,8)34, „dass man damit eigene Probleme in die Hand nehmen und lösen kann“ (3,1 bzw. 2,7) und, „dass die Tätigkeit auch für die beruflichen Möglichkeiten etwas nützt“ (2,9 bzw. 2,5) deutlich wichtiger als Männer mit Migrationshintergrund. Die Autor_innen Gensicke, Geiss und Picot vermuten „eine Art ‚Selbsthilfe‘ (…), um die persönliche und ökonomische Lage mittel- und langfristig zu verbessern (…) [und sich] selbst helfen zu wollen’“ (ebd.: 341). Migrant_innen haben demnach eine andere Gewichtung, was im Folgenden noch genauer beleuchtet werden soll. Dies birgt einige Chancen, es birgt aber auch die Gefahr von übersteigerten Erwartungen an eine freiwillige Tätigkeit und insbesondere der Enttäuschung, wenn sich diese Erwartungen der „Selbsthilfe“ (ebd.: 341) nicht erfüllen. Das freiwillige Engagement findet sowohl bei Migrant_innen als auch bei Nicht-Migrant_innen vor allem in einer Vereinsstruktur statt35, wobei Migrant_innen mit 38 % etwas weniger als Nicht-Migrant_innen (44 %) in der Organisationsform Verein engagiert sind. An zweiter Stelle steht das Engagement in staatlichen oder kommunalen Einrichtungen. Hier sind 17 % der Migrant_innen und 12 % der Nicht-Migrant_innen engagiert. Die Autor_innen führen dies auf die hohe Engagementquote im Einsatzbereich Kinder und Jugendliche zurück, also beispielsweise in der Schule oder in einem staatlichen Kindergarten. Gensicke, Geiss und Picot vermuten aber auch, dass der Zugang zu staatlichen Einrichtungen einfacher sei als „in (kulturell „deutsch“ geprägten) Vereinen, deren oftmals kulturell homogene und traditionelle Strukturen Migranten möglicherweise abschrecken bzw. schlecht integrieren“ (Gensicke, Geiss und Picot 2006: 343). An Hauptinhalten der freiwilligen Tätigkeit geben Nicht-Migrant_innen (56 %) deutlich öfter die „Organisation von Veranstaltungen“ an als Migrant_innen (47 %). Umgekehrt ist das Verhältnis bei der „persönlichen Hilfestellung“. Hier benannten 38 % der Migrant_innen diese Tätigkeit als wichtigen Inhalt des freiwilligen Engagements; bei den Nicht-Migrant_innen wurde dieser Punkt von 31 % als wichtig eingestuft. Beim Geschlechtervergleich treten noch deutlichere Unterschiede auf: Migrantinnen räumen dem Aspekt der „persönlichen Hilfestellung“ mit 42 % einen höheren Stellenwert ein als Migranten mit 33 %. Jeder dritte 34 35 Die erstgenannte Zahl bezieht sich auf den Grad der Zustimmung von Migrantinnen, die 2. Zahl auf den Grad der Zustimmung der Migranten. Das hier thematisierte Engagement in Mütter- und Familienzentren ist ebenfalls in einer Vereinsstruktur eingebettet. Die meisten Zentren haben die Rechtsform „eingetragener Verein“. Im Unterschied zu vielen anderen Vereinen setzt aber weder die Teilnahme an Angeboten noch das aktive Engagement eine (zahlende) Mitgliedschaft voraus.
3.1 Engagementforschung: Stand der Forschung 41 Migrant (34 %) beschreibt seine Tätigkeit als Leitungsfunktion, von den Migrantinnen ist dies bei jeder fünften der Fall (21 %).36 Fasst man Frauen und Männer mit Zuwanderungsgeschichte zusammen, kann man feststellen, dass sie mit 27 % deutlich seltener eine Funktionsaufgabe haben als Deutsche ohne Migrationshintergrund (35 %). Veränderungswünsche Auffallend ist, dass sich Migrant_innen deutlich mehr als Nicht-Migrant_innen weiterreichende Unterstützung wünschen. Migrant_innen geraten schneller an finanzielle und persönliche Grenzen (siehe oben) und sind deshalb stärker auf eine Unterstützung vonseiten der Organisation aber auch von staatlicher Seite angewiesen. Forderungen an die Organisation sind finanzieller Art, fachlicher Art („fachliche Unterstützung“) und emotionaler Art („bessere Anerkennung der Freiwilligen durch Hauptamtliche“)37. Forderungen an den Staat sind eine verbesserte Informationspolitik über Engagementbereiche, finanzielle Unterstützung in Form von steuerlicher Absetzbarkeit von Aufwandsentschädigungen und Unkosten sowie die Anerkennung als berufliches Praktikum. Vor allem letztgenannter Punkt weist den größten Unterschied zwischen Nicht-Migrant_innen (39 %) und Migrant_innen (60 %) auf. Dies deckt sich mit den bereits genannten Zahlen, wonach sich Migrant_innen stärker als Nicht-Migrant_innen einen beruflichen Nutzen erhoffen. Auch wünschen sich Migrant_innen stärker als Nicht-Migrant_innen eine öffentliche Anerkennung ihrer Tätigkeit durch beispielsweise Ehrungen. Dies finden 35 % der Migrant_innen wichtig, bei den Nicht-Migrant_innen ist der Anteil mit 23 % geringer. Dafür ist die Anerkennung durch Presse- und Medienberichte für Menschen ohne Migrationshintergrund geringfügig wichtiger (48 %) als für Menschen mit Migrationshintergrund (45 %) (Gensicke, Geiss und Picot 2006: 404f). Anerkennung als wichtiger Aspekt und Motor für freiwilliges Engagement wird hier bereits deutlich und soll in dieser Studie theoretisch (vgl. Kapitel 4.1) und empirisch (vgl. Kapitel 6.1.2) vertieft werden. Struktur oder Kultur? Im Freiwilligensurvey 1999 wurden hauptsächlich soziodemografische Daten, sogenannte Strukturmerkmale erhoben. Ergänzt wurde dieses Modell fünf Jahre später um „kulturelle“ Aspekte. Hier liegt das große Verdienst des zweiten Freiwilligensurveys. Geklärt werden sollte die Frage, ob es eher strukturelle Faktoren wie Bildung oder Einkommen sind, die die Engagementbereitschaft beeinflussen oder 36 37 Zum Vergleich: Männer ohne Migrationshintergrund haben zu 43 % eine Leitungsfunktion, Frauen ohne Migrationshintergrund zu 26 %. Diese Faktoren sind bei der Gewinnung und Bindung von Engagierten zu beachten.
42 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland „Kulturmerkmale“ (Gensicke, Geiss und Picot 2006: 74) wie Kirchenbindung, Integration und Werte? Das Merkmal Bildung innerhalb des Strukturmodells hat die größte Vorhersagekraft, ob sich eine Person engagiert oder nicht. Hinzugefügt muss allerdings, dass das Merkmal Bildung eine Zwischenposition zwischen Struktur und Kultur einnimmt und sich nicht eindeutig dem Strukturmodell zuordnen lässt. Bildung ist laut Freiwilligensurvey ein dominanterer Faktor als Einkommen. Allerdings verliert der Faktor Bildung an Bedeutung, wenn zusätzliche kulturelle Merkmale mit aufgenommen werden. Die einflussreichsten Größen im Struktur-Kultur-Modell sind dabei die Größe des Freundes- und Bekanntenkreises, die Kirchenbindung38, die soziale Integration sowie Wertorientierungen und politisches Interesse. Laut Gensicke, Geiss und Picot überlagert das „Ideelle“ das „Materielle“ (ebd. 2006: 77), wonach die Bereitschaft zum freiwilligen Engagement nicht von rein ökonomischen Faktoren abhängt, sondern deutlich vielschichtiger zu betrachten ist. Tabelle 3: Modell zur Vorhersage öffentlicher Beteiligung bzw. freiwilligen Engagements39 Quelle: Gensicke, Picot und Geiss 2006: 76 38 39 Die Größe „Kirchenbindung“ überlagert auch die bis dato geltende Unterscheidung „alte/neue Bundesländer“. Der unterschiedliche Bezug zur Kirche ist dominanter als lediglich der Wohnort, so der Freiwilligensurvey 2004. R² bezeichnet die standardisierte Erklärungskraft des gesamten Modells, β die standardisierte Erklärungskraft der einzelnen Merkmale des Modells.
3.1 Engagementforschung: Stand der Forschung 43 Der dritte Freiwilligensurvey 2009 wurde um weitere Faktoren, die den Migrationshintergrund statistisch besser abbilden können, ergänzt. Bereits erfasst wurden Staatsangehörigkeit, Zuzugsjahr und Herkunftsland. Zusätzlich wurden 2009 der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit sowie das Herkunftsland der im Ausland geborenen Eltern sowie die Religionszugehörigkeit erfasst. Keine Veränderung zu den ersten beiden Freiwilligensurveys erfolgte in der Interviewsprache. Der Freiwilligensurvey 2009 wurde wieder in ausschließlich deutscher Sprache durchgeführt40 Veränderungen im Engagementverhalten von Migrant_innen lassen sich nicht beobachten. Bei der Gesamtbevölkerung hingegen ist von 1999 bis 2004 ein leichter Engagementanstieg von 34 % auf 36 % zu verzeichnen, der bis 2009 konstant blieb. 2009 lag der Anteil von engagierten Arbeitslosen, Menschen mit einem geringen soziökonomischen Status und/oder Menschen mit Migrationshintergrund nach wie vor unter dem Durchschnitt der restlichen Bevölkerung (vgl. Gensicke und Geiss 2010: 6). Von 2004 bis 2009 ist der Anteil engagierter Migrant_innen von 23 % auf 24 % minimal gestiegen. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer in Deutschland steigt auch die Übernahme einer freiwilligen Tätigkeit. „Engagement und Integration erscheinen bei Migrantinnen und Migranten oft als verschiedene Seiten einer Medaille“, so Gensicke und Geiss (ebd. 2010: 23) und leiten daraus einen höheren Unterstützungsbedarf von öffentlicher Seite ab. Bei der Erfassung von engagierten Jugendlichen wird als positive Verstärker die Größe des Freundeskreises, die Kirchenbindung sowie das Interesse an Politik und öffentlichem Leben benannt, der Migrationshintergrund dagegen wirkt sich negativ auf die Bereitschaft aus, eine freiwillige Tätigkeit zu übernehmen (vgl. Gensicke und Geiss 2010: 199). Einige erhebungstechnische Mängel der vorhergehenden Freiwilligensurveys wurden im Freiwilligensurvey 2014 behoben. So wurden in die Stichprobenziehung erstmals Mobilfunknummern einbezogen, in Bezug auf Nicht-Muttersprachler wurden ebenfalls zum ersten Mal Interviews nicht nur in deutscher Sprache, sondern auch in den Sprachen Türkisch, Russisch, Polnisch, Englisch und Arabisch durchgeführt. Ein zentrales Ergebnis dabei ist, dass das Engagement grundsätzlich gestiegen ist, allerdings sind nicht alle Bevölkerungsgruppierungen gleichermaßen engagiert. Menschen ohne Migrationshintergrund sind zu 48,8 % engagiert, Menschen mit Migrationshintergrund zu 31,5 % (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016a: 593). 40 Begründet wird diese Maßnahme aus finanziellen Gründen. Gleichwohl ist den Autor_innen die begrenzte Aussagekraft aufgrund des Fehlens fremdsprachiger Interviews bewusst. Vermutet wird, dass sprachlich kompetentere Interviewteilnehmer_innen sowie „besser integrierte Migrantinnen und Migranten“ (Gensicke und Geiss 2010: 23) überrepräsentiert sind.
44 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland Personen ohne Migrationshintergrund 46,8 Personen mit Migrationshintergrund 26,1 31,5 28,6 72,9 60,1 davon Ohne eigene Zuwanderungserfahrung, mit Migrationshintergrund Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit 43,2 Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit 30,6 31,1 73,8 63,0 31,9 Mit eigener Zuwanderungserfahrung Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit 26,4 Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit 28,7 21,7 0 25,1 20 55,1 Engagiert Aktiv, aber nicht engagiert Die Zahlen hinter den Balken geben den Gesamtanteil aller Aktiven an 46,8 40 60 80 Prozent Quelle: FWS 2014, gewichtet, eigene Berechnungen (DZA). Basis: Alle Befragten (n = 28.689). Abbildung 6: Anteil Engagierter und Anteile Aktiver nach Art des Migrationshintergrundes 2014 Quelle: Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016a: 602 Wissend um die plakativen Vereinfachungen und die Gefahr der Reduktion unterscheidet der Freiwilligensurvey 2014 zwischen folgenden vier Gruppierungen: 1. 2. 3. 4. Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren wurden und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren wurden und nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, Menschen mit eigener Migrationserfahrung und deutscher Staatsangehörigkeit und Menschen mit eigener Migrationserfahrung und nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Engagementquote Die Engagementquote von Deutschen mit Migrationshintergrund und ohne eigener Migrationserfahrung (Gruppe 1) reicht mit 43,2 % beinahe an die der Deutschen ohne Migrationshintergrund mit 46,8 % heran. Diese beiden Personengruppen sind vergleichbar aktiv; die Engagementquote unterscheidet sich aber um rund
3.1 Engagementforschung: Stand der Forschung 45 drei Prozentpunkte. Besonders niedrig ist die Engagementquote bei Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit und mit eigener Zuwanderungsgeschichte (Gruppe 4) mit 21,7 %. Erstaunlich ist aber auch die niedrige Quote von 31,1 % bei in Deutschland geborenen Menschen mit Migrationshintergrund und nichtdeutschem Pass (Gruppe 2). Dazwischen liegt die Quote der Deutschen mit eigener Zuwanderungsgeschichte (Gruppe 3) mit 26,4 %. Zentrales Ergebnis des FWS 2014 ist, dass die unterschiedlich hohe Engagementquote von Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte weniger von den Faktoren Alter, Bildung und Einkommen abhängen. Diese Gruppenunterschiede bleiben stabil. Entscheidende Einflussfaktoren sind laut FWS 2014 vielmehr „prägende Erfahrungen in Kindheit und Jugend“ (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016a: 57) sowie die Staatsangehörigkeit. Diese Merkmale sind demnach von größerer Bedeutung als die sozioökonomische Situation. Personen mit Migrationshintergrund und niedriger Bildung engagieren sich nur zu 17,7 % (im Vergleich: 30,2 % bei Personen ohne Migrationshintergrund und niedriger Bildung), mit mittlerer Bildung zu 28,2 % (im Vergleich: 44,2 %) und mit hoher Bildung zu 35,7 % (im Vergleich: 57,3 %) (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016 b: 305). Wird die Bevölkerung mit Migrationshintergrund getrennt nach den festgelegten vier Gruppen betrachtet, so sind Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit und mit eigener Zuwanderung und niedriger Bildung lediglich zu 11,9 % engagiert. Die Gruppierung mit der höchsten Engagementquote von 50,9 % besteht aus Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, ohne eigener Zuwanderungserfahrung und hoher Bildung41 (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016b: 306). Die Engagementquote wächst also mit steigender Bildung, im Generationenverlauf (die zweite Generation ist engagierter als die zugewanderte Bevölkerungsgruppe) und mit dem Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit42. 41 42 Trotz dieser hohen Engagementquoten verbleibt ein Unterschied zur Bevölkerungsgruppe der höher gebildeten Deutschen ohne Migrationshintergrund von 6,4 Prozentpunkten. Dieser Zusammenhang bezieht sich nur auf das tatsächliche Engagement. Der Zusammenhang bei den aktiven, aber nicht engagierten Personen ist nicht gegeben. Vergleiche ausführlich Simonson u. a. (2016b: 306).
46 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland Engagementbereitschaft Personen ohne Migrationshintergrund 10,8 Personen mit Migrationshintergrund 45,0 13,6 54,5 davon Ohne eigene Zuwanderungserfahrung, mit Migrationshintergrund Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit 12,3 Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit 52,3 15,2 52,8 Mit eigener Zuwanderungserfahrung Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit 12,9 Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit 52,0 15,3 0 Sicher bereit Vielleicht bereit 60,0 20 40 60 80 Prozent Quelle: FWS 2014, gewichtet, eigene Berechnungen (DZA). Basis: Alle Nicht-Engagierten (n = 16.173). Abbildung 7: Engagementbereitschaft nach Art des Migrationshintergrundes 2014 in Prozent Quelle: Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016a: 605 Die Engagementbereitschaft ist bei Menschen mit Migrationshintergrund – verglichen mit Menschen ohne Migrationshintergrund – höher, so sind 13,6 % davon sicher bereit sowie 54,5 % vielleicht bereit. Dass die Bereitschaft zum Engagement insbesondere bei Nicht-Deutschen mit eigenere Zuwanderungserfahrung mit 15,3 % besonders hoch ist, werten die Autor_innen als „Bereitschaft zur gesellschaftlichen Teilhabe und Integration“ (Simonson, Vogel und Tesch Römer 2016a: 596).43 Bezüglich der Engagementbereiche gibt es wenige Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, insbesondere der Bereich des Sports ist sowohl für Menschen mit als auch für Menschen ohne Migrationshintergrund ein wichtiger Engagementbereich. Wie bereits im Freiwilligensurvey 43 Im Umkehrschluss könnte dies aber auch bedeuten, dass diese Bevölkerungsgruppe bisher nicht in dem Maße am freiwilligen Engagement partizipieren kann. Hier gibt es ein großes brachliegendes Potenzial, das es zu aktivieren gilt.
47 3.1 Engagementforschung: Stand der Forschung 2009 auch, sind Menschen mit Migrationshintergrund stärker in Schule, Kindergarten und im religiösen Bereich involviert, im Unfall- und Rettungswesen sowie bei der Feuerwehr sind sie unterrepräsentiert44. Personen ohne Migrationshintergrund 28,7 Personen mit Migrationshintergrund 21,2 davon Ohne eigene Zuwanderungserfahrung, mit Migrationshintergrund Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit 24,5 Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit 15,5 Mit eigener Zuwanderungserfahrung Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit 19,1 Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit 17,4 0 10 20 30 40 Prozent Quelle: FWS 2014, gewichtet, eigene Berechnungen (DZA). Basis: Alle Engagierten (n = 12.516). Abbildung 8: Anteile Engagierter mit Leitungs- oder Vorstandsfunktion nach Art des Migrationshintergrundes 2014 Quelle: Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016a: 609 Große Unterschiede bei der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund zeigen sich insbesondere dann, wenn man die Leitungsfunktionen betrachtet. Frauen mit Zuwanderungsgeschichte (19,4 %) und Männer mit Zuwanderungsgeschichte 44 Dieser Nachholbedarf wurde bereits erkannt und die interkulturelle Öffnung von Einrichtungen des Unfall- und Rettungswesens besonders intensiv vorangetrieben. Vergleiche exemplarisch Deutsches Rotes Kreuz (2006) oder Gluns u. a. (2012).
48 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland (23,1 %) haben seltener eine leitende Funktion als Frauen (22,3 %) und Männer ohne Zuwanderungsgeschichte (34,7 %). Auffallend ist hierbei, dass der Anteil von Funktionsträger_innen bei den Engagierten mit eigener Zuwanderungsgeschichte (19,1 bzw. 17,4 %) höher ist, als bei den in Deutschland geborenen Ausländer_innen (15,5 %), sollte man bei diesem Personenkreis der in Deutschland sozialisierten Personen doch eigentlich davon ausgehen, dass sie mit Vereinskultur und zivilgesellschaftlichen Strukturen vertraut sind. Die Autor_innen des Freiwilligensurveys 2014 vermuten, dass weniger Diskriminierungsmechanismen als vielmehr Bildungs- und Berufsunterschiede diese Gruppenunterschiede erklären45. Erfasst wurden auch informelle Hilfeleistungen, also inwieweit Unterstützung für Nachbar_innen, Freund_innen und Bekannte in Form von Kinderbetreuung, Pflege oder anderen Hilfeleistungen erbracht werden. Vermutet wurde im Vorfeld, dass Migrant_innen stärker in informellen Hilfenetzwerken involviert sind, was ein geringeres Engagement im öffentlich sichtbaren Ehrenamt erklären würde (vgl. Huth 2012: 1). Informelle Unterstützung wird von 27 % der Menschen ohne Migrationshintergrund und von 23 % der Menschen mit Migrationshintergrund erbracht. Personen ohne eigene Zuwanderungsgeschichte und mit deutschem Pass engagieren sich dabei mit 27,4 % gleich oft im informellen Bereich verglichen mit Deutschen ohne Migrationshintergrund. Die geringste informelle Unterstützung leisten Deutsche mit eigener Zuwanderungserfahrung (20,1 %). Wird die informelle Hilfe nach Einsatzbereichen unterschieden, so leisten Menschen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Menschen ohne Migrationshintergrund etwas häufiger Hilfe bei der Betreuung nicht-eigener Kinder, etwas seltener instrumentelle Hilfen und etwa zu gleichen Anteilen Unterstützung in Pflege und Betreuung von Personen außerhalb der Familie. In der multivariaten Analyse des freiwilligen Engagements in Abhängigkeit vom Migrationshintergrund werden die Variablen Geschlecht, Alter und Schulbildung miteinbezogen. Das Ergebnis zeigt aber, dass die Unterschiede in den Migrationsgruppen stabil bleiben. Unter Berücksichtigung weiterer Variablen sind Deutsche ohne Migrationshintergrund häufiger freiwillig engagiert. An zweiter Stelle steht auch hier die Gruppe der in Deutschland geborenen Menschen mit Migrationshintergrund und deutschem Pass. Die Autoren schlussfolgern, dass „prägende Erfahrungen in Kindheit und Jugend“ (Simonson, Vogel und TeschRömer 2016a: 607) sowie die deutsche Staatsangehörigkeit und das Geburtsland Deutschland entscheidend für die Aufnahme eines freiwilligen Engagements sind. 45 Inwieweit Diskriminierungsmechanismen Bildungs- und Berufsunterschiede beeinflussen können, wird im Freiwilligensurvey 2014 nicht thematisiert.
49 3.1 Engagementforschung: Stand der Forschung Spaß haben 88,6 Ohne Migrationshintergrund Mit anderen Menschen zusammenkommen Gesellschaft mitgestalten Ohne Migrationshintergrund QualiºÇkationen erwerben Ansehen und ÇàºÙĆúú¿¯ĒÇàà¯à BeruºÙich vorankommen Dazuverdienen 15,3 60,3 Mit Migrationshintergrund 24,6 57,9 Ohne Migrationshintergrund Ohne Migrationshintergrund 23,1 61,5 Mit Migrationshintergrund 18,8 57,2 Ohne Migrationshintergrund 31,9 Mit Migrationshintergrund 21,8 13,8 12,7 Ohne Migrationshintergrund 18,6 80,3 79,0 60,6 30,0 16,2 22,3 Mit Migrationshintergrund 81,9 76,0 49,8 17,9 42,0 Ohne Migrationshintergrund 79,6 24,0 52,9 94,2 92,1 82,4 22,1 55,0 Mit Migrationshintergrund Mit anderen Generationen zusammenkommen 13,6 76,8 Mit Migrationshintergrund 18,3 40,6 9,7 22,4 Mit Migrationshintergrund 26,9 Ohne Migrationshintergrund 2,73,3 6,0 11,5 38,4 Stimme voll und ganz zu Stimme eher zu 8,1 6,2 14,3 Mit Migrationshintergrund 0 20 40 60 80 100 Prozent \Ċ¯ÝݯǏ)zaȩȧȨȫNjïĖË¥Èą¯ąNj¯Ëï䯯ú¯¥ÈäĊäïäȘ†șnj—þËþǏ—Ýݯä×Ã˯úą¯äȘn = 1ȨnjȭȧȪȤȨȩnjȫȬȩșnj Abbildung 9: Motive des Engagements nach Migrationshintergrund Quelle: Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016c: 45 Wenige Unterschiede gibt es bezüglich der hedonistischen und geselligen Engagementmotive der Bevölkerung mit oder ohne Migrationshintergrund, wenngleich die Bevölkerung mit Migrationshintergrund jeweils etwas geringere Werte aufweist. Auffallend ist aber, dass die „nutzenorientierten Motive“ (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016c: 45) bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund eine wesentlich stärkere Gewichtung erfahren. Der Erwerb von Qualifikationen und Ansehen, die Möglichkeiten des beruflichen Vorankommens und des Dazuverdienens hat bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund einen deutlich höheren
50 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland Stellenwert als bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Differenziert man nach Art des Migrationshintergrunds, so haben insbesondere Migrant_innen der zweiten Generation ohne deutsche Staatsangehörigkeit eine nutzenorientierte Motivation. 3.1.2 Sonderauswertung des Freiwilligensurveys 2009 für Baden-Württemberg46 Baden-Württemberg hat gemeinsam mit Niedersachsen und Rheinland-Pfalz eine Spitzenposition in Punkto bürgerschaftliches Engagement inne. 41 % der BadenWürttemberger_innen sind freiwillig engagiert, die Bereitschaft zum Engagement steigt. Wie im Bundesdurchschnitt auch, sind in Baden-Württemberg Männer häufiger freiwillig engagiert als Frauen und die Engagementquote hängt vom Bildungsstand ab. So engagierten sich laut Sonderauswertung 2009 Baden-Württemberger_innen mit Abitur zu 57 %, mit Mittlerer Reife zu 41 % und mit Hauptschulabschluss oder keinem Abschluss zu 24 %. Vergleichbar ist auch das Verhältnis Erwerbstätiger und Arbeitsloser. In Baden-Württemberg sind, wie auch im Bundesdurchschnitt, Berufstätige häufiger engagiert als Erwerbslose. Auch in Baden-Württemberg liegt die Engagementquote von Menschen mit Migrationshintergrund (30 %) unter der von Menschen ohne Migrationshintergrund (44 %). Allerdings ist bei den Migrant_innen ein leichter Anstieg um zwei Prozentpunkte47 zwischen dem zweiten und dritten Freiwilligensurvey zu verzeichnen; bei den Nicht-Migrant_innen ging die Engagementquote im gleichen Zeitraum um einen Prozentpunkt zurück. Wie im gesamten Bundesgebiet auch, gibt es in BadenWürttemberg ein großes, noch nicht ausgeschöpftes Engagementpotenzial. Dieses Engagementpotenzial ist bei der Gruppe der Migrant_innen besonders groß. 33 % von ihnen sind „eventuell bereit“ eine freiwillige Tätigkeit zu übernehmen, weitere 8 % haben ein starkes Interesse daran. Das heißt im Umkehrschluss, über 40 % der baden-württembergischen Migrant_innen sind einer freiwilligen Tätigkeit gegenüber nicht abgeneigt (vgl. Zentrum für Zivilgesellschaftliche Entwicklung 2011: 37ff). Im Länderbericht zum Freiwilligensurvey 2014 (Kausmann 2016) wird wiederum ein erhöhtes Engagement in Baden-Württemberg festgestellt (48,2 %, also 46 47 Da sich die Mütter-und Familienzentren, in denen Interviews geführt wurden, in Baden-Württemberg befinden, wird der Freiwilligensurvey 2009 um die Sonderauswertung Baden-Württemberg ergänzt. 1 427 Personen der insgesamt 20 005 Befragten des dritten Freiwilligensurveys kamen aus Baden-Württemberg. Im Bundesdurchschnitt wurde lediglich ein Engagementanstieg um einen Prozentpunkt verzeichnet. (vgl. Gensicke und Geiss 2010: 23)
3.2 Migrationsforschung: Stand der Forschung 51 4,6 Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt). Da im Länderbericht der Migrationshintergrund nicht im Fokus steht, soll hier der Ländervergleich nicht weiter thematisiert werden. 3.2 Migrationsforschung: Stand der Forschung 3.2 Migrationsforschung: Stand der Forschung 3.2.1 Studie des Zentrums für Türkeistudien Fast zwei Drittel (64 %) der Befragten48 mit türkischer Zuwanderungsgeschichte sind in einem Verein oder in eine Organisation eingebunden. Damit deckt sich diese Zahl mit Ergebnissen der Freiwilligensurveys. Auch liegt diese Partizipationsquote nah an der von Menschen ohne Migrationshintergrund. Männer (70 %) sind häufiger als Frauen (57 %) aktiv beteiligt. In dieser Studie ist ebenfalls ein Zusammenhang zwischen Schulbildung und Beteiligung nachweisbar. Auch nimmt mit zunehmender Aufenthaltsdauer die Beteiligungsquote zu. Eingebürgerte Migrant_innen sind mit 69 % etwas stärker in Vereinen involviert als Migrant_innen mit türkischem Pass (61 %). Erwerbstätige (64,2 %) und Nicht-Erwerbstätige (63 %) sind gleichermaßen beteiligt. Leben Kinder im Haushalt, beeinflusst dies insbesondere die Frauen: Frauen mit Kinder sind stärker in Vereinen eingebunden als solche ohne Kinder. Vor allem das Vorhandensein von Schulkindern trägt dazu bei, sich aktiv in Vereinen und Organisationen zu beteiligen (vgl. Halm und Sauer 2007: 54 ff). Obwohl sich diese Beteiligungszahlen nicht wesentlich von denen der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund unterscheiden, fällt die Engagementquote deutlich geringer aus. Nur rund 10 %49 der Befragten mit türkischem Migrationshintergrund engagiert sich freiwillig50. Dabei wurde der Begriff des freiwilligen Engagements relativ weit gefasst51, um Missverständnisse aufgrund sprachlicher 48 49 50 51 Insgesamt wurden 1536 Interviews geführt. Die Interviews fanden in deutscher oder türkischer Sprache statt, die Interviewer_innen wuchsen zweisprachig auf, so dass auch ein Sprachenwechsel während des Interviews möglich war. Die Durchführung der Interviews in der Herkunftssprache ist ein großes Verdienst dieser Studie. Mit dieser Vorgehensweise ist es vermutlich eher möglich, eine größere Bandbreite der Bevölkerung zu erreichen. Im Freiwilligensurvey 2009 wird mehrfach darauf hingewiesen, dass die Engagementquote der Migrant_innen zu hoch sei, was am überdurchschnittlich hohen Anteil von Höhergebildeten unter den Befragten läge. Das Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisburg-Essen verzeichnet eine Zunahme der Engagementquote auf 13 % bei der 2009 stattgefunden Befragung türkeistämmiger Migrant_innen in Nordrhein-Westfalen (vgl. Sauer 2012: 9). Laut Freiwilligensurvey lag die Engagementquote der Deutschen 2009 bei 36 %, die Engagementquote der Migrant_innen bei 24 %. Der genaue Wortlaut der Frage lautete: „Uns interessiert nun, ob Sie in den Bereichen, in denen Sie aktiv sind, auch ein Amt, eine Funktion oder freiwillige Arbeiten oder Aufgaben ausüben,
52 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland Barrieren zu vermeiden. Als mögliche Gründe für die geringe Engagementquote geben die Autor_innen an: „mangelnde Gelegenheit, mangelndes Interesse, geringe Kapazitäten oder Ressourcen“ (Halm und Sauer 2007: 63). Bei Betrachtung des ethnischen Kontextes fällt insbesondere auf, dass die aktive Beteiligung breiter gestreut ist als das Engagement. So beteiligen sich Migrant_innen mit türkischen Wurzeln zu 40 % in rein türkischen Gruppen, zu 9 % in internationalen Gruppen, zu 35 % sowohl in türkischen als auch in deutschen Gruppen und zu 16 % in nur deutschen Gruppen (vgl. Halm und Sauer 2007: 53). Das Engagement dagegen findet zu 52 % nur in türkischen Gruppen statt, zu 13 % in internationalen Gruppen, zu 6 % sowohl in deutschen als auch in türkischen Gruppen und zu 29 % in einer deutschen Gruppe statt (vgl. Halm und Sauer 2007: 68). Wenn auch das Engagement stärker in türkischem Umfeld stattfindet, so sind immerhin 48 % im nicht ausschließlich türkischen Umfeld engagiert. Bezüglich der soziodemografischen Merkmale der Engagierten zeigen Frauen mit türkischen Wurzeln eine deutlich geringere Engagementquote (7 %) als Männer (12 %). Einen interessanten Befund zeigt die Studie bezüglich der Schulbildung. Anders als in anderen Studien, in denen die Engagementquote mit der Schulbildung zunimmt und es einen kausalen Zusammenhang gibt, findet diese Korrelation nur bedingt statt: Menschen mit einem Universitätsabschluss engagieren sich zu 24 %, die Befragten mit Hauptschulabschluss (11,2 %) sind jedoch häufiger engagiert als solche mit einem mittleren Schulabschluss (9,7 %) oder einem höheren Schulabschluss (9,8 %). Bei Fehlen eines Schulabschlusses dagegen ist die Engagementquote (5,7 %) besonders niedrig (Halm und Sauer 2007: 75), wie auch andere Studien belegen. Erwerbstätige sind zu 12,2 % engagiert, Nicht-Erwerbstätige zu 7,3 %. Unter den Nicht-Erwerbstätigen sind vor allem Arbeitslose (11,8) freiwillig tätig, bei den Erwerbstätigen sind vor allem freie akademische Selbstständige mit 37 % überproportional engagiert. Ebenfalls vorhanden ist eine Verkettung zwischen Einkommen und Engagement bei türkischstämmigen Migrant_innen. Hierbei sind die Zusammenhänge zwar nicht immer kausal gegeben, es sind aber ähnliche Tendenzen wie bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund zu beobachten: Menschen mit höherer Bildung und höherem Einkommen engagieren sich häufiger als andere Personengruppen (vgl. Halm und Sauer 2007: 78). Das Vorhandensein von Kindern wirkt sich, wie auch schon bei der Beteiligung, positiv auf das Engagement aus. Keinen Zusammenhang gibt es zwischen der Engagementquote und der Pflege eines An- die nicht, oder nur mit einer geringen Entschädigung bezahlt, somit nicht beruflich ausgeübt werden, aber über die normale oder passive Mitgliedschaft hinausgehen. Üben Sie in einem oder mehreren der Bereiche, in denen Sie aktiv sind, ein Amt, eine Funktion oder freiwillige Aufgaben und Arbeiten aus?“ (Halm und Sauer 2007: 63).
3.2 Migrationsforschung: Stand der Forschung 53 gehörigen. Die Einbürgerung wirkt sich positiv auf die Engagementquote aus, wobei der Unterschied mit 11 % zu 9 % bei den Nicht-Eingebürgerten gering ist. Während es bei der deutschen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund einen starken Zusammenhang zwischen Kirchenbindung und Engagement gibt, ist dieser in der türkischstämmigen Bevölkerung nicht vorhanden bzw. geringfügig umgekehrt. So engagieren sich 11 % der wenig Religiösen und nur 10 % der stark Religiösen. Eine deutliche Verbindung gibt es zwischen der Anzahl der Beteiligungsbereiche und dem Engagement. Migrant_innen, die in vielen verschiedenen Vereinen und Organisationen beteiligt sind, übernehmen auch eher eine Funktion als solche, die sich lediglich in einem oder zwei Vereine beteiligen. Bezüglich der Aufenthaltsdauer ist eine lineare Zunahme des Engagements zu verzeichnen: Bei einem Aufenthalt in Deutschland zwischen einem und fünf Jahren beträgt die Engagementquote 2,5 %, zwischen 6 und 10 Jahren 6,9 %, zwischen 11 und 20 Jahren 8,4 %, zwischen 21 und 30 Jahren 9,4 % und bei mehr als 30 Jahren 13,1 % (vgl. Halm und Sauer 2007: 80f). Wichtigster Befund dieser Studie ist demnach, dass es hinsichtlich der Beteiligungsquote keinen Unterschied zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund gibt, es aber bezüglich des Engagements Hindernisse gibt, die zu einer deutlich geringeren Engagementquote führen (vgl. Halm und Sauer 2007: 80f; Halm 2011: 18). Aus diesem Grund ist es wichtig, sich die Zugangswege zum Engagement zu verdeutlichen. Bei 33 % der Engagierten kam der Anstoß von Freunden oder Bekannten. Dies ist bei Frauen noch wichtiger als bei Männern. Frauen lassen sich häufiger als Männer von Freunden und Bekannten dazu motivieren, ein freiwilliges Engagement zu beginnen. Der zweithäufigste Zugangsweg erfolgt über die Ansprache durch leitende Personen aus der Gruppe (22 %). Deutlich wird, dass es eines Anstoßes von außen bedarf. Wenige Effekte zeigen Medienkampagnen (1,3 %) oder Informations- und Kontaktstellen (2 %). Nur 10 % sind in das Engagement „hineingewachsen“. Dies zeigt, dass es keinen automatischen Weg von der Beteiligung ins Engagement gibt. Halm und Sauer gehen davon aus, dass es „ein erhebliches, nicht ausgeschöpftes Potential für Engagement“ (Halm und Sauer 2007: 97) gibt, da die Beteiligung mit der der Bevölkerung ohne Zuwanderungsgeschichte vergleichbar sei. Insbesondere müssten aber Jüngere und Frauen gezielt angesprochen werden, da sie noch stärker unterrepräsentiert seien und besonders auf äußere Anstöße ansprächen (vgl. Halm und Sauer 2007: 98). Dieses nicht ausgeschöpfte Potential wird noch deutlicher, wenn nach der Bereitschaft zum Engagement gefragt wird. Zusätzlich zu 26 % der derzeit NichtEngagierten sind weitere 22 % unter Umständen zu einem Engagement bereit, weitere 3 % haben sich darüber noch keine Gedanken gemacht. Das heißt, es gibt ein Engagementpotenzial von 51 %. Allerdings wissen 61 % der Interessierten
54 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland nicht, an wen sie sich wenden sollen, um sich über Engagementmöglichkeiten zu informieren. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Interessierten bereits in einem Verein oder in einer Organisation aktiv beteiligt sind. Dies unterstreicht die große Bedeutung von Ansprechpartner_innen und engagierten Menschen, die als Brückenbauer_innen oder Vermittler_innen fungieren. Der Wechsel von der aktiven Beteiligung zum Engagement erfolgt nicht automatisch. Bezüglich der Merkmale der Interessierten sind Frauen etwas interessierter an einem Engagement als Männer, ebenso höher Gebildete gegenüber Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss sowie jüngere stärker als ältere Menschen. Keinen Zusammenhang gibt es zwischen Höhe des Einkommens und Interesse am Engagement. Menschen mit mittlerem Einkommen sind besonders interessiert an einem freiwilligen Engagement. Ebenfalls keinen Zusammenhang gibt es zwischen Erwerbstätigkeit und Interesse. Beachtlich ist das große Interesse der erst kürzlich in Deutschland eingewanderten Migrant_innen. So interessieren sich 51 % der vor ein bis fünf Jahren Zugewanderten für eine Tätigkeit, bei den vor sechs bis zehn Jahren Zugewanderten liegt das Interesse nur noch bei 30 %, bei den vor über 30 Jahren Zugewanderten liegt das Interesse bei 20 %.52. Die Staatsbürgerschaft wirkt sich dabei kaum auf das Interesse aus. Zusammenfassend ist also das Engagementpotenzial bei jungen, gut gebildeten und kürzlich zugewanderten Migrant_innen besonders hoch. Um mögliche Unterschiede in der Wichtigkeit von Erwartungen an das Engagement von türkeistämmigen Engagierten und Engagierten ohne Migrationshintergrund herauszuarbeiten, nutzten Halm und Sauer als Vergleichsmaterial die Daten des ersten Freiwilligensurveys (Rosenbladt 2001). Auf einer 5-stelligen Skala stuften die Befragten die Erwartungen von unwichtig (1) bis sehr wichtig (5) ein. Keine oder wenige Unterschiede gibt es bei den Erwartungen, anderen Menschen helfen zu wollen, etwas für das Gemeinwohl zu tun, mit sympathischen Menschen zusammenzukommen oder Spaß zu haben. Die größten Unterschiede bestehen bei den Antwortmöglichkeiten „Berechtigte eigene Interessen vertreten“ (Mittelwert 4,2 bei türkeistämmigen Engagierten und 2,8 bei Engagierten ohne Migrationshintergrund), „Eigene Probleme selbst in die Hand nehmen“ (Mittelwert 3,9 zu 2,6) und „Die Tätigkeit für die beruflichen Möglichkeiten nutzen“ (Mittelwert 3,6 zu 2,2) (vgl. Halm und Sauer 2007: 119). Zusätzlich wurden den Interviewten migrationsspezifische Motive zur Auswahl vorgegeben. Diese erreichten allerdings keine Spitzenplätze. Auf Platz fünf wurde als wichtigstes migrationsspezifisches Motiv die „Hilfe bei der Integration“ angeben, auf Platz neun „Aufrechterhaltung der türkischen Kultur in Deutschland“, auf Platz zehn „Verbesserung der Lebenssituation der Migranten in 52 Zu klären wäre insbesondere, ob der Rückgang des Interesses am steigenden Alter liegt oder an einer Ernüchterung, sich nur begrenzt in die Aufnahmegesellschaft einbringen zu können. Ist also die anfängliche Euphorie dem Gefühl einer „geschlossenen Gesellschaft“ gewichen?
3.2 Migrationsforschung: Stand der Forschung 55 Deutschland“ und auf Platz zwölf „Erhaltung der Bindung an die Türkei“ (vgl. Halm und Sauer 2007: 106). Im Vergleich mit den Daten des Freiwilligensurveys und somit im Vergleich mit der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund fällt auf, dass die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund die Antworten auf der 5-stufigen Skala weiter streut. Möglicherweise ist die Differenz beim Motiv „Berechtigte eigene Interessen vertreten“ aufgrund des Minderheitenstatus so groß. In beiden Gruppierungen ist die Motivation eine Mischung aus altruistischen, hedonistischen und interessensbasierten Aspekten. Im Gendervergleich fällt auf, dass türkischstämmige Frauen grundsätzlich die Wichtigkeit der Motive geringer einstufen als türkischstämmige Männer. Deutlich weniger wichtig finden Frauen die Aspekte „Mit sympathischen Menschen zusammenkommen“ und „Berechtigte eigene Interessen vertreten“. Deutlich wichtiger sind Frauen der Faktor „Die Tätigkeit auch für die beruflichen Möglichkeiten nutzen“ sowie mit dem größten geschlechtsspezifischen Unterschied die Motivation „Türkinnen und Türken helfen, sich in Deutschland zu integrieren“ (vgl. Halm und Sauer 2007: 110)53. 3.2.2 Die Sinus-Studie „Lebenswelten und Milieus“ Das Heidelberger Sozial- und Marktforschungsinstitut Sinus Sociovision untersuchte 2008 erstmals die Bevölkerung mit Zuwanderungsgeschichte auf Milieuzugehörigkeit und aktualisierte 2016-2018 seine Daten. Dabei verfolgt das SinusInstitut den Lebenswelt-Ansatz und integriert Lebensstil, Werte und soziale Lage in einem Modell. Zu beachten ist hierbei aber die „Unschärferelation der Alltagswirklichkeit“ (Sinus-Institut 2015c: 13) im Vergleich zum einfacher eingrenzbaren Schichtenmodell: Die Übergänge zwischen den einzelnen Milieus sind fließend und geprägt von Überschneidungen. Wichtigstes Ergebnis der Migranten-Milieu-Studie ist, dass sich Migrant_innen weniger nach ethnischer Herkunft denn nach Milieus unterscheiden. Vielmehr gibt es länderübergreifende, transnationale „Gruppen Gleichgesinnter“ (SinusInstitut 2015a), die in den Meta-Milieu-Studien nach Wertorientierungen und Lebensstilen zusammengefasst werden. Zur Vertiefung der zu mittlerweile 28 Ländern vorliegenden Meta-Studie vgl. Sinus-Institut 2015. Zum integrierten Modell der Migrant_innenmilieus und der Milieus der Aufnahmegesellschaft vgl. vhw 53 Die Rangfolge der Motive wird in der Befragung von 2009 in Nordrhein-Westfalen weitgehend bestätigt. „Anderen Menschen zu helfen“ ist hier ebenfalls an erster Stelle, gefolgt von der Erwartung, „Spaß zu haben“ und „mit sympathischen Menschen zusammenzukommen“. An vierter Stelle steht die Erwartung, „eigene Kenntnisse und Erfahrungen zu erweitern“ und an fünfter Stelle das migrationsspezifische Motiv der Unterstützung bei der Integration (vgl. Sauer 2012: 13).
56 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland 2009b. Die in Deutschland lebenden Migrant_innen wurden vom Sinus-Institut 2008 in acht unterschiedlichen Milieus erfasst, die sich insgesamt vier Milieusegmenten zuordnen lassen, und in der aktualisierten Version um zwei weitere Milieus ergänzt, wobei die vier Milieusegmente beibehalten wurden. Dabei fällt auf, dass die Grundorientierungen breiter gefächert sind als in der Mehrheitsbevölkerung; siehe hierzu vertiefend auch Sinus-Institut 2015b. Das heißt, die Bevölkerung mit Zuwanderungsgeschichte in Deutschland ist sowohl traditioneller als auch moderner als die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Die Bandbreite an Lebenseinstellungen und Werten ist damit insgesamt größer. Abbildung 10: Migrantenmilieus in Deutschland 2016 Quelle: vhw 2017: 2 Die traditionellen Migrant_innenmilieus setzen sich aus dem „traditionsverwurzelten Milieu“ und dem „traditionellen Arbeitermilieu“ zusammen. Beide Milieus zeichnen sich durch eine tiefe Verbundenheit zur Herkunftskultur aus. Die prekären Migrant_innenmilieus setzen sich aus dem „prekären Milieu“ und dem „konsum-hedonistischen Milieu“ zusammen. Beide Milieus zeichnen sich durch geringe Partizipationschancen im Bildungs- und Arbeitssektor aus. Hinzu kommt das Milieu der „Experimentalisten“ – eine in der Erhebung 20162018 festgestellte Ausdifferenzierung des hedonistisch-subkulturellen Milieus.
3.2 Migrationsforschung: Stand der Forschung 57 Die bürgerlichen Migrant_innenmilieus setzen sich aus der „bürgerlichen Mitte“, dem „adaptiv-pragmatischen Milieu“ und dem „statusbewussten Milieu“ zusammen. Diese Milieus orientieren sich an den bürgerlichen Milieus der Aufnahmegesellschaft, wenngleich eine zunehmende Distinktion zu beobachten ist. So werden insbesondere bei den Statusorientierten „alle ‚rationalen’ Integrationsaspekte wie Sprache, Beruf, Regeln“ erfüllt, gleichzeitig werde aber kein „Heimatgefühl“ entwickelt, sondern man distanziere sich von der „deutschen Kultur“ (vhw 2016: 5). Die ambitionierten Migrant_innenmilieus setzen sich aus dem „Milieu der Performer“ und dem „intellektuell-kosmopolitischen Milieu“ zusammen. Sie eint eine moderne Grundhaltung sowie die doppelte Zugehörigkeit zur Herkunfts- und zur Aufnahmekultur. Somit differenzierte sich die Milieulandschaft zwischen den beiden Erhebungen 2008 und 2016-2018 weiter aus. Es lassen sich dabei in der Milieulandschaft folgende Veränderungen festhalten:   „Konvergenz in der Mitte und in den modernen Milieus der Migrantenpopulation“ (vhw 2016: 5) mit einer Abnahme der Unterschiede zwischen autochthoner und allothoner Bevölkerung in Deutschland „Divergenz in den traditionell geprägten Milieus der Migrantenpopulation“ (vhw 2016: 5) mit einem Rückzug in die eigene Ethnie und Segregationsbestrebungen in einfacher sozialer Lage sowie zunehmende Distinktion bei den Statusorientierten Abbildung 11: Veränderungen der Milieus im Vergleich zu 2008 Quelle: vhw 2016: 6
58 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland Die Studie 2016 wurde bislang noch nicht in Bezug auf soziale Partizipation und bürgerschaftliches Engagement ausgewertet. Deshalb wird im Folgenden auf die Sinus-Studie 2008 Bezug genommen. Diese Studie zeige „das Bild einer blockierten Teilhabe, insbesondere in den Bereichen der bürgerschaftlichen Partizipation und der Bildung“, so der vhw-Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung (ebd. 2009a: 2). Neben mangelnder Teilhabe im Bildungsbereich sowie milieuund herkunftsbedingter Bildungsdisparitäten (vgl. hierzu Stiftung Mercator 2015) betont der Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung insbesondere auch die nichtausgeschöpften Potenziale bezüglich der lokalen Beteiligung. In Bezug auf Quartiersentscheidungen, so die Studie, würden sich grundsätzlich 40 Prozent der Befragten gerne beteiligen, nur 20 Prozent hätten dies aber in der Realität bisher getan. Die Studie spricht von einer „Krise der Repräsentation“ (vhw 2009a: 3). So gibt es zwar in allen Milieus ein Interesse, nicht alle könnten dies jedoch umsetzen. Dieses Interesse ist über sämtliche Alters-, Bildungs- und Milieugrenzen hinweg ähnlich hoch. Je nach Milieuzugehörigkeit sind die Hürden aber mal höher, mal niedriger. Dieses nicht ausgeschöpfte Potenzial findet sich nicht nur im Bereich der Beteiligung an Entscheidungen, sondern, wenn auch etwas niedriger, bei der Frage nach dem lokalen Engagement. Der Aussage, „ich finde es wichtig, mich ehrenamtlich für ein gutes Zusammenleben im Quartier einzusetzen“, stimmten rund 30 Prozent der Befragten zu, 18 Prozent engagierten sich bereits für das Quartier54. Dabei besteht ein wechselseitiger Zusammenhang zwischen Engagement und Partizipation. Die Partizipationsquoten sind vor allem in den bürgerlichen Milieus, dem intellektuell-kosmopolitischen Milieu sowie dem Arbeitermilieu hoch. Unterrepräsentiert sind dagegen die jungen Milieus wie die multikulturellen Performer und das hedonistisch-subkulturelle Milieu. Ebenso unterrepräsentiert sind die beiden Milieus mit großer Distanz zur Aufnahmegesellschaft, das religiös-verwurzelte Milieu55 und die Entwurzelten56. Die hohe Engagementquote der bürgerlichen Milieus lässt sich mit einem überdurchschnittlichen Bezug zu Deutschland, dem Wunsch nach Zugehörigkeit und überdurchschnittlichen Deutschkenntnissen erklären. Auch die hohe Engagementquote des intellektuellkosmopolitischen Milieus lässt sich durch eine Grundhaltung geprägt von „Weltoffenheit, Toleranz, Solidarität und soziale(r) Verantwortung“ (Beck 2011: 35) begründen. Erstaunlichere Befunde gibt es dagegen bei den traditionsverwurzelten 54 55 56 Die Engagementquote von 18 % liegt damit unter den 23 % des Freiwilligensurveys 2009. Eventuell liegt dies an den mehrsprachig durchgeführten Interviews, die auch die Teilnahme von weniger der deutschen Sprache mächtigen Personen ermöglicht. Auf der anderen Seite verwendet die Milieu-Studie einen sehr weit gefassten Engagementbegriff. Dieser Befund deckt sich mit Aussagen der Studie des Zentrums für Türkeistudien, wonach im Gegensatz zur Mehrheitsbevölkerung die Nähe zur Kirche nicht mit einer Engagementzunahme korreliert (vgl. Halm und Sauer 2007: 80). Das Milieu der „Entwurzelten“ wird in der Sinus Studie 2016 als „prekäres Milieu“ bezeichnet.
59 3.2 Migrationsforschung: Stand der Forschung Milieus. Hier unterscheidet sich das traditionelle Arbeitermilieu deutlich von den Religiös-Verwurzelten. Trotz geringer Sprachkompetenzen und geringer Verbundenheit zum Aufnahmeland gibt es im traditionellen Arbeitermilieu eine ausgeprägte Engagementbeteiligung. Beck erklärt dies mit der Geschichte des Milieus und der starken Nähe zur Arbeiterkultur mit Werten wie soziale Gerechtigkeit und Teilhabe. Handlungsbedarf gibt es insbesondere bei den Religiös-Verwurzelten und den Entwurzelten. Den größten Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit von Engagement sind bei den multikulturellen Performern und dem hedonistisch-subkulturellen Milieu zu finden. Hier gilt es laut Studie Zugänge zu finden und die bestehenden Engagementhürden abzubauen (vgl. Beck 2011: 35; Beck 2017: 45ff). hoch 1 Intellektuellkosmopolitisches Milieu AB12 Statusorientiertes Milieu mittel Überrepräsentierte Milieus (Indexwert größer/gleich 120) B12 25 % BC2 32 % 2 Multikulturelles Performermilieu Unterrepräsentierte Milieus (Indexwert kleiner/gleich 80) 12 % B23 Adap ptives Bürgerliches Milieu 22 % AB3 niedrig g 3 A3 23 % ReligiösReligiösverwurzeltes Milieu Grundorientierung AI Vormoderne Tradition Hedonistischsubkulturelles Milieu B3 12 % Entwurzeltes Milieu 15 % Soziale Lage BC3 Traditionelles Arbeitermilieu 19 % AII © Sinus Sociovision 2008 BI BII C Ethnische Tradition Konsum-Materialismus Individualisierung Multi-Optionalität Pflicht- und Akzeptanzwerte, materielle Sicherheit, traditionelle Moral Status, Besitz, Konsum, Aufstiegsorientierung, soziale Akzeptanz und Anpassung Selbstverwirklichung, Leistung, Genuss, bikulturelle Ambivalenz und Kulturkritik Postmodernes WertePatchwork, Sinnsuche, multikulturelle Identifikation Konservativreligiös, strenge,rigide Wertvorstellungen, kulturelle Enklave Tradition Modernisierung Neuidentifikation Item: „Ich habe mich schon einmal an Entscheidungen über die Entwicklung meiner Nachbarschaft beteiligt“, Zustimmung gesamt: 20 % Abbildung 12: Status quo bei der lokalen Beteiligung von Migrant_innen Quelle: vhw 2009c: 12 „Teilhabe ist ein kultureller Integrationsmotor“ (vhw 2009c: 12), so der Befund der Studie, denn: „Die gebremsten Potenziale der Migranten (…) bremsen auch ihre kulturelle Integration“ (ebd.). Dies gestaltet sich insofern schwierig, da die gebremsten Potenziale hauptsächlich mit einer niedrigen sozialen Lage einhergehen. Um die kulturelle Inklusion zu unterstützen, muss deshalb im Umkehrschluss auch die Chance geboten werden, Partizipationserfolge zu erzielen. Ein weiteres Resultat der Studie ist die Korrelation zwischen lokaler Partizipation und integrativen Werteeinstellungen. Wer den Wertedimensionen Assimilation, Vielfalt, Leistungsethos und Antifundamentalismus zustimmt, engagiert sich auch eher. Ein nicht zu vernachlässigender Nebeneffekt des lokalen Engagements ist ferner
60 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland die Förderung interkultureller Kontakte. So konnte in der Studie nachgewiesen werden, dass der größte Teil des Engagements über den eigenethnischen Bezug hinausgeht. Eine eigenethnische Abschottung oder Segregation in einer Art Parallelwelt kann laut dieser Studie nicht belegt werden. Im religiös-verwurzelten Milieu, im traditionellen Arbeitermilieu und bei den Entwurzelten ist der eigenethnische Bezug im Engagement besonders groß, liegt allerdings selbst im höchsten Fall bei 33 %. Der Großteil findet im Bereich „überbrückendes (bridging) Sozialkapital“ statt (vgl. vhw 2009c: 12f). Legende GES Bonding g von Migranten-Kulturen REL Nur eigene HK ARB Eig gene HK oder andere HK ENT STA Bridging von Migranten und Deutschen ADI KOS Deutsche und eigene HK oder andere HK PER Nur Deutsche HED % -20,0 -10,0 0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 GES: Gesamt; REL: Religiös-verwurzeltes Milieu; ARB: Traditionelles Arbeitermilieu.; ENT: Entwurzeltes Milieu; STA: Statusorientiertes Milieu; ADI: Adaptives Bürgerliches Milieu; KOS: Intellektuell-kosmopolitisches Milieu; PER: Multikulturelles Performermilieu; HED: Hedonistisch-subkulturelles Milieu Abbildung 13: Migrant_innenmilieus und lokales Engagement nach Ethnie Quelle: vhw 2009c: 48 Über alle Milieugrenzen hinweg gibt es eine große Frustration gegenüber Politik und Verwaltung, so ein weiteres Ergebnis der Studie. Selbst einem Engagement offen gegenüberstehenden Milieus (u. a. die postmateriellen Milieus) kritisieren, dass Politik und Verwaltung den Menschen nicht auf Augenhöhe begegne, dass Entscheidungen bereits getroffen seien und, dass Partizipationsangebote oft den Charakter einer „Alibifunktion“ (Beck 2011: 35) habe. Das Düsseldorfer Institut für soziale Dialoge untersuchte die Migrant_innenmilieus gesondert für Nordrhein-Westfalen in Bezug auf ihre Einstellungen, Gewohnheiten und Präferenzen hinsichtlich Kunst und Kultur. Diese Studie gibt einige Hinweise zu Differenzen im Freizeitverhalten der 2008 erhobenen acht Migrant_innenmilieus. So ist das Freizeitverhalten des adaptiv-pragmatischen Milieus geprägt von häuslichen Betätigungen und sozialen Kontakten. Angehörige
3.2 Migrationsforschung: Stand der Forschung 61 dieser Milieus sind aktiv vernetzt. Rund 8 % engagiert sich aktiv in einem Verein, dies liegt mit einem Prozentpunkt knapp über dem Durchschnitt aller Milieus. Das statusorientierte Milieu ist sehr freizeitorientiert. Sport spielt eine große Rolle, entweder durch den Besuch von Sportveranstaltungen oder durch aktives Sporttreiben. Außerdem wird in der Freizeit an der beruflichen Weiterbildung gearbeitet oder Freundschaften und Netzwerke gepflegt. Das religiös-verwurzelte Milieu verbringt die Freizeit hauptsächlich im häuslichen Bereich und pflegt familiäre und freundschaftliche Verbindungen. Kontakte nach außen finden seltener statt. Wenige Unterscheidungen dazu gibt es im traditionellen Arbeitermilieu. Hier kommen mit Gärtnern und Handarbeiten zwei Bereiche dazu, die eine überdurchschnittlich wichtige Rolle in diesem Milieu spielen. Das entwurzelte Milieu lebt in einer „Spannung zwischen Depression und Aggression“ (Düsseldorfer Institut 3013: 37), zwischen passivem Medienkonsum und Sportaktivitäten. Auch im hedonistisch-subkulturellen Milieu spielen Medien und Sport eine herausragende Rolle. Das hedonistisch-subkulturelle Milieu ist das Milieu mit dem am meisten ausgeprägten Freizeitverhalten; Freizeit an sich hat hier einen ganz herausragenden Stellenwert. Ebenfalls überdurchschnittlich aktiv ist das multikulturelle Performermilieu. Die ambitionierte Grundeinstellung des intellektuell-kosmopolitischen Milieus schlägt sich auch im Freizeitverhalten nieder: Bewegung, Ausflüge, Kultur und Bücher lesen sind die wichtigsten Freizeitaktivitäten (vgl. Düsseldorfer Institut 2013: 13ff). 3.2.3 Zuwanderer in Deutschland 2009 In der repräsentativen Studie57 „Zuwanderer in Deutschland“ der BertelsmannStiftung, 2009 vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt, geht es in erster Linie um Identität und Inklusion aus Sicht der Migrant_innen. Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist, dass sich Migrant_innen zwar mit Deutschland identifizieren58, sich aber nicht anerkannt fühlen. Beinahe die Hälfte (48 %) der Befragten ist der Meinung, weniger anerkannt zu sein, als jemand, der aus Deutschland stammt. Bei Migrant_innen mit türkischer Zuwanderungsgeschichte liegt der Anteil sogar bei 61 %; bei Migrant_innen aus der ehemaligen Sowjetunion sowie deren Nachfolgestaaten sind es 55 %, bei aus Polen stammenden Migrant_innen 57 58 Insgesamt 1 581 Face-to-Face-Interviews wurden 2009 von zum Teil zweisprachigen Interviewer_innen sowie mithilfe von mehrsprachigen Fragebögen durchgeführt. Befragt wurden über 16-Jährige mit Migrationshintergrund aus der Türkei, der ehemaligen Sowjetunion, dem ehemaligen Jugoslawien, Polen, Italien, Spanien und Griechenland. Vergleiche ergänzend Immerfall (2017) über Zugehörigkeit von Migrant_innen der ersten und zweiten Generation in Süddeutschland (n=45).
62 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland 40 %. Bei Migrant_innen aus dem ehemaligen Jugoslawien sowie aus den südlichen Gastarbeiter_innenländern Spanien, Italien und Griechenland ist dieses Gefühl mit 32 % weniger stark ausgeprägt. Insgesamt haben also nur 40 % aller befragten Migrant_innen das Gefühl, genauso anerkannt zu sein wie jemand, der aus Deutschland stammt59 (vgl. Bertelsmann-Stiftung 2009: 18). Verbunden mit dem Gefühl mangelnder Anerkennung ist auch die Frage nach der subjektiven Einschätzung von Chancengleichheit in Schule und Beruf. So geben 42 % aller Befragten an, dass Kinder aus Zuwandererfamilien nicht die gleichen Chancen haben wie Kinder ohne Migrationshintergrund (vgl. Bertelsmann-Stiftung 2009: 21). In Bezug auf das Berufsleben sind es sogar 51 %, die den Eindruck haben, dass Menschen mit Zuwanderungsgeschichte nicht die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben wie Deutsche ohne Migrationshintergrund. Gefragt wurde auch nach der Mitgliedschaft in Vereinen, Parteien, Bürgerinitiativen oder sonstigen Organisationen. Somit wurden zwar die Engagementorte relativ weit gefasst und auch sonstige Gruppen und andere Organisationen miteinbezogen; es wurde aber darauf verzichtet, zwischen Mitgliedschaft und aktivem Engagement zu unterscheiden. Trotzdem fällt die niedrigere Beteiligungsquote im Vergleich zum Freiwilligensurvey auf: Nur 38 % der befragten Migrant_innen sind in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation Mitglied60, in der Gesamtbevölkerung sind es 50 %. Von den in Vereinen organisierten Migrant_innen sind 41 % in Vereinen Mitglied, in denen überwiegend Deutsche sind, 12 % in Vereinen, in denen überwiegend Personen aus Zuwandererfamilien sind und 15 % in Vereinen, in denen ausschließlich Personen aus Zuwandererfamilien aktiv sind.61 59 60 61 Laut sozioökonomischem Panel (SOEP) berichten 2011 8 % der Migrant_innen davon, tatsächlich von Benachteiligungen betroffen zu sein. Am häufigsten berichten türkischstämmige Migrant_inen mit 13 % von Benachteiligungen, gefolgt von 6 % von Migrant_innen aus Südwesteuropa und am wenigsten von Benachteiligung betroffen sind (Spät-)Aussiedler mit 2 % (Statistisches Bundesamt 2013: 203). Die Bertelsmann-Studie zieht aus der Vereinsmitgliedschaft den Schluss, dass Migrant_innen weniger ehrenamtlich engagiert seien (vgl. BertelsmannStiftung 2009: 27). Diesem Zusammenhang zwischen Vereinsmitgliedschaft und freiwilligem Engagement kann nur bedingt zugestimmt werden, da die Mitgliedschaft in einem Verein keine Garantie für die Übernahme einer aktiven Aufgabe ist, sondern auch in passiver oder teilnehmender Form stattfinden kann. Weitere 30 % geben an, dass dies „ganz unterschiedlich“ sei, 2 % können keine Angabe machen.
3.2 Migrationsforschung: Stand der Forschung 63 3.2.4 Forschungsprojekt AMIQUS 2009–2012 Die Lebensbedingungen älterer Menschen mit Migrationshintergrund und deren gesellschaftliche Partizipation standen im Mittelpunkt des Praxisforschungsprojektes „AMIQUS – Ältere Migrant(innen) im Quartier: Stützung und Initiierung von Netzwerken der Selbstorganisation und Selbsthilfe“. Es wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und mit einer Laufzeit von drei Jahren (2009–2012) in vier Stadtvierteln dreier Städte durchgeführt. Die an den verschiedenen Projektstandorten gewonnenen Erkenntnisse sollten korreliert werden, um induktive Schlüsse zu ziehen – insbesondere auf das Engagement behindernde oder fördernden Strukturen sowie Anforderungen an ein sozialraumorientiertes Angebot speziell für ältere Menschen mit Migrationshintergrund. „Die Struktur des Gemeinwesens prägt entscheidend die Lebensbedingungen, den Vergesellschaftungsgrad und die Interessen älterer Migrant/innen“ (Alisch und May 2014: 70), ein starker Herkunftslandbezug steht dabei aber nicht im Kontrast zu einer starken Orientierung am Gemeinwesen. Wie in anderen Studien auch, betonen Alisch und May die vielfältigen informellen Unterstützungsformen in migrantischen Milieus. Anstatt diese Personen für ein formelles Engagement gewinnen zu wollen, fordert das Autorenduo eine infrastrukturelle Unterstützung des informellen Helfens. Die größten Barrieren beim Zugang62 zu einem formalen Engagement sind nicht die oft im Diskurs benannten fehlenden Ressourcen wie beispielsweise Sprachschwierigkeiten, sondern „geringere Gelegenheitsstrukturen sowie Benachteiligungserfahrungen“ (Alisch und May 2014: 73). 3.2.5 Die Studie „Integration gelungen?“ Die Studie „Integration gelungen?“63 wurde im Auftrag des Integrationsministeriums Baden-Württemberg durchgeführt. Neben anderen Aspekten64 wurde unter 62 63 64 Siehe ergänzend auch „Zugangswege zu älteren Menschen in benachteiligten Lebenslagen“ bei König, Strube, Hanesch 2014 mit einer Vorstellung verschiedener Zugangsmöglichkeiten über Multiplikator_innen, Gruppenzusammenhänge, Initiierung neuer Gruppe oder handlungsorientierten Zugängen. Vergleiche auch „Die ‚Unerreichbaren‘ erreichen: Methodische Zugänge zu älteren Zuwanderern“ (Fröba 2014). Insgesamt 2 566 Jugendliche und Erwachsene mit Wurzeln in der Türkei, Italien, Polen, dem ehemaligen Jugoslawien und der ehemaligen Sowjetunion wurden befragt. In den Vergleichsgruppen wurden 500 Baden-Württemberger_innen ohne ausländische Wurzeln befragt. Eine weitere Unterteilung erfolgte im Generationenverlauf nach erster Generation, zweiter Generation und dritter Generation. Das Thema der Studie ist die Integration im Gruppen- und Generationenvergleich. Dabei wird Integration festgemacht an den Faktoren „rechtlicher Status und Einbürgerung“, „Bildung und
64 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland anderem das bürgerschaftliche Engagement der größten Zuwanderergruppen in Baden-Württemberg aus der Türkei, Polen und Italien sowie aus dem ehemaligen Jugoslawien und der ehemaligen Sowjetunion untersucht. Zentrales Ergebnis der Studie ist, dass es „deutliche Anzeichen für eine im Generationenverlauf ansteigende Integration im Sinne einer zunehmenden Einbindung in die deutsche Gesellschaft“ (Diehl 2014: 2) gebe. Dies spiegelt sich auch in Vereinen und Organisationen wider. So ist die aktive Beteiligung von Zuwander_innen der ersten und zweiten Generation deutlich geringer als die der dritten Generation. 55 45 42 39 38 36 33 29 23 23 27 25 23 20 21 0 Einheimische G1 G2 G3 G1 G2 G3 G1 G2 G3 G1 G2 G1 G2 Türkei Ehem. Jug. Italien Ehem. SU Polen Quelle: Integration gelungen?; Frage: „Nehmen Sie regelmäßig an Veranstaltungen, Treffen oder Versammlungen eines Vereins, einer Vereinigung oder einer Organisation teil?“; gewichtet; Fallzahl: 3.060. Abbildung 14: Aktive Vereinspartizipation, Angaben in Prozent Quelle: Diehl 2014: 74 Die ähnlich hohen Partizipationsquoten der dritten Generation bezogen auf Deutsche ohne Migrationshintergrund, lassen sich auf eine überdurchschnittliche Beteiligung von Migrant_innen der dritten Generation in den Bereichen Sport und Religion zu beobachten. Damit kann zwar einerseits auf die integrative Wirkung des Sports hingewiesen werden, andererseits sagt die aktive Beteiligung in beispielsweise einer Fußballmannschaft nichts darüber aus, inwieweit ein tatsächliches Engagement stattfindet. Unterschiede in den Herkunftsgruppen gibt es bei der Frage nach einem Amt oder einer Funktion. Während 42 % der befragten Deutschen ohne Migrationshintergrund eine Funktion innehaben, sind es bei Befragten mit italienischen Wurzeln Arbeit“, „sprachliche Potenziale“, „geteilte Werte und Einstellungen“, „religiöses Leben“, „soziale Netzwerke“, „Zugehörigkeit, Akzeptanz, Benachteiligung“, „Transnationalismus“ und auch an „bürgerschaftlichem Engagement“ (Diehl 2014: 11).
3.2 Migrationsforschung: Stand der Forschung 65 35 %, mit türkischem Hintergrund 30 %, aus dem ehemaligen Jugoslawien 25 %, aus Polen stammend 19 % und aus der ehemaligen Sowjetunion stammend 11 % (vgl. Diehl 2014: 76). Betrachtet man die Herkunftsgruppen im Generationenvergleich65, so ist tendenziell eine Zunahme der Leitungsfunktionen zu verzeichnen. In der türkischstämmigen Gruppe gibt es in der ersten Generation mit rund 30 % ein hohes Engagement, in der zweiten Generation ist eine Abnahme auf 25 % in Leitungsfunktionen zu verzeichnen, in der dritten Generation ein Zuwachs auf 35 %. Eine starke Zunahme von 19 % auf 27 % auf 44 % ist bei Migrant_innen aus dem ehemaligen Jugoslawien im Generationenverlauf zu beobachten. Erstaunlicherweise gibt es einen kontinuierlichen Rückgang des Anteils an Leitungsfunktionen bei italienischstämmigen Migrant_innen, ausgehend von einem hohen Niveau: von 39 % auf 35 % auf 32 %. Sowohl bei den Zuwander_innen aus Polen als auch aus der ehemaligen Sowjetunion ist eine Zunahme von der ersten zur zweiten Generation auf allerdings niedrigem Niveau zu verzeichnen (vgl. Anhang; Kap. 13.1). 3.2.6 Die Studie „DIVERSE-Project“ Im vom Europäischen Integrationsfond (EIF) geförderten Projekt “DIVERSE– Diversity Improvement as a Viable Enrichment Resource for Society and Economy” waren 15 Hochschulen in zehn europäischen Ländern beteiligt. In dem im Dezember 2013 gestarteten 18-monatigen Projekt sollten Wissenslücken zur zivilgesellschaftlichen Teilhabe von Nicht-EU-Bürger_innen in europäischen Ländern geschlossen werden, um darauf aufbauend ein Integrationsmodell einschließlich von Vorschlägen an Politik und Öffentlichkeit zu entwickeln. Für den deutschen Beitrag zuständig war die Karlshochschule International University in Karlsruhe66. Drei Themenschwerpunkte wurden im Rahmen des DIVERSE-Projekts erarbeitet. Zum einen sollen in Bezug auf die Arbeitsmarktpartizipation non-formale Kompetenzen anschlussfähig und messbar gemacht werden, zum zweiten stand Diversity Management in Unternehmen im Fokus und zu dritten das freiwillige Engagement von Nicht-EU-Bürgerinnen. Im Diverse-Bericht wird der lückenhafte Forschungsstand von Freiwilligenarbeit im nicht-institutionellen Rahmen kriti- 65 66 Diese Zahlen sind aufgrund der geringen Fallzahlen (N= 1007) nur bedingt aussagekräftig. Es handelt sich um unveröffentlichte Daten der Universität Konstanz, die mir dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt wurden (vgl. Anhang, Kapitel 13.1). Der Wissensgewinn des DIVERSE-Projektes für den Deutschlandreport erfolgte in erster Linie durch Literaturrecherche und durch acht Expert_inneninterviews. Vgl. Karlshochschule 2014: 9.
66 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland siert. Die Freiwilligenarbeit in Institutionen sei eine westeuropäische Konstruktion; Freiwilligenarbeit bei Nicht-EU-Bürger_innen finde eher im Rahmen von nachbarschaftlicher Hilfe statt. Dies trage dazu bei, dass Menschen mit Migrationshintergrund statistisch als weniger engagiert erfasst werden67. Das Engagement behindernde Faktoren sind insbesondere der Aufenthaltsstatus, das fehlende Wahlrecht, die fehlende Anerkennung von Qualifikationen68 sowie rechtliche Beschränkungen insbesondere bei geflüchteten Menschen. Das Engagement fördernde Faktoren sind neben einer Anerkennungskultur und Bestätigung durch das soziale Umfeld, Ressourcen finanzieller und zeitlicher Art, die strukturelle Integration beispielsweise im Arbeitsleben sowie die interkulturelle Offenheit der Engagementorte (vgl. Lietz u. a. 2015: 198ff; Karlshochschule 2014: 9ff). Auch wenn Migration und soziale Ungleichheit nicht immer miteinander korrelieren, ergeben sich aus der Ungleichheitsforschung wichtige Erkenntnisse für die Verschränkung von eben diesen beiden Themenfeldern. Aus diesem Grund sollen im Folgenden Studien vorgestellt werden, deren Ergebnisse für diese Arbeit fruchtbar sind. 3.3 Soziale Ungleichheitsforschung: Stand der Forschung 3.3 Soziale Ungleichheitsforschung: Stand der Forschung Johanna Klatt (2012) sieht die Macht der Zivilgesellschaft und deren ungleiche Verteilung kritisch. So sei, trotz vermeintlicher Offenheit, der Zugang der unterschiedlichen Milieus ungleich verteilt. Mit der Verlagerung der Beteiligung weg von der Parteienpolitik und großen Organisationen hin zur Zivilgesellschaft habe sich die Ungleichheit sogar noch verstärkt. So beeinflussen neuere Beteiligungsformen von vornherein, wer sich beteiligt und wer nicht (Klatt 2012: 6). Moderne Beteiligungsformen sind aber auch hochschwelliger als konventionelle. So hat beispielsweise Armin Schäfer durch Auswertung verschiedener Partizipationsdaten belegt, dass die klassische Wahl trotz milieuabhängigem Wahlverhalten die am 67 68 Eine Schwierigkeit des DIVERSE-Projektes stellt dar, dass in dem europaweiten Projekt die Partizipation von „Third Country Nationals“ (TCNs) untersucht wurde. Die Autoren weisen mehrfach darauf hin, dass dieser Begriff im deutschen Migrationsdiskurs nicht verwendet wird. Die deutsche Begrifflichkeit „Menschen mit Migrationshintergrund“ schließt zwar TCNs mit ein, es gibt aber keine explizite statistische Erfassung beispielsweise von TCNs im Kontext bürgerschaftlichen Engagements. Dies führte dazu, dass sich die Themenstellung zwar auf NichtEU-Bürger_innen bezog, tatsächlich in die Forschung aber alle in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund miteinbezogen wurden. Dieser Befund konnte in der hier vorliegenden Studie nicht bestätigt werden. Im Gegenteil, die fehlende Anerkennung von Qualifikationen kann zu einem Engagement in Form von Kompensation oder Kompetenzentwicklung führen (vgl. Kapitel 6.1.3 und 6.1.4 sowie Kapitel 6.2.3). Bürgerschaftliches Engagement kann auch als Streben nach sozialer Inklusion verstanden werden.
3.3 Soziale Ungleichheitsforschung: Stand der Forschung 67 wenigsten ungleiche Beteiligungsform sei. Bei der Beteiligung an Bürgerinitiativen, Protestveranstaltungen und anderen neueren Formen der Beteiligung seien Menschen mit niedrigem Einkommen und niedriger Bildung weit weniger beteiligt (Schäfer 2009: 7ff)69. Im dritten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung werden neben dem geringen Einkommen und dem niedrigen sozialen Status „Mechanismen des Selbstausschlusses“ (Deutscher Bundestag 2008: 98) als Erklärung herangezogen, „weil sich die betroffenen Personen ein Engagement nicht zutrauen“ (ebd.). Das heißt, neue Beteiligungsformen, sei es in Form von politischem oder von bürgerschaftlichem Engagement haben deutlich höhere Hürden als die klassische Form der Beteiligung durch Wahlen. Klatt (2012: 9f) sieht dabei folgende Anforderungen an den Einzelnen: Informationskompetenzen und damit das Wissen über Beteiligungsorte und Zugangsmöglichkeiten (1), Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten (2), Artikulations- und Kommunikationsfähigkeit, die insbesondere in neueren Protestformen und Initiativen von immer größerer Bedeutung wird (3), der Zusammenschluss mit Gleichgesinnten, was in Themenfeldern wie Arbeitslosigkeit von Scham besetzt ist (4), und letztendlich die Wahrnehmung, sich als respektiertes Gesellschaftsmitglied zu betrachten (5). Klatt sieht damit das ernüchternde Fazit, dass „sich schon bestehende Ungleichheiten hinsichtlich der Faktoren Bildung und Einkommen verfestigen können“ (Klatt 2012: 11). Die nachfolgend skizzierten, meist qualitativen Studien aus der sozialen Ungleichheitsforschung werden als fruchtbar für die Verschränkung von Migration und Ungleichheit gesehen. 3.3.1 Die These der „Effektivitätsfalle“ In mehreren Studien beschäftigt sich Chantal Munsch mit sozial benachteiligten Menschen im bürgerschaftlichen Engagement. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Reproduktion von Ungleichheit innerhalb des dritten Sektors. Im Rahmen von ethnografischen Analysen innerhalb eines Stadtteilhauses bzw. Bürgerhauses belegt sie ihre These der „Effektivitätsfalle“ (Munsch 2005: 127ff). Demnach praktizieren Menschen der bürgerlichen Mitte und mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet ihr Engagement auf eine möglichst effektive Weise, hier im besonderen Falle die Organisation eines Stadtteilfestes. Treffen sie auf Menschen in prekären Lebenssituationen mit weniger kommunikativen, strategischen oder organisatori- 69 Erhebungen zur Einkommens- und Bildungssituation der Akteure um Stuttgart 21, der bayerischen Nichtraucherschutzinitiative oder zur Hamburger Schulreform bestätigen die geringe Beteiligung von Menschen mit geringem Einkommen und niedriger Bildung (Vgl. Klatt 2012: 7ff).
68 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland schen Ressourcen, werden diese und ihre als nicht-effektiv wahrgenommene Vorgehensweise als störend empfunden, Munsch bezeichnet dies als „bürgerliche Aversion“ (Munsch 2005: 104). Durch die kulturelle Eindimensionalität der mittelschichtsgeprägten Engagierten werden sozial benachteiligte Menschen als „anders“ wahrgenommen und ausgegrenzt. Diese Ausgrenzung wird nicht thematisiert, die Akteur_innen nehmen sich selbst als offen und tolerant wahr, unter Rückgriff auf den Ansatz der Dominanzkulturen von Birgit Rommelspacher (2005) sind die Machtverhältnisse nicht einsehbar. „Dazugehören bedeutet noch keine Mitbestimmung“ (Munsch 2003a: 267): Im Sinne eines Gewöhnungseffektes schleicht sich diese empfundene Störung aus, aufgrund fehlender sprachlicher (aber auch materieller und sozialer) Kompetenzen tragen sozial benachteiligte Menschen aber weniger zur Organisation bei. Hierbei zeigt sich ganz deutlich die Wirkmacht der Sprache70. Menschen, die bereits in anderen Lebensbereichen Ausgrenzung erleben, erfahren also auch im Rahmen der freiwilligen Tätigkeit Ausgrenzung. 3.3.2 Die „Entbehrlichen“ der Bürgergesellschaft und Viertelgestalter Unter der bewusst provozierenden Etikettierung „Entbehrliche“ führte das Göttinger Institut für Demokratieforschung unter der Leitung von Franz Walter zwei Studien über sozial Benachteiligte und ihr Engagement durch. In einer ersten Studie wurden leitfadengestützte Interviews in insgesamt drei Stadtvierteln in Göttingen, Kassel und Leipzig durchgeführt. Als Ergebnis wird die Bedeutung des sozialen Nahfeldes hervorgehoben. Der Radius der „Unterschicht“ ist schon allein aus finanziellen Zwängen begrenzt, außerdem sei die Barriere groß, das gewohnte Umfeld zu verlassen. Ein Engagement findet deshalb vor Ort, im eigenen Quartier statt. Trotzdem konnten die Interviewer_innen Unkenntnis, aber auch Misstrauen gegenüber lokalen Engagementorten ausmachen. In migrantischen Gemeinschaften sind häufig Netzwerke vorhanden; hier finden freiwillige Tätigkeiten statt, die aber aufgrund des definitorischen Ausschlusskriteriums der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden. Die Forschergruppe konnte „viel verborgenes informelles Engagement“ (Klatt und Walter 2011: 196) entdecken, das von den Befragten als Selbstverständlichkeit und nicht als bürgerschaftliches Engagement gewertet wird. Ein Engagement um des Engagements willen sei für die Befragten verwunderlich und befremdlich. Vielmehr wird dann unterstützt und geholfen, wenn es sinnvoll und wichtig erscheint. Kritisch wird auch die eigene Rolle in der Bürgergesellschaft gesehen. Die Interviewten fühlen sich 70 Zur Wirkmacht der Sprache ergänzend Ruokonen-Engler 2015: 329ff über die sprachlichen Barrieren von Eltern mit Migrationshintergrund in schulischen Elternbeiräten.
3.3 Soziale Ungleichheitsforschung: Stand der Forschung 69 weder für das „große Ganze“ verantwortlich, noch geht von ihnen der Impuls aus, etwas zu verändern oder aus eigenem Antrieb zu organisieren71. Kinder stellen beim Zugang zum Engagement die wichtigsten Brückenbauer dar, da sie oft stärker als ihre Eltern im Stadtviertel eingebunden sind. Die persönliche Ansprache ist dabei der wichtigste Zugangsweg. Halt und Sicherheit geben erstens private Netzwerke, zweitens ein Arbeitsplatz und drittens religiöse Gemeinschaften, die wiederum auch Ausgangsbasis für Engagement sein können. Als Handlungsempfehlung regt die Forschergruppe an, zum einen bestehende Infrastrukturen und Organisationen mit flexibleren Angeboten zu stärken und zum anderen die sogenannten Viertelgestalter_innen zu unterstützen. Auch die gezielte Ansprache von Migrant_innen wird empfohlen, da sich diese, mit Ausnahme der Aufstiegsorientierten, sehr positiv mit dem Quartier identifizieren, und ihre eigene Zukunft sowie die der Kinder im Stadtviertel sehen (vgl. Klatt und Walter 2011: 212). Ein großes Engagementpotenzial wird insbesondere bei den „blockierten Eliten“ (Klatt 2013: 145) gesehen: Viertelgestalter_innen mit Migrationshintergrund und hohem Bildungsstand, die aufgrund ihres ausländischen Bildungsabschlusses beruflich wenig Perspektiven haben, aber einen hohen Gestaltungswillen zeigen. Dem Aspekt der Viertelgestalter_innen unter den „Entbehrlichen“ wird in einer zweiten Studie (vgl. Hoeft u. a. 2014) vertieft nachgegangen. Acht ebenfalls sozial benachteiligte Menschen werden auf Basis von Interviews porträtiert, die in ihren Stadtvierteln stark vernetzt sind und als bürgerschaftliche Vorbilder gelten72. Es wurde dabei einerseits erforscht, wie die Viertelgestalter_innen ihren Zugang zum Engagement gefunden haben, und zum anderen, welche Motive sie antreiben. Als zentrale Motive filtern Hoeft u. a. die Suche nach Anerkennung heraus sowie das Engagement als Arbeitsersatz, Familienersatz oder Therapieersatz (vgl. Hoeft 2014: 228ff). Bei den Biografien fällt auf, dass die Viertelgestalter_innen nicht über die typischen Ressourcen verfügen und oft selbst unter prekären Bedingungen leben. Allerdings tragen individuelle Ressourcen zu dieser Position im Viertel bei. Eine wichtige Ressource ist dabei die Sprachkompetenz insbesondere von Migrant_innen, die einen problemlosen Wechsel zwischen mehreren Sprachen bewältigen. Das Erleben von Selbstwirksamkeit ist eine weitere Ressource, über die Migrant_innen aufgrund ihrer Zuwanderungsgeschichte und dem Erleben von Anpassungsleistungen an eine neue Umgebung verfügen können. Allerdings können Viertelgestalter_innen nicht losgelöst von allen Strukturen agieren. Von zentraler 71 72 Hier stehen, laut Studie nicht die eigene Bequemlichkeit im Vordergrund, sondern bestehende Berührungsängste, fehlende finanzielle oder organisatorische Ressourcen und Kompetenzängste (vgl. Klatt und Walter 2011: 198). Als „Viertelgestalter“ werden von Hoeft u. a. Menschen bezeichnet, die in einem von sozialen Problemen belasteten Stadtteil leben, sich dort bürgerschaftlich engagieren und auch als „eine_r von uns“ wahrgenommen werden.
70 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland Bedeutung für das Engagement von Viertelgestalter_innen sind feste Infrastrukturen und professionelle Kräfte, die nicht paternalistisch, sondern unterstützend agieren sowie eine Anerkennungskultur. Die interviewten Personen waren zu Beginn ihres Engagements nicht in der Position und Funktion, in der sie heute sind. Dies bedeutet, dass es niedrigschwellige Angebote geben muss, die ein Hineinwachsen in das Engagement ermöglichen, ohne Interessierte zu überfordern. Dann, so die Forscher_innen, können Viertelgestalter_innen eine wichtige Vorbildfunktion für andere Viertelbewohner_innen sein und als Brückenbauer zu ansonsten schwer zu erreichenden Personengruppen fungieren. Vergleiche zusammenfassend auch Hoeft, Messinger und Rugenstein (2015). Vertiefend zu den insgesamt vier Migrantinnen unter den Viertelgestalter_innen auch Klatt (2014). Gemeinsam ist den vier doch ansonsten sehr unterschiedlichen Viertelgestalterinnen das Erleben von „Anders-Sein“. Alle vier Frauen haben einschneidende Diskriminierungen und das Gefühl des Nicht-Dazugehörens erlebt. In ihrem Engagement verarbeiten sie diese Erfahrungen, indem sie nun durch ihr Aktiv-Sein die damals empfundene Passivität verarbeiten. Zusätzlich versuchen diese Viertelgestalterinnen, andere Viertelbewohnerinnen, mit denen sie sich identifizieren können, vor ähnlichen Erlebnissen zu bewahren, sie zu informieren und in teilweise „mütterlicher Manier“ (Klatt 2014: 97) zu beschützen73. 3.3.3 Engagement sozial benachteiligter Menschen Mittels biografisch-narrativer Interviews ging Sandra Meusel der Forschungsfrage nach, welche biografischen Wirkungszusammenhänge dazu beitragen, dass sich sozial benachteiligte Menschen freiwillig engagieren. Soziale Benachteiligung wird hier mit einem erweiterten Armutsbegriff gleichgesetzt, also im Sinne einer ungenügenden Ausstattung nicht nur finanzieller Natur, sondern beispielsweise auch in Form mangelnder Einbindung, körperlicher Verfasstheit oder niedriger Bildung. Ihre Interviewpartner_innen lassen sich in drei Typen unterteilen: Das Engagement trägt entweder zur Bewältigung biografischer Erfahrungen, zur sozialen Inklusion oder zur flankierenden Stabilisierung des Lebens bei. Insbesondere erfahren sozial Benachteiligte für ihr Engagement die Zuweisung eines spezifischen gesellschaftlichen Status. Allerdings, so Meusel, ist hier eine rege Engagement-Begleitung durch institutionelle Ansprechpartner_innen nötig (vgl. Meusel 2013: 240ff). 73 Der Wunsch „anderen soll es besser ergehen“ in Kombination mit „eigene Erfahrungen weitergeben“ lässt sich auch in der hier vorliegenden Studie finden. Diskriminierungserfahrungen, das Gefühl des Nicht-Dazugehörens und der Wunsch, andere vor ähnlichen Erlebnissen zu bewahren, eint den Engagementtyp I, vgl. Kapitel 6.2.1.
3.3 Soziale Ungleichheitsforschung: Stand der Forschung 71 3.3.4 Armut und Engagement Leiv Eirik Voigtländer führte 16 Interviews mit Menschen in prekären Lebenslagen – im Sinne von einkommensarm oder erwerbslos – über deren soziales und insbesondere sozialpolitisches Engagement. Dieses findet in verschiedenen Projekttypen wie Tafelläden, Sozialkaufhäusern, in der Sozialberatung sowie in sozialen Protestgruppen statt. Voigtländer betrachtet dabei hindernde und fördernde Faktoren des freiwilligen Engagements. Neben teils sich widersprechenden Zielen und Ansprüchen der Interviewpartner_innen konnte Voigtländer herausarbeiten, dass als gemeinsames Motiv die Bewältigung eigener Betroffenheit im Vordergrund steht sowie „die Hoffnung, gesellschaftspolitisch etwas zu bewegen“ (Voigtländer 2015: 283). Dabei haben sich die Engagementbedingungen als schwierig erwiesen. Soziale Ausgrenzung wirkt sich zum einen äußerst negativ auf die Autonomie der Engagierten aus. Die Gestaltungsspielräume einkommensarmer Menschen im Engagement sind sehr begrenzt, was dazu führt, dass sich Engagierte nur minimal entfalten können und sich nicht immer aus eigenem Antrieb freien Trägern oder Gewerkschaften anschließen, die über eine verbesserte Infrastruktur als Ausgangslage des Engagements verfügen74. Soziale Ausgrenzung wirkt sich zum anderen auch negativ auf die Motivation und das Selbstwertgefühl aus. Die sozialpolitisch Engagierten berichten von Stigmatisierungen und Desinteresse. Gleichwohl ist das Engagement aber auch eine Möglichkeit der Kompensation von Mangel in verschiedenen Lebensbereichen. Das Engagement erfüllt die Aufgabe einer sinnstiftenden Tätigkeit, die mangels Arbeitsverhältnis fehlt; es bietet Struktur, wo eine tagesstrukturierende Tätigkeit fehlt, eine finanzielle Vergütung, wo ökonomischer Mangel an der Tagesordnung ist sowie die Möglichkeit zum Austausch und zur Wissensvermehrung, wo eventuell Einsamkeit und fehlender Input herrscht (vgl. Voigtländer 2015: 284). 3.3.5 Sozial benachteiligte Jugendliche im Jugendverband Germo Zimmermann stellte in seiner Studie die Forschungsfrage nach der Bedeutung des freiwilligen Engagements im Jugendverband für sozial benachteiligte Jugendliche. Insgesamt 14 problemzentrierte Interviews führte Zimmermann nach der Grounded-Theory-Methodology im Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM). Zimmermann arbeitete heraus, dass die in brüchigen und instabilen Le- 74 Voigtländer führt hier als Beispiel an, dass freiwillig Engagierte oft in finanzielle Vorleistung gehen müssen z. B. in Form von Briefmarken, Büromaterial, Busfahrkarten u. ä.
72 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland bensverhältnissen aufgewachsenen Jugendlichen durch ihr Engagement im Jugendverband „Kapital-Aneignungsgelegenheiten“ (Zimmermann 2015: 255) für soziales und kulturelles Kapital vorfinden, die wiederum Basis für weitere Kapital-Aneignungsmöglichkeiten beispielsweise in Schule oder Ausbildung bieten. Anerkennung durch Zugehörigkeit, Partizipation und Wertschätzung sind dabei die zentralen Elemente, die zur Lebensbewältigung beitragen und Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit fördern. 3.4 Forschung in der Schnittmenge von Migration und Engagement 3.4 Forschung in der Schnittmenge von Migration und Engagement 3.4.1 Die Studie INVOLVE Das europäische75 Projekt „INVOLVE – Beteiligung von Drittstaatsangehörigen an freiwilligem Engagement als Mittel zur Integrationsförderung“ verfolgte zwei Zielsetzungen. Zum Ersten sollte das Wissen über freiwilliges Engagement von Nicht-EU-Bürger_innen in der Europäischen Union gebündelt und auf den neuesten Stand gebracht werden. Zum Zweiten sollte ein Netzwerk der beteiligten Akteure aufgebaut werden zum besseren Austausch von Fachwissen und Best-Practice-Modellen. Zentrale Erkenntnisse lieferte Huth dabei in Bezug auf Barrieren und Hindernisse bei der Beteiligung von Migrant_innen im bürgerschaftlichen Engagement (vgl. Huth 2006a: 37). Barrieren bestehen demnach sowohl vonseiten der Vereine, die sich zwar als „offen“ bezeichnen, mit ihrer Ansprache allerdings Migrant_innen nicht als Adressat_innen erreichen. Migrant_innen nehmen demgegenüber die Vereine als „geschlossen“ wahr. Das fehlende Wissen über Vereine sowie „das Gefühl nicht willkommen zu sein“ (Huth 2006a: 37) stellen die größten Hindernisse für Drittstaatsangehörige dar, zu partizipieren. Im Bereich der Migrant_innenorganisationen werden die größten Schwierigkeiten in „der (gefühlten und tatsächlichen) Nicht-Anerkennung der Arbeit“ (Huth 2006a: 39) gesehen, an begrenzten finanziellen, räumlichen und personellen Ressourcen sowie an der fehlenden Kooperation mit Vereinen der Aufnahmegesellschaft. An Handlungsempfehlungen schlägt Huth deshalb eine stärkere Vernetzung von Migrant_innenorganisationen und Vereinen der Aufnahmegesellschaft vor und empfiehlt interkulturelle Begegnungsmöglichkeiten. Zudem müssten geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden sowie die Öffnung insbesondere durch eine gezielte Ansprache von Migrant_innen vorangetrieben werden (Huth 2006a: 39). 75 Die Projektberichte der europäischen Partner stehen unter www.involve-europa.eu zum Download zur Verfügung.
3.4 Forschung in der Schnittmenge von Migration und Engagement 73 3.4.2 Die Studie „Lernorte und Wege zur sozialen Integration“ Wichtige Erkenntnisse gewann Susanne Huth in ihrer Studie „Bürgerschaftliches Engagement von Migrantinnen und Migranten. Lernorte und Wege zu sozialer Integration, Partizipation und Kompetenzentwicklung“ (vgl. Huth 2007a). Huth nutzt dabei einen Methodenmix bestehend aus biografischen Fallstudien, Netzwerkanalysen und Organisationsbefragungen, um das bis dato wenig erforschte Feld des Lernens von Migrant_innen im sozialen Umfeld zu untersuchen. Susanne Huth versteht diese Arbeit als Vorstudie, die unter anderem dazu dient, weitere Forschungsperspektiven zu eröffnen. Ein Ergebnis der Studie ist, dass im freiwilligen Engagement der Erwerb von Kompetenzen eine zentrale Position einnimmt. Dies ist umso wichtiger, als hier ein Ort außerhalb der Erwerbsarbeit untersucht wurde, von dem insbesondere Migrant_innen und weniger qualifizierte Menschen teils exkludiert sind. In Bezug auf die Transformation der Arbeitsgesellschaft leistet diese Studie daher einen wichtigen Beitrag dazu, den Kompetenzerwerb außerhalb von Arbeits- und Berufsstrukturen zu untersuchen und fördernde sowie hemmende Faktoren herauszukristallisieren. Huth stellt fest, dass der Kompetenzerwerb auch den Erwerb von interkulturellem Lernen einschließt. In Bezug auf die vier Integrationsdimensionen von Hartmut Esser (2001) weist Huth nach, dass bürgerschaftliches Engagement als Lernort zur Kulturation76, Platzierung77, Interaktion78 und Identifikation79 beitrage (vgl. Huth 2007a: 173). Erkenntnisse gewinnt die Studie auch bezüglich der die Lernprozesse behindernden Rahmenbedingungen. So sei das bürgerschaftliche Engagement in Migrant_innenorganisationen geprägt von mangelnder finanzieller, personeller und räumlicher Ausstattung. Daneben spiele die mangelnde Anerkennung vonseiten der Aufnahmegesellschaft eine große Rolle80. Durch finanzielle und räumliche Unterstützung sowie durch 76 77 78 79 80 In Bezug auf die Kulturation trage bürgerschaftliches Engagement maßgeblich zum Erwerb von Sprachkompetenzen und dem Erwerb von Alltagswissen bei. Der Zusammenhang zwischen bürgerschaftlichem Engagement und Platzierung ist laut Huth weniger stark vorhanden, dennoch gebe es Hinweise, dass in einigen Fällen die in der Freiwilligenarbeit erworbenen Kompetenzen ins Berufsleben transferiert werden können. Soziale Kontakte insbesondere auch über ethnische Grenzen hinweg sind im Kontext des freiwilligen Engagements möglich. Explizit erwähnt Huth die Niedrigschwelligkeit von interkulturellen Frauengruppen, die selbst für Frauen mit geringen Deutschkenntnissen Kontaktmöglichkeiten böten. Über Anerkennung und Wertschätzung der geleisteten Tätigkeit könne laut Huth ein Zugehörigkeitsgefühl entstehen. Ganz konkret wurde in der Studie erwähnt, dass vonseiten der Aufnahmegesellschaft beispielsweise die Anmietung oder der Kauf neuer Vereinsräume für Migrant_innenorganisationen behindert werde.
74 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland das Bereitstellen von Weiterbildungsmöglichkeiten sei es möglich, die Lernprozesse zu erleichtern und einen größeren Personenkreis in den Migrant_innenorganisationen zu erreichen (vgl. Huth 2007a: 175 ff). 3.4.3 „Vergleichende Fallstudien“ Innerhalb des Forschungsprojektes „Vergleichende Fallstudien“81 wurden 532 bereits Engagierte mit entweder türkischem oder russischem Migrationshintergrund befragt82. Die Ergebnisse zeigen bei den Motiven eine Übereinstimmung mit dem Freiwilligensurvey. So steht die Geselligkeit, das Zusammenkommen mit anderen Menschen ebenfalls an erster Stelle, gefolgt vom Wunsch, die Gesellschaft zumindest im Kleinen mitgestalten zu können (vgl. Huth 2013a: 3). Betrachtet man aber die Erwartungen, die die Engagierten aus den „Vergleichenden Fallstudien“ an ihre freiwillige Tätigkeit haben, so fallen gravierende Unterschiede zum Freiwilligensurvey auf. Susanne Huth hat zusätzlich zu den Fragen des Freiwilligensurveys migrationsspezifische Erwartungen in den Fragenkatalog aufgenommen. Huth bezeichnet diese Erwartungen als „integrative“ (das Bedürfnis, die Lebenssituation der Menschen aus dem Herkunftsland hier vor Ort zu verbessern, sowie Menschen aus der Herkunftsregion zu helfen, sich im Aufnahmeland zu integrieren) und „bewahrende Bedürfnisse“ (das Bedürfnis, die Herkunftskultur im Aufnahmeland zu bewahren, sowie die Bindung zum Herkunftsland aufrechtzuerhalten) (vgl. Huth 2013a: 4). Während im Freiwilligensurvey der Spaß an der Tätigkeit an erster Stelle steht, dominieren in den „Vergleichenden Fallstudien“ integrative und altruistische Erwartungen83. Das Bedürfnis der Inklusion rangiert vor dem Bedürfnis, die eigene Kultur aufrechtzuerhalten. Auffallend ist auch, dass das Bedürfnis nach Anerkennung an letzter Stelle steht84. 81 82 83 84 Ursprünglich war geplant, als dritte Zuwanderungsgruppe die polnischstämmige Bevölkerung zu befragen. Der Zugang gestaltete sich aber als außerordentlich schwierig, sodass kein statistisch verwertbares Material zustande kam (vgl. Huth 2013 b: 25). Auffallend ist der hohe Bildungsgrad der Befragten. So besitzen drei Viertel aller aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden Engagierten einen Hochschulabschluss. Auch bei den türkischstämmigen Befragten handelt es sich um eine gut ausgebildete Gruppe mit Hochschulabschluss (27,7 %) oder (Fach-)Hochschulreife (36,5 %). Betrachtet man den Freiwilligensurvey differenziert nach Motiven in Zusammenhang mit Bildung, werden die Ergebnisse der „Vergleichenden Fallstudien“ bestätigt: „Die Gesellschaft mitzugestalten ist wichtiger für Engagierte mit höherer Bildung“ (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016c: 40). Ein Zusammenhang besteht möglicherweise darin, dass es sich bei den Befragten um meist hochgebildete Personen handelt, die eventuell im beruflichen Kontext Anerkennung finden. Vergleiche auch Ergebnisse zum Engagement-Typ V, vgl. Kapitel 6.2.5.
3.4 Forschung in der Schnittmenge von Migration und Engagement Abbildung 15: 75 Erwartungen an die Tätigkeit: Mittelwerte von 1 „unwichtig" bis 5 „außerordentlich wichtig" Quelle: Huth 2013a: 5 Auffallend ist die große Bedeutung des Engagements. So geben 52,3 % an, dass das Engagement eine sehr große Rolle in ihrem Leben spielt, für 37,8 % ist es ein wichtiger Bestandteil des Lebens (Huth 2013b: 49). Im Freiwilligensurvey sind diese Werte mit 29 % (sehr wichtiger Bestandteil des Lebens) und 59 % (wichtiger Stellenwert) deutlich niedriger.
76 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland 3.4.4 Studie Wohlfahrts- und Migrantenorganisationen Jennifer Klöckner (2016) vergleicht in ihrer quantitativen Studie Motive von Freiwilligen in Wohlfahrtsverbänden85 mit denen in türkisch-islamischen Vereinen86. Sie unterscheidet dabei solidarische-nichtkonfessionelle, christliche und türkischislamische Organisationen. Insgesamt wurden 951 Fragebögen der freiwilligen und hauptamtlichen Mitarbeiter_innen dieser zehn Organisationen ausgewertet, zusätzlich zu den 253 Fragebögen über Organisationsstrukturen sowie 34 Expert_inneninterviews geführt. Ein Hauptaugenmerk der Studie liegt auf der Bedeutung von Religionszugehörigkeit und Religiosität für das Engagement. Bezüglich der Motivation der Freiwilligen arbeitet sie vier Typologien heraus: Das pseudo-altruistische, das sozial-religiöse, das selbstzentriert-hedonistische und das Selbstwert- und Kompensationscluster (Klöckner 2016: 324ff). Bezüglich der Religiosität kommt Klöckner zu dem Ergebnis: „Je religiöser Personen sind, desto eher arbeiten sie freiwillig“ (ebd.: 439). Auf Grundlage der empirischen Erhebung kommt sie zu dem Schluss, dass sich die Motive zwischen religiösen und nichtreligiösen Organisationen deutlich unterscheiden. Eine sozial-religiöse Motivation findet sich insbesondere in türkisch-islamischen Organisationen (45,6 % der Engagierten), gefolgt von den christlichen (18,3 %) und den solidarischen Organisationen (9 %) (Fietz87 2016: 4). Freiwillige mit Selbstwert- und Kompensationsmotiven sind dagegen in säkularen Vereinen stark vertreten (23,9 %). Freiwillige in türkisch-islamischen Vereinen sind am stärksten sozial-religiös und am wenigsten pseudo-altruistisch (19,1 %) motiviert. In der Befragung der Engagierten spielen „kulturelle Motive“ (Fietz 2016: 5) keine Rolle, wohingegen von den Leitungspersonen in den Expert_inneninterviews kulturelle Ziele benannt wurden. Ein Unterschied bezüglich der Konfessionszugehörigkeit konnte nicht festgestellt werden, religiös Motivierte beziehen sich je nach Glaubensrichtung auf die Bibel oder den Koran. „Die Mechanismen (…), wie sich religiös-motivierte Motive auswirken und entstehen, sind identisch“ (ebd.: 5). 85 86 87 Die Untersuchung fand in folgenden Verbänden statt: Diakonisches Werk, Caritas, Arbeiterwohlfahrt, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Heilsarmee und Arbeiter-Samariter-Bund. Die Untersuchung fand in folgenden Verbänden statt: Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIP), Islamische Gemeinschaft Milli Görüs, Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa – ATIB, Föderation der Aleviten-Gemeinden in Europa – AABF. Jennifer Fietz, geb. Klöckner
3.5 Zusammenfassung der Studien 77 3.4.5 Studie Frauen mit Migrationshintergrund Ilgün-Birhimeoğlu (2017) setzt in ihrer Studie über Frauen mit Migrationshintergrund in Migrationsvereinen und Nicht-Migrationsvereinen auf der Meso-Ebene an, indem sie zum einen eine quantitative Befragung in Vereinen durchführt und zum anderen 18 Expert_inneninterviews auswertet. Zentrales Thema dabei ist die Verschränkung von Ethnizität und Gender und damit verbundene Barrieren. Fehlende gendersensible und interkulturelle Offenheit vonseiten der Organisationen führen zur Diskriminierung von Migrantinnen (ebd. 2017: 239). Dies zeige sich in konkret geäußerten Vorurteilen genauso wie in fehlenden Strukturen oder fehlender Ansprache (ebd.: 240). 3.5 Zusammenfassung der Studien 3.5 Zusammenfassung der Studien Nachdem bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts insbesondere Migrant_innenorganisationen im Fokus der Forschung standen oder Migrant_innen lediglich als Nutzer_innen von bürgerschaftlichem Engagement gesehen wurden, haben die hier vorliegenden Studien maßgeblich dazu beigetragen, die Blickrichtung zu ändern. Damit trugen diese Studien trotz weiterem Forschungsbedarfs und mancher Lücken entscheidend dazu bei, eine grundlegende Datenlage zu erhalten. Insbesondere die Freiwilligensurveys und die Studie des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung ermöglichen einen differenzierteren Blick auf unterschiedliche Bildungsschichten, geschlechtsspezifische Unterschiede und Unterschiede bezüglich der ethnischen Herkunft. Das Verdienst dieser quantitativen Studien liegt insbesondere in den großen Fallzahlen mit bis zu 28 690 Befragten (FWS 2014)88. Das zentrale Ergebnis der Freiwilligensurveys sowie der Studie des Zentrums für Türkeistudien ist, dass Migrant_innen in Vereinen und Organisationen unterrepräsentiert sind. Weniger groß sind die Unterschiede bezüglich der aktiven Teilnahme, umso deutlicher sind aber die Unterschiede bezüglich des tatsächlichen Engagements. Die Engagementquote der einzelnen Studien differiert allerdings teilweise beträchtlich: Während die Engagementquoten von Menschen ohne und mit Migrationshintergrund im FWS 2004 14 Prozentpunkte auseinanderliegen, sind es in der Studie des Zentrums für Türkeistudien sogar 27 Prozentpunkte. Im aktuellsten Freiwilligensurvey von 2014 beträgt der Unterschied 17,3 Prozentpunkte: 88 Im Rahmen des Freiwilligensurveys 1999 wurden 14 922 Personen befragt, 2004 waren es 15 000 und 2009 waren es 20 005 Interviewte. Das Zentrum für Türkeistudien führte 1 536 Interviews.
78 Tabelle 4: 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland Engagementquoten der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund gesamt FWS 1999 FWS 2004 FWS 2009 FWS 2014 FWS 2009 BaWü ZfTI 34 % 36 % 36 % 44 % 41 % - ohne Migrationshintergrund - 37 % mit Migrationshintergrund - 23 % 24 % 49 % 44 % - 32 % 30 % 10 % Quelle: Eigene Darstellung Erkenntnisse liegen auch vor in Bezug auf die Engagementbereitschaft. Demnach weisen die Studien ein großes Engagementpotenzial der Bevölkerung mit Migrationshintergrund auf, das bislang nicht genutzt wird. Einen linearen Zusammenhang gibt es zwischen Bildung und Engagement, wobei laut FWS 2004 die Faktoren Größe des Freundes- und Bekanntenkreises, Kirchenbindung sowie Wertorientierungen und politisches Interesse eine größere Rolle spielen (Gensicke, Picot und Geiss 2006: 77). Auch der FWS 2014 betont als größere Einflussfaktoren für ein Engagement die Staatsangehörigkeit sowie „prägende Erfahrungen in Kindheit und Jugend“ (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016a: 57). Bezüglich der Engagementmotive konnten für die Gesamtbevölkerung sowohl hedonistische, altruistische als auch kompetenzorientierte Motive generiert werden, spezielle Motive von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte wurden in den Freiwilligensurveys aber nicht erhoben. Die Heterogenität der Migrant_innenpopulation wird insbesondere durch die beiden Erhebungen der Sinus-Milieustudien (2008 und 2016) herausgearbeitet. Diese beiden Erhebungen sind zentral für die Typenbildung dieser Arbeit (vgl. Kapitel 6.2). Wenige Erkenntnisse gibt es bislang zwischen den Sinus-Milieustudien und dem bürgerschaftlichen Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund. Mit Ausnahme der Beantwortung der Frage nach der lokalen Beteiligung (vgl. vhw 2009c) besteht hier weiterer Forschungsbedarf. Zentral für diese Arbeit ist auch die vergleichende Fallstudie von Susanne Huth (2013), die vier migrationsspezifische Antwortmöglichkeiten in ihre Studie mitaufgenommen hat. Die qualitativen Studien aus dem Bereich der Ungleichheitsforschung tragen entscheidend zum Erkenntnisgewinn und zur Anknüpfung an Engagierte mit Migrationshintergrund und prekärer sozialer Lage bei. Fehlendes Wissen über Engagementorte und fehlende persönliche Ansprache werden hier als wichtige Hemmfaktoren gesehen (Klatt und Walter 2011), niedrigschwellige Angebote ermöglichen dagegen ein Hineinwachsen in das Engagement (Hoeft u. a. 2014).
3.6 Forschungslücken 79 Sowohl Hoeft u. a. (2014) als auch Meusel (2013) betonen die Bedeutung einer institutionellen Unterstützung für Engagierte in benachteiligten Lebenssituationen. Engagement als Kompensation, als sinnstiftende und strukturgebende Tätigkeit wird von Voigtländer (2015) herausgearbeitet und in dieser Studie bestätigt (vgl. Kapitel 6.13 und 6.2.3). 3.6 Forschungslücken 3.6 Forschungslücken Ein ausreichender Forschungsstand besteht zum Engagement in Migrant_innenorganisationen. Hinlänglich erforscht wurde auch die Engagementquote in den vier Freiwilligensurveys, wobei das Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund in herkunftslandbezogenen und in aufnahmelandbezogenen Gruppierungen zusammen erhoben wurde. Die Studie des Zentrums für Türkeistudien hat dagegen eine Trennung vorgenommen und unterscheidet nach Engagement in einer türkischen Gruppierung (52 % der Engagierten), in einer internationalen (13 %), in einer deutschen Gruppe (29 %) sowie sowohl in deutschen als auch türkischen Gruppierungen (6 %) (Halm und Sauer 2007: 53). Demnach sind über die Hälfte der Engagierten ausschließlich in einer herkunftslandbezogenen Vereinigung freiwillig engagiert. Hier besteht quantitativer Forschungsbedarf, um diese Unterteilung des Zentrums für Türkeistudien auch auf andere Migrant_innengruppen zu übertragen und weitere Erkenntnisse zum Engagement in aufnahmelandbezogenen Vereinen zu bekommen. Auch im qualitativen Bereich wird selten unterschieden, ob dieses Engagement in einem herkunftsland- oder in einem aufnahmelandbezogenen Verein stattfindet. Insbesondere das Engagement von Migrant_innen in aufnahmelandbezogenen Vereinen wurde bisher „stiefmütterlich“ behandelt. Während in den Konzepten der interkulturellen Öffnung erarbeitet wird, welchen Beitrag Vereine und Organisationen leisten müssen, um Barrieren zum freiwilligen Engagement abzubauen, wurde bislang kaum erforscht, was Migrant_innen dazu motiviert, sich in einem aufnahmelandbezogenen Verein zu engagieren. Es stellt sich die Frage, ob neben den meist abgefragten Engagementmotiven wie „Spaß haben“, „Kontakte“, „helfen“ oder „die Welt im Kleinen verändern“ weitere Motive hinzukommen, weshalb es für Migrant_innen attraktiv ist, sich in einem aufnahmelandbezogenen Verein zu engagieren. Oder anders ausgedrückt: Gibt es migrationsspezifische Gründe, sich in einem aufnahmelandbezogenen Verein zu engagieren? Die Aufnahme von migrationsspezifischen Gründen wurde bislang in der Studie „Vergleichende Fallstudien 2011“ von Susanne Huth (Vgl. Huth 2013 a) aufgenommen und
80 3 Bestandsaufnahme der Forschung in Deutschland um integrative und bewahrende Engagementmotive ergänzt. Andere Studien unterscheiden in ihrer Fragestellung nicht nach einzelnen Engagementgruppen. Mögliche migrationsspezifische Engagementgründe können damit nicht erfasst werden. Aktuelle Studien im Forschungsfeld bürgerschaftliches Engagement und Migration (Klöckner 2016; Ilgün-Birhimeoğlu 2017) tragen durch ihren institutionellen Ansatz und durch Expert_inneninterviews zu Erkenntnissen auf der Mesoebene bei. Die Perspektive der tatsächlich Engagierten wird hier allerdings wenig berücksichtigt. Es wird demnach folgender Forschungsbedarf gesehen: 1. 2. 3. 4. Erkenntnisse bezüglich des Engagements in aufnahmelandbezogenen Vereinen (quantitative Forschung). Erkenntnisse bezüglich der Migrant_innenmilieus und bürgerschaftlichem Engagement. Erkenntnisse zu den Engagementmotiven unter Berücksichtigung von eventuellen migrationsspezifischen Gründen (induktive Vorgehensweise, qualitative Forschung) Erkenntnisse auf der Mikroebene (induktive Vorgehensweise, qualitative Forschung) unter Einbezug der subjektiven Sichtweise der Engagierten mit Zuwanderungsgeschichte. Diese Studie soll einen Beitrag zum Erkenntnisgewinn bezüglich der beiden letztgenannten Forschungslücken leisten, indem sie auf der Mikroebene ansetzt, den Fokus auf einen aufnahmelandbezogenen Verein lenkt und durch die induktive Vorgehensweise weitere, bislang unberücksichtigte Engagementmotive generieren kann (vgl. Kapitel 6.1). Durch die Typenbildung soll ein Beitrag zur Forschungslücke 2 geleistet werden, indem eine Verknüpfung der generierten Engagementtypen und den Sinus–Milieustudien hergestellt wird (vgl. Kapitel 6.2).
4 Zentrale theoretische Bezüge 4 Zentrale theoretische Bezüge 4 Zentrale theoretische Bezüge Aufgrund der Komplexität des Themas und der Verschränkung der Themenfelder „Migration“ und „bürgerschaftliches Engagement“ wird im Folgenden Bezug genommen auf Theorien verschiedener Disziplinen, die ihren Ursprung nicht ausschließlich in der Migrationsforschung haben. Migration ist äußerst vielfältig. Neben den klassischen Push- und Pull-Faktoren, die zur Migration führen, trägt die Globalisierung maßgeblich zu transkulturellen Phänomenen bei. Freiwilligkeit und hybride Identitäten bestimmen den (Arbeits-)Alltag vieler Migrant_innen, die sich weniger als klassische Migrant_innen begreifen, sondern als Weltbürger_innen mit temporär begrenzter Aufenthaltsdauer in einzelnen Ländern. Gleichzeitig ist aber auch ein Teil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund geprägt durch Unfreiwilligkeit, Flucht und Vertreibung. Die Heterogenität bezüglich der Migrationsgründe, bezüglich der Aufenthaltsdauer in Deutschland, Unterschiede im Sinne von religiösen Vorstellungen, Werten, politischen Einstellungen, Wohn- und Lebensverhältnissen, Bildungsstand, Einkommen und familiären Verhältnissen trägt zur Komplexität des Themas bei. Hier lohnt an erster Stelle die Sinus-Milieu-Studie (2008; 2016/18), die in Deutschland maßgeblich dazu beigetragen hat, die Heterogenität von in Deutschland lebenden Migrant_innen darzustellen. Aufgrund dieser Heterogenität kann auch nicht die alles erklärende Migrationstheorie herangezogen werden. Bezüglich der Engagementforschung und ihrer Bezugstheorien sei an dieser Stelle auf Hollstein (2015) verwiesen, die ausführlich nutzenorientierte, ökonomische Theorien (ebd.: 61ff), normativ orientierte Theorien (ebd.: 135), kapitaltheoretische (ebd.: 212) und neopragmatische Ansätze (ebd.: 265) vorstellt. Bezüglich der Migrationsforschung und ihrer Bezugstheorien sei auf Reuter und Mecheril (2015) verwiesen. Dem Themenkomplex „Engagement und Migration“ widmet sich keine Theorie exklusiv, so dass der theoretische Bezugsrahmen dieser Studie deshalb weiter gefasst wird und drei Konzepte aus unterschiedlichen Disziplinen beinhaltet: (1) Das Konzept „Kampf um Anerkennung“ von Axel Honneth (Kapitel 4.1), das in dieser Arbeit als „Grundtheorie“ gelten soll, da a. Anerkennung von universaler Bedeutung für alle Individuen ist, b. es als eines von vielen möglichen individuellen Erklärungsmustern zur Motivation bürgerschaftlichen Engagements von Menschen mit oder ohne Zuwanderungsgeschichte herangezogen werden kann, c. es zusätzlich zur theoretischen Einordnung bürgerschaftlichen Engagements von Menschen mit Migrationshintergrund dient, insbesondere in © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A.-K. Schührer, Migration und Engagement, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25096-6_4
82 4 Zentrale theoretische Bezüge Kombination mit der Nicht-Anerkennung in Honneths Anerkennungsformen „Recht“ und „Solidarität/ Leistung“. (2) Das Konzept der „Lebensbewältigung“ von Lothar Böhnisch, welches das Streben nach subjektiver Handlungsfähigkeit von Menschen in prekären Lebenssituationen theoretisch erklärbar macht (Kapitel 4.2). Auch wenn Migration nicht per se eine kritische Lebenssituation darstellt, kann Migration doch in Kombination mit fehlender sozialstruktureller Unterstützung, mit Verletzlichkeit sowie dem Unvermögen der Thematisierung zu einem Bewältigungsdruck führen. Dieser Bewältigungsdruck wird zwar nach Böhnisch in erster Linie durch Abspaltungen gelöst, denkbar sind aber auch andere Formen der Bewältigung. Bürgerschaftliches Engagement kann hierbei im inneren Kreis des Zwei-Kreise-Modells der Lebensbewältigung ansetzen und Selbstwert, Orientierung, soziale Anerkennung und Normalisierung bieten. Gleichzeitig beeinflusst auch der äußere Kreis der Lebenslage die Motivation zum bürgerschaftlichen Engagement. Von zentraler Bedeutung für die hier vorliegende Arbeit sind auch Böhnischs Formen der Bewältigungslagen. Auch wenn diese von Böhnisch etwas vage thematisiert werden, können insbesondere die einfache und die erweiterte Bewältigungslage als Unterscheidungsmerkmal für die Engagementtypen herangezogen werden (vgl. Kapitel 6.2). Schließlich – und das ist das große Verdienst von Lothar Böhnisch – trägt das Lebensbewältigungskonzept zur Sensibilisierung für kritische Lebenssituationen bei und koppelt personale Bewältigungsmuster mit sozialstrukturellen Bedingungen rück. Dabei bleibt Böhnisch nicht im analytisch-deskriptiven Bereich, sondern bietet mit der Entwicklung der Bewältigungslage als Brückenkopf zwischen Lebenslage und Bewältigung Anknüpfungspunkte für sozialarbeiterische und pädagogische Interventionen. (3) Das Konzept der „Sozialintegration“ von Hartmut Esser, das die Position des bürgerschaftlichen Engagements im Integrationsprozess verstehbar machen soll und Bezug auf die migrationsspezifischen Engagementmotive (Kap. 6.15) nimmt, wird als dritte theoretische Grundlage für diese Arbeit zugrunde gelegt (Kap. 4.3). Hilfreich ist Essers Konzept in erster Linie für die Klärung des Ist-Zustands. Durch die Aufteilung in die vier Dimensionen kulturelle, strukturelle, soziale und identifikatorische Integration ist ein analytischer Blick von außen möglich, wobei dieser immer auch die Gefahr in sich birgt, normative Maßstäbe anzulegen und in integrationsfähig/integrationsunfähig oder integrationswillig/integrationsunwillig zu unterscheiden und durch die eigene Kulturbrille zu beurteilen, was überhaupt unter Integration zu verstehen ist. Dennoch ist das Konzept von Esser wichtig, den im sozialwissenschaftlichen
4.1 „Kampf um Anerkennung“ nach Axel Honneth 83 Diskurs beinahe inflationär gebrauchten Begriff der Integration zu analysieren und kritisch zu beurteilen. Essers Vorstellung eines idealtypischen sequentiellen Ablaufs des Integrationsprozesses ist ebenfalls fruchtbar, um dies mit konkreten empirischen Befunden abzugleichen. Alle drei Bezugskonzepte bieten wichtige Anknüpfungspunkte für das freiwillige Engagement von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, auch wenn dies jeweils nicht das Grundthema dieser Konzepte ist. Im Folgenden soll zunächst die jeweilige Theorie (Kapitel 4.11, 4.21 und 4.31) vorgestellt werden. Alle drei Bezugskonzepte haben aber auch ihre „Fehlstellen“, ihre inhaltlichen Grenzen für diese Studie, da sie nicht explizit für das Themenfeld „Engagement und Migration“ entwickelt wurden. Diese Grenzen sollen in den Unterkapiteln (Kapitel 4.12, 4.22 und 4.32) herausgearbeitet werden. Zur Überwindung dieser Grenzen 1. 2. wurde eine Verknüpfung der drei Bezugstheorien entwickelt (Kapitel 4.4). wurden die Konzepte um weitere theoretische Ansätze ergänzt sowie die Verbindung zwischen Theorie und Empirie herausgearbeitet (Kapitel 7). 4.1 „Kampf um Anerkennung“ nach Axel Honneth 4.1 „Kampf um Anerkennung“ nach Axel Honneth 4.1.1 Darstellung der Theorie Der Begriff der Anerkennung ist seit Ende des 20. Jahrhunderts im sozialwissenschaftlichen Diskurs verstärkt in den Blickpunkt gerückt, um in unterschiedlichen Disziplinen – in der Soziologie, Psychologie, Pädagogik und Politikwissenschaft – soziale Beziehungen zwischen Menschen zu beschreiben. Schäffter (2009) betont die Bedeutung von Anerkennung für die Professionalität in der Sozialen Arbeit, während Schoneville und Thole (2009) einen stärkeren Einbezug von Anerkennungstheorien in der Sozialen Arbeit fordern und Soziale Arbeit als wichtigen Ort zur Herstellung von Anerkennung sehen. Vergleiche ergänzend zum Begriff der Anerkennung in den verschiedenen Disziplinen Sobottka und Saavedra (2009) sowie ausführlich Balzer (2014). Der sowohl umgangssprachliche als auch in den Wissenschaften verwendete Begriff ist vielschichtig und muss deutlicher präzisiert werden, fordert Bärbel Frischmann (2009) und arbeitet drei Tendenzen bezüglich der Begrifflichkeit heraus:
84 4 Zentrale theoretische Bezüge 1) „Anerkennung“ wird im alltagssprachlichen Wortlaut verwendet und dabei oft synonym mit den Begriffen „Wertschätzung“, „Respekt“, „Würdigung“ oder „Achtung“ gebraucht. In dieser normativen Verwendung hat „Anerkennung“ „keine begriffliche Erklärungsfunktion, sondern beschreibt eher Alltagsphänomene sozialer Interaktionen“ (Frischmann 2009: 146). Etymologisch bedeutet „Anerkennung“ „bekannt sein“ oder „gelten als“, war also in seiner ursprünglichen Bedeutung (noch) nicht normativ aufgeladen. Das veränderte Verständnis im Sinne von Achtung und Würdigung scheint durch Hegel und Fichte beeinflusst, so Frischmann (2009: 147). In den Sozialwissenschaften wird versucht, den Begriff der Anerkennung in einen Theorierahmen zu bringen. Frischmann verweist hier auf Ansätze der Integrations-/ Desintegrationsdynamik von Anhut und Heitmeyer (2005) sowie auf die Pädagogik der Vielfalt von Prengel (1993), die eine Anerkennung zwischen gleichberechtigten Verschiedenen fordert. Die meisten Rückgriffe finden aber auf das 1992 von Axel Honneth vorgeschlagene Modell zurück, welches auf Grundlage von Hegels „Kampf um Anerkennung“ entwickelt wurde. In der Philosophie haben sich unterschiedliche Stränge des Anerkennungsbegriffes weiterentwickelt. So betont Nancy Fraser (2003) in Zustimmung zu Honneth, dass Anerkennung in Zusammenhang mit Gerechtigkeit und Umverteilung steht; Charles Taylor (1993) sieht Anerkennung im Kontext von politischen Forderungen sozialer und kultureller Gruppen; Judith Butler (2007) öffnet sich dem Thema aus feministischer Sicht und thematisiert, inwieweit sich ein Ich in sozialen Bezügen konstituiert und Paul Ricoeur (2006) wandelt den Begriff des Kampfes um Anerkennung in Anerkennung als Friedenszustand um (vgl. alle Autor_innen in Frischmann 2009: 147). 2) 3) Zentral für die Entwicklung des Begriffs der Anerkennung waren zwei Epochen: zum einen die Zeit des beginnenden bürgerlichen und liberalen Rechtsstaates, verbunden mit dem Menschenbild eines vernünftigen und autonomen Bürgers, welches in den Konzepten zu „Anerkennung“ von Johann Gottlieb Fichte (1762-1842) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) mündete. Fichte hat 1796 erstmals den Begriff der Anerkennung in seinem Werk „Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre“ verwendet und dabei herausgearbeitet, dass Anerkennung die Grundlage der Beziehung zwischen Individuen ist. Rechte zwischen Menschen bestehen nicht von sich aus, sondern sie sind Vereinbarungen auf Grundlage wechselseitiger Anerkennung. Diese wechselseitige Anerkennung ist Grundlage zur Herausbildung einer eigenen Personalität. Ohne Anerkennung eines Gegenübers wäre dies nicht möglich. Anerkennung ist damit immer in sozi-
4.1 „Kampf um Anerkennung“ nach Axel Honneth 85 alen Beziehungen verhaftet zwischen mindestens zwei sich ihrer Autonomie bewussten und die Autonomie des Anderen respektierenden Individuen. So verstanden sind alle soziale Beziehungen „Anerkennungsbeziehungen“ (Frischmann 2009: 160). Nach Fichtes Anerkennungsverständnis bedeutet eine Nicht-Anerkennung, die Autonomie einem anderen Individuum nicht zuzugestehen. Übertragen auf ethnische Konflikte und interkulturelle Überschneidungssituationen bedeutet Fichtes Verständnis von Anerkennung nicht, das Handeln des Anderen gutzuheißen oder es zu würdigen. Das Handeln des Anderen fällt in dessen Autonomiebereich und kann nicht von anderen bewertet werden. Anerkennung heißt vielmehr: „Jede soziale Beziehung, in der sich Personen oder kulturelle Gruppen einander unter dem Aspekt der Achtung ihrer Autonomie und ihrer soziokulturellen Identität begegnen, ist eine Anerkennungsbeziehung“ (Frischmann 2009: 161). Die zweite Epoche, die prägend für die Weiterentwicklung des Begriffs der Anerkennung war, beginnt mit den 1960er-Jahren mit einem Fokus auf zunehmend plurale und demokratisch werdende Gesellschaften. Stand in der ersten Epoche die Beziehung Individuum – Staat im Mittelpunkt, geht es nun stärker um die Anerkennung von Vielfalt, Multikulturalität und pluralen Lebensentwürfen von Individuen. Das heißt, die Idee der Anerkennung wird von Bürgerrechtsbewegungen, feministischen oder sozial benachteiligten Gruppen für ihre Vorstellungen um mehr Gleichbehandlung adaptiert (Frischmann 2009: 148). Prägend in dieser Epoche im Diskurs der Anerkennung ist Axel Honneth, der mit seiner Schrift „Kampf um Anerkennung. Zur Grammatik sozialer Konflikte“ ([1992], 2016) wesentlich zu einer detaillierten Auseinandersetzung mit „Anerkennung“ beitrug. Damit zielt er auf eine „normativ gehaltvolle Gesellschaftstheorie“ (Honneth 2016: 7), basierend auf Georg Wilhelm Friedrich Hegels Frühwerk „System der Sittlichkeit“ von 1802/03, dessen Begrifflichkeit „Kampf um Anerkennung“ Honneth übernahm mitsamt seiner Prämisse, dass „die praktische Identitätsbildung des Menschen die Erfahrung intersubjektiver Anerkennung voraussetzt“ (Honneth 2016: 148). Honneth entwickelte dieses Konzept weiter und reicherte es mit den sozialpsychologischen Erkenntnissen von George Herbert Mead an: „Den Ausgangspunkt einer solchen Gesellschaftstheorie muß [sic] der Grundsatz ausmachen, in dem der Pragmatist Mead mit dem frühen Hegel prinzipiell übereingestimmt hat: Die Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens vollzieht sich unter dem Imperativ einer reziproken Anerkennung, weil die Subjekte zu einem praktischen Selbstverhältnis nur gelangen können, wenn sie sich aus der normativen Perspektive ihrer Interaktionspartner als deren soziale Adressaten zu begreifen lernen“ (Honneth 2016: 148).
