Author: Chukovsky Korney  

Tags: kinderliteratur  

Year: 1972

Text
                    

r KORNEJ » TSCHUKOWSKI W DOKTOR f AIBOLIT I BEBILDERT VON W. DU WIDOW
Erster Teil DIE REISE INS AFFENLAND

DER DOKTOR UND SEINE TIERE Es war einmal ein Doktor, ein herzensguter Doktor. Er hieß Aibolit und hatte eine böse Schwe- ster namens Barbara. Der Doktor hatte Tiere sehr, sehr lieb. In seinem Zimmer lebten Hasen, im Schrank wohnte ein Eichhörnchen, im Büfett ein Rabe und auf dem Sofa ein stacheliger Igel. In einer Truhe hatten sich weiße Mäuse eingerichtet. Doch am liebsten von allen seinen Tieren hatte Doktor Aibolit die Ente Kika, den Hund Awuff, 5
das Ferkel Naff-Naff, den Papagei Karudo und die Eule Bumba. Die böse Barbara ärgerte es schrecklich, daß alle diese Tiere beim Doktor lebten. Jage sie sofort raus!“ schrie sie. „Sie machen nichts wie Schmutz und Unordnung! Ich will diese ekligen Viecher nicht mehr im Hause sehen!“ ..Sie sind doch gar nicht eklig, Barbara“, sagte der Doktor. „Ich bin sehr froh, daß sie bei mir leben.“ Von überallher kamen zum Doktor kranke Hirten und Fischer, Holzfäller und Bauern, und jeder erhielt eine Arznei verabreicht, von der er sofort gesund wurde. Sobald sich ein Dorfjunge den Arm aufschlug oder die Nase zerschrammte, lief er zum Doktor Aibolit — und wenige Minuten später war alles wieder heil, und er spielte quietschvergnügt mit dem Papagei Karudo, als sei überhaupt nichts geschehen. Die Eule Bumba bewirtete ihn mit Bon- bons und Äpfeln. Eines Tages kam zum Doktor ein ganz trauriges Pferd und sagte leise: „Lama, wonoi, fifi, kuku!“ . , J| 6
Sofort verstand der Doktor, was das in der Sprache der Tiere bedeutete, nämlich: „Mir tun die Augen weh, geben Sie mir bitte eine Brille!“ Der Doktor kannte die Sprache der Tiere schon lange, und so sagte er zu dem Pferd: „Kapuki, kanuki!“ Das bedeutet: „Nehmen Sie bitte Platz!“ Das Pferd gehorchte, und der Doktor setzte ihm eine Brille auf, von der seine Augen sogleich zu schmerzen aufhörten. „Tschaka“, sagte das Pferd, wedelte mit dem Schweif und lief hinaus. „Tschaka“ heißt in der Tiersprache „danke“. Bald bekamen alle Tiere, die schlecht sehen konnten, vom Doktor Brillen. So liefen die Pferde und die Kühe, ja auch die Katzen und Hunde in Brillen umher, und nicht einmal die alten Raben flogen mehr ohne Brille aus ihrem Nest. Von Tag zu Tag stellten sich beim Doktor mehr Tiere und Vögel ein. Es kamen Schildkröten, Füchse und Ziegen, auch Kraniche und Adler flogen herbei. JNUJJI 7

Sie alle wurden vom Doktor Aibolit kuriert, der dafür aber kein Geld nehmen wollte — woher sollten denn auch Schildkröten und Adler Geld htibcr) ! Sehr bald konnte man an Bäumen im Wald die Bekanntmachung lesen: IHR VÖGEL UND TIERE, OB KRANK ODER WUND, KOMMT ALLE ZUM DOKTOR, ER MACHT EUCH GESUND! Diese Bekanntmachung war von den Nach- barskindem Wanja und Tanja angebracht worden, die der Doktor früher einmal von Masern und Scharlach geheilt hatte. Sie waren ihm sehr dankbar und halfen ihm gern.
DER AFFE TSCHITSCHI An einem Abend, als alle Tiere schon schliefen, klopfte es beim Doktor an der Tür. „Wer ist da?“ fragte Aibolit. „Ich bin’s“, antwortete eine Stimme zaghaft. Der Doktor machte auf, und ins Zimmer kam ein sehr mageres und schmutziges Äffchen. Der Doktor setzte es aufs Sofa und fragte: „Was tut dir denn weh?“ „Mein Hals“, sagte das Äffchen und begann bitterlich zu weinen. Da erst sah der Doktor, daß es einen groben Strick um den Hals hatte. 11
, . jn jcm bösen Leierkastenmann davonge- ; „ rrzählte das Äffchen unter Tränen. „Er hat 'mcb gescblagen und gequält und am Strick überall “"neTDoktor nahm eine Schere schnitt den nrriek durch und bestrich dem AfTchen den Hals In einer wunderbaren Salbe, von der dte Schmer- sofort vergingen. Später badete er es im Waschtrog, gab’ihm zu essen und sagte: ‘ Bleib bei mir, liebes Äffchen. Ich will nicht, daß man dich quält. Das Äffchen war darüber sehr glücklich, als es aber bei Tisch saß und die großen Nüsse knackte, mit denen der Doktor es bewirtete, kam plötzlich der böse Leierkastenmann ins Zimmer gestürzt. ..Gib meinen Affen her!“ schrie er. „Der Affe gehört mir!“ “ Den kriegst du nicht!“ sagte der Doktor sehr energisch. ..Ich gebe ihn nicht heraus, denn ich will nicht, daß du ihn quälst!“ Voller Wut wollte der Leierkastenmann den Doktor bei der Kehle packen. Aibolit aber sagte ganz ruhig: ..Mach, daß du wegkommst! Und wenn du dich 12

, willst dann rufe ich meinen Hund mit r3U b"e,ß d'eh!" Awuff. der ^uch schon ins Zimmer und knurrte drohend: ,.Rrrrr-.\. „rache bedeutet das: In der T. sonst beiß ich dich!“ ”Wei >rkastenmann bekam es mit der Angst Der ^ machte sich schleunigst davon. So blieb zu tun und m Die Tiere gewannen es das Äffchen e’ Tschitschi. Das bedeutet rasch heb und nanntene i0 Als Tanja und Wanja das Äffchen zu sehen b£ka”t'°da?aber nFedlfch! So du liebes Äffchen1“ Sofort begannen sie mit ihm zu spielen wte mit einem guten Freund. Sie spielten mit ihm Ver- stecken dann faßten sich alle drei bei den Händen und Hefen zum Strand, wo der Affe ihnen einen lustigen Tanz beibrachte, der in der Tiersprac „Tkella“ genannt wird.
DER DOKTOR HAT VIEL Zf TUN Tag für Tag kamen zum Doktor Aibolit kranke Tiere: Füchse, Kaninchen, Seehunde, Esel, sogar kleine Kamele. Die einen hatten Bauchweh, andere Zahnschmerzen. Und jedes bekam vom Doktor eine Arznei, von der es sofort gesund wurde. Eines Tages erschien ein Zicklein, das sein Schwänzchen verloren hatte, und der Doktor nähte ihm ein neues an. Dann trottete aus dem fernen Wald eine Bärin herbei, der die Tränen nur so herunterkollerten. 15

Sie stöhnte und jammerte, denn aus ihrer Pranke raste ein sroßer Dorn heraus. Der Doktoi entfernte ihn. wusch die Wunde aus und betupfte sie mit seiner Wundersalbe. Sofort hatte die Bärin keine Schmerzen mehr. ..Tschaka!“ rief sie und eilte fröhlich in ihre Höhle zu den kleinen Teddybären. Später kam ein kranker Hase angehoppelt, den die Hunde beinahe zerrissen hätten. Ein sroßer Hammel hatte sich sehr erkältet und hustete fürchterlich. Zwei Hühnchen brachten einen Truthahn an, der sich mit Pilzen vergiftet hatte. Und jedem gab der Doktor eine Arznei, von der es sofort gesund wurde, und jedes Tier sagte: „Tschaka ". Als alle kranken Tiere weggegangen waren, schien es dem Doktor plötzlich, als raschle etwas vor der Tür. „Kommen Sie doch herein!“ rief er. Sieh, ein kleines Wesen, ein tiefbetrübtes Falter- chen, kam herein. „Kerzenlicht hat mir mein Flügelein verbrannt. Hilf mir, hilf mir, guter Doktor Aibolit! Wie es schmerzt, mein Flüglein, ojemine!“ 18

i - tat der kleine Nachtfalter leid. Dem Doktor m auf den Handteller und Er nahm ihn ne_ te Flügelchen ganz genau, betrachtete das gte- Dann lächelte er und sagte. Kopf hoch, kleiner Falter, du! Hilfe finden wir im Nu Kriegst ein neues Flugelein, Blau mit rot, aus Seide fein. ~ «na er ins Nebenzimmer und brachte von DanI1en ganzen Packen bunter Läppchen aus ^/Ttlas Batist und Seide an. Hellblaue, hell- Sam ’ ia sogar schwarze. Lange kramte der Doktor ihnei herum endlich fand er ein leuchtend blaues Läppchen mit dunkelroten Tupfen. Aus ihm schmtt er ein hübsches Flügelchen zu, das er dem Falter annähte. War der kleine Falter froh! Nichts mehr tat ihm weh, i wo! Flog er heil davon in Wald und Au mit dem neuen Flüglein, rot und blau. Unser Doktor rief ihm nach: „Haste nicht und flieg gemach 20
Nutz die schöne Sommernacht, doch bei Kerzenlicht gib acht!“ So hatte der Doktor bis zum späten Abend mit seinen Kranken zu tun. Als es schon ganz dunkel war, legte er sich endlich aufs Sofa und schlief ein. Im Traum sah er Eisbären, Rentiere und Robben. Plötzlich klopfte es wieder an der Tür.
In der Stadt, wo der Doktor lebte, gab es einen Zirkus und in diesem Zirkus ein großes Krokodil, das für Geld gezeigt wurde. Das Krokodil hatte Zahnschmerzen und kam deshalb zu Aibolit. Der Doktor gab ihm die Wun- dermedizin, und weg waren die Schmerzen. „Wie schön Sie es haben!“ sagte das Krokodil, während es sich nach allen Seiten umblickte und sich das Maul leckte. „So viele Häschen, Vögelchen 22
und Mäuse! Und alle so fett und lecker! Erlauben Sie mir doch, daß ich für immer hier bleibe. Ich will nicht mehr zum Zirkusbesitzer zurück! Er füttert mich schlecht, schlägt mich und ist grob zu mir.“ „Dann bleib da“, sagte der Doktor. „Aber eines sage ich dir im voraus: Wenn du auch nur ein Häschen oder einen Spatzen auffrißt, jage ich dich sofort davon!“ „Schon gut“, seufzte das Krokodil. „Ich ver- spreche Ihnen, Doktor, daß ich weder Häschen noch Eichhörnchen, noch Vögel auffressen werde.“ So blieb das Krokodil beim Doktor wohnen. Es war still und brav, rührte niemanden an, lag unterm Bett und dachte die ganze Zeit an seine Brüder und Schwestern, die fern, im heißen Afrika, lebten. ' Der Doktor hatte das Krokodil liebgewonnen und plauderte oftmals mit ihm. Die böse Barbara aber konnte das Krokodil nicht ausstehen und verlangte grimmig, daß der Doktor es davonjage. „Ich kann es nicht sehen!“ schrie sie. „Es ist so garstig und hat scheußliche Zähne! Und was es anrührt, macht es kaputt! Gestern hat es meinen 23