86 4 Zentrale theoretische Bezüge Das Grundmodell Honneths besteht aus drei Anerkennungstypen, die kennzeichnend für rechtsstaatliche Gesellschaften sind: Liebe (1), Recht (2) und Solidarität (bzw. in einer späteren Lesart „Leistung“) (3). Diese drei Muster der reziproken Anerkennung bauen aufeinander auf, wobei mit jeder Stufe auch die „subjektive Autonomie des Einzelnen wächst (…) [und] der Grad der positiven Beziehung der Person auf sich selber schrittweise steigert“ (ebd. 151). (1) Liebe wird dabei nicht im engen Sinne verstanden, sondern umfassend als alle Primärbeziehungen wie Eltern-Kind-Beziehungen, Partnerschaften und Freundschaften, die aus wenigen Personen bestehen. Diese Anerkennungsform basiert auf emotionaler Bindung und ist deshalb nicht zu verallgemeinern und auch nicht auf eine größere Personengruppe zu übertragen. Für die Identitätsentwicklung ist dieses erste wechselseitige Anerkennungsverhältnis zentral, um Selbstvertrauen zu erlangen, soziale Kontakte knüpfen und am sozialen Leben teilnehmen zu können. Anerkennung durch emotionale Zuwendung hat damit positive Auswirkungen auf das Selbstverhältnis einer Person und ist Grundlage für die Entwicklung zu einer stabilen Persönlichkeit wie Honneth am Beispiel des Loslöseprozesses eines Kindes von seiner Mutter beschreibt (Honneth 2016: 153ff). Unter Rückgriff auf Winnicotts Analysen zur frühkindlichen Reifung schreibt Honneth (2016: 168): „Ist diese Liebe der Mutter dauerhaft und zuverlässig, so vermag das Kind im Schatten ihrer intersubjektiven Verläßlichkeit [sic] zugleich auch ein Vertrauen in die soziale Erfüllung seiner eigenen Bedürfnisansprüche zu entwickeln; auf den psychischen Bahnen, die damit eröffnet sind, gelangt in ihm allmählich eine elementare ,Fähigkeit zum Alleinsein´ zur Entfaltung“. Dabei ist gerade diese „zerbrochene Symbiose“ (ebd.: 169) zwischen zwei Menschen Grundvoraussetzung, um ein Gleichgewicht zwischen Abgrenzung und Entgrenzung entstehen zu lassen und „von nun an die Anerkennung des anderen als eine unabhängige Person konstitutiv miteinbezogen“ (ebd.) zu respektieren. (2) Auf der zweiten Ebene des Stufenmodells sieht Honneth die Rechtsverhältnisse bzw. die Anerkennungsform des Rechts. Grundlage ist der Gleichheitsgrundsatz als Norm der Rechtsbeziehungen. Die Anerkennungsform des Rechts grenzt sich damit von der emotionalen Bindung („Liebe“) und dem Leistungsprinzip („Solidarität“) ab: „Es ist der öffentliche Charakter, den die Rechte dadurch besitzen, daß [sic] sie ihren Träger zu einem von den Interaktionspartnern wahrnehmbaren Handeln ermächtigen, was ihnen die Kraft verleiht, die Ausbildung von Selbstachtung zu ermöglichen; denn
4.1 „Kampf um Anerkennung“ nach Axel Honneth 87 mit der fakultativen Aktivität des Einklagens von Rechten ist dem Einzelnen ein symbolisches Ausdrucksmittel an die Hand gegeben, dessen soziale Wirksamkeit ihm immer wieder demonstrieren kann, daß [sic] er als moralisch zurechnungsfähige Person allgemeine Anerkennung findet“ (Honneth 2016: 194). Mit der rechtlichen Anerkennung, so Honneth, kann sich eine Person mit allen anderen Personen dieses Gemeinwesens als gleichwertig erleben, was der Selbstachtung förderlich ist. Damit lassen sich Rechte als „anonymisierte Zeichen einer gesellschaftlichen Achtung begreifen (…), [die in der Person] das Bewusstsein entstehen [lassen], sich selber achten zu können, weil es die Achtung aller anderen verdient“ (Honneth 2016: 192). (3) Die dritte Form von Anerkennung bezieht die individuellen Leistungen einer Person mit ein. Das heißt, durch individuelle Fähigkeiten und Kompetenzen erlangen Menschen Anerkennung und Bestätigung. Damit unterscheidet sich diese dritte Anerkennungsform deutlich von der emotionalen Bindung und vom Gleichheitsgrundsatz der rechtlichen Form der Anerkennung. Grundlage der Anerkennung aufgrund von Leistungen ist ein Konsens in Bezug auf wünschenswerte Ziele und Werte innerhalb einer Gesellschaft: „Aus dem Vergleich der beiden Beschreibungsansätze hatte sich der Schluss ziehen lassen, daß [sic] ein derartiges Muster der Anerkennung überhaupt nur angemessen zu begreifen ist, wenn als seine Voraussetzung die Existenz eines intersubjektiv geteilten Wertehorizonts hinzugedacht wird; denn Ego und Alter können sich wechselseitig als individualisierte Personen nur unter der Bedingung wertschätzen, daß [sic] sie die Orientierung an solchen Werten und Zielen teilen, die ihnen reziprok die Bedeutung oder den Beitrag ihrer persönlichen Eigenschaften oder den Beitrag ihrer persönlichen Eigenschaften für das Leben des jeweils anderen signalisieren“ (Honneth 2016: 196). War „Ehre“ bislang mit standesspezifischen Formen der Lebensführung verbunden, so wird der Begriff der Ehre mit dem Übergang von der traditionellen zur modernen Gesellschaft immer weiter in den Hintergrund gerückt und mit dem Begriff der Anerkennung oder des Prestiges ersetzt. Dieses muss allerdings im Gegensatz zu vormodernen Formen individuell „erarbeitet“ werden: „Der Kampf des Bürgertums gegen die standesspezifischen Verhaltenszwänge, die die alte Anerkennungsordnung auferlegt hat, führt zu einer Individualisierung in der Vorstellung darüber, wer zur Verwirklichung gesellschaftlicher Zielsetzungen beiträgt: weil nicht mehr im Vorhinein festgelegt sein soll, welche Formen der Lebensführung als ethisch zulässig gelten, sind es nicht mehr kollektive Eigenschaften, sondern die lebensgeschichtlich entwickelten Fähigkeiten des Einzelnen, an denen die soziale Wertschätzung sich zu orientieren beginnt“ (Honneth 2016: 203).
88 4 Zentrale theoretische Bezüge Mit der Anerkennung von Anderen für das Erbringen individueller Leistung wird auch die Selbstbeziehung positiv beeinflusst, was umgangssprachlich als „Selbstwertgefühl“ und von Honneth als „Selbstschätzung“ (Honneth 2016: 209) bezeichnet wird. Honneth versteht darunter „ein gefühlsmäßiges Vertrauen darin […], Leistungen zu erbringen oder Fähigkeiten zu besitzen, die von den übrigen Gesellschaftsmitgliedern als „wertvoll“ anerkannt werden“ (Honneth 2016: 209). Dadurch dass das Individuum durch andere Gesellschaftsmitglieder geschätzt und anerkannt wird, kann es auch sich selbst schätzen und sich mit sich und seinen Fähigkeiten identifizieren. Damit führen Anerkennung durch Liebe und emotionale Zuwendung zu Selbstvertrauen, Anerkennung durch Recht und kognitive Achtung zu Selbstachtung und Anerkennung durch Solidarität (bzw. Leistung) und soziale Wertschätzung zu Selbstschätzung (Zimmermann 2015: 75ff). Tabelle 5: Struktur sozialer Anerkennungsverhältnisse Typen der Anerkennung Liebe Formen der Selbstbeziehung Selbstvertrauen Recht Selbstachtung Solidarität/ Leistung Selbstschätzung Typen der Missachtung Misshandlung und Vergewaltigung Entrechtung und Exklusion Entwürdigung und Beleidigung Anerkennungsweise emotionale Zuwendung kognitive Achtung soziale Wertschätzung rational gewordener Affekt Quelle: vereinfachte Darstellung nach Honneth 2016: 211 Den drei Anerkennungsformen ordnet Axel Honneth drei Missachtungsformen zu. Die Erfahrung von Missachtung ist nach Honneth „die Vorenthaltung oder der Entzug von Anerkennung“ (Honneth 2016: 213). Misshandlung anstelle von Liebe bezeichnet Honneth als „psychischen Tod“, Entrechtung anstelle von Recht als „sozialen Tod“ und Entwürdigung anstelle von sozialer Wertschätzung als „Kränkung“ (ebd.: 218) und betont: „In solchen metaphorischen Anspielungen auf physisches Leiden und Sterben kommt sprachlich zum Ausdruck, daß [sic] den verschiedenen Formen von Mißachtung [sic] für die psychische Integrität der Menschen dieselbe negative Rolle zukommt, die die organischen Erkrankungen im Zusammenhang mit der Reproduktion seines Körpers übernehmen: Durch die Erfahrung von sozialer Erniedrigung und Demütigung sind menschliche Wesen in ihrer Identität ebenso gefährdet, wie sie es in ihrem physischen Leben durch das Erleiden von Krankheiten sind“ (Honneth 2016: 218).
4.1 „Kampf um Anerkennung“ nach Axel Honneth 89 Als Gegenstück zur Liebe bezeichnet Honneth die Missachtungsform der „physischen Misshandlung“. Dazu gehören jede physische Gewaltanwendung bis hin zu den Extremformen wie Folter und Vergewaltigung. Mit Anwendung dieser Missachtungsform wird die grundlegende Form der Selbstbeziehung, nämlich das Selbstvertrauen zerstört. Die moralische Selbstachtung wird durch die zweite Missachtungsform zerstört. Darunter versteht Honneth alle „Weisen der persönlichen Missachtung […], die einem Subjekt dadurch zugefügt werden, daß [sic] es vom Besitz bestimmter Rechte innerhalb einer Gesellschaft strukturell ausgeschlossen bleibt“ (Honneth 2016: 215). Durch Entrechtung und sozialen Ausschluss erleiden die so missachteten Individuen einen Verlust an Selbstachtung. Denn verbunden mit der gesellschaftlichen Exklusion ist nicht nur die Einschränkung der persönlichen Autonomie, sondern das „Gefühl, nicht den Status eines vollwertigen, moralisch gleichberechtigten Interaktionspartners zu besitzen“ (Honneth 2016: 216). In der dritten Form der Missachtung wird der soziale Wert eines Menschen (oder auch einer Gruppe) degradiert. Entwürdigung und Beleidigung sind Missachtungsformen, die laut Honneth auf die Selbstschätzung des Menschen zielen. Indem „einzelne Lebensformen und Überzeugungsweisen als minderwertig oder mangelhaft herabgestuft [werden, nimmt man] den davon betroffenen Subjekten jede Möglichkeit, ihren eigenen Fähigkeiten einen sozialen Wert beizumessen“ (Honneth 2016: 217). Mit der Entwertung durch gesellschaftliche Gruppierungen geht damit auch ein Verlust der Selbstschätzung einher, verbunden mit dem Gefühl, als Individuum mit seinen Leistungen und Fähigkeiten kein sozial geschätzter Teil der Gemeinschaft zu sein (ebd.). 4.1.2 Grenzen der Theorie für die Studie Axel Honneths Anerkennung durch Solidarität bzw. Leistung sieht einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Konsens bezüglich wünschenswerter Normen und Werte vor. Das heißt, das, was als wünschens- und erstrebenswert gilt, wird durch Aushandlungsprozesse bzw. durch Machtstrukturen innerhalb einer Gesellschaft/Nation/Gruppierung festgelegt. Auch wenn dies historisch wandelbar ist, sind diese Ziele dennoch zumindest für einen bestimmten Zeitraum bindend und von den meisten Mitgliedern akzeptiert. Wenig Anhaltspunkte bietet das Konzept in Bezug auf Menschen mit Migrationserfahrung, deren in der Herkunftsgesellschaft geschätzten Leistungen in der Aufnahmegesellschaft nicht anerkannt werden. Einen Ausweg aus diesem Dilemma versprechen drei idealtypische Möglichkeiten, wovon zwei in dieser Studie zu beobachten sind: Ein Weg besteht in Form
90 4 Zentrale theoretische Bezüge der Assimilierung, also der einseitigen Anpassung an die Wünsche der Aufnahmegesellschaft. Ein zweiter idealtypischer Weg mit der Nicht-Anerkennung der Leistung im Aufnahmeland umzugehen, ist die Kompensation. Diesen Weg gehen insbesondere Interviewpartnerinnen des Engagementtyps III, die sich andere Orte der Anerkennung suchen und diese im bürgerschaftlichen Engagement finden (vgl. Kapitel 6.2.3)89. Denkbar ist als dritter Weg die Suche nach Anerkennung in einer Parallelgesellschaft, in der die eigene Leistung und die Kompetenzen aus der Herkunftsgesellschaft nach wie vor anerkannt werden. Durch das Forschungsdesign mit einer Erhebung in einem aufnahmelandbezogenen Verein, wie sie hier vorliegt, konnte diese Möglichkeit nicht erhoben werden. Eine weitere Grenze stellt die Konzeptionierung als Stufenmodell dar. Erst durch das schrittweise Durchlaufen der Anerkennungsformen Liebe, Recht und Solidarität werde der Mensch zu einem autonomen Subjekt (Honneth 2016: 151). Dieses Durchlaufen der einzelnen Stufen ist für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen fruchtbar, bekommt aber bei der Betrachtung von erwachsenen Menschen mit Migrationserfahrung Risse. Hier liefert Honneth keine Hinweise auf die Zusammenhänge zwischen den drei Dimensionen. Als hilfreich erweist sich Graumanns Vorschlag, „Honneths qualitative Differenzierung nicht als drei ontogenetische Stufen der Konstitution von Personalität, sondern als drei synchron zusammenwirkende Dimensionen geforderter Anerkennung sozialer Personen zu verstehen“ (Graumann 2011: 394). Wenige Hinweise finden sich bei Honneth auch hinsichtlich der Machtperspektive, was zu Recht bereits von Nancy Fraser (Fraser und Honneth 2003) kritisiert wurde. Um diese Lücke zu schließen, soll Honneths Konzept der Anerkennung in Kapitel 7 mit dem Wissen um Machtdiskurse (Mecheril o.J.; Mecheril 2010b), Dominanzkulturen (Rommelspacher 1996) und Vulnerabilität und Teilhabe (Heinze 2016; Heinze 2017) ergänzt werden. 4.2 Das Konzept der „Lebensbewältigung“ nach Lothar Böhnisch 4.2 Das Konzept der „Lebensbewältigung“ nach Lothar Böhnisch Das Konzept der Lebensbewältigung, entwickelt von Lothar Böhnisch (2016) unter Mitwirkung von Werner Schefold eignet sich in erster Linie zur Erklärung abweichenden Verhaltens. Dennoch wird dieses Konzept als wichtig zum ergänzenden Verstehen bürgerschaftlichen Engagements gesehen, auch wenn Engagement grundsätzlich ein sozial erwünschtes Verhalten darstellt und gesellschaftlich nicht 89 Teilweise lässt sich ein Vorgriff auf die Engagementtypen nicht vermeiden. In Kapitel 6.2 erfolgt die genaue Beschreibung der fünf Engagementtypen.
4.2 Das Konzept der „Lebensbewältigung“ nach Lothar Böhnisch 91 als von der Norm abweichend gewertet wird. Der Bezug zum Engagement und zur vorliegenden Studie wird dennoch gesehen und in Kapitel 7 noch näher dargestellt. 4.2.1 Darstellung der Theorie Unter Lebensbewältigung versteht Böhnisch „das Streben nach subjektiver Handlungsfähigkeit in kritischen Lebenskonstellationen“ (Böhnisch 2016: 20). Kritisch meint dabei, dass die bislang erworbenen Strategien und Kompetenzen nicht ausreichen, um die Situation zu bewältigen und das Problem zu lösen. Demgegenüber steht der Wunsch nach Handlungsfähigkeit, die „ein Konstrukt im Magnetfeld des Selbstwerts“ (ebd.) darstellt. Eine stabile Handlungsfähigkeit ist geprägt von Selbstwert, sozialer Anerkennung und Selbstwirksamkeit, während sich eine gestörte Handlungsfähigkeit in der Hilflosigkeit des inneren Selbst ausdrückt. Durch den basalen Grundbehauptungstrieb des Menschen sei das Streben nach Handlungsfähigkeit so stark, dass Selbstwert, Anerkennung und Selbstwirksamkeit „um jeden Preis“ (ebd.: 21) erlangt werden müssen. Kann diese Handlungsfähigkeit nicht durch gesellschaftlich erwünschtes Verhalten erreicht werden, führt das Streben nach subjektiver Handlungsfähigkeit zu abweichendem Verhalten in Form von antisozialem oder selbstdestruktivem Verhalten. Erlebte „Hilflosigkeit erzeugt Stress“ (Thiersch und Böhnisch 2014: 36) und führt in Kombination mit einer Unfähigkeit der Thematisierung, des Zur-Sprache-Bringens und des Mitteilens zu einer Abspaltung, die von Böhnisch unterschieden wird in eine äußere Abspaltung (tendenziell stärker von Männern unbewusst gewählt), in eine innere Abspaltung (tendenziell stärker von Frauen unbewusst gewählt) oder in eine Abspaltung per Delegation. Böhnisch bezieht sich damit auf das der Stressforschung entstammende Coping-Konzept, wonach der Mensch in Stresszuständen aus einem somatischen Antrieb heraus in ein Gleichgewicht zu kommen versucht. Das Streben nach Handlungsfähigkeit ist demnach kein rationaler Vorgang, sondern ein emotional-triebgesteuerter. Dieses Coping-Konzept erweitert Böhnisch um eine sozialstrukturelle Rahmung zum Konzept der Lebensbewältigung. Das Modell selbst ist interdisziplinär angelegt und verknüpft mehrere Theorien wie „Theorien des Selbst, die Anomietheorie, Interaktions- und Alltagsparadigmen, Konzepte sozialer Unterstützung, sozialisationstheoretische Integritätskonzepte“ (Böhnisch 2010: 223). Grundlegend für Böhnisch ist dabei die von Carl Mennicke bereits 1926 formulierte „sozialpädagogische Verlegenheit der Moderne“, wonach in der Zusammenfassung von Böhnisch „die modernen Gesellschaften den Einzelnen einerseits freisetzen und andererseits nicht vermitteln, wozu sie frei sind, den freigesetzten Menschen keine sozialen Orte bieten (…), wo sie in ihren Freiheiten Halt und Sicherheit finden können“ (Böhnisch 2010: 220).
92 4 Zentrale theoretische Bezüge Was Mennicke in eine sozialpädagogische Handlungsaufforderung transformierte, hielt Émile Durkheim bereits in seinem Frühwerk „Über soziale Arbeitsteilung“ (1893) fest: Mit der industriellen Zunahme an Arbeitsteilung sah er die Gefahr einer Zunahme von sozialer Desintegration (Anomie), die mithilfe einer „kollektiven Moral“ (Böhnisch 2010: 221) in Form von sozialstaatlicher Unterstützung eingedämmt werden müsse. Allerdings, so Böhnisch (ebd.: 222), habe sich das Problem der Anomie seit Durkheim verkompliziert: „Es geht nicht mehr (…) nur um die Frage, ob und wie ich das gesellschaftlich Erreichbare auch erreichen kann, sondern immer mehr darum, wie ich mich so verorte, dass ich irgendwie handlungsfähig bleibe, mich sozial behaupten kann. Die neue Anomie ist die Entgrenzung, die Auflösung bisheriger sozialer Grenzen und Verlässlichkeiten. (…) Sie setzt Bewältigungsaufforderungen frei, die so offen und unkalkulierbar sind, dass sie bei den Individuen nur noch als Signale des ‚Mithaltens’, der ‚Handlungsfähigkeit um jeden Preis’ ankommen.“ Deutlich später greift dies Ulrich Beck (1986) mit dem Schlagwort der „Risikogesellschaft“ auf, in der der moderne Mensch zwar freigesetzt werde, er aber auch an „der gesellschaftlichen Offenheit, an ihrem Optionsdruck und ihrer riskanten Unübersichtlichkeit scheitert“ (Böhnisch 2010: 221). Damit verbindet Böhnisch in seinem Konzept der Lebensbewältigung die zwei Komponenten (gesellschaftliche) Freisetzung und (individuelle) Bewältigung. In seinem Modell werden somit sozialstrukturelle und psychosoziale Einflussfaktoren miteinander verbunden. Entscheidend sind für Böhnisch vier Grunddimensionen (vgl. Böhnisch 2010: 223):     die tiefenpsychologisch eingelagerte Erfahrung des Selbstwertverlustes, die Erfahrung sozialer Orientierungslosigkeit, die Erfahrung fehlenden sozialen Rückhalts und sozialer Anerkennung, die handlungsorientierte Suche nach erreichbaren Formen sozialer Integration bzw. dem Wunsch nach Normalisierung. Die individuellen Spielräume der Lebensbewältigung sind maßgeblich von der Lebenslage beeinflusst. Unter Lebenslage versteht Böhnisch den „Kontext der von den Menschen verfügbaren materiellen, sozialen und kulturellen Bewältigungsressourcen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen“ (Böhnisch 2017: 32). Lebenslagen können ermöglichen oder auch verwehren: „Sie zeigen die Zusammenhänge auf zwischen Einkommen, Bildung, Wohnqualität, Konsumkraft, soziokultureller Vernetzung und den damit verbundenen Möglichkeiten und
93 4.2 Das Konzept der „Lebensbewältigung“ nach Lothar Böhnisch Chancen“ (Böhnisch 2016: 93). So tragen ein niedriges Einkommen, prekäre Arbeitsverhältnisse, beengte Wohnverhältnisse oder eine niedrige Bildung nicht nur zu geringeren Bewältigungsressourcen bei, sondern sie beeinflussen auch das Bewältigungsverhalten (ebd.). Diese wechselseitige Beeinflussung zwischen Lebenslage und Bewältigungsverhalten soll mit der folgenden Grafik visualisiert werden. Äußerer Kreis der gesellschaftlichen Bewältigungsanforderungen (Lebenslage) Innerer Kreis des personellen %HZlOWLJXQJVYHUKDOWHQV Streben nach · Selbstwert · Anerkennung · Selbstwirksamkeit :HFKVHOVHLWLJH%HHLQÀXVVXQJ Abbildung 16: Quelle: Das Zwei-Kreise-Modell der biografischen Lebensbewältigung Eigene Darstellung auf Grundlage von Böhnisch, Lenz und Schröer 2009: 40; Zimmermann 2015: 61 Die Wechselwirkung aus Lebenslage und Bewältigungsverhalten beeinflusst die Bewältigung schwieriger Lebenssituationen. Böhnisch unterscheidet dabei drei Formen der Bewältigung (Böhnisch 2017: 35f):
94    4 Zentrale theoretische Bezüge Die regressive Bewältigungslage: Diese ist durch hohe Abhängigkeit, wenig soziale Anerkennung, fehlende Ausdrucksmöglichkeiten, verwehrte Aneignungschancen und hohem Abspaltungsdruck gekennzeichnet. Die einfache Bewältigungslage: Darunter ist ein „Über-die-Runden-Kommen ohne soziale Risiken aber auch ohne große Chancen der Erweiterung der Lebensperspektive“ (ebd.) zu verstehen. Es geht um reine Alltagsbewältigung. Die erweiterte Bewältigungslage: Hierunter ist eine gestaltende Perspektive zu verstehen, neue Kompetenzen können entwickelt und Beziehungen gestaltet werden. Als „Brückenkonzept“ (Böhnisch 2016: 95) zwischen Lebenslage und Lebensbewältigung entwickelte Böhnisch vier Dimensionen analog den vier der Sozialen Arbeit zur Verfügung stehenden Mittel „Sprache, Beziehung, Zeit und Raum“ (Böhnisch 2016: 94):   90 Die Dimension des Ausdrucks Unter der Dimension des Ausdrucks ist zu verstehen: „seine Betroffenheit aussprechen, thematisieren zu können und darin sich aus seinem Ausgesetztsein, seiner Ohnmacht zu lösen und sich zu anderen in Beziehung setzen zu können, nicht mehr unter dem Druck zu stehen, es antisozial oder autoaggressiv abspalten zu müssen“ (Böhnisch 2016: 95; Hervorhebung durch den Autor). Böhnisch sieht hierbei Sprache als das Medium an, dem Bewältigungsdruck zu entkommen und zur inneren Autonomie zu gelangen. Über negative Gefühle und Hilflosigkeit sprechen zu können, beugt Hilflosigkeit vor, die, wird sie nicht thematisiert, auf Andere, Schwächere projiziert oder gegen sich selbst gerichtet wird. Die Dimension der Anerkennung Im Streben nach subjektiver Handlungsfähigkeit ist immer auch das Streben nach Anerkennung vorhanden. So kann auch antisoziales Verhalten als Suche nach Anerkennung verstanden werden. In der Dimension der Anerkennung wird der Bezug zu Honneths Konzept „Kampf um Anerkennung“ besonders deutlich. Böhnisch selbst bezeichnet die Dimension der Anerkennung als die Dimension, die alle anderen Dimensionen durchzieht90: „die Entwertung, die in der Abhängigkeit steckt, Anerkennung als Voraussetzung des Über-sichsprechen-Könnens und Anerkennung als ‚Verstärker‘ von Aneignungsprozessen“ (Böhnisch 2016: 98). Analog dazu wird das Konzept „Kampf um Anerkennung“ in dieser Studie auch als das grundlegende theoretische Modell verwendet.
4.2 Das Konzept der „Lebensbewältigung“ nach Lothar Böhnisch   95 Die Dimension der Abhängigkeit Die Dimension der Abhängigkeit steht nach Böhnisch immer in einem Spannungsfeld, da Menschen als soziale Wesen grundsätzlich aufeinander angewiesen sind. Problematisch wird es dann, wenn daraus ein Zwangs- und Gewaltverhältnis wird und die Bewältigungslage durch „Entwertung, Stigmatisierung, faktische Entmündigung, Verwehrung von Teilhabe und Optionsverlust massiv eingeengt ist“ (Böhnisch 2016: 101). Demgegenüber setzt Böhnisch die Strategie des Empowerments als Möglichkeit der Verselbständigung und der Loslösung von Abhängigkeitsverhältnissen. Die Dimension der Aneignung Unter Aneignung versteht Böhnisch in erster Linie die sozialräumliche Aneignung, die auch eine identitätsstiftende Funktion hat. Neben der Aneignung des Sozialraums als Kontrapunkt zur Verhäuslichung und Isolation versteht Böhnisch Aneignung aber auch in einem erweiterten Sinn allgemein als Aneignung von „kulturellen Praktiken (…), von Inhalten und Funktionen“ (Böhnisch 2016: 103). Diese vier Dimensionen sind eng miteinander verbunden: Wer in einem Zwangs- und Abhängigkeitsverhältnis lebt, hat meist auch keine Möglichkeiten, die eigene Hilflosigkeit zu thematisieren, erfährt wenig soziale Anerkennung und hat keine Gelegenheiten, den eigenen sozialräumlichen Radius zu erweitern und sich neue Sozialräume anzueignen. Abbildung 17: Bewältigungslage Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Böhnisch 2017: 35 Die Ermöglichung von Ausdruck, Anerkennung, (Un-)Abhängigkeit/Autonomie91 und Aneignung trägt zu einer erweiterten Bewältigung bei, während umgekehrt 91 Auch wenn Böhnisch von den „vier A“ (Böhnisch 2016: 95) der Bewältigungslage spricht, wird der Begriff der Abhängigkeit hier in den Begriff der Unabhängigkeit umbenannt, da er als einziger negativ konnotiert ist und es eben nicht um die Ermöglichung von Abhängigkeit und
96 4 Zentrale theoretische Bezüge die massive Verwehrung dieser vier Dimensionen zu einem Bewältigungsdruck führt, der in eine regressive Bewältigung mit Abspaltungen mündet. Aus diesem theoretischen Konzept heraus kann somit eine Handlungsaufforderung an die Soziale Arbeit/Sozialpädagogik abgeleitet werden, an welchen Stellschrauben angesetzt werden muss, um eine subjektive Handlungsfähigkeit in kritischen Lebenskonstellationen zu ermöglichen. 4.2.2 Grenzen der Theorie für die Studie Das Konzept der Lebensbewältigung hat im wissenschaftlichen Diskurs einen breiten Zuspruch erfahren und wurde von zahlreichen Expert_innen weiterentwickelt, insbesondere hat Böhnisch selbst in Zusammenarbeit mit Heide Funk, Karl Lenz und Wolfgang Schröer zur Weiterentwicklung beigetragen. Parallelen können unter anderem zum Konzept des Befähigungsansatzes bzw. Capability Approach von Amartya Sen und Martha Nussbaum gezogen werden, wenngleich diese Parallelen von Vertreter_innen des Lebensbewältigungskonzeptes kritisch gesehen werden. Wolfgang Schröer betrachtet den Capability Approach als „globalisierte Variante einer Lebenslagentheorie“ (Schröer o.J.: 9), dem der „differenzierte Zugang zum Subjekt“ (ebd.) und die Verbindung zwischen Sozialpolitik und Sozialpädagogik fehle. Das Konzept der Lebensbewältigung selbst wirft ebenfalls einige Fragen auf: Hammerschmidt, Aner und Weber (2017: 125ff) thematisieren beispielsweise das Legitimationsproblem Sozialer Arbeit, das von Böhnisch „weniger grundsätzlich“ (ebd.) aufgegriffen werde. Soziale Arbeit sei „selbst abhängig vom System und den jeweiligen hegemonialen Vorstellungen davon, was Integration bzw. Desintegration bedeutet und welches individuelle und gesellschaftliche Ausmaß davon als akzeptabel bzw. inakzeptabel gilt“ (ebd.). Das heißt, es stellt sich unter anderem die Frage, „inwieweit Soziale Arbeit überhaupt als sozialstaatliches Angebot sozialstaatlich legitimiert ist“ (ebd.). Offen bleibt für Hammerschmidt, Aner und Weber (2017: 126) auch die Frage, inwieweit der fehlende Veränderungswille mancher Klient_innen der Sozialen Arbeit mit dem „Streben nach Handlungsfähigkeit“ des Lebensbewältigungskonzeptes vereinbar sei. Des Weiteren wird der Begriff der Lebenslage kritisiert, der „etwas ungenau“ (ebd.: 127) als „ein Set von sozialökonomischen und sozialstrukturellen Bewältigungsmustern“ Machtbeziehungen geht, sondern um das genaue Gegenteil. Denkbar wäre auch die Verwendung des Begriffs der „Autonomie“.
4.2 Das Konzept der „Lebensbewältigung“ nach Lothar Böhnisch 97 (Böhnisch und Schefold 1985: 93) definiert werde. An Böhnischs Neuformulierung des Anomieparadigmas wird kritisiert, dass dieser trotz Kritik an dualistischen Konzepten „selbst in eine dualistische Argumentation“ (May 2008: 65) verfalle. Insbesondere Timm Kunstreich (zusammenfassend in May 2008: 65) kritisiert die „naturalisierende Verdinglichung des ´Konstruktes abweichenden Verhaltens´“ (ebd.), die Böhnisch nicht zu überwinden versuche, so werde durchgängig der Begriff der „antisozialen Tendenz“ nach Winnicott verwendet. „Bei jeder Vorstellung von Abweichung sei die Norm schon gerettet. Und zwar die herrschende Norm“ (May 2008: 65f). Damit leiste, so die harsche Kritik, der reflexive multifaktorielle Ansatz von Böhnisch „das Gleiche“ (ebd.) wie sein „nichtreflexiver Vorgänger“ (ebd.). Zimmermann (2015: 65 f) dagegen kritisiert insbesondere den nicht ausreichend thematisierten Begriff der „sozialen Anerkennung“. Dieser werde von Böhnisch zwar angesprochen, aber Fragen, wie soziale Anerkennung systematisiert und wie sie in unterschiedlichen Ebenen sowohl individuell als auch strukturell vermittelt werden könne, blieben unbeantwortet. Des Weiteren kritisiert Zimmermann die „vage Beschreibung“ (ebd.: 66) der drei Bewältigungslagen. In Böhnischs Darstellung bliebe unklar, wie die Ressourcen über die Lebenslage verteilt seien und wie sie als Schutzfaktoren wirken könnten. Für die hier vorliegende Studie bleiben zusätzlich zur oben genannten Kritik von Hammerschmidt, Aner und Weber; May; Kunstreich sowie Zimmermann folgende Fragen offen:  Zwar nimmt Böhnisch in mehreren Schriften Bezug zur „Migration“ (exemplarisch Böhnisch 2017: 48ff; Böhnisch 2016: 163ff), er bleibt dabei aber vage und undifferenziert bezüglich der Heterogenität der Migrant_innenmilieus. In „Sozialpädagogik der Lebensalter“ geht Böhnisch auf Jugendliche mit Migrationshintergrund (vgl. Böhnisch 2017: 147ff) ein, wobei er den Fokus auf türkischstämmige und muslimische Jugendliche legt, die durch „zwanghaft überhöhte Männlichkeit“ (ebd.: 148) und andere Bewältigungsmuster auffallen. Im Kapitel „Die nahen Fremden – Soziale Arbeit mit MigrantInnen“ (Böhnisch 2017: 228 sowie in Böhnisch 2016: 181ff) thematisiert Böhnisch die Abspaltung per Delegation in Form von Ausländerhass und projizierten Geschlechterstereotypen. Außerdem kritisiert Böhnisch das in der Migrationspolitik verhaftete dualistische Denken in „anpassungs-/bildungswillige und –unwillige (bzw. -fähige und -unfähige) Migrantinnen und Migranten“ (Böhnisch 2017: 230). Grundlegender wird Böhnisch in seinem Kapitel „Migration, Zugehörigkeit und Bewältigung“ (Böhnisch 2017: 48ff). Demnach müsse das Bewältigungsparadigma um die „Zugehörigkeitsfrage“
98  92 4 Zentrale theoretische Bezüge (ebd.: 48) erweitert werden, ohne dass Böhnisch darauf eingeht, wie dies gelingen kann. Statt eines traditionellen institutionengebundenen Denkens rät Böhnisch zur Anerkennung interkultureller Zwischenwelten, in denen Migrant_innen die Möglichkeit erhalten, „ihre eigene Bewältigungsbrücke zwischen den Herkunftsländern und der Aufnahmegesellschaft zu bauen und so aus dieser Selbstständigkeit heraus Anschluss an die hiesige Gesellschaft und soziale Anerkennung zu finden“ (ebd.: 50). Das Diversitätskonzept biete dabei Chancen, „ethnische, soziale, kulturelle und geschlechtsbezogene Faktoren“ (ebd.) mit einzubeziehen. Böhnisch plädiert dabei für einen „multiplen Bezugsrahmen von Freisetzung und Bewältigung“ (ebd.; Hervorhebung durch den Autor). Die zentrale Differenzlinie verläuft bei Böhnisch zwischen den Geschlechtern92. Insbesondere in Bezug auf das Bewältigungsverhalten schreibt er über die Notwendigkeit, dies „geschlechtsdifferent (Böhnisch 2016: 32ff) zu betrachten, und bezeichnet die innere Abspaltung als tendenziell weibliches und die äußere Abspaltung als tendenziell eher männliches Bewältigungsmuster. Ethnische Differenz wird erwähnt, hat für Böhnisch allerdings lang nicht denselben Stellenwert und wird in seinen Schriften eher randständig behandelt. So differenziert Böhnisch nicht zwischen unterschiedlichen Migrationsformen und -gründen, zwischen den verschiedenen Milieus oder hybriden Identitäten. Ganz allgemein und wenig ausdifferenziert plädiert er dafür, ethnische Differenzen miteinzubeziehen, lässt aber sozialstrukturelle und individuelle Handlungsempfehlungen vermissen. So negiert er zwar nicht dessen Bedeutung, lässt aber ein weiteres Vorgehen offen, sodass eine Weiterentwicklung des Konzepts der Lebensbewältigung in Bezug auf Migration vonnöten ist. Eine weitere Schwierigkeit, das Konzept der Lebensbewältigung auf freiwilliges Engagement zu beziehen, ist der starke Fokus auf verschiedene Formen abweichenden Verhaltens. Böhnisch begründet sehr schlüssig und nachvollziehbar abweichendes Verhalten als Form der Lebensbewältigung. In seinen Ausführungen fehlen allerdings sozial und gesellschaftlich anerkannte Bewältigungsformen. Das Streben nach Selbstwert, Orientierung, sozialer Anerkennung und Normalisierung findet auch in konformen Verhaltensweisen Ausdruck. Zwar bestätigt Böhnisch, dass soziale Anerkennung durch unterschiedliche Zugänge gesucht werde, „sowohl im kulturellen Anerkennungskontext geltender gesellschaftlicher Normen als auch im aufmerksamkeitserregenden Auffälligkeitsverhalten“ (Böhnisch, Lenz und Schröer 2009: 41), Ohne allerdings Intersexualität oder Transsexualität in den Blick zu nehmen.
4.3 Inklusion in die Aufnahmegesellschaft 99 allerdings liegt sein Schwerpunkt stärker im Bereich abweichenden Verhaltens. Böhnisch argumentiert, dass das Konzept zur Lebensbewältigung ein Konzept der Sozialen Arbeit sei und zur Klientel der Sozialen Arbeit hauptsächlich Menschen mit abweichendem Verhalten gehören. Im Zuge der Ausdifferenzierung der Berufsfelder innerhalb der Sozialen Arbeit, insbesondere hinsichtlich präventiv ausgerichteter Arbeitsfelder, reicht Soziale Arbeit als Reaktion auf abweichendes Verhaltens allerdings nicht mehr aus. Das Konzept der Lebensbewältigung sollte demnach zukünftig auf andere Bewältigungsformen ausgeweitet werden. 4.3 Inklusion in die Aufnahmegesellschaft – das Konzept der „Sozialintegration“ nach Hartmut Esser 4.3 Inklusion in die Aufnahmegesellschaft Migrationsforschung ohne den Begriff „Integration“ zu verwenden, scheint nach wie vor unvorstellbar zu sein. Auch wenn seit einigen Jahren neuere Konzepte und der Begriff der Integration kritisch diskutiert werden, ist eine Alternative noch nicht gänzlich im sozialwissenschaftlichen aber vor allem nicht im politischen Diskurs angekommen (siehe auch „Integration – ein Paradigma ohne Alternative“ in Filsinger 2014). Kritisch auch Hamburger (2009) und Terkessidis (2010), mit dem Appell, sich gänzlich vom Integrationsbegriff zu verabschieden. Insbesondere Konzepte der „Vergesellschaftung“ (Geisen 2010), Konzepte der Vielfalt bzw. diversity (Prengel 1993, Mecheril 2006) und das Konzept der „Inklusion und Exklusion“ (Alicke 2013, Kronauer 2013) scheinen anschlussfähig zu sein. Berechtigte Hauptkritik am bestehenden Integrationsbegriff sind die impliziten normativen Erwartungen vonseiten der Aufnahmegesellschaft an die „Eingliederung“ der Migrant_innen, während Teilhabechancen der Gesellschaft, Exklusionsmechanismen sowie Rassismus und Diskriminierungen nicht thematisiert würden. In diesem eng verstandenen Integrationsbegriff geht es demnach um die Eingliederung in ein fest bestehendes Ganzes. Zu Recht wird das Containermodell angeblich unveränderlicher Kulturen kritisiert, während fluide, dynamische Vorstellungen von modernen Gesellschaften in einem so verstandenen Integrationskonzept unberücksichtigt bleiben. Demgegenüber wird im Konzept der Vergesellschaftung das Konzept der stufenweisen Integration (wie beispielsweise von Esser vertreten, vgl. Esser 2001a und 2001b) vermieden. Vielmehr werden Migrant_innen als aktive und handelnde Subjekte verstanden, ohne allerdings Diskriminierungspraxen
100 4 Zentrale theoretische Bezüge zu missachten. In diese Richtung schließt auch das Konzept der Inklusion und Exklusion93 an, in dem die Teilhabe an politischer Repräsentation, Bildung, sozialen Sicherungssystemen, am Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie sozialen und kulturellen Partizipationschancen im Vordergrund steht. Einen konstruktiven Umgang mit Differenz (Prengel 1993) sowie die verschiedenen Differenzlinien werden im Diversity-Ansatz berücksichtigt. Die unbestrittene Stärke des Diversity-Ansatzes liegt in der Berücksichtigung vielfältiger Differenzlinien wie Herkunft, Gender, Alter, sexuelle Orientierung, Religion oder soziale Klasse. Die Überlagerungen und wechselseitige Beeinflussung finden in diesem Konzept Berücksichtigung und werden in der Intersektionalitätsforschung weiter aufgegriffen. Im Kontext der Migration werden in erster Linie Konzepte der Integration – Desintegration und der Inklusion – Exklusion diskutiert, weshalb diese hier vorgestellt werden: Integration Der Begriff „Integration“ ist eng mit dem Migrationsdiskurs verwoben und noch nicht „am Ende“ (Treibel 2014: 634), wie Treibel in ihrem Aufsatz „Ein Begriff am Ende? Was man gewinnt und was man verliert, wenn man aufhört von Integration zu sprechen“ thematisiert. Durch die Etablierung des Begriffes in der politischen Öffentlichkeit durch Gesetzgebungen wie das 2005 in Kraft getretene „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern“ sowie Mitte der 2000er-Jahre entwickelte Formate wie der Integrationsgipfel, der Nationale Integrationsplan und diverse Integrationsprogramme scheint der Begriff „Integration“ fest im öffentlichen Diskurs verankert zu sein und hat sich allen neuen Konzepten zum Trotz durchgesetzt und parallel zur sozialwissenschaftlichen Etablierung neuer Konzepte inhaltlich weiterentwickelt. Lagen die Ursprünge des von der sozialwissenschaftlichen Migrationsforschung eingeführten Integrationsbegriffes in engem Zusammenhang mit dem Begriff der Assimilation sowie Integrationsproblemen der Migrant_innen, so veränderte sich diese Sichtweise sukzessive. In Deutschland haben sich in erster Linie die Integrationskonzepte von Hartmut Esser (1980, 2001a, 2001b, 2004) durchgesetzt sowie die Konzepte von HansJoachim Hoffmann-Nowotny (2000) und von Friedrich Heckmann (1992). Damals wie heute geht es in allen Konzepten (unabhängig von normativen Erwartungen an Migrant_innen) in erster Linie um die Stellung der Migrant_innen und den Zugang zu gesellschaftlichen Gütern. Unbestritten ist auch die von Esser entwi- 93 Luhmann (1997) schlägt ebenfalls vor, das Begriffspaar Inklusion und Exklusion zu operieren, um den Einbezug bzw. Nichteinbezug in ein System zu erörtern.
4.3 Inklusion in die Aufnahmegesellschaft 101 ckelte Aufteilung in strukturelle, kulturelle, soziale und identifikatorische Integration (siehe ausführlich Kapitel 4.31). Kein Konsens herrscht dagegen in der Frage, welche dieser vier Dimensionen von herausragender Bedeutung ist und ob die Dimensionen als sequentielle Abfolge zu betrachten sind oder nicht94. Betrachtet man die Weiterentwicklung des Integrationskonzeptes (vgl. auch zusammenfassend Heckmann 2013), so muss konstatiert werden, dass es (schon lange) nicht mehr um eine einseitige Anpassung der Migrant_innen an die Aufnahmegesellschaft geht, sondern vielmehr gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die interkulturelle Öffnung von Institutionen und Organisationen und insbesondere Formen der sozialen Ungleichheit in den allermeisten Konzepten im Mittelpunkt stehen. Integration wird nicht als „Einbahnstraße“ verstanden, sondern als dauerhafter Prozess des Aushandelns, in dem soziale Ungleichheitsstrukturen zwingend berücksichtigt werden. Kritik richtet sich nach Filsinger (2014: 181) an Integrationskonzepte, die sich einseitig an Migrant_innen ausrichten und gleichzeitig die Aufnahmegesellschaft unbeteiligt lassen, einen „ethnozentristische(n) Bedeutungsgehalt des Integrationsbegriffes“ (ebd.: 181) leben sowie das Thema auf kulturelle Differenzen reduzieren anstatt soziale Ungleichheit immer mitzudiskutieren. Filsinger versteht unter Integration „die gleichberechtigte Teilhabe (Zugangsberechtigung) an den ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Ressourcen der Gesellschaft“ (Filsinger 2008: 8). Gleichwohl ist der Begriff „Integration“ mit seinen unterschiedlich ausgerichteten Inhalten schwer zu fassen zwischen einer erweiterten sozialwissenschaftlichen und migrationssoziologischen Ausrichtung einerseits und einem im öffentlichen Diskurs teilweise verwendeten neo-assimilatorischen Fokus andererseits. Das Inklusionskonzept wird deshalb auch als willkommene Chance gesehen, das „Unbehagen“ (Schröer 2015: 2) zu ersetzen, das in der Profession der interkulturellen Arbeit schon länger besteht und das sich in Forderungen nach Inklusion statt Integration ausdrückt. Außer einem Austausch von Begriffen, unterscheidet sich das Inklusionskonzept aber bezüglich normativer Prämissen und unterschiedlicher Haltungen grundlegend vom Integrationskonzept (Schröer 2015: 4). Inklusion Weniger lang im sozialwissenschaftlichen Diskurs verankert ist der Begriff der Inklusion, jedoch spätestens mit der 2006 von den Vereinten Nationen (UN) beschlossenen „Conventions on the Rights of Persons with Disabilities – CRPD“ (UN-Behindertenrechtskonvention) und der 2009 eingetretenen Rechtsverbind- 94 Die von Esser favorisierte sequenzielle Abfolge der Kulturation, Platzierung, Interaktion und Identifikation kann in dieser Studie inhaltlich nicht bejaht werden. Siehe Kapitel 7.3.
102 4 Zentrale theoretische Bezüge lichkeit für Deutschland, ist das Konzept der Inklusion/Exklusion auf der politischen Agenda. Inklusion im Sinne dieser Konvention bedeutet ein Menschenrecht auf „eine volle gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung“ (Spatscheck und Thiessen 2017: 12). In der Praxis wird Inklusion hauptsächlich in Bezug auf die Behindertenhilfe, die Sozialpsychiatrie sowie auf das Setting der Schule diskutiert (Spatschek und Thiessen 2017: 12). Nur in wenigen Kontexten wird Inklusion erweitert gedacht, kritisiert Köttig und fordert, Inklusion bezüglich aller möglichen Differenzkategorien anzuwenden. Sie versteht unter einem erweiterten Inklusionsbegriff „die Barrierefreiheit für alle Menschen zu allen gesellschaftlichen Bereichen“ (Köttig 2017: 31). Im Folgenden soll Inklusion definiert werden als ein „Zustand der selbstverständlichen Zugehörigkeit aller Menschen zur Gesellschaft. Damit verbunden ist die Möglichkeit aller zur uneingeschränkten Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft“ (Bildungsserver: URL). Parallelen zum Inklusionskonzept bestehen in Konzepten der interkulturellen Öffnung, Gender Mainstreaming und Diversity Management. Demnach handelt es sich nach Schröer bei der Inklusion auch weder um einen „Paradigmenwechsel“ (Schröer 2015: 7) noch um eine „Zauberformel“ (ebd.:1). In den Konzepten der Inklusion und Integration gibt es Überschneidungen, aber auch grundlegende Unterschiede. Beiden Ansätzen gemeinsam ist die Frage nach der Position von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in der Verteilungsstruktur und ihren „Zugängen zu den Funktionssystemen der Gesellschaft wie Einkommen, Bildung, Wohnen, Gesundheit, Recht“ (Schröer 2015: 4). Die Konzepte von Inklusion und Integration unterscheiden sich aber in folgenden zentralen Punkten:  Integrationskonzepte (wie auch Assimilationskonzepte) setzen einen „Referenzrahmen“ (Köttig 2017: 33) voraus. Dies kann der Nationalstaat sein, aber auch kleinere Einheiten wie Organisationen und Institutionen, die jeweils ihre „Zugehörigkeitsmodalitäten“ (ebd.) festlegen. Entlang dieser Regelungen werden Integrationsanforderungen erhoben und auch überprüft. Integrationskonzepte gehen dabei von Normalitätsvorstellungen aus, in die integriert werden soll. Inklusion stellt dagegen die „Normalitätsvorstellungen im Hinblick auf die soziale Bezugseinheit an sich in Frage bzw. löst sie auf“ (ebd.: 34), so Köttig. Vielmehr geht Inklusion von einer Normalität der Unterschiedlichkeit aus, was in der Konsequenz bedeutet, dass eine „gesellschaftliche Zugehörigkeit von Anfang an“ (Schröer 2015: 3) besteht. Dies beinhaltet auch, dass Unterschiedlichkeit nicht bewertet wird anhand eines „Zwei-WeltenBildes“ (Sulzer 2013: 15), das in Normalität und Abweichung unterteilt.
4.3 Inklusion in die Aufnahmegesellschaft   95 103 Stattdessen leben in einer „Grundgesamtheit“ (Köttig 2017: 34) Menschen unterschiedlicher Herkunft (wie auch unterschiedlicher sexueller Orientierung, unterschiedlicher Milieus, unterschiedlicher körperlicher Verfasstheit usw.), es ist aber nicht die Aufgabe jedes Einzelnen, sich in ein bestehendes Ganzes zu integrieren, sondern diese Menschen sind bereits Teil der Gesellschaft. Mit dem Konzept der Inklusion verändert sich die Zuständigkeit der handelnden Subjekte. Während der ursprüngliche Integrationsbegriff/Assimilationsbegriff von einer einseitigen Anpassungsleistung der Menschen mit Migrationshintergrund ausgeht, beinhaltet der erweiterte Integrationsbegriff beidseitige Bemühungen der Aufnahmegesellschaft wie der Zuwander_innen („Integration ist keine Einbahnstraße“), wohingegen das Konzept der Inklusion den Fokus stark auf Inklusionsvermittlung und Exklusionsvermeidung vonseiten des Staates und der Organisationen legt. Müller sieht einen großen Gewinn in der Inklusionsdebatte darin, dass die Individuen dadurch von einem „Veränderungsdruck“ (Müller 2017: 52) befreit werden. Nicht sie selbst müssen sich verändern und anpassen, um Leistungen empfangen zu können, sondern die Organisationen95 müssen sich verändern, damit niemand exkludiert wird. Damit geht eine „Entlastung des Individuums von etwaigen Integrationsleistungen“ (ebd.: 43) einher, während im Konzept der Integration eine eventuelle Nichtintegration als „subjektives Versagen“ (Schröer 2015: 2) der Eingewanderten gewertet wird. Inklusion ist ein Gesellschaftsmodell, dessen Realisierung in der Praxis bislang nicht oder nur unzureichend umgesetzt wurde. Laut Brumlik verfolgt Inklusion „immer auch den Anspruch, Wege in eine zukünftige Gesellschaft zu führen, die ihrerseits ein Mehr an Teilhabe und Gerechtigkeit realisiert und dabei illegitime Barrieren erkennt und diese abbaut“ (Brumlik 2017: 25). Balz et al. bezeichnen Inklusion als „Vision zur Teilhabe aller an der Gemeinschaft“ (Balz et al. 2012: 2), wonach der Inklusionsbegriff „Prozess und Ziel gleichermaßen“ (ebd.) sei. Schröer versteht Inklusion als eine „neue Haltung (…), die alle Formen von Benachteiligung aufgreift, die alle Aspekte von Diversität umfasst, die Vielfalt als Normalität begreift, der es um Strukturen von Organisationen und deren Zugangsbarrieren geht und die letztlich einen tief greifenden gesellschaftlichen Wandel anstrebt“ (Schröer 2015: 3f). Schröer sieht in der Umsetzung des Inklusionskonzeptes in erster Linie die Organisationen in der Pflicht. Analog zur interkulturellen Öffnung müssen vor allem Strukturen verändert werden, so seine Forderung (Schröer 2015: 4).
104 4 Zentrale theoretische Bezüge Integration ist demnach nicht mit Inklusion gleichzusetzen und Desintegration nicht mit Exklusion. Gleichwohl gibt es inhaltliche Überschneidungen bzw. nach Müller bestehen auch Interdependenzen (vgl. Müller 2017: 43ff). In der vorliegenden Arbeit wird in Bezug auf Essers Theorie der von ihm bevorzugte Begriff der Sozialintegration bzw. der sozialen Integration, ansonsten der Begriff „Inklusion“ verwendet. 4.3.1 Darstellung der Theorie Im Folgenden soll auf das für die Migrationssoziologie prägende Konzept der sozialen Integration von Hartmut Esser eingegangen werden. Unter Integration versteht Esser „den Zusammenhalt von Teilen in einem systemischen Ganzen, wobei die Teile ein integraler Bestandteil des Ganzen sind“ (Mammey 2005: 40). Davon leitet Esser die System- und die Sozialintegration ab. Während sich die Systemintegration auf den Zusammenhalt des Systems als Ganzes bezieht, geht es in der Sozialintegration um den individuellen Einbezug in die Gesellschaft, was für die vorliegende Studie von größerer Bedeutung ist. Bei der Sozialintegration unterscheidet Esser die vier Dimensionen Kulturation, Platzierung, Interaktion und Identifikation: Unter Kulturation wird der Erwerb von Wissen, Kompetenzen und insbesondere sprachlichen Fertigkeiten verstanden, die Platzierung als die Übernahme von Positionen und die Verleihung von Rechten, die Interaktion als Aufnahme sozialer Beziehungen im alltäglichen Bereich und die Identifikation als die emotionale Zuwendung zum sozialen System (Esser 2001a: 8f). Den Zusammenhang aller vier Dimensionen beschreibt Esser folgendermaßen: „Die Plazierung96 [sic!] setzt eine gewisse Kulturation voraus, erst bei einer bestimmten Kulturation wird eine Plazierung [sic!] möglich und erst darüber werden Interaktion und Identifikation in einem bestimmten sozialen System möglich“ (Esser 2001b: 1). Sozialintegration ist in vier unterschiedlichen Fällen möglich: Zum Ersten im Bereich der Mehrfachintegration sowohl in die Herkunftsgesellschaft wie auch in die Aufnahmegesellschaft. Diesen Fall räumt Esser allerdings nur einer kleinen privilegierten und intellektuellen Gruppierung ein. Zum Zweiten die Marginalität, mit der weder ein Einbinden in die Herkunfts- noch in die Aufnahmegesellschaft verbunden ist. Als dritten Fall die Segmentation, die mit einer Einbindung in die Gesellschaft des Herkunftslandes oder in eine eigenethnische Vereinigung im Aufnahmeland einhergeht. Im vierten Fall, dem Einbezug in die Aufnahme- 96 In älteren Schriften wird gemäß der alten Rechtschreibung der Begriff der „Plazierung“, in der aktuelleren Sekundärliteratur der Begriff der „Platzierung“ verwendet.
4.3 Inklusion in die Aufnahmegesellschaft 105 gesellschaft, benutzt Esser den sehr kontrovers diskutierten Begriff „Assimilation“, den er wiederum in vier Dimensionen unterteilt: Die kulturelle Assimilation findet hauptsächlich über die Sprache des Aufnahmelandes statt, die strukturelle Assimilation über den Zugang zu Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, über den Zugang zu Wohnraum und zu Rechten, die soziale Assimilation über interethnische Freund- und Partnerschaften und dem Eingebettet-Sein in interethnischen Vereinen und die emotionale Assimilation über die Identifikation mit dem Aufnahmeland und Gefühlen der Zugehörigkeit. Unter Assimilation versteht Esser das „Verschwinden der systematischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen unter Beibehaltung aller individuellen Ungleichheiten“ (Esser 2001b: 2). 4.3.2 Grenzen der Theorie für die Studie Ein großes Verdienst stellt dieses Konzept unbestritten durch seine Unterscheidung in System- und Sozialintegration dar. Aufschlussreich ist des Weiteren auch die Differenzierung des umgangssprachlich inflationär verwendeten und wenig reflektierten Begriffs der Integration in die vier Integrationsdimensionen „kulturelle Integration“, „soziale Integration“, „strukturelle Integration“ und „identifikatorische Integration“. Kritisch betrachten kann man Essers Fokus auf die Assimilation. Im aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskurs wird stattdessen der Mehrfachintegration den Vorzug gegeben, also der Entwicklung einer hybriden Identität mit unterschiedlichen kulturellen Bezügen. Zieht man eine Parallele zwischen Essers vier Formen der Sozialintegration und den Sinus-Migranten-Milieus 2016 (vhw 2016), so zeigen sich alle theoretischen Formen auch in der empirischen Erhebung. Die Marginalität findet sich in den von Sinus Sociovision erfassten prekären Milieus („prekäres Milieu“ und „Konsum-Hedonisten“), die Segmentation tendenziell in den traditionellen Milieus („Traditionell-verwurzeltes Milieu“ und „Traditionelles Arbeitermilieu“), die Assimilation in den bürgerlichen Milieus („Bürgerliche Mitte“) sowie die Mehrfachintegration in den postmodernen Milieus. Allerdings ist die Mehrfachintegration nicht nur einer kleinen Elite vorbehalten, wie Esser vermutet. Laut Sinus-Milieu-Studie vertreten sowohl das „intellektuell-kosmopolitische Milieu“, das „Milieu der Performer“, das „adaptiv-pragmatische Milieu“ sowie das „experimentalistische Milieu“ eine multikulturelle Identifikation sowie postmoderne Werte (vhw 2016). Ohne auf die Kritikpunkte zahlreicher Autor_innen bezüglich der Verwendung der Begrifflichkeiten „Assimilation“ und „Integration“ einzugehen, bietet das Konzept von Hartmut Esser weitere Angriffspunkte. Kritisch ist zum einen der sequenzielle Ablauf einer „gelungenen“ Integration zu betrachten. Esser vertritt
106 4 Zentrale theoretische Bezüge hier einen sehr statischen Integrationsverlauf, der mit der Lebenswirklichkeit vieler Migrant_innen nicht übereinstimmt, wie auch in der hier vorliegenden Untersuchung belegt und in Kapitel 7.3 genauer vorgestellt wird. Um das Modell auch auf andere Migrant_innen übertragen zu können, wurde hier der Versuch gemacht, Essers Modell als Prozess zu verstehen. Zudem bietet das Konzept nicht ausreichend praxisorientierte Anknüpfungspunkte. Das bedeutet, es wird nicht beantwortet, welche Unterstützungsleistungen von der Aufnahmegesellschaft oder welche Eigenleistungen erfolgen müssen, damit dieser Integrationsverlauf erfolgreich gemeistert werden kann. Hier fehlen sozialpolitische Handlungsempfehlungen ebenso wie Ansätze, die sich auf das Individuum beziehen. Abschließend soll der Versuch unternommen werden, die drei oben beschriebenen Konzepte für die vorliegende Studie zusammenzuführen. 4.4 Fazit oder der Versuch einer Verknüpfung von Anerkennung, Lebensbewältigung und Inklusion 4.4 Fazit Bereits 2002 hat Hans-Joachim Jungblut versucht, das Konzept „Kampf um Anerkennung“ von Axel Honneth mit dem Konzept „Lebensbewältigung“ von Lothar Böhnisch zu verbinden. Jungblut begreift die beiden Konzepte „als einander ergänzende Modelle, mit deren Hilfe Sozialintegration als konstitutiv zur Legitimation sozialpädagogischen Handelns in der Moderne begriffen werden kann“ (Jungblut 2002: 79). Beiden Konzepten gemein sei die „Zerbrechlichkeit biografischer Konstruktionen“ (ebd.: 80), aus denen sich Bewältigungshandeln und Anerkennungskämpfe ableiten lassen. Das Individuum sei dabei gezwungen, mit den vorhandenen biografisch erworbenen Mitteln gesellschaftliche Anforderungen zu erfüllen: „Das Ungleichgewicht von Handlungskompetenzen und Handlungsanforderungen kann dann zu äußerst vielschichtigen Konstellationen von Stressformen und Belastungssituationen führen“ (ebd.: 80f). Über den Begriff der Sozialintegration sei die Verknüpfung beider Konzepte zu bewerkstelligen. Während das Konzept „Kampf um Anerkennung“ stärker an Rahmenbedingungen anknüpft, die erfüllt sein müssen, damit ein Mensch gesellschaftlich partizipieren kann, setzt das Konzept der Lebensbewältigung stärker auf der Mikroebene an und thematisiert die Wiederherstellung von Handlungsfähigkeit, die entweder sozialintegrativ oder auch desintegrativ gelöst wird. In beiden Konzepten wird der „Prozess der Sozialintegration auch in krisenhaften Situationen“ (Jungblut 2002: 85) weitergeführt.
4.4 Fazit 107 Der Versuch, die beiden Konzepte von Honneth und Böhnisch miteinander zu verbinden, ist also nicht neu. Ergänzt werden soll dieses mit dem Konzept „Sozialintegration“ von Hartmut Esser. In den Konzepten „Kampf um Anerkennung“ und „Lebensbewältigung“ gibt es zentrale Begriffe, die in beiden Konzepten eine Schlüsselrolle spielen. Am augenfälligsten ist neben dem von Jungblut (2002) thematisierten Begriff der Sozialintegration der Begriff der Anerkennung. Während für Honneth nur durch Anerkennung (durch Liebe, Recht und Solidarität/Leistung) die Entwicklung zu einem stabilen Selbst möglich ist, ist für Böhnisch durch die Ermöglichung von Anerkennung (neben Ausdruck, (Un-)Abhängigkeit und Aneignung) eine erweiterte Bewältigung möglich. Anerkennung ist für Böhnisch dabei das zentrale Element, für ihn ist es die Dimension, die alle anderen Dimensionen durchzieht (Böhnisch 2016: 98). Einen Ausweg aus der verwehrten Anerkennung findet nach Honneth durch die Anerkennungsformen der Liebe, des Rechts und der Solidarität statt, während für Böhnisch der Ausweg aus der kritischen Lebenssituation im Spannungsfeld von Lebenslage, personalem Bewältigungsverhalten und der Bewältigungslage stattfinden kann. Dabei betonen beide Autoren sowohl die Bedeutung der sozialpolitischen Rahmung als auch die personale Ebene. Anschluss an das Integrationskonzept von Esser bietet insbesondere die erweiterte Bewältigung bei Böhnisch. Auch wenn diese Bewältigungsform von Böhnisch nur wenig detailliert beschrieben wird, beinhaltet sie die Möglichkeit, neue Kompetenzen zu erlernen und soziale Beziehungen einzugehen (vgl. Böhnisch 2017: 35f). So ist eine Sozialintegration97 (von Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund) in den von Esser beschriebenen Dimensionen soziale Integration und identifikatorische/emotionale Integration ohne die Überwindung einer kritischen Lebenskonstellation in Form einer erweiterten Bewältigung nicht möglich. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die drei Bezugstheorien von Axel Honneth, Lothar Böhnisch und Hartmut Esser grafisch miteinander in Beziehung zu setzen, wissend um die Gefahr der Reduktion dieser drei komplexen Theorien. 97 Sozialintegration in diesem Sinne wird verstanden als soziale Inklusion in die Mehrheitsgesellschaft und nicht als Integration in eine Subkultur im Rahmen einer regressiven Bewältigung.
108 4 Zentrale theoretische Bezüge Abbildung 18: Quelle: Anerkennung, Lebensbewältigung und soziale Inklusion Eigene Darstellung auf Grundlage von Honneth [1992] 2016; Böhnisch [1985] 2016 und Esser 2001 Ausgangspunkt dieses Modells ist eine kritische Lebenskonstellation bzw. NichtAnerkennung, was zu einer Verletzlichkeit und Hilflosigkeit des Individuums führt. Durch entsprechende sozialpolitische Rahmung (Ermöglichung von Teilhabe am Bildungssystem, Arbeitsmarkt, Gesundheitssystem…) kann die Vulnerabilität (Heinze 2016; Heinze 2017)98 beseitigt oder zumindest gemildert werden. Bleibt dies aus oder ist das personale Bewältigungsverhalten nicht ausreichend, wird die subjektive Handlungsfähigkeit beschränkt. Das Streben nach subjektiver Handlungsfähigkeit wird entweder durch regressive (Abspaltung), einfache oder erweiterte Bewältigung gelöst. Die Form der Bewältigung wird insbesondere durch die Verwehrung oder Ermöglichung von Ausdruck, Anerkennung, (Un-) Abhängigkeit und Aneignung beeinflusst. Allerdings ist nur durch eine erweiterte Bewältigung und durch die Erfahrung von Anerkennung ein stabiles Selbst möglich, was Grundvoraussetzung für die Sozialintegration ist. Ansatzpunkt für das bürgerschaftliche Engagement in diesem Modell ist die Ermöglichung von Ausdruck, Anerkennung, Autonomie und Aneignung. Dabei ist diese Andockstelle entscheidend für den weiteren Verlauf in Richtung regres- 98 Der Begriff der Vulnerabilität wird in Kapitel 7.1 ausführlich vorgestellt.
4.4 Fazit 109 sive, einfache oder erweiterte Bewältigung und damit entscheidend für eine gelungene Sozialintegration bzw. eine Desintegration. Daraus lassen sich Handlungsempfehlungen erstens für das Individuum ableiten (Welche Bedürfnisse ergeben sich aus dem Wunsch nach Ausdruck, Anerkennung, Autonomie und Aneignung? Vgl. Kapitel 8.2.3), zweitens für die Institutionen (inwiefern können diese Bedürfnisse im bürgerschaftlichen Engagement befriedigt werden? Vgl. Kapitel 8.2.2) und zum Dritten lassen sich an dieser sensiblen Gabelung zwischen Integration und Desintegration sozialpolitische Forderungen zur Engagementförderung ableiten (Vgl. Kapitel 8.2.1). Mit dem kombinierten Modell Honneth-Böhnisch-Esser wird hier der theoretische Versuch unternommen, die Schnittmenge der drei Konzepte miteinander zu verbinden. Das Modell eignet sich dabei nicht, das Engagement aller Engagierten zu erklären. Als theoretischer Bezugsrahmen für Menschen in kritischen Lebenssituationen ist es aber ein fruchtbares Modell, das sowohl theoretische Konzepte als auch praktische Handlungsansätze mit einbezieht.
5 Empirische Untersuchung 5 Empirische Untersuchung 5.1 Das Forschungsprojekt und theoretische Erwartungen 5.1 Das Forschungsprojekt und theoretische Erwartungen Was motiviert Frauen mit Zuwanderungsgeschichte, sich in einem aufnahmelandbezogenen Verein zu engagieren? Diese Forschungsfrage (FF) soll anhand der vorliegenden Studie beantwortet werden. Weitere Fragen bezüglich des Zugangs zum freiwilligen Engagement, Barrieren und Türöffner sowie zum Veränderungspotenzial von freiwilligem Engagement schließen sich an: Leitfrage: FF 01 Was motiviert Frauen mit Zuwanderungsgeschichte, sich in einem aufnahmelandbezogenen Verein zu engagieren? Weitergehende Forschungsfragen: FF 02 FF 03 FF 04 FF 05 FF 06 FF 07 FF 08 FF 09 FF 10 FF 11 Inwiefern sind Engagementmotive von der Zuwanderungsgeschichte beeinflusst? Inwiefern sind Engagementmotive von Faktoren der sozialen Ungleichheit beeinflusst? Welche sozioökonomischen Faktoren beeinflussen die Engagementmotive? Inwiefern sind Engagementmotive von erlebten oder subjektiv empfundenen Vorurteilen und Diskriminierungen beeinflusst? Welche Rolle spielt die Monetarisierung im bürgerschaftlichen Engagement? Welche Rolle spielen berufliche Partizipationsmöglichkeiten im bürgerschaftlichen Engagement? Was sind wichtige Zugangswege zum bürgerschaftlichen Engagement? Was sind engagementfördernde Faktoren für Frauen mit Zuwanderungsgeschichte? Was sind engagementbremsende Faktoren für Frauen mit Zuwanderungsgeschichte? Inwiefern trägt bürgerschaftliches Engagement zu einer persönlichen Veränderung bei? Die Beantwortung dieser Fragen99 soll mit folgender Methode erfolgen: Die Datengrundlage bilden 28 narrativ-leitfadengestützte qualitative Interviews mit Frauen mit Zuwanderungsgeschichte, die sich in Mütter- und Familienzentren und Mehrgenerationenhäusern in Baden-Württemberg freiwillig engagieren. Die Interviews wurden mithilfe des Softwareprogramms „f4 transkript“ transkribiert. Die qualitative 99 In Kapitel 6.61 werden die Forschungsfragen beantwortet. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A.-K. Schührer, Migration und Engagement, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25096-6_5
112 5 Empirische Untersuchung Inhaltsanalyse mit Kategorienbildung nach Kuckartz (2014) erfolgte mit dem Softwareprogramm „MAXQDA“. Zusätzlich wurden Typen nach Kelle und Kluge (2010) gebildet sowie Case Summerys erstellt. Dabei knüpft die Inhaltsanalyse an folgenden Sachverhalt an (Mayntz, zit. in Lamnek und Krell 2016: 447): „In dem, was Menschen sprechen und schreiben, drücken sich ihre Absichten, Einstellungen, Situationsdeutungen, ihr Wissen und ihre stillschweigenden Annahmen über die Umwelt aus. Diese Absichten, Einstellungen usw. sind dabei mitbestimmt durch das soziokulturelle System, dem die Sprecher und Schreiber angehören und spiegeln deshalb nicht nur Persönlichkeitsmerkmale der Autoren, sondern auch Merkmale der sie umgebenden Gesellschaft wider- institutionalisierte Werte, Normen, sozial vermittelte Situationsdefinitionen usw. Die Analyse von sprachlichem Material erlaubt aus diesem Grund, Rückschlüsse auf die betreffenden individuellen und gesellschaftlichen, nicht-sprachlichen Phänomene zu ziehen“. Die 28 Interviewpartnerinnen gelten dabei als Expertinnen ihres Lebensumfeldes, die mit ihrem Verständnis und Wissen jeweils ein Bruchstück dazu beitragen, einen Gesamteindruck zu bilden. Dabei sollen mit folgenden Methoden folgende Forschungsfragen beantwortet werden: Kategorienbildung zu den Engagementmotiven Typenbildung zu den Engagementmotiven Kategorienbildung Engagementhürden Kategorienbildung Türöffner Kategorienbildung Zugang Kategorienbildung Veränderungspotenzial FF01, FF02, FF03, FF05, FF06, FF07 FF02, FF03, FF04, FF05, FF06, FF07 FF10 FF09 FF08 FF11 Der erhoffte Erkenntnisgewinn bezieht sich analog der Forschungsfragen auf folgende Themengebiete des freiwilligen Engagements von Frauen mit Zuwanderungsgeschichte:      Motive für die Aufnahme eines Engagements, Zugangswege ins Engagement, förderliche Faktoren bei der Aufnahme eines Engagements, hinderliche Faktoren bei der Aufnahme eines Engagements, subjektive Einschätzung persönlicher Kompetenzentwicklung durch das freiwillige Engagement.
5.1 Das Forschungsprojekt und theoretische Erwartungen 113 Folgende theoretischen Grundüberlegungen wurden zu Beginn der empirischen Forschung gestellt, wohl wissend, dass eine Quantifizierung in dieser Studie nicht möglich ist:   Grundüberlegungen bezüglich der Engagementmotive: In allen Gruppierungen hat der Faktor „Spaß“ und „Menschen kennenlernen/ Kontakte“ einen hohen Stellenwert. Motive wie „rauskommen“, „persönliche Zufriedenheit“ und „Kontakte zu anderen Menschen“ haben insbesondere für Frauen einen hohen Stellenwert, deren soziale und finanzielle Situation gesichert ist. „Anerkennung“, „Mitbestimmen“ und „Selbstwirksamkeit erleben“ sind insbesondere dann wichtige Engagementgründe, wenn dies in Beruf und/oder sozialem Umfeld ausbleibt. Das Motiv „Qualifikationen erwerben“ spielt vor allem für Frauen mit Migrationshintergrund eine Rolle, die eine gute Schulbildung, aber als Bildungsausländer_innen keine Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikationen besitzen. Das Motiv „Kompensation“ ist in Bezug auf die Familie für alle Engagierten unabhängig vom Bildungsstand von Belang. In Bezug auf einen Arbeitsersatz ist dieses Motiv hauptsächlich für Frauen mit niedrigem Bildungsstand wichtig. Das Motiv „eigene Erfahrungen weitergeben“ ist besonders wichtig für Frauen mit Migrationshintergrund, die von Diskriminierungen betroffen sind. Der Wunsch „dazugehören“ ist hauptsächlich für Frauen mit Migrationshintergrund ein Motiv, die selbst zugewandert sind und besonders stark von Exklusion betroffen sind. Einen Beitrag gegen Vorurteile und Diskriminierungen zu leisten, ist ein Engagementmotiv, das insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund und hoher Bildung besonders wichtig ist. Ein Honorar in Form von Vergünstigungen oder im Rahmen der Übungsleiterpauschale ist besonders wichtig für Frauen mit niedrigem sozioökonomischem Status. Altruistische Motive haben insbesondere Frauen mit einem hohen sozioökonomischen Status. Sprache und „Kontakt zu Deutschen“ ist ein Engagementgrund für alle selbst migrierten Frauen. Grundüberlegungen bezüglich des Zugangs zum freiwilligen Engagement: Frauen mit Zuwanderungsgeschichte gelangen häufiger über eine direkte Ansprache zum Engagement und seltener durch eigene Initiative.
114    5 Empirische Untersuchung Selten findet der Zugang über Öffentlichkeitsarbeit oder über Ehrenamtsbörsen statt. Eine bewusste Suche nach einem Engagementort oder Engagementfeld findet vor allem bei Frauen mit einem hohen sozioökonomischen Status statt. Aktivität stellt eine wichtige Stufe im Zugang zum Engagement dar. Ein Großteil der engagierten Frauen kommt über die Nutzung der Angebote zum Engagement. Grundüberlegungen bezüglich der engagementhemmenden Faktoren: Fehlendes Wissen über Angebote und Strukturen sind zentrale engagementhemmende Faktoren. Fehlende finanzielle Ressourcen sind engagementhemmende Faktoren für Frauen mit niedrigem sozioökonomischen Status. Fehlende Unterstützung und/oder Vorbehalte vonseiten der Herkunftsfamilie oder der eigenethnischen Community behindern das Engagement. Nicht passgenaue Angebote im aufnahmelandbezogenen Verein behindern ein Engagement von Frauen mit Zuwanderungsgeschichte. Tatsächlich fehlende oder als ungenügend empfundene Sprachkompetenzen behindern ein Engagement. Tatsächliche oder subjektiv empfundene Diskriminierungen behindern ein Engagement. Eine fehlende interkulturelle Öffnung vonseiten des Vereins behindert ein Engagement. Das Gefühl, nicht zugehörig zu sein, behindert ein freiwilliges Engagement. Grundüberlegungen bezüglich der engagementfördernden Faktoren: Familiäre Vorbilder beeinflussen das Engagement positiv. Eine solidarische Grundhaltung trägt zum Zugang zum Engagement bei. Eine persönliche Ansprache durch Engagierte des Vereins ist förderlich für die Aufnahme eines freiwilligen Engagements. Eine anti-diskriminierende und interkulturell offene Atmosphäre erleichtert den Zugang zum Engagement. Ein geschützter Raum erleichtert den Zugang zum Engagement insbesondere für Frauen mit einem anderen Engagementverständnis. Grundüberlegungen bezüglich der persönlichen Kompetenzentwicklung Eine interkulturell offene und wertschätzende Atmosphäre trägt zur persönlichen Weiterentwicklung in Bezug auf Toleranz bei.
5.2 Der Untersuchungsort Mütter- und Familienzentren in Deutschland 115 Freiwilliges Engagement kann zur Entwicklung von Selbstbewusstsein beitragen, insbesondere für Engagierte mit niedriger Bildung und wenig beruflichen Partizipationsmöglichkeiten. Engagement kann zur Sensibilisierung für politische Prozesse und gesellschaftliche Verhältnisse beitragen. Die Beantwortung der im Vorfeld gestellten Überlegungen erfolgt in Kapitel 6. - 5.2 Der Untersuchungsort Mütter- und Familienzentren in Deutschland 5.2 Der Untersuchungsort Mütter- und Familienzentren in Deutschland 5.2.1 Die Mütterbewegung Innerhalb der neuen Frauenbewegung100 entstand in den 1980er Jahren die Mütterbewegung als eigenständige Bewegung. Einige Frauen fühlten sich als Mütter nicht repräsentiert in der Frauenbewegung und sahen sich im „Ghetto der Nichtmütter“ wie auch im „Aquarium der Karrierefrauen“ (Lenz 2010: 623). Tatsächlich setzte sich die neue Frauenbewegung aber von Anfang an mit Mutterschaft und dem Mutterbild in der Gesellschaft auseinander. Während die bürgerliche Frauenbewegung ab den 1860er-Jahren noch die „geistige Mütterlichkeit“ (Schrader-Breymann 1868) vertrat und sich für eine Öffnung der Mutterrolle hin zu gesellschaftlichen Aufgaben in der Sozialen Arbeit einsetzte, arbeitete die neue Frauenbewegung ab den 1970er Jahren an einer „Dekonstruktion des Muttermythos“ (Lenz 2010: 178). Dieser „nationale hegemoniale Muttermythos“ (ebd.: 177) beinhalte sowohl unterordnende als auch erhöhende Machtbeziehungen. Die biologische Mutterschaft, verbunden mit einer fürsorglichen und liebevoll sich kümmernden Mutterrolle auf der einen Seite und einem dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Mann in der Ernährerrolle auf der anderen Seite führe zu einer machtlosen Position der Frau in der Gesellschaft. Gleichzeitig führe dieses Modell der alleinigen Zuständigkeit in der Kernfamilie zu einer unangemessenen häuslichen Vormachtstellung der Mutter. Dabei hatten die Vertreterinnen der neuen Frauenbewegung nicht die Abschaffung des Mutterseins im Blick, es ging ihnen nicht um die Freiheit weg vom Kind, sondern um Selbstbestimmung für Frauen und Kinder. Zentrale Themen der neuen Frauenbewegung waren Selbstbestimmung in Bezug auf die Geburt und Stillen und gegen die Vormachtstellung der (meist männlichen) Ärzte (vgl. hierzu Lenz 2010: 185 ff) sowie die fehlende Kinderbetreuung und damit die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf. Trotz Erfolge der neuen Frauenbewegung seit den 1970er-Jahren wie verbesserte Berufs100 Ausführlich hierzu Lenz (2010).
116 5 Empirische Untersuchung und Ausbildungschancen für Frauen und der Zunahme des politischen Diskurses um Frauenpolitik in den Parteien formierte sich in den 1980er-Jahren eine eigenständige Mütterbewegung. Vertreterinnen der Frauenbewegung sowie die Partei der Grünen veranstalteten 1986 in Bonn den Mütterkongress mit 500 Teilnehmerinnen, bei dem das „Müttermanifest. Leben mit Kindern – Mütter werden laut“ (Erler 1987: 623 ff) verabschiedet wurde. Dieser Kongress sowie das Manifest führten zu einer großen bundesweiten Aufmerksamkeit mit Auswirkungen auf die Frauenpolitik sowie Verwerfungen innerhalb der Frauenbewegung, da das Müttermanifest eine Modernisierung der Mutterschaft auf Grundlage einer Geschlechterdifferenz anstrebte. Neben dem Einbezug von Männern, einer verbesserten öffentlichen Kinderbetreuung, Rentenansprüchen für Kindererziehung und einer Flexibilisierung in der Arbeitswelt war eine zentrale Forderung des Müttermanifests die Rückkehr der Mütter in die Öffentlichkeit. Gefordert wurde „die Schaffung einer mütter- und kinderfreundlichen Öffentlichkeit, einer öffentlichen Wohnstube, eines nachbarschaftlichen Kinderzimmers, einer Überwindung der engen Familiengrenzen“ (Erler 1987: 624). Verbunden mit dieser Forderung nach Öffentlichkeit werden im Müttermanifest explizit Nachbarschaftszentren und Mütterzentren genannt, in denen Berührungspunkte geschaffen werden sollen, „wo Mütter sich gegenseitig in der Vielfalt ihrer Lebensstile und Erfahrungen wahrnehmen, sich in ihren Fähigkeiten unterstützen“ (Erler 1987: 627). Die häusliche Isolation wurde bereits 1979 von den Wegbereiterinnen der Mütterzentrumsbewegung Monika Jaeckel und Greta Tüllmann als Kritikpunkt benannt, wonach es Müttern an „Nachbarschaftsbezügen, Kommunikations- und Kontaktzentren“ sowie an „Beteiligungsmöglichkeiten“ (Jäckel und Tüllmann 1979: 202) fehle. Dieser Kongress war maßgeblich für die weitere Entwicklung der Mütterzentrumsbewegung. 5.2.2 Die Mütterzentrumsbewegung Die Mütterzentrumsbewegung entstand ab 1985, also noch vor dem Mütterkongress 1986 und ging von den feministischen Soziologinnen Gisela Erler, Monika Jaeckel und Greta Tüllmann des Deutschen Jugendinstituts (DJI) in München hervor, die das Mütterzentrumskonzept gemeinsam mit aktiven Mütterzentrumsfrauen erarbeiteten. Vorausgegangen war die Gründung des ersten Mütterzentrums 1980 in Salzgitter-Bad durch Hildegard Schooß. Der Name Mütterzentrum wurde dabei bewusst gewählt, „um weibliche Kultur sichtbar zu machen und aufzuwerten“ (Schooß 1989: 637). Mit diesem differenzfeministischen Ansatz sollte auf die gesellschaftliche Bedeutung des Zusammenlebens mit Kindern hingewie-
5.2 Der Untersuchungsort Mütter- und Familienzentren in Deutschland 117 sen werden. Vorangegangen war ein Forschungsauftrag des Bundesfamilienministeriums an das Deutsche Jugendinstitut 1976 mit der Frage, warum Familienbildung und Elternberatung nur wenig von benachteiligten Familien in Anspruch genommen werde. Dazu wurden zwei Studien durchgeführt. Eine Expert_innenstudie untersuchte 144 Elternbildungsträger bezüglich Ansätzen, Erfolgen und Problemen (vgl. hierzu Heiliger u. a. 1981), eine weitere Studie befasste sich mit sozial benachteiligten Familien in München und deren Sichtweise zu Familienbildung (vgl. hierzu Wahl u. a. 1980). Zentrale Erkenntnisse der beiden Studien war, dass Familien eher den Austausch mit anderen Eltern suchen anstelle von professionellen Angeboten, dass insbesondere sozial benachteiligte Familien materielle Unterstützung und Alltagsentlastung suchen und weniger Beratung und dass der Zugang zu institutionellen Angeboten als hoch empfunden wird. Diese Erkenntnisse mündeten im Konzept der Mütterzentren. Das Bundesfamilienministerium setzte das Modellprojekt Mütterzentren um und förderte drei Jahre von 1981 bis 1984 drei Mütterzentren in Salzgitter, München-Neuaubing und Darmstadt. Das Deutsche Jugendinstitut war mit dem Aufbau und der wissenschaftlichen Begleitung beauftragt, außerdem unterstützte das Deutsche Jugendinstitut die Mütterzentrumsfrauen der drei Zentren darin, ein Buch über ihre Erfahrungen zu schreiben. Das Buch „Mütter im Zentrum – Mütterzentrum“ (Jaeckel, Schooß und Weskamp 1997) löste eine Selbsthilfebewegung aus und führte zur Gründung zahlreicher Mütterzentren zuerst in Deutschland und später weltweit. Mütterzentren sind damit Beispiel einer durch Forschung und Förderung angestoßenen Graswurzelbewegung. Vergleiche ergänzend hierzu Jaeckel 2009a und Jaeckel 2009b.
118 5 Empirische Untersuchung 5.2.3 Mütterzentren Abbildung 19: Verbreitung von Mütterzentren in Deutschland Quelle: Generali Engagementatlas 2015: 44 Rund 400 unabhängige Mütterzentren existieren aktuell in Deutschland, von denen sich zahlreiche zu Familienzentren und Mehrgenerationenhäuser weiterentwickelt haben. Diese sind seit 1985 im Bundesverband der Mütterzentren, Familienzentren und Mehrgenerationenhäuser zusammengeschlossen. Die rund 50 Zentren in Baden-Württemberg sind im Landesverband Mütterforum e.V. zusammengeschlossen. Zusätzlich gibt es Mütterzentren in weiteren 22 Ländern. Die Vernetzung erfolgt über den Dachverband Mother Centers International Network for Empowerment (MINE). Mütterzentren verstehen sich als offene Treffpunkte innerhalb eines Stadtviertels oder einer Kommune, in denen Familien ihren Alltag mit Kindern selbst organisiert leben. Ergänzend hierzu auch Hill, Kreling und Richter (2013: 47) sowie zur Geschichte der Mütterzentrumsbewegung Jaeckel, Schooß und Weskamp (1997). Dabei haben sich vier Merkmale als typisch für Mütterzentren entwickelt.
5.2 Der Untersuchungsort Mütter- und Familienzentren in Deutschland 1. 2. 3. 4. 119 Das Laien-mit-Laien-Prinzip: Frauen können sich mit ihren Kompetenzen unabhängig von formalen Bildungsabschlüssen einbringen101. Freie Angebote: Die Frauen bestimmen mit ihrem Tagesrhythmus die Angebote in den Zentren. Gleiches Honorar für alle: Verbindliche Arbeiten in den Zentren werden unabhängig von der Qualifikation in gleicher Höhe bezahlt. Kinder gehören dazu: „Kinder werden nicht einfach wegorganisiert“ (Schooß 1989: 639) ist eine Forderung der Gründungsfrauen. Kinder gehören in Mütterzentren dazu und Frauen haben die Möglichkeit, mit ihren Kindern in der Öffentlichkeit präsent zu sein und das öffentliche Leben mitzugestalten. Kernpunkte der Mütterzentren sind dabei die Ermöglichung von informellem Lernen. Die Niedrigschwelligkeit und Offenheit für Familien unterschiedlicher Milieus und Herkunft trägt zur Inklusion bei sowie zur Toleranzbildung. Außerdem wird das bürgerschaftliche Engagement durch den Grundsatz „Zusehen – Mitmachen – Selbermachen“ gewünscht und unterstützt (vgl. Eigendarstellung MINE o.J.). In den vier Jahrzehnten seit Gründung der ersten Mütterzentren ist die Bandbreite sowohl in der inhaltlichen Ausrichtung als auch in der Organisationsstruktur groß geworden. Neben kleinen, ehrenamtlich betriebenen Zentren gibt es Familienzentren mit einem Mix aus Haupt- und Ehrenamt. Einige Zentren haben sich auch zu interkulturell ausgerichteten und generationenübergreifenden Mehrgenerationenhäusern weiterentwickelt, die vom Bund unterstützt werden und über große finanzielle und personelle Ressourcen verfügen. Inhaltlich stehen Angebote mit folgenden Schwerpunkten im Mittelpunkt:        Ausbildung und Qualifikation Vereinbarkeit von Familie und Beruf Persönliche und familiäre Alltagsherausforderungen Stärkung der Elternrolle Integration von alten und dementen Menschen Haushaltsnahe Dienstleistungen Inklusion und Teilhabe aller Menschen (vgl. Mütterzentren Bundesverband 2013: 8) 101 Auch wenn dieses Prinzip in vielen Bereichen nach wie vor gilt, trägt die zunehmende Professionalisierung insbesondere in der Kinderbetreuung zu einer Aufweichung dieses Merkmals bei. So erfordern rechtliche Vorgaben beispielsweise im Kindertagesbetreuungsgesetz (KiTaG) formale Qualifikationen.
120 5 Empirische Untersuchung 5.2.4 Mütterzentren und Forschung Mütterzentren werden wiederholt in der Literatur als besonders gelungene Beispiele von Niedrigschwelligkeit genannt und als Orte, in denen ansonsten „Unerreichbare“ erreicht werden. So erhalten Frauen in Mütterzentren berufliche und persönliche Impulse sowie Informationen, die ihnen für ihr Weiterkommen nützlich sind. Außerdem führen gemeinsame Aktivitäten von Müttern mit ihren Kindern in Mütterzentren dazu, ambivalente Gefühle zur Mutterschaft zu reduzieren (Kortendiek und Becker-Richter 1995: 102). Dennoch stehen Mütterzentren selten im Zentrum der Forschung. Eine schriftliche Befragung durch das Deutsche Jugendinstitut 1988 mit 195 ausgewerteten Fragebögen stellt fest, dass die „ungezwungene, unbürokratische Atmosphäre [dazu beitrage] eigene Erfahrungen und Kompetenzen einzubringen“ (Jaeckel und Pettinger 1988: 7). Alltagsentlastung und Kommunikationsmöglichkeiten ermöglichen, das Familienleben positiver gestalten zu können und sich zudem persönlich weiterzuentwickeln. Unabhängig von Milieu und Bildungsstand tragen Mütterzentren zur Steigerung des Selbstbewusstseins bei, so eine zentrale Schlussfolgerung der Studie. 72 % der Befragten gaben an, selbstbewusster geworden zu sein, 90 % seien zufriedener geworden, was sich auf das Familienleben auswirke, 70 % gab an, toleranter gegenüber anderen Lebensstilen geworden zu sein, 66 % haben über das Mütterzentrum mehr Kontakte in der Nachbarschaft bekommen, 59 % haben mehr Mut bekommen, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, und 50 % fühlen sich unterstützt, sich beruflich zu orientieren (Jaeckel und Pettinger 1998: 23). Vergleiche hierzu auch die Ergebnisse in Kapitel 6.3. Im Generali „Engagementatlas“ 2015 wurden Rolle und Perspektiven engagementunterstützender Einrichtungen in Deutschland untersucht, darunter auch Mütterzentren. Als wichtigste Leistungen der Mütterzentren wurden dabei Information und Beratung zu Möglichkeiten des freiwilligen Engagements, Information und Beratung zur Selbsthilfe und Vermittlung von freiwillig Engagierten in die eigene Einrichtung genannt (Generali Engagementatlas 2015: 44). Mütterzentren werden als „Spezialisten“ (Generali Engagementatlas 2015: 75) gewertet, da sie sich zu 100 % im sozialen Bereich engagieren. Auffallend ist, dass Mütterzentren, im Vergleich zu den anderen untersuchten Einrichtungen wie Bürgerstiftungen, Selbsthilfekontaktstellen, kommunalen Stabsstellen, Freiwilligenagenturen und anderen, zu 67 % (und damit mit einem deutlichen Abstand) als Zielgruppe „Migrantinnen und Migranten“ nennen (vgl. ebd.: 76). Eine weitere Studie befasst sich mit den Möglichkeiten politischer Beteiligung durch Mütterzentrumsfrauen. Manuela Stein da Silva Barbosa analysierte in ihrer Abschlussarbeit an der brasilianischen Universidade Federal de Goiás, ob
5.3 Das Forschungsdesign 121 und inwieweit durch Mütterzentren positive Effekte für eine aktive Bürgerbeteiligung entstehen und inwieweit Mütterzentren die Sozialpolitik in den verschiedenen Ländern beeinflussen. In der in sieben Ländern durchgeführten Studie wertete Stein da Silva Barbosa 79 Fragebögen aus und kommt zu dem Schluss, dass Mütterzentren positive Effekte auf Beteiligung und Demokratie hätten. 43 % der in Deutschland befragten Frauen gaben an, durch ihre Aktivität in Mütterzentren auch ein verstärktes Interesse an Politik zu haben (Stein da Silva Barbosa 2014: 62). Vergleiche ergänzend auch die Ergebnisse in Kapitel 6.34. Eine Wirkungsanalyse wurde 2013 von Lars Repp im Auftrag des Bundesverbandes der Mütterzentren durchgeführt. Diese Studie stellt mit 1 767 Teilnehmer_innen in 72 Mütterzentren die quantitativ größte Studie dar. Interessante Einblicke bietet die Studie insbesondere in Hinblick auf die (subjektiven) Wirkungen der Besucher_innen von Mütterzentren. Demnach gibt die Mehrheit der Befragten an, dass das Nutzen von Angeboten in Mütterzentren das soziale Leben bereichere (83 %)102, zu einer Stärkung der sozialen Integration beitrage (63 %), die Erweiterung von Fähigkeiten (56 %) sowie die Toleranz steigere (54 %). Mittlere Zustimmungswerte gibt es bei der Frage nach dem Rückhalt bei persönlichen Problemen (46 %) und der Entspannung des Familienlebens (42 %). Weniger starke Effekte gibt es in Bezug auf die Erweiterung von beruflichen Kompetenzen (38 %) und der Chancenverbesserung auf dem Arbeitsmarkt (27 %)103 (Mütterzentren Bundesverband 2013: 13). Ein weiterer Schwerpunkt der Studie liegt neben den Wirkungen auch auf der Wertschätzung von typischen Charakteristika der Mütterzentren. So empfinden 95 % der Besucher_innen, dass das Mütterzentrum für jeden zugänglich sei, 91 % sind der Meinung, dass es keine Vorurteile gebe. Besonders geschätzt wird, dass es in Mütterzentren flache Hierarchien gebe, alle gleichbehandelt würden (92 %), man so sein könne, wie man wirklich sei (85 %) und dazu ermutigt werde, Herausforderungen anzupacken (Mütterzentren Bundesverband 2013: 9). 5.3 Das Forschungsdesign 5.3 Das Forschungsdesign 5.3.1 Entwicklung und Vorteile des Untersuchungsdesigns Die Entscheidung für die Methode des narrativ-leitfadengestützten Interviews wurde aus zweierlei Gründen getroffen: Zum einen bietet der Leitfaden eine Art 102 Die Angaben beziehen sich auf Personen, die der Aussage mit „eher“ oder „vollständig“ zugestimmt haben. 103 Allerdings verändert sich dieser Wert, wenn nach Alterskohorten getrennt wird. So haben 50 % der 40 bis 49-Jährigen ihre beruflichen Kompetenzen verbessert.
122 5 Empirische Untersuchung Grundgerüst, durch das die Daten sowohl Struktur gewinnen als auch die „Vergleichbarkeit der Daten erhöht“ (Mayer 2002: 36) wird. Zum anderen bietet der narrative Anteil den Interviewpartner_innen die Möglichkeit, frei zu erzählen. Die Interviewpartner_innen haben viel Raum zur Selbstdarstellung und zur Selbstbeschreibung. Das narrativ-leitfadengestützte Interview, teilweise in der Literatur auch als teilstandardisiertes oder teilstrukturiertes Leitfadeninterview bezeichnet (Helfferich 2009: 36), verbindet somit die Vorteile zweier Interviewmethoden. 5.3.1.1 Die Methode des Leitfadens Zu den Vorteilen eines Leitfadens schreiben Meuser und Nagel: „Der Leitfaden schneidet die interessierenden Themen aus dem Horizont möglicher Gesprächsthemen der ExpertInnen heraus und dient dazu, das Interview auf diese Themen zu fokussieren“ (Meuser u. Nagel 1997: 488). Das Fehlen eines Leitfadens berge die Gefahr, als Interviewer_in nicht ernst genommen zu werden und wichtige Aspekte zu übersehen. Diese Aspekte werden möglichst umfassend in einem „sensibilisierenden Konzept“ (Mayer 2002: 42) berücksichtigt. Als Grundlage hierfür dienen bereits bestehende Untersuchungen oder theoretische Überlegungen. Der Leitfaden besteht aus offen formulierten Fragen. Auf vorgegebene Antwortmöglichkeiten wird bewusst verzichtet. Der Leitfaden wird dabei als Grundgerüst verstanden, um wichtige forschungsrelevante Inhalte nicht zu vergessen. Die Reihenfolge im Leitfaden muss nicht zwingend eingehalten werden. Mehrere Autoren betonen sogar die Wichtigkeit, eine „Leitfadenbürokratie“ (Wunderlich 2005: 79) zu vermeiden bzw. „nicht zu starr am Leitfaden (zu) kleben und im falschen Moment Ausführungen (zu) unterbrechen“ (Mayer 2002: 36). Gleichzeitig kann ein Leitfaden dazu beitragen, ausschweifende themenfremde Erzählungen wieder auf das eigentliche Thema zurückzuführen. 5.3.1.2 Das narrative Interview „Das narrative Interview gehört mittlerweile zu den prominentesten und zu den grundlagentheoretisch fundiertesten Erhebungsverfahren im Bereich der qualitativen Sozialforschung“, so Przyborski und Wohlrab-Sahr (ebd. 2008: 92). Die Interviewten sollen bei dieser Methode nicht mit einem standardisierten Fragenkatalog oder gar vorgegebenen Antwortmöglichkeiten konfrontiert werden, sondern der/die Interviewer_in soll den Interviewten „ganz frei zum Erzählen animieren“ (Mayring 2002: 72). Was bedeutet aber nun dieses freie Erzählen? Laut Mayring
5.3 Das Forschungsdesign 123 will das narrative Interview „durch freies Erzählenlassen von Geschichten zu subjektiven Bedeutungsstrukturen gelangen, die sich einem systematischen Abfragen versperren würden“ (Mayring 2002: 73). Dieser Methode kommen zwei grundlegende Erkenntnisse zugute: Zum einen handelt es sich bei der Fähigkeit des Erzählens um eine „weitgehend schichtunabhängige narrative Kompetenz“ (Wunderlich 2005: 77). Die Fähigkeit des Erzählens ist unabhängig von Geschlecht, Alter, Nationalität oder Milieuzugehörigkeit vorhanden. Im Gegensatz zu Beschreibungen und Argumentationen spiegeln Erzählungen „eigenerlebte Erfahrungen wider (…), die damit dem faktischen Handeln am nächsten stehen“ (Wunderlich 2005: 78) und somit einen engen Zusammenhang zwischen Gesagtem und Getanem aufweisen. Zum anderen sind Erzählungen einer „universellen Grammatik“ (Mayring 2002: 73), einer festen Struktur unterworfen. Das heißt, die Sprachform „Erzählung“ selbst strukturiert das Gespräch. Als Ablauf für ein narratives Interview empfiehlt Mayring nach der Definition des Erzählgegenstandes zunächst die „Stimulierung der Erzählung“ (Mayring 2002: 75). Dabei stellt der/die Interviewer_in eine Eingangsfrage, die zum Erzählen anregen soll. Erzählstimuli sind keine Fragen im eigentlichen Sinne, so Helfferich, es gehe vielmehr um eine Aufforderung zur Erzählung (Helfferich 2009: 102). In der anschließenden Durchführungsphase habe der/die Interviewer_in lediglich darauf zu achten, dass die Erzählstruktur nicht verloren gehe und der/die Interviewpartner_in nicht vom eigentlichen Thema abweiche. Erst in der dritten Phase solle nachgefragt und noch unklare Inhalte geklärt werden. Dieser von Mayring empfohlene Ablauf wurde um die Warming-up-Phase und um eine Schlussphase ergänzt. Die Entscheidung für die narrativ-leitfadengestützte Methode erfolgte, da folgende Vorteile dieser kombinierten Interviewform bestehen:     Der narrative Teil gewährt die Offenheit des Interviews. Der/Die Interviewpartner_in kann seine/ihre Beweggründe in der von ihm/ihr gewählten Reihenfolge darlegen und gewichten. Der Verzicht auf vorgefertigte Antworten lässt neue, bisher nicht beachtete Aspekte zu. Die Interviewteilnehmer_innen haben dabei die Möglichkeit, eigene Gedanken zu formulieren, statt auf vorgefertigte Antworten zurückzugreifen. Der narrative Anteil verhindert eine „Leitfadenbürokratie“ (Wunderlich 2005: 79), die auf das bloße Abhaken von Punkten ausgelegt ist. Bei der Fixierung auf den Leitfaden besteht die Gefahr, das „Interview auf einen FrageAntwort-Katalog zu verkürzen“ (Friebertshäuser 1997: 377). Für das Verfassen des Leitfadens ist eine inhaltliche Auseinandersetzung schon vor den Interviews nötig. Die Äußerungen der Interviewpartner_innen können somit gleich nachvollzogen werden. Hinzu kommt, dass der/die Interviewer_in als inhaltlich kompetent wahrgenommen wird.
124    5 Empirische Untersuchung Das Nachfragen mithilfe des Leitfadens unterstützt kommunikative Aspekte wie die Bedeutung des aktiven Zuhörens. Der Leitfaden als Grundgerüst verhindert, dass wichtige forschungsrelevante Aspekte vergessen werden. Der Leitfaden erleichtert die Vergleichbarkeit der Interviews. Zum Gelingen des Interviews tragen folgende Faktoren bei:    Wohlfühlen/Vertrauensbasis: Für alle Interviewpartnerinnen stellte das Interview eine neue Situation dar. Vor allem die Aufzeichnung mit einem Tonband war zwar für die meisten Interviewpartnerinnen nachvollziehbar, aber dennoch auch befremdlich. Dementsprechend wichtig ist es für das Gelingen des Interviews, der ungewohnten Situation die Spannung zu nehmen und eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen. Die Interviewpartnerinnen konnten als Erhebungsort die eigene Wohnung oder eine öffentliche Institution wählen. Die eigene Wohnung bietet den Vorteil der vertrauten Umgebung. Przyborski und Wohlrab-Sahr empfinden die Interviewpartner_innen in der eigenen Wohnung als „entspannt“. Durch die „Rolle als Gastgeber“ können sie die „Situation (…) aktiv mitgestalten“ (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2008: 77). Als öffentliche Institution bot sich das örtliche Mütter- und Familienzentrum an. Dieser Ort ist den Interviewpartnerinnen bekannt, er ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen und bietet eine angenehme Atmosphäre. Schwierig für die Interviewsituation waren teilweise der hohe Geräuschpegel und das Finden eines ruhigen Ortes im laufenden Betrieb des Familienzentrums. Dennoch betont Helfferich die Bedeutung eines selbst bestimmten Ortes für die Interviewatmosphäre. Die Interviewpartner_innen können demnach eine Lokalität wählen, in der sie sich „wohl und sicher“ (Helfferich 2009: 177) fühlen. Lamnek und Krell betonen, dass durch eine gewohnte Umgebung „künstliche Situationen und damit Artefakte“ (Lamnek und Krell 2016: 370) vermieden werden. Störungen sind dabei in Kauf zu nehmen und tragen zur „Quasi-Natürlichkeit“ (Voigtländer 2015: 70) der Interviewsituation bei. Aktives Zuhören: Besonders wichtig ist der Part des aktiven Zuhörens während der narrativen Eingangserzählung. Der Interviewpartnerin wird Wertschätzung als Person und gegenüber dem Inhalt vermittelt. Durch aktives Zuhören wird die Interviewpartnerin zum Weitererzählen ermuntert. Offenheit: Offenheit stellt ein weiteres Kriterium für ein gelungenes Interview dar. Die Interviewpartnerin wird über den Forschungsgegenstand, das Ziel und den Zweck informiert. Die Anonymität der persönlichen Daten sowie die Nichtveröffentlichung der Tonbandaufzeichnung wird gewährleistet.
5.4 Die Datenerhebung  125 Die Interviewpartnerinnen haben auch nach dem Interview noch die Möglichkeit, Fragen telefonisch zu stellen oder das Interview zurückzuziehen. Türöffner: Da die Interviewten die Interviewform nicht gewohnt sind, bietet es sich an, eine alltagssprachliche Einführung in das Thema zu machen. Zuvor ist eine „Smalltalk-Phase“ sehr sinnvoll. 5.3.2 Grenzen des Untersuchungsdesigns Die Vorteile narrativ-leitfadengestützter Interviews wurden oben ausführlich beschrieben. Der größte Vorteil dürfte der Einblick in das sehr persönliche Engagementverhalten sein sowie die Offenheit für neue, bislang unbeachtete Aspekte des freiwilligen Engagements, die durch vorgefertigte Standardantworten nicht berücksichtigt werden. Das Untersuchungsdesign innerhalb der qualitativen Sozialforschung hat aber auch Grenzen. Aufgrund der intensiven Interviews ist es nicht möglich, größere Datenmengen zu erheben. Auch wenn verschiedene soziodemografischen Variablen erhoben wurden, ist es nicht möglich, Zusammenhänge zwischen einzelnen Variablen und dem Engagementverhalten herzustellen. Hier müssten entweder im großen Stil Interviews geführt oder quantitativ geforscht werden. Repräsentative Aussagen sind demnach nicht möglich. Statt Aussagen über die Verteilung zu machen, sind allerdings Aussagen über typische Muster möglich. Eine weitere Grenze bildet der Zugang zu den Untersuchungspersonen. Der Zugang erfolgte über sogenannte Gatekeeper und nach dem Schneeballsystem. Die Folge kann eine verzerrende Selektion vonseiten der Gatekeeper sein. Durch die Ansprache verschiedener Gatekeeper in räumlich voneinander getrennten Familienzentren sollte dieser Effekt aber möglichst entschärft werden. 5.4 Die Datenerhebung 5.4 Die Datenerhebung 5.4.1 Feldzugang Die 28 Interviews wurden in Mütter- und Familienzentren in Ammerbuch, Ettlingen, Herbrechtingen, Heubach, Freiburg, Stuttgart-West und Stuttgart-Bad Cannstatt geführt und decken damit sowohl Großstädte als auch kleinere Gemeinden ab. Der Zugang zu den ersten 24 Interviewpersonen erfolgte mit der Hilfe von „Gatekeepern“ (Helfferich 2009: 175) und im Rahmen des „Schneeballsystems“ (Helfferich 2009: 176). In einem ersten Schritt wurde das Dissertationsvorhaben
126 5 Empirische Untersuchung im Rahmen der Jahreshauptversammlung des Landesverbandes der Mütter-, Familien- und Mehrgenerationenhäuser (Mütterforum e.V.) vorgestellt. Die anwesenden Frauen wurden gebeten, in ihren Zentren engagierte Frauen mit Migrationshintergrund zu fragen, ob sie sich eine Interviewteilnahme vorstellen können. Aufgrund des Datenschutzes war keine direkte Kontaktaufnahme möglich, sodass eine Vermittlung über die bei der Jahreshauptversammlung anwesenden Engagierten erfolgte. Mit bei der Versammlung anwesenden Frauen mit Migrationshintergrund wurden Kontaktdaten ausgetauscht und Gesprächstermine vereinbart. Zusätzlich erfolgte die Kontaktaufnahme über die Geschäftsstelle bzw. den Vorstand einzelner Zentren, wobei auf eine räumliche Verteilung sowie auf eine gleichmäßige Verteilung von städtischen und ländlichen Familienzentren und von hauptamtlich und nebenamtlich betriebenen Familienzentren geachtet wurde. Nach den ersten erfolgten Interviews wurden die Interviewpartnerinnen auf der Grundlage des sogenannten „Schneeballsystems“ gefragt, ob sie weitere Frauen kennen, auf die die Kriterien „Migrationshintergrund“ und „in einem Familienzentrum engagiert“ zutreffen und ob sie die Kontaktvermittlung übernehmen könnten. Das heißt, teilweise wurden über Gatekeeper vermittelte Personen wieder selbst zu Gatekeepern. Nach dem Saturierungsprinzip war der Erkenntnisgewinn nach 24 Interviews gesättigt, es wurden in den Interviews keine neuen Informationen mehr gewonnen. Nach Abschluss der Transkription, der qualitativen Inhaltsanalyse und der Typenbildung erfolgte die Suche nach weiteren Interviewpartnerinnen des Engagementtyps III. Diese waren bislang quantitativ gering vertreten (n= 2). Um für die Typenbeschreibung eine größere Aussagekraft zu haben, wurde mit der Hilfe von Gatekeepern gezielt nach Engagierten des Typs III gesucht. In der zweiten Datenerhebung wurden vier weitere Interviews geführt, von denen sich drei dem Engagementtyp III und eine Interviewpartnerin dem Engagementtyp V zuordnen ließ, so dass der Engagementtyp III mit fünf Engagierten vertreten ist. Der Zugang erfolgte demnach folgendermaßen: Tabelle 6: Schematische Darstellung der Datenerhebung Ablauf 1) Vorstellung des Projekts 2) Interviews Durchgang 1 3) 4) 5) Interviews Durchgang 2 Inhaltliche Sättigung, Auswertung und Typenbildung Interviews Durchgang 3 6) Inhaltliche Sättigung Engagementtyp III Quelle: Eigene Darstellung Methodischer Zugang Direkte Ansprache und Gewinnung von Gatekeepern Über Gatekeeper und eigene Kontaktaufnahme Über Gatekeeper und Schneeballsystem Gezielte Suche nach Engagementtyp III mithilfe von Gatekeepern.
5.4 Die Datenerhebung 127 5.4.2 Der Interviewleitfaden „So offen und flexibel (…) wie möglich, so strukturiert wie aufgrund des Forschungsinteresses notwendig“ (Helfferich 2009: 181) ist die Maxime für Leitfadeninterviews. Wichtig dabei ist, dass die Reihenfolge flexibel gehandhabt wird, dass Fragen nicht vorformuliert sind und dass der Fokus auf dem Erzählstimulus liegt, der evtl. weitere Fragen überflüssig macht bzw. der über ein „Nachfragereservoir“ (ebd.) verfügt. Helfferich empfiehlt für narrativ-leitfadengestützte Interviews die Verwendung von wenigen Themenblöcken, die jeweils mit einem Erzählstimulus eingeleitet werden. Die Entwicklung dieser Themenblöcke erfolgte nach der SPSS-Methode (vgl. Helfferich 2009: 182ff). Hinter diesem Kürzel stehen die einzelnen Schritte der Fragebogengenerierung Sammeln, Prüfen, Sortieren und Subsumieren. Nach einem quantitativ unbegrenzten Sammeln von Fragen, das den Charakter eines „Brainstormings“ hat, wurde im zweiten Schritt geprüft, ob diese Fragen relevant sind zur Bearbeitung der Forschungsfragen, ob sich die Fragen zur Beantwortung eignen oder ob die Frageform lediglich zur Bestätigung von Vermutungen dient, statt offen für neue Erkenntnisse zu sein. Des Weiteren wurden Faktenfragen in einem gesonderten Fragebogen zur Erhebung der wichtigsten sozioökonomischen Daten (siehe Anhang, Kap. III) abgekoppelt. Im dritten Schritt wurden die deutlich reduzierten Fragen in eine logische Reihenfolge gebracht und inhaltlich in Themenbündel gruppiert. Im vierten Schritt wurden die verbleibenden Fragen den Themenbündeln zugeordnet. Idealerweise leitet jedes Themenbündel ein Erzählstimulus ein, das evtl. ausreicht, um die subsumierten Fragen ohne weiteres Nachfragen zu beantworten. Falls dies nicht der Fall ist, können diese Fragen bei Nichtvollständigkeit oder bei einem Stocken des Interviews verwendet werden.
128 Tabelle 7: Leitfrage Erzählstimulus: Sie sind im Familienzentrum engagiert. Was genau machen Sie? Teil I Für ein Engagement gibt es viele Gründe. Können Sie mir Ihre Gründe nennen, weshalb Sie sich im Familienzentrum engagieren? 5 Empirische Untersuchung Interviewleitfaden Check – wurde das erwähnt? Konkrete Fragen Aufrechterhaltungs- und Steuerungsfragen Nonverbale Aufrechterhaltung Persönliche Gründe? Eigener Nutzen? Nutzen für Beruf? Nutzen für Andere? Kompetenzentwicklung? Finanzielle Gründe? Spaß? Rauskommen? Anerkennung? Gründe in Bezug auf Zuwanderungsgeschichte? Inwieweit ist das Engagement wichtig für Ihr berufliches Weiterkommen? Hat die Tätigkeit, die Sie jetzt ausüben, etwas mit Ihrer beruflichen Tätigkeit zu tun? Mit einem Beruf, den Sie früher ausgeübt haben? Würden Sie diese ehrenamtliche Tätigkeit gerne beruflich ausüben? Erhalten Sie Anerkennung durch Ihr Engagement? Inwieweit ist Ihnen dies wichtig? Bekommen Sie eine Aufwandsentschädigung? Inwiefern ist diese wichtig? Ökonomisch, symbolisch? Inwieweit ist das Engagement wichtig für Ihr persönliches Weiterkommen? Gibt es für Sie einen Zusammenhang zwischen Ihrem Engagement und Ihrer Nonverbale Aufrechterhaltung Können Sie dazu mehr erzählen? Und dann? Wie ging das weiter? Gab es noch weitere Gründe? Fallen Ihnen noch weitere Gründe ein?
129 5.4 Die Datenerhebung Leitfrage Teil II Wenn wir auf den Anfang Ihres Engagements zurückschauen: Wie kamen Sie dazu, sich im Familienzentrum zu engagieren? Teil III Wenn Sie auf Ihre Situation heute blicken: Haben Sie sich durch Ihr Engagement verändert? Check – wurde das erwähnt? Persönliche Ansprache Ansprache durch wen? Nutzerin? Hineingewachsen ins Engagement? Eigeninitiative? Bewusste/ unbewusste Entscheidung? Durch Öffentlichkeitsarbeit? Kompetenzen erworben? Persönliche und soziale Veränderungen? Selbstbewusstsein? Organisationsfähigkeit? Konkrete Fragen Zuwanderungsgeschichte? Wenn ja, welchen? Gab es Personen, die Sie zum Engagement ermuntert haben? Waren Sie bereits als Nutzerin im Familienzentrum? Sind Sie auf eigene Initiative hin aktiv geworden? Wie oder durch wen haben Sie von der Möglichkeit eines Engagements erfahren? Haben Sie durch Ihr Engagement neue Fähigkeiten erworben? Konnten Sie Ihr fachliches Wissen erweitern? Haben Sie sich persönlich verändert? Teil IV Was hat Ihnen der Zugang zum Engagement erleichtert? Was sind Faktoren, die für ein Engagement hinderlich waren/ sind? Sprache? Öffentlichkeitsarbeit? Vorurteile? Unterstützung von außen Familie? Wissen über Strukturen? Wissen über Engagement? Begrifflichkeiten und Vorstellungen zum Engagement? Kennenlernen von Engagement? Vorbilder? Solidarische Lebenseinstellung? Was hätten Sie gebraucht, damit der Zugang zum Engagement leichter wird? Wer hätte Ihnen den Zugang zum Engagement erleichtern können? Was war beschwerlich auf dem Weg zum Engagement? Was fehlt Ihnen, um sich so zu engagieren, wie Sie es gerne täten? Aufrechterhaltungs- und Steuerungsfragen Nonverbale Aufrechterhaltung Können Sie dazu mehr erzählen? Und dann? Wie ging das weiter? Wer war noch beteiligt? Was haben Sie noch unternommen? Wer hat Sie noch unterstützt? Nonverbale Aufrechterhaltung Können Sie dazu mehr erzählen? Und dann? Wie ging das weiter? Fallen Ihnen noch weitere Veränderungen ein? Nonverbale Aufrechterhaltung Können Sie dazu mehr erzählen? Fallen Ihnen noch weitere Erleichterungen ein? Fallen Ihnen noch weitere Hindernisse ein? Was war noch hilfreich? Was war noch hinderlich?
130 5 Empirische Untersuchung Leitfrage Check – wurde das erwähnt? Konkrete Fragen Zeitaufwand? Finanzielle Grenzen? Inwieweit erfahren Sie Unterstützung von Ihrem sozialen Umfeld, Freundeskreis, Familie? Aufrechterhaltungs- und Steuerungsfragen Welche Einstellungen gibt es in Ihrem direkten Umfeld zum Engagement? Schlussteil: Habe ich noch etwas vergessen, was Sie gerne ansprechen möchten? Fällt Ihnen zu unserem Thema noch etwas Wichtiges ein? Quelle: Eigene Darstellung. In Anlehnung an Helfferich 2009: 186 5.4.3 Die Durchführung der Interviews Die Dauer der 28 Interviews war unterschiedlich lang. Das kürzeste Interview (Interview 13) dauerte 12 Minuten, das längste Interview 1:09 Stunden (Interview 2). Die durchschnittliche Interviewdauer betrug 45 Minuten. Den Interviews schloss sich meistens eine längere Abschlussphase an (siehe unten). Die Interviews gliedern sich in fünf Phasen und erfolgten nach folgendem Schema: 1. Warming-up-Phase: Diese erste Phase diente dem gegenseitigen Kennenlernen. Der Großteil der interviewten Personen kannte eine wissenschaftliche Interviewsituation bis dato nicht persönlich. Dementsprechend stand die Erklärung über Sinn und Zweck am Anfang des Interviews, ebenso die technischen Rahmenbedingungen wie die Aufzeichnung auf Tonband oder die anonymisierte Wiedergabe. Als hilfreich erwies sich zu Beginn auch das Ausweichen auf Allgemeinplätze und unverfängliche Themen wie das Wetter oder die Anreise. Zur Unterstützung einer Wohlfühlatmosphäre trug auch das Anbieten von Kaffee oder Tee bei. Während der Zubereitung hatten die Interviewpartnerinnen zudem etwas Zeit, sich zwischen Eintreffen und dem ei-
5.4 Die Datenerhebung 2. 3. 4. 5. 131 gentlichen Interview zu sammeln und sich später „an einer Tasse festzuhalten“. Von Vorteil war, dass ich selbst in einem Familienzentrum engagiert bin. Dies erleichterte den Einstieg in einen kommunikativen Akt, der der „Alltagskommunikation ähnelt“ (Lamnek 2016: 447f) und zwischen zwei Engagierten104 eines Familienzentrums stattfindet und weniger zwischen Interviewerin und Befragten. Mögliche Vorbehalte, Ablehnung, das Gefühl, „erforscht“ zu werden, und Kritik an der Interviewsituation, von denen in anderen Studien berichtet wird (ausführlich dazu beispielsweise Voigtländer 2015: 60ff), blieben aus. Lamnek und Krell (2016: 681) betonen, dass ein geteilter Hintergrund zum einen den Feldzugang erleichtert und zum anderen die Teilnahmebereitschaft erhöht (ohne dass Lamnek und Krall die gleichzeitige Gefahr einer zu großen Nähe negieren). Erzählstimulus: Nach der Kennenlernphase leitete ein Erzählstimulus die eigentliche Erzählung ein. Als Erzählstimulus wird eine allgemein gehaltene Frage verwendet: „Sie sind im Familienzentrum aktiv. Was genau machen Sie?“ Nach diesem Erzählstimulus erfolgt die erste inhaltliche Frage (Teil I): „Für ein Engagement gibt es viele Gründe. Können Sie mir Ihre Gründe nennen, weshalb Sie sich im Familienzentrum engagieren?“ Die Anfangsfrage sollte bewusst offen und allgemein gehalten sein. Durch diese offene Fragestellung ist es möglich, keine gelenkten Antworten zu erhalten. Narrative Eingangserzählung: Die Eingangserzählung fiel je nach Interviewpartnerin mal kürzer und mal länger aus, abhängig auch davon, wie gut die Deutschkenntnisse und die Erzählkompetenzen waren. Der Aufforderung zum Erzählen kamen aber alle Interviewpartnerinnen ohne Irritationen nach. Dabei gab es Interviewpartnerinnen, die ihre Gründe in erstens, zweitens, drittens strukturierten. Andere Interviewpartnerinnen kamen der Aufforderung ganz allgemein nach und begannen die Erzählung mit persönlichen Erlebnissen. Die Hauptunterschiede bestanden in der Erzähldauer. Inhaltlich wurden aber von allen Interviewpartnerinnen die Gründe innerhalb der Eingangserzählung genannt. Nachfrageteil mithilfe des Leitfadens: Bei einigen Interviewpartnerinnen wurde ein Großteil des Leitfadens bereits in der Eingangserzählung abgedeckt. Grundsätzlich erwies sich der Leitfaden aber als notwendig, um wichtige Aspekte nicht zu vergessen. Schlussteil: Die Erfahrung in den Interviews zeigte, dass der Schlussteil mit Bedanken, einem Nachgespräch und der Verabschiedung nicht zu unterschätzen ist. Teilweise kamen erst nach Abschalten des Tonbandes weitere, sehr 104 Ein theoretisch denkbarer Rollenkonflikt als Engagierte eines Familienzentrums und Interviewerin blieb aus.
132 5 Empirische Untersuchung persönliche Gründe zur Sprache. Teilweise schloss sich nach dem eigentlichen Interview eine genauso lang andauernde Schlussphase an. Aus ethischen Motiven ist es aber wichtig, nicht nur „Fakten zu sammeln“, sondern die Interviewpartnerin auch mit einem guten Gefühl in Bezug auf das Interview zu entlassen. Die Wertschätzung als Mensch und nicht nur als „Forschungsobjekt“ im Bourdieu´schen Sinne (1995) sollte im Schlussteil nochmals Raum bekommen. 5.4.4 Stichprobe Da die Repräsentativität in der qualitativen Sozialforschung „nicht so bedeutsam“ (Lamnek und Krell 2016: 177) ist, richtet sich der Fokus stärker auf typische Zusammenhänge. Die Stichprobe soll das Thema inhaltlich repräsentieren. Statt repräsentativer Generalisierbarkeit sind in der qualitativen Sozialforschung „Generalisierungen im Sinne von Existenzaussagen („Es gibt…“) durchaus möglich“ (Lamnek und Krell 2016: 363). Dazu sollte die Auswahl der Interviewpartner_innen möglichst heterogen sein und eine große Varianz aufzeigen. Dabei ist es nicht entscheidend, dass die Varianz statistisch die Gesamtbevölkerung widerspiegelt, sondern dass eine möglichst große Bandbreite an inhaltlich für bedeutsam erachteten Merkmalen vertreten ist. In der vorliegenden Studie sind dies folgende Variationen:           Eigene Migrationserfahrung (1. Generation) – Migration der Eltern (2. Generation) Herkunftsland EU – Nicht-EU Herkunftsland europäisch – nichteuropäisch Migration erfolgte im Rahmen des Gastarbeiter_innenabkommens, als (Spät-) Aussiedlerin oder nichts davon Unterschiedliche Religionszugehörigkeit oder Nicht-Gläubigkeit Staatsangehörigkeit deutsch – doppelt – ausländisch Wechsel oder Beibehaltung der Staatsangehörigkeit Migrationszeitpunkt als Kind oder als Erwachsene Migrationsgrund Familie – Beruf/Studium – Flucht Schulbildung niedrig – mittel – hoch105 105 Die Schulbildung erfolgt in die Einteilung „niedrig“, „mittel“ und „hoch“, gemessen über den höchsten erreichten Schulabschluss. Unter einer niedrigen Schulbildung wird hier ein Schulbesuch von höchstens acht oder neun Jahren verstanden, der in Deutschland mit keinem, mit dem Abschluss der Förderschule oder mit dem Hauptschulabschluss bzw. mit den entsprechenden Abschlüssen in den Herkunftsländern abschließt. Unter einem mittleren Schulabschluss wird ein
5.4 Die Datenerhebung      133 Ausbildung/Studium ja/nein Bildungsinländerin – Bildungsausländerin Haushaltseinkommen niedrig – mittel – hoch106 Unterschiedliche Milieus Unterschiedliche Sprachkompetenzen Als Gemeinsamkeit der interviewten Personen wurde festgelegt:    Engagement seit mindestens 6 Monaten in einem Mütter- und Familienzentrum in Baden-Württemberg Weiblich Migrationshintergrund Weitere Forschungsoptionen wären    Ein Vergleich zwischen weiblichen und männlichen Engagierten in Familienund Mütterzentren Ein Vergleich zwischen Engagierten und Nicht-Engagierten (z. B. Nutzer_innen der Angebote der Mütter- und Familienzentren) Ein Vergleich zwischen einem Engagement in Familien- und Mütterzentren und einem anderem Engagementort außerhalb des sozialen Bereichs (z. B. in einem Sportverein oder in der Katastrophenhilfe). Dies sind noch offene Fragestellungen, die im Rahmen weiterer Studien beantwortet werden können. Schulbesuch von zehn oder elf Jahren verstanden bzw. der ausländischen Entsprechung zur deutschen Mittleren Reife. Unter einer hohen Schulbildung wird ein Schulbesuch von zwölf oder mehr Jahren verstanden bzw. das Abitur, eine Hochschulzugangsberechtigung oder eine ausländische Entsprechung hierzu. 106 Das Haushaltseinkommen wurde zu besseren Übersicht in „niedrig“, „mittel“ und „hoch“ eingeteilt. Die Einteilung erfolgt nach der Definition des Statistischen Bundesamtes: „Die angegebene Statistik folgt der europäischen Definition von Einkommensschichten, die auf Basis des Durchschnittseinkommens (nach Median) errechnet wird. Mit ‚Arm‘ ist hier die Grenze angegeben, ab der von einer Armutsgefährdungsschwelle gesprochen wird. Diese liegt auf dem Niveau von 60 Prozent des Durchschnittseinkommens (Median)“ (Statistisches Bundesamt 2016). Demnach gilt eine Person als arm, wenn sie über ein monatliches Nettoeinkommen von unter 781 Euro verfügt, als normal verdienend, wenn sie über ein Einkommen von 1301 Euro verfügt und als reich, wenn sie über ein monatliches Nettoeinkommen von über 3418 Euro verfügt. Eine Familie mit vier Personen beispielsweise gilt als arm, wenn sie nicht über 1640 Euro monatlich zur Verfügung hat und als reich, wenn das Netto-Haushaltseinkommen über 7178 Euro liegt. Ausführlich vergleiche Statistisches Bundesamt (2016).
134 5 Empirische Untersuchung Im Rahmen der hier vorliegenden Studie wurde bewusst darauf verzichtet, weitere Differenzmerkmale hinzuzuziehen. Das heißt, diese Studie bewegt sich im Rahmen der Migrationsforschung und versucht bezüglich der Migration eine möglichst große Heterogenität an Merkmalen (siehe oben) einzubeziehen. Der Einbezug von beispielsweise geschlechtsspezifischen Differenzen oder unterschiedlichen Alters- und Generationengruppen würde die Vergleichbarkeit der qualitativen und nicht-repräsentativen Arbeit erschweren. Nichtsdestotrotz sind Überschneidungen zwischen Migrations- und Genderforschung nicht von der Hand zu weisen, wie Interviewausschnitte im Kapitel „Institutionelle Türöffner zum freiwilligen Engagement“ (vgl. Kap. 6.5) belegen, wonach der Wunsch nach einem „geschützten Raum“ sowohl migrationsspezifisch gedeutet werden kann im Sinne eines Schutzes durch das Aufgehobensein in einer vertrauten Sprache, aber auch geschlechtsspezifisch im Sinne eines Schutzes vor fremden (männlichen) Blicken. Trotz dieser teilweise vorhandenen Überschneidungen wurde auf den Vergleich weibliches Engagement – männliches Engagement verzichtet. Ziel war es vielmehr, eine möglichst große Bandbreite an Motivationsbündeln einer vermeintlich homogenen Interviewgruppe (weiblich Engagierte mit Migrationshintergrund) mit maximaler Heterogenität (Migrationsgrund, Sprachkompetenz, Bildung, Milieu…) zu generieren.
Geburtsjahr 1973 1968 1962 1975 1973 1979 1973 1981 1976 1981 1966 1964 1986 1972 1964 1971 1968 1967 1971 1979 1985 1979 1987 1971 1975 1993 1963 1969 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 Quelle: Eigene Darstellung 20 21 22 23 24 25 26 27 28 deutsch slowakisch deutsch deutsch portugiesisch kongolesisch serbisch pakistanisch pakistanisch polnisch slowakisch russisch russisch portugiesisch kongolesisch serbisch pakistanisch pakistanisch italienisch costa-ricanisch türkisch slowakisch kroatisch türkisch serbisch Nationalität bei Geburt griechisch türkisch pakistanisch russisch serbisch rumänisch rumänisch türkisch türkisch/ niederländisch libanesisch irakisch spanisch 1985 2006 1989 2001 1992 2005 2013 1994 2011 Geburt 2011 1974 1992 Geburt 1978 1994 1986 1995 1984 Geburt 1994 1996 1990 2007 2004 1984 2004 1996 In D seit mittel hoch hoch niedrig mittel hoch hoch hoch hoch mittel hoch niedrig hoch mittlere niedrig hoch mittel niedrig hoch mittel hoch hoch hoch hoch hoch mittel mittel mittel Schulbildung Ausbildung Ausbildung 1 Ausbildung 2 Ausbildung Studium Ausbildung Studium Ausbildung Ausbildung Studium 1 Ausbildung 2 Ausbildung Ausbildung Ausbildung Ausbildung Studium Studium Studium Ausbildung Ausbildung/ Studium Ausbildung Studium Studium Studium Studium Ausbildung ja nein nein ja ja nein ja ja ja ja nein ja ja nein ja ja nein nein nein nein nein Bildungsinländerin ja nein nein ja nein nein ja nein nein mittel mittel mittel niedrig niedrig niedrig hoch niedrig niedrig niedrig mittel niedrig hoch niedrig niedrig hoch niedrig niedrig mittel Haushaltseinkommen niedrig niedrig niedrig mittel niedrig niedrig mittel niedrig niedrig Tabelle 8: italienisch costa-ricanisch deutsch slowakisch/deutsch kroatisch deutsch serbisch Nationalität griechisch deutsch deutsch deutsch serbisch rumänisch rumänisch/ deutsch türkisch türkisch/ niederländisch deutsch irakisch spanisch 5.4 Die Datenerhebung 135 5.4.4.1 Interviewsample Tabellarische Übersicht zum Interviewsample (n=28)
136 5 Empirische Untersuchung 5.4.4.2 Case Summerys Im Folgenden werden die Interviewpartnerinnen in Form von Kurzporträts vorgestellt107. Drei Bereiche werden in diesen Case Summerys108 besonders erwähnt: Zum einen wichtige biografische Hintergrundinformationen, zum anderen die Hauptmotivation für ein Engagement in einem aufnahmelandbezogenen Verein und gegebenenfalls als dritten Punkt Themen, nach denen nicht explizit gefragt wurde, die aber zurzeit des Interviews eine große Bedeutung für die Interviewpartnerin haben. Diesem narrativen Anteil, der nicht im Leitfaden verankert ist, soll hier ihn Form der Case Summerys Platz eingeräumt werden. Eleni109 ist als griechisches Gastarbeiterkind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Die Eltern arbeiten als Selbstständige im Obst- und Gemüsehandel, wo sie bereits als Kind viel mitgeholfen hat und die Eltern auch nach dem Auszug in eine eigene Wohnung nach wie vor unterstützt. Eleni hat nach der Mittleren Reife eine Ausbildung gemacht, möchte aber in den pädagogischen Bereich wechseln. Sie erhofft sich von ihrem Engagement in der Kinderbetreuung des Familienzentrums eine Ausbildungs- und später auch eine Arbeitsstelle. Zusätzlich trägt die Aufwandsentschädigung in Form der sogenannten Übungsleiterpauschale zur Aufbesserung des schmalen Haushaltseinkommens bei (Interview 1). Aylin kam als 25-Jährige aus der Türkei nach Deutschland, inzwischen hat sie die deutsche Staatsangehörigkeit. Aylin hat in der Türkei die Schule mit dem Abitur abgeschlossen, hat aber keine Berufsausbildung. Die Schulbildung ihrer beiden fast erwachsenen Kinder liegt ihr sehr am Herzen, was sie im Interview mehrfach betont. Dieses Engagement für ihre Kinder wurde nicht nur positiv gesehen und führte zu mehreren Konflikten in der KiTa und in den Schulen, in denen sie sich als nicht perfekt deutsch sprechende Mutter vom Leitungspersonal diskriminiert und nicht ernst genommen fühlte. Ein wichtiger Beweggrund für ihr Engagement ist der Kampf gegen Diskriminierung und Ungleichheit. Aylin sieht ihre Aufgabe im Engagement darin, insbesondere Frauen aus der Türkei, aber auch andere Migrantinnen zu informieren, über ihre Rechte aufzuklären und sie darin zu bestärken, gegen erlittenes Unrecht und institutionelle Diskriminierung vorzugehen (Interview 2). Amadia ist alleinerziehende Mutter von vier Kindern und lebt am Existenzminimum. Sie entstammt einer wohlhabenden pakistanischen Familie und ist mit 33 Jahren mit ihrem Mann aus Pakistan ausgewandert. Ihr Studium als Lehrerin 107 Die Reihenfolge der Case Summerys entspricht der Reihenfolge der durchgeführten Interviews. 108 Zur Bedeutung von Case Summerys in der qualitativen Sozialforschung insbesondere als Vorbereitung der Typenbildung siehe Kuckartz (2014: 55f). 109 Alle Vornamen sind geändert.
5.4 Die Datenerhebung 137 wird nicht anerkannt, ihre deutschen Sprachkompetenzen sind begrenzt und reichen für eine Stelle als Nachhilfelehrerin nicht aus. Da eines ihrer Kinder chronisch krank ist, war sie viele Jahre mit der Krankheit ihres Sohnes, der Kindererziehung und dem Haushalt beschäftigt. Da ihre Kinder nun selbstständig sind, möchte Amadia, wenn auch nicht als Lehrerin, doch zumindest mit Kindern arbeiten. Außerdem ist die Aufwandsentschädigung in der ehrenamtlichen Kinderbetreuung existentiell wichtig. Ein wichtiges Thema ist für sie das Kopftuch. Insbesondere für ihre Tochter, die ebenfalls ein Kopftuch trägt und Lehrerin werden möchte, erhofft sie sich bessere berufliche Perspektiven. Frauen ohne Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Qualifikationen rät sie ab, nach Deutschland zu migrieren (Interview 3). Ingrid entstammt einer Spätaussiedlerfamilie und kam gemeinsam mit ihren Eltern Anfang der Jahrtausendwende nach Deutschland. Sie hat Abitur und ein abgeschlossenes Studium. Als Einzige in ihrer Verwandtschaft ist sie mit einem Nicht-Aussiedler verheiratet. Aufgrund von Kindererziehungszeiten ist sie derzeit geringfügig beschäftigt. Ingrid hatte die Möglichkeit, ihr ehrenamtliches Engagement im Familienzentrum in eine geringfügige Erwerbstätigkeit umzuwandeln. Darüber hinaus ist sie nach wie vor ehrenamtlich im Vorstand tätig. Sie findet die Angebote des Familienzentrums sehr wichtig und möchte mit ihrer Arbeit im Hintergrund dazu beitragen, dass es weitergeht. Mehrfach erwähnt sie im Interview das „Nicht-auffallen-Wollen“. Nicht nachvollziehen kann sie es, wenn Besucherinnen des Familienzentrums russisch sprechen. Diesen antwortet sie immer auf Deutsch. Bürgerschaftliches Engagement sieht sie auch als einen Teil der Aufnahmekultur. Ihre Eltern können ihr Engagement nicht verstehen (Interview 4). Arjeta ist Serbin und kam vor zehn Jahren nach Deutschland. Im Kosovo studierte sie Geschichte und war als Lehrerin sowie in einem Archiv tätig. Für die Anerkennung der beruflichen Qualifikation fehlen ihr noch die Deutschkenntnisse, die sie aufgrund von Kindererziehungszeiten bislang nicht ausreichend erworben hat. Die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen ist für sie ein wichtiges Thema. Vom ehrenamtlichen Engagement erhofft sie sich ein Zertifikat, das sie dem Regierungspräsidium vorlegen kann und das die Anerkennung beschleunigen könnte. Ein zentrales Motiv ist auch das praktische Üben der deutschen Sprache am Engagementort (Interview 5). Mirela kam nach dem Studium aus Rumänien nach Deutschland. Sie ist alleinerziehende Mutter. Parallel zu ihrer Promotion arbeitet sie in begrenztem Umfang, um einen Zuverdienst für das geringe Haushalteinkommen zu haben. Mirela ist in verschiedenen Einrichtungen und Organisationen bürgerschaftlich aktiv. Ein Motiv für das Engagement im Familienzentrum war zu Beginn die Schaffung eines rumänischen Angebots, um ihrem Kind den Zugang zu ihrer Herkunftskultur
138 5 Empirische Untersuchung zu ermöglichen. Die Unterstützung von Menschen aus Rumänien, die über weniger Bildung und Sprachkenntnisse verfügen, ist ihr ein weiteres Anliegen. Mirela versteht sich als Netzwerkerin und genießt als Vorstandsfrau den Blick über die eigene Einrichtung hinaus, um politische Strukturen und Entscheidungsträger_innen kennenzulernen (Interview 6). Erika ist Aussiedlerin aus Rumänien und kam als Zehnjährige nach Deutschland. Insbesondere die Anfangszeit war geprägt von Anfeindungen und Diskriminierungen bis hin zum (physisch krank machenden) Wunsch nach Anpassung und Unauffälligkeit. Die Anfänge ihres bürgerschaftlichen Engagements sieht sie rückblickend als Teil dieser „Überangepasstheit“ und dem Wunsch, es allen recht zu machen. Auch wenn sie sich zwischenzeitlich davon distanziert hat, sind die positiven Gefühle der Anerkennung im Ehrenamt geblieben. Insbesondere die Unterstützung von Kindern in ähnlichen Situationen ist ihr sehr wichtig. Das Familienzentrum empfindet sie als ersten Ort in Deutschland, an dem sie sich heimisch und willkommen fühlte. Ihr Engagement dort ist auch Ausdruck von Dankbarkeit (Interview 7). Fatma ist Alevitin aus der Türkei. Sie zog aufgrund der Hochzeit mit ihrem Mann vor rund zehn Jahren nach Deutschland. Das Paar hat zwei Kinder, beide Elternteile sind im Familienzentrum aktiv. Fatma stammt aus einer sehr politischen Familie. Ein Motiv für ihr Engagement ist es, Angebote für Frauen in ähnlichen Situationen zu schaffen. Besonders wichtig ist ihr die Schaffung eines geschützten Raumes für türkische Frauen. Zudem betont sie die Unabhängigkeit von Mann und Schwiegermutter durch die Möglichkeit eines kleinen Zuverdienstes in Form der Aufwandsentschädigung (Interview 8). Esra ist Türkin und wuchs in den Niederlanden auf. Durch die Heirat mit ihrem Mann kam sie im Alter von 19 Jahren nach Deutschland. In den Niederlanden hat sie die Mittlere Reife, aber keine Ausbildung absolviert. Das bürgerschaftliche Engagement ist für die Ungelernte auch eine Möglichkeit, einen anderen Status zu erlangen. Ihr Engagement hat ihr viel Selbstbewusstsein gegeben und den Wunsch in ihr geweckt, sich weiterzuentwickeln und auch mit 40 Jahren noch eine Ausbildung anzufangen. Esra findet es insbesondere für Frauen wichtig, im Ehrenamt eine Aufwandsentschädigung zu bekommen. Dies habe ihr eine andere Position innerhalb ihrer Ehe eingebracht. Zusätzlich ist das Motiv „helfen“ für die Muslimin ein wichtiger Bestandteil der Religion, den sie auch ihren Kindern weitervermitteln möchte (Interview 9). Samira stammt aus einer großen Familie aus dem Libanon. Als Vierjährige kam sie nach Deutschland. Sie hat die Mittlere Reife und eine Ausbildung. In ihrem Beruf arbeitet sie aufgrund der Kindererziehung stundenweise. Sie spricht akzentfrei Deutsch und ihr ist es wichtig, nicht als „Frau mit Migrationshintergrund“ bezeichnet zu werden. Ihr Mann kam erst als Erwachsener nach Deutschland, sein
5.4 Die Datenerhebung 139 Studium wird nicht anerkannt und er arbeitet als Hilfsarbeiter. Dennoch ist Samira davon überzeugt, dass man durch Anstrengung vieles erreichen könne. Samira betont im Interview, dass sie die Erste von insgesamt acht Kindern sei, die sich ehrenamtlich engagiert und sogar im Vorstand eines Vereines sei. Dies bringe ihr großen Respekt bei ihren Eltern und Geschwistern ein. Anerkennung ist für sie das wichtigste Motiv. Ein wichtiger Beweggrund für ihr ehrenamtliches Engagement ist es, für die eigenen Kinder Angebote zu schaffen und ihnen auch fremde kulturelle Anregungen wie Nikolausnachmittage zu ermöglichen (Interview 10). Yara stammt aus dem Irak und kam mit 28 Jahren nach Deutschland. Yara hat eine niedrige Schulbildung und keine Ausbildung. Neben der Erziehung ihrer drei Kinder hat sie ihre Mutter bis zu deren Tod gepflegt. Das Erlernen der deutschen Sprache und Kontakte zu Deutschen waren ihr immer ein wichtiges Anliegen und sie nahm gleich nach ihrer Ankunft an einem Sprachtandem teil. Nachdem auch das jüngste Kind im Kindergarten war, bemühte sich Yara unter schwierigen Bedingungen und fehlender Unterstützung vonseiten des Jobcenters um eine Ausbildungsmöglichkeit. Die Kinderbetreuung im Familienzentrum war für sie eine Möglichkeit, ohne Ausbildung im pädagogischen Bereich zu arbeiten und über das ehrenamtliche Engagement eine Ausbildungsstelle zu bekommen (Interview 11). Maria wuchs in einem spanischen Kloster auf. In dieser Zeit wurde sie sehr geprägt von christlichen Vorstellungen des Helfens und gegenseitiger Unterstützung. Mit 19 Jahren verließ sie das Kloster, ging nach Deutschland und wurde bald darauf schwanger. Ihre Erfahrungen als alleinerziehende Mutter mit wenigen Deutschkenntnissen beeinflussen sie in ihrer täglichen Arbeit und es ist ihr ein wichtiges Anliegen, junge Mütter zu unterstützen und sie darin zu bestärken, eine Ausbildung zu machen und Deutsch zu lernen. Außerdem stellte ursprünglich das Ehrenamt auch eine Flucht vor ihrer Krankheit dar. Die Schmerzen zu vergessen, rauszukommen, waren ein weiterer Beweggrund für das Ehrenamt (Interview 12). Lucia ist als italienisches Gastarbeiterkind der zweiten Generation in Deutschland geboren und aufgewachsen. Sie hat die Mittlere Reife sowie eine Berufsausbildung in einem Beruf, in den sie aber nach der Elternzeit nicht wieder zurückkehren möchte. Das ehrenamtliche Engagement ermöglicht ihr einen Zuverdienst in Form einer Aufwandsentschädigung, für die Kinderbetreuung ihrer Kinder ist im Familienzentrum während dieser Tätigkeit gesorgt. Der Kompetenzgewinn und das Dazulernen im Ehrenamt sind ihr sehr wichtig. Lucia erhofft sich, das Engagement als Sprungbrett für eine Berufstätigkeit nutzen zu können (Interview 13). Anna stammt aus Costa Rica. Sie hat ein abgeschlossenes Studium und arbeitet als Selbstständige. Anna lebt seit fünf Jahren in Deutschland, war aber bereits als Gastschülerin und als Gaststudentin in Deutschland. Sie ist mit einem deutschen Mann verheiratet, das Paar hat ein gemeinsames Kind. Das Leben in
140 5 Empirische Untersuchung einer Gesellschaft mit gegenseitiger Unterstützung und ohne „Ellenbogen-Mentalität“ ist ihr ein wichtiges Anliegen. Sie ist überzeugt vom Konzept der Familienzentren und der Unterstützung von Frauen und möchte selbst etwas dazu beitragen. Der Kontakt zu unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen im Familienzentrum und der Abbau von Vorurteilen sind weitere Motive für ihr ehrenamtliches Engagement. Außerdem stellt das Zentrum auch ein Familienersatz für ihre weit entfernte Familie dar (Interview 14). Nesrin kam als Neunjährige aus der Türkei nach Deutschland. Sie ist alleinerziehende Mutter einer Tochter. Nach einer schwierigen Kindheit ist sie früh aus dem Elternhaus ausgezogen und hat insbesondere von deutschen Frauen viel Unterstützung bekommen. Dies möchte sie durch ihr Engagement indirekt zurückgeben. Zudem ist ihr Engagement eine Möglichkeit, im früheren Beruf, den sie aus verschiedenen Gründen aufgeben musste, zumindest stundenweise zu bleiben. Ein wichtiges Thema in ihrem Leben, das mehrfach im Interview angesprochen wird, ist das „Ankommen“. Nesrin möchte „endlich“ nicht mehr als Türkin gesehen werden, sondern als ein in Deutschland lebender Mensch. Das Familienzentrum ist für sie ein Ort, an dem Toleranz und Offenheit gelebt wird (Interview 15). Milena ist Slowakin und kam nach dem Abitur im Rahmen eines Sporttransfers nach Deutschland. In Deutschland studierte sie, lernte ihren Mann kennen und blieb auch nach Ablauf des Vertrags mit dem Sportverein in Deutschland. Milena konnte ihr ehrenamtliches Engagement in der Sprachförderung von Migrantinnen mittlerweile zum Beruf machen, ist darüber hinaus aber auch noch in anderen Bereichen im Familienzentrum ehrenamtlich aktiv. Integrative Aspekte und die Unterstützung von Frauen, die deutlich schlechtere Startbedingungen in Deutschland haben, sind ihr ein wichtiges Anliegen. Die Mischung aus Sprachvermittlung und Inklusionsangeboten im Familienzentrum findet sie den richtigen Weg, der aber von der Politik nicht honoriert werde (Interview 16). Gordana ist als kroatisches Gastarbeiterkind der zweiten Generation in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ihre Eltern betrieben eine Gaststätte. Nach der Mittleren Reife absolvierte sie zwei Ausbildungen. Das ehrenamtliche Engagement ist für sie eine Möglichkeit, nach dem Umzug in einen kleinen Ort „rauszukommen“ und Kontakte zu knüpfen. Gleichzeitig konnte sie durch ihr ehrenamtliches Engagement Kompetenzen für ihren Beruf erwerben und trotz Kindererziehung thematisch aktuell bleiben (Interview 17). Ecrin kam als Zehnjährige aus der Türkei nach Deutschland. Nach dem Hauptschulabschluss machte sie eine Ausbildung. Aktiv sein und Kontakte knüpfen sind zentrale Motive ihres Engagements. Außerdem möchte sie „beweisen“, dass sich türkische Mütter auch engagieren und aktiv sind. Dies war ausschlaggebend dafür, dass sie bereits für verschiedene Posten kandidierte und sowohl als
5.4 Die Datenerhebung 141 Elternvertreterin in der Schule als auch im Familienzentrum als Beisitzerin gewählt wurde (Interview 18). Vesna stammt aus Serbien. Dort hat sie Abitur gemacht und studiert und ist mit 24 Jahren nach Deutschland gekommen. Zunächst war der Aufenthalt in Deutschland temporär geplant. Vesna hat ihren Mann kennengelernt, ein Kind bekommen und ist geblieben. Nach der Trennung war die finanzielle Situation sehr angespannt und das ehrenamtliche Engagement war mit seiner Aufwandsentschädigung eine wichtige Stütze. Gleichzeit stellte das Zentrum auch einen Familienersatz dar. Aktuell von größter Bedeutung für das ehrenamtliche Engagement ist die religiöse Motivation. Vesna sieht das ehrenamtliche Engagement als einen Akt des „Dienens“. Ihr Engagement ist stark altruistisch geprägt (Interview 19). Weronika stammt aus Polen und kam als Fünfjährige noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Deutschland. Die Ausreise wurde ihr gegenüber nie thematisiert, die Schwester in Polen zurückgelassen. Weronika absolvierte die Mittlere Reife und eine Ausbildung. Bürgerschaftliches Engagement ist in ihrer Familie gänzlich unbekannt. Weronika lernte freiwilliges Engagement über die Familie ihres Mannes (Deutscher ohne Migrationshintergrund) kennen. Das Kennenlernen und Zusammenarbeiten mit anderen Menschen, die nicht zur Familie und zur Verwandtschaft gehören, sind eine wichtige Motivation für ihr bürgerschaftliches Engagement. Das Eingebundensein in die eigene Kernfamilie war ihr oft „zu eng“. Das Helfen als wichtiges Element christlichen Tuns ist ein Motiv von Weronika (Interview 20). Tatjana kam vor zehn Jahren als Au Pair aus der Slowakei nach Deutschland. In der Slowakei machte sie das Abitur und eine Ausbildung. Nach dem einjährigen Aufenthalt blieb Tatjana, lernte ihren Mann kennen und bekam ein Kind. Tatjana würde gerne im pädagogischen Bereich arbeiten, hat aber keine Ausbildung. Das ehrenamtliche Engagement in der Betreuung von Flüchtlingskindern ist für sie eine Möglichkeit, in diesem Bereich tätig zu sein. Außerdem kann sie sich trotz unterschiedlicher Rahmenbedingungen in die Situation der Kinder und das Gefühl der Fremde hineinversetzen und möchte diese Kinder unterstützen. Insbesondere aber ist das Engagement eine willkommene Abwechslung zum beruflichen Alltag und mit Spaß verbunden (Interview 21). Olga kam als Neunjährige kurz vor dem Fall des Eisernen Vorhangs aus Russland nach Deutschland. Dort lebte sie die ersten beiden Jahre mit ihrer Familie in einer Behelfsbaracke. In Deutschland absolvierte sie das Abitur und machte eine Ausbildung. Motiviert zum Ehrenamt wurde sie insbesondere durch die Willkommenskultur und das Gefühl des Angenommenseins, das ihr vermittelt wurde. Dies möchte sie gerne indirekt zurückgeben. Außerdem ist es ihr wichtig, für eine Gesellschaft einzutreten, die sich gegenseitig unterstützt. Dies möchte sie auch
142 5 Empirische Untersuchung ihren Kindern vermitteln. Angebote für ihre Kinder schaffen, damit diese dazulernen und sich weiterentwickeln können, Kontakte zu anderen sowie Spaß sind weitere wichtige Beweggründe für ihr Engagement (Interview 22). Irina kam als 13-Jährige aus Kasachstan nach Deutschland. Ihren Hauptschulabschluss und die Ausbildung hat sie in Deutschland gemacht. Spaß und Angebote für ihren Sohn sind wichtige Motive für ihr ehrenamtliches Engagement. Außerdem betont sie, wie viele Kompetenzen durch ehrenamtliches Engagement erlernt werden können, insbesondere das Kennenlernen von anderen Einstellungen und Mentalitäten bereichern sie. Für Irina hat ehrenamtliches Engagement einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft. Mehrfach betont sie im Interview, wie unverzichtbar Ehrenamt in der Alten- und Behindertenhilfe sei (Interview 23). Joana lebte die ersten sieben Lebensjahre in Deutschland, kehrte mit ihren Eltern in deren Herkunftsland Portugal zurück und zog dann nach dem Schulabschluss alleine nach Deutschland. Joana hat keine Berufsausbildung und ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Das ehrenamtliche Engagement ist für sie eine Möglichkeit, ohne Ausbildung im pädagogischen Bereich tätig zu sein. Joana plant, motiviert durch diese Erfahrungen im pädagogischen Bereich, eine Ausbildung als Erzieherin (Interview 24). Sephora war Lehrerin in der Republik Kongo. Seit ihrer Heirat 2005 lebt sie in Deutschland, ihr Beruf wird nicht anerkannt. Seit der Trennung von ihrem Mann ist sie alleinerziehende Mutter. Das Engagement mit Aufwandsentschädigung ist für sie eine Möglichkeit, im pädagogischen Bereich zu arbeiten und Geld zu verdienen. Sephora ist schon längere Zeit auf der Suche nach einer Ausbildungsstelle als Erzieherin (Interview 25). Ivanka ist Grafikdesignerin und lebt seit 2013 mit ihrem Mann und ihrer in Deutschland geborenen kleinen Tochter in Deutschland. Das Engagement ist für sie eine Möglichkeit, im Beruf zu bleiben sowie ihre Dankbarkeit gegenüber dem Familienzentrum zu zeigen. Ihr Engagement ist unentgeltlich, das Haushaltseinkommen ist hoch. Wichtig ist ihr insbesondere, die Hilfe und Unterstützung, die sie unmittelbar nach der Migration erfahren hat, zurückzugeben. Das Familienzentrum mit seiner niedrigschwelligen Unterstützungsfunktion und als Familienersatz ist ihr sehr wichtig. Sie möchte mit ihrem Engagement zum Gelingen der Einrichtung beitragen (Interview 26). Adila war in Pakistan Journalistin und war auf Berichte über Frauen- und Kinderrechte spezialisiert. Ihren Beruf kann sie aufgrund nicht ausreichender Deutschkenntnisse nicht ausüben, außerdem hat sie keine Zeugnisse des Bachelorabschlusses mehr. Seit 1994 lebt sie mit ihrem Mann in Deutschland. Adila ist in körperlich schlechter Verfassung, außerdem versorgt sie ihren seit einem Schlaganfall, behinderten Mann. Die Behinderung sowie die Nicht-Erwerbstätigkeit des
5.5 Datenauswertung 143 Mannes werden als Gesichtsverlust empfunden und dürfen innerhalb der eigenethnischen Community nicht kommuniziert werden. Das Engagement im Familienzentrum ist für sie eine kleine Einnahmequelle sowie eine Möglichkeit, für ein paar Stunden ihre Probleme zu vergessen (Interview 27). Ashna hat vor fünf Jahren Pakistan verlassen, vor zwei Jahren wurde ihr die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ashna lebt seit fünf Jahren von ihrem Mann und ihrem Sohn getrennt, der Antrag auf Familiennachzug wurde vor zwei Jahren gestellt. Ashna lebt nach wie vor in einer Unterkunft für Flüchtlinge, da sie auf eine baldige Familienzusammenführung hofft und dann eine größere Wohnung suchen möchte. Ashna ist körperlich und psychisch angeschlagen. Sie hat keine Zeugnisse mehr für ihren Abschluss als Kinderkrankenschwester. Ihr monetarisiertes Engagement ist für sie eine Einnahmequelle. Sie sucht dringend eine Arbeitsstelle und ist diesbezüglich nicht auf das Familienzentrum und auch nicht auf einen bestimmten Arbeitsbereich fixiert (Interview 28). 5.5 Datenauswertung 5.5 Datenauswertung 5.5.1 Transkription Die Transkription der mit Tonband aufgezeichneten Interviews erfolgte mithilfe der Computersoftware „f4 transkript“, was zum einen den Vorteil der beschleunigten Transkription als auch die bessere Nachvollziehbarkeit der zitierten Textstellen mittels Zeitmarkern mit sich bringt. Die Wahl fiel auf das einfache Transkriptionssystem nach Kuckartz. „Das Verfahren der Transkription ist offensichtlich paradox“, so Dresing und Pehl (2013: 17), denn einerseits soll das Gesprochene möglichst detailgetreu wiedergegeben werden, andererseits tragen zu viele Details zur erschwerten Lesbarkeit des Interviews bei. In der vorliegenden Arbeit wurde bewusst auf eine Feintranskription verzichtet, da in dieser Arbeit die inhaltlich-semantische Ebene im Vordergrund steht. Sprachliche Einfärbungen sind hier nicht von Belang, ebenso wenig wie Pausen, Betonungen, Tonhöhen, Sprechgeschwindigkeit, Lautstärke sowie parasprachliche Elemente. Die Reduktion auf eine textuelle Ebene ist eine bewusste Entscheidung und wird zugunsten der oben genannten Gründe in Kauf genommen. Die Priorität liegt eindeutig auf dem Inhalt des Gesprochenen. Dennoch werden auch im einfachen Transkriptionssystem nach Kuckartz diverse Transkriptionsregeln angewandt. Kuckartz et al. formulieren „bewusst einfache und schnell erlernbare Transkriptionsregeln, die die Sprache deutlich „glätten“ und den Fokus auf den Inhalt des Redebeitrags setzen“ (Kuckartz u. a. 2008: 27). Die wichtigste Regel lautet, dass wörtlich transkribiert wird und nicht lautsprachlich oder zusammenfassend.
144 5 Empirische Untersuchung Weitere hier angewandte Transkriptionsregeln sind:          Wortverschleifungen werden transkribiert wie z. B. „ich hab so ’n Gefühl“ statt „ich habe so ein Gefühl“. Dialekte werden so geschrieben, wie sie gesprochen werden. Fehlende Deutschkenntnisse und/oder Grammatikfehler werden nicht geglättet.110 Stottern oder das Suchen nach Worten wird geglättet bzw. ausgelassen. Interpunktion wird zugunsten der Lesbarkeit geglättet. Bei uneindeutiger Betonung wird eher ein Punkt als ein Komma gesetzt. Längere Interviewpassagen werden an inhaltlich weniger bedeutsamen Stellen durch Auslassungszeichen (…) gekennzeichnet. Verständnissignale und Füllwörter wie „ähm“, „aha“, „mhm“ werden nicht transkribiert. Besonders betonte Wörter werden durch GROSSSCHREIBUNG gekennzeichnet. Emotionale nonverbale Äußerungen wie zum Beispiel Lachen oder Seufzen werden in Klammern notiert. Abgebrochene Sätze werden mit dem Abbruchzeichen „–“ gekennzeichnet. Unverständliche Wörter werden mit „(unv.)“ gekennzeichnet, eventuell mit Ursache der Unverständlichkeit, zum Beispiel „(unv., Handystörgeräusch)“. Neben der Lesbarkeit und der Reduktion auf das gesprochene Wort wurden die Kriterien der Überprüfbarkeit und des Datenschutzes angewandt. Zur besseren Überprüfbarkeit wurde jeweils am Ende eines Interviewzitats eine Zeitmarke gesetzt. Damit ist es möglich, zwischen Audiodatei und transkribiertem Text zu wechseln und kritisch zu überprüfen. Bei der Nennung von Eigen- oder Ortsnamen, die die Anonymität der Interviewpartnerinnen nicht mehr gewährleisten würden, wird ein Kürzel eingeführt mit erklärender Anmerkung, z. B. „FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung)“ oder „GB (Geburtsort, Anmerkung)“. Folgende Kürzel werden verwendet: FZ FZL WO Name des Familienzentrums Name der Leitung des Familienzentrums Name des Wohnortes 110 Diese Transkriptionsregel ist eine Erweiterung der einfachen Transkriptionsregeln. Ich habe mich aber bewusst dafür entschieden, da die wörtliche Transkription stärker die Sprachkenntnisse und den Grad der Sprachkompetenzen der interviewten Frauen mit Migrationshintergrund verdeutlicht als eine Glättung. Es soll aber in keiner Weise dazu beitragen, die Sprachkompetenzen der Interviewpartnerinnen bloßzustellen oder zu diffamieren.
5.5 Datenauswertung GB M E K ERZ KG I 145 Name des Geburtsortes Name des Ehemanns Name von Engagierten E1, E2, usw. Name des Kindes Name der Erzieherin Name der Kindergruppe Der eigene Name 5.5.2 Kodierung Die Entwicklung der Kategorienbildung erfolgte in induktiver Vorgehensweise direkt am transkribierten Material. Zwar lagen die Hauptkategorien „Motive“, „subjektive Einschätzung der Veränderung durch das freiwillige Engagement“, „Engagementhürden“, „Türöffner“ sowie der „Zugang zum Engagement“ im Rahmen des Leitfadens (Teil I-IV des Interviewleitfadens, vgl. Kapitel 5.4.2) bereits fest. Nach dieser eher groben Kodierung entlang des Leitfadens wurden die Subkategorien aber direkt am Material generiert. Der mehrmalige Durchlauf des Datenmaterials erzeugt immer stärker ausdifferenzierte Subkategorien. Die inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse nach Udo Kuckartz (2014: 78) läuft idealtypisch in sieben Schritten ab und beginnt mit einer initiierenden Textarbeit. Der Text wurde ergebnisoffen und sorgfältig durchgelesen und mit Anmerkungen versehen. In dieser Phase bieten sich kurze Fallzusammenfassungen an (vgl. Kapitel 5.4.4.2). Im zweiten Schritt wurden thematische Hauptkategorien entwickelt, die sich in diesem Fall aus dem Leitfaden ergaben. Alles für die Forschungsfragen Wichtige und Auffällige wird dabei festgehalten und sortiert. Dabei können sich unerwartete Themen und Kategorien ergeben. Mit diesen vorliegenden Kategorien wird nun der gesamte Text Zeile für Zeile durchgegangen. Da ein Textabschnitt auch mehrere Kategorien enthalten kann, erfolgte die Kodierung mit mehreren Kategorien (3. Schritt). Die Kodierung des gesamten Materials erfolgte mithilfe des SoftwareProgramms „MAXQDA“. Im vierten Schritt wurden nun alle gleichen Textstellen im sogenannten Text-Retrieval zusammengestellt. Anschließend wurden die Subkategorien am im bereits in Kategorien zusammengefassten Material bestimmt (5. Schritt). Im zweiten Kodierprozess wurde das komplette Datenmaterial anhand der gebildeten Subkategorien nochmals durchlaufen und kodiert (6. Schritt). Die eigentliche Auswertung und Ergebnisdarstellung steht im siebten Schritt an. Dabei sind nach Kuckartz sieben Formen der Auswertung und Ergebnisdarstellung bei einer inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse denkbar: Die kategorienbasierte Auswertung entlang der Hauptkategorien, die Analyse der Zusammenhänge innerhalb einer Hauptkategorie, die Analyse der Zusammenhänge
146 5 Empirische Untersuchung zwischen Kategorien, vertiefende Einzelfallinterpretationen, Fallübersichten, grafische Darstellungen oder qualitative und quantifizierende Kreuztabellen (vgl. Kuckartz 2014: 94). Von den sieben möglichen Auswertungsformen lag der Fokus in der vorliegenden Studie auf der kategorienbasierten Auswertung entlang der Hauptkategorien, der Analyse der Zusammenhänge innerhalb der Hauptkategorie und zwischen den Hauptkategorien, der Fallübersichten sowie der grafischen Aufbereitung mithilfe der Software „MAXQDA“. Auf Kreuztabellen wurde aufgrund der niedrigen Fallzahlen und damit verbundenen fehlenden Repräsentativität verzichtet, auch auf die vertiefenden Einzelfallinterpretationen wurde zugunsten von Typenbildungen verzichtet. Die kategorienbasierte Auswertung entlang der Hauptkategorien stand an erster Stelle der Auswertung. Nach Kuckartz soll hier die Fragestellung „Was wird zu diesem Thema alles gesagt?“ (Kuckartz 2014: 94) zentral sein. Es wird demnach die ganze Bandbreite der Kategorien und Subkategorien vorgestellt, allerdings in einer sinnvollen Reihenfolge. Die qualitative Darstellung steht also im Fokus dieser Ergebnisdarstellung, auch wenn teilweise die Häufigkeit der genannten Themen benannt wird. Demnach werden beispielsweise alle Engagementmotive qualitativ dargestellt, zusätzlich aber benannt, ob es sich um eine Einzelausaussage handelt oder um ein häufiger genanntes Motiv. In den Schritten 2 und 3 werden zum einen Zusammenhänge zwischen den Subkategorien einer Hauptkategorie und zwischen den Hauptkategorien analysiert, eine Vorgehensweise, die als Grundlage zur Typenbildung fungiert. Die grafische Darstellung erfolgte hauptsächlich als Code-Matrix-Browser der Software „MAXQDA“, mit dessen Hilfe Schwerpunkte der Interviewaussagen bildlich dargestellt werden können. Für die Fallübersichten wurden zunächst sogenannte Case Summerys (vgl. Kapitel 5.4.4.2) erstellt und zum anderen Interviewpartnerinnen mit ähnlichen Merkmalen hintereinander in der „MAXQDA“-Tabelle gruppiert, um inhaltliche Ähnlichkeiten grafisch darzustellen. 5.5.3 Typisierende Abstraktion Der Versuch einer Typenbildung hat in der Geschichte der empirischen Sozialforschung bereits eine lange Tradition. Berühmtes Beispiel ist die Unterscheidung in vier Familientypen als Reaktion auf Langzeitarbeitslosigkeit in der Marienthalstudie von Jahoda, Lazarsfeld und Zeisel (1975) in den 1930er Jahren. Erst seit den 1980er Jahren ist allerdings ein strukturiertes, methodologisches Vorgehen im Wissenschaftsdiskurs zu beobachten. Grundsätzlich bietet sich die Typenbildung entweder auf Einzelfallebene oder auch fallübergreifend an. Ziel der Typenbil-
5.5 Datenauswertung 147 dung ist es, das vorhandene Datenmaterial zusammenzufassen und möglichst ähnliche Fälle zu gruppieren und von möglichst differenten Fällen zu trennen. Kelle und Kluge sprechen hier von einer „internen Homogenität“ (2010: 91) bezüglich ihres Merkmalsraumes der gebildeten Gruppen und einer äußeren Heterogenität als Abgrenzung zu anderen Gruppen. Der Prozess der Typenbildung findet nach Kelle und Kluge (2010: 91ff) in vier Schritten statt. Zunächst werden relevante Vergleichsdimensionen erarbeitet. Diese Vergleichsdimensionen bzw. Kategorien werden in Fälle gruppiert. Als dritter Schritt erfolgt die Analyse inhaltlicher Sinnzusammenhänge sowie abschließend die Charakterisierung der gebildeten Typen. Kelle und Kluge weisen darauf hin, dass diese Stufen zwar logisch aufeinander aufbauen, die Reihenfolge aber nicht zwingend linear eingehalten werden muss. Abbildung 20: Stufenmodell empirisch begründeter Typenbildung Quelle: Kelle und Kluge 2010: 92 Im ersten Schritt wurden die relevanten Vergleichsdimensionen erarbeitet. Diese können entweder dem Interviewleitfaden oder den Kriterien für die Fallauswahl
148 5 Empirische Untersuchung entnommen werden oder, wie hier geschehen, im Rahmen der Kodierung des Textmaterials entwickelt werden. Die Unterteilung der Motivation in ichbezogene/hedonistische und altruistische Motive, in migrationsspezifische Gründe, der Suche nach Anerkennung, Kompetenzentwicklung und Kompensation war der Ausgangspunkt für die Vergleichsdimensionen. Im zweiten Schritt wurden die Fälle gruppiert und empirische Regelmäßigkeiten analysiert. Als weiteres zentrales Untersuchungsmerkmal wurde der Faktor Bildung herangezogen, da insbesondere in den Freiwilligensurveys der Einfluss des Faktors Bildung auf das Engagementverhalten betont wird. Im dritten Schritt, der Analyse inhaltlicher Sinnzusammenhänge, stellte sich die Unterteilung in niedrige, mittlere und hohe Bildung aber als wenig aussagekräftig heraus. Ausschlaggebend ist insbesondere, ob diese Bildung im In- oder Ausland erworben wurde und ob der Bildungsabschluss in Deutschland zu einer Anerkennung führte oder nicht. Aus den theoretisch gewonnenen sechs Gruppen (niedrige, mittlere und hohe Bildung, jeweils im In- oder Ausland erworben) wurden zunächst vier Gruppen mit unterschiedlichen Partizipationschancen gebildet. Die beruflichen Partizipationsmöglichkeiten für Frauen mit niedriger Bildung sind gering, unabhängig ob der Abschluss in Deutschland oder im Ausland absolviert wurde. Als zweite Gruppe wurden die Frauen mit mittleren Partizipationschancen gebildet. Die größten Unterschiede bezüglich der Motivation gab es bei den hoch gebildeten Frauen. Hier ist die Diskrepanz bezüglich der beruflichen Partizipationsmöglichkeiten besonders groß und davon abhängig, ob der Bildungsabschluss anerkannt wird oder nicht. Die höher gebildeten Frauen wurden deshalb in zwei Gruppen aufgeteilt, je nachdem ob sie am Berufsleben teilhaben können oder nicht. Diese Reduktion auf wenige Typen findet idealerweise in dieser Phase statt. Mithilfe der Computersoftware „MAXQDA“ konnten erste Hinweise auf Typen bezüglich der sechs Motivationskategorien und der beruflichen Partizipationsmöglichkeiten gewonnen werden. Die quantitative Verteilung der Subkategorien zeigt sich in der visualisierten Darstellung des Code-Matrix-Browsers, aus dem aufgrund der Codehäufigkeit relevante Erkenntnisse abgeleitet werden können. Um Sinnzusammenhänge zu verstehen, wird mit Vergleichen und Kontrastierungen gearbeitet. Dabei werden einzelne Fälle Gruppen zugeordnet, denen sie ähnlicher sind, stark abweichende Fälle separat untersucht, zwei oder mehr Gruppen, die sich stark ähneln, zusammengefasst oder einzelne Gruppe weiter ausdifferenziert (Kelle und Kluge 2010: 102). So wurde aus der ursprünglichen Gruppe I (Frauen mit niedriger Bildung und niedrigem sozialen Status) zwei Typen gebildet, je nach Engagementmotivation (Typ I: die Solidarisch-Prekären und Typ II: die Aufstiegsorientiert-Prekären). Der Vorgang der Typenbildung schließt mit dem vierten Schritt der Charakterisierung gebildeter Typen ab. Da sich die Fälle innerhalb eines Typus nur ähneln und nicht gleichen, ist eine charakteristische Darstellung von zentraler Bedeutung. In der Literatur wird
5.6 Zur Besonderheit der Interviewführung mit Migrant_innen 149 die Darstellung eines Prototyps oder eines Idealtyps empfohlen. Kritisch ist hier anzumerken, dass die konstruierten Idealtypen kein Abbild der Wirklichkeit sind, sondern es sich um einen „möglichst optimalen Fall (handelt), der die betreffende Gruppe besonders ‚rein‘ repräsentiert“ (Kelle und Kluge 2010: 106). In der Darstellung des Prototyps wird ein repräsentativer Fall dargestellt, mit dessen Hilfe die gesamte Gruppe möglichst zutreffend dargestellt werden kann. Die Entscheidung fiel gegen beide Darstellungsformen, da beide Möglichkeiten stark reduktionistisch sind. Stattdessen wurden die Engagementtypen ausführlich beschrieben und Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede dargestellt (vgl. Kap. 6.2). 5.6 Zur Besonderheit der Interviewführung mit Migrant_innen 5.6 Zur Besonderheit der Interviewführung mit Migrant_innen Alle Interviews wurden in deutscher Sprache durchgeführt111. Einige Interviewpartnerinnen haben aber so geringe Deutschkenntnisse, dass das Verstehen von komplexeren Fragen nicht möglich war. Dies bringt verschiedene methodologische Verzerrungen mit sich. So vermutet Vahsen eine geringere „Intensität und Expressivität und auch (…) Quantität der Lebensverlaufschilderungen“ (Vahsen 2003: 372). Durch die Interviewführung in der Muttersprache würde dagegen die Ausdrucksvielfalt zunehmen. Die von Vahsen wahrgenommenen Schwierigkeiten waren in den Interviews mit Personen mit geringen Deutschkenntnissen deutlich zu beobachten: So dauerten die Interviews zwar ähnlich lange, inhaltlich konnte aber weniger Material generiert werden. Auch die Expressivität wurde aufgrund der Sprachbarrieren verhindert. Zusätzlich liegt nahe, dass Inhalte verloren gehen und es auf beiden Seiten einer besonderen Bereitschaft bedarf, sich in den jeweils anderen hineinzuversetzen. Vahsen empfiehlt hier die „Grundlage des Vertrauens und Verstehens“ (Vahsen 2003: 373) im Bourdieu´schen Sinne (1997). Statt „Verhörtechniken“ (Vahsen 2003: 373) ist die „Warming up-Phase“ (vgl. Kap. 5.4.3) von besonderer Bedeutung. Denn gerade die Nähe beziehungsweise Distanz zwischen Interviewer_in und Interviewte_m sei ein „Erkenntnis generierendes oder verhinderndes Moment“ (ebd.). Eine weitere Besonderheit der Sprachbarrieren im eigentlichen und auch übertragenen Sinne ist die Fachsprache in der sozialwissenschaftlichen Forschung. So war eine „Übersetzung“ von Begriffen wie „bürgerschaftliches Engagement“ oder „Gemeinwohlorientierung“ nicht nur für Interviewpartnerinnen mit geringen Deutschkenntnissen vonnöten, sondern auch bei Gesprächspartnerinnen mit nied- 111 Die türkischen Expertinneninterviews (siehe Exkurs in Kapitel 6.412) fanden in englischer Sprache statt.
150 5 Empirische Untersuchung rigerer schulischer Bildung. Dies hat zur Folge, dass die Trennschärfe einiger Begrifflichkeiten verloren geht und Begriffe wie „Ehrenamt“, „Freiwilligenarbeit“ und „bürgerschaftliches Engagement“ synonym verwendet werden. Die Orientierung an der (sprachlichen) Lebenswelt (Thiersch 2015; Thiersch, Grundwald und Köngeter 2010; Schilling und Zeller 2007) ist also auch im forschenden Kontext eine wichtige Handlungsmaxime. Die von Cornelia Helfferich erfassten allgemeinen Frageregeln (vgl. ausführlich Helfferich 2009: 108) wie das Verwenden von eindeutigen und leicht verständlichen Fragen oder das Vermeiden von wertenden Fragen wird zwingend ergänzt um eine Vermeidung von Fragen, die Scham- und Schuldgefühle auslösen, die Vermeidung von Fachbegriffen und Fremdwörtern sowie das Vermeiden von Fragen, die nicht erwartbar sind und nicht in direktem Zusammenhang mit dem Thema stehen. Bei Engagierten mit Migrationshintergrund kommt erschwerend hinzu, dass in der Herkunftssprache Begriffsäquivalente zu „Ehrenamt“ oder „bürgerschaftlichem Engagement“ fehlen. Klie, Uslucan und Klie weisen zu Recht darauf hin, dass es auch eine unterschiedliche Wahrnehmung davon gibt, was als Engagement gewertet wird bzw. wie und ob es in die Öffentlichkeit getragen wird. So steht das deutsche „Tue Gutes und rede darüber“ beispielsweise der islamischen Vorstellung gegenüber, dass Gutes nur im Geheimen stattfinden solle (türkisch: hayır gizli yapılır) (Klie, Uslucan, Klie 2016: 265). Diese Einstellung konnte auch in den qualitativen Interviews beobachtet werden. So waren einige Interviewpartnerinnen davon überzeugt, dass es sich bei ihnen nicht um ein „richtiges Engagement” handelt, sondern „nur um eine Selbstverständlichkeit”. Bei einer quantitativen Erhebung wären diese Personen vermutlich statistisch als Nicht-Engagierte erfasst worden. Den eigenen „Normalitätshorizont” (Helfferich 2009: 130) zu relativieren ist eine weitere Technik, die teilweise in Interviews anzuwenden ist. Dies insbesondere dann, wenn Interviewer_in und Befragte_r aus verschiedenen sozialen Milieus und/oder verschiedenen Kulturen, also aus unterschiedlichen Welten mit je eigener Sprache, Werten oder Normalitätsvorstellungen entstammen. Dem gegenüber setzt Helfferich das „Prinzip der Offenheit” (ebd. 131), verbunden mit der Bereitschaft, sich auf fremd Empfundenes einzulassen und diesem auch einen logischen Sinn zuzugestehen. „Unverstandenes muss noch lange nicht ,unsinnig’ sein” (Helfferich 2009: 131), vielmehr sollte nach und nach die Sinnhaftigkeit erschlossen werden. Dies kann der/die Interviewende unter anderem mit dem Bewusstmachen der eigenen Kultur- und Verständnisbrille, dem Einlassen auf andere Sinnwelten, der Relativierung eigener Deutungsmuster und der Akzeptanz, dass die eigene Deutung und Vorgehensweise nur eine von vielen Möglichkeiten ist, erlernen. Ein weiterer kritischer Punkt ist der Umgang mit emotional belastenden Interviewsituationen, die in der Kombination aus prekären Lebenssituationen,
5.6 Zur Besonderheit der Interviewführung mit Migrant_innen 151 traumatischen Erlebnissen oder ungesichertem Aufenthaltsstatus gehäuft auftreten112. In kritischen Situationen, in denen Interviewpartner_innen weinen oder nicht mehr weitersprechen können, empfiehlt es sich anzubieten, das Interview zu unterbrechen und einen Rollenwechsel von der Interviewer_in zur tröstenden Person vorzunehmen. Helfferich empfiehlt zusätzlich entweder Adressen von Beratungsstellen dabei zu haben oder zu kennen (Helfferich 2009: 148). 112 In der vorliegenden Studie ist insbesondere der Engagementtyp III von einer belastenden Lebenssituation betroffen, was sich durch eine Häufung von emotionalen Krisen während der Interviews zeigte.
6 Ergebnisse 6 Ergebnisse 6.1 Engagementmotive 6.1 Engagementmotive Der Begriff „Motiv“ geht etymologisch auf das lateinische Wort „movere“ (bewegen) zurück und bezeichnet „etwas, was Menschen in Bewegung setzt, eine bestimmte Handlung auszuführen“ (Schürmann 2013: 29). In der Sozialpsychologie nimmt die Motivationsforschung zwischenzeitlich einen breiten Raum ein. Einen hilfreichen Überblick über die Theorien der Motivationspsychologie bieten Brandstätter und Otto (2009). Das motivierte Handeln ist nach Heckhausen und Heckhausen (2006: 1) erstens vom Streben nach Selbstwirksamkeit und damit nach Kontrolle der Umwelt und zweitens von der Organisation von Zielengagement und Zieldistanzierung geprägt. Um zielgerichtetes Verhalten erklären zu können, müssen eine Vielzahl an personenbezogenen (1.) und situationsbezogenen (2.) Faktoren miteinbezogen werden. Dazu gehören auch die Interaktion zwischen Person und Situation (3.), die Handlungsergebnisse (4.) und (5.) und deren Folgen (6.). Abbildung 21: Überblicksmodell zu Determinanten und Verlauf motivierten Handelns Quelle: Heckhausen und Heckhausen 2006: 3 Personenbezogene Einflüsse (1), die die Motivation erklären können, sind zum einen physiologische Bedürfnisse wie Hunger und Durst, die allen Menschen ge- © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A.-K. Schührer, Migration und Engagement, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25096-6_6
154 6 Ergebnisse meinsam sind und einen universellen Charakter aufweisen. Diese sind zu unterscheiden vom ebenfalls universellen Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit113, das sich über den gesamten Lebensverlauf hinweg zieht (vgl. ebd.: 3). Motivdispositionen unterscheiden sich individuell nach Eigenschaften, Fähigkeiten, Verhaltensstilen, persönlichen Ressourcen und Ausstattung (ebd.: 3). Diese sogenannten impliziten Motive werden in der frühen Kindheit gelernt und sind verbunden mit der Bereitschaft, sich immer wieder mit bestimmten Anreizen auseinanderzusetzen. Als Hauptmotive und am besten in der Sozialpsychologie erforscht gelten die Motive Leistung, Anschluss und Macht (ebd.: 4). Die Handlungsziele bündeln die motivationalen Ressourcen und geben dem Handeln eine Richtung. Diese Ziele werden mal mehr oder weniger abstrakt formuliert, durchziehen viele Lebensbereiche und spielen sowohl bei Individuen als auch in Gruppen eine große Rolle. Neben den personenbezogenen Einflüssen nehmen Situationsfaktoren (2) einen breiten Raum ein. Unterschieden werden Situation-Ergebnis-Erwartungen, Handlungs-Ergebnis-Erwartungen und Ergebnis-Folgen-Erwartungen. Dabei ist die Bereitschaft zum Handeln umso höher, je eher ein positives Ergebnis zu erwarten ist. Das Handeln wird dabei von intrinsischen und extrinsischen Handlungsanreizen beeinflusst. Während lange Zeit die Erforschung von selbstbewertungsbezogenen Anreizen im Zentrum stand und die tätigkeitseigenen Anreize weitgehend unbeachtet blieben, hat sich das in den letzten Jahrzehnten verändert (ebd.: 5). Insbesondere Forschungen zum Flow-Erleben nach Csikszentmihalyi (Heckhausen und Heckhausen 2006: 345; Schürmann 2013: 33; Brandstätter und Otto 2009: 259), wonach das Aufgehen in einer Tätigkeit bei gleichzeitigem Beibehalt von Kontrolle untersucht wurde, sowie Forschungen zum Gemeinschaftserlebnis (Heckhausen und Heckhausen 2006: 5) tragen zum Erkenntnisgewinn bezüglich intrinsischer Motivation des Handelns bei. Zusammenfassend beeinflussen also sowohl personen- als auch situationsbezogene Faktoren das Handeln des Individuums: „Die Motivation einer Person, ein bestimmtes Ziel zu verfolgen, hängt von situativen Anreizen, persönlichen Präferenzen und deren Wechselwirkung ab. Die resultierende Motivationstendenz ist zusammengesetzt aus den verschiedenen nach dem persönlichen Motivprofil gewichteten Anreizen der Tätigkeit, des Handlungsergebnisses und sowohl von internen, die Selbstbewertung betreffenden als auch von externen Folgen“ (Heckhausen und Heckhausen 2006: 6). 113 Selbstwirksamkeit wird definiert als „Überzeugung zur eigenen Fähigkeit, bestimmte Handlungen ausführen zu können, die zum Erreichen bestimmter Ziele erforderlich sind“ (Jonas, Stroebe und Hewstone 2014: 225).
6.1 Engagementmotive 155 Das für das freiwillige Engagement entscheidende Handlungsziel wird in der Sozialpsychologie als Hilfeleistung beschrieben. Forschungen zum prosozialen Verhalten finden hauptsächlich in Experimenten zu Notsituationen statt. Einen Überblick über die bekanntesten Experimente menschlichen Handelns in Notsituationen bieten Jonas, Stroebe und Hewstone (2014: 373ff). Evolutionsbiologisch hat sich das Helfen als Sicherung zum Fortbestand der Art entwickelt (Heckhausen und Heckhausen 2006; Jonas, Stroebe und Hewstone 2014: 373). Dabei sind verinnerlichte Normen entscheidend. Außerdem wird tendenziell eher Personen geholfen, die als hilflos eingeschätzt werden und die sich unverschuldet in einer schwierigen Situation befinden. Entscheidend ist auch, ob andere Menschen in einer ähnlichen Situation geholfen haben. Ist dies der Fall, erhöht sich die Bereitschaft selbst zu helfen. Bürgerschaftliches Engagement ist in der Kategorie „beabsichtigtes Helfen“ (Klöckner 2016: 147) oder „langfristiges, wiederholtes Hilfeverhalten“ (Jonas, Stroebe und Hewstone 2014: 384) anzusiedeln. Im Unterschied zum Helfen in der Notsituation geht es dabei noch stärker um persönliche Einstellungen, Anreize und Handlungsziele. Das heißt, bürgerschaftliches Engagement ist komplexer und die Motive sind deutlich vielschichtiger. „Bürgerschaftliches Engagement hat einen Eigensinn und ist ein eigenständiges Tätigkeitsfeld in der Bürgergesellschaft“ (Enquête-Kommission 2002: 89). Dieser Eigensinn, begründet auf der weitgehenden Freiwilligkeit des Engagements, zeigt sich insbesondere in einer Vielfalt an Motivationen der Engagierten. Es gibt nicht die eine Handlungslogik oder die einzelne Motivation. Jedes Individuum kann von einer Vielzahl von Beweggründen geleitet werden: Und so bin ich dann hier geblieben und mit den Kindern macht so viel Spaß und ich sehe auch, dass die Mütter dann froh sind, wenn sie wissen, hier ist jemand, der das mit Liebe macht. Ja, und die Kinder sind gut behütet und können dann ihre Termine machen, können ruhig mal entspannen und das find ich ganz toll dann auch zu sehen, wie sie dann glücklich sind. (…) Und natürlich mit dem Thema Weiterbildung. Das finde ich auch ganz wichtig. Also hier werden ja auch ganz viele Seminare oder Fortbildungen angeboten. Da kann man auch teilnehmen und das finde ich auch toll. Ja, oder vielleicht kann man da, ich weiß es nicht, ich muss mich noch informieren, ganz ehrlich. Dass man hier noch lernen kann oder machen kann. Für mich ist es auch ganz wichtig, wenn ich jetzt zum Beispiel eine Vollzeitstelle bekommen könnte. Das wär auch ganz toll. Ja, weil hier oben gibt´s einen Kindergarten, wo man eine Ausbildung machen könnte. Und es ist so viel in einem, das ist für mich ganz toll. # Interview 1: 00:04:53-7#
156 6 Ergebnisse In dieser Aussage der Interviewpartnerin 1 wird exemplarisch deutlich, wie viele Motive in eineinhalb Interviewminuten stecken können. Es werden sowohl hedonistische („Spaß“) als auch altruistische („ich sehe auch, dass die Mütter dann froh sind“, „zu sehen, wie sie dann glücklich sind“) als auch kompetenzorientierte („Seminare oder Fortbildungen“, „Ausbildung machen“) Motive genannt. Es wird dabei auf den ersten Blick nicht ersichtlich, welches Motiv die größte Bedeutung hat, es muss vielmehr der biografische Kontext berücksichtigt werden. Es gibt demnach nicht die Motivation für bürgerschaftliches Engagement, sondern vielmehr ein Nebeneinander von scheinbar sich widersprechenden Motivbündeln. Freiwillig Engagierte sind „multimotiviert“ (Moschner 2002: 8). Die Frage nach den Beweggründen wurde bereits mehrfach in (meist quantitativen) Studien untersucht. Einen guten Überblick über die Motivationsforschung bietet Klöckner (2016). Zahlreiche Autor_innen betonen, dass mit einem Strukturwandel des bürgerschaftlichen Engagements auch ein Wandel der Motive einhergeht. So konstatieren mehrere Autor_innen (beispielsweise Beher, Liebig und Rauschenbach 2000) eine Veränderung von pflichterfüllenden hin zu selbstbezogenen Motiven. Der Wunsch nach Partizipation, nach Mitgestaltung, nach Erweiterung eigener Kompetenzen und Lernerfahrungen sowie nach persönlicher Bereicherung lösen zunehmend Motive ab, die auf Pflichterfüllung beruhen. Damit spiegelt sich im bürgerschaftlichen Engagement der Wertewandel, wonach Selbstentfaltung an Bedeutung gewinnt und Pflichterfüllung an Bedeutung verliert. „Pflichtbewusstsein“ und „Helfen als Bürgerpflicht“ sind Motive, die in den Freiwilligensurveys keine zentrale Bedeutung (mehr) haben und bei älteren Engagierten deutlicher ausgeprägt sind als bei jüngeren. Allerdings muss Selbstentfaltung nicht mit Egoismus einhergehen. Helmut Klages spricht vom „kooperativen Individualismus“ (Enquête-Kommission 2002: 115). Demnach wird im bürgerschaftlichen Engagement das auf das eigene Wohlbefinden oder das eigene Fortkommen bezogene Interesse kombiniert mit altruistischen Motiven. Wuthnow weist bereits 1991 darauf hin, dass sich im bürgerschaftlichen Engagement gesellschaftliche Veränderungen spiegeln, gleichwohl aber auch in Befragungen erwartete und gesellschaftskonforme Antworten getätigt werden. So sei es in einer Gesellschaft, in der Selbstverwirklichung einen hohen Stellenwert einnimmt, naheliegend, dass Befragte ebendiese gesellschaftlich akzeptierten Motive benennen (Wuthnow 1991; In: Enquête-Kommission 2002: 116). Neben der gesellschaftlichen Komponente der Motivation ist insbesondere aber auch die Lebensgeschichte jedes und jeder Engagierten von Bedeutung. So tragen biografische Erfahrungen z. B. durch Vorbilder in der Kindheit zum Engagement bei bzw. behindern dieses. Umgekehrt wirkt sich bürgerschaftliches Engagement auch auf die Lebensbiografie aus, indem beispielsweise das gewonnene soziale Kapital in andere Kapitalarten transfe-
6.1 Engagementmotive 157 riert wird. Vergleiche ausführlich Gisela Jakob zur Einbettung von Engagementmotiven im lebensgeschichtlichen Kontext (1993; 2003). Die Enquête-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ machte 2002 (ebd.: 118) drei grundlegende Motivbündel aus: Realisierung einer religiös oder weltanschaulich fundierten Grundüberzeugung (1), Bewältigung von Lebenskrisen und aktuellen Problemlagen (2) und das Erreichen persönlich wichtiger Ziele (3). In den Freiwilligensurveys 2004 und 2009 wird nach Gemeinwohlorientierung, Geselligkeitsorientierung und Interessenorientierung unterschieden (Gensicke et al. 2006: S. 103ff; Gensicke & Geiss 2010: S. 121ff). Der Freiwilligensurvey 2014 unterscheidet nach sozialen Aspekten, auf das eigene Wohlbefinden bezogene Motive sowie gewinnorientierte Motive (Simonson et al. 2016: S. 426). Die Motivstudie des Instituts für Demoskopie Allensbach unterscheidet 24 verschiedene Motive (Institut für Demoskopie Allensbach 2013: 25). Damit wird zum einen deutlich, dass Motive sowohl altruistisch als auch ichbezogen sein können, die Gemeinwohlorientierung beinhaltet meist einen Selbstbezug. Umgekehrt richtet sich der Selbstbezug auch an das Gemeinwohl. Motive können sich vermeintlich widersprechen, eingebettet in der Lebensbiografie ergeben sie aber einen „Sinn“. Es wird zum anderen auch deutlich, dass Motive manchmal einzeln, öfter aber mehrere Motive parallel das Engagement prägen. Teilweise gibt es ein Lebensthema, das über mehrere Lebensabschnitte hinweg prägend ist (beispielsweise der Wunsch nach Unterstützung der Angehörigen der eigenen Ethnie), teilweise verändern sich die Motive je nach biografischer Passung (beispielsweise kann zunächst der Wunsch nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Vordergrund stehen, mit dem Älterwerden des Kindes können neue Motive die ursprüngliche Motivation ablösen). Für die vorgelegte Studie ergeben sich folgende Schwierigkeiten, die trotz Literaturrecherchen anderer Motivstudien sowie im fachlichen Austausch nicht in Gänze aufgelöst werden konnten:   Eine Zuordnung der Subkategorien zu Motivbündeln ist nicht immer trennscharf zu lösen. So könnte die Subkategorie „Sprache erlernen“ den kompetenzorientierten Motiven zugeordnet werden. In diesem Fall fiel die Entscheidung allerdings auf die Zuordnung zum migrationsspezifischen Motivbündel, da dieses Motiv in direkter Verbindung zur eigenen Migration steht und diese Themenstellung zentral für diese Arbeit ist. Nicht nur die trennscharfe Zuordnung zu Hauptkategorien, auch die Trennung der Subkategorien stellt eine Herausforderung dar. So lässt sich der Wunsch nach Zugehörigkeit einmal dem migrationsspezifischen Motiv zu-
158    6 Ergebnisse ordnen, nämlich dann, wenn es um den Wunsch nach Zugehörigkeit zur Aufnahmegesellschaft geht, und zum anderen als Motiv der Anerkennung, wenn es sich um den Wunsch nach Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe handelt (unabhängig von der Ethnie). In den Aussagen spiegeln sich verschiedene, auch widersprüchliche Motive. Dies ist nicht als Widerspruch und Unglaubwürdigkeit zu werten, sondern als spezieller „Eigensinn“ freiwilligen Engagements. In der praktischen Umsetzung der Studie kann dies auch bedeuten, dass ein Ankerbeispiel für verschiedene Motive Anschauungsmaterial gibt, wenn sich beispielsweise in einer Aussage mehrere Motive befinden. Die Motivation zum freiwilligen Engagement erfolgt nicht immer als bewusste, aktive Entscheidung. Das Engagement ist von vielen Faktoren, Einflüssen, Hindernissen, Gelegenheitsstrukturen und auch Zufällen abhängig. Motive können unter der Oberfläche liegen, überlagert von vermeintlich wichtigeren Motiven. Die Bewusstmachung von Motiven kann im Interview erfolgen. Gleichzeitig verändern sich Motive im Biografieverlauf. Was zu Beginn des Engagements von Bedeutung war, hat vielleicht bereits seine Relevanz verloren und wurde durch andere Motive abgelöst. Dies kann zu Verzerrungen in den Interviews und zu Überlappungen in den Motivbündeln führen. So kann beispielsweise zu Beginn des Engagements die Alltagsbewältigung im Vordergrund gestanden haben, verbunden mit dem Wunsch nach einer Tätigkeit und Alltagsstruktur anstelle von Arbeitslosigkeit. Nach einer gewissen Zeit erwächst der Wunsch, aus dieser ehrenamtlichen Tätigkeit einen Beruf zu machen, das heißt es geht nun nicht mehr um Alltagsbewältigung, sondern um eine zukunftsorientierte Kompetenzentwicklung. Motive sind mal mehr, mal weniger gesellschaftlich anerkannt. Damit spiegeln die Aussagen auch gesellschaftliche Werte und Normen wider. In einer individualistisch und hedonistisch geprägten Gesellschaft sind Motive wie „Spaß haben“ oder „sich weiterbilden“ gesellschaftlich akzeptiert. Schwieriger wird es bei dem Motiv der Anerkennung. Die quantitativ geringe Benennung des Motivbündels der Anerkennung kann demnach auch erhebungstechnische Gründe haben. Vermutete gesellschaftlich weniger geschätzte Motive werden im Gespräch erst nach einem Vertrauensaufbau und nach einer gewissen Interviewdauer und nicht zu Beginn des Interviews genannt. Es ist allerdings nicht garantiert, dass dies in jedem Interview geglückt ist. Die individuelle Bedeutung des Motivs ist also nicht an der Reihenfolge der Nennung zu erkennen.
159 6.1 Engagementmotive Wohl wissend, dass sich Motive personell überlappen, im Biografieverlauf verändern, nicht immer klar voneinander abgegrenzt werden können, sollen hier in möglichst großer Trennschärfe und mit klaren Indikatoren folgende Motivbündel mit den dazu gehörenden Subkategorien als die zentralen Beweggründe von Frauen mit Migrationshintergrund in einem aufnahmelandbezogenen Verein dargestellt werden. Insgesamt konnten sechs Motivbündel generiert werden: hedonistische, ichbezogene und gesellige Engagementmotive (1), das Motiv der Anerkennung (2), Engagement als Kompensation (3), Engagement zur Kompetenzentwicklung (4), migrationsspezifische Engagementmotive (5) sowie altruistische Motive (6): 1 2 Anerkennung Hedonistisch 3 Kompensation 4 Kompetenzentwicklung Bürgerschaftliches Engagement 6 Altruistisch 5 Abbildung 22: Migrationsspezifisch Engagementmotive Überblick Quelle: Eigene Darstellung
160 6 Ergebnisse 6.1.1 Hedonistische/gesellige und auf das eigene Wohlbefinden bezogene Motive Abbildung 23: Hedonistische/gesellige und auf das eigene Wohlbefinden bezogene Engagementmotive Quelle: Eigene Darstellung 6.1.1.1 Hedonistische Motive – Spaß Spaß steht an erster Stelle, wenn freiwillig Engagierte zu ihren Beweggründen befragt werden. Nicht nur im Freiwilligensurvey 2014 (Simonson, Vogel und TeschRömer 2016: 427), sondern auch bereits 2009 (Gensicke und Geiss 2010: 16), 2004 (Gensicke, Picot und Geiss 2006: 100) und auch im ersten Freiwilligensurvey 1999 (ebd.) nimmt dieses hedonistische Motiv den Spitzenplatz im freiwilligen Engagement ein. Auch in der Motivstudie des Instituts für Demoskopie Allensbach steht die „Freude“ bei 75 % der Befragten an erster Stelle der Motivation (Institut für Demoskopie Allensbach 2013: 27). Direkt an zweiter Stelle stehen sowohl in den Freiwilligensurveys als auch in der Allensbach-Studie Motive wie „anderen Menschen helfen“ oder „die Gesellschaft zumindest im Kleinen mitgestalten“, also altruistische und gemeinwohlorientierte Motive. Spaß steht dabei nie alleine, Hedonismus als Antrieb für ein freiwilliges Engagement reicht nicht aus, es findet immer in Kombination mit anderen Motiven statt, nicht selten in der diametral erscheinenden Motivlage bestehend aus hedonistischen und altruistischen Beweggründen. Freiwilliges Engagement wird „nicht durch ‚Bespaßung’ befriedigt, sondern durch Sinnerfahrung, Gemeinschafts- und Erfolgserlebnisse“
6.1 Engagementmotive 161 (Schöffmann 2016: 115). Helmut Klages spricht von einer Zunahme „kooperativen Individualismus“, also der gleichzeitigen Gemeinwohlorientierung in Kombination mit selbstbezogenen Motiven (vgl. Enquête-Kommission 2002:115). Im Freiwilligensurvey 2014 (Simonson, Vogel, Tesch-Römer 2016c: 38) hat Spaß einen Zustimmungswert von 93,9 %, gesellige Motive einen Zustimmungswert von 82 %. Abbildung 24: Angaben der freiwillig Engagierten zu den Motiven für ihr Engagement 2014 Quelle: Simonson, Vogel, Tesch-Römer 2016c: 38 Auch in der vorliegenden Studie wird in fast allen Interviews das Wort „Spaß“ genannt. Ehrenamt soll Spaß machen und nicht nur Arbeit sein. Auffallend ist, dass nur wenige Interviewpartnerinnen ohne Einschränkung betonen, dass sie dabei Spaß haben, wie beispielsweise Interviewpartnerin 16 oder Interviewpartnerin 21114, die das Motiv „Spaß“ gleich mehrere Sätze lang betonen: 114 Beide Interviewpartnerinnen stammen aus demselben Herkunftsland, der Slowakei. Inwieweit dies eine Bedeutung hat, kann in dieser nicht-repräsentativen Studie aufgrund der geringen Fallzahl nicht weiterverfolgt werden.
162 6 Ergebnisse Ich arbeite gerne mit Menschen, das ist etwas, das macht mir unheimlich Spaß und als ich gemerkt hab, dass auch die Leute, die hier alle arbeiten, ja, (...), da hab ich gemerkt, oh da ist super Atmosphäre, das ist etwas, was auch Spaß macht. Das ist ein Job, wo du nicht jeden Tag kommst und sagst: „Oh, ich muss es jetzt wieder machen", sondern ich freu mich da drauf. # Interview 16: 00:05:33-4# Das ist für mich so Beruhigung. Oder halt sozusagen, okay, jetzt schalte ich mal ab. Das ist mal für mich halt mit denen Kindern halt Spaß haben. Für mich halt so Entspannungarbeit sozusagen. Arbeit, so kann man das eigentlich auch nicht nennen. # Interview 21: 00:04:08-5# Die meisten anderen Interviewpartnerinnen betten das Motiv in einen Halbsatz ein: „Ich habe Spaß“ und „mein Kind hat auch Spaß“ ist eine Aussage von Interviewpartnerin 23: Also ich habe auch gerne Kontakt mit anderen Müttern, mir macht auch Spaß hier, mein Sohn hat hier auch Spaß, er fühlt sich wohl. # Interview 23: 00:00:59-3# Meine Kinder, wenn ich meine Kinder sehe, sind sie, sie freuen sich und sie haben Spaß, dann freut mich das auch. Dann ist das für mich, also wenn meine Kinder lachen, meine Kinder Spaß haben, dann ist das, das kann kein Geld der Welt ersetzen. # Interview 10: 00:21:45-1# Oder „ich habe Spaß, weil sich Andere freuen“: Also das macht mir Spaß, wie gesagt. Und freu ich mich, wenn ich was auch für die Menschen machen kann. # Interview 15: 00:00:39-4# Ich hab ja auch mein Spaß, also ich freu mich ja eigentlich, das hat sich so eingespielt, das ist mein FZ-Nachmittag (Name des Familienzentrums, Anmerkung) zum Beispiel und das ist eigentlich okay also. (...) Also die Kinder freuen sich wirklich und die Mütter freuen sich und ich freue mich auch. # Interview 15: 00:17:49-5# Interviewpartnerin 3 erwähnt ebenfalls, dass sie Spaß im Umgang mit Kindern habe. Für sie steht als Motiv allerdings der finanzielle Aspekt in Form der Auszahlung der Übungsleiterpauschale nach §3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes im Vordergrund. Mithelfen kann man sagen oder Zeit verbringen oder bisschen, also ich hab auch viel Spaß mit Kinder, kann man sagen. Das ist also sehr interessant. (...) Ich kann hier nicht weggehen. Ich will auch hier nicht weggehen. Da ich verdiene ein bisschen. # Interview 3: 00:09:41-6#
6.1 Engagementmotive 163 Der Faktor „Spaß“ ist für die Motivation nicht zu unterschätzen und zwischenzeitlich ein in der Öffentlichkeit legitimes und gesellschaftlich anerkanntes Motiv im bürgerschaftlichen Engagement. Die meisten Interviewpartnerinnen haben den Spaß erwähnt, der ihnen die Tätigkeit bereitet. Meistens wird diese Aussage aber mit anderen Motiven kombiniert. Außer in Fällen, in denen das Engagement aufgrund der Übungsleiterpauschale in erster Linie zum Gelderwerb stattfindet, kann Spaß an der Tätigkeit als Grundbedingung und Basis freiwilligen Engagements bezeichnet werden. Ohne Freude an der Tätigkeit erfolgt wohl in den seltensten Fällen ein Engagement auf freiwilliger Basis. Allerdings ist Spaß ohne weitere Motive nicht ausreichend, denn mit dieser Motivation alleine ist kein längerfristiges Engagement mit teilweise zeit- und kräftezehrenden Aufgaben möglich. Spaß als Motiv muss demnach als Grundlage betrachtet werden, immer in Kombination mit anderen Beweggründen. 6.1.1.2 Gesellige und auf das eigene Wohlbefinden bezogene Motive 6.1.1.2.1 Kontakte Über die Hälfte aller Interviewpartnerinnen benennt das Motiv „Kontakte knüpfen“, „Menschen kennenlernen“ als grundlegend für ihr freiwilliges Engagement. Dabei gibt es vier Unterscheidungen: (1) Zum Ersten ist es ein Motiv, mit anderen Menschen grundsätzlich in Kontakt zu sein. „Ich bin gerne mit anderen Menschen zusammen“ oder „ich lerne gerne Menschen kennen“ sind solche unkonkreten Kontaktwünsche, die genannt werden: (2) Ich mach ehrenamtlich gerne, ich bin gerne in Gesellschaft mit Leuten, mit Kindern, mit Müttern, genauso mit alten Menschen bin ich auch gerne (lacht). # Interview 23: 00:07:06-7# Und man trifft, man lernt auch viele Leute kennen und das ist einfach schön. # Interview 10: 00:09:19-4# (3) Zum Zweiten und etwas konkreter geht es einigen Interviewpartnerinnen darum, Gleichgesinnte kennenzulernen oder Menschen, die in einer ähnlichen Lebenssituation sind. Dies kann auch für die Bearbeitung von Problemen von Vorteil sein:
164 6 Ergebnisse Ich seh dann die anderen Mütter und kann mich mit denen unterhalten, also da hab ich so Anlaufstelle, so wie Familie eben, wie der Name sagt. Und das ist also positiv, finde ich, gell. # Interview 15: 00:02:44-2# Ich bin einfach gerne dort, ich bin oft auch einfach nur so hingegangen, weil immer da jemand ist, mit dem man sich unterhalten kann oder sprechen kann oder eben auch mein Sohn ist auch nicht ganz einfach, als er hat so autistische Züge und da war ich immer ganz froh, wenn ich zur FZL (Leiterin des Familienzentrums, Anmerkung) gehen konnte und mich mit ihr austauschen konnte, weil sie einfach auch viele Ratschläge oder Tipps hatte. (…) Es ist immer jemand da mit dem man sprechen kann und es gibt immer Möglichkeiten, Andere kennenzulernen, die die gleichen Probleme haben. # Interview 7: 00:07:03-7# (4) Zum Dritten wird mehrfach erwähnt, dass es eine Bereicherung darstellt, so „unterschiedliche Menschen“ kennenzulernen: Es ist auch schön, viele Leute kennenzulernen, wirklich auch unterschiedliche Leute, mit denen ich wirklich vielleicht sonst nie in Kontakt gekommen wäre. Ich habe auch gelernt, dass man der erste Eindruck oft täuscht, grad bei manchen hätt ich gedacht: „HMM, komische Leute." Und die haben sich dann als SEHR nett und herzlich und supertolle Menschen herausgestellt. Und aber auch andersrum. Wenn ich am Angang dachte: „Ja, wir schwimmen so auf der gleichen Wellenlänge, aber HMM." Der erste Eindruck kann täuschen, das hab ich dann auch dazugelernt. Dass es sich lohnt, auch mal zwei-, dreimal hinzuschauen oder auch mal mehr als zwei, drei Sätze mit jemandem zu reden. # Interview 22: 00:12:59-2# (5) Zum Vierten stellt der Wunsch nach interkulturellen Kontakten ebenfalls ein Motiv dar. Dieser Zugang zu Menschen, zu denen der Kontakt im Alltagsleben aufgrund verschiedener Barrieren, sprachlicher oder struktureller Art, eher selten stattfindet, wird als Bereicherung gesehen: Man lernt viele Menschen kennen, verschiedene Nationen, man unterhält sich mit denen, ja, lernt sich kennen. # Interview 18: 00:07:33-3# Und es ist auch so, zum Beispiel heute hab ich gedacht: „Oh das ist echt fantastisch, dass ich Zugang zu diese Menschen habe.“ (…) Und das hilft so dermaßen, den Leuten zu verstehen, was so Asylanten sind oder Migranten sind und was sie machen. # Interview 14: 00:13:30-4#
6.1 Engagementmotive 165 6.1.1.2.2 „Rauskommen“ „Rauskommen“ ist insbesondere für Frauen in der Kleinkindphase ein wichtiges Motiv. Eine Berufstätigkeit ist in dieser Lebensphase teilweise aufgrund mangelnder Betreuungsmöglichkeiten nicht möglich oder auch nicht gewünscht. Eine ehrenamtliche Tätigkeit stellt hier eine willkommene Abwechslung dar, insbesondere wenn sie gemeinsam mit dem Kind ausgeübt werden kann. Eng daran geknüpft ist auch der Wunsch nach Anerkennung und Bestätigung (vgl. Kapitel 6.1.2 „Anerkennung“) in einer Phase der fehlenden beruflichen Anerkennung. Ja, also, ich denk, einer der Hauptgründe war rauskommen, unter Leute kommen, andere Mamis kennenlernen, weil Dezember 2006 in WO (Wohnort, Anmerkung), da lernste nicht so viele Leute kennen. # Interview 17: 00:06:05-8# Das war 2007, kam ich mit einem Baby im Tragetuch hierher, weil im Amtsblatt ist die Kategorie FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung). Und da hieß es „offenes Café, offen für jedermann" und einfach das Rauskommen. Weil ich bin gebürtig, also in GO (Geburtsort, Anmerkung) geboren, bin dann, mein Mann ist aus WO (jetziger Wohnort, Anmerkung) und ja, er geht arbeiten und als Frau sitzt man dann zu Hause. # Interview 17: 00:03:02-4# Das Motiv „Rauskommen“ wird öfter in Kombination mit anderen Gründen erwähnt. In einigen Mütter- und Familienzentren wird das freiwillige Engagement in Form einer Aufwandsentschädigung vergütet. In allen Mütter- und Familienzentren ist es üblich, dass die Kinder selbstverständlich dabei sein können. Damit ist es insbesondere für Frauen mit sehr kleinen Kindern ohne Fremdbetreuung attraktiv, ein freiwilliges Engagement mit Aufwandsentschädigung anzunehmen. Zwar ist die Aufwandsentschädigung nicht sehr hoch, es fallen dafür aber keine Ausgaben für die Kinderbetreuung an. Ich wollte einfach erstens nicht zu Hause hocken und dann war ich eh viel unterwegs, sag ich mal, in so Gruppen mit meinem Sohn. Und dann wollte ich halt ein bisschen arbeiten, ein bisschen nebenher verdienen, klar. Miteinander verbinden. # Interview 13: 00:02:14-1# Ich denke, dass besser arbeite ehrenamtlich arbeiten, nicht zu Hause sitzen. Ich denke, meine Meinung ist, dass ich nur zu Hause sitze, nicht zu lernen, nicht. Und noch verdienen. Nicht so, so viel Geld, aber das ist gut. # Interview 5: 00:06:46-0# Für Interviewpartnerin 12 war das Rauskommen wichtig, um ihre Schmerzen vergessen zu können:
166 6 Ergebnisse Ich bin nicht hier in FZ (Name des Zentrums, Anmerkung) wegen die Kinder gekommen, sondern einfach, ich denke mal wegen meine Krankheit, weil ich einfach nicht zu Hause allein sein wollte. Das hat mir gutgetan. Jeden Tag mal rauszugehen, jeden Tag mal zu sehen, dass ich jemanden anderes helfen konnte und dann ein wenig meine Schmerzen dann loszulassen. Ich glaube, das war das, warum ich in FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) gekommen bin. # Interview 12: 00:06:50-6# Also persönlich war für mich dieses ehrenamtlich Tätigkeit war für mich, wie soll ich´s dir erzählen halt, dass ich nicht in ein Loch gegangen bin. (...) Also mir hat´s gutgetan. # Interview 12: 00:12:05-1# Für Interviewpartnerin 20 hat das Motiv „Rauskommen“ auch etwas damit zu tun, den eigenen Horizont zu erweitern und Kontakte außerhalb der Familie zu knüpfen. Sie entstammt einer Spätaussiedlerfamilie, in der außer ihr keine_r freiwillig engagiert ist. Das persönliche Umfeld bezieht sich hauptsächlich auf die Familie und Verwandtschaft. Durch die Familie ihres Mannes hat sie bürgerschaftliches Engagement kennengelernt und sieht darin die Möglichkeit, in einem größeren Rahmen agieren zu können: Irgendwie hast du so das Gefühl, du hast so ein kleinen Kreis irgendwie einfach, weißt. Du bist nur irgendwie in dem kleinen Rahmen mit den gleichen Leuten immer zusammen und hast irgendwie gar nichts und ich wollt nicht so ganz eigenbrötlerisch werden, wie mein Vater es ist. # Interview 20: 00:04:25-8# Unter die Leute kommen auf jeden Fall schon. Und einfach mal andere Leute auch sehen, wie jetzt im Alltag immer so hast. Und ich kenn´s von meine Leut´ (Eltern, Anmerkung) halt anders, also die waren nie ehrenamtlich aktiv und hab´s dann hier eher anders kennengelernt über´n M (Name des Ehemannes, Anmerkung), über E (andere ehrenamtlich Aktive im Mütterzentrum, Anmerkung) und fand das dann immer so schad. # Interview 20: 00:02:02-9# Das Motiv „Rauskommen“ ist in sich inhomogen und schließt weitere Aspekte mit ein. „Rauskommen“ ist ein sehr unbestimmtes und wenig definiertes Motiv. Meist findet es in Kombination mit anderen Motiven statt. Dabei sind grundsätzlich zwei Zielrichtungen denkbar: Zum einen geht es um ein „weg“ von zu Hause, von der familiären Enge, von der Alltagsroutine mit einem Kleinkind oder von den körperlichen Schmerzen. Oder es geht um ein „hin“, beispielsweise um Kontakte zu knüpfen oder um im Rahmen der Aufwandsentschädigung etwas dazu zu verdienen. Eine weitere Unterform des „Rauskommens“ kann in der Empty-Nest-Phase stattfinden, also in der Lebensphase von Eltern „flügge“ gewordener Kinder. Dieses Motiv wurde nur einmal erwähnt. Vermutlich hängt das damit zusammen, dass
6.1 Engagementmotive 167 die meisten Interviewpartnerinnen keine oder kleine Kinder haben und Interviewpartnerin 3 eine der wenigen interviewten Frauen mit erwachsenen Kindern ist: Ich wollte eigentlich was tun, nach meine Jungs also in Gymnasium gegangen. Dann ich hab meine Kinder gesagt: Ich habe meine Job erledigt, jetzt ich will ein bisschen raus. # Interview 3: 00:02:42-4# 6.1.1.2.3 Ausgleich zum Alltag Einen „Ausgleich zum Alltag haben“, nennen zwei Interviewpartnerinnen als Engagementmotiv. Das ist für mich so Beruhigung. Oder halt sozusagen, okay, jetzt schalte ich mal ab. (…) Für mich halt so Entspannungsarbeit sozusagen. Arbeit, so kann man das eigentlich auch nicht nennen. # Interview 21: 00:04:08-5# Bei Interviewpartnerin ist es ein Ausgleich zur Kleinkindphase: Ja, ich bin angesprochen worden. Ob ich nicht hier, so Zeitaufwand circa zwei Stunden in der Woche. Und dann dacht ich: „Ha ja, mal was anderes wie dieser Babykram." # Interview 17: 00:03:32-2# Bei beiden Interviewpartnerinnen stellt die freiwillige Tätigkeit einen Ausgleich zum Alltag dar. Interviewpartnerin 21 arbeitet als Bürokauffrau und empfindet die Betreuung von Kindern mit Fluchterfahrung als „Beruhigung“ und „Entspannung“. Interviewpartnerin 17 sieht das Ehrenamt mit Kassenführung und Bürotätigkeit als gelungenen Ausgleich zur Kindererziehung. 6.1.1.2.4 Persönliche Zufriedenheit Fünf Interviewteilnehmerinnen nennen das Motiv der persönlichen Zufriedenheit. „Beruhigung“, „sich besser fühlen“, „glücklich sein“ sind positive Gefühle, die mithilfe einer freiwilligen Tätigkeit entstehen können. Ich wollt das irgendwie so bisschen in die Richtung halt auch mal, auch was machen. Ich weiß nicht, dass dich besser fühlst, vielleicht irgendwie dadurch. # Interview 20: 00:02:02-9#
168 6 Ergebnisse Zufriedenheit, einfach Zufriedenheit. (...) Ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll, dass du mit dir zufrieden bist einfach, ich weiß es nicht. Dass, ja, dir fehlt jetzt nichts irgendwie. # Interview 20: 00:06:20-8# Aber das Gefühl, das es mir gegeben hat, das positive, das ist geblieben, das hab´ ich bis heute. Wenn ich etwas tue und dann hab ich immer noch dieses positive Gefühl. # Interview 7: 00:26:50-0# Ich bin ja hier gekommen und dann hat´s mir gutgetan und ich hab gemerkt, dass andere, viele andere auch Probleme haben oder andere Krankheit hatten, die noch schlimmer waren. Also mir hat’s persönliche nur gute und Zufriedenheit und hat mir mehr Mut weiter zum Leben und zum Kämpfen halt. Das hat mir halt. # Interview 12: 00:13:31-1# Zufriedenheit ist eine höchst individuelle Angelegenheit und von den Interviewpartnerinnen nur schwer in Worte zu fassen. Das Gefühl der Zufriedenheit stellt sich ein, wenn „nichts mehr fehlt“ oder wenn es ein „schönes Gefühl gibt“. 6.1.1.3 Zwischenergebnis hedonistische/gesellige und auf das eigene Wohlbefinden bezogene Motive Der Faktor „Spaß“ ist ein gesellschaftlich legitimer Beweggrund für das freiwillige Engagement. Damit ist möglicherweise der bereits in Kapitel 2.3 thematisierte Strukturwandel des Ehrenamts auch in dieser Studie sichtbar. Es geht im Engagement nicht ausschließlich um „Ehre“ oder Altruismus, sondern die Freude an der Tätigkeit darf auch benannt werden. Ergänzend dazu fällt auf, dass das Motiv „Spaß“ oft zu Beginn eines Interviews auf die Frage nach der Motivation genannt wird. Es ist demnach in einer hedonistisch ausgerichteten Gesellschaft anerkannt, dies auch als Motiv zu benennen. Dies ist vor allem in Abgrenzung zum Motivbündel „Anerkennung“ auffallend. Den befragten Frauen fällt es demnach leichter, über ihr Engagement zu sagen: „Ich habe Spaß dabei“, als zu sagen: „Ich möchte Anerkennung bekommen“. Spaß darf offen und weitgehend unreflektiert benannt werden. Demnach ist Spaß nicht nur grundsätzlich gesellschaftlich anerkannt, es ist auch ein Beweggrund, der normativ einen höheren Stellenwert hat als beispielsweise Anerkennung oder Geld verdienen im Ehrenamt. Erst im Laufe des Gesprächs kommen weitere Motivgründe zutage, die teilweise viel entscheidender für das Engagement sind, aber unter der Oberfläche des Spaßes liegen. Bestätigt wird in dieser Studie auch die von Helmut Klages thematisierte Zunahme eines „kooperativen Individualismus“ (Enquête-Kommission 2002: 115). Das Motiv „Spaß“ kommt in keinem Interview als alleiniges Motiv vor, sondern
6.1 Engagementmotive 169 immer in der Kombination mit anderen Motivbündeln. Dies trifft auch auf alle weiteren geselligen und auf das eigene Wohlbefinden bezogenen Motive zu. Bezüglich der Verteilung des Motivs fällt auf, dass insbesondere der Engagementtyp IV115 hedonistische und auf das eigene Wohlbefinden bezogene Motive benennt. Das Interesse an Spaß, Zufriedenheit, Kontakten, Rauskommen und Ausgleich zum Alltag ist hier besonders groß. Das Motiv „Spaß“ wird zwar in allen Engagementgruppen genannt, ist aber im Engagementtyp II, III und V quantitativ unterrepräsentiert. Unterrepräsentiert sind die Engagementgruppen I, II und III im Motivbündel „gesellige und auf das eigene Wohlbefinden bezogene Motive“. Die Subkategorie „Kontakte“ hat für die Engagementtypen IV und V eine große Bedeutung. 6.1.2 Anerkennung Ergänzend zum theoretischen Bezugsrahmen (Kapitel 4.1) können anerkennungssensible Orte bürgerschaftlichen Engagements dazu beitragen, einen positiven Selbstbezug zu entwickeln. Insbesondere für Menschen, die bislang Ausgrenzung, Entwürdigung und Beleidigung erfahren mussten, kann bürgerschaftliches Engagement eine Möglichkeit darstellen, Anerkennung zu erlangen. In der vorliegenden Studie drückt sich der Wunsch nach Anerkennung in folgenden Teilmotiven aus, die analog den drei Anerkennungsformen von Axel Honneth zugeordnet werden. 115 Zur Charakterisierung der Engagementtypen I-V, siehe Kapitel 6.2.
170 6 Ergebnisse Abbildung 25: Anerkennung als Engagementmotiv Quelle: Eigene Darstellung 6.1.2.1 Anerkennung durch „Liebe“ Die von Honneth als „Liebe“ bezeichnete basale Anerkennungsform kann im freiwilligen Engagement eine Befriedigung erfahren durch positive Rückmeldungen aus dem Umfeld. Unterschieden werden nonverbale Rückmeldungen, verbale Rückmeldungen direkt im Engagement, außerhalb durch das Umfeld oder durch die Öffentlichkeit, symbolische Wertschätzungen, die Wertschätzung der eigenen Person sowie eigene subjektive Erfolgserlebnisse: 6.1.2.1.1 Anerkennung durch nonverbale Rückmeldung Nonverbale positive Rückmeldungen der Eltern oder das Lachen der Kinder motivieren zum Engagement: Und so bin ich dann hier geblieben und mit den Kindern macht so viel Spaß und ich sehe auch, dass die Mütter dann froh sind, wenn sie wissen, hier ist jemand, der das mit Liebe macht. Ja, und die Kinder sind gut behütet und können dann ihre Termine
6.1 Engagementmotive 171 machen, können ruhig mal entspannen und das find ich ganz toll, dann auch zu sehen, wie sie dann glücklich sind. # Interview 1: 00:03:43-5# 6.1.2.1.2 Anerkennung durch verbale Rückmeldung aus dem Engagementort Positive Rückmeldungen erfolgen in erster Linie durch verbales Feedback. Dies kann durch ein einfaches Danke erfolgen, wie Interviewpartnerin 22 schildert: Ich bekomm auch mal ein Dankeschön, ich bekomm ein bisschen, ja einfach die Freude der Menschen dann. Einfach dass ich ihnen eine Freude gemacht habe, das tut dann ja auch gut. Und wenn sie auch noch dann Dankeschön sagen oder sonst irgendein Lob haben, dann tut das ja auch gut. Man bekommt ja grad als Hausfrau dann zu Hause nicht immer so ein Lob fürs Putzen und Kochen. Da heißt es immer: „Was hast du heute wieder gekocht? Das mag ich nicht. Und das will ich nicht". Da kriegt man wenigstens ab und zu ein Lob und Danke und – (lacht). Einfach, dass man auch bisschen geschätzt wird für das, was man tut. Man kriegt zwar kein Geld dafür, aber ich krieg dafür Anerkennung und Lob. # Interview 22: 00:07:16-6# Ich denk auch ein bissele fürs eigene Ego. Dass man einfach, man wird gebraucht. Natürlich wirst du daheim in der Familie auch gebraucht, aber da kriegst du vielleicht nicht so viel zurück in Worten, glaub ich oder bei mir ist es so. # Interview 17: 00:14:44-6# Die positive Rückmeldung kann aber auch, wie von Interviewpartnerin 9 geschildert, zu einer Zunahme an Selbstbewusstsein führen. Wenn mehrere Rückmeldungen bestätigen, dass es „gut“ ist, was du tust, dann „wirst du selbstbewusst“ oder es kann zu einer positiven Selbstbeziehung (Honneth) führen. Wenn du mit Ehrenamt, Amt gehst, dann siehst du deine- (unv., Handystörgeräusch): „Oh, bin ich gut". Dann hörst du. Wenn du nicht selber musst sagen, wenn du dann drei, vier, fünf, sechs Leute hörst, dass diese Richtung, es ist gut. Du machst es gut, du machst es gut. Dann wirst du selbstbewusst, dann merkst du, dann hast du ein Ziel, aha, okay, dann geh ich da hin. # Interview 9: 00:36:42-3# 6.1.2.1.3 Anerkennung durch verbale Rückmeldung aus dem Umfeld Anerkennung durch positive Rückmeldung erfolgt nicht nur am Engagementort direkt durch die Zielgruppe oder durch andere Engagierte, sondern auch im privaten Umfeld. Dieses bewertet das Engagement positiv oder negativ (siehe Kapitel
172 6 Ergebnisse 6.4 „Barrieren“) und wirkt damit konkret auf die Motivation ein. Interviewpartnerin 10 ist bislang die Einzige, die sich in einem aufnahmelandbezogenen Verein engagiert, was ihr viel Anerkennung in der Familie einbringt: Und dann ist es schon was Schönes. Ja und mein Bruder, der veräppelt mich immer: „Na, Vorstandsfrau, muss ich dich jetzt mit Sie ansprechen oder was?“ Weil die denken, dass es das schon irgendwie. Ja, das ist normal, dass ich jetzt nicht wo ich jetzt so eine gehobene Position hab oder so. Meine Eltern geben schon ein bissle an damit (lachend), also es wird schon. Oder meine Schwester gibt dann auch schon an. Also ich bin nicht diejenige, die überall hingeht und sagt: „Ich bin da und da im Vorstand.“ Das bin ich einfach nicht. Aber meine Schwester gibt manchmal damit an: „Ja, meine Schwester, die ist ja im Vorstand und da und da.“ Natürlich. Natürlich. Auf jeden Fall. Das ist ja auch schön. # Interview 10: 00:21:51-6# Interviewpartnerin 2 berichtet von zahlreichen positiven Rückmeldungen aus der türkischen Community. Ihr Engagement wird geschätzt, durch das Engagement werden ihr auch Fähigkeiten und Kompetenzen in anderen Tätigkeitsbereichen unabhängig vom Engagement zugesprochen, was sie zum Vorbild für andere türkische Frauen werden lässt: Ganz toll, die lieben alle mich, weil ich bin so positive Mensch. Ich krieg so viele Rückmeldungen, ich guck alles immer positiv. (…) Vorbild kann ich nicht sagen, aber viele wollen wahrscheinlich, was ich erreicht habe, das sie auch wollen. Also genau Vorbild, weiß ich nicht. (...) Ich seh mich nicht Vorbild, ich seh´ so die Erfahrung, diese Wissen, dass ich gerne mitteile mit Menschen, daher die kommen immer mir fragen, ob ich jemand kenne. Zum Beispiel ich mach sogar Arbeitsvermittlung hier. Die türkischen Frauen kommen zum Beispiel: „Kennst du jemand, ich suche Job. So putzen, bügeln oder einkaufen oder so was." Viel hab ich das gefunden. # Interview 2: 01:03:09-8# Interviewpartnerin 2, die im Familienzentrum jährlich ein interkulturelles und interreligiöses Ramadan-Fest veranstaltet, berichtet von zahlreichen positiven Rückmeldungen: Mein Nachbarin war auch da. Die hat gesagt: „Das war so schön. Ich hätte nie gewusst, dass das so schöne religiöse, religiös ist, eure Religion.“ Da waren viele gute Rückmeldungen da und deswegen dadurch da kommen viele Leute noch mehr rein. Das ist 300, 400 Leute, so viel für eine Fest Ramadan. Und wenn ich die Ergebnis seh, MEIN GOTT, TOLLE Rückmeldung bekomm ich dann. Ich bin so froh, ich möchte auch wieder neues Jahr wieder mitmachen. # Interview 2: 00:34:42-9#
6.1 Engagementmotive 173 6.1.2.1.4 Anerkennung durch Öffentlichkeit Interviewpartnerin 9 betont an mehreren Stellen im Interview das Interesse der Öffentlichkeit (türkischer Konsul, Landtagsabgeordnete, Presse) an ihrem Projekt: Wir haben ganz viel Unterstützung bekommen vom türkischen Konsulat, wir haben eine Projektberaterin gehabt von der Stadt und ganz viele Presse hat FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) gehabt. # Interview 9: 00:07:52-7# Ja. Schon. Sehr politisch und ich denk auch viel politisch jetzt. Weil wenn du so viele, wir haben auch türkische Abgeordnete hier auch eingeladen, die Muhterem Aras (…). Und dass jemand uns auch sieht, was wir hier machen. Sie ist von Grünen, und dass uns jemand unterstützt. Weil diese Einrichtungen finde ich sehr, sehr-. Weil hier muss man kein Geld zahlen, weil Pekip (Angebot der Familienbildung, Anmerkung) und so muss man Geld zahlen. Oder da musst du teilnehmen oder du musst dann –. Aber hier ein offener Raum, dass jeder darf hinzukommen, muss man unterstützen von Stadt. Und das haben wir gelernt. Man muss mit den politischen Leute muss man zusammenarbeiten. Oder wir haben eingeladen auch den Herrn, den Konsulat, wir haben auch gesagt, die Zusammenarbeit, wie wichtig das ist. Dass man Türkische und Deutsche, weil sie sind seit 50 Jahren hier. # Interview 9: 00:23:30-4# Im Engagement erfährt Interviewpartnerin 9, die weder als Ungelernte im Niedriglohnsektor noch im familiären Umfeld Anerkennung erfährt, Wertschätzung durch die Öffentlichkeit116. 6.1.2.1.5 Anerkennung durch symbolische Wertschätzung Neben nonverbalen und verbalen positiven Rückmeldungen erfolgt Anerkennung auch durch symbolische Wertschätzung. Genannt werden im Interview 10 Dankesfeiern, Gutscheine, die kostenfreie Teilnahme an internen Veranstaltungen sowie die Ermöglichung von Fortbildungen und Austauschprogrammen. Theoretisch vorstellbar, in dieser Studie aber nicht genannt, sind auch symbolische Anerkennungsformen wie Urkunden. Diese Form der Anerkennung wird ausschließlich von Interviewpartnerin 10 erwähnt: 116 Im Freiwilligensurvey 2004 wünschen sich Migrant_innen (35 %) stärker als Nicht-Migrant_innen (23 %) eine öffentliche Anerkennung ihrer Tätigkeit (Gensicke, Geiss und Picot 2006: 404). Die hohe Bedeutung von Anerkennung durch die Öffentlichkeit konnte hier nicht bestätigt werden, in der vorliegenden Studie erwähnt ausschließlich Interviewpartnerin 9 dieses Motiv für ihr Engagement.
174 6 Ergebnisse Und als Vorstandsfrau muss ich das auch nicht zahlen. Das ist nicht viel, ein, zwei Euro, die man da zahlt, aber trotzdem, das ist dann für mich schon so das, was ich jetzt wiederbekomme. Und diese einzelnen Aktionen mit dem Essen und so finde ich auch super. Auch mit den Europaparkkarten, das ist für meine ganze Familie, kostet eine 40 Euro (…). Und das ist schön. Ja, dass man einmal im Jahr in den Europapark gehen kann umsonst, das ist ja nicht wenig. Und da fühlt man sich auch so: „Hach, ich hab Freikarten weil ich halt ja was tue.“ Dann denkt man, auch im Freundeskreis: „Au Mann, du hast es ja gut." „Ja, aber ich mach ja auch was dafür." # Interview 10: 00:21:45-1# Es gibt einmal jährlich ein Dankesessen. Auf Kosten des Mütterzentrums. Alle Ehrenamtlichen, alle die jetzt Vorstände sind, sind eingeladen. Alle, die Cafés leiten, die Gruppen leite, und ja, die sind dann, die dürfen dann, die gehen irgendwo essen, bestellen uns dann ein Menu, das ist jetzt (…) Dann gibt es immer, was wir noch einmal im Jahr machen, das ist das Raclette-Essen, das ist auch auf Kosten des Mütterzentrums, jeder besorgt die Sachen und die zahlen´s uns das dann (...). # Interview 10: 00:19:27-4# Und dann gab es auch die Möglichkeit, auf Kosten dieser Grunding, oder Grundtvig oder wie das heißt, auch in andere Länder zu gehen, das war jetzt. E1 (Name einer Engagierten, Anmerkung) war jetzt in der Türkei mit der E2 (Name einer anderen Engagierten, Anmerkung) und in Holland glaub ich, und in Österreich, glaub ich, waren die auch. (...) Und so was zum Beispiel kriegt man hier auch nicht so, dass man da jetzt andere Länder jetzt mal so, ohne dass man jetzt so umsonst jetzt, das ist auch was wo, wo ich dann denke, dass es mir angeboten wird, da fühl ich mich auch so: „Okay" (gedehnt), dann bist du was Besonderes, ja.“ Dann darfst du in andere Länder, ich würd da sehr gerne, wär ich da mitgekommen. Oder Fortbildungen zum Beispiel. Die werden ja auch bezahlt, wenn du nach Stuttgart oder so gehst mit Verpflegung und so. Das ist ja alles auch schön und das kriegst du auch jetzt nicht überall. Also ich hab schon viele Vorteile. # Interview 10: 00:33:06-5# 6.1.2.1.6 Anerkennung durch Wertschätzung als Person Einen Ort zu finden, an dem man als Person wertgeschätzt wird, kann ein starkes Engagementmotiv sein, insbesondere dann, wenn es sich um Personen handelt, die aufgrund persönlicher oder von der Gesellschaft zugeschriebener Merkmale wenig oder keine Anerkennung durch die Mehrheitsgesellschaft finden. In einigen Interviews wird das Tragen eines Kopftuches als Zugangsbarriere für Arbeitsstellen oder zu Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft thematisiert. Der Wunsch nach Wertschätzung als Person statt einer Reduzierung auf das Merkmal Kopftuch wird erwähnt. Interviewpartnerin 11 möchte als Ich wahrgenommen werden, was ihr im Kontakt mit vorurteilsbehafteten Nutzer_innen nicht immer gelingt. Wichtig ist ihr aber, dass sie Unterstützung durch das Familienzentrum erfährt (und durch interne Fortbildung lernt) und dort als Person wertgeschätzt wird.
6.1 Engagementmotive 175 Natürlich, das liegt an die Leute. Ich kenne die Leute nicht. Die kommen zum ersten Mal und stehen und sehen eine Frau mit Kopftuch: „Und diese Frau, diese muslimische Frau mit allen unseren Geschichten soll sich um unser Kind kümmern?“ Ich denke viel an das. Aber ich habe das auch bei unserer Fortbildung im Mütterzentrum gefragt. Ich akzeptiere und ich nehme die Leute, wie sie sind. Und sie sollen das auch machen. Ich bin eine Frau mit Kopftuch. Ich arbeite, also nicht mein Kopftuch mitarbeitet, sondern ICH. Körperlich und seelisch. Sie sollen das an mich sehen und nicht mein Kopftuch. # Interview 11: 00:22:19-7# Dass ich in einen Stand die Stunden stehe und Kuchen verkaufe mit meinem Kopftuch. Da war immer das Kopftuch das Problem. Und da bin ich da. (…) Und bin ich akzeptiert. # Interview 11: 00:20:54-9# So betont Interviewpartnerin 3, dass ihr aufgrund ihres Kopftuches eine andere Arbeitsstelle verwehrt wird und es für sie ein „Vorteil“ sei, im Familienzentrum arbeiten zu können. Ich hab damals eine Gespräch gehabt mit eine Mann (Mitarbeiter der Agentur für Arbeit, Anmerkung) und er gesagt: „Wenn Sie in Schule was arbeiten, also dann müssen Sie diese Kopftuch und so nicht mehr tragen." Und ich hab gesagt: „Ohne Kopftuch ich geh nicht rein." Dann hab ich hier, also ich finde das sehr wohl hier. So ich habe diese Stelle gefunden. Und für mich auch reicht. Also ich kann nur so, so arbeiten. # Interview 3: 00:04:47-1# Da ich Kopftuch trage und das ist eine Vorteil für mich, hier zu sein (...). # Interview 3: 00:21:34-3# Als Mensch anerkannt und wertgeschätzt zu werden unabhängig von der Herkunft, wird von Interviewpartnerin 10 positiv erwähnt: Das ist egal, wo du herkommst. Das wird hier ganz großgeschrieben hier. Und das ist, das find ich, schon auch die E (Name einer Engagierten, Anmerkung) zum Beispiel, die macht jetzt ‘ne Ausbildung. Die ist auch noch nicht lang hier in Deutschland. Die ist dunkelfarbig und hat Kopftuch. Die hat hier auch ein Ehrenamt gehabt, hat auch ein Café geleitet, ich glaub, das würd sie auch sonst nirgendwo machen können. # Interview 10: 00:47:06-4# 6.1.2.2 Anerkennung durch „Recht“ Die Missachtung der Anerkennungsform „Recht“ zeigt sich laut Honneth in Entrechtung und Exklusion. Im Umkehrschluss dazu drückt sich Anerkennung in die-
176 6 Ergebnisse sem Bereich in Inklusion und Partizipation aus. In dieser Unterkategorie sind folgende Motive zu finden: der Wunsch des Dazugehörens117 sowie der Wunsch nach Gestaltungsrechten, was sich konkret in Verantwortungsübernahme und der Möglichkeit des Mitbestimmens ausdrückt. Die Engagementgruppe III, die am stärksten von Exklusion aus der Aufnahmegesellschaft betroffen ist, ist in dieser Kategorie unterrepräsentiert. Der Wunsch nach Anerkennung setzt nicht nur ein emotionales Bedürfnis nach Anerkennung voraus, sondern auch die Energie, an diesem Zustand etwas zu verändern. Es ist zu vermuten, dass die Kraft zur täglichen Lebensbewältigung bereits aufgebraucht wird und der Fokus deshalb stärker auf den kompensatorischen Motiven liegt. Der Wunsch nach Anerkennung ist vermutlich genauso vorhanden, wird aber durch existenzielle Sorgen in den Hintergrund gedrängt. Der Wunsch nach Anerkennung drückt sich vielmehr im Wunsch nach einer Anerkennung des ausländischen Berufsabschlusses aus; Anerkennung wird weniger im Engagement gesucht, sondern stärker im Berufsleben. 6.1.2.2.1 Anerkennung durch Dazugehören Die Motivation „Dazugehören“ findet sich bei vielen Interviewpartnerinnen (1, 4, 8, 10, 14, 17). Interviewpartnerin 14 versteht ein Mütter- und Familienzentrum als Teil einer für sie lebenswerten Gesellschaft, in der mehr das Miteinander und weniger das Recht des Stärkeren zählt. Das ist so, so die Gesellschaft, in dem ich sein will. Wo die Leute sich unterstützen. Und es ist so, es ist sehr wichtig für mich, dass auch Teil davon zu nehmen. Und auch davon Teil zu sein. (…) Ich will nicht so eine Gesellschaft, wo nur Ellbogen ist oder so was, dann will man auch was tun, finde ich. Ja, als Mutter ist man viel mehr so bewusst darüber. Nicht alle, aber einige. # Interview 14: 00:07:31-2# Interviewpartnerin 10 sieht das Mütter- und Familienzentrum als Gemeinschaft, zu der sie sich durch ihr Engagement zugehörig fühlt, auch Interviewpartnerin 4 fühlt sich durch ihr Engagement als zugehörig und „mittendrin“: Und dann gehörst du auch WIRKLICH dazu, zu dieser Familie. Es gehören alle dazu, aber so richtig dazugehört hab ich, habe ich so gefühlt erst nach dem Vorstand, nach der Vorstandsaufnahme. Ja und war auch schön. War schön und dann kannte dich 117 Das Motiv des Dazugehörens lässt sich auch bei den migrationsspezifischen Kategorien finden. An dieser Stelle richtet sich der Wunsch an die Zugehörigkeit zu einer Gruppe unabhängig von der Kategorie „Ethnie“ im Gegensatz zum migrationsspezifischen Wunsch des Dazugehörens zur Aufnahmegesellschaft.
6.1 Engagementmotive 177 dann auch jeder und, also fast jeder, und weiß auch, was du so machst und, und, doch, es ist schon sehr schön gewesen, also ich bereu´s auf keinen Fall und mach´s so lang, wie´s geht. # Interview 10: 00:33:06-5# Also ich dachte, ich kann mich da voll engagieren, weil ich was kann und irgendwie helfen kann und ja bissel so dazugehören. Irgendwie kriegt man da ja auch über dieses MüZe viele Neuigkeiten, irgendwie ist man da so mittendrin. # Interview 4: 00:06:47-7# 6.1.2.2.2 Anerkennung durch Gestaltungsrecht: Mitbestimmen und Verantwortungsübernahme Entrechtung und Exklusion als Missachtungsformen verbindet, dass es in beiden Fällen um einen Mangel an Gestaltungsmöglichkeiten geht. Entrechtete und exkludierte Menschen empfinden sich als ohn- und nicht wirkmächtig. Anerkennungssensibles freiwilliges Engagement trägt dazu bei, Anerkennung durch Gestaltungsfreiheiten zu ermöglichen. Der Wunsch nach Mitbestimmung und der nach Verantwortungsübernahme sind dabei wichtige Kategorien, die in der Studie benannt wurden. Und seitdem ich im Vorstand bin, habe ich auch mehr Mitspracherechte hier und mag das gerne, dass man da auch Entscheidungen da auch treffen kann und da und die Meinung auch angehört wird. # Interview 10: 00:12:47-7# Verbunden mit dem Mitbestimmen ist auch die Verantwortungsübernahme, das heißt es geht auch konkret darum, die Konsequenzen für die eigenen Vorschläge zu tragen. Das ist auch so das Gefühl des Mitbestimmens dürfen, das ist auch eine gute Gefühl. Weil du bist dann, du hast dann Verantwortung für viele Leute. # Interview 9: 00:46:39-7# Also ich, unabhängig vom Vorstand habe ich auch schon so ein bissle mitgeholfen, ja das war für mich auch, ich bin eine Person, die gerne hilft, ja auch unentgeltlich und mich reizt schon so was immer. Auch schon früher. Also in der Schule, dass ich dann halt so, ich wollte auch mal so Klassensprecherin sein und so, irgendwie was, wo ich einfach Verantwortung. Das hat mich schon gereizt. # Interview 10: 00:12:47-7# Positiv erwähnt werden dabei lösungsorientierte und wertschätzende Haltungen, z. B. durch Vertrauen – Das fand ich total, auch Vertrauens-, wie sagt man da, Vertrauensvorschuss. „Ja, kannst du das nicht machen?“ Und ja, ich fand das total schön. Und dann hab ich auch
178 6 Ergebnisse gesagt: „Ja, ich besprech das mal“. Und es war dann schnell klar, ich kann das machen. # Interview 4: 00:08:18-5# Aber ich dachte, ich möchte jetzt was machen, irgendwie. Und dadurch, dass ich sofort diese Anerkennung und Wertschätzung auch vom Kindergarten und auch von der E (Engagierte, Anmerkung), dass dieser Weg und dass diese Türen so einfach für mich offen waren und die Leute irgendwie bereit waren, mir eine Chance zu geben, mich zu engagieren. Ja, natürlich war das Motivation ohne Ende, also. # Interview 6: 00:07:54-0# - und durch die Möglichkeiten, sich mit Ideen einzubringen und sich auszuprobieren: Aber ich wollte was für rumänische Kinder, damit er zweisprachig aufwächst, und die Lieder und die Gedichte und was anderes, die rumänische Tradition kennenlernt und das gab´s bei uns in WO (Wohnort, Anmerkung) nicht und auch nicht in der Umgebung und dann bin ich mit diese verrückte Idee (lacht) zu E (Engagierte aus dem Familienzentrum, Anmerkung) hingegangen und sie war sofort begeistert und hat gesagt: „Natürlich können wir das bei uns anbieten" # Interview 6: 00:03:10-8# Ich bin Erzieherin und das ist schon, ich mag das einfach, ich hab viele Ideen und bring mich schon gerne ein. Also das gefällt mir einfach. Also ich hab ganz viele Ideen immer und such´ gerne Ideen raus und ja, das hat mir eigentlich richtig Spaß gemacht dann einfach, dass die Gruppe zu übernehmen. # Interview 7: 00:04:32-6# 6.1.2.3 Anerkennung durch „Solidarität/Leistung“ Entwürdigung und Beleidigung sind die Missachtungsformen, die Honneth konträr zur Anerkennung qua Solidarität sieht. Würde geben sowie Lob für geleistete Tätigkeiten sind demnach die umgekehrten Anerkennungsmöglichkeiten. Das heißt zusammenfassend geht es um die Würdigung der individuellen Leistung. An Unterkategorien genannt wurden die Anerkennung durch das Gebrauchtwerden, die Wertschätzung der eigenen Fähigkeiten sowie eigene Erfolgserlebnisse. 6.1.2.3.1 Gebraucht werden Im Ehrenamt Anerkennung zu bekommen, die man im Beruf oder in der Familie nicht bekommt, dieses Motiv wird von vielen Interviewpartnerinnen genannt (1, 7, 11, 12, 13, 15, 17, 23) Wenig überraschend dabei ist, dass dieses Motiv überwiegend von Frauen mit niedrigeren beruflichen Chancen genannt wird.
6.1 Engagementmotive 179 Ich glaub, das ist auch schönes Gefühl, dass man gebraucht wird. Ja, ich glaub, das ist schön. Und grad, wenn man nur Mutter ist, nur zu Hause ist oder nur so ´nen Minijob hat, dann, also ich glaub, das (zögert), also für mein Ego ist das wahrscheinlich auch gut. Also ich mein, sonst würde man das auch nicht machen. # Interview 15: 00:11:28-4# Das Gefühl, gebraucht zu werden, etwas bewirken zu können, ist für einige Frauen eine neue Erfahrung, die sie insbesondere durch geringe politische, soziale und berufliche Partizipationsmöglichkeiten bislang nicht gemacht haben. Im bürgerschaftlichen Engagement können die Interviewpartnerinnen erstmals diese Erfahrung machen. Dementsprechend werden diese Motive quantitativ häufiger von Frauen mit geringen Deutschkenntnissen, ohne Berufsausbildung und damit mit wenigen Partizipationsmöglichkeiten genannt, von Frauen, die aufgrund ihres Kopftuches täglich ihr Dazugehören zur Aufnahmegesellschaft aushandeln müssen oder die aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht politisch partizipieren können. Das Gefühl, dass ich gebraucht bin. „Wir brauchen dich, kannst du das machen?" Das Gefühl hat ein sehr positiver Eindruck an mich. Ja, ich bin gebraucht. Ich kann was machen. Ich bin nicht mehr arbeitslos. Ich bin nicht mehr nur zu Hause. Mit Kindern und Haushalt. Ich bin jetzt draußen und ich tu auch was. Es gibt Leute, die mir diese Chance geben. Und gerne geben. Und für mich ist das eine Gelegenheit. Und etwas zu tun. # Interview 11: 00:04:48-1# Und ich glaub schon, dass es viel mit dem Ehrenamt zu tun hat, einfach dieses Dazugehören. Und, und gebraucht zu werden oder ja. Also diese Kinder sind ja meistens sehr traumatisiert und haben einfach viel Schlimmes hinter sich und da bin ich schon so ´ne Konstante in ihrem Leben (…) und da werde ich schon sehr gebraucht und da kann ich auch unheimlich viel bewegen und viel erreichen. # Interview 7: 00:18:37-3# Interviewpartnerin 11 macht erstmals die Erfahrung, dass ihr Wissen auch außerhalb der eigenen Familie, des eigenen Haushalts gefragt ist. Sie ist „stolz“ darauf, von jüngeren, auch deutschen Frauen um Rat in Bezug auf Kindererziehung gefragt zu werden. Wir tauschen uns und viele Sachen. T’s (Name des Tageskindes, Anmerkung) Mutter, T Tagesmutter, da bin ich immer Hilfe für junge Mutter, bin ich auch immer gefragt und das macht mich stolz. Ich kann etwas geben. Ich kann antworten. # Interview 11: 00:05:18-9# Interviewpartnerin 12 fühlt sich im Stadtteil gebraucht. Sie kämpfte für den Erhalt des Familienzentrums:
180 6 Ergebnisse Ich bin ja geblieben, weil ich gemerkt habe, wir werden gebraucht in dem Stadtteil und damals haben wir auch oder uns allen war bewusst, entweder machen wir das oder wir müssen den FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) schließen. Und das war vielleicht gewünscht von viele, dass wir den FZ schließen und ein neue, mit anderen neue Leitung oder mit andere Neuen dann dieses Familienzentrum dann neu zu. Aber wir haben gekämpft. # Interview 12: 00:07:32-2# 6.1.2.3.2 Anerkennung der ansonsten wenig geschätzten Leistungen Eine Form der Missachtung stellt nach Honneth die Vorgehensweise dar, vorhandene Fähigkeiten nicht als Fähigkeiten anzuerkennen. Honneth nimmt dabei u. a. darauf Bezug, dass dies aufgrund unterschiedlicher Wertehorizonte der Fall sein kann. Auf den interkulturellen Bereich übertragen findet diese Missachtung statt, wenn sich eine Person ihrer Fähigkeiten bewusst ist, diese aber in einer anderen Gruppierung nicht als wertvoll erachtet werden. Interviewpartnerin 8 brachte ihre (ansonsten in Deutschland wenig geschätzte) Kompetenz als Handmasseurin ein und erfuhr dadurch Anerkennung und Wertschätzung ihrer Fähigkeiten: Sie hat zum Beispiel gefragt: „Was kannst du eigentlich?" Ich erinnere mich. Ich hab gesagt: „Ich kann kochen, Handmassage machen.".„Super", hat sie gesagt, „kannst du Handmassage zum hier machen?" Das war toll für mich. Normalerweise – Wir haben eine Besuche von hier, für Frauen Handmassage gemacht. Das war toll. # Interview 8: 00:04:06-6# Eine ähnliche Erfahrung machte auch Interviewpartnerin 3. Sie kann ihre Fähigkeiten aufgrund der geringen Deutschkenntnisse oft nicht einbringen, kann aber gut massieren und bekommt für diese Fähigkeit Anerkennung: Ohne viel zu sagen. Ich kann gut massieren. Und ich habe auch Eltern auch Massage beigebracht. Ohne Geld. Also kleine Kinder. Ich hab mit ihnen gezeigt, gebracht, wie ein Kind massieren, weil sie haben Probleme mit einem (...), er konnte nicht laufen, nicht mal sitzen. Dann hab ich ihm geholfen und jetzt kann er schon laufen. Also anderen zu helfen, stimmt ja. # Interview 3: 00:15:28-4# Interviewpartnerin 9 fühlte sich aufgrund ihrer fehlenden Deutschkenntnisse nicht kompetent. Durch die Ressourcenorientierung statt eines Defizitblicks erhielt sie Anerkennung: Die Fragen von E (Name einer Engagierten, Anmerkung) hat mich kompetent gemacht (lacht). Ich hab dann richtig, nur vom Fragen von ihr bin ich dann bewusst
6.1 Engagementmotive 181 geworden, was ich bin. Und sie, das war dann so, die Kompetenzen wurden wahrgenommen. Das war für mich das gute Gefühl. Ich bin wahrgenommen. Ich konnte damals nicht so gut Deutsch wie jetzt, aber ich konnte vor vielen Leuten sprechen. Sie hat gesagt: „Das ist super." Weil sie hat mir das Gefühl entwickelt. Da fühlst du dich gut, obwohl du gebrochene deutsch, aber trotzdem hat sie uns unterstützt, dass sie uns diese Kompetenz ausgesucht habe. # Interview 9: 00:06:04-9# 6.1.2.3.3 Anerkennung durch Erfolgserlebnisse Auf eigene Leistungen stolz sein zu können, alleine oder in der Gruppe gemeinsam eine Aufgabe zu meistern, sind Möglichkeiten im Engagement Anerkennung zu bekommen. Interviewpartnerin 17 berichtet von großen Veranstaltungen und von den Erfahrungen, „organisieren“ und „etwas auf die Beine kriegen“ zu können, Interviewpartnerin 7 berichtet von ihren Erfolgen in der Zusammenarbeit mit Eltern und Kindern aus instabilen Lebensverhältnissen: Ja, kreativ, kulinarisch, helferisch, dass man beim Fest hier, wenn das Kinderfest ist, dass wir circa hundert Eier und zehn Kilo Mehl in Waffelteig verbraten, also wirklich mit vier, wir haben so vier Waffelautomaten, doppelte und jagen durch und die anderen machen die Würstchen. Also so dann mal. Auch die Gruppendynamik. Das macht Spaß. Also wir wissen, also grad hier weiß ich wie, wir können organisieren, wir kriegen was auf die Beine. Also Teil vom Ganzen, sonst würd ich das, glaub ich, nicht machen. Wenn ich, weil ich bin jetzt seit 2007. Irgendwie hier reingekommen und dann war ich, glaub Ende 7 oder Anfang 8, das weiß ich jetzt gar nicht mehr genau, ehrenamtlich tätig. Immer noch. Nach fast bald zehn Jahren. # Interview 17: 00:09:33-8# Ja, und wenn es nur alle Woche oder alle 14 Tage ist und da werde ich schon sehr gebraucht und da kann ich auch unheimlich viel bewegen und viel erreichen. (…) Also, aber ich hab dadurch aber auch große Erfolge und schnelle Erfolge (…) # Interview 7: 00:18:37-3# Interviewpartnerin 12 berichtet davon, das Familienzentrum unter widrigen Umständen und teilweise gegen politische Widerstände zu erhalten. Dieser Erfolg wird zum einen von Nutzer_innen aus dem Stadtteil geschätzt als auch zwischenzeitlich auch von politischen Entscheidungsträger_innen anerkannt: Ich bin ja geblieben, weil ich gemerkt habe, wir werden gebraucht in dem Stadtteil und damals haben wir auch oder uns allen war bewusst, entweder machen wir das oder wir müssen den FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) schließen. Und das war vielleicht gewünscht von viele, dass wir den FZ schließen und ein neue, mit anderen neue Leitung oder mit andere Neuen dann dieses Familienzentrum dann neu zu. Aber wir haben gekämpft. # Interview 12: 00:07:32-2#
182 6 Ergebnisse Von die Familien, von den Müttern, von Väter, die zu uns gekommen sind. Die mir gesagt haben, so können wir das nicht mehr weitermachen. Wir haben gemerkt, dass die Leute immer gern zu uns gekommen sind und immer mehr mit Probleme halt auch Mütter, wo die Kinder schon in die Schule waren, die zu uns gekommen sind und gesagt haben: „Mensch, die Kinder kriegen diese spezielle Betreuung, was sie brauchen nicht in die Schule“. Und dadurch haben wir zum Beispiel das für Hausaufgabenbetreuung gemacht. Kindergarten. Viele Mütter sind gekommen und sagen: „Wir kriegen keine Kindergartenplatz.“ Und dann haben wir gesagt: „Okay, aber wir haben nur von 8, nein von 9 bis um 12 Uhr.“ Viele Mütter wollten ein bisschen arbeiten gehen oder einfach mal raus, oder, und dann haben wir gedacht, wie können wir das machen? So viele Leute war damals hier nicht als Ehrenamtlich tätig und dann haben wir von 9 bis um 13 Uhr. Also wir haben uns an das Bedürfnis, sagen wir so, von Stadtteil angepasst. Nicht der Stadtteil hat sich an uns, sondern wir haben uns an den Stadtteil angepasst. Und wir kooperieren auch, also wir ja sind im Arbeitskreis von WO (Name des Stadtteils, Anmerkung), also mit alle Kindergarten, mit Jugendhaus, mit Bezirksamt und alle, wo wir uns regelmäßig treffen. Wo wir auch da drin gekommen sind und dass die uns mittlerweile auch akzeptiert haben. Also FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) war ja, Familienzentrum, aber das ist ja eine eingetragener Verein und, mein Gott, was machen die da? Und das haben wir auch jetzt irgendwie geschafft, dass die uns anerkennen, dass die wissen, was wir halt für den Stadtteil machen. # Interview 12: 00:09:55-0# Verbunden mit dem Erfahren von Erfolgserlebnissen ist auch das Konzept der Selbstwirksamkeit. Durch das konkrete Meistern von Herausforderungen und neuen Situationen erfahren Engagierte Selbstwirksamkeit und damit die Gewissheit, auch zukünftige Situationen bewältigen zu können. 6.1.2.4 Zwischenergebnis Anerkennung als Motiv Das Erfahren von Anerkennung durch die drei von Axel Honneth unterschiedenen Formen „Liebe“, „Recht“ und „Solidarität“ ist ein Beweggrund für bürgerschaftliches Engagement, wie durch die Interviewausschnitte deutlich gemacht wurde. Dabei fällt aber auf, dass dieses Motiv nicht in jeder Engagementgruppe einen gleich großen Stellenwert hat. Bezüglich der Anerkennungsform „Liebe“ betonen insbesondere Frauen aus den Engagementgruppen I, II und IV118 die Anerkennung, die sie durch positive Rückmeldungen von anderen Engagierten, aus dem sozialen Umfeld oder der Öffentlichkeit erfahren. Es ist zu vermuten, dass diese Frauen (insbesondere der En- 118 Zur Typologie vergleiche Kapitel 6.2.