grünen Rock aufgefressen, der auf dem Fenster- brett lag.“ ..Das hat es ganz richtig gemacht“, sagte der Doktor. „Kleider gehören in den Schrank und nicht aufs Fensterbrett!“ „Wegen dieses abscheulichen Krokodils haben die Leute Angst, zu dir zu kommen *, schimpfte die Barbara weiter. „Es kommen nur Hungerleider, und von denen nimmst du kein Geld. Wir sind so arm geworden, daß wir uns nicht mal mehr Brot kaufen können!“ „Ich brauche kein Geld“, antwortete Aibolit. „Mir geht es auch ohne Geld ausgezeichnet. Meine Tiere werden dich und mich füttern.“
DIE TIERE HELFEN DEM DOKTOR Barbara hatte die Wahrheit gesagt: Der Doktor hatte wirklich keinen Pfennig mehr. So saß er drei Tage lang hungrig da. Die Tiere sahen, daß er nichts zu essen hatte, und begannen ihn zu ernähren. Die Eule Bumba und das Ferkel Naff-Naff legten im Hof einen Gemüsegarten an. Das Ferkel grub mit seinem Rüssel die Beete, und Bumba setzte Kartoffeln. Eine Kuh bewirtete den Doktor jeden Morgen und jeden Abend mit Milch, eine Henne brachte ihm Eier. 26
Alle begannen für den Doktor zu sorgen. Der Hund Awuff fegte die Fußböden. Tanja und Wanja gingen zusammen mit dem Affen Tschitschi zum Brunnen und holten Wasser. Der Doktor war sehr zufrieden. „Nie zuvor war es bei mir im Hause so sauber. Ich danke euch, liebe Kinder und liebe Tiere, für euren Fleiß!“ Die Kinder freuten sich und lachten, die Tiere aber antworteten einstimmig: „Karabuki, marabuki, bu!“ In der Tiersprache bedeutet das: „Wie sollen wir anders! Du bist doch unser bester Freund!“ Der Hund Awuff leckte ihm die Wange und sagte: „Abuso, mabuso, bach!“ Das soll heißen: „Wir werden dich nie verlassen und werden deine treuen Freunde sein.“
DIE SCHWALBE Eines Abends sagte die Eule Bumba: „Seid mal ganz still! Da draußen kratzt etwas an der Tür. Es könnte eine Maus sein!“ Alle horchten hin, konnten aber nichts hören. „Draußen ist niemand“, meinte der Doktor. „Das ist dir nur so vorgekommen.“ „Nein, ich täusche mich nicht!“ widersprach die Eule. „Ich höre wieder etwas kratzen. Das ist eine Maus oder ein Vogel. Ihr könnt mir schon glauben. Wir Eulen hören besser als die Menschen.“ Bumba hatte sich nicht getäuscht. Der Affe machte die Tür auf und sah auf der Schwelle eine kleine Schwalbe. . 28
Eine Schwalbe mitten im Winter! Einfach ein Wunder! Schwalben halten doch keine Kälte aus und fliegen, sobald der Herbst kommt, nach dem heißen Afrika. Wie mußte die arme Schwalbe frieren! Zitternd saß sie im Schnee. „Komm schnell herein und wärme dich am Ofen, kleine Schwalbe!“ rief der Doktor. Zuerst hatte die Schwalbe Angst, hereinzu- kommen. Sie sah das Krokodil im Zimmer liegen und fürchtete, es würde sie auffressen. Doch der Affe Tschitschi erklärte ihr, daß dieses Krokodil sehr gutmütig sei. So kam die Schwalbe ins Zimmer geflattert, sah sich nach allen Seiten um und fragte: „Tschiruto, kissafa, mak?“ In der Tiersprache heißt das: „Sagen Sie bitte, wohnt hier nicht der berühmte Doktor Aibolit?“ „Aibolit bin ich“, sagte der Doktor. „Ich habe eine große Bitte an Sie“, begann die Schwalbe. „Sie müssen sofort nach Afrika fahren. Ich bin extra aus Afrika hergeflogen, um Sie zu rufen. Dort in Afrika leben viele Affen, und jetzt sind sie alle krank!“ „Was fehlt ihnen denn?“ fragte der Doktor. 29
„Sie haben Leibschmerzen“, berichtete die Schwalbe. „Sie wälzen sich auf der Erde und jam- mern. Der einzige Mensch, der sie retten kann, sind Sie. Nehmen Sie bitte Ihre Arzneien und kommen Sie schnell nach Afrika. Wenn Sie nicht nach Afrika fahren, müssen alle Affen sterben!“ „Ach. ich würde ja gern nach Afrika reisen“, 30
sagte der Doktor. „Ich mag die Affen gern, und es tut mir leid, daß sie so krank sind. Aber ich habe doch kein Schiff. Um nach Afrika zu fahren, braucht man ein Schiff.“ „Die armen Affen!“ seufzte das Krokodil. „Wenn der Doktor nicht nach Afrika fahrt, kommen sie alle um! Er allein kann sie wieder gesund ma- chen.“ Und das Krokodil weinte so dicke Tränen, daß zwei Bächlein über den Fußboden rannen. Plötzlich rief Doktor Aibolit: „Aber ich fahre trotzdem nach Afrika! Ich mache die Affen trotzdem gesund. Eben ist mir eingefallen, daß ein alter Bekannter von mir, der Seemann Robinson, den ich einmal vor einem bösen Fieber gerettet habe, ein wunderbares Schiff be- sitzt.“ Er nahm seinen Hut und ging zum Seemann Robinson. „Guten Tag, Seemann Robinson!“ sagte er. „Sei so nett und borge mir dein Schiff. Ich möchte nach Afrika fahren. Ganz in der Nähe der Wüste Sahara gibt es dort das wunderbare Affenland.“ „Schon gut“, willigte der Seemann Robinson 31

ein. „Mein Schiff borge ich dir gern. Du hast mir ja das Leben gerettet, und ich tue dir jeden Gefallen mit Freuden. Nur paß gut auf und bring mir das Schiff zurück, denn ich habe kein anderes!“ „Bestimmt bringe ich es wieder“, sagte der Doktor. „Hab keine Angst. Ich muß nur eben mal nach Afrika reisen.“ „Nimm es ruhig!“ wiederholte Robinson. „Paß aber auf, daß du damit nicht an den Unterwasser- riffen scheiterst!“ „Keine Angst, ich werde schon aufpassen“, sagte der Doktor, dankte dem Seemann Robinson und eilte nach Hause. „Tiere, macht euch alle fertig!“ rief er. „Morgen fahren wir nach Afrika!“ Die Tiere freuten sich riesig, begannen herum- zuhopsen und in die Hände zu klatschen. Am meisten freute sich der Affe Tschitschi. „ICH FAHR, ICH FAHR NACH AFRIKA! DORTHER STAMM ICH JA AFRIKA, AFRIKA! BALD, BALD BIN ICH DA!“ „Ich kann aber nicht alle Tiere mit nach Afrika nehmen“, sagte der Doktor. „Die Igel, die Fleder- mäuse und die Kaninchen müssen hierbleiben. Zu- 34
sammen mit ihnen bleibt auch das Pferd hier. Ich nehme das Krokodil, den Affen Tschitschi und den Papagei Karudo mit, denn sie stammen ja aus Afrika, und dort leben ihre Eltern, Brüder und Schwestern. Außerdem kommen noch Awuff, Kika, Bumba und das Ferkel Naff-Naff mit.“ „Und wir?“ riefen Tanja und Wanja. „Müssen wir wirklich allein Zurückbleiben?“ „Ja“, sagte der Doktor und drückte ihnen fest die Hände. „Auf Wiedersehn, liebe Freunde! Ihr bleibt hier und sollt meinen Garten versorgen. Wir kommen sehr bald wieder, und ich bringe euch aus Afrika ein schönes Geschenk mit.“ Tanja und Wanja ließen die Köpfe hängen, dann aber sagten sie: „Da ist nichts zu machen. Wir sind ja noch klein. Glückliche Reise! Wenn wir erst groß sind, wollen wir unbedingt mit dir reisen!“ „Ganz bestimmt!“ sagte Aibolit. „Ihr müßt nur noch ein bißchen größer werden!“
NACH AFRIKA! Sehr bald hatten sich die Tiere reisefertig ge- macht, und alles setzte sich in Bewegung. Im Hause blieben nur die Häschen und Kaninchen, Igel und Fledermäuse zurück. Als die Tiere ans Meeresufer kamen, sahen sie ein wunderschönes Schiff. Auf einem kleinen Hügel stand der Seemann Robinson. Zusammen mit dem Ferkel Naff-Naff und dem Affen Tschitschi halfen Tanja und Wanja dem Doktor, die Koffer mit den Arzneien zu tragen. 36
Alle Tiere waren schon an Bord, und es sollte losgehen, da rief der Doktor plötzlich ganz auf- geregt : „Halt, halt! Wartet mal!“ „Was ist denn los?“ fragte das Krokodil. „Halt, halt!“ schrie der Doktor. „Ich weiß ja gar nicht, wo Afrika liegt. Wir müssen gehen und nachfragen!“ Da lachte das Krokodil: „Das brauchst du nicht. Sei ganz unbesorgt. Die Schwalbe wird dir zeigen, wohin du segeln mußt. Sie war ja schon oft in Afrika. Die Schwalben fliegen doch jeden Herbst nach Afrika.“ „Aber natürlich“, sagte die Schwalbe. „Ich will dir gern zeigen, wie man hinkommt.“ Und sie flatterte dem Schiff voran und zeigte dem Doktor den Weg. Sie flog nach Afrika, und Doktor Aibolit se- gelte ihr nach. Wohin die Schwalbe flog, dorthin fuhr das Schiff. In der Nacht, wenn es dunkel war, konnte man die Schwalbe aber nicht sehen. Sie zündete dann ein Laternchen an, nahm es in den Schnabel und flog mit ihm, so daß der Doktor 37

auch nachts wußte, wohin er das Schiff zu steuern hatte. So fuhren sie lange, lange dahin, bis sie plötzlich sahen, daß ihnen ein Kranich entgegenflog. „Sagen Sie bitte“, rief er, „fährt nicht mit Ihrem Schiff der berühmte Doktor Aibolit?“ „Ja“, antwortete das Krokodil, „der berühmte Doktor Aibolit befindet sich hier an Bord.“ „Bitten Sie doch den Doktor, daß er möglichst schnell fährt“, sagte der Kranich. „Den Affen geht es immer schlechter, und sie können es kaum er- warten, daß er kommt.“ „Keine Sorge“, sagte das Krokodil, „wir fahren mit vollen Segeln, die Affen brauchen nicht mehr lange zu warten!“ Als der Kranich das hörte, freute er sich und flog davon, um den Affen zu sagen, daß Doktor Aibolit schon ganz in der Nähe sei. Flott glitt das Schiff durch die Wellen. Das Krokodil saß auf Deck, und plötzlich gewahrte es Delphine, die dem Schiff entgegenschwammen. „Sagen Sie bitte, fährt nicht mit diesem Schiff der berühmte Doktor Aibolit?“ fragten die Del- phine. 39
„Ja“, antwortete das Krokodil, „der berühmte Doktor Aibolit fährt mit diesem Schiff.“ „Seien Sie so gut und bitten Sie den Doktor, recht schnell zu fahren, denn mit den Affen wird es immer schlimmer.“ „Keine Bange“, antwortete das Krokodil. „Wir fahren mit vollen Segeln, und die Affen brauchen nicht mehr lange zu warten.“ Am Morgen fragte der Doktor das Krokodil: „Was ist denn dort vor uns? Ein großes Land kommt in Sicht. Ist das Afrika?“ „Ja. das ist Afrika!“ rief das Krokodil. „Afrika, Afrika! Bald sind wir in Afrika. Ich sehe Strauße und Nashörner, Kamele und Elefanten!“ „AFRIKA, AFRIKA! SCHAU, ES IST GANZ NAH! AFRIKA, AFRIKA! GLEICH SIND WIR ALLE DA!“
DER STURM Aber ganz unerwartet brach ein Sturm aus. Regen! Wind! Blitz und Donner! Die Wogen wur- den so riesengroß, daß man das Gruseln bekam. Rumbumbum! krachte es plötzlich ohrenbetäu- bend, und das Schiff neigte sich zur Seite. „Was ist denn los?“ fragte der Doktor. „Schiff-br-uch!“ schrie der Papagei. „Es ist an eine Klippe gerannt und zerschellt. Wir gehen unter! Rette sich, wer kann!“ 41

„Ich bin doch Nichtschwimmer!“ schrie Tschi- tschi. „Ich auch!" jammerte Naff-Naff. Sie begannen 44
kläglich zu weinen. Zum Glück setzte sie das Kro- kodil auf seinen breiten Rücken und schwamm mit ihnen durch die Wellen direkt zum Ufer.
Sie waren gerettet! Alle gelangten wohlbehalten nach Afrika, nur das Schiff war verloren. Eine riesige Woge hatte es überflutet und in kleine Splitter zerschlagen. Womit sollten sie nun nach Hause gelangen? Sie hatten doch kein anderes Schiff, und was sollten sie dem Seemann Robinson sagen? Es wurde ganz finster. Der Doktor und alle seine Tiere hätten zu gern geschlafen. Sie waren bis auf die Haut naß und sehr müde. Der Doktor aber wollte an keine Rast denken: „Schnell, schnell voran, wir müssen uns beeilen. Wir müssen die Affen retten! Die armen kranken Affen können es kaum erwarten, daß ich sie ku- . riere!“
DER DOKTOR IN NOT Da kam die Eule Bumba herbeigeflogen und sagte ganz erschrocken: „Pst, still! Es kommt jemand! Ich höre Schritte!“ Alle blieben stehen und horchten. Aus dem Wald kam ein wüster zottiger Alter mit langem grauem Bart und brüllte: „Was wollt ihr hier? Wer seid ihr überhaupt? Warum seid ihr hergekommen?“ 47

„Ich bin der Doktor Aibolit“, sagte der Doktor. „Ich bin nach Afrika gekommen, um die kranken Affen zu heilen.“ „Hahaha!“ lachte der zottige Alte. „Die kranken Affen heilen! Wißt ihr eigentlich, wo ihr seid?" „Nein, das weiß ich nicht“, sagte der Doktor. „Wo denn?“ „Beim Räuber Barmalej!“ „Bei Barmalej!“ rief der Doktor entsetzt. „Das ist doch der allergrößte Bösewicht auf der Welt. Lieber sterben wir, als daß wir uns diesem Räuber ergeben. Laufen wir schnell zu unseren kranken 49
Affen! Sie weinen und warten darauf, daß wir sie gesund machen!“ „Nein! Von hier kommt ihr nicht fort!“ schrie der zottige Alte und lachte noch lauter. „Barmalej tötet jeden, der in seine Gewalt gerät“ „Schnell fort!“ rief der Doktor. „Laufen wir weg, wir können uns retten! Wir werden uns retten!“