6.1 Engagementmotive 183 gagementtyp I und II) durch fehlende oder niedrige Berufsabschlüsse und geringen beruflichen Teilhabechancen wenig Anerkennung im beruflichen Umfeld erleben. Bleibt die Anerkennung auch in anderen Bereichen wie z. B. in der Familie aus, ist der Wunsch, Anerkennung in einem anderen Bereich zu erfahren, groß. Im freiwilligen Engagement können sie die Erfahrung der Anerkennung machen. Auffallend dabei ist, dass die verbalen und nonverbalen Rückmeldungen als wichtig empfunden und quantitativ häufiger genannt werden als symbolische Formen der Wertschätzung. Lediglich Interviewpartnerin 10 betont Dankesessen, freien Eintritt und Gutscheine und die Teilnahme an Fortbildungen als ein Zeichen der Anerkennung. Die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen ist demnach nicht nur für kompetenzorientierte Engagierte (vgl. Kapitel 6.2.2;Typ II) wichtig, sondern Qualifizierung wird von den Engagierten auch als Form der Anerkennung wahrgenommen. Der Zusammenhang zwischen Qualifizierung und Anerkennung wurde bereits in der Studie von Helmer-Denzel und Weber (Sozialministerium 2016: 69) konstatiert und unter Rekonstruktion der Interviews hier bestätigt. Offizielle Reden und Urkunden werden von keiner Interviewpartnerin genannt. Wichtiger als symbolische Wertschätzung ist die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Die Anerkennung in Form von „Wertschätzung als Person“ wird ausschließlich von Musliminnen in Bezug auf das Kopftuch genannt. Bezüglich der Anerkennungsform „Recht“ werden die Motive des Dazugehörens und der Gestaltungsrechte (bis auf Engagierte des Typs III) von Freiwilligen aus allen Engagementtypen genannt und sind demnach unabhängig von Bildungsstand und Herkunft wichtig. Besonders auffallend ist, dass die am stärksten rechtlich exkludierte Gruppe, nämlich der Engagementtyp III, nicht repräsentiert ist. Zu vermuten ist, dass Anerkennung nicht im Engagement gesucht wird (sondern vielmehr im Berufsleben), dass das Engagement als Broterwerb gewertet wird oder dass die persönliche Energie durch Existenzsicherung, traumatische Erlebnisse oder psychische Krankheiten in der Familie bereits gebunden ist, es also keine Reserven an „Bewältigungsenergie“ (Böhnisch 2016: 99) (mehr) gibt. Zwar entlädt sich der Wunsch nach Anerkennung laut Honneth in einem „Kampf um Anerkennung“, vorstellbar wäre aber auch, dass dieser „Kampf“ mangels Ressourcen nicht von allen geleistet werden kann. Bezüglich der Anerkennungsform „Solidarität/Leistung“ fällt auf, dass in der Unterkategorie „Gebrauchtwerden“ Engagierte jeden Typs (mit Ausnahme von Typ III) vertreten sind. Die Unterkategorie „Anerkennung für ansonsten wenig geschätzte Fähigkeiten“ wird von Frauen mit geringen Deutschkenntnissen genannt, die ihre Fähigkeiten aufgrund der Sprachbarrieren nur ungenügend und für sie unbefriedigend einsetzen können und die über im Herkunftsland geschätzte Fähigkeiten verfügen, die aber im Aufnahmeland keinen besonders hohen Stellenwert haben. Diese Unterkategorie wird nur in den Typen I und III genannt, also
184 6 Ergebnisse von Engagierten mit niedrigem sozioökonomischen Status. Die Unterkategorie „Erfolgserlebnisse“ wird von Frauen des Typs IV und V genannt, also von Frauen mit mittlerer oder hoher Bildung, die beruflich und sozial integriert sind. Entweder ist die Kategorie für diese Frauen besonders erwähnenswert oder es ist für bereits im Berufsleben erfolgreich partizipierende Frauen einfacher, auch im Engagement Erfolgserlebnisse zu erzielen. In diesem Fall würde sich die soziale Ungleichheit im Engagement fortsetzen und verstärken. Zusammenfassend ist der Engagementgrund „Anerkennung“ in fast allen Engagementtypen vertreten. Die Bedeutung von Anerkennung darf demnach nicht unterschätzt werden, beziehungsweise muss, wie bereits von Schäffter (2009) und Schoneville und Thole (2009) gefordert, als Konzept stärker miteinbezogen werden. Tendenziell stärker vertreten ist der Engagementgrund „Anerkennung“ allerdings bei Frauen mit niedrigem Bildungsstand und geringeren beruflichen Partizipationsmöglichkeiten und Frauen, die aufgrund eines äußeren Merkmals (hier hauptsächlich aufgrund des Kopftuches) einer Fremdgruppe zugeschrieben werden und gesellschaftliche Missachtung erleben. Eine Ausnahme bildet der Engagementtyp III, der aufgrund der oben genannten Vermutungen unterrepräsentiert ist. Mit diesem Forschungsdesign ist eine abschließende Beantwortung der Hintergründe nicht möglich. Der Wunsch nach Anerkennung ist hier aber gleichwohl vorhanden, sucht sich aber andere Formen der Befriedigung: „Das Streben nach Selbstachtung durch die Gesellschaft stirbt ja nicht einfach ab, sobald einmal keine normativ regulierten Sphären für seine verlässliche Befriedigung vorhanden sind, aber es kann sich an kein legitimierendes Prinzip anlehnen, wird also eigentümlich ortlos und begibt sich auf die Suche nach alternativen Formen der Entäußerung“. (Honneth 1992: 44) Formen der Entäußerung sind vielfältig, wenn die „innere Hilflosigkeit“ (Böhnisch 2016: 18) aufgrund von fehlender Anerkennung eintritt. Böhnisch benennt unter anderem die „innere Spaltung“ (Böhnisch 2016: 24ff), die insbesondere überdurchschnittlich bei Frauen eintritt und sich in selbstverletzendem Verhalten, Ernährungsstörungen, Medikamentenmissbrauch oder depressivem Verhalten niederschlägt. In der Engagementgruppe III werden auffallend häufig119 psychische Krankheiten und psychosomatische Beschwerden (wie beispielsweise chronische Kopfschmerzen) genannt, was Böhnischs These der Bewältigungsstrategie untermauert und verdeutlicht, dass das Streben nach Anerkennung nie endet, Individuen mit verweigerter Anerkennung aber andere Wege suchen müssen. 119 Aufgrund der geringen Fallzahlen sind allerdings keine repräsentativen Aussagen möglich.
6.1 Engagementmotive 185 Unter Rückgriff auf Honneths Anerkennungsmodell ermöglicht bürgerschaftliches Engagement einen positiven Selbstbezug in den Bereichen Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstschätzung. Dies hat Folgen für das Individuum selbst, das damit eine stabile Identität entweder aufbauen oder stärken kann und mit dem Erfahren von Selbstwirksamkeit ein Mittel an der Hand hat, auch zukünftige Situationen und Herausforderungen bewältigen zu können. Engagementförderung muss demnach zwingend anerkennungssensibel agieren und Anerkennungskonzepte in die Förderung mit einbeziehen. Wie durch die Rekonstruktion der Interviews deutlich gemacht wurde, ist das Konzept der Anerkennung insbesondere für Engagierte bedeutend, die im Berufsleben und/oder familiärem Umfeld wenig Anerkennung erfahren. Anerkennungssensible Engagementorte profitieren von dieser Haltung in mehrfacher Hinsicht: Zum einen ermöglichen sie einen Zugang für Interessierte aus engagementfernen Milieus und rekrutieren damit Freiwillige. Zum anderen ist die emotionale Bindung zwischen Individuum und Organisation besonders stark, was zu einer längeren Engagementdauer führen kann. Zum anderen sind diese Personen wieder Multiplikator_innen in ihren Netzwerken und Communities und können weitere Engagierte gewinnen. Und zum anderen – und dieser Faktor ist besonders hoch einzuschätzen – tragen inkludierte und wertgeschätzte Engagierte zum Zusammenhalt einer Gesellschaft bei. Sie sind somit in ihrer Identität gestärkt, sind auf der Mesoebene in ihrer Organisation oder ihrem Verein inkludiert und können sich im Idealfall auch als Teil des Stadtteils oder der Gesamtgesellschaft sehen, übernehmen gesellschaftliche Verantwortung, tragen zu einer demokratischen Gesellschaftsform bei und nehmen sich selbst als „respektiertes Gesellschaftsmitglied“ (Klatt 2012: 11) wahr. Unter Rekonstruktion der vorliegenden Interviews trägt auf Mesoebene der Vereine insbesondere eine partizipative Grundlage zur Anerkennungskultur bei. Stärker als eine symbolische Wertschätzung wird die verbale und nonverbale Rückmeldung wahrgenommen. Auch wenn vonseiten der Organisationsebene verbale und nonverbale Rückmeldungen nicht komplett gesteuert werden können, kann dennoch eine wertschätzende Haltung zu einer positiven Grundstimmung beitragen. Eine partizipative Grundhaltung zeigt sich insbesondere in folgenden Bereichen:   Möglichkeiten des Ausprobierens: Jede_r Engagierte hat die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln, auch Fehler machen zu dürfen und daran zu wachsen. Ressourcenorientierung: Jedes Individuum hat Fähigkeiten, die eingebracht werden können. Auch wenn diese Fähigkeiten in unterschiedlichen Gruppierungen und Kulturen unterschiedlich genutzt werden, müssen sie dennoch als Fähigkeit wahrgenommen werden.
186   6 Ergebnisse Möglichkeiten des Mitbestimmens: Transparente Entscheidungswege, Einbezug in Entscheidungen aber auch das Erklären von Entscheidungsprozessen und Möglichkeiten des Mitbestimmens werden beachtet. Verantwortungsübernahme: Über das Mitbestimmen hinaus ist es wichtig, Wege der Verantwortungsübernahme inhaltlich aufzuzeigen aber auch Interessierte darin zu bestärken, diesen Weg zu gehen, ihre Fähigkeiten anzuerkennen oder darin zu unterstützen, benötigte Kompetenzen zu erlangen. 6.1.3 Kompensatorische Motive Bürgerschaftliches Engagement kann Ersatz oder Kompensation für einen Mangel sein. Dieser Mangel findet sich in der Studie im Bereich der persönlichen Ressourcen, der Familie oder der Arbeit. Die mangelnden persönlichen Ressourcen werden mithilfe einer pragmatischen Selbsthilfe bewältigt. So kann beispielsweise die fehlende Kinderbetreuung in den Aufbau einer Elterninitiative münden oder der fehlende Austausch zu erzieherischen Themen zur Leitung einer Krabbelgruppe. Familienähnliche Strukturen im Engagement kompensieren den Mangel Familie. In den Interviews wird dies häufiger in Bezug auf die durch die Migration weit entfernte Familie bezogen und weniger auf nicht vorhandene oder zerrüttete Familienverhältnisse. Quantitativ am häufigsten wurde aber in diesem Motivbündel die Kompensation fehlender Arbeit genannt, weshalb auf diesen Bereich zunächst theoretisch näher eingegangen wird. Die Inklusion von Migrant_innen im beruflichen Kontext ist neben dem Spracherwerb eine zentrale Herausforderung. Während die Partizipation am Arbeitsleben teilweise Voraussetzung für die Aufenthaltserlaubnis ist (Aufenthaltserlaubnis wegen Ausbildung §§ 16, 17 AufenthG, Aufenthaltserlaubnis wegen Erwerbstätigkeit §§ 18 ff AufenthG), gestaltet sich die berufliche Inklusion bei einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nachrangig, das heißt erst nach der aufenthaltsrechtlichen Anerkennung und dem Spracherwerb findet die berufliche Inklusion von Menschen mit Fluchterfahrung statt. Insbesondere für diese Zielgruppe ist die berufliche Inklusion aus verschiedenen Gründen besonders schwierig und findet quantitativ noch wenig statt, wie die wenigen Studien dazu belegen. So belegt eine Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Worbs und Bund 2016), dass 2014 rund ein Drittel (36,5 %) erwerbstätig war, wobei Frauen deutlich weniger (11,5 %) als Männer am Arbeitsmarkt partizipierten und sich die Arbeitsmarktteilnahme im niedrigen bis mittleren Qualifikationsniveau sowie in wenigen Branchen (Gastronomie, Verpackung, Reinigung und Lebensmittelherstellung) konzentrierte, 9 % befanden sich in einer Ausbildung, 23 % war auf der Suche nach einer Arbeit/Ausbildung. Das Thema berufliche Inklusion war laut
6.1 Engagementmotive 187 Studie der größte Zukunftswunsch (bei offener Nennung) der Befragten. So gaben 47,4 % der Interviewpartner_innen an, der größte Wunsch sei, eine Arbeitsstelle zu finden und sich und die Familie selbst versorgen zu können (Worbs und Bund 2016: 9). Die berufliche Inklusion von Menschen mit Migrationshintergrund findet aufgrund drei unterschiedlicher Wege statt: Durch die Anerkennung eines im Ausland erworbenen Berufsabschlusses (1), durch die Arbeitsaufnahme auf Grundlage der Qualifikation (2) und durch Ausbildung/Studium (3) (Götz 2016: 115ff): (1) Seit dem 1. April 2012 ist das Anerkennungsgesetz des Bundes, das Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen in Kraft. Zusätzlich regeln auf Landesebene die Landesgesetze die Anerkennung von reglementierten Berufen mit Landeszuständigkeit. Für das Anerkennungsverfahren gibt es keine bundesweite Stelle, sondern derzeit rund 1 500 Behörden und Kammern, abhängig vom Wohnort oder vom Beruf120. Trotz dieser dezentralen Möglichkeiten und einem grundsätzlichen wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interesse an ausländischen Fachkräften gestaltet sich die Anerkennung als schwierig, so Götz (2016: 115). Zum einen werden Nachweise in der Fluchtsituation nicht mitgenommen oder gehen verloren, zum anderen sind die Bildungssysteme der Herkunftsländer nicht mit denen in Deutschland vergleichbar, was häufig nicht zu einer Gleichwertigkeitsbescheinigung, sondern zu einer Ablehnung oder zu einer „Anerkennung mit wesentlichen Unterschieden“ führt. Nachqualifizierungen, ergänzende Prüfungen und Anpassungslehrgänge im Rahmen des Programms „Integration durch Qualifizierung“ (IQ) sollen dazu beitragen, das Ziel der Gleichwertigkeitsbescheinigung zu erreichen. Berufliche Erfahrungen außerhalb einer Ausbildung überprüfen zu lassen, sind grundsätzlich über „sonstige geeignete Verfahren“ möglich, beispielsweise über § 14 Gesetz über die Feststellung der Gleichwertigkeit von Berufsqualifikationen (BQFG) oder § 50b Abs. 4 Gesetz zur Ordnung des Handwerks (HwO). Sonstige geeignete Verfahren sind nach § 14 Abs. 2 BQFG „Arbeitsproben, Fachgespräche, praktische und theoretische Prüfungen sowie Gutachten von Sachverständigen“. Eine weitere Möglichkeit kann eine Nachqualifizierung im Rahmen eines „training on the job“ bieten. (2) Idealerweise findet die berufliche Inklusion aufgrund bereits vorhandener Qualifikationen statt, was sich allerdings aufgrund fehlender Sprachkenntnisse und der Diskrepanz zwischen Qualifikation der/des Bewerbenden und dem Anforderungsprofil des Betriebes als „unrealistisch“ (Götz 2016: 116) erweist. So konnten nach der einjährigen Laufzeit des Modellprojekts zur 120 Ergänzend hierzu URL: www.anerkennung-in-deutschland.de (Zugriff am 5.3.2017).
188 6 Ergebnisse frühzeitigen Arbeitsmarktinklusion von Asylbewerber_innen „Early Intervention“ 2015 von 1 100 Teilnehmenden (darunter ein Frauenanteil von nur 15 %) 70 Personen in Beschäftigung und 30 in Ausbildung vermittelt werden (Götz 2016: 116; Daumann u. a. 2015; Dietz und Trübswetter 2016: 2). Götz weist darauf hin, dass ein Großteil ein Interesse hat, möglichst schnell in Arbeit zu kommen, um zum einen die im Herkunftsland verbliebene Familie zu unterstützen und zum anderen selber von staatlichen Transferleistungen unabhängig zu sein. Dabei werden meist Hilfstätigkeiten aufgenommen, die unter der beruflichen Qualifikation liegen, mit der „Gefahr, dass ‚unterwertige’ Beschäftigung zu einem Dauerzustand wird“ (Götz 2016: 116), ein Zustand, der sowohl für Migrant_innen als auch aus arbeitsmarktpolitischer Sicht unbefriedigend ist. Vonseiten der Bundesagentur werden deshalb unterschiedliche Maßnahmen zur Berufsvorbereitung insbesondere für Menschen mit Fluchterfahrung angeboten. Doch auch nach der Berufsaufnahme sind Unterstützung und zusätzlicher Sprachunterricht vonnöten. (3) Ausbildung und Studium sind ein dritter Weg, der aufgrund der Altersstruktur der Migrant_innen sowie eines Fachkräftemangels in Deutschland einen optimalen Zugang zur beruflichen Inklusion darstellt. In der Praxis stellt sich dieser Weg aufgrund von Sprachbarrieren sowie eines geringen Bildungsstandes (Analphabetismus, Alphabetisierung in anderer Schriftsprache oder kurzer Schulbesuch aufgrund der Kriegssituation) als steinig dar. So haben in der Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge rund 10 % die Hochschulreife, 13 % keinen Schulabschluss und 77 % einen mittleren Schulabschluss, der allerdings unter dem deutschen Schulabschlussniveau liegt (Worbs und Bund 2016: 5). Demnach sind viele Migrant_innen nur mit sprachlicher und fachlicher Vorbereitung in der Lage, einen Ausbildungsberuf bzw. ein Studium aufzunehmen. Aktuell gibt es nur wenige Projekte und Ansatzpunkte für Migrant_innen, die nicht in eine reguläre Ausbildung vermittelt werden können. Einige Ausbildungsberufe bieten zweijährige Ausbildungen an, beispielsweise als Altenpflegehelfer_in, Gartenbauwerker_in oder Kindergartenhelfer_in, was zur Arbeitsmarktinklusion beiträgt, auf Dauer aber deutlich unter dem Gehalt einer regulären Ausbildung liegt. Eine zweite Möglichkeit stellen veränderte Rahmenbedingungen in der Berufsschule dar, ohne dabei Inhalte zu reduzieren. Dies ist beispielsweise durch einen besseren Betreuungsschlüssel zwischen Schüler_innen und Lehrer_innen möglich, durch zusätzlichen Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht oder durch einen Nachteilsausgleich in Prüfungen in Form von Zeitverlängerung und der Benutzung eines Lexikons. Eine weitere Möglichkeit stellt eine Ausbildung über Teilqualifikationen dar. Diese Maßnahme der Bundesagentur für Arbeit
6.1 Engagementmotive 189 richtet sich an geringqualifizierte Arbeitslose, unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Hierbei sind Weiterbildungen in verschiedenen Berufsfeldern121 möglich, die jeweils mit einem Zertifikat abschließen und die berufsanschlussfähige Teilqualifikation bestätigen. Ziel ist es, mit dem schrittweisen Abschließen von Teilqualifikationen zum Berufsabschluss zu gelangen, bis dahin ist eine (bedingte) berufliche Inklusion mithilfe der Zertifikate in Teilbereichen des Berufes möglich (URL: Bundesagentur für Arbeit; URL: BIBB 2014). Zielgruppe sind in erster Linie geringqualifizierte Arbeitslose und Jugendliche, die sich in der „Warteschleife“ zwischen Schulabschluss und Ausbildung befinden bzw. bildungsferne Jugendliche ohne Schulabschluss. Die Teilqualifikationen sind in einzelnen Berufsfeldern bereits etabliert, in anderen Berufsfeldern werden sie derzeit noch im Modellprojekt erprobt. Der Erwerb von Teilqualifikationen ist derzeit noch auf einzelne Berufsfelder, hauptsächlich im technisch-handwerklichen Bereich beschränkt. Neben strukturellen Schwierigkeiten und fehlenden sprachlichen Kompetenzen sind auch Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt von zentraler Bedeutung. Bereits 2010 wurden an der Universität Konstanz Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt mittels eines Experiments untersucht. In der Studie wurden fiktive Bewerbungen von 1 000 Studierenden der Wirtschaft an freie Praktikumsplätze versandt. Bewerber mit typisch türkisch klingenden Nachnamen erhielten bei gleicher Qualifikation 14 % weniger positive Antworten, in kleineren Betrieben waren es sogar 24 % weniger positive Bescheide im Vergleich zu Bewerbungen mit deutsch klingenden Nachnamen (Kaas und Manger 2010). Verschlechtert wird die Situation durch das Tragen von Kopftüchern, wie Doris Weichselbaumer (2016) in ihrer Studie herausfand. Sie reagierte mit drei verschiedenen fiktiven Charakteren aber identischen Qualifikationen auf Stellenanzeigen. Dabei hatte die eine Bewerberin einen deutsch klingenden Nachnamen, eine andere Bewerberin einen türkisch klingenden Nachnamen und die dritte Bewerberin war zusätzlich zum türkisch klingenden Namen auf dem Bewerbungsbild mit einem Kopftuch zu sehen. Die Reaktionen waren in der ersten Gruppe zu 18,8 % positiv, in der zweiten Gruppe zu 13,5 % und in der dritten Gruppe nur zu 4,2 %. 121 Derzeit von der Bundesagentur für Arbeit zertifizierte Teilqualifikationen sind in den Tätigkeitsfeldern Berufskraftfahrer_in, Fachkraft für Schutz und Sicherheit, Maschinen- und Anlagefüher_in Fachrichtung Metall- und Kunststofftechnik sowie Verfahrensmechaniker_in für Kunststoff und Kautschuktechnik möglich. Vgl. URL: https://www3.arbeitsagentur.de/web/wcm/ idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/mde5/~edisp/l6019022dstbai402316.pdf, Zugriff am 6.3.2017. Zur Erprobung im Modellprojekt liegen Bausteine in 22 meist technisch-handwerklichen Berufen vor. Vgl. Projekt Jobstarter Connect. URL: https://www.jobstarter.de/ connect, Zugriff am 6.3.2017.
190 6 Ergebnisse Die Studie von Doris Weichselbaumer deckt sich mit den Erfahrungen der interviewten Frauen in der vorliegenden Studie, die die doppelte Diskriminierung, bestehend aus ethnischer Zugehörigkeit und zusätzlichen Vorurteilen gegenüber dem muslimischen Glauben bestätigen. So wird das Kopftuch in vielen Interviewpassagen als trennendes Element und Hindernis für eine Arbeitsaufnahme wahrgenommen. Für Interviewpartnerin 3 ist beispielsweise das bürgerschaftliche Engagement ein Ort, an dem sie ihr Kopftuch tragen kann. Ihr Arbeitsberater im Arbeitsamt hatte ihr schon mehrfach geraten, das Kopftuch abzulegen, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, was für sie aus religiösen Gründen nicht infrage kommt. Das heißt, bürgerschaftliches Engagement ist für sie ein Kompensationsort für den regulären Arbeitsmarkt, zu dem sie aufgrund der fehlenden Anerkennung ihres ausländischen Bildungsabschlusses, geringen sprachlichen Kompetenzen und aufgrund von Diskriminierungen keinen bzw. nur einen erschwerten Zugang hat. Abbildung 26: Kompensatorische Motive bürgerschaftlichen Engagements Quelle: Eigene Darstellung In dieser Studie wurden der Familienersatz, der Mangel an Ressourcen und Unterstützung und am häufigsten der Arbeitsersatz als kompensatorische Engagementmotive erwähnt.
6.1 Engagementmotive 191 6.1.3.1 Pragmatische Selbsthilfe 6.1.3.1.1 Persönliche Selbsthilfe Mit einer freiwilligen Tätigkeit eigene Interessen zu vertreten, kann ein wichtiges Motiv darstellen. Dabei sind unterschiedliche Vorgehensweisen denkbar. Bei Interviewpartnerin 9 stand im Vordergrund, ein auf türkische Mütter zugeschnittenes Angebot zu schaffen: Das war so, das Idee war, dass wir eine türkische Baby-Café machen, weil internationale deutsche Baby-Café war gar keine türkische Mama dabei. Und wir haben gesagt: „Was, warum, kommen sie nicht? Was fehlt?" Und dann haben wir eine Frage, die FZL (Name der Leitung des Mütterzentrums, Anmerkung) hat dann einen Fragebogen an ganz viele Leute, gell, so wir haben einzeln beantwortet Fragebogen. Was braucht die Mamas? Und von die Antworten haben wir festgestellt, dass wir einen geschützten Raum brauchen als Türkinnen und dass das auch mit der Sprache zu tun hat. Weil viele aus der Türkei kommen und die mit der Sprache Probleme haben und sich schämen, in eine deutsche Baby-Café-Gruppe teilzunehmen. Da haben wir so gemacht (…) und die haben dann gesprochen, dass es eine Baby-Café, türkisch sprechende Baby-Café. # Interview 9: 00:04:06-9# Für Interviewpartnerin 19 war die Umsetzung eigener Interessen in Form einer Kleinkindbetreuung der Einstieg in das freiwillige Engagement. Nachdem die Nachfrage nach dem Angebot stetig stieg, wurde eine Erzieherin angestellt. Für Interviewpartnerin 19 war dies aber kein Grund, sich zurückzuziehen, sondern sie übernahm andere Tätigkeiten im Mütter- und Familienzentrum: Ich bin damals mit noch einer Freundin (...) gekommen, weil wir was für unsere kleinen Töchter gesucht haben und in WO (Wohnort, Anmerkung) war damals wirklich NICHTS (lacht). Also außer paar Krabbelgruppen aber keine Art Betreuung. Dann kamen wir auf die Idee selber eine Betreuung zu organisieren, ne Kleinkinderbetreuung. Und das haben wir dann auch angefangen, 2002, das war die erste Kinderbetreuung, Kleinkinderbetreuung hier im FZ (Namen des Mütterzentrums, Anmerkung) hier für Kinder ab zwei. Und das war nur stundenweise, also damit die Mütter es gibt Mütter, die sind allein, die haben kleine Kinder und sind aber tagsüber wirklich alleine, haben keine Oma und keinen Opa, und wenn sie dann einkaufen möchte oder zum Zahnarzt gehen möchte, dann haben sie ein Problem. Und so war das dann unser Gedanke und dass die Kinder einfach zusammenkommen und das war sehr schön. Aber ich bin jetzt nicht, also ich hab´ keine Ausbildung in der Richtung, ich war pädagogisch wirklich ein bisschen überfordert mit den kleinen Kindern (...) und wir haben bald gemerkt, die Nachfrage ist groß und wir sollen schon das an die Erzieherinnen dann weitergeben. Das haben wir dann auch gemacht. # Interview 19: 00:02:43-8#
192 6 Ergebnisse Die Umsetzung eigener Interessen als Motiv für ein freiwilliges Engagement hat zunächst eine egoistische und in der Öffentlichkeit negativ wahrgenommene Konnotation. Die Motivation aus eigenen Interessen heraus kann allerdings wie bei Interviewpartnerin 9 dazu führen, dass auch andere Personen in einer ähnlichen Lebenssituation davon profitieren oder wie bei Interviewpartnerin 19 ein Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement geschaffen wird. 6.1.3.1.2 Angebote für das eigene Kind schaffen Acht Interviewpartnerinnen (4, 6, 10, 18, 19, 22, 23, 24) begründen ihr freiwilliges Engagement in Mütter- und Familienzentren damit, für das eigene Kind ein Angebot schaffen zu können. Die meisten Angebote werden von freiwillig Engagierten durchgeführt. In vielen Fällen sind dies Frauen, die dieses Angebot für ihr Kind schaffen, indem sie beispielsweise einen Treff leiten um für das eigene Kind soziale Kontakte mit Gleichaltrigen zu ermöglichen. Klar und natürlich Hauptsache sind halt natürlich dein Kind. Dass er halt soziales Kontakt hat zu den Kindern, weil er ist halt noch Einzelkind. Und das ist halt mir schon wichtig. (...) Also mir macht´s hier Spaß, also ich komm gerne. # Interview 23: 00:10:50-2# Und das war so eine Zeit, ich hab das irgendwie gebraucht. Ja, mich zu engagieren und irgendwas zu machen für die Kinder, mit den Kindern. Es war auch, der K (Name des Sohnes, Anmerkung) war auch in diesem Alter, so zwei, zwei und ein paar Monate. Ich wollte auch was für ihn machen. # Interview 6: 00:07:54-0# Zwei Interviewpartnerinnen engagieren sich in Bereichen, in denen ihre Kinder nicht direkt davon profitieren. Sie betonen aber, dass die eigenen Kinder nur dadurch an einer Vielzahl von Angeboten teilnehmen können, weil sich andere Menschen dafür einsetzen. Dies ist für die beiden Interviewpartnerinnen ein Motiv, um wiederum für andere Kinder Angebote zu schaffen: Auch was meine Kinder angeht, ich möchte, dass auch das was meinen Kindern grad geboten wird in solchen Einrichtungen, auch dass es weitergeht, dass ohne solche ehrenamtlichen Leute würde es ja gar nicht mehr funktionieren und dann möchte ich auch gerne meinen Teil dazu beitragen, dass andere Kinder auch sich erfreuen können an solchen Projekten und das war auch mein Grund schon fast, auch jetzt mich dafür zu entscheiden. # Interview 10: 00:07:06-2# Ja und meine Tochter macht gerne solche Sachen, die macht gerne überall mit und ja, irgendwelche andere engagieren sich und bieten das ja an und finde ich, kann ich mir
6.1 Engagementmotive 193 auch ein bisschen Zeit nehmen, um auch irgendwas für andere anzubieten, für andere was auf die Beine zu stellen und bisschen auch etwas weiterzugeben. Ich denke, wenn jeder ein bisschen mitmacht und jeder ein bisschen Zeit investiert, dann haben die Kinder auch ja mehr Möglichkeiten. # Interview 22: 00:04:48-5# Und so finde ich es schön, dass man das so aufteilt, jeder macht ein bisschen was. Wie ich am Anfang gesagt habe, wenn jeder ein bisschen sich einbringt in die Gesellschaft und ein bisschen was macht und da hat man viel größeres, ja, Angebot. Die Kinder haben eben mehr Auswahl dann was sie machen können. Ich persönlich würd vielleicht manche Dinge gar nicht machen, weil ich mich selber da nicht auskenne und es nicht kann. Und so find ich schön, wenn dann mal so Sachen angeboten werden (...) Kann ich ihnen nicht beibringen. # Interview 22: 00:15:30-0# 6.1.3.2 Familienersatz Der Familienersatz kann für Frauen mit Migrationshintergrund ein Motiv für das freiwillige Engagement sein. Sechs Interviewteilnehmerinnen (5, 11, 14, 15, 19, 26) erwähnen diesen Beweggrund. Am häufigsten wird erwähnt, dass die eigene Familie im Herkunftsland geblieben ist: Es ist echt extrem wichtig für ausländische Frauen, muss man sagen, weil, und auch für deutsche Frauen, die keine Familie haben, das sie unterstützt, zum Beispiel dass die Großeltern zu weit weg wohnen. Und ja weil zum Beispiel die normale, sagen wir so, was regelmäßig auftaucht oder so normalerweise der Fall ist, Mutter und Kind sind unterstützt von Opas oder sogar Schwester oder so was. Ja und in unserem Fall, sag ich so von ausländische Mutter und so ist nicht. Und dann ist FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) eine Oase. # Interview 14: 00:03:28-8# Ja, und viele, viele Freunde gefunden und für mich sehr, sehr gut. Ich bin nicht alleine. Ich habe keine meine Familie in Deutschland, meine Familie in meine Land alle. Keine Geschwister hier, keine Familie und FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) sehr, sehr wichtig. # Interview 5: 00:10:52-9# Eine Interviewpartnerin erwähnt die familiäre Atmosphäre, in der sie „sich findet“: Die Leute, die dort arbeiten, die Leute, die uns besuchen, also diese Menschlichkeit, diese eine Familie, diese Mitgefühl. Ich finde mich dort. # Interview 11: 00:03:50-8#
194 6 Ergebnisse 6.1.3.3 Arbeitsersatz 6.1.3.3.1 Alltagsbewältigung 6.1.3.3.1.1 Tätigkeit statt Arbeitslosigkeit Quantitativ oft genannt wurde das Motiv des Arbeitsersatzes. Freiwilliges Engagement ist demnach nicht immer so freiwillig, wie es der Name vermuten lässt. Der Mangel an Arbeit kann ein Beweggrund sein, sich zu engagieren. Interviewpartnerin 11 möchte nach vielen Jahren der Kindererziehung und der Pflege der Eltern ins Berufsleben einsteigen. Als Frau ohne Berufsabschluss und mit geringen Deutschkenntnissen sind ihre Chancen sehr gering. Auch das Jobcenter macht ihr wenig Hoffnung. Das freiwillige Engagement ist wichtig als Anerkennung und für das Gefühl, „gebraucht zu werden“. Zwar hatte Interviewpartnerin 11 nach wie vor den Status der Arbeitssuchenden, dennoch sagt sie von sich: „Ich bin nicht mehr arbeitslos“. Zusätzlich gibt das Engagement Struktur, Halt und Außenorientierung: Das Gefühl, dass ich gebraucht bin. „Wir brauchen dich, kannst du das machen?" Das Gefühl hat ein sehr positiver Eindruck an mich. Ja, ich bin gebraucht. Ich kann was machen. Ich bin nicht mehr arbeitslos. Ich bin nicht mehr nur zu Hause. Mit Kindern und Haushalt. Ich bin jetzt draußen und ich tu auch was. Es gibt Leute, die mir diese Chance geben. Und gerne geben. Und für mich ist das eine Gelegenheit. Und etwas zu tun. # Interview 11: 00:04:48-1# Zwischenzeitlich konnte Interviewpartnerin 11 ihr ehrenamtliches Engagement in eine Ausbildungsstelle zur Erzieherin umwandeln, die nach langem „Kampf“ vom Jobcenter finanziell unterstützt wird: Für mich jetzt die Arbeit, das ist wie ein Ritual geworden. Also ich will das machen. Ich arbeite. Das Gefühl, dass ich arbeite. Das Gefühl, dass ich nicht mehr ein Arbeitslos bin. Und nicht nur zu Hause. Ich bin nicht nur zu Hause. Und Jobcenter bezahlt alles und ich bin zu Hause. Ich bin nicht mehr, also ich mache jetzt nicht viel. Das ist, was ich jetzt habe, ich kämpfe um mehr. Ich mache hier und ich habe ein Tageskind, ich gehe zur Schule. # Interview 11: 00:19:13-1# 6.1.3.3.1.2 Finanzielle Einnahmequelle Über ein Drittel (2, 3, 5, 9, 11, 13, 15, 25, 27, 28) der befragten Frauen gibt an, dass die Aufwandsentschädigung ein Beweggrund für das freiwillige Engagement
6.1 Engagementmotive 195 ist. In den meisten Fällen ist es ein willkommener Zuverdienst, der aber nicht existenzsichernd ist: Und dann wollte ich halt ein bisschen arbeiten, ein bisschen nebenher verdienen, klar. Miteinander verbinden. (…) Es tut natürlich auch gut, wenn man bisschen was kriegt für das, was man leistet, ist klar. Aber mich stört´s jetzt nicht, dass es in Anführungsstrichen so wenig ist. Weil wir haben ja wie gesagt den Bonus, dass wir die Kinder mitbringen können. Ich kann immer, wenn ich hier arbeite die Kinder mitbringen. Oder parallel mein Kind hier abgeben und oben das Babycafé machen. Das ist ein Riesenbonus, das kann ich woanders nicht. # Interview 13: 00:02:57-0# Und gut, wenn ich jetzt wirklich materiell, sag ich mal, gut dastehen würde, vielleicht würde ich sagen, brauch ich nicht. Aber das ist für mich kleine Taschengeld, ehrlich gesagt, tut auch gut. # Interview 15: 00:10:36-4# Bei den Interviewpartnerinnen des Engagementtyps III (3, 5, 25, 27, 28) handelt es sich dagegen um ein prekäres Arbeitsverhältnis. Die Aufwandsentschädigung ist für diese Engagierte das Hauptmotiv für die Mitwirkung im Familienzentrum. Für Interviewpartnerin 3 ist das freiwillige Engagement eine Arbeitsstelle. Sie hat als Frau mit Kopftuch122, begrenzten Deutschkenntnissen und fehlender Anerkennung ihres Bildungsabschlusses keine Möglichkeiten, in ihrem ehemaligen Beruf als Lehrerin zu arbeiten. Im Familienzentrum ist sie in der Kinderbetreuung tätig und kann somit in einem pädagogischen Arbeitsfeld tätig sein und mit der Aufwandsentschädigung ihre angespannte finanzielle Situation als alleinerziehende Mutter von vier Kindern aufbessern: Also ich, also bei mir meine Seite, ich bin sehr arm. Ich bin eine sehr arme Frau. Wenn ich in Pakistan gucke, meine ganze Familie, sie ist sehr reich und sie habe auch selbständig und so und ja. Aber ich bin hier nicht, trotzdem ich wohne in Deutschland. Ich kann nicht eine Spülmaschine kaufen, nur weil meine Konto. Da ich nicht arbeite. # Interview 3: 00:09:06-3# 122 Als erstes Bundesland hat Baden-Württemberg am 02.04.2004 ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen an staatlichen Schulen verabschiedet und reagierte damit auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24.09.2003 nach einer Klage der baden-württembergischen Lehrerin Fereshta Ludin. Am 27.01.2015 erfolgte ein erneutes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes und damit eine Korrektur des 2003 erfolgten Urteils. Nur wenn das Kopftuch einer muslimischen Lehrerin den Schulfrieden stört (beispielsweise durch Missionarisierungsabsichten), darf es verboten werden. Das heißt, statt der Bundesländer dürfen nun die einzelnen Schulen über ein Verbot bzw. die Erlaubnis entscheiden (vgl. Von Geuther, Gudula und Hür, Kemal 2015 und Bundesverfassungsgericht 2015).
196 6 Ergebnisse Über ihre Tätigkeit im Familienzentrum sagt sie: Ich kann hier nicht weggehen. Ich will auch hier nicht weggehen. Da ich verdiene ein bisschen. # Interview 3: 00:09:41-6# Ich bin ehrenamtlich hier. Ehrenamtlich ja, das ist keine richtige Arbeit. Das ist nicht. Nix, also von meine Seite. Kann man auch ohne Geld, ohne diese sechs Euro arbeiten, wenn man nicht Spaß hat. Aber leider ich brauche Geld, dann ich nehme diese sechs Euro. # Interview 3: 00:14:15-3# Also das reicht überhaupt nicht. Also ich hab´ vier Kinder und die, also der eine, mein Sohn macht Ausbildung und ich kriege kein Geld von mein Kinder. Er kriegt also von Arbeitsamt, er gibt nicht, gibt nicht weiter. Und ich hab´ trotzdem, ich hab kein Geld. Gar kein Geld. (…) Deswegen ich arbeite ein bisschen, weil ich ein bisschen kriege hier. # Interview 3: 00:06:06-2# Auch Interviewpartnerin 27 gibt die finanzielle Einnahmequelle als Hauptmotiv an: Wegen Arbeit. Weil ich eigentlich ich suche seit länger, aber ich habe nicht geklappt. Vorher war mein Mann sehr krank, er hat wegen Gehirn viel Problem, in 2004 er hat ein Schlaganfall bekommen und danach fünf ein sehr große OP gehabt. Diese Zeit bin ich viel beschäftigt. Zwischenzeit ich versuch auch wegen Führerschein, weil mein Mann darf nicht Auto fahren. Und ich versuch viel wegen ein kleine Arbeit, aber ich hab nicht geklappt. Und jetzt große Dank, seit zwei Jahren. Meine eine Freundin, sie hat auch hier gearbeitet FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung), sie hat gesagt und die Kinder gehen in Schule einfach, ich kann schon hier, deswegen bin ich hier. # Interview 27: 00:02:45-5# Das freiwillige Engagement mit Aufwandsentschädigung im Rahmen der sogenannten Übungsleiterpauschale hat für den Engagementtyp III den Status eines prekären Arbeitsverhältnisses ohne Sozialversicherungs- und Kündigungsschutz. Interviewpartnerin 28 bedauert, dass sie im Familienzentrum nicht mehr arbeiten kann. Zum einen reichen die zusätzlichen 96 Euro pro Monat nicht aus, zum anderen „fragt“ das Arbeitsamt regelmäßig nach dem Stand der Arbeitssuche: Wenig Arbeit. Ich such immer Arbeit, weil Jobcenter fragt Arbeit. # Interview 28: 00:00:54-4# Wenn einmal pro Woche, dann 96 Euro. # Interview 28: 00:03:06-2# Ich wollte hier noch eine andere Arbeit haben, dann ist besser. Weil ich wohn hier nicht weit, nur zwei Bushaltestellen und kann ich zu Fuß auch zehn Minuten, fünfzehn Minuten hier kommen. # Interview 28: 00:11:19-0#
6.1 Engagementmotive 197 Ja, könnt ich jeden Tag. Ich würd hier gleich Minikindergarten, wenn ich eine Arbeit hab und dann ist besser. Nicht schwierig, weil kleine Kinder mit kleine Kinder keine viele richtige Sprache Problem. Nur aufpassen Kinder. # Interview 28: 00:11:49-0# Gerne würde Interviewpartnerin 28 ihre Arbeitszeit (und damit die Verdienstmöglichkeiten) ausdehnen. Grundsätzlich kann sie sich auch eine „andere Stelle“ vorstellen. Sie fühlt sich allerdings nicht in der Lage, eine grundständige Ausbildung zu beginnen: Aber egal hier oder andere Stelle, aber ohne Ausbildung. # Interview 28: 00:13:27-5# Mit dieser Aussage wird die geringe emotionale Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements für die Engagementgruppe III deutlich. Zwar tragen verschiedene Faktoren (Interkulturelle Offenheit, geschützter Raum, Anknüpfungspunkte zum ursprünglichen Beruf) dazu bei, dass der Zugang zur Arbeitsaufnahme niederschwellig ist, dennoch bleibt das Hauptmotiv die Bezahlung der Übungsleiterpauschale. Passend hierzu bezeichnen die Interviewpartnerinnen ihre Tätigkeit auch nicht als „Engagement“, „Hilfe“ oder „Unterstützung“, sondern als „Arbeit“. 6.1.3.3.2 Statusorientierte Kompensation 6.1.3.3.2.1 Arbeit im früheren Beruf aufgrund Nichtanerkennung des ausländischen Berufsabschlusses Die Freiwilligkeit des Engagements ist auch bei Interviewpartnerin 5 eingeschränkt. Ihr Engagement ist der fehlenden Anerkennung ihres Studienabschlusses geschuldet. Im Unterschied zu Interviewpartnerin 3 hat sie sich mit dem Zustand der fehlenden Anerkennung nicht abgefunden, sie „muss weiter“ um diese Anerkennung kämpfen. Sie nutzt ihr Engagement erstens, um ein Ehrenamtszertifikat zur Vorlage beim Regierungspräsidium zu erhalten (vgl. Kapitel 6.1.4.4 „Ehrenamtszertifikat“), zweitens, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern, die sie ebenfalls zur Zulassung als Lehrerin benötigt, und drittens, um Geld zu verdienen. Ich muss weiter. Ich habe meine Unterlagen in Tübingen Präsidium, in Regierungspräsidium in Tübingen geschickt, aber sie antworten, dass ich C2 (Sprachniveaustufe nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen, Anmerkung) oder Germanistikstudium habe. Ich bin Geschichtslehrerin, aber ich bin studieren in Pristina in Kosovo und dass ich meine Unterlagen anerkennen, aber ich muss weiter Deutschkenntnisse C2 bestanden, dass meine Unterlagen anerkennen. # Interview 5: 00:04:06-8#
198 6 Ergebnisse Bei Interviewpartnerin 3 kommt neben den nicht ausreichenden Deutschkenntnissen das Kopftuch als erschwerender Faktor hinzu, um in einer staatlichen Schule unterrichten zu können: Ich hab damals eine Gespräch gehabt mit eine Mann und er gesagt: Wenn sie in Schule was arbeiten, also dann müssen sie diese Kopftuch und so nicht mehr tragen. Und ich hab gesagt: „Ohne Kopftuch ich geh nicht rein.“ Dann hab ich hier, also ich finde das sehr wohl hier. So ich habe diese Stelle gefunden. Und für mich auch reicht. Also ich kann nur so, so arbeiten. # Interview 3: 00:04:47-1# Das freiwillige Engagement stellt für drei Interviewpartnerinnen die Möglichkeit dar, die frühere berufliche Tätigkeit im Ehrenamt fortzuführen. Der Beruf musste aus nicht freiwilligen Gründen aufgegeben werden. Somit stellt das Ehrenamt ein Anknüpfungspunkt an eine frühere Tätigkeit dar. Bei den Interviewpartnerinnen 3, 5 und 25 ist es, wie bereits erwähnt, die fehlende Anerkennung des ausländischen Bildungsabschlusses. Alle drei haben in ihren Herkunftsländern Pakistan, Kosovo und Kongo als Lehrerinnen gearbeitet, bei allen ist eine Anerkennung insbesondere aufgrund der fehlenden Deutschkenntnisse (derzeit) nicht möglich. Die Interviewpartnerinnen sind nun als ehrenamtliche Zweitkräfte in der Kinderbetreuung tätig, was sich nicht mit dem Beruf der Lehrerin vergleichen lässt, aber im pädagogischen Bereich ist und ein Anknüpfungspunkt zur früheren Berufstätigkeit darstellt: Eigene Beruf. Ich war Lehrerin in Pakistan. Das ist, das passt nicht zusammen, die Kinderbetreuung und das Lehrerin, das passt nicht zusammen. Aber ich hab also viel, viel mit Kinder zu tun. Also bisschen, nicht wahr. In Pakistan, da hab ich auch beschäftigt immer mit Kinder und ich kann auch sehr gut Kinder aufpassen, doch kann man sagen. Ich hab Vertrauen an mich. # Interview 3: 00:10:56-9# Interviewpartnerin 25 arbeitet, da sie nicht als Lehrerin unterrichten darf, in der Kinderbetreuung. Ihr ist es wichtig, mit Kindern zu arbeiten: Also ich möchte mit Kinder, ich mag die Kinder. Egal ob Kindergarten. Aber mit Kinder. (...) Ich bin bisschen Erzieherin-Hilferin. Aber schade, wenn ich Frankreich, ich kann schon alles machen. Aber Deutschland wegen meine Sprache, weißt du. Ich weiß es nicht. # Interview 25: 00:05:56-4# Die Arbeit mit Kindern knüpft an ihre frühere Berufstätigkeit inhaltlich stärker an als andere Jobs: Und dann ich war zu Hause, ich hab ich andere Arbeit gesucht. Zimmermädchen, hab ich vier Monate gearbeitet. Aber ich finde es ist nicht so gut bei mir. Und bin ich nach
6.1 Engagementmotive 199 Hause gegangen, also ich hab meine Beratung, ich hab viel gelernt in Afrika. WARUM? Ich kann Deutsch, ich rede, hab Kontakt mit Leute, ich höre, kann alles verstehen. Warum ich muss so: „Geh da, da, da.“ Das geht nicht. Mir gefällt das nicht. Ich muss neue oder Ausbildung oder neu arbeiten. Und sie sagt: „Okay, gehen wir, sie hat mir hier geschickt." # Interview 25: 00:11:15-4# Ein inhaltlicher Bezug zwischen dem studierten Beruf der Lehrerin und dem Job als Zimmermädchen ist nicht gegeben. Die ehrenamtliche Tätigkeit (mit Aufwandsentschädigung) ist zwar geringer bezahlt als ein Job in Höhe des Mindestlohns, es trägt aber stärker zu einer biografischen und beruflichen Kontinuität bei und zum emotionalen Statuserhalt. Teilweise nehmen diese Engagierten einen geringeren Verdienst durch die Ehrenamtspauschale hin, um inhaltlich an den früheren Beruf anschließen zu können. Das Arbeiten als Zimmermädchen wird als Entwertung gesehen („Das geht nicht. Mir gefällt das nicht. # Interview 25: 00:11:154#). Die inhaltliche Anschlussfähigkeit an den früheren Beruf erzeugt eine Statuserhöhung gegenüber sich selbst, in der eigenethnischen Community und gegenüber Angehörigen im Herkunftsland. Die persönliche Entwürdigung und der komplette Verlust des Selbstwertgefühls wird damit vermieden und die subjektive Handlungsfähigkeit (Böhnisch) hergestellt. 6.1.3.3.2.2 Arbeit im früheren Beruf aufgrund Berufsaufgabe wegen sozialer Lebensumstände Interviewpartnerin 15 hat als Friseurin gearbeitet und diese Ausbildung auch in Deutschland absolviert. Als alleinerziehende Mutter war es ihr nicht mehr möglich, Kindererziehung und Beruf zu verbinden: Ich konnte eh nicht, also nicht voll arbeiten oder wollte auch nicht, ich wollte für sie da sein und da hab ich mich mein Beruf irgendwann dann doch ganz aufgegeben. Leider. Und so bin ich also irgendwie doch noch dabei. Arbeite nicht mehr in meinem Beruf, mache jetzt im Altenheim so Minijob und ja. # Interview 15: 00:02:21-3# Im Mütter- und Familienzentrum ist sie nun ehrenamtlich als Kinderfriseurin tätig und schneidet einmal monatlich Kindern die Haare. Für sie ist es ein Anknüpfungspunkt, den früheren, „eigentlichen Job“ zu machen: Genau. Eigentlichen Job zu machen und ich mag ja Kinder # Interview 15: 00:02:18-2#
200 6 Ergebnisse 6.1.3.3.2.3 Emotionale Statuserhöhung Für Interviewpartnerin 9 ist das freiwillige Engagement ein wichtiger Statusgewinn. Eine ehrenamtliche Tätigkeit ohne finanzielle Entschädigung hat für ihren Ehemann nicht den Stellenwert wie eine (geringfügig) bezahlte Tätigkeit. Für Interviewpartnerin 9 ist in Ermangelung eines Arbeitsplatzes das bezahlte Ehrenamt wichtig, auch um ihre Abwesenheit von zu Hause zu rechtfertigen und um den Status einer eigenständigen und arbeitenden Frau zu haben: Aber das finde ich gut, weil manche ist es so, manche Männer ist so, die machen kein Ehrenamt, die lassen auch die Frauen kein Ehrenamt machen. Bei mir ist es so, ich darf machen, was ich will. Das ist bei mir GROSSE Vorteil, weil ich hab vieles Zeit hier investiert, die Zeit, ich vielleicht mit den Kindern oder mit der Familie was mache könnte. Ich hab dann Samstag, Sonntag auch hier bei viele Projekte, ganz viele andere Sachen, wir haben viele Gäste gehabt. Ich war IMMER hier. Und er konnte sagen: „Hallo und wir? Das geht nicht und so." Deswegen auch ist es wichtig, dass ich dann nachher Geld bekommen habe. Dann war ich mein Mann sagt: „Nein, ich bekomm auch dafür Geld". Dann war´s, natürlich ging´s, weil er wusste, da war´s mit Bezahlung, weil ich kein anderes Geld gehabt, nur Kindergeld, was da für Kinder ausgeben muss. Aber für mich selber, was ich für mich, für mich wollte, das hat dann, ich hab dann hier, und ich hab dann gesagt, ich hab jetzt auch Geld. Und das war natürlich so zu Hause, er gesagt hat: „Wo warst du und so lange? Warum ist so lange?" Dann sag ich: „Ja, ich arbeite." Jetzt sag ich, ich arbeite. # Interview 9: 00:35:28-2# Für Interviewpartnerin 9, die stark in traditionellen Rollenverhältnissen verhaftet ist, trägt das bürgerschaftliche Engagement mit Aufwandsentschädigung zum Statusgewinn bei, ihre Abwesenheit von zu Hause wird dadurch legitimiert und sie kann über selbst erwirtschaftetes Geld verfügen. 6.1.3.4 Zwischenergebnis Engagement als Kompensation Bürgerschaftliches Engagement kann einen Mangel kompensieren. Dies gelingt mal mehr, mal weniger zufriedenstellend. Vom Gelingen abhängig sind nicht nur die persönliche Ausstattung und das Vorhandensein von Ressourcen, sondern auch auf der Mesoebene die Unterstützung durch die Vereine und Organisationen sowie auf gesellschaftlicher Ebene förderliche bzw. bremsende Strukturen und Gesetze. In der vorliegenden Studie wurden von den Engagierten drei grundlegende Mangelsituationen erkannt und im Engagement zu kompensieren versucht:
6.1 Engagementmotive 201 (1) Mangel an persönlichen Ressourcen (2) Mangel an familiären Netzwerken (3) Mangel an Arbeit und Geld (1) „Etwas fehlt“, könnte diese erste Kompensationsmöglichkeit umschrieben werden. Fehlende Angebote können Antrieb zur Entwicklung und Schaffung neuer Angebote sein. Wenn es keine Kinderbetreuung gibt, dann muss sie selbst initiiert und geschaffen werden: In WO (Wohnort, Anmerkung) war damals wirklich NICHTS (lacht). Also außer paar Krabbelgruppen, aber keine Art Betreuung. Dann kamen wir auf die Idee, selber eine Betreuung zu organisieren, ne Kleinkinderbetreuung. Und das haben wir dann auch angefangen, 2002, das war die erste Kinderbetreuung, Kleinkinderbetreuung hier im FZ (Namen des Mütterzentrums, Anmerkung), hier für Kinder ab zwei. # Interview 19: 00:02:43-8# Ebenso können nicht passgenaue Angebote zur Schaffung neuer Angebote führen. So initiiert Interviewpartnerin 9 zusätzlich zum bestehenden Babycafé ein türkisches Babycafé. Einigen Interviewpartnerinnen fehlen kindgerechte Angebote vor Ort. Aus einem subjektiv empfundenen Mangel erfolgt zunächst pragmatische Selbsthilfe. Die Selbsthilfe bleibt allerdings nicht bei der Bewältigung des eigenen Mangels stehen. Die Interviewpartnerinnen behelfen sich also nicht durch das Bezahlen einer professionellen Tagesbetreuung oder durch Ausweichen zu anderen Anbietern, sondern nehmen den eigenen Mangel auch als Mangel von anderen Betroffenen wahr und verbinden somit egoistische Motive mit Gemeinwohlorientierung. (2) Der Mangel an familiären Netzwerken ist ein Motiv, das unabhängig von Herkunft und Bildungsstand benannt wird. Insbesondere die migrationsbedingte räumliche Trennung von der Familie wird als schwierig und belastend empfunden. Das Eingebundensein im Engagement stellt ein unterstützendes Netzwerk dar, in dem Fragen beantwortet, Sorgen besprochen und auch Trost gespendet wird. „Eine Oase“ oder „wie ein Zuhause“ bezeichnen die Engagierten das familienersetzende Netzwerk im Engagement. (3) Während die beiden erstgenannten Kompensationsmotive weitgehend unabhängig von Bildungsstand und Herkunft genannt wurden, besteht beim Kompensationsmotiv „Engagement statt Arbeit“ ein Zusammenhang zwischen fehlenden beruflichen Partizipationschancen und Engagement. Der Arbeitsersatz findet dann entweder pragmatisch orientiert als Alltagsbewältigung statt oder emotional als statusorientierte Kompensation. Im Bereich Alltagsbewältigung gibt das Engagement Struktur, Halt und die Möglichkeit, sich nach außen zu orientieren, also alles Punkte, die im Berufsleben erfüllt und
202 6 Ergebnisse die nun im Engagement kompensiert werden. Entscheidendes Motiv ist aber die finanzielle Einnahmequelle, die entweder ergänzend ein willkommener Zuverdienst ist, oder aber das Hauptmotiv des bürgerschaftlichen Engagements darstellt. Die Hauptmotivation des Engagementtyps III123 fußt auf der Möglichkeit, im bürgerschaftlichen Engagement die sogenannte Übungsleiterpauschale nach § 3 Nr. 26 Einkommenssteuergesetz zu erhalten. Für den Engagementtyp III ist dieser als Aufwandsentschädigung gedachte Ausgleich neben staatlichen Transferleistungen das einzige Einkommen und das einzige selbst erwirtschaftete Geld. Es wird deshalb und aufgrund der existenzsichernden Funktion als Arbeitslohn gesehen und nicht als Zubrot. Teilweise hängen das Motiv „Geld verdienen“ und die statusorientierte Kompensation zusammen, sind aber nicht in allen Fällen deckungsgleich. So ist die Arbeitssuche bei einer Interviewpartnerin (28) zentral. Zugunsten einer anderen Arbeitsstelle würde sie sofort das Engagement aufgeben. In anderen Fällen (3, 25) ist das Hauptmotiv eine Kombination aus Alltagsbewältigung in Form von Geld verdienen und statusorientierter Kompensation. Das heißt, auch wenn die Befragten durch andere Tätigkeiten wie im Hotelgewerbe oder in der Gastronomie aufgrund des Mindestlohns mehr Geld als im Rahmen der Übungsleiterpauschale verdienen würden, würde die Tätigkeit im Rahmen des bürgerschaftlichen Engagements dennoch bevorzugt werden, da sie eine größere inhaltliche Nähe zum früheren Beruf aufweist. Da der eigentliche Beruf aufgrund der Nicht-Anerkennung des ausländischen Schulabschlusses und/oder nicht ausreichender Deutschkenntnissen nicht ausgeübt werden kann, stellt das bürgerschaftliche Engagement eine Möglichkeit dar, im früheren Beruf oder in benachbarten Berufsfeldern tätig zu sein, ohne aufgrund gesetzlicher Beschränkungen ausgeschlossen zu sein. Der Nachteil der geringeren Aufwandsentschädigung im Vergleich zu Hilfstätigkeiten mit Mindestlohn wird von einigen Interviewpartnerinnen zugunsten einer Selbstaufwertung und Statuserhöhung in Kauf genommen. Die Arbeit in einem vertrauten und für wichtig empfundenen Tätigkeitsfeld hat einen hohen Stellenwert für die Befragten. Die Interviewpartnerinnen sind aufgrund der Migration geprägt von Verlusten in verschiedenen Bereichen wie Verlust der Heimat, Verlust vertrauter Normen, Verlust der Familie usw. Zusätzlich wird den Befragten des Engagementtyps III die Berufstätigkeit genommen, was ein weiterer Verlust darstellt. Frauen des Engagementtyps III können den hohen beruflichen Status nicht wiedererlangen, den sie vor der Migration besaßen. Die Arbeit in einer berufsfremden Hilfstätigkeit wäre für sie ein weiterer 123 Zur Typologie vergleiche Kapitel 6.2.
6.1 Engagementmotive 203 Statusverlust. Das freiwillige Engagement ist demnach nicht nur Geldverdienst, sondern auch Gesichtswahrung für sich selbst, aber auch für die Familie. Durch diese Form der Wiederherstellung des Selbstwerts setzen sich die Frauen, in Anlehnung an das Konzept der Lebensbewältigung von Lothar Böhnisch, mit ihren Lebensbedingungen aktiv auseinander und nehmen sich als Akteure wahr. Nichtsdestotrotz ist den Interviewpartnerinnen die prekäre Arbeits- und Lebenssituation sehr bewusst. Die Interviews mit Vertreterinnen des Engagementtyps III wurden sehr emotional geführt. Die Interviewpartnerinnen schwanken zwischen Resignation (3, 27, 28) und Hoffnung (5, 25). Betrachtet man die quantitative Verteilung der kompensatorischen Motive genauer, muss zwingend zwischen Familienersatz, pragmatischer Selbsthilfe und Arbeitsersatz unterschieden werden, um eine logische Verbindung zwischen Engagementtyp und Mangel herstellen zu können. Die Unterkategorie „Pragmatische Selbsthilfe“ beispielsweise in Form von neuen Angebotsformaten wird in allen Engagementtypen mit Ausnahme des Typs III genannt. Familienersatz ist für Engagierte jeden Typs mit Ausnahme des Engagementtyps IV relevant. Ein möglicher Erklärungsgrund hierfür ist, dass Engagierte des Typs IV (mit Ausnahme von Interviewpartnerin 21) entweder Angehörige der zweiten Generation oder als Kinder mit ihren Eltern migriert sind, ihre Herkunftsfamilie also ebenso in Deutschland lebt. Arbeitsersatz in Form von Alltagsbewältigung betrifft in erster Linie die sozioökonomisch schlechter gestellten Engagementtypen I, II und III, während der statusorientierte Ersatz hauptsächlich für Typ III von Belang ist. Die Kompensation von fehlender Arbeit ist dagegen im Engagementtyp IV und V nicht relevant. 6.1.4 Kompetenzentwicklung Mit dem Konzept des lebenslangen Lernens hat sich die Vorstellung durchgesetzt, dass Lernen ein fortlaufendender Prozess ist, der nicht mit Schulabschlüssen und formalen Zeugnissen endet. Damit hängt zusammen, dass Lernen nicht an bestimmte Orte gebunden ist. Während formales Lernen nach wie vor an Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten gekoppelt ist, findet non-formales Lernen in Deutschland oft im Kurssystem an Einrichtungen wie Volkshochschulen statt, wohingegen informelles Lernen theoretisch an allen Orten denkbar ist. Neben der Familie als die wichtigste informelle Lern- und Sozialisationsstätte findet auch im bürgerschaftlichen Engagement Lernen statt. Das heißt: Ein Engage-
204 6 Ergebnisse mentort ist im Idealfall auch ein Bildungsort. Was gelernt wird, hängt entscheidend vom Verein oder der Gruppierung ab. Während in einigen Engagementbereichen die bewusste Wissensvermittlung inklusive Zertifikaten eine große Rolle spielt (Feuerwehr und Rettungswesen, Übungsleiter- und Trainerscheine in Sportverbänden usw.), findet in einer Vielzahl von Engagementbereichen Lernen als „learning by doing“ statt. Hansen (2008: 97) unterscheidet in seiner Studie inzidentelles Lernen (beiläufiges Lernen während der Tätigkeit) und selbst gesteuertes Lernen (durch Lesen, Recherchieren, Nachfragen) im freiwilligen Engagement, wobei inzidentelles Lernen die „dominierende Lernform“ (ebd.: 97) im freiwilligen Engagement sei. Auch im Freiwilligensurvey 2016 wird dem individuellen Lernen durch Engagement große Bedeutung geschenkt (Simonson u. a. 2016a: 349 f). Rund drei Viertel der Befragten (74 %) geben an, im Engagement dazuzulernen. Die meisten (drei Viertel der Befragten) lernen im Bereich der sozialen Fähigkeiten und mehr als die Hälfte hat persönliche Fähigkeiten oder Fähigkeiten für das Engagement erlangt. Diese gewonnenen Kompetenzen werden von den Befragten als gewinnbringend nicht nur für das Engagement, sondern auch für die Schule oder den Arbeitsmarkt erachtet. Laut FWS 2016 nehmen Menschen mit niedriger, mittlerer oder hoher Bildung gleichermaßen an angebotenen internen Fortbildungen teil. Die Selektion erfolgt allerdings sowohl zuvor (die Engagementquote ist von der Bildung abhängig) als auch danach: So profitieren Engagierte mit hoher Bildung überproportional von ihrem non-formalen und informellen Wissenserwerb und können es stärker in die Berufswelt transferieren. Laut FWS 2016 könne dies daran liegen, dass höher gebildete Menschen eher „arbeitsmarktkompatiblere Fähigkeiten“ erwerben oder diese besser auf andere Lebensbereiche übertragen können. Denkbar seien aber auch „Benachteiligungsmechanismen auf dem Arbeitsmarkt“, die einen Transfer von erworbenem informellen Wissen in die Berufswelt verhindern: „Die im Engagement erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten verringern die bestehenden Chancenungleichheiten von höher und niedriger gebildeten Personen auf dem Arbeitsmarkt also nicht“ (Simonson u. a. 2016a: 368). In Bezug auf das Engagement Jugendlicher fanden Düx u. a. in ihrer Studie heraus, dass als Jugendliche engagierte Erwachsene überdurchschnittlich stärker über organisationale und rhetorische Fähigkeiten sowie über Team- und Leitungskompetenzen verfügen als solche, die sich im Jugendalter nicht engagierten (Düx 2009: 175f). Das heißt, im freiwilligen Engagement werden Kompetenzen vermittelt, die in traditionellen Lernorten mit formalen Abschlüssen so nicht vermittelt werden. Entscheidend für den informellen Wissenserwerb seien insbesondere Freiwilligkeit und Selbstbestimmung (Düx u. a. 2009: 179). Düx u. a. betonen dabei die Förderung der Reflexionsfähigkeit sowie von demokratischen Handlungs-
6.1 Engagementmotive 205 weisen (Düx 2009: 177; Düx 2006: 210). Düx arbeitete an personalen Kompetenzen folgende heraus: „Selbstbewusstsein, Selbstständigkeit, Durchhaltevermögen, Offenheit, Flexibilität, Selbstreflexivität, Entwicklung von Werten sowie biografische Orientierung“ (Düx 2006: 212f). Huth (2006b, 2007a, 2007b) zufolge sind Engagementorte für Migrant_innen auch Lernorte für interkulturelle und sozialintegrative Kompetenzen. Neben sprachlichen werden personenbezogene (Selbstbewusstsein, Kommunikationsfähigkeit u. a.) sowie fachliche Kompetenzen (Öffentlichkeitsarbeit, Verwaltung u. a.) erworben (Huth 2007b). Huth betont insbesondere die sozialintegrative Wirkung für Migrant_innen. Neben kultureller Integration durch den Erwerb von Sprachkenntnissen sowie kulturellen Regeln und Normen, sozialer Integration durch interkulturelle Kontakte und Interaktionen sowie emotionaler Integration durch Anerkennung und der Übernahme von Verantwortung thematisiert Huth auch eine mögliche strukturelle Integration. So können im Engagement gelernte Kompetenzen in das Berufsleben transferiert werden. „Engagement hat also Auswirkungen auf Aus- und Weiterbildung und berufliche Positionierung“ (Huth 2007b: 6). Vergleiche hierzu auch Kapitel 7.3. Für Annette Zimmer kann ein Engagement in einer zivilgesellschaftlichen Organisation eine „Schule der Demokratie“ (Zimmer 2012: 1) sein. Alscher betont, dass freiwilliges Engagement zur „Ausbildung personaler, sozialer, kultureller, fachlicher und methodischer Kompetenzen“ (Alscher 2016: 90) beitragen kann. Dabei profitieren nicht nur die Engagierten selbst von der informellen Bildung, sondern auch die Organisationen und insbesondere auch die Gesellschaft (ebd.). In seiner Studie „Lernen durch freiwilliges Engagement“ hat Stefan Hansen (2008) folgende vier Lerninhalte herausgearbeitet: Fachwissen, Gesellschaftswissen, personenbezogene Eigenschaften und soziale Kompetenzen (Selbstbewusstsein, Geduld und Hartnäckigkeit, soziale Kompetenzen in der Interaktion mit anderen Menschen) sowie Organisationsfähigkeit (Organisation und Durchführung von Vereinsveranstaltungen, Verwaltungsangelegenheiten) (Hansen 2008: 79f). Dabei weist er darauf hin, dass Lernen als „Nebenprodukt“ (Hansen 2008: 104) stattfinden kann, als unintendierte Handlungsfolge. Dies wird in der hier vorliegenden Studie in Kapitel 6.3 „Veränderung durch freiwilliges Engagement“ vertieft. Zusätzlich finden sich in der Studie von Hansen wie auch in der hier vorliegenden Studie Engagierte, die ihr Lernen selbst steuern. Hansen unterscheidet hier den Lerntyp „Anforderungen aufgrund einer formalen Position“ (Erwerb wichtiger Fachkenntnisse für das Engagement) sowie den Lerntyp „Förderung des Lernens“ aufgrund von Interesse oder der beruflichen Nutzbarkeit (Hansen 2008: 123).
206 6 Ergebnisse Ergänzend zu den von Hansen herausgearbeiteten Lerninhalten ergaben die Interviews der hier vorliegenden Studie einen weiteren Lerninhalt, nämlich den des „beruflichen Wissens“. In der Grafik sollen diese vier Lerninhalte veranschaulicht werden. Wichtig anzumerken ist hierbei, dass es sich nicht um EntwederOder-Lerninhalte handelt. Engagierte, deren Engagement vom Wunsch der Kompetenzentwicklung geprägt ist, können sich inhaltlich für mehrere Bereiche interessieren. So gibt es Engagierte, die sich sowohl Fachwissen als auch Gesellschaftswissen aneignen und gleichzeitig ihre persönlichen Fähigkeiten wie das Präsentieren in der Öffentlichkeit stärken möchten. Es finden sich in der Studie aber genauso Engagierte, die sich nur für einen Lerninhalt interessieren. Dies ist tendenziell stärker im Lerninhalt „berufliches Wissen“ vorhanden. Engagierte, die stark an einem beruflichen Weiterkommen interessiert sind und das Engagement als eine Möglichkeit sehen, das Nebenamt zum (bezahlten) Hauptamt zu machen, sind vor allem an beruflichem Wissen und nicht an sozialen Kompetenzen oder Gesellschaftswissen interessiert. Abbildung 27: Kompetenzentwicklung als Motiv bürgerschaftlichen Engagements Quelle: Eigene Darstellung
6.1 Engagementmotive 207 6.1.4.1 Fachwissen für das Engagement Die ehrenamtliche Arbeit wird von einigen Frauen als Möglichkeit gesehen, sich fortzubilden und Fachwissen für ihr freiwilliges Engagement zu erwerben. Das Fachwissen kann durch offizielle Fortbildungsangebote erworben werden, durch den Austausch mit anderen Engagierten, die bereits über ein großes Fachwissen verfügen, oder durch „learning by doing“. Die offiziellen Fortbildungsangebote sind begrenzt. Aufgrund der finanziellen Situation der meisten Zentren, die auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen sind und nur selten öffentliche Zuweisungen erhalten, ist es meist nicht möglich, den ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen externe Fortbildungen anzubieten. Es gibt allerdings ein kleines internes Fortbildungsangebot. Für Zentren mit zertifiziertem Babycafé ist eine Schulung obligatorisch, um diese Zertifizierung zu erlangen. Das mit dem Dazulernen ist ja ständig. Eigentlich. Wir haben jetzt auch, grad in meinem Babycafé, da kommt ja auch immer irgendeine Beratung dazu, klar, da lernt man dazu. Dann muss ich ja extra ein Seminar machen quasi, beziehungsweise eine Fortbildung für´s Babycafé. Man lernt nie aus. Und ich nehm auch alles mit, was ich kriegen kann. Fortbildungen klar. # Interview 13: 00:05:03-4# Einen Zugewinn an pädagogischem Wissen quasi „nebenbei“ hat auch Interviewpartnerin 21, die keine Ausbildung im pädagogischen Bereich hat: Also ich muss es so sagen, also es sind unterschiedliche Kinder, wo man auch sieht, dass da in den Familien viel Aggressionen sind und so. Ja, so kann da viel davon lernen halt, was das für Unterschiede sind und ja, wie man mit der Sache umgehen muss. (…) Gut, klar, dass ich da durch dass ich keine Ausbildung da hab, aber ich meine, man lernt auch aus der Erfahrung da von den Kindern. # Interview 21: 00:05:29-6# Einen Zusammenhang zwischen Fortbildungsmöglichkeit und indirekter Anerkennung benennt eine Interviewpartnerin. Aus familiären Gründen konnte Interviewpartnerin 10 zwar nicht an den Austauschprogrammen im europäischen Ausland teilnehmen, sie fühlte sich aber als etwas „Besonderes“ durch die Tatsache, dass sie gefragt wurde. Die Möglichkeit, kostenfrei an Fortbildungen teilzunehmen, wird als Anerkennung der ehrenamtlichen Leistung gesehen und als Investition in die eigene Person. Und dann gab es auch die Möglichkeit, auf Kosten dieser Grunding, oder Grundtvig oder wie das heißt, auch in andere Länder zu gehen, das war jetzt, E1 (Name einer Ehrenamtliche, Anmerkung) war jetzt in der Türkei mit der E2 (Name einer Ehrenamtlichen, Anmerkung) und in Holland, glaub ich, und in Österreich, glaub ich, waren
208 6 Ergebnisse die auch. (...) Und so was zum Beispiel kriegt man hier auch nicht so, dass man da jetzt andere Länder jetzt mal so, ohne dass man jetzt so umsonst jetzt, das ist auch was, wo, wo ich dann denke, dass es mir angeboten wird, da fühl ich mich auch so „okay" (gedehnt), dann bist du was Besonderes, ja. Dann darfst du in andere Länder, ich würd da sehr gerne, wär ich da mitgekommen. Oder Fortbildungen zum Beispiel. Die werden ja auch bezahlt, wenn du nach Stuttgart oder so gehst mit Verpflegung und so. Das ist ja alles auch schön und das kriegst du auch jetzt nicht überall. Also ich hab schon viele Vorteile. # Interview 10: 00:33:06-5# 6.1.4.2 Personale und soziale Kompetenzen Einen hohen Stellenwert hat der Wissenserwerb im personalen und sozialen Bereich. Mehrere Interviewpartnerinnen (2, 7, 9, 11, 14, 18, 20) beschreiben, dass sie nicht nur geben, sondern auch für sich „etwas nehmen“ und dass sie ständig en passent dazulernen. Entscheidend für den Kompetenzgewinn ist hierbei, dass nicht alltägliche Erfahrungen gemacht werden und diese in einem geschützten Rahmen stattfinden. Ich arbeite noch woanders. Ich sage immer, das ist meine Kohlenarbeit (lacht), dass ich Essen, Trinken bekomme und davon lebe. Aber FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung), was ich hier mache, Baby-Café ist das für meine Seele. Ich glaube, ich mach für mich, nicht für die Mamas etwas, auch für mich etwas. Ich lerne jedem BabyCafé auch von den Mamas was. Ich nehme immer noch vieles mit nach Hause. # Interview 9: 00:27:10-9# Eine Weiterentwicklung der Toleranz und des Selbstbewusstseins sind die Bereiche der personalen und sozialen Kompetenzentwicklung, die am häufigsten genannt wurden: Meine Motive ist das einfach für die Menschen, wie kann ich erklären, damals für mich war ja toller Ort FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) einfach, mich selber äußern und Sicherheit mir geben und gleichzeitig selbstbewusster werden und mehr Sprache ausüben und noch besser werden, diese Umgang mit Menschen, mit den Deutschen zusammen sein, nicht untereinander mit den Türkinnen, sondern mit den Deutschen zusammen sein, diese Mentalität von Deutschen und auch das viel aufnehmen auch gleichzeitig von meine Mentalität wieder weitergeben. Weißt, das ist das, die Motivation einfach, die Austausch für mich so wichtig gewesen. # Interview 2: 00:36:06-9#
6.1 Engagementmotive 209 Interviewpartnerin 14 betont die Toleranzentwicklung durch informelles Lernen. Diese Kompetenzen seien „spezielle Kompetenzen“, die nicht in einem „CivicBlatt“, nicht in einem offiziellen Zertifikat belegt werden: Also nicht so von wegen, dass ich in einem Civic-Blatt einbringen würde, aber einfach so, ich denke so, diese ein bisschen mehr so zu hören und nicht sofort so beurteilen oder so was und ja einfach mehr Verständnis haben für andere Menschen, würde ich sagen. Aber das sind so sehr spezielle Kompetenzen. # Interview 14: 00:31:55-3 6.1.4.3 Gesellschaftswissen – Wissen über gesellschaftliche Strukturen Vonseiten zweier Interviewpartnerinnen besteht ein großes Interesse, Einblicke in gesellschaftliche Strukturen zu bekommen. Dies ist für beide Frauen zwar kein Hauptmotiv, aber dennoch ein nennenswerter Grund, sich ehrenamtlich zu engagieren. Und auch jetzt habe ich viele Wissen, muss ich auch ehrlich sagen, weil ich hab hier die Möglichkeit gehabt, überall hinzugehen. Ich war im Ministerium überall, bei der Konsulat eingeladen, wir haben ganz viele türkische Leute aus der Türkei, als wir waren Gastgeberin, wir haben die FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) kennengelernt, wir haben Hausführungen gemacht. So viele Leute bin ich entgegengekommen und ich war bei jeder Party hier (lacht) und das ist jeder kleiner Besuch oder kleine Veranstaltung hat mich was gebracht. So wie eine Dings, immer wieder was drauf. Ich kann sagen, das ist ein leere Heft, wo immer was drin geschrieben. # Interview 9: 00:22:11-5# Insbesondere für Interviewpartnerin 9, die als Kopftuchträgerin und ohne Ausbildung vielen Ausgrenzungen ausgesetzt ist, erschlossen sich durch das Ehrenamt Gelegenheiten, gesellschaftspolitische Strukturen kennenzulernen. Sie beschreibt diese Situation als „leeres Heft“, das beschrieben und gefüllt wird. Auch Interviewpartnerin 6 schätzt den Blick hinter die Kulissen, seit sie sich im Vorstand engagiert: Aber das ist auf jeden Fall durch diese Arbeit als Vorstandsfrau hab ich viel mehr von meiner eigenen Stadt erfahren. Ja, wie sie funktioniert. Wer die Politiker sind oder ja in dem Stadtteil. Oder die, die ein bisschen mit uns Kontakt haben. Ja und die uns bei verschiedenen Veranstaltungen unterstützen oder bei Anträgen im Gemeinderat, ja. (...) Es gibt noch Sachen, die ich noch nicht weiß. Aber ich glaub, so peu à peu, werde ich das auch erfahren. # Interview 6: 00:42:33-7#
210 6 Ergebnisse Neben Einblicke in politische Strukturen ist es anderen Interviewpartnerinnen wichtig, „über den eigenen Tellerrand zu blicken“ und Einblicke in gesellschaftliche Realitäten zu erlangen. Interviewpartnerin 21 betont, dass sie durch die ehrenamtliche Arbeit mit Kindern mit Fluchterfahrung neue Einblicke bekommt. Insbesondere die Unterschiede in der materiellen Ausstattung thematisiert sie mit ihrem Sohn. Sie sieht die Arbeit als Zugewinn, in der sie „jedes Mal…was Neues“ lernt. Mir macht das allgemein halt Spaß. Und ich komme auch gerne hierher und jedes Mal gibt es auch was Neues und lerne auch und ich lerne auch da viel, wie die anderen Kinder sind. Was kann ich auch bei meinem ändern oder halt was einer sieht, was unsere eigentlich haben alles. Wenn ich die anderen Kinder höre, dass die nichts haben und –. Das ist auch, das sag ich auch immer zu meinem: „Guck, was du alles hast und was die anderen nicht haben." # Interview 21: 00:11:32-3# Interviewpartnerin 16, die zugewanderten und geflüchteten Frauen Sprachunterricht gibt, berichtet ebenfalls von ihrem Wissenserwerb in Bezug auf Menschen in gänzlich anderen Lebenssituationen: Aber das sind natürlich die Menschen, die hier bei mir im Kurs sind, die sind nicht alle so offen auf dem leichten Weg oder hatten vielleicht auch nicht so Glück gehabt wie ich, als ich gekommen bin, ja. Und auch die Kinder, muss man auch immer die Kinder bedenken, die laufen ja auch parallel zu unserem Kurs immer. Und da seh ich ja auch, was passiert oder wie die Interaktion zwischen Müttern und den Kindern ist und die Mütter auf uns reagieren oder die Kinder auf uns reagieren, auf das ganze Geschehen, was hier im Haus ist. Und das war natürlich alles neue Sachen für mich, also da lerne ich eigentlich jeden Tag noch viel mehr als, sag ich mal, nur den Deutschunterricht. Das ist nur ein kleiner Teil ja, also der Integrationsteil ist viel, viel größer und viel umfangreicher ja, was man sich auch selbst noch zusätzlich aneignen muss ja und sich weiterbilden muss, damit man das alles so irgendwo unter einen Hut bekommt. # Interview 16: 00:09:33-3# 6.1.4.4 Berufliches Wissen 6.1.4.4.1 Nutzbarmachung für den aktuellen Beruf Der Kompetenzerwerb kann sowohl für die jetzige ehrenamtliche Arbeit hilfreich sein (vgl. Kapitel 6.1.4.1), als auch für den erlernten Beruf.
6.1 Engagementmotive 211 Also ich hab´ Arzthelferin gelernt und wenn man so lang aus dem Beruf, ich bin jetzt auch schon sechs Jahre draußen, das mal so ein bisschen auffrischen mit so Kindersachen und Erste Hilfe, was wir hier haben. Das tut schon gut so. # Interview 13: 00:05:17-1# Der berufliche Kompetenzerwerb im Ehrenamt124 stellt eine Möglichkeit dar, diese beiden Bereiche zu verknüpfen, vorausgesetzt es handelt sich um gleiche oder ähnliche Arbeitsfelder. Für zwei Interviewpartnerinnen stellt die ehrenamtliche Tätigkeit eine Möglichkeit dar, während der Elternzeit dennoch in einem verwandten Berufsfeld tätig zu sein und an einer Kontinuität in Bezug auf die eigene Berufsbiografie zu arbeiten. Im Engagement ist es damit möglich, inhaltlich Kontakt zum Berufsfeld zu halten und eine berufliche Kontinuität im Lebenslauf zu bewahren, was den späteren Berufseinstieg erleichtert. Interviewpartnerin 17 ist von Beruf Bürokauffrau. Im Mütter- und Familienzentrum war sie als Kassiererin ehrenamtlich tätig und blieb somit ihrem Beruf inhaltlich verbunden. Diese ehrenamtliche Tätigkeit nutzte ihr für die Bewerbung für eine Arbeitsstelle in der Geschäftsstelle eines größeren Vereins: Und war dann in der Zeit auch Kassiererin. Bei Jahreszahlen wird es jetzt schwierig, aber circa vier Jahre, sag ich jetzt mal. Und hab´s dann, als ich dann wieder in den Beruf eingestiegen bin, also das war auch ´ne Möglichkeit, um ja im Büro zu bleiben oder da einfach, du hast ´ne Verantwortung, du hast, du musst das machen, du musst Buchungen machen und jetzt arbeite ich ja auch in einem Verein. Und wenn man die Bewerbung dann so ein bisschen auf Vereinsstruktur umbaut, bin ja Kassiererin gewesen, bin ehrenamtlich im Verein, dann war das kein Problem und wurde dann sofort genommen. # Interview 17: 00:03:02-4# 6.1.4.4.2 Nutzbarmachung für den zukünftigen Beruf 6.1.4.4.2.1 Hoffnung auf Umstieg vom Ehrenamt zum Hauptamt Neben der Möglichkeit der Nutzbarmachung für den Beruf ist die freiwillige Tätigkeit für einige Interviewpartnerinnen eine Möglichkeit, ein anderes Berufsfeld kennenzulernen, verbunden mit der Hoffnung, das Ehrenamt zum Beruf zu machen. Dabei gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen. Interviewpartnerin 13 124 Diesem Punkt wird vonseiten der Arbeitgeber_innen oft nur wenig Beachtung geschenkt. Der Blickwinkel geht eher in Richtung Freistellung oder Sonderurlaub für ehrenamtliche Tätigkeiten. Dass umgekehrt aber auch im Ehrenamt Kompetenzen für die berufliche Weiterentwicklung erworben werden, wird dabei vergessen.
212 6 Ergebnisse stellte während ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit fest, dass sie diese freiwillige Tätigkeit gerne zum Beruf machen möchte und nach der Elternzeit nur „ungern“ in ihren Beruf zurückkehren möchte. Auf die Frage, ob das Ehrenamt für sie ein Sprungbrett in einen anderen Beruf darstelle, antwortet sie mit „definitiv“ (# Interview 13: 00:05:57-1#): Das weiß ich noch nicht. Es steht alles noch offen. Also ungern in meinen alten Beruf, würd ich ungern zurückgehen, ehrlich gesagt. Also da drin bin ich nicht aufgegangen. Also hier arbeite ich tausendmal gerner. # Interview 13: 00:05:57-1# Und natürlich mit dem Thema Weiterbildung. Das finde ich auch ganz wichtig. Also hier werden ja auch ganz viele Seminare oder Fortbildungen angeboten. Da kann man auch teilnehmen und das finde ich auch toll. Ja oder vielleicht kann man da, ich weiß es nicht, ich muss mich noch informieren, ganz ehrlich. Dass man hier noch lernen kann oder, oder machen kann. Für mich ist es auch ganz wichtig, wenn ich jetzt zum Beispiel eine Vollzeitstelle bekommen könnte. Das wär auch ganz toll. Ja, weil hier oben gibt´s einen Kindergarten, wo man eine Ausbildung machen könnte. Und es ist so viel in einem, das ist für mich ganz toll. # Interview 1: 00:04:53-7# Diese Wunschvorstellung ist für Interviewpartnerin 6 bereits wahr geworden. Ihre ehrenamtliche Tätigkeit wurde in ein Angestelltenverhältnis umgewandelt: Also ich hab das in den letzten drei Monaten fast jeden Tag gesagt. Wenn ich mich nicht ehrenamtlich engagiert hätte, hätte ich nicht diesen Job gekriegt jetzt fürs V (Name eines übergeordneten Verbands, Anmerkung). # Interview 6: 00:30:29-7# Interviewpartnerin 24 hat aufgrund von Migration und Kindererziehung bislang keine Berufsausbildung. Das Interesse an der Arbeit mit kleinen Kindern hat sie zum ehrenamtlichen Engagement als Leiterin einer Spielgruppe geführt, sie umgekehrt auch bestärkt, diesen Weg zu gehen und eine Teilzeitausbildung als Erzieherin zu beginnen: Aber damals habe ich sogar überlegt, Kindergärtnerin zu machen. (...) Ich hatte auch damals sogar, da bereue ich ein bissle, (...) Aber dann Kindergärtnerin hab ich dann auch eigentlich schon immer auch so, grade mit Kindern zu arbeiten. Finde ich dann schön. (...) Man ist doch noch jung. (...) Dann habe ich mein erstes Kind bekommen und dann ist man da erst mal so Pause mit dem Kind zu Hause. Und dann nach gut zwei Jahren ist dann K (Name des zweiten Kindes, Anmerkung) und dann ist man wieder so, ja, beschäftigt mit dem Haushalt zu Hause. Immer wieder hab ich gedacht: „Mensch, wie ein Beruf doch wichtig wär." Es ist dann schon schade. Man möchte dann auch irgendwie doch eine richtige Arbeit haben. Hier (unv.). Und dann denk ich immer: „Das wär dann doch mal schön." Im
6.1 Engagementmotive 213 Kindergarten doch zu arbeiten auch. Und diese Ausbildung zu haben. Und dann – ja. Und deswegen hab ich jetzt gedacht, jetzt wär die Möglichkeit, es JETZT noch zu machen. # Interview 24: 00:07:40-8# 6.1.4.4.2.2 Im Engagement Berufserfahrung sammeln Für drei Interviewpartnerinnen (11, 13, 24) ist nicht die fehlende Berufsanerkennung das Problem, sondern grundsätzlich die fehlende Ausbildung im pädagogischen Bereich. Die Interviewpartnerinnen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung und würden gerne im pädagogischen Bereich arbeiten: Also mein Mann hat überhaupt nicht dagegen, dass ich arbeite. Und er ist so froh, dass ich die Stelle, die ich immer gewollt, dass es mit Kindern. Ich arbeite gerne mit Kindern. Und es ist nicht so weit von mir. Bin ich immer mit die Frauen, bin ich immer mit neue Menschen. # Interview 11: 00:08:33-6# Also ich habe jetzt, hab ich angefangen dieses Praktikum, diese Teilzeitausbildung als Erzieherin. Und dann hab ich mir überlegt, ob ich das jetzt wirklich machen will. Klar, weil mit den Kindern und Haushalt, aber dieses Teilzeit ist ganz gute Idee. (...) Welche Ausbildungsplätze da gibt. Für Teilzeit. Für Mütter. (...) Ich fang jetzt dieses Jahr an mit Teilzeitausbildung als Erzieherin. Ich fand´s immer schön, mit Kindern zu arbeiten. (…) Ich fand´s auch nett mit dem Singen grade, das ist immer so, was ich auch schön finde. Zum Beispiel was mir jetzt auch gefallen würde, zum Beispiel im Kindergarten oder so. Das Singen mit den Kindern, das würde mir dann auch sehr Spaß machen. Spiele auch. So die Fingerspiele für die Kleinen. # Interview 24: 00:04:37-4# Alle drei Interviewpartnerinnen konnten Erfahrungen im Engagement sammeln und diese auch in Bewerbungen bescheinigen. 6.1.4.4.2.3 Ausbildungsmöglichkeit Die Hoffnung, durch das freiwillige Engagement eine Ausbildungsstelle zu bekommen, wurde bei Interviewpartnerin 11 Wirklichkeit: Dann wollte ich mich weiterbilden, also Tagesmutterschein nicht nur, helfe ich in Gruppe gearbeitet, also in KG (Name der Kindergruppe, Anmerkung) in Mütterzentrum. Es ist anders. Es ist anders als ein Tageskind. Und dann war meine neue Kämpfe mit Jobcenter. Ich habe eineinhalb Jahre gekämpft, bis dass sie sagen: „Okay, sie dürfen jetzt diese Ausbildung machen". Als Kinderpflegerin. Und ist jetzt schon ein Jahr vorbei. Zwei Jahre und ein Anerkennungsjahr. # Interview 11: 00:16:53-4#
214 6 Ergebnisse Interviewpartnerin 1 ist als freiwillig Engagierte mit Aufwandsentschädigung in der Kinderbetreuung tätig und hofft, über ihr Engagement eine Ausbildungsstelle im Haus zu bekommen: Das wär auch ganz toll. Ja, weil hier oben gibt´s einen Kindergarten, wo man eine Ausbildung machen könnte. Und es ist so viel in einem, das ist für mich ganz toll. # Interview 1: 00:04:53-7# 6.1.4.4.2.4 Ehrenamtszertifikat Bei der Anerkennung von ausländischen Studienabschlüssen ist es möglich, sogenannte sonstige Befähigungszeugnisse wie zum Beispiel Zeugnisse über Weiterbildungen und Umschulungen einzureichen (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung o.J.: URL). Eine Interviewpartnerin erhofft sich mithilfe einer Bescheinigung bessere Chancen bei der Anerkennung ihres im Ausland erworbenen Bildungsabschlusses. Diese Bescheinigung könne bezeugen, dass sie zum einen bereits ehrenamtlich im pädagogischen Bereich tätig ist und zum anderen dafür Deutschkenntnisse benötigt. Diese Bescheinigung helfe ihr, so ihre Hoffnung, bei der Anerkennung durch das Regierungspräsidium. Ja. Nur in Regierungspräsidium Tübingen und vielleicht – per E-Mail schicken. Ich weiß nicht richtige Name, aber ich denke, dass FZL (Name des Leiters des Familienzentrums, Anmerkung) per E-Mail schicken und muss noch dort C2 oder Germanistikstudium. # Interview 5: 00:09:30-8# 6.1.4.5 Zwischenergebnis bürgerschaftliches Engagement zur Kompetenzentwicklung Lernen im freiwilligen Engagement findet entweder unintendiert (vgl. Kapitel 6.3 „Veränderungen durch freiwilliges Engagement“) statt oder gesteuert. Die hier vorliegenden Zwischenergebnisse zum bewussten Kompetenzerwerb als Engagementmotiv lassen folgende Unterscheidungen zu: Freiwilliges Engagement wird bewusst dazu genutzt, personale und soziale Kompetenzen zu erwerben. Zweitens wird im freiwilligen Engagement Gesellschaftswissen erworben, drittens Fachwissen für das Engagement und viertens Wissen, das für den Beruf nutzbar gemacht werden kann. Ein weiterer Bereich der Kompetenzentwicklung für Migrant_innen in aufnahmelandbezogenen Vereinen ist der Erwerb von Sprachkom-
6.1 Engagementmotive 215 petenzen, ein Motiv, das unter den migrationsspezifischen Beweggründen aufgeführt wird (Vgl. Kapitel 6.1.5.2). Personale und soziale Kompetenzen werden insbesondere durch die Interaktion mit anderen Engagierten oder mit Besucher_innen der Familienzentren gelernt. Dabei trägt ein wenig formaler und wenig hierarchischer Rahmen dazu bei, dass sich Engagierte intensiv miteinander auseinandersetzen und ihre Rahmenbedingungen selbstbestimmt aushandeln. Der Bereich Gesellschaftswissen wird insbesondere durch ein heterogenes Team und eine heterogene Besucherschaft gefördert. Das Zusammentreffen mit Menschen verschiedener Herkunft, verschiedener Bildungsschichten, Milieus und Lebensstile trägt dazu bei, das eigene Wissen über gesellschaftliche Verhältnisse zu erweitern. Der Wissenserwerb findet dabei im geschützten Rahmen des Engagements statt. Wo teilweise im Alltag durch unterschiedliche Wohngebiete, unterschiedliche Schulformen oder Berufe kein Kontakt möglich ist, bietet das Engagement Begegnungs- und Austauschmöglichkeiten. Entscheidend ist hier, dass die Begegnung auf Augenhöhe stattfindet, bestenfalls mit einem gemeinsamen Ziel, an dem gemeinschaftlich gearbeitet wird. Fachwissen wird in begrenztem Maße über vereinsinterne Fortbildungsangebote erworben, stärker aber über die Interaktion oder über den Austausch mit Dritten. Das quantitativ häufigste und qualitativ stärkste Motiv zum Kompetenzerwerb im freiwilligen Engagement bezieht sich auf die Nutzbarmachung für den Beruf. Dabei kann erworbenes Wissen entweder in den Beruf transferiert werden oder das freiwillige Engagement ist an die Hoffnung geknüpft, das Ehrenamt in einen Beruf umwandeln zu können. Aufgrund der Freiwilligkeit bei der Verteilung von Aufgaben und Funktionen sind Vereine im Gegensatz zu anderen Organisationsformen besonders geeignet, dass passgenaue Aufgaben übernommen werden können. So können Nicht-Pädagog_innen im pädagogischen Bereich arbeiten, Nicht-Verwaltungsleute organisatorische Aufgaben übernehmen oder Nicht-Bankkauffrauen und -männer die Vereinskasse. Diese Trennung von formalen Kompetenzen und tatsächlichem Interesse trägt dazu bei, dass zum einen mit viel persönlichem Einsatz gearbeitet wird und dass zum anderen die dem Interesse entsprechende Vereinstätigkeit für den Beruf oder für einen potenziellen Beruf nutzbar gemacht werden kann. Zusammenfassend bedeutet dies also für Vereine und Organisationen, dass Lernen gezielt gefördert und unterstützt werden kann durch eine tatsächliche (und nicht nur nach außen hin bezeichnete) Freiwilligkeit, durch das Ermöglichen von Interaktionen und Austausch, durch die Möglichkeit, Gestaltungsspielräume zu schaffen und durch die Möglichkeit der Verantwortungsübernahme. Durch freiwilliges Engagement kann sowohl soziales als auch kulturelles Kapital angehäuft werden (Bourdieu 1983), wovon neben der Organisation auch die Gesellschaft profitiert, aber insbesondere auch die engagierte Person selbst. Allerdings sind die Möglichkeiten des Transfers von
216 6 Ergebnisse kulturellem Kapital in die Außenwelt ungleich verteilt. Wer bereits über viel kulturelles Kapital verfügt, kann das im Engagement erworbene Wissen besser transferieren und nutzbar machen, sodass sich Exklusionsprozesse auch im freiwilligen Engagement fortsetzen. Bezüglich der Streuung der Kategorie „Kompetenzentwicklung“ muss zunächst zwischen Kompetenzentwicklung zur Nutzbarmachung für einen zukünftigen Beruf und den restlichen Subkategorien unterschieden werden. Die Kompetenzentwicklung zur Nutzbarmachung für einen zukünftigen Beruf ist analog zum Motiv „Kompensation für Arbeit“ für die Engagementgruppe II und III125 von Bedeutung. Dennoch nutzt die Engagementgruppe II deutlich stärker ihr Engagement zur Weiterentwicklung, als dies Typ III tut. Der Engagementtyp II ist hier in allen Subkategorien vertreten und nutzt verschiedene Möglichkeiten des beruflichen Weiterkommens. Der Wunsch, das Ehrenamt in ein Hauptamt umwandeln zu können, ist hier besonders groß. Im Engagementtyp III herrscht Resignation in Kombination mit großen Sprachschwierigkeiten, familiären Problemen, Krankheiten und traumatischen Erlebnissen, wobei die Interviewpartnerinnen 3, 27 und 28 stark resigniert haben und die Interviewpartnerinnen 5 und 25 hoffnungsvoller sind und mehr Energie in die Kompetenzentwicklung stecken. Wenig überraschend ist, dass weder Engagementtyp IV noch V in Bezug auf Kompetenzentwicklung für den Beruf vertreten sind, sind dies doch die beiden Gruppen mit zufriedenstellenden beruflichen Positionen. Überraschender ist die Gruppe I, die von ihrer Sozialstruktur her Typ II ähnelt, sich in prekären Arbeitsverhältnissen befindet, aber keinerlei Motivation zur Nutzbarmachung verspürt. Das Motiv „Fachwissen“ für das spezielle Tätigkeitsfeld im Engagement zu bekommen, wird mehrfach erwähnt mit einer deutlichen Präferenz in den Engagementtypen I, II und IV. Die beiden höher gebildeten Engagementtypen III und V erwähnen dieses Motiv nicht. Der Wunsch nach Wissen über gesellschaftliche Prozesse und Strukturen ist generell schwach ausgeprägt. Das Motiv „Entwicklung personaler und sozialer Kompetenzen“ ist in allen Engagementgruppen (außer Engagementtyp III) vertreten. 6.1.5 Migrationsspezifische Motive Gibt es überhaupt Engagementmotive, die in engem Zusammenhang mit der eigenen Migration oder die der Herkunftsfamilie stehen? Mit der Beantwortung soll eine zentrale Frage dieser Studie, die Forschungsfrage FF02 geklärt werden. Auch 125 Zur Typologie vergleiche Kapitel 6.2.
6.1 Engagementmotive 217 wenn die Motivation zwischenzeitlich einen großen Raum in der Engagementforschung einnimmt (vgl. zum Überblick der Motivationsforschung Klöckner 2016), bleiben spezielle Motive von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte weitgehend unberücksichtigt. In der quantitativen (und teilweise auch qualitativen) Forschung werden meist der Fragekatalog der Freiwilligensurveys und damit die Fragen an die Gesamtbevölkerung übernommen. Der Hintergrund hierfür ist eine bessere Vergleichbarkeit zwischen dem Datensatz des jeweils aktuellen Freiwilligensurveys und der eigenen Studie. Dieser verständliche erhebungstechnische Grund geht aber zulasten möglicher und bis dato unberücksichtigter Motive. Eine Ausnahme stellen die Studien von Susanne Huth dar (insbesondere Huth 2013a und 2013b), in denen Huth ergänzend zum Fragekatalog des Freiwilligensurveys folgende vier migrationsspezifische Erwartungen an das Engagement erhoben hat:     Ich habe das Bedürfnis, die Lebenssituation der Menschen aus dem Herkunftsland hier vor Ort zu verbessern. Ich möchte Menschen aus der Herkunftsregion helfen, sich im Aufnahmeland zu integrieren. Ich habe das Bedürfnis, die Herkunftskultur im Aufnahmeland zu bewahren. Ich möchte die Bindung zum Herkunftsland aufrechterhalten. Die ersten beiden Erwartungen bezeichnet Huth als „integrative“, die letztgenannten beiden als „bewahrende Bedürfnisse“ (Huth 2013a: 4). Zwar wiederholen sich Motive sowohl in der autochthonen als auch in der allochthonen Bevölkerung, in dieser Studie mit induktiver Vorgehensweise kommen aber auch zusätzliche, auf die Migration bezogene Motive zutage. Unterschiedliche Motive der allochthonen Bevölkerung gründen auf zwei Faktoren: soziale Ungleichheit (1) und resultierend aus der Migration (2). Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist „ein Artefakt, ein soziales Konstrukt“ (Kunz 2016: 248), demnach ist eine Gegenüberstellung der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund immer artifiziell und wirkt am Konstruktionsprozess mit. Dieses Dilemma ist nicht auflösbar. Demnach soll in den folgenden Punkten kein So-Sein zugeschrieben werden, vielmehr sollen Tendenzen beschrieben werden, wonach beispielsweise die Migrant_innenpopulation statistisch überdurchschnittlich von benachteiligenden Strukturen betroffen ist. Der zweite Engagementbericht stellt diesbezüglich fest, dass „der Migrationshintergrund als solcher keine Risikolage dar(stellt), vielmehr treten bei Personen mit Zuwanderungsgeschichte spezifische Härten überproportional auf“ (BMFSFJ 2017: 245).
218 6 Ergebnisse (1) Soziale Ungleichheit Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland ist deutlich heterogener bezüglich ihrer Lebensstile als die autochthone Bevölkerung (vgl. Sinus-Institut 2008) und außerdem heterogen in „ethnischer, religiöser und sozialer Hinsicht“ (Brinkmann 2016: 146). Die Heterogenität hat seit der Gastarbeiter_innenphase nochmals in den 1990er-Jahre deutlich zugenommen durch die Öffnung Osteuropas, durch die neuen ost- und südosteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten, durch Zuwanderung aufgrund der Wirtschafts- bzw. Euro-Krise, durch (Bürger-)Kriegsländer (derzeit insbesondere Syrien, Irak und Afghanistan) sowie durch Wanderungsbewegungen aus den Subsaharastaaten (vgl. Brinkmann 2016: 146f). Das heißt, die Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland ist geprägt von unterschiedlichen Migrationsphasen und -gründen und ist dementsprechend heterogen bezüglich Herkunft, Religion, Bildungsstand, Milieu, Alterszusammensetzung, politischer Einstellung, aufenthaltsrechtlichem Status und Teilhabechancen. Rein statistisch ist die Bevölkerung mit Migrationshintergrund deutlich stärker von folgenden Lebenslagen geprägt als die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund:   Wohnräumliche Segregation Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund wohnt überdurchschnittlich häufig in Großstädten und in Städten in industriell geprägten Flächenstaaten. Migrant_innen haben bei größerer Haushaltsgröße ein niedrigeres Einkommen, während der Wohnungsmarkt in Großstädten besonders teuer ist (Brinkmann 2016: 154). Migrant_innen geben mehr Geld für Miete aus, haben aber einen geringeren Wohnraum zur Verfügung. Die Ausstattung liegt deutlich unter der der Mehrheitsbevölkerung (Friedrich 2008: 5f). Die ethnische Segregation ist zwar in Deutschland gering ausgeprägt (Friedrich 2008: 7), je größer die Migrant_innengruppe, umso größer ist allerdings auch die Wahrscheinlichkeit einer ethnischen Konzentration (insbesondere die der türkischstämmigen Bevölkerung). Vergleiche ergänzend hierzu Kunz 2016: 254. Einkommen und Armutsrisiko Familien mit Migrationshintergrund haben ein unterdurchschnittliches (Familien-)Einkommen. Gründe hierfür sind ihre schlechtere Berufsposition, Zeiten der Arbeitslosigkeit sowie überdurchschnittlich häufig Hausfrauenehen, in denen die Frau kein Einkommen erzielt. Besonders schlechte Ergebnisse erzielen Drittstaatsangehörige, insbesondere Türkeistämmige. Dementsprechend beträgt das Armutsrisiko bei Familien ohne Migrationshintergrund 12 %, bei Familien mit Migrationshintergrund 24 % und bei den Türkeistämmigen 36 % (Brinkmann 2016: 156; Statistisches Bundesamt und Wissenschaftszentrum 2016: 237).
6.1 Engagementmotive    219 Bildungsaspiration 2012 lebten 11,5 % aller Kinder in bildungsfernen Elternhäusern, unter Migrant_innen waren es 24,5 %, bei den Türkeistämmigen 50,1 %. Damit ist die heutige Sozialstruktur immer noch von der Qualifikationsstruktur der Gastarbeiter_innenanwerbeabkommen geprägt, in denen explizit wenig qualifizierte Migrant_innen angeworben wurden (Brinkmann 2016: 155f; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016). Schulbildung Die Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund unterscheidet sich bezüglich der Bildungsbeteiligung (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014: Tabelle B4-8web) und der Schulabschlüsse (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014: Tabelle D7-8web). Schüler_innen aus EUStaaten, Asien und der zweiten Generation der (Spät-)Aussiedler_innen besuchen deutlich häufiger das Gymnasium als Schüler_innen aus Drittländern (darunter die Türkei, aber auch Italien). Überrepräsentiert sind Migrant_innen auf Schulen mit sonderpädagogischem Förderbedarf (Siegert 2008: 29). Der Anteil der ohne Schulabschluss Bleibenden beträgt bei den 20- bis unter 25-Jährigen mit Migrationshintergrund 5,8 %, bei denjenigen ohne Migrationshintergrund 2,5 % (ebd.). Berufsbildung Die Ausbildungsbeteiligung von Migrant_innen liegt unter derjenigen der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Dies liegt zum Teil an den tendenziell niedrigeren Schulabschlüssen, an fehlenden sozialen Netzwerken, an ungünstigen Wohnorten (beispielsweise in ehemaligen Industriestädten des Ruhrgebietes), aber auch an einer Konzentration auf nur wenige Ausbildungsberufe vonseiten der Migrant_innen einerseits sowie Vorbehalten und Diskriminierung vonseiten der Arbeitgeber_innen ohne Migrationshintergrund andererseits (Brinkmann 2016: 161; Siegert 2009: 5; Granato 2012: 85ff). In der Gruppe der 30- bis unter 35-Jährigen hatten 2012 38,6 % einen Berufsabschluss, während dies bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund 54,8 % waren (ebd.; Statistisches Bundesamt und Wissenschaftszentrum 2013: 200). Werden Hochschulabschlüsse eingerechnet, bleiben rund 10,8 % der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund ohne einen beruflichen oder akademischen Abschluss. Bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund sind es 35,4 %. Unter den Türkeistämmigen hat über die Hälfte, nämlich 53,4 % keinen Berufsabschluss. Vergleiche auch ergänzend Boos-Nünning 2009 zur Chancen(un)gleichheit in der Migrationsgesellschaft sowie Ulrich 2012 zu den institutionellen Mechanismen bei Bildungsungleichheit sowie Kunz 2016: 251f.
220    6 Ergebnisse Hochschulbesuch Personen mit Migrationshintergrund sind an Hochschulen unterrepräsentiert (Siegert 2009: 7), wenngleich eine langsame Zunahme zu verzeichnen ist (Brinkmann 2016: 163). 2012 besuchten 13,7 % der Bevölkerung mit Migrationshintergrund eine Hochschule und 15,8 % der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Dabei gibt es auch hier große Unterschiede bezüglich unterschiedlicher Herkunftsgruppen, so besuchen lediglich 8,4 % der Türkeistämmigen eine Hochschule. Der Selektionsprozess der vorangegangenen Bildungsstufen setzt sich damit fort. Migrant_innen haben auch eine höhere Abbrecher- und Unterbrecherquote (Brinkmann 2016: 163; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014: 38ff). Erwerbsbeteiligung und Erwerbslosigkeit Zwischen Personen ohne Migrationshintergrund sowie Personen mit Migrationshintergrund aus EU-Ländern einerseits sowie von außerhalb der EU andererseits zeigen sich Unterschiede bezüglich der Beteiligung am Erwerbsleben. Entscheidend ist dabei die Berufsqualifikation, die bei Nicht-EUAngehörigen deutlich geringer ausfällt (s.o.). Ist der Berufseinstieg geschafft, zeigen sich zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund kaum Unterschiede (Brinkmann 2016: 165). Allerdings sind Migrant_innen (vor allem Drittstaatangehörige) überdurchschnittlich häufig in prekären Arbeitsverhältnissen, insbesondere in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen tätig, während ihr Anteil an sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten unterdurchschnittlich ist (ebd.; Siebenhüter 2012: 127ff). Migrant_innen weisen eine höhere Arbeitslosenquote auf (ebd.). So beträgt die Arbeitslosenquote der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund 9 %, die der Bevölkerung mit Migrationshintergrund 12 %, auch hier schneiden die Türkeistämmigen mit 15 % besonders schlecht ab (Statistisches Bundesamt und Wissenschaftszentrum 2016: 240). In einer Untersuchung zur Arbeitsmarktsituation von türkischen, italienischen, griechischen und polnischen Frauen sowie von Frauen aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens fällt auf, dass insbesondere die Polinnen deutlich stärker im Arbeitsmarkt eingebunden und die Türkinnen deutlich unterrepräsentiert sind (Stichs 2008: 51). Berufsposition Migrant_innen sind überwiegend in unteren Berufspositionen tätig. Sie sind überdurchschnittlich in Tätigkeiten als Ungelernte oder als einfache Angestellte beschäftigt. Bis auf (Spät-)Aussiedler_innen haben sie sehr selten einen Beamtenstatus (Treichler 2009: 70f). Migrant_innen sind nach wie vor nicht bildungsadäquat beschäftigt, mit steigender Qualifikation werden die Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sogar
6.1 Engagementmotive  221 größer (Brinkmann 2016: 167). Vor allem Personen mit im EU-Ausland erworbenen Hochschulabschlüssen haben das größte Risiko einer nichtadäquaten Beschäftigung (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014: 41). Soziale und politische Partizipation Neben der unterdurchschnittlichen sozialen Partizipation in zivilgesellschaftlichen Organisationen und Vereinen (siehe Kapitel 3 „Stand der Forschung“), partizipieren Menschen mit Migrationshintergrund auch politisch weniger. Die Zahl der Parlamentarier_innen mit Migrationshintergrund nimmt zwar zu, diese sind aber tendenziell eher in linksliberalen Parteien vertreten und vertreten die migrationsnahen Themen ihrer Fraktion (Wüst und Heinz 2009: 2001). Das Wahlverhalten ist (wie in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund auch) von der sozialen Lage beeinflusst, die in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund schlechter als in der Mehrheitsgesellschaft ist und sowohl in den Bevölkerungsgruppen mit als auch ohne Migrationshintergrund und niedriger sozioökonomischer Ausstattung zu einer Schieflage politischer Repräsentation führt (Vester 2009: 21; Roth 2017: 61f; Pokorny 2016: 31ff; BMFSFJ 2017: 246ff). Hinzu kommen teilweise fehlende politische Teilhabemöglichkeiten aufgrund der nichtdeutschen Staatsangehörigkeit und des damit fehlenden Wahlrechts. Drittstaatsangehörige sind von der elektoralen Partizipation ausgeschlossen, EU-Bürger_innen können an kommunalen Wahlen partizipieren, während Deutsche mit Migrationshintergrund das uneingeschränkte Wahlrecht haben. Dennoch sind Unterschiede im Wahlverhalten zwischen Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund zu beobachten: Deutsche mit Migrationshintergrund nehmen seltener ihr Wahlrecht in Anspruch, wobei eine Annäherung in den folgenden Generationen zu verzeichnen ist. So werten beispielsweise Müssig und Worbs (2012) die Beteiligung an den Bundestagswahlen 2002–2009 aus. In sogenannten Rückerinnerungsfragen gaben 86,2 % der Befragten ohne Migrationshintergrund an, bei der Bundestagswahl 2002 gewählt zu haben, von den Befragten mit Migrationshintergrund waren es nur 73,8 %. 2005 fiel der Unterschied etwas geringer aus zwischen 83 % ohne Migrationshintergrund und 80,8 % mit Migrationshintergrund. Zur Bundestagswahl 2009 gaben dagegen 81,5 % der Befragten ohne Migrationshintergrund an, gewählt zu haben, bei den Befragten mit Migrationshintergrund waren es 72,3 % (vgl. Müssig und Worbs 2012: 31). Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Menschen mit Migrationshintergrund „in der sozialen Ungleichheitsstruktur Deutschlands insgesamt deutlich schlechter positioniert [sind] als Menschen ohne Migrationshintergrund“ (Pielage,
222 6 Ergebnisse Pries und Schultze 2012: 7). Die soziale Ungleichheit (verstanden als Chancen(un)gleichheit und Verteilungs(un)gleichheit) hat ihren Ursprung weniger in der individuellen Leistungsfähigkeit als vielmehr in Ausgangsbedingungen wie der Bildungsnähe oder der sozialen Lage der Elterngeneration sowie institutionellen Einflüssen (vgl. Söhn 2012: 43; Geißler 2012: 12) und integrationspolitischen Maßnahmen. Kunz stellt außerdem den Aspekt des „Doing of“ (2016: 255 ff) in den Mittelpunkt seiner Abhandlung zu Ungleichheit im Kontext von Migration: Durch die Konstruktion des „Ungleichsein[s]“ (ebd.: 256, Hervorhebungen durch den Autor) könne „die Materialität sozialer Ungleichheit ‚aufruhen’“ (ebd.). Insofern, so der Vorschlag von Kunz, müsse sich dem Thema Ungleichheit sowohl in bewährter Manier „sozio-strukturell“ als auch „symbolisch-diskursiv“ genähert werden, also im Sinne der Betrachtung von Zuschreibungspraxen durch das Othering. (2) Migration Migrant_innen sind, wie bereits oben beschrieben, deutlich häufiger von sozialer Ungleichheit betroffen. Zusätzlich zur sozialen Ungleichheit, von der auch Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status ohne Migrationshintergrund betroffen sind, beeinflussen weitere aus der Migration resultierende Faktoren die soziale Lage von Menschen mit Migrationshintergrund:  Sprache Sprachkompetenzen entscheiden maßgeblich über Teilhabemöglichkeiten in der Aufnahmegesellschaft, vergleiche auch Esser (2001a) zur kulturellen Integration als Voraussetzung für weitere Integrationsdimensionen. Gleichzeitig ist auch das migrationsbedingte Fehlen von sprachlichen Kompetenzen nicht von der sozialen Ungleichheit zu trennen. So sind die Sprachkompetenzen, insbesondere der Schriftspracherwerb, vom Bildungsstand der Eltern abhängig, von interethnischen Kontakten in Kindergarten, Schule, Arbeitsplatz oder Vereinen, vom Eingebundensein in die Aufnahmegesellschaft oder von wohnräumlicher Segregation bzw. Integration. Dementsprechend sind die Deutschkompetenzen je nach Milieu oder auch ethnischen Gruppen unterschiedlich stark vorhanden (Brinkmann 2016: 157).  Vorurteile, Diskriminierung und Konfrontation mit rechtsextremen Einstellungen Laut Mitte-Studie 2016 der Universität Leipzig (Decker, Kiess und Brähler 2016) äußern rund 30 % der Befragten ausländerfeindliche Einstellungen126. 126 Der Aussage „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“ stimmten 32,1 % aller Befragten zu. Der Aussage „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken“ stimmten 26,1 % zu und der Aussage „Die
6.1 Engagementmotive  223 Zwar ist im Zeitverlauf keine Zunahme rechtsextremer Einstellungen insgesamt zu verzeichnen, aber Aggressionen gegenüber Muslimen, Sinti und Roma und Menschen mit Fluchterfahrung nehmen zu. So stimmten im Jahr 2014 36,6 % der Aussage „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“ zu, 2016 waren es 41,4 %. Die Aussage „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“ bestätigten 2014 43 % und 2016 50 %. Ähnlich sind die Zuwächse bezüglich der Abwertung von Asylsuchenden (ebd.). Vergleiche auch Heitmeyer 2012 zum Projekt „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Diese Überzeugungen zeigen sich in Einstellungen und in Haltungen und äußern sich individuell, institutionell und strukturell (Rommelspacher 2011: 25) und zeigen sich konkret in Diskriminierungen bei der Wohnungs-, Ausbildungsoder Arbeitsplatzsuche, in strukturellen rechtlichen Ungleichbehandlungen oder beispielsweise durch institutionelle Diskriminierungen im Bildungssystem (Gomolla und Radtke 2009). Rechtlicher Aufenthaltsstatus Prägend für die soziale Lage ist insbesondere auch der aufenthaltsrechtliche Status. Während Menschen mit Migrationshintergrund und deutscher Staatsangehörigkeit sämtliche Rechte und Pflichten einer Bürgerin bzw. eines Bürgers der Bundesrepublik genießen, sind EU-Bürger_innen diesen Rechten weitgehend gleichgestellt. Für Nicht-EU-Bürger_innen ist die Aufenthaltserlaubnis als befristeter Aufenthaltstitel an verschiedene Aufenthaltszwecke gebunden. Erst nach Vorliegen der Voraussetzungen nach §9(2) des Aufenthaltsgesetzes ist das Beantragen der unbefristeten Niederlassungserlaubnis möglich. Die wichtigsten Aufenthaltszwecke sind aufgrund einer Ausbildung, zur Erwerbstätigkeit, zum Zwecke des Familiennachzugs und aus humanitären Gründen (vgl. §§ 16 ff Aufenthaltsgesetz). Besonders prekär ist die Situation der Menschen mit Fluchterfahrung, denen weder Asyl noch die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen wird und die entweder subsidiär geschützt sind oder geduldet werden und dementsprechend eingeschränkt Zugang zu Sozialleistungen und zum Wohn- und Arbeitsmarkt haben und die von der ständigen Angst vor Rückführungen bedroht sind. Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ stimmten 33,8 % zu.
224  6 Ergebnisse Kulturelle Identität In der Sinus-Milieu-Studie 2016-2018127 ist ein Kernthema der Untersuchung die kulturelle Identität bzw. die Wertvorstellungen der befragten Migrant_innen. Die narrative Teilstudie lässt viel Raum zur Selbstdarstellung und fragt nach den Werten der Migrant_innen. Das heißt, die kulturellen Verortungen werden von den Befragten selbst vorgenommen und sind nicht Teil eines vorgegebenen und einschränkenden Musters in deutsche vs. fremde Kultur128. Die ersten Ergebnisse der Teilstudie bestätigen grundsätzlich die große Heterogenität von Lebenslagen und Wertvorstellungen analog der ersten SinusMilieu-Studie von 2008. Allerdings haben zwischen den Erhebungen von 2008 und 2016 Ausdifferenzierungen im bürgerlichen und im hedonistischen Milieu stattgefunden: Während es in der Mitte und in den modernen Milieus keine Unterschiede in Lebenslagen und Wertevorstellungen zwischen migrantischer und nicht-migrantischer Bevölkerung gibt, verstärkten sich die Segregationstendenzen in den traditionell geprägten Milieus und einfachen sozialen Lage. Auch in den traditionellen Milieus mit gehobener sozialen Lage entwickelte sich eine „kulturelle Distinktion […]: Man erfüllt alle ,rationalen´ Integrationsaspekte wie Sprache, Beruf, Regeln & [sic] Gesetze, entwickelt aber kein ,Heimatgefühl´, sondern distanziert sich eher von der ,deutschen Kultur´“ (vhw 2016: 5). Während die modernen Milieus ein „bi-kulturelles Selbstverständnis“ leben, neigt die bürgerliche Mitte zu einer „post-integrativen Perspektive“, die sich als Teil der Mitte der Gesellschaft und nicht als Migrant_in sieht. Deutliche Segregationstendenzen sind in den traditionellen Milieus und am unteren sozialen Rand zu beobachten. Die befragten Migrant_innen fühlen sich stärker in der Herkunftskultur verhaftet und halten an mitgebrachten Traditionen fest, während gleichzeitig die „deutsche Kultur“ fremd ist. Teilweise werden „Ressentiments gegenüber dem ‚westlichen‘ Lebensstil“ (vhw 2016: 8) entwickelt. Im Vergleich zur ersten Milieustudie von 2008 ist ein verstärkter Rückzug in ethnische Enklaven zu beobachten (ebd.). 127 Zur ersten qualitativen Teilstudie wurden 160 Personen in verschiedenen Sprachen befragt. Die Grundgesamtheit setzt sich zusammen aus 80 Menschen mit Migrationshintergrund, 40 Migrant_innen, die zwischen 2008 und 2014 neu eingewandert sind und 40 Menschen mit Fluchterfahrung, die nach 2015 eingewandert sind. 128 Das heißt, wenn sich ein_e Interviewteilnehmer_in von der „deutschen Kultur“ distanziert, ist das eine subjektive Sichtweise, die von der Existenz einer homogenen Kultur ausgeht.
6.1 Engagementmotive Abbildung 28: 225 Kulturelle Identitäten in der Milieulandschaft Quelle: vhw 2016: 7  Traumata und psychische Beeinträchtigungen Migrant_innen sind im Vergleich zur Mehrheitsgesellschaft häufiger psychisch krank. „Das Erkrankungsrisiko steigt bei bestimmten Risikofaktoren wie zum Beispiel Vertreibung, Isolation, Asylverfahren, Armut, Heimweh, Sprachproblemen, Arbeitslosigkeit, schlechter Bildung und Wohnverhältnissen in sozialen Brennpunkten“, so Ulrike Pape (2012: 1). Auch das Erkrankungsrisiko für akute oder posttraumatische Belastungsstörungen ist höher. Insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund sind überdurchschnittlich von psychischen Krankheiten betroffen (ebd.) sowie begleitete und unbegleitete Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung, die überdurchschnittlich oft unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden (Metzner und Pawils 2017: 66). Neben traumatisierenden Erlebnissen im Herkunftsland und auf der Flucht wird die ungewisse und fremde Situation als „Postmigrationsstressor“ (Metzner und Pawils 2017: 69) erlebt. Stressoren wie die fehlende soziale Unterstützung, die ungeklärte aufenthaltsrechtliche Situation, die soziale Isolation, Akkulturationsprozesse oder schwierige Wohnsituationen können die Auswirkungen von Traumata verstärken (ebd.).
226 6 Ergebnisse In dieser Studie wurden ergänzend zu Susanne Huths (2013a und 2013b) „bewahrenden“ und „integrativen“ Motive folgende migrationsspezifische Engagementgründe generiert: Abbildung 29: Migrationsspezifische Motive bürgerschaftlichen Engagements Quelle: Eigene Darstellung 6.1.5.1 Bewahrende Motive – die eigene Kultur weitergeben Die eigene Kultur weitergeben ist ein Engagementmotiv nicht nur in herkunftslandbezogenen Vereinen, sondern auch im aufnahmelandbezogenen Engagement, wenngleich es in dieser Studie quantitativ schwach vertreten ist. Interviewpartnerin 6 möchte ihrem Sohn die Möglichkeit eines rumänischsprachigen Kindertreffs bieten und gründet, aus Mangel an Angeboten, diesen Treff selbst: Aber ich wollte was für rumänische Kinder, damit er zweisprachig aufwächst, und die Lieder und die Gedichte und was andere, die rumänische Tradition kennenlernt und das gab´s bei uns in WO (Name des Wohnorts, Anmerkung) nicht und auch nicht in der Umgebung und dann bin ich mit diese verrückte Idee (lacht) zu FZL (Leiterin des Familienzentrums, Anmerkung) hingegangen und sie war sofort begeistert und hat gesagt: „Natürlich können wir das bei uns anbieten". # Interview 6: 00:03:10-8#
6.1 Engagementmotive 227 Erwartungsgemäß ist dieses Motiv schwach vertreten. Bewahrende Motive sind stärker in herkunftslandbezogenen Vereinen (wie beispielsweise in Kulturvereinen oder Moscheevereinen) umzusetzen und erfordern in aufnahmelandbezogenen Vereinen Eigeninitiative und Durchhaltevermögen, um ein neues Angebot zu etablieren, sowie eine interkulturell geöffnete Grundhaltung vonseiten des Vereins. 6.1.5.2 Eigenintegrative Motive 6.1.5.2.1 Sprache Sieben Interviewpartnerinnen (und damit 25 % aller Interviewpartnerinnen) nutzen ihr Engagement gezielt zum Spracherwerb. Für Interviewpartnerin 2 war dies sogar das Hauptmotiv für den Einstieg ins Ehrenamt, für Interviewpartnerin 5 ist dies das aktuell wichtigste Motiv. Also damals hab ich keine so gute Sprache gehabt. Ich hab schon Schule besucht, Volkshochschulekurs hab ich schon besucht, aber so ausüben konnte ich nicht. # Interview 2: 00:10:25-2# Interviewpartnerin 2 hat sich bewusst einen Lernort gesucht, an dem sie die deutsche Sprache anwenden kann. Die Diskrepanz zwischen formellem Lernen und tatsächlicher Anwendung wird auch von Interviewpartnerin 8 thematisiert. :Bin ich hier gekommen, ich war in Sprach-Volkshochschule fertig gemacht, da hatte ich keinen Kontakt mit den Leuten und auch nicht Sprache konnt´ nicht. Und wenn ich hier kommen, ganz anders, Gefühle mit meine Kinder und für mich. Die Leuten Kontakt haben, das ist sehr wichtig. Dann kommt die Sprache. Viele Papier zuhause, das geht nicht. Sprechen üben. Lernen. # Interview 8: 00:24:23-4# Sie habe zwar „viele Papier“ in Form von Unterlagen und Lernmaterialien zuhause, nur durch tatsächliche Kontakte sei aber eine Verbesserung der Sprachkompetenzen möglich. Dies wird von Interviewpartnerin 11 ähnlich gesehen: Ich treffe immer neue Leute. Das hilft mit bei die Sprache, dass es immer sehr besser, meine Sprache, wenn ich mit die Leute mehr Deutsch spreche oder mehr Deutsch höre. # Interview 11: 00:05:18-9# Für Interviewpartnerin 5 ist das Erlernen der deutschen Sprache ein existenziell wichtiges Thema. Nur mit Deutschkenntnissen auf C2-Niveau des Gemeinsamen
228 6 Ergebnisse Europäischen Reverenzrahmens für Sprachen ist eine Anerkennung ihres ausländischen Studienabschlusses möglich. Das Erlernen der deutschen Sprache wird deshalb neben der Erweiterung von Kompetenzen im pädagogischen Bereich als Hauptmotiv für das ehrenamtliche Engagement genannt. Zuerst meine Deutschsprache ich spreche zu besser und dann meine Kenntnisse auch mit kleine Kinder, früher ich arbeite nicht mit kleine Kinder, mit große. Und dann ich habe in meinem Land in Archiv gearbeitet, ja, viele, viele Erfahrungen. Dass meine deutsche Sprache zu verbessern. # Interview 5: 00:02:01-9# Ich muss weiter. Ich habe meine Unterlagen in Tübingen Präsidium, in Regierungspräsidium in Tübingen geschickt, aber sie antworten, dass ich C2 oder Germanistikstudium habe. Ich bin Geschichtslehrerin, aber ich bin studieren in Pristina in Kosovo und dass ich meine Unterlagen anerkennen, aber ich muss weiter Deutschkenntnisse C2 bestanden, dass meine Unterlagen anerkennen. # Interview 5: 00:04:06-8# Während die Interviewpartnerinnen 2, 5, 8, 11, 27 und 28 das ehrenamtliche Engagement dazu nutzen, ihre Deutschkenntnisse im Alltag anzuwenden, ist Interviewpartnerin 9 einen anderen Weg gegangen. Sie hat im Ehrenamt die Erfahrung gemacht, dass ihre Deutschkenntnisse noch nicht ausreichen, und hat sich dann dazu entschlossen, einen Sprachkurs zu belegen. Nur mit ausreichenden Sprachkenntnissen, so ihre Meinung, ist es möglich, andere Menschen kennenzulernen und ihnen auch die Möglichkeit zu geben, einen selbst kennenzulernen: Ich hab Deutsch gesprochen aber ich hab dann so gelernt gehabt, ich war nicht in der Schule, dann hab ich dann hier, wie ich hier angefangen hab, habe ich dann Volkshochschule besucht. 5 Monate, hab ich dann, dass ich B2 (Sprachniveau des Europäischen Reverenzrahmens, Anmerkung) geschafft habe und das ist dann hier, dass die Sprache ist der Schlüssel, das ist für das Land zum Kennenlernen. Ohne Sprache kannst du nichts machen. Das habe ich hier gelernt. Und das, wie wichtig das ist, den anderen Leute Chance zu geben, zum dich kennenzulernen und die andere Person auch kennenzulernen # Interview 9: 00:18:54-8# Interviewpartnerin 2 sieht die Sprachkenntnisse nicht nur als Möglichkeit des Austausches und der Begegnung, sondern als wichtigen Schritt, sich in einem fremden Land äußern und teilhaben zu können. Weil das ist Ausländer bist und dann auch keine Sprache beherrscht, sagen wir perfekt. Da musst du dich mehr kämpfen oder, wie kann ich sagen, mehr kämpfen und auch gleichzeitig motivieren, ich muss mich selber motivieren. Das ist für mich wichtig gewesen. Deswegen die Sprache ist wichtig. A und O, hab ich gesagt. Ich sag jeder Frau: „Lern die Sprache. Ohne Sprache geht hier nicht. Du musst lernen. Es ist egal,
6.1 Engagementmotive 229 muss nicht perfekt sein. Wichtig ist, dass du dich äußern kannst, dass du verstehst. Das ist wichtig", hab ich gesagt. (…) Lernen, lernen, lernen. Und daher, hab ich gesagt, Sprache und mein Mann hat mich unterstützt, sofort Kurse besucht (...) Ich habe Sprache gelernt, aber ich brauche eine Ort, die Sprache auszuüben. # Interview 2: 00:48:24-6# Das Anwenden der Sprache im Kontakt mit Deutschen oder anderen nicht die Muttersprache sprechenden Migrant_innen stellt ein wichtiges Motiv bei der Aufnahme eines bürgerschaftlichen Engagements in einem aufnahmelandbezogenen Verein dar. Für zwei Interviewpartnerinnen (2 und 5) stellt dies sogar das Hauptmotiv dar. Eine Interviewpartnerin (9) wird im Engagement ermutigt, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und einen Sprachkurs zu besuchen, um tiefere Kontakte und besseres Kennenlernen zu ermöglichen. Das Erlernen der Sprache ist demnach ein wichtiges kompetenzerweiterndes und migrationsspezifisches Motiv im Ehrenamt, dem bislang in der Engagementforschung und -förderung keinen hohen Stellenwert eingeräumt wird. Auch in der Außenwerbung zur Rekrutierung von freiwillig Engagierten wird dieses Engagementmotiv bislang wenig eingesetzt. Dabei wird es von den Interviewpartnerinnen nicht als Konkurrenz zu bestehenden Sprachkursen gesehen, sondern als sinnvolle Ergänzung, um Vokabeln und Grammatik aus einem künstlichen Lernsetting in die Realität übertragen zu können. 6.1.5.2.2 Dazugehören zur Aufnahmegesellschaft Sieben Interviewpartnerinnen (1, 2, 4, 7, 10, 14, 15) wollen mithilfe des Engagements zur Aufnahmegesellschaft dazugehören129. Für Interviewpartnerin 14 heißt Dazugehören auch Einmischen, „sich die Hände schmutzig machen“, ein aktiver Teil der Gesellschaft zu sein: Ja und einfach auch bisschen ein Teil davon zu sein, wie gemeint. Ich bin so hier, hier insortiert worden, ich kann gut Deutsch und so was alles, aber so, so meine Freundeskreis und meine Familie sind DA geblieben. Und ich bin hier jetzt schon fünf Jahre so in etwa. (...) Und ja, ich will auch so, wie heißt das so, gehören. Und dieses Gehören heißt, sich in eine Gesellschaft einmischen, sich die Hände schmutzig machen und die Leute anquatschen und da kennenlernen (…). Das ist auch sehr wichtig, dieses Gehören. # Interview 14: 00:13:30-4# 129 Dieses Motiv lässt sich migrationsspezifisch eingrenzen, da es explizit um die Zugehörigkeit zur Aufnahmegesellschaft geht. Das Motiv des Dazugehörens in der Kategorie „Anerkennung“ umfasst die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe allgemein.
230 6 Ergebnisse Für Interviewpartnerin 7 war das bürgerschaftliche Engagement anfänglich ein wichtiger Ort des Dazugehörens. Als Spätaussiedlerin fühlte sie sich „zwischen allen Stühlen“ und hatte weder das Gefühl, weder in Rumänien dazuzugehören noch in Deutschland. Sie wählte den Weg der extremen und auch krank machenden Anpassung. Dieser starke Wunsch des Dazugehören-Wollens begleitete sie auch im Ehrenamt. Allerdings schaffte sie es dort, sich langsam von diesem Anpassungsdruck zu lösen und kann nun aus anderen Motiven ehrenamtlich tätig sein. Der Wunsch des Dazugehörens ist bei ihr zurückgegangen. Vom Gefühl Dazuzugehören, also wie gesagt, ich fühl mich jetzt das erste Mal wirklich, seit ich in Deutschland bin, wirklich zu Hause da. Und ich glaub schon, dass es viel mit dem Ehrenamt zu tun hat, einfach dieses Dazugehören. # Interview 7: 00:18:37-3# Und jetzt wenn ich ehrenamtlich tätig bin, dann mach ich´s, weil ich es gerne mach, weil es mir ein schönes Gefühl gibt, nicht mehr um –. Ja, aber der Anfang war schon, um dazuzugehören und um gemocht zu werden, um, ja, gelobt zu werden, um die Anerkennung zu kriegen. Das brauch ich jetzt nicht mehr. Also das reicht mir eigentlich schon, das Gefühl, das ich dabei habe, wenn ich etwas tue. # Interview 7: 00:29:47-8# Sie erinnert sich an die erste Zeit ihres freiwilligen Engagements: Und auch ein bisschen, wie soll man sagen, es war schon zu der Zeit damals, wo wir, wir sind 1984 nach Deutschland gekommen, es war schon so, ja, man hatte schon so ´nen Stempel. Und hier spürt man das auch schon sehr, finde ich hier. Wenn es eine größere Stadt gewesen wär oder so, wär es vielleicht auch anders gelaufen. Aber hier spürt man schon so, das beweisen muss, ich bin auch jemand und ich kann was leisten und ich kann mich einbringen und ich hab gute Ideen und das ist schon, ja, die Bestätigung. Ja, man kriegt von anderen, denke ich, ist schon ein Teil. Und einfach dieses Dazugehören und die Bestätigung kriegen und die Anerkennung bekommen, ja, akzeptiert zu werden, das hat schon, das sind schon starke Beweggründe. # Interview 7: 00:09:48-7# Der Wunsch des Dazugehören drückt sich sowohl bei Interviewpartnerin 4 und 7 im freiwilligen Engagement aus. Bei Interviewpartnerin 7 sogar bis zum krank machenden Zustand. Da hab ich dann alles getan, um jedem es Recht zu machen. Ja, um beliebt zu sein, hab ich auch geschafft, aber es war einfach ein hoher Preis. # Interview 7: 00:08:49-6#
6.1 Engagementmotive 231 Bei beiden (Spät-)Aussiedlerinnen ist der Wunsch des Dazugehörens mit der Verleugnung der Herkunft verknüpft: Und ich hab mich auch lange Zeit geschämt zu sagen, wo ich herkomme. Um dazuzugehören, um angepasst zu sein, und mein Helfersyndrom hatte ich dann wirklich deswegen, weil ich einfach dazugehören wollte und es mir peinlich war und ich wollte es allen mit dem allem am liebsten gar nichts mehr zu tun haben, wo ich herkam. # Interview 7: 00:26:50-0# Interviewpartnerin 4 vermeidet es Russisch zu sprechen, auch im Kontakt mit russischsprachigen Besucherinnen im Mütterzentrum: Wenn ich mit denen gesprochen hab, hab ich immer auf Deutsch geantwortet, die konnten mit mir Russisch sprechen, das versteh ich ja noch. # Interview 4: 00:26:09-6# Da haben sich manche daran gestört, was ich auch verstehen kann. Also ich persönlich würd das nicht machen, ja. Da ins MüZe-Café zu gehen und Russisch zu reden, auch wenn ich kann. Ich hab da immer so ein bisschen Hemmungen, das wollt ich nie, das ist wieder das Auffallen, was ich nie wollte. Die können super Deutsch und deswegen versteh ich halt nicht, warum die halt nicht Deutsch sprechen. Vielleicht haben sie dadurch irgendwie ein Stück Heimat oder so, was ich halt wiederum versteh, ja. Aber es kommt blöd, finde ich, wenn da ein so ein Grüppchen sich zusammenbildet, die untereinander, da kommst auch gar nicht rein. Die sind zwar freundlich, wenn da jemand noch mal irgendwie eine Frage stellt, aber so wirklich rein kommst du nicht in diese Gruppe, das finde ich ein bisschen schade. Und es stört sich halt einige daran. # Interview 4: 00:28:38-9# Interviewpartnerin 4 bemerkt in der Reaktion der Deutschen ohne Migrationshintergrund, dass sich diese an der russischsprachigen Gruppierung „stören“. Um nicht aufzufallen und dazuzugehören, spricht sie mit den russischsprachigen Besucherinnen Deutsch, obwohl sie von ihnen auf Russisch angesprochen wird. Der Wunsch des Dazugehörens wird von den beiden (Spät-)Aussiedlerinnen 4 und 6 am stärksten thematisiert. Hier ist das Dazugehören zur Aufnahmegesellschaft zentrales Thema. Beiden gemeinsam ist, dass sie kein bikulturelles Selbstverständnis leben, sondern sich klar zur Aufnahmegesellschaft bekennen und die Verbindung zur Herkunftskultur beispielsweise in Bezug auf die Sprache abbrechen (Assimilation). Vermutlich ist dieses starke Motiv des Dazugehörens auf ihre doppelte Diskriminierungserfahrung zurückzuführen. Beide haben bereits im Herkunftsland als Angehörige der deutschen Minderheit Ausgrenzung erlebt. Aber auch Interviewpartnerinnen mit einem anderen ethnischen Kontext erwähnen dieses Motiv, Interviewpartnerin 15 verdeutlicht: „Ich will hier ankommen“ und das „Hin-Zerrissene, das sollte aufhören“:
232 6 Ergebnisse Ich wollte damit eigentlich sagen, also ich möchte nicht nur jetzt immer wieder konfrontiert werden, die kommt aus der Türkei, die ist Türkin oder in den Nachrichten geht nur um Türken, da geht es nur um das, das mein ich, das finde ich eigentlich schade. Ich weiß, ich glaub, jetzt vor jetzt zwanziger Jahre oder so, sind ja auch viele Griechen oder viele Italiener nach Amerika gehen oder werden noch und die sind jetzt stolze Amerikaner, ja. Das mein ich, also wie lange soll das noch gehen? Ich will hier ankommen und sagen: Okay, ich hab zwar andere Herkunft, ich komm woanders, aber ich glaub, ich hab wirklich mir so viel Mühe gegeben hier, guter Mensch zu sein und das sollte man eigentlich akzeptieren. Also das, ich glaub, das ist so was mich, also Hin-Zerrissene, das sollte eigentlich aufhören. # Interview 15: 00:19:51-0# 6.1.5.2.3 Kontakte zu Deutschen Von vier Interviewpartnerinnen (2, 8, 9, 11) wird erwähnt, dass es ihnen wichtig ist, sich in einem aufnahmelandbezogenen Verein zu engagieren, um Kontakt zu Deutschen ohne Migrationshintergrund zu haben. Alle vier sind nicht in einem herkunftslandbezogenen Verein engagiert, zwei von ihnen engagieren sich noch in weiteren aufnahmelandbezogenen Vereinen oder Institutionen. Und Freunde finden, das auch sehr wichtig. Weil nur türkische Frauen, verwandt, bekannt, ist, das ist nicht schön. Aber wenn hier international, es ist alle Menschen kommt, die eine Bildung. Das ist so schön. # Interview 8: 00:26:12-3# Interviewpartnerin 2 findet diese Kontakte für sich wichtig, rät aber auch anderen türkischen Migrantinnen dazu, Kontakte zu Deutschen aufzubauen, beispielweise auch, indem sie für den Posten der Elternvertretung kandidieren: Ich hab gesagt immer: Baut schöne Bezüge in der Klasse, eine deutsche Eltern oder Elternvertreter. Bitte nicht untereinander bleiben. Austauschen, Kinder übernachten lassen. # Interview 2: 00:27:44-5# Meine Motive ist das einfach für die Menschen, wie kann ich erklären, damals für mich war ja toller Ort FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) einfach, mich selber äußern und Sicherheit mir geben und gleichzeitig selbstbewusster werden und mehr Sprache ausüben und noch besser werden, diese Umgang mit Menschen, mit den Deutschen zusammen sein, nicht untereinander mit den Türkinnen, sondern mit den Deutschen zusammen sein, diese Mentalität von Deutschen und auch das viel aufnehmen auch gleichzeitig von meine Mentalität wieder weitergeben. Weißt, das ist das die Motivation einfach die Austausch für mich so wichtig gewesen. # Interview 2: 00:36:06-9#
6.1 Engagementmotive 233 6.1.5.3 Fremdintegrative Motive 6.1.5.3.1 Eigene Erfahrungen weitergeben Die eigenen Erfahrungen weitergeben wollen ist ein Engagementmotiv, das von mehreren Interviewpartnerinnen genannt wurde. Die Erfahrungen beziehen sich alle auf die eigene Migration. Interviewpartnerin 12 will ihre Erfahrungen als junge Mutter ohne Sprachkenntnisse weitergeben. Die Bedeutung der Sprache als Schlüssel zur Aufnahmegesellschaft sowie eine Ausbildung für junge Mütter sind Themen, die ihr aus eigener Erfahrung am Herzen liegen und worin sie Frauen im Mütter- und Familienzentrum unterstützt: Ich habe meine Abitur und alles in Spanien gemacht. Dann bin ich hier gekommen, gleich geheiratet. Weil so jung ist, dann kriegt man ein Kind, Sprache nichts gewusst. Und trotzdem muss man halt kämpfen und das Kind großzuziehen. Also kämpferisch war ich immer. Und deswegen kann ich nicht sagen, dass ich hier mehr gekämpft habe oder so. Sondern das hat mir gezeigt, man muss Konstanz und man sollte halt auch nicht immer gleich den Tuch wegwerfen. Also kämpfen lohnt sich. Genau. Es gibt viele Frauen, die hier schon seit lange Zeit in Deutschland sind, und die können ja kein Deutsch. Und das kann ich nicht verstehen. Ich sage immer, diese Frauen können nur die Kinder helfen, wenn diese sich auch selbst helfen. Und deswegen, wenn jemand zu mir kommt, das Erste, was ich sage ich: „Sind Sie zufrieden mit was sie haben? Oder was brauchen Sie?" Vielleicht braucht man eine Sprache, um weiterzukommen. Und das ist das für mich das Wichtigste und das sag ich auch. Jede, die zu mir reinkommt, sage ich: „Man kann sich nicht isolieren, weil man die Sprache nicht beherrscht." Man muss dieses Integration halt eine Chance zu geben. Weil das Problem ist, viele Frauen denken: „Warum soll ich ja?" Also wir haben hier viele türkische Frauen, die sagen: „Warum sollen wir denn Sprache, wenn wir nur in dieses Gremium sind?" Und ich, wir machen sehr viele Diskussionen oder sind ein paar Frauen, wo wir immer in konfrontieren sind wegen das. Weil die möchten die Sprache nicht lernen. Und ich sage immer: „Die Sprache ist das Wichtigste halt." Wenn ich die Sprache nicht gelernt hätte damals, dann hätte ich wahrscheinlich zu Hause nur sitzen, putzen und mein Mann halt machen, was er will. Also ich möchte auch, dass die auch merken, dass es andere Sachen gibt, dass es andere Möglichkeit gibt. Also das geb´ ich auc h –. Viele junge Mütter, die keine Ausbildung haben oder so, da kämpfe ich, dass die Ausbildung machen. Oder wenn die keine Ausbildung machen möchten, dass die dann, man sollte vielleicht zum Beispiel einen Nähkurs anbieten oder was, dass die mit Mütter denken, es gibt was anderes. Nicht nur diese Haushalt und Kinder. Man kann ja auch beides. Und das ist halt in den Stadtteil leider Gottes viele, wo keine Ausbildung haben, alleinerziehende Mütter. Und ja. Und da kämpfe ich. Also da gucke ich und ich möchte auch die, die jüngere Frauen eine Chance geben halt hier. Das kämpfe ich und das machen wir auch. # Interview 12: 00:19:42-2#
234 6 Ergebnisse Interviewpartnerin 2 hat in Deutschland mehrfach Diskriminierungen aufgrund ihrer Herkunft erfahren. Und das ist mein Ziel. Was meine Erfahrung, meine Wissen möchte ich immer weitergeben. Also besonders Migrationshintergrund. Weil die Deutsche kennen ihre Rechte besser als wir. Und wenn ich das meine Erfahrung, meine Wissen weitergebe ich dann, dann kann sie auch Nächste weitergeben. Also dann wird dann weiter, weiter, weiter. # Interview 2: 00:37:36-0# Ein wichtiges Motiv für ihr Engagement ist es, ihre Erfahrungen, insbesondere auch in Bezug auf institutionelle Diskriminierung130, an andere Migrant_innen weiterzugeben und sie zu ermutigen, sich über ihre Rechte zu informieren und für diese zu kämpfen. Genau, das ist mein Ziel. Ich sag immer alle türkische Frauen, manchmal kommen arabische oder, was weiß ich jugoslawische, die wissen auch nicht, dass sie das die Rechte haben. Ich hab viel erfahren, nach mir hat viele türkische Frauen die Entscheidung von der Lehrerin einfach akzeptiert zu haben, weißt du, obwohl das auch Durchschnitt Gymnasium ist gewesen das Kind. Deswegen ich kann mir nicht erklären, warum macht man so was. Was ist der Hintergrund, wieso? Weißt du was noch passiert? Du kannst nicht glauben. (...) Hat die Lehrerin gesagt: „Machen Sie sich keine Gedanken. Er muss nicht Gymnasium gehen. Viele deutsche Kinder schaffen nicht. Warum mach ich mir so viel Gedanke?" „Wie bitte?", hab ich gesagt, „was sagen Sie da?" „Doch, ich mach mir Gedanken, es geht um Zukunft", habe ich gesagt. (...) Die treffen unsere Entscheidungen. # Interview 2: 00:41:54-6# Interviewpartnerin 9 hatte selbst „viele Schwierigkeiten“ und „niemand“, der sie unterstützen konnte. Sie kennt aus eigenem Erleben das Ankommen in einem fremden Land und möchte eigene Erfahrungen weitergeben und in ihrem türkischen Babycafé Frauen in einer ähnlichen Situation unterstützen. Unser Ziel war, dass sie in eine Gemeinschaft zu holen, dass sie mal reingehen, weil das ist ja so, ich hab von meine eigenen Leben hab ich so gedacht. Ich hab so viele Schwierigkeiten gehabt, weil ich niemand hatte hier. Und dann hab ich dann gesagt, wenn ich dann später was mache mal, ist das erste Ziel, ist es, dass die Leute, die hierher neu sind und die keine ihre Rechte wissen und die Wege wissen. (…) Und Mama steht mit dem Baby da. Wo, was machen mit den Kind? So war´s auch bei mir. Das Ziel war so, dass sie mal kommen und mit den anderen Mamas, die hier besser kennen, den Kontakt zu bilden. Unser Ziel war so, dass sie reinkommen in eine soziale Einrichtung, dann sich selber dann nachher mit Kontakte einbinden und so sich dann, 130 Ausführlich zum Thema „Institutionelle Diskriminierung“ siehe Gomolla und Radtke (2009).
6.1 Engagementmotive 235 wie heißt das, einlernen und aufbauen und dann sie, wenn sie FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) kennenlernen und auch weitererzählen, dass sie Leute und für sich selber zum Selbsthilfe, sag ich mal. Weil hier im FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) ist es so, wenn du eine Frage hast, es gibt immer jemand da, eine Ahnung hat. # Interview 9: 00:07:52-7# 6.1.5.3.2 Unterstützung von Landsleuten Fünf Interviewpartnerinnen wollen mit ihrem Engagement in einem aufnahmelandbezogenen Verein dazu beitragen, Migrant_innen aus dem eigenen Herkunftsland zu unterstützen. Wie oben bereits erwähnt, wandelt Interviewpartnerin 9 selbst erlebte Erfahrungen um in die Unterstützung von Migrantinnen der eigenen Ethnie: Das war so, das Idee war, dass wir eine türkische Baby-Café machen, weil internationale, deutsche Baby-Café war gar keine türkische Mama dabei. Und wir haben gesagt: „Was, warum, kommen sie nicht? Was fehlt?" (…) Und von die Antworten haben wir festgestellt, dass wir einen geschützten Raum brauchen als Türkinnen und dass das auch mit der Sprache zu tun hat. Weil viele aus der Türkei kommen und die mit der Sprache Probleme haben und sich schämen, in eine deutsche Baby-CaféGruppe teilzunehmen. # Interview 8: 00:04:06-9# Interviewpartnerin 7 kann sich an die eigene Situation erinnern, in der sie sich auch aufgrund anderer Kleidung als Außenseiterin fühlte. Diese Erfahrung macht sie sensibel für ähnliche Situationen: Also ich war zehn Jahre alt, als wir nach Deutschland gekommen sind, also ich hab Deutsch gesprochen, wir hatten in der Schule haben wir Hochdeutsch gesprochen, zu Hause einen Dialekt. Meine Vorfahren kommen aus dem Schwarzwald, also ich hab perfekt Deutsch gesprochen, ich hatte keine sprachlichen Schwierigkeiten, aber ich war einfach Außenseiter. (..). Also ich war halt anders angezogen, ich hatte natürlich ein bisschen einen Akzent und ich war anders angezogen und ich hab gelitten dort. # Interview 7: 00:08:49-6# Wenn ein Kind da war, das frisch nach Deutschland gekommen ist, hab ich schon mehr Energie auch in meiner Freizeit in dieses Kind reingesteckt, also das schon, von Anfang an. Weil es mir einfach, weil ich noch weiß, wie es war. Ja so Kleinigkeiten. Ich hatte, ich weiß, (…) da kam ein Kind, vier Jahre alt, aus Rumänien und kam jeden Tag in Badesandalen, weißt, diese Plastikdinger, so durchsichtige, glitzerige. Ich konnt´s echt nicht und ich hab ja fast kein Geld verdient im Anerkennungsjahr und dann bin ich wirklich gegangen und hab dem Kind Sandalen gekauft und hab´ zu der
236 6 Ergebnisse Mutter dann gesagt: „Ich hab die geschenkt gekriegt von jemandem, ob sie sie haben möchte." # Interview 7: 00:27:56-3# Auch Interviewpartnerin 6 unterstützt Familien aus ihrem Herkunftsland Rumänien: Ich mach was, also ich unterstütze privat Familien mit Zuwanderungsgeschichte aus Rumänien und übersetze für sie und fülle Anträge aus oder irgendwelche Formulare (…) # Interview 6: 00:23:29-7# Interviewpartnerin 2 würde gerne eine Beratungsstelle für türkische Frauen aufbauen. Derzeit ist sie freiwillig im Secondhandladen des Familienzentrums engagiert. Dieser ist bereits nebenher eine informelle Beratungs- und Anlaufstelle: Mein Ziel ist eigentlich, weißt du, was ist das, eine Beratungsstelle für türkische Frauen mit Migrationsfrauen. Ich mach eigentlich nebenher so. Ich mach alles hier. # Interview 2: 00:38:09-0# Zusätzlich ist sie im Projekt „Familienkoordination“ engagiert und unterstützt hier ausschließlich türkische Familien: Weil wir begleiten die Familie. Das ist ganz tolle Projekt. Als ich das zum ersten Mal gelesen hab, mein Gott, das war für mich genau ideale. Ich koordinier nur die Familie. Ich helf nicht. Ich helfe nur bei Koordination. Aber damit sie auch klar machen, sie kann sich selber helfen mit ihre Verwandte, ihre Bekannte, ihr Umfeld. Sie kann viele Hilfe holen. Damit ich sie bewusst mache. Bewusst machen. (…) Ja, ich möchte die türkischen Familien. # Interview 2: 00:52:05-7# 6.1.5.3.3 Unterstützung von Migrant_innen Neben der Unterstützung von Migrant_innen aus dem eigenen Herkunftsland ist auch die Unterstützung von Migrant_innen unabhängig von der Herkunftsregion ein wichtiges Engagementmotiv. Dieses Motiv wurde von zehn Interviewpartnerinnen (2, 4, 7, 11, 12, 14, 16, 17, 19, 21) genannt. Die Interviewpartnerinnen betonen, dass sie die Situation des Ankommens kennen. In der ehrenamtlichen Arbeit mit anderen Migrant_innen, insbesondere mit Menschen mit Fluchterfahrung, wird dies als Vorteil empfunden. Also zum Beispiel Flüchtlinge, das hat man ja auf dem Balkankrieg hat man´s ja mitgekriegt. Jetzt bin ich selber Kroatin. Meine Freundin ist zum Beispiel Serbin-Kroatin.
6.1 Engagementmotive 237 Also man hat ja mitgekriegt, was für ein Leid oder wie schwierig es ist, seine Heimat zu verlassen und irgendwo neu anzufangen. # Interview 17: 00:17:56-7# Auch Interviewpartnerin 16, die nicht aufgrund von Flucht und Vertreibung nach Deutschland kam, sondern aufgrund eines Sporttransfers, kann die Situation anderer Migrant_innen nachvollziehen, da es etwas Verbindendes gibt: Und aber es gibt viele Parallelen und das würden alle Menschen mit Migrationshintergrund sagen, die sind gleich. Egal warum in das andere Land gekommen ist, ob Glück gehabt und auf gute Menschen zu treffen oder auf schlechte. Ich denke die Erfahrung, dass einem die Familie zum Beispiel fehlt, die hat jeder, diese Erfahrung hab ich auch, ja. Das ist auch etwas, was natürlich, ja, ein großer, ja, ich nenn das so Kummersack immer noch irgendwo an den Rücken gebunden hat. Dass man sagt: „Okay, ich hab meine Familie verlassen, ich kann jetzt nicht so geschwind nach Hause fahren und da vielleicht bei meine Mutter mich hinsetzen und weinen, wenn´s vielleicht irgendwas nicht richtig läuft." Also das haben wir, glaub ich, alle gleich. Ich mein, ich lebe jetzt schon länger in Deutschland als in meinem Land, ja, also ist natürlich, manche sind erst frisch da, da ist diese Kummer oder Sorge ist natürlich größer. Aber ich glaube, das sind so Dinge, die NIE aufhören, denk ich mir mal. So diese Bezug, ich kann auch nicht sagen, ich besitze seit 2009 hab ich ´ne doppelte Staatsbürgerschaft, aber ich kann jetzt nicht sagen, ich bin jetzt deutsch. Oder ich bin nur slowakisch oder ich, also, diese Zwiespalt, die bleibt, glaub ich. Ich glaub, die bleibt auch Leben lang, also kann ich mir vorstellen. Ich bin jetzt gut integriert, aber ich kann mir vorstellen, dass ich dieses Da-ist-noch-was ja, meine Familie und das ganze halbe Leben habe ich dort verbracht, das, ich glaube, das bleibt. Das ist so, da guckt man auch ein bisschen mit Wehmut auch zurück, ja klar, oder mit Traurigkeit oder so. Das kann man nicht jetzt wegdenken. # Interview 16: 00:13:02-4# Interviewpartnerin 16 unterstützt geflüchtete Frauen im Deutschspracherwerb: Und ich ihnen auch sagen: „Hey, ich kann das nachvollziehen, ich weiß, wie es ist." Und es ist sowohl im Unterricht kommt das immer wieder raus, wenn ich sage: „Oh, ich weiß, das ist jetzt für euch schwer zu verstehen, war für mich auch." Also jetzt rein nur der Unterricht, aber vor allem auch die Integration. Ich weiß, wie es ist und ich kann´s voll und ganz nachvollziehen. Und ich habe vielleicht die und die Erfahrung gemacht und versuche auch, meine Gefühle irgendwo denen zu zeigen und Tipps, es ist immer so schwierig, wenn ich sage „Versuch, so oder so zu machen." Aber es ist natürlich in so ´ne kleine Familie, die wir hier mittlerweile sind, ist es für mich natürlich einfacher, weil sie´s verstehen können. „Ah, sie hat genau das Gleiche durchgemacht irgendwo." Also da hab ich natürlich gegenüber einer deutschen Lehrerin schon kleines Plus, sag ich mal. # Interview 16: 00:14:46-3#
238 6 Ergebnisse Ihr Ziel ist es, Migrant_innen dabei zu unterstützen, ihren Weg in die Selbstständigkeit zu gehen: Ich freu mich, wenn ich, die Erfahrung hab ich mittlerweile auch, dass hier Frauen das Haus verlassen haben, die mittlerweile Jobs gefunden haben und voll und ganz integriert sind, die Kinder gut in der Schule sind. Also, das ist etwas, wo mich dann immer freut, ja, sie waren hier, also es ist etwas, wo ich dann hundertprozentig sagen kann: „Diese Arbeit, die wir hier tun, machen wir richtig gut". # Interview 16: 00:17:13-3# 6.1.5.4 Motive gegen Exklusion 6.1.5.4.1 Vorurteile widerlegen Ein Beweggrund, der nur von einer Interviewpartnerin genannt wurde, ist das Motiv, Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft zu beweisen, dass sich Migrantinnen auch für die Gesellschaft engagieren. Das hab ich bewusst gemacht, damit die Deutschen sehen, dass auch ausländische Mütter sich engagieren können und was machen. Weil das macht ja keine ausländische Mutter. # Interview 18: 00:03:46-7# Ich wollt halt, wo ich klein war, damals hat sich ja kein Elternteil um das Kind gekümmert oder zur Schule gegangen. Und ich wollte das halt mal so machen, dass ich für meine Kinder da bin, dass ich irgendwas Ehrenamtliches mache, ja. Eigentlich war das eher, dass ich tätig bin, dass die Leute auch sehen, dass die ausländischen Mütter auch sich interessieren, engagieren für die Schule, Kinder oder sonst was weiß ich. # Interview 18: 00:08:33-0# An zwei Stellen im Interview betont Gesprächspartnerin 18, dass es ihr wichtig ist, den „Leuten“ zu beweisen, dass sich auch Migrant_innen engagieren, dies stellt für sie ein wichtiger Beweggrund bürgerschaftlichen Engagements dar. 6.1.5.4.2 Beitrag gegen Vorurteile und Diskriminierung Ehrenamtliches Engagement kann dazu beitragen, Auto- und Heterostereotypen abzubauen. Für drei Gesprächspartnerinnen (2, 9, 14) ist dies ein wichtiges Engagementmotiv. Interviewpartnerin 14 ist der Meinung, dass durch das freiwillige Engagement ein Dazulernen stattfindet, auch was die Vorurteile anderen Menschen und Menschengruppen gegenüber anbelangt. Dies gelingt ihrer Meinung nach nur durch das „Zusammensitzen“, durch die tatsächliche Begegnung:
6.1 Engagementmotive 239 Also ich denke, in dem man hilft, man lernt und wächst auch. Und ich denke, wir müssen alles Mögliche machen, um unsere eigene Vorurteile wegzuschaffen. Und das Einfachste ist, man sitzt sich mit den. (…) # Interview 14: 00:25:24-7# Den gegenseitigen Austausch und die Begegnung betonen auch die Interviewpartnerinnen 2 und 9: Meine Motive ist das einfach für die Menschen, wie kann ich erklären, damals für mich war ja toller Ort FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) einfach, mich selber äußern und Sicherheit mir geben und gleichzeitig selbstbewusster werden und mehr Sprache ausüben und noch besser werden, diese Umgang mit Menschen, mit den Deutschen zusammen sein, nicht untereinander mit den Türkinnen, sondern mit den Deutschen zusammen sein, diese Mentalität von Deutschen und auch das viel aufnehmen auch gleichzeitig von meine Mentalität wieder weitergeben. Weißt, das ist das die Motivation einfach die Austausch für mich so wichtig gewesen. # Interview 2: 00:36:06-9# Jetzt endlich mal nicht nur integrieren und- . Integriert fühlen auch. Ich kann nur integrieren, wenn die Tür offen ist. Wenn die Tür zu ist, kann ich nicht integrieren. Deswegen muss man auch die Tür aufmachen. Jeder soll einen Schritt kommen. Dass in der Mitte uns treffen. # Interview 9: 00:23:57-0# Eine weitere Möglichkeit, um Vorurteile und Diskriminierungen abzubauen, wird von Interviewpartnerin 2 erwähnt. Sie möchte Raum für Begegnung schaffen und organisiert jedes Jahr das Fastenbrechen während des Ramadans: Weil mir ist wichtig, die Ramadan-Fest, die Frauen, die hier nicht trauen, einfach reinzukommen, die Möglichkeit hier ausnutzen. Das war diese Ziel, diese Vorurteil nach den 11. September, haben wir angefangen. Ramadan ist wie wir hier, Ramadan-Fest besser organisieren können. Hat schon mal gehabt, aber besser. Dann haben wir gesagt, okay, wir brauchen eine Verein, religiöse Verein, damit sie unsre Religion erklären kann, dass man auch die Frage gut beantworten können. Dann war das diese Thema und ein islamische Religion, da haben wir okay. (...) Und während die Menschen das essen, trinken, können sie auch diese ausgebildete professionelle Leute Fragen stellen. Das war so schön. # Interview 2: 00:34:08-5# 6.1.5.5 Zwischenergebnis migrationsspezifische Motive Die Forschungsfrage FF02 kann eindeutig beantwortet werden: Ja, es gibt eine migrationsspezifisch begründete Motivation zum Engagement in aufnahmelandbezogenen Vereinen. Allerdings ist diese Motivation je nach Engagementtyp un-
240 6 Ergebnisse gleich verteilt. Die migrationsspezifischen Gründe sind entweder kulturbewahrend ausgelegt, was erwartungsgemäß in einem aufnahmelandbezogenen Verein eine untergeordnete Rolle spielt. Entscheidender sind eigenintegrative Motive, insbesondere der niedrigschwellige Zugang zu Sprachgelegenheiten und der Kontakt zu Deutschen sowie fremdintegrative Motive und hier insbesondere die Unterstützung von anderen Migrant_innen. Ein viertes migrationsspezifisches Motiv ist der Beitrag gegen Exklusion und Diskriminierung. Bezüglich der quantitativen Verteilung fällt auf, dass migrationsspezifische Gründe in den Engagementgruppen I und V131 ausgeprägt sind, während II, III und IV kaum migrationsspezifische Engagementgründe zeigen. Während bei den Gruppen II und III die persönliche Lebensbewältigung im Vordergrund steht, lebt die Gruppe IV eine „postintegrative Perspektive“ (vhw 2016: 8), Frauen des Typs IV definieren sich nicht als Personen mit Migrationshintergrund und haben auch wenig bis kein Interesse an Migrationsthemen. Erwartungsgemäß spielen bewahrende Motive in einer aufnahmelandbezogenen Organisation eine geringe Rolle. Dieses Motiv ist häufiger in eigenethnischen Vereinen, wie z. B. in Kulturvereinen zu finden. Die Sprache als eigenintegratives Motiv wird von den drei Engagementtypen der niedrigeren sozialen Lage I, II und III genannt. Sprache ist ein zentrales Motiv zur Aufnahme eines Engagements in einem interethnischen Verein, bei Interviewpartnerin 2 ist es sogar das Hauptmotiv. Teilweise ist dieses Motiv eng gekoppelt an den Wunsch nach Kontakt zu Deutschen, der nur in den Engagementtypen I und II benannt wird. Für den Engagementtyp IV ist dieses Motive unwichtig, sie sehen sich als Deutsche oder haben den deutschen Pass und sind meist bereits in Deutschland geboren. Keine Bedeutung haben diese beiden Motive auch für den Engagementtyp V, hier allerdings aus anderen Gründen. Der Engagementtyp V, obwohl selbst eingewandert und die deutsche Sprache erst spät erworben, lebt häufig in interethnischen Partnerschaften, pflegt interethnische Freundschaften mit der gemeinsamen Sprache Deutsch oder ist im beruflichen Kontext täglich mit der deutschen Sprache konfrontiert. In den Familien der Engagementtypen I, II und III wird häufig eine andere Sprache gesprochen, die wenigsten sind berufstätig. Diese Engagierten haben damit ein größeres Interesse, im Engagement Deutsch zu sprechen, viele haben kaum Gelegenheitsstrukturen, um die Sprache außerhalb eines Unterrichtssettings zu praktizieren. Der Wunsch, zur Aufnahmegesellschaft dazuzugehören, wird schwach in allen Gruppen (außer Engagementtyp III) genannt. Am deutlichsten wird der Wunsch von den beiden Spätaussiedlerinnen 4 und 7 des Engagementtyps V genannt. Beide haben Diskriminierungen im Herkunftsland „als Deutsche“ und „Hitlers Bräute“ aufgrund ihres 131 Zur Typologie vergleiche Kapitel 6.2.
6.1 Engagementmotive 241 Migrationsalter bewusst erlebt und wurden nach der Migration als „Russen“ stigmatisiert. Der Wunsch nach Zugehörigkeit wird hier ganz deutlich geäußert. Bei der Engagierten 7 war es sogar das Hauptmotiv zu Beginn ihres Engagements. Dies unterscheidet sie von den anderen Engagierten ihres Typs, die ein bikulturelles Verständnis leben. Die beiden Spätaussiedlerinnen bekennen sich zu Deutschland und haben teilweise bis zur Selbstaufgabe oder zur körperlichen Erschöpfung an ihrer Akkulturation gearbeitet. Beide betonen die Anpassung und das Nicht-auffallen-Wollen. Teilweise wird Unverständnis über Menschen aus demselben Kulturkreis geäußert, die ihrer Meinung nach zu wenig Anpassungsbereitschaft zeigen. Fremdintegrative Motive werden hauptsächlich vom Engagementtyp I und V benannt. Der Wunsch, eigene Erfahrungen weiterzugeben, ist in beiden Gruppen stark ausgeprägt, ist aber im Engagementtyp I stärker von eigenen Diskriminierungserlebnissen geleitet. Beide Engagementtypen sind besonders stark an Migrationsthemen interessiert. Mit ihrem Engagement möchten sie insbesondere die Lebenssituation der hier lebenden Migrant_innen unterstützen. Sie sehen sich dazu entweder aufgrund ihrer Erfahrungen, ihrer Kompetenzen oder ihrer Privilegien verpflichtet, zudem ist es für beide Gruppierungen eine „Herzensangelegenheit“. Unterschiede gibt es bezüglich der Zielgruppe: Während sich der Engagementtyp I insbesondere für Migrant_innen aus dem eigenen Kulturkreis einsetzt, unterstützen Engagierte des Typs V alle Migrant_innen unabhängig von der Herkunft. Wie auch bei den altruistischen Motiven (Kap. 6.16) zu sehen, ist in der Engagementgruppe V das Denken in größeren globalen Bezügen zu beobachten sowie ein bikulturelles Selbstverständnis, das nicht in ethnischen Zugehörigkeiten verhaftet ist. Motive gegen Exklusion werden hauptsächlich in der Engagementgruppe I genannt. Diese hat (neben den Typen II und III und den Engagierten 4 und 7 des Typs V) häufig eigene Diskriminierungserlebnisse gehabt. Während Engagierte des Typs II ihren Fokus auf das eigene Fortkommen legen und die Engagierten des Typs III mit ihrer Lebensbewältigung gebunden sind, ist die Inklusion von Migrant_innen in die Aufnahmegesellschaft sowie ein Beitrag gegen Diskriminierungen ein wichtiges Motiv für den Typ I. Ihr Hauptmotiv ist der Beitrag zur besseren Lebenssituation der in Deutschland lebenden Migrant_innen desselben Herkunftslandes (vgl. Kapitel 6.2). 6.1.6 Altruistische Motive Altruismus wird im Duden definiert als „selbstlose Denk- und Handlungsweise, Uneigennützigkeit“ und wird damit als Gegenpol zu Egoismus dargestellt. Altruistische und auf das Gemeinwohl bezogene Motive gelten als wichtiger Antrieb für bürgerschaftliches Engagement und werden in zahlreichen Studien erwähnt.
242 6 Ergebnisse Gleichzeitig wird immer wieder in der Forschung bezweifelt, dass es einen „reinen Altruismus“ (exemplarisch Jonas, Stroebe, Hewstone 2014: 360) gibt, und die Frage aufgeworfen, ob nicht vielmehr in jedem altruistischen Handeln ein Selbstbezug stecke. In der Sozialpsychologie wird Altruismus definiert als „Verhalten, das ohne Erwartung extrinsischer Belohnungen ausgeführt wird, um anderen Menschen einen Nutzen zu bringen; wird ausschließlich aufgrund empathischer Motivation ausgeführt“ (ebd.). In Abgrenzung dazu ist prosoziales Verhalten ein Verhalten, das als nützlich für andere Menschen definiert wird aber sowohl egoistisch als auch altruistisch motiviert sein kann. Die hier beschriebenen altruistischen Gründe korrelieren mit dem von der Enquête-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftliche Engagements“ zusammengefassten Motivbündel „Realisierung einer religiös oder weltanschaulich fundierten Grundüberzeugung“ (Enquête-Kommission 2002: 118). Während dem alten Ehrenamt eine altruistische Pflichterfüllung und/ oder christliche Nächstenliebe zugeschrieben wird, geht es in der modernen Version stärker um die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung. Das Grundverständnis ist geprägt von einer Pflichterfüllung der Gesellschaft gegenüber bei gleichzeitig dadurch entstehendem Anspruch auf Mitsprache und Mitwirkung. Dabei drückt sich das freiwillige Engagement in einem Lebensstil aus, der sich durch „eine hohe Leistungsbereitschaft, ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl und ein starkes Interesse an Mitsprache und Mitgestaltung auszeichnet“. So sind die Engagierten nicht selten beruflich und auch in ihrem Engagement in leitenden Positionen tätig132 (EnquêteKommission 2002: 118). 132 Dies deckt sich mit den Befunden der hier vorliegenden Studie, wonach der mit einem hohen sozioökonomischen Status ausgestatteter Engagementtyp V besonders häufig altruistische Motive benennt, vgl. hierzu Kapitel 6.2.5.
6.1 Engagementmotive 243 Unter dem Motiv „Altruismus“ verbergen sich folgende Subkategorien: Abbildung 30: Altruistische Motive bürgerschaftlichen Engaments Quelle: Eigene Darstellung 6.1.6.1 Solidarität 6.1.6.1.1 Solidarische Grundeinstellung Solidarität ist neben Kreativität und Sicherheit ein Wert, dessen Einfluss auf das Engagementverhalten im 4. Freiwilligensurvey von 2014 untersucht wurde. Dabei wurde festgestellt, dass Menschen mit einer solidarischen Grundeinstellung und dem Wunsch nach Kreativität und Entfaltung sich überdurchschnittlich oft engagieren und Menschen mit einem hohen Sicherheitsbedürfnis unterdurchschnittlich (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016a: 484). Dieser Unterschied besteht auch unter Berücksichtigung weiterer Faktoren wie Bildung, finanzieller Mittel, sozialer und gesundheitlicher Ressourcen. Die Modelltests des Freiwilligensurveys zeigen aber, dass „Solidarität“ nicht der stärkste Einflussfaktor ist. Stärker wirkt sich der Faktor „Sicherheit“ auf das Nicht-Engagement aus. In der hier vorliegenden Studie wird das Motiv „Helfen wollen“ von beinahe allen Interviewpartnerinnen genannt. Eine Ausnahme ist der Engagementtyp III; von den Interviewpartnerinnen 3, 5, 25, 27 und 28 wird dieses Motiv nicht genannt. Genannt wird das Motiv „Helfen“ oft zu Beginn des Interviews. Dabei
244 6 Ergebnisse bleibt dieses Motiv oft indifferent und unbestimmt. Nur wenige Interviewpartnerinnen können dieses Motiv genauer beschreiben. Am einfachsten fassbar ist es bei religiösen Frauen, für die das Helfen Teil ihrer Religion oder Spiritualität ist. Bei den anderen Frauen kann nicht abschließend geklärt werden, was die Grundlage des „Helfen wollen“ ist. Einige Interviewpartnerinnen sagen: „Ich bin einfach so“, „ich helfe gerne, das war schon immer so“. Diese Frauen haben in ihrer Familie teilweise Vorbilder, teilweise ist aber auch das Gegenteil der Fall und die Interviewpartnerinnen wollen sich bewusst von ihrer nicht-engagierten Herkunftsfamilie abgrenzen. Dies ist insbesondere bei den (Spät-) Aussiedlerinnen der Fall. Ich bin eine Person, die gerne hilft. # Interview 10: 00:12:47-7# Ich hab schon bisschen so ein Helfersyndrom. Also es ist schon so. # Interview 7: 00:07:03-7# Helfen als Bereicherung wird ebenfalls mehrfach genannt. Es ist einfach toll, so Menschen zu helfen. Das macht mir so viel Freude und auch, wie kann ich sagen, so viel Freude und auch motiviert mich auch wieder gerne, auch wieder helfen die Menschen. # Interview 2: 01:04:03-2# Es bereichert mich und ich bin glücklich, wenn ich dann andere Mütter, Familien seh´, die dann auch glücklich sind, die Kinder vor allem. Das ist einfach was Schönes. Helfen, besser unterstützen, würde ich sagen. # Interview 1: 00:13:54-3# Helfen im Ehrenamt ist für einige Interviewpartnerinnen etwas, das sie so in ihrem Beruf nicht kennen. Genannt wird dieser Punkt von zwei Frauen, die beide nur wenig im Berufsleben partizipieren können und sich beide in prekären Arbeitsverhältnissen im Gastronomiebereich befinden. Im Gegensatz zum Berufsleben können sie ihre Tätigkeit im Ehrenamt „aus vollem Herzen“ oder „mit Leidenschaft“ ausüben. Wie kann ich sagen? Helfen ist das für mich dann nicht nur helfen, sondern so voll dabei, einfach mit Herzen. Wie kann ich sagen, und das ist auch das Mensch gegenüber, dir auch das so dankbar ist. # Interview 2: 00:37:10-9# Also wenn man Lust hat, etwas zu machen und man sucht sich ja im Ehrenamt so was wo einem was passt, ja, das ist ja der Luxus auch im Ehrenamt. Dann kann man das mit Leidenschaft, also ich mach´s mit Leidenschaft. # Interview 1: 00:13:54-3#
6.1 Engagementmotive 245 6.1.6.1.2 Religiöse Motivation Sechs der 24 interviewten Frauen geben an, aus religiösen Gründen helfen zu wollen. Vier Frauen sind muslimischen Glaubens (Interview 2, 8, 9, 11), für eine Frau ist Helfen ein wichtiger Bereich christlichen Glaubens (Interview 20) und eine Frau möchte sich nicht einer religiösen Richtung zuordnen, gibt aber an, aus spirituellen Gründen zu helfen (Interview 19). Bei uns ist es sehr wichtig, religionsmäßig ist es sehr wichtig, dass man die ehrenamtlich die Leute helfen soll. # Interview 9: 00:52:04-9# Das ist immer, das ist so, und dass von den Leuten zu das jemanden zu helfen, das gibt so eine gute Gefühl. Da fühlst du dich gut. Das ist wie beten halt. Für mich kommt das so, wenn ich dann Leute helfe oder hier organisiere, da ist für mich seelisch gut, dass ich dann ich denk, ich hab heute gebetet. So es ist gut, ich hab was Gutes gemacht. # Interview 9: 00:38:01-8# Religiös auch. Mentalität auch. Aber Kultur ist auch dabei. Gehört zu, wie ich gesagt hab, Gebete, gehört zu Gebete, dass man die Leute ohne Zuschuss zu machen, zwischen den Menschen helfen zu können. Wenn sie Hilfe gebeten haben, noch mehr helfen. Was mir machen, ist es dann hingehen und helfen. Aber wenn sie zu uns kommen zu helfen, dann musst du zweimal gehen und noch mal es zweimal helfen. # Interview 8: 00:40:09-3# Ich bin nicht so arg gläubig wie meine Eltern das sind. Und mir ist der andere Part wichtiger wie dieses In-die-Kirche-Gehen und beten und dieses ganze Kirchengedöns, mir ist das andere, find ich, viel wichtiger, was die Kirche nebenher macht eigentlich. Ich finde dieses Helfen und so viel wichtiger wie dieses In-die-Kirche-Gehen. (…) Also ich find, das ist ja irgendwie der Glauben leben natürlich, aber ja, ich weiß nicht, mir bringt das mehr, hab ich das Gefühl. Irgendwo mitzumachen, wie da reinzusitzen. # Interview 20: 00:05:39-3# Interviewpartnerin 19 geht noch einen Schritt weiter. Für sie ist das Helfen oder, wie sie es ausdrückt, das „Dienen“ zur Lebensaufgabe geworden. Im Interview schildert sie, wie das ehrenamtliche Engagement für sie zur Herzensangelegenheit wurde. Für Interviewpartnerin 19 ist dies die Hauptmotivation. Naja, dann muss ich ja auch ein bisschen auf das Spirituelle gehen. Da kann ich ja nicht nur so weltlich erklären. Es ist, kommt auch von meinem Weltbild her. (…) Also ich habe für mich einen tiefen Glauben. Also das ist jetzt nicht unbedingt christlich, ich kann´s auch nicht einer spezifischen Religion einordnen, aber einen tiefen Glauben. (…) Das ist eine, eine besondere Kraft, die mir unglaublich viel Freude, unglaublich viel Trost, unglaublich viel Glückseligkeit schenkt. Und die vermehrt
246 6 Ergebnisse sich, wenn ich das, wenn ich den anderen Menschen was gebe. Also es ist für mich dann besonders spürbar, das ist so wie wenn der liebe Vater, wenn man sich den Gott als lieben Vater vorstellt, mir wirklich meine Hand hält und sagt: „Ich bin für dich da". Und wenn ich das dann mit den anderen Menschen teile, vor allem mit, man merkt das ganz gut jetzt mit den Flüchtlingen oder Kindern, die also Menschen in Not oder bei mit den Obdachlosen besonders direkt, weil da ist die Not sichtbarerer –. (…). Und da spür ich einfach, dass das Geben mir einfach sehr viel Freude schenkt (lacht). # Interview 19: 00:19:40-8# Also das ist so wie ich das und ich nenn das, also hier nennt man das ehrenamtliche Arbeit. Ich nenn das für mich „dienen". Und ich mag diese Worte, die vielleicht ein bisschen so in unserer Gesellschaft nicht mehr sehr modern sind. Aber eine Haltung des Dienens ist, ist eine Haltung der Stärke. Und eine Haltung des Genießens, ist eher eine Haltung für mich der, ja, ich weiß nicht, ob ich es Schwäche nennen würde. Aber es hat viel vielleicht noch mit Ego zu tun oder mit Haben wollen. Das Nehmen wollen. Dass das noch, kenn ich ja auch von mir, und ich glaube, das kennt jeder von sich und wir haben alle diese Facetten in uns, dass das eine Haltung ist, die seine Grenzen hat, und man merkt, irgendwie ist meine Seele dabei nicht so ganz zufrieden und befriedigt und ich hatte ja das Glück, irgendwie diesen Weg zu gehen, wo ich das auch erfahren durfte. Ich durfte wirklich erfahren, wie schön es ist, für Menschen da zu sein. # Interview 19: 00:21:24-8# Und das war ganz interessant, das war damals hab ich angefangen, so ein bisschen den spirituellen Weg zu gehen, und der, mein spiritueller Lehrer, sagen wir mal so, hat, irgendwo hab ich´s gelesen, hat gesagt, wie wichtig es ist zu dienen. Dann hab ich gesagt: „Das mach ich jetzt." Dann hab ich gedacht: „So, jetzt dien ich mal." Und dann vor lauter „ich soll" und „ich muss", ich glaub, ich hab die Frau ziemlich überfordert, also das war nicht so. Also ich besuch sie immer noch, nach vielen Jahren immer noch. Und ich merk, wie das ganz anders ist. (…) Aber auch das hat sich, wie gesagt, verändert. (…) Ich bin einfach da und diene vom Herzen. Aber das hat wirklich viele Jahre hat´s gedauert. Und alles was ich mache, mache ich sehr gerne. Und wenn ich meinen Kalender angucke, puh, das ist ganz schön, aber das nimmt mir keine Energie. Also das gibt mir viel Kraft. # Interview 19: 00:28:32-6# 6.1.6.1.3 Kompetenzen für das Gemeinwohl einbringen Frauen aller Engagementtypen (vgl. ergänzend Kapitel 6.2) möchten sich im Ehrenamt mit ihren Kompetenzen für das Allgemeinwohl einbringen:
6.1 Engagementmotive 247 Das ist im Babycafé grad so. Da bin ich ja nicht als Beratung, sondern da bin ich als Mama und geb´ Tipps als Mama. Nicht als qualifizierte Irgendwas. Das ist alles Mögliche, wenn´s drum geht Abstillen, Ernährung, Schlafen, einfach Dinge, die man selber ausprobiert hat, die geholfen haben, oder solche Sachen halt. # Interview 13: 00:07:25-5# Ich bin Erzieherin und das ist schon, ich mag das einfach, ich hab viele Ideen und bring mich schon gerne ein. Also das gefällt mir einfach. Also ich hab ganz viele Ideen immer und such gerne Ideen raus und ja, das hat mir eigentlich richtig Spaß gemacht dann einfach, dass die Gruppe zu übernehmen. # Interview 7: 00:04:32-6 Ich mach das einfach gerne, dass ich mein Wissen auch weitergebe oder meine Tipps weitergebe. # Interview 7: 00:07:03-7# Und dann hieß es, jeder hilft da, wo er kann, auf was er Lust hat und so weiter. Und als man mich das mit der Kasse gefragt hat, war ich richtig glücklich. Weil ich wusste, das kann ich, glaub ich. Also ich dachte, ich kann mich da voll engagieren, weil ich was kann und irgendwie helfen kann und ja, bissel so dazugehören. # Interview 4: 00:06:32-2# Also da hab ich natürlich auch Glück, weil ich auch hier vom Haus aus die Freiheit habe, das ist natürlich auch super, ja, das motiviert mich selbst ja auch, ja, das kann man sich natürlich auch in einem anderen Job vielleicht nicht so leisten. Das ist ein großes Plus für mich, dass ich ja meine Ideen und meine Richtung irgendwo vorgeben kann. Also das ist für mich natürlich auch Motivation. # Interview 16: 00:07:17-0# Ich denke, wenn ich eine Talent habe, dann muss jeden, ich muss das auch die andere Person das beibringen. Muss. Ich weiß nicht. Wenn ich eine Talent habe, dann ich kann die andere auch beibringen, weil das ist vielleicht auch in Zukunft oder irgendwo vielleicht kann auch das auch also weitergeben und vielleicht er kann das auch diese Talent helfen. Das ist meine Meinung. Also zum Beispiel, die hier basteln, ich bastel auch hier, ich hab hier auch bastelt. Jetzt zurzeit mache ich nicht. Und so ich konnte nicht, aber haben auch die andere meine Mitarbeiter mir gebracht. Also ich denke eine Person, die geben die eigenen Talente weiter. Also so habe ich jetzt gesehen. # Interview 3: 00:18:45-0# 6.1.6.1.4 Vorbildfunktion Vielen Interviewpartnerinnen ist es wichtig, den eigenen Kindern ein Vorbild zu sein. Auffallend ist, dass insbesondere Frauen, die selbst keine familiären Vorbilder in Bezug auf Freiwilligenarbeit hatten und als (Spät-)Aussiedlerinnen aus kommunistisch geprägten Ländern stammen, dieses Motiv nennen (Interview 4, 7,
248 6 Ergebnisse 20, 22). Die zweite Gruppe, die dieses Motiv als Grund für ein Engagement angibt, sind Frauen mit muslimischem Glauben (Interview 2, 9,10, 18). Und die Kinder sind ja auch mit dabei gewesen und K (Name des Kindes, Anmerkung) hat sich da umgeguckt in der Küche und sagt sie: „Mama, ich guck mir schon mal alles an. Wenn ich groß bin, mache ich vielleicht auch mal.“ Sie findet das toll, dann auch, wenn du irgendwo dabei bist. (...) Ja, willst ja auch, dass die das kennenlernen und dass die auch wissen, dass es andere Leute gibt, die mal Hilfe brauchen oder, ja, dass es schön sein kann, anderen zu helfen, finde ich schon gut, ja. # Interview 20: 00:08:08-1# Die Kinder die lernen ja von den Eltern beziehungsweise die gucken sich ja auch viel ab unbewusst, ohne dass wir irgendwie denen jetzt sagen: „Komm mach jetzt“, sondern sie sehen´s ja und ich denke, wenn meine Kinder so aufwachsen, wie ich es jetzt so mache, dann wird es glaub ich, automatisch kommen, ohne dass ich sag: „Hey, mach das mal, ja, oder guck dir das mal an“, weil man da reinwächst. Dann denk ich mir bestimmt, dass jetzt mein Großer zum Beispiel dann auch mal irgendwann vielleicht – muss nicht – aber auch dann vielleicht so was machen möchte oder auch helfen will oder sich engagieren möchte. Ich denke, wenn man das nicht kennt, dann ist es auch was ganz anderes. Dann weiß man das auch nicht. Dann sind die Augen diesbezüglich nicht geöffnet. # Interview 10: 00:23:48-4# Für mich, ich glaub, dass das echt notwendig ist. So erziehen wir auch unsere Kinder, dass, wenn wir sehen und spüren, da ist jemand, der braucht Hilfe, ob das jetzt Kleidung, Essen oder sonst irgendwas ist, oder einfach irgendwie er hat Probleme daheim und er braucht ein Gespräch oder man merkt, derjenige ist aus der Spur, auch da sich nicht zu scheuen, irgendwie Hilfe anzubieten. # Interview 4: 00:17:20-9# So es ist gut, ich hab was Gutes gemacht und für mich auch die gleiche meine Kinder möcht ich unbedingt Vorbild sein. # Interview 9: 00:38:01-8# Wenn ich selber Mutter, engagier ich mich dann. Dann werd ich auch gute Vorbild für meine Kinder sein. # Interview 2: 00:36:31-1# 6.1.6.2 Dankbarkeit und Revanchieren Aus Dankbarkeit über die selbst erfahrene Hilfe möchten einige Frauen dies direkt oder indirekt zurückgeben. Einige Interviewpartnerinnen haben im Mütter- und Familienzentrum Hilfe und Unterstützung erfahren und möchten sich deshalb direkt im Zentrum einbringen (Interview 2, 7, 14, 15, 22, 26).
6.1 Engagementmotive 249 Und das war einfach so schön und ich fand das so toll, dass die das ohne was dafür zu erhalten, zu bekommen, sich die Zeit genommen haben, das da aufzumachen, zu putzen, zu, ja, was zu planen, was zum Basteln vorbereiten, und ich hab mich so wohlgefühlt, dass ich dachte: „Ja, eigentlich könnt ich ja auch an die anderen weitergeben." Und dich somit dann bedanken oder einfach, du hast was Schönes bekommen und es einfach dann zurückzugeben. Ich denk, Andere freuen sich dann genauso. # Interview 22: 00:01:46-5# Und das fand ich echt einfach enorm und also viele Fragen, die ich hatte, wurden beantwortet. Zum Beispiel, wie ich abstille und was kann man machen in der Freizeit mit dem Kind und so was alles. Und es ist so eine wichtige Unterstützung für DIE Gesellschaft und für die Frauen, dass ich fühlte mich so etwas wie verpflichtet, bisschen was zurückzugeben. Ehrlich gesagt. # Interview 14: 00:04:58-8# Es ist immer jemand da, mit dem man sprechen kann, und es gibt immer Möglichkeiten, andere kennenzulernen, die die gleichen Probleme haben. Und es ist schon, und das hat mir einfach so gutgetan und ich wollt das gerne weitergeben. # Interview 7: 00:07:03-7# Wenn ich bin hier, wenn ich mach hier ohne Geld. Das ist was für mir Großes. Ich bin froh, weil ich kann Leute hier was zurückschenken, wie als so meine Kopf war damals voll und die Leute hat mir geholfen. Jetzt wollte ich mit mein Zeit hier was schenken oder so wegen, wegen diese Hilfe. Und jetzt wenn ich weiter hier bleiben, dann ich bin froh, weil meine Zeit ist nicht weg, ich hab was gemacht, ich bin mit Leute, der macht mit mir gerne alles und ich bin hier, ich kann hier viel helfen. # Interview 26: 00:22:08-4# Eine Interviewpartnerin (Interview 15) hat viel Unterstützung durch deutsche Frauen erfahren und möchte dies indirekt in einem aufnahmelandbezogenen Verein wieder zurückgeben. Ich denke mir, im Leben kann man nicht immer nur immer erwarten, erwarten, man muss auch was geben, ja. Und da mir damals viel geholfen wurde von diese Sozialarbeitern, das war in Diakonie. Und also ohne sie, weiß ich nicht, ob ich´s wirklich, also wär schon sehr schwer für mich. Und da hab ich gedacht, ich mein, es ist auch schön, wenn man was gibt, nicht nur nimmt. # Interview 15: 00:03:29-6# Okay, weil ich bin ja, wie sagt man, von Gastarbeiterkind und die haben ja sehr viel Probleme hier gehabt und mein Stiefmutter, ich mein, gut ich will ihr nichts Schlechtes nachsagen, aber Stiefmutter ist Stiefmutter, ja. Und ich bin mit 18 von zu Hause weg. Und ich, also ich weiß nicht, ob´s Gott gibt, ich wurde schon beschützt, ja, ich hab eigentlich Glück gehabt im Unglück. Bin wildfremde Stadt gegangen, durch Hilfe von meine Freundin ihre Mutter. Und damals hat mich eine Frau aufgenommen. Die hat mich immer begleitet, dann eben Kollegin, dann das. Also so wurde ich irgendwie
250 6 Ergebnisse immer gut aufgehoben, ja. Und das hab ich gelernt, eben dass es ein schönes Gefühl ist, was zu geben. Die Leute haben ja auch nichts dafür von mir bekommen, ja. Und die haben auch mich dann also beschützt oder mir den Weg gezeigt. Und das waren meistens Deutsche, ja. # Interview 15: 00:05:11-4# 6.1.6.3 Verantwortung für die Gesellschaft 6.1.6.3.1 Identifikation und lokale Bedeutung Sechs der interviewten Frauen (4, 10, 12, 22, 23, 26) benennen als Grund für das eigene Engagement den Wunsch, dazu beizutragen, dass eine Einrichtung wie ein Mütter- und Familienzentrum weiter bestehen kann. Die Frauen tragen ihren Teil dazu bei und sind sich dessen bewusst, dass ein Fortbestehen ohne ihr Engagement nicht möglich wäre. Die Organisationsstruktur erfordert Eigeninitiative, ohne die das Bestehen der meist ehrenamtlich geleiteten Zentren nicht gegeben wäre. Und ich hab das Gefühl gehabt, das MüZe (Mütterzentrum, Anmerkung) lebt ja durch uns und irgendwie dazu beizutragen, dass es am Leben bleibt. # Interview 4: 00:09:50-0# Dass es halt auch so weiter die MüZe (Mütterzentrum, Anmerkung) gibt. Weil ich find´s echt traurig, wenn es so was dann nicht geben würde. Was würden wir dann da machen? Also Hausfrau, Mutter, zu Hause nur hocken. Ich denk, es muss auf jeden Fall jemand immer das machen. # Interview 23: 00:07:49-3# Nur eine Interviewpartnerin nennt dies bereits ganz zu Beginn des Interviews als für sie ausschlaggebenden Grund ihres Engagements. Ihr ist bewusst, welchen Stellenwert das Zentrum für den Stadtteil hat, auch wenn diese Bedeutung ihrer Meinung nach nicht von allen Entscheidungsträgern der Kommune erkannt wird. Ich bin ja geblieben, weil ich gemerkt habe, wir werden gebraucht in dem Stadtteil und damals haben wir auch oder uns allen war bewusst, entweder machen wir das oder wir müssen den FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) schließen. Und das war vielleicht gewünscht von viele, dass wir den FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) schließen. (…). Aber wir haben gekämpft. (…) Von die Familien, von den Müttern, von Väter, die zu uns gekommen sind. Die mir gesagt haben, so können wir das nicht mehr weitermachen. Wir haben gemerkt, dass die Leute immer gern zu uns gekommen sind und immer mehr mit Probleme halt auch Mütter, wo die Kinder schon in die Schule waren, die zu uns gekommen sind und gesagt haben: Mensch, die Kinder kriegen diese spezielle Betreuung, was sie brauchen, nicht in die Schule. Und dadurch haben wir zum Beispiel das für Hausaufgabenbetreuung gemacht. (…) Also
6.1 Engagementmotive 251 wir haben uns an das Bedürfnis, sagen wir so, von Stadtteil angepasst. Nicht der Stadtteil hat sich an uns, sondern wir haben uns an den Stadtteil angepasst. # Interview 12: 00:09:55-0# 6.1.6.3.2 Identifikation und gesamtgesellschaftliche Bedeutung Eng verbunden mit dem Motiv „Dass es weitergeht“ ist auch das Bewusstsein der grundsätzlichen Bedeutung eines Mütter- und Familienzentrums. Während das vorherige Motiv von Personen genannt wird, die eine mittlere bis hohe Ausbildung haben und sich hauptsächlich auf „ihr“ Zentrum beziehen, benennen fünf Interviewpartnerinnen (6, 12, 14, 16, 19) mit ausschließlich hoher Bildung und guten Partizipationsmöglichkeiten sehr ausführlich die grundsätzliche gesellschaftspolitische Bedeutung von Mütter- und Familienzentren als Beitrag zur Chancengleichheit und zur Verminderung von sozialer Ungleichheit. Gleichzeitig wird von den Frauen kritisiert, dass die Zentren gesellschaftlich nicht den Stellenwert und die (finanzielle) Unterstützung haben. Hey, hier wird echt gute Arbeit getan. Und warum, wir machen das eigentlich. Die Arbeit ist professionell, aber die Belohnung dafür ist amateurhaft, sag ich mal, ja. Und für mich ist das Wichtigste, wir haben zwar nur Frauen, aber ich war schon immer der Meinung, dass die Frauen, das ist das erste Glied, was das an das Kind gebunden wird, das ist ja die Mutter und meistens sind das ja auch die Frauen, die diese erzieherische Arbeit leisten, ja. Die Männer, die kommen immer irgendwo, werden die dann beschäftigt, gehen der Arbeit nach, aber die Frauen bleiben eng mit den Kindern verbunden. Und diese Kinder, ja, und das muss halt auch so sagen, diese Kinder sind, die meisten bleiben hier. Das ist die nächste Generation, die in Deutschland bleibt. Und ich sag immer, wenn die Mutter isoliert bleibt, wird irgendwann auch das Kind trotz Schule und allem, wird das Kind auch problematisch, sag ich mal, orientieren können hier. (…) Aber ich finde diese Arbeit mit Müttern ist so was von wichtig, ja. # Interview 16: 00:20:42-0# Und dann ich habe gedacht, das ist echt unglaublich irgendwie, was sie gesellschaftlich leisten ja. Und das Interessante ist, es ist in einem Feld, das niemand spricht davon. # Interview 14: 00:05:50-4# Eine Interviewpartnerin sieht das Zentrum als „soziales Juwel“. Wie auch bereits im Interview 16 erwähnt, sind es in erster Linie Frauen, die sich für das soziale Miteinander verantwortlich zeigen. Ihrer Meinung nach ist das, was Frauen leisten, „unsichtbar“. Ein entsprechendes Zentrum für Männer wäre stärker nach außen orientiert.
252 6 Ergebnisse Ja also eigentlich ist es so und die Gesellschaft, wo wir sind, niemand will wissen von Mutter und Kinder. Und Frauen allgemein. Also es ist wirklich schlimm ja. Also niemand will irgendwie so eine Frauenstimme so hören. (…) Und dann hab ich gedacht, das ist ja auch, also dies so eine Nische und so, so, ein, einen, wie kann man sagen, eine soziale Juwele. (…) Ich meine, es ist echt, es passiert viel hier. Und es wird irgendwie ja so weggeschoben oder so. Wenn dies ein Club für Männer wäre (lacht), naja, dann wäre erst mal viel investiert und es wäre überall so veröffentlicht. So es ist, in diesem Sinn, es ist echt eine extrem wichtig. (…) Frauen sind die, die unterstützen. Und zwar in der Familie, in der Gesellschaft, in der Not. Also wenn man sieht, wie viel Prozent Frauen und wie Kranke und Alten pflegen ja, und es ist wirklich so und es ist nicht so, dass irgendwie Frauen müssen das machen oder dass wir darüber ein Diskurs sein muss wie beim Kinderhaben und so. Die, die das machen, müssen anerkannt werden und die müssen auch verstärkt werden und die müssen auch einen Ehrenplatz in der Gesellschaft gegeben werden, ja, und das ist alles wieder unsichtbar. # Interview 14: 00:19:22-5# Soziale Ungleichheit zu bekämpfen, den Blick nicht vor Ungleichheiten zu verschließen und schwächere Mitglieder einer Gesellschaft zu bestärken, sind laut Interviewpartnerin 14 wichtige Aufgaben eines Familienzentrums und für sie ein persönlicher Grund, mit ihrem Engagement dazu beizutragen. Ich denke, ich war immer ein politischer Mensch beziehungsweise ja, mir hat das immer so die Ungleichheit irgendwie so nicht gepasst. Ja und ja und für mich ist es auch so wichtig, dass man irgendwie immer ein Auge betrachtet, ja wie die Ungleichheiten liegen und immer so immer wieder so, wie die Schwachen verstärken, die ich stärker Wissen ansprechen und bisschen so, so gerechter so, so zu machen. # Interview 14: 00:27:18-5# 6.1.6.4 Zwischenergebnis altruistische Motive Jedes bürgerschaftliche Engagement ist auch gleichzeitig prosoziales Verhalten entsprechend der Definition der Gemeinwohlorientierung der Enquête-Kommission (2002: 333), während die Gemeinwohlorientierung nicht alleiniges Kriterium für Altruismus ist. Altruismus kennzeichnet vielmehr die Verbindung aus Gemeinwohlorientierung bei gleichzeitiger Uneigennützigkeit. Ob es diesen „reinen Altruismus“ (Jonas, Stroebe, Hewstone 2014: 360) tatsächlich gibt, darüber ist sich die Forschung uneinig. Auch in dieser Studie werden altruistische Motive mit gleichzeitigem Selbstbezug genannt, was streng genommen prosoziales, aber kein rein altruistisches Verhalten ist. Dennoch konnten in der Studie auch solidarische Grundeinstellungen gefunden werden, die ohne Selbstbezug auskommen, also
6.1 Engagementmotive 253 ohne hedonistische und auf das eigene Wohlbefinden bezogene Motive, ohne dafür Anerkennung zu bekommen, ohne etwas zu kompensieren oder ohne eigene Kompetenzen zu erlangen, sondern aufgrund „empathischer Motivation“ (Jonas, Stroebe, Hewstone 2014: 360). Diese empathische Motivation drückt sich in der vorliegenden Studie in einer solidarischen Grundeinstellung aus, in der gesellschaftlichen Verantwortungsübernahme sowie im Wunsch, sich für selbst erfahrene Hilfe zu revanchieren. Die solidarische Grundeinstellung wird nur in den wenigsten Fällen religiös begründet. Engagierte mit einer solidarischen Grundeinstellung sehen sich als privilegiert, entweder aufgrund vorhandener Fähigkeiten, die sie dem Gemeinwohl zur Verfügung stellen, oder aufgrund ihrer persönlichen Lebenssituation (Einkommen, Beruf, Teilhabechancen usw.). Engagierte mit altruistischer Motivation sehen sich als Teil eines größeren Ganzen und fühlen sich verpflichtet, ihren Beitrag zu einer funktionierenden Gesellschaft zu leisten. Sie haben ein grundsätzliches Interesse an einer sozialen Gesellschaft anstelle einer „Gesellschaft, wo nur Ellbogen ist“ (# Interview 14: 00:07:31-2#) und sehen dabei den eigenen Anteil. Nicht nur die Politik sei dafür zuständig, sondern jede_r könne dazu beitragen: „So WIR müssen uns regieren. Und mit wir meine ich JEDE Mensch und die Probleme zu lösen, das er sieht. Weil wir können nicht warten. Wenn wir warten, dann wird zu spät sein, ja, oder wir werden eine bescheuerte Regierung haben ja. Weil dann die Leute werden denken, ah ja, die werden was lösen. Ne, es ist nicht so. Also wir müssen lösen die Probleme, die wir sehen. # Interview 14: 00:21:46-7# Engagierte mit einer prosozialen Grundeinstellung setzen sich für schwächere Individuen und Gruppierungen ein, für Migrant_innen, die aufgrund ihrer sozioökonomischen Lebensbedingungen schwierigere Startbedingungen in der Aufnahmegesellschaft haben, oder für Kinder mit Fluchterfahrung. Kennzeichnend für Engagierte mit altruistischen Motiven ist das Bejahen von sozialen Grundwerten, die Empathiefähigkeit und das Einfühlungsvermögen gegenüber schwächeren Gruppen. Zwei Faktoren sind zentral für Engagierte mit solidarischen Grundeinstellungen: (1) der Wunsch nach einer gerechteren, sozialen Welt. (2) das Verantwortungsgefühl, dafür selbst einen Beitrag zu leisten. Solidarische Grundeinstellungen gibt es unabhängig von Milieu und Bildung, wobei die Verteilung quantitativ unterschiedlich stark ausgeprägt ist.
254 6 Ergebnisse Bezüglich der quantitativen Verteilung werden altruistische Motive hauptsächlich vom Engagementtyp I und V133 benannt, wobei sich diese beiden Engagementtypen hinsichtlich der Subkategorien unterscheiden. Beiden Engagementtypen gemeinsam ist eine solidarische Grundeinstellung, die teilweise religiös motiviert ist und die sie gerne an ihre eigenen Kinder weitergeben möchten. Im Gegensatz zum Engagementtyp I ist der Engagementtyp V aber stärker von den eigenen Kompetenzen überzeugt. Wissen und Fähigkeiten zu besitzen, ist für den Engagementtyp V eine Verpflichtung, diese zum Nutzen des Gemeinwohls einzubringen. Während es bezüglich der Dankbarkeit für selbst erfahrene Hilfe keine nennenswerten Unterschiede bezüglich der Engagementtypen gibt, sind die Unterschiede bezüglich der gesellschaftlichen Verantwortung prägnant. Betrachtet man die Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung nach lokalem und überregionalem Bezug getrennt, fällt auf, dass insbesondere die Engagementgruppe IV ein Interesse am Fortbestehen des lokalen Engagementortes hat. Der Engagementtyp V hat darüber hinaus auch noch die gesamtgesellschaftliche Verantwortung im Blick. Sie sehen ihr Engagement im gesamtgesellschaftlichen Kontext als Beitrag zur Unterstützung von Frauen und Kindern allgemein oder von Frauen mit Fluchterfahrungen. Frauen des Engagementtyps V, die dieses Motiv benennen, sehen das örtliche Zentrum als Mosaikstein in einer sozialeren Welt. Erwartungsgemäß nicht vertreten ist der Engagementtyp III. Auch hier gilt: Wer das eigene Leben bewältigen muss, kann darüber hinaus nicht zusätzlich uneigennützig andere Menschen unterstützen. Dennoch ist eine solidarische Grundeinstellung auch im Engagementtyp III vertreten, so trat beispielsweise Interviewpartnerin 27 in Pakistan als Journalistin für Kinder- und Frauenrechte ein. Allerdings ist sie nach ihrer Fluchtmigration mit der Bewältigung des eigenen Lebens gebunden. Ebenso wenig vertreten sind die Engagementtypen I und II, schwach vertreten ist der Engagementtyp IV. Engagementtyp I und V sind diametral gegensätzlich, was berufliche Teilhabechancen, schulische Bildung und sozialen Status anbelangt. Dennoch sind es diese beiden Gruppierungen, die sich besonders durch eine altruistische Motivation auszeichnen. Das heißt im Umkehrschluss, dass erstens unterschiedliche Gruppierungen ähnliche Motive haben können. Mit dem Engagementtyp V werden Ergebnisse der Enquête-Kommission 2002 zum Motivbündel „Realisierung einer religiös oder weltanschaulich fundierten Grundüberzeugung“ exakt bestätigt, wonach sich das freiwillige Engagement in einem Lebensstil ausdrückt, der sich durch „eine hohe Leistungsbereitschaft, ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl und ein starkes Interesse an Mitsprache und Mitgestaltung auszeichnet“ (En- 133 Zur Typologie vergleiche Kapitel 6.2.
6.2 Engagementtypen 255 quête-Kommission 2002: 118). Diese Engagierten sind beruflich oft sehr erfolgreich (ebd.). Dieser Befund trifft auf die Engagementgruppe V zu, allerdings nicht auf den beruflich kaum oder nicht partizipierenden Engagementtyp I. Das heißt, ein zweites wichtiges Ergebnis ist, dass nicht alleine die gesellschaftliche Positionierung ausschlaggebend für das Engagement ist, sondern ebenso verinnerlichte Werte wie eine solidarische Grundhaltung. 6.2 Engagementtypen 6.2 Engagementtypen Bürgerschaftliches Engagement ist eine höchst individuelle Angelegenheit. Zahlreiche Motive beeinflussen das Engagement bzw. Nicht-Engagement. Hinzu kommen die strukturelle und persönliche Ausstattung sowie das Vorhandensein von ökonomischem, kulturellem, symbolischem und sozialem Kapital. Bei Migrant_innen beeinflusst zusätzlich die Zugehörigkeit zur ersten, zweiten oder dritten Einwanderungsgeneration das Engagement sowie der Migrationsgrund, also ob die Zuwanderung aufgrund von Studium oder Ausbildung, Familiennachzug, aufgrund von Flucht und Vertreibung oder anderer Gründe stattfand. Weitere Faktoren, die das Engagement von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte beeinflussen, sind:      die unterschiedlichen Vorstellungen von einer Zivilgesellschaft: Gab es im Herkunftsland die Möglichkeit, sich zivilgesellschaftlich für eigene oder fremde Belange einsetzen zu können oder ist diese Möglichkeit unbekannt? die unterschiedlichen Vorstellungen von Engagementorten: Findet Engagement in der Familie und in der Nachbarschaft statt oder im öffentlichen Raum? die unterschiedliche Beurteilung des Nutzens von Engagement: Engagement kann unterschiedlich beurteilt werden. Ist Engagement eher selbstlos und altruistisch oder geht es um den eigenen oder familiären Lebensunterhalt? die unterschiedlichen Vorstellungen vom Organisationsgrad: Je nach Herkunftskultur wird Engagement eher mit spontanem Handeln und weniger mit Formalien gleichgesetzt134. die unterschiedliche Rolle des Staates: Wird der „Staat“ mit Willkür gleichgesetzt und mit Kontrolle und Verfolgung (wie in den Herkunftsländern der 134 Vergleiche hierzu die direkte Übersetzungen des Begriffes für Engagement in verschiedenen Sprachen. So wird das indonesische Wort „Sukarela“ beispielsweise als „zwangloses Handeln“ übersetzt (Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren 2014: 21).
256  6 Ergebnisse Menschen mit Fluchterfahrung) oder ordnete der Staat (wie in einigen kommunistischen Ländern geschehen) staatliche Aufgaben als angeblich „freiwillig“ an? die unterschiedlichen Vorstellungen von gesellschaftlichem Verantwortungsteilen: Werden bestimmte Aufgaben wie z. B. die Betreuung von älteren Menschen als staatliche, als familiäre oder als zivilgesellschaftliche Aufgaben gesehen (vgl. Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren 2014: 21)? Der Versuch, Individuen zu Gruppen zusammenzufassen, birgt immer auch die Gefahr der Vereinfachung bis hin zu Stereotypisierung. Dennoch soll hier mithilfe von Merkmalsräumen (Kelle und Kluge 2010) der Versuch gemacht werden, Engagementtypen zusammenzufassen. Dabei wurden zwei Kategorien miteinander in Bezug gebracht: zum einen die Motivation (1) und zum anderen die beruflichen Teilhabechancen (2). (1) Bezüglich der Motivation wurde bereits darauf hingewiesen, dass Engagierte multimotiviert sind und beispielsweise gleichzeitig altruistisch und ichbezogen motiviert sein können. Das heißt, die Reduktion auf ein Hauptmotiv stellt eine Vereinfachung der komplexen Wirklichkeit dar und kann die Komplexität nicht detailgetreu wiedergeben. Um dieses Problem der Reduktion etwas zu schmälern, wurde der Fokus nicht auf eine einzelne Subkategorie gelegt, sondern zusammenfassend auf eine der sechs Hauptkategorien. Die Zuordnung einer Interviewpartnerin zu einer Hauptkategorie erfolgte aufgrund der Auswertung der Interviews in einer Kombination aus quantitativer Nennung („MAXQDA“-Auswertung) und subjektiver Bedeutungszuschreibung vonseiten der Interviewpartnerin. Dieser zweite Aspekt ist insofern wichtig, weil insbesondere Interviewpartnerinnen mit geringen Deutschkenntnissen und kürzeren Interviewpassagen in einer lediglich softwaregestützten Auswertung weniger Hinweise auf ihre Hauptmotivation liefern können. Auch die Reihenfolge der Motive gibt keine Hinweise auf den Stellenwert der Motivation. Dies muss im individuellen Gespräch erfahrbar gemacht werden. Dennoch ist eine softwarebasierte Auswertung auch nicht überflüssig, sie liefert erste hilfreiche Hinweise und verdeutlicht optisch aufbereitet eine gewisse Tendenz. (2) Die Kategorie der beruflichen Teilhabechancen ist das Unterscheidungsmerkmal in Bezug auf die Engagementtypen. Sämtliche zunächst untersuchten Dimensionen erbrachten keinen Treffer. Da alle quantitativen Studien
6.2 Engagementtypen 257 (Gensicke, Picot und Geiss 2006; Gensicke und Geiss 2010, Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016) den Bildungsstand als zentrale Kategorie im Engagementverhalten hervorheben, wurde zunächst die Motivation in Bezug auf diese Kategorie untersucht. Es konnten allerdings keine Engagementmuster in Bezug auf Bildung festgestellt werden. So sind höher gebildete Engagierte sowohl altruistisch motiviert (Typ V) als auch kompensatorisch (Typ III), während weniger hoch gebildete Frauen ebenfalls altruistisch orientiert sein können (Typ I). Ähnlich wenig Erfolg erbrachten die Untersuchungen der Dimensionen Sprachkenntnisse, Herkunftsregion, Aufenthaltsdauer in Deutschland, soziale Einbindung in die Aufnahmegesellschaft oder Staatsangehörigkeit. Als entscheidend für die Motivation stellten sich die beruflichen Teilhabechancen heraus. Diese sind bei Menschen mit Migrationshintergrund entscheidender als die tatsächliche Bildung, wie insbesondere die hoch gebildete Gruppe der Frauen mit nicht anerkanntem ausländischen Bildungsabschluss zeigt (Typ III). Von größerer Bedeutung ist demnach die Zugehörigkeit als Bildungsinländerin bzw. die Unabhängigkeit von formalstrukturellen Entscheidungen (beispielsweise als freischaffende Künstlerin wie Interviewpartnerin 14). Ganz unbedeutend ist der Bildungsstand aber auch in dieser Untersuchung nicht, so schlägt sich auch hier eine niedrigere Bildung in geringeren beruflichen Teilhabechancen nieder, was wiederum die Motivation im Engagement beeinflusst. Berufliche Teilhabechancen sind nicht mit dem Einkommen gleichzusetzen. So hat eine freischaffende Künstlerin evtl. ein geringeres Einkommen als eine Kellnerin. Dennoch kann die freischaffende Künstlerin an ihren Beruf vor der Migration anknüpfen und übt den von ihr gewählten Beruf unabhängig vom Migrationsstatus aus, während die Kellnerin beispielsweise einen nicht anerkannten ausländischen Abschluss als Lehrerin hat, zu dem sie im Aufnahmeland keine Zugangsmöglichkeiten hat. Das heißt, berufliche Partizipationsmöglichkeiten stehen nicht zwangsläufig in einem Zusammenhang mit Bildung und sind auch unabhängig von Einkommen zu betrachten. Berufliche Teilhabechancen sind nach diesem Verständnis die Umsetzungsmöglichkeit von Kompetenzen und Fähigkeiten im beruflichen Kontext. Zusammenfassend sind Engagementtypen immer eine Reduktion der komplexen Wirklichkeit und können diese nicht genau widerspiegeln. Eine Analyse der Einzelfälle ist weiterhin zwingend notwendig und wird nicht durch eine Clusterdarstellung ersetzt. Sie soll aber dennoch einen Hinweis auf den Zusammenhang von Engagement und Lebenslage geben.
258 Abbildung 31: 6 Ergebnisse Clusterdarstellung der Engagementtypen in Bezug auf Gemeinwohlorientierung und berufliche Teilhabechancen Quelle: Eigene Darstellung 6.2.1 Engagementtyp I – die Solidarisch-Prekären n= 5: Interviewpartnerinnen 2, 8, 9, 15, 18 Zentrale Merkmale der Engagementgruppe I sind die niedrige soziale Lage, die eigenen Exklusions- und Diskriminierungserfahrungen sowie das dominierende Motiv der Solidarität und der Unterstützung von Angehörigen der eigenen Ethnie.
6.2 Engagementtypen 259 Soziodemografische Merkmale: Die Interviewpartnerinnen leben alle in erster Generation in Deutschland, sie sind entweder als Kinder (15, 18) oder als junge Erwachsene (2, 8, 9) migriert. Bei den jungen Erwachsenen dominiert der Migrationsgrund Ehe/Heirat (Interviewpartnerinnen 2, 8, 9). Alle fünf Interviewpartnerinnen haben türkische Wurzeln. Drei der Interviewpartnerinnen (2, 15, 18) haben die deutsche Staatsangehörigkeit, eine Interviewpartnerin hat die türkische (8) und Interviewpartnerin 9 hat sowohl die türkische als auch eine weitere Staatsangehörigkeit eines EU-Landes. Alle fünf Interviewpartnerinnen sind mit einem Partner aus dem gleichen Herkunftsland verheiratet, keine Interviewpartnerin lebt mit einem Partner ohne Migrationshintergrund oder mit einem Partner aus einem anderen Herkunftsland zusammen. Alle fünf Interviewpartnerinnen sind muslimischen Glaubens (sunnitisch und alevitisch). Interviewpartnerin 2 hat das Abitur (bzw. die türkische Entsprechung Lise Diploması), die anderen Frauen haben niedrige (15, 18) und mittlere (8, 9) Schulabschlüsse. In der Engagementgruppe I (wie auch in der Engagementgruppe II) sind auffallend viele Personen ohne Berufsausbildung. Drei Frauen haben keine Berufsausbildung (Interviewpartnerinnen 2, 8, 9), die anderen beiden Interviewpartnerinnen haben eine in Deutschland erworbene Berufsausbildung. Sie sind somit zwar Bildungsinländerinnen, haben ihre Ausbildungen allerdings in den weniger gut bezahlten Branchen als Verkäuferin oder Friseurin absolviert. Die Einkommenssituation aller fünf Interviewpartnerinnen ist niedrig, auch das Gesamthaushaltseinkommen der Familie ist gering. Erschwerend kommt hinzu, dass die Ehepartner der Frauen als Bildungsausländer mit nicht anerkannten Abschlüssen oder als Bildungsinländer in schlecht bezahlten Berufen und/ oder prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten (Interviewpartnerinnen 2, 8, 9, 15, 18). Engagement: Dominierend bei den Solidarisch-Prekären sind die Motivbündel „migrationsspezifische Motive“ und „altruistische Motive“. Zwar werden, wie in den anderen Engagementgruppen auch, hedonistische und ichbezogene Gründe genannt, diese haben aber nicht den dominierenden Stellenwert wie beispielsweise in der Engagementgruppe IV. Die Aussage „Ich erwarte nichts Gegenleistung oder so was, will ich auch gar nicht. Ich ne, auf keinen Fall. Ich mach´s halt so aus Spaß“. (# Interview 18: 00:07:09-5#) wird zwar inhaltlich von Interviewpartnerin 15 geteilt. Diese hedonistischen und ichbezogenen Motive legen sich als Folie quer über die anderen Motive, sind aber nicht vorherrschend. Entscheidender ist das Interesse an zwischenmenschlichem Austausch und Sozialkontakten.
260 6 Ergebnisse Anerkennung ist ein nicht unwichtiges Motiv und umfasst sowohl wertschätzende Rückmeldungen, Gestaltungsrechte, das Gefühl, gebraucht zu werden, sowie die Anerkennung ansonsten wenig gesellschaftlich geschätzter Fähigkeiten. Ehrenamt als Ersatz ist eine Möglichkeit, mithilfe der Aufwandsentschädigung das meist geringe Haushaltseinkommen aufzubessern. Geld verdienen ist zwar nicht das vorherrschende Motiv der Solidarisch-Prekären, es ist aber ein wichtiger Baustein im ehrenamtlichen Engagement und trägt indirekt auch zum Statusgewinn und zur Aufwertung innerhalb der eigenen Familie bei (Interviewpartnerin 9). Der genannte Statusgewinn ist vermutlich vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Engagementgruppe I entweder in wenig prestigeträchtigen Branchen tätig (Imbissverkäuferin im Bahnhof, Küchenhilfe o. Ä.) oder aufgrund von Kindererziehung nicht berufstätig ist. Durch das freiwillige Engagement können die Engagierten ihren Status und ihre Bekanntheit im Familienzentrum erhöhen und heben sich aus der Gruppe der Besucher_innen ab, indem sie eine aktive Rolle einnehmen. Zusätzlich erhöht sich auch der Status innerhalb der eigenen Community und der eigenen Familie, sie sind Multiplikatorinnen und Ansprechpartnerinnen nicht nur für Belange rund um das Familienzentrum, sondern auch für Themen, die die Familie allgemein oder den Stadtteil betreffen. Die Aufwandsentschädigung trägt ebenfalls zum Statusgewinn bei in Milieus, in denen das bürgerschaftliche Engagement unbekannt ist oder es wenig Verständnis dafür gibt. Die Engagierten fühlen sich als Expertinnen wahrgenommen. So berichtet beispielsweise Interviewpartnerin 9 von einem Besuch des türkischen Konsuls, der sich über ihr Projekt informierte, oder Interviewpartnerin 2 wird vom Jugendamt als Stadtteilmutter für türkische Familien eingesetzt. Diesen Status haben die Befragten nicht durch eine spezielle Ausbildung, sondern durch ihr freiwilliges Engagement erreicht. Dabei ist der Statusgewinn nicht geplant, das freiwillige Engagement wird wenig zur formalen Kompetenzentwicklung beispielsweise durch Fortbildungen genutzt und das Absolvieren von einrichtungsinternen Zertifikaten wird nicht als wichtig empfunden. Wichtiger als institutionalisiertes Kulturkapital wird der Erwerb von sozialem Kapital empfunden. Durch die Einbettung in verschiedene soziale Bezüge und Netzwerkbildung findet ungeplant ein Statusgewinn statt. Die Kompetenzentwicklung findet „nebenbei“ statt, indem das Engagement zur Weiterentwicklung im Bereich „Toleranz“ oder „Selbstbewusstsein“ beiträgt. Auffallend ist, dass im Engagementtyp I zwar keine Motive des Kompetenzerwerbs für eine berufliche Nutzbarmachung und nur wenige Motive des außerberuflichen Kompetenzerwerbs genannt werden, dieser Typ aber besonders oft neu erworbene Kompetenzen durch das Engagement an sich feststellt (vgl. Kapitel 6.3 „Veränderungen durch das Engagement“). Das heißt, dieser Engagementtyp ist besonders empfänglich für unintendiertes und informelles Lernen.
6.2 Engagementtypen 261 Bezüglich der altruistischen Motive spielt der Wunsch, eigene Kompetenzen für das Gemeinwohl einzubringen, kaum eine Rolle. Gewichtiger ist eine allgemein positive Einstellung zum Helfen in der Gesellschaft und zu einem gelingenden Miteinander. Bei drei Frauen hat das Helfen einen religiösen Hintergrund. Daneben sind die wichtigsten altruistischen Gründe der Vorbildcharakter für das Kind sowie Dankbarkeit für selbst erfahrene Hilfe, die direkt oder indirekt wieder zurückgegeben wird. Das Revanchieren für selbst erfahrene Hilfe wird auch mit religiösen Grundsätzen begründet: „Aber wenn sie zu uns kommen zu helfen, dann musst du zweimal gehen und noch mal es zweimal helfen“ (# Interview 9: 00:40:09-3#). Das wichtigste Motivbündel, das sowohl quantitativ von allen SolidarischPrekären genannt wurde als auch inhaltlich den höchsten Stellenwert hat, bezieht sich auf migrationsspezifische Gründe. Wichtig sind eigenintegrative und fremdintegrative Motive sowie Motive gegen Diskriminierung und Exklusion. Bezüglich des eigenintegrativen Bereichs ist der Spracherwerb das wichtigste Motiv, gefolgt von dem Wunsch nach Kontakt zu Deutschen und dem Dazugehören. Die im Sprachkurs theoretisch gelernte fremde Sprache anwenden und im Alltag üben ist bei Interviewpartnerin 2 sogar das wichtigste Motiv und der Grund, weshalb sie den Zugang zum freiwilligen Engagement fand. Neben diesen eigenintegrativen Motiven wird das Handeln des Engagementtyps I stark von der Situation der in Deutschland lebenden Türk_innen und dem Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit Migrant_innen beeinflusst. Neben institutionellen Diskriminierungen (insbesondere Interviewpartnerin 2) sind Frauen dieses Engagementtyps von subtilen Formen von Alltagsrassismus betroffen, von Fremdmachen, Andersmachen und von Hypervisibility (insbesondere Interviewpartnerin 9). Dabei ist das zentrale Motiv, dazu beizutragen, dass es anderen in Deutschland lebenden Türk_innen, anders (im Sinne von „besser“) ergeht. Insbesondere Interviewpartnerin 2 hatte an verschiedenen Bildungsübergängen mit institutioneller Diskriminierung zu kämpfen, indem ihr im Übergang vom Kindergarten in die Schule separate Vorbereitungsklassen für ausländische Schüler_innen empfohlen oder im Übergang zur weiterführenden Schule bei ausreichendem Notendurchschnitt die niedrigeren Schulformen geraten wurden. Diese Erfahrungen im Bildungsbereich sowie weitere Diskriminierungserfahrungen trugen maßgeblich dazu bei, andere Türk_innen zu unterstützen und eigene Erfahrungen weiterzugeben. Es geht in dieser Engagementgruppe kaum darum, die eigene Kultur weiterzugeben, wichtiger ist für die Engagierten, einen Beitrag zum positiveren Umgang zwischen Menschen mit türkischen Wurzeln und der Aufnahmegesellschaft sowie einen Beitrag gegen Vorurteile und Diskriminierungen zu leisten. Hier ergibt sich eine Überschneidung mit der Engagementgruppe V, der ein Beitrag für ein positives Miteinander ohne Diskriminierung und Rassismus ebenfalls wichtig ist. Der Unterschied kann aber
262 6 Ergebnisse mit folgenden zwei Punkten benannt werden: Im Gegensatz zur deutlich privilegierteren Gruppe V, die auch stärker interkulturell und international vernetzt ist, haben die Engagierten der Gruppe I, die Solidarisch-Prekären, eigene Diskriminierungserfahrungen in unterschiedlichen Lebensbereichen gemacht. Die Engagementgruppe V ist davon weniger betroffen, engagiert sich demnach nicht aus eigener Betroffenheit gegen Rassismus, sondern aufgrund ihrer Einstellung zur Demokratie und zur Universalität der Menschenrechte. Der zweite Unterschied besteht darin, dass sich die Engagementgruppe I auf die eigene Ethnie konzentriert, während es der Engagementgruppe V allgemein um die Lebenssituation aller in Deutschland lebenden Migrant_innen geht mit einem starken Fokus auf die aktuelle Situation von geflüchteten Menschen. Die Engagementgruppe I möchte in erster Linie die eigenen Landsleute unterstützen135. Engagierte der Gruppe I sind außerhalb des freiwilligen Engagements stark in der eigenethnischen Community eingebunden über eigenethnische Partnerschaften oder Freundschaften oder religiöse Glaubensgemeinschaften. Dadurch sind für sie vermutlich die türkisch-deutschen Beziehungen stärker im Fokus als für die deutlich interkulturell und weniger eigenethnisch vernetzten Engagierten der Gruppe V. 6.2.2 Engagementtyp II– die Aufstiegsorientiert-Prekären n= 4: Interviewpartnerinnen 1, 11, 13, 24 Zentrale Merkmale der Engagementgruppe II sind eine niedrige soziale Lage sowie das Motiv, über das freiwillige Engagement Kompetenzen für einen pädagogischen Beruf zu erlangen und neue berufliche Zugangswege zu eröffnen. Soziodemografische Merkmale: Die vier Interviewpartnerinnen der Engagementgruppe II sind entweder als sogenannte Gastarbeiterkinder (1, 13, 24) in Deutschland aufgewachsen oder im Rahmen des Familiennachzugs/Ehe als junge Erwachsene (11) zugewandert. Alle vier Interviewpartnerinnen haben ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit behalten und nicht die deutsche angenommen. Die Interviewpartnerinnen leben entweder mit einem Partner aus dem gleichen Herkunftsland (1, 11, 13) zusammen oder sind alleinerziehend (24). Interviewpartnerin 11 hat einen niedrigen Schulabschluss und ist Bildungsausländerin, die Interviewpartnerinnen 1, 13 und 24 verfügen über 135 Das Motiv „Türkinnen und Türken helfen, sich in Deutschland zu integrieren“ wurde bereits bei Halm und Sauer (2007: 110) erhoben und nimmt dort den 5. Platz in der Rangfolge der Motive ein. Der starke eigenethnische Bezug wird auch in der Sinus-Milieu-Studie bestätigt (vhw 2009c: 12f).
6.2 Engagementtypen 263 eine mittlere Schulbildung, die sie in Deutschland absolvierten. Interviewpartnerin 1 und 13 verfügen über eine abgeschlossene Berufsausbildung, die sie in Deutschland absolvierten. Die Interviewpartnerinnen 11 und 24 haben aufgrund von früher Mutterschaft und/oder Pflege von nahen Angehörigen keine Berufsausbildung abgeschlossen und waren auch nie länger in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis tätig. Die Interviewpartnerinnen 1 und 13 haben zwar eine abgeschlossene Ausbildung und sind Bildungsinländerinnen, arbeiten aber aus persönlichen Gründen nicht mehr in ihrem ursprünglich gelernten Beruf, sodass sich die Interviewpartnerinnen 1, 11 und 24 in Teilzeit bzw. geringfügiger Beschäftigung in prekären Arbeitsverhältnissen befinden und teilweise (11, 24) auf ergänzende (aufstockende) Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II angewiesen sind. Nur Interviewpartnerin 13 ist in einer etwas privilegierteren Situation, sie hat den rechtlichen Anspruch, nach der Elternzeit in ihren ursprünglichen Beruf zurückzukehren. Ihre soziale Lage ist etwas höher als die der anderen Interviewpartnerinnen, wenngleich das Familieneinkommen ebenfalls niedrig, aber im Gegensatz zu den anderen Interviewpartnerinnen des Typs II nicht prekär ist. Engagement: Die Frauen des Engagementtyps II zeigen wenige Motive im hedonistischen und ichbezogenen Bereich. Zwar wird der Spaß an der freiwilligen Arbeit erwähnt, er hat aber lange nicht den Stellenwert wie beispielsweise in der Engagementgruppe IV. „Gebraucht werden“ ist eine wichtige Subkategorie der Anerkennung („Das Gefühl, dass ich gebraucht bin“. # Interview 11: 00:04:48-1#). Nonverbale und verbale positive Rückmeldungen genügen als Bestärkung, es besteht kein Interesse an symbolischer Wertschätzung. Mithilfe der Aufwandsentschädigung wird das meist geringe Haushaltseinkommen aufgebessert. Geld verdienen ist, wie in der Engagementgruppe I auch, nicht das vorherrschende Motiv, es ist aber ein wichtiger Baustein im ehrenamtlichen Engagement. Wichtiger und gleichzeitig auch das bedeutendste Motiv der Aufstiegsorientiert-Prekären, ist die Möglichkeit, in einem pädagogischen Bereich136 zu arbeiten, der den Interviewteilnehmerinnen aufgrund der niedrigen Schulbildung und/oder fehlenden Ausbildung verwehrt ist. Das bürgerschaftliche Engagement wird als eine Chance wahrgenommen, derzeit im pädagogischen Bereich tätig zu sein und 136 Da sich die meisten Engagementmöglichkeiten in Mütter- und Familienzentren im pädagogischsozialen Bereich ergeben, spiegelt sich dies auch bei den Berufswünschen der Engagierten wider. Es ist zu vermuten, dass dieses Ergebnis auch in anderen Engagementorten zu beobachten ist, dass beispielsweise Menschen mit Berufswünschen im medizinischen Bereich eher im Rettungswesen oder Katastrophenschutz anzutreffen sind.
264 6 Ergebnisse sich Zugänge zum Beruf der Kinderpflegerin oder Erzieherin zu schaffen. Interviewpartnerin 11 betont die Bedeutung des freiwilligen Engagements im Gegensatz zur Arbeitslosigkeit. Zwar war137 sie weiterhin arbeitslos gemeldet, konnte aber aktiv sein, wurde „gebraucht“ und hat dadurch für sich einen anderen Status erworben. Die Engagementgruppen II und III sind die beiden Engagementtypen, deren Engagement am stärksten von Kompensation geprägt ist. Der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppierungen liegt aber darin, dass der Engagementtyp II mithilfe des freiwilligen Engagements einen beruflichen Aufstieg erreichen möchte, den die Engagementgruppe III durch die Migration verloren hat. Während die Befragten der Engagementgruppe II im pädagogischen Bereich arbeiten möchten, fand diese Ausbildung oder dieses Studium bei einigen Befragten der Engagementgruppe III (3, 25, 28) bereits im Herkunftsland statt. Der dritte Unterschied liegt in der Beurteilung der Übungsleiterpauschale. Für die Engagementgruppe II wird die Übungsleiterpauschale als willkommene Aufbesserung der schmalen Haushaltskasse verstanden, in der Engagementgruppe III ist sie existenzsichernd und wichtigstes Motiv des „freiwilligen“ Engagements. Migrationsspezifische Motive haben keine große Bedeutung. Die deutsche Sprache anwenden und Kontakt zu Deutschen ist nur für Interviewpartnerin 11 ein Motiv, die drei anderen Engagierten sind in Deutschland aufgewachsen. Als wichtigstes altruistisches Motiv wird die Bedeutung des Helfens in der Gesellschaft allgemein genannt, bei Interviewpartnerin 11 ist es religiös begründet. Eine gesellschaftliche oder lokale Verantwortungsübernahme wird nicht als Motiv genannt. 6.2.3 Engagementtyp III – Die Unfreiwillig-Freiwilligen n= 5: Interviewpartnerinnen 3, 5, 25, 27, 28 Zentrale Merkmale der Engagementgruppe III sind eine hohe Bildung, ein migrationsbedingter Statusverlust und damit einhergehend eine prekäre soziale Lage. Das Engagement soll den fehlenden Zugang zu einem bezahlten Beruf kompensieren, die Aufwandsentschädigung ist existenzsichernd. Soziodemografische Merkmale: Die fünf Interviewpartnerinnen sind alle als junge Erwachsene und Erwachsene migriert. Dabei dominieren die Migrationsgründe Familiennachzug/Ehe (5, 25) 137 Zwischenzeitlich ist Interviewpartnerin 11 der Sprung vom freiwilligen Engagement in die Teilzeitausbildung zur Kinderpflegerin gelungen.
6.2 Engagementtypen 265 und Flucht (3, 27, 28). Die Ehe ist bei den Interviewpartnerinnen 5 und 25 zwischenzeitlich gescheitert, sodass beide alleinerziehende Mütter sind von vier Kindern bzw. einem Kind. Eine finanzielle oder anderweitige Unterstützung durch die Kindsväter erfolgt in beiden Fällen nicht. Die Interviewpartnerinnen mit dem Migrationsgrund Flucht stammen alle drei aus Pakistan. Alle haben einen gesicherten und anerkannten Aufenthaltsstatus, bei Interviewpartnerin 28 ist der Antrag auf Familiennachzug gestellt, sie lebt seit inzwischen fünf Jahren von Mann und Kind getrennt. Alle Frauen stammen aus Nicht-EU-Ländern; Interviewpartnerin 3 hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Alle Interviewpartnerinnen haben ihre schulische und berufliche Ausbildung im Herkunftsland beendet, alle haben die Entsprechung zum deutschen Abitur absolviert. Vier von fünf Frauen haben studiert (3, 5, 25, 27), eine Interviewpartnerin (28) hat eine Ausbildung. Alle fünf Frauen haben nach der Migration einen deutlich geringeren sozioökonomischen Status als vor der Migration. Bei allen fünf Frauen wurde der ausländische Bildungsabschluss (bislang) nicht anerkannt, bis auf Interviewpartnerin 5 wurde die Hoffnung auf Anerkennung aufgegeben. Die Interviewpartnerinnen sind mit ihrer finanziellen und beruflichen Situation sowie ihrer gesellschaftlichen Position sehr unzufrieden. Die Interviewpartnerinnen 3, 27 und 28 sind auf staatliche Transferleistungen angewiesen. Auffallend ist die Bedeutung der Bildung der Kinder. In keiner anderen Engagementgruppe wird der Bildungsstand der Kinder erwähnt. Die Interviewpartnerinnen 3, 25 und 27 erwähnen eigeninitiativ das Gymnasium oder das Studium der Kinder. Es wird als wichtige Aufgabe gesehen, die Kinder auf diesem Weg zu unterstützen („Gymnasium muss man arbeiten. Also ich wollte meine Tochter weitergehen. Viel machen zu Hause, vorlesen, bisschen und mit Leute sprechen, Kontakte, viel“. #Interview 25: 00:24:09-7#). Der Gymnasiumbesuch des Kindes ist ein nach außen sichtbares Zeichen der Bildung. Insbesondere Interviewpartnerin 25 leidet unter dem Gefühl, als ungebildet und „dumm“ (# Interview 25: 00:25:13-0#) verurteilt zu werden. Indem sie ihren Anteil am Schulerfolg betont, wertet sie sich auch unbewusst auf. Die Interviewpartnerinnen haben die Hoffnung, dass es ihren Kindern besser gehen wird. Die Bildungsaspiration in dieser Gruppe ist sehr hoch, gleichwohl haben einige Interviewpartnerinnen für sich selbst resigniert und setzen auf den Bildungserfolg der Kinder. Engagement: Der Engagementtyp III ist geprägt durch eine fehlende Anerkennung im Beruf. Spaß und „Rauskommen“ sind Gründe, die eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Das Motiv „Rauskommen“ ist weniger eine Flucht vor der Langeweile, sondern um für ein paar Stunden die eigene Situation zu vergessen, die teilweise sehr stark von (psychosomatischen) Krankheiten geprägt ist sowie von einer prekären finanziellen Situation.
266 6 Ergebnisse Der Engagementgrund „Anerkennung“ spielt in den Interviews keine Rolle, Motive der Anerkennung werden kaum genannt. Gleichwohl ist auch hier nach Honneth davon auszugehen, dass der Wunsch nach Anerkennung universell vorhanden, aber von kompensatorischen Motiven überlagert ist. Wichtigster Grund ist das kompensatorische Motiv für eine fehlende Berufstätigkeit. Die Übungsleiterpauschale ist weniger Aufwandsentschädigung und mehr prekäres Arbeitsverhältnis. Alle fünf Unfreiwillig-Freiwilligen erhalten eine Aufwandsentschädigung, alle fünf würden dieses Engagement gerne ausweiten, was aufgrund der begrenzten Stellen mit Aufwandsentschädigung in den Familienzentren derzeit nicht möglich ist. Das Engagement wird von den Engagierten der Gruppe III nicht als „Ehrenamt“, „Helfen“, „freiwilliges Engagement“ oder einer anderen Begrifflichkeit bezeichnet, sondern als „Arbeit“. Die Tätigkeiten werden von der Einrichtung offiziell als freiwilliges Engagement mit Aufwandsentschädigung bezeichnet, tatsächlich stellt es für die Frauen ein Arbeitsverhältnis dar. Aufgrund ihrer niedrigen und beruflich aussichtslosen Lage sind sie froh über diese Tätigkeit, in der die Aufwandsentschädigung deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegt. Die Unfreiwillig-Freiwilligen stehen teilweise nur begrenzt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung aufgrund von eigenen psychischen und physischen Krankheiten, Krankheiten der Familienmitglieder oder Kindererziehung, sodass die Flexibilität, das Mitbringen der eigenen Kinder und die Möglichkeit des internen Tauschens von Schichten in den Familienzentren eine Erleichterung darstellt. Das Tragen von als fremd empfundener Bekleidung und Kopftüchern (3, 27, 28) sowie geringe Sprachkenntnisse (3, 5, 27, 28) tragen ebenfalls zum begrenzten Zugang zum ersten Arbeitsmarkt bei. Somit ist das freiwillige Engagement für die Engagementgruppe III in erster Linie ein Ersatz für eine Arbeitsstelle und eine Möglichkeit, in begrenztem Umfang Geld zu verdienen. Ohne Aufwandsentschädigung wäre dieser Engagementtyp nicht bürgerschaftlich engagiert138. Der Zuverdienst reicht in keiner Weise, ist aber mangels Alternativen existenzsichernd. Drei der Engagierten haben ein Studium oder eine Ausbildung im sozialen Bereich (3 und 25 als Lehrerin, 28 als Kinderkrankenschwester), eine weitere Engagierte studierte Geschichte und war im Herkunftsland sowohl in einem Archiv als auch als Lehrerin tätig (5). Somit ist das freiwillige Engagement 138 Hier zeigen sich Parallelen zum Cluster 3 „Die auf Zuverdienst Angewiesenen“ in der Studie des Ifas-Instituts über Nachbarschaftshelferinnen. Auch wenn sich diese Frauen in Bezug auf die Religionszugehörigkeit, ethnische Herkunft und Bildungsstand komplett von der hier beschriebenen Engagementgruppe III unterscheiden, bestätigt Ifas damit die Existenz von Engagierten, die sich ohne Aufwandsentschädigung nicht engagieren würden. Laut Studie trifft dies auf 22 % aller Engagierten in der Nachbarschaftshilfe zu. Vgl. ausführlich Ross, Steiner und Schlicht (2016).
6.2 Engagementtypen 267 im sozialen Bereich eine wichtige Möglichkeit, wenn zwar nicht im ursprünglichen Beruf, doch zumindest in einem anderen sozialen Arbeitsfeld tätig zu sein und wieder mit Kindern zu arbeiten. Dies trägt auch massiv zur Erhöhung des Selbstbewusstseins und zum Statusgewinn bei. Auf die Zuweisung eines spezifischen sozialen Status durch ein Engagement weist bereits Meusel (2013: 240ff) in Bezug auf sozial Benachteiligte hin. Der berufliche Status ist (auch in der eigenen Community) deutlich höher, auch wenn die Entlohnung geringer ist als in geringfügigen Arbeitsverhältnissen. Aufgrund der niedrigen sozialen Lage ist aber nicht jede Engagierte der Gruppe III in der Situation, dass sie dem Statusgewinn den Vorrang vor der Entlohnung geben kann. So berichtet beispielsweise Interviewpartnerin 28 von Bewerbungen als Küchenhilfe oder in der Verpackung. Würde sie diese Stellen bekommen, würde sie das freiwillige Engagement aufgeben: „Weil ich möchte Arbeit. Arbeit. (…) Nähstelle, Verpackung oder in Kinderbetreuung“ (# Interview 28: 00:19:46-1#). Das freiwillige Engagement wird demnach nicht als sinnstiftende Ergänzung zum Berufsleben gesehen, sondern es stellt derzeit das Berufsleben dar. Unter Heranziehung der Maslowschen Bedürfnispyramide ist das freiwillige Engagement dieser Engagementgruppe nicht ein Teil der Selbstverwirklichung, auch die sozialen Beziehungen und Anerkennung durch das Engagement sind unbedeutend, sondern es geht um Existenzsicherung. Aus diesem Grund muss auch die Freiwilligkeit des freiwilligen Engagements kritisch hinterfragt werden. Zwar werden die Engagierten des Engagementtyps III nicht zu ihrer Tätigkeit gezwungen, allerdings bringen die äußeren Lebensumstände die Engagierten dazu, diese Tätigkeit anzunehmen, die sie zugunsten einer besser bezahlten Stelle verlassen würden. Passend dazu spielen auch altruistische Motive keine Rolle. Es geht den Unfreiwillig-Freiwilligen nicht „um die Sache“ oder „um den Fortbestand des Familienzentrums an sich“. Sie schätzen die offene, tolerante Atmosphäre, in der sie als Mensch und nicht ausschließlich als Muslimin (Interview 3) wahrgenommen werden, haben aber aufgrund ihrer eigenen prekären Situation keine Ressourcen, um sich aus Gemeinwohlorientierung zu engagieren. Auch migrationsspezifische Motive spielen bis auf den Erwerb der deutschen Sprache keine Rolle. Wenn die familiäre aufenthaltsrechtliche Situation (28) nicht geklärt ist, verwundert es nicht, wenn keine Energie mehr für die Unterstützung anderer Migrant_innen übrig ist. Die Sprache erlernen ist ein zentrales Element auf dem Weg zur Anerkennung des ausländischen Bildungsabschlusses und der Schlüssel zur Berufstätigkeit. Dieser Weg soll mithilfe eines ehrenamtlichen Engagements abgekürzt werden. Außer dem Motiv „Spracherwerb“ gibt es auffallend wenige Bestrebungen, im Rahmen des Engagements Kompetenzen zu erwerben. Die Interviewpartnerin-
268 6 Ergebnisse nen 3, 27 und 28 haben sich innerlich von ihrem ursprünglichen Beruf verabschiedet und erhoffen sich entweder eine Erhöhung der Stundenzahl im jetzigen Engagement oder einen besser bezahlten Job („Aber egal hier oder andere Stelle, aber ohne Ausbildung“ # Interview 28: 00:13:27-5#), Interviewpartnerin 25 strebt eine Ausbildung als Erzieherin an und hofft, mithilfe des Engagements eine Ausbildungsstelle zu bekommen. Interviewpartnerin 5 ist der Nachweis über ihr freiwilliges Engagement zur Vorlage bei der Anerkennung ihres ausländischen Bildungsabschlusses wichtig sowie das Praktizieren der Sprache, um baldmöglichst die erforderte Sprachprüfung ablegen zu können. Damit lässt sich der Engagementtyp III nochmals in eine „resignierte“ (3, 27, 28) und eine „hoffnungsvolle“ (5, 25) Gruppierung unterteilen. Der Erwerb von personalen und sozialen Kompetenzen wie Selbstbewusstsein hat bei allen Engagierten des Typs III keinen hohen Stellenwert, ebenso wenig wie der Erwerb von Wissen für das Engagement oder über gesellschaftspolitische Zusammenhänge. 6.2.4 Engagementtyp IV – Die postintegrierte Mitte n= 6: Interviewpartnerinnen 10, 17, 20, 21, 22, 23 Zentrale Merkmale des Engagementtyps IV sind eine zufriedenstellende soziale und berufliche Situation sowie als zentrale Motive hedonistische, gesellige sowie ichbezogene Einstellungen. Soziodemografische Merkmale: Die Interviewpartnerinnen des Engagementtyps IV unterscheiden sich stark in Bezug auf die Migrationsgründe. Eine Frau lebt seit ihrer Geburt als Gastarbeiterkind der zweiten Generation in Deutschland (Interviewpartnerin 17), andere sind als Kinder mit ihren Eltern eingewandert (Interviewpartnerinnen 10, 20, 22, 23) und eine Interviewpartnerin ist als junge Erwachsene ohne Familie migriert (Interviewpartnerinnen 21). Demnach sind bis auf Interviewpartnerin 21 alle Bildungsinländerinnen. Interviewpartnerin 23 hat einen niedrigen Schulabschluss, die anderen sieben Frauen haben entweder eine mittlere (10, 17, 20) oder hohe (21, 22) Schulausbildung, wobei keine der Frauen studiert hat. Alle Frauen haben allerdings eine Ausbildung beendet, die nicht in prekäre Arbeitsverhältnisse mündete, sondern zu stabilen Beschäftigungssituationen mit unbefristeten Stellen und sozialer Absicherung wie Arzthelferin oder Bürokauffrau. Dies drückt sich emotional auch in einer weitgehenden Zufriedenheit mit der beruflichen Situation aus. Das Einkommen liegt im mittleren Bereich. Bei drei Interviewpartnerinnen liegt das
6.2 Engagementtypen 269 gesamte Haushaltseinkommen im niedrigen Bereich, was aber auf eine vorübergehende Teilzeitbeschäftigung aufgrund der Kindererziehung und/oder auf die prekäre Arbeitssituation des Ehemannes ohne Anerkennung des ausländischen Studienabschlusses (Interviewpartnerin 10) zurückzuführen ist. Die Hälfte der Interviewpartnerinnen ist mit einem Partner ohne Migrationshintergrund verheiratet (Interviewpartnerinnen 17, 20, 21). Mehr als die Hälfte hat die deutsche Staatsangehörigkeit (10, 20, 22, 23), die anderen beiden Engagierten (17, 21) haben die ursprüngliche Staatsangehörigkeit behalten, sind Bürger eines EU-Landes und haben somit einen gesicherten Status. Engagement: Der Engagementtyp IV ist in befriedigenden Arbeitsverhältnissen tätig mit ausreichendem Einkommen bzw. finanzielle Engpässe sind aufgrund von reduzierter Beschäftigung zeitlich begrenzt. Das freiwillige Engagement fungiert demnach nicht als Arbeitsersatz und wird nicht als Möglichkeit gesehen, um Geld zu verdienen. Fünf der sechs Engagierten der Engagementgruppe IV (10, 17, 20, 22, 23) erhalten keine Aufwandsentschädigung, was keinerlei Einfluss auf ihre Motivation hat. Zentral sind hedonistische („Spaß“) sowie ichbezogene und gesellige Motive. Wichtig ist dem Engagementtyp das „Rauskommen“. Es geht den Engagierten dabei um Abwechslung vom Alltag mit kleinen Kindern und Haushalt. So wird von fast allen Engagierten (mit Ausnahme von Interviewpartnerin 21) der Kontakt zu anderen Menschen genannt. Außerdem findet das Engagement (im Gegensatz zum Engagementtyp III) in einem Bereich statt, von dem auch das eigene Kind unmittelbar profitiert. Im Vergleich zu den anderen Engagementgruppen trägt das Engagement bei Typ IV besonders zur persönlichen Zufriedenheit bei, ein Motiv, das in den Engagementgruppen I, II, und III überhaupt nicht genannt wird. Anerkennung hat keine hohe Bedeutung. Eine Ausnahme ist Interviewpartnerin 10, ihr ist Anerkennung sehr wichtig sowie das Gefühl, mitbestimmen zu können und dazuzugehören. Interviewpartnerin 10 ist in ihrer aus dem Libanon stammenden Familie die Erste, die freiwillig engagiert ist. Dies wird in ihrer Herkunftsfamilie stark thematisiert. Insbesondere ihre Position als ehrenamtlicher Vorstand ruft Anerkennung in ihrer Familie hervor. Ihr ist aber auch eine symbolische Form der Anerkennung innerhalb des Familienzentrums wichtig. So betont sie an mehreren Stellen im Interview erhaltene Vergünstigungen, Helferessen oder Freikarten als Dank für das freiwillige Engagement sowie eine Fotowand der derzeit aktiven Mitglieder, die das Engagement für alle Besucher_innen sichtbar macht. Für die anderen Engagierten der Gruppe IV ist die Anerkennung aber kein Motiv mit hohem Stellenwert, teilweise wird öffentliches Lob gar als unangenehm empfunden (Interview 20).
270 6 Ergebnisse Bezüglich der kompensatorischen Engagementmotive fällt auf, dass das Engagement weder Arbeits- noch Familienersatz ist. Engagierte des Typs IV engagieren sich insbesondere in Bereichen, von denen ihr Kind direkt profitiert. Das Ehrenamt zur beruflichen Kompetenzentwicklung hat keinen hohen Stellenwert, da die meisten Engagierten in für sie zufriedenstellenden Berufen tätig sind und ihre beruflichen Partizipationsmöglichkeiten positiv sehen. Fortbildungen werden gerne zum Kompetenzerwerb wahrgenommen, aber stärker zur persönlichen Weiterentwicklung und zum allgemeinen Wissensgewinn und weniger, um sich daraus neue berufliche Chancen zu eröffnen. Die Wichtigkeit migrationsspezifischer Motive ist bei Engagementtyp IV, der Postintegrierten Mitte, (im Gegensatz zu Typ I und V) nicht gegeben. Die Deutschkenntnisse sind in der Engagementgruppe IV sehr gut, bis auf Interviewpartnerin 21 sind alle entweder in Deutschland geboren oder als Kinder eingewandert. Die als Erwachsene eingewanderte Interviewpartnerin 21 lebt in einer interethnischen Partnerschaft mit einer gemeinsamer Sprache Deutsch, sodass das Engagementmotiv „Sprache erlernen“ keine Rolle spielt. In den Interviews wird kaum von diskriminierenden Erfahrungen berichtet, keine der Interviewpartnerinnen trägt ein Kopftuch oder wird aufgrund äußerer Merkmale als fremd stigmatisiert. Bis auf Interviewpartnerin 10 haben die Engagierten süd-, mittel- oder osteuropäische Wurzeln und werden von ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht als nicht-zugehörig stigmatisiert. Inklusion ist für die meisten Interviewpartnerinnen kein Thema. Das Motiv, eigene Erfahrungen weiterzugeben, wird nicht genannt, ebenso wenig wie der Wunsch, Menschen aus dem eigenen Herkunftsland zu unterstützen oder einen Beitrag gegen Diskriminierungen und Vorurteile zu leisten. Es gibt nur vereinzelte Aussagen wie beispielsweise „anderen Migranten helfen“ (Interview 21) oder „dazugehören wollen“ (Interview 10). Die Engagementgruppe IV sieht sich als Teil der deutschen Gesellschaft und hat nur wenig migrationsspezifische Engagementgründe. Sie ist auch theoretisch-inhaltlich wenig am Migrationsdiskurs interessiert. Engagierte des Engagementtyps IV sehen sich teilweise nicht als Migrant_innen, wie eine Aussage der Interviewpartnerin 10 verdeutlicht: „Ich fühl mich nicht als, ich sehe zwar vielleicht aus als Ausländerin (lachend), aber ich bin keine, ich bin nicht mit Migrationshintergrund“ (# Interview 10: 00:37:09-6#). Engagierte des Typs IV neigen zu einer „post-integrativen Perspektive“ (vhw 2016: 7), sie sehen sich als Teil der deutschen Gesellschaft und nicht als Migrant_innen und haben meist auch kein Interesse an migrantischen Themen. Neben den hedonistischen Motiven sind es vor allem altruistische Motive, die die Engagementgruppe IV bewegt. Damit sind zwei entgegengesetzte Motivbündel in einem Engagementtyp vereint: Ichbezogenheit und Altruismus schließen sich demnach nicht aus. Eine solidarische Grundeinstellung und die Vorbildfunktion für das eigene Kind sind die am häufigsten genannten altruistischen Gründe.