Da aber tauchte Barmalej selber vor ihnen auf, fuchtelte mit seinem Säbel und befahl mit dröhnen- der Stimme: „Herbei, meine getreuen Diener! Packt diesen einfältigen Doktor mit seinen dummen Tieren und werft ihn in den Kerker hinters Gitter! Morgen rechne ich mit ihnen ab!“ 52
Barmalejs böse Diener liefen herbei, packten den armen Doktor, das Krokodil und alle Tiere Der Doktor wehrte sich tapfer, die Tiere bissen und kratzten und wollten sich den Feinden ent- winden, doch ihrer waren zu viele, und sie waren stark. Sie warfen die Gefangenen in den Kerker, und der zottige Alte drehte den Schlüssel um und sperrte sie ein. Den Schlüssel gab er Barmalej, der nahm ihn mit und versteckte ihn unter seinem Kopfkissen. „Ach, wir Ärmsten!“ weinte Tschitschi. „Aus diesem Kerker kommen wir nie mehr heraus. Die Mauern sind furchtbar dick und die Türen aus Eisen. Nie mehr werden wir die Sonne, die Blumen und die Bäume sehen! Wie sind wir doch unglück- lich!“ Das Ferkel schnaufte bekümmert, und der Hund heulte auf. Das Krokodil vergoß so dicke Tränen, daß auf dem Fußboden eine richtige Pfütze entstand.
DIE HELDENTAT DES PAPAGEIS KAR LI DO Der Doktor aber sagte zu seinen Tieren: „Wir dürfen nicht verzagen, liebe Freunde! Wir müssen diesem verwünschten Kerker entrinnen, denn die kranken Affen warten auf uns! Hört auf zu weinen, laßt uns lieber nachdenken, wie wir uns retten könnten!“ „Nein, lieber Doktor“, sagte das Krokodil und weinte noch bitterlicher. „Es gibt keine Rettung, wir sind verloren! Die Kerkertür ist aus dickem 54
Eisen. Können wir sie etwa zertrümmern? Morgen in aller Frühe kommt der böse Barmalej und tötet uns einen nach dem anderen.“ Die Ente Kika begann zu schluchzen, und Tschitschi seufzte ganz tief. Der Doktor aber sprang auf und rief vergnügt: „Und trotzdem entkommen wir dem Kerker!“ Er winkte den Papagei Karudo zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr, und zwar so leise, daß nur der Papagei es hören konnte. Karudo nickte, lächelte und sagte: „Schön!“ Dann flatterte er zum Gitter, kroch zwischen den Eisenstäben hindurch auf die Straße und flog zu Barmalej. Barmalej schnarchte ganz laut in seinem Bett. Unter seinem Kopfkissen war ein großer Schlüssel versteckt, ebender, mit dem die eiserne Kerkertür versperrt worden war. Leise, leise machte sich der Papagei an Barmalej heran und zog unter dem Kissen den Schlüssel hervor. Wäre der Räuber erwacht, hätte er den tapferen Vogel bestimmt totgeschlagen. Zum Glück aber schlief Barmalej sehr fest. 55
Der tapfere Karudo nahm den Schlüssel in den Schnabel und flog, so rasch er konnte, zum Kerker zurück. Ach, war dieser Schlüssel schwer! Karudo hätte ihn unterwegs beinahe fallen lassen. Dennoch er- reichte er den Kerker und huschte flugs durchs Fenster — zu Aibolit. Als der Doktor sah, daß 56
der Papagei den Kerkerschlüssel anbrachte, freute er sich ungemein. „Hurra! Wir sind gerettet!“ rief er. „Jetzt aber schnell, bevor Barmalej aufwacht!“ Der Doktor schloß die Tür auf und eilte hinaus. Alle seine Tiere folgten ihm. Nun waren sie frei! „Ich danke dir, tapferer Karudo!“ sagte der Doktor. „Du hast uns gerettet. Ohne dich wären wir verloren gewesen. Und zusammen mit uns wä- ren die armen kranken Affen zugrunde gegangen.“ „Aber nein doch! Du selbst hast mich ja gelehrt, was zu tun ist, damit wir diesem Kerker entrinnen!“ sagte Karudo. „Schnell, schnell zu den kranken Affen!“ mahnte der Doktor und eilte ins Urwalddickicht. Alle seine Tiere liefen ihm nach.
DIE AFFENBRÜCKE Als Barmalej erfuhr, daß Doktor Aibolit aus dem Kerker entkommen war, wurde er furchtbar wütend. Er funkelte mit den Augen und stampfte mit den Füßen auf. „Herbei, meine getreuen Diener!“ schrie er. „Lauft und holt den Doktor ein! Fangt ihn und bringt ihn mir her!“ Die Diener rannten ins Dickicht und begannen nach Aibolit zu suchen. Inzwischen aber eilte der Doktor mit seinen Tieren quer durch Afrika zum Affenland. Er sputete sich sehr. Das Ferkel Naff- 58
Naff kam aber wegen seiner kurzen Beinchen nicht mit. Der Doktor mußte es auf die Arme nehmen und tragen. Das Ferkel war schwer, und der Doktor wurde bald müde. „Wie gern würde ich ein wenig rasten“, sagte er. „Wären wir doch bald im Affenland!“ Tschitschi erklomm einen hohen Baum und rief von dort: „Ich sehe das Affenland. Es ist ganz nahe. Bald sind wir da!“ Der Doktor lachte vor Freude und eilte weiter. In der Feme hatten einige große Affen den Doktor schon entdeckt und klatschten froh in die Hände. „Hurra! Doktor Aibolit ist da! Gleich wird uns Doktor Aibolit kurieren, und morgen sind wir gesund!“ Doch da kamen Barmalejs Diener aus dem Dik- kicht hervorgesprungen und hasteten dem Doktor nach. „Haltet ihn! Haltet ihn!“ schrien sie. Der Doktor lief, so schnell er konnte. Aber plötzlich stand er vor einem Fluß und konnte nicht weiter. Der Fluß war so breit, daß man ihn nicht 59
durchschwimmen konnte. Gleich muß- ten Barmalejs Diener ihn einfangen! Ja, wenn es über diesen Fluß eine Brücke gä- be, dann könnte der Doktor darüber lau- fen und wäre sofort im Affenland! Ach, wir Ärm- jammerte das Naff-Naff. sten!“ Ferkel „Wie kommen wir bloß auf die andere Seite? Gleich erwi- ? sehen uns die Böse- wichte und werfen uns wieder in den Kerker!“ Da schrie einer der Affen: „Eine Brücke! Eine Brücke! Schnell eine Brücke gemacht!
Keine Minute verlie- ren! Macht eine Brücke!“ Der Doktor hielt Umschau, denn die Affen hatten ja weder Eisen noch Steine, woraus wollten sie da eine Brücke machen? Aber die Affen bauten die Brücke nicht aus Eisen und nicht aus Steinen — sondern aus lebenden Affen. Am Flußufer wuchs ein Baum. An diesem Baum hielt sich einer der Affen fest, der nächste pack- te ihn beim Schwanz, und so hängten sie sich als lange Kette zwischen die beiden hohen Ufer des Flus- ses.

„Da hast du eine Brücke! Lauf schnell!“ rieten sie. Der Doktor packte die Eule Bumba und lief mit ihr über die Köpfe und Rücken der Affen. Alle seine Tiere folgten ihm. „Schnell! Schnell!“ schrien die Affen. 64
Über die lebende Affenbrücke zu gehen, war nicht leicht. Die Tiere hatten Angst, daß sie strau- cheln und ins Wasser fallen könnten. Doch nein — die Brücke war sicher, denn die Affen hielten einander ganz fest, darum erreichte der Doktor mit seinen Tieren sehr bald das andere Ufer. ..Schnell, schnell voran!“ rief er. ,,Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, sonst holen uns die Feinde ein! Seht mal — auch sie laufen über die Affenbrücke, gleich sind sie hier. Schnell, schnell!“ Doch was geschah da? Mitten in der Brücke ließ ein Affe den andern los, die Brücke ging ausein- ander, und Barmalejs Diener plumpsten aus großer Höhe alle ins Wasser. „Hurra! Doktor Aibolit ist gerettet!“ riefen die Affen. „Jetzt kann ihm nichts mehr passieren. Die Feinde haben ihn nicht erwischt. Jetzt wird er unsere Affen h ilen. Sie sind ja ganz in der Nähe, sie stöhnen und jammern!“
DUMME TIERE Doktor Aibolit eilte zu den kranken Affen. Sie lagen auf der Erde und ächzten, denn es ging ihnen sehr schlecht. Nun begann der Doktor also die Affen zu ku- rieren. Jeder mußte Arznei bekommen: einer Trop- fen, der andere ein Pulver. Jedem Affen mußte ein kalter Umschlag auf den Kopf gelegt und Senfpfla- ster auf Rücken und Brust geklebt werden. Es wa- ren sehr viele kranke Affen, und der Doktor war ganz allein. 66
So würde er diese große Arbeit wohl nie bewältigen können. Kika, das Kroko- dil, Karudo und Tschi- tschi halfen ihm, so gut sie konnten. Doch auch sie wurden bald müde, und der Doktor brauch- te noch andere Helfer. Da ging er in die Wüste, zur Wohnung des Löwen. „Seien Sie so freund- lich und helfen Sie mir bitte, die Affen zu ku- rieren*1, sagte er. Der Löwe aber war sehr hochmütig. Er blickte den Doktor fin- ster an und sagte: „Weißt du über- haupt, wer ich bin? Ich bin der Löwe, der Kö-
nig der Tiere! Und du wagst es, mich zu bitten, daß ich irgendwelche jämmerlichen Affen kuriere!“ Da ging der Doktor zu den Nashörnern. „Liebe Nashörner“, sagte er, „helft mir doch die Affen zu kurieren. Es sind so viele, und ich bin ganz allein. Allein schaffe ich diese Arbeit nicht “
Als Antwort lachten ihn die Nashörner aus und erwiderten: „Wir denken gar nicht daran, dir zu helfen. Sei froh, daß wir dich nicht mit unseren Hörnern auf- spießen !“
Der Doktor war sehr empört über die bösen Nashörner und lief in den benachbarten Wald, wo die gestreiften Tiger wohnten. „Liebe Tiger! Helft mir doch, die Affen zu kurieren!“ 70
„Rrrrrr... , fauchten die gestreiften Tiger. „Mach, daß du wegkommst, solange du heil und ganz bist!“ Ganz traurig ging der Doktor weg. Sehr bald aber wurden die bösen Tiere grausam gestraft. Als der Löwe nach Hause kam, sagte die Löwin: „Unser kleines Löwenbaby ist krank geworden, es weint und wimmert den ganzen Tag. Wie schade, daß der berühmte Doktor Aibolit nicht in Afrika ist! Er kann doch wunderbar heilen! Nicht umsonst wird er von allen verehrt. Er würde unser Babs wieder gesund machen.“ „Doktor Aibolit ist ja hier“, sagte der Löwe. „Dort drüben, hinter den Palmen, im Affenland. Eben habe ich mit ihm gesprochen.“ „Ist das aber ein Glück!“ rief die Löwin. „Lauf und hole ihn zu unserem Baby!“ % „Nein, das geht nicht“, sagte der Löwe. „Er wird unser Baby nicht kurieren, denn ich habe ihn beleidigt.“ „Was, du hast den Doktor Aibolit beleidigt? Ja, was machen wir denn nun? Weißt du nicht, daß Doktor Aibolit der allerbeste, allerweiseste Doktor 71
ist? Er ist der einzige Mensch, der die Sprache der Tiere kennt. Er heilt Tiger, Krokodile, Hasen, Affen und Frösche. Ja, ja sogar Frösche! Denn er ist ein sehr guter Mensch. Und so einen Menschen hast du beleidigt! Und gerade jetzt, wo dein eigenes Kind krank ist. Was willst du denn nun machen?“ Der Löwe war ganz betroffen und wußte nicht, was er sagen sollte. „Du gehst sofort zu diesem Doktor!“ brüllte die Löwin. „Und du sagst, daß du ihn um Ver- zeihung bittest! Hilf ihm, womit du nur kannst! Mach alles, was er sagt, und bitte ihn, daß er unser krankes Baby kuriert!“ Ob der Löwe nun wollte oder nicht, er mußte zum Doktor gehen. „Guten Tag“, sagte er, „ich bin gekommen, um mich wegen meiner Grobheit zu entschuldigen. Ich will Ihnen gern helfen. Ich bin bereit, den Affen Medizin zu geben und ihnen auch Umschläge zu machen.“ Der Löwe begann dem Doktor Aibolit zu helfen. Drei Tage und drei Nächte pflegte er die kranken Affen, dann ging er zum Doktor Aibolit und sagte ganz schüchtern: 72

„Mein Kind, das ich sehr liebhabe, ist auch krank. Seien Sie bitte so gut und heilen Sie das arme Löwenbaby!“ „Wird gemacht!“ sagte der Doktor. „Gleich heute soll dein Kleines gesund werden.“ Er ging in die Löwenhöhle und gab dem Löwen- baby eine Medizin, von der es sofort genas. Der Löwe war sehr froh und schämte sich, daß er den guten Doktor beleidigt hatte. Ein paar Tage später wurden auch die Kinder der Nashörner und der Tiger krank, und Doktor Aibolit machte sie sofort gesund. Da sagten die Nashörner und die Tiger: „Es ist uns sehr peinlich, daß wir solche Flegel waren!“- „Tut nichts“, sagte der Doktor, „das nächste Mal werdet ihr klüger sein, und jetzt kommt und helft mir, die Affen zu kurieren.“
DAS GESCHENK Die Tiere hatten dem Doktor so gut geholfen, daß die kranken Affen sehr bald wieder wohlauf waren. „Wir sind dem Doktor so dankbar“, sagten sie. „Er hat uns von der schrecklichen Krankheit ge- heilt, deshalb müssen wir ihm etwas Schönes schen- ken. Schenken wir ihm ein Tier, das die Menschen noch nie gesehen haben, ein Tier, das es weder im Zirkus noch im zoologischen Garten gibt.“ 75
„Schenken wir ihm ein Kamel!" riet einer der Affen. „Nein“, sagte Tschitschi, „Kamel braucht er keins. Kamele kennt er, und alle Menschen haben sie in den zoologischen Gärten und auch auf den Straßen gesehen.“ „Dann einen Strauß!“ rief ein anderer Affe. „Schenken wir ihm einen Strauß!“ „Nein“, sagte Tschitschi, „Strauße hat er auch gesehen.“ „Hat er aber ein Stoß-mal-Zieh-mal gesehen?“ fragte ein dritter Affe. „Nein, ein Stoß-mal-Zieh-mal hat er noch nie gesehen“, antwortete Tschitschi. „Es gibt noch keinen Menschen, der so ein Tier gesehen hätte.“ „Das ist gut“, sagten die Affen, „jetzt wissen wir, was wir dem Doktor schenken werden. Wir schenken ihm ein Stoß-mal-Zieh-mal!“
DAS STOß-MAL-ZIEH-MAL Noch nie hatten die Menschen ein Stoß-mal- Zieh-mal gesehen, denn die Stoß-mal-Zieh-mal sind sehr scheu. Sobald sie einen Menschen wittern, verbergen sie sich im Gebüsch. Andere Tiere kann man fangen, wenn sie schla- fen und die Augen zumachen. Man schleicht sich von hinten an sie heran und packt sie am Schwanz. Aber an das Stoß-mal-Zieh-mal kann man sich nicht von hinten heranschleichen, denn es hat hinten genau so einen Kopf wie vorn. 77

Ja, es hat zwei Köpfe, einen vorn und einen hinten. Wenn es schlafen möchte, schläft erst der eine Kopf und dann der andere. Nie schläft es ganz. Während der eine Kopf schläft, hält der andere Um- schau, ob sich auch kein Jäger heran- pirscht. Deshalb ist es noch keinem Jäger je gelungen, ein Stoß-mal-Zieh- mal zu fangen, also gibt es in keinem Zirkus und in kei- nem zoologischen Garten so ein Tier. Die Affen nah- men sich vor, für
den Doktor Aibolit ein Stoß-mal-Zieh-mal zu lan- gen. Sie drangen ganz tief ins Urwalddickicht ein und fanden dort eine Stelle, wo sich ein Stoß-mal- Zieh-mal versteckt hielt. Als es sie sah, wollte es fliehen, aber sie umringten es. hielten es bei den Hörnern fest und sagten: „Liebes Stoß-mal-Zieh-mal, möchtest du nicht mit dem Doktor Aibolit eine weite Reise machen und zusammen mit allen Tieren in seinem Hause leben? Du wirst es dort gut haben: bekommst viel zu^essen und hast fröhliche Gesellschaft.“ Das Stoß-mal-Zieh-mal schüttelte seine beiden Köpfe und antwortete mit beiden Mäulern: „Nein.“ „Der Doktor ist doch herzensgut“, sagten die Affen. „Er wird dich mit Honigkuchen füttern, und wenn du krank werden solltest, kuriert er dich.“ „Das ist mir egal“, sagte das Stoß-mal-Zieh-mal. „Ich will hierbleiben.“ Drei Tage lang redeten ihm die Affen gut zu, endlich sagte das Stoß-mal-Zieh-mal: „Dann zeigt mir mal diesen vielgepriesenen Doktor! Ich möchte ihn mir ansehen.“ Die Affen führten das Stoß-mal-Zieh-mal zu 80
dem Häuschen, wo Aibolit wohnte, und klopften an die Tür. „Herein!“ rief die Ente Kika. Voller Stolz führte Tschitschi das zweiköpfige Tier ins Zimmer. 81
„Was ist denn das?“ fragte der Doktor ganz verwundert. Nie zuvor hatte er so ein Wesen gesehen. „Das ist ein Stoß-mal-Zieh-mal“, erklärte ihm 82
Tschitschi. „Es möchte dich kennenlemen. Es ist das allerseltenste Tier unserer afrikanischen Wälder. Nimm es mit aufs Schiff, es soll in deinem Hause leben!“ 83
Ja, will es denn mit mir fahren . „Zu dir fahre ich gern“, sagte das Stoß-mal- Zieh-mal ganz unerwartet. „Ich sehe sofort, daß du ein guter Mensch bist, du hast so einen gütigen Blick. Die Tiere haben dich lieb, und ich weiß, daß auch du die Tiere liebhast. Nur mußt du mir versprechen, daß du mich, wenn ich bei dir Heim- weh bekomme, wieder wegläßt.“ „Natürlich lasse ich dich dann weg“, sagte der Doktor, „aber du wirst es bei mir so gut haben, daß du schwerlich Heimweh bekommst.“ „Das ist wahr. Er hat recht!“ rief Tschitschi. „Unser Doktor ist so lustig und so mutig, und in seinem Hause haben wir volle Freiheit. Ganz ne- benan leben Tanja und Wanja, du wirst sehen, daß sie dich liebgewinnen und deine besten Freunde werden!“ „Wenn das so ist, dann bin ich einverstanden und fahre mit“, sagte das Stoß-mal-Zieh-mal und nickte dem Doktor bald mit dem einen, bald mit dem anderen Kopf zu.
ABSCHIED VOM DOKTOR Die Affen kamen zum Doktor Aibolit und luden ihn zum Essen ein. Sie hatten ihm ein wunder- bares Abschiedsmahl bereitet: Äpfel, Honig, Ba- nanen, Datteln, Aprikosen, Apfelsinen, Ananas, Nüsse und Rosinen. „Hoch lebe Doktor Aibolit!“ riefen sie. „Er ist der beste Mensch auf Erden!“ Dann liefen die Affen in den Wald und rollten von dort einen riesigen schweren Stein herbei. 85

»Dieser Stein soll an der Stelle stehen, wo Dok- tor Aibolit unsere Kranken gesund gemacht hat“. sagten sie. „Er wird ein Denkmal für den guten Doktor sein. Der Doktor nahm seinen Hut ab, verneigte sich vor den Affen und sagte: „Auf Wiedersehen, liebe Freunde! Ich danke euch für all eure Liebe. Bald komme ich wieder zu euch. Bis dahin lasse ich das Krokodil, den Papa- gei Karudo und den Affen Tschitschi bei euch. Sie sind in Afrika geboren — sollen sie in Afrika bleiben! Hier leben ja ihre Brüder und Schwestern. Auf Wiedersehen!“ „Nein, nein! riefen das Krokodil, Karudo und der Affe Tschitschi wie aus einem Munde. ..Wir lieben unsere Brüder und Schwestern, aber wir wollen uns nicht von dir trennen!“ „Ich werde mich selber nach euch sehnen“, sagte der Doktor. „Aber ihr bleibt ja nicht auf ewig hier. In drei oder vier Monaten komme ich wieder und hole euch zurück. Dann werden wir wieder alle zusammen leben und arbeiten.“ „Wenn es so ist, dann bleiben wir“, antworteten die Tiere. „Komme aber recht bald wieder!“ 87
Freundlich nahm der Doktor von allen Abschied und schritt wohlgemut seines Wegs. Die Affen gaben ihm das Geleit. Jeder Affe wollte dem Doktor Aibolit unbedingt die Hand drücken, und da die Affen ja sehr zahlreich waren, so drückten sie ihm die Hand bis zum Abend. Dem Doktor tat die Hand schon weh. Doch am Abend geschah ein Unheil. Kaum hatte der Doktor den Fluß überquert, befand er sich wieder im Lande des bösen Räubers Barmalej. „Ssst!“ flüsterte die Eule Bumba. „Redet bitte ganz leise! Sonst können wir wieder in Gefangen- schaft geraten.“ HIER LEBTE UND ARBEITETE Off BERÜHMTE DOKTOR AIBOLIT
NEUE ABENTEUER Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, da stürzten aus dem finstern Wald Barmalejs Diener hervor und überfielen den guten Doktor. Sie hatten ihm schon lange aufgelauert. „Ha!“ schrien sie. „Endlich haben wir dich! Diesmal entkommst du uns nicht!“ Was tun? Wohin vor den grausamen Feinden flüchten? Doch der Doktor verlor nicht den Kopf. Im Nu schwang er sich auf das Stoß-mal-Zieh-mal, und das galoppierte davon wie das schnellste Roß. 89

Barmalejs Diener eilten ihm natürlich nach. Da aber das Stoß-mal-Zieh-mal zwei Köpfe hatte, biß es jeden, der es von hinten überfallen wollte. Andere stieß es mit den Hörnern ins Dornengebüsch. Natürlich wäre das Stoß-mal-Zieh-mal allein mit allen Bösewichten niemals fertig geworden. Doch des Doktors treue Freunde eilten ihm zu Hilfe. Plötzlich war das Krokodil da und schnappte nach den nackten Fersen der Räuber. Der Hund Awuff stürzte mit fürchterlichem Gebell über sie her, warf sie zu Boden und schlug ihnen seine 91
scharfen Zähne ins Fleisch. Und aus den Baum- kronen warf der Affe Tschitschi mit großen harten Nüssen nach den Räubern. Die Räuber fielen hin, stöhnten vor Schmerzen und mußten schließlich das Weite suchen. Schmählich flüchteten sie ins Dickicht. „Hurra!“ rief Doktor Aibolit. Hurra!“ riefen die Tiere. Das Ferkel Naff-Naff aber sagte. „Jetzt können wir uns ausruhen. Wollen wir uns hier im Gras niederlassen, wir sind müde und wollen schlafen.“ „Nein, liebe Freunde“, sagte der Doktor, „wir müssen uns beeilen. Wenn wir herumtrödeln, wer- den wir uns nicht retten.“ So schnell sie konnten, eilten sie weiter. Bald hatte das Stoß-mal-Zieh-mal den Doktor zum Mee- resufer gebracht. Dort stand in einer Bucht hinter einem hohen Felsen ein schönes großes Schiff. Es gehörte Barmalej. „Wir sind gerettet!“ freute sich der Doktor. Auf dem Schiff war kein Mensch. Schnell begab sich der Doktor mit seinen Tieren an Bord, setzte die Segel und wollte in See stechen. Kaum aber 92
hatte er den Anker gelichtet, da kam Barmalej aus dem Wald gelaufen. „Halt!“ schrie er. „Halt, warte mal! Wo willst du mit meinem Schiff hin? Mach sofort kehrt!“ „Nein!“ rief der Doktor dem Räuber zu. „Ich will nicht zu dir zurück, du bist grausam und böse, du hast meine Tiere gequält und mich in den Kerker geworfen! Du wolltest mich töten, du bist mein Feind. Ich hasse dich und nehme dir das Schiff weg, damit du das Meer nicht länger unsicher machst und nicht mehr wehrlose Schiffe ausplünderst, wenn sie an deinen Küsten vorbeisegeln!“ Barmalej geriet in fürchterliche Wut. Er rannte am Ufer hin und her, schimpfte, drohte mit den Fäusten und schleuderte riesige Steine ins Wasser. Doktor Aibolit aber lachte ihn nur aus. Mit Barma- lejs Schiff segelte er heim in sein Land und war nach wenigen Tagen schon an der heimatlichen Küste.
• KAPITEL BARBARA UND STOß-MAL-ZIEH-MAL Wie freuten sich Awuff, Bumba, Kika und Naff-Naff, daß sie wieder zu Hause waren! Am Ufer sahen sie Tanja und Wanja jubeln und tanzen. Neben ihnen stand der Seemann Robinson. „Guten Tag, Seemann Robinson!“ grüßte Dok- tor Aibolit vom Schiff aus. „Guten Tag, lieber Doktor“, antwortete der Seemann Robinson. „Hattest du eine gute Reise? pt es Ir 8e^ungen, die kranken Affen zu heilen? rkn o« m'r auch’ was aus meinem Schiff gewor- den ist? & 94
„Ach, dein Schiff ist untergegangen“, sagte der Doktor. „Es ist nahe bei der Küste Afrikas an den Klippen zerschellt. Aber ich habe dir ein neues Schiff mitgebracht, es ist besser als das deine.“ „Dafür bin ich dir sehr dankbar“, sagte Robin- son. „Ich sehe, es ist ein ausgezeichnetes Schiff. Meines war auch gut, aber dieses ist einfach eine Augenweide — so groß und so schön!“- Der Doktor verabschiedete sich von Robinson, setzte sich auf das Stoß-mal-Zieh-mal und ritt durch die Straßen der Stadt nach Hause. Von überall kamen Gänse, Katzen, Truthähne, Hunde, Ferkel, Kühe und Pferde herbeigelaufen, und alle riefen freudig: „Malakutscha! Malakutscha!“ In der Tiersprache heißt das: „Es lebe Doktor Aibolit!“ Die Vögel der ganzen Stadt flogen herbei, sie umkreisten den Doktor und sangen ihm heitere Lieder. Der Doktor war froh, wieder zu Hause zu sein. Genau wie früher lebten in seinem Wartezimmer Igel, Hasen und Eichhörnchen. Anfangs fürchteten sie sich ein wenig vor dem Stoß-mal-Zieh-mal, dann 95

aber gewöhnten sie «ich daran und gewannen es lieb. Tanja und Wanja aber lachten heim Anblick des Stoß-mal-Zieh-mal und klatschten vor Freude mit den Händen. Wanja umarmte den einen Hals. Tanja den anderen. Den ganzen Tag streichelten und kraulten sie es Spater faßten sie einander hei den Händen und tanzten fröhlich den Tkella. jenen lustigen Tanz, den Tschitschi ihnen beigebracht hatte. „Seht ihr. ich habe mein Versprechen gehalten“, sagte Doktor Aiboht. „Ich habe euch aus Afnka ein wunderbares Geschenk mitgebracht, wie man es noch keinen Kindern gemacht hat. Ich freue mich sehr, daß es euch gefällt.“ In der ersten Zett hatte das Stoß-mal-Zieh-mal Angst vor den vielen Menschen und versteckte sich auf dem Boden oder im Keller Allmählich gewöhnte es sich jedoch an sie und wagte sich in den Garten hinaus. Ja, es gefiel ihm sogar, wenn die Menschen herbeiliefen, um es anzustaunen, und es freundlich ein „Wunder der Natur“ nannten. Noch war kein Monat vergangen, da spazierte es schon mutig zusammen mit Tanja und Wanja,
die sich nie von ihm trennten, durch die Stadt. Immer wieder liefen Kinder herbei und baten es, sie aufsitzen zu lassen. Es sagte niemals nein, sondern ließ sich sofort auf die Knie nieder, so daß ihm die kleinen Jungen und Mädchen auf den Rücken klettern konnten. Es trug sie durch die 98
ganze Stadt, bis zum Meeresstrand, und nickte fröhlich mit seinen beiden Köpfen. Tanja und Wanja flochten in seine lange Mähne schöne bunte Bänder ein und hingen ihm an jeden Hals ein silbernes Glöckchen. Wenn das Stoß-mal- Zieh-mal durch die Stadt schritt, hörte man schon von weitem die Glöckchen: „Kling-ling-ling!“ Bei diesem Klang kamen alle Einwohner auf die Straße, um das eigenartige Tier wieder anzustaunen. Auch die böse Barbara wollte auf dem Stoß- mal-Zieh-mal reiten. Sie kletterte ihm auf den Rücken und begann es mit ihrem Regenschirm zu schlagen: „Mach schnell, du zweiköpfiger Esel!“ Das Stoß-mal-Zieh-mal ärgerte sich, lief auf einen hohen Berg und warf die Barbara ins Meer. „Hilfe, Hilfe, rettet mich!" schrie die böse Barbara. Aber keiner wollte sie retten, und sie war schon am Ertrinken. „Awuff, Awuff, lieber Awuff! Hilf mir ans Ufer!“ schrie sie. Awuff aber knurrte nur: „Rrrr!“ In der Tiersprache heißt das: 99
Ich Will dich nicht retten, weil du böse und gaF ng hm der alte Seemann Robinson mit seinem Schiff vorbei. Er warf der Barbara eine Leine zu und zog sie aus dem Wasser. Um diese Zeit g.ng Doktor Aibolit mit seinen Tieren am Strand spa- zieren Er rief dem Seemann Robinson zu: Bring sie nur recht weit weg! Ich will nicht, daß sie in meinem Hause lebt und meine lieben Tiere schlägt und quält! Der Seemann Robinson brachte sie ganz weit weg. auf eine unbewohnte Insel, wo sie niemanden kränken konnte. Doktor Aibolit aber lebte glücklich in seinem kleinen Hause und heilte von früh bis spät Vögel und Tiere, die aus der ganzen Welt zu ihm geflogen und gelaufen kamen. Alle waren glücklich, und so vergingen drei Jahre.