6.2 Engagementtypen 271 6.2.5 Engagementtyp V – Die Idealistisch-Kosmopoliten n= 8: Interviewpartnerinnen 4, 6, 7, 12, 14, 16, 19, 26 Zentrale Merkmale des Engagementtyps V sind ein hoher Bildungsabschluss, hohe berufliche Partizipationschancen, ein großes Interesse an Themen der sozialen Ungleichheit und Interkulturalität. Das Engagement ist motiviert durch migrationsspezifische und altruistische Einstellungen. Soziodemografische Merkmale: Keine der Interviewpartnerinnen lebt seit ihrer Geburt in Deutschland. Die Frauen sind entweder als Kind mit ihren Eltern (Interviewpartnerinnen 4, 7) eingewandert oder als junge Erwachsene ohne Familie (Interviewpartnerinnen 6, 12, 14, 16, 19, 26). Die Migrationsgründe der jungen Erwachsenen unterscheiden sich stark. Im Unterschied zu den Migrationsgründen der anderen vier Engagementgruppen kommt hier als Migrationsgrund Berufstätigkeit (Interviewpartnerin 6, 16 und 19) hinzu. Die Interviewpartnerinnen 14 und 26 geben als Migrationsgrund die Partnerschaft mit einem (deutschen) Mann an. Auffallend ist in dieser Gruppe, dass sieben von acht Frauen in einer Partnerschaft mit einem Mann ohne Migrationshintergrund leben, lediglich Interviewpartnerin 7 lebt in Partnerschaft mit einem Mann aus demselben Herkunftsland. Die beiden (Spät-)Aussiedlerinnen haben die deutsche bzw. die doppelte Staatsangehörigkeit, die Interviewpartnerin 16 besitzt ebenfalls die doppelte Staatsangehörigkeit, fünf weitere Interviewpartnerinnen haben ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit behalten (6, 12, 14, 19, 26). Sieben von acht Interviewpartnerinnen haben einen hohen Schulabschluss (Abitur bzw. die jeweilige Entsprechung im Herkunftsland), Interviewpartnerin 7 hat einen mittleren Schulabschluss. Bis auf Interviewpartnerin 7 und 12 haben alle IdealistischKosmopoliten studiert. Je nach Alter zurzeit der Migration sind sie Bildungsinländerinnen (Interviewpartnerinnen 4, 7, 16) oder nicht (Interviewpartnerinnen 6, 12, 14, 19, 26). Der Zugang zur beruflichen Partizipation wurde von den Bildungsausländerinnen unterschiedlich gelöst: Interviewpartnerin 19 absolvierte nach ihrem Studium in Serbien eine Ausbildung in Deutschland, Interviewpartnerin 12 absolvierte nach ihrer Ausbildung in Spanien eine zweite Ausbildung in Deutschland, Interviewpartnerin 14 ist als freischaffende Künstlerin nicht auf die Anerkennung ihres ausländischen Studienabschlusses angewiesen, ebenso wenig Interviewpartnerin 26, die als freischaffende Grafikerin arbeitet, und Interviewpartnerin 6 befindet sich derzeit in der Promotionsphase. Auch wenn (fast) alle Interviewpartnerinnen über hohe Bildungsabschlüsse verfügen, ist die Einkommenssituation sehr unterschiedlich von niedrig bis sehr hoch. Die niedrige Einkommenssituation ist bei diesen Frauen weniger strukturellen, sondern vielmehr
272 6 Ergebnisse persönlichen Faktoren geschuldet, beispielsweise der vorübergehenden Teilzeitbeschäftigung während der Kindererziehung (Interviewpartnerinnen 4, 6), der Promotion (Interviewpartnerin 6) oder der schwankenden Einkommenssituation einer freischaffenden Künstlerin (Interviewpartnerin 14). Die Interviewpartnerinnen 7 und 12 konnten mit ihren mittleren Berufsabschlüssen jeweils eine Leitungsposition erlangen. Somit haben alle Interviewpartnerinnen dieser Engagementgruppe entweder bereits eine hohe berufliche Partizipation oder die Partizipationschancen werden voraussichtlich nach der Kleinkindphase und Promotion hoch sein. Engagement: Die wichtigsten Engagementmotive des Typs V sind migrationsspezifisch und altruistisch139 geprägt. Eine untergeordnete Rolle spielen hedonistische und ichbezogene Motive. Unter den ichbezogenen Motiven wird am häufigsten das Motiv genannt, „Menschen kennenzulernen“. Dieses bereits bei Engagementtyp I und IV genannte Motiv erfährt hier eine weitere Differenzierung: die Idealistisch-Kosmopoliten schätzen die interkulturellen Begegnungen und das Kennenlernen von Menschen, zu denen im Alltag wenig Kontaktmöglichkeiten bestehen. Dieser interkulturelle Austausch wird als Bereicherung gesehen. Eine große Solidarität herrscht gegenüber neu ankommenden Menschen mit Fluchterfahrung. Diese Menschen zu unterstützen und sie (außerhalb der Meinungsbildung durch die Medien) kennenzulernen, ist ein wichtiges Anliegen der Engagementgruppe V. Zwar haben alle Engagierte des Typs V eigene Migrationserfahrung, aber nicht mit dem Migrationsgrund Flucht und Vertreibung. Die eigene Migration wird von einigen Idealistisch-Kosmopoliten als privilegiert dargestellt, dennoch wird als verbindendes Element das Ankommen in einem fremden Land genannt. Von den allein im Erwachsenenalter migrierten Frauen wird (insbesondere von den Interviewpartnerinnen 14, 16, 19) die Einsamkeit und das Fehlen der Familie genannt. Dies stellt trotz aller aufenthaltsrechtlicher, sprachlicher und finanzieller Unterschiede eine Gemeinsamkeit mit den Menschen mit Fluchterfahrung dar. Für Interviewpartnerin 12 war das „Rauskommen“ als Ablenkung von einer chronischen Erkrankung das zentrale Motiv für den Einstieg ins Engagement, mit der Übernahme neuer 139 Im Freiwilligensurvey 2014 wird das Motiv des Altruismus mit dem Bildungsstand in Zusammenhang gebracht: „Die Gesellschaft mitzugestalten, ist wichtiger für Engagierte mit höherer Bildung“ (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016c: 40), so der Befund aus dem Freiwilligensurvey. In der hier vorliegenden Studie gehören neben der Engagementgruppe V auch die Engagementgruppe III zu den höher Gebildeten, allerdings sind diese mit der Bewältigung ihrer prekären Lebenssituation gebunden. Der Zusammenhang zwischen Bildung und Altruismus kann demnach nur bedingt bestätigt werden. Neben dem Bildungsstand ist die berufliche Partizipation als Faktor ausschlaggebend.
6.2 Engagementtypen 273 Tätigkeitsbereiche wurde dieses Motiv aber von migrationsspezifischen und altruistischen Motiven abgelöst. Dominierend ist im hedonistisch/ichbezogenen Motivbündel das Kennenlernen von Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern, Bildungsschichten und mit unterschiedlichen Lebensentwürfen. Anerkennung war zu Beginn des Engagements das wichtigste Motiv für Interviewpartnerin 7, ansonsten ist es aber ein eher untergeordneter Engagementgrund. Für die beiden (Spät-) Aussiedlerinnen (4 und 7) hat Anerkennung einen höheren Stellenwert als für die anderen Interviewpartnerinnen. Damit heben sie sich etwas vom restlichen Engagementtyp V ab (vgl. auch die Bedeutung des migrationsspezifischen Motivs des „Dazugehörens“ in Kapitel 6.1.5.2). Sie sind auch die Einzigen, die eigene und doppelte Diskriminierungserfahrungen sowohl im Herkunftsland als Deutsche oder „Hitlers Bräute“ und in Deutschland als „Russenschwein“ (# Interview 4: 00:25:02-2#) erlebten. Für die anderen Interviewpartnerinnen spielt Anerkennung eine geringfügige bzw. keine Rolle. Zu vermuten ist, dass der Engagementtyp V aufgrund seiner hohen sozialen Lage, des Eingebundenseins in soziale Netzwerke und der Aufnahmegesellschaft sowie den guten beruflichen Partizipationschancen nicht auf die Anerkennung im freiwilligen Engagement angewiesen ist. Ehrenamt als Arbeitsersatz hat keine Bedeutung und wird von keiner der Befragten des Engagementtyps V genannt. Engagementtyp V kann beruflich partizipieren oder wird nach Kindererziehung und/oder Promotion partizipieren können. Teilweise war die Migration der Idealistisch-Kosmopoliten berufsbedingt. Das Engagement ist kein Ersatz, sondern eine sinnstiftende Ergänzung zum Berufsleben. Keine der Engagierten erhält eine Aufwandsentschädigung. Die finanzielle Situation der Engagierten ist nicht durch prekäre Arbeitsverhältnisse und Angst um die eigene Existenzsicherung geprägt. Der Familienersatz hat eine größere Bedeutung, da einige der Interviewpartnerinnen des Engagementtyps V als junge Erwachsene ohne Familie migriert sind. Das Fehlen der Herkunftsfamilie wird von einigen Interviewpartnerinnen thematisiert (14, 19, 26). Insbesondere die Situation, mit einem kleinen Kind in einem fremden Land zu leben, während die eigenen Eltern weit entfernt sind und nicht mit Rat und Tat zur Seite stehen können, wird als schwierig empfunden. Das Eingebundensein in ein Familienzentrum wird von diesen Frauen als Erleichterung und als Ersatz für die fehlende Familie empfunden. Das freiwillige Engagement als Ort der Kompetenzentwicklung hat in der Engagementgruppe V einen geringen Stellenwert. Dies lässt sich gut mit den beruflichen Kompetenzen und den vorhandenen Partizipationsmöglichkeiten der Gruppe erklären. „Toleranz“ und „Selbstbewusstsein“ sind informelle Kompetenzen, die vereinzelt genannt werden und die im Engagement erworben werden. Einzig Interviewpartnerin 6 erhofft sich nach ihrer Promotion einen Einstieg in den
274 6 Ergebnisse Beruf, der mithilfe von Nachweisen über ihr freiwilliges Engagement sowie über Netzwerkbildung erleichtert werden soll. Auch wenn Engagementtyp V nur wenige eigene diskriminierende Erfahrungen (mit Ausnahme von 4 und 7) gemacht hat, beruflich partizipieren kann und zu einem Großteil in einer interethnischen Partnerschaft lebt, haben migrationsspezifische Engagementgründe eine große Bedeutung. Die Idealistisch-Kosmopoliten haben ein „bi-kulturelles Selbstverständnis“ (vhw 2016: 7), ihr Lebensmittelpunkt liegt in Deutschland, gleichzeitig werden aber die Wurzeln nicht gekappt (mit Ausnahme der Interviewpartnerinnen 4 und 7). Die (Spät-) Aussiedlerinnen (Interviewpartnerinnen 4 und 7) haben sowohl im Herkunftsland als auch im Aufnahmeland Diskriminierung aufgrund der Herkunft erlebt, bei beiden ist der Wunsch des Dazugehörens groß. Beide thematisierten stark das Nicht-Dazugehören in beiden Kulturkreisen. Hier unterscheiden sie sich deutlich von den anderen Engagierten des Typs V, die alle als junge Erwachsene nach Deutschland kamen, im Herkunftsland sozialisiert wurden und dort verwurzelt waren. Die Engagierten 6, 12, 14, 16, 19 und 26 fühlen sich nach wie vor ihrem Herkunftsland verbunden bei gleichzeitiger Wertschätzung der deutschen Gesellschaft, sind also in Anlehnung an das Akkulturationsmodell von Berry (1997) „integriert“. Interviewpartnerin 4 und 7 erlebten im Herkunftsland bereits als Deutschstämmige Diskriminierungen, dies war u. a. der Grund für die Migration. In Deutschland wurden sie und ihre Familie allerdings nicht als Deutsche wahrgenommen, sondern wieder als fremd und als nicht-zugehörig stigmatisiert. Das heißt, bei ihnen ist der Wunsch, „endlich“ anzukommen, groß und in Bezug auf das Akkulturationsmodell nach Berry die Bereitschaft zur Assimilation vorhanden (keine Wertschätzung der Herkunftskultur und Wertschätzung der Aufnahmegesellschaft). Das Motiv, Landsleuten zu helfen, wird überlagert von dem Wunsch, Migrant_innen allgemein zu helfen. Die gemeinsame Migrationssituation verbindet und ermöglicht das Einfühlen in die Situation von neu in Deutschland angekommenen Migrant_innen, so die Einstellung der Idealistisch-Kosmopoliten. Hier unterscheiden sich die Idealistisch-Kosmopoliten deutlich von Typ I. Während der Fokus der Gruppe I auf der Unterstützung der eigenethnischen Migrant_innen liegt, geht es in der Gruppe V verstärkt um integrative Angebote für alle Migrant_innen unabhängig von Ethnie, Religion oder Migrationsgrund. Vereinzelt werden Motive genannt, wie „einen Beitrag gegen Vorurteile zu leisten“, „eigene Erfahrungen weitergeben“ oder „die eigene Kultur weitergeben“. Am wichtigsten ist aber die grundlegende Unterstützung anderer Migrant_innen bzw. der eigene Beitrag für ein solidarisches und friedliches Miteinander in einer heterogenen Gesellschaft.
6.2 Engagementtypen 275 Dies zeigt sich auch in dem starken Fokus auf altruistische Motive. Die Idealistisch-Kosmopoliten sehen sich dabei insbesondere in der Verantwortung, eigene Kompetenzen für das Gemeinwohl einzubringen. Engagementtyp V sieht sich durch die eigene Bildung privilegiert und durch die Mehrsprachigkeit in der Lage, Zugänge zu Migrant_innen zu erschließen, die ansonsten nicht erreicht würden. Während die Engagementgruppe I an Selbstbewusstsein gewonnen und durch das freiwillige Engagement Expert_innenstatus erreicht hat, weiß die Engagementgruppe V unabhängig vom freiwilligen Engagement um ihre Stärken und Kompetenzen. Das zweitwichtigste altruistische Motiv liegt in der Bedeutung der Arbeit mit Frauen und Müttern. Während es Engagementtyp I und IV wichtig ist, dass es in ihrem örtlichen Familienzentrum weitergeht, sieht Engagementtyp V den eigenen Beitrag globaler. Ehrenamtliche Arbeit und insbesondere die Unterstützung von Frauen wird von Engagementtyp V als Beitrag zu einer lebenswerten Gesellschaft gesehen und als Kampf gegen Ungerechtigkeiten und soziale Ungleichheit. Ihre internationale Ausrichtung (u. a. Auslandsstudium, Teilnahme an studentischen Austauschprogrammen, Teilnahme an sportlichen Austauschprogrammen) zeigt sich im Denken in größeren Bezügen. Zwar ist der Lokalbezug und die Weiterentwicklung des eigenen Familienzentrums wichtig, das eigene Zentrum wird aber deutlich stärker als in den anderen Engagementgruppen als Teil eines bundesweiten und internationalen Verbandes gesehen, als Teil der Frauenbewegung und als Teil der Unterstützung von Kindern und Menschen in schwierigen Lebenslagen. Teilweise wurde diese Unterstützung selbst erlebt. So erfuhren Engagierte des Typs V einen Familienersatz für die eigene räumlich getrennte Familie, Unterstützung in partnerschaftlichen Krisen oder bekamen Tipps und Antworten zu Fragen der Kindererziehung. Frauen des Engagementtyps V fühlen sich verpflichtet, diese selbst erfahrene Hilfe einzubringen und mit ihren Kompetenzen dazu beizutragen, anderen in ähnlichen oder deutlich schwierigeren Situationen zu helfen. Freiwilliges Engagement und das Leben in einer sozialen Gesellschaft und „nicht so eine Gesellschaft, wo nur Ellbogen ist“ (# Interview 14: 00:07:31-2#) hat eine zentrale Bedeutung für den Engagementtyp V. Dies wollen sie auch ihren Kindern vermitteln, so dass das Motiv „den eigenen Kindern Vorbild sein“ mehrfach genannt wird. Helfen ist zentral, wobei es nur bei einer Interviewpartnerin (19) religiös begründet ist. 6.2.6 Zwischenergebnis Engagementtypen Die Einteilung von 28 Individuen in fünf Engagementtypen stellt eine Reduktion der Wirklichkeit dar und kann nur holzschnittartig erfolgen. Ziel der Typenbildung ist eine maximale Homogenität nach innen und eine maximale Heterogenität nach
276 6 Ergebnisse außen. Individuelle Komponenten, „Grautöne“ und Veränderungen im biografischen Lebenslauf können in einem statischen Typenmodell nicht abgebildet werden. Dementsprechend muss zum besseren Verständnis zwingend die jeweilige Biografie mit berücksichtigt werden. Dennoch liefern die Engagementtypen wichtige Hinweise zum Zusammenhang von Engagement und Lebenslage (insbesondere der beruflichen Partizipation) und bieten darüber hinaus eine Andockstelle für die gezielte Engagementförderung einzelner Gruppierungen (vgl. Kapitel 8.2.3). Folgende Zwischenergebnisse können festgehalten werden:            Von einer Herkunftskultur kann nicht auf einen Engagementtyp geschlossen werden. Von einem Engagementtyp kann nicht auf eine Herkunftskultur geschlossen werden. Es gibt allerdings herkunftsbezogene Häufungen je nach Engagementtyp. So finden sich im Engagementtyp I ausschließlich Engagierte mit türkischen Wurzeln und im Engagementtyp III Menschen aus Nicht-EU-Ländern. Häufungen gibt es auch bezüglich des Migrationsgrunds. Menschen mit dem Migrationsgrund Studium/Beruf sind überrepräsentiert im Engagementtyp V, Menschen mit Fluchterfahrung im Engagementtyp III. Wenige Zusammenhänge gibt es zwischen der Verweildauer in Deutschland und der Zugehörigkeit zu einem Engagementtyp. Entscheidender als die Zugehörigkeit zur ersten oder zweiten Generation ist die soziale Lage. Wobei die soziale Lage wiederum beeinflusst ist von nicht anerkannten Bildungsabschlüssen in der ersten Zuwanderungsgeneration, sodass im Engagementtyp III nur Engagierte der ersten Generation vertreten sind. Von der Bildung kann nicht auf den Engagementtyp geschlossen werden. Entscheidender für den Engagementtyp ist weniger die Bildung als die soziale Lage und insbesondere die beruflichen Partizipationschancen. Hoch gebildete Engagierte finden sich sowohl im Engagementtyp III als auch im Engagementtyp V, unterschieden je nach sozialer Lage und Partizipationschancen. Erfahrene oder subjektiv empfundene Diskriminierungen beeinflussen die Zugehörigkeit zu einem Engagementtyp begrenzt. Das Interesse an integrativen Motiven für die eigene Ethnie hängt teilweise von eigenen Diskriminierungserfahrungen ab. Je nach Bildungsstand ist eine stärkere Orientierung gegenüber der eigenen Ethnie (Typ I) oder eine multinationale Ausrichtung (Typ V) vorhanden.
6.2 Engagementtypen           277 Anerkennung als Engagementgrund hat einen vergleichsweise geringen Stellenwert140. Im Engagementtyp III, in dem das freiwillige Engagement Arbeitsersatz ist, wird es überhaupt nicht thematisiert. Auch wenn von freiwilligem Engagement gesprochen wird, gibt es Engagierte, die ihre Tätigkeit als „Arbeit“ bezeichnen und das Engagement zugunsten einer besser bezahlten Stelle außerhalb des freiwilligen Engagements sofort aufgeben würden (Typ III). Das monetarisierte Ehrenamt wird unterschiedlich gewertet. Für den Engagementtyp IV und V hat eine Aufwandsentschädigung keine Bedeutung, für den Engagementtyp I und II ist sie eine willkommene Aufbesserung der Haushaltskasse, für den Engagementtyp III ist sie der zentrale Engagementgrund. Ohne Aufwandsentschädigung würde sich diese Gruppe nicht engagieren. Hedonistische und ichbezogene Motive als Hauptmotivation sind auch im freiwilligen Engagement ein Luxus, den sich nur Engagierte in einer gesicherten Situation leisten können (Typ IV und V). Dennoch werden (in unterschiedlich quantitativem Maße) hedonistische und ichbezogene Motive in allen Engagementtypen genannt. Die Freude an genau dieser Art von Tätigkeit legt sich quasi wie eine Folie über alle anderen Motive. Das Interesse an multinationalen Kontakten ist von einer hohen Bildung, einer hohen sozialen Lage sowie von einer gemeinwohlorientierten Lebenseinstellung abhängig. Freiwilliges Engagement als Familienersatz ist unabhängig von sozialer Lage, Bildung und Milieu. Es kann in allen Engagementgruppen ein Motiv darstellen. Freiwilliges Engagement als Arbeitsersatz spielt nur in den prekären Engagementgruppen eine Rolle. Für die Engagementgruppe IV und V hat dieses Motiv keinerlei Bedeutung. Freiwilliges Engagement zur Kompetenzentwicklung wird umso stärker genutzt, je niedriger die formale Bildung ist. Keine Erkenntnisse gibt es dazu, warum einige Engagierte in prekären Lebenssituationen das Engagement zum Kompetenzerwerb und eigenen beruflichen Weiterkommen nutzen (II) und andere nicht (I). Zu vermuten ist der unterschiedliche Grad an Gemeinwohlorientierung (teilweise religiös be- 140 Hier ist allerdings auch eine erhebungstechnische Verzerrung möglich. Es ist zu vermuten, dass in der Befragung ungern zugegeben wird, dass Anerkennung, Lob und Bestätigung eine wichtige Bedeutung für das Engagement hat.
278        6 Ergebnisse gründet) oder eine kollektivistische bzw. individualistische Prägung der Engagierten, die mal mehr das Gemeinwohl oder mal mehr das eigene berufliche Weiterkommen in den Vordergrund stellt. Das migrationsspezifische Motiv des Spracherwerbs wird unabhängig von der Verweildauer in Deutschland genutzt. Entscheidend für dieses Motiv sind vorhandene oder nicht-vorhandene Kontakte zur Mehrheitsbevölkerung und der Grad der Einbindung in interkulturelle soziale Bezüge. Das Motiv „Kontakt zu Deutschen“ ist, wie der Spracherwerb auch, vom Grad der Einbindung in die Mehrheitsgesellschaft abhängig. Der Wunsch des „Dazugehörens“ ist stark von doppelten Diskriminierungserfahrungen sowohl im Herkunfts- als auch im Aufnahmeland geprägt. Das Motiv „die eigene Kultur weitergeben“ ist in einer aufnahmelandbezogenen Vereinigung erwartungsgemäß schwach vertreten, wird aber unabhängig von Bildung, sozialer Lage und Milieu genannt. Je stärker das freiwillige Engagement Arbeitsersatz ist oder zur Kompetenzentwicklung genutzt wird, umso schwächer sind altruistische Motive ausgeprägt. Je höher die Bildung ist und je multinationaler die eigene Lebensweise, umso mehr wird das eigene Engagement als Teil einer globalen Solidargemeinschaft gewertet. Je stärker die eigenen Kompetenzen gesellschaftlich und beruflich anerkannt und finanziell entlohnt werden, umso eher werden diese bewusst für das Gemeinwohl eingebracht. Anknüpfungspunkte bieten die fünf Engagementtypen auch hinsichtlich der Sinus-Migrant_innenmilieus: Milieu-Studie und Engagementtyp I – die Solidarisch-Prekären: Der Engagementtyp I ist tendenziell141 im traditionellen Segment der Sinus-Milieus 2016-2018 verhaftet und dort insbesondere im traditionsverwurzelten Milieu. Zentrale Gemeinsamkeiten zwischen den Charakterisierungen des Engagementtyps I und des traditionsverwurzelten Milieus sind „vormoderne, patriarchalische Wertvorstellungen“ (vhw 2017: 2). Die männliche Dominanz bzw. die traditionelle Autorität der Schwiegermutter zeigt sich in mehreren Interviewpassagen bei den Interviewpartnerinnen 8 und 9: 141 Im Folgenden wird von einer tendenziellen Zuordnung gesprochen, da die Typenbildung der Engagementtypen nach anderen Kriterien erfolgte als die Kategorisierung der Milieus von Sinus Sociovision.
6.2 Engagementtypen 279 Braucht nicht meine Schwiegermutter, braucht nicht mein Mann, kann allein selber eine selbständige Frau. Das ist sehr wichtig. Das man hier gelernt. # Interview 8: 00:25:45-8# Aber das finde ich gut, weil manche ist es so, manche Männer ist so, die machen kein Ehrenamt, die lassen auch die Frauen kein Ehrenamt machen. Bei mir ist es so, ich darf machen, was ich will. Das ist bei mir GROSSE Vorteil. (…) # Interview 9: 00:35:05-0# Das Vorhandensein von überkommenen Traditionen sowie „eine strikte Moral mit klaren Geboten und Verboten“ (vhw 2017:2) wird in den Interviews ebenfalls deutlich: Weil bei uns, bei der deutschen Baby-Café war es so, dass die alle Fenster offen sind, dass die Mamas vielleicht ziehen aus zum Stillen und so offen macht und das ist dann nichts. Für manche ist es dann so egal. Aber für uns war das so, Frauen sollen sich bisschen schön hinsetzen, immer die Beine zu machen und so. Wenn da aber ein Mann ist, die fühlen sich nicht geschützt, nicht so wohl. # Interview 9: 00:06:41-5# Von zentraler Bedeutung im traditionsverwurzelten Milieu sind religiöse Grundsätze. Alle fünf Vertreterinnen des Typs I sind muslimischen Glaubens, wovon drei sich als gläubig bezeichnen. Interviewpartnerin 9 benennt das Ehrenamt und das Helfen auch als muslimische Vorschrift, die sie zu befolgen habe: Gehört zu, wie ich gesagt hab, Gebete, gehört zu Gebete, dass man die Leute ohne Zuschuss zu machen, zwischen den Menschen helfen zu können. Wenn sie Hilfe gebieten haben, noch mehr helfen. Was mir machen, ist es dann hingehen und helfen. Aber wenn sie zu uns kommen zu helfen, dann musst du zweimal gehen und noch mal es zweimal helfen. # Interview 9: 00:40:09-3# Unabhängig von der Staatsangehörigkeit fühlen sich Traditionsverwurzelte stärker zur Herkunftskultur zugehörig. Deutsch wird teilweise flüssig gesprochen, wird aber dennoch als Fremdsprache empfunden. Die Medien des Herkunftslandes werden bevorzugt genutzt. Interviewpartnerin 9 betont an zwei Interviewstellen den Besuch des türkischen Konsuls in ihrem ehrenamtlichen Projekt des türkischen Baby-Cafés. Der Bezug zum Herkunftsland und zu dessen Vertreter_innen ist von großer Bedeutung: Oder wir haben eingeladen auch den Herrn, den Konsulat, wir haben auch gesagt, die Zusammenarbeit wie wichtig das ist. Dass man Türkische und Deutsche, weil sie sind seit 50 Jahren hier. # Interview 9: 00:23:30-4#
280 6 Ergebnisse Auffallend ist die im Engagementtyp vorherrschende Thematisierung von Alltagsdiskriminierungen sowie institutioneller Diskriminierung. „Typisch ist ein generalisiertes Bewusstsein von Diskriminierung“ (vhw 2017: 3), so die Sinus-Studie über das traditionsverwurzelte Milieu. Häufig werde von Ausgrenzungen und fehlender Wertschätzung berichtet (ebd.). Sehr dominant ist das Thema der Diskriminierung bei Interviewpartnerin 2, die von „(Vor-) Verurteilungen“ aufgrund des Migrationshintergrundes spricht: Es ist der Grund wegen Hintergrund Migration muss sein. Das ist eine Opfer, sagen wir so. Da fängt die Verurteilung und auch diese Entscheidung. # Interview 2: 00:24:23-9# Die Sinus-Studie beschreibt das traditionsverwurzelte Milieu als sehr zurückgezogen und in der eigenen ethnischen Enklave verhaftet. Hinzu kommen Vorbehalte gegenüber einem westlichen Lebensstil. Ein „Aufstieg durch Einstieg in die hiesige Gesellschaft“ (vhw 2017: 3) werde abgelehnt. Diese Charakterisierungen treffen auf die fünf Vertreterinnen des Engagementtyps I nicht zu. Im Gegenteil, die befragten Frauen versuchen mithilfe des Engagements, die eigenethnische Segregation zu überwinden. Der Kontakt zu Deutschen und das Ausüben der deutschen Sprache sind zentrale Motive des Engagements. Meine Motive ist das einfach für die Menschen, wie kann ich erklären, damals für mich war ja toller Ort FZ (Name des Familienzentrums, Anmerke.) einfach, mich selber äußern und Sicherheit mir geben und gleichzeitig selbstbewusster werden und mehr Sprache ausüben und noch besser werden, diese Umgang mit Menschen, mit den Deutschen zusammen sein, nicht untereinander mit den Türkinnen, sondern mit den Deutschen zusammen sein, diese Mentalität von Deutschen und auch das viel aufnehmen auch gleichzeitig von meine Mentalität wieder weitergeben. Weißt, das ist das, die Motivation, einfach die Austausch für mich so wichtig gewesen. # Interview 2: 00:36:06-9# Zusammenfassend bestehen einige Parallelen zwischen dem traditionsverwurzelten Milieu der Sinus-Studien und dem hier generierten Engagementtyp I. Engagierte des Typs I entstammen tendenziell dem traditionsverwurzelten Milieu (Werteorientierung, Religiosität, generalisierte Diskriminierungserfahrung usw.), versuchen aber durch das freiwillige Engagement einen Zugang zur Aufnahmegesellschaft zu finden, den sie in anderen Lebensbereichen aufgrund von Beschäftigung im Niedriglohnsektor oder durch eine wohnräumliche Segregation nicht herstellen können. Im Engagement ist dieser Typ besonders empfänglich für persönliche Veränderungen wie das Entwickeln von Selbstbewusstsein und Toleranz gegenüber anderen Lebensentwürfen (vgl. Kapitel 6.3). Das heißt, für das
6.2 Engagementtypen 281 traditionsverwurzelte Milieu mit Werten der Pflichterfüllung und religiösen Vorstellungen der Unterstützung („Nächstenliebe“ o.Ä.), kann das bürgerschaftliche Engagement einen Zugang zur Mehrheitsgesellschaft schaffen, der evtl. durch andere Zugangswege nicht möglich ist. Das Bürgerschaftliche Engagement kann damit einen entscheidenden Beitrag zur emotionalen Inklusion und zum Eingebundensein in die Aufnahmegesellschaft leisten (vgl. Kapitel 7.3). Zu vermuten ist, dass das Engagement diesen Zugang insbesondere für traditionsverwurzelte Frauen liefern kann, da diese aufgrund traditioneller Rollenmodelle stärker von der Erwerbsarbeit ausgeschlossen sind, ihnen gleichzeitig aber die mütterliche Rolle der Unterstützung und des Ehrenamtes zugeschrieben wird. Milieu-Studie und Engagementtyp II – die Aufstiegsorientiert-Prekären Der Engagementtyp II ist weniger eindeutig einem Milieu zuzuordnen. Es bestehen aber Parallelen zum traditionellen Arbeitermilieu. Das traditionelle Arbeitermilieu entstammt der Gastarbeiter_innengeneration und lebt schon viele Jahre in Deutschland. Beim Engagementtyp II sind es hauptsächlich Angehörige der zweiten und nicht der ersten Generation der ehemaligen Gastarbeiter_innen (Interviewpartnerinnen 1, 13, 24), somit ist eine deckungsgleiche Charakterisierung zwischen traditionellem Arbeitermilieu und der zweiten Generation des Engagementtyps II nicht möglich. Überschneidungen gibt es aber im grundlegenden Lebensziel der „materiellen Sicherheit“ (vhw 2017: 3). Ziel sind ein sicherer Arbeitsplatz und die soziale Absicherung (ebd.). Also hier werden ja auch ganz viele Seminare oder Fortbildungen angeboten. Da kann man auch teilnehmen und das finde ich auch toll. Ja oder vielleicht kann man da, ich weiß es nicht, ich muss mich noch informieren, ganz ehrlich. Dass man hier noch lernen kann oder, oder machen kann. Für mich ist es auch ganz wichtig, wenn ich jetzt zum Beispiel eine Vollzeitstelle bekommen könnte. Das wär auch ganz toll. Ja, weil hier oben gibt´s einen Kindergarten, wo man eine Ausbildung machen könnte. Und es ist so viel in einem, das ist für mich ganz toll. # Interview 1: 00:04:53-7# Das traditionelle Arbeitermilieu lebt bescheiden und sparsam. Eigene Wünsche werden gegenüber dem familiären Wohlergehen hintenangestellt. Frauen sind oft einer Mehrfachbelastung ausgesetzt oder sehen für sich wenig „berufliche Perspektiven“ (ebd.) Und dann hab ich geheiratet und Kinder, ich musste Jahre meine kranke Mutter pflegen und als meine Mutter starb und die Kleine ist in den Kindergarten und nach zwei Tage hab ich nach etwas gesucht. Da war ich bei Jobcenter und hab ich die Dame gefragt: „Ich habe vor zehn Jahren eine Kindergarten gearbeitet und ich möchte gerne
282 6 Ergebnisse das wieder tun". Und sie sagte: „Ja ist okay, ist in Ordnung, aber das ist Ein-EuroJob." (…) # Interview 19: 00:13:51-7# Typische Normen des traditionellen Arbeitermilieus sind „Pflichtbewusstsein, Disziplin, Fleiß, (…) Direktheit, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Respekt, Loyalität, Solidarität und Warmherzigkeit“ (vhw 2017: 3f). Traditionelle Arbeiter plädieren „für eine Anpassung an die Mehrheitskultur“, man dürfe nicht negativ auffallen, das soziale Miteinander unter Nachbarn ist wichtig. Von Abschottungstendenzen einzelner Gruppen distanzieren sie sich. In dieser Studie kritisiert Interviewpartnerin 11 die türkische Community in ihrem Wohnviertel, die „unter sich bleiben“: Aber ich hier, mit den Leuten, ich finde, das ist meine Wirtschaft, die sind immer schüchtern, die wollen keinen Kontakt. Es ist ihr genug, dass ist ihre Wirtschaft, die machen viel unter sich. Ich brauche nicht, das war der Grund, dass wir kein Frauen oder kaum Frauen beim arabisch-türkisches Baby-Café gehabt. Weil für sie ist es nicht nötig. So viele kennen, die frühstücken immer zusammen, die gehen immer, die machen viel unter sich. Die gehen draußen, die gehen grillen zusammen, spazieren zusammen, die zum Beispiel im Sommer sitzen jeden Tag, jeden Nachmittag sitzen im Spielplatz, die bringen ihr Kaffee, Getränke, ihre knackige Brote und so und sitzen mit ihren Kindern. Und das ist für ihr. Am meisten von denen sprechen kaum oder wenig Deutsch. # Interview 19: 00:11:19-3# Zwar sind die Deutschkenntnisse von Angehörigen der ersten Generation oft schlecht und Deutsch wird lediglich bei der Arbeit gesprochen, man weiß aber um die Wichtigkeit der Sprachkenntnisse und arbeitet daran (vhw 2017: 4): Ich war von Anfang an, hatte ich viele deutsche Freunde. Als ich nach Deutschland kam, hab ich viele deutsche Leute, die arabisch lernen. Und wir haben so ausgemacht, dass ich helfe beim arabische Sprache und die helfen mir bei deutsche Sprache. (…) # Interview 19: 00:13:51-7# Deutschland wird als „sicheres und stabiles Land“ (ebd.) geschätzt. Gleichzeitig werden die Herkunftswurzeln nicht geleugnet. Zusammenfassend entstammen die Engagierten des Typs II dem traditionellen Arbeitermilieu, wurden in ihm sozialisiert und haben typische Normen verinnerlicht. Dennoch sind sie aufgrund ihrer fehlenden Berufstätigkeit nicht vollständig in diesem sich über die Arbeit identifizierenden Milieu verhaftet. Der Engagementtyp II strebt mithilfe des bürgerschaftlichen Engagements den Einstieg in das pädagogische Arbeitsfeld (und damit nicht in einem klassischen Gast-
6.2 Engagementtypen 283 arbeiter_innenberuf) an. Die Engagierten arbeiten somit an einem Aufstieg (beispielsweise Interviewpartnerin 24 durch eine Ausbildung als Erzieherin anstelle der bisherigen Tätigkeit als Putzhilfe) aus dem traditionellen Arbeitermilieu, bleiben gleichzeitig aber in ihrer Denkweise (Arbeitsethos, Zuverlässigkeit, Fleiß, Disziplin…) dem Milieu verhaftet. Milieu-Studie und Engagementtyp III- die Unfreiwillig-Freiwilligen Der Engagementtyp III ist tendenziell im prekären Milieu verhaftet. Die SinusMilieu-Studie kennzeichnet dieses Milieu als „die um Orientierung und Teilhabe bemühte Unterschicht mit starken Zukunftsängsten, Ressentiments und fatalistischer Lebenseinstellung“ (vhw 2017: 8). „Viele betrachten das Leben als – oft ungerechten – Kampf“ (ebd.). Die empfundene Ungerechtigkeit zeigt sich bei allen fünf Vertreterinnen des Engagementtyps III in der Nicht-Anerkennung ihres ausländischen Berufsabschlusses. Bei allen Unfreiwillig-Freiwilligen war die Migration mit einem Statusverlust verbunden. Die Sinus-Studie erwähnt einen „nostalgischen“ Blick auf „bessere Zeiten“ (vhw 2017: 9) im Herkunftsland. Auch Interviewpartnerin 3 erwähnt die finanzielle Situation im Herkunfts- und im Aufnahmeland: Also ich, also bei mir meine Seite, ich bin sehr arm. Ich bin eine sehr arme Frau. Wenn ich in Pakistan gucke, meine ganze Familie, sie ist sehr reich und sie habe auch selbstständig und so und ja. Aber ich bin hier nicht, trotzdem ich wohne in Deutschland. Ich kann nicht eine Spülmaschine kaufen, nur weil meine Konto. Da ich nicht arbeite. # Interview 3: 00:09:06-3# Zentrales Merkmal dieses Milieus ist die fatalistische Grundhaltung, die sich auch bei Engagierten des Typs III zeigt: Aber ich warte einfach. Aber ich finde, also mich hier, unsicher. Ich habe meine Leben erlebt. Ich gucke an meine Kinder, dann ich bin ein bisschen froh. Dass sie haben eine gute Zukunft hier. Weil ich habe gar keine Zukunft. Gar keine. Null. # Interview 3: 00:06:44-6# Eine besonders „resignative Grundhaltung“ (vhw 2017: 9) zeigen die Interviewpartnerinnen 3, 27 und 28. Hoffnungsvoller sind die Interviewpartnerinnen 5 und 25, wenngleich auch fatalistisch „Gottes Hilfe“ erbeten wird: Ich werde nächstes Jahr, wenn Gott will, eine Platz, ja, finden. Ich kann schon Ausbildung machen, neue Ausbildung machen. Hoffentlich Gott hilft mir. Ich hab alle Papiere hier mitgebracht. Alle. Also ich glaub, schon wegen meine Sprache oder wegen hab ich nichts hier in Deutschland also gelernt, deswegen. Ich weiß es nicht. # Interview 25: 00:20:57-0#
284 6 Ergebnisse Das Milieu ist geprägt von einer geringen sozialen Einbindung. Es gibt kaum Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft. Von den Engagierten des Typs III wird zwar grundsätzlich die tolerante Einstellung am Engagementort wertgeschätzt, es findet aber keine gezielte Kontaktaufnahme statt wie beispielsweise bei den Engagierten des Typs I. Laut Sinus-Studie besteht in diesem Milieu ein erhöhtes Risiko für einen „Teufelskreis von Ausgrenzung und Selbst-Abgrenzung“ (vhw 2017: 10). Mehrere Charakteristika des prekären Milieus treffen auf die Engagierte des Typs III nicht zu, wie beispielsweise eine geringe Bildungsaspiration, eine Anfälligkeit für rechtspopulistische Ressentiments, das Erkaufen von sozialer Teilhabe durch materielle Statusobjekte sowie ein Abgleiten in die Kriminalität (von vornehmlich jungen Männern). Ein Unterschied zwischen dem prekären Milieu und dem Engagementtyp III könnte der erlebte Statusverlust sein. Frauen des Typs III waren in ihren Herkunftsländern die „bürgerliche Mitte“ bzw. die intellektuellen Leistungsträgerinnen. Bildung hat für diese Engagierten von jeher einen hohen Stellenwert. Auch wenn sie nicht am Arbeitsleben partizipieren können, haben sie für ihre Kinder eine hohe Bildungsaspiration. Als ehemalige Bildungselite sind sie auch nicht anfällig für einfache Wahrheiten und Rechtspopulismus gegenüber neu ankommenden Menschen mit Fluchterfahrung. Zusammenfassend wird der Engagementtyp III nicht vollständig in den Sinus-Migrantenmilieus abgebildet. Vermutlich ist die Kombination „Ehemalige Bildungselite – Statusverlust durch Migration – Prekäres Milieu“ bislang zahlenmäßig zu gering. Evtl. profitieren diese Engagierten auch nicht mehr von Maßnahmen einer „nachholenden Integration“, wonach für neu ankommende Fachkräfte aktuell verstärkt bildungsadäquate Formate entwickelt werden. Sollten diese arbeitsmarktpolitischen Inklusionsstrategien allerdings nicht greifen, wäre hypothetisch die Zunahme und damit einhergehend die Ausdifferenzierung des bisherigen prekären Milieus aufgrund der Zunahme von hochgebildeten Menschen mit Fluchtmigration und damit eine weitere Veränderung in der Milieu-Landschaft denkbar. Milieu-Studie und Engagementtyp IV – die postintegrierte Mitte Der Engagementtyp IV ist tendenziell im Milieu der bürgerlichen Mitte verhaftet. Das Milieu strebt nach einer „Normalbiografie möglichst ohne Brüche und Überraschungen“ (vhw 2017: 6). „Stabilität, Planbarkeit, Ordnung, Berechenbarkeit, materielle Sicherheit und Lebensqualität“ (ebd.) haben einen hohen Stellenwert. Zentrales Kennzeichen ist ein „bi-kulturelles Verständnis“ (vhw 2017: 6). Die Engagierten des Typs IV sprechen teilweise in der Herkunftssprache, zeichnen sich aber auch durch sehr gute Deutschkenntnisse aus. Deutsch wird als Zweitund nicht als Fremdsprache betrachtet. Engagierte des Typs IV sehen sich wie das
6.2 Engagementtypen 285 Milieu der bürgerlichen Mitte als „selbstverständlichen Teil der Mitte der Gesellschaft“ (ebd.). Themen der Migration und Inklusion haben für sie keine Relevanz, so werden migrationsspezifische Engagementmotive in der Studie nicht benannt. Engagierte des Typs IV haben eine zufriedenstellende soziale Lage, was sich auch in der Quantität der hedonistischen/ichbezogenen Engagementmotive zeigt. Milieu-Studie und Engagementtyp V – die Idealistisch-Kosmopolitischen Der Engagementtyp V ist deckungsgleich mit dem intellektuell-kosmopolitischen Milieu der Sinus-Studie. Es handelt sich bei diesem Milieu um eine „aufgeklärte Bildungselite mit liberaler und postmaterieller Grundhaltung sowie vielfältigen intellektuellen Interessen“ (vhw 2017: 12). Zentrales Merkmal laut Sinus-Studie ist der „selbstverständliche und gewollte Umgang mit Vielfalt“ (ebd.). Interkulturelle Begegnungen im Engagement haben für den Engagementtyp V eine große Bedeutung: Zum Beispiel heute hab ich gedacht, oh, das ist echt fantastisch, dass ich Zugang zu diese Menschen habe, weil es ist so, ich berichte davon in Facebook, aber nur so Text bisschen. Und das hilft so dermaßen, den Leuten zu verstehen, was so Asylanten sind oder Migranten sind und was sie machen. Und, ja, was wir so alles anders machen können. Ah, zum Beispiel, das mit der Gruppe so hier, ich denke mir, auf einmal hat man so viele Länder da und so viele Frauen und die kennen sie sich und da haben sie gekocht und so. (…) # Interview 14: 00:13:30-4# Typische Werte sind Weltoffenheit und Toleranz: Das ist ein international Haus. Wir machen das gerne mit den Leuten. Sehr wichtig, weil ich war auch internationaler Mensch. Ich bin noch internationaler Mensch (lacht). Aber viele Leute aus Mexiko, aus Kuba, aus Russia, das sind hier in Deutschland fast gleiche Leute. Und ich fragen niemanden: „Woher kommst du?" Weil das ist für mich nicht wichtig. Für mich ist wichtig, dass kann ich verstanden, was die Leute sagen, und anders gar nicht. Ich wollte auch nicht, wenn jemand fragt: „Woher kommst du?" Das ist gar nicht wichtig im Leben. In meinem Leben nicht. Aber in andere Menschen weiß ich nicht. # Interview 26: 00:11:59-7# Und dieses Gehören heißt, sich in eine Gesellschaft einmischen, sich die Hände schmutzig machen und die Leute anquatschen und da kennenlernen und das will ich auch für K (Name der Tochter, Anmerkung). Ich will nicht, dass sie so mir in die Wohnzimmer isoliert wächst. Ich will, dass sie die Leute kennt und die andere Kultur, andere Menschen und dass sie offen bleibt und so. Das ist auch sehr wichtig, dieses Gehören. # Interview 14: 00:13:30-4#
286 6 Ergebnisse Altruismus hat Vorrang vor Statusdenken. So werden vom Engagementtyp V auffallend häufig altruistische Motive genannt. Trotz hoher Bildung ist das Einkommen nicht unbedingt hoch, da die individuelle Selbstverwirklichung und Kreativität einen noch höheren Stellenwert einnimmt und sich Engagierte des Typs V zugunsten einer Promotion, der grafischen Aufbereitung eines Kinderbuches oder als selbstständige Künstlerin gegen materiellen Wohlstand beispielsweise als Festangestellte entscheiden. Laut Sinus-Studie ist der Beruf „meist auch Berufung“ (ebd.) Das intellektuell-kosmopolitische Milieu sucht vielfältige Herausforderungen und findet diese auch im Engagement. Viele sind zusätzlich zum Engagement im Mütter- und Familienzentrum auch in anderen Organisationen tätig: Aber ich bin ja nicht nur hier tätig. Ich helfe bei der oder hab bis jetzt bei der Kommunionsvorbereitung geholfen eben mit der Dame zusammen. Mache wohl freitags diese Flüchtlingsbetreuung, Betreuung der Flüchtlingskinder oder Hausaufgabenbetreuung und noch andere Sachen. # Interview 19: 00:15:41-9# Angehörige des Milieus gelten als kritisch, was sich auch bei den Engagementtypen durch eine aktive und solidarische Grundhaltung zeigt. Sie sehen es als ihre Aufgabe an, gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen und sich einzumischen: Ich denke, ich war immer ein politischer Mensch beziehungsweise ja, mir hat das immer so das Ungleichheit irgendwie so nicht gepasst. Ja und ja und für mich ist es auch so wichtig, dass man irgendwie immer ein Auge betrachtet, ja, wie die Ungleichheiten liegen und immer so immer wieder so, wie die Schwachen verstärken, die ich stärker Wissen ansprechen und bisschen so gerechter so zu machen. # Interview 14: 00:27:18-5# Engagierte des Typs V leben, wie in der Sinus-Studie beschrieben, ein „flexibles, multikulturelles Selbstverständnis“ (vhw 2017: 12). Es wird zwischen den Sprachen gewechselt, es werden internationale Beziehungen gelebt, bis auf eine Vertreterin des Typs V leben alle in interethnischen Partnerschaften, die Kinder werden zweisprachig erzogen. Der Spracherwerb hat eine große Bedeutung. Angehörige des idealistisch-kosmopolitischen Milieus sind der Auffassung, dass eine gelungene Integration nicht zwangsläufig mit der Aufgabe der Herkunftskultur einhergehe. Dies wird von Interviewpartnerin 14 bestätigt: Wir müssen wirklich, Integration heißt nicht Verschwinden oder Auffressen. Es ist multikulturell Respekt und weil und ich denke, das ist hier ein Punkt, wo so was passiert. Und das ist mir auch sehr wichtig. # Interview 14: 00:22:06-8#
6.2 Engagementtypen 287 Aber auch in diesem Milieu wird von Diskriminierungserfahrungen berichtet, was insbesondere von den Interviewpartnerinnen 4 und 7 des Typs V bestätigt wird. Zusammenfassend treffen die in der Sinus-Studie benannten Charakteristika vollständig auf den Engagementtyp V zu. Die Intellektuell-Kosmopoliten werden als Gruppe beschrieben, von denen sich „nicht wenige (…) ehrenamtlich im sozialen Sektor etwa in der Flüchtlingshilfe“ (vhw 2017: 12) engagieren. Wenig verwunderlich ist damit das Antreffen von Vertreterinnen dieses Milieus im sozialen Engagement. Überraschender ist allerdings die vollständige Deckungsgleichheit zwischen der Sinus-Milieu-Studie und dem Engagementtyp V. Nicht in dieser Studie angetroffen wurden Vertreterinnen folgender Milieus:    Das Milieu der Performer, die „zielstrebigen, international denkenden Zukunftsoptimisten mit Selbstbewusstsein und gehobenen Konsumansprüchen“ (vhw 2017: 13). Das Milieu der Konsum-Hedonisten, die „freizeitorientierte Unterschicht mit ausgeprägten markenbewussten Konsumwünschen“ (vhw 2017: 10). Das Milieu der Experimentalisten, die „spaß- und szeneorientierten Nonkonformisten mit Fokus auf dem Leben im Hier und Jetzt“ (vhw 2017: 10). Bereits in der ersten Erhebung der Sinus-Milieus, in der die Milieus der Experimentalisten und der Konsum-Hedonisten noch in einem Milieu zusammengefasst waren, wurden diese gemeinsam mit den Performern und den Traditionsverwurzelten als im Engagement „unterrepräsentiert“ bezeichnet. Überschneidungen zwischen einzelnen Engagierten und der Zugehörigkeit zum statusbewussten Milieu und zum adaptiv-pragmatischen Milieu sind teilweise vorhanden, aber nicht sehr stark ausgeprägt (vhw 2017: 5ff). Die Überschneidungen zwischen den Engagementtypen und den zehn Migrant_innenmilieus sind mal deckungsgleich (Typ V und das Milieu der Intellektuell-Kosmopoliten sowie Typ IV und das Milieu der bürgerlichen Mitte), mal weniger stark vorhanden (Typ I, II, III). Zentraler Unterschied bei den Engagementtypen ohne genauer Milieuentsprechung analog den Sinus-Milieus ist das Interesse am Verlassen der eigenen Milieugrenzen bei gleichzeitig eigenem proaktivem Beitrag. So sind die Solidarisch-Prekären (Typ I) zwar dem traditionsverwurzelten Milieu zugehörig, versuchen aber über das bürgerschaftliche Engagement den Rückzug in die eigenethnische Enklave zu verhindern und den Zugang zur Aufnahmegesellschaft zu erreichen. Die Aufstiegsorientiert-Prekären (Typ II) sind durch ihre Sozialisation in typischen Gastarbeiter_innenfamilien im traditionellen Arbeitermilieu verwurzelt, versuchen aber über das freiwillige Engagement den Aufstieg in „untypische Gastarbeiter_innenberufe“. Die Unfreiwillig-Freiwilligen
288 6 Ergebnisse (Typ III) sind aufgrund ihrer (Flucht-)Migration im prekären Milieu anzusiedeln, entstammen aber ursprünglich einem bürgerlichen Milieu in der Herkunftsgesellschaft und suchen im freiwilligen Engagement einen Ausstieg sowohl in finanzieller Hinsicht als auch durch eine Statuserhöhung. Das heißt, diese drei Gruppen eint, dass sie mithilfe des Engagements versuchen, die eigenen Milieugrenzen zu überwinden. Dies könnte auf eine bislang wenig beachtete Funktion freiwilligen Engagements hinweisen. 6.3 Veränderung durch freiwilliges Engagement 6.3 Veränderung durch freiwilliges Engagement Inwiefern trägt bürgerschaftliches Engagement zu einer persönlichen Veränderung bei? Um eine Antwort auf die Forschungsfrage FF11 zu bekommen, wurde den Interviewpartnerinnen die Frage gestellt, ob sie an sich persönliche Veränderungen durch das Engagement wahrgenommen haben und wenn ja, welche. Insgesamt vier verschiedene Veränderungen wurden von den Gesprächspartnerinnen wahrgenommen bzw. werden ihnen vom Umfeld zurückgespiegelt. Abbildung 32: Veränderung durch Engagement Quelle: Eigene Darstellung
6.3 Veränderung durch freiwilliges Engagement 289 6.3.1 Zufriedenheit Die Interviewpartnerinnen stellen an sich eine Zunahme an Zufriedenheit fest, es werden in den Interviews Adjektive wie „glücklich“ oder „satisfied“ genannt. Die „persönliche Zufriedenheit“ wurde von vielen Interviewpartnerinnen bereits als Engagementmotiv benannt. In der Frage nach der subjektiv wahrgenommenen persönlichen Veränderung wird dieser Begriff wieder erwähnt. Ja, ja. Also, I´m satisfied. Zufriedenheit. Anderen geholfen. Ich habe auch vielen anderen geholfen. # Interview 3: 00:15:28-4# Verändert nicht. Ich bin glücklicher geworden. Glücklich, weil endlich meine Energie dahin geht, wo´s nützlich ist, ja, und es macht Spaß und ich bin glücklicher geworden. # Interview 1: 00:14:43-4# Damit trifft das vom Engagement erhoffte Motiv der „persönlichen Zufriedenheit“ tatsächlich bei einigen Interviewpartnerinnen ein. 6.3.2 Selbstbewusstsein „Ich bin selbstbewusster geworden“ ist eine Aussage, die 10 Interviewpartnerinnen und damit mehr als ein Drittel aller Befragten über ihr freiwilliges Engagement sagen. Einige Interviewpartnerinnen sagen von sich, dass sie vor dem freiwilligen Engagement sehr schüchtern waren und sich nicht trauten, andere anzusprechen oder gar vor einer Menschengruppe zu reden. Im Engagement sind sie gezwungen, etwas zu „erklären“, zu „zeigen“ oder vor der Jahreshauptversammlung „Zahlen (zu) bringen“: Durch das kann man viel lernen. Früher war ich sehr schüchtern, ich hab kein Wort rausgekriegt. # Interview 23: 00:10:50-2# Mit dem selbstbewusster werden. Ich weiß nicht, ob das vielleicht auch mit dem Alter also auch sonst gekommen wäre. Aber ich finde schon, dass ich, ich sag jetzt mal, erwachsener geworden bin oder selbstbewusster einfach vom Auftreten her. War ich früher nicht, ich war immer viel zu schüchtern und viel zu ruhig und das hat mir eigentlich schon geholfen, ein bisschen aus mir rauszugehen, ein bisschen mich zu trauen, weil ich das ja musste, weil ich ja dann mit den Leuten mehr reden musste und ihnen auch was erklären musste und zeigen musste. (..) Doch eigentlich ja, so gesehen, hat´s mir schon was gebracht. # Interview 22: 00:08:47-1#
290 6 Ergebnisse Ich hab mich mal früher nicht getraut, andere Leute anzusprechen. Also für mich ist es jetzt so „wow“. Irgendwie eine 180 Grad, also, gell wie wir uns so kennengelernt haben, die Tage, kannst du dir bei mir gar nicht vorstellen, aber ich war so, ich war sehr schüchtern. # Interview 6: 00:18:43-1# Im ehrenamtlichen Engagement gibt es die Möglichkeit im geschützten Rahmen, sich zu „äußern“, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein zu bekommen, so Interviewpartnerin 2: Man muss sich selber äußern. Sich vertrauen, sich trauen, auch bewusster zu sein. Und dann lernst du so viel. Ich hab so viel gelernt, (…) # Interview 2: 01:08:39-3# Durch das freiwillige Engagement aktiv am öffentlichen Leben teilzunehmen, ist ein neuer Schritt, der Interviewpartnerin 11 stolz und selbstbewusst macht: Dass ich stolz bin, dass mich mehr vertrauen kann. Zum Beispiel, ich war nie alleine. Ich bin nie alleine gefahren zum Beispiel. Und mit wenn ich diese Fortbildung mache, am Anfang muss ich allein mit dem Zug fahren. Erste Mal, dass es die FZL (Leiterin des Familienzentrums, Anmerkung) gefragt hat, sagt ich: „Ich allein? Da werde ich meinen ältesten Sohn mitnehmen." Er kann den Weg und so. Sie sagte: „Ja, schau dir, was dir passt." Dann nach drei Tage bin ich zu ihr gegangen und habe gesagt: „E (Name der Engagierten, Anmerkung), ich werde das machen." „Bist du sicher?" „Ja, ich bin sicher. Ich will das machen." Und bin ich nach Ettlingen mit dem Zug ganz allein gefahren. # Interview 11: 00:20:15-8# 6.3.3 Toleranz Acht Interviewpartnerinnen geben an, durch das bürgerschaftliche Engagement toleranter gegenüber Menschen mit einer anderen Lebenseinstellung geworden zu sein. Das Kennenlernen von Menschen unterschiedlichen Alters, Bildungsstands, Milieus und unterschiedlicher Herkunftskultur trägt zu einer toleranteren Einstellung bei, so die Interviewpartnerinnen: Es ist auch schön, viele Leute kennenzulernen, wirklich auch unterschiedliche Leute, mit denen ich wirklich vielleicht sonst nie in Kontakt gekommen wäre. Ich habe auch gelernt, dass man der erste Eindruck oft täuscht, grad bei manchen hätt ich gedacht: „Hm, hm, komische Leute." Und die haben sich dann als SEHR nett und herzlich und supertolle Menschen herausgestellt. Und aber auch andersrum. Wenn ich am Angang dachte: „Ja, wir schwimmen so auf der gleichen Wellenlänge, aber hm, hm." Der erste Eindruck kann täuschen, das hab ich dann auch dazugelernt. Dass es sich lohnt, auch mal zwei-, dreimal hinzuschauen oder auch mal mehr als zwei, drei Sätze mit jemandem zu reden. # Interview 22: 00:12:59-2#
6.3 Veränderung durch freiwilliges Engagement 291 Ähnlich drückt sich auch Interviewpartnerin 14 aus. Zwar können keine Kompetenzen erlernt werden, die für eine Bewerbung eingesetzt werden oder für die es ein offizielles Zertifikat gibt, ihrer Meinung nach hat sie aber gelernt, weniger schnell zu beurteilen und mehr Verständnis aufzubringen: Also nicht so von wegen, dass ich in einem Civic-Blatt einbringen würde, aber einfach so, ich denke so, diese ein bisschen mehr so zu hören und nicht sofort so beurteilen oder so was und ja einfach mehr Verständnis haben für andere Menschen, würde ich sagen. Aber das sind so sehr spezielle Kompetenzen. # Interview 14: 00:31:55-3# Toleranz gegenüber anderen Herkunftskulturen hat Interviewpartnerin 9 gelernt. Durch interkulturelle Kontakte hat sie ihre Normalitätsvorstellungen hinterfragt und verändert: Und hier hab ich dann, wie hab ich mich geändert? Ich war schon immer offen gewesen, aber hier ist vielleicht noch offener. (…) Und weil ich hab bei uns ist es so, bei manchen Sachen, mit den Familien und so, hast du so Papa, Mama Türke, Kinder und so. Du hast dann so eine gewisse Familie im Kopf. Und wenn du hier reinkommst, eine Türke heiratet mit Brasilianer, eine Türke heiratet mit den Deutsche oder mit den Italiener und so, so, so, so viele. Und du siehst das. Dass das, was du in deinen Kopf hast, eigentlich nicht so ist. Das ist multikulturelle Kontakte ist. Und dann bist du mit deinen Gedenken anders, guckst du anders. Meine Sohn hat mich gefragt gehabt: „Mama, darf ich mit den Deutsche heiraten?" Früher hab ich gesagt: „Nein, du darfst nicht mit dem Deutsche heiraten." Und hat sie gesagt: „Halt Deutsche heiraten" (lacht). Und das war. Und jetzt denk ich, ich hab dann, meine Freundinnen haben auch gemerkt, ich bin dann ganz offen jetzt hier. Und meine Freundin ihre Tochter ist mit einem Deutschen weggegangen, die wollten heimlich heiraten so und meine Freundin hat sich kaputt gemacht, sie hat gesagt: „Sie ist für mich gestorben." Ich war ganz cool: „Sie sind hier geboren, in die gleiche Schule gegangen, sie sind ein Teil von dem Dings, Kultur." Ich hab gesagt: „Das ist Liebe, da kannst du nicht sagen, da lieb ich, da lieb ich. Liebe ist was anders." Da hat sie gesagt: „Du bist GANZ ANDERS geworden." Ich hab mich viel, viel verändert. „Also so muss man nicht denken", sagt sie. Und beim türkischen Dings, wie heißt das, türkische Gewohnheiten, Mentalität, so was gibt´s nicht und so. Hab ich gesagt: „Warum nicht?" „Das ist nicht zu fassen." Ich hab gesagt: „Warum nicht?" Ich hab gesagt: „Du musst mit deine Kind. Das Kind ist dein Kind, egal was ist. Wenn du einmal Mama bist, dann bist du immer Mama.“ Und diese Sache hat mich verändert. Vielleicht früher hab ich dann bisschen so geguckt, jetzt so (verzieht das Gesicht). # Interview 9: 00:21:24-3# Interviewpartnerin 9 berichtet sehr anschaulich von der Veränderung ihrer bisherigen Denkmuster. Insbesondere die Begegnung mit anderen Familienmodellen und interethnischen Partnerschaften hat bei ihr eine Weiterentwicklung in Gang gesetzt, was allerdings teilweise von ihrem Umfeld kritisch beäugt wird.
292 6 Ergebnisse 6.3.4 Entwicklung von politischem und gesellschaftlichem Interesse Fünf Interviewpartnerinnen sind durch ihr freiwilliges Engagement interessierter am politischen und gesellschaftlichen Leben geworden. Ich bin hier politischer geworden. Also früher hab ich mich nicht SO, muss ich sagen, das war für mich: „Ja, okay" (spricht mit gedehnter Stimme). Hab ich gerne, manchmal so – (unv.) gehören oder so aber. Aber so richtig politisch bin ich erst geworden seit 2014. Also seit ich gemerkt mache, ohne Politik läuft nicht. In FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung). Also wir, also wir gehen bei Frühlingsanfang von SPD, von Grünen, von CDU. Und früher war FZ schon bei den Politiker hier von der Stadtteil: Ja, FZ existiert. Aber man hat keine Gesichter gesehen und die interessieren sich nicht. Das ist jetzt anders. Die wissen halt, wir interessieren uns. Und wir beobachten auch, was die machen halt. Und wir kritisieren auch sehr viel, was die nicht gut machen. Der Auslöser war, dass wir halt ohne politische Einfluss fast das FZ nicht existiert, sagen wir so, oder diese Stelle nicht gekriegt hat. Das merkt man halt, dass Politik, ja, man MUSS sich arrangieren, man MUSS da sein. Sonst kriegt man gar nichts. Wo ich denn angefangen, ich bin in den Arbeitskreis gegangen. Kein Mensch hat mich gekannt. Also du gehst da als fremd. Siehst da, das ist Bezirksamt, sind jetzt viele da. Und du kommst da sein. Alle haben sich gekannt. Ich nicht. So. Und da hab ich da gemerkt: „Ah ha!" Sind alle politisch orientiert. (...) Das muss ich auch machen. Und DA hab ich dann gesagt: „Wir müssen uns mehr politisch engagieren. Sonst kriegen wir nichts. Sonst werden wir eine NIE hier. Dann sind wir in dem Stadtteil, aber kein Mensch kennt uns. Und das wollen nicht.“ Wir möchten die Leute von der Stadtteil auch, dass die uns kennen und dass die wissen, was wir anbieten. Und wir müssen auch mit diese Stadtteil groß werden (...). # Interview 12: 00:26:35-7# Ja. Schon. Sehr politisch und ich denk auch viel politisch jetzt. Weil wenn du so viele, wir haben auch türkische Abgeordnete hier auch eingeladen, die Muhterem Aras. (…) Und dass jemand uns auch sieht, was wir hier machen. Sie ist von Grünen und dass uns jemand unterstützt. Weil diese Einrichtungen finde ich sehr, sehr –. Weil hier muss man kein Geld zahlen, weil Pekip (Angebot der Familienbildung, Anmerkung) und so muss man Geld zahlen. Oder da musst du teilnehmen oder du musst dann –. Aber hier ein offener Raum, dass jeder darf hinzukommen, muss man unterstützen von Stadt. Und das haben wir gelernt. Man muss mit den politischen Leute muss man zusammen arbeiten. # Interview 9: 00:23:30-4# Ein vermehrtes Interesse an gesellschaftlichen Themen haben die Interviewpartnerinnen 6 und 4: Und Neugier. Ja, ich interessier mich jetzt für viel mehr für diese Themen. Was, also, für Angebote für Mütter und Kinder oder also all diese Angebote in der Schwangerschaft, nach der Schwangerschaft, der Wiedereinstieg und die Themen Familienpolitik und –. # Interview 6: 00:20:10-1#
6.3 Veränderung durch freiwilliges Engagement 293 Also viel von diese ganzen Strukturen, von den Einrichtungen, die wir im Stadtteil haben, in der Stadt, ja, mit denen wir uns, mit denen wir bereits kooperieren oder ja also mögliche, weitere mögliche Partner und wie man die anspricht, ja, sie –. # Interview 6: 00:39:03-2# Interviewpartnerin 4 ist „beeindruckt“ vom politischen Interesse anderer Frauen und nimmt an sich wahr, mehr infrage zu stellen und nicht als gegeben hinzunehmen: Ja, mich beeindruckt das öfter mal. Auch jetzt gerade, ich war das erste Mal bei einer Jahreshauptversammlung. Wie viel Frauen da so engagiert, mit Herzblut, so in ehrenamtlich sich einbringen, das war schon beeindruckend, das war schon sehr schön. Und ich hab auch gemerkt, wie, dass ich so ein bisschen unpolitisch bin, dass ich mich vielleicht mehr da so dafür interessieren sollte. Ich gucke zwar auch Nachrichten und so alles, aber das geht ja schon auch tiefer. Die kennen sich da auch schon aus, mit Ministerium da und was man alles erreichen kann, da bin ich komplett außen vor. Da kenn ich mich ja überhaupt nicht aus. Dass man sich doch für mehr interessieren sollte. Ich glaub, ich weiß nicht, ob das durch das MüZe kommt, aber ich das Gefühl, dass ich mich in den letzten, sag ich mal, fünf Jahren für viel mehr Dinge interessier. (…) Weil man oft mit Dingen aufwächst, die man nicht hinterfragt. Und das ist mir jetzt irgendwie wichtig, alles zu hinterfragen. Was da dahintersteckt. Bin ich das überhaupt? Also das hat sich verändert. Ich weiß nicht, ob das jetzt unbedingt was mit MüZe zu tun hat. Vielleicht, ja schon. # Interview 4: 00:20:13-4# 6.3.5 Zwischenergebnis Veränderung durch Engagement Die Effekte der Zufriedenheit und des Erwerbs von gesellschaftlichem Wissen wurden bereits als Engagementmotive benannt. Die anderen genannten Effekte des Selbstbewusstseins und der Toleranzentwicklung waren unintendiert, wurden aber von den Interviewpartnerinnen an sich wahrgenommen. Diese Ergebnisse belegen folgende wichtige Effekte:  Im bürgerschaftlichen Engagement findet nicht-zielgerichtetes, unintendiertes Lernen statt. Weder waren diese Lerneffekte von den Interviewpartnerinnen geplant, noch gibt es vonseiten der Engagementorte ein Schulungsprogramm für Engagierte, das die erzielten Effekte zum Inhalt hat. Ausschlaggebend für diese Effekte sind eine anerkennungssensible Grundhaltung und eine Vereinskultur, in der gegenseitiges Lernen und Weiterentwickeln möglich ist.
294   6 Ergebnisse Engagementorte können Lernorte für interkulturelle Kompetenzen sein. Dieses Ergebnis stellte Susanne Huth bereits 2007 fest (vgl. Huth 2007a). Ergänzend dazu stellte sich in der hier vorliegenden Studie die Zunahme einer toleranten Grundhaltung als entscheidender Effekt heraus. Die Begegnung mit Menschen, die sich in einer ähnlichen Lebensphase (Familiengründung, Erziehung kleiner Kinder) befinden, aber ansonsten einer unterschiedlicher Herkunft, Bildung oder einem unterschiedlichen Milieu angehören, trägt zur Toleranzbildung bei. Im Engagement begegnen sich Menschen, die sich im Arbeitsalltag oder im Wohnumfeld nicht auf Augenhöhe begegnet wären. Diese Begegnung auf Augenhöhe ist allerdings auch im Engagement nicht selbstverständlich, wie Interviewpassagen zu Vorurteilen und Diskriminierungen belegen, siehe Kapitel 6.4 „Barrieren“. Auch im Engagement bestehen demnach wirkmächtige Ausschließungsprozesse. Ist die „Inklusionshürde“ genommen, nehmen die Interviewpartnerinnen an sich wahr, wie eigene Normalitätsvorstellungen hinterfragt werden in der Begegnung mit Menschen mit anderen Lebensentwürfen. Ein Engagement kann dazu beitragen, eine politische Haltung zu entwickeln. Dabei sind folgende Faktoren entscheidend: Vorbilder am Engagementort, eine Vernetzung mit anderen Engagementorten beziehungsweise die Zusammenarbeit mit einem Dachverband (statt einer Konzentration auf den eigenen Verein) sowie eine Netzwerkbildung zu lokalen politischen Akteuren. Das Interesse an politischen Bezügen wird also dann geweckt, wenn sich Verantwortliche im Verein als Teil der Zivilgesellschaft sehen, es eine Mitwirkung an lokalpolitischen Arbeitskreisen gibt und es im Verein eine Grundhaltung gibt, zusammen mit politischen Entscheidungsträgern zu einem gelingenden Miteinander beitragen zu können. Mit diesen Ergebnissen wird die quantitative Studie von Lars Repp (Mütterzentren Bundesverband 2013) in Bezug auf Engagierte in Mütter- und Familienzentren ausgeweitet. Repp hatte die Wirkung von Mütterzentren bezüglich der Besucher_innen untersucht und dabei in seiner quantitativen Umfrage (n = 1 767) herausgefunden, dass die Teilnahme an Aktivitäten von Mütter- und Familienzentren bei 83 % aller Befragten das soziale Leben bereichere und bei 42 % zu einer Verbesserung der Gefühlswelt beitrage. 54 % gaben an, dass durch die vielfältigen Begegnungen die Toleranz gesteigert wurde (Mütterzentren Bundesverband 2013: 12). Selbstbewusstsein und eine Entwicklung des politischen Interesses wurde von Repp nicht erfragt. In der hier vorliegenden Studie kann zwar keine Quantifizierung vorgenommen werden, aufgrund der induktiven Vorgehensweise konnten aber vier subjektive, an sich wahrgenommene Veränderungen beobachtet werden. Davon waren
6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements 295 zwei Veränderungen, die persönliche Zufriedenheit und das gestiegene Interesse an gesellschaftspolitischen Zusammenhängen, bereits als Engagementmotiv benannt worden. 6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements 6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements Bürgerschaftliches Engagement steht grundsätzlich allen Menschen offen, so die öffentliche Meinung. Ein Blick in sämtliche quantitative Studien belehrt eines Besseren: „Die statushöhere soziale Gruppe ist Studien zufolge jeweils stärker im bürgerschaftlichen Engagement repräsentiert“ (Munsch 2015: 71). Im Freiwilligensurvey 2014 wurden fünf Gruppierungen identifiziert, die unterdurchschnittlich engagiert sind: Menschen mit niedriger Bildung, Menschen mit starken gesundheitlichen Einschränkungen, Menschen in höherem Lebensalter und Menschen mit Migrationshintergrund. Eine leicht unterdurchschnittliche Engagementquote ist bei Frauen zu beobachten (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016c: 50). Das heißt, auch wenn Engagement vermeintlich allen Menschen offensteht, sind Barrieren vorhanden, die es zu identifizieren gilt. Die Enquête-Kommission schreibt 2002 Folgendes: „Das Leitbild einer Bürgergesellschaft fordert […] Chancengleichheit – die Garantie gleicher Zugänge zu bürgerschaftlichem Engagement eingeschlossen. Finden sich Teile der Gesellschaft im Engagement nur schwach oder gar nicht vertreten, die auch in anderer Hinsicht (Bildung, Einkommen, Bürgerstatus) benachteiligt sind, so fordert das zum aktivierenden Handeln auf – schließlich soll die Bürgergesellschaft keine Elitendemokratie sein, sondern die Gesellschaft aller Mitglieder des politischen Gemeinwesens“ (ebd.:107). Sämtliche repräsentativen Studien belegen den Zusammenhang zwischen Engagementbeteiligung und sozioökonomischen Faktoren, vgl. ausführlich Kapitel 3. Die ungleiche Verteilung von individuellen Ressourcen und damit ein ungleicher Zugang zum Engagement muss in der Engagementförderung immer mitberücksichtigt werden. Auch wenn die meisten Vereine und Organisationen formal allen Menschen eines Gemeinwesens offenstehen und der Zugang in den meisten Organisationen formal-strukturell niedrigschwellig gestaltet wird durch die Wahl zwischen aktiver und passiver Mitgliedschaft, sozial gestaffelten Mitgliedsbeiträgen, Schnuppermitgliedschaften und vielem mehr wirken Barrieren in Organisationen stärker informell. Das heißt, auch ein vermeintlich nach außen hin geöffneter Verein kann durchdrungen sein von informellen Zugangsbarrieren und dominanten Machtstrukturen. Diese informellen Zugangsbarrieren können sich gegen unterschiedliche Kategorien richten, gegenüber dem Geschlecht, indem eine Organisation beispielsweise als „Männerverein“ wahrgenommen wird, obwohl er dies nicht in
296 6 Ergebnisse seiner Satzung verankert hat, gegenüber verschiedenen Milieus und dem sozioökonomischen Status, gegenüber Alter, sexueller Orientierung oder Ethnizität. In der „Engagementstrategie Baden-Württemberg“ werden Gunst- und Hemmfaktoren von Menschen mit Migrationshintergrund analysiert. Neben den Faktoren, die transkulturell gelten wie beispielsweise das Vorhandensein von ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital, werden auch Faktoren benannt, die explizit bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte entweder indirekten oder direkten Einfluss auf das Engagement haben (Ross und Steiner 2014: 10ff; Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg 2014: 20ff). Begünstigende Faktoren mit indirekter Einwirkung sind demnach die Chancengleichheit in allen gesellschaftlichen Bereichen, insbesondere aber in der Bildung und im Arbeitsleben, eine gelebte Willkommenskultur und interkulturelle Öffnung in der Verwaltung und in Sozialen Diensten sowie eine gesicherte finanzielle Lebenssituation der Migrant_innen. Gehemmt wird das Engagement indirekt durch eine erlebte und wahrgenommene Geschlossenheit der Aufnahmegesellschaft, durch einen defizitären Blickwinkel vonseiten der Mehrheitsgesellschaft und dem Gefühl, nicht dazuzugehören (ebd.). Begünstigende Faktoren mit direkter Einwirkung auf das Engagement sind eine positive Berichterstattung, eine Fördermittelpraxis, die Diversity unterstützt, Engagierte, die als Brückenbauer_innen und Multiplikator_innen agieren, sowie Engagementgelegenheiten, die in der Lebenswelt von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte angesiedelt sind. Gehemmt wird das Engagement direkt durch die fehlende Wahrnehmung und Wertschätzung des Engagements von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sowie der Dominanz von Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte in Vereinen und Organisationen (ebd.). In Bezug auf Menschen mit Migrationshintergrund in Hilfsorganisationen (Feuerwehr, Katastrophenschutz u. a.) analysiert Gesemann als zentrale Barrieren in erster Linie Informationsdefizite, mangelnde Offenheit und fehlende interkulturelle Öffnung vonseiten der Institutionen sowie mangelnde Kooperation zwischen aufnahmelandbezogenen Hilfsorganisationen und Migrant_innenorganisationen (vgl. Gesemann 2013: 17). Susanne Huth (2012: 3) benennt als zentrale Gunstfaktoren ausreichende Sprachkenntnisse (kulturelle Integration), Kontakte zur Aufnahmegesellschaft (soziale Integration) sowie ein Zugehörigkeitsgefühl (emotionale Integration). An Barrieren benennt sie fehlendes Wissen über Möglichkeiten des Engagements, Sprachbarrieren, die Wahrnehmung von Vereinen als „geschlossene Gesellschaft“ (Huth 2013: 4), das „Gefühl, nicht willkommen zu sein“ (Huth 2006a: 39), mangelnde Ansprache sowie nicht zielgruppengenaue Öffentlichkeitsarbeit (Huth 2013: 4).
6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements 297 Im zweiten Engagementbericht werden an migrationsspezifischen Engagementhürden Sprachprobleme sowie Diskriminierungen festgestellt (BMFSFJ 2017: 235). Ilgün-Birhimeoğlu benennt als Barrieren im Zugang zu aufnahmelandbezogenen Vereinen emotionale Hürden aufgrund befürchteter Diskriminierungserfahrungen sowie sprachliche Hürden. Hinderliche Strukturen im Verein seien eine fehlende interkulturelle Öffnung sowie eine nicht passgenaue Ansprache und Vorurteile (Ilgün-Birhimeoğlu 2017: 120). Insbesondere in der Befragung der Migrant_innenvereine stellen diese den aufnahmelandbezogenen Vereinen ein denkbar schlechtes Zeugnis aus: Ihnen fehle der „aufrichtige Wille zur Interkulturellen Öffnung“ (ebd.: 140) und eine Anerkennungskultur. Interkulturelle Öffnung, so das ernüchternde Ergebnis, sei oft eine Reaktion auf fehlende Mitgliederzahlen und weniger aus dem Wunsch nach einer heterogenen Mitgliederstruktur gespeist (ebd.: 236). Auch auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene fehle es an Chancengleichheit für die Migrant_innenpopulation (ebd.). Interessanterweise bewerten die Expert_innen von aufnahmelandbezogenen Vereinen und Migrant_innenorganisationen die Hemmfaktoren unterschiedlich. So sehen tendenziell die Vertreter_innen der Migrant_innenorganisationen eher strukturelle (fehlende interkulturelle Öffnung) und diskriminierende Gründe als Barrieren, Vertreter_innen der aufnahmelandbezogenen Vereine sehen tendenziell stärker Gründe, die auf der individuellen Ebene liegen und die kulturell begründet werden wie beispielsweise patriarchale Familienkonstellationen (ebd.: 238). Im Unterschied zur Erhebung von Ilgün-Birhimeoğlu wurde in der hier vorliegenden Studie auf der Mikroebene angesetzt, das heißt, die engagierten Frauen wurden direkt zu Hemmfaktoren im Zugang zum Engagement befragt. Erhofft wurde durch diese direkte Befragung, dass sich die Antworten nicht im spekulativen Bereich des Leitungspersonals bewegen, sondern individuell wahrgenommene Barrieren erhoben werden können. Dazu wurde zur Beantwortung der Forschungsfrage FF 10 die Frage „Welche Barrieren werden im Zugang zum freiwilligen Engagement wahrgenommen?“ gestellt. Auffallend dabei war, dass die Frage von den Interviewteilnehmerinnen in einer Mischung aus eigenen Engagementbarrieren und den Barrieren anderer Migrantinnen beantwortet wurde. So berichtet beispielsweise Interviewpartnerin 19 von fehlenden finanziellen Ressourcen und dem Gefühl des Mangels, den Migrantinnen am Engagement hindert. Dies sei eine Situation, die sie aus ihrer Ankunftszeit in Deutschland ebenfalls kennt. Die vorgestellten Barrieren sind demnach eine Kombination aus selbst erlebten Hindernisgründen (die allerdings überwunden wurden) und an anderen wahrgenommenen Barrieren. Diese Barrieren bestehen entweder aufgrund persönlicher Merkmale, aufgrund institutioneller oder aufgrund gesamtgesellschaftlicher Gründe.
298 6 Ergebnisse Abbildung 33: Barrieren und Hindernisse bei der Aufnahme eines freiwilligen Engagements Quelle: Eigene Darstellung 6.4.1 Barrieren aufgrund persönlicher Merkmale 6.4.1.1 Fehlende Sprachkompetenzen In beinahe allen Interviews werden fehlende Deutschkenntnisse als Haupthindernis für die Aufnahme eines freiwilligen Engagements genannt. Damit ist diese Barriere der entscheidende Hemmfaktor im Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement in aufnahmelandbezogenen Vereinen. Die fehlenden Sprachkenntnisse sind oft schambesetzt, insbesondere, wenn die Migration schon mehrere Jahre zurückliegt. Schämen sich, am meisten schämen sich, dass sie nicht gut Deutsch sprechen. Ich konnte auch nicht so gut Deutsch sprechen. Aber ich habe einfach gemacht. # Interview 11: 00:36:32-7# Der Anfang war zwar so, dass die türkische Mutter erstens wegen Sprache sich nicht wohlfühlen oder sich nicht, wie heißt das, nicht trauen reinzukommen. Dann haben wir Werbung gemacht, wir haben Flyer gehabt, so, wir haben Bilder gemacht für die Flyer und so. Wir haben im Programm Türkisch und Deutsch geschrieben. # Interview 8: 00:07:52-7#
6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements 299 Und dann ist es vielleicht auch so, dass viele Frauen, also wie gesagt, je nachdem wie integriert sie sind, dass das ja immer noch in ihren, also die ausländischen Frauen, die ich kenne, jetzt die noch nicht so wirklich sprachlich so weit sind oder dass da noch so ´ne Hemmschwelle da ist. # Interview 19: 00:33:52-0# 6.4.1.2 Herkunftslandbezogene Barrieren 6.4.1.2.1 Engagement im Herkunftsland unbekannt Die geringere Beteiligung von Migrant_innen kann auch herkunftslandbezogene Gründe haben. In vielen Herkunftsländern bzw. in den Herkunftsländern der Eltern ist zivilgesellschaftliches Engagement unbekannt. Helfen findet in der Familie oder in der Nachbarschaft statt, also im informellen Sektor und ist nicht gegenüber Fremden ausgerichtet. So beschreibt der „Civic Engagement Index Score“ des US-amerikanischen Gallup-Instituts, dass in vielen Herkunftsländern der in Deutschland lebenden Bevölkerung mit Migrationshintergrund freiwilliges Engagement eine deutlich geringere Bedeutung hat (vgl. Gallup-Institut 2016). Demnach befinden sich sechs142 der elf (von insgesamt 130 erhobenen Ländern weltweit) am wenigsten von freiwilligem Engagement geprägten Ländern in Südostund Südeuropa. Diese sind wichtige Herkunftsländer von Migrant_innen, die aufgrund von Anwerbeabkommen im Zuge der Gastarbeiter_innenphase, im Zuge des Balkankrieges als Flüchtlinge, im Zuge der EU-Erweiterung oder als (Spät-) Aussiedler_innen nach Deutschland kamen. Niedrige Engagementquoten ermittelte das Gallup-Institut auch in Russland und in ehemaligen Ländern der Sowjetunion sowie mit einer noch geringeren Engagementquote in der Türkei. Die höchsten Engagementquoten ermittelte das Gallup-Institut in den USA, in Irland, Australien, Neuseeland, dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden und Kanada, also Ländern, die nicht zu den Hauptherkunftsländern der Migrant_innenpopulation in Deutschland zählen. Das Gallup-Institut zieht dabei die Bilanz, dass zivilgesellschaftliches Engagement hauptsächlich in hoch entwickelten Ländern verbreitet ist. In einer weiteren Studie143 des Instituts (Gallup 2014) stellen die Autor_innen fest, dass Migrant_innen sowohl von ihren zivilgesellschaftlichen Erfahrungen im Herkunftsland geprägt sind als auch sich den Gepflogenheiten des 142 Laut Gallup-Institut sind dies Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Griechenland, Bulgarien, Albanien und Serbien. 143 Die Gallup-World-Poll-Interviews wurden zwischen 2009 und 2011 geführt. Interviewt wurden 25 000 Migrant_innen der ersten Generation und 442 000 in den Aufnahmeländern geborene Menschen. Gefragt wurde zum einen nach Spenden für wohltätige Zwecke (was hier nicht weiter thematisiert wird) und zum anderen nach freiwilligem Engagement in Organisationen.
300 6 Ergebnisse Aufnahmelandes anpassen. In dieser Studie wird Migration in vier Richtungen unterteilt: erstens die Migration aus einem weniger entwickelten Land mit niedrigem oder mittleren Einkommen144 in ein höher entwickeltes Land mit hohem Einkommen („South-North“), zweitens die Migration aus einem High-Income-Land in ein anderes High-Income-Land („North-North“). Drittens die Wanderungsbewegung aus einem höher entwickelten in ein weniger entwickeltes Land („North-South”) und viertens aus einem weniger entwickelten in ein anderes weniger entwickeltes Land („South-South”). Dabei stellen die Autor_innen fest, dass die Migration in ein Land mit höherem Einkommen grundsätzlich förderlich für das zivilgesellschaftliche Engagement sei. So ist das Engagement von North-North-Wechslern (bei einer bisherigen Aufenthaltsdauer von unter fünf Jahren 25 %, von über fünf Jahren 23 %) wie auch von South-North-Wechslern (Aufenthaltsdauer unter fünf Jahren 15 %, über fünf Jahren 21 %) deutlich höher als von Migrant_innen, die aus einer Low-Income-economy (Aufenthaltsdauer unter fünf Jahren 22 %, über fünf Jahren 20 %) oder einer High-Income-economy (Aufenthaltsdauer unter fünf Jahren 27 %, über fünf Jahren 18 %) in eine Low-Income-economy („South“) migrieren. Des Weiteren ist die Aufenthaltsdauer entscheidend. So nähern sich die South-North-Wechsler im Zeitverlauf der Engagementquote der Mehrheitsgesellschaft an, bleiben aber gegenüber der Mehrheitsbevölkerung zurück. Durchschnittlich engagieren sich 27 % der Bevölkerung in Ländern mit hohem Einkommen, von Migrant_innen aus weniger weit entwickelten Ländern, die weniger als fünf Jahre in einem North-Land leben, engagieren sich 15 %, bei einer Aufenthaltsdauer von über fünf Jahren erhöht sich die Engagementquote auf 21 %, liegt aber dennoch mit sechs Prozentpunkten unter dem Durchschnitt der Mehrheitsbevölkerung. Umgekehrt passen sich die North-South-Wechsler und die SouthSouth-Wechsler den niedrigen Engagementquoten im Zeitverlauf an. So beträgt die durchschnittliche Engagementquote in South-Ländern 16 %. Migrant_innen aus höher entwickelten Länder mit einer Aufenthaltsdauer unter fünf Jahren engagieren sich mit 27 % überdurchschnittlich stark, passen sich mit einer Aufenthaltsdauer von über fünf Jahren mit einer Engagementquote von 18 % an, liegen aber dennoch noch über dem Engagementdurchschnitt von 16 %. South-South-Wechsler engagieren sich kurz nach ihrer Migration zu 22 % überdurchschnittlich und nach einer Aufenthaltsdauer von über fünf Jahren zu 20 %. Damit trägt die GallupStudie mit drei zentralen Ergebnissen zum Erkenntnisgewinn bei: Zum einen beeinflusst das Leben in einem hoch entwickelten Land mit höherem Einkommen die Engagementquote positiv, zum anderen transportieren Migrant_innen ihre kulturellen Erfahrungen in Bezug auf freiwilliges Engagement und zum dritten findet 144 Low- oder middle-income-economies werden in der Gallup-Studie als „South“, high-incomeeconomies als „North“ (vgl. Gallup 2016) bezeichnet.
6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements 301 eine (sowohl positive als auch negative) Anpassung an die zivilgesellschaftlichen Vorstellungen der Aufnahmegesellschaft im Zeitverlauf statt. Zu ähnlichen Befunden kommen Voicu und Rusu, die basierend auf dem „Spanish National Immigrant Survey“ (2007) und den „World Values Surveys“ (2000, 2005) das Engagement der Migrant_innenpopulation in Spanien analysierten und dabei den engen Zusammenhang zwischen einer Sozialisation in einem partizipatorischen Herkunftsland und einem Engagement in der Aufnahmegesellschaft bestätigen. Eine frühe Sozialisation und eine lange Verweildauer in einer stark auf Engagement fokussierten Gesellschaft führe dazu, dass auch nach der Migration die im Herkunftsland erworbenen Fähigkeiten zur Integration in die Aufnahmegesellschaft genutzt werden (Voicu und Rusu 2012: 788ff). In der hier vorliegenden Studie berichten die Interviewpartnerinnen aus den (süd-) osteuropäischen Ländern Rumänien, Polen und Russland davon, dass sie freiwilliges Engagement im Herkunftsland nicht kannten. Von den Interviewpartnerinnen aus anderen Herkunftsländern wird dies nicht erwähnt. Zu den Strukturbesonderheiten postsozialistischer Zivilgesellschaften zählt Freise (2010: 442f) zum einen die starken Familien- und Freundschaftsnetzwerke, die für den wirtschaftlichen Alltag genutzt werden, und zum anderen „das stark ausgeprägte Misstrauen gegenüber formalen Organisationen jedweder Art“ (ebd.: 443), was als Überbleibsel aus sozialistischer Zeit gewertet werden kann, als die Einbindung in Organisationen verpflichtenden Charakter hatte. Unter Rekonstruktion der Interviews können beide von Freise thematisierten Strukturmerkmale bestätigt werden. Die Interviewpartnerinnen 20 und 21 lernten bürgerschaftliches Engagement über ihre Partner ohne Migrationshintergrund im Aufnahmeland kennen. Viele kennen das nicht, ich hab das bisher auch nicht gekannt, das Ehrenamtliche. Also ich kenn das erst seit hier. Und erst seitdem ich hier angefangen habe, seitdem kenn ich das. Also hab ich nicht gekannt, dass man da so helfen kann, doch vom M (Name des Lebenspartners, Anmerkung) halt kenne ich seinen Papa, der hat auch ehrenamtlich gemacht (...). # Interview 21: 00:08:46-9# Und ich kenn´s von meine Leut (Eltern, Anmerkung) halt anders, also die waren nie ehrenamtlich aktiv und hab´s dann hier eher anders kennengelernt über ‘n M (Name des Ehemannes, Anmerkung), über E (andere ehrenamtlich Aktive im Mütterzentrum, Anmerkung) und fand das dann immer so schad. Ich hab dann immer zu meine Leut gesagt: „Ich versteh das gar nicht, ihr seid immer jeden Sonntag in der Kirche und da habt ihr es immer ganz wichtig, aber alles so drumherum irgendwo mitzumachen, mitzuhelfen oder so was, das macht ihr gar nicht". Und das fand ich schad und ich wollt das irgendwie so bisschen in die Richtung halt auch mal, auch was machen. Die sind irgendwie anders aufgewachsen einfach und die waren immer mit sich selber beschäftigt. Ich weiß nicht, gab es das früher bei denen nicht groß? Weißt du, die sind ja auch in Polen aufgewachsen und die haben ja eigentlich immer geschafft, wo ich
302 6 Ergebnisse klein war. Meine Mutter hat Vollzeit geschafft. Und ich wüsste nicht, dass da irgendjemand in irgendwelche Vereine aktiv war oder irgendwas, weißt. # Interview 20: 00:02:33-6# Die beiden aus Rumänien stammenden Interviewpartnerinnen berichten, dass Hilfe unter Nachbarn als Selbstverständlichkeit galt, um die eigene Existenz zu sichern. Diese Unterstützung beruhte auf Gegenseitigkeit, so wurde entweder Geld erwartet oder Hilfe. Nein, hatte ich nicht. Gar nicht. Also ich kannte das nicht irgendwie. Dort (in Rumänien, Anmerkung) war es einfach unabdingbar, dass man miteinander, dass man sich gegenseitig geholfen hat. Das ging einfach nicht anders. Die Situation dort war halt einfach schwierig. Das ging nicht, da musste man einfach seinem Nachbarn helfen. Ja, weil man hat ja auch Hilfe zurückgekriegt. Da ging es nur miteinander. Und sowieso bei uns, wir waren Deutsche in einem Land, wo wir eigentlich nicht erwünscht waren. Ja, wir waren dort einfach nicht erwünscht. Wir waren immer die, die man gebraucht hat, schon, ja, weil die ja viele wichtige Stellen waren einfach von Deutschen besetzt im Beruf. Mein Vater war Ingenieur, sehr anerkannt, ja, aber auf der anderen Seite haben sie ihn gebraucht, auf der anderen Seite war er der dumme Deutsche. Also es war schon und dann mussten die zusammenhalten und mussten sich gegenseitig helfen. # Interview 7: 00:23:54-3# In Rumänien überhaupt nicht. Also in Rumänien habe ich mich nicht engagiert. (…) Das ist bei uns so, dass wir uns gegenseitig helfen, aber das ist in der Nachbarschaft oder mit engen Freunden, dass wir mal Kinder hüten oder irgendwelche Arbeiten mal bei der einen oder mal bei den anderen erledigen also so im Wechsel. Ja, das ist meistens, meine Eltern wohnen auf dem Land und da gibt es viel Arbeit und da gehen irgendwie alle Nachbarn zu dem einen, der was machen muss. Und dann gehen alle zu dem Nächsten, der auch eine Arbeit erledigen muss, also das ist die Erntezeit zum Beispiel, dass sie sich so gegenseitig helfen. Es ist auch nicht so ganz Ehrenamt, also. Also es ist nicht immer ehrenamtlich. Die meisten erwarten auch ein bisschen, ein bisschen Geld dafür. # Interview 6: 00:13:10-7# Die Interviewpartnerin aus Costa Rica betont den Zusammenhang zwischen freiwilligem Engagement und ökonomischer Situation. Da Costa Rica „kein ErsteWelt-Land“ sei und es kaum eine Mittelschicht gebe, können sich nur sehr wenige Menschen leisten, unentgeltlich zu arbeiten. Ne, das ist sehr interessant. Bei uns das ist so, ich bin Costa-Ricanerin, ne, und da ist das ökonomische immer eine Frage, es ist nie gelöst. Also es ist gelöst nur für die Reichen. Aber für die Mittelklasse und die untere Klasse es ist nie gelöst. Das heißt, es gibt immer welche Notwendigkeiten, die bedeckt werden müssen, es ist nicht wie die Mittelklasse hier. (…) Weil die Gesellschaft da die ökonomischen Mittel sind da
6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements 303 anders verteilt und anders, ja, wir sind keine Erste-Welt-Land. Und dadurch ist es so, die Arbeit wird als Arbeit erkannt. Da hat, sagen wir so, wir als Menschen, da wir haben nicht das Luxus zu sagen: „Nein, bezahl mir nicht deswegen." Im Gegenteil. Also wir brauchen sehr viele Arbeits-, also Arbeitsplätze oder Arbeitsecken zu schaffen und dann, ja, wenn man sich irgendwie eine Idee hat, ja, oh ja, ich mach das, dann natürlich ist das mit Geld verbunden. Weil, ja, wie gemeint, die Leute haben nicht das Ökonomische gelöst. # Interview 14: 00:09:53-4# Diese Frauen kennen zwar das gegenseitige Helfen in Notsituationen aus ihren Herkunftsländern, bürgerschaftliches Engagement lernten sie aber erst in Deutschland kennen. 6.4.1.2.2 Verschiedene Vorstellungen von Engagement Zwar gibt es in allen Kulturkreisen Formen des freiwilligen Engagements, es wird aber anders gestaltet, findet in anderen Bereichen oder Formen statt und wird auch unterschiedlich bezeichnet. Diese Unterschiede werden in den Interviews aufgegriffen. Insbesondere der nach wie vor verwendete und aus „Ehre“ und „Amt“ zusammengesetzte Begriff des Ehrenamts ist nicht immer leicht zu vermitteln. Ehrenamt, das klingt auch so ein bisschen komisch. Ehrenamt – bin ich geehrt dadurch, oder was? Ich kann mir darunter sehr schlecht was vorstellen, also, also ich würde sagen, es ist wirklich auch ne sehr große Bereicherung für mich. Also wenn man Lust hat, etwas zu machen, und man sucht sich ja im Ehrenamt so was, wo einem was passt, ja, das ist ja der Luxus auch im Ehrenamt. Dann kann man das mit Leidenschaft, also ich mach´s mit Leidenschaft und es bereichert mich und ich bin glücklich, wenn ich dann andere Mütter, Familien seh, die dann auch glücklich sind, die Kinder vor allem. Das ist einfach was Schönes. Helfen, besser unterstützen würde ich sagen. # Interview 1: 00:13:54-3# Mit dem Begriff des „Ehrenamts“ wird etwas „Formales“, „Strenges“ verbunden, das „Respekt“ einflößt, etwas, wofür man geeignet sein muss und dessen Eignung „geprüft werden“ muss: Ich bin hier geboren, hier aufgewachsen, ich seh das schon auch ein bisschen einseitig (...), ich bin als Gastarbeiterkind aufgewachsen. Aber zum Beispiel dieses Ehrenamtliche, ich wusste nicht, dass es so leicht geht, zum Beispiel. Bis jetzt wusst ich es nicht. Mehr formal und mehr so strenger und alles Mögliche. Immer wenn ich Ehrenamt gehört hab, dachte ich, okay, man macht das freiwillig, ja und, aber da muss man geprüft werden und so Sachen und so was war mir im Kopf, ist mir rumgeschwebt und deswegen hatte ich da bisschen Respekt davor. Und hier hab ich so kennengelernt, dass es ganz toll sein kann, ja, und unkompliziert. Und ich denke, vielleicht denken
304 6 Ergebnisse sich´s auch ganz viele Frauen, dass es so was ist, ja irgendwie. # Interview 1: 00:32:53-8# So wie Interviewpartnerin 1 die Vorstellung einer „Eignungsprüfung“ hatte, hatte Interviewpartnerin 11 die Vorstellung, dass für den Vereinsvorsitz eine bestimmte Ausbildung benötigt werde: Ich dachte, sie brauchen für die Vorstand ausgebildete Leute. Ja, und ich dachte, ja. (...) Das war in meine falsche Gedanke. # Interview 11: 00:29:18-2# Die Begrifflichkeit des „Ehrenamtes“ ist stark von einer westeuropäischen Sichtweise geprägt und mit der historischen Entwicklungslinie des freiwilligen Engagements in Mitteleuropa verknüpft und steht dem Verständnis von freiwilligem Engagement in verschiedenen Herkunftsländern diametral gegenüber, was sich auch sprachlich ausdrückt. So wird die emotionale Bedeutung in verschiedenen Sprachen deutlich stärker betont, als im deutschen Wort „Ehrenamt“. So wird in der türkischen Sprache entweder „fahri görev“ („freiwilliges Engagement“) oder umgangssprachlich „gönüllü“ verwendet, was so viel heißt wie etwas „mit dem Herzen tun“ und rein sprachlich keine Vorstellungen von „Amt“ und „Arbeit“ beinhaltet. Der indonesische Begriff „sukarela“ bedeutet „zwangloses“ Handeln (vgl. Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg 2014: 21), der arabische Begriff „fahri müvetis“ bezeichnet offiziell die freiwillige Tätigkeit für Organisationen, wird im allgemeinen Sprachgebrauch allerdings kaum verwendet (Huth 2007a: 20). Das heißt, allein durch unterschiedliche Begrifflichkeiten werden unterschiedliche Vorstellungen von freiwilligem Engagement transportiert. Was in einem Kulturkreis als Selbstverständlichkeit angesehen wird, über die nicht gesprochen wird, kann in einem anderen Kulturkreis als anerkennungswürdiges Engagement wertgeschätzt werden. Das Reden in unterschiedlichen Begrifflichkeiten trägt u. a. dazu bei, dass insbesondere in quantitativen Studien Engagement von Migrant_innen mit anderen Begrifflichkeiten und einem anderen Selbstverständnis nicht erkannt und erfasst wird. Zum anderen wird bewusst, dass das Festhalten am Begriff „Ehrenamt“ zusätzliche Barrieren schafft, indem die Amtlichkeit und weniger die Freiwilligkeit sprachlich betont wird. 6.4.1.2.3 Unverständnis der Herkunftsfamilie Teilweise erfahren die engagierten Frauen Unverständnis in der eigenen Familie. Das Unverständnis der Herkunftsfamilie steht dabei in einem engen Zusammen-
6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements 305 hang mit dem Stellenwert und der Wertschätzung von Engagement im Herkunftsland. Unentgeltliche Arbeit für andere Menschen außerhalb der eigenen Familie oder Nachbarschaft wird als fremd empfunden. Von diesem Unverständnis berichten drei aus ehemals kommunistischen Ländern stammende Interviewpartnerinnen: Meine Mutter hat ein bisschen rumerzählt: „Ja, sie macht alles ehrenamtlich. Also, kriegt kein Geld dafür. Sie investiert Zeit, kriegt aber kein Geld dafür". Und ich hab ihr immer wieder gesagt: „Es reicht mir, wenn ich damit zufrieden bin, ja, wenn ich irgendwie das Gefühl hab, ich hab was Gutes getan, wir haben ein bisschen gelacht mit den Kindern, das reicht mir, wenn die total süße Fragen stellen.“ (…) Ich glaube, also ich weiß es nicht so genau, aber ich glaube, sie meinte, ich verschwende meine Zeit, so nach dem Motto: Ich geh dahin, verbringe ein paar Stunden und dann irgendwie es ist nicht Geld verdienen. # Interview 6: 00:33:03-9# Wir sind ja auch komplett anders aufgewachsen, das kann man jetzt gar nicht vergleichen. Das war bei uns auch nicht nötig, weil alles irgendwie so vom Staat organisiert war. Da gab´s auch viel für Kinder, aber das wurde eigentlich alles nicht über Ehrenamt, sondern einfach staatlich gefördert und gemacht. Deswegen war das gar nicht nötig, dass man sich irgendwie. Meine Eltern waren beide berufstätig, immer Vollzeit, und die hätten gar nicht die Zeit gehabt. Nö, ich bin eigentlich die Erste, die sich so engagiert. (...) Die verstehen´s eigentlich nicht wirklich, warum und wieso, weshalb. Auch mein Mann nicht, dem ist das auch so. Warum ich meine Energie und meine Zeit in ihren Augen verschwende. # Interview 22: 00:17:55-1# Das war nie ein Thema und ich tu mich heute noch so ein bisschen schwer mit meinen Eltern. Wir hatten zum Beispiel ein Gastkind aus Weißrussland, fällt mir gerade so ein, und das war, genau, das war ein Verein „Freunde der weißrussischen Kinder“. Das hat sich mittlerweile leider aufgelöst und die haben jeden Sommer Gastfamilien gesucht für die Kinder aus der 5. Klasse war das, die zu uns kamen und drei Wochen Ferien hier gemacht haben, Erholungsferien. Und da haben wir ein Kind aufgenommen bei uns. Und selbst das haben meine Eltern nicht so wirklich verstehen können. „Ja, so brauchst du das?“ Das ist immer so ein bisschen fremd gewesen. Dieses Soziale, diese Hilfe. # Interview 4: 00:13:43-7# Alle drei Interviewpartnerinnen (4, 6, 22) sind in ihrer Familie jeweils die Ersten, die sich freiwillig engagieren, was innerhalb der Familie zwar nicht behindert wird, aber dennoch auf Befremden stößt.
306 6 Ergebnisse Exkurs: Expertinneninterviews mit türkischen Fachkräften Im Rahmen einer internationalen Fachtagung der Mütter- und Familienzentren und Mehrgenerationenhäuser im International Children´s Center vom 16. bis17. April 2015 wurden mit fünf Expertinnen145 Interviews geführt. Vier der Interviewpartnerinnen arbeiten in den Stadtverwaltungen von Gaziantep und Diyarbakir und eine Interviewpartnerin im International Children´s Center in Ankara. Ziel der Expertinneninterviews war es, Wissen über das Selbstverständnis von Freiwilligenarbeit in der Türkei zu bekommen. Zentrale Fragestellungen waren: Welchen Stellenwert hat Freiwilligenarbeit in der Türkei? Inwieweit ist die Monetarisierung von Ehrenamt ein Thema? Mit diesen fünf Expertinneninterviews soll der Themenbereich „herkunftslandbezogene Barrieren“ ergänzend aus dem Blickwinkel eines der Hauptherkunftsländer beleuchtet werden. Alle fünf Interviewpartnerinnen erwähnen in den Interviews, dass Freiwilligenarbeit die Unterstützung von Bedürftigen ohne finanzielle Gegenleistung darstelle. Die Frage nach der Unentgeltlichkeit wurde hier nicht explizit gestellt, wurde aber von allen eigeninitiativ als wichtiges Kennzeichen von Freiwilligenarbeit genannt. Vier der fünf Interviewpartnerinnen nennen die Bedürftigkeit als ein weiteres Kennzeichen. Die zu erreichenden Zielgruppen von Freiwilligenarbeit finden sich übereinstimmend im sozialen Bereich, hauptsächlich mit Kindern, alten und behinderten Menschen. Über den sozialen Bereich hinausgehende Engagementbereiche wie Justiz, Sport, Kultur, Politik oder Umweltschutz wurden nicht genannt. Außerdem sollte durch die Interviews der Stellenwert von Freiwilligenarbeit sowohl vonseiten des Staates als auch von der Bevölkerung beleuchtet werden. Auf die Frage, inwieweit Freiwilligenarbeit von der Politik beziehungsweise vom Staat unterstützt wird, antworten vier der Expertinnen, dass es keine Unterstützungsmöglichkeiten gebe. Passend dazu antworteten die Interviewpartnerinnen überwiegend, dass es sich bei Freiwilligenarbeit um ein moderneres Phänomen in der Gesellschaft handle und man sich erst in der Anfangsphase befände. Freiwilligenarbeit werde aber von der Bevölkerung sehr geschätzt, waren sich alle Interviewpartnerinnen einig. Gesellschaftlich anerkannte Motive in der Freiwilligenarbeit sind „Ich will durch mein Engagement Ansehen und Einfluss in meinem Lebensumfeld gewinnen“ (4 Antworten) und „Ich will durch mein Engagement vor allem mit anderen Menschen zusammenkommen“ (1 Antwort). Ein weiteres Ziel der Befragung war herauszufinden, inwieweit Kompetenzen für ein freiwilliges Engagement benötigt werden und inwieweit das Engagement für weitere Tätigkeiten befähigt. Vier der Interviewpartnerinnen bejahen das 145 Namen und Funktionen der Expertinnen liegen der Autorin vor. Aufgrund der veränderten politischen Situation in der Türkei wurde auf eine Veröffentlichung verzichtet.
6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements 307 Mitbringen von Kompetenzen für ein Engagement. Außerdem heben sie die Bedeutung von freiwilligem Engagement für die persönliche Entwicklung hervor. Vier Interviewpartnerinnen erwähnen positive Effekte wie die Stärkung des sozialen Empfindens und die Stärkung des Selbstbewusstseins. Eine Interviewpartnerin betont als Lerneffekt das Entwickeln von beruflichen Kompetenzen, die Möglichkeit auf eigenen Füßen stehen zu können und dadurch Unabhängigkeit zu erreichen. Ausschlusskriterium für die Definition von Freiwilligenarbeit ist für die türkischen Interviewpartnerinnen die Aufwandsentschädigung. In der Türkei gibt es keine der Übungsleiterpauschale vergleichbare Aufwandsentschädigung für ein freiwilliges Engagement. Für alle fünf Interviewpartnerinnen ist deshalb nur eine unbezahlte Tätigkeit auch tatsächlich eine Freiwilligenarbeit. Uneinheitlich sind die Antworten in Bezug auf Aufgaben in Familie und Nachbarschaft. Informelle „Arbeiten“ wie auf andere Kinder aufpassen und für die Nachbarn einkaufen, stufen vier der Interviewpartnerinnen ebenfalls als Freiwilligenarbeit ein, eine Interviewpartnerin zählt dieses Engagement im familiären oder nachbarschaftlichen Nahfeld nicht dazu. Auf die Frage, ob Helfen eher in der Familie und Nachbarschaft oder im öffentlichen Raum stattfindet, gibt es ebenfalls uneindeutige Antworten. Interpretiert man diese Aussagen zusammenfassend, so beinhaltet Freiwilligenarbeit für die Interviewpartnerinnen auch informelles Engagement, die Engagementbereiche finden aber stark auf den sozialen Bereich fokussiert statt und die Grenze zwischen Freiwilligenarbeit und Beruf verläuft eindeutiger als dies in Deutschland der Fall ist. Für die hier vorliegende Studie ist von Belang, dass für die Interviewpartnerinnen, die alle in Städten leben und in gehobenen Positionen im sozialen Bereich tätig sind, bürgerschaftliches Engagement ein neues Phänomen in der Türkei darstellt. Für aus der Türkei stammende Migrant_innen, die schon länger migriert sind, könnte bürgerschaftliches Engagement dagegen unbekannt sein. Ein wichtiger Erkenntnisgewinn ist die eindeutige Positionierung in Bezug auf Monetarisierung. Selbst wenn nur eine symbolische Entlohnung besteht, wird diese Tätigkeit in der Türkei nicht mehr als freiwilliges Engagement eingestuft, sondern als Arbeit. Grundsätzlich nehmen die Expertinnen in der Türkei aber eine engagementfreundliche Haltung in der Bevölkerung wahr, Engagement wird wertgeschätzt. Damit bestehen einige Unterschiede im Engagementverständnis der türkischen Expertinnen im Vergleich zum Verständnis in Deutschland (Monetarisierung, Kriterium der Bedürftigkeit, Engagement hauptsächlich im sozialen Bereich), aber auch einige Gemeinsamkeiten (Wertschätzung informeller Tätigkeiten, grundlegende Wertschätzung von freiwilliger Arbeit, gesellschaftliche Akzeptanz von nicht-altruistischen Engagementmotiven und der Erwerb persönlicher Kompetenzen im Engagement).
308 6 Ergebnisse 6.4.1.3 Fehlende finanzielle Ressourcen Einen Zusammenhang zwischen freiwilligem Engagement und Wirtschaftskraft stellte, wie oben erwähnt, das Gallup-Institut 2016 in ihrer in 130 Ländern durchgeführten Studie fest (Gallup-Institut 2016). Demnach ist die Engagementquote in High-Income-Countries deutlich höher als in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Freiwilliges Engagement ist ein „ökonomischer Luxus“, den man sich leisten können muss, sagt Interviewpartnerin 14, die aus ihrem Herkunftsland Costa Rica freiwilliges Engagement nicht kennt. Zeit für ein Engagement zur Verfügung zu haben, bedeutet, diese übrigen Stunden nicht zwingend zum Geldverdienen zu benötigen: Und dann die Zeit. Und dann das ökonomische Luxus. Das heißt, dass man nicht in der Not ist, diese Stunden, genau. Ich würde noch dazu sagen, so, so das Erkennen lernen. Weil wie jemand, ich kannte es nicht. Also ja, natürlich kennt man bei uns, da die wie so eine ganz alte Frau vielleicht auf Kinder aufpasst und so. Aber das eher selten und das macht man erst, wenn man pensioniert ist, weil man ja Zeit und bisschen Geld hat. So ja, ich denke, dass das Kennenlernen auch. # Interview 14: 00:33:35-0# Interviewpartnerin 19 schildert aus eigener Erfahrung, dass ein Engagement erst „aus dem Wohlstand heraus“ entstehen kann. Erst mit eigener finanzieller Absicherung könne eine Gemeinwohlorientierung entstehen. Damit steht diese Aussage zunächst im Widerspruch zur Engagementgruppe III, die das Engagement zur Existenzsicherung nutzt. Während diese Frauen allerdings ausschließlich im Rahmen der Übungsleiterpauschale aktiv sind, versteht Interviewpartnerin 19 unter Engagement das altruistische und unentgeltliche „Dienen“ an der Allgemeinheit. Ich finde das ganz, ganz großartig und toll. Aber das ist dann, wenn ich merke, materiell geht es mir gut und ich kann auch was geben, dass dann das Bewusstsein anfängt zu wachsen. Und das haben viele Frauen mit Migrations-, Frauen aus dem Ausland wahrscheinlich noch nicht. Also so ein Ehrenamt ist etwas, was wachsen kann aus dem, aus dem Wohlstand heraus. Was anderes ist natürlich, das habe ich ja auch erfahren im Krieg in Jugoslawien in einer Notsituation, wo die Menschen zusammenhalten, aus einer wirklich großen Not zusammen, aber das ist nochmal was ganz anderes. Und ich könnte mir vorstellen, dass dieses Bewusstsein bei einigen Frauen noch nicht da ist. Und dass sie auch oft mit diesen Mangeldenken nach Deutschland kommen. Dieses Mangeldenken, mir fehlt an was, hatte ich ja auch am Anfang. Und das ist dann so eine Haltung, wo ich noch nicht so viel in mir habe, was ich weitergeben
6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements 309 kann. Das ist ein Aspekt, den ich vielleicht so erklären, vielleicht ist es nicht zutreffend, aber-. (…) Ich brauche eine Basis und vor allem ich brauche ein Denken, wo ich nicht das Gefühl habe, mir fehlt an etwas. # Interview 19: 00:33:52-0# 6.4.1.4 Fremdheit und Hypervisibility Neben institutionellen Diskriminierungen sind Migrant_innen von subtilen Formen von Alltagsrassismus betroffen, von Fremdmachen und Andersmachen. Velho (2010: 116) betont, dass es gerade „die Normalität des Othering“ sei, die erst diejenigen klassifiziert, die als nicht der Norm entsprechend gelten. In der Rassismusforschung wird die Sichtbarkeit des Anderswirkens als „Hypervisibility“ bezeichnet, als Hypersichtbarkeit. Entscheidend dabei ist, dass sich von Hypervisibility betroffene Menschen in den Augen der anderen sehen. Auch ist ein unbemerktes Passieren, das in der Rassismustheorie als „Passing“ bezeichnet wird, nicht möglich146. Kaufmann betont, dass sich die Hypervisibility nicht nur auf die Differenzlinien schwarz-weiß bezieht, sondern beispielsweise auch auf das Kopftuch, den Namen oder den Akzent (Kaufmann 2016: 307). Über Hypervisibility wahrgenommene und als anders markierte Menschen werden als Stellvertreter_innen der Differenzgruppe behandelt, was „wechselseitige Fremdheitsgefühle“ (ebd.) produziere und unter anderem Probleme der Identität, der Fremdund der Selbstverortung hervorrufe. Thränhardt bezeichnet Fremdheitsgefühle gegenüber Migrant_innen als „charakteristisch für Einwanderungsländer“ (Thränhardt 2013: 9). Unabhängig von tatsächlichen kulturellen Unterschieden sind diese Gefühle maßgeblich beeinflusst von politischen oder medialen Spannungen und beruhen auf der Konstruktion eines homogenen Nationalstaats auf der einen Seite und Zuschreibungen gegenüber einer als homogen wahrgenommenen Fremdgruppe auf der anderen Seite. Fremdheit oder subjektiv empfundene Fremdheitsgefühle verhindern ein freiwilliges Engagement in einem aufnahmelandbezogenen Verein und verstärken den Rückzug in die eigenethnische Community. Interviewpartnerin 11 hat gelernt, mit dieser Hypersichtbarkeit zu leben und als Angehörige einer Differenzgruppe gesehen zu werden. Sie versucht, Ihr Engagement davon losgelöst auszuüben: Natürlich, das liegt an die Leute. Ich kenne die Leute nicht. Die kommen zum ersten Mal und stehen und sehen eine Frau mit Kopftuch. Und diese Frau, diese muslimische Frau mit allen unseren Geschichten soll sich um unser Kind kümmern? Ich denke viel an das. Aber ich habe das auch bei unserer Fortbildung im Mütterzentrum gefragt. Ich 146 Diese Unmöglichkeit des „Passing“ drückt sich beispielsweise auch durch verstärkte Kontrollen durch die Polizei aus, dem ethnischen Profiling.
310 6 Ergebnisse akzeptiere und ich nehme die Leute, wie sie sind. Und sie sollen das auch machen. Ich bin eine Frau mit Kopftuch. Ich arbeite, also nicht mein Kopftuch mitarbeitet, sondern ICH. Körperlich und seelisch. Sie sollen das an mich sehen und nicht mein Kopftuch. # Interview 11: 00:22:19-7# Interviewpartnerin 11 erhält dabei Unterstützung vonseiten ihres Zentrums, in dem Diskriminierung beispielsweise in Fortbildungen thematisiert wird. Andere trauen sich diesen Schritt nicht allein und bedürfen einer persönlichen Ansprache (beispielsweise durch Angehörige der eigenen Ethnie) oder eines passgenauen und weniger fremd erscheinenden Angebotes, das interkulturelle Offenheit demonstriert (hier beispielsweise: das gemeinsame Feiern des Ramadan): Viele kopftuchtragende Frauen haben sich nicht getraut, hier zu kommen. Die haben nicht mal vorbeigeschaut, als ich in Café gearbeitet habe. Immer vorbeigelaufen. Irgendwann kam eine Raum mieten hier. Und dann hab ich sie angesprochen. Und die wusste nicht, was das genau hier ist eigentlich, weil die haben gesagt, nur Mitglieder dürfen reinkommen. Viele denken immer noch so. (...) Und dann durch die RamadanFest, weil wenn eine kommt, dann kommt zwei, drei, fünf, sechs, Hunderte Menschen. # Interview 2: 01:06:13-6# (Subjektiv) Erlebte Fremdheit stellt demnach eine Engagementbarriere dar, die mit der Unterstützung durch interkulturell sensible Einrichtungen, durch Mittler_innen und/oder durch eigenes Selbstbewusstsein überwunden werden kann. 6.4.1.5 Fehlendes Selbstbewusstsein „Nicht trauen“ wird als weiteres wichtiges Engagementhindernis von mehreren Interviewpartnerinnen genannt. Neben geschlechtsspezifischen Faktoren wie der Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten korreliert dieses Nicht-Trauen mit mangelnden Sprachkenntnissen, dem Unwissen über Vereinsstrukturen, der subjektiv gefühlten Fremdheit und weiteren anderen Faktoren. Bereits im dritten Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung werden neben dem geringen Einkommen und dem niedrigen sozialen Status „Mechanismen des Selbstausschlusses“ (Deutscher Bundestag 2008: 98) als Erklärung herangezogen, weshalb sich Menschen mit niedrigem sozialen Status deutlich weniger politisch147 oder bürgerschaftlich engagieren, nämlich „weil sich die betroffenen Personen ein Engagement nicht zutrauen“ (ebd.). Für Klatt (2012: 10) ist (in Bezug auf Lang- 147 Eine Ausnahme stellt die Mitwirkung und Mitgliedschaft in Gewerkschaften dar.
6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements 311 zeitarbeitslose) von entscheidender Bedeutung, ob jemand sich als Teil der Gesellschaft sieht und demnach auch für sich die Berechtigung zum Engagement sieht oder nicht. Wie wenig dieses Nicht-Trauen zu greifen ist, verdeutlicht die Aussage von Interviewpartnerin 15: Ich glaub schon, weil die trauen sich entweder nicht, wenn irgendwie, wie gesagt, das ist für die neu, und „oh, wer weiß, was da ist" oder keine Ahnung, dass sie sich da, glaub ich eher nicht so trauen oder dass sich da nicht so rumspricht oder so. # Interview 15: 00:16:11-7# Also die Frau, die, ich denke, die arrangieren sich schon. Aber manchmal trauen sie sich nichts. Das ist das Problem. Aber wenn man die Frauen mal fragt oder sagt: „Könnt ihr euch vorstellen, dass ihr das oder das machen könntet?" Oder so. Die arrangieren sich. Da kommen die. (…). # Interview 12: 00:22:21-0# Manche trauen sich nicht und manche wissen´s net. Weil ich hab auch viele erlebt, die wussten zwar hier, haben sich nicht getraut in Sprachförderung zu gehen, zum Beispiel, von den ausländischen Müttern jetzt hier, wo ich so paar kenne. Und auch mit mehrmaligen Sagen und so, aber die haben sich dann auch nicht getraut. Weiß auch nicht warum. # Interview 18: 00:14:07-9# 6.4.2 Institutionelle Barrieren 6.4.2.1 Fehlende Wissensvermittlung über Engagement 6.4.2.1.1 Nicht zielgruppengerechte Öffentlichkeitsarbeit Nur die wenigsten der befragten Interviewpartnerinnen kamen über Eigeninitiative zum freiwilligen Engagement. Der Großteil war zunächst Nutzerin der Angebote. Dabei kritisieren viele Interviewpartnerinnen, dass Frauen mit Migrationshintergrund durch die traditionellen Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit nicht erreicht werden. Die Öffentlichkeitsarbeit erfolgt meist einsprachig durch Flyer, die an Orten ausgelegt werden, zu denen nicht alle Zugang haben, oder durch Veröffentlichungen in deutschsprachigen Medien. Vergleiche hierzu auch Gaitanides (2003; 2011; 2017) zum Abbau von Zugangsbarrieren in Bezug auf Soziale Dienste, wonach der geringe Kenntnisstand über die Angebote die größte Zugangshürde sei. Gaitanides empfiehlt zum Abbau dieser Hindernisse insbesondere Face-to-FaceKontakte, auch über Vertrauenspersonen, sowie eine zielgruppenorientierte Öffentlichkeitsarbeit durch beispielsweise muttersprachliche Flyer. Diese von Gaitanides
312 6 Ergebnisse kritisierte Öffentlichkeitsarbeit, die sich an die (bildungsbürgerliche) Mehrheitsgesellschaft richtet, wird auch von den Interviewpartnerinnen in Bezug auf das Engagement thematisiert: Das war auch mein Wunsch, dass mehr von die Mütterzentrum Reklame, warum gibt es keine Reklame im Fernsehen? Ich bin seit mehr als 20 Jahre in Deutschland und habe ich nie von Mütterzentrum gehört. Ich könnte mit meine Kinder gehen. Es war immer langweilig, immer Spielplatz und ich könnte Leute kennenlernen, ich könnte meine Sprache verbessern, wenn ich mit Leute, mit Mütter unterhalte. # Interview 11: 00:31:18-0# Das ist das erste Mal, das Wissen, dass es so etwas gibt. Weil ich wusste es ja selber nicht. Ich bin hier geboren, aufgewachsen, dass es so unkompliziert sein kann, hier reinzuwachsen. Weil man sieht so ein Gebäude und denkt, oh, ich hab Respekt davor, wer weiß, ob ich da erwünscht bin, ob ich da reingehen darf überhaupt. Ja, einfach informieren, Öffentlichkeitsarbeit, ja mitteilen, dass es so etwas gibt. # Interview 1: 00:25:38-5# Gerade für zugewanderte Menschen mit noch geringen Deutschkenntnissen stellen rein deutschsprachige Werbemaßnahmen eine Hürde da. Zusätzlich erschwerend kommt hinzu, wenn beispielsweise Flyer an Orten ausliegen, die von der potenziellen Zielgruppe nicht aufgesucht werden: Ja, ja. Oder mehrere, erste Plätze mehrere Informationen, aber noch mehrere, viele, viele Sprachen. Nicht ein, nur Deutschsprache, noch. Das ist meine Meinung. # Interview 5: 00:20:15-2# 6.4.2.1.2 Fehlende Wissensvermittlung über Strukturen Frauen mit Migrationshintergrund nutzen als Besucherinnen die Angebote der Mütter- und Familienzentren. Allerdings gelingt der Übergang von der Nutzerin zur Aktiven nur in wenigen Fällen. Dies ist nicht nur ein Phänomen in den Mütterund Familienzentren, sondern spiegelt auch die Ergebnisse der quantitativen Studien wider, wonach die Beteiligungsquote annähernd an die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund heranreicht, die Engagementquote aber deutlich geringer ist (beispielsweise Gensicke, Picot und Geiss 2006: 316). Ein Grund dafür kann daran liegen, dass vielen Nutzerinnen die Strukturen nicht klar sind bzw. die Möglichkeiten, sich zu engagieren, unbekannt sind: Weil sie das ja auch gar nicht so kennt. Und auch vielleicht, was mir lange Zeit nicht klar war: Was ist das überhaupt, Mütterzentrum? Ich dachte, da geht man, also diese
6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements 313 Strukturen waren mir überhaupt nicht klar, wie funktioniert das, was steckt dahinter? Und ich find, wenn man die verstanden, dann hat man leichter Zugang und merkt für sich, an welche Position pass ich und so. Wo kann ich mich wirklich einbringen? # Interview 4: 00:34:34-0# Ich glaub auch, dass viele gar nicht wissen, dass man sich ehrenamtlich engagieren kann hier. Also ich kam, ich bin durch Zufall da reingestolpert. Ja, aber dass vielleicht könnte man schon ab und zu mal ´ne Familie ansprechen: „Hast du nicht Lust zu kommen? Oder möchtest –“. Das ist schon, woher sollen sie es wissen? Also ich, ich mein, ich lebe jetzt schon sehr lange hier und bin sehr offener Mensch und habe trotzdem nicht gewusst, wie viele Möglichkeiten es gibt eben sich einzubringen. Da stolpert man, ich bin nur durch Zufall reingestolpert. # Interview 7: 00:37:09-4# Die direkte Ansprache kann, wie von Interviewpartnerin 7 erwähnt eine Lösung sein. Dies setzt aber vonseiten der bereits Engagierten ein Bewusstsein voraus, dass hinter einem Nicht-Engagement nicht zwangsläufig ein Desinteresse stehen muss, sondern auch fehlendes Wissen über Mitwirkungsmöglichkeiten. 6.4.2.2 Fehlende Willkommenskultur und interkulturelle Öffnung Die fehlende Offenheit gegenüber als fremd und nicht-zugehörig empfundenen Personen stellt eine große Barriere für Migrant_innen dar. Diese fehlende Offenheit kann bewusst, aber auch unbewusst demonstriert werden. Offenheit gegenüber als fremd empfundenen Menschen kann auch unter dem Konzept der Willkommenskultur (BAMF 2011: URL) zusammengefasst werden148. Die Willkommenskultur verliert in den Umfragewerten unter den Deutschen ohne Migrationshintergrund an Zuspruch149 (Zick und Preuß 2016: 3). Auch Befragte mit Zuwanderungsgeschichte sind zurückhaltend, was die Willkommenskultur gegenüber neu migrierten Menschen anbelangt, wünschen sich aber öfter als Deutsche ohne Migrationshintergrund eine Willkommenskultur für in Deutschland lebende Migrant_innen150. Die ZuGleich-Studie versteht in Abgrenzung zur Definition des 148 Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bezieht sich der Begriff „Willkommenskultur“ in erster Linie auf neu migrierte (hoch qualifizierte) Personen in der Phase der Zuwanderungsentscheidung und der Neuorientierung. Die Wertschätzung von Vielfalt während der Phase der langfristigen Etablierung schon länger zugewanderter Menschen wird als Anerkennungskultur bezeichnet. Diese Trennung zwischen Willkommenskultur und Anerkennungskultur wird allerdings im politischen Diskurs selten vorgenommen (vgl. BAMF 2011: URL). 149 Im Umfragejahr 2013/14 sprechen sich 39,5 % für eine Willkommenskultur aus, 2015/16 sind es 32,3 % der Deutschen ohne Migrationshintergrund (Zick und Preuß 2016: 4). 150 2015/16 sprechen sich 47,8 % der befragten Menschen mit Migrationshintergrund für eine Willkommenskultur aus (Zick und Preuß 2016: 5).