DIE HÖHLE Doktor Aibolit machte gern Spaziergänge. Wenn er am Abend nichts mehr zu tun hatte, nahm er seinen Schirm und spazierte mit seinen Tieren hinaus in den Wald oder in die Fluren. Neben ihm stolzierte das Stoß-mal-Zieh-mal einher, voran watschelte die Ente Kika, und hinter ihnen gingen der Hund Awuff und das Ferkel Naff-Naff, während die alte Eule Bumba auf des Doktors Schulter saß. Manchmal wanderten sie ziemlich weit, und wenn der Doktor Aibolit müde wurde, setzte er 105
sich auf das Stoß-mal-Zieh-mal, das-mit ihm munter über Hügel und Wiesen trabte. Bei so einem Spaziergang entdeckten sie eines Abends am Meeresufer eine Höhle. Sie wären gern hineingegangen, aber vor der Höhle gab es eine Tür mit einem großen Hängeschloß. „Was mag wohl in dieser Höhle versteckt sein?“ meinte Awuff. „Sicherlich gibt es drinnen süße Lebkuchen“, 106
sagte das Stoß-mal-Zieh-mal, denn das war sein Leibgericht. „Nein“, widersprach Kika, „sicher sind dort Eisbonbons und Nüsse!“ „Ach wo!“ meinte Naff-Naff. „Da hat jemand Äpfel, Eicheln, Rüben und Möhren versteckt!“ „Jedenfalls müssen wir den Schlüssel finden. Geht mal und sucht ihn!“ entschied der Doktor. Die Tiere liefen nach allen Seiten und suchten den Schlüssel zur Höhle. Sie hoben jeden Stein hoch, scharrten unter jedem Strauch, doch nir- gends war der Schlüssel zu finden. So scharrten sie sich wieder vor der verschlosse- nen Tür und versuchten, durch eine Ritze zu gucken. Aber die Höhle war stockdunkel, so daß man nichts erkennen konnte. Plötzlich sagte die Eule Bumba: „Seid mal ganz still! Ich glaube, in der Höhle ist ein Lebewesen. Entweder ein Mensch oder ein Tier.“ Alle horchten aufmerksam hin, konnten aber nichts vernehmen. Der Doktor sagte zur Eule: „Du mußt dich wohl geirrt haben. Ich höre gar nichts.“ 107
Woher denn auch!“ antwortete die Eule. „Du kannst auch nichts hören. Ihr alle habt vtel schlechte- re Ohren als ich.“ Wir hören wirklich nichts , sagten die Tiere. Aber ich höre etwas“, begann die Eule wieder. „Ja. was hörst du denn?“ wollte der Doktor wissen. „Ich höre, daß irgend jemand seine Hand in die Tasche gesteckt hat.“ „Na. so was!“ staunte der Doktor. „Nie hätte ich gedacht, daß du so ein großartiges Gehör hast. Horch noch mal hin und sage uns, was du hörst.“ „Ich höre, daß diesem Menschen eine Träne über die Wange rollt.“ „Was, eine Träne!“ rief der Doktor. „Dann weint also jemand hinter dieser Tür? Diesem Men- schen müssen wir helfen. Bestimmt hat er großen Kummer. Ich ertrage es nicht, wenn jemand weint. Holt mir mal eine Axt, ich zerhaue diese Tür.“
PENTA Das Stoß-mal-Zieh-mal galoppierte nach Hause und brachte dem Doktor eine scharfe Axt. Doktor Aibolit holte aus und schlug mit aller Wucht gegen die versperrte Tür. Noch mal und noch mal, bis die Tür zersplitterte. Nun betrat der Doktor die Höhle. Sie war kalt, feucht und finster. Und wie ab- scheulich es darin roch! Der Doktor zündete ein Streichholz an. War es hier aber schmutzig und ungemütlich! Kein Tisch, 109
keine Bank, kein Stuhl! Auf dem Boden faulte ';n Haufen Stroh, und aut diesem Stioh saß ein kleiner Junge und weinte. Als er den Doktor und alle seine Tiere sah, bekam er einen Schreck und weinte noch heftiger. Doch als er dann bemerkte, was für ein gütiges
Gesicht der Doktor hatte, hörte er mit dem Weinen auf und fragte: „Sie sind wohl kein Pirat?“ „Nein, nein, ich bin kein Pirat“, sagte der Doktor und mußte lachen. „Ich bin der Doktor Aibolit und kein Pirat. Sehe ich denn so aus?“
..Nein“, sagte der Junge. „Sie halten zwar eine Axt in der Hand, aber vor Ihnen habe ich keine Angst. Guten Tag! Ich heiße Penta. Können Sie mir nicht sagen, wo mein Vater ist?“ ..Das weiß ich nicht“, antwortete der Doktor. „Wo soll er denn sein? Wer ist er denn? Erzähl mir doch erst mal von ihm!“ „Mein Vater ist Fischer“, berichtete Penta. „Gestern sind wir miteinander zum Fang ins Meer hinausgefahren, und auf einmal fielen Seeräuber über unser Boot her und nahmen uns gefangen. Sie wollten, daß mein Vater auch Pirat wird und zusammen mit ihnen auf Raub ausgeht, Schiffe plündert und versenkt. Mein Vater wollte aber kein Pirat werden. Er sagte zu ihnen: ,Ich bin ein ehrlicher Fischer und will nicht herumräubern!1 Da kriegten die Piraten eine fürchterliche Wut, packten ihn und verschleppten ihn irgendwohin — und mich haben sie in diese Höhle gesperrt. Seither habe ich meinen Vater nicht mehr gesehen. Wo kann er nur sein? Was können sie mit ihm gemacht ha- ben? Bestimmt haben sie ihn ins Meer geworfen, und er ist ertrunken!“ Wieder begann der Kleine zu weinen. 112
„Du mußt nicht weinen“, sagte der Doktor. „Was nützen denn die Tränen? Wollen wir lieber nachdenken, wie wir deinen Vater vor den Räubern retten können. Beschreibe mir, wie er aussieht.“ „Er hat rotes Haar und einen sehr langen roten Bart.“ Da winkte der Doktor die Ente Kika herbei und flüsterte ihr ins Ohr: „Tschari-bari, tschawa-tscham!“ „Tschuka-tschuk!“ antwortete Kika. Als der kleine Junge das hörte, sagte er: „Wie komisch ihr redet! Ich verstehe kein Wort.“ „Ich rede mit meinen Tieren in der Sprache der Tiere. Ich kann sie nämlich“, erklärte ihm der Doktor Aibolit. „Was haben Sie denn zu Ihrer Ente gesagt?“ „Ich habe ihr gesagt, sie soll die Delphine her- beirufen.“
DIE DELPHINE Eiligst watschelte die Ente zum Ufer und schnat- terte so laut sie konnte: „Delphine, Delphine! Hierher! Doktor Aibolit ruft euch!“ Sofort kamen die Delphine zum Ufer geschwom- men. „Sei gegrüßt, Doktor!“ riefen sie. „Was möchtest du von uns?“ „Ein Unglück ist geschehen“, sagte der Doktor. „Gestern morgen haben Piraten einen Fischer über- 115
fallen, mißhandelt und wahrscheinlich ins Meer geworfen. Ich fürchte, er ist ertrunken. Durchsucht doch bitte mal das ganze Meer, ob ihr ihn in der Tiefe nicht findet!“ „Wie sieht er denn aus?“ fragten die Delphine. „Er ist rothaarig“, antwortete der Doktor. „Er hat rotes Haar und einen riesigen feuerroten Bart. Versucht ihn doch bitte zu finden!“ 116
„Aber gern“, sagten die Delphine. „Wir treuen uns, wenn wir unserem lieben Doktor einen Gefallen tun können. Wir werden das ganze Meer durch- stöbern und alle Krebse und Fische befragen. Wenn der rothaarige Fischer ertrunken ist, dann finden wir ihn schon und sagen dir morgen Bescheid.“ Die Delphine schwammen ins Meer hinaus und machten sich auf die Suche nach dem Fischer. Sie 117
durchkreuzten das Meer nach allen Richtungen, tauchten bis zum Grund, guckten unter jeden Stein, fragten alle Krebse und Fische aus, konnten aber nirgends einen rotbärtigen Ertrunkenen entdecken. Am Morgen kamen sie wieder zum Ufer ge- schwommen und sagten zum Doktor Aibolit: „Deinen Fischer haben wir nirgends gefunden. Wir haben die ganze Nacht gesucht, aber in den Meerestiefen ist er nicht.“ Als der Junge hörte, was die Delphine gesagt hatten, freute er sich sehr. ,.Dann ist also mein Vater am Leben. Er lebt! Er lebt!“ rief er, sprang herum und klatschte in die Hände. „Natürlich ist er am Leben“, sagte der Doktor, „und wir werden ihn unbedingt finden.“ Er setzte den Knaben auf das Stoß-mal-Zieh-mal und ließ ihn lange am sandigen Meeresstrand reiten.
DIE ADLER Trotzdem blieb Penta die ganze Zeit traurig. Auch das Reiten auf dem Stoß-mal-Zieh-mal konnte ihn nicht erheitern. Schließlich fragte er den Doktor: „Wann wirst du denn meinen Vater ausfindig machen?“ „Ich werde die Adler rufen", sagte der Doktor. „Die Adler haben so scharfe Augen, daß sie weit, weit sehen können. Wenn sie unter den Wolken dahinfliegen, erkennen sie auf der Erde jedes Käfer- 119
chen. Ich werde sie bitten, auf-der ganzen Erde, in allen Wäldern, Feldern und Bergen, Städten und Dörfern Ausschau zu halten und deinen Vater überall zu suchen.“ „Du bist wirklich ein weiser Mann", sagte Penta. „Das hast du dir wunderbar ausgedacht. Ruf doch bitte schnell die Adler!“ Da rief der Doktor die Adler, und sie kamen. „Guten Tag, Doktor! Was wünschst du?“ 120
„Fliegt nach allen Ecken und Enden und sucht - mir einen rothaarigen Fischer mit einem langen roten Bart“, sagte der Doktor. • „Schon gut“, meinten die Adler. „Für unseren lieben Doktor tun wir alles, was nur möglich ist. Wir werden hoch emporsteigen, die ganze Erde überschauen, alle Wälder und Felder, Berge. Städte und Dörfer genau durchspähen, um deinen Fischer zu finden.“ So stiegen sie in riesige Höhen empor und betrachteten die Wälder, Felder und Berge. Jeder Adler hielt sorgfältig Ausschau nach einem rothaari- gen Fischer mit einem langen roten Bart. Am nächsten Tag kamen die Adler zürn Doktor geflogen und sagten: „Wir haben die ganze Erde durchspäht, der Fischer aber nirgends gefunden. Und wenn wir ihn nicht gesehen haben, dann ist er also nicht aut der Erde!“
A W II F F H F. CINN T I) I E S U C II E „Was machen wir denn bloß?“ fragte Kika. „Wir müssen den Fischer unbedingt finden, denn Penta weint die ganze Zeil und ißt und trinkt nicht. Er sehnt sich nach seinem Vater.“ „Wie willst du ihn denn finden?“ fragte das Stoß-mal-Zieh-mal. „Nicht einmal die Adler konn- ten ihn finden. Also findet ihn niemand.“ „Unsinn!“ kläffte Awuff. „Natürlich sind die Adler kluge Vögel und haben sehr gute Augen. Aber einen Menschen finden kann nur ein Hund. 122
Wenn ihr einen Menschen sucht, dann fragt den Hund, der findet ihn unbedingt!“ ,,Was ziehst du über die Adler her?“ muffelte Naff-Naff. „Glaubst du, es ist ihnen leichtgefallen, an einem Tag die ganze Erde zu überfliegen und alle Berge, Wälder und Felder zu durchspähen? Du hast dich inzwischen im warmen Sand gewälzt und herumgefaulenzt, während sie fleißig waren und gesucht haben!“ „Wie kommst du dazu, mich einen Faulpelz zu nennen?“ zürnte Awuff. „Weißt du überhaupt, daß ich den Fischer in drei Tagen finden kann, wenn ich will?“ „Dann tu es doch!“ grunzte Naff-Naff. „Warum willst du’s denn nicht? Tu es doch! Aber du wirst ihn nicht finden, du prahlst ja nur!“ Und Naff-Naff fing an zu lachen. „Du meinst also, ich sei ein Prahlhans?“ bellte Awuff empört. „Wart nur ab, wir werden schon sehen!“ Der Hund lief zum Doktor und sagte: „Doktor Aibolit, bitte doch Penta, er soll mir irgendeinen Gegenstand geben, den sein Vater in den Händen hatte.“ 123
Der Doktor ging zum Jungen und sagte: ..Hast du nicht irgend etwas, was dein Vater in den Händen gehalten hat?“ ,.O doch“, antwortete der Knabe und holte ein großes rotes Schnupftuch aus der Tasche. Aufmerksam beschnupperte der Hund das Tuch. „Es riecht nach Tabak und Hering“, sagte Awuff. „Sein Vater hat Pfeife geraucht und guten hollän- dischen Hering gegessen. Das reicht mir... Doktor, sage dem Jungen, daß ich seinen Vater spätestens in drei Tagen finden werde. Jetzt renne ich auf diesen hohen Berg hinauf.“ „Aber es ist doch schon ganz dunkel. Du kannst ihn doch nicht in der Dunkelheit suchen!“ „Das macht nichts“, entgegnete Awuff. „Ich kenne jetzt seinen Geruch, weiter brauche ich nichts. Riechen kann ich auch im Dunkeln.“ Der Hund lief auf den hohen Berg hinauf. ..Heute bläst der Wind aus dem Norden“, sagte er. „Wollen wir mal schnuppern, wonach er riecht: Schnee... ein nasser Pelz ... noch ein nasser Pelz ... Wölfe ... Seehunde, Wolfsjunge ... Rauch eines Lagerfeuers ... eine Birke...“ „Kannst du wirklich in diesem Wind so viele 124
Gerüche unterscheiden?“ fragte der Doktor. „Ja, natürlich“, ant- wortete Awuff. „Jeder Hund hat einen sehr feinen Geruchssinn. Das kleinste Hündchen wit- tert Gerüche, die ihr nie- mals merken werdet." Und wieder begann der Hund zu schnuppern. Lange sagte er kein Wort. Schließlich verkündete er: „Eisbären ... Rentie- re ... kleine Pilze im Wald ... Eis. Schnee ... und...“ „Lebkuchen? fragte das Stoß-mal-Zie-mal. „Nein, keine Lebku- chen“, antwortete Awuff. „Vielleicht Nüsse?“ fragte Kika.
..Auch keine Nüsse", antwortete Awuff. ,,Dann Äpfel?“ fragte Naff-Naff. ..Auch keine Äpfel“, antwortete Awuff. „Weder Nüsse noch Lebkuchen noch Äpfel — sondern Tannenzapfen. Also ist der Fischer nicht im Norden. Warten wir ab, bis der Wind aus dem Süden kommt.“ ..Dir glaub ich überhaupt nicht!" hänselte ihn Naff-Naff. „Das denkst du dir alles aus. Du merkst überhaupt keine Gerüche, sondern faselst einfach Unsinn.“ „Wirst du aufhören!“ bellte Awuff. „Gleich beiß ich dir den Schwanz ab!“ „Still! Ruhig!“ sagte der Doktor. „Hört auf, euch zu zanken! Ich sehe jetzt, mein lieber Awuff, daß du wirklich eine wunderbare Nase hast. Wollen wir abwarten, bis sich der Wind ändert. Jetzt aber müssen wir nach Hause. Macht schnell! Penta zittert und weint. Er friert. Wir müssen ihm zu essen geben. Halt deinen Rücken her, Stoß-mal- Zieh-mal! So, Penta, sitz auf! Awuff und Kika, folgt mir!“
AWUFF SETZT DIE SUCHE FORT Am nächsten Tage lief Awuff in aller Frühe wieder den hohen Berg hinauf und begann den Wind zu beschnuppern. Diesmal blies er aus dem Süden. Lange schnupperte Awuff, schließlich verkündete er: „Es riecht nach Papageien, Palmen, Affen, Ro- sen, Weintrauben und Eidechsen, aber nicht nach dem Fischer.“ „Riech doch noch mal hin“, verlangte Bumba. „Es riecht nach Giraffen, Schildkröten, Straußen, nach heißem Sand und nach Pyramiden, aber nicht nach dem Fischer.“ „Den Fischer wirst du niemals finden", höhnte Naff-Naff. „Hättest du lieber nicht geprahlt.“ 127
Awuff sagte kein Wort. Aber am nächsten Tag lief er wieder ganz früh auf den hohen Berg und schnupperte bis zum späten Abend. Als es schon ganz dunkel war, kam er zum Doktor, der neben Penta schlief. „Los, los!“ rief er. „Schnell auf die Beine! Ich habe den Fischer gefunden. Wacht doch auf! Genug geschlafen! Hörst du? Ich habe den Fischer ge- funden! Ich wittere seinen Geruch! Ja, ja! Der Wind riecht nach Tabak und Hering!“ Der Doktor wachte auf und eilte dem Hund nach. „Über das Meer kommt Westwind herüber, und ich wittere den Geruch des Fischers!“ rief der Hund. „Er ist drüben am anderen Ufer. Schnell, schnell, dorthin!“ Awuff bellte so laut, daß alle Tiere auf den hohen Berg hinaufeilten, ihnen voran lief Penta. „Schnell zum Seemann Robinson!" rief der Hund dem Doktor zu. „Bitte ihn, daß er dir das Schiff borgt, aber schnell, sonst ist es zu spät!“ Sofort eilte der Doktor zu der Stelle, wo das Schiff des Seemanns Robinson vor Anker lag. „Guten Tag, Seemann Robinson!“ rief der 128
Doktor. „Sei so nett und borge uns dein Schiff, ich muß wieder wegen einer sehr wichtigen Sache ins Meer hinausfahren.“ „Aber bitte“, sagte der Seemann Robinson. „Paß nur auf, daß du nicht den Piraten in die Hände fällst, das sind fürchterliche Räuber und Böse- wichte. Sie nehmen dich gefangen und stecken mein Schiff in Brand oder versenken es!“ Der Doktor aber hörte den Seemann Robinson nicht bis zu Ende an. Er sprang auf das Schiff, holte Penta und alle Tiere an Bord und fuhr ins offene Meer hinaus. Awuff rannte aufs Deck und rief dem Doktor zu: 129
..Saksara! Saksara! Su! In der Hundesprache heißt das: ..Schau auf meine Nase! Immer auf meine Nase! Wohin ich die Nase drehe, dorthin mußt du segeln!“ Der Doktor setzte alle Segel, und das Schiff fuhr noch schneller. ’ „Rasch, rasch!“ schrie Awuff. Die Tiere standen auf dem Deck und hielten Ausschau nach dem Fischer. Penta aber glaubte nicht, daß sie seinen Vater finden würden. Er stand mit gesenktem Kopf da und weinte. Der Abend kam, und es wurde dunkel. Da sagte die Ente Kika zum Hund: „Nein, du wirst den Fischer nicht finden. Mir tut der arme Penta leid, aber da läßt sich nichts machen. Wir müssen zurück.“ Dann wandte sie sich zum Doktor: „Doktor, Doktor! Wende das Schiff! Wir wer- den den Fischer auch hier nicht finden.“ Plötzlich rief die Eule Bumba, die auf der Mast- spitze saß: „Ich sehe einen großen Felsen, dort ganz in der Ferne!“ 130

.Schnell dorthin!“ rief der Hund. „Der Fischer ist dort auf dem Felsen. Ich wittere seinen Geruch, er ist dort!“ Bald sahen alle den Felsen aus dem Meer ragen. Der Doktor steuerte direkt auf ihn zu. Doch kein Fischer war zu sehen. „Ich habe es doch gleich gesagt, daß Awuff den Fischer nicht finden wird“, grunzte Naff-Naff spöttisch. ..Ich verstehe nicht, wie der Doktor so einem Prahlhans glauben konnte. Der Doktor kletterte auf den Felsen und begann den Fischer zu rufen. Aber niemand antwortete. ..Gin-gin!“ schrien Bumba und Kika. So ruft man in der Tiersprache, wenn man jemanden sucht. Aber nur der Wind säuselte über dem Meer, und die Wellen brandeten gegen die Felsen.
GEFUNDEN! Auf dem Felsen war der Fischer nicht zu sehen. Awuff sprang vom Schiff auf den Felsen, begann hin und her zu laufen und jede Spalte zu beschnup- pern. Plötzlich bellte er ganz laut: „Kinedele! Nop! Kinedele! Nop!“ In der Tiersprache heißt das: „Hierher, Doktor, mir nach!“ Der Doktor eilte dem Hund nach. Neben dem Felsen war ein winziges Inselchen. Dorthin rannte Awuff. Der Doktor blieb keinen Schritt hinter ihm zurück. Plötzlich verschwand 133
Awuff in einer finsteren Grube. Der Doktor ließ sich in die Grube hinab und zündete seine Laterne an.Und was sah er da? Auf dem nackten Boden laß ein furchtbar magerer und bleicher rothaariger Mann: Pentas Vater. Der Doktor zupfte ihn am Ärmel und sagte: „Stehen Sie bitte auf! Wir haben Sie so lange gesucht, wir brauchen Sie sehr nötig!“
Der Mann glaubte, einen Piraten vor sich zu haben, ballte die Fäuste und sagte: „Scher dich weg, du Räuber! Ich werde mich bis zum letzten Blutstropfen wehren!“ Da aber sah er, welch ein gütiges Gesicht der Doktor hatte, und sagte: „Ich sehe, daß Sie kein Pirat sind. Geben Sie mir etwas zu essen, ich sterbe vor Hunger!“ Der Doktor reichte ihm Brot und Käse. Der Mann aß alles bis zum letzten Krümchen auf und erhob sich. „Wie sind Sie denn hierhergeraten?“ fragte der Doktor. „Die bösen Piraten, diese grausamen, blut- gierigen Menschen, haben mich hier ausgesetzt! Sie haben mir weder Speise noch Trank dagelassen. Meinen lieben Sohn haben sie mir weggenommen und irgendwohin verschleppt. Wissen Sie nicht, wo mein Sohn ist?“ „Wie heißt denn Ihr Sohn?“ fragte der Doktor. „Er heißt Penta“, antwortete der Fischer. „Kommen Sie mit mir“, sagte der Doktor und half dem Fischer aus der Grube heraus. Der Hund Awuff rannte ihnen voran. 135
Als Penta vom Schiff aus seinen Vater kommen sah. stürzte er ihm entgegen und schrie: ..Gefunden! Gefunden!“ Alle lachten, freuten sich, klatschten in die Hände und riefen: ..Bravo, bravo, kluger Awuff!“ Nur Naff-Naff stand abseits und seufzte be- schämt: ..Verzeih mir, lieber Awuff, daß ich dich ver- spottet und einen Prahlhans genannt habe.“ „Schon gut“, meinte Awuff, „diesmal verzeih ich dir. Wenn du mich aber noch mal verhöhnst, dann beiß ich dir den Schwanz ab.“ Sie machten sich auf den Weg, den rothaarigen Fischer und seinen Sohn heim ins Dorf zu bringen, wo sie wohnten. Als sich das Schiff der Küste näherte, sah der Doktor am Ufer eine Frau. Es war Pentas Mutter, eine Fischerin. Zwanzig Tage und Nächte stand sie so an der Küste und hielt Ausschau, ob nicht ihr Sohn und ihr Mann zurückkehrten. Als sie Penta erblickte, stürzte sie auf ihn zu, umarmte und küßte ihn. Sie küßte Penta, küßte den rothaarigen Fischer, 136
küßte den Doktor und war Awuff so dankbar, daß sie auch ihn küssen wollte. Awuff aber verbarg sich im Gebüsch und knurrte wütend: „Was für Dummheiten! Ich kann die Küsserei nicht ausstehen! Wenn sie unbedingt jemanden abschlecken will, dann soll sie sich Naff-Naff dazu nehmen!“ Doch Awuff stellte sich nur wütend. In Wirklich- keit war auch er froh. Am Abend sagte der Doktor: 137
„Nun. auf Wiedersehen, wir müssen nach Hause!“ ..Nein, nein!“ rief die Fischerin. „Ihr müßt noch bei uns zu Besuch bleiben! Wir fangen Fische, backen Kuchen und geben dem Stoß-mal-Zieh-mal süße Lebkuchen.“ ..Ich würde gern noch einen Tag hierbleiben“, sagte das Stoß-mal-Zieh-mal, wobei es mit beiden Mäulern lächelte. „Ich auch!“ rief Kika. „Und ich auch!“ fiel Bumba ein. „Na gut“, sagte der Doktor. „Dann bleibe ich eben auch noch als Gast bei Ihnen.“ So machte er sich mit seinen Tieren auf den Weg ins Dorf zum Fischer und zur Fischerin.
AWUFF BEKOMMT EIN GESCHENK Hoch auf dem Stoß-mal-Zieh-mal ritt der Dok- tor ins Dorf. Als er durch die Hauptstraße kam, verneigten sich alle und riefen: „Es lebe der gute Doktor!“ Auf dem Dorfplatz empfingen ihn die Schul- kinder und schenkten ihm einen Strauß wunder- schöner Blumen. Später kam ein Zwerg, machte einen Diener und sagte: 139
„Ich möchte gern Ihren Awuff sehen. Der Zwerg hieß Bambuko und war der älteste Hirt in diesem Dorf. Alle hatten ihn gern und achteten ihn. Awuff rannte auf ihn zu und wedelte mit dem Schweif. Da holte Bambuko ein sehr schönes Hundehals- band aus der Tasche. ..Hund Awuff!“ sagte er feierlich. „Die Bewohner unseres Dorfes schenken dir dieses prächtige Hals- band, weil du den Fischer, den die Piraten geraubt hatten, gefunden hast.“ Awuff wedelte mit dem Schweif und sagte: „Tschaka!“ Vielleicht könnt ihr euch noch erinnern, daß das in der Tiersprache „danke“ heißt. Alle betrachteten das schöne Halsband. Auf ihm stand in großen Buchstaben geschrieben: „Awuff, dem klügsten, besten und tapfersten Hund!“- Drei Tage verbrachte Doktor Aibolit bei Pentas Eltern. Die Zeit verging sehr fröhlich. Das Stoß- mal-Zieh-mal knabberte von früh bis spät süße Lebkuchen. Penta spielte Geige, Naff-Naff und 140
Bumba tanzten. Dann aber wurde es Zeit zum Weg- fahren. „Auf Wiedersehen!“ sagte der Doktor zum Fischer und der Fischerin, schwang sich auf das Stoß-mal-Zieh-mal und ritt zu seinem Schiff. Das ganze Dorf gab ihm das Geleit. „Es wäre besser, du bliebest bei uns!“ sagte der Zwerg Bambuko. „Heutzutage machen die Piraten das Meer unsicher, sie werden euch über- fallen und dich zusammen mit deinen Tieren ge- fangennehmen.“ „Vor den Piraten habe ich keine Angst“, ant- wortete der Doktor. „Ich habe ein sehr schnelles Schiff. Wenn ich die Segel setze, können die Piraten es nicht einholen.“ Mit diesen Worten stach der Doktor in See. Alle winkten ihm nach und riefen: „Hurra!“
(1KAPITE L DIE PIRATEN Hurtig segelte das Schiff durqh die Fluten. Am dritten Tag kam in der Ferne ein ödes Eiland in Sicht. Dort gab es weder Bäume noch Tiere oder Menschen, sondern nur Sand und riesige Stein- brocken. Aber hinter jedem Stein verbargen sich die schrecklichen Piraten. Sooft ein Schiff an ihrer Insel vorbeikam, überfielen sie es, beraubten und töteten die Menschen und bohrten das Schiff in den Grund. Auf den Doktor waren die Piraten sehr wütend, weil er ihnen den rothaarigen Fischer und 142
Penta entführt hatte, dar- um lauerten sie ihm schon lange auf. Die Piraten hatten ein großes Schiff, das sie hin- ter einem mächtigen Fel- sen versteckt hielten. Der Doktor aber sah weder die Piraten noch ihr Schiff. Zusammen mit seinen Tieren spazierte er über das Deck. Das Wet- ter war herrlich, und die Sonne schien wunderbar. Der Doktor fühlte sich sehr glücklich. Plötzlich sagte das Ferkel Naff- Naff: „Schaut mal! Was ist denn dort für ein Schiff?“ Der Doktor sah hin und wurde gewahr, daß hinter der Insel ein pech- rabenschwarzes Schiff
mit ebenso schwarzen Segeln hervor- und auf sje zukam. I ..Mir gefallen diese Segel nicht! sagte das Ferkel. ..Warum sind sie nicht weiß, sondern schwarz? Nur Piratenschiffe haben schwarze Se- gel.“ J Das Ferkel hatte es erraten: Unter den schwar- zen Segeln tuhren die bösen Piraten. Sie wollten den Doktor Aibolit einholen und sich grausam dafür rächen, daß er ihnen den Fischer und Penta entführt hatte. J ..Schnell, schnell!“ schrie der Doktor. „Setzt alle Segel!" Doch die Piraten kamen immer näher. ..Sie holen uns ein!“ schrie die Ente Kika. ..Sie sind schon ganz nahe. Ich sehe ihre schreckli- chen Gesichter. Was für böse Augen sie haben! Was machen wir bloß? Wohin? Gleich erwischen sie uns und werfen uns ins Meer!“ „Schau mal, wer dort auf dem Heck steht!“ sagte Awuff. „Erkennst du ihn nicht? Das ist doch der Bösewicht Barmalej. In der einen Hand hält er einen Säbel, in der anderen eine Pistole! Er will uns umbringen, erschießen, vernichten!“ 144
Der Doktor aber lächelte und sagte: „Habt keine Angst, meine Lieben! Das wird ihm nicht gelingen! Ich habe einen guten Plan erdacht. Seht ihr die Schwalbe über den Wellen? Sie wird uns dabei helfen, den Räubern zu entkom- men.“ Und er rief ganz laut: „Na-sa-se! Na-sa-se! Karatschui! Karabun!“ In der Tiersprache heißt das: „Schwalbe, Schwalbe, die Piraten sind hinter uns her, sie wollen uns töten und ins Meer werfen!“ Die Schwalbe kam zu ihnen aufs Schiff ge- flogen. „Höre, liebe Schwalbe, du mußt uns helfen!“ sagte der Doktor. „Karafu, marafu, duk!“ In der Tiersprache hat das zu bedeuten: „Fliege schnell und hole die Kraniche!“ Die Schwalbe flog davon und kam nach einer Minute mit den Kranichen zurück. „Guten Tag, Doktor Aibolit!“ schrien die Kra- niche. „Hab keinen Kummer, gleich stehen wir dir bei!“ Der Doktor knotete eine Leine an den Schiffs- schnabel, die Kraniche packten die Leine und zogen das Schiff. 145