314 6 Ergebnisse Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge unter Willkommenskultur sowohl die Wertschätzung einer Gesellschaft der Vielfalt als auch eine „Öffnung des Heimatkonzepts für ethnische Minderheiten“ (Zick und Preuß 2016: 3). Migrantinnen dürfen zwar teilnehmen, erreichen aber bestimmte Positionen nicht, kritisiert Interviewpartnerin 1: Ja eindeutig. Das ist ohne Frage. Ja, es ist schwierig für die Migrantin, weil die wird überhaupt nicht einbezogen, oder wenn man sieht, sie ist auch überqualifiziert und könnte mir Konkurrenz werden, dann muss man sie gleich ausschalten. Das ist wirklich so. # Interview 1: 00:28:38-0# Also das ist irgendwie ist man da nicht so erwünscht. Es ist sehr seltsam, irgendwie dauert´s sehr lange, bis man dazugehört. Und die Einstellung irgendwie. Also das ist ja, also es ist schon, die werden schon ausgeschlossen oder ausgegrenzt, das ist hier schon stark schon. Und ich glaub´ auch nicht, dass sie nicht wollen oder nicht möchten, es ist einfach, die gehören nicht wirklich dazu. # Interview 7: 00:34:06-5# Nein, eigentlich braucht es da nur Offenheit, weil da sind auch sehr gute ausgebildete Frauen, die hierher kommen und dann die Sprache dann auch relativ schnell lernen. Und man müsst ein bisschen offener sein. Und dieses Aufsein, wie nennt man das, vielleicht, ich weiß nicht, woran das liegt, aber so hab ich das Gefühl meistens, dass, ich verstehs auch, ich würd auch nicht gerne wollen, jetzt kommt jemand und ich muss weg. Irgendjemand. Oder die Chance geben (…) oder in einem anderen Bereich einzubringen. Also dieses Konkurrenzdenken ist auch ganz stark, das sollte auch ein bisschen verringert werden, dass das eine Bereicherung sein kann und ´ne Chance für jemanden, wenn man noch jemanden neben sich hat oder ja, man müsste mehr offen sein. # Interview 1: 00:27:51-6# Hier geht es auch um die Frage, wer an welchen kulturellen, sozialen oder wirtschaftlichen Gütern teilhaben darf. Der von Norbert Elias und John Scotson (1993) beschriebene Konflikt zwischen Etablierten und Außenseitern wurde im Rahmen der Studien zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit unter der Überschrift der „Etabliertenvorrechte“ weiterentwickelt und vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung für Deutschland beforscht (vgl. IKG 2012). Bei den Etabliertenvorrechten als eine von insgesamt zehn Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geht es um ein „massive Verletzung von Gleichheitsgrundsätzen, die jederzeit mit kulturellen oder religiösen Argumenten zu konkreten Abwertungen bestimmter Gruppen ‚zugespitzt’ werden“ (IKG 2012: 4) können. Das heißt, insbesondere bei den Etabliertenvorrechten schwingen unterschwellig vorhandene menschenfeindliche Einstellungen mit, die sich „abhängig vom jeweiligen ‚Klima der Vergiftung´ und der Bereitschaft von gesellschaftlichen Eliten“
6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements 315 (IKG 2012: 4) mobilisieren lassen. Dabei hat sich ein Einfordern von Vorrechten für die „Eingesessenen“ in der Bevölkerung vom Erhebungszeitraum 2013/14 bis 2015/16 verdreifacht151 (Zick und Preuß 2016: 6), eine soziale Rangordnung scheint gesellschaftlich erwünscht zu sein. 6.4.2.3 Nichtpassgenaue Angebote Eine fehlende Willkommenskultur drückt sich auch in nichtpassgenauen Angeboten aus. Das Angebot richtet sich an die Mehrheitsgesellschaft. Statt die Angebote der potenziellen Klientel anzupassen, müssen sich diese den Angeboten anpassen. Interviewpartnerin 9 hat diese Lücke aktiv gefüllt und neue Angebote geschaffen: Weil bei uns, bei der deutschen Baby-Café war es so, dass die alle Fenster offen sind, dass die Mamas vielleicht ziehen aus zum Stillen und so offen macht und das ist dann nichts. Für manche ist es dann so egal. Aber für uns war das so, Frauen sollen sich bisschen schön hinsetzen, immer die Beine zu machen und so. Wenn da aber ein Mann ist, die fühlen sich nicht geschützt, nicht so wohl. # Interview 9: 00:06:41-5# 6.4.2.4 Fehlende Ansprache Die persönliche Ansprache ist ein zentraler Türöffner zum freiwilligen Engagement. Potentiell Interessierte werden nicht motiviert, wenn auf Komm-Strukturen und Eigeninitiative gesetzt wird. Also die Frau, die ich denke, die arrangieren sich schon. Aber manchmal trauen sie sich nichts. Das ist das Problem. Aber wenn man die Frauen mal fragt oder sagt: „Könnt ihr euch vorstellen, dass ihr das oder das machen könntet?“ Oder so. Die arrangieren sich. Da kommen die. Die machen das. Und die lassen auch nicht in Stich. Also die schon. Aber die sind nicht so offen. Die suchen nichts als Ehrenamt irgendwo oder hinzugehen. Das brauchen die, dieses Impuls, dieses „Hier kannst du was machen“. # Interview 12: 00:22:21-0# Also ich find, man muss, sowieso immer offen gegenüber Menschen sein, die anders sprechen, denken, wie auch immer. Und ich glaube, man erreicht diese Leute, indem man sie gezielt fragt: „Hast Du nicht Lust, mit uns mitzumachen?“ Weil vielleicht trauen die sich gar nicht so was zu. # Interview 4: 00:32:12-4# 151 Die durchschnittliche Zustimmung mehrerer Fragen zu den Etabliertenvorrechten betrug im Erhebungszeitraum 2013/14 5,3 % und stieg an auf 16,4 % im Erhebungsjahr 2015/16.
316 6 Ergebnisse 6.4.3 Gesamtgesellschaftliche Barrieren 6.4.3.1 Vorurteile Eng verbunden mit einer fehlenden Offenheit gegenüber als fremd empfundenen Personen sind Vorurteile. Das Erleben von Vorurteilen und Zuschreibungen aufgrund von äußeren Merkmalen wie eine dunklere Hautfarbe oder dem Tragen eines Kopftuches gehört für viele der befragten Interviewpartnerinnen zum Alltag. Dass diese Zuschreibungen auch nicht vor einem freiwilligen Engagement haltmachen, zeigen die Aussagen. Dabei entwickeln die von Diskriminierungen betroffenen Frauen unterschiedliche Bewältigungsstrategien. Viele, viele. Auch hier. Auch hier. Nur hier. Das war sehr schlechte Gefühl dabei, ich hab sogar geweint. Aber dann also, das ist meine Glaube, also wenn jemand also schlecht macht, anders schlecht macht, dann kriegt er auch zurück. Das kriegt er auch zurück. Und das habe ich gesehen. (…) Eigentlich bekommen sie auch gleich. Also die Zeit, die Gefühle sprechen ja, diese Zeit bisschen schwer zu aushalten, aber langsam das geht weg. Also Farbe. Ich hab eine dunkle Farbe, das ist nicht meine Fehler, das bin ich so. Also wenn jemand also sagt: „Oh, meine Kinder hat Angst von dir“. Dann: „Oh bitte, geh weg“. Ja, hab ich. (…) Ja, so passiert das so. Jetzt seit 11. September, 9.11. die also hat sich vieles geändert. Viel verändert. Also vorher war jede Frau hat also so nett, hat freundlich geguckt und so begrüßt. Aber jetzt? Also das liegt an Pakistaner. Pakistaner mit Kopftuch. # Interview 3: 00:24:23-0# Absolut. Sowohl dort als auch hier. Also deswegen war das nicht so ein Riesenunterschied. Dort waren wir eben die deutschen Faschisten-Hitlers-Bräute, was weiß ich, eben halt. Ich glaub, das gibt es überall. Und als wir nach Deutschland kamen, da war ja auch noch mal, wir kannten die Sprache nicht, also meine Generation hat nicht mehr Deutsch gesprochen, die Generation meiner Eltern, die haben es nur noch verstanden, haben wenig gesprochen und wiederum meine Großeltern, die haben wiederum Russisch schlecht gesprochen und dieses alte Deutsch gesprochen. Und deswegen war das schon, du kommst nach Deutschland, du hast praktisch alles zurückgelassen, zwar war das alles freiwillig irgendwo, aber uns Kinder hat man auch nicht so großartig gefragt. Es war zu unserem Besten, hieß es immer. Und dann bist du halt Russenschwein, gell. Aber ja und ich hab mich bemüht, so schnell wie möglich nicht mehr aufzufallen. # Interview 4: 00:25:02-2# 6.4.3.2 Isolation und Segregation Ein Hindernis für das freiwillige Engagement ist die Isolation, in der viele zugewanderte Frauen leben. Dies wird von Interviewpartnerin 16 in Bezug auf Menschen mit Fluchterfahrung geschildert:
6.4 Barrieren und Hindernisse des freiwilligen Engagements 317 Ich glaube, dass sie erst mal, die die hierher kommen, landen ungewollt auch vielleicht in der Isolation, ja. Das kommt darauf an, natürlich auf die persönliche Situation. (…) Es gibt Frauen, die verheiratet sind hier, ja, so wie auch ich, das ist natürlich der Zugang viel leichter, ja. Aber es ist ja, es ist, ich glaube, ich weiß es nicht, ich guck mir das ja auch in der Asylheimen an, sie werden immer animiert, auch selbst, selbst Initiative ergreifen, aber dieses Gegenseitige ist, das ist wie so ein Abwarten. Ich glaube, die deutsche Seite wartet ab und denkt: „Aha, die sollen schon auf uns zukommen, wenn sie auf zukommen, werden wir freundlich sein, oder so“. Aber es ist nicht leicht, es ist in der einen oder anderen Kultur, es ist nicht normal, dass die Frauen zum Beispiel auf die Straße gehen, in den Park und sich mit anderen austauschen oder so, ja. Oder dass sie irgendwelche Veranstaltungen besuchen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit bei vielen gewesen. Und da ist es natürlich auch die deutsche Seite gefragt, denk ich mir mal, ja, und irgendwann mal müssen wir auch selbst was tun. Es ist schwierig, aber deshalb denk ich ja, dass so was wie Familienzentrum oder Mütterzentrum oder wie auch immer oder diese ganzen Treffs, die jetzt natürlich jetzt auch vermehrt entstehen, ja, das ist VIEL wichtiger für die Integration als noch, sag ich mal so, der reine Deutschunterricht für diese Menschen. Es ist halt die Frage, diese Zentren bringen nichts, wenn sie nur rein für die Ausländer ausgelegt sind, ja. Also dieses sich Vermischen und diese Integration Deutsch und Ausländisch muss halt viel, viel mehr stattfinden. Weil es auch mit so ganz kleinen Aktionen, es ist zwar schön, wenn eine Familie sich nur um eine Familie kümmert, aber es ist zu wenig. Und da entstehen dann so Ballungszentren, ja, wo sich nur vielleicht die Ausländer treffen, aber da geht keine deutsche Mutter hin. Und das ist ja bei uns schon mal schön, da vermischt sich das Deutsch und Ausländisch. # Interview 16: 00:25:19-4# Aber nicht nur Isolation, sondern auch Segregation behindert das freiwillige Engagement. Insbesondere der Rückzug in die eigenethnische Community ist nicht förderlich für ein Engagement, wie es beispielsweise von Interviewpartnerin 4 geschildert wird: Also wir haben schon noch türkische Leute hier, aber die kommen gar nie. Das zum Beispiel ist vielleicht etwas, die sind auch so ein bisschen untereinander. Das kenn ich von vielen Russlanddeutschen auch. Die wollen untereinander bleiben. So ihre Sprache, ihre Gebräuche und so weiter. Was ICH schade finde. Das wollte ich NIE. Deswegen kenne ich diese Gruppierung gar nicht, das hab ich immer abgelehnt, ich wollte immer so ein bisschen, ich bin so auch ziemlich die Einzige bei uns in der Verwandtschaft, die mit einem DEUTSCHEN zusammen ist, also nicht mit einem RUSSLANDSDEUTSCHEN. Das ist ja schon auch exotisch, ja so, leider. # Interview 4: 00:36:48-3#
318 6 Ergebnisse 6.4.4 Zwischenfazit Barrieren Faktoren, die die Aufnahme eines Engagements positiv oder negativ beeinflussen, sind auf verschiedenen Ebenen angesiedelt. Gunst- bzw. Hemmfaktoren sind auf der Ebene des Individuums angesiedelt, auf der Mesoebene der Institution und auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene. Es lassen sich zudem Faktoren unterscheiden, die alle Menschen betreffen, also transkulturell sind, und Faktoren, die eher auf Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zutreffen. Folgende Faktoren beeinflussen die Aufnahme eines Engagements: Tabelle 9: Einflussfaktoren zur Aufnahme eines Engagements transkulturell Faktoren aufgrund persönlicher Merkmale  Verfügbarkeit von kulturellem, sozialem und ökonomischem Kapital (Bildung, finanzielle Situation, soziale Einbindung…)  Religiöse Bindung, solidarische Wertehaltung  Vorbilder  Wissen über Engagementmöglichkeiten und Strukturen  Selbstbewusstsein Institutionelle Faktoren  Zielgruppengenaue Öffentlichkeitsarbeit  Zielgruppengenaue Angebote  Wahrnehmung von individuellen Kompetenzen  Direkte Ansprache „unsichtbarer Gruppen“  Offenheit und demokratische Vereinskultur Gesamtgesellschaftliche Faktoren  Zugangschancen zu allen gesellschaftlichen Bereichen  Anerkennung von Diversity Quelle: Eigene Darstellung Spezifisch für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte  Sprachkenntnisse  Soziale Einbindung in die Aufnahmegesellschaft  Aufenthaltsstatus  Gefühl des Nichtdazugehörens, emotionale Distanz  fehlendes Wissen über Engagement und Strukturen aus herkunftslandbezogenen Gründen  Willkommenskultur und interkulturelle Öffnung  Wahrnehmung von individuellen Kompetenzen trotz Sprachbarrieren  Geschützter Raum  Direkte Ansprache und muttersprachliche Mittler_innen  Wissensvermittlung über Engagementmöglichkeiten und Strukturen  Zugangschancen zu allen gesellschaftlichen Bereichen unabhängig von der Staatsangehörigkeit  Zugangschancen zu allen gesellschaftlichen Bereichen unabhängig von Herkunft, Religion und Aussehen  Diskriminierung
319 6.5 Türöffner zum freiwilligen Engagement 6.5 Türöffner zum freiwilligen Engagement 6.5 Türöffner zum freiwilligen Engagement Paul-Stefan Ross (2012: 31) hat auf Grundlage der Freiwilligensurveys folgende persönliche Gunst- und Hemmfaktoren für bürgerschaftliches Engagement herausgearbeitet. Tabelle 10: Individuelle Gunst- und Hemmfaktoren bürgerschaftlichen Engagements Faktoren, die die Engagementbereitschaft eher begünstigen  Gute soziale Einbindung/viele Freunde  Leben in einer Familie mit mehreren Kindern  Hohe Bildung  Religiöse Bindung  Gesichertes Erwerbseinkommen  Leben in einer kleineren oder mittelgroßen Stadt/Gemeinde  „Einstieg“ ins Engagement bereits als junger Mensch Faktoren, die die Engagementbereitschaft eher hemmen  Arbeitslosigkeit  Niedrige Bildung  Schwache religiöse Bindung  Unsichere finanzielle Situation  Leben in einer Großstadt Quelle: Ross 2012: 31 In der hier vorliegenden Studie wurden die Interviewpartnerinnen gefragt, was ihnen den Zugang zum Engagement erleichtert hat. Damit soll die Forschungsfrage FF09 beantwortet werden. Folgende Faktoren werden von den Interviewpartnerinnen als förderlich für die Aufnahme eines Engagements beschrieben. Diese beziehen sich alle auf Erleichterungen und Türöffner vonseiten der Institution. Abbildung 34: Institutionelle Gunstfaktoren Quelle: Eigene Darstellung
320 6 Ergebnisse 6.5.1 Willkommenskultur Ein wichtiger Türöffner für die befragten Frauen ist die wahrgenommene Offenheit eines Vereins. Dieser Faktor hat einen sehr hohen Stellenwert und wird von mehreren Interviewpartnerinnen genannt. Und es war ´ne sehr, sehr offene und herzliche Atmosphäre, das war einfach sehr, man hat sich sehr schnell angenommen gefühlt. # Interview 19: 00:04:44-7# Ich bin da hin und hat man mich gleich schön begrüßt und mir haben das erklärt und gezeigt und ja, man nichts von mir erwartet, sondern: „Komm einfach und hab Spaß“, ohne irgendwas, ja. # Interview 22: 00:02:58-1# Es war einfach die Gruppe, also es war ein schönes Miteinander. Und dadurch, dass ich auch da hingezogen bin eben nach WO (Name des Wohnortes, Anmerkung), habe ich jetzt nicht so viele Frauen in meinem Alter dort gekannt. Und durch diese Gruppe, ja, das hat mir einfach imponiert, dieses, ja dieses Miteinander dort und das Familiäre. (…) Es war so familiär und ANDERS. Also die ganze Atmosphäre ist anders (…) und man hat immer das Gefühl gehabt, oder ich hatte immer das Gefühl, willkommen zu sein. Also grad im Familienzentrum willkommen zu sein. # Interview 7: 00:02:37-5# Mehrfach wird auch explizit die Offenheit bezüglich interkultureller Begegnungen erwähnt: Weil ich es hier sehr offen fand, ganz toll, dass sehr viele Frauen aus unterschiedlicher Kulturen hier sind und miteinander arbeiten, sich unterstützen. So ‘ne Anlaufstelle für alle. Nicht nur für Frauen, auch für Männer, Familie. Also es ist ein offenes Gebäude. Also wo man reinkommen kann, sich hinsetzen kann, bisschen Ruhe haben kann oder Informationen. # Interview 1: 00:02:15-9# Da ich Kopftuch trage und das ist eine Vorteil für mich, hier zu sein. # Interview 4: 00:21:34-3# Also ich denke, grad im Familienzentrum ist es für ausländische Frauen nicht schwer eigentlich. Weil hier, wir saßen hier schon im offenen Café, ja, ob das jetzt, da war schon querbeet alles dabei. Weil es hier auch den Raum gibt für Gespräche. (…) Ich denk, das hier ist auch eine Art internationales Zentrum. # Interview 17: 00:26:54-0# Und man wird auch ganz lieb aufgenommen hier, also es ist egal, was man ist, wo man herkommt, was für Nationalität man ist, wie viele Kinder man hat, wie alt man ist, das spielt alles keine Rolle und man trifft ja auch viele, auch verschiedene Kulturen, war eigentlich ganz schön, ich hab mich auch wohlgefühlt, bin auch öfter gekommen, bin auch alleine (…) und man trifft, man lernt auch viele Leute kennen und das
6.5 Türöffner zum freiwilligen Engagement 321 ist einfach schön, und man ist immer willkommen, es ist schön einfach und das war halt. # Interview 10: 00:09:19-4# Das ist egal, wo du herkommst. Das wird hier ganz großgeschrieben hier. Und das ist, das find ich, schon auch die E (Name einer aktiven Frau im Familienzentrum, Anmerkung) zum Beispiel, die macht jetzt ´ne Ausbildung. Die ist auch noch nicht lang hier in Deutschland. Die ist dunkelfarbig und hat Kopftuch. Die hat hier auch ein Ehrenamt gehabt, hat auch ein Café geleitet, ich glaub, das würd sie auch sonst nirgendwo machen können. # Interview 10: 00:47:06-4# Zur interkulturellen Offenheit gehören auch interkulturelle Angebote, die diese Offenheit unterstreichen: Oder einfach Themen. Im Familienzentrum war´s so, dass wir dann mit diesem Kochen kam´s dann so, erst mal haben wir vegetarisch gekocht und dann haben wir angefangen zu schauen, was für Mütter haben wir jetzt, die ins Pekip kommen oder die ins Familienzentrum oder welche Mütter kennen wir. Und aus welchen Ländern kommen sie. Und dann haben wir wirklich immer so Themenkochen gemacht. Einmal hat eine Frau aus Sri Lanka so asiatisch gekocht, dann hab ich mal rumänisch gekocht, obwohl ich gar nicht, ich kann ja nicht mal die Sprache sprechen, aber egal. Und so haben wir dann und das war gut. Also da ist es schon, das war schon ein Türöffner. # Interview 7: 00:38:11-8# 6.5.2 Zugangsmöglichkeiten durch direkte Ansprache, Mittler_innen und Vorbilder In der Literatur wird die persönliche Ansprache als die Zugangsmöglichkeit erwähnt. So betont Huth (2007b: 5), dass der „Weg der persönlichen Ansprache der geeignetste“ sei, entweder durch eigenethnische Kontakte und Mittler_innen oder an Orten, an denen Migrant_innen „durch eigene Betroffenheit“ (ebd.) aktiviert werden können. Neben der Offenheit und der wertschätzenden Atmosphäre ist ein weiterer wichtiger Türöffner das Schaffen von Zugangsmöglichkeiten. Dabei lässt sich feststellen, dass ein Großteil der befragten Frauen über die eigene Nutzung zum freiwilligen Engagement kam. Das heißt, die meisten Frauen waren bereits Nutzerin des Familienzentrums und nahmen die Angebote selbst in Anspruch. Klassischerweise verläuft der Zugang zum freiwilligen Engagement über die Nutzung der Angebote und im nächsten Schritt durch persönliche Ansprache. Und ja und dass mich dann auch die E (Name der Vorstandsfrau, Anmerkung) mal gefragt hat, ob ich mal Lust hab, mal mehr zu machen, und ich bin auch so ‘ne Person,
322 6 Ergebnisse die gerne so, so ein bissel Verantwortung zeigt (…) und das war auch mein Grund schon fast, auch jetzt mich dafür zu entscheiden und zu gucken, okay ich schnupper mal rein, was heißt hier Vorstand, weil das hört sich, hm, gehoben an: „Oh Gott und du hast da Verpflichtung, du musst da was machen.“ Aber die E (Name der Vorstansfrau, Anmerkung) hat gesagt: „Komm, lass, mach´s doch erst einmal und schau ´mer mal, und es ist jetzt nicht so, wenn es mal nicht geht, dann geht es nicht.“ Ja und dann hab ich das auch übernommen und bin halt in verschiedenen Bereichen. # Interview 10: 00:12:47-7# Keine der befragten Frauen fand den Weg zum freiwilligen Engagement über eine Ehrenamtsbörse oder eine andere Vermittlungsstelle des freiwilligen Engagements. Das freiwillige Engagement der befragten Frauen fand meist ungeplant und spontan und nach persönlicher Ansprache durch eine bereits aktive Person des Familienzentrums statt. Der Zugang von der Nutzerin zur aktiven Freiwilligen erfolgte oft durch eine vakante Stelle oder durch den Wunsch, ebenfalls etwas zum Gelingen beitragen zu können: Gut, dann ist jemand, die die Gruppe gemacht hat, die ist dann auch ausgestiegen. (…) Die hat dann auch gefragt: „Wer hätte denn Interesse ,die Gruppe weiterzumachen?“ Und hab ich dann schon gedacht. Ich hätte auch schon davor so gesagt: „Ach, das ist etwas, wenn dann mal, kann ich mir auch vorstellen, das zu machen.“ Und da, da, die E (Name der vorherigen Spielgruppenleiterin, Anmerkung) hatte gefragt, ob jemand Interesse hätte, es weiterzumachen. Und dann hab ich gedacht: „Ja.“ Da hab ich auch mich gemeldet und gesagt: „Ja, ich würd´s gerne weitermachen.“ # Interview 24: 00:01:16-2# Es ist einfach so, mir hat es so dermaßen inspiriert, dass hier alles absolut ehrenamtlich ist. Also dass das habe ich gar nicht begriffen vorher und- (weint). Und dann ich habe gedacht, das ist echt unglaublich irgendwie, was sie gesellschaftlich leisten, ja. # Interview 14: 00:05:50-4# Des Weiteren gibt es aber auch den Zugang durch Eigeninitiative und bewusste, rationale Motive ohne vorherige Nutzung, sei es in Form von Eigeninitiative, um Angebote zu schaffen, oder um Zugang zum Spracherwerb zu haben. Zugang durch Eigeninitiative wird insbesondere von Frauen des Engagementtyps V (die Idealistisch-Kosmopoliten) genannt. Ich bin damals mit noch einer Freundin (…) gekommen, weil wir was für unsere kleinen Töchter gesucht haben und in WO (Name des Wohnortes, Anmerkung) war damals wirklich NICHTS (lacht). Also außer paar Krabbelgruppen, aber keine Art Betreuung. Dann kamen wir auf die Idee, selber eine Betreuung zu organisieren, ne Kleinkinderbetreuung. Und das haben wir dann auch angefangen, 2002, das war die
6.5 Türöffner zum freiwilligen Engagement 323 erste Kinderbetreuung, Kleinkinderbetreuung hier im FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung), hier für Kinder ab zwei. # Interview 19: 00:02:43-8# Auch der Engagementtyp III kommt aus Eigeninitiative, wenngleich aber aus einer anderen Motivation heraus. Engagierte des Typs III waren keine Nutzerinnen und hatten auch nicht die Motivation, für sich selbst Angebote zu schaffen, sondern sehen das bürgerschaftliche Engagement als „Job“, für den sie sich eigeninitiativ bewerben: Meine Freundin hat schon hier gearbeitet seit sechs Jahren da. Und ich komm manchmal mit. Kommt auch aus Pakistan. Ich habe diese gelernt bisschen. Was machen hier mit Kindern Arbeit. Und dann ich hab die mal gefragt, ob ich auch hier Arbeit. Aber das ist so wenig. # Interview 28: 00:02:45-6# Der Großteil der Befragten kam aber, wie bereits erwähnt, nicht über Eigeninitiative, sondern über die direkte Ansprache zum freiwilligen Engagement. Ich war erstmal so Besucherin und dann wurde ich irgendwann angesprochen, ob ich so was machen wollte, könnte. # Interview 15: 00:02:21-3# Für Interviewpartnerin 9 war die persönliche Ansprache ein „Schubs“, der entscheidend war, um den Zugang zum freiwilligen Engagement zu finden und dadurch Sprache und weitere Kompetenzen zu erlernen. Interviewpartnerin 9 „glaubt nicht“, dass sie zum Zeitpunkt des Einstiegs ins Engagement so viel Selbstbewusstsein und Mut aufgebracht hätte, um selber aktiv zu werden. Bei uns war das so wichtig, weil wir, ich sprech für mich selber (…), ich hab mich nicht getraut, wegen nur Sprache, gell. Nur wegen Sprache habe ich nicht getraut. Aber hier habe ich Deutsch gelernt. Hier habe ich alles mögliche Sachen gemacht und dann, das war eine so Schubs gewesen, dass die E (Name einer Vorstandsfrau, Anmerkung) mich angesprochen hat. Aber von mich allein, ich überlege. Damalige I (eigener Name, Anmerkung)? Vielleicht? Aber ich glaub nicht. # Interview 9: 00:09:18-8# Für Interviewpartnerin 13 war es weniger der fehlende Mut. Sie brauchte die Ansprache, da sie bislang selbst nicht auf „die Idee“ zum freiwilligen Engagement gekommen war: Ich wurde angesprochen. Ich glaub, ich wär gar nicht auf die Idee gekommen. Also es war immer, ich war montags zum Frühstücken da nur mit meinem kleinen Sohn und dann hab ich halt immer mehr hier gemacht. # Interview 13: 00:01:53-0#
324 6 Ergebnisse Also seit 2010, so Mitte des Jahres habe ich angefangen mit dem MüZe-Café. Da wurd ich gefragt, ob ich da nicht einfach mithelfen könnte und will. Und da ich eh sowieso immer da war, hab ich gesagt: „Okay, ich mach das auch mit.“ Und weiteres halbes Jahr später hat man mich gefragt, ob ich aktiv miteinsteigen mag in dem Mütterzentrum, bei den Sitzungen teilnehmen und halt irgendwie, wenn irgendwas anfällt, entweder mithelfen, mitorganisieren, mitentscheiden und so weiter. Und in diesem Zusammenhang hat man mich gefragt, ob ich nicht die Kassiererin machen möchte. Und da ich sowieso so ein bisschen ein Zahlentyp bin, hab ich gesagt: „Ja klar, mach ich.“ # Interview 4: 00:05:29-6# Der in der Literatur (beispielsweise Huth 2007b: 5) beschriebene Zugang zum Engagement über die direkte Ansprache bestätigt sich auch hier. In der Studie des Instituts für Demokopie Allensbach (2013: 36) wird das Engagement durch Anstöße von außen als ein eigenständiges Motivbündel beschrieben. Dies bestätigt sich in der hier vorliegenden Studie nicht. Die direkte Ansprache ist vielmehr ein Türöffner, um zum Engagement zu gelangen, ist aber keine Motivation, sich dauerhaft zu engagieren. Mit diesen Ergebnissen kann somit auch die Forschungsfrage FF 08 beantwortet werden: Ein Großteil der Interviewpartnerinnen kam über die eigene Nutzung zum Engagement und übernahm sukzessive Verantwortung und Aufgaben. Dennoch ist der Übergang von der Nutzerin zur Aktiven kein Selbstläufer. Die direkte Ansprache war dabei für einen Großteil der Engagierten die Zugangsmöglichkeit in das Engagement. Deutlich mehr Eigeninitiative wird von den beiden höher gebildeten Gruppen gezeigt, wenngleich aus unterschiedlicher Motivation gespeist. Während der Engagementtyp V selber Angebote in Bereichen schafft, in denen Angebotslücken gesehen werden, „bewirbt“ sich Engagementtyp III um frei werdende Aufgaben mit Übungsleiterpauschale. 6.5.3 Wertschätzung von Kompetenzen Drei Frauen berichten, dass ihnen der Zugang zum freiwilligen Engagement insbesondere dadurch erleichtert wurde, dass ihre Kompetenzen wertgeschätzt wurden. Für Interviewpartnerin 8 war es eine neue Erfahrung, dass in der Aufnahmegesellschaft weniger hoch eingeschätzte Fähigkeiten wie die Handmassage hier als besondere Fähigkeit und Ressource betrachtet wurden. Sie (Vorstandsfrau, Anmerkung) hat zum Beispiel gefragt: „Was kannst du eigentlich?“ Ich erinnere mich. Ich hab gesagt: „Ich kann kochen, Handmassage machen.“ „Super“, hat sie gesagt, „kannst du Handmassage zum Hiermachen?“ Das war toll für mich. Normalerweise – # Interview 8: 00:04:06
6.5 Türöffner zum freiwilligen Engagement 325 Auch Interviewpartnerin 9 betont, dass weniger wahrgenommen wurde, was sie nicht kann (die deutsche Sprache flüssig sprechen), sondern vielmehr gefragt wurde, welche Fähigkeiten sie habe (vor mehreren Menschen sprechen). Diese Ressourcen-, statt Defizitorientierung erleichterte ihren Zugang zum freiwilligen Engagement. Ich hab dann richtig, nur vom Fragen, von ihr, bin ich dann bewusst geworden, was ich bin. Und sie, das war dann so, die Kompetenzen wurden wahrgenommen. Das war für mich das gute Gefühl. Ich bin wahrgenommen. Ich konnte damals nicht so gut Deutsch wie jetzt, aber ich konnte vor vielen Leuten sprechen. Sie hat gesagt: „Das ist super.“ Weil sie hat mir das Gefühl entwickelt. Da fühlst du dich gut, obwohl du gebrochene Deutsch, aber trotzdem hat sie uns unterstützt, dass sie uns diese Kompetenz ausgesucht habe. # Interview 9: 00:06:04-9# 6.5.4 Geschützter Raum „Es ist wichtig, einen geschützten Raum zu haben“, sagen drei Interviewpartnerinnen. Alle drei stammen aus der Türkei, sind Musliminnen und sind als erwachsene Frauen zugewandert. Diesen geschützten Raum finden sie im Familienzentrum. Für Ihr Engagement benötigen sie einen Rückzugsort, in dem sie sich ohne Männer treffen und austauschen können. Weil bei uns, bei der deutschen Baby-Café war es so, dass die alle Fenster offen sind, dass die Mamas vielleicht ziehen aus zum Stillen und so offen macht und das ist dann nichts. Für manche ist es dann so egal. Aber für uns war das so, Frauen sollen sich bisschen schön hinsetzen, immer die Beine zu machen und so. Wenn da aber ein Mann ist, die fühlen sich nicht geschützt, nicht so wohl. (…) Deswegen haben wir so gemacht, dass wir eine geschützte Raum, dass sie mal mit dem Stillen, mit den Kindern, weil manche möchten auch nicht das Kind wickeln, wenn die dabei sind, die anderen. Gibt´s auch. Und deswegen haben wir gedacht, wir machen einen geschützten Raum, dass sie sich wohlfühlen. # Interview 9: 00:08:02-5# In dieser Interviewstelle wird die Verknüpfung von gender- und migrationsspezifischen Engagementmotiven am deutlichsten. Auch wenn in dieser Studie nicht explizit auf geschlechtsspezifisches Engagementverhalten eingegangen werden kann, soll hier doch darauf hingewiesen werden, dass in überwiegend weiblich dominierten und quantitativ häufiger von Frauen frequentierten Mütter- und Familienzentren ein Engagement für Frauen ermöglicht wird, die traditionell oder religiös begründet von einer starken Geschlechtertrennung geprägt sind und sich in anderen Kontexten nicht engagieren würden. Das Ermöglichen eines „geschütz-
326 6 Ergebnisse ten Raumes“ innerhalb einer ansonsten für alle Geschlechter geöffneten Institution, kann demnach Engagierte erreichen, die ansonsten keinen oder einen herkunftslandbezogenen, traditionelleren Engagementort finden würden. In dieser Studie kann nicht abschließend geklärt werden, inwiefern auch der Name „Mütterund Familienzentrum“ dazu beiträgt, dass Frauen aus dem traditionsverwurzelten und religiösen Milieu der Zugang zum Engagementort ermöglicht wird. 6.5.5 Kultur der Solidarität und Unterstützung Das Erleben von gegenseitiger Unterstützung erleichtert die Aufnahme des freiwilligen Engagements. Weil ich es hier sehr offen fand, ganz toll, dass sehr viele Frauen aus unterschiedlicher Kulturen hier sind und miteinander arbeiten, sich unterstützen. So ne Anlaufstelle für alle. Nicht nur für Frauen, auch für Männer, Familie. Also es ist ein offenes Gebäude. Also wo man reinkommen kann, sich hinsetzen kann, bisschen Ruhe haben kann oder Informationen. # Interview 1: 00:02:15-9# Solidarität und Unterstützung am Engagementort wird sowohl von Frauen des Typs V als Gunstfaktor erwähnt, die eine starke intrinsische Motivation haben, die „Welt im Kleinen zu verändern“, und ein großes Interesse an Themen eines solidarischen und demokratischen Zusammenlebens interessiert sind, als auch von Frauen, die in prekären und schwierigen Arbeitsverhältnissen arbeiten, die durch wenig solidarisches Miteinander geprägt sind. 6.5.6 Demokratische Vereinskultur Ein weiterer Gunstfaktor vonseiten der Institution ist eine flache Hierarchie und eine demokratische Vereinskultur, in der Möglichkeiten des Ausprobierens und des Einbringens nach außen hin sichtbar sind. Das heißt, nicht nur in gewählten Ämtern und mit einer gewissen Position ist die Mitbestimmung möglich, sondern sie steht allen Interessierten offen. Das ist auch so das Gefühl des Mitbestimmens-Dürfen, das ist auch eine gute Gefühl. Weil du bist dann, du hast dann Verantwortung für viele Leute. # Interview 9: 00:46:39-7# Aber ich dachte, ich möchte jetzt was machen, irgendwie. Und dadurch, dass ich sofort diese Anerkennung und Wertschätzung auch vom Kindergarten und auch von der
327 6.5 Türöffner zum freiwilligen Engagement E (Engagierte, Anmerkung), dass dieser Weg und dass diese Türen so einfach für mich offen waren und die Leute irgendwie bereit waren, mir eine Chance zu geben, mich zu engagieren. Ja, natürlich war das Motivation ohne Ende, also. # Interview 6: 00:07:54-0# 6.5.7 Zwischenfazit Türöffner Zentrale Gunstfaktoren vonseiten der Institution sind eine wertschätzende und anerkennungssensible Grundhaltung, die von Migrantinnen auch als „Willkommenskultur“ oder interkulturell geöffnete Einrichtung wahrgenommen wird. Dies kann Nährboden sowohl für die Teilnahme als auch für eine aktive Verantwortungsübernahme sein. Um den Übergang von der einen in die andere Position zu gestalten, bedarf es darüber hinaus Mittler_innen oder Engagierte, die Kompetenzen und Potenziale erkennen und durch eine direkte Ansprache die Scheu vor unbekannten Strukturen nehmen können. Die von den Interviewpartnerinnen benannten Gunstfaktoren vonseiten der Einrichtungen tragen damit maßgeblich zum Abbau der in Kapitel 6.4 genannten Barrieren bei: Tabelle 11: Barrieren und institutionelle Gunstfaktoren Barrieren Fehlende finanzielle Ressourcen Fehlendes Wissen über Strukturen und Engagement Hypervisibility und als nicht zugehörig empfundenes Aussehen Isolation Fehlendes Selbstbewusstsein Fehlende Sprachkompetenzen Fehlende Ansprache Geschlossenheit der Institution Nichtpassgenaue Angebote Vorurteile Quelle: Eigene Darstellung Zugangsförderliche Faktoren der Institution Ehrenamtspauschale Kultur der Solidarität und Unterstützung Persönliche Ansprache Willkommenskultur und interkulturelle Öffnung Persönliche Ansprache Geschützter Raum Zugang durch Mittler_innen Kultur der Solidarität und Unterstützung Wertschätzung der Kompetenzen Persönliche Ansprache Zugang durch Mittler_innen Wertschätzung der Kompetenzen Persönliche Ansprache Willkommenskultur und interkulturelle Öffnung Wertschätzung der Kompetenzen Willkommenskultur und interkulturelle Öffnung
328 6 Ergebnisse 6.6 Zwischenfazit Empirie 6.6 Zwischenfazit Empirie 6.6.1 Zur Beantwortung der Forschungsfragen Ergänzend zur ausführlichen Ergebnisdarstellung in Kapitel 6 sollen im Folgenden in aller Kürze die Forschungsfragen beantwortet werden:  FF 01: Was motiviert Frauen mit Zuwanderungsgeschichte, sich in einem aufnahmelandbezogenen Verein zu engagieren? Unter Rekonstruktion der 28 Interviews konnten folgende sechs Motivbündel generiert werden: hedonistische, ich-bezogene und auf das eigene Wohlbefinden bezogenen Gründe (1), das Motiv der Anerkennung (2), Engagement zur Kompetenzentwicklung (3), Engagement als Kompensation (4), migrationsspezifische Gründe (5) sowie altruistische Motive (6). In dieser Arbeit wird Barbara Moschners Aussage bestätigt, wonach Engagierte „multimotiviert“ (Moschner 2002: 8) sind. Es gibt nicht die eine Handlungslogik oder die einzelne Motivation. Jedes Individuum kann von einer Vielzahl von Beweggründen geleitet werden. Das heißt, die Interviewpartnerinnen engagieren sich aus verschiedenen Motiven, die sich teilweise auch vermeintlich widersprechen, in der jeweiligen Biografie aber einen Sinn ergeben. Diese Beweggründe können teilweise zu einem Engagement in einem herkunftslandbezogenen oder aber in einem aufnahmelandbezogenen Verein motivieren. Allein das Motivbündel ist noch nicht ausschlaggebend für ein Engagement in einer Migrant_innenselbstorganisation wahlweise einem „deutschen“ Verein, dafür müssen die Subkategorien genauer betrachtet werden. So ist beispielsweise die migrationsspezifische Subkategorie „die eigene Kultur weitergeben“ tendenziell stärker in herkunftslandbezogenen Vereinen verortet, wird aber dennoch auch in dieser Studie genannt. Die Subkategorie „Kontakt zu Deutschen“ ist in herkunftslandbezogenen Vereinen dagegen kaum umsetzbar. Das heißt, unter der Kategorie „migrationsspezifische Gründe“ sprechen die Subkategorien mal stärker oder mal schwächer für eine aufnahme- oder herkunftslandbezogene Ausrichtung. Hedonistische/ichbezogene Motive sowie altruistische Gründe sind dagegen gleichermaßen in herkunfts- wie in aufnahmelandbezogenen Vereinen umzusetzen. Geht man nun von einem Engagementverständnis aus, das alle sechs Motivbündel als gleichwertig und berechtigt nebeneinander akzeptiert, müssen sich Vereine daran messen lassen, inwiefern sie zur Verwirklichung und Umsetzung dieser sechs Motivbündel beitragen können. Eine interkulturell geöffnete Organisation muss sich demnach auch daran messen lassen, inwiefern potenziell Engagierte diese migrationsspezifischen Motive (und hierbei insbesondere die eigenintegrativen und fremdintegrativen Subkategorien sowie die Subkategorie der Diskriminierung) umsetzen können oder nicht.
6.6 Zwischenfazit Empirie 329  FF 02: Inwiefern sind Engagementmotive von der Zuwanderungsgeschichte beeinflusst? Eines der insgesamt sechs generierten Motivbündel, sich in einem aufnahmelandbezogenen Verein zu engagieren, speist sich aus der Migration. Bürgerschaftliches Engagement kann demnach motiviert sein von der Situation als Migrant_in oder von der Zuschreibung als „andere_r“. Überrepräsentiert bei den Engagierten mit migrationsspezifischen Motiven sind Menschen, die aufgrund Ihres Äußeren als fremd wahrgenommen werden und von Diskriminierungserfahrungen geprägt sind (Typ I). Überrepräsentiert sind aber auch höher gebildete Engagierte ohne eigene Diskriminierungserfahrungen und in transkulturellen Bezügen verortet, die ein „bi-kulturelles Selbstverständnis“ (vhw 2016: 7) leben und von einer solidarischen Grundeinstellung und gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme geprägt sind (Typ V). Unterrepräsentiert sind Engagierte, die zu einer „post-integrativen Perspektive“ (ebd.) neigen, sich als Teil der deutschen Gesellschaft sehen und meist kein Interesse an interkulturellen Themen haben (Typ IV). Unterrepräsentiert ist auch die Engagementgruppe, die am meisten von Exklusion betroffen ist, die Unfreiwillig-Freiwilligen (Typ III). Zwar resultiert ihre Exklusion aus der Migration, aufgrund der prekären Lebensverhältnisse haben aber Motive wie „dazugehören zur Aufnahmegesellschaft“ oder „Beitrag leisten gegen Vorurteile“ keinen Platz. Das bürgerschaftliche Engagement ist für diesen Engagementtyp vielmehr ein Ort der Kompensation der fehlenden beruflichen Perspektive. Betrachtet man die Subkategorien des migrationsspezifischen Engagements, muss zwischen bewahrenden, eigenintegrativen und fremdintegrativen Gründen sowie dem Motiv der Diskriminierung unterschieden werden. Erwartungsgemäß wenig Bedeutung haben bewahrende Motive in einem aufnahmelandbezogenen Verein. Die wichtigste eigenintegrative Subkategorie ist die Sprachgelegenheit im freiwilligen Engagement. Fremdintegrative Motive ergeben sich hauptsächlich aus dem Wunsch, anderen Migrant_innen die durch die Migration beeinflusste Lebenssituation zu erleichtern. Dabei wird die Migration als verbindendes Element betrachtet. Die Subkategorien, die sich aus dem Wunsch gegen Diskriminierungen ergeben, speisen sich entweder aus eigenen diskriminierenden Erfahrungen oder aus einer vorurteilsbewussten Lebenseinstellung.  FF 03: Inwiefern sind Engagementmotive von Faktoren der sozialen Ungleichheit beeinflusst? Zentraler Faktor für das Engagementverhalten ist die berufliche Teilhabemöglichkeit. Das Engagement des Typs III ist gänzlich von der Nicht-Anerkennung des ausländischen Bildungsabschlusses geprägt. Dieser Faktor prägt das Engagementverhalten stärker als beispielsweise der Bildungsstand. Dieser spielt indirekt eine
330 6 Ergebnisse Rolle: Zu vermuten ist, dass Frauen mit einem niedrigeren Bildungsstand die Nicht-Anerkennung ihres Abschlusses nicht im Engagement kompensieren, sondern im Niedriglohnsektor (wie beispielsweise Engagierte des Typs I). In diesem Fall findet im Engagement zusätzlich noch ein inhaltliches Anknüpfen an den früheren Beruf statt bzw. ein Statusgewinn. Nicht von Exklusion und sozialer Ungleichheit betroffen sind die Engagementtypen IV und V. Diese engagieren sich aus hedonistischen bzw. geselligen oder aus altruistischen Gründen. Deshalb kann festgehalten werden: Wer von sozialer Ungleichheit betroffen ist, ist tendenziell stärker von nutzenorientierten Motiven (insbesondere kompetenzorientierten oder kompensatorischen Motiven) geleitet. Menschen, die nicht von sozialer Ungleichheit betroffen sind, haben in ihrer Lebensgestaltung mehr Wahlmöglichkeiten und können sich aus hedonistischen und ichbezogenen Gründen engagieren oder aus Gemeinwohlorientierung.  FF 04: Welche sozioökonomischen Faktoren beeinflussen die Engagementmotive? Zentrale Faktoren, die die Engagementmotive beeinflussen, sind neben den beruflichen Partizipationsmöglichkeiten (siehe FF 03) der Bildungsstand und das Einkommen. Ein niedriges (Haushalts-)Einkommen beeinflusst das Engagementverhalten in der Hinsicht, dass das Engagement eine Kompensation für fehlende Arbeit ist und eine Engagementmöglichkeit mit finanzieller Aufwandsentschädigung gewählt wird. Menschen mit mittlerem oder hohem Einkommen haben mehr Wahlmöglichkeiten und können ihr Engagement nach hedonistischen oder altruistischen Gesichtspunkten ausrichten. Ein niedriger Bildungsstand kann zu kompetenzorientierten Motiven führen (Typ II). Allerdings gibt es auch Engagierte mit niedrigem Bildungsstand, die nicht nutzenorientiert agieren, sondern stark altruistisch ausgerichtet sind (Typ I). Zusammenfassend ist also nicht ein alleiniger Faktor entscheidend für die Engagementmotivation. Neben sozioökonomischen Faktoren beeinflussen auch die persönliche Lebenseinstellung, Werte und Normen die Engagementmotive und hier insbesondere eine solidarische Grundeinstellung.  FF 05: Inwiefern sind Engagementmotive von erlebten oder subjektiv empfundenen Vorurteilen und Diskriminierungen beeinflusst? Es gibt keinen stringenten Zusammenhang zwischen selbst erlebter Diskriminierung und einem Engagement, das sich gegen Vorurteile und Diskriminierung einsetzt. Zwar engagieren sich Frauen mit eigenen Diskriminierungserfahrungen in diesem Bereich (Typ I sowie die (Spät-)Aussiedlerinnen des Typs V), während
6.6 Zwischenfazit Empirie 331 der Engagementtyp III, der ebenfalls von Exklusion und Diskriminierungen betroffen ist, dieses Engagementmotiv nicht benennt. Hingegen engagiert sich Typ V ohne eigene Diskriminierungserfahrung (mit Ausnahme der (Spät-)Aussiedlerinnen) aus einer diversitätsbewussten Haltung heraus. Die eigene Diskriminierungserfahrung kann, muss aber nicht zwingend zu einem Engagement gegen Vorurteile motivieren. Das Vorgehen gegen Rassismus und Diskriminierung ist zusammenfassend ein Thema der kosmopolitisch-idealistischen Elite einerseits sowie von Betroffenen andererseits. Gleichwohl gibt es Betroffene, die mit der eigenen Lebensbewältigung so gebunden sind, dass sie zwar Diskriminierungen als kränkend und krankmachend wahrnehmen, aber keine Kraft haben, sich dagegen zur Wehr zu setzen oder gar aktiv zu bekämpfen.  FF 06: Welche Rolle spielt die Monetarisierung im Engagement? Bürgerschaftliches Engagement hat in einigen Fällen den Status eines Niedriglohnsektors entwickelt und hat sich damit von den ursprünglichen Kriterien der Unentgeltlichkeit und Freiwilligkeit entfernt. Ein Engagement, dessen Hauptmotiv die Aufwandsentschädigung ist, ist zwar gemeinwohlorientiert, aber von einem freiwilligen Engagement kann nicht die Rede sein, wenn es sich wie in dieser Studie (Typ III) nicht nur um einen Zuverdienst, sondern um Existenzsicherung handelt. Das Motiv der finanziellen Einnahmequelle soll an dieser Stelle nicht abgewertet werden in Abgrenzung zu angeblich „edlen“, altruistischen Motiven. Es wird als legitimes Mittel der Lebensbewältigung gesehen. Es geht vielmehr darum, herauszufinden, wie Engagierte mit diesem Motiv unterstützt werden können, ihr Leben zu bewältigen. Vonseiten der Politik152 wird gefordert, dass „eine klare Linie zwischen Engagement und entlohnter Arbeit gezogen werden müsse“ (Sunken 2017: 4), da die Gefahr eines Niedriglohnsektors entstünde: „Ein bürgerschaftliches Engagement dürfe nicht zum Ersatz für Erwerbsarbeit oder fehlende staatliche Leistungen werden“ (ebd.). Tatsache aber ist, dass es auch in Deutschland Menschen gibt, die sich in keinen, in schlecht bezahlten oder in prekären Arbeitsverhältnissen befinden, und dass die Annahme eines bezahlten bürgerschaftlichen Engagements eine unter vielen Möglichkeiten der Lebensbewältigung ist. Das heißt, der Appell, Erwerbsarbeit und Engagement zu trennen, ist ein Wunsch, der von der Realität längst überholt wurde. Während es also auf der einen Seite Menschen gibt, für die „freiwilliges Engagement als selbstverständlicher Bestandteil einer Work-Life-Balance“ (Röbke 2017: 2) in einer entfremdeten Arbeitswelt gilt, 152 Die Bundestagsabgeordneten und Mitglieder des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“ Ingrid Pahlmann (CDU), Dr. Rosemarie Hein (Die Linke), Kordula Schulz-Asche (Bündnis 90/ Die Grünen) und Willi Brase (SPD) diskutierten am 7.2.2017 über das Thema „Lebenszeit gestalten: Engagement und Erwerbsarbeit vereinbaren“ und waren sich inhaltlich einig, Engagement und Erwerbsarbeit zu trennen.
332 6 Ergebnisse gilt es ebenso zur Kenntnis zu nehmen, dass es auf der anderen Seite Menschen gibt, für die das Engagement zur „Life-without-work-Balance“ gehört im Sinne der Lebensbewältigung eines unfreiwillig erwerbslosen Lebens. Thomas Röbke betont zwar, dass „das ‚bezahlte´ Ehrenamt meist nur eine Nebenrolle“ (Röbke 2017: 4) spielt, dennoch darf Engagementförderung diese Gruppe nicht vergessen, nur weil sie weniger präsent und lautstark ist.  FF 07: Welche Rolle spielen berufliche Partizipationsmöglichkeiten im Engagement? In Ergänzung zur Beantwortung der Forschungsfrage FF 03 sind berufliche Partizipationsmöglichkeiten zentral für die Motivation zum bürgerschaftlichen Engagement. Die bedeutsame Rolle dieses Faktors war zu Beginn der Studie nicht absehbar, so wurde ursprünglich dem Faktor Bildung eine größere Bedeutung eingeräumt. Zufriedenstellende berufliche Partizipationsmöglichkeiten tragen dazu bei, dass bürgerschaftliches Engagement ohne Monetarisierung ausgeübt werden kann und dass hedonistische und ichbezogene Motive oder altruistische Motive im Vordergrund stehen können. Sind die beruflichen Partizipationschancen nicht zufriedenstellend oder nicht vorhanden, kommt dem bürgerschaftlichen Engagement je nach persönlicher Ausstattung und Unterstützungsmöglichkeiten eine unterschiedliche Bedeutung zu. Zu unterscheiden sind zum einen eine resignierende (teilweise Typ III), eine kompetenzorientierte (Typ II und teilweise Typ III) sowie eine altruistisch ausgerichtete Haltung, wonach Personen in ähnlichen Lebenssituationen von einer zukünftigen Partizipation und Inklusion profitieren sollen (Typ I).  FF 08: Was sind wichtige Zugangswege zum Engagement? Der typische Zugangsweg zum bürgerschaftlichen Engagement erfolgt in Mütterund Familienzentren über die eigene Nutzung. Bei den meisten Befragten fand ein „Hineinwachsen“ in die Aufgaben statt bei zunehmender Verantwortungsübernahme. Das Engagement war meist ungeplant, „es hat sich so ergeben“ ist eine typische Aussage der Interviewpartner_innen. Entscheidend für den Übergang von der Nutzerin zur Aktiven sind direkte Ansprachen vonseiten bereits Engagierter und/oder von Geschäftsführer_innen. Keine der Interviewpartnerinnen benannte Ehrenamtsbörsen oder Ehrenamtskoordinationsstellen als Zugangsweg. Auffallend ist, dass sich sämtliche Engagierte des Typs III eigeninitiativ am Engagementort gemeldet haben und zuvor nicht Nutzerinnen der Angebote waren. Zu erklären ist dies mit der kompensatorischen Funktion des Engagements, wonach dies eher als Arbeitsplatz betrachtet wird und damit verbunden mit einer Bewerbung für diese Stelle.
6.6 Zwischenfazit Empirie 333  FF 09: Was sind engagementfördernde Faktoren für Frauen mit Zuwanderungsgeschichte? Neben der herausragenden Bedeutung der persönlichen und direkten Ansprache (siehe Forschungsfrage FF 08) trägt eine Willkommenskultur entscheidend zur Engagementförderung von Frauen mit Zuwanderungsgeschichte bei. Darunter sind eine diversitätsbewusste Haltung, die Wertschätzung von Kompetenzen und Ressourcen und eine transparente und demokratische Vereinskultur zu subsummieren. Das Angebot eines geschützten Raumes ist ausschließlich für Frauen aus dem traditionellen und religiösen Milieu von Bedeutung.  FF 10: Was sind engagementbremsende Faktoren für Frauen mit Zuwanderungsgeschichte? Hemmfaktoren bestehen entweder aufgrund persönlicher Merkmale, institutioneller Gründe oder aufgrund gesamtgesellschaftlicher Barrieren. Zentrale persönliche Merkmale sind fehlende Sprachkenntnisse und ein fehlendes Selbstbewusstsein. Von zentraler Bedeutung ist aber auch das Nicht-Wissen von Engagementmöglichkeiten, weil es beispielsweise andere Vorstellungen von Engagement im Herkunftsland gibt. Dieses Nicht-Wissen setzt sich als engagementbremsender Faktor vonseiten der Institution fort: Die fehlende Wissensvermittlung über Engagementmöglichkeiten und Strukturen sowie eine nicht-zielgruppengerechte Öffentlichkeitsarbeit zeugt von einem Mittelschichtbias in den Engagementorten. Gesamtgesellschaftliche Barrieren sind Vorurteile oder die Angst vor Vorurteilen („Stereotype Threat“).  FF 11: Inwiefern trägt bürgerschaftliches Engagement zu einer persönlichen Veränderung bei? Persönliche Zufriedenheit, die Entwicklung von Toleranz, eine Zunahme an Selbstbewusstsein sowie ein gesteigertes Interesse an gesellschaftspolitischen Fragestellungen sind die vier positiven Veränderungen, die genannt wurden. Eine Veränderung zum Negativen wurde nicht benannt. Quantitativ am häufigsten wurde die Steigerung des Selbstbewusstseins genannt in Folge von Verantwortungsübernahme und dem Repräsentieren des Engagementfeldes gegenüber anderen Engagierten oder in der Öffentlichkeit. Eine Zunahme an Toleranz in Bezug auf plurale Lebensentwürfe infolge von Kontakten außerhalb der eigenen Ethnie oder des eigenen Milieus ist eine weitere Veränderung, die im Engagement inzidentell entwickelt wurde.
334 6 Ergebnisse 6.6.2 Grenzen der empirischen Forschung Die vorliegende Arbeit konnte einige Fragen nicht abschließend klären, was am Forschungsdesign liegt, aber auch an den begrenzten Ressourcen der Autorin. Folgende Lücken werden gesehen:  Gendersensible Aspekte In der Studie wurden ausschließlich Frauen befragt, dennoch konnten keine genderspezifischen Aspekte herausgearbeitet werden, da die Vergleichsgruppe der Männer im gleichen Engagementfeld fehlte. Der Fokus der Arbeit lag vielmehr auf der Migration und weniger auf der Verschränkung von Migration und Geschlecht. In einzelnen Antworten wird die Verschränkung dieses Themengebietes dennoch deutlich, wie beispielsweise im Kapitel 6.5, wonach ein „geschützter Raum“ für einige Engagierte aus tendenziell traditionellen Milieus ein Türöffner zum Engagement darstellt. Aufgrund der fehlenden Vergleichsgruppe kann dieser Zusammenhang nur angedeutet und nicht weiter vertieft werden. Anknüpfend an diese Leerstelle der Studie wäre eine Befragung von in Familienzentren engagierten Männern mit Migrationshintergrund hilfreich, um weitere geschlechtsspezifische Unterschiede herauszuarbeiten. Mögliche Forschungsfragen wären hierbei: Werden von engagierten Männern ähnliche Engagementhürden und -zugänge benannt oder unterscheiden sich diese von den Frauen? Nennen Männer ebenfalls diese sechs Engagementmotive oder gibt es noch weitere Motive, die bislang nicht benannt wurden, oder wie relevant sind die von Frauen benannten Motive für Männer? Gleichwohl ist eine Vergleichbarkeit von Frauen und Männern kritisch zu hinterfragen. Insbesondere die in einigen Zentren aus der Geschichte begründete Bezeichnung „Mütterzentrum“ kann dazu führen, dass die bei den Interviewpartnerinnen angetroffene große Bandbreite an Bildung, Milieuzugehörigkeit, politischer Einstellung, Religionszugehörigkeit oder anderer Differenzlinien bei Männern eventuell nicht anzutreffen wäre. Es ist zu vermuten, dass der Begriff des Mütterzentrums bei Männern zum (Selbst-)Ausschluss verschiedener Milieus führt.  Engagementbarrieren und Nicht-Engagement Die von den Interviewpartnerinnen benannten Engagementbarrieren wurden von Engagierten entweder eigeninitiativ oder mit Unterstützung überwunden oder werden bei anderen potenziell Interessierten wahrgenommen. Um diesen Bereich der Engagementbarrieren sinnvoll zu ergänzen, müssten Nicht-Engagierte in Familienzentren danach befragt werden, was der Grund ihres Nicht-Engagements ist. Diese
6.6 Zwischenfazit Empirie 335 Befragung könnte neben individuellen Gründen (Zeit, fehlendes Interesse, Engagement an einem anderen Engagementort usw.) mögliche institutionelle Hürden verdeutlichen, die von den Engagierten in dieser Befragung nicht thematisiert wurden. Zu fragen wäre also, ob sich potenziell an einem Engagement Interessierte aus institutionellen Gründen nicht engagieren können. Um diese Forschungsfrage beantworten zu können, müssten als Vergleichsgruppe Nicht-Engagierte mit einem grundsätzlichen Interesse herangezogen werden.  Engagierte aus anderen Arbeitsfeldern Die Befragung von Engagierten an anderen Engagementorten könnte zu Erkenntnissen führen hinsichtlich der Statuserhöhung in der Kategorie „kompensatorische Motive“ und bezüglich der Engagementgruppe III. In dieser Studie konnte nicht abschließend geklärt werden, ob sich Frauen mit nicht anerkannten ausländischen Berufsabschlüssen auch in anderen Institutionen engagieren, in denen sie an ihre frühere Berufstätigkeit anknüpfen können. Das Hauptmotiv des Engagementtyps III ist die Monetarisierung sowie die Statuserhöhung durch die Anschlussfähigkeit an den früheren Beruf. Zu klären wäre durch den Vergleich mit anderen Engagementfeldern, ob sich beispielsweise nicht anerkannte Ärztinnen verstärkt in Organisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz engagieren oder nicht anerkannte Ingenieurinnen beim Technischen Hilfswerk. In der vorliegenden Studie knüpfen vier der fünf Engagierten des Typs III an ihren früheren Beruf an, sodass dies auch für andere Engagementfelder denkbar ist, durch dieses Forschungsdesign aber im Hypothetischen bleiben muss. Um die institutionellen Engagementhürden und -zugänge stärker herausarbeiten zu können, wäre der Vergleich mit Engagierten in anderen Engagementfeldern wichtig. Dazu müssten die Aussagen der Engagierten aus unterschiedlichen Organisationen miteinander verglichen werden, um insbesondere den Beitrag der einzelnen Institutionen zum Engagement bzw. Nicht-Engagement zu erkennen. Dies könnte ein ergänzender Beitrag zu Konzepten der interkulturellen Öffnung darstellen. Anschlussfähig an diese Arbeit wären demnach weitergehende Befragungen von Männern mit Migrationshintergrund in demselben Engagementbereich, die Befragung von potenziell interessierten Nicht-Engagierten sowie die Befragung von engagierten Frauen mit Migrationshintergrund in anderen Engagementbereichen. Wenig Erkenntnisgewinn wird von der Erhebung von Frauen ohne Zuwanderungsgeschichte vermutet, da die wissenschaftliche Datenlage insbesondere durch die Freiwilligensurveys sehr gut ist. Wenig Erkenntnisgewinn wird auch von einer ergänzenden quantitativen Erhebung erwartet. Die Erfassung der Lebenswirklichkeit der Engagementgruppe III
336 6 Ergebnisse sowie von Teilen der Gruppe I und II erfordert Face-to-Face-Interviews in einer persönlichen und wertschätzenden Atmosphäre. Telefonische, internetbasierte oder schriftliche Umfragen erreichen nur einen Teil der Engagierten und zwar tendenziell die höher Gebildeten und/oder die Engagierten mit guten Deutschkenntnissen.
7 Verknüpfung von Empirie und Theorie 7 Verknüpfung von Empirie und Theorie 7.1 Empirie und Anerkennung 7.1 Empirie und Anerkennung Das Konzept der Anerkennung ist in folgender Hinsicht anschlussfähig für die vorliegende Studie: 1. 2. 3. Auf individueller Ebene hinsichtlich der Inklusion von Menschen, die von Anerkennung ausgeschlossen sind und die Anerkennung im bürgerschaftlichen Engagement erfahren können. Auf gesellschaftlicher, machtpolitischer Ebene hinsichtlich der Verquickung von Anerkennung, Verletzlichkeit und Teilhabe. Auf institutioneller Ebene hinsichtlich der Rahmenbedingungen für anerkennungssensible Engagementorte. Damit ist das Konzept der Anerkennung für das bürgerschaftliche Engagement hilfreich, um sowohl auf der Mikro- (1.), der Makro- (2.), als auch auf der Mesoebene (3.) den individuellen „Kampf um Anerkennung“ einerseits und institutionelle und gesellschaftliche Machtstrukturen der Inklusion und Exklusion andererseits verstehen zu können und daraus Handlungsschritte im Sinne eines anerkennungssensiblen Engagementortes abzuleiten. 1. Unter Rückgriff auf das theoretische Modell „Kampf um Anerkennung“ von Axel Honneth kann freiwilliges Engagement einen Beitrag leisten, Selbstbeziehung in den drei Formen Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstschätzung zu erlangen. Knothe konstatiert, dass „das Feld des bürgerschaftlichen Engagements die Möglichkeit zur Bewältigung von wahrgenommenen Anerkennungsdefiziten aufseiten der Individuen“ (Knothe 2004: 9) eröffne. Insbesondere die von Honneth thematisierten Missachtungstypen der rechtlichen Exklusion sowie die Entwürdigung und Wahrnehmung als Nicht-Person werden für diese Studie als anschlussfähig für die Motivation einzelner sozialer und ethnischer Milieus im bürgerschaftlichen Engagement betrachtet. Honneth verdeutlicht in seinem Stufenmodell, dass ein positiver Selbstbezug und eine gelingende Identitätsentwicklung nur in Wechselwirkung mit den Bezugspunkten Familie, Staat und Gesellschaft möglich ist: © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A.-K. Schührer, Migration und Engagement, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25096-6_7
338 7 Verknüpfung von Empirie und Theorie „Die Anerkennungsformen der Liebe, des Rechts und der Solidarität bilden intersubjektive Schutzvorrichtungen, die jene Bedingungen äußerer und innerer Freiheit sichern, auf die der Prozeß [sic] einer ungezwungenen Artikulation und Realisierung von individuellen Lebenszielen angewiesen ist“ (Honneth 2016: 279). Das heißt im Umkehrschluss, dass fehlende Partizipation zu einem negativen Selbstbezug in Form von fehlendem Selbstvertrauen, fehlender Selbstachtung und fehlender Selbstschätzung führt. Anerkennungssensible Orte bürgerschaftlichen Engagements können demnach dazu beitragen, einen positiven Selbstbezug zu entwickeln. Insbesondere für Menschen, die bislang Ausgrenzung, Entwürdigung und Beleidigung erfahren mussten, kann bürgerschaftliches Engagement eine Möglichkeit darstellen, Anerkennung vor allem qua Solidarität (bzw. Leistung) zu erlangen. Dabei wird für drei Gruppierungen Honneths Anerkennungsmodell für fruchtbar erachtet:    Menschen, die qua Liebe exkludiert sind (1) Menschen, die qua Recht exkludiert sind (2) Menschen, die qua Solidarität exkludiert sind (3) (1) Die Missachtung der grundlegendsten Anerkennungsform Liebe kann vielfältige Folgen bis hin zu schwersten Traumatisierungen haben. Grundsätzlich möglich ist es, im Engagement einen Ort der Anerkennung durch Liebe zu finden, vgl. Zimmermann (2015) über Jugendliche aus instabilen Familienverhältnissen im Engagement. In der vorliegenden Studie wurde allerdings nicht explizit die familiäre Sozialisation untersucht. Dennoch lässt sich auch in dieser Studie der Wunsch nach positiver Rückmeldung finden (vgl. Kapitel 6.1.2.1), was den von Honneth beschriebenen Begriff „Liebe“ greifbarer macht. Es konnten folgende Subkategorien generiert werden:  der Wunsch nach Anerkennung durch nonverbale Rückmeldungen (…) Und das find ich ganz toll, dann auch zu sehen, wie sie dann glücklich sind. # Interview 1: 00:03:43-5#  der Wunsch nach verbalen Rückmeldungen durch andere Engagierte, Nutzer_innen, das persönliche Umfeld oder die Öffentlichkeit Einfach, dass man auch bisschen geschätzt wird für das, was man tut. Man kriegt zwar kein Geld dafür, aber ich krieg dafür Anerkennung und Lob. # Interview 22: 00:07:16-6#
7.1 Empirie und Anerkennung  339 der Wunsch nach einer symbolischen Wertschätzung Ja, dass man einmal im Jahr in den Europapark gehen kann umsonst, das ist ja nicht wenig. Und da fühlt man sich auch so: „Hach, ich hab Freikarten, weil ich halt ja was tue.“ Dann denkt man, auch im Freundeskreis: „Au Mann, du hast es ja gut." „Ja, aber ich mach ja auch was dafür." # Interview 10: 00:21:45-1#  der Wunsch nach Wertschätzung als Person Dass ich in einen Stand die Stunden stehe und Kuchen verkaufe mit meinem Kopftuch. Da war immer das Kopftuch das Problem. Und da bin ich da. (…) Und bin ich akzeptiert. # Interview 11: 00:20:54-9# Sowohl Honneth (2016) als auch Zimmermann (2015) beziehen die Suche nach Liebe auf früheste Sozialisationserfahrungen bzw. auf Fehlentwicklungen in der frühen Kindheit in Form von Missachtung und Misshandlung. Liebe setze sich aber nach Honneth auch in Partnerschaften und Freundschaften fort und basiere auf emotionaler Bindung und sei deshalb auch nicht auf eine größere Personengruppe zu übertragen (Honneth 2016: 153ff). Analog zu Zimmermanns Erhebung in einem christlichen Jugendverband kann auch für diese Studie nachgewiesen werden, dass die Suche nach Anerkennung durch Liebe erstens auch im Erwachsenenalter von Belang ist und zweitens (zusätzlich zu anderen Anerkennungsorten) auch im bürgerschaftlichen Engagement befriedigt werden kann. Zwei Punkte werden dabei als besonders relevant gesehen: Zum einen ist Anerkennung durch Liebe am Engagementort dann besonders wichtig, wenn es wenige bis keine weiteren Anerkennungsorte wie Familie oder berufliches Umfeld gibt. So erwähnen beispielsweise die Interviewpartnerinnen 17 und 22 die fehlenden positiven Rückmeldungen im Familienalltag: Ich denk auch ein bissele fürs eigene Ego. Dass man einfach, man wird gebraucht. Natürlich wirst du daheim in der Familie auch gebraucht, aber da kriegst du vielleicht nicht so viel zurück in Worten, glaub ich, oder bei mir ist es so. # Interview 17: 00:14:44-6# Auch beruflich nicht inkludierte oder in prekären, wenig wertschätzenden Tätigkeitsfeldern Arbeitende benennen quantitativ häufiger das Motiv der Anerkennung, während beruflich inkludierte Engagierte Anerkennung nicht am Engagementort suchen (Engagementtyp V). Zum anderen ist der Wunsch nach Anerkennung und Wertschätzung als Person ein zentrales Motiv, das für ein Engagement in einem aufnahmelandbezogenen Verein spricht. Während der Wunsch nach positiven Rückmeldungen auch in eigenethnischen Vereinen zu verwirklichen wäre, ist der Wunsch nach Wertschätzung der
340 7 Verknüpfung von Empirie und Theorie eigenen Person stark mit dem Status und der Zuschreibung als „andere“ verknüpft. Dies wird durch die Interviewpassagen der Interviewpartnerinnen 3 und 11 (vgl. Kapitel 6.1.2.1) deutlich, die allein durch das Tragen eines Kopftuches als fremd wahrgenommen werden und im aufnahmelandbezogenen Engagementort eine Wertschätzung als Person statt einer Reduktion auf das Kopftuch erleben. Ich bin eine Frau mit Kopftuch. Ich arbeite, also nicht mein Kopftuch mitarbeitet, sondern ICH. Körperlich und seelisch. Sie sollen das an mich sehen und nicht mein Kopftuch. # Interview 11: 00:22:19-7# Damit lässt sich Honneths beschriebene Exklusion qua Liebe in dieser Studie durch die Rekonstruktion der Interviews nachvollziehen und bestätigen. (2) Die Exklusion qua Recht drückt sich in der vorliegenden Studie insbesondere durch den Aufenthaltsstatus und/oder durch die fehlende deutsche Staatsbürgerschaft aus. Diese rechtliche Exklusion hat Folgen vor allem für die politische sowie für die berufliche Partizipation. Von den weitreichendsten Einschränkungen betroffen ist dabei die Engagementgruppe III, die aufgrund verschiedener Faktoren von einer gleichberechtigten Teilhabe an der Arbeitswelt ausgeschlossen ist. An Subkategorien wurden der Wunsch nach „Dazugehören“ sowie der Wunsch nach „Gestaltungsrechten“ generiert. Der Wunsch nach „Dazugehören“ wird beispielsweise von Interviewpartnerin 10 erwähnt: Und dann gehörst du auch WIRKLICH dazu zu dieser Familie. Es gehören alle dazu, aber so richtig dazugehört hab ich, habe ich so gefühlt, erst nach dem Vorstand, nach der Vorstandsaufnahme. (…). # Interview 10: 00:33:06-5# Zentral für exkludierte Menschen ist auch das Engagementmotiv, nicht mehr ohnmächtig zu sein, sondern stattdessen Gestaltungs- und Mitbestimmungsräume zu haben: Das ist auch so das Gefühl des Mitbestimmens Dürfen, das ist auch eine gute Gefühl. Weil du bist dann, du hast dann Verantwortung für viele Leute. # Interview 9: 00:46:39-7# Auf den ersten Blick verwunderlich erscheint, dass der Wunsch nach Anerkennung von der am meisten exkludierten Engagementgruppe, den Unfreiwillig-Freiwilligen, am wenigsten in den Interviews erwähnt wird. Hier liefert der Verweis auf die Theorie der Lebensbewältigung Erklärungsansätze,
7.1 Empirie und Anerkennung 341 wonach der Engagementtyp III so stark mit der „einfachen“ Bewältigung gebunden ist, dass der Wunsch nach Anerkennung zwar grundsätzlich vorhanden ist, aber keinen Ausdruck findet. Hier lassen sich die beiden theoretischen Modelle von Honneth (2016) und Böhnisch (2015) miteinander verknüpfen (vgl. ausführlich Kapitel 4.4): Durch die Ermöglichung von Ausdruck kann die Betroffenheit von rechtlicher Exklusion zumindest thematisiert und aus der Vereinzelung herausgelöst werden. (3) Die Exklusion qua Solidarität drückt sich in der vorliegenden Studie durch die Nichtanerkennung von Leistungen und Fähigkeiten einzelner aus. Betroffen sind insbesondere die Engagementtypen I, II und III. Ihre Fähigkeiten werden entweder von der Aufnahmegesellschaft nicht als wertvoll erachtet oder aber es sind Fähigkeiten, die aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe nicht geschätzt werden. So werden beispielsweise die grundsätzlich anerkannten Fähigkeiten einer Lehrerin gesellschaftlich nicht wertgeschätzt, da die Pädagogin ein Kopftuch trägt. Bürgerschaftliches Engagement kann für diese Personen ein Ort sein, Selbstschätzung zu erfahren, indem die ansonsten nicht oder wenig geschätzten Fähigkeiten in eben diesem Rahmen anerkannt werden. An Subkategorien konnten der Wunsch nach „Gebrauchtwerden“, die „Anerkennung von ansonsten wenig geschätzten Fähigkeiten“ sowie der „Wunsch nach Erfolgserlebnissen“ generiert werden. Der Wunsch, im Engagement gebraucht zu werden, ist relevant für Engagierte, die beruflich nicht partizipieren können. Dieses Engagementmotiv, das unabhängig vom Migrationshintergrund zu sehen ist, weist auf die kompensatorische Funktion des bürgerschaftlichen Engagements hin. So kann beispielsweise Interviewpartnerin 11 im Engagement Anerkennung durch Leistung erfahren, eine Erfahrung, die sie als ungelernte und arbeitslose Frau außerhalb des Engagementortes nicht machen kann: Das Gefühl, dass ich gebraucht bin. „Wir brauchen dich, kannst du das machen?" Das Gefühl hat ein sehr positiver Eindruck an mich. Ja, ich bin gebraucht. Ich kann was machen. Ich bin nicht mehr arbeitslos. Ich bin nicht mehr nur zu Hause. Mit Kindern und Haushalt. Ich bin jetzt draußen und ich tu auch was. Es gibt Leute, die mir diese Chance geben. Und gerne geben. Und für mich ist das eine Gelegenheit. Und etwas zu tun. # Interview 11: 00:04:48-1# Ebenfalls ohne direkten Zusammenhang zur Migration ist der Wunsch nach Erfolgserlebnissen im Engagement zu bewerten.
342 7 Verknüpfung von Empirie und Theorie (…) und da kann ich auch unheimlich viel bewegen und viel erreichen. (…) Also, aber ich hab dadurch aber auch große Erfolge und schnelle Erfolge (…). # Interview 7: 00:18:37-3# Ein direkter Bezug zum Migrationsstatus besteht dagegen in der Subkategorie „Anerkennung für ansonsten wenig geschätzte Fähigkeiten“. Die NichtAnerkennung bestehender Fähigkeiten und die Defizitorientierung wurden in einigen Interviewpassagen thematisiert. Am (anerkennungssensiblen) Engagementort besteht die Möglichkeit, eigene Fähigkeiten einzubringen, die auf dem Arbeitsmarkt wenig Wertschätzung erfahren: Und sie, das war dann so, die Kompetenzen wurden wahrgenommen. Das war für mich das gute Gefühl. Ich bin wahrgenommen. Ich konnte damals nicht so gut Deutsch wie jetzt, aber ich konnte vor vielen Leuten sprechen. Sie hat gesagt: „Das ist super." Weil sie hat mir das Gefühl entwickelt. Da fühlst du dich gut, obwohl du gebrochene Deutsch, aber trotzdem hat sie uns unterstützt, dass sie uns diese Kompetenz ausgesucht habe. # Interview 9: 00:06:04-9# Wenige theoretische Anhaltspunkte bietet das Konzept der Anerkennung in Bezug auf Menschen mit Migrationserfahrung, deren in der Herkunftsgesellschaft anerkannte Leistungen in der Aufnahmegesellschaft nicht anerkannt werden. Einen Ausweg aus diesem Dilemma versprechen drei idealtypische Möglichkeiten, wovon zwei davon in dieser Studie zu beobachten sind: Ein Weg besteht in Form der Assimilierung, also der einseitigen Anpassung an die Wünsche der Aufnahmegesellschaft. So gibt es Hinweise in der vorgelegten Studie, wonach Frauen mit Migrationserfahrung beispielsweise ihr im Herkunftsland anerkanntes Studium in der Aufnahmegesellschaft nicht verwerten können (im Sinne von Anerkennung durch Einkommen und Status) und eine grundständige Ausbildung in Deutschland absolvieren (beispielsweise Interviewpartnerin 19). Ein zweiter idealtypischer Weg, mit der NichtAnerkennung der Leistung im Aufnahmeland umzugehen, ist die Kompensation. Diesen Weg gehen insbesondere Interviewpartnerinnen des Engagementtyps III, die sich andere Orte der Anerkennung suchen und diese im bürgerschaftlichen Engagement finden. Denkbar ist als dritter Weg die Suche nach Anerkennung in einer Parallelgesellschaft, in der die eigenen Leistungen und die Kompetenzen aus der Herkunftsgesellschaft nach wie vor anerkannt werden. Durch das Forschungsdesign mit einer Erhebung in einem aufnahmelandbezogenen Verein, wie sie hier vorliegt, konnte diese Möglichkeit nicht erhoben werden. Insbesondere die Subkategorie der Wertschätzung von ansonsten wenig geschätzten Fähigkeiten kann für Engagierte mit Zuwanderungsgeschichte
7.1 Empirie und Anerkennung 343 ein Motiv sein, sich in einem aufnahmelandbezogenen Verein zu engagieren und dort die Anerkennung von Leistungen zu erfahren. Auch hier ist wieder eine Verknüpfung von Honneths (2016) und Böhnischs (2015) Theorie hilfreich (vgl. ausführlich Kapitel 4.4), um einen Transfer von der Kompensation im Engagement hin zu einer erweiterten Lebensbewältigung zu ermöglichen. Durch Anerkennung im Engagement, durch die Unterstützung von Ausdrucksmöglichkeiten, Autonomie und Aneignung kann dies in einem fördernden Engagementort gelingen. In allen Bereichen kann bürgerschaftliches Engagement dazu beitragen, das Kontinuum zwischen Wunsch nach Anerkennung und entzogener Anerkennung zu füllen. Dabei kommen bürgerschaftlichem Engagement zwei unterschiedliche Funktionen zu: Zum einen schafft bürgerschaftliches Engagement Orte, an denen Individuen Anerkennung erlangen können. Zum anderen kann in einer politischen Dimension im bürgerschaftlichen Engagement auf Missstände insbesondere in Bezug auf die Missachtung rechtlicher Anerkennung hingewiesen werden. 2. Als anschlussfähig für die vorliegende Studie wird auch der Begriff der Verletzlichkeit gesehen. Heinze (2017) betont den Zusammenhang zwischen Verletzlichkeit, Anerkennung und Teilhabe. Er erörtert die grundsätzliche (anthropologisch begründete) Verletzbarkeit, das Angewiesensein auf andere Personen in Bezug auf die Lebensphase der Kindheit. Dennoch deutet Heinze eine Übertragbarkeit auf andere Lebensalter an: „Generell ist davon auszugehen, dass es sich bei der Verletzlichkeit um eine universale Bedingung des Menschlichen handelt, die jedoch in ihrer Ausprägung in Abhängigkeit von dem jeweiligen Entwicklungsstand sowie den individuellen Lebensbedingungen der betreffenden Person differiert“ (Heinze 2017: 54). Es ist also entscheidend, inwieweit das Individuum „über Fähigkeiten und Strategien verfügt, um auf seine Verwundbarkeit reagieren zu können“ (Heinze 2016: 175). Das heißt, neben der Verletzlichkeit im generationalen Verhältnis sind immer auch die Lebensbedingungen sowie die individuellen Ressourcen entscheidend. Ergänzend dazu unterscheiden Mackenzie, Rogers und Dodds (2014) drei Formen von Verletzlichkeit, die inhärente, die situative sowie die pathogene Verletzlichkeit, wobei insbesondere die situative Verletzlichkeit als fruchtbar für diese Studie gewertet wird, da sie die soziale, politische und ökonomische Situation miteinbezieht. Verletzlichkeit, Abhängigkeit und Teilhabe hängen damit eng zusammen. Je größer die individuelle Verletzlichkeit, die sich bei Erwachsenen stärker als bei Kindern in einer situativen Verletzlichkeit ausdrückt, desto größer ist die Abhängigkeit von den Teilhabechancen, die vonseiten anderer gewährt werden oder nicht. „In ihren
344 7 Verknüpfung von Empirie und Theorie individuellen Ausprägungen verweist die Verletzlichkeit auf die Ungleichheit in der Gesellschaft und beschränkt das Ich in seinen Handlungsmöglichkeiten und somit auch in seinen Optionen, teilhaben zu können“ (Heinze 2017: 55). Damit ist die Theorie der Anerkennung auch anschlussfähig an Lothar Böhnischs „Lebensbewältigung“, in der Individuen ihre subjektive Handlungsfähigkeit zu erlangen erstreben. Menschen mit eigener Migrationserfahrung sind nicht per se verletzlich, durch den Hinweis auf die Verletzlichkeit soll keine neue Differenzlinie gezogen werden bzw. keine neuen essentialistischen Zuschreibungen hinzukommen. Es geht vielmehr um die Sensibilität gegenüber teilweise vorhandener situativer und aus der Migration und dem Statuswechsel resultierender Verletzlichkeit. Die „situative Verletzlichkeit“ (Mackenzie, Rogers und Dodds 2014) entsteht, wie oben bereits erwähnt, durch „personale, soziale, politische und ökonomische“ (ebd.) Einflüsse, also durch beispielsweise nicht oder nur wenig vorhandene Sprachkenntnisse, durch soziale Randständigkeit und Segregation, durch einen prekären (aufenthalts-)rechtlichen Status, durch einen niedrigen sozioökonomischen Status, durch fehlendes Wissen über gesellschaftliche Strukturen und fehlendes soziales Kapital. Menschen ohne eigene Migrationserfahrung, aber mit Migrationshintergrund können teilweise ebenfalls von situativer Verletzlichkeit geprägt sein, wenngleich einige Ausprägungen wie beispielsweise der prekäre aufenthaltsrechtliche Status seltener vorhanden sind. Verletzliche Menschen sind in besonderem Maße auf Anerkennung angewiesen und damit auch in besonderem Maße vom gesellschaftlichen Machtungleichgewicht abhängig. Diese Anerkennung durch andere drückt sich mit der Ermöglichung von Teilhabe und Handlungsfähigkeit aus. Nicht das Subjekt selbst entscheidet also über Teilhabe oder nicht, sondern wirkmächtige Entscheidungsträger_innen, die entweder einerseits über ein „funktionalisierendes, assimilierendes und aktionistisches Mitmachen-Dürfen“ (Heinze 2017: 55) oder aber andererseits über eine gerechte Partizipation entscheiden können. Verletzlichen Menschen wird diese gerechte Partizipation nicht qua Recht zugesprochen, sondern es werden normative Erwartungen daran geknüpft. In Bezug auf verletzliche Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind diese gesellschaftlichen Erwartungen an assimilierende Normen und Verhaltensweisen gebunden. In der vorliegenden Studie werden die Engagementtypen I bis III als (situativ) verletzlich eingestuft. Gleichzeitig ist der Assimilierungsdruck diesen drei Typen gegenüber besonders groß. Die Engagementtypen IV und V sind weder situativ verletzlich noch sind sie einem Assimilierungsdruck ausgesetzt, sie entsprechen stärker den gesellschaftlich geltenden Normen bezüglich Sprachkompetenzen, beruflicher und sozialer Einbindung (und auch
7.1 Empirie und Anerkennung 345 Aussehen). Tatsächliche Teilhabe wird erst nach einer Bringschuld vonseiten der Verletzlichen gewährt: Wer sich den gewünschten Normen und Strukturen anpasst, kann sich Stück für Stück die vollständige Teilhabe erarbeiten. Vergessen wird dabei, dass es sich um verletzliche Menschen handelt. Das heißt aus anerkennungssensibler Sichtweise nicht, verletzlichen Menschen mit Bevormundung und Paternalismus zu begegnen, sondern vielmehr die (bei jedem Menschen vorhandenen) Ressourcen zu stärken, anstatt den Assimilierungsdruck als Türöffner zur vollständigen gesellschaftlichen Partizipation zu erhöhen. Honneths Begriff der Selbstachtung (als Selbstbezug resultierend aus der Anerkennungsform des Rechts) wird von Markus Rieger-Ladich in Bezug auf das Erleben von Ungerechtigkeit gesetzt. Die komplexen Verschränkungen des universalen Wunsches nach Selbstachtung einerseits und dem subjektiven „Erleben und Bewerten bestimmter Sachverhalte als ungerecht“ (ebd. 2016: 155) andererseits, zeigt sich auch in unterschiedlichen Reaktionsmustern von als ungerecht empfundenen Praktiken. Rieger-Ladich arbeitet anhand der in der französischen Arbeitswelt durchgeführten Studie „Ungerechtigkeiten“ von François Dubet an möglichen Reaktionsmustern Wut, Empörung, Versuche der Ironisierung, Relativierung, Schamgefühle und Selbstvorwürfe (Rieger-Ladich 2016: 149) heraus, aber auch die mögliche Entwicklung zu einem widerständigen, politischen Subjekt (ebd.: 156). In der hier vorliegenden Studie werden diese Reaktionsmuster ebenfalls erwähnt. Folgende Reaktionsmuster auf erlebte Ausgrenzungen zeigen sich in der vorliegenden Arbeit:  Wut und Empörung Ich weiß alles. Ich bin nicht dumm, weißt du. Aber wegen manche Leute, also, denkst du, du hast nichts, zu deine Land nichts gelernt. Manche Leute denkt das. Ich weiß es nicht. „Hast du das gelernt?" Ich habe gesagt: „Ich weiß. Ich bin nicht dumm." Zu mein Land ich habe viel gearbeitet (…). # Interview 25: 00:25:13-0#  Relativierung Er hat immer Absagen bekommen. Da bin ich mal, wir haben sogar Probetage angeboten, ja. Keine Chance, keine Chance. Das ist diese Vorurteile, halt. Auf der anderen Seite, ich versteh´s auch ein bisschen, vielleicht nimmt man halt eher einen Deutschen, der gut spricht, als jemand anders. # Interview 10: 00:42:18-1#
346  7 Verknüpfung von Empirie und Theorie Selbstvorwürfe (nicht im Herkunftsland geblieben zu sein) Ja, ich denke, viele Familien, Frauen, ich hab gesehen, die sind also gebildet und so, aber die machen hier nichts. Und meine Nichte, die ist auch also Apothekerin, die wollte hierher kommen und da habe ich gesagt: „Ne, lieber komm nicht her. Du bist, wenn du hier kommt, du bist nur – . Also die qualification, die qualificatión, also dass muss gleich sein, ich denke. Also das ist sehr wichtig. Also wenn zum Beispiel ich hab da studiert in Pakistan, wenn ich hierher komme, dann muss ich noch mal sieben Jahre studieren. (..) Das ist das Wichtigste, ich denke. Dann kann man gleich die also Leben anfangen, weiter. # Interview 3: 00:27:51-8#  Entwicklung einer politischen Haltung Engagierte des Typs I (Interview 2, 8, 9, 15, 18) entwickeln aus der als ungerecht empfundenen Situation heraus eine politische Haltung und ihr Engagement ist motiviert durch das Vorgehen gegen Ungerechtigkeit und Ausgrenzungen: Deswegen, weißt du, ich kann nicht, ich bin so ein Mensch, Ungerechtigkeit weißt du, wie ich mich so stehe, fühl mich schon und für andere Menschen auch. Seitdem viele diese Informationen gebe ich immer türkische Frauen weiter. Bitte, lasst euch nicht das unterdrücken. # Interview 2: 00:27:26-4# Die Begriffe „Anerkennung“, „Verletzlichkeit“, „(Un-)Gerechtigkeit“ und „Teilhabe“ sind unweigerlich miteinander verknüpft. Jenseits der Verletzlichkeit im Sinne der körperlichen Versehrtheit machen prekäre Lebenssituationen verletzlich und damit auch abhängig von der Anerkennung und Ermöglichung von Teilhabe durch Dritte. Dabei ist sowohl das Wahrnehmen und Bewerten der eigenen Verletzlichkeit als auch die Bewältigungsstrategie zur Überwindung der Verletzlichkeit individuell. In diesem hochkomplexen Wirken von Aushandlungsprozessen und Machtstrukturen gibt es keine eindeutigen Wenn-Dann-Mechanismen. Vielmehr beeinflussen die personale Ausstattung sowie die strukturellen, auf ausgehandelten Normen der Inklusion und Exklusion basierenden Faktoren den Zugang zu Anerkennung und damit zur Teilhabe an der Mehrheitsgesellschaft. Bürgerschaftliches Engagement bewegt sich dabei in einem Spannungsfeld. Wie oben bereits erwähnt, ermöglicht Engagement Teilhabe und erweitert die Handlungsfähigkeit von verletzlichen Personen. Gleichzeitig bewegt sich bürgerschaftliches Engagement ebenfalls im Feld von Machtpraktiken: Nur wer sich den Strukturen der Organisation anpasst und dem Assimilierungsdruck nachgibt, kann teilhaben. Mecheril bezeichnet dies als moralische „Gesten der Großzügigkeit“ (Mecheril o.J.: 9), mit denen „domestizierte Varianten des Anderen [sic!]“ (ebd.) aufgenommen werden. Zahlreiche quantitative Studien (exemplarisch Simonson,
7.1 Empirie und Anerkennung 347 Vogel und Tesch-Römer 2016a: 600) belegen dabei das von Heinze kritisierte „assimilierende […] Mitmachen-Dürfen“ (Heinze 2017: 55). Während Menschen mit Migrationshintergrund bezüglich der aktiven Beteiligung nur geringfügig unterrepräsentiert sind, ist dies in Leitungspositionen deutlich stärker der Fall. Damit besteht auch im Engagement eine gläserne Decke mitsamt einer Trennlinie zwischen Mitmachen-Dürfen und Mitbestimmen. Paul Mecheril bezeichnet dies als Unterscheidung zwischen ungerichteter Anerkennung im Sinne von wertschätzender Empathie und als „gerichtete Anerkennung“ (Mecheril o.J.: 5) im Sinne einer „Anerkennung als Subjekt“ (ebd.). Für Mecheril zielt Anerkennung auf „Verhältnisse, in denen der Status des Anderen [sic!] als handlungsfähiges Subjekt ernst genommen wird“ (Mecheril 2010b: 183) und Individuen über den Kontext verfügen, in dem sie „sich selbst als die, die sie zu sein meinen, darstellen können“ (ebd.: 184). Individuen können dabei den Subjektstatus auf den drei Ebenen politische, soziale und personale Sphäre erfahren. Werden sie idealerweise in allen drei Sphären als Subjekt anerkannt, können sie sich selbst „als Subjekte identifizieren und achten“ (Mecheril 2010b: 184). Damit betont Mecheril ebenso wie Honneth die vorgelagerte Anerkennung durch andere, die erst eine Selbstanerkennung möglich macht. Ergänzend zu Honneths Missachtungsform der Entrechtung thematisiert Mecheril die Bedeutung der politischen Handlungsfähigkeit. Insbesondere das Staatsangehörigkeitsgesetz und das Ausländergesetz bestimmen über die Anerkennung als politisches Subjekt bzw. darüber wer mitbestimmen darf und wer nicht. Neben den formalen Beschränkungen regulieren aber zusätzlich „Rassismus und unbenannte Habitushierarchien“ (Mecheril o.J.: 6) die politische Handlungsfähigkeit. Vergleiche ergänzend Winter (2016: 468ff) zur Missachtung von Menschen mit Fluchterfahrung durch den Staat. Als zweite Sphäre betont Mecheril die soziale Handlungsfähigkeit, auf die Menschen als soziale Wesen angewiesen sind. Unter anerkennungssensibler Perspektive sei es daher entscheidend, für Strukturen einzutreten, in denen Menschen ihre soziale Zugehörigkeit und ihren sozialen Subjektstatus leben können (ebd.: 7). Als grundlegendste Form der drei Sphären bezeichnet Mecheril die Anerkennung des personalen Subjektstatus (ebd.: 8). Damit verbunden sind ein „prinzipielles Zugeständnis und die prinzipielle Möglichkeit von individueller Freiheit des Erlebens und des Handelns des Einzelnen“ (ebd.: 8). Personaler Subjektstatus, so Mecheril, ist nur bei psychischer und physischer Unversehrtheit möglich. Rassismus wertet er als Angriff gegen „die anderen Körper“ (ebd.: 8), hier werde der personale Subjektstatus aufgehoben. „Kulturell Andere [sic!]“ (ebd.: 10) müssen sich, vorausgesetzt sie wollen anerkannt und als Subjekte wahrgenommen werden, in „jener vorherrschenden, gesellschaftlichen und diskursiven Struktur darstellen, einordnen, begreifen
348 7 Verknüpfung von Empirie und Theorie und artikulieren“153 (ebd.), sich der „Dominanzkultur“ (Rommelspacher 1998) anpassen oder „es wird von ihnen erwartet, dass sie sich ,integrieren‘“ (Winter 2016: 476). Damit betonen mehrere Autor_innen den Zusammenhang zwischen Anerkennung und Macht. Orte bürgerschaftlichen Engagements können einerseits Orte der Anerkennung sein, sind andererseits aber auch Teil der Dominanzkultur und entscheiden maßgeblich über Teilhabe und Nicht-Teilhabe. In der vorliegenden Studie wird dieses Spannungsfeld deutlich. So ist das Engagement bei einigen Interviewpartnerinnen vom Wunsch nach Anerkennung in den Bereichen Liebe, Recht und Solidarität beeinflusst (Kap. 6.12). Im Engagementort Mütter- und Familienzentrum wird der Assimilierungsbzw. Anpassungsdruck als geringer wahrgenommen als in verschiedenen beruflichen Kontexten oder beispielsweise in der Agentur für Arbeit, in der das Tragen des Kopftuchs für den ersten Arbeitsmarkt problematisiert wird (Interview 3). Die politische Handlungsfähigkeit ist damit im sozialen (ebenso im sportlichen oder kulturellen154) Engagement einfacher zu erreichen als in staatlichen Institutionen, da es keine formalen Hürden in Form von rechtlichem Status oder Staatsangehörigkeit gibt. Allerdings betonen die Interviewpartnerinnen (siehe Kapitel 6.4 „Barrieren“) die Grenzen der personalen Handlungsfähigkeit. Vor allem Diskriminierungen und Rassismus werden als Angriff auf das eigene Subjekt gewertet und behindern den Zugang zum Engagement. Engagementorte müssen sich damit auch die Frage stellen, inwieweit sie nur „erwünschte andere“ zulassen und sich damit an Exklusionsprozessen entlang der Kategorien „Wir“ und „Andere“ aktiv beteiligen. 3. Aus Sicht der Institutionen und Vereine bieten die oben genannten beiden Ansätze auf der personalen Ebene und auf der gesellschaftlichen Ebene wichtige Hinweise zur Gestaltung eines anerkennungssensiblen Ortes. Wie genau dies praktisch ausgestaltet werden kann, darauf soll in Kapitel 8 „Handlungsempfehlungen“ gesondert Bezug genommen werden. Träger bürgerschaftlichen Engagements bewegen sich damit im Spannungsfeld von gesellschaftlichen Machtpraktiken einerseits und dem individuellen Kampf um Anerkennung andererseits. Damit weist Anerkennung in Bezug auf bürger- 153 Mit „kommunikativer Reflexivität“ (Mecheril o.J.: 11) könne eine gerichtete Anerkennung des anderen gelingen, so Mecheril. Professionelles Anerkennungshandeln beziehe den kulturell anderen kommunikativ mit ein. Der bzw. die andere werde nicht genötigt, sich als andere_r darzustellen, habe aber gleichzeitig auch die Freiheit, sich als andere_r darzustellen (ebd.). 154 Im kommunalpolitischen Engagement sowie beispielsweise im Schöffenamt bestehen formale Grenzen in Form der EU-Zugehörigkeit bzw. der deutschen Staatsangehörigkeit.
7.2 Empirie und Lebensbewältigung 349 schaftliches Engagement einen Doppelcharakter auf: Bürgerschaftliches Engagement schafft Anerkennung und bietet Inklusion. Bürgerschaftliches Engagement ist aber auch Teil der Dominanzkultur und verweigert Anerkennung und trägt zur Exklusion bei. 7.2 Empirie und Lebensbewältigung 7.2 Empirie und Lebensbewältigung Wenngleich zahlreiche Autor_innen das Konzept der Lebensbewältigung als „vage“ oder „undifferenziert“ bezeichnen155, kann dies gleichzeitig auch das große Verdienst sein. So entwickelte Böhnisch ein Konzept, das wie ein Grundgerüst verschiedene Situationen verstehbar macht. Böhnisch erklärt zwar in seinem Konzept in erster Linie abweichendes Verhalten und beleuchtet die Lebensphase Kindheit und Jugend, dennoch ist eine Übertragbarkeit auf andere Formen der Bewältigung und auf andere Lebensphasen möglich. So finden sich mehrere Bezugspunkte zur hier vorliegenden Studie, was im Folgenden genauer dargestellt wird:  Mit der Motivation eines freiwilligen Engagements vor dem Hintergrund der Lebensbewältigung findet ein Anknüpfen an eigene Problemlagen statt. Die eigene Krise oder das eigene Problem ist der Ausgangspunkt für ein aktives Bearbeiten unter Einbezug des Gemeinwohls. An dieser Stelle wird das von der Enquête-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ (2002: 87) beschriebene Aufeinandertreffen von Gemeinwohl und Eigeninteresse besonders deutlich. Mithilfe des freiwilligen Engagements können erstens konkrete Problemlagen (1) bearbeitet werden, wobei die eigene Situation im gesellschaftlichen Kontext verortet wird, beispielsweise das Engagement als Arbeitslose_r in einer Arbeitslosenselbsthilfeorganisation. Das Engagement kann zweitens aber auch zu neuen Handlungsperspektiven (2) führen wie beispielsweise durch den Erwerb von Kompetenzen, die in einen Beruf transferiert werden können. Zur Lebensbewältigung beitragen kann drittens aber auch ein neuer Sinnhorizont (3), indem beispielsweise mit dem Engagement eine gesellschaftlich anerkannte Statuserhöhung für eine arbeitslose Person einhergeht (vgl. Enquête-Kommission 2002: 118f). Unter Rekonstruktion der vorliegenden Interviews ist das Bearbeiten konkreter Problemlagen (1) besonders beim Engagementtyp I zu beobachten. Die Problemlage „Diskriminierungserfahrungen“ sowie die Problemlage „soziale Exklusion, 155 Vgl. Kapitel 4.2.2 „Grenzen des Konzepts“.
350 7 Verknüpfung von Empirie und Theorie fehlende Sprachgelegenheiten und fehlende Kontakte zur Aufnahmegesellschaft“ werden im Engagementort bearbeitet. Als anschauliches Beispiel sollen hier die beiden Ankerzitate von Interviewpartnerin 2 dienen: Meine Motive ist das einfach für die Menschen, wie kann ich erklären, damals für mich war ja toller Ort FZ (Name des Familienzentrums, Anmerkung) einfach, mich selber äußern und Sicherheit mir geben und gleichzeitig selbstbewusster werden und mehr Sprache ausüben und noch besser werden, diese Umgang mit Menschen, mit den Deutschen zusammen sein, nicht untereinander mit den Türkinnen, sondern mit den Deutschen zusammen sein, diese Mentalität von Deutschen und auch das viel aufnehmen auch gleichzeitig von meine Mentalität wieder weitergeben. Weißt, das ist das die Motivation einfach die Austausch für mich so wichtig gewesen. # Interview 2: 00:36:06-9# Interviewpartnerin 2 bearbeitet im Engagement zwei Lebensthemen. Der Einstieg ins Engagement war bei ihr geprägt durch eigenintegrative Motive wie Sprachgelegenheiten und Kontakte zu Deutschen. Mit der Zunahme an Selbstsicherheit und deutschen Sprachkenntnissen veränderte sich der Schwerpunkt des Engagements hin zu fremdintegrativen Motiven und hier insbesondere der Unterstützung von Menschen mit Migrationshintergrund: Und das ist mein Ziel. Was meine Erfahrung, meine Wissen möchte ich immer weitergeben. Also besonders Migrationshintergrund. Weil die Deutsche kennen ihre Rechte besser als wir. Und wenn ich das meine Erfahrung, meine Wissen weitergebe ich dann, dann kann sie auch Nächste weitergeben. Also dann wird dann weiter, weiter, weiter. # Interview 2: 00:37:36-0# Neue Handlungsperspektiven (2) sind insbesondere beim Engagementtyp II zu beobachten. Hier sind der Erwerb von Kompetenzen und der Wunsch nach einem Transfer in einen Beruf zentrale Engagementmotive. Als Beispiel soll hier ein Ankerzitat von Interviewpartnerin 1 dienen: Und natürlich mit dem Thema Weiterbildung. Das finde ich auch ganz wichtig. Also hier werden ja auch ganz viele Seminare oder Fortbildungen angeboten. Da kann man auch teilnehmen und das finde ich auch toll. Ja oder vielleicht kann man da, ich weiß es nicht, ich muss mich noch informieren, ganz ehrlich. Dass man hier noch lernen kann oder, oder machen kann. Für mich ist es auch ganz wichtig, wenn ich jetzt zum Beispiel eine Vollzeitstelle bekommen könnte. Das wär auch ganz toll. Ja, weil hier oben gibt´s einen Kindergarten, wo man eine Ausbildung machen könnte. Und es ist so viel in einem, das ist für mich ganz toll. # Interview 1: 00:04:53-7#
7.2 Empirie und Lebensbewältigung 351 Einen neuen Sinnhorizont (3) durch das Engagement zu erlangen, ist zentral für die Engagementtypen I, II und III. Der neue Sinnhorizont drückt sich durch eine Statuserhöhung aus, durch das Gefühl, gebraucht zu werden, nicht mehr arbeitslos, sondern ein aktives Mitglied der Gesellschaft zu sein: Das Gefühl, dass ich gebraucht bin. „Wir brauchen dich, kannst du das machen?" Das Gefühl hat ein sehr positiver Eindruck an mich. Ja, ich bin gebraucht. Ich kann was machen. Ich bin nicht mehr arbeitslos. Ich bin nicht mehr nur zu Hause. Mit Kindern und Haushalt. Ich bin jetzt draußen und ich tu auch was. Es gibt Leute, die mir diese Chance geben. Und gerne geben. Und für mich ist das eine Gelegenheit. Und etwas zu tun. # Interview 11: 00:04:48-1# Zentrales Motiv des Konzepts der Lebensbewältigung ist das Streben nach Handlungsfähigkeit in kritischen Lebenskonstellationen. Die Interviewpassagen bezüglich der kompetenzorientierten (Kapitel 6.14), der kompensatorischen (Kapitel 6.13) sowie teilweise der migrationsspezifischen Motive (Kapitel 6.15) verdeutlichen das Streben nach subjektiver Handlungsfähigkeit, das im bürgerschaftlichen Engagement versucht wird zu erreichen. Dies trifft insbesondere für die Engagementtypen I, II und III zu. Keinen Bezug lässt sich zwischen dem Konzept der Lebensbewältigung und den Engagementtypen IV und V herstellen. Ihre Lebenssituation ist geprägt von einer zufriedenstellenden beruflichen und sozialen Inklusion. Das Engagement kann im Gegensatz zu den Engagementtypen I, II und III stärker für hedonistische/gesellige bzw. altruistische Belange genutzt werden.  Das Konzept der Lebensbewältigung ist eine hilfreiche theoretische Grundlage, um das Tun des Engagementtyps III (die Unfreiwillig-Freiwilligen) zu verstehen. „Das Streben nach psychosozialer Handlungsfähigkeit in kritischen Lebenskonstellationen“ (Böhnisch 2016: 20) wird mithilfe des Engagements bearbeitet. Die kritische Lebenssituation wurde durch die (meist erzwungene Flucht-)Migration ausgelöst, gepaart mit dem Statusverlust durch Nicht-Anerkennung des im Ausland erworbenen Bildungsabschlusses, fehlender beruflicher Partizipation sowie fehlender sozialer Einbettung im Aufnahmeland. Die bisherige Handlungsfähigkeit ging für diese Engagierten mit der Migration verloren, die bekannten Orientierungs- und Bewältigungsmuster funktionieren in der Aufnahmegesellschaft nicht mehr, es werden neue Zugangswege gesucht. Anerkennung, Selbstwirksamkeit und die Bestätigung des Selbstwerts durch berufliche Partizipation wird den Engagierten des Typs III verwehrt. Im Engagement können sie (im Gegensatz zu einer Hilfstätigkeit als Ungelernte) Anerkennung erlangen, zeigen, dass sie „etwas wert sind und etwas können“ (Böhnisch 2016: 104), „ihre Betroffenheit thematisieren“ (ebd.), (interkulturelle) soziale Kontakte aufbauen, an den
352   7 Verknüpfung von Empirie und Theorie früheren Beruf inhaltlich anschließen und durch die Tätigkeit in einem verwandten Arbeitsfeld das Selbstwertgefühl stärken sowie (zumindest begrenzt) Selbstwirksamkeit erleben. Der (sensible) Engagementort bedient dabei alle vier Dimensionen des von Böhnisch entwickelten Konzeptes der Bewältigungslage als Brückenkonzept zwischen Lebenslage und Lebensbewältigung: In der Dimension des Ausdrucks können Engagierte ihre Betroffenheit thematisieren; in der Dimension der Anerkennung werden sie wahrgenommen und sozial integriert; in der Dimension der Abhängigkeit haben sie die Möglichkeit, selbstbestimmt zu agieren; und in der Dimension der Aneignung können sich Engagierte in ihr Lebensumfeld einbringen (vgl. Böhnisch 2016: 95). Übertragbar auf Migration ist auch Lothar Böhnischs gemeinsam mit Wolfgang Schröer entwickelte Ableitungsreihe „Entgrenzung – Freisetzung – Bewältigung“ (Böhnisch 2016: 90). Was hier bezüglich der modernen Arbeitswelt im Zuge der Industrialisierung skizziert wird, in der sich traditionelle Milieus auflösten, Menschen freigesetzt wurden, „psychosozialen Orientierungsproblemen und Bewältigungszwängen“ (Böhnisch 2016: 91) ausgesetzt waren, lässt sich auch teilweise auf Migration übertragen. So findet bei einigen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte eine Entgrenzung von Orientierungs- und Bewältigungsmustern statt, das Bekannte funktioniert in der Aufnahmegesellschaft nicht mehr. Exemplarisch seien hier die Unfreiwillig-Freiwilligen (Typ III) genannt, deren Orientierung am Bildungsund Arbeitssystem der Herkunftsgesellschaft im Aufnahmeland nicht funktioniert. Ein üblicher Weg der Bewältigung von Hilflosigkeit ist der sprachliche. „Über die innere Betroffenheit sprechen und den Konflikt, der sie ausgelöst hat, thematisieren können“ (Thiersch und Böhnisch 2014: 36) stellt ein zentrales und gesellschaftlich anerkanntes Bewältigungsmuster dar, das aber aus verschiedenen Gründen nicht von allen Individuen verwendet werden kann. Böhnisch thematisiert insbesondere Menschen, die in ihrer Biografie bislang nicht gelernt haben, über ihr Inneres zu sprechen, weil sie beispielsweise aus gewaltdominierten Herkunftsfamilien stammen (Böhnisch 2016: 22). Auch wenn Böhnisch dies nicht explizit erwähnt, kann die Unfähigkeit des Thematisierens auch auf Menschen übertragen werden, die rein sprachlich nicht dazu in der Lage sind. Denkbar sind beispielsweise Menschen mit einer Behinderung. Denkbar sind aber auch Migrant_innen, die (noch) nicht in der Lage sind, ihre Hilflosigkeit in einer Fremdsprache zu thematisieren. Diese Hilflosigkeit muss aber „herausgedrängt, also abgespalten und kompensiert werden“ (ebd.), entweder in Form von aggressiver, nach außen gerichteter
7.2 Empirie und Lebensbewältigung   353 Abspaltung oder nach innen gerichtet. Böhnisch nennt als Formen der inneren Abspaltung selbstverletzendes Verhalten, Depressionen, Essstörungen sowie Medikamentenmissbrauch (ebd.). Im Engagementtyp III wird von einigen Befragten die gesundheitliche Situation erwähnt, ohne dass danach explizit gefragt wurde. Auch wenn aufgrund der geringen Fallzahl keine repräsentativen Aussagen getroffen werden können, ist die Gesundheitssituation der Interviewpartnerinnen des Typs III geprägt von psychosomatischen Beschwerden und Depressionen. Das Ermöglichen von Thematisierung der eigenen Hilflosigkeit ist damit eine zentrale Aufgabe im Engagement. Dabei erleichtert das interkulturelle Setting das Thematisieren entweder durch das Sprechen in der eigenen Herkunftssprache oder durch eine wertschätzende Haltung trotz Sprachbarrieren. Anknüpfungspunkte bietet auch das theoretische Konstrukt der Bewältigung mit Böhnischs Einteilung in regressive, einfache und erweiterte Bewältigung. Eine regressive Bewältigung konnte in der vorliegenden Studie (mit Ausnahme der oben genannten Form der inneren Abspaltung, die aufgrund der geringen Fallzahl nicht repräsentativ ist) nicht vorgefunden werden. Die theoretische Einteilung in erweiterte und einfache Bewältigung unterscheidet die beiden Engagementtypen II (die Aufstiegsorientiert-Prekären) und III (die Unfreiwillig-Freiwilligen). Beide Engagementtypen sind geprägt von prekären Lebenssituationen. Die Bewältigungsformen (und damit auch die Motivation des bürgerschaftlichen Engagements) sind allerdings unterschiedlich. Während es beim Engagementtyp III in erster Linie um eine einfache Bewältigung geht, um das Aufrechterhalten und Bewältigen des Alltags, versucht der Engagementtyp II im Rahmen der erweiterten Bewältigung Kompetenzen zu erlangen und soziale Beziehungen zu knüpfen. Die Erklärung für das unterschiedliche Bearbeiten, so Böhnisch, müsse biografisch-narrativ erschlossen werden. Erklärungen liefern zum einen die Lebenslage und zum anderen das personale Bewältigungsverhalten. Hilfreich im Kontext des bürgerschaftlichen Engagements sind auch die vier Dimensionen der Bewältigungslage Ausdruck, Anerkennung, Abhängigkeit und Aneignung. Diese können, so Böhnisch, zugleich Verwehrung als auch Chance zur Bewältigung sein. Werden diese vier Dimensionen verwehrt, kann die subjektive Handlungsfähigkeit nur regressiv in Form von Abspaltungen erlangt werden. Werden sie dagegen ermöglicht, können kritische Lebenssituationen überwunden werden. Dies kann als Handlungsaufforderung sowohl in sozialpolitischer Hinsicht auf der Makroebene als auch in sozialpädagogischer Hinsicht auf der Mesoebene der Engagementorte und auf personaler Mikroebene gesehen werden. Die konkreten Maßnahmen sollen in
354   7 Verknüpfung von Empirie und Theorie Kapitel 8 „Handlungsempfehlungen“ erörtert werden. Zentrales Thema ist allerdings, dass eine erweiterte Bewältigung nur dann möglich ist, wenn die eigene Hilflosigkeit thematisiert werden kann, wenn soziale Anerkennung erfolgt, wenn durch Empowerment Selbstständigkeit erlangt wird und wenn sozialräumliche und inhaltliche Aneignung stattfinden kann. Dies regelmäßig zu überprüfen, kann dazu beitragen, dass an Engagementorten nicht lediglich eine einfache, sondern auch eine erweiterte Bewältigung ermöglicht wird. Auf der personalen Ebene bietet Böhnisch zudem zahlreiche Arbeitsprinzipien der Sozialen Arbeit an, die sowohl hilfreich für eine bewältigungsorientierte Soziale Arbeit sind, aber auch hilfreich für den bewältigungssensiblen Engagementort. Als zentrale Arbeitsprinzipien im Kontext von Migration und Engagement werden dabei eine akzeptierende Haltung (vertiefend hierzu Böhnisch 2017: 298), Empowerment und Befähigung (vertiefend ebd.: 307), Beratung als Form der Thematisierung (vertiefend ebd.: 319) sowie Gemeinwesenorientierung (vertiefend ebd.: 337) gesehen. Anschlussfähig ist das Konzept der Lebensbewältigung auch in Bezug auf Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund, die in der Bildungshierarchie unten stehen und denen „soziale Verdrängung“ (Böhnisch 2017: 288) droht. Für Böhnisch stellt das Umlernen und Umschulen immer auch ein „Aufgeben [dar], einen Verlust biografisch erworbener Erfahrung“ (ebd.). „Der psychosoziale Druck, biografische Brüche und Entwertungen durchstehen zu müssen, und gleichzeitig der Druck, Neu- und Umqualifikationen ausgesetzt zu sein, stehen meist nebeneinander, werden weder bildungs- noch sozialpolitisch hinreichend aufeinander bezogen“ (ebd.: 288f). Subjektive Handlungsfähigkeit, so Böhnisch, könne dagegen durch non-formale und informelle Lernorte gewonnen werden. Das heißt, Lernen in diesem Kontext findet nicht nur zur beruflichen Qualifikation statt, sondern „zielt auf ‚Lebenskompetenzen’ und damit auf immer wieder neu anzustrebende biografische Handlungsfähigkeit ab“ (ebd.: 289). In dieser Studie trifft dies auf den Engagementtyp II zu, der stark den informellen Lernort zur Kompetenzentwicklung nutzt und dadurch subjektive Handlungsfähigkeit erhält. Um Redundanzen zu vermeiden, soll abschließend exemplarisch Interviewpartnerin 11 vorgestellt werden, die ihr freiwilliges Engagement konsequent zur Erweiterung ihrer bislang einfachen Lebensbewältigung nutzt. Damit wird sie stellvertretend für andere Engagierte des Engagementtyps I, II und III vorgestellt, die ebenfalls (aber in unterschiedlicher Weise) das Engagement zur Wiedererlangung subjektiver Handlungsfähigkeit nutzen: Die Lebenssituation von Interviewpartnerin 11, die als junge Erwachsene nach Deutschland migrierte, kann als prekär bezeichnet werden. Darauf deuten
7.2 Empirie und Lebensbewältigung 355 u. a. ein geringes Haushaltseinkommen, die fehlende Ausbildung aufgrund von Kindererziehung und Pflege der Eltern, begrenzte Sprachkenntnisse, geringe Schulbildung mit ausländischem Abschluss und das Wohnen in einem Stadtteil mit einer stark überdurchschnittlichen Bevölkerung mit Migrationshintergrund und/oder sozialer Randständigkeit hin. Unter Bezugnahme des Zwei-Kreise-Modells der biografischen Lebensbewältigung (Abb. 21) ist ihre Lebenslage von diesen Faktoren geprägt sowie von fehlenden sozialpolitischen Rahmenbedingungen und flankierender Unterstützung: Und dann hab ich geheiratet und Kinder, ich musste Jahre meine kranke Mutter pflegen, und als meine Mutter starb und die Kleine ist in den Kindergarten und nach zwei Tage hab ich nach etwas gesucht. Da war ich bei Jobcenter und hab ich die Dame gefragt: „Ich habe vor zehn Jahren eine Kindergarten gearbeitet und ich möchte gerne das wieder tun." Und sie sagte: „Ja, ist okay, ist in Ordnung, aber das ist Ein-EuroJob." Ich habe gesagt: „Ich hab nicht dagegen. Hauptsache für mich, dass ich." Ich habe jetzt Zeit, meine Kinder sind groß. Er geht von acht Uhr bis zwei Uhr in Kindergarten. Ich habe genug Zeit jetzt. Und sagte: „Ja, bitte. Ich werde das machen." Und hab ich sechs Monate in eine Kindergarten, ein Montessori-Kindergarten gearbeitet. Und nach sechs Monate wollte mich, dass ich noch sechs Monate mache. Aber die Dame in Jobcenter war dagegen. Und das gab so eine kleine Konflikt, wie heißt das, mit die Dame und sagte: „Nein, nein, ich lass sie nicht weiter." „Was soll ich zu Hause machen? Es wird mir langweilig." Und die sagt: „Genießen sie die Zeit." Und ich war sehr traurig (…). # Interview 19: 00:13:51-7# Und dann war meine neue Kämpfe mit Jobcenter. Ich habe eineinhalb Jahre gekämpft, bis dass sie sagen. „Okay, sie dürfen jetzt diese Ausbildung machen". Als Kinderpflegerin. Und ist jetzt schon ein Jahr vorbei. Zwei Jahre und ein Anerkennungsjahr. # Interview 19: 00:16:53-4# Interviewpartnerin 11 hat „Kämpfe“ geführt, um als Ungelernte die Genehmigung für eine Ausbildung zu bekommen. Von institutioneller Seite hat sie kaum Unterstützung bekommen, ihre Lebenssituation zu verbessern, im Gegenteil, ihre Eigeninitiative wurde nicht ernst genommen und ihr wurde geraten, die „Zeit zu genießen“. Gleichwohl verfügt Interviewpartnerin 11 über Kompetenzen des personellen Bewältigungsverhaltens und strebt nach Selbstwert, Anerkennung und Selbstwirksamkeit. Das Gefühl, dass ich gebraucht bin. „Wir brauchen dich, kannst du das machen?" Das Gefühl hat ein sehr positiver Eindruck an mich. Ja, ich bin gebraucht. Ich kann was machen. Ich bin nicht mehr arbeitslos. Ich bin nicht mehr nur zu Hause. Mit Kindern und Haushalt. Ich bin jetzt draußen und ich tu auch was. Es gibt Leute, die mir diese Chance geben. Und gerne geben. Und für mich ist das eine Gelegenheit. Und etwas zu tun. # Interview 11: 00:04:48-1#
356 7 Verknüpfung von Empirie und Theorie Diese Wechselwirkung aus Lebenslage und Bewältigungsverhalten beeinflusst die Bewältigung schwieriger Lebensbedingungen. Ohne Unterstützung durch den Engagementort fand bei Interviewpartnerin 11 die einfache Bewältigungslage als eine der drei von Böhnisch entwickelten Formen des Bewältigungsverhaltens statt, ein „Über-die-Runden-Kommen (…) ohne große Chancen der Erweiterung der Lebensperspektive“ (Böhnisch 2017: 35). Das Engagement bot in ihrem Fall erstmals die Möglichkeit, die einfache in eine erweiterte Bewältigungslage umzuwandeln, eine Aufgabe, die unter wohlfahrtstaatlichen Gesichtspunkten eigentlich in professionellen Organisationen (hier: dem Jobcenter) strukturell verankert ist. Im Engagementort Mütter- und Familienzentrum begann Interviewpartnerin 11 ihr Engagement mit einem arabischsprachigen Babycafé, hier war sie aufgrund ihrer Sprachkenntnisse und ihrer persönlichen Erfahrungen als mehrfache Mutter Expertin und bekam Anerkennung und zunehmend Selbstbewusstsein. Sie dehnte ihr Engagement auf andere Bereiche aus und stieg in die Kinderbetreuung ein. Am Engagementort wurde sie von der Geschäftsführerin, anderen Engagierten und Besucherinnen bestärkt, an ihrem Ziel einer Ausbildung festzuhalten und für die Genehmigung einer Teilzeitausbildung zu „kämpfen“. Die Ausbildungsstelle wurde nach Genehmigung am Engagementort Mütter- und Familienzentrum eingerichtet, so dass sie ihr freiwilliges Engagement in eine Ausbildungsstelle umwandeln konnte. Als Brückenkonzept zwischen Lebenslage und Lebensbewältigung gelten nach Böhnisch die vier Dimensionen des Ausdrucks, der Anerkennung, der Abhängigkeit und der Aneignung. Die Ermöglichung dieser vier Dimensionen fand im Engagement statt: Die Dimension des Ausdrucks erfolgte über das Thematisieren der Betroffenheit, hier findet ein Austausch („tauschen uns“) über die Lebenssituation statt: Ich treffe immer neue Leute. (…) Wir tauschen uns und viele Sachen. # Interview 11: 00:05:18-9# Die Dimension der Anerkennung erfolgt in Anlehnung an Honneths drei Formen der Anerkennung als Liebe, Recht und Leistung. Interviewpartnerin 11 bekommt positive Rückmeldungen für ihre Arbeit, ihre Leistung wird anerkannt und sie kann sich unabhängig von formalen Zugangsberechtigungen Kompetenzen aneignen. Da bin ich immer Hilfe für junge Mutter, bin ich auch immer gefragt und das macht mich stolz. Ich kann etwas geben. Ich kann antworten: „Ja, mach das so", „das Kind gebraucht so", „mach keine Sorge", „das geht in Ordnung", das Gefühl. # Interview 11: 00:05:31-2#
7.2 Empirie und Lebensbewältigung 357 Sie wird aber auch am Engagementort als Frau mit Kopftuch anerkannt und gewinnt zunehmend Selbstbewusstsein, sich dennoch in der Öffentlichkeit zu präsentieren: Dass ich in einen Stand die Stunden stehe und Kuchen verkaufe mit meinem Kopftuch. Da war immer das Kopftuch das Problem. Und da bin ich da. # Interview 11: 00:20:54-9# Ihre Kompetenzen in Form von Arabisch-Kenntnissen werden als solche anerkannt und geschätzt: Die Mütterzentrum hat eine Frau für das türkisches-arabisches Baby-Café gesucht und das war ihr Vorschlag, also sie kennt eine Tagesmutter, dass sie Arabisch, dass sie Deutsch gut spricht und dass es ist in ihre Bereich, und dann hat mir die Telefonnummer von E (Name einer bereits engagierten Mitarbeiterin, Anmerkung) gegeben. (…) Und hatte ich eine große Interesse gehabt. Dann hat mir das ich in dem Mütterzentrum bin, hat mir sehr gefallen, hat mich immer gerne gemacht und ich werde es gerne machen. Also ehrenamtlich gefällt mir sehr. # Interview 11: 00:03:10-6# Interviewpartnerin 11 erlebt in ihrem Engagement Selbstwirksamkeit: Ich bin im Mütterzentrum, ich bin aktiv, ich bin gebraucht, ich bin da. Ich bin ein aktive Person. # Interview 11: 00:29:59-1# Die Dimension der Abhängigkeit zeigt sich in einer Zunahme von Autonomie in Bezug auf staatliche Transferleistungen und Entscheidungsträger_innen: Also ich will das machen. Ich arbeite. Das Gefühl, dass ich arbeite. Das Gefühl, dass ich nicht mehr ein Arbeitslos bin. Und nicht nur zu Hause. Ich bin nicht nur zu Hause. Und Jobcenter bezahlt alles und ich bin zu Hause. Ich bin nicht mehr, also ich mache jetzt nicht viel. Das ist, was ich jetzt habe, ich kämpfe um mehr. Ich mache hier und ich habe ein Tageskind, ich gehe zur Schule. # Interview 11: 00:19:13-1# Die Dimension der Aneignung zeigt sich durch eine Zunahme an Selbstbewusstsein und eine sozialräumliche Ausdehnung ihres Lebensmittelpunktes: Dass ich stolz bin, dass mich mehr vertrauen kann. Zum Beispiel, ich war nie alleine. Ich bin nie alleine gefahren zum Beispiel. Und mit wenn ich diese Fortbildung mache, am Anfang muss ich allein mit dem Zug fahren. Erste Mal, dass es die E (Name einer Engagierten, Anmerkung) gefragt hat, sagt ich: „Ich allein? Da werde ich meinen ältesten Sohn mitnehmen." Er kann den Weg und so. Sie sagte: „Ja, schau dir, was dir passt." Dann nach drei Tage bin ich zu ihr gegangen und habe gesagt: „E, ich werde
358 7 Verknüpfung von Empirie und Theorie das machen." „Bist du sicher?" „Ja, ich bin sicher. Ich will das machen." Und bin ich nach Ettlingen mit dem Zug ganz allein gefahren. # Interview 11: 00:20:15-# Die Dimension der Aneignung ist auch ein Kontrapunkt zur Verhäuslichung und Vereinsamung. Und nicht nur zu Hause. Ich bin nicht nur zu Hause. (…). # Interview 11: 00:19:13-1# Die Ermöglichung von Ausdruck, Anerkennung, Autonomie und Aneignung trägt zu einer erweiterten Bewältigung bei; alle vier Dimensionen können im Engagement in einem geschützten Rahmen gestärkt und entwickelt werden. Ein bürgerschaftliches Engagement kann demnach dazu beitragen, das personale Bewältigungsverhalten zu stärken und die Brücke zu den gesellschaftlichen Bewältigungsanforderungen zu schlagen. Dabei agiert bürgerschaftliches Engagement innerhalb von strukturellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die im Fall von Interviewpartnerin 11 nicht zu einer erweiterten Lebensbewältigung beitragen, sondern die einfache Bewältigung stabilisieren. Im Engagement können Missstände und Betroffenheit thematisiert (Ausdruck) und entindividualisiert als Problem von mehreren Betroffenen betrachtet werden. Die eigene Ohnmacht kann über den Ausdruck, die Wertschätzung durch andere Akteure (Anerkennung), dem Aushandeln von Spielräumen unter den gegebenen Rahmenbedingungen, der Erweiterung des Sozialraums (Aneignung) und konkretem Handeln (Autonomie statt Abhängigkeit) überwunden werden. Mithilfe eines Engagementortes, in dem Ausdruck, Anerkennung, Autonomie und Aneignung gefördert werden, ist es für Menschen in hilflosen und vulnerablen Lebenssituationen möglich, subjektiv handlungsfähig zu bleiben und eine erweiterte Lebensbewältigung anzustreben. Ob dies gelingt, ist von der persönlichen Ausstattung (vgl. Handlungsempfehlungen auf der Mikroebene, Kapitel 8.2.3), von einer Ermöglichung durch den Engagementort (vgl. Handlungsempfehlungen auf der Mesoebene, Kapitel 8.2.2) sowie von sozialpolitischen Rahmenbedingungen (vgl. Handlungsempfehlungen auf der Makroebene, Kapitel 8.2.1) abhängig. 7.3 Empirie und Inklusion 7.3 Empirie und Inklusion Kritisch zu hinterfragen ist, ob bürgerschaftliches Engagement von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte immer zwangsläufig in Kombination mit Integration bzw. Inklusion gedacht werden muss?156 Im Freiwilligensurvey 2014 (Simonson, 156 Vergleiche kritisch zum Begriff der „Integration“ in Kapitel 4.3.
7.3 Empirie und Inklusion 359 Vogel und Tesch-Römer 2016c: 41) wird ein Bezug zur Integration gleich in den ersten Zeilen des Kapitels „Freiwilliges Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund“ hergestellt: „Zum einen übernehmen engagierte Migrantinnen und Migranten wichtige gesellschaftliche Aufgaben (Engagement kann als Zeichen von Integration verstanden werden), zum anderen ist freiwilliges Engagement auch ein Weg zur Teilhabe und Mitgestaltung der Gesellschaft (Engagement kann einen Weg in die Integration bilden).“ Esser nennt den Begriff des „freiwilligen Engagements“ oder des „Ehrenamtes“ in seinem Arbeitspapier „Integration und ethnische Schichtung“ nicht. Dennoch soll im Folgenden der Versuch gemacht werden, bürgerschaftliches Engagement in Essers Konzept zu verorten. Naheliegend ist die Einordnung im Bereich der Interaktion, der sozialen Netzwerke. Betrachtet man jedoch die Vielschichtigkeit der Motivlagen für freiwilliges Engagement, so ist auch ein Bezug zur Platzierung, zur Kulturation sowie zur Identifikation zu erkennen. Esser versteht unter den vier Dimensionen der Sozialintegration folgendes: Über die Interaktion bilden die Akteure soziale Beziehungen. Esser unterscheidet drei Fälle von Interaktion: die gedankliche Koorientierung, die symbolische Interaktion und die Kommunikation. Über sie und über soziale Beziehungen vollzieht sich die „Plazierung [sic!] der Akteure in den alltäglichen, nicht-formellen und nicht in Märkten verankerten Bereichen der Gesellschaft“ (Esser 2001a: 11). Allerdings braucht es als Grundbedingung für die Aufnahme von Interaktionen zum einen Möglichkeiten der Begegnung und zum anderen kulturelle und insbesondere sprachliche Kompetenzen. Kommt es mithilfe dieser Bedingungen zu Interaktionen, so sind diese aber auch besonders tragfähig, Interaktion sei eine „besonders nachhaltige Form der sozialen Integration“ (Esser 2001a: 12). So verdeutlicht die Analyse der vorliegenden Interviews, dass die Engagierten nach sozialer Inklusion streben und diesen Weg über die Interaktion am Engagementort gehen. Die Motive „Rauskommen“ (Kapitel 6.112) und „Kontakte zu Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft“ (Kapitel 6.152) weisen auf diesen Zusammenhang hin. Als Beispiel sei hier ein Zitat von Interviewpartnerin 8 angeführt, die versucht, über ihr Engagement Kontakte zu nicht-türkischen Frauen zu knüpfen und über die Interaktion an ihrer Kulturation im Sinne von Sprachkompetenzen zu arbeiten: Bin ich hier gekommen, ich war in Sprach-Volkshochschule fertig gemacht, da hatte ich keinen Kontakt mit den Leuten und auch nicht Sprache konnt nicht. Und wenn ich hier kommen, ganz anders, Gefühle mit meine Kinder und für mich. Die Leuten Kontakt haben, das ist sehr wichtig. Dann kommt die Sprache. Viele Papier zu Hause, das geht nicht. Sprechen üben. Lernen. (…) Und Freunde finden, das auch sehr wichtig.
360 7 Verknüpfung von Empirie und Theorie Weil nur türkische Frauen verwandt, bekannt ist, das ist nicht schön. Aber wenn hier international, es ist alle Menschen kommt, die eine Bildung. Das ist so schön. # Interview 8: 00:26:12-3# Unter Kulturation wird das Vorhandensein von für die Aufnahmegesellschaft entscheidendem Wissen verstanden. Diese Fertigkeiten, von denen die sprachlichen Kompetenzen explizit erwähnt werden, sind Humankapital für zu besetzende Positionen in einer Gesellschaft (Platzierung). Die Kulturation kann auch als Akkulturation157 oder als „kognitive Sozialisation“ (Esser 2001a: 9) bezeichnet werden. Das Erreichen von sozialer Inklusion in der Form von Kulturation wird in der Rekonstruktion der Interviews in der Subkategorie „Sprachgelegenheiten“ (Kapitel 6.152) deutlich. Quantitativ wird dieses Motiv in der Erhebung sehr häufig erwähnt, es stellt eines der zentralen Motive für ein Engagement in einem aufnahmelandbezogenen Verein dar. Engagierte streben demnach nach Kulturation und nutzen den Engagementort gezielt als informelle Möglichkeit des Spracherwerbs. Beispielsweise soll dies ein Zitat von Interviewpartnerin 2 verdeutlichen: Also damals hab ich keine so gute Sprache gehabt. Ich hab schon Schule besucht, Volkshochschulekurs hab ich schon besucht, aber so ausüben konnte ich nicht. Und dann habe ich dann die Kollegen, wie heißt sie, gefragt, ob ich hier dann arbeiten kann (…). # Interview 2: 00:10:25-2# Die Platzierung bezeichnet Esser als „Schlüssel für jede nachhaltige Sozialintegration“ (Esser 2001a: 10), da hier zentrale Positionen einer Gesellschaft besetzt werden. Die Staatsbürgerschaft und damit verbunden das Wahlrecht sowie der Zugang zu beruflichen Positionen sind entscheidend. Dabei setzt die erfolgreiche Platzierung zum einen die Kulturation als das Vorhandensein von für die Gesellschaft benötigten Fertigkeiten und Kompetenzen voraus, zum anderen ist die erfolgreiche Platzierung aber auch Produkt von bewussten und unbewussten Entscheidungen, Vorurteilen und ethnozentrischen Vorstellungen. Das heißt, Schulempfehlungen von Lehrer_innen oder soziale Distanzen bei Personaleinstellungen können unabhängig von kulturellen Fähigkeiten zu Inklusion aber auch zu Exklusion führen. Die Suche nach der Platzierung in der Gesellschaft drückt sich in der vorliegenden Studie in den kompetenzorientierten Engagementmotiven der „Nutzbarmachung für den Beruf“ (Kapitel 6.144) aus sowie in den kompensatorischen Motiven „Arbeitsersatz“ (Kapitel 6.133). Als Beispiel soll hier das Ankerzitat von Interviewpartnerin 3 angeführt werden: 157 In Abgrenzung zur Enkulturation, die das Hineinwachsen als Kleinkind in die umgebende Kultur bezeichnet.
7.3 Empirie und Inklusion 361 Ich hab damals eine Gespräch gehabt mit eine Mann (Sachbearbeiter in der Agentur für Arbeit, Anmerkung) und er gesagt: „Wenn Sie in Schule was arbeiten, also dann müssen Sie diese Kopftuch und so nicht mehr tragen." Und ich hab gesagt: „Ohne Kopftuch ich geh nicht rein." Dann hab ich hier, also ich finde das sehr wohl hier. So ich habe diese Stelle gefunden. Und für mich auch reicht. Also ich kann nur so, so arbeiten. # Interview 3: 00:04:47-1# Unter Identifikation versteht Esser die „besondere Einstellung eines Akteurs, in der er sich und das soziale Gebilde als eine Einheit sieht und mit ihm ‚identisch’ wird“ (Esser 2001a: 12). Diese emotionale Beziehung gliedert Esser in drei Stufen: Die empathische Wertintegration, der Bürgersinn und die Hinnahme. Während die Wertintegration die Identifikation mit dem System insgesamt bezeichnet und sich nicht mit pluralen und teils kontroversen Wertevorstellungen in modernen Gesellschaften verträgt, ist der Bürgersinn in einer komplexen, pluralistischen und heterogenen Gesellschaft laut Esser „nur in einem sehr abstrakten Sinn (…) die Unterstützung einer ‚kollektiven‘ Gemeinschaft: Es geht um die Sicherung der Verfassung, die gerade das Eindringen kollektiver und ‚fundamentalistischer‘ Ansprüche abwehren soll“ (Esser 2001a: 13). Die Hinnahme des Systems kann entweder aus einer Verkettung von inneren Konflikten oder als „Deferenzintegration“ (ebd.) der schwächsten und untersten Schichten einer Gesellschaft bestehen. Diese identifikative oder hinnehmende Unterstützung des Systems kann aber nur durch eine zufriedenstellende Platzierung entstehen. Die Suche nach Identifikation als Teilbereich der sozialen Inklusion drückt sich in den vorliegenden Interviews in den Subkategorien der migrationsspezifischen Engagementmotive „Dazugehören zur Aufnahmegesellschaft“ (Kapitel 6.152), „Vorurteile widerlegen“ (Kapitel 6.154) sowie „einen Beitrag gegen Diskriminierung leisten“ (Kapitel 6.154) aus. Beispielsweise soll dies durch ein Zitat der Interviewpartnerin 7 verdeutlicht werden: Und auch ein bisschen, wie soll man sagen, es war schon zu der Zeit damals, wo wir, wir sind 1984 nach Deutschland gekommen, es war schon so, ja, man hatte schon so ´nen Stempel. Und hier spürt man das auch schon sehr, finde ich hier. Wenn es eine größere Stadt gewesen wär oder so, wär es vielleicht auch anders gelaufen. Aber hier spürt man schon so, das Beweisen-Müssen, ich bin auch jemand und ich kann was leisten und ich kann mich einbringen und ich hab gute Ideen und das ist schon, ja, die Bestätigung. Ja, man kriegt von anderen, denke ich, ist schon ein Teil. Und einfach dieses Dazugehören und die Bestätigung kriegen und die Anerkennung bekommen, ja, akzeptiert zu werden, das hat schon, das sind schon starke Beweggründe. # Interview 7: 00:09:48-7#
362 7 Verknüpfung von Empirie und Theorie Nimmt man den sequenziellen Ablauf von Hartmut Esser als Grundlage, so ist demnach die Interaktion erst nach erfolgreicher Kulturation und Platzierung möglich. Das heißt, nach erfolgtem Spracherwerb (kulturelle Integration) und Statuserwerb (strukturelle Integration) erfolgt die Aufnahme von interethnischen Kontakten und Beziehungen und das Eingebundensein in interethnischen Vereinen oder Gruppierungen (soziale Integration). Dieser lineare oder sequenzielle Ablauf spricht für die quantitative Unterrepräsentation von Migrant_innen im freiwilligen Engagement. Wer mit der Kulturation und insbesondere mit der Platzierung in Form einer Position im Berufsleben und der Sicherung der eigenen Existenz beschäftigt ist, wird weniger Kraft für die soziale Integration und insbesondere für ein freiwilliges Engagement aufwenden können. Dennoch greift diese sequenzielle Abfolge zu kurz, ginge man davon aus, dass es bei allen freiwillig Engagierten genau in dieser Reihenfolge abläuft. Dieses Schema setzt voraus, dass jede_r freiwillig Engagierte_r zunächst kulturell und strukturell engagiert sein muss, um sich der nächsten Stufe, der sozialen Integration zu widmen. An der Spitze dieser gedachten Pyramide stünde dann als Abschluss einer gelungenen Integration die emotionale oder identifikatorische Integration. Dass dem nicht zwangsläufig so sein muss, zeigen die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit. Insbesondere die Engagementgruppe III zeichnet sich durch eine fehlende Platzierung und durch wenig stattgefundene Kulturation in Form von geringen beziehungsweise für eine erfolgreiche Platzierung im Berufsleben nicht ausreichenden Sprachkenntnissen aus. Das freiwillige Engagement ist in der Engagementgruppe III nicht das Erklimmen der nächsten Integrationsstufe, sondern ein Weg, über den Rückgriff auf Engagement und sozialen Beziehungen die bislang verwehrte Platzierung zu erlangen. Die Kopplung zwischen dem Vorhandensein von formalen Abschlüssen und Zertifikaten auf der einen Seite und einer erfolgreichen Platzierung im Aufnahmeland auf der anderen Seite ist für diese Engagierten durchbrochen entweder durch die fehlende Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse oder durch das komplette Fehlen von Nachweisen aufgrund von Flucht und Vertreibung. Der von Esser beschriebene sequenzielle Ablauf ist für diese Engagementgruppe demnach kein gangbarer Weg. Gleichzeitig ist der Wunsch nach Platzierung und Statusherstellung nach wie vor vorhanden158, was nach Mertons 158 Die Engagementgruppe III verzichtet weder auf den Wunsch nach Platzierung noch geht sie den theoretisch möglichen Weg der illegalen Statuserreichung (vgl. Anomietheorie von Robert King Merton als Erweiterung zum Anomiebegriff von Émile Durkheim. In: Lamnek 2007: 110ff). Die ungleiche Verteilung von Ressourcen und Mitteln führt nach Merton zu einem starken Druck auf die Individuen, kulturell vorgegebene Ziele zu erreichen. Als Anpassungstypen unterscheidet Merton Konformität, Innovation, Ritualismus, sozialen Rückzug sowie Rebellion; Anpassungsformen, die auf die Engagementgruppe III nicht zutreffen. Robert Dubin (1959, 1976) ergänzte Mertons Theorie um das Verhältnis zu institutionellen Normen und Mitteln. Engagementtyp III passt sich nach dem Modell von Dubin durch „operative Erfindungen“ (Lamnek 2007: 131) an:
7.3 Empirie und Inklusion 363 Anomietheorie (vgl. Lamnek 2007: 110 ff) gesellschaftlich anerkannte Ziele sind, die aber nicht durch die üblichen Mittel erreicht werden können. Kennzeichen der Engagementgruppe V sind ebenfalls eine erst im Erwachsenenalter stattgefundene Kulturation. Im Unterschied zur Engagementgruppe III verfügen diese Engagierten aber über ausreichende und legitime Mittel, das Ziel der Platzierung mitsamt seinen gesellschaftlichen und beruflichen Positionierungen zu erreichen. Nach Esser würde als nächste Stufe die Interaktion erfolgen. In der Engagementgruppe V ist allerdings an dritter Stelle die Identifikation, die emotionale Verbundenheit zur Aufnahmegesellschaft allgemein oder zur Organisation im Speziellen zu erkennen, die Auslöser für eine Interaktion im Sinne von freiwilligem Engagement ist. Engagierte der Gruppe V vertreten Vorstellungen einer Gesellschaft als „caring community“ oder „sorgenden Gemeinschaft“ (Klie 2014) und bringen sich über diese Identifikation in die Gesellschaft ein. Engagierte des Engagementtyps IV wurden meist in Deutschland geboren und haben keine bewusste Kulturation vollzogen, der Erwerb der deutschen Sprache erfolgte nicht als Fremdsprache (mit Ausnahme von Interviewpartnerin 21), sondern als Zweitsprache (10, 17, 22, 23) bzw. als Erstsprache (20). Als Bildungsinländer_innen erfolgte die Platzierung im Rahmen der formal erreichten Bildungsabschlüsse, sodass diese Engagierten eine für sie zufriedenstellende Positionierung erlangten. Der von Esser beschriebene sequenzielle Ablauf trifft am ehesten auf die Engagementgruppe IV zu, die nach erfolgreicher Kulturation und Platzierung als konsekutiven Schritt die soziale Interaktion in Form von bürgerschaftlichem Engagement vollziehen. Das von Esser vorgeschlagene Stufenmodell trifft auch auf den Engagementtyp I zu: Die Engagierten kamen entweder als Kinder (15, 18) nach Deutschland oder als Erwachsene (2, 8, 9). Der Erwerb der deutschen Sprache erfolgte demnach als Fremdsprache. Nach dem Spracherwerb in der Schule bzw. Sprachschule (Kulturation) erfolgte die Platzierung im Rahmen der in Deutschland erworbenen Abschlüsse bzw. im Rahmen der begrenzten Möglichkeit nicht vorhandener Berufsabschlüsse. Nach erfolgter Platzierung (hier auch im Sinne von Kindererziehung oder Hausfrauenmodell) erfolgten die Interaktion und danach die Identifikation. Das bürgerschaftliche Engagement trug in dieser Gruppe auffallend stark zur Identifikation bei (im Gegensatz zu Frauen des Engagementtyps V, bei denen das bürgerschaftliche Engagement ein „Mosaiksteinchen“ darstellt und die bereits über erfolgreiche Kulturation, Platzierung, vielfältige interethnische Kontakte und Partnerschaften identifikatorisch verortet sind). Über die Interaktionen (hier insbesondere durch Kontakte zu Deutschen ohne Migrationshintergrund und Die kulturellen Ziele werden durch neue Verhaltensweisen angestrebt, die sich aber innerhalb der institutionellen Normen und Werte und nicht außerhalb der normativen und illegalen Grenzen befinden.
364 7 Verknüpfung von Empirie und Theorie durch das Eingebundensein in einen aufnahmelandorientierten Verein) entwickelte sich bei dieser Engagementgruppe ein starkes Gefühl der emotionalen Verbundenheit. Damit hängt zusammen, dass Frauen des Typs I außerhalb des Engagements wenig interethnische Kontakte haben und durch wohnräumliche Segregation, eigenethnische Partnerschaften und prekäre Arbeitsverhältnisse geprägt sind. Die Interaktion im Engagement trägt maßgeblich zur Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft bei. Beim Engagementtyp II ist bislang keine oder eine für die betroffenen Frauen wenig zufriedenstellende Platzierung erfolgt. Die Motivation zum Engagement ist in dem Wunsch nach Platzierung begründet. Diese Frauen durchliefen die Kulturation entweder bereits als Kinder (1, 13, 24) oder als Erwachsene (11). Der Prozess der Identifikation erfolgt nach der Aufnahme der Interaktion. So ist beispielsweise bei Interviewpartnerin 11 aufgrund der erfahrenen Wertschätzung und des Gefühls, gebraucht zu werden, die Identifikation mit der Einrichtung, dem Stadtteil und der Aufnahmegesellschaft gestiegen. Hauptmotivation der Engagierten des Typs II ist aber, über den Weg der Interaktion einen Quereinstieg zur beruflichen Partizipation, zur Platzierung zu finden. Ordnet man das freiwillige Engagement der sozialen Dimension der Interaktion zu, so ist diese im Integrationsprozess relativ spät nach der Kulturation und der Platzierung positioniert. Folgt man Essers These, so ist ein freiwilliges Engagement erst nach erfolgreicher kultureller und struktureller Integration möglich. In der vorliegenden Studie konnte diese sequentielle Abfolge in einigen Fällen (Engagementtyp I und IV) bestätigt werden. Allerdings ist auch eine andere Reihenfolge möglich, wie mithilfe dieser Grafik zusammenfassend veranschaulicht werden soll: Tabelle 12: Ablauf der Integrationsdimensionen nach Engagementtyp Quelle: Eigene Darstellung
7.3 Empirie und Inklusion 365 Unter Rückgriff auf Essers Modell kann bürgerschaftliches Engagement zur sozialen Inklusion beitragen. Dabei ist aber kritisch anzumerken, dass die Integrationsstufen nicht zwingend in linearer Reihenfolge ablaufen müssen. Fraglich ist auch, ob erst nach erfolgreichem Abschluss aller vier Integrationsdimensionen von einer gelungenen Inklusion gesprochen werden oder ob dies nicht vielmehr durch Betrachtung des Einzelfalls bewertet werden kann. So würden wahrscheinlich die wenigsten einen englischsprachigen Manager eines global operierenden Unternehmens in Deutschland als nicht inkludiert bezeichnen, obwohl er die erste Stufe, die Kulturation, im Sinne des Spracherwerbs nicht durchlaufen hat. Unabhängig von der Diskussion, wer als inkludiert gilt und wer nicht, muss Essers Modell dynamisch und prozesshaft verstanden werden. Im Folgenden soll deshalb versucht werden Hartmut Essers Modell zu erweitern. Abbildung 35: Ablauf der Integrationsdimensionen als Prozess Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Esser 2001a
366 7 Verknüpfung von Empirie und Theorie In der vorliegenden Abbildung wird bewusst auf einen linearen Ablauf verzichtet. Ein so verstandenes Integrationsmodell, das weniger in Stufen, sondern als Prozess gedacht wird, kann stärker die Vielfalt an Lebensmodellen, Teilhabechancen und Lebensumständen berücksichtigen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass ein minimaler Grad an Kulturation Grundlage für eine Kommunikationsaufnahme ist (oder die Beherrschung einer in der Aufnahmegesellschaft gebräuchlichen Fremdsprache). Bürgerschaftliches Engagement setzt dann allerdings nicht auf der von Esser so verorteten dritten Stufe an, sondern ist in allen Integrationsdimensionen denkbar:     Bürgerschaftliches Engagement in aufnahmelandbezogenen Vereinen unterstützt den Prozess der Kulturation durch interethnische Kontakte und fördert damit den Spracherwerb sowie das Kennenlernen von unterschiedlichen Denk- und Lebensweisen. Bürgerschaftliches Engagement kann zur Platzierung beitragen. Zum einen kann bürgerschaftliches Engagement selbst ein Ort der Platzierung sein, an dem eine sinn- und strukturgebende Tätigkeit stattfindet (anstelle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Behinderung…). Zum anderen können Kompetenzen erworben werden, die zu einer Platzierung außerhalb des Engagements beitragen (Spracherwerb, Zertifikate zur Vorlage bei potenziellen Arbeitgebern, personale Kompetenzen…). Bürgerschaftliches Engagement ist Interaktion, da bürgerschaftliches Engagement in der Öffentlichkeit und meist mit sozialen Kontakten stattfindet. Bürgerschaftliches Engagement kann aber auch zu weiteren Interaktionen führen, indem sich beispielsweise der Aktionsradius erweitert, neue Kontakte entstehen, die Organisation in der Raumschaft eingebunden ist und in Anlehnung an Böhnisch eine sozialräumliche „Aneignung“ stattfindet. Bürgerschaftliches Engagement unterstützt die Identifikation mit dem sozialen Umfeld und evtl. der Gesellschaft. Wer sich aktiv einbringt und die Gesellschaft im Kleinen mitgestaltet, hat Teilhabechancen, erfährt Anerkennung und empfindet sich als Teil der Gesellschaft. Bürgerschaftliches Engagement trägt demnach zur sozialen Inklusion (vgl. auch Huth 2007a: 173) bei. Dennoch darf bürgerschaftliches Engagement nicht als Allheilmittel oder generalistische Lösung gesehen werden. Insbesondere in Bezug auf die gesellschaftliche Platzierung in Form eines Zugangs zum Arbeitsmarkt sind dem bürgerschaftlichen Engagement enge Grenzen gesetzt (vgl. insbesondere die Engagementgruppe III, Kapitel 6.2). Die Grenze zwischen Ehrenamt und Hauptamt ist scharf gezogen, ein Wechsel ist bis auf wenige Ausnahmefälle nur auf
7.3 Empirie und Inklusion 367 Grundlage nachweisbarer Qualifikationen möglich. Im bürgerschaftlichen Engagement kann vielmehr der Eindruck einer durchlässigen Gesellschaft entstehen, in der jede_r nach seinen/ihren Fähigkeiten und Interessen eine zufriedenstellende Platzierung erlangen kann. So ist es in einem Verein möglich, ohne formale kaufmännische Ausbildung die Buchhaltung zu machen oder ohne Germanistikstudium Deutschkurse zu geben. Diese Platzierung ist außerhalb des Engagements ohne formale Bildungsabschlüsse nicht oder nur in wenigen Fällen möglich. Bürgerschaftliches Engagement kann aber – und darin liegt die große Chance – über Anerkennung und über Kompetenzentwicklung Interessierte befähigen, den weiten Weg zur Platzierung zu gehen, sie inhaltlich informieren, über Netzwerkbildung Kontakte knüpfen, sie persönlich stärken und befähigen. Soziale Inklusion als zufälligen, positiven Nebeneffekt bürgerschaftlichen Engagements zu betrachten, greift zu kurz. Vielmehr nutzen die befragten Engagierten das Engagement bewusst zur eigenen sozialen Inklusion oder zur Unterstützung von anderen Frauen mit Zuwanderungsgeschichte und deren gesellschaftliche Inklusion. Die angestrebte Inklusion erstreckt sich dabei auf alle vier von Esser erhobenen Integrationsdimensionen: in der Platzierung als Ziel, über das Engagement entweder eine Kompensation des fehlenden Berufes („Engagement anstelle von Arbeitslosigkeit“, „Monetarisierung“; vgl. Kapitel 6.1.3.3.1) oder eine Kompetenzentwicklung („Zertifikat/Anerkennung als Praktikum“, „informelles Wissen erwerben“, „im Engagement Berufserfahrung sammeln“, „Hoffnung auf Umstieg vom Ehrenamt zum Hauptamt“; vgl. Kapitel 6.1.4.4) zu erlangen; in der Kulturation mit dem Ziel der Sprachgelegenheiten („die deutsche Sprache anwenden“; vgl. Kapitel 6.1.5.2); in der Interaktion mit dem Ziel, Kontakte insbesondere zur Aufnahmegesellschaft zu bekommen („Kontakte zu Deutschen“; vgl. Kapitel 6.1.5.2) und in der Identifikation mit dem Ziel, zu einer Gruppierung oder Gesellschaft dazuzugehören („Dazugehören zur Aufnahmegesellschaft“; vgl. Kapitel 6.1.5.2).
8 Fazit und Handlungsempfehlungen 8 Fazit und Handlungsempfehlungen 8.1 Kurzzusammenfassung 8.1 Kurzzusammenfassung 8.1.1 Kurzzusammenfassung der empirischen Ergebnisse Frauen mit Zuwanderungsgeschichte engagieren sich aus folgenden sechs Gründen in einem aufnahmelandbezogenen Verein: 1. Hedonistische/gesellige und auf das eigene Wohlbefinden bezogene Gründe Beinahe alle Interviewpartnerinnen betonen den Spaß, den sie im freiwilligen Engagement erleben. Auch in den Freiwilligensurveys 2014 (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016: 427), 2009 (Gensicke und Geiss 2010: 16), 2004 (Gensicke, Picot und Geiss 2006: 100) und 1999 (ebd.) nimmt „Spaß haben“ jeweils den Spitzenplatz im freiwilligen Engagement ein. Dies geht meist mit weiteren oft altruistisch und gemeinwohlorientierten Motiven einher, ein Phänomen, das von Helmut Klages als „kooperativer Individualismus“, also der gleichzeitigen Gemeinwohlorientierung in Kombination mit selbstbezogenen Motiven bezeichnet wird (vgl. Enquête-Kommission 2002 :115). Ein weiteres wichtiges Motiv ist der Kontakt zu anderen Menschen. Damit kann bürgerschaftliches Engagement einen Beitrag gegen Vereinsamung und Vereinzelung leisten (vgl. Kapitel 6.1.1). 2. Suche nach Anerkennung Ein weiteres Motiv des Engagements ist die Suche nach Anerkennung in den von Honneth beschriebenen drei Anerkennungsformen „Liebe“, „Recht“ und „Solidarität“. Anerkennung kann im Engagement den Engagierten auf verschiedenen Ebenen zuteil werden: auf der individuellen Ebene, auf der Organisationsebene sowie auf der Ebene der interessierten Öffentlichkeit. Von zentraler Bedeutung für Frauen mit Zuwanderungsgeschichte in aufnahmelandbezogenen Vereinen ist die Anerkennung in Form von Partizipations- und Mitbestimmungsrechten, die Anerkennung der Kompetenzen und Fähigkeiten (anstelle einer Defizitorientierung) sowie das vermittelte Selbstverständnis des Dazugehörens. Der Engagementort wird als Anerkennungsarena wahrgenommen, in der Engagierte als Personen wertgeschätzt werden (vgl. Kapitel 6.1.2). 3. Engagement zur Kompensation Bürgerschaftliches Engagement kann eine kompensierende Funktion haben. Erstens kann ein persönlicher Mangel kompensiert und im Engagement ein Ausgleich © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A.-K. Schührer, Migration und Engagement, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25096-6_8
370 8 Fazit und Handlungsempfehlungen geschaffen werden. Zweitens können soziale Kontakte am Engagementort familienähnliche Strukturen und Bindungen ermöglichen, entweder als Ersatz für zerbrochene Familienstrukturen oder für migrierte Engagierte, deren Familien im Herkunftsland geblieben sind. Drittens kann das Engagement ein Ersatz für Arbeit sein. Im Engagement können Menschen, die aus verschiedenen Gründen vom Erwerbsleben ausgeschlossen sind (wegen gesundheitlicher Beeinträchtigung, Kindererziehung, fehlender Bildungsabschlüsse oder der Nicht-Anerkennung eines ausländischen Berufsabschlusses) einer sinnstiftenden Tätigkeit nachgehen, Anerkennung und Statusaufwertung erfahren und durch eine Monetarisierung des freiwilligen Engagements die finanzielle Lebenssituation verbessern (vgl. Kapitel 6.1.3). 4. Engagement zur Kompetenzentwicklung Ein Engagementort ist im Idealfall ein Lernort, an dem Wissen erworben werden kann. Dieses Wissen wird als Fachwissen für das Engagement, als personale und soziale Kompetenzen, als Gesellschaftswissen und als berufliches Wissen generiert. Insbesondere die Transformation des informell am Engagementort erworbenen Wissens in einen Beruf hat einen hohen Stellenwert. Engagierte nutzen ihr Engagement gezielt, um Kompetenzen zu erwerben, die sie im beruflichen Kontext nutzen können, um sich ihr Engagement für eine Bewerbung bescheinigen lassen zu können oder um am Engagementort eine feste Ausbildungs- oder Arbeitsstelle zu bekommen (vgl. Kapitel 6.1.4). 5. Migrationsspezifische Engagementgründe Aus der Migration resultierende Engagementgründe teilen sich auf in bewahrende, eigenintegrative und fremdintegrative Motive sowie in Motive, die einen Beitrag gegen Vorurteile und Diskriminierung leisten sollen. Wichtigste eigenintegrative Motive sind die Sprachgelegenheiten zur Ausübung der deutschen Sprache und Kontaktaufnahme zu Angehörigen der Aufnahmegesellschaft. Dieses Motiv ist insbesondere für Frauen von Bedeutung, die wohnräumlich segregiert leben, stark in eigenethnischen Freund- und Partnerschaften gebunden sind und auch beruflich keine oder wenige Kontakte zur autochthonen Bevölkerung haben. Wichtigstes fremdintegratives Motiv ist die Unterstützung von anderen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Diese Motivation ist entweder gespeist aus eigenen Diskriminierungserfahrungen und dem Wunsch, eigene Lebenserfahrungen weiterzugeben, oder aus einer solidarisch-altruistischen Grundhaltung heraus (vgl. Kapitel 6.1.5).
8.1 Kurzzusammenfassung 371 6. Altruistische Engagementgründe Altruistische Motive resultieren aus einer solidarischen Grundhaltung heraus, die teilweise auch religiös motiviert ist, aus einer Dankbarkeit für selbst erhaltene Unterstützung oder aus einem Verantwortungsgefühl heraus. Altruistische Motive sind oft verbunden mit dem Bewusstsein, selbst einen Teil zum Gelingen einer solidarischeren Gesellschaftsform beitragen zu können. Dies setzt voraus, sich selbst als einen Teil der (Aufnahme-)Gesellschaft zu sehen (vgl. Kapitel 6.1.6). Bezüglich des Zugangs zum Engagement konnte festgestellt werden, dass ein Großteil der Engagierten das Familienzentrum als Nutzerin kennengelernt hat. Der Übergang zum Engagement erfolgte aber in den seltensten Fällen eigeninitiativ, sondern durch gezielte Ansprache von bereits Engagierten oder hauptamtlich Tätigen. Meist fand ein „Hineinwachsen“ in das Engagement statt mit zunehmender Verantwortungsübernahme und zunehmend höheren Positionen. Eine Ausnahme stellen die höher gebildeten Engagierten dar: Engagierte des Typs III verstehen das Engagement als Arbeitsersatz und bewerben sich um eine „Arbeitsstelle“. Engagierte des Typs V werden auch ohne Ansprache von außen aktiv und gründen eigeninitiativ neue Angebotsformen (vgl. Kapitel 6.5.2) Freiwillig Engagierte stellen an sich positive Veränderungen fest. Zufriedenheit, eine Zunahme an Selbstbewusstsein, eine Zunahme an Toleranz gegenüber bislang unbekannten Lebensformen und -einstellungen sowie eine Entwicklung von Interesse an gesellschaftlichen und politischen Themen sind die vier genannten Veränderungen, die durch das Engagement ausgelöst wurden (vgl. Kapitel 6.3). Barrieren bei der Aufnahme eines freiwilligen Engagements bestehen aufgrund persönlicher Merkmale insbesondere durch fehlende Sprachkenntnisse, einem teilweise daraus resultierenden geringen Selbstbewusstsein oder aus herkunftslandbezogenen Gründen wie unterschiedlichen Vorstellungen von Zivilgesellschaft. Institutionelle Barrieren bestehen insbesondere in einer fehlenden Informationspolitik, nicht zielgruppengerechter Ansprache oder in einer fehlenden interkulturellen Öffnung. Barrieren auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene sind Vorurteile sowie Segregation und Isolation (vgl. Kapitel 6.4). Den Zugang zum Engagement wird auf institutioneller Ebene erleichtert durch eine Willkommenskultur und interkulturelle Ausrichtung, durch die persönliche Ansprache sowie durch eine Vereinskultur, die von Wertschätzung und demokratischen Strukturen und Aushandlungsprozessen geprägt ist (vgl. Kapitel 6.5). Mithilfe der Bildung von Merkmalsräumen auf theoretischer Grundlage der Typenbildung nach Kelle und Kluge (2010) konnten fünf Engagementtypen generiert werden. Die zentralen Differenzlinien verlaufen bezüglich ihrer beruflichen
372 8 Fazit und Handlungsempfehlungen Partizipationsmöglichkeiten in der Aufnahmegesellschaft. Zentrale Merkmale der Engagementgruppe I sind die niedrige soziale Lage, die eigenen Exklusions- und Diskriminierungserfahrungen sowie das dominierende Motiv der Solidarität und der Unterstützung von Angehörigen der eigenen Ethnie. Zentrale Merkmale der Engagementgruppe II sind eine niedrige soziale Lage sowie das Motiv, über das freiwillige Engagement Kompetenzen für einen pädagogischen Beruf zu erlangen und neue berufliche Zugangswege zu eröffnen. Zentrale Merkmale der Engagementgruppe III sind eine hohe Bildung, ein migrationsbedingter Statusverlust und damit einhergehend eine prekäre soziale Lage. Das Engagement soll den fehlenden Zugang zu einem bezahlten Beruf kompensieren, die Aufwandsentschädigung ist existenzsichernd. Zentrale Merkmale des Engagementtyps IV sind eine zufriedenstellende soziale und berufliche Situation sowie als zentrale Motive hedonistische, gesellige und ichbezogene Einstellungen. Zentrale Merkmale des Engagementtyps V sind ein hoher Bildungsabschluss, hohe berufliche Partizipationschancen, ein großes Interesse an Themen der sozialen Ungleichheit und Interkulturalität. Das Engagement ist motiviert durch migrationsspezifische und altruistische Einstellungen (vgl. Kapitel 6.2). 8.1.2 Kurzzusammenfassung der empirischen Ergebnisse im theoretischen Kontext Freiwilliges Engagement in aufnahmelandbezogenen Vereinen kann einen Beitrag zur sozialen Inklusion leisten. Dafür benötigen Menschen in „situativ verletzlichen“ (Mackenzie, Rogers und Dodds 2014) Lebenssituationen Unterstützung. Diese Unterstützung findet idealerweise durch eine entsprechende sozialpolitische Rahmung statt und setzt auf der Makroebene an, Unterstützung kann aber auch in anerkennungssensiblen Engagementorten stattfinden. Unter Bezugnahme auf das theoretische Modell „Kampf um Anerkennung“ von Axel Honneth konnte gezeigt werden, dass das Streben nach Anerkennung die Grundlage jedes menschlichen Handelns ist, es ist demnach die Grundtheorie der vorliegenden Arbeit. Für Honneth wird der Mensch erst nach Durchlaufen aller drei Anerkennungsformen Liebe, Recht und Solidarität/Leistung zu einem autonomen Subjekt (Honneth 2016: 151). Honneth baut sein Konzept als Stufenmodell auf, beginnend bei der idealerweise in der Herkunftsfamilie stattgefundenen ersten Stufe der Anerkennung durch Liebe. Grundsätzlich möglich ist es, im Engagement einen Ort der Anerkennung durch Liebe zu finden, vgl. Zimmermann (2015) über Jugendliche aus instabilen Familienverhältnissen im Engagement. Im Kontext von Migration bedeutsamer ist die von Honneth als zweite Stufe bezeichnete Anerken-
8.1 Kurzzusammenfassung 373 nungsform des Rechts bzw. seine Missachtungsformen der Entrechtung und Exklusion. Diese Anerkennungsform basiert auf dem Gleichheitsgrundsatz demokratischer Systeme. Zwar wurden seit der Einführung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (2000), des „Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthaltes und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern“ (2005) und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (2006) weitere Gesetze erlassen wie beispielsweise das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz, dem „Gesetz über die Feststellung der Gleichwertigkeit von Berufsqualifikationen“ (2012), dennoch ist in zahlreichen Gesetzen keine „Gleichwertigkeit“ von Deutschen und Unionsbürger_innen einerseits und Drittstaatsangehörigen andererseits zu verzeichnen. Insbesondere für geflüchtete Menschen mit geringem Schutzstatus wie dem subsidiären Schutz oder einer Aussetzung der Abschiebung/Duldung sind Exklusionserfahrungen in vielen Lebensbereichen (Zugang zu Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt, Sprachkursen, Gesundheitssystem, Sozialsystem usw.) Teil ihrer Lebenswirklichkeit. Aber auch für Menschen mit gesichertem Aufenthaltsstatus bestehen trotz oben genannter rechtlicher Veränderungen weiterhin Barrieren im Zugang zum Arbeitsmarkt. So ist beispielsweise der Zugang zu bestimmten Berufen ebenso wie die politische Partizipation an die deutsche Staatsangehörigkeit gekoppelt. Zentral in dieser Studie haben sich insbesondere die Exklusionserfahrungen in Bezug auf die beruflichen Partizipationsmöglichkeiten herauskristallisiert. Nicht unbedeutend im Kontext Migration ist auch die von Honneth thematisierte dritte Anerkennungsform der Solidarität/Leistung. Dies beinhaltet, Anerkennung für Leistungen und Fähigkeiten zu bekommen, die von den übrigen Gesellschaftsmitgliedern als „wertvoll“ geschätzt werden (Honneth 2016: 209). Durch diese Anerkennung kann ein Individuum sich selbst wertschätzen und sich mit sich und seinen Fähigkeiten identifizieren. Menschen mit Migrationshintergrund verfügen aber teilweise über Fähigkeiten, die im Aufnahmeland nicht als solche anerkannt werden. So werden zwar Fremdsprachenkenntnisse grundsätzlich als wichtige Kompetenz anerkannt, nicht aber bei Menschen mit Migrationshintergrund, die über Kenntnisse in Nicht-Welthandelssprachen verfügen. Mehrsprachigkeit wird mit unterschiedlichen Maßstäben mal als Kompetenz, mal als Mangel gewertet, je nachdem ob die Eltern mit einem Kind beispielsweise Englisch oder Albanisch sprechen. Auch andere Kompetenzen, die im Herkunftsland erworben wurden und dort anerkannt waren, haben im Aufnahmeland einen anderen Stellenwert, wie in dieser Studie beispielsweise die Massage angeführt wurde (Interviewpartnerinnen 3 und 8). Von Bedeutung ist auch das Gefühl, sich aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse nicht entsprechend präsentieren zu können, von den Mitmenschen nicht „erkannt“ (Interviewpartnerin 9) oder gar als „dumm“ (Interviewpartnerin 25) bezeichnet zu werden. Im Ergebnisteil (Kapitel 6) wurden
374 8 Fazit und Handlungsempfehlungen zahlreiche Ankerbeispiele aufgeführt, in denen deutlich wird, dass einige Interviewteilnehmerinnen geprägt sind von fehlender Anerkennung in den Formen Liebe, stärker aber noch von fehlender Anerkennung in den Formen Recht und Solidarität. Das freiwillige Engagement in aufnahmelandbezogenen Vereinen kann bei einigen Engagierten demnach als Lösungsmöglichkeit gesehen werden, die bestehenden Missachtungsformen Entrechtung und Exklusion anstelle von Anerkennung durch Recht sowie Entwürdigung und Beleidigung anstelle von Anerkennung durch Leistung zu umgehen und Orte zu finden, an denen diese Missachtungsformen nicht gelten. Zentral für das Gelingen dieses Weges ist dabei, dass dieser Ort anerkennungssensibel gestaltet ist und Anerkennung durch Liebe, Recht und Leistung/Solidarität kompensiert werden kann (vgl. Kapitel 4.1 und 7.1). Wie dies konkret ausgestaltet werden kann, soll bei den Handlungsempfehlungen genau aufgeführt werden. Laut Honneth werde beim Durchlaufen aller drei Anerkennungsformen nicht nur der Grad der positiven Selbstbeziehung gesteigert (vgl. Honneth 2016: 151), sondern nur so sei eine Entwicklung zu einem autonomen Subjekt (ebd.: 151) möglich. Die von Honneth benannte Autonomie hat auch in Lothar Böhnischs entwickeltem Konzept der Lebensbewältigung einen hohen Stellenwert, wonach das Individuum Wege sucht, um subjektiv handlungsfähig zu sein. Entscheidend ist bei Böhnisch die Wechselwirkung aus Lebenslage und Bewältigungsverhalten, die die Bewältigung schwieriger Lebenssituationen beeinflusst. Die Handlungsempfehlungen setzen demnach sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikroebene an. Je nach persönlicher Ausstattung und sozioökonomischen Bedingungen findet die Bewältigung in regressiver, einfacher oder erweiterter Form statt. Aufgrund des Sampling von bereits engagierten Interviewpartnerinnen konnten in dieser Arbeit keine Frauen mit regressivem Bewältigungsverhalten generiert werden, gleichwohl sind sie in Mütter- und Familienzentren als Nutzerinnen der niedrigschwelligen Angebote anzutreffen, weshalb im Folgenden holzschnittartig Unterstützungsmöglichkeiten aufgezählt werden:
375 8.1 Kurzzusammenfassung Tabelle 13: Bewältigungsform nach Interviewsample Bewältigungsverhalten Regressive Bewältigung Vertreterinnen Unterstützungsmöglichkeiten Keine Repräsentation im Sample Einfache Bewältigung teilweise Typ III (Int 3, Int 27, Int 28) Typ I Erweiterte Bewältigung (angestrebt) Typ II, teilweise Typ III (Int 5 und 25)  Unterstützung der sozioökonomischen Lebenslage  Schaffung von niedrigschwelligen Zugängen für Partizipation  Ermöglichung von Ausdruck, Autonomie, Aneignung und Anerkennung  Unterstützung der sozioökonomischen Situation, finanzielle Sicherung der Lebenssituation  Ermöglichung von Aneignung durch ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital  Stärkung der Aneignungsfähigkeiten von kulturellem und sozialem Kapital Quelle: Eigene Darstellung Dabei wird das von Lothar Böhnisch entwickelte Brückenkonzept zwischen Lebenslage und Bewältigung als zentral für diese Arbeit betrachtet. Die Qualität von Anerkennung, Ausdruck, Aneignung und Autonomie ist entscheidend für eine Bewältigung entweder in regressiver, einfacher oder in erweiterter Form. Während Menschen mit regressiver Bewältigung bislang keine Bewältigungslage für sich nutzen konnten, haben Engagierte des Typs I, II und III im bürgerschaftlichen Engagement Anerkennung, Ausdruck, Aneignung und Autonomie erfahren (vgl. Kapitel 4.2.1 sowie 7.2). Die Trennlinie zwischen einfacher und erweiterter Bewältigung liegt in der Aneignung. Die Aneignungsfähigkeit wird als entscheidend angesehen, ob Menschen in prekären Lebenssituationen ihre Lebenssituation einfach bewältigen oder ob sie eine erweiterte Bewältigung erreichen. Die in der Tabelle 14 genannten Vertreterinnen der einfachen Bewältigung haben im Engagement ihren Platz gefunden. Hier sind sie subjektiv handlungsfähig, können sich ausdrücken, finden Anerkennung, erfahren Unabhängigkeit und eignen sich den Engagementort (und evtl. darüber hinaus den Stadtteil) an. Dies stellt eine enorme Leistung dar und soll hier nicht in Abrede gestellt werden. Gleichwohl wird der Engagementort als Nische wahrgenommen, der von der „unwirtlichen Außenwelt“ getrennt ist; hier herrschen andere Regeln beispielsweise des interkulturellen Zusammenlebens und der Wertschätzung von Diversität und es herrschen andere Voraussetzungen an formale Qualifikationen. Diese so verstandene Aneignung stellt
376 8 Fazit und Handlungsempfehlungen lediglich eine Aneignung innerhalb des Engagementortes dar und nicht im gesamtgesellschaftlichen Sinne als Teil des Stadtteils oder gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft. Man könnte auch etwas überspitzt formulieren: Engagierte in einfacher Bewältigungslage haben sich im Engagementort „eingerichtet“. Engagierte des Typs II und teilweise des Typs III (Interviewpartnerinnen 5 und 25) streben dagegen eine erweiterte Bewältigung ihrer Lebenssituation an (ohne diese bislang erreicht zu haben159). Dies ist erstens abhängig von personalen Faktoren (Lebensalter, Familiensituation, Gesundheitszustand, familiärer Unterstützung, Selbstschätzung und Selbstvertrauen usw.), zweitens von der Unterstützung innerhalb des Engagementortes, diesen als Sprungbrett in eine erweiterte Bewältigung zu nutzen, und drittens von der politischen Rahmung (vgl. Kapitel 4.2 und 7.2). Die Theorie der Sozialintegration nach Hartmut Esser diente als weitere theoretische Grundlage der vorliegenden Arbeit. Dazu sind die vier Dimensionen der strukturellen, kulturellen, sozialen und emotionalen Integration ein wichtiger Anknüpfungspunkt, um die Verortung der Engagierten verstehen zu können. Für Hartmut Esser stellt das Erfüllen aller vier Dimensionen das Kriterium für eine gelungene Assimilation dar und damit das „Verschwinden der systematischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen unter Beibehaltung aller individuellen Ungleichheiten“ (Esser 2001b: 2). Von einem anderen Blickwinkel aus, nämlich dem Blickwinkel der Engagierten, können diese vier Integrationsdimensionen aber auch als individuell unterschiedliche, wünschenswerte Zieldimensionen betrachtet werden. Demnach haben diese Dimensionen einen unterschiedlich hohen Stellenwert für die Engagierten. Dieser Stellenwert ist abhängig von der persönlichen Ausstattung sowie von den politischen Rahmenbedingungen. Tabelle 14: Dimension Vertreterinnen im Sample Angestrebte Integrationsdimensionen nach Interviewsample Kulturation 2, 8, 9 (Typ I) 11 (Typ II) Platzierung 1, 11, 13, 24 (Typ II) 3, 5, 25, 27, 28 (Typ III) Interaktion 2, 8, 9 (Typ I) Identifikation 4, 7 (Typ V) 8, 9, 15, 18 (Typ I) Keine davon 6, 12, 14, 16, 19, 26 (Typ V) 10, 17, 20, 21, 22, 23 (Typ IV) Quelle: Eigene Darstellung 159 Vgl. Kapitel 7.2. Exemplarisch sei hier Interviewpartnerin 11 erwähnt, die mithilfe ihres freiwilligen Engagements den Übergang von einfacher zur erweiterten Bewältigungslage geht.
8.2 Handlungsempfehlungen 377 Die Analyse der Interviews bestätigt, dass Engagierte gezielt ihr freiwilliges Engagement zur eigenen sozialen Inklusion nutzen. Damit besteht bezüglich sozialer Inklusion und Engagement ein doppelter Bezug: Zum einen ist Inklusion ein positiver Nebeneffekt von bürgerschaftlich engagierten Menschen, zum anderen wird dieser Nutzen von potenziell Engagierten auch bewusst erkannt und gezielt genutzt. Der Fokus der angestrebten Integrationsdimensionen ist dabei individuell unterschiedlich. Keine der befragten Engagierten strebt eine Inklusion in allen vier von Esser beschriebenen Kategorien an, es gibt aber Engagierte, für die das Engagement zur Inklusion in gleich drei Bereichen beitragen soll (Interviewpartnerinnen 8 und 9), andere legen den Fokus auf eine Dimension (insbesondere Engagementtyp III). Engagierte des Typs V (mit Ausnahme der Interviewpartnerinnen 4 und 7) sowie des Typs IV leben eine postintegrative Perspektive (Typ IV) bzw. ein kosmopolitisches Lebensverständnis (Typ V). Engagierte des Typs IV und V sind kulturell, strukturell, sozial und emotional inkludiert (vgl. Kapitel 4.3 und 7.3) 8.2 Handlungsempfehlungen 8.2 Handlungsempfehlungen Im Folgenden werden auf Grundlage der empirischen Befunde Handlungsempfehlungen für die Makro-, Meso- und für die Mikroebene gegeben. Diese drei Ebenen sind stark miteinander verbunden und verweisen inhaltlich aufeinander. Zentrales Ergebnis der vorliegenden Arbeit „Engagement und Migration“ ist der starke Bezug zwischen bürgerschaftlichem Engagement und beruflichen Teilhabechancen. Aus diesem Grund wird sich ein Großteil der Handlungsempfehlungen auf die Unterstützung von beruflichen Teilhabechancen beziehen. Träger bürgerschaftlichen Engagements soll hierbei eine neue Rolle zukommen, da sie einen bislang wenig beachteten Zugang zu beruflich exkludierten Menschen haben. Die Studie konnte darlegen, dass Engagement und Beruf nicht ausschließlich als zwei getrennte Lebensbereiche gesehen werden dürfen, sondern dass diese bei einigen Engagierten miteinander verwoben sind. Engagement ist teilweise Arbeitsersatz und/oder über das Engagement wird eine berufliche Partizipation angestrebt. Ergänzend sei auch auf die Handlungsempfehlungen der Engagementstrategie Baden-Württemberg verwiesen, in der sowohl die Unterstützung der herkunftslandbezogenen Vereine (Migrant_innenorganisationen) als auch die interkulturelle Öffnung aufnahmelandbezogener Vereine gefordert wird (vgl. Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren 2014: 26ff). Die Engagementstrategie kommt zu dem Schluss, dass zwischen Engage-
378 8 Fazit und Handlungsempfehlungen ment und Inklusion ein wechselhafter Zusammenhang bestehe: „Eine kluge Inklusionspolitik ist zugleich eine gute Engagementpolitik. Eine kluge Engagementpolitik ist zugleich eine gute Inklusionspolitik“ (ebd.: 29). 8.2.1 Handlungsempfehlungen für die Makroebene Der Staat ist am stärksten für die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für das bürgerschaftliche Engagement zuständig. Hier werden die zentralen Weichen dafür gestellt, ob Freiwilligenarbeit grundlegend wertgeschätzt und unterstützt wird, ob sie toleriert oder ob sie gar blockiert und behindert wird. Diese Rahmenbedingungen beeinflussen zentral das Engagementverhalten der Akteure (siehe Kapitel 6.4 über herkunftslandbezogene Barrieren). Während sich in Deutschland über lange Zeit hinweg die Regularien insbesondere auf den Staat und den Markt bezogen und der Dritte Sektor teilweise unbeachtet sich selbst überlassen war, veränderte sich diese Sichtweise im Kontext eines Leitbildwandels zum „aktivierenden Staat“ (vgl. Kapitel 2.4) und eines neuen Stellenwerts bürgerschaftlichen Engagements (Hollstein 2015: 351). Infolgedessen nahmen zum einen die Regularien für den Dritten Sektor zu, zum anderen wurden aber auch zahlreiche Maßnahmen der Engagementförderung geschaffen mit dem Ziel, möglichst allen Menschen den Zugang zum Engagement zu ermöglichen: „Diese Rahmenbedingungen [sind] so auszugestalten, dass sie allen Mitgliedern einer Gesellschaft Zugang zu und Freiraum für Engagement ermöglichen, sodass alle die Chance haben, auch im Rahmen selbst gewählter sinnstiftender Aktivitäten eine Identität auszubilden“ (Hollstein 2015: 352). Zu den strukturellen Rahmenbedingungen zählt Hollstein (ebd.) rechtliche Voraussetzungen wie das Recht auf Versammlungsfreiheit oder Regelungen des Vereinsrechts, aber auch ökonomische Rahmenbedingungen wie eine Grundsicherung (sei es in Form von ALG II oder eines bedingungslosen Grundeinkommens), das Freiräume zum Engagement ermöglicht, sowie steuerrechtliche Vergünstigungen durch eine ehrenamtliche Tätigkeit. Seit 2002 wurden zusätzliche Maßnahmen geschaffen, um den Zugang zum Engagement zu erleichtern, neue Engagementfelder zu erschließen, neue Zielgruppen zu erreichen und Anreize zu schaffen. Exemplarisch sollen hier steuerrechtliche Vergünstigungen (Erhöhung der Übungsleiterpauschale von 2 100 Euro auf 2 400 Euro jährlich, Steuerfreistellung der Aufwandspauschale etc.), versicherungsrechtliche (Verbesserung der Unfall- und des Haftpflichtversicherungsschutzes etc.) und sonstige Regelungen (Einführung von Mini-Jobs etc.) genannt werden (Hollstein 2015: 352; sowie ausführlich zu den Engagementgesetzgebungen durch
8.2 Handlungsempfehlungen 379 den Bund vgl. Bundesministerium 2009: 148ff). Darüber hinaus wurden zahlreiche Modellprogramme implementiert wie beispielsweise der generationenübergreifende Freiwilligendienst (Bundesministerium 2009: 150) oder das Sonderprogramm „Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug“ (Bundesamt 2015). Bei aller Unterstützung des freiwilligen Engagements betont Hollstein aber auch, dass die „Verflechtung des Dritten Sektors mit dem Staat (…) in Deutschland erheblich“ (ebd.: 355) sei. Beispielsweise übertrage der Staat im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips staatliche Aufgaben an den Dritten Sektor160. Hollstein betont die Wichtigkeit einer „Unabhängigkeit, um nicht vom Staat oder von der Wirtschaft instrumentalisiert“ (ebd.: 353) zu werden und um den kreativen Eigensinn bewahren zu können.  Werte und Haltungen des Staates Neben der infrastrukturellen Unterstützung des Dritten Sektors trägt der Staat als Institution durch seine Haltung maßgeblich zur Stärkung bzw. zur Schwächung zivilgesellschaftlichen Handelns bei. Zugrunde liegt in Deutschland ein Verständnis von Engagement als wechselseitige Ressource für das Individuum und für die Gesellschaft (vgl. soziales Kapital in Kap. 2.4) und damit einhergehend das Konzept eines aktivierenden Staates. Damit richtet der Staat „institutionelle Arrangements ein zur Umsetzung und Stabilisierung von Werten, die er nicht selbst garantieren kann“ (Hollstein 2015: 359), wissend, dass auch Institutionen mit staatskritischer Haltung unterstützt werden, die aber dennoch „für die Bildung der (…) sozio-moralischen Ressourcen als besonders wichtig erachtet werden“ (ebd.). Dabei werden, wie Alexis de Tocquevilles bereits vor 150 Jahren feststellte, Vereine als Orte der gelebten Demokratie gesehen, in denen „Bürgertugenden“ eingeübt werden (Schössler 2014). Soll die Bildung einer demokratischen Grundhaltung unterstützt werden, muss der Staat „selbst vorbildhaft gemeinwohlorientiert, partizipatorisch und dialogisch mit dem Dritten Sektor und den Bürgern handeln“ (Hollstein 2015: 359). Damit kommt dem Staat eher die Rolle des Ermöglichens und weniger die des Bevormundens zu. Statt zu starker und regulierender staatlicher Eingriffe bieten sich die Unterstützung von Dachverbänden oder Netzwerken an wie beispielsweise das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, das Zuwendungen aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) erhält. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in zunehmend pluraler werdenden Gesellschaften die Vorstellungen des „guten Lebens“ (Hollstein 2015: 363) und der „guten Werte“ zunehmend vielfältiger werden. Diese große Bandbreite muss dennoch vom Staat gewürdigt und anerkannt werden. Gleichzeitig 160 In den Mütter- und Familienzentren sind die öffentlichen Zuwendungen für die Übernahme der Kinderbetreuung (§ 24 SGB VIII Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege) meist die wichtigsten Einnahmequellen.
380 8 Fazit und Handlungsempfehlungen muss sich der Staat aber nicht gemeinwohlorientierten Organisationen widersetzen (ebd.). Bezüglich des Engagements von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in aufnahmelandbezogenen Vereinen (aber auch in liberalen und demokratischen Migrant_innenorganisationen) ist die „Einleitung eines grundlegenden Kulturwandels hin zu einer Gesellschaft, in der ,Vielfalt auf allen Ebenen’ anerkannt, wertgeschätzt und gestärkt wird“ (Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren 2014: 29), eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Diskriminierungserfahrungen und eine fehlende Willkommenskultur auf gesellschaftlicher Ebene sind eine zentrale Barriere (vgl. Kapitel 6.4.3) im Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement. Das heißt: „Eine kluge Inklusionspolitik ist zugleich eine gute Engagementpolitik“ (ebd.: 29). Neben konkreten Gesetzen zum Abbau von Diskriminierungen und Fördermöglichkeiten von Vielfalt in Bund und Ländern tragen auch Kampagnen der Öffentlichkeitsarbeit und das klare politische Bekenntnis zur Migrationsgesellschaft zur Inklusion bei. Daneben kommt auch den Kommunen als lokale Akteure eine herausragende Bedeutung zu, die vor Ort maßgeblich Engagement von allen potenziell Engagierten fördern und unterstützen können.  Förderung von Prozessen der interkulturellen Öffnung Die Wahrnehmung von Vereinen als geschlossene Gesellschaften und eine fehlende interkulturelle Öffnung werden als zentrale Barrieren im Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement wahrgenommen. Diese Aufgabe auf Mesoebene der Vereine muss allerdings auf gesamtgesellschaftlicher Ebene vorangetrieben und gefördert werden. Dies kann ganz allgemein in der Vermittlung einer diversitätsbewussten Haltung (siehe Handlungsempfehlung „Werte und Haltungen des Staates“) geschehen. Auch können staatliche Einrichtungen als Vorbilder vorangehen und die interkulturelle Öffnung und Diversity Management in eigenen Einrichtungen, politischen Gremien, Schulen, Kindergärten und Behörden vorantreiben. Denkbar wäre auch eine „Charta der Vielfalt“ im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements. Die Engagementstrategie Baden-Württemberg schlägt als konkrete Maßnahme vor, gezielt die Öffnung der Jugendarbeit voranzutreiben (Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren 2014: 30), um Ermöglichungsstrukturen für Migrant_innen der zweiten Generation zu schaffen, die dadurch „die eigenen Lebensumfelder (Familie und die eigene Community) (…) überschreiten“ (ebd.) können.  Entbürokratisierung im Dritten Sektor Die Zunahme an staatlichen Regularien für den Dritten Sektor bringt neben Vergünstigungen und Sicherheiten auch negative Folgen mit sich: „Die zunehmende Verrechtlichung kann zu einer Überforderung der Laien führen“ (Hollstein 2015:
8.2 Handlungsempfehlungen 381 357). Diese Überforderung stellt sich schneller bei weniger hoch gebildeten Engagierten ein, solchen, die Berührungsängste in juristischen oder steuerrechtlichen Angelegenheiten haben, oder bei Engagierten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Als Folge davon kann ein Rückzug aus dem Engagement stattfinden bzw. eine weitere Zunahme an höher gebildeten Engagierten in Leitungspositionen. Vonseiten der engagementfördernden Akteure ist dabei ein immer wieder einzunehmender Perspektivwechsel hilfreich, um zu überprüfen, welche Regularien zwingend notwendig sind und auf welche zur Erleichterung des freiwilligen Engagements verzichtet werden kann. Ein enger Austausch zwischen den Organisationen des Dritten Sektors sowie den Akteuren der Engagementpolitik trägt zum besseren Verständnis bei. Vonseiten der Institutionen bieten sich Netzwerke oder Zusammenschlüsse in Dachverbänden an, um Synergieeffekte zu erhalten. Auf kommunaler Ebene ist auch die Schaffung von Ehrenamtskoordinatoren möglich, die für unterschiedliche Organisationen und Vereine innerhalb der Kommune zuständig sind und sie in rechtlichen Fragen beraten und unterstützen sowie bei Antragsstellungen behilflich sind.  Anerkennung informellen Lernens Im freiwilligen Engagement findet informelles Lernen statt (vgl. Kapitel 6.1.4; Hansen 2008, Huth 2007a, Huth 2007b). Dies könnte mit einem bundesweit einheitlichen Zertifikat offiziell anerkannt und bescheinigt werden. Im sogenannten Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) wird bereits das formale Lernen in acht Stufen berücksichtigt, um insbesondere die Mobilität der Arbeitnehmer_innen zu unterstützen und einen europaweiten Vergleich der Bildungsabschlüsse zu gewähren. Nicht berücksichtigt wird bislang nicht-formales und insbesondere das im freiwilligen Engagement stattfindende informelle Lernen. Einheitliche Standards und eine Aufnahme informellen Lernens als wertige Form des Wissenserwerbs in den DQR würde zum einen das freiwillige Engagement aufwerten und zum anderen den Sprung vom Engagement in eine Berufstätigkeit erleichtern.  Erlernen von Engagement Engagementbasiertes Lernen setzt voraus, dass zunächst Engagement (kennen)gelernt wird. Das „Hineinwachsen“ in ein Engagement ist nicht für jedes Milieu typisch. Auch ergeben sich in einer dichter werdenden Schul- und Ausbildungswelt und zunehmender Mobilität nicht zwangsläufig Engagementmöglichkeiten. Hier sind verschiedene Akteure gefordert. Zum einen sollten Schulen aller Schulformen das Kennenlernen von Engagement fördern. Zwar werden in vielen Schulen mittlerweile Orientierungstage in sozialen Einrichtungen und Organisationen angeboten, dies aber vor dem Hintergrund der Berufsorientierung und weniger als mögliche Freizeitbeschäftigung oder Ort zum Erwerb von sozialem Kapital und
382 8 Fazit und Handlungsempfehlungen informellem Wissen. Einige Schulen gehen diesbezüglich bereits andere Wege und verknüpfen bürgerschaftliches Engagement mit Schule; exemplarisch hierzu der 2005 vom bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultur ausgelobte Engagementpreis „Bürgerschaftliches Engagement“ (vgl. Glück (2006) mit einer Vielzahl an Praxisbeispielen aus bayerischen Schulen). Erfolg versprechend, aber noch quantitativ wenig umgesetzt, ist der Ansatz des „Service Learning“, in dem Lernen durch Engagement stattfindet und eine enge Verzahnung von schulischem Curriculum und Engagement in der außerschulischen Umgebung stattfindet161 (Seifert u. a. 2012). Ausbildungsbetriebe und Arbeitgeber_innen können das Engagement ihrer Mitarbeiter_innen entweder negativ als Fehlzeiten werten oder als Kompetenzerwerb mit einem Wissenstransfer (durch beispielsweise organisationale Fähigkeiten, Teamfähigkeit usw.) zugunsten des Unternehmens. Eine Unterstützung stellt beispielsweise das in Baden-Württemberg am 1. Juli 2015 eingeführte Bildungszeitgesetz (BzG BW)162 dar, das seit dem 1. Januar 2016 auch die Freistellung zur Weiterbildung für die Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten vorsieht. Bereits am 20. November 2007 wurde das sogenannte Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes in der Jugendarbeit (JArbEhrStärkG BW) eingeführt, das eine Freistellung von maximal zehn Arbeitstagen pro Kalenderjahr vorsieht. Im Rahmen von „Corporate Volunteering“ kann freiwilliges Engagement gezielt unterstützt werden mit dem Ziel, dass sowohl Engagierte von dem Unternehmen profitieren, aber auch Unternehmen von Engagierten in Form von transferiertem Wissen. Als weiterer Akteur sind die Kommunen selbst gefragt, die mit Stabsstellen für bürgerschaftliches Engagement Strukturen wie Ehrenamtsbörsen oder Mentor_innenkurse zum Kennenlernen von Engagement schaffen oder neue Formate mit niedrigschwelligen Zugängen entwickeln können.  Nachqualifikationen ermöglichen und erleichtern Für Migrant_innen mit ausländischen Berufsabschlüssen oder Studium gibt es spätestens seit Inkrafttreten des Anerkennungsgesetzes 2012 zahlreiche Möglichkeiten der beruflichen Anerkennung. Liegt der Nachweis der Qualifikation durch Unterlagen beispielsweise aufgrund der Fluchtsituation nicht vor, gestaltet sich das Verfahren schon schwieriger. Eine verstärkte Unterstützung benötigen auch Migrant_innen mit Ablehnung oder einer Anerkennung mit wesentlichen Schwierigkeiten. Maßnahmen wie vereinfachte Qualifikationsanalysen, die durch das 2015 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte dreijährige 161 Ergänzend hierzu das Bundesnetzwerk „Lernen durch Engagement“. URL: www.servicelearning.de 162 Siehe ergänzend Regierungspräsidium Baden-Württemberg: Bildungszeit. URL: https://rp.baden-wuerttemberg.de/Themen/Bildung/Seiten/Bildungszeit.aspx.
8.2 Handlungsempfehlungen 383 Projekt „Prototyping Transfer – Anerkennung mit Qualifikationsanalysen“ (vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB): URL) vorangetrieben werden sollen, tragen dazu bei. Allerdings werden diese Analysen „längst noch nicht flächendeckend angeboten“ und die Verfahren „sind mitunter aufwendig, da sie auf den jeweiligen Antragsteller individuell angepasst werden müssen“ (ebd.). Hier sind weitere standardisierte Qualifikationsanalysen dringend notwendig. Ergänzend hierzu bieten sich Maßnahmen wie „training on the job“ an. Diese Maßnahmen können auch ins bürgerschaftliche Engagement transferiert werden. Insbesondere Migrant_innen, die ihr Engagement als Arbeitsersatz und Existenzsicherung sehen, können für die Einrichtung längerfristig gehalten und motiviert werden, wenn sich aus dem Engagement heraus Berufsperspektiven ergeben können. Dazu braucht es Fachwissen und Unterstützung vonseiten der Einrichtung und vonseiten der Migrant_innen die Kraft und Bereitschaft, sich auf einen langwierigen Prozess einzulassen. Hilfreich wäre aber auch, die Möglichkeit des „training on the job“ im freiwilligen Engagement vonseiten der Politik voranzutreiben und beispielsweise in einem Pilotprojekt zu testen oder die Einrichtungen konkret zu unterstützen, diesen Weg zu gehen.  Teilqualifikationen ausbauen Insbesondere für Engagierte, die aufgrund finanzieller Zwänge im Engagement mit Aufwandsentschädigung verhaftet sind, wäre der Ausbau von Ausbildungsmodulen für Teilqualifikationen hilfreich. Bislang ist der Erwerb von Teilqualifikationen auf wenige, hauptsächlich technische und handwerkliche Berufe beschränkt, teilweise ist dies noch nicht flächendeckend in Deutschland möglich und befindet sich in der Erprobungsphase. Hauptzielgruppe sind bislang bildungsferne Arbeitslose, häufig auch Jugendliche und junge Erwachsene. Der Ausbau und die Weiterentwicklung der Möglichkeit des Erwerbs von Teilqualifikationen wären dringend nötig. Zum einen fehlt der Erwerb von Teilqualifikationen in einigen Branchen gänzlich, beispielsweise im sozialen und pflegerischen Bereich. Zum anderen stellt der sukzessive Erwerb von Berufsbausteinen insbesondere für Frauen mit familiären Verpflichtungen und sprachlichen Barrieren eine Chance dar. Mangelndes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, kulturelle Voreingenommenheit, Sprachbarrieren, die Pflege von Angehörigen oder Kindererziehung bremsen diese Frauen, sich der Herausforderung einer regulären Ausbildung zu stellen. In kleinen Schritten Teilqualifikationen zu erreichen, auch wenn dies in der Summe deutlich länger andauert, könnte eine Möglichkeit sein, das Ziel einer abgeschlossenen Berufsausbildung zu erreichen. Dabei kann den Trägern bürgerschaftlichen Engagements in der Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit eine tragende Rolle zukommen. Migrantinnen, die sich in aufnahmelandbezogenen Vereinen engagieren, schätzen die dort herrschende Willkommenskultur, die
384 8 Fazit und Handlungsempfehlungen interkulturellen Kompetenzen und die Flexibilität bei sprachlichen Schwierigkeiten. Diese werden als Bedingung für eine gelingende Ausbildung vorausgesetzt (Götz 2016: 122). Zusätzlich wird die Einrichtung von einigen Migrantinnen als „geschützter Raum“ wahrgenommen. Außerdem findet das Engagement häufig in Tätigkeitsfeldern statt, die den im Herkunftsland ausgeübten Berufen bzw. den angestrebten Berufen ähneln, die berufliche Passung ist demnach vorhanden. Bislang findet die Kooperation zwischen der Bundesagentur für Arbeit und Wirtschaftsbetrieben statt, denkbar wäre aber auch eine Kooperation mit interessierten Vereinen oder Organisationen. In der Kinderbetreuung können beispielsweise bislang mit Aufwandsentschädigung arbeitende Zweitkräfte unter Anleitung der Fachkraft Teilqualifikationen erreichen. Aufgrund der verpflichtenden Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII sowie Anforderungen an die fachliche Qualifikation nach §7 KiTaG, sind Träger bürgerschaftlichen Engagements grundsätzlich zur Kooperation geeignet, werden bislang aber nicht als potenzielle Kooperationspartner der Agentur für Arbeit wahrgenommen. Für die Einrichtung hätte diese Kooperation mehrere Vorteile: Eine „Verwässerung“ zwischen bürgerschaftlichem Engagement und prekärem Arbeitsverhältnis wäre nicht mehr oder schwerer möglich. Engagierte wie die Unfreiwillig-Freiwilligen können während der Phase des Erwerbs von Teilqualifikationen und darüber hinaus langfristig gebunden werden, was für eine Kontinuität in den Einrichtungen sorgt. Die Einrichtungen können als Partner der Bundesagentur für Arbeit mit für die Laufzeit sicheren finanziellen Zuschüssen rechnen und somit zu einer soliden Anleitung und Berufsausbildung beitragen (anstatt von Spenden und Mitgliedsbeiträgen abhängig zu sein). Vonseiten der Bundesagentur bietet sich die Kooperation an, da die Maßnahmenteilnehmer_innen die Einrichtung und das Tätigkeitsfeld bereits kennen und die Einrichtung als offen und kultursensibel schätzen, was ein Abbruch der Maßnahme unwahrscheinlicher macht. Für die Teilnehmer_innen der Maßnahme ist es neben den oben genannten Vorteilen eine Chance, die Sackgasse bzw. Warteschleife des freiwilligen Engagements zu verlassen und in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu wechseln. Dies soll nicht zwangsläufig eine Abkehr vom Ehrenamt sein, aber nach Abschluss der Teilqualifikationen oder nach Abschluss der Berufsausbildung und damit einhergehenden zufriedenstellenden und existenzsichernden Positionen besteht vielleicht die Kraft, sich tatsächlich freiwillig zu engagieren und nicht aus einer existenziellen Notsituation heraus.  Vernetzung mit dem lokalen Jobcenter Die Erfassung von Kompetenzen, insbesondere von Geflüchteten, ist eine wichtige Grundlage zur Arbeitsmarktpartizipation. Das sogenannte Profiling ist ein hochkomplexer, zeitaufwendiger Vorgang, der zugunsten schneller und oberflächlicher Erhebungen lange noch nicht flächendeckend stattfindet. Eine der wenigen
8.2 Handlungsempfehlungen 385 Ausnahmen ist beispielsweise das Migrationszentrum des Landkreises Osnabrück, das mithilfe von geschulten Berater_innen Gespräche mit Menschen mit Fluchterfahrung zu Kompetenzen und Zielen führt (vgl. Deutscher Landkreistag 2016: 121). Vorstellbar wäre hier auch eine Erweiterung der Kompetenzen um informell erworbene Fähigkeiten beispielsweise im bürgerschaftlichen Engagement. Eine Ausweitung der Zielgruppe von neu angekommenen Menschen mit Fluchterfahrung hin zu bereits länger immigrierten Menschen, die bislang aus verschiedenen Gründen wie Pflege oder Kindererziehung nicht im Arbeitsleben angekommen sind, wäre sinnvoll. Dabei bietet sich an, dass eine Kooperation zwischen Trägern des bürgerschaftlichen Engagements und dem Jobcenter stattfindet. Der Träger bürgerschaftlichen Engagements hat dabei die Aufgabe, die Kompetenzen der Engagierten zu erfassen und zu verschriftlichen. Die Mitarbeiter_innen des Jobcenters haben daraufhin in gemeinsamen Gesprächen die Aufgabe, passend zu den Zielen und unter Berücksichtigung auch informeller Kompetenzen, eine Arbeitsmarktinklusion zu planen. Zum Beispiel könnte das bürgerschaftliche Engagement als praktischer Teil einer Ausbildung anerkannt und finanziert werden bei gleichzeitigem Erwerb von theoretischen Teilqualifikationen. Zwar verliert der Träger über kurz oder lang bürgerschaftlich Engagierte, gewinnt aber evtl. qualifizierte Mitarbeiter_innen. Bei diesen ist möglicherweise die Bereitschaft zu einem Engagement in einer gesicherten finanziellen Lebenssituation nach wie vor vorhanden.  Finanzielle Förderung niedrigschwelliger Begegnungs- und Engagementorte Aus der Engagementförderung in benachteiligten Stadtteilen, zum Beispiel im Rahmen des bundesweiten Förderprogramms „Soziale Stadt“ ist bekannt, dass insbesondere Nachbarschaftstreffs, Familienzentren und Mehrgenerationenhäuser eine zentrale Bedeutung im Quartier haben. Mit Angeboten an Frauen und Mütter können große Teile des Quartiers erreicht werden, von denen ausgehend weitere Angebote hinzugefügt werden können. „Schaut man (…) auf den Mikrokosmos des öffentlichen Lebens in einem sozial benachteiligten Stadtviertel, so sind die Stimmen von Frauen und Migrantinnen dort relativ lautstark und einflussreich“163 (Klatt 2014: 98). Familienzentren und entsprechende Treffs zeichnen sich durch ihren niedrigschwelligen Zugang aus. Dadurch erreichen sie Adressat_innen, die von traditionellen Familienbildungsangeboten und Kursen nicht erreicht werden. Die erreichten Adressat_innen wirken teilweise wieder als Multiplikator_innen. Wie unter Rekonstruktion der Interviews festgestellt wurde, ist der Übergang Adressat_in – Engagierte_r kein Selbstläufer, sondern es bedarf einer individuellen 163 Allerdings ist der Einfluss außerhalb des eigenen Stadtviertels und in politischen Gremien sehr eingeschränkt. Migranten und insbesondere Migrantinnen sind nach wie vor unterrepräsentiert.
386 8 Fazit und Handlungsempfehlungen Ansprache von zumeist hauptamtlichen Kräften mit anerkennungssensibler Haltung. Bislang ist die finanzielle Förderung von niedrigschwelligen Angeboten der Familienbildung eine Kann-Leistung. Mehrgenerationenhäuser können über das Bundesprogramm „Mehrgenerationenhaus“ (Bundesamt für Familie (o.J.): URL) gefördert werden. Bei kleinen Familien- und Mütterzentren ist die Förderung je nach Bundesland und Kommune unterschiedlich. So besteht beispielsweise in Bayern eine Grundförderung der Familienzentren, ebenso in der Kommune Stuttgart. Ein Großteil der Familienzentren finanziert sich über Mitgliedsbeiträge, Spenden, Projektfinanzierungen oder Angebote mit Kostenbeteiligung. Diese Zentren verfügen über wenig bis kein hauptamtliches Personal, was Prozesse der interkulturellen Öffnung und der anerkennungssensiblen Haltung verlangsamt. Eine Grundfinanzierung der Zentren könnte zur Konstanz der geleisteten Arbeit sowie zur Unterstützung der bürgerschaftlich Engagierten und deren individueller Weiterentwicklung beitragen. Verlässliche Ansprechpartner_innen in den Zentren sorgen für einen Beziehungsaufbau mit den Engagierten, können längerfristig Konzepte der interkulturellen Öffnung und einer Anerkennungskultur vorantreiben und pflegen die Kooperation und Vernetzung mit anderen lokalen Akteuren. Eine verlässliche Grundsicherung (anstelle von projektbezogenen Förderungen) sorgt für Planungssicherheit. Hierfür braucht es ein tatsächliches Bekenntnis zur Engagementförderung, das bürgerschaftliches Engagement als Aneignungsmöglichkeit zum Erwerb von sozialem und kulturellem Kapital wertschätzt und Engagementorte als Inklusionsorte versteht (siehe Handlungsempfehlung „Werte und Haltungen“). Auch die Engagementstrategie Baden-Württemberg empfiehlt „Engagementförderung in besonderer Weise an Orte an(zu)docken, an denen Menschen (…) verschiedener kultureller Prägung ohnehin präsent sind oder Zugänge gefunden haben“ (Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren 2014: 29), d. h. konkret an Kindergärten, Schulen, Kirchen, Moscheen, Sprachkursen usw.  Die Kommune als Akteur stärken Die Kommunen (bzw. Quartiere oder Stadtteile) sind wichtige Orte der Partizipation. Hier findet Verwurzelung statt. Eine zentrale Handlungsempfehlung ist deshalb, die Kommune als lokalen Akteur im bürgerschaftlichen Engagement zu stärken. Ein Erfolg versprechender Ansatz ist die Förderung des Ausbaus von kommunalen Stellen bürgerschaftlichen Engagements innerhalb des 2018 in Baden-Württemberg umgesetzten „Pakts für Integration“ (Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg (o.J.): URL). Engagementorte müssen als Inklusionsorte (für Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund) begriffen wer-
8.2 Handlungsempfehlungen 387 den, die es zu unterstützen gilt. Das Wissen über Bedarfe, über gewachsene Vereinsstrukturen, aber auch über fehlende Angebote ist in den Kommunen vorhanden. Deshalb sind länder- oder bundesweit einheitliche Förderprojekte wenig zielführend. Eine zentrale Handlungsempfehlung ist deshalb, den Kommunen eine finanzielle Grundförderung für das bürgerschaftliche Engagement zu ermöglichen mit dem Ziel, eine lokal passgenaue Engagementstrategie zu entwickeln und umzusetzen. 8.2.2 Handlungsempfehlungen für die Mesoebene  Aufwandsentschädigung für entstandene Kosten Wird Engagement als Inklusionsort betrachtet, an dem sich Menschen mit unterschiedlichen sozioökonomischen Kontexten begegnen und sich gemeinsam engagieren können, so ist die Erstattung für entstandene Kosten im nicht vergüteten Engagement unabdingbar. Um zu verhindern, dass sich nur finanziell besser gestellte Personen engagieren können, sollten sämtliche Auslagen wie Telefonkosten, Porto oder Fahrtkosten ersetzt werden bzw. steuerlich164 abgesetzt werden. Hierzu wurden bereits verbesserte steuerrechtliche Rahmenbedingungen vonseiten des Bundes geschaffen (Bundesministerium 2009: 150 ff). Sinnvoll ist auch, dass sozioökonomisch schwächer gestellte Personen gar nicht erst Kosten vorstrecken müssen, da sie einen geringeren finanziellen Handlungsspielraum haben (vgl. ergänzend hierzu Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016a: 395). Von einer Monetarisierung (über das Erstatten von entstandenen Kosten hinaus) wird eher abgeraten. Durch die Monetarisierung des Engagements verändern sich die Zusammensetzung sowie die Motivation der Engagierten erheblich, es besteht ein fließender Übergang zwischen Engagement und prekärem Arbeitsverhältnis. Für die Engagierten besteht zudem die Gefahr, sich mithilfe der Übungsleiterpauschale finanziell „etwas Luft zu verschaffen“, ohne dass sich aber grundlegend und strukturell etwas an ihrer Situation verändert. Zielführender werden Maßnahmen gesehen, die die berufliche Partizipation anstreben wie beispielsweise der Ausbau von Teilqualifikationen oder das Ermöglichen von Nachqualifikationen (vgl. 8.2.1).  Rekrutierung und Gewinnung von Engagierten Laut Freiwilligensurvey 2014 ist das Engagementpotenzial bei Menschen mit Migrationshintergrund besonders hoch (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 164 Die Möglichkeit der steuerlichen Absetzbarkeit begünstigt allerdings nur Personen, die über ein zu versteuerndes Einkommen verfügen.
388 8 Fazit und Handlungsempfehlungen 2016a: 579). Hier scheint die Lücke zwischen der Bereitschaft zum Engagement und dem tatsächlichen Tun auseinanderzuklaffen. Vonseiten der potenziell Engagierten werden fehlende Informationen über Möglichkeiten des Engagements kritisiert (vgl. auch Kapitel 6.4.2.1). Hier gibt es in einigen Organisationen Nachholbedarf. Es empfiehlt sich, einen deutlich zielgruppenbezogeneren Ansatz zu wählen. Mit einer Ist-Soll-Analyse kann im Leitungskreis analysiert werden, welche Zielgruppe bislang erreicht und welche noch nicht erreicht wurde. Bezüglich der noch nicht erreichten Zielgruppe ist herauszufinden, was die üblichen Medien und Zugangsorte sind. Durch traditionelle Werbekampagnen (in gedruckter Form, in deutscher Sprache, in der Tagespresse…) wird überwiegend die bürgerliche Mitte ohne Migrationshintergrund erreicht. Zusätzlich bieten sich folgende Möglichkeiten an: Informationsbroschüren in verschiedenen Sprachen, verstärkter Vereinsauftritt in den sozialen Medien, Auslage von Flyern an unterschiedlichen Orten (z. B. beim türkischen Kinderarzt) oder an Orten, zu denen viele unterschiedliche Milieus und Gruppierungen Zugang haben (z. B. Kindergarten). Der Einsatz von Multiplikator_innen, die die Einrichtung bekannt machen (z. B. bei einer Infoveranstaltung nach dem Freitagsgebet im muslimischen Kulturverein), stellt eine weitere Möglichkeit dar. Neben der Öffentlichkeitsarbeit ist aber die persönliche Ansprache entscheidend für den Zugang zum Engagement.  Persönliche Ansprache Der Zugang zum Engagement findet meist (mit Ausnahme der höher gebildeten Engagierten, hier Typ III und V) über die persönliche Ansprache statt. Innerhalb eines Vereins sollte demnach ein Bewusstsein bestehen, dass alle im Verein zuständig sind für die Gewinnung weiterer Engagierter. Bereits Engagierte sind am engsten mit der Zielgruppe verbunden und können potentiell Engagierte „erkennen“ und gezielt ansprechen. Am wirkungsvollsten sind zufriedene Engagierte, die für ihre Tätigkeit „brennen“ und mit Mund-zu-Mund-Propaganda zur Gewinnung neuer Engagierter beitragen können. Wichtig hierbei ist, den Kreis potenziell Engagierter gedanklich zu erweitern. Dies setzt eine Sensibilität voraus, auch Menschen anzusprechen, die aus dem Blickfeld verschwinden, die sich nicht trauen oder noch geringe Deutschkenntnisse haben. Grundbedingung für diese Sensibilität ist eine interkulturelle Öffnung des Vereins und eine Haltung des Empowerments, was eine Unterstützung durch hauptamtliche Kräfte voraussetzt.  Niedrigschwelligen Zugang schaffen Hollstein schlägt für aktive, aber noch nicht engagierte Menschen „Mitmachplattformen“ (Hollstein 2015: 399) vor, die „ein befristetes und vorerst noch unverbindliches Engagement auf Probe ermöglichen“ (ebd.). Diese Mitmachplattform ist ein Format, das dem Wunsch nach zeitlich begrenzten Projekten gerecht wird
8.2 Handlungsempfehlungen 389 und zudem eine Schnuppermöglichkeit mit reduzierter Verantwortungsübernahme ist, die der oben genannten Überforderung vorbeugt. In der Planung der Mitmachplattform sollten dabei sämtliche Engagementmotive (Geselligkeit, Kompetenzentwicklung, Spaß, Anerkennung etc.) berücksichtigt werden, damit sich auch möglichst viele potenziell Engagierte davon angesprochen fühlen. Hollstein empfiehlt, auch schon vor Beginn eines Engagements das Ausscheiden aus dem Engagement transparent zu machen (ebd.), d.h. es muss vermittelt werden, dass ein Engagement auch ohne schlechtes Gewissen wieder beendet werden darf. Auch für weniger selbstbewusste Menschen sind niedrigschwellige Zugänge geeignet, um den Einstieg in das freiwillige Engagement zu erleichtern (Hoeft 2014: 262) und sukzessive mehr Verantwortung in anderen Tätigkeitsfeldern übernehmen zu können. Dazu trägt auch eine Vielzahl an Engagementmöglichkeiten innerhalb eines Vereins bei, mit Tätigkeiten vor und hinter den Kulissen, mit Tätigkeiten, die Sprachkompetenzen voraussetzen, und solchen, in denen ein „Hineinwachsen“ in die Sprache möglich ist.  Spracherwerb mit Engagement kombinieren Das am häufigsten genannte eigenintegrative Motiv für ein Engagement in einem aufnahmelandbezogenen Verein ist die Sprachgelegenheit. Dieses Motiv wird in der Rekrutierung potenziell Engagierter allerdings bislang kaum beworben. Die Engagementstrategie Baden-Württemberg empfiehlt hierzu, Sprachkurse mit Engagementmöglichkeiten zu kombinieren (Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren 2014: 31). Teilweise finden Sprachkurse in Mütter- und Familienzentren statt, was die Aufnahme eines Engagements erleichtert, aber auch nicht zum Selbstläufer macht („direkte Ansprache“). Vorstellbar wäre auch eine Sprachkurseinheit zum bürgerschaftlichen Engagement. Kommunale Beauftragte der Stabsstellen für bürgerschaftliches Engagement könnten gezielt im Sprachkurs über Träger, Möglichkeiten und Strukturen freiwilligen Engagements informieren und den Kontakt zu interessierten Vereinen herstellen. Das praktische Üben der Sprache könnte als ein positiver Effekt des Engagements beworben werden.  Sensible Sprache Auch wenn der Begriff „Ehrenamt“ seine historisch gewachsene Daseinsberechtigung hat und nach wie vor von zahlreichen in dieser Tradition stehenden Engagierten genutzt wird, bietet sich im freiwilligen Engagement mit Menschen mit Zuwanderungsgeschichte an, andere Begriffe zu wählen. Die Begriffe „Ehre“ und „Amt“ werden in unterschiedlichen kulturellen Kontexten verschieden bewertet und können aufgrund der vermuteten „Amtlichkeit“ mit einer geschlossenen Gesellschaft in Verbindung gebracht werden. Die Sensibilität in der Sprache bezieht
390 8 Fazit und Handlungsempfehlungen sich aber nicht nur auf einzelne Begriffe: Die intensive Verwendung von Fremdwörtern, Abkürzungen und Fachbegriffen trägt zur Exklusion mancher Bildungsmilieus bei und verhindert Vielfalt bei den Engagierten.  Interkulturelle Offenheit der Engagementorte Die Bedeutung von interkultureller Offenheit als ein das Engagement begünstigender Faktor wurde bereits in mehreren Studien betont (vgl. exemplarisch Lietz, Montiel Alafont und Müller 2015: 198ff; Karlshochschule 2014: 9ff) und in dieser Studie (vgl. Kapitel 6.5) bestätigt. Neben der Förderung von interkultureller Öffnung und Diversity Management auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene ist die kontinuierliche Weiterentwicklung am Prozess der interkulturellen Öffnung innerhalb des Vereins eine wichtige Handlungsempfehlung. Dies darf allerdings nicht als Alibiaufgabe behandelt werden zur Rekrutierung von Engagierten mit Zuwanderungsgeschichte, sondern muss als Haltung eines Vereins der Vielfalt begriffen werden. An Maßnahmen können beispielsweise (und nicht abschließend) aufgezählt werden: ein Leitbild, das Vielfalt signalisiert, interkulturelle Fortbildungen und Schulungen als Bestandteil des Qualitätsmanagements, kultursensible Öffentlichkeitsarbeit, passgenaue Angebote, Berücksichtigung migrationsspezifischer Engagementmotive, Vernetzung mit lokalen Akteuren (darunter auch Migrant_innenorganisationen) usw.  Ein förderliches Lernumfeld schaffen Um überhaupt informelle Kompetenzen erlangen zu können, muss zunächst eine förderliche Lernumgebung geschaffen werden. Engagementbasiertes Lernen ist nur möglich, wenn sich die Organisation der Verbindung zwischen Bildung und Engagement bewusst ist und dies aktiv unterstützt. Dies setzt zunächst eine Haltung voraus, die Engagierte nicht als Erfüllungsgehilfen oder gar billige Arbeitskräfte zur Erreichung eines bestimmten Ziels sieht, sondern als Expert_innen in einem wechselseitigen Prozess des Austauschs von Arbeitskraft, Zeit und Kompetenzen. Sowohl Organisationen als auch Engagierte profitieren dann besonders davon, wenn sie ein Interesse am gegenseitigen Lernen haben, wenn Engagierte von Organisationen lernen dürfen und Organisationen von Engagierten lernen wollen. Eine Möglichkeit für die Praxis wäre hierbei evtl. die Implementierung von Möglichkeiten, um Erfahrungswissen zu teilen. Dies könnte in Form von regelmäßigen Austauschrunden stattfinden oder auch digital in einem Forum im Intranet. Dies muss in jeder Organisation, in jedem Verein individuell ausgehandelt werden. Große Organisationen haben den Vorteil, dass für das Freiwilligenmanagement eine eigene Stelle geschaffen werden kann, die ebendies im Blick hat und engagementbasiertes Lernen fördert. Kleine Organisationen haben den Vor-
8.2 Handlungsempfehlungen 391 teil, dass ein Eingehen auf passgenaue Engagementformen und individuelle Bedürfnisse aufgrund der persönlichen Nähe möglich ist. Hier geht es vielmehr um das Selbstverständnis und die Haltung der Organisation. Förderlich ist aber in jedem Fall eine demokratische Kultur des Mitbestimmens, der Transparenz und des Austauschs. Informelle Kompetenzen werden mit zunehmender Engagementdauer und mit zunehmender Verantwortungsübernahme erworben. Die Engagementdauer ist nicht nur von individuellen Gründen (Zeit, persönlichen Lebensumständen…) abhängig, sondern auch davon, inwieweit es sich im Engagement um eine sinnstifte Tätigkeit handelt oder die Tätigkeit wertgeschätzt wird. Das heißt, jede Organisation kann mit ihrer Anerkennungskultur und einer wertschätzenden Handlung sowie passgenauen Engagementmöglichkeiten zur Dauer des Engagements beitragen. Zusätzlich muss sie Sorge dafür tragen, dass Engagierte sich in der Übernahme von Tätigkeiten weiterentwickeln und entfalten können und somit sich neue Lernorte und Lernerfahrungen erschließen können. Dies setzt vonseiten der Einrichtung einen ressourcenorientierten Blick voraus sowie das Ende der gedanklichen Aufteilung in (hauptamtliche) Expert_innen und (ehrenamtliche) Nicht-Wissende. Unter Rekonstruktion der Interviews findet Kompetenzgewinn in den vier verschiedenen Bereichen Fachwissen für das Engagement, personale und soziale Kompetenzen, Gesellschaftswissen und berufliches Wissen statt (vgl. Kapitel 6.1.4). Personale und soziale Kompetenzen werden insbesondere durch die Interaktion mit anderen Engagierten oder mit Besucher_innen der Familienzentren gelernt. Dabei trägt ein wenig formaler und wenig hierarchischer Rahmen dazu bei, dass sich Engagierte intensiv miteinander auseinandersetzen und ihre Rahmenbedingungen selbstbestimmt aushandeln. Der Bereich Gesellschaftswissen wird insbesondere durch ein heterogenes Team und eine heterogene Besucherschaft gefördert. Das Zusammentreffen mit Menschen verschiedener Herkunft, verschiedener Bildungsschichten, Milieus und Lebensstile trägt dazu bei, das eigene Wissen über gesellschaftliche Verhältnisse zu erweitern. Entscheidend ist hier, dass die Begegnung auf Augenhöhe stattfindet, bestenfalls mit einem gemeinsamen Ziel, an dem gemeinschaftlich gearbeitet wird. Fachwissen kann über vereinsinterne Fortbildungsangebote erworben werden. Auf institutioneller Ebene am schwersten umzusetzen ist der Wunsch nach Nutzbarmachung für den Beruf, vor allem wenn es an die Hoffnung geknüpft ist, aus dem Ehrenamt einen Beruf machen zu können. Derzeit sind dieser Möglichkeit noch enge Grenzen gesetzt und bedürfen des persönlichen Engagements und Wissens einer hauptamtlich tätigen Kraft. Zwingend muss deshalb auf der Makroebene für Rahmenbedingungen gesorgt werden, um einen Transfer von informellem Wissen in das Berufsleben zu ermöglichen (Vgl. Kapitel 8.2.1).
392 8 Fazit und Handlungsempfehlungen  Anerkennungssensible Engagementorte schaffen Unter Rückgriff auf Honneths Anerkennungsmodell ermöglicht bürgerschaftliches Engagement einen positiven Selbstbezug. Dies hat Folgen für das Individuum selbst, das damit eine stabile Identität entweder aufbauen oder stärken kann und mit dem Erfahren von Selbstwirksamkeit ein Mittel an der Hand hat, zukünftige Situationen und Herausforderungen bewältigen zu können. Engagementförderung muss demnach zwingend anerkennungssensibel agieren und Anerkennungskonzepte in die Förderung mit einbeziehen. Dazu gehört, dass sich Hauptamtliche und Engagierte Wissen über Lebenslagen und Formen fehlender Anerkennung aneignen und die Suche nach Anerkennung verstehen lernen. Anerkennungssensible Engagementorte profitieren von dieser Haltung in mehrfacher Hinsicht: Zum einen ermöglichen sie einen Zugang für Interessierte aus engagementfernen Milieus und rekrutieren damit Freiwillige. Zum anderen ist die emotionale Bindung zwischen Individuum und Organisation besonders stark, was zu einer längeren Engagementdauer führen kann. Zum anderen sind diese Personen wieder Multiplikator_innen in ihren Netzwerken und Communities und können weitere Engagierte gewinnen. Und zum anderen – und dieser Faktor ist besonders hoch einzuschätzen – tragen inkludierte und wertgeschätzte Engagierte zum Zusammenhalt einer Gesellschaft bei. Sie sind somit in ihrer Identität gestärkt, sind in ihrer Organisation oder ihrem Verein inkludiert und können sich im Idealfall als Teil des Stadtteils oder der Gesamtgesellschaft sehen, übernehmen gesellschaftliche Verantwortung und tragen zu einer demokratischen Gesellschaftsform bei. Unter Rekonstruktion der vorliegenden Interviews trägt auf Mesoebene der Vereine insbesondere eine partizipative Grundlage zur Anerkennungskultur bei, die sich in folgenden Bereichen zeigt (vgl. Kap. 6.1.3):     Möglichkeiten des Ausprobierens: Engagierte haben die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln und Fehler machen zu dürfen. Ressourcenorientierung: Jedes Individuum hat Fähigkeiten, die gewinnbringend eingebracht werden können, selbst wenn diese Fähigkeiten in unterschiedlichen Gruppierungen und Kulturen unterschiedlich genutzt werden. Möglichkeiten des Mitbestimmens: Transparente Entscheidungswege, Einbezug in Entscheidungen und das Erklären von Entscheidungsprozessen und Möglichkeiten des Mitbestimmens werden beachtet. Verantwortungsübernahme: Wege der Verantwortungsübernahme werden inhaltlich aufgezeigt, Interessierte darin bestärkt, diesen Weg zu gehen und darin unterstützt, benötigte Kompetenzen zu erlangen.
8.2 Handlungsempfehlungen 393  Öffentliche Anerkennung 30,9 % der Engagierten mit Migrationshintergrund gaben im Freiwilligensurvey 2014 an, einen Verbesserungsbedarf in Bezug auf öffentliche Anerkennung zu sehen (Simonson, Vogel und Tesch-Römer 2016a: 532). Dabei haben Frauen ein etwas geringeres Interesse an einer öffentlichen Würdigung (27,7 %) als Männer (33,9 %). Auch bezüglich der Organisationsform variieren die Zustimmungswerte (ebd.: 534). Das heißt, es wird immer wieder eine bessere Anerkennung gefordert, allerdings variiert diese quantitativ. Auch inhaltlich kann sich der Wunsch nach Anerkennung unterscheiden. Während sich teilweise Engagierte eine Anerkennung in Form von Ehrungen oder Presseberichten wünschen, wird in der vorgelegten Arbeit eine informellere Version der Anerkennung bevorzugt. Eine symbolische Wertschätzung der Tätigkeit durch beispielsweise ein gemeinsames Essen oder einen gemeinsamen Ausflug werden in den Interviews (beispielsweise Interview 10) genannt. Auch werden die kostenfreie Teilnahme an Fortbildungen und Supervisionen als Wertschätzung wahrgenommen. Diese unterschiedlichen Vorstellungen von der inhaltlichen Ausgestaltung von Anerkennung müssen in den einzelnen Vereinen individuell ausgestaltet werden. Es empfiehlt sich eine für den jeweiligen Engagementort passende Anerkennungskultur mit Symbolen und Ritualen zu etablieren.  Strukturen und Hauptamt Bereits in der qualitativen Studie von Hoeft u. a. (2014: 263) wurde in Bezug auf acht Viertelgestalter_innen mit niedrigem sozioökonomischen Status die Bedeutung von festen Infrastrukturen und professionellen Kräften betont. Ebenso betont Meusel (2013) die Wirkung von institutionellen Ansprechpartner_innen für sozial benachteiligte Menschen. Auch in dieser Studie wurde bestätigt, dass nur wenige Frauen mit Zuwanderungsgeschichte eigeninitiativ zum Engagement gefunden haben. Auch waren die wenigsten Engagierten von Anfang an in einer höheren Position oder Funktion tätig. Unter Rekonstruktion der Interviews kann festgestellt werden, dass viele Engagierte mit Zuwanderungsgeschichte schrittweise in das Engagement „hineingewachsen“ sind (siehe Handlungsempfehlung „niedrigschwelliger Zugang“) und dabei häufig Unterstützung und positive Bestärkung von Hauptamtlichen erfuhren. „Die Bedeutung fester Strukturen zeigt, dass das zivilgesellschaftliche Engagement nicht als Lückenbüßer für wegfallende Soziale Arbeit herhalten darf“ (Hoeft u. a. 2014: 264), konstatieren Hoeft u. a. Das bedeutet, dass das Hauptamt nicht durch das Ehrenamt ersetzt werden kann. Gerade Menschen in vulnerablen Situationen mit geringem Selbstwertgefühl, geringen Sprachkenntnissen und/oder Unkenntnis über Strukturen und Möglichkeiten im Engagement bedürfen einer verlässlichen und konstanten Unterstützung durch
394 8 Fazit und Handlungsempfehlungen hauptamtliches, professionell qualifiziertes Personal. Entscheidend für das Gelingen ist dabei, dass die Unterstützung nicht paternalistisch, sondern informativ und befähigend ist. 8.2.3 Handlungsempfehlungen für die Mikroebene  Empowerment: Ermöglichung von Ausdruck, Anerkennung, Autonomie, Aneignung Die Analyse der Interviews zeigt, dass das Engagement bei einigen Interviewpartnerinnen eine Form der Lebensbewältigung ist. Ziel bei der Unterstützung dieser Engagierten ist die Selbstbefähigung, das Wiederherstellen von eigener Handlungsfähigkeit. Dazu dient die Bewältigungslage von Böhnisch, um Engagierte zu befähigen, ihre Lebenssituation zu verändern. Die Vermittlungsformen von Anerkennung im Engagement sind sehr vielfältig. Klassische Anerkennungsformen im Engagement sind Urkunden, offizielle Würdigungen oder Zeitungsporträts. Eine weitere Anerkennungsform, die in der vorliegenden Erhebung quantitativ häufiger genannt wurde, ist die persönliche positive Rückmeldung durch andere Engagierte, durch das persönliche Umfeld oder durch die Öffentlichkeit. Insbesondere Lob und Zuspruch vonseiten der hauptamtlich Tätigen wird als wichtig empfunden und untermauert ein weiteres Mal die Bedeutung fester Strukturen und Zuständigkeiten im Hauptamt. Zentral für Frauen mit Diskriminierungserfahrungen sind die Wertschätzung und das vermittelte Gefühl, Teil der Gesellschaft zu sein. Durch Schulungen beispielsweise in Form von Seminaren zu interkulturellen Kompetenzen oder zur vorurteilsbewussten Pädagogik können Vereine und Organisationen anerkennungssensibler werden. Anerkennung kann auch in monetärer oder symbolischer Form stattfinden, durch Vergünstigungen oder durch ein gemeinsames Essen. Zur Anerkennung trägt des Weiteren bei, dass Engagierte als Expert_innen in ihrem Bereich wahrgenommen werden und sie dieses informell erworbene Wissen in andere Bereiche außerhalb des Engagementortes transferieren können (siehe Handlungsempfehlung „Anerkennung informellen Lernens“). Der Ausdruck kann unterstützt werden durch eine wertschätzende und angstfreie Atmosphäre, in der Engagierte ihre Betroffenheit auch trotz geringer Deutschkenntnisse thematisieren können. Das Sprechen über Probleme ist nach Böhnisch eine Möglichkeit, aus der individuellen Betroffenheit ein Thema für weitere Betroffene zu machen. Neben der Funktion der Psychohygiene ist darüber hinaus eine Politisierung des Themas möglich. Ausdruck kann aber auch im Kleinen im regelmäßigen Austausch zwischen Engagierten und hauptamtlich Tätigen
8.2 Handlungsempfehlungen 395 stattfinden, die die Engagierten nicht nur als Arbeitskraft sehen, sondern als Individuen. Die Autonomie der Engagierten kann gefördert werden durch eine sukzessive Verantwortungsübernahme. Dadurch erleben Engagierte Selbstwirksamkeit, haben Erfolgserlebnisse oder können an Fehlern wachsen. Eine demokratische Vereinskultur mit transparenten Entscheidungsprozessen trägt dazu bei, dass sich Engagierte nicht als ohnmächtig empfinden, sondern aktiv zum Gelingen beitragen können. Die Aneignung wird gefördert durch einen lokalen Einbezug des Vereins in das Gemeinwessen, durch Vernetzung mit anderen lokalen Akteuren, durch die Beteiligung an übergeordneten Gremien und Bündnissen sowie an lokalen Veranstaltungen. Für Menschen, die stark im häuslichen Bereich verhaftet sind, kann diese Beteiligung an Veranstaltungen im Gemeinwesen eine Erweiterung des eigenen Radius bedeuten. Aneignung findet aber nicht nur im sozialräumlichen Bereich statt, sondern auch durch die Erweiterung von Kompetenzen und Fähigkeiten (siehe Handlungsempfehlung „Anerkennung informellen Lernens“).  Unterstützung von Brückenbauer_innen Engagierte sind nicht nur am Engagementort aktiv, ihre Tätigkeit reicht teilweise weit über das eigentliche Engagementfeld hinaus (exemplarisch Interviewpartnerin 2, die über ihr Engagement im Familienzentrum hinaus Frauen mit türkischen Wurzeln in sozialen, rechtlichen und beruflichen Angelegenheiten berät und unterstützt). Diese Engagierten wirken als Viertelgestalter_innen (Hoeft u. a. 2014) und tragen maßgeblich zum sozialen Zusammenhalt in (sozial benachteiligten) Quartieren bei. Gleichwohl werden diese Kompetenzen (Vernetzung, Funktion als Kulturmittler_innen, Mehrsprachigkeit) von Kommunen kaum bis gar nicht anerkannt und gefördert. Viertelgestalter_innen arbeiten bei hohem Zeitaufwand überwiegend ehrenamtlich und unbezahlt, ein Transfer ihrer Kompetenzen in einen Beruf wird nicht unterstützt. Werden Quartiersmanagementstellen öffentlich ausgeschrieben, verfügen Viertelgestalter_innen nicht über die erforderlichen offiziellen Qualifikationen und können sich nicht bewerben. Die Identifikation von Viertelgestalter_innen durch die Kommune wäre ein erster Schritt mitsamt einer Anerkennung der geleisteten Arbeit. Besteht vonseiten der Viertelgestalter_innen ein grundsätzliches Interesse am Transfer in die Berufstätigkeit, empfiehlt es sich, diese Person in der beruflichen Weiterentwicklung zu unterstützen. Viertelgestalter_innen sind stark in ihrem sozialen Umfeld verankert und vernetzt, fühlen sich emotional ihrem Viertel gegenüber verbunden und sind dadurch wenig mobil (vgl. Hoeft u. a. 2014). Eine Investition in die berufliche Weiterbildung ist auf längere
396 8 Fazit und Handlungsempfehlungen Sicht lohnenswert. Der Erwerb von Teilqualifikationen oder Nachqualifikation sowie die Kooperation mit dem lokalen Jobcenter (Engagementort in einen Ausbildungsort umwandeln) sind denkbare Wege der Unterstützung (vgl. Kapitel 8.2.1).  Förderung der einzelnen Engagementtypen Um Redundanzen zu vermeiden, soll im Folgenden auf oben beschriebene (Kapitel 8.21 und 8.22) Handlungsempfehlungen nur kurz eingegangen werden, um zu beschreiben, welche Maßnahmen zur Unterstützung der einzelnen Engagementtypen geeignet sind. Die Lebenssituation der Engagementtypen I, II und III wird als prekär gewertet, während die Engagementtypen IV und V kaum oder keine Unterstützung benötigen. Engagementtyp I: Die Engagierten des Typs I sind geprägt durch geringe berufliche Teilhabechancen und Diskriminierungs- und Exklusionserfahrungen im Aufnahmeland. Engagierte des Typs I leben teilweise ein traditionelles Geschlechterrollenverständnis, eine Erweiterung der beruflichen Teilhabe in Form von formalen Abschlüssen wie eine Ausbildung wird nicht angestrebt. Gleichwohl ist dieser Engagementtyp besonders empfänglich für informell erworbenes Wissen und für eine persönliche Weiterentwicklung. Der Engagementort ist für Engagierte des Typs I ein Ort, an dem sie eine Statuserhöhung und eine Zunahme an Selbstbewusstsein durch Anerkennung erfahren und an dem sie eigene Erfahrungen an andere Migrant_innen (meist der eigenen Ethnie) weitergeben und sie so unterstützen können. Engagierte des Typs I wirken teilweise als Vorbild, ihr Engagement reicht weit über den Engagementort hinaus, sie wirken in das Gemeinwesen und in die eigenethnische Community hinein und sind dadurch Viertelgestalter_innen und Multiplikator_innen. Die Handlungsempfehlungen zur Unterstützung dieses Engagementtyps richten sich an die Stärkung von Anerkennung, Autonomie, Aneignung und Ausdruck. Die Rückkoppelung mit hauptamtlichen Kräften ist für diesen Engagementtyp besonders wichtig, da mehr auf persönliche Bindung und weniger auf Formalien Wert gelegt wird. Dementsprechend bietet sich als Unterstützungsformat Mentoring an zwischen einer Engagierten des Typs I und einer hauptamtlichen Kraft. Themen des interkulturellen Zusammenlebens haben für Engagierte des Typs I einen hohen Stellenwert, sodass sie mit ihrer Sensibilität und ihrem Wissen als Expert_innen innerhalb des Vereins gestärkt werden können. Auch wenn kompensatorische und kompetenzentwickelnde Motive nicht im Vordergrund des Engagements stehen, empfiehlt es sich, Engagierte des Typs I hinsichtlich ihrer beruflichen Weiterentwicklung zu unterstützen. Engagierte des Typs I werden in Vereinen als besonders aktiv, vernetzt und bereichernd wahrgenommen, es besteht teilweise die Gefahr, dass ihr Wissen und ihre Vermittlungsqualitäten ausgenutzt
8.2 Handlungsempfehlungen 397 werden, dass sie als „Vorzeigemigrantin“ gelten, ohne dass sie ihr Engagement für sich und ihre prekäre finanzielle Situation gewinnbringend weiterentwickeln können. Das traditionelle Rollenverständnis (Hausfrauenehe mit geringfügiger Beschäftigung) in Kombination mit Vereinen, die erheblich vom Engagement profitieren, kann dazu führen, dass der Engagementtyp I zwar stark im Engagementort inkludiert ist und darüber hinaus Anerkennung in der Community und im Quartier erfährt, dennoch aber keine erweiterte Lebensbewältigung möglich ist. Im Engagementort lernen Engagierte des Typs I andere Rollenmodelle und Lebensentwürfe kennen und stellen an sich selbst eine Zunahme an Toleranz (vgl. Kapitel 6.3.3) fest. Darüber hinaus bedürfen Engagierte des Typs I aber der Unterstützung durch hauptamtlich Tätige, um an einem Transfer ihrer Kompetenzen ins Berufsleben und an einer Veränderung der prekären finanziellen Situation zu arbeiten. Die in Kapitel 8.21 beschriebenen Handlungsempfehlungen wie das Ermöglichen von Teilqualifikationen, Nachqualifikationen oder die Installierung einer Ausbildung am Engagementort können geeignete Schritte hierfür sein. Engagementtyp II: Der Engagementtyp II benennt (im Gegensatz zum Typ I) kompetenzentwickelnde Gründe als Motivation zum bürgerschaftlichen Engagement, was ein direktes Angehen dieser Thematik erleichtert. Aufgrund von Kindererziehung und/oder Pflege und/oder geringen Sprachkenntnissen ist eine Unterstützung auf der Suche nach einem geeigneten Ausbildungsmodell hilfreich. Eine enge Kooperation mit der Agentur für Arbeit bietet sich hier an, um eine Teilzeitausbildung oder die Ausbildung am Engagementort anzustreben. Engagementtyp III: Der Engagementtyp III ist im Sample die Gruppe, die am stärksten von Exklusion betroffen und weder strukturell noch sozial, kulturell oder emotional inkludiert ist. Diese Gruppe bedarf der größten Unterstützung, was nur durch das Hauptamt geleistet werden kann. Der Engagementtyp III empfindet den Engagementort als interkulturell geöffnete Einrichtung, in der er als Mensch wertgeschätzt wird und in dem er eine (geringe) Statuserhöhung erfährt. Gleichwohl ist er ehrenamtlich mit einer Aufwandsentschädigung beschäftigt, was nicht seinem Bildungsabschluss entspricht. Ein beruflicher Neuanfang kommt aufgrund psychosozialer Schwierigkeiten, Kindererziehung oder geringen Sprachkenntnissen nicht bei allen Engagierten in Betracht. Der Engagementtyp III teilt sich auf in einen resignierten Typ (Interviewpartnerin 3, 27, 28) und einen hoffnungsvollen (5, 25). Während der Fokus bei den Hoffnungsvollen auf einen beruflichen Neuanfang gelegt werden sollte mit Unterstützung bei der Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz bei gleichzeitiger finanzieller Absicherung (Stipendium, Umschulung über die Agentur für Arbeit usw.), müssen die Schritte bei den Resignierten kleinteiliger sein. Hier empfehlen sich Teilzeitausbildungen oder der
398 8 Fazit und Handlungsempfehlungen Erwerb von Teilqualifikationen. Da Engagierte des Typs III teilweise so stark resigniert haben und psychosozial belastet sind, fehlt häufig die Kraft für einen beruflichen Neuanfang. Hier steht dann die Verbesserung der finanziellen Situation entweder durch die Unterstützung bei der Jobsuche im Vordergrund oder der Engagementort hat die finanziellen Spielräume, das Ehrenamt in eine geringfügige Beschäftigung umzuwandeln. In jedem Fall brauchen Engagierte des Typs III Anerkennung, Autonomie, Aneignung und Ausdruck, um ihr Leben einfach oder erweitert bewältigen zu können. Die Engagementtypen IV und V brauchen keine sozialarbeiterische Unterstützung im Engagement. Für diese Engagementtypen sind transparente Entscheidungsprozesse und Möglichkeiten des Mitbestimmens wichtig, um sich proaktiv einbringen zu können. Für die Engagierten 4 und 7 des Typs V ist der Engagementort Inklusionsort, an dem sie ihre Zugehörigkeit zur Aufnahmegesellschaft verdeutlichen können. Ein interkulturell geöffneter Verein ist für Engagierte des Typs V Grundbedingung für ihr Engagement. Um darüber hinaus im Sample nicht vertretene potenziell Engagierte zu erreichen, werden folgende, in Kapitel 8.21 und 8.22 beschriebene Handlungsempfehlungen als wichtig erachtet:            Direkte Ansprache durch Engagierte, Hauptamtliche, Multiplikator_innen und Viertelgestalter_innen. Vernetzung im Gemeinwesen, um potenziell Engagierte zu „erkennen“. Spracherwerb mit Engagement verknüpfen. Zielgruppengerechte, mehrsprachige Öffentlichkeitsarbeit an Begegnungsorten wie Kindergärten, Schulen, Kulturvereinen usw. Den Prozess der interkulturellen Öffnung weiterentwickeln und nach außen sichtbar machen, eine Willkommenskultur leben. Den Prozess der Anerkennung und des Empowerments fördern. An der Entbürokratisierung arbeiten, um dadurch den Zugang auch für Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status oder geringen Deutschkenntnissen zu erleichtern. Aneignungsgelegenheiten etablieren (siehe Handlungsempfehlung „Erlernen von Engagement“). Engagementorte zu Lernorten weiterentwickeln (siehe Handlungsempfehlungen „Nachqualifikationen“, „Teilqualifikationen“, „Vernetzung mit dem Jobcenter“). Niedrigschwellige Zugänge schaffen (durch kostengünstige Angebote, Angebotsvielfalt, Schnuppermöglichkeiten, interkulturellen Veranstaltungen, Teilnahme an Stadtteilaktivitäten usw.). Aufwandsentschädigung für entstehende Kosten im Vorfeld.
8.3 Fazit   399 Wissen über Strukturen im Engagement vermitteln. Transparenz über Entscheidungen und Partizipationsmöglichkeiten in einer demokratischen Vereinskultur leben. Zusammenfassend werden folgende Handlungsempfehlungen als essenziell zur Förderung tatsächlicher Partizipation angesehen: Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene tragen insbesondere ein echtes Bekenntnis zur Migrationsgesellschaft und zur Vielfalt bei. Unterstrichen wird dies durch eine Gesetzgebung, die tatsächliche Teilhabe fördert und nicht verhindert (Gesetze und Maßnahmen zum Abbau von struktureller, kultureller, sozialer und emotionaler Exklusion wie beispielsweise ausreichend qualifizierte Sprachkurse, Maßnahmen zum Erwerb von Nachqualifikationen usw.). Auf der Mesoebene kommt den Kommunen eine zentrale Funktion zu. Diese können Angebote der Inklusion (beispielsweise Integrationsmanagement) mit Angeboten des Engagements (beispielsweise Stabsstelle für bürgerschaftliches Engagement) inhaltlich wie personell miteinander verknüpfen und sind zusätzlich mit weiteren lokalen Akteuren (beispielsweise Vereinen, Jobcentern usw.) vernetzt. Potenzial besteht in dem 2018 in Baden-Württemberg umgesetzten „Pakt für Integration“ (Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg (o.J.): URL), das die Kommunen gezielt finanziell unterstützt und als zwei von insgesamt vier Maßnahmen kommunales Integrationsmanagement sowie bürgerschaftliches Engagement fördert. In der Überschneidung von Organisationsebene und individueller Unterstützung ist die Schaffung von hauptamtlichen Strukturen in niedrigschwelligen und quartiersbezogenen Einrichtungen entscheidend. Prozesse der interkulturellen Öffnung, die Ermöglichung von Empowerment sowie die Ermöglichung der von Böhnisch thematisierten Bewältigungslagen Ausdruck, Anerkennung, Autonomie und Aneignung können nicht im Ehrenamt geleistet werden. Hierzu braucht es hauptamtliche Strukturen mit interkulturell geschultem Personal, das zum einen zum Engagement ermutigt und zum anderen vulnerable Engagierte (wie die Engagementtypen I, II und III) befähigt, den Weg von einer einfachen in eine erweiterte Lebensbewältigung zu gehen. 8.3 Fazit 8.3 Fazit „Der Migrationshintergrund als solcher (stellt) keine Risikolage dar, vielmehr treten bei Personen mit Zuwanderungsgeschichte spezifische Härten überproportional häufig auf“ (BMFSFJ 2017: 245). Diese spezifischen Härten versuchen Menschen mit Migrationshintergrund u. a. im freiwilligen Engagement zu überwinden.
400 8 Fazit und Handlungsempfehlungen Neben hedonistischen und altruistischen Engagementmotiven konnten in der vorliegenden Studie Motive festgestellt werden, die als Lebensbewältigung, als Suche nach Anerkennung sowie als Wunsch nach sozialer Inklusion analysiert werden können. Die von den Engagierten angestrebte Inklusion erstreckt sich dabei auf alle vier von Esser erhobenen Integrationsdimensionen: in der Platzierung als Ziel, im Engagement entweder den fehlenden Beruf zu kompensieren165 oder Kompetenzen für eine geplante Berufstätigkeit zu erlangen166; in der Kulturation mit dem Ziel, Zugang zu Sprachgelegenheiten zu erhalten167; in der Interaktion mit dem Ziel, Kontakte insbesondere zur Aufnahmegesellschaft zu bekommen168, in der Identifikation mit dem Ziel, zur Aufnahmegesellschaft dazuzugehören169. Bürgerschaftliches Engagement ist damit eine Möglichkeit, Menschen, die in anderen Lebensbereichen exkludiert sind, zu erreichen. Anerkennungssensible Engagementorte können zur sozialen Inklusion beitragen. Damit bestätigt sich der wechselhafte Zusammenhang, der in der Engagementstrategie Baden-Württemberg beschrieben wird: „Eine kluge Inklusionspolitik ist zugleich eine gute Engagementpolitik. Eine kluge Engagementpolitik ist zugleich eine gute Inklusionspolitik“ (Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren 2014: 29). Gleichwohl bestehen auch im freiwilligen Engagement wirkmächtige Exklussionsprozesse. Barrieren im Zugang zum Engagement bestehen auf der individuellen, der institutionellen sowie der gesamtgesellschaftlichen Ebene. Unter Rekonstruktion der Interviews konnten zwei wichtige Zusammenhänge festgestellt werden: Zum Ersten konnte eine enge Verbindung zwischen Engagementmotiven und beruflichen Partizipationschancen dargestellt werden. Bereits in den quantitativen Befunden des Freiwilligensurveys 2004 wiesen Migrant_innen jeweils höhere Zustimmungswerte auf bezüglich der Erwartungen an staatliche Unterstützung („Wunsch nach Anerkennung als Praktikum“), der Erwartungen an die Organisation („bessere Weiterbildungsmöglichkeiten“) sowie der Erwartungen an das Engagement („dass die Tätigkeit auch für die beruflichen Möglichkeiten etwas nutzt“; „dass man die eigenen Kenntnisse und Erfahrungen erweitern kann“) (vgl. Gensicke, Geiss und Picot 2006: 364ff). In der hier vorliegenden Studie konnte dieser Befund bestätigt und qualifiziert werden. Die Ver- 165 Engagementmotive „Engagement anstelle von Arbeitslosigkeit“ (Kap. 6.13311), „Finanzielle Einnahmequelle“ (Kap. 6.13312). 166 Engagementmotive „Zertifikat/ Anerkennung als Praktikum“ (Kap. 614424), „Nutzbarmachung für den Beruf“ (Kap. 61442). 167 Engagementmotiv „Sprache“ (Kap. 6.1521). 168 Engagementmotiv „Kontakte zu Deutschen“ (Kap. 6.1523). 169 Engagementmotiv „Dazugehören zur Aufnahmegesellschaft“ (Kap. 6.1522).
8.3 Fazit 401 knüpfung der quantitativen Befunde aus den Freiwilligensurveys mit den Ergebnissen dieser qualitativen Studie lässt eine Übertragbarkeit auch auf andere, sich im berufsfähigen Alter befindende Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu. Zum Zweiten besteht ein enger Zusammenhang zwischen den Engagementmotiven und der Zuschreibung des Merkmals als „Mensch mit Migrationshintergrund“ bzw. der Lebenssituation als Migrantin. Aufgrund der Ankommenssituation in einer als fremd empfundenen Lebenswirklichkeit oder aufgrund diskriminierender Zuschreibungen als nicht-zugehörige Fremde entwickeln Frauen mit Zuwanderungsgeschichte den Wunsch, im Engagement einen Beitrag gegen Vorurteile und Diskriminierungen zu leisten, selbst in der Aufnahmegesellschaft anzukommen bzw. andere Frauen in ähnlichen Lebenssituationen zu unterstützen. Die Analyse der Interviews ergibt, dass freiwilliges Engagement von Frauen mit Zuwanderungsgeschichte von individuellen Bewältigungsmustern, von milieugeprägten Einstellungen und Werten, von sozioökonomischen Faktoren, von institutionellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Strukturen sowie von migrationsspezifischen Faktoren beeinflusst wird. Mit Blick auf die Engagementförderung müssen diese Einflussfaktoren und Interdependenzen zwingend berücksichtigt werden.
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Anhang I Universität Konstanz, Ergänzung zur Studie „Integration gelungen?“ Ausgewiesen werden gewichtete Ergebnisse. . tab gherkunft leitung [aweight=persfakt], row nof | Leitungsfunktion inne Herkunftsgruppen | 0. Nein 1. Ja | Total ---------------------+----------------------+---------1. Deutschland | 58.18 41.82 | 100.00 2. Italien | 64.60 35.40 | 100.00 3. Polen | 81.48 18.52 | 100.00 4. Tuerkei | 70.36 29.64 | 100.00 5. ehem. Jugoslawien | 74.73 25.27 | 100.00 6. ehem. Sowjetunion | 88.95 11.05 | 100.00 ---------------------+----------------------+---------Total | 71.04 28.96 | 100.00 . tab gruppe leitung [aweight=persfakt], row nof Herkunfts- und | Leitungsfunktion inne Generationengruppen | 0. Nein 1. Ja | Total -------------------+----------------------+---------1. Einheimische | 58.18 41.82 | 100.00 2. Tuerkei (G1) | 69.96 30.04 | 100.00 3. Tuerkei (G2) | 75.34 24.66 | 100.00 4. Tuerkei (G3) | 65.57 34.43 | 100.00 5. Ehem. Jug. (G1) | 81.36 18.64 | 100.00 6. Ehem. Jug. (G2) | 72.57 27.43 | 100.00 7. Ehem. Jug. (G3) | 56.15 43.85 | 100.00 8. Italien (G1) | 60.99 39.01 | 100.00 9. Italien (G2) | 64.99 35.01 | 100.00 10. Italien (G3) | 67.77 32.23 | 100.00 11. Ehem. SU (G1) | 92.18 7.82 | 100.00 12. Ehem. SU (G2) | 81.48 18.52 | 100.00 13. Polen (G1) | 86.42 13.58 | 100.00 14. Polen (G2) | 70.56 29.44 | 100.00 -------------------+----------------------+---------Total | 71.04 28.96 | 100.00 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A.-K. Schührer, Migration und Engagement, Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25096-6
428 Fallzahlen: . tab gruppe leitung Herkunfts- und | Generationengruppe | Leitungsfunktion inne n | 0. Nein 1. Ja | Total -------------------+----------------------+---------1. Einheimische | 136 97 | 233 2. Tuerkei (G1) | 27 20 | 47 3. Tuerkei (G2) | 57 31 | 88 4. Tuerkei (G3) | 31 13 | 44 5. Ehem. Jug. (G1) | 36 9 | 45 6. Ehem. Jug. (G2) | 53 23 | 76 7. Ehem. Jug. (G3) | 19 13 | 32 8. Italien (G1) | 25 16 | 41 9. Italien (G2) | 47 29 | 76 10. Italien (G3) | 37 22 | 59 11. Ehem. SU (G1) | 57 10 | 67 12. Ehem. SU (G2) | 61 13 | 74 13. Polen (G1) | 63 13 | 76 14. Polen (G2) | 23 26 | 49 -------------------+----------------------+---------Total | 672 335 | 1,007 Anhang
Anhang II 1. 2. 429 Expertinneninterviews – Leitfaden Welches Selbstverständnis von Freiwilligenarbeit gibt es in der Türkei? Inwieweit wird Freiwilligenarbeit in der Türkei von der Politik bzw. dem Staat unterstützt? z. B. finanziell, symbolisch durch Anerkennung? 3. Wie beurteilen Sie die Situation in Ihrem Land? Inwieweit wird Freiwilligenarbeit von der Bevölkerung geschätzt und anerkannt? 4. Gibt es in der Türkei eine Tradition der Freiwilligenarbeit oder ist es ein modernes Phänomen? 5. In welchen Bereichen (Sport, Religion, Soziales, Politik…) findet Freiwilligenarbeit hauptsächlich statt? 6. Was sind gesellschaftlich anerkannte Motive in der Freiwilligenarbeit? Wie schätzen Sie die Situation in der Türkei ein? Findet „Helfen“ eher in der Familie/ Nachbarschaft statt oder im öffentlichen Raum? 7. Sind Aufgaben in Familie und Nachbarschaft (Kinderbetreuung, für die Nachbarin einkaufen…) auch „Freiwilligenarbeit“? 8. In Deutschland wird teilweise für freiwillige Tätigkeiten ein geringes Entgelt bezahlt, das aber unter der Höhe eines Arbeitsverdienstes liegt. Gibt es in der Türkei auch gering bezahlte „freiwillige“ Arbeiten? 9. Welche Position beziehen Sie selbst? Ist eine unbezahlte Tätigkeit eine „Freiwilligenarbeit“? 10. Werden bestimmte Kompetenzen benötigt, um sich freiwillig engagieren zu können? 11. Wie schätzen Sie die Situation in der Türkei ein? Gibt es Barrieren für einzelne Bevölkerungsgruppen (Frauen, Migrant_innen, Menschen mit Behinderung) sich zu engagieren? Für wen? Wo, in welchem Bereich? 12. Welche Potentiale sehen Sie durch die Freiwilligenarbeit? Inwieweit kann Freiwilligenarbeit dazu beitragen, sich selbst weiter zu entwickeln?
430 Anhang III Fragebogen zur Erhebung der soziodemografischen Daten • • Geburtsjahr Nationalität: o deutsch o doppelte Staatsangehörigkeit o andere Staatsangehörigkeit • Seit wann leben Sie in Deutschland? o seit der Geburt o seit • Allgemeine Schulbildung o Kein Schulabschluss o Hauptschulabschluss (oder ausländische Entsprechung) o Mittlere Reife (oder ausländische Entsprechung) o Fachhochschulreife (oder ausländische Entsprechung) o Abitur (oder ausländische Entsprechung) o Anderer Schulabschluss • Haben Sie diesen Schulabschluss in Deutschland gemacht? o Ja, in Deutschland o Nein, im Ausland • Haben Sie eine Berufsausbildung/ Studium? o Nein o Ja, Ausbildung im Ausland o Ja, Studium im Ausland o Ja, Ausbildung in Deutschland o Ja, Studium in Deutschland • Berufstätigkeit: Sind Sie derzeit berufstätig? o Vollzeit erwerbstätig (mindestens 34 Stunden/ Woche) o Teilzeit erwerbstätig o Geringfügig beschäftigt (450 Euro-Job) o Nicht erwerbstätig • • • Wie viele Personen leben in Ihrem Haushalt (insgesamt mit Ihnen)? Wie viele Kinder haben Sie? Wie alt ist das jüngste Kind?
431 Anhang • Gibt es Personen in Ihrem Haushalt, die Sie pflegen? o Ja o Nein • Wie hoch ist Ihr monatliches Netto-Einkommen für den ganzen Haushalt? o unter 750 Euro o 750 bis unter 1500 Euro o 1500 bis 2500 Euro o 2500 bis 4000 Euro o über 4000 Euro
Bislang sind in der Reihe „Edition Centaurus – Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis“ folgende Titel erschienen: Christine Dukek: Jugendämter im Spannungsfeld von Bürokratie und Profession. Eine empirische Untersuchung der Entscheidungsfindung bei Hilfen zur Erziehung Rainer Patjens: Förderrechtsverhältnisse im Kinder- und Jugendhilferecht Susanne Schäfer-Walkmann / Franziska Traub: Evolution durch Vernetzung. Beiträge zur interdisziplinären Versorgungsforschung Jonas Kabsch: Lebensweltorientierung und Autismus Süleyman Gögercin, Karin E. Sauer (Hrsg.): Neue Anstöße in der Sozialen Arbeit Matthias Moch, Kompetentes Handeln in stationären Erziehungshilfen