sogar seinen Wasser fiel. Als die Tiere schiff mit blieben 5 5 — -•nc . viele Kraniche, sie flogen schnell Es waren sen cbcnso schnell mit. Das j schlepPlcn ‘ • ein pfeil. Der Doktor mußte dahin damit der nicht ins I 1 v< sich umblickten, war das Piraten. je'n 1 schwarzen Segeln weit zurückge- en. Kraniche!“ sagte der Doktor, pank euch, IM piraten gerettet. Wäret ihr ..Ihr' habt uns vor^d dem Meeresgrund“ nicht, dann lag
WARUM DIE RATTEN FLÜCHTETEN Für die Kraniche war es kein leichtes, das schwere Schiff mitzuschleppen. Nach ein paar Stun- den waren sie so ermattet, daß sie beinahe ins Meer fielen. Sie zogen das Schiff näher zur Küste, nahmen Abschied vom Doktor und flogen zu ihrem heimat- lichen Sumpf. Da kam die Eule Bumba zum Doktor und sagte: „Schau mal dorthin. Siehst du die Ratten übers 149
Deck laufen? Sie springen vom Schiff ins Meer und schwimmen eine nach der anderen zum Ufer.“ „Das ist doch gut“, meinte der Doktor, „Ratten sind böse und grausam. Ich kann sie nicht leiden.“ „Nein, es ist sehr schlecht“, seufzte Bumba. „Die Ratten leben doch ganz unten im Kielraum, und wenn das Schiff leck wird, merken sie es zu- allererst, springen ins Wasser und schwimmen zum Ufer. Also wird unser Schiff untergehn. Hör mal selber hin, was die Ratten sagen!“ In diesem Augenblick kamen gerade zwei Ratten herauf. Die alte Ratte sagte zur jungen: „Wie ich gestern abend in mein Schlupfloch krieche, sehe ich, daß durch eine Spalte Wasser eindringt. Na, dachte ich mir, jetzt aber weg! Morgen geht das Schiff unter. Mach du dich auch davon, ehe es zu spät ist!“ Beide Ratten sprangen ins Wasser. „Ja, ja! riet der Doktor. „Jetzt erinnere ich mich. Die Ratten flüchten immer, wenn ein Schiff untergeht. Auch wir müssen jetzt vom Schiff, sonst versinken wir mit ihm. Schnell, schnell mir nach!“ Er packte seine Habseligkeiten und watete schnell zum Strand. Die Tiere eilten ihm nach. 150
Lange marschierten sie durch den Ufersand und wurden sehr müde. „Rasten wir ein wenig und ruhen wir uns aus“, sagte der Doktor. „Dann wollen wir nachdenken, was zu tun ist.“ „Müssen wir wirklich unser ganzes Leben hier- bleiben?“ sagte das Stoß-mal-Zieh-mal und brach in Weinen aus. Aus all seinen vier Augen kullerten riesige Tränen. Zusammen mit ihm fingen alle Tiere zu weinen an, denn alle sehnten sich nach Hause. Plötzlich kam die Schwalbe geflogen und schrie: „Doktor, Doktor! Ein großes Unglück ist ge- schehen! Die Piraten haben dein Schiff gekapert!” Der Doktor sprang auf. „Was machen sie denn auf meinem Schiff?” fragte er. „Sie wollen es plündern“, antwortete die Schw al- be. „Lauf schnell hin und verjage sie!” „Nein“, sagte der Doktor und lächelte ver- schmitzt. „Man braucht sie nicht zu verjagen. Sollen sie ruhig auf meinem Schiff segeln. Paß mal auf, sie kommen nicht weit. Gehen wir lieber weg. 151
bevor sie uns bemerkt haben, und nehmen wir uns ihr Schiff statt des unseren.“ Der Doktor lief das Ufer entlang, und das Stoß- mal-Zieh-mal und die anderen Tiere folgten ihm. Sie langten beim Piratenschiff an. Kein Mann war an Bord! Alle Piraten waren auf Aibolits Schiff geklettert. „Still, still! Macht keinen Lärm!“ flüsterte der Doktor. „Schleichen wir uns ganz leise auf das Piratenschiff, damit uns niemand sieht!“
UNHEIL ÜBER UNHEIL Mäuschenstill begaben sich die Tiere aufs Schiff, setzten leise die schwarzen Segel und glitten lautlos über die Wellen. Die Piraten ahnten nichts. Plötzlich aber geschah em großes Unheil. Das Ferkel Naff-Naff hatte sich nämlich erkäl- tet, und gerade in dem Augenblick, als der Doktor versuchte, unbemerkt an den Piraten vorbeizuse- geln, mußte Naff-Naff ganz laut niesen. Einmal, zweimal, dreimal... 153
Die Piraten hörten das Niesen, kamen an Deck gerannt und sahen, daß der Doktor sich ihres Schiffes bemächtigt hatte. „Halt! Halt!“ schrien sie und fuhren ihm nach. Der Doktor setzte alle Segel, denn die Piraten konnten das Schiff ja einholen. Doch es flog nur so dahin, und allmählich blieben die Piraten zurück. „Hurra! Wir sind gerettet!“ rief der Doktor. Doch gerade da hob Barmalej, der schlimmste Pirat, seine Pistole und schoß. Die Kugel traf das Stoß-mal-Zieh-mal in die Brust. Es wankte und fiel ins Wasser. „Doktor, Doktor, Hilfe! Ich ertrinke!“ „Armes Stoß-mal-Zieh-mal!“ rief der Doktor. „Halt dich noch ein wenig über Wasser. Gleich hell ich dir!“ Der Doktor stoppte das Schiff und war! dem Stoß-mal-Zieh-mal eine Leine zu. Das Stoß-mal-Zieh-mal hielt sich mit den Zähnen an ihr fest. Der Doktor zog das verwundete Tier an Bord, verband ihm die Wunde und segelte weiter. Aber es war schon zu spät: Mit vollen Segeln rasten die Piraten herbei. „Endlich haben wir dich!“ frohlockten sie. „Dich und alle deine Tiere! Dort auf dem Mast 154

sitzt eine leckere Ente! Die braten wir uns! Ah, das wird ein fetter Bissen! Auch das Ferkel werden wir braten! Schon lange hatten wir keinen Schin- ken. Heute abend gibt’s Schweinekoteletts! Hohoho! Und dich, Doktor, schmeißen wir ins Meer zu den Haifischen.“ Naff-Naff hörte diese Worte und begann laut zu jammern. „Ach, ich unglückliches Ferkel!“ rief es. „Ich will nicht, daß die Piraten mich braten und auf- essen!“ Auch Awuff begann zu heulen, denn der Doktor tat ihm leid: „Ich will nicht, daß die Haifische ihn ver- schlingen!“
GERETTET! Nur die Eule Bumba war über die Piraten nicht erschrocken. Ganz ruhig sagte sie zu Awuff und Naff-Naff: „Seid ihr aber dumm! Wovor habt ihr Angst? Wißt ihr denn nicht, daß das Schiff, mit dem uns die Piraten nachjagen, bald sinken muß? Denkt daran, was die Ratte gesagt hat! Sie sagte, daß das Schiff heute bestimmt untergeht. Es hat ein großes Leck und ist voller Wasser. Zusammen mit dem Schiff gehen auch die Piraten unter! Wovor sollen 157.
wir uns denn fürchten? Die Piraten ertrinken, wir aber bleiben heil und ganz!“ Naff-Naff aber jammerte weiter. ..Bis die Piraten untergehen, haben sie noch Zeit, Kika und mich zu braten!“ quiekte es. Inzwischen waren die Piraten ganz nahe gekom- men. Vorn am Schiffsschnabel stand ihr Häuptling Barmalej, fuchtelte mit dem Säbel und schrie: „He, du Affendoktor! Jetzt ist’s Schluß mit deiner Affenheilerei! Gleich schmeißen wir dich ins Meer, dort fressen dich die Haifische!“ Da rief der Doktor zurück: „Paß lieber auf, Barmalej, daß die Haifische nicht dich verschlingen! Dein Schiff hat ein Leck, und ihr geht bald auf Grund!“ „Du schwindelst!" schrie Barmalej. „Wenn mein Schilf unterginge, dann würden die Ratten flüch- ten!“ „Die Ratten sind längst auf und davon. Bald bist du zusammen mit deinen Piraten auf dem Meeresgrund!“ Erst da bemerkten die Piraten, daß ihr Schiff im Sinken war. Sie rannten auf dem Deck umher, jammerten und barmten: 158

„Hilfe! Rettung!” Aber keiner wollte sie retten. Immer tiefer sank das Schiff ins Wasser. Bald waren die Piraten im Meer, zappelten auf den Wellen und schrien: „Hilfe! Hilfe! Wir gehen unter!“ Barmalej schwamm zum Schiff heran, auf dem der Doktor stand, und wollte an einem Strick aufs Deck klettern. Da aber fletschte der Hund Awuff die Zähne und knurrte drohend: „Rrrr!“ Barmalej erschrak so sehr, daß er kopfüber zurück ins Meer fiel. I „Hilfe!“ schrie er. „Zieht mich aus dem Was-
KAPITEL ALTE FREUNDE Plötzlich tauchten aus dem Meer Haifische auf. Riesige schreckliche Haie mit scharfen Zähnen und weit geöffneten Rachen. Sie holten die Piraten ein, und bald hatten sie einen nach dem anderen verschlungen. „Es geschieht ihnen recht“, sagte der Doktor. „Sie haben geraubt und schuldlose Menschen ge- quält und getötet. Das ist die Strafe für ihre Un- taten.“ 161

Lange segelte der Doktor durch das stürmische Meer. Plötzlich hörte er jemanden rufen: ,.Bo-en! Bo-en! Barawen! Bawen!“ In der Tiersprache bedeutet das: „Doktor, Doktor, halte dein Schiff an!“ Der Doktor reffte die Segel, und das Schiff blieb stehen. Alle erkannten den Papagei Karudo, der rasch über das Meer geflogen kam. „Karudo, du bist es?“ rief der Doktor. „Wie ich mich freue, dich zu sehen! Komm schnell her!“ Karudo kam zum Schiff geflogen, setzte sich auf die Mastspitze und rief: „Schau doch mal, wer mir riachschwimmt! Schau — dort im Westen, ganz am Horizont!“ Der Doktor spähte in die Ferne und sah dort das Krokodil übers Meer schwimmen. Auf dem Rücken des Krokodils saß der Affe Tschitschi, schwenkte einen Palmwedel und lachte. Sofort steuerte der Doktor auf das Krokodil zu und warf den beiden einen Strick entgegen. Beide kletterten an Bord, stürzten auf den Doktor zu und küßten ihn auf den Mund, die Wangen, den Bart und die Augen. 163


Äffchen Tschitschi saß abseits und sich hin. denn?“ fragte das Stoß-mal- Nur das seufzte traurig vor .Was hast du Zieh-mal. ..... DU 11 .Ach. ich muß an die böse Barbara denken. Wieder wird sie uns kränken und quälen. ..Da brauchst du keine Angst zu haben!“ rief das Stoß-mal-Zieh-mal. „Die Barbara ist längst nicht mehr in unserem Haus, ich habe sie ins Meer ge- worfen. und nun lebt sie auf einer unbewohnten Insel.“ „Auf einer unbewohnten Insel?“ „Ja.“ Alle — sowohl Tschitschi als auch das Krokodil und Karudo — freuten sich sehr darüber, daß die böse Barbara auf einer unbewohnten Insel lebte. „Es lebe das Stoß-mal-Zieh-mal!“ riefen sie und tanzten weiter: „SCHIWANDARA, SCHIWAPINSEL, FUNDUKLEH UND FUNDAMOS, BARBARA SITZT AUF 'NER INSEL, SO EIN GLÜCK—WIR SIND SIE LOS!“ Das Stoß-mal-Zieh-mal nickte mit beiden Köp- fen und lächelte mit beiden Mäulern. 166
Mit vollen Segeln eilte das Schiff dahin, und gegen Abend gewahrte die Ente Kika, die auf der Mastspitze saß, die heimatliche Küste. „Wir sind da! Noch eine Stunde, und wir sind zu Hause! Dort in der Ferne liegt unsere Stadt Pindemonte! Aber was ist denn das, schaut nur mal — es brennt! Die ganze Stadt ist voller Feuer! Ob nicht auch unser Haus brennt? Ach, wie schreck- lich, so ein Unglück!“ Uber der Stadt Pindemonte stand ein riesiger heller Schein. „Schnell ans Ufer!“ befahl der Doktor. „Wir müssen diesen Brand löschen. Nehmt alle Eimer mit! Wir löschen die Flammen mit Wasser!“ Doch da flog der Papagei Karudo auf den Mast, blickte durchs Fernrohr und lachte auf einmal so laut, daß alle verwundert zu ihm emporsahen. „Ihr braucht diese Flammen nicht zu löschen“, sagte er und lachte wieder. „Das ist ja gar kein Brand.“ „Ja, was ist es denn?“ fragte Doktor Aibolit. „Eine Illumination!“ antwortete Karudo. „Und was soll das heißen?“ fragte Naff-Naff. „So ein komisches Wort habe ich noch nie gehört.“ 167


Aibolit von seiner Reise zurück kam und am Ufer festmachte, klatschten sie in die Hände, jubelten, und alle liefen herbei, um ihn willkommen zu hei- ßen. „Es lebe Doktor Aibo- lit!“ riefen sie. „Hoch, Doktor Aibolit!“ Der Doktor staunte nur. Solch einen Emp- fang hatte er nicht er- wartet. Er hatte geglaubt, nur Tanja und Wanja, ja, vielleicht auch der alte Seemann Robinson wür- den ihn empfangen. Nun aber war die ganze Stadt mit Fackeln, Musik und frohen Liedern erschie- nen. Weshalb eigentlich? Wofür wurde er so geehrt ? Warum feierte man seine Rückkehr?
Ei- wollte das Stoß-mal-Zieh-mal besteigen und nach Hause reiten, doch die Menge bemächtigte sich seiner und trug ihn auf den Schultern direkt auf den großen Platz am Strand. Aus allen Fenstern blickten Menschen und war- fen dem Doktor Blumen zu: Sie feierten seinen Sieg über die Piraten. Der Doktor lächelte und verneigte sich, plötz- lich erblickte er Tanja und Wanja, die durch die Menschenmenge auf ihn zueilten. Als sie bei ihm anlangten, umarmte er sie, küßte sie und fragte: „Woher wißt ihr, daß ich den Barmalej besiegt habe?“ „Das haben wir von Penta erfahren“, antworte- ten Tanja und Wanja. „Penta ist in unsere Stadt gekommen und hat uns erzählt, daß du ihn aus der furchtbaren Gefangenschaft befreit und seinen Vater vor den Räubern gerettet hast.“ Da erst entdeckte der Doktor, daß Penta in der Ferne auf einem Hügelchen stand und ihm mit dem roten Schnupftuch seines Vaters zuwinkte. „Guten Tag, Penta!“ rief der Doktor. Doch in diesem Augenblick trat der alte Seemann 172
Robinson lächelnd an den Doktor heran, drückte ihm fest die Hand und sagte mit so lauter Stimme, daß alle auf dem Platz es hörten: „Lieber, guter Aibolit! Wir sind dir ja so dank- 173
bar daß du das Meer von den schrecklichen Piraten, die unsere Schiffe beraubten, gesäubert hast. Bisher konnten wir ja keine weite Fahrt wagen, weil die Piraten uns bedrohten. Nun aber ist das Meer-frei, und unsere Schiffe sind in Sicherheit. Wir sind stolz darauf, daß in unserer Stadt so ein tapferer Held lebt. Wir haben dir ein wunderbares Schiff gebaut, erlaube, daß wir es dir zum Geschenk machen.“ „Ruhm dir, unser guter, tapferer Doktor Aibo- lit!“ riefen die Menschen wie aus einem Munde. „Wir alle danken dir!“ Der Doktor verneigte sich und sagte: „Ich danke euch für diesen schönen Empfang und bin glücklich, daß ihr mich liebt. Doch nie und nimmer wäre es mir gelungen, mit den Piraten fertig zu werden, hätten mir nicht meine treuen Freunde, meine Tiere, dabei geholfen. Hier sind sie an meiner Seite, und ich möchte sie von ganzem Herzen beglückwünschen und ihnen meine Dank- barkeit für ihre selbstlose Freundschaft ausspre- chen !“ „Hurra!“ schrien die Menschen. „Ruhm den mutigen Tieren Aibolits!“ 174
Nach diesem feierlichen Empfang bestieg der Doktor das Stoß-mal-Zieh-mal und ritt, von seinen Tieren begleitet, zu seinem Haus. Wie freuten sich die Häschen. Eichhörnchen. Igel und Fledermäuse! Kaum hatte er sie begrüßt, da wurde am Him- mel ein Rauschen hörbar. Der Doktor lief hinaus und sah die Kraniche. Sie flogen auf sein Haus zu und brachten ihm schweigend einen großen Korb herrlicher Früchte: Datteln, Äpfel, Birnen. Bana- nen, Pfirsiche, Trauben und Apfelsinen. „Das ist für dich aus dem Affenland, lieber Doktor!“ Der Doktor dankte ihnen, und sie flogen sofort heimwärts. Eine Stunde später begann im Garten des Dok- tors ein herrliches Festmahl. Auf langen Bänken, an langen Tischen nahmen im Schein der bunten Lämpchen alle Freunde des Doktors Platz: Tanja und Wanja, Penta und der alte Seemann Robinson, die kleine Schwalbe, Naff-Naff, Tschitschi, Kika. Karudo, Bumba, das Stoß-mal-Zieh-mal, Awuff. die Eichhörnchen, Hasen, Igel und Fledermäuse. Der Doktor bewirtete sie mit Honig, Eisbon- 175
hons Lebkuchen und mit den herrlichen Früchten die er aus dem Affenland bekommen hatte. Es wurde ein frohes Mahl. Alle scherzten, lach. ten und sangen. Dann hoben sie die Tafel auf und begannen im Garten beim Licht der bunten Lämp. chen zu tanzen. Plötzlich merkte Penta, daß der Doktor nicht mehr lächelte, sondern mit ernster Miene, so schnell er konnte, ins Haus eilte. „Was ist denn geschehen?“ fragte Penta. Der Doktor gab keine Antwort. Er faßte Penta an der Hand und eilte mit ihm die Treppe hinauf. Direkt vor der Tür saßen und lagen im Vorzimmer lauter Kranke: ein Bär, den ein toller Wolf gebissen hatte, eine Möwe, die böse Buben verletzt hatten, und ein samtweiches Hirschlein, das die ganze Zeit über stöhnte, denn es hatte Scharlach. Es war von demselben Pferd zum Doktor gebracht wor- den, dem er, wenn ihr euch noch erinnern könnt, ein Jahr zuvor die gute große Brille gegeben hatte. . „Sieh dir diese Tiere an!“ sagte der Doktor. ,, un wirst du verstehen, warum ich unser Fest so schnell verlassen habe. Ich kann mich nicht 178
vergnügen, wenn nebenan meine lieben Tiere stöhnen und vor Schmerzen weinen.“ Raschen Schrittes ging der Doktor in sein Sprechzimmer und machte sich sofort an die Zube- reitung der Arzneien. „Darf ich dir helfen?“ fragte Penta. „Bitte sehr“, antwortete der Doktor. „Miß dem Bären das Fieber und bring mir das Hirschlein her. Es ist todkrank, es muß vor allem gerettet werden!“ Penta erwies sich als guter Helfer. Noch war keine Stunde vergangen, da hatte der Doktor alle Kranken gesund gemacht. Kaum waren sie wieder wohlauf, da lachten sie glückselig, sagten zum Doktor „Tschaka!“ und wollten ihn küssen. Der Doktor führte sie in den Garten, stellte sie den anderen Tieren vor, dann rief er: „Platz gemacht!“ und begann zusammen mit dem Affen Tschitschi den fröhlichen Tiertanz Tkella, und dabei so geschwind und gewandt, daß es sogar dem Bären und dem Pferd in die Beine fuhr und sie mittanzten.
So endeten die Abenteuer des gu- ten Doktors. Er ließ sich unweit vom Meere nieder und begann nun auch kranke Krebse, Fische und Delphine zu heilen, die zusammen mit ihren Kindern zu ihm ans Ufer schwammen.
I l
Erster Teil DIE REISE INS AFFENLAND KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL 1. DER 2. DER 3. DER DOKTOR UND SEINE TIERE AFFE TSCHITSCHI....... DOKTOR HAT VIEL ZU TUN KROKODIL 4. DAS 5. DIE TIERE HELFEN DEM DOKTOR .6. DIE SCHWALBE 7. NACH AFRIKA! 8. DER STURM 9. DER DOKTOR IN NOT........... 10. DIE HELDENTAT DES PAPAGEIS KARUDO 11. DIE AFFENBRÜCKE ............. 12. 13. 14. 15. 16. 17. DUMME TIERE...................... DAS GESCHENK .................... DAS STOSS-MAL-ZIEH-MAL........... ABSCHIED VOM DOKTOR ............. NEUE ABENTEUER .................. BARBARA UND STOSS-MAL-ZIEH-MAL . . 15 22 26 28 36 41 47 58 66 75 77 85 89
Zweiter Teil PENTA UND DIE SEEPIRATEN KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL KAPITEL 5. DIE HÖHLE PENTA DIE DELPHINE DIE ADLER AWUFF BEGINNT DIE SUCHE AWUFF SETZT DIE SUCHE FORT GEFUNDEN! 8. AWUFF BEKOMMT EIN GESCHENK 9. DIE PIRATEN.................. 10. WARUM DIE RATTEN FLÜCHTETEN . . II. UNHEIL ÜBER UNHEIL............ 12. GERETTET! . . . .............. 13. ALTE FREUNDE 105 109 115 119 122 127 133 139 142 149 153 157 